Rettung der Hoffnungslosen: Die theologische Implikationen der Philosophie Theodor W. Adornos 9783666562532, 9783525562536

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Rettung der Hoffnungslosen: Die theologische Implikationen der Philosophie Theodor W. Adornos
 9783666562532, 9783525562536

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Werner Brandie Rettung des Hoffnungslosen

WERNER BRÄNDLE

Rettung des Hoffnungslosen Die theologischen Implikationen der Philosophie Theodor W. Adornos

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink, Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 4 7

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Brändle, Werner: Rettung des Hoffnungslosen : d. theolog. Implikationen d. Philosophie Theodor W. Adornos / Werner Brändle. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1984. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie ; Bd. 47) ISBN3-S25-56253-5 NE: GT

D6 © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1984. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

V O R W O R T Als 1827 Zelters einziger Sohn starb, versuchte Goethe seinen Freund mit dem Hinweis auf die Unsterblichkeit zu trösten. Und er schrieb ihm: "Verzeih diese abstrusen Ausdrücke! man hat sich aber von je her in solche Regionen verloren, in solchen Sprecharten sich mitzuteilen versucht, da wo die Vernunft nicht hinreichte und wo man doch die Unvernunft nicht wollte walten lassen." Goethes Kommentar zu seinem eigenen Glauben macht deutlich, wie sehr ein Bedürfnis in der Vernunft nach etwas verlangt, was mehr ist als sie selbst. Theodor W.Adornos Denkpraxis ist m.E. eine solche "Sprechart", die aufgrund ähnlicher Erfahrungen versucht, weder die Vernunft noch die Unvernunft über Gott und das Leiden der Menschen Herr werden zu lassen; sie will mehr. Die hier vorgelegte Untersuchung stellt - von Adornos Denkpraxis angestoßen - an die gegenwärtige Systematische Theologie die Frage, ob sie schon die Form gefunden hat, die dem Leiden der Menschen, mehr noch: die dem Evangelium von Jesus Christus in allem Leiden und gegen alles Leiden gerecht wird. Könnte es nicht sein, daß die Theologie, weil sie die Unvernunft berechtigterweise nicht herrschen lassen darf, doch Denksysteme und Glaubenssysteme geschaffen hat, die dem Inhalt ihres zu vertretenden Glaubens widersprechen? Muß nicht in der theologischen Rede von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus immer auch noch dessen und unser Kreuz durchscheinen? Die nun veröffentlichte Arbeit wurde im Sommersemester 198o vom Fachbereich Evangelische Theologie der Westfälischen Wilhelms-Universität als Dissertation angenommen. Sie erscheint in nur geringfügiger Überarbeitung und berücksichtigt damit die Arbeiten zum Thema, die in den letzten Jahren erschienen sind, nicht mehr. Die Veröffentlichung der Untersuchung habe ich dem Entgegenkommen des Verlags und vor allem meiner Württembergischen Landeskirche, der Westfälischen Landeskirche, sowie der VELKD und der EKU, die mir alle einen Druckkostenzuschuß gewährten, zu verdanken. Mein Dank gilt neben den Gutachtern Herrn Prof.Dr.E.Lessing und Herrn Prof.Dr.H.H.Esser, den Herausgebern der Reihe 'Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie'.

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Herr Professor Lessing hat in überaus freundlicher und hilfsbereiter Kritik und Geduld das Werden der Arbeit begleitet, deshalb gilt ihm mein ganz besonderer Dank. Nicht zuletzt habe ich auch für die Hilfe und Ermutigung meiner Osnabrücker Kollegen zu danken - besonders Herrn Prof.Dr.H.G.Pöhlmann und Prof.K.Künkel. Gewidmet sei die Untersuchung meinem Konfirmator Pfarrer Heinrich Wagner als ein Zeichen der Erinnerung und des Dankes für das, was ich bei ihm in meiner Jugend gelernt habe und wozu er mir Ansporn und Zuspruch war.

Saerbeck, im Herbst 1983

Werner Brändle

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

EINLEITUNG I. Die Thematik und das Ziel der Untersuchung II. Zur Rezeptionsgeschichte der Philosophie Adornos in der systematischen Theologie III. Gegenstand und Material der Untersuchung IV. Zur Methode und zum Aufbau der Arbeit A) ZUR DENKPRAXIS "NEGATIVER DIALEKTIK" I. Sprache - Form - Stil

1 9 12 16 ?o 22

II. Auschwitz als 'Sitz im Leben' der Erkenntnis III. Dialektik als 'ars inveniendi'

4o 55

IV. Gesellschaft und Kritik V. EXKURS: Zur Dialektik von Musik und Philosophie

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B) KONSTELLATIONEN 'INVERSER THEOLOGIE' I. Natur - Geschichte - Mythos II. EXKURS: Zum Programm der Entmythologisierung Bultmanns aus der Perspektive Adornos III. Mythos - Kunst - Versöhnung IV. EXKURS: Adornos Kafka-Interpretation als Modell einer 'invers-theologischen' Kunstphilosophie C) MODELLANALYSEN ALS KONFRONTATION VON THEOLOGIE UND 'NEGATIVER DIALEKTIK'

9o 95 loo 128 135

154

1 61

I. Selbsterhaltung als Verhängnis Die Anthropologie Adornos in Gegenüberstellung zu P.TILLICHS theologischer Anthropologie 166 II. 'Hoffnung wider Hoffnung' Adornos Geschichtsphilosophie in Auseinandersetzung mit J.MOLTMANNS 'Theologie der Hoffnung'19.5 III. Gott als Geheimnis Zur Konstitutionsproblematik von Glauben und Denken bei E.JÜNGEL und Adorno 244

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D) DIE RELEVANZ DER DENKPRAXIS ADORNOS FÜR EINE SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

288

I. Konstellativ-dialektisches Denken als eine Form theologischer Argumentation

29o

II. 'Naturgeschichte' als Faktor theologischer Anthropologie

3oo

Verzeichnis der zitierten Literatur

311

Der Geist wird erst frei, wenn er aufhört, Halt zu sein. F.Kafka

- lo Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen für die Schriften Th.W.Adornos ÄTH

Ästhetische Theorie

DA E GS

Dialektik der Aufklärung Eingriffe, Neun kritische Modelle Gesammelte Schriften, hg. von G.Adorno und R.Tiedemann, Bd. î ff. Drei Studien zu Hegel Jargon der Eigentlichkeit, Zur deutschen Ideologie Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen Zur Metakritik der Erkenntnistheorie Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben Negative Dialektik Noten zur Literatur, Bd.I ff. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft Philosophische Terminologie, hg. von R.zur Lippe, Bd. I f.

H J К Kg MdE MM ND NL OL Ρ PhT St ÜTWA ÜWB

Stichworte. Kritische Modelle 2 Über Theodor W.Adorno Über Walter Benjamin

Die genauen bibliographischen Angaben zu den einzelnen Schriften finden sich im 'Verzeichnis der verwendeten Literaturl Weitere Abkürzungen sind im laufenden Text der Arbeit erläutert.

E I N L E I T U N G I. Die Thematik und das Ziel der Untersuchung 1. In einem offenen Brief zu Ehren von Max Horkheimers siebzigstem Geburtstag schrieb Adorno: "Du hast den utopischen Impuls ohne Kompromiß im Geiste von Kritik absorbiert, ohne affirmativen Trost, selbst ohne den des Vertrauens auf eine Zukunft, die doch vergangenes Leiden nicht wieder gutmachte. Dem habe ich noch nie etwas anderes entgegensetzen können als die Frage, ob nicht die Unerbittlichkeit, die Dich in solche Richtung drängt, ihren Gehalt von eben dem empfängt, was sie ausschließt. Wir haben diese Frage so wenig beantworten können wie sonst einer. Die folgenden Untersuchungen kreisen um diese Frage Adornos im Blick auf sein eigenes Werk und dessen Affinität zu christlich theologischem Denken. Denn was Adornos Philosophie mit der Theologie verbindet, ist die wohl während der Freundschaft mit Walter Benjamin^^ aufgenom-

1) Adorno, Offener Brief an Max Horkheimer, in: Die ZEIT 1965, Nr. 7, S.32. 2) Ohne im einzelnen auf das Verhältnis zwischen Adorno und Benjamin einzugehen (vgl. jetzt W.Fuld, W.Benjamin. Zwischen den Stühlen, München 1 979, S.8ff; 151ff. und J.Habermas, Bewußtmachende oder rettende Kritik die Aktualität W.Benjamins, in: Zur Aktualität W.Benjamins, Frankfurt 1972, S.2o9 u.ö.) seien an dieser Stelle jene Sätze Adornos zitiert, die Einblick in die emotionale Beziehung Adornos zu Benjamin und in die der religiösen Interessen beider geben. Adorno schließt seine "Einleitung zu Benjamins 'Schriften'(1 955)" mit folgenden Sätzen: "Von dieser Hoffnung (auf die Erlösung der ganzen Welt, W.B.) hat Benjamins Wort gezeugt, sein märchengleich lautloses, unkörperliches Lächeln und sein Schweigen. Jedes Zusammensein mit ihm hat wiederhergestellt, was sonst unwiederbringlich dahin ist, das Fest. In seiner Nähe wurde es einem zumute wie dem Kind in dem Augenblick, in dem ein Spalt des weihnachtlichen Zimmers sich öffnet und eine Fülle des Lichts das Auge zu Tränen überwältigt, erschütternder und bestätigter, als je der Glanz es grüßt, wenn es eingeladen wird, das Zimmer zu betreten. Alle Macht des Denkens versammelte sich in Benjamin, um solche Augenblicke zu bereiten, und an sie allein ist übergegangen, was einmal die Lehren der Theologie verhießen" (ÜWB, S.51). Zum Biographischen vgl. C.Pettazzi,

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mene Idee der 'messianischen Hoffnung', daß einmal werde, was alle ersehnen: Erlösung. Dieser Sehnsucht oder - wie Adorno ebenso sagen kann dieser "Hoffnung auf Versöhnung"^^

w i r d v o n ihm u n a b d i n g -

bar ihr Gegenteil, nämlich die reale Erfahrung 4)

gegenüber-

gestellt: Auschwitz Diese Konstellation also: das jüdische Erbe messianischer Hoffnung und die grauenhafte Erfahrung, daß nicht nur die Idee dieses Erbes, sondern die physische Existenz der darauf Hoffenden selbst aufs äußerste bedroht waren, ist das wesentliche Kennzeichen der Denkpraxis Adornos; sie ist der Rahmen, in dem sich die folgende Untersuchung b e wegt. 2. Die Unaussprechlichkeit dessen, was in Auschwitz schah und zugleich die Tradition eines Geistes,

ge-

"dessen

innerster Impuls Rettung ist"^^, sind die Spannungsmomente, die Adorno zu negativer Dialektik antreiben, denn sie geben weder eine letzte Antwort nach dem Sinn n.och n a c h dem Ursprung des menschlichen Lebens frei, sondern zwingen zu anhaltender und kritischer philosophischer Deutung v o n Erfahrungen und ihren Begriffen. Kann so das Rätsel des Lebens nicht gelöst werden, so können doch um. dieses Rätsel phantasievoll noch Denkfigurationen aufgebaut werden, die es erhellen und den Bann, der über allem liegt, für einen kurzen Augenblick glückhaft lockern.

Studien zum Leben und Werk Adornos bis 1938, in: Th.W. Adorno, hg. v o n H.L.Arnold, Sonderband edition text + kritik, München 1977, S.22ff. 3) Adorno, ND, S.29. 4) Sowohl die 'Minima Moralia' m i t ihrem Untertitel "Reflexionen aus dem beschädigten Leben" tragen die Spuren von Auschwitz als auch Adornos philosophisches Hauptwerk "Negative Dialektik", in dem es apodiktisch heißt: "Kein v o n H o h e m getöntes Wort, auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht" (ND, S.358). 5) Adorno, ND, S.382. - Vgl. auch S.98 der folgenden Untersuchung. Das Motiv der 'Rettung des Hoffnungslosen' bezeichnet Adorno 1935 als den Zentralversuch seiner g e samten Denkpraxis.

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In diesem Sinne bezeichnet Adorno bereits 1931 in einem Aufsatz die Aufgabe der Philosophie dahingehend, "nicht verborgene und vorhandene Intentionen der Wirklichkeit zu erforschen, sondern die intentionslose Wirklichkeit zu deuten, indem sie kraft der Konstruktion von Figuren, von Bildern aus den isolierten Elementen der Wirklichkeit die Fragen aufhebt, deren prägnante Fassung Aufgabe der Wissenschaften ist."®^ Das Ziel solchen konstellativen Denkens ist das, mit der Deutung der gegenwärtigen auch die der geschichtlichen Phänomene zu leisten, und in der "Zusammenstellung des Kleinsten"^^ nicht die großen metaphysischen Probleme im herkömmlichen Sinne zu lösen, sondern modellartig den Unstimmigkeiten und Brüchen des Lebens und der darin laut werdenden Sehnsucht nach Befreiung Stimme zu leihen. Mit der zuletzt genannten Metapher ist zugleich auf die Bedeutung der Kunst, insbesonders der Musik im Denken Adornos hingewiesen. Die Figurationen und Satzgefüge, die das dialektische Denken erst herstellen muß, um die Wirklichkeit entschlüsseln zu können, sind für Adorno in den Klangfiguren der Musik und in den Wortkombinationen der Dichtung schon vorgegeben und harren ihrer Deutung. Das Wahrheitskriterium aller Deutung ist für Adorno: 8) "Leiden beredt werden zu lassen" und im Widerstand gegen solches Leiden, die 'Hoffnung auf Versöhnung' wachzuhalten. 3. Mit diesen kurzen Hinweisen auf Adornos Denkpraxis sind schon die für ihn wichtigsten Problemfelder, die miteinander verzahnt sind, angedeutet, nämlich die Geschichtsphilosophie, die Erkenntnistheorie und die Ästhetik. Dabei impliziert für Adorno die Geschichtsphilosophie immer schon ein naturgeschichtliches bzw. anthropologi6) Adorno, Die Aktualität der Philosophie, in: GS 1, S.335, 7) Ebda, S.336. 8) Adorno, ND, S.27.

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sches Moment, denn die Weltgeschichte kann nach Auschwitz für Adorno nicht mehr im Hinblick nur auf Kategorien wie Freiheit und Gerechtigkeit konstruiert werden, sondern muß - gezwungen durch die "SelbstzerStörung der Aufklä9) rung" - die Geschichte der "Naturverfallenheit der Menschen" restlos aufdecken, denn nur so kann Wahrheit und die "Einlösung der vergangenen H o f f n u n g " ü b e r h a u p t erreicht werden. Die Methode der Konstellation dient dabei einzig dazu, aus dem vorhandenen Material geschichtlicher Wirklichkeit und ihren begrifflichen Fixierungen Erkenntnis ihres Gewordenseins und ihrer noch latenten Möglichkeit zu gewinnen. Denn allein die Konstellationen "repräsentieren, von außen, was der Begriff im Innern weggeschnitten hat, das Mehr, das er sein will."^^' Lehnt Adorno einerseits jegliche positive Glaubensaussage und insbesonders auch die des christlichen Glaubens an 12) die Offenbarung Gottes in Jesus Christus ab , so ist er andererseits um so mehr am Wahrheitsgehalt der Verheißung eines "sabbatischen F r i e d e n s " f ü r alle und alles interessiert, und er hofft, daß die "Verdinglichung, die das Dogma, die Objektivität des Glaubens, 1 4 ) stur und vernunftfeindlich dem Subjekt aufzwingt" einmal aufgesprengt werde. Das gemeinsame religiöse Interesse von christlichem Glauben und Adornos Denken^^^ liegt also nur, was ihr inhaltliches Moment betrifft, in der gemeinsamen Erwartung 9) Horkheimer/Adorno, DA, S.1. 10) Ebda, S.4. 11 ) Adorno, ND, S.16 2. 12) Vgl. den Aufsatz "Vernunft und Offenbarung", in: St, S. 2off. 13) Adorno, MM, 8.144. 14) Adorno, St, S.26. 15) Anders K.Röhring, der Adorno emphatisch einen "verborgenen Paulus-Schüler" nennt, der letztlich an die Rechtfertigung der Gottlosen glaube (K.Röhring, Th. W.Adorno, in: Die Religion der Religionskritik, mit Beiträgen von J.Scharfenberg u.a., München 1972, S. 1o9) .

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des kommenden Reiches Gottes.^^^ Doch nicht in der Präzisierung dieses gemeinsamen Moments im Blick, auf die Philosophie Adornos liegt das erkenntnisleitende Interesse dieser Untersuchung, zumal hier die Gefahr der Äquivokation 1 7 )die ständige Begleiterin ist. Primär ist das Ziel, den von Adorno mit dem alttestament18) liehen Bilderverbot belegten Bereich des 'Andern' und die um dieses 'Andere' gelegten Konstellationen im Blick auf ihre geschichtsphilosophischen, anthropologischen, ästhetischen und erkenntnistheoretischen Momente zu untersuchen. Dabei geht es - und dies muß besonders betont werden nicht darum, Adornos philosophisches Denken für die Theologie zu reklamieren oder ihn1 9gar ) als heimlichen christliehen Theologen auszuweisen ; und es geht auch nicht darum, religionskritisch im traditionellen Sinne^°^, Adornos Position gegen den christlichen Glauben auszuspielen oder indirekt seitens der Theologie in eine Abwehr nachhegelscher Religionskritik einzutreten. Es kommt vielmehr darauf an, jenen Konstellationen im Denken Adornos nachzugehen, die um den religiösen Gehalt des Ungesagten bzw. des von der "Hoffnung auf Versöhnung" 16) Vgl. dazu Schalom Ben-Chorin, Jüdischer Glaube, Tübingen 1975, S.298. 17) Im Blick auf diese Gefahr hat G.Scholem aus seiner Sicht auf den 'völlig' anderen Begriff von Erlösung im Judentum und Christentum aufmerksam gemacht(G.S., Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum, in: G.S., Über einige Grundbegriffe des Judentums, Frankfurt 1976, S.121). 18) Vgl. dazu ausführlich S.II 9 dieser Arbeit. 2o) Zu dem hier verwendeten Begriff von Religionskritik s.u.S. 163. 19) So Theunissen und Greve in ihrem Materialienband zur Philosophie Kierkegaards: "Die Verwandtschaft der Kierkegaard-Rezeption Blochs und Adornos wurzelt in der tiefer liegenden Gemeinsamkeit, die darin besteht, daß beide in der Substanz selber Theologen sind"(Einleitung, Kierkegaards Werk und Wirkung, in: Materialien zur Philosophie S.Kierkegaards, hg. und eingeleitet von M.Theunissen und W.Greve, Frankfurt 1 979,S.79).

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Intendierten in seinem Werk aufgebaut sind. Vorausgesetzt wird dabei - ohne dies jedoch letztlich beweisen zu wollen oder zu können -, daß Adorno für sich selbst die Kraft zum negativ dialektischen Denken von eben dem empfängt, was er sich weigert, positiv zu benennen. Das Ziel beim Durchgang und der Darstellung der Denkpraxis Adornos ist also, diese nicht nur besser verstehen zu lernen und kenntlich zu machen, was der negativen Dialektik an "religiöser Affirmation"^^^ zugrundeliegt, sondern auch Hinweise dafür zu bekommen, aus welchem Erfahrungshorizont heraus, mit welcher Begrifflichkeit und vor allem mit welcher Methode es Adorno gelingt, trotz schärfster Kritik an den kulturellen, gesellschaftlichen uid philosophischen Traditionen unseres Kulturraumes zugleich die "Rettung des Hoffnungslosen"

22)

nicht aufzugeben.

4. Die Frage nun, wie die Untersuchung dieser Thematik innerhalb der systematischen Theologie zu legitimieren ist, kann zum einen mit dem Hinweis auf die gemeinsame 'Zukunft der Versöhnung', mehr jedoch noch im Blick auf die Problem- und Aufgabenstellung systematischer Theologie beantwortet werden. Wenn es die Aufgabe systematischer Theologie ist, das zu thematisieren, "was der christliche Glaube bei einer zusammenhängenden Betrachtungsweise als geltend wissen soll"^^ ^ und dies nur in den 'Feldern' von "Bekenntnis, Subjektivi24 ) tät und Kirche" vollzogen werden kann, so dürften gerade diese drei Begriffe auf die Bedeutung anthropologischer, geschichtsphilosophischer und erkenntnistheoretischer Momente und mehr noch auf die Konstellation eben dieser Begriffsfelder innerhalb der systematisch-theologischen Arbeit hinweisen. Denn das für die Theologie zu erarbeitende gemeinsame und geltende Wissen, darf als "Wahrheitsermöglichendes Wissen"^^' gerade nicht primär auf Handlungsanweisung oder Letztbegründung zielen, son21) P.Cornehl, Die Zukunft der Versöhnung, Göttingen 1971, S.355. 22) So Adorno in einem Brief an Horkheimer im Jahr 1935; vgl. dazu s,u.S.98. 23) E.Lessing, Dogmatik als Aufgabe der systematischen Theologie, im ZThK 1978, S.358. 24) Ebda, S.354. 25) Ebda, S.355.

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d e m auf einen Bereich, der den Konsensus verschiedener Erfahrungen und Denkfiguren möglich macht. Solches Wissen wird aufgrund seiner metatheoretischen Ebene gerade auch die modellartig beschriebene Erfahrung des christlichen Glaubens wie sie der Apostel Paulus 2.Kor.6,3-1o formuliert hat, nicht vergessen dürfen, wenn es als kritisches Wissen der Wahrheit und der Evidenz des Glaubens dienen will. Sind damit zunächst insbesonders die anthropologischen Momente systematischer Theologie angesprochen, so liegt das noch schwierigere Problem systematischer Theologie in der Darstellung und durchgehenden Beachtung dessen, was die eschatologische Spannung des christlichen Glaubens, von der in Rom.6,8 und 2.Kor.5,7 gesprochen wird, kennzeichnet. Wohl argumentiert christlicher Glaube - und dies mit REcht gegen Adorno -, daß wir schon versöhnt sind mit Gott (Röm.5,1o), aber der Verweis des Paulus darauf, daß wir nicht im Schauen (ou dia eidous) wandeln, daß wir den Schatz des Evangeliums vielmehr in "irdenen Gefäßen" (2.Kor.4,7) haben, nötigt alle systematisch-theologische Arbeit dazu, diesen 'Schatz' kritisch und selbstkritisch zu reflektieren und begrifflich adäquat darzulegen. Die damit gestellte Aufgabe systematischer Theologie, das zu geltende Wissen im Spannungsfeld der Hoffnung des Glaubens in den Konstellationen von 'Bekenntnis, Subjektivität, Kirche' darzustellen, ist zugleich die Legitimation dafür, Adornos konstellative Denkpraxis mit der theologischen in Beziehung zu setzen. Denn es ist die Spannung der geschichtlichen Erfahrung menschlichen Leidens und des hoffenden Glaubens nach Erlösung davon, die sowohl Adorno zur Methode des konstellativen Denkens zwingt als auch die systematische Theologie. Denn - um es thesenartig zu formulieren - nur in der Konstellation der drei oben genannten Begriffsfelder wird die Darstellung des Glaubens an die schon erschienene "Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes"(Joh.1,14) , die Spannung bzw. Unterscheidung von Glaubensaussage und ihrer dogmatischen Wissenssprache bis hinein in die Grammatik systematischer Theologie, sichtbar und verstehbar Zu machen sein. Diese Darstellung und

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Thematisierung des zu geltenden dogmatischen Wissens wird vor allem die Diskussion geschichtsphilosophischer und erkenntnistheoretischer Momente in der systematisch-theologischen Arbeit implizieren. Die folgende Untersuchung verspricht sich deshalb von der Darstellung der Denkpraxis Adornos und dessen Konfrontation mit systematisch-theologischen Entwürfen eine Schärfung und Präzisierung der theologischen Urteilskraft und Methode bezüglich des Problems, w i e der Glaube an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus in systematischer Begrifflichkeit als geltendes Wissen in den genannten Konstellationen zur Sprache gebracht werden kann. Es ist somit mit ein Ziel der Arbeit, die Aporien des Glaubens für das Denken, "in denen das Geschehen zwischen Gott und 9fiÌ Mensch uns erkennbar und mitteilbar wird" deutlicher sichtbar zu machen.

26) G.Sauter, Theologie als Beschreibung des Redens von Gott, in: W.Pannenberg u.a., Grundlagen der Theologie - ein Diskurs, Stuttgart 1974, S.54.

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II. Zur Rezeptionsqeschichte der Philosophie Adornos in der systematischen Theologie 1. Der Versuch, Adornos Denkpraxis mit der systematischtheologischer in Beziehung zu bringen, ist - soweit dies überblickt werden kann - bisher auf evangelischer Seite nicht in ausführlicher Weise unternommen worden. Neben einzelnen stichwortartigen Hinweisen auf die 'Negative Dialektik' und die 'Minima Moralia' bei nahezu allen zeitgenössischen systematischen Theologen^' sind lediglich 2) T.Koch und K.M.Kodalle in eine Kontroverse mit Adorno eingetreten, in der H.Schweppenhäuser die Rolle des Verteidigers von Adorno übernahm. J.Moltmann hat in seiner Gotteslehre^^Der gekreuzigte Gott" versucht, die Fragen der Negativen Dialektik für seine Thematik aufzunehmen, um damit seiner intendierten'theologia crucis'Tiefe zu verleihen bzw. sie im Sinne einer 'negativen Theologie' seiner Theologie des gekreuzigten Gottes zu integrieren. Eine sachlich adäquate Auseinandersetzung mit der von Adorno intendierten 'inversen' Theologie und ihrer Methode hat Moltmann jedoch nicht un1) Hier eine Liste aufzustellen, wer und in welchem Zusammenhang Adorno in der theologischen Literatur genannt hat, dürfte wenig nützen. Interessant ist vielleicht, daß Adorno im Namensregister der Kirchlichen Dogmatik von K.Barth nicht aufgeführt ist; Adorno dagegen nennt Barth in seinen Schriften verschiedentlich (so z.B. auch in der ND, S.358). Auch P.Tillich geht in seiner Systematischen Theologie nicht direkt auf Adorno ein, wobei doch die beiderseitige Freundschaft und Adornos Habilitation 1931 bei Tillich in Frankfurt solches vermuten ließe. - Auf katholischer Seite haben sich vor allem J.B.Metz, Glaube in Geschichte und Gesellschaft, Mainz 1977 und Ξ.Schiliebeecks, Glaubensinterpretation, Beiträge zu einer hermeneutischen und kritischen Theologie, Mainz 1971 mit der Philosophie Adornos auseinandergesetzt. Vgl. auch V.Spülbeck, Neomarxismus und Theologie, Freiburg 1977. 2) T.Koch/K.M.Kodalle/H.Schweppenhäuser, Negative Dialektik und die Idee der Versöhnung, Eine Kontorverse über Th.W.Adorno, Stuttgart 1973(abgk. =Koch/Kodalle). 3) J.Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1 972.

- 2o ternoinmen. Es ist deshalb sehr fraglich, ob Adornos Phi4) losophie als "negative Theologie des Bilderverbotes" bezeichnet werden kann; und zmti andern wird die Konfrontation der "Theologie der Hoffnung" mit der Denkpraxis Adornos deutlich machen, daß die Aufnahme der 'Negativen Dialektik' und ihrer methodischen Intention durch Moltmann schwerlich gelungen ist. Koch/Kodalle versuchen die Negative Dialektik und die Idee der Versöhnung mit der Intention zu analysieren, daß, ausgehend von den "sehr erheblichen Inkonsequenzen negativer Dialektik", deutlich wird, "ob und inwieweit noch in ihnen 'System' liegt, einschließlich der Möglichkeit, daß im Falle der Stichhaltigkeit dieser Darlegung auch die Revision des Begriffs negativer Dialektik ins Auge zu fassen wäre."^' Und entsprechend dieser Intention der Untersuchung ist ihr Ergebnis der Nachweis, daß "Adornos Konzeption von verkehrten Alternativen und verzerrten Prämissen durchsetzt ist, was sich mißlich bis hinein in die abschließenden, tatsächlich aber weiterweisenden Schlußbemerkungen (der Neg.Dialektik, W.B.) auswirkt."®^ So treffend auf diese Weise Koch/Kodalle im einzelnen auch nachgewiesen haben, daß Adorno kein christlicher Theologe ist - "Negative Dialektik will an der in ihrem Kontext kohärenten Grundannahme festhalten, Versöhnung habe noch nicht stattgefunden"^'- so bedürfte d4.es wohl kaum einer ausführlichen Argumentation. Auch der Nachweis von Inkonsequenzen und Systemfeindlichkeit g \ in

4) 5) 6) 7) 8)

J.Holtmann, a.a.O., S.21o. Koch/Kodalle, S.53. Ebda, S.51. Ebda, S.27. Zu verweisen ist auf den Abschnitt in der Negativen Dialektik "Stellung zum System"(S.29-31), der mit folgendem Satz schließt: "Die Auswüchse der Systeme seit der Cartesianischen Zirbeldrüse und den Axiomen und Definitionen Spinozas, in die schon der gesamte Rationalismus hineingepumpt ist, den er dann deduktiv herausholt, bekunden durch ihre Unwahrheit, die der Systeme selbst, ihr Irres."

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Adornos Negativer Dialektik ist gerade von Adorno selbst so konstruiert, шп nach seiner Meinung das Nichtidentische von Begriff und der zu verhandelnden Sache auch in der Form und im Verlauf der Darstellung aufzuzeigen. Dem eigentlichen Problem, von Koch/Kodalle so formuliert: "Welcher Gedanke steht zu begreifen an, wenn die geschichtliche Negativität wahrhaft dialektisch zu Ende gedacht werden soll; welchem verdankt sich die Aussicht, es könne 9) bei ihr sein Bewenden haben?" , dürfte demnach, und darauf hat auch Schweppenhäuser in seiner Replik verwiemit der von Koch/Kodalle gewählten Methode und Einstellung im Blick auf Adornos Philosophie nicht beizukommen sein; der Nutzen für die Theologie ist denn auch ebenfalls unmerklich. So zeigt auch die von Koch/Kodalle angedeutete Antwort auf das von ihnen formulierte Problem - "mündete das subjektive Denken aus seiner Immanenz heraus nicht ein in die Erkenntnis dessen, was als reale Transzendenz Versöhnung verbürgt, dekuvriert sich der negative Geist als trügerische Fiktion"^^^ - , daß Adorno in seiner Intention nicht verstanden ist, denn er spricht gerade nicht von einem 'negativen' Geist und versucht, die Unmöglichkeit realer Transzendenz als einer begrifflichen durch die Möglichkeit verschiedener begrifflicher Konstellationen wettzumachen. Doch die Diskussion der bisherigen Adorno-Rezeption in der evangelischen Theologie ist im Verlauf der folgenden Untersuchung ausführlicher zu leisten. Festzuhalten bleibt, daß sie innerhalb der evangelischen Theologie noch kaum begonnen hat. Hinzuweisen ist noch auf die schon eher in Gang gekommene Rezeption der Kritischen Theorie Max Horkheimers es dürfte seinen Grund vornehmlich in der großen Resonanz des von H.Gumnior geführten Interviews^^^ mit Horkheimer und dessen vorsichtige Distanzierung von den Studentenunruhen 1968 haben. 9) Koch/Kodalle, S.93. 10) Ebda, S.76. 11) Ebda, S.93. 12) Vgl. W.Post, Kritische Theorie und metaphysischer Pessimismus, München 1971; E.Thaidigsmann, Falsche Versöhnung, München 19 78. 13) M.Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, hg. von H.Gumnior, Hamburg 197o.

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III. Gegenstand und Material der Untersuchung 1. Im Gegensatz zu der oben erwähnten Untersuchung von Koch/Kodalle wird in dieser Arbeit nicht nur das philosophische Werk Adornos, sondern ebenso seine soziologischen und ästhetischen Schriften in die Darstellung und Diskussion miteinbezogen. Gerade weil Adorno sich nicht auf die traditonelle Grenzziehung der Wissenschaftsgebiete eingelassen hat, sondern eine Sache aus verschiedenen Perspektiven reflektierte bzw. umstellte, um sie in ihrem Gehalt bestimmen zu können, kann nur eine Berücksichtigung aller Werke - gerade auch der Ästhetischen Theorie Adornos konstellativem Denken gerecht werden. Terminus a quo der interpretierten und herangezogenen Schriften ist das jähr 1931, d.h. Adornos Dissertation und seine Untersuchung zum "Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre"^^ werden nicht mehr berücksichtigt. Begonnen wird erst mit Adornos akademischer Antrittsvorlesung "Die Aktualität der Philosophie" vom 7.Mai 1931 . Die schon erwähnte Freundschaft Adornos mit Benjamin hatte in den fahren 1927-1931 zur Folge, daß - wie R. Tiedemann bemerkt - die "Adornosche Philosophie vom transzendentalen Idealismus zum Materialismus (überging); in 2) Wahrheit der Beginn der Adornoschen Philosophie." Diesem Urteil schließe ich mich an, wenngleich Adorno 1) Adorno wurde 1924 mit der Arbeit "Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie" (abgedruckt in GS 1,S.7ff.) bei Hans Cornelius in Frankfurt promoviert. Die ursprünglich als Habilitationsschrift geplante Arbeit "Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre" stellt sich ebenfalls noch ganz auf den Standpunkt des von seinem Lehrer Cornelius vertretenen transzendentalen Idealismus (vgl. GS 1, S.79ff.). Zum Biographischen vgl. M.Jay, Dialektische Phantasie, Die Geschichte der Frankfurter Schule und des Instituts für Sozialforschung 1923-195o, Frankfurt 1976, S.42ff. 2) R.Tiedemann, Editorische Nachbemerkung zu GS 1, S.383.

- 23 nicht im Sinne des orthodoxen Dialektischen Materialismus zu interpretieren ist^'. Auch das philosophiegeschichtlich interessante Problem, wie stark die Einflüsse von 4) Gedanken Husserls und seines Lehrers Cornelius im späteren Werk Adornos noch zu finden sind, wird hier nicht untersucht. Da es in dieser Arbeit primär nicht um eine Kritik der Adornoschen Philosophie geht, sondern um den Versuch, Adornos Denkfiguren so nah wie möglich mit denen theologischer zusammenzubringen, um die einen an den andern zu schärfen, so kann dies gelingen, wenn dies 'im Kleinsten' und modellartig versucht wird. Für die Durchführung und die Darstellung der Untersuchung heißt dies, daß die 3) Obwohl Adorno und Horkheimer sich als Vertreter einer materialistischen Dialektik bezeichneten, sind sie selbst: wie ihre Kritiker sich der Distanz zu grundlegenden Theoremen des Marxschen Denkens (vgl. z.B. das Verhältnis von Theorie und Praxis bei Adorno) bewußt; exemplarisch hat dies M.Clemenz, Theorie als Praxis?, in: Kritik und Interpretation der kritischen Theorie, The Hague 1971(Raubdruck), S.34) dargestellt. Andererseits kann A.Schmidt Adorno "indem er, wahrhaft dialektisch gesonnen, die Objektivität der ökonomischen Kategorien so wenig übersieht wie den Umstand, daß jene Kategorien unter dinglicher Hülle erscheinende (und an Dinge gebundene) Verhältnisse leibhaftiger Menschen ausdrücken" als einen der "wenigen authentischen Interpreten des Marxismus in unserer Zeit" bezeichnen (A.Schmidt, Adorno ein Philosoph des realen Humanismus, a.a.O., S.55). Schmidt beschreibt Adornos Materialismus dann folgendermaßen: "Alles Hämische, auch Zynische ist Adornos Materialismus fremd. Er enthält ein ihn mit Marx und Nietzsche verbindendes Element, das am treffendsten wohl mit der theologischen Kategorie der Demut bezeichnet ist, die freilich nicht mit Feigheit, Duckmäuserei oder Resignation verwechselt werden darf. Den Tod, schreibt Adorno in seinem Aufsatz über Th.Mann, überlistet einzig, wer stets Kompanie mit ihm hält: die 'Versöhnung des Lebendigen' gelingt nur als 'Ergebung'- dadurch, daß die 'Klammer der Identität' gelockert wird, in der eine stur auf Selbsterhaltung pochende Gesellschaft widerscheint" (ebda , S.71). 4) Zum Verhältnis Adornos zu Husserl vgl. die Studie von L.Eley, Zum Begriff des Transzendentalen, in: Zeitschrift für Phil.Forschung, Meisenheim 1959, Bd.13, Heft 2, S.351ff·. ; ebenfalls in: Kritik und Interpretation der Kritischen Theorie, S.87ff.

- 24 philosophische Diskussion von Adornos Negativer Dialektik in der Konstellation mit Kant, Hegel und Marx -einerseits und Husserl und Heidegger andererseits weitgehend unterbleiben kann.^' Dringlicher wäre schon eine Darstellung des Verhältnisses von Adorno zu Kierkegaard.^^ Adornos Arbeit über Kierkegaard - "Konstruktion des Ästhetischen" - entstand in den Jahren 1929/3o und fällt genau in die Zeit des Ubergangs im Denken Adornos vom transzendentalen Idealismus zum Materialismus. Ist schon dieser Zeitpunkt deshalb für das immanente Verständnis von Adornos Philosophie und Leben von Interesse, so aus der theologischen Perspektive mehr noch se;Lne Beschäftigung mit Kierkegaards religiösen Schriften, zumal Kierkegaard in der Theologiegeschichte unseres Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielt. Mag nun auch diese Verbindung von Adorno zu Kierkegaard als Teil einer Legitimation der Beschäftigung mit Adorno seitens der Theologie zu Buche schlagen, so würde eine adäquate Untersuchung dieser Verbindung dennoch den Rahmen und die Zielsetzung dieser Arbeit deshalb sprengen, weil dies eine eingehende Analyse auch von Kierkegaards Theologie und Ästhetik implizierte. 2. Die folgende Untersuchung

beschränkt sich also auf

eine Darstellung der Denkpraxis Adornos und der von ihm selbst darin integrierten 'inversen' Theologie sowie deren Konfrontation mit drei zeitgenössischen systematisch· theologischen Entwürfen. Daß dabei gerade P.Tillich, J.Moltmann und E.Jüngel berücksichtigt werden, hängt nicht zuletzt mit deren je-

5) Vgl. zu dieser philosophischen Diskussion die Arbeit von L.Düver, Th.W.Adorno, Der Wissenschaftsbegriff der Kritischen Theorie in seinem Werk, Bonn 1978. 6) Vgl. dazu H.Deuser, Sören Kierkegaard, Die paradoxe Dialektik des politischen Christen, München 1974; sowie den Band "Materialien zur Philosophie S.Kierkegaards, hg. und eingeleitet von M.Theunissen und W.Greve, Frankfurt 1979.

- 25 weiliger Betonung von anthroplogischen, geschichtsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Momenten zusanimen. Die Auswahl versucht im Blick auf diese drei auch bei Adorno hervorgehobenen Problemfelder insofern exemplarisch und repräsentativ zu sein, als P.Tillichs theologische Anthropologie^' sich dadurch auszeichnet, daß sie den Menschen in allen kulturellen Beziehungen sowie in seiner existentiellen Betroffenheit und Fraglichkeit ernst zu neh-8) men gewillt ist. J.Moltmanns "Theologie der Hoffnung" ist der zweifellos bekannteste neuere Entwurf einer christlichen Eschatologie und drängt sich von daher als geschichtsphilosophischer Gesprächspartner auf. E.Jüngels Untersuchung "Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus" - so der9 )Untertitel seines Buches "Gott als Geheimnis der Welt" - stellt die derzeit wohl dezidierteste Stellungnahme und erkenntnistheoretische Diskussion zu und mit dem Problem von Glaube und Vernunft in der evangelischen Theologie dar und ist von daher doch wohl der ideale Kontrahent für Adornos Denkpraxis. Mit dieser so getroffenen Auswahl kommen auch drei verschiedene systematisch-theologische Positionen zum Zuge, so daß eine ausreichende Reichweite theologischen Denkens vertreten ist. Es dürften somit sowohl allgemein anerkannte und repräsentative als auch im Blick auf die einzelnen Problemfelder kompetente systematische Theologen ausgewählt sein, um in den Modellanalysen die spezifisch angesprochenen theologischen Denkfiguren zusammen mit den thematisch entsprechenden Konstellationen der Adornoschen Denkpraxis konfrontieren und analysieren zu können.

7) P.Tillich, Systematische Theologie Bd.II, Stuttgart 1958, bes. S.25-1.o4. 8) J.Moltmann, Theologie der Hoffnung, Untersuchungen "zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, München 19 65. 9) E.Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977.

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IV.

26

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Zur Methode und zum Aufbau der Arbeit

1. Daß Adornos philosophisches Werk bisher kaum innerhalb der systematischen Theologie diskutiert wird, dürfte nicht nur am Vorurteil gegenüber dem 'Religionskritiker' Adorno liegen, sondern vor allem an der Schwierigkeit des Zugangs zu seinen Überlegungen und an der ihnen eigenen Sprachgestalt. Und tatsächlich mag sich der Interpret und Kritiker Adornos bisweilen wie der düpierte Hase im bekannten Märchen vom Wettlauf fühlen: glaubt er beispielsweise endlich ein 'System^ ein 'Positives' oder eine Unstimmigkeit, eine Nachlässigkeit beim Studium der Gedanken Adornos gefunden zu haben, so taucht einige Sätze oder Kapitel weiter der allgegenwärtige Igel in dialektischer Manier auf mit seinem Ruf: Ick bün all door! Ja, im Vergleich mit jenem Hasen scheint die Lage des Adorno-Rezipienten sogar noch hoffnungsloser, denn dem Hasen werden wenigstens im Märchen von seinem Kontrahenten keine Hindernisse in den Weg gerollt; Adorno aber postuliert offen: "Was ich schreibe, opponiert geradezu der Resümierbarkeit."^' Doch dieser Satz ist nicht als Verbot zu verstehen, eher dahingehend, nicht solche Prämissen und logische Konsequenzen entdecken zu wollen, denen sich Adorno von vornherein versagt. Hat man vom Lauf durch die Gedankenfiguren Adornos wieder Atem geholt und sich damit getröstet, daß eine "voll adä2) quate Interpretation schimärisch ist" , so bleibt wenig anderes übrig, als Adornos Gedankengänge zu beschreiben und ausführlich zu zitieren; man könnte geradezu als geheime Intention fast aller Sätze Adornos - aufgrund seines aphoristischen Stils - ihren Hang, zitiert zu werden, angeben. Diesem Hang folgt denn auch die Darstellung. Die der Intention Adornos am ehesten entsprechende Methode wäre sogar die, ein Gehege von Zitaten zu bestimmten 1) Adorno, GS 8, S.574. 2) Adorno, ÄTH, S.415.

- 27 Fragestellungen zu konstruieren, analog der Idee, die Benjamin^^ für seinen "Passagenentwurf: Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts" vorhatte. Doch solange "Ver4) stehen eins ist mit Kritik" wird das Urteil von wahr und falsch verlangt und muß also neben der Montage von Zitaten die kritische Distanz zum Objekt des Verstehens treten. Solche Distanz wird hergestellt durch die Intention kritischer Stellungnahmen zu Adornos Philosophie sowie durch die Wiederholung bestimmter Denkfiguren in jeweils anderen Perspektiven und Kontexten, d.h., was der Argumentation und dem Versuch einer teilweise systematischen Darstellung des Denkens Adornos nicht gelingt, vermag der Perspektivenwechsel auf dieselbe Denkfigur zu erreichen: Adorno durch sich selbst zu kritisieren. Was er selbst als immanente Kritik^^ dargelegt und vollzogen hat, ist auch gegen ihn selbst zu wenden. 2. Adornos eigene Methode der Begriffskonstellation und -konfiguration um das zu untersuchende Problem bringt zwangsläufig in ihrer Darstellung eine Wiederholung von gleichen Denkfiguren und Argumentationsketten in jeweils anderen Zusammenhängen mit sich. Die Deutung und das Verstehen einer Sache verlangt nach Adorno die Sicht aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Kontexten; und ebenso gilt: die Kraft eines Gedankens kommt nur in seinem wiederholten Einsatz in verschiedenen Konstellationen zum Vorschein. Dieser Zwang, bestimmte Denkmuster

3) Vgl. dazu Adorno, Charakteristik W.Benjamins, in: ÜWB, S.26: "Benjamins Absicht war es, auf alle offenbare Auslegung zu verzichten und die Bedeutungen einzig durch schockhafte Montage des Materials hervortreten zu lassen(...). Zur Krönung seines Antisubjektivismus sollte das Hauptwerk nur aus Zitaten bestehen." 4) Adorno, ÄTH, S.391. 5) Vgl. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft, in: P, S.27: "Immanente Kritik geistiger Gebilde heißt, in der Analyse ihrer Gestalt und ihres Sinnes den Widerspruch zwischen ihrer objektiven Idee und jener Prätention zu begreifen, und zu benennen, was die Konsistenz und Inkonsistenz der Gebilde an sich von der Verfassung des Daseins ausdrückt."

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mehrmals ansprechen und erläutern zu müssen, liegt nicht zuletzt in dem antisystematischen Moment der Philosophie Adornos selbst, d.h. Adorno diskutiert einen Sachverhalt nicht zu Ende, sondern setzt immer wieder neu und in andern Zusammenhängen ein, läßt ganz bewußt Lücken. Am auffälligsten für den Leser der Arbeit wird es deshalb sein, daß Odysseus als Modell für die naturgeschichtliche bzw. anthropologische Struktur in drei verschiedenen Abschnitten erläutert wird. Damit soll freilich sowohl auf die Bedeutung dieses Modells in der Philosophie Adornos als auch auf den 'roten Faden' in dieser Arbeit selbst aufmerksam gemacht werden. Die Methode der Konstellation bringt weiterhin mit sich, daß nicht nur eindimensional jeweils ein Bereich, d.h. entweder das anthropologische oder das erkenntnistheoretische Moment eines Gedankens angesprochen und diskutiert wird, sondern bei Adorno laufend Überschneidungen stattfinden, was sich denn auch in der Darstellung und in den Modellanalysen wiederholt. 3. In den ersten beiden Teilen der Arbeit wird somit versucht, die wichtigsten Konstellationen und Argumentationsfiguren Adornos, deren 'Sitz im Leben' zweifellos die Erfahrung: 'Auschwitz'ausmacht und prägt, nachzuzeichnen. Die Konstellationen seiner 'inversen' Theologie wollen dann im Medium der Begriffe Natur, Geschichte, Mythos, Kunst und Versöhnung - ohne sie im einzelnen definieren zu können - die bei Adorno zugrundeliegende affirmative religiöse Einstellung zur Sprache bringen. Daß dabei die ästhetische Dimension zum Proprium wird, kann angesichts der Biographie und musikalischen Interessen Adornos nicht verwundern. Hinsichtlich der in Teil C) vollzogenen Konfrontation von Adornoschem Denken mit den ausgewählten systematisch-theologischen Entwürfen ist kein theologisch inhaltlicher Vergleich intendiert, sondern es wird versucht, aus der Perspektive Adornos primär methodische Anfragen an den jeweiligen theologischen Argumentationsgang zu richten. Und dies in der Weise, daß dabei deren Aporien , Bruch-

- 29 stellen und Subreptionen deutlich werden. Daß dabei nicht der Anspruch erhoben wird, umfassend die jeweilige theologische Intention diskutiert zu haben, sondern nur bestimmte Topoi und Begründungszusammenhänge davon, soll ausdrücklich betont werden. Die Modellanalysen wollen Einzelnes kritisch erhellen,ohne sofort allgemeine Geltung zu beanspruchen. Zum andern werden die Modellanalysen nicht nur in kritischer Absicht gegenüber den theologischen Systemen durchgeführt, sondern auch deshalb, um das Denken Adornos nochmals in seiner Intention, seiner analytischen Stärke und vor allem auch in seiner Begrenztheit gegenüber christlich theologischem Denken herauszustellen. Letztlich wollen die Modellanalysen ein Beirag zu dem Problem sein, wie weit einerseits der Immanenz Zusammenhang Spuren der Erfahrung von Tr.anszendenz zuläßt und deren begriffliche Fixierung erlaubt und wie weit andererseits der christliche Glaube präzis und selbstkritisch von dem als Wirklichkeit reden kann, was Negative Dialektik sich zu sagen weigert. Im letzten Teil D) wird der Versuch unternommen, die methodische Affinität von Adornos Denkpraxis zu der theologischer vom Modellartigen zum Systematischen auszuweiten. Das heißt, es soll kurz die Möglichkeit konstellativer Denkpraxis, die sich ihrer naturgeschichtlichen Momente selbstkritisch bewußt ist, für die systematisch-theologische Arbeit diskutiert werden. Daß ein solcher Versuch mehr als nur die Form bestimmter theologischer Denkfiguren riskiert und deshalb eventuell den Wahrheitsgehalt beider Seiten - der Theologie wie der Negativen Dialektik - verfehlt, kann nur in weiterer Kritik beurteilt werden. Der Angst vor der Gefahr des Scheiterns wäre entgegenzusetzen "in Variation eines berühmten Satzes von Spinoza, daß das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, bereits Index des Richtigen, Besseren ist."^'

6) Adorno, К, S. 1 9 .

- Зо А)

ZUR DENKPRAXIS "NEGATIVER DIALEKTIK'

"Das Pferd des Angreifers zum eigenen Ritt benützen. Einzige Möglichkeit. Aber was für Kräfte und Geschicklichkeiten verlangt das!"^^ Diese Sätze aus Kafkas Tagebüchern könnten als Motto über jedem Versuch stehen, die Denkpraxis der Philosophie Adornos darzustellen. Dieses Bild verweist nicht nur anschaulich auf die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens, sondern ebenso auf die zu wählende Methode der Darstellung. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der schon angedeuteten antisystematischen Intention Adornos, "anstelle des Einheitsprinzips und der Allherrschaft des übergeordneten Begriffs die Idee dessen zu rücken, was außerhalb des Banns solcher Einheit"^^ liegt. Diese Idee in ihren Konstellationen und Verästelungen zu verfolgen, ist wohl tatsächlich nur auf dem 'Rücken des Pferdes' zu leisten, d.h. angeschmiegt an die Methode und die Gedankengänge Adornos selbst, diese dann aber doch in die Ordnung systematischer Darstellung drängend. Der'Tücke des zu behandelnden Objekts' soll so durch eine Art methodischer List entgangen werden, nämlich durch die Kombination immanenter wie systematischer Darstellung der Denkpraxis Adornos. Damit wird zugleich versucht, Adornos Warnung^^ gegenüber jedem Plan, philosophisches Denken von Rang zu resümieren, so weit zu folgen, daß dem Gedanken von der Wahrheit als Prozeß und Resultat stattgegeben wird, ohne jedoch diesem als einem auratischen Block zu huldigen. 1) F.Kafka, Tagebücher 191o-1923, hg. von M.Brod, Frankfurt 1973, S.359. 2) Adorno, ND, S.8; vgl. ebda: "Die Negative Dialektik könnte auch Antisystem heißen...". 3) Vgl. Adorno, St, S.16: "Wahrheit ist werdende Konstellation, kein automatisch Durchlaufendes, in dem das Subjekt zwar erleichert, aber entbehrlich wäre. Daß kein philosophisches Denken von Rang sich resümieren läßt; daß es den üblichen wissenschaftlichen Unterschied von Prozeß und Resultat nicht akzeptiert Hegel hat, wie man weiß, die Wahrheit als Prozeß und Resultat in eins sich vorgestellt -, das übersetzt jene Erfahrung ins Handgreifliche."

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31 -

Mit dem Begriff der 'Denkpraxis' soll schon im Titel darauf hingewiesen werden, daß Adornos Philosophie nicht 4) der These vom Primat der praktischen Vernunft folgt, sondern im Widerspruch gegen jeglichen Identitätsanspruch von Theorie und Praxis, in unruhig kritischer Haltung doch ein Stück Praxis intendiert und "sei diese sich selbst auch noch so sehr verborgen."^' Dieses Verborgene der Denkpraxis ist Ausdruck einer Hoffnung, die in der kritischen Analyse der Fragmente eines verstörten Weltlaufes die "Versprechungen jenes Anderen"®^ aufleuchten sieht. Letztlich zielt der Begriff der Denkpraxis jedoch auf das Proprium der Adornoschen Philosophie, das nicht im Inhaltlichen, sondern im Methodischen liegt: es meint eine Verhaltensweise. In den folgenden Abschnitten wird nun versucht, die wichtigsten Momente und Konstellationen der Philosophie Adornos im Blick auf 'jenes Andere', das im Zusanmenhang dieser Arbeit interessiert, aufzuzeigen. Die Reihenfolge der Abschnitte ist dabei so gewählt, daß das Ineinander von Form und Inhalt der Philosophie Adornos deutlich wird, wobei dennoch die besondere Akzentsetzung auf die Form bzw. die Methode des dialektischen Gedankens zim Vorschein kommen soll. Die Denkformen Adornos wollen weiter als das, was bloß gesagt; deshalb darf der Hinweis auf die Affinität von Musik und Philosophie bei Adorno zum Schluß nicht fehlen. 4) Vgl. dazu den Aufsatz Adornos 'Marginalien zu Theorie und Praxis'in: St, S.169ff. und besonders folgende Sätze: "Herzustellen wäre ein Bewußtsein von Theorie und Praxis, das beide weder so trennt, daß Theorie ohnmächtig würde und Praxis willkürlich; noch Theorie durch den von Kant und Fichte proklamierten urbürgerlichen Primat der praktischen Vernunft bricht. Denken ist ein Tun, Theorie eine Gestalt von Praxis; allein die Ideologie der Reinheit des Denkens täuscht darüber" (St, S.171) . 5) Adorno, ND, S.241. 6) Ebda, S.394.

- 32 I.

Sprache - Form - Stil

1. Adorno denkt nicht streng konsequenz-logisch, in streng determinierten Bahnen analytischer

nicht

Strategie'^,

sondern Glück und Spiel des Gedankens sind ihm wesentlich. Er fängt nicht mit begriffsgeschichtlichen

Ableitungen

an, sondern mit dem, worüber er reden und

reflektieren

will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber sich am Ende fühlt. Seine Begriffe sind also weder von einem Ersten her konstruiert noch runden sie sich zu einem Letzten. Seine Interpretationen auf und

philosophischem

literarischem

Gebiet sind nicht immer philologisch

exakt und im Urteil ausgewogen,

sondern neigen oft sogar

bewußt zur überinterpretation. Adorno geht es dabei nicht primär darum, was die Autoren jeweils gedacht oder gar gefühlt haben, sondern mit der Kraft der

Spontaneität

subjektiver Phantasie will er den objektiven Gehalt einer Sache oder eines Werkes

darstellen.

Als Kriterien solcher Methode des Denkens gibt Adorno die Vereinbarkeit der Interpretation mit dem jeweiligen Text und mit seinen eigenen subjektiven Erfahrungen an; er will so die Elemente des Gegenstands 'mitsammen', d.h. in ihren

1) Diese Art zu denken, hat Adorno seitens der etablierten Wissenschaften heftige Kritik eingebracht. So wirft ihm Chr.Beier vor, seine "erkenntnistheoretischen Kategorien (enthielten) eine eigentümliche Doppelbödigkeit und Vagheit"(Chr.Beier, Zum Verhältnis von Gesellschaftstheorie und Erkenntnistheorie, Frankfurt 1977, S.51); und H.Albert sieht in solchem Denkstil die "fatale Erbschaft des Hegeischen Denkens" am Werk. "Möglicherweise wird manchen Vertretern dieses Denkens die fahrlässige Polemik gegen Logik, Widerspruchsfreiheit, deduktives und systematisches Denken, die in letzter Zeit in weiten Bereichen Schule gemacht hat, allmählich eher peinlich sein"(H.Albert, Kleines, verwundertes Nachwort zu einer großen Einleitung, in: Th.W.Adorno u.a., Der Positivismusstreit ..., Neuwied/ Beriin1972 , S.339); ein Verweis auf die Irrationalität solchen Denkens findet sich bei G.Rohrmoser, Das Elend der kritischen Theorie, Freiburg 197o, S.36,42f; A. Künzli, Aufklärung und Dialektik, Freiburgl971, S.145. Adorno hat .solche Vorwürfe schon vorweg dahingehend beantwortet: "Die Kontamination von Dialektik und Irrationalismus stellt sich blind dagegen, daß Kritik an der Logik der Widerspruchslosigkeit diese nicht außer Kurs setzt sondern reflektiert"(GS 8, S.352).

- 33 2) Konstellationen und ihren Konfigurationen zum Sprechen bringen. "Die Bestimmtheit von Philosophie als einer Konfiguration von Momenten ist qualitativ verschieden von der Eindeutigkeit eines jeglichen auch in der Konfiguration, weil die Konfiguration selber mehr und ein anderes ist als der Inbegriff ihrer Momente. Konstellation ist nicht System. Nicht schlichtet sich, nicht geht alles auf in ihr, aber eines wirft Licht aufs andere, und die Figuren, welche die einzelnen Momente mitsammen bilden, sind bestimmtes Zeichen und lesbare Schrift."^' Adorno will mit solcher Form des Denkens und seiner Darstellung gegen den positivistischen Brauch der sogenannten objektiven Darstellung in Protokollsätzen angehen. Dabei ist er sich jedoch durchaus bewußt, daß die Trennung von analytischer Wissenschaft einerseits und Kunst andererseits irreversi4) bei ist und auch nicht im Sinne der Heideggerschen Philosophie bzw. Sprache wieder herzustellen ist. 2) Schon in dem programmatischen Aufsatz aus dem Jahre 1931 "Die Aktualität der Philosophie" heißt es: "Philosophie hat ihre Elemente, die sie von den Wissenschaften empfängt, so lange in wechselnden Konstellationen, oder, um es mit einem minder astrologischen und wissenschaftlich aktuelleren Ausdruck zu sagen: in wechselnde Versuchsanordnungen zu bringen, bis sie zur Figur geraten, die als Anwort lesbar wird, während die Frage verschwindet"(GS 1, S.335). 3) Adorno, H, S.125f. Vgl. dazu auch den Abschnitt "Konstellationen" in der Neg. Dialektik, S.162ff. L.Düver dürfte in seiner Untersuchung (a.a.O.) diesem für Adorno äußerst wichtigen methodischen Verfahren zu wenig Bedeutung beigemessen haben, da er darin lediglich ein "Experimentieren"(a.a.O., S.lol) dieses Denkens sieht. 4) Heideggers Philosophie und Darstellungsart ist für Adorno der philosophische Gegner schlechthin, was nicht zuletzt auch mit Heideggers politischem Verhalten zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft zusammenhängen dürfte. Es wäre die Themenstellung einer eigenen Arbeit wert, das Verhältnis beider Philosophen genauer zu untersuchen, zumal Adorno der heideggerschen Philosophie zwei Kapitel in seiner Neg. Dialektik 'widmet' (Das ontologische Bedürfnis u. Sein und Existenz). Heideggers Sprache und Darstellungsform und mit ihm seine Philosophie ist für Adorno letztlich Kunstgewerbe, das vorgibt. Denken könne sich so der Sprache anschmiegen, daß das Eigentliche zur Sprache käme. Eine Sprache

- 34 Die Trennung von Kunst und Wissenschaft zu berücksichtigen, heißt für Adorno jedoch nicht, diese Trennung zu hypostasieren, denn der Geist der Wahrheit ist nicht wiederum der von reiner Wissenschaft oder begrifflos anschaulicher Kunst. Objektivität und Wahrheit wird nach Adorno eben nicht durch einseitige immanente Stringenz.des Denkens erreicht, sondern durch die in "Hoffnung und Desillusion zusammengehaltene einzelmenschliche Erfahrung. Sie verleiht ihren Beobachtungen erinnernd durch Bestätigung oder Widerlegung Relief."^' Erfahrung heißt in diesem Zusammenhang für Adorno immer die Erfahrung der Nichtidentität von Begriff und Sache. Weil die lückenlose Ordnung der Begriffe nicht eins ist mit der des Seienden, kann prinzipiell Adornos Gedankengang nicht in einem geschlossenen System aufgehen. Radikal in der Enthaltung aller Reduktion auf ein Prinzip und radikal im Akzentuieren des Partiellen und Individuellen gegenüber einer Totalität, hält sich Adorno nicht an die

solcher philosophischen Intention ist für Adorno der organisierte 'Jargon der Eigentlichkeit': "alltägliche Sprache hier und jetzt gesprochen, als wäre sie die heilige"(J, S.14). Wie emphatisch - und wohl auch boshaft - Adorno Heideggers Philosophie und Sprachform kritisiert, sei durch folgendes Zitat aus einer Vorlesung Adornos belegt. "Die Sprache einer solchen Prosa geht unmittelbar über in die von L.Ganghofer und M. Jungnickel, von denen aus nach meiner Auffassung überhaupt die Heideggersche Philosophie eher zu interpretieren wäre als von Braque oder gar von Parmenides her. Ich möchte aber, um auch nicht ungerecht zu werden, noch einmal wiederholen, daß in dem Protest gegen die technische Zivilisation, der in solchen Dingen sich ausspricht, natürlich immer auch ein Moment der Wahrheit ist, und ich wäre der letzte, die Sehnsucht, die noch in diesem philosophischem Kitsch sich niederschlägt zu schmähen"(PhT, Bd.I, S.158). 5) Adorno, NL I, S.19f.

- 35 -

gängigen Spielregeln organisierter Wissenschaft und Theorie westlicher Tradition. Das heißt wiederum nicht, daß Adorno eigenwillig oder gar willkürlich Vermittlungen von Begriff und Sache herstellen will, die jenseits ihrer Geschichte liegen, sondern er versucht,den möglichen Wahrheitsgehalt selbst als geschichtlichen darzustellen. Geschichte und Wahrheit sind für Adorno nicht Begriffe verschiedener Ebenen, sondern Wahrheit hat immer einen Zeitkern, ein Moment von individueller Erfahrung bei sich^^ , die ihrerseits wieder geschichtlich vermittelt ist. Ist damit dem Bruchstück, dem Partiellen ein Vorrang eingeräumt, so intendiert Adorno gleichwohl das Ganze, freilich ohne es zu nennen und huldigt damit jener Utopie, "welche in der Gliederung der Welt nach Ewigem und Vergänglichem abgewehrt ist."^^ In diesem Denken ist das utopische Moment umso stärker, je weniger es zur Utopie vergegenständlicht wird und dadurch deren Verwirklichung untergrübe. Es ist offenes Denken, dasüber sich hinausweist. "Ein solcher emphatischer Begriff von Denken allerdings ist nicht gedeckt, weder von bestehenden Verhältnissen noch von zu erreichenden Zwecken noch von irgendwelchen Bataillonen. Was einmal gedacht ward, kann unterdrückt, vergessen werden, verwehen. Aber es 8) läßt sich nicht ausreden, daß etwas davon überlebt." 2. Wie Adorno die traditionelle Suche nach einem Ersten und Letzten verweigert, so läßt er sich auch nicht auf eine klare Definition seiner verwendeten Begriffe vorab ein. "Denn es ist bloßer Aberglaube der aufbereitenden Wissenschaft, die Begriffe wären an sich unbestimmt, würden erst

6) Vgl. Adorno, St, S.16: "Gedanken, die wahr sind, müssen sich aus der Erfahrung der Sache erneuern, die gleichwohl in ihnen sich erst bestimmt." 7) Adorno, NL I, S.25. 8) Adorno, K, S.150.

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durch ihre Definition bestimmt. Der Vorstellung des Begriffs als einer tabula rasa bedarf die Wissenschaft, um ihren Herrschaftsanspruch zu festigen;, als den der Macht, welche einzig den Tisch besetzt. In Wahrheit sind alle Begriffe implizit schon konkretisiert durch die Sprache, 9) in der sie stehen." Dieses Zitat macht auf den durchgängigen Vorrang der Sprache, verstanden als ein bestimmtes Gefüge von Sätzen, bei Adorno aufmerksam, zugleich aber nährt es den Vorwurf, Adorno nehme es mit seiner Begrifflichkeit nicht so genau bzw. es sei nicht klar, was sie genau definiert. Diesem Vorwurf ist zunächst ausführlich nachzugehen. Adorno glaubt zu durchschauen, daß das Verlangen nach klaren Begriffsdefinitionen der unbewußten Angst entspringt, das, was die Begriffe an Irritierendem und für ein Systemdenken Sprengendem enthalten, außerhalb der Reflexion zu halten. Genau dies jedoch gilt es seiner Meinung nach zu berücksichtigen durch die Art der Darstellung. So soll das Wie des Ausdrucks und der Darstellung an Präzision das retten, was der Verzicht aufs genaue Definieren opfert, ohne jedoch die gemeinte Sache an willkürliche Phantasie zu verraten. Dies verlangt freilich, auf die ständige Wechselwirkung der Begriffe im Prozeß geistiger Erfahrung

9) Adorno, NL I, S.27. Io) Vgl. dazu was Adorno in bezug auf Descartes 'Discours de la methode' ausgeführt hat:" Vom Klarheitsideal wird, rationalistisch in historischem Sinn, der Erkenntnis etwas zugemutet, was a priori ihren Gegenstand zurechtstutzt, wie wenn er der statisch-mathematische sein müßte. Nur wofern vorausgesetzt wird, jener Gegenstand sei selbst so geartet, daßer vonSubjekt sich fixieren läßt wie geometrische Figuren im Blick, gilt die Norm der Klarheit schlechthin. Mit ihrer generellen Behauptung ist über den Gegenstand vorentschieden, nach dem ERkenntnis doch, im einfachsten Verstände der scholastischen und Cartesianischen adaequatio, sich zu richten hätte. Klarheit kann aller Erkenntnis abverlangt werden nur, wofern ausgemacht ist, daß die Sachen rein sind von jeder Dynamik, die sie dem eindeutig festhaltenden Blick entzöge"(H, S.115f.).

- 37 zu achten. Die Begriffe bilden also nicht Fixpunkte in der fortlaufenden Darstellung; der Gedankengang läuft nicht streng deduzierend oder induzierend fort, sondern die Momente von Sache und subjektiver Erfahrung verflechten sich teppichhaft. Was so Adorno von der Form des Essays sagt, ist Methode seiner Denkpraxis insgesamt. "Er möchte mit Begriffen aufsprengen, was in Begriffe nicht eingeht oder was durch die Widersprüche, in welche diese sich verwickeln, verrät, das Netz ihrer Objektivität sei bloß subjektive Veranstaltung. Er möchte das Opake polarisieren, die darin latenten Kräfte entbinden. Er bemüht sich um die Konkretion des in Raum und Zeit bestimmten Gehalts; konstruiert das Zusammengewachsensein der Begriffe derart, wie sie als im Gegenstand selbst zusammengewachsen vorgestellt werden. Von der Dichte dieser Verflechtungen - und dies ist mit dem Begriff der Konstellation anvisiert -hängt, so glaubt Adorno, die Fruchtbarkeit des Denkens, d.h. die Wirkung und Geltung des Gedachten ab. Doch die Metapher des 'teppichhaften Denkens' ermöglicht noch eine weitere Beschreibung der Adornoschen Denkpraxis. Mit dem Begriff der Verflechtung, der Konstellation zeigt Adorno an, daß er nicht ü b e r eine Sache reflektieren will, sondern aus der Sache her, indem er sich selbst zum Schauplatz dieser macht und seine laufenden Erfahrungen mit dieser in immer neuen Begriffskonstellationen zur Sprache bringt. Die so entstehenden Variationen zum Thema sind keine 'adiaphora', sondern immer gleich weit zur Wahrheit der Sache. Das Wiederholen des gleichen Begriffs ist nicht 'das Gleiche', sondern der Versuch, ihm eine neue Färbung zu geben, entsprechend seinen verschieden erfahrenen Nuancen. Adorno bezeichnet diese Methode, in Anlehnung an seine musikalische Tätigkeit, als "komponieren" ^oAer " kcmbiriieren"

11) Adorno, NL I, S.48. 12) Adorno, ND, S.165.

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"Erkenntnis des Gegenstands in seiner Konstellation ist die des Prozesses, den er in sich aufspeichert. Als Konstellation lomkreist der theoretische Gedanke den Begriff, den er,öffnen möchte, hoffend, daß er aufspringe etwa wie die Schlösser wohlverwahrter Kassenschränke: nicht nur durch einen Einzelschlüssel oder eine Einzelnummer, sondern eine Nummernkombination.^^ Adorno hat diese Methode der Erkenntnisfindung durch Konstellationen gewählt, weil er vom Ineinander und deshalb notwendigen Miteinander von Erkenntnistheorie, Gesellschaftstheorie und Geschichtsphilosophie ausgeht. Begriff und Realität stehen unter dem Bann, d.h. sie gehören immer schon der antagonistischen Gesellschaft und ihrer Geschichte an. Die geschichtlich gewordene Differenz von Begriff und Sache spiegelt den der Gesellschaft und Geschichte wider, ist diesem nicht entnommen, weil Sprache und damit eben die Begrifflichkeit immer schon Resultat gesell14) schaftlichen Prozesses sind. Der Begriff ist immer schon mit dem Unwahren verbunden, ist nicht durch analytische Arbeit davon zu trennen und kann deshalb kein "positives Telos, in dem Erkenntnis sich stillte"^^^ bilden . 3. Wie kommt nun in einem solch essayistisch schillerndem Verfahren Wahrheit und die von Adorno intendierte Erkenntnis zur Sprache? Wie vergewissert Adorno seinen Leser, wo er doch Standpunkte, Festes und Erstes prinzipiell unterhöhlen will? Adornos Anstrengung, Begriff und Sache zusammen zu umkreisen, Wortgeflechte zu bilden, ist getragen von dem Impuls oder besser von dem Bedürfnis und dem Wunsch nach Wahrheit

13) Adorno, ND, S.163f. 14) Vgl. Adorno, ebda, S,56: "Was die Gesellschaft antagonistisch zerreißt, das herrschaftliche Prinzip, ist dasselbe, das, vergeistigt, die Differenz zwischen dem Begriff und dem ihm Unterworfenen zeitigt." 15) Ebda, S.55.

- 39 und deren Erkenntnis. Doch ebenso groß ist sein Mißtrauen gegenüber dem Willen, Wahrheit in Sätzen festzuschreiben, so als könnte man Wahrheit freilegen, als wäre sie erinnernd zu haben, als kennten wir sie schon. Andererseits ist Wahrheit auch nicht im Unmittelbaren, jenseits des Vermittelten aufzusuchen, sondern in diesem selbst, der Darstellung des Vermittelten. In den Verflechtungen, in der Bewegung der Begriffskonstellationen, im spielenden Versuch, das "Mehr"^^'zu entdecken, ein Licht aufscheinen zu lassen, liegt die Wahrheit, die nach Adorno zu suchen ist. Dabei ist freilich das Licht dieser Wahrheit für Adorno nur Schein, weil sie an die Sprache und die geschichtlich-subjektive Erfahrung gebunden Die Sprache bzw. ihre Syntax bekommt somit nur wahrheitsweisende Bedeutung, sie erhält gleichermaßen eine religiöse Qualität und trägt dazu bei, zu entscheiden, "ob sie als solche, zweideutig von Urzeiten her, dem Betrieb verfällt und der geweihten Lüge, die zu diesem gehört, oder ob sie zum heiligen Text sich bereitet, indem sie sich spröde macht gegen das sakrale Element, aus dem sie lebt. Die asketische Abdichtung der Prosa gegen den Vers gilt der Be18)

schwörung des Gesangs." Was aufgrund solcher Aussagen und ihrer Form Adorno häufig

16) Vgl. Adorno, ND, S.llo: "Kein Begriff wäre zu denken, keiner nur möglich ohne das Mehr, welches Sprache zur Sprache macht." 17) Vgl. ebda,S.113: "Philosophie besteht weder in vérités de raison noch in vérités de fait. Nichts, was sie sagt, beugt sich handfesten Kriterien eines Fall Seins; ihre Sätze über Begriffliches so wenig denen des logischen Sachverhaltes wie die über Faktisches denen empirischer Forschung. Zerbrechlich ist sie auch wegen ihrer Distanz. Sie läßt nicht sich festnageln. Soweit ist ihre Geschichte eine permanente Mißlingens, wie sie dem Handfesten immer wieder, terrorisiert von der Wissenschaft nachgehängt hat." 18) Adorno, MM, S.297.

- 4o 1 9) als ästhetische Manier, als "Glasperlenspielerei" vorgeworfen wird, ist Adornos bewußter Versuch, die Sprachform als Ausdruck und Gehalt des intendierten Inhalts 2U benennen, die Form also nicht nur zum 'äußeren' des Eigentlichen zu machen. In seinen "Thesen über die Sprache des Philosophen" aus den frühen dreißiger Jahren heißt es dazu: "Philosophische Sprache, die Wahrheit intendiert, kennt keine Signa. Durch Sprache gewinnt Geschichte Anteil an Wahrheit, und die Worte sind nie bloß Zeichen des unter ihnen Gedachten, sondern in die Worte bricht Geschichte ein, bildet deren Wahrheitscharaktere, der Anteil von Geschichte am Wort bestimmt die Wahl jeden Wortes schlechthin, weil Geschichte und Wahrheit im Worte zusammentreten. Wahrheit vermittelt sich also nach Adorno nicht durch ein lückenloses Begriffsgerüst, sondern das Geflecht treffen21 ) der Worte und die sich dabei einstellenden Assoziationen wollen das 'Mehr', die philosophisch utopische Intention aller sprachlichen Anstrengungen, freilegen. Die Konstellation von adäquaten Worten um die Sache schafft nach Adorno somit ein Kraftfeld, das dem Leser das Licht der Transzendenz aufscheinen lassen kann. Der Leser erhält so die Möglichkeit, sich in den Prozeß der Konstellationen miteinbeziehen zu lassen und die Macht der Wahrheit, wenn auch nur als Schein, zu erfahren. Die Offenheit und Vagheit dieser Methode der Erkenntnissuche und —kritik ist zugleich die der Sache selbst. 19) Als solche qualifiziert E.K.Scheuch Adornos Kulturund Gesellschaftskritik insgesamt ab(E.K.Scheuch, Das Geselllschaftsbild der Neuen Linken, in: Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, Köln 1968, S.123) Vgl.in diesem Sinne auch A.Künzli, a.a.O., S.151, wo Adorno als ein "in die politische Philosophie versprengter Schöngeist" bezeichnet wird. 20) Adorno, GS 1, S.366f. 21) Ein solches Geflecht treffender Worte hat Lücken und ist jederzeit an einzelnen Stellen korrigierbar; damit ist nicht ein mystisches Wortverständnis angesprochen. "Nichtig ist der unmittelbare Ausdruck des Unausdrückbaren; wo sein Ausdruck trug, wie in großer Musik, war sein Siegel das Entgleitende und Vergängliche, und er haftet am Verlauf, nicht am hindeutenden. Das ist es"(ND, S.114).

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nicht die von Gefühl und Stimmung, wenngleich auch diese nicht prinzipiell ausgeschlossen sind. Wahrhaftige Erkenntnis läßt deshalb mit einer Sache nie fertig sein, weil nie das Ganze umstellt werden und zur Sprache kommen kann, sondern nur das Detail und dieses seinerseits wiederum die Wahrheit nur als Fragment bestimmt. Jedoch und dies muß sofort in diesem Zusammenhang betont werden Adorno will die Wahrheit nicht zum Einzelurteil degradieren. Der Verzicht aufs Ganze ist das Vertrauen darauf, daß sich das Andere, das 'Mehr' des Deiails einmal dann erfahren lasse und nicht erzwungenermaßen. Nicht ein logisches System, nicht eine deduktive oder induktive Methode garantiert also Erkenntnis. Adornos gleichsam 'antisystematischer ' Impuls ', in dem er sich mit Nietzsche^ilnig weiß,ist eben der Versuch, die Trennung von Kunst und Wissenschaft nicht mit neu erfundenen Worten aufzuheben, sondern durch bewußt hergestellte Wortgeflechte die intendierte "begriffslose S y n t h e s i s a n zudeuten. Nicht poetische Kunstwerke gilt es zu produzieren, sondern mit dem eigenen und dem der Sache angemessenen Stil das Nichtidentische von Wort und Sache, von Erkenntnis und Wahrheit zu protokollieren. So will Adorno 24 ) die "ästhetische Dignität der Worte" bewahren und den Anspruch echter Philosophie möglichst einlösen. Dieser Anspruch ist in diesem Zusammenhang von ihm folgendermaßen formuliert: "Es läßt sich die wachsende Bedeutung philo22) Vgl. Adorno, MdE, S.35f. H.Kudszus versucht die antisystematische Intention Adornos etwas unglücklich mit der paradoxen Begrifflichkeit "Unmethodik als Methode" zu umschreiben (H.K., Die Kunst versöhnt mit der Welt, in: ÜThWA, S.31). 23) Adorno, NL III, S.184; diese ursprünglich auf die Musik gemünzte Formulierung wendet Adorno auch bei der Besprechung von Hölderlins später Dichtung an. Sie gilt letztlich auch für Adornos gesamte Intention. 24) Vgl. Adorno, GS 1, S.36 9f.: "Es ist bei den Worten zu fragen, wie weit sie fähig sind, die ihnen zugemuteten Intentionen zu tragen, wie weit ihre Kraft geschichtlich erloschen ist, wie weit sie etwa konfigurativ bewahrt werden mag. Kriterium dessen ist wesentlich die ästhetische Dignität der Worte."

- 42 sophischer Sprachkritik formulieren als beginnende Konvergenz von Kunst und Erkenntnis. Während Philosophie sich der bislang nur ästhetisch gedachten, unvermittelten Einheit von Sprache und Wahrheit zuzukehren hat, ihre Wahrheit dialektisch an der Sprache messen muß, gewinnt Kunst Erkenntnischarakter: ihre Sprache ist ästhetisch nur dann stimmig, wenn sie 'wahr' ist: wenn ihre Worte dem objektiven geschichtlichen Stande nach existent sind." 25 ) 4. Es muß nun noch näher auf die Syntax als dem Verhältnis von Wort und Sprache und damit ihre schon angedeuteten wahrheitsausweisenden Bedeutungen eingegangen werden. Der teilweis hermetische Sprachstil Adornos, insbesonders seine häufige Verwendung des Konjunktivs als Modus des Urteils, seine Anachronismen und übertreibungen und grammatikalischen Unregelmäßigkeiten haben vielfach vernichtende Kritik^^^ hervorgerufen; durch das oben Gesagte dürfte jeoch Adornos Sprachgestus wenigstens immanent einsichtig gemacht worden sein. "Dashermetische Prinzip" - so Adorno zum Werk F.Kafkas "hat unter anderem die Funktion einer Schutzmaßnahme: den andrängenden Wahn draußen zu halten. Das heißt aber: 27 ) die eigene Kollektivierung." Wendet man diesen Satz auf Adornos philosophisches Werk an, so könnte man formulieren: Das hermetische Sprachprinzip hat unter anderem die Funktion, die drohende Kollektivierung und damit Bana-

25) Adorno, GS 1, S.370. 26) Vgl. z.B. H.Marcuse, Reflexionen zu Th.W.Adorno, in: Th.W.Adorno zum Gedächtnis, Frankfurt 1971, S.5of.: "Seine Sprache ist getrieben von der Angst, nicht der Verdinglichung zu verfallen, derselben Angst - wie ich schon vorher erwähnte -, nicht zu schnell und zu leicht vertraut und vertraulich zu werden und dadurch falsch verstanden zu werden. Ich gebe zu, daß mich die Sätze Adornos manchmal in Raserei gebracht, manchmal wütend gemacht haben, aber ich glaube, das sollten sie." 27) Adorno, P, S.315.

- 43 lisierung von Erkenntnis abzuwehren, den gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang draußen zu halten und dem kritischen Subjekt als Träger radikaler Gesellschafts- und Erkenntniskritik einen Vorteil einzuräumen. Schon in der "Dialektik der Aufklärung" waren für Horkheimer und Adorno die Sprache ein Mittel des Widerstands, denn

um dem bohrend leeren Dasein zu entgehen, ist ein 28)

Widerstand notwendig, dessen Rückgrat die Sprache ist. Unter dieser Perspektive, der Perspektive eines Offenhaltnes geschichtsphilosophisch bereits zergehender Erkenntnischancen, nämlich diejenigen eines seine Erfahrung zur Theorie sublimierenden Subjekts, eines Offenhaltens auch der Utopie einer von den Abnutzungen der Tauschgesellschaft befreiten Sprache, müssen die Eigentümlichkeiten von Adornos Sprachformen gesehen werden. Die Einsicht Adornos, daß auch die gewagtesten sprachlichen Formen 29 ) immer noch gesellschaftlicher Ausdruck sind, zwingen ihn dennoch zur Nuancierung. "La nuance/ encor'" - ist der Titel eines Aphorismus der 'Minima Moralia", und dieser Aphorismus schließt mit dem Satz: " Weil keine Wahrheit ausgedrückt werden kann, als die das Subjekt zu füllen vermag, wird der Anachronismus zur Zuflucht des Modernen.

28) Vgl. dazu den Verweis in Anm.18)oben ; Adorno will mit seiner Sprachgestalt des Denkens auch das rhetorische Moment in der Philosphie retten. "Denn die Abschaffung der Sprache im Denken ist nicht dessen Entmythologisierung. Verblendet opfert Philosophie mit der Sprache, worin sie zu ihrer Sache anders sich verhält als bloß signifikativ; nur als Sprache vermag Ähnliches das Ähnliche zu erkennen"(ND,S.63). "Dialektik, dem Wortsinn nach Sprache als Organon des Denkens, wäre der Versuch, das rhetorische Moment kritisch zu erretten: Sache und Ausdruck bis zur Indifferenz einander zu nähern" (ebda, S.64). 29) Vgl. Adorno, MM, S.2 93: "Was an Worten und Sprachformen vom Gebrauch verdorben ward, gelangt beschädigt in die zurückgezogene Werkstatt. Dort aber lassen sich die geschichtlichen Schäden nicht reparieren. Geschichte tangiert die Sprache nicht nur, sondern ereignet sich mitten in ihr." 30) Ebda, S.296.

- 44 Damit entfällt der Unterschied zwischen äußerster Nuanciertheit und Differenziertheit des Ausdrucks einerseits und stilistischem Manierismus andererseits. Und so dürfte es weniger als Marotte anzusehen sein als vielmehr als Methode, wenn Adorno z.B. das bei Stefan George schon anachronistische 'ward' beständig anstelle des heute allein noch gebräuchlichen 'wurde' verwendet; wenn er hartnäckig an Schreibweisen wie Naivetät und Antezipation(für Naivität und Antizipation) festhält; wenn er sich ungewöhnliche Freiheiten im Satzbau herausnimmt wie z.B. die Zusammenziehung von 'sich' und reflexivem Verb; wenn er sich auf das "undeutliche Relativpronomen" als Ausdruck einer "Denkwelt universaler Bezüglichkeit"^^^ kapriziert und den Leser oft vor mehrdeutig bleibenden Sätzen ratlos läßt. A.Künzli hat insbesonders die apodiktischen Sätze Adornos als "manifesten Absolutismus"^^' gebrandmarkt; Doch sie sind unter der Perspektive zu lesen, daß 'wahr' überhaupt nur die "übertreibung" sei und "die Gedanken, die sich selber nicht verstehen. Das provozierende und schockierende - teilweise auch ärgerlich stimmende - Wortgeflecht Adornos, das bei jedem seiner Rezipienten unbemerkt zum Jargon werden kann, will sich als besondere Form gegen die allgemeine Flut der Wörter stemmen und sowohl auf den geschichtlichen STand der Sprache als auch auf die Nichtidentität von Begriff und Sache aufmerksam machen. Das den Leser in Distanz zu sich und der Sache verwendete rhetorische Element verbindet 34) sich in Adornos Stil mit einem antikommunikativen , hermetischen zu einer in sich bewußt widersprüchlichen, spannungsreichen Einheit: zu einer - paradox gesagt 31) K.Oppens, Zu den musikalischen Schriften Th.W.Adornos, in: ÜThWA, S.8. 32) A.Künzli, a.a.O., S.141. 33) Adorno, MM, S.254. 34) Die radikalste Absage an das 'kommunikative Unwesen' unserer Zeit findet sich bei Adorno in der Neg.Dialektik, S.339: "Alles, was heutzutage Kommunikation heißt ausnahmlos, ist nur der Lärm, der die Stummheit der Gebannten übertönt."

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nichtidentischen Einheit. Die Form der Sprache ist der nach außen gestülpte Gehalt der zu besprechenden

Sache.

Es soll nun noch genauer auf die Funktion des häufig verwendeten Konjunktivs als Stilmittel eingegangen

werden,

weil dies auch für die im Schlußkapitel dieser Arbeit vorgestellten Gedanken von Belang

ist.

5. "Philosophie, wie sie im Angesicht der einzig noch zu verantworten

Verzweiflung

ist, wäre der Versuch,

alle

Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich d a r s t e l l t e n . D i e s e r

für Adornos

Philosophie

und auch für das in dieser Arbeit zu untersuchende blem zentrale Satz

wird durch den Modus des

Pro-

Konjunktivs^^'

in einer vagen Spannung gehalten. Bleibender Anspruch und verbleibende Möglichkeit der Erkenntnis,

Ziel und notwen-

diger Weg stehen in einer Konstellation, die auf die Brüchigkeit und auch auf die Notwendigkeit einer sich daraus ergebenden dialektischen Denkpraxis verweisen. Der Konjunktiv ist - so kann thesenhaft formuliert werden - die Form der philosophischen Denkpraxis Adornos, dessen

theologi-

sches Pendant der Apostel Paulus in 1.Kor.7,29ff. mit dem

35) Adorno, MM, S.3 33. 36) H.Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos, in: Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption, München 1971, S.19 verweist darauf, daß das Sprechen im Modus des Konjunktivs nicht innerhalb eines theologischen Absolutismus letztlich tragbar sei und begründet dies mit dem Fehlen des Konjunktivs im Hebräischen. "Der Konjunktiv ist die Sprache des sekundären, des reflektiereteB Mythos; in ihm wird überlegt und ausgesprchen, daß der Mensch der Betrogene der Weltveranstaltung eines Dämons sein könnte, wie bei Descartes, oder die Welt das Produkt einer Vergeßlichkeit Gottes, wie es der Nietzsche der zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung Luther als Sinn eines Satzes unterstellt, Gott hätte die Welt nicht geschaffen, wenn er an das schwere Geschütz gedacht hätte"(ebda.). Obwohl Adorno sich durch die strikte Anwendung des Bilderverbots innerhalb seiner Denkpraxis sich einem wesentlichen Zug alttestamentlicher Theologie unterwirft, denkt er im Modus des Konjunktivs und benüt&t ihn als Spielraum des Möglichen.

- 46 'hoos mee' auszudrücken versucht hat und das sowohl bei Adorno wie bei Paulus in einer ganz spezifischen Geschichtaphilosophie gründet: Wahrheit "weigert sich einer Sprache, welche die Stigmata des Seienden trägt"^^^, ist also nicht im Indikativ adäquat zu benennen, sondern Adorno zufolge dort zu suchen, "wo der Gedanke das unwiederbringliche ΊЯÌ Urbild heiliger Texte säkularisiert." ' Adornó nennt diesen Ort den der "Deutung, die weder das Gedeutete noch 39 ) das Symbol zum Absoluten erhöht." Daß sich die theologische Reflexion oder die Glaubenssprache des christlichen Lebens ebenfalls an diesem Ort ansiedeln kann, den Adorno einzig der Musik noch zudachte, ist das für jede religiöse Sprache heute gestellte Problem, Um Adornos Intention noch etwas genauer herauszustellen, 4o) sei kurz noch auf den Unterschied zu E.Blochs philosophischer Intention und seiner Modi der Darstellung hingewiesen. H.H.Holz kommt in seinem Aufsatz in der Bloch-Festschrift zu dem Ergebnis: "In den Modi spiegelt sich der von Ernst Bloch systematisch herausgearbeitete Sachverhalt, daß im Seienden ein Noch-Nicht-Seiendes anwesend ist. Allen Modi (außer dem strikten Indikativ) ist dieses Nicht eines Seins inhärent."'''" Blochs Philosophie gilt Holz als Ver37) 38) 39) 40)

Adorno, ND, S.291. Ebda, S.62. Ebda. Adornos sympathisches Verhältnis zu E.Bloch bedürfte einer selbständigen Untersuchung; hier sollen nur bei aller Nähe beider Philosophien zueinander, die auffallendsten Differenzen genannt werden. Adorno rückt in seinem Essay "Blochs Spuren"(NL II, S.131 ff.) Bloch theologisch indie Nähe der Mystik und philosophisch gesehen ist "Blochs Philosophie die des Expressionismus" (ebda, S.144). Vgl. im Blick auf die Ästhetik von Adorno und Bloch: H.Paetzold, Neomarxistische Ästhetik I/II, Düsseldorf 1974; im Blick auf beider Anthropologie A.Schmidt, Kritik der Mitproduktivität der Natur, in: Materialien zu E.Blochs 'Prinzip Hoffnung', hg. von B.Schmidt, Frankfurt 1978, S.325ff. 41) H.H.Holz, Kategorie Möglichkeit und Moduslehre, in: E.Bloch zu ehren, hg. von S.Unseld, Frankfurt 1965, S.118.

- 47 anschaulichung dieses 'Nicht eines Seins' im Sein und damit als der antizipatorische Beitrag zur Ermöglichung dieses Noch-Nicht-Seienden. Und Th.Heim'^^' vermutet, daß es Blochs Optativ sei, der den Widerspruch Adornos herausfordere und ihn befangen mache. Für Adorno stellt die prinzipiell optimistische Philosophie Blochs ein Skandalon dar, dem er, "so oft den Degen 43) wie den Hut ziehend" auf diese Weise seine Reverenz 44 ) erweist. "Hoffnung ist kein Prinzip" für Adorno und sein Grundmodus ist kein und kann kein ungebrochen auf die Zukunft gerichteter Optativ wie der Blochs sein, sondern sein Sprachmodus ist ein in sich vielfältig schillernder, hypothetischer, abschwächender, konditionaler, zuweilen auch optativer, jedoch fast immer irrealer Konjunktiv. Adorno läßt es offen, ob "die Möglichkeit des Möglichen", für die die "Wirklichkeit der Kunstwerke" zeugt, ob diese Möglichkeit eine reale oder eine bloß vorgestellte ist. Denn es geht nicht darum, das Ziel, die Möglichkeit objektiv zu beschreiben,sondern die Unmöglichkeiten menschlicher Existenz zu erkennen.' Angesichts dieser Aufgabe ist ihm "die Frage nach der Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Erlösung selber fast lichkeit oder „47) gleichgültig. 42) Th.Heim, Blochs Atheismus, in: ebda, S.157ff. 43) 44) 45) 46)

Ebda, S.166. Adorno, NL II, S.148. Adorno, ÄTH, S.2oo, Adorno sieht den Schein der Erlösung nicht objektiv in den vorhandenen Dingen als Vor-Schein wie Bloch. Adornos Rede vom Schein, der das Scheinlose verspricht, hat nur irrealen Charakter. Für Bloch dagegen istin den Augen Adornos "der Schein nicht, psychologisch, subjektive Illusion, sondern objektiv. Seine Plausibilität soll dafür einstehen, daß, ähnlich wie bei Benjamin und auch bei Proust, die spezifischesten Erfahrungen, die ganz ans Besondere sich verlieren, in Allgemeinheit umschlagen"(NL II, S.142Ì. 47) Adorno, MM, S.334.

- 48 6. Ist damit nun die Funktion des Adornoschen Sprachstils beschrieben, so muß doch noch kurz auf das 'Faszinosum' dieser Sprache bzw. Philosophie eingegangen werden. Ist es die in jedem Satz unverkennbare, unnachahmliche Originalität die produktive Schwierigkeit so vieler Passagen? Ist es das Zugleich von sprachlichen Anachronismen und progessiven kritischen Wendungen, das Zugleich von mit Pathos geladenen und doch aggressiv und bissig-witzig formulierten Gedankengängen, das Zugleich von äußerster Prägnanz und wolkiger Vagheit? Sind es die autoritär erscheinenden apodiktischen Sätze oder die Tiefe suggerierenden Paradoxien? Bei Kafka, dem von Adorno so geschätzten Schriftsteller, heißt es einmal: "neben seiner Beweisführung geht eine Bezauberung mit. Einer Beweisführung kann man in die Zauberwelt ausweichen, einer Bezauberung in die Logik, aber beide gleichzeitig erdrücken, zumal sie etwas Drittes sind, lebender Zauber oder nicht zerstörende, sondern aufbauende Zerstörung der Welt."'^®' Mit dieser paradoxen Wendung 'aufbauende Zerstörung' der im Kopf des Lesers befindlichen Begriffswelt, dürfte Adornos Stil und philosophische Methode am besten zu charakterisieren zu sein. Mit dieser Wendung kann auch die Voraussetzung für die theologische Diskussion mit Adornos negativer Dialektik angezeigt werden. Wenn oben von der Faszination der Sprache Adornos gesprochen wurde, die sie trotz allem auf die meisten seiner Rezipienten ausübt, so muß auch deren Gefahr bedacht werden, die Adorno selbst im Blick auf den Stil Kierkegaards so formuliert hat: "Faszination ist die gefährlichste 49) Macht in seinem Werk." Auch die aufscheinende Evidenz in den Adornoschen Konstellationen der Erkenntnissuche ist dem von ihm selbst beschworenen Verblendungszusammen48) F.Kafka, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, Frankfurt 1966, S.125. 49) Adorno, Kg, S.22.

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hang nicht entronnen. "Selbst die höchsten Manifestationen des Geistes, die es (das Glück, W.B.) ausdrücken, sind iitimer auch verstrickt in die Schuld, es zu hintertreiben, solange sie bloßer Geist bleiben.

5o) Adorno, NL I, S.49.

- 5o II.

Auschwitz als ^Sitz im Leben^ der Erkenntnis

1. Adornos Philosophie und mehr noch seine darin ' inverse' Theologie kann nur dann adäquat interpretiert werden, wenn 'Auschwitz' sowohl als persönliches Datum subjektiven Leidens wie auch als Chiffre seiner Geschichtsphilosophie und Erkenntnistheorie verstanden wird. Nicht zufällig beginnen deshalb die "Meditationen zur Metaphysik" mit dem Abschnitt und seiner bezeichnenden Überschrift: "Nach Auschwitz"^'. Auschwitz ist terminus a quo von Adornos Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie und zugleich 2) für die Erfahrung, daß das "Pedestre" trotz allem nicht das letzte V^ort sein kann. Deshalb kann Auschwitz als 'Sitz im Leben' aller Denkpraxis Adornos bezeichnet werden . Auschwitz als Chiffre für den verstörten und beschädigten Weltlauf verbietet seinerseits jedes "vom Hohen getönte Wort"^', weil es für Adorno der offensichtliche Beweis des Mißlingens der abendländischen4 )Kultur und aller idealistischen Weltpläne zum Besseren ist. Doch nicht nur 1) Adorno, ND, S.352; es muß allerdings angemerkt werden, daß Adorno persönlich nicht in Auschwitz eingepfercht war. Schon im Sommersemester 1933 wurde ihm jedoch die Lehrerlaubnis an der Universität Frankfurt entzogen. Vgl. zum Biographischen P.von Haselberg, WiesengrundAdorno; C.Pettazzi, Studien zu Leben und Werk Adornos bis 19 38, beide in: Th.W.Adorno, hg. von H.L.Arnold, Sonderband edition text + kritik, München 1977, S.7ff. 2) Adorno, ND, S.355: "Das Leben nährt den Horror der Ahnung, was erkannt werden muß, gliche eher dem, was down to earth sich findet, als dem, was sich erhebt; es könnte sein, daß jene Ahnung noch jenseits des Pedestren sich bestätigt, während doch der Gedanke allein in der Elevation sein Glück, die Verheißung seiner Wahrheit hat. Behielte das Pedestre das letzte Wort, wäre es die Wahrheit, so wäre Wahrheit entwürdigt." 3) Ebda, S.358. 4) Vgl. dazu ebda, S.357: "Daß es geschehen konnte, inmitten aller Tradition der Philosophie, der Kunst und der aufklärenden Wissenschaft, sagt mehr als nur, daß diese, der Geist, es nicht vermochte, die Menschen zu ergreifen und zu verändern. (...) Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll." Vgl. auch ND, S.312; DA, S.198ff.

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auf geschichtsphilosophische und kulturelle Reflexionen wirft Auschwitz seine Schatten, für Adorno heißt die persönliche Frage, "ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen. Diese Frage ist für Adorno, wenngleich in ihrer Form rhetorisch, Impuls und Wunde aller seiner Reflexionen geblieben. Wenn auch 'nach Auschwitz' WEiterleben nur in teilweiser Anpassung an die " K ä l t e " a l s dem Grundprinzip der bürgerlichen Subjektivität möglich ist, so entzieht sich Adorno dennoch der Versuchung eines verzweifelten Bewußtseins als mögliche Reaktion auf die Erfahrungen der 'tausendjährigen' Barbarei. Die Verpflichtung für jegliches Denken und Handeln heißt vielmehr, dieses so zu vollziehen, "daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe."^ ^ 8) Die Begründung für diesen 'neuen' kategorischen Imperativ läßt sich nicht strikt und diskursiv auf ethische Normen zurückführen, sondern verlangt die Darlegung der geschichtsphilosophischen Konstellationen Adornos, die eben dadurch den wesentlichen Teil der Philosophie Adornos ausmachen. 5) Adorno, ND, S.353. 6) Vgl. ebda, S.354; auch E.Bloch spricht ähnlich metaphorisch von den gesellschaftlichen Verhältnissen unseres Zeitalters, (E.B., Atheismus im Christentum, Frankfurt 1968, S.349f.). 7) Adorno, ebda, S.3 56. 8) Ebda. Die Assoziation zu Kant führt L.Düver dahingehend weiter, daß er für die Funktion des Geschehens 'Auschwitz' bei Adorno den Begriff des 'Geschichtszeichens' von Kant entlehnt(Kant, Streit der Fakultäten, Werke hg. von W.Weischedel, Bd.9, S.357(A 142). "Methodologisch gesehen ist es Kant mit seiner Theorie des Geschichtszeichens gelungen, zwei Gefahren zu entgehen: einmal wird ein auf die Klärung jeglicher Sinnfrage bezüglich der Geschichte verzichtender 'Positivismus' vermieden, dann aber auch einer spekulativ-dogamtischen Geschichtsphilosophie ein korrigierendes ERfahrungsmoment beigegeben. Diese Vorteile macht sich auch Adorno prinzipiell zu Diensten. Wie Kant beschränkt er sich aus 'erkenntnis-kritischen ' Gründen darauf, über den Anfang aber auch das Ziel von Geschichte lediglich 'Vermutungen' zu äußern"(Düver, a.a.O., S.16o).

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Die iirananente Beschreibung dieser Konstellationen soll im folgenden geschehen. 2. Auschwitz ist nicht zu bewältigen. Bewältigung hieße mit Mitteln der diskursiven Logik ein Begriffsgebäude zu erstellen, dessen Impuls ein trotziges 'Dennoch' und dessen Gehalt eine Ermutigung intendierte, die nach Meinung Adornos nur aus schlechtem Gewissen stammen könnte. Adorno will nicht Hoffnung durch eine optimistische Vorschau auf noch verbleibende Möglichkeiten des Denkens und Handelns unvermittelt erzeugen, auch nicht durch Tröstung aus tra9) ditionellen theologischen Texten. Ein Ausweg aus dem drohenden Wahnsinn ist nicht durch die beharrliche Suche nach Sinn zu erwarten, sondern Adorno vertraut auf die Kraft der Konstellationen, die er um Auschwitz legt, so daß Glück und Leiden, Hoffnung und Verzweiflung zusammenstehen. In diesem paradoxen Zusairatiendenken dessen, was logischerweise nicht zusammengehört, was 'absurd' ist, stellt sich für Adorno die Erfahrung von Hoffnung ein, daß der Gedanke, "der sich nicht enthauptet, in Transzendenz mündet, bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre."^°^ 9) Das Engangement, den Menschen Mut zu machen aufgrund der Rettung von Auschwitz nennt Adorno die "Schützengrabenreligion der Entronnenen"(ND, S.358) und fährt dann fort: "als ob das bei irgendeinem geistigen Gebilde läge; als ob der Vorsatz, der an die Menschen sich wendet und nach ihnen sich einrichtet, nicht um das sie brächte, worauf sie Anspruch haben, auch wenn sie das Gegenteil glauben. Dahin ist es mit der Metaphysik gekommen." 10) Adorno, ND, S.393. Diese Idee der Rettung, der Erlösung kann als das andere durchgängige religiöse Motiv aller Schriften Adornos bezeichnet werden. Es berührt sich thematisch mit der jüdischen Messiashoffnung, "die keine dogmatisch verbindende Kraft, wohl aber Dynamik psychischer Realität besitzt"(Schalom Ben-Chorin, a.a.O., S.296). - Adorno dürfte diese Idee - wie schon erwähnt - von Benjamin übernommen haben. Diesen entscheidenden Einfluß Benjamins hat Adorno nie geleugnet; die Konstellation von 'Mythos und Versöhnung' für Benjamin die zentrale(vgl, ÜWB, S.21) - ist auch für Adorno wesentlich. Vgl. auch R.Tiedemann, Studien zur Philosophie W.Benjamins, Frankfurt 1973; und

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Auschwitz ist also nicht nur Impuls zur Darstellung des Unwesens aller bisherigen Geschichte. Der ZwangtzÀr Philosophie, die Objektivität des Leidens in dieser Gesellschaft und Geschichte zur Sprache zu bringen, ermöglicht zugleich und zusammen mit dem Ausdrucksdrang des Subjekts, die Hoffnung auf Erlösung aufscheinen zu lassen. Worin liegt nun diese Möglichkeit angesichts des Grauens und der gesellschaftlichen Verhältnisse genauer? Antwortet man mit dem Hinweis auf das Vorhandensein der 12)

'großen Kunstwerke'(Beethoven, Kafka) , so ist dies nur dann zutreffend, wenn damit auf deren Konstellationen oppositioneller Erfahrungen verwiesen wird. Nicht die Kunstwerke an sich oder deren unmittelbare Wirkung auf das Gefühl oder den Verstand, sondern höchstens auf die darin versammelte Geschichte der Erfahrungen und ihrer spezifischen Konstellationen ist zu achten. P.Bulthaupt(Hg.), Materialien zu Benjamins Thesen "über den Begriff der Geschichte', Frankfurt 1975. Gerade auch in der Beschäftigung Adornos mit Kierkegaard in den Jahren 1929/3o dürfte dieses religiöse Grundmotiv der Erlösung bei ihm sich verstärkt haben. Und wie Adorno bei Kierkegaard "die paradoxe Erfahrung des Todes" als Einstand fürs "Möglich-Unmögliche" interpretiert(Kg, S.289), so dürfte für Adorno selbst die Erfahrung von Auschwitz bzw. die des Krieges ihm die Konstellation von Zerfall und ERlösung eingeprägt haben. Die Hoffnung auf die "leibhafte Wirklichkeit der Erlösung" (Kg, S.291) ist das Geheimnis der Philosophie auch von Adorno. 11) Der Zwang zur Philosophie, d.h. zu kritischem Denken ist bei Adorno das Pendant zu einem naturgeschichtlichen Prozeß,nämlich dem "schuldhaften Drang zur Selbstbehauptung (...). Jene Schuld reproduziert sich unablässig, weil sie dem Bewußtsein in keinem Augenblick ganz gegenwärtig sein kann. Das, nichts anderes zwingt zur Philosophie"(ND, S.355). Die Motivation zur Philosophie ist also nicht primär ethisch, sondern geschichtsphilosophisch gegründet. 12) Vgl. Adorno, ND, S.387f. : "Jeglicher Ausdruck von Hoffnung, wie er von den großen Kunstwerken noch im Zeitalter ihres Verstummens mächtiger ausgeht als von den überlieferten theologischen Texten, ist konfiguriert mit dem des Menschlichen; nirgends unzweideutiger als in den Augenblicken Beethovens."

- 54 Auschwitz wird also zmn Impuls dafür, historische Daten nicht nur in ihrer oberflächlichen Erscheinung zu verstehen, sondern die tieferliegenden Strukturen ihrer Genesis zu deuten. Dadurch wird das Leiden und Unheil nicht wegrationalisiert, sondern neben der Stimme der Klage, sieht das Auge noch die Farben des Lichts. "Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspeiel,dem, was hinab mußte oder verurteilt ist."^^' Die damit angedeutete Konstellation eines Naturmoments (in der Metapher des Auges und des Lichts) mit der Geschichte (Auschwitz) verbindet Adorno zu dem von Benjamin entlehnten Begriff der 'Naturgeschichte'^^^. Adorno konfiguriert beide Begriffe in ihrem Momenten des Verfalls und des Vergängnisses, um zugleich den Ort anzugeben, an dem das Licht der Transzendenz aufscheint. Was begrifflich nur sehr abstrakt ausgedrückt werden kann, hat Adorno selbst anhand der Interpretation des Kinderliedes "Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal" konkret gezeigt. Ich gebe hier den ganzen Abschnitt des Aphorismus aus den 'Minima Moralia' wieder, weil er sehr deutlich aufweist, wie Adorno an einem spezifischen Detail, die Verbindung von Verfall und Erlösung als den Schein der Rettung herstellt bzw. alle für ihn wesentlichen Begriffe so versammelt, daß in ihrem 'Zauberkreis' Hoffnung aufleuchten kann. "Seit ich denken kann, bin ich glücklich gewesen mit dem Lied: 'Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal'von den zwei Hasen, die sich am Gras gütlich taten, vom Jäger niedergeschossen wurden, und als sie sich besonnen hatten, daß sie noch am Leben waren, von dannen liefen. Aber spät erst

13) Adorno, ND, S.368. 14) Der Begriff der Naturgeschichte wird ausführlich S.loi f.dieser Arbeit besprochen.

- 55 habe ich die Lehre darin verstanden: Vernunft kann es nur in Verzweiflung und Überschwang aushalten; es bedarf des Absurden, um dem objektiven Wahnsinn nicht zu erliegen. Man sollte es den beiden Hasen gleichtun; wenn der Schuß fällt, närrisch für tot hinfallen, sich sammeln und besinnen, und wenn man noch Atem hat, von dannen laufen. Die Kraft zur Angst und die zum Glück sind das gleiche, das schrankenlose, bis zur Selbstpreisgabe gesteigerte Aufgeschlossensein für Erfahrung, in der der Erliegende sich wiederfindet. Was wäre Glück, das sich nicht mäße an der unmeßbaren Trauer dessen was ist? Denn verstört ist der Weltlauf. Wer ihm sich vorsichtig anpaßt, macht eben damit sich zum Teilhaber des Wahnsinns, während erst der Exzentrische standhielte und dem Aberwitz Einhalt geböte. Nur er dürfte auf den Schein des Unheils, die 'Unwirklichkeit der Verzweiflung', sich besinnen und dessen innewerden, nicht bloß, daß er noch lebt, sondern daß noch Leben ist. Die List der ohnmächtigen Hasen erlöst mit.ihnen selbst den Jäger, dem sie seine Schuld stibitzt." An den entscheidenden Stellen dieses für Adorno so bezeichnenden Textes steht der Modus des Konjunktivs, um deutlich zu machen, daß die aufgezeigte Rettung bzw. Erlösung an einer Kunstform gewonnen und deshalb in ihrer Geltung von vornherein Schein ist, der freilich ein 'Mehr' verspricht. Das für alle bürgerliche Gesellschaft 'Natürliche', Jäger und Gejagter zu sein, wird durch die List der ohnmächtigen (!) Hasen transzendiert. Die Schuld des Jägers, verstanden als geschichtliche Stufe des Verhältnisses im Umgang mit der Natur und bedingt durch menschliche Selbsterhaltung, diese Schuld wird weggenommen durch die listige Vernunft, deren Kraft sich aus jenem Trieb speist, der gleich nah der Angst wie dem Glück sich stellt: auch dies nur Selbsterhaltung, die sich paradoxerweise zuvor preisgeben muß - zum Scheine nur -, um erlösend zu wirken. 15) Adorno, MM, S.266. - Um das Verständnis zu erleichtern werden auch die drei Strophen des Kinderliedes zitiert. "Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal/ saßen einst zwei Hasen,/: fraßen ab das grüne, grüne Gras:/ bis auf den Rasen. - Als sie sich nun satt gefressen hattn'/ setzten sie sich nieder,/:bis daß nun der Jäger,Jäger kam:/ und schoß sie nieder,- Als sie sich nun aufgerappelt hattn'/ und sie sich besannen,/:daß sie noch am Leben, Leben warn':/ liefen sie von dannen." (zit, nach Die schönsten Volkslieder, hg. von L.Andersen, Ed.Schott, London 1955, S.133).

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Der von Adorno beabsichtigte Anklang an die Hegeische 1 "6 )

'List der Vernunft'

ist damit die Spitze abgebrochen, da

die List der Vernunft im Sinne Adornos gerade nicht die des Weltgeistes, sondern diejenige ohnmächtiger Hasen ist. So listig die Interpretation Adornos hinsichtlich dieses Liedes ist und so deutlich man die Methode der Begriffskonstellation auch daran ablesen kann, so absurd ist sie auch für traditionelles Denken. Fraglich bleibt nicht nur, Wer hier Wen errettet, sondern auch, ob diese Rettungsgeschichte analog auf den Prozeß der Erlsöung von Natur und Geschichte zu übertragen ist. Im Zusammenhang dieses Kapitels soll jedoch nur darauf verwiesen werden, daß Adorno von Erlösung und Glück im Modus der Erinnerung, vor allem in Erinnerung an seine Kindheit im Zusammenhang mit einer musikalischen Komposition spricht. Die Kategorie der Erinnerung im Zusammenhang einer Kunstform transzendiert nur die unmeßbare Trauer, den Schrecken, sie verwandelt ihn nicht. Das scheinbar belanglose Kinderlied wird wohl auch nicht vergessen, wird immer wieder gesungen werden, und gerade deshalb gilt für Adorno: "Durch Dauer erhebt Kunst Einspruch gegen den Tod; die kurzfristige Ewigkeit der Werke ist Allegorie einer scheinlosen. Kunst ist Schein dessen, woran der Tod nicht heranreicht."^^' Ist Erlösung der Gehalt des Kinderliedes von den Hasen und dem Jäger, so ist dessen Wahrheit nur theologisch verbürgt und Adorno verweist denn auch konsequent an dieser Stelle der Ästhetischen Theorie auf die 'Idee der Aufer17) stehung' . Das Aufscheinen dieser Idee im Rahmen von 16) Bei Hegel siegt die Idee und die Individuen als "Geschäftsführer des Weltgeistes" werden geopfert. "Das ist die List der Vernunft zu nennen, daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt, wobei das, durch was sie sich in Existenz setzt, einbüßt und Schaden leidet. Denn es ist die Erscheinung, von der ein Teil nichtig, ein Teil affirmativ ist. Das Partikuläre ist meistens zu gering gegen das Allgemeine, die Individuen werden aufgeopfert und preisgegeben"(Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie WA Bd.12,S.49), 17) Adorno, ÄTH, S.48; vgl. zur Thematik s.u.S.135ff.

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einer Gesellschaftsanalyse und in der Konstellation mit ästhetischen Begriffen, sprengt jeglichaitraditionellen 1 8)

philosophischen Argumeritationsgang. Wenn F.Grenz denn auch aus philosophischer Sicht anmerkt, daß zum Verständnis solchen Denkens und solcher Wahrheitsbehauptung "Zusatzannahmen", die "notwendig theologisch, 19) zumindest theologischer Abstammung" sein müßten, nötig seien, so wird gerade dies

im weiteren Verlauf der Unter-

suchung noch näher zu erarbeiten sein. 3. Der vorangehende Abschnitt sollte zeigen, an einem Beispiel Adornos selbst, wie Adorno 'Auschwitz' in den Konstellationen von Trauer und Überschwang zu denken vermag, um letztlich nicht auch nur der Nichtigkeit, dem "stumpfen Betrieb"^°^ Beihilfe zu leisten. Der Konstellation von geschichtlichen Daten und metaphysischen bzw. ontologischen Kategorien muß jedoch noch weiter nachgegangen werden, uro so noch näher an ihre theologische R€ìe\anz heranzukommen. Wenn Adorno sich den extremen und schrecklichen historischen Ereignissen stellt und sie in konstellativer Vermittlung analysiert, so kann seinem Denken, trotz scheinbarer Willkür kaum Subjektivität, die objektiver Verzweiflung korrespondiert, vorgeworfen werden. Adornos Impuls zur Philosophie - Leiden beredt

werden zu lassen, die Schuld

nach Auschwitz abzutragen - spannt sich kein Netz von 21 ) Verzweiflung oder Nihilismus , wie vielfach sein Begriff 18) Das Bewußtsein solcher Möglichkeit am Ort des Schrekkens zur Sprache zu bringen, ist für Chr.Beier 'Spekulation' und eine 'uneingedeckte Einsicht'. "Eine solche Ohnmacht des Denkens korrespondiert dann allerdings mit Utopie, um sich in der vorgestellten Form überhaupt legitimieren zu können. Seine Begriffe hätten dann lediglich den Charakter von Beschwörungsformeln, denen die Empirie längst entglitten ist"(Beier, a.a. 0. , S.53, 55f.). 19) F.Grenz, Adornos Philosophie in Grundbegriffen, Frankfurt 1975, S.6o. 20) Adorno, ND. S.388. 21) A.Künzli, a.a.O., S.133 spricht von einer "Verteufelung der Geschichte" und einem "Kokettieren mit dem Nihilismus". Dies kann so nur konstatieren, wer sich Adornos Denkpraxis sehr oberflächlich widmet. Adorno

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von Negativität verstanden wird. Adorno hat zu ausführlich den Entwurf einer subjektiven Ontologie Kierkegaards studiert, um sich, ausgehend von der scharfsichtigen Analyse unserer gesellschaftlichen Verhältnisse einen Höllenraum zu entwerfen, den des Seins in Subjektivität. "Aus diesem Höölenraum weiß sie ( die Subjektivität,W.B.) sich nicht anders zu retten als durch einen 'Sprung' in die Transzendenz, der uneigentlich inhaltlos und selber subjektiver Denkakt bleibt und seine höchste Bestimmung in der Paradoxie findet, daß hier der subjektive Geist sich selber opfern muß und dafür einen Glauben zurückbehält, dessen Inhalte, zufällig für die Subjektivität, allein 22)

dem Bibelwort entspringen." Diese Abgrenzung zu Kierkegaard wurde deshalb so ausführlich zitiert, nicht um in eine Sachdiskussion zur Philosophie bzw. Theologie Kierkegaards einzutreten, sondern um schon an dieser Stelle zu zeigen, in welcher Weise Adorno nicht 'theologisch' denken will. Seine Methode der Konstellation von Begriffen um eine Sache ist eben nicht die Bedingung der Möglichkeit, um das schlecht Inmianente zu überwinden bzw. zu versöhnen. Adorno bleibt, so kann man vorläufig formulieren, aus soteriologischen Gründen der Immanenz treu. Der Ort und das Material seiner Konstellationen entstammt der Analyse gesellschaftlicher Wirklichkeit. Das aufscheinende Ziel seiner Deutung gewesenen Seins - "Verzauberung der Geschichte"^^^ - ist keine zu beschäftigt sich mit dem von ihm in Anführungsstrichen gesetzten Begriff 'Nihilismus' in der Negativen Dialektik ausführlich (ND,S.367-372). Er huldigt dabei weder der Position Schopenhauers noch der Nietzsches, denn auch die Überwindung des Nihilismus ist "allemal schlimmer als das überwundene (...). Auf die Frage ob er ein Nihilist sei, hätte ein Denkender mit Wahrheit wohl zu antworten: zu wenig, vielleicht aus Kälte, weil seine Sympathie mit dem, was leidet, zu gering ist. Im Nichts kulminiert die Abstraktion, und das Abstrakte ist das Verworfene"(ND,S.371). Vgl. auch L. Düver, a.a.O., S.124f.; W.Post, a.a.O., S.126ff. 22) Adorno, GS 1, S.329f. 23) Ebda, S.361.

- 59 praktizierende Aufgabe philosophischer Sinnsuche, sondern der Wunsch nur, den immanenten Zusammenhang der Dinge selbst so zusammenzusehen, daß in diesen hergestellten 24 ) Konstellationen der Schein das Scheinlose verspricht. Gerade Auschwitz, Chiffre für die Hölle und die Konsequenz bürgerlichen Denkens und bürgerlicher Selbsterhaltung verbietet die Sinnfrage, weil sie nach Adorno gestellt wäre nur aus eben dem Geist, der das Produkt der ideologischen Geschichte bürgerlicher Herrschaft ist. Adorno entrüstet sich nicht und wendet sich nicht angeekelt ab, sondern im Hinschauen, in der Beobachtung von Details des Schrekkens, angesichts des Todes, widerfährt iiim, daß dies "nicht alles sein könne"^^^. Nicht um heroischen Trotz, nicht um eine Rettung metaphysischer Traditionen geht es dabei, sondern die Macht der Erinnerung und die sich einstellende Konstellation von Trauer u n d Überschwang als dem 'genius loci' sind der Anlaß zur Hoffnung, "daß es genau dies schon gegeben habe und geben werde; dem nachzukommen erst erfüllte den Begriff des B e g r i f f s . ^ Der Begriff der damit gemeint ist, ist der von Erfahrung. Auschwitz also als Chiffre für die Erfahrung des Gesellschaftlichen als Unwesen und zugleich der Kraft eines Andern, das neue Erfahrung vermittelt. 24) Was dies Scheinlose ist, wird von Adorno nicht gesagt, sondern getreu seiner konstellativen Methode und dem Bilderverbot nur konjunktivisch und metaphorisch umschrieben. "Kein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene. Untilgbar am Widerstand gegen die fungible Welt des Tauschs ist der des Auges, das nicht will, daß die Farben der Welt zunichte werden. Im Schein verspricht sich das Scheinlose"(ND,S.394f.). 25) Adorno, ND,S.362. 26) Ebda, S.364. - Nicht zufällig erinnern solche Sätze an die der Vorrede in Hegels 'Phänomenologie des Geistes'. An Hegels Beschreibung der 'Macht des Negativen'als der Energie des Denkens knüpft Adorno hier an. Hegel schreibt: "Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet"(Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie WA Bd.3,S.36).

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4. Mit der Kategorie der Erfahrung ist im Gang der bisherigen Darstellung nun die Ebene erreicht, auf der Adornos Denkpraxis im Zusammenhang mit Auschwitz seine Stärke zeigt. Daß Theorie sich durch Erfahrung vermitteln lassen muß, hat Adorno an vielen Stellen bestätigt. Es reicht nicht aus, den Widerspruch des Seienden zu dem, was zu sein es behauptet, aufzuzeigen und damit das Wesen als Unwesen zu erklären. Die Erkenntnis muß auch von Widerspruch zum Widerspruch ausgehen; die NichtÜbereinkunft von Seiendem und Anspruch muß sich auch im Seienden und für dies zeigen lassen; das Aufleuchten des Scheins zeigt grell die Schatten des Bestehenden. "Der dialektische Widerspruch 'ist'nicht schlechthin, sondern seine Intention - sein subjektives Moment - daran, daß er das (das leiden, W.B.) nicht sich ausreden läßt; in ihr geht Dialektik aufs Verschiedene . Ein Widerspruch an sich kann sich weder etwas ausreden lassen noch dieses bewahren. Das subjektive Moment jedoch, als Intention des Widerspruchs, wäre zufällig, wenn es dessen theoretischer Reflexionsform nicht in einer nichtdiskursiven Artikulationsform schon vorausginge. Erkenntnismittel und Erkenntnisbildung ist die Erfahrung nicht durch ihre Beweisbarkeit, sondern vielmehr dadurch, daß sie sich nicht beruhigen läßt. "Die Differenz von Subjekt und Objekt läßt in der Theorie so wenig sich ausmerzen, wie sie in der Erfahrung von der Wirklichkeit 2Q\ bis heute geschlichtet ward." Denken in Konsstellationen hat für Adorno von vornherein ein aktives, subsumierendes und negierendes Verhalten gegenüber historischer und gesellschaftlicher Natur, hat im subjektiven Willen, der wiederum im Leiden gründet, sein unabdingbares Konstituens und seinen Impuls. Daher ist die Erfahrung des Schmerzes, der die Differenz von Gegebenem und Möglichem beim Namen nennt, der Motor des dialektischen Gedankens; Erfahrung ist der Motor der negativen Dialektik; Möglichkeit wird nur in der Erfahrung 27) Adorno, ND,S.154. 28) Adorno, H, S. 1o2.

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des Unmöglichen sich einstellen. Adorno konstelliert philosophische Begriffe, weil deren geschichtlicher Gehalt ebensowenig wie das Nichtidentische in systematischen Begriffszusammenhängen aufgeht und in ihnen sich Leiden sedimentiert hat. Wenn für Adorno Auschwitz zur Konstellation für geistige Erfahrung herangezogen wird oder wenn er wie in dem Kinderlied von den Hasen und dem "^äger das Absurde der Situation als Ort der Erfahrung von der Idee der Erlösung wählt, so geschieht dies nicht zuletzt auch aus der Erkenntnis heraus, daß entsprechend dem verstörten Weltlauf, die Möglichkeit von Erfahrung im 'normalen' Alltag schwindet. "Parallel zur theoretischen Nivellierung von Wesen und Erscheinung büßen freilich auch subjektiv die Erkennenden mit der Fähigkeit zu Leiden und Glück das primäre Vermögen ein. Wesentliches und Unwesentliches zu sondern, ohne daß man dabei recht wüßte, was Ursache ist und was F o l g e . A n g e s i c h t s der verhärteten Arbeits- und Freizeitwelt, in deren Folge die Organe der lebendigen Erfahrung allmählich absterben, angesichts dieses nach Adorno entscheidenden anthropologischen Sachverhalts der Ära, kann sich Adorno nicht mehr nur an unmittelbaren Erfahrungen orientieren, da alle Erfahrungen prinzipiell keine mehr bzw. die des Immergleichen sind. Um noch für metaphysische Erfahrungen eintreten zu können, muß also die von Adorno reklamierte Erfahrung die Theorie der Möglichkeit von solcher implizieren, d.h. dem Leiden standhaltend, ist die Theorie der Erfahrung diejenige gegen die faktische alltägliche Erfahrung. Sie muß auf-

29) Ähnlich argumentiert auch L.Kolakowski, Der Mensch ohne Alternative, München 1976, S.13off. "Die Hoffnungen und Forderungen müssen größer sein als die Möglichkeiten, wenn die Wirklichkeit dazu gezwungen werden soll, alle Möglichkeiten, die in ihr enthalten sind, auszunützen und alle Quellen, die noch verborgen sind, emporschießen zu lassen"(ebda, S.14o). 30) Adorno, ND,S.17o.

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zeigen, daß der Bann des Herrschaftszusairanenhangs "nicht mehr gefühlt wird, weil kaum etwas und kaum einer mehr so weit ihm entronnen wäre, daß er an der Differenz aufginge. Dadurch aber wird gerade die Erfahrung des Absterbens von Erfahrung gefährdet; man merkt nicht mehr, daß man gefühllos geworden ist. Zwar ist unter den konsolidierenden Humantechniken der spätkapitalistischen^^' Gesellschaft Leiden durchaus noch nicht gänzlich getilgt. Selbst in den aufoktroyierten falschen Bedürfnissen der Individuen "reagiert etwas, worin sie nicht ganz erfaßt sind, der Überschuß des subjektiven Anteils, dessen das System nicht vollends Herr w u r d e . D o c h als das, was noch einmal davongekommen ist und nicht total erfaßt wurde, ist der Überschuß auch irrelevanter Rest, Ausnahme und jederzeit als solcher integrierbar. Solcher subjektive. Überschuß steht ebenso der Entlarvung wie der Verschleierung - mittels der 34 ) Propaganda des Pluralismus - zur Verfügung. Das heißt, das die Konstellation transzendierende Moment ist vor dem, was Adorno die moderne Kulturindustrie genannt hat, nicht sicher. ^^^ 31) Adorno, ND,S.336. 32) Vgl. Adorno, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft, in: GS 8, S.354ff. 33) Adorno, ND,S.97. 34) Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, lût die, ob nicht Adorno durch die Intention seiner Philosophie - 'Leiden beredt werden zu lassen'- und Hoffnung nur in der Konstellation von Leiden als Möglichkeit des Gegenteils zur Sprache zu bringen, eine indirekte Rechtfertigung des Leidens - wenn auch unbewußt vornimmt. Und es ist weiter zu fragen, wenn auch nicht in diesem Rahmen zu diskutieren, ob Leiden "nur durch spürbaren, selbst wiederum leidvollen Verzicht vermindert werden kann, ob es nur ins Unbewußte verdrängt werden kann oder ob Leiden und Versagung durch Veränderung der Triebstruktur selbst und vermittels 'repressiver Entsublimierung'(H.Marcuse) sowohl unterdrückt als auch ausgemerzt werden, wie dies Adorno für die Gesellschaftsstruktur des organisierten Kapitalismus feststellt"(F.Böckelmann, ÜberjMarx und Adorno, Frankfurt 1972, S.146). Es dürfte jedoch noch nicht viel gewonnen sein, Adorno bzw. konstellativem Denken ein dualistisches Weltbild nachzuweisen. 35) Zum Begriff der Kulturindustrie s.u.S. 81.

- 63 5. Weil Leiden - wie auch das Bedürfnis seiner Aufhebung nur widerwillig und nicht auf den ersten Blick von der 'andern'Wahrheit zeugt, die Konstellationen sie nicht logisch verbürgt, müssen die Konstellationen um das Leiden von kritischer Vernunft so gelegt werden, daß sie sich gegen sich selbst richten und an sich selbst leiden können. Das reale Leiden entspringt im umfassenden Unwesen der Gesellschaft und kann deshalb nur abstrakt zur Erkenntnis erhoben werden. Seiner selbst unbewußt, kommt es nicht zum Widerstand gegen seine Ursache. Der gegebene Widerspruch vermag sich also nicht mehr selbst zu transzendieren^ er bedarf der Vermittlung, d.h. der kritischen Kraft negativer Dialektik. Das aber kann nur heißen, die Menschen gegen die Menschen selbst zu verteidigen, was etwas anderes meint als ihnen Mut zu machen. Diese Verteidigung ist die Aufdeckung der bislang unwiderrufenen gewalttätigen Genese des Bestehenden, die Selbstbehauptung der Entmündigten; so wird aus der konstellativen Methode die Dialektik als diie "Ontologie des falschen Zustands".^^' Weder kann eine Anleitung zur Praxis der Änderung von dieser Position aus kurzfristig gegeben werden,noch der Möglichkeitsgrund solcher geschichtsphilosophischen Konstellationen mit objektiv logischen Begründungen ausgewiesen werden. Daß Wahrheit weder der subjektiven^noch der objektiven Seite einfach zuzuschlagen ist, sondern eine Konstellation von Momenten, ein Kraftfeld ausmacht, widerruft nicht die Vorgängigkeit der negativen geschichtsphilosophischen Annahmen. Diese Vorgängigkeit zeigt sich ja nicht darin, daß logische Synthesis und Gegenstand einander vermittelnd bedürften, daß also nur mit Hilfe der Erfahrung des Nichtidentischen und des Subjekts der Gegenstand und die negative Totalität interpretiert werden könnten, sondern dies zeigt sich gerade darin, daß eine Aktualisierung und eine doppelte Vermittlung einmal postuliert, auch interpretiert und reflektiert werden müssen. Das Ansichsein der Unwahrheit, deren Erkenntnis heute nach Adorno

36) Adorno, ND,S.2o.

- 64 die einzig mögliche Wahrheit ist, kann nur von einer solchen negativen Ontologie behauptet werden, die sich einer Praxis des Besseren vorläufig versagen muß.^^^ So fällt für Adorno, wie es F.Böckelmann formuliert hat, "schließlich die Intention auf Freiheit mit der Intention 38) auf die freie Erkenntnis der Unfreiheit zusammen" , wobei freilich sofort dazugesagt werden muß, daß die Dunkelheit nur angesichts des Scheins der Erlösung als solche wahrgenommen wird. 39)

37) Zum Verhältnis von Theorie und Praxis bei Adorno s.u. S. 85ff. 38) F.Böckelmann, a.a.O., S.154. 39) Vgl. Adorno, MM, S.333f.

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III.

Dialektik als 'ars inveniendi'

1. Es könnte so scheinen, als wäre durch die Betonung der Dialektik in einem gesondert ausgeführten Abschnitt, nur Vorläufiges zur Denkpraxis Adornos in den beiden vorangehenden Teilen gesagt worden. Dialektik ist jedoch für Adorno kein Anderes, Übergeordnetes oder Zweites neben seiner Methode der Konstellation und neben seinen geschichtsphilosophischen und ästhetischen Überlegungen. Adornos Methode und Sprachstil von seiner expliziten Theorie der negativen Dialektik zu trennen, hieße^die ganzen Bemühungen Adornos zu hintergehen. Gleichwohl soll nun das Verfahren Adornos mehr im Blick auf seine erkenntnistheoretischen Implikationen dargestellt werden. Die Schwierigkeiten der Darstellung dessen, was Adorno unter negativer Dialektik versteht, sind die der gemeinten Sache schlechthin. Adorno kann - was schon bei der Darstellung seiner Methode deutlich geworden sein sollte nicht terminologischexakt definieren^', was negative Dialektik ist. Dialektik als Verfahren ist für ihn kein Prinzip im Sinne eines Standpunktes oder eines zur Basis liegenden Grundlagenbegriffs. "Dialektik (...) bezieht nicht vorweg einen Standpunkt. Zu ihr treibt den Gedanken seine unvermeidliche Insuffizienz, seine Schuld an dem, was er denkt. Nicht also darum geht es Adorno, um mit der negativen Dialektik eine neue Theorie auf den Markt der Philosophie zu 1) W.R.Beyer hat Adorno "Definitionsverweigerung" vorgeworfen (Beyer , Adornos Negative Dialektik, in: Dt.Zeitschrift für Philosophie Bd.15/1967,S.12o6). Solche Kritik übergeht einfach die Gründe, die Adorno aus der Hegeischen Position, die Wahrheit als Prozeß versteht, zur Problematik anführt. Philosophie muß demnach in "ihrem Fortgang unablässig sich erneuern, aus der eigenen Kraft ebenso wie aus der Reibung mit dem, woran sie sich mißt; was in ihr sich zuträgt, entscheidet, nicht These oder Position; das Gewebe, nicht der deduktive oder induktive, eingleisige Gedankengang"(Adorno , ND,S.4 2) . 2) Adorno, ND,S.15.

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bringen, sondern darum, die bekannten Argmnentations- und Denkfiguren auf ihre Resultate im Sinne ihrer Abfalls- und Verlustquoten hin noch einmal durchzugehen. Dieser Durchgang ist nicht die Kritik am Gelungenen der traditionellen philosophischen - insbesonders der idealistischen - Denkbemühungen, sondern der Versuch, dasjenige zu retten, was bei Hegel und Kant aufgrund der ihrer Philosophie zugrundeliegenden Prinzipien und Systemzwänge gleichsam unter den Tisch gefallen ist, ungesagt blieb. Negative Dialektik als Denkbewegung kann also deshalb als die 'ars inveniendi'^^ des Verlorenen charakterisiert werden; und sie ist negativ, weil sie ihr Geschäft im Gegensatz bzw. in der Differenz zur positiv idealistischen betreibt. ^^ 3) Zur philosophischen Auseinandersetzung Adornos mit Hegel und Kant vgl.L.Düver, a.a.O., S.63ff.; B.Willms, Theorie Kritik und Dialektik, in: t}ThWA,S.44ff.; F.W.Schmidt, Hegel in der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in: Aktualität und Folgen der Philosophie Hegels, hg. von O.Negt, Frankfurt 1971, S.21ff.; H.Schweppenhäuser, Spekulative und negative Dialelktik, in: ebda, S.85ff. Die Beziehung von Adorno zu Kant wurde so weit ich sehe noch nicht eigens thematisiert. 4) Dialektik als 'ars inveniendi' hat Adorno erstmals in seinem Aufsatz von 1931 "Die Aktualität der Philosophie" so bezeichnet. Adorno nennt dort F.Bacon und Leibniz (GS 1,S.341f.) als diejenigen, die diese Kunst erstmals durchgeführt hätten. Es ist jedoch wahrscheinlicher, daß den Begriff schon R.Agricola in seiner Schrift "De inventions dialéctica", hg. von A.Aemsteredamus (Köln 1539) verwendete (vgl. Art. ' Dialektik', in: Hist. Wörterbuch der Philosphie, hg. von J.Ritter, Bd.II, S.182). Die von Adorno 1931 damit vertretene Position ist schon im Ansatz diejenige, die er dann zehn Jahre später mit M.Horkheimer zusammen vollends in der "Dialektik der Aufklärung" entwickelte. So heißt es zum Schluß dieses Aufsatzes schon programmatisch und ganz im Sinne der Negativen Dialektik: "Denn wohl vermag der Geist es nicht, die Totalität des Wirklichen zu erzeugen oder zu begreifen; aber er vermag es im kleinen einzudringen, im kleinen die Maße des bloß Seienden zu sprengen"(GS 1, S.344). 5) Vgl. Adorno, ND,S.143: "Solche Dialektik ist negativ. Ihre Idee nennt die Differenz von Hegel."

- 67 In diesem 'Nennen der Differenz' liegt ein Proprium der Philosophie Adornos - auch das, was er 'inverse Theologie' nennt - nämlich: das eigentlich Nicht-zu-Sagende zu sagen, das Moment des sich fortbewegenden, des weitertreibenden, des sich entfaltenden Widerspruchs. Das aber heißt, Adorno betreibt nicht die Negation um der Negation willen - Widerspruch ist kein wie bei Hegel Wesenhaftes - , sondern um der Rettung des Negativen willen. "Der dialektische Widerspruch 'ist' nicht schlechthin, sondern hat seine Intention, sein subjektives Moment, daran, daß er das nicht sich ausreden läßt; in ihr geht Dialektik aufs Verschiedene. Philosophisch bleibt die dialektische Bewegung als Selbstkritik der Philosophie."®' Die 'Rettung des Negativen' ist eine Ortsbestimmung in und für das Ganze, d.h. sowohl das Verlorene ist im Blick auf das Ganze unvollständig wie auch das Ganze ohne dieses Verlorene eben unvollständig, negativ bleibt. Die Synthesis von Teil und Ganzem in der Idee der Versöhnung ist wahr und falsch; wahr, weil die Idee der Versöhnung die ersehnte Wahrheit des Ganzen aufrecht erhält; falsch, weil sie im Prozeß des Denkens zusammenbindet - Adorno sagt: zusammenpreßt - was der Erfahrung des Alltags widerspricht und deshalb Schein ist. In der Intention negativer Dialektik ist nach dem Gesagten zweifellos auch ein ethisches Moment^' enthalten, dessen 6) Adorno, ND,S.154. 7) Vgl. s.u.S. 231.1η dem Aphorismus "Zur Moral des Denkens" (MM, S.89ff.) spricht Adorno sehr emphatisch und konfessorisch die Differenz zu einer - wie er sie sieht unmenschlichen Philosophie des Idealismus aus. "Es ist eben jenes Weitergehen und nicht Verweilenkönnen, jene stillschweigende Zuerkennung des Vorrangs ans Allgemeine gegenüber dem Besonderen, worin nicht nur der Trug des Idealismus besteht, der die Begriffe hypostasiert, sondern auch seine Unmenschlichkeit, die das Besondere» kaum daß sie es ergreift, schon zur Durchgangsstation herabsetzt und schließlich mit Leiden und Tod der bloß in der Reflexion vorkommenden Versöhnung zuliebe allzu geschwind sich abfindet - in letzter Instanz die bürgerliche Kälte, die das Unausweichliche allzu gern unterschreibt. Nur dort vermag Erkenntnis zu erweitern, wo sie beim Einzelnen so verharrt, daß über die Insistenz seine Isoliertheit zerfällt"(MM,S.9of.). - Demnach

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Ziel eben die Rettung des Einzelnen ist, sowie das Aufmerksam-Machen auf den Modus des Zustandekommens von Synthesis und Identität. Weil die großen abendländischen Denksysteme - für Adorno sind ihre Vertreter neben Piaton vor allem eben Kant und Hegel - um zu ihrem Ziel, der Identität, zu kommen, Verluste in Kauf nehmen, d.h. deren Logik nur erzwungenermaßen die Einheit von Begriff und Sache unter Ausblendung von Randphänomenen zustandebringen, hält sich Adorno gleichsam im Schatten 8 ) ihrer Bahn auf und untersucht das Liegengebliebene, Zerfallene und bezeichnet 9) deshalb sein Denken als "Logik des Zerfalls" ; diese aber eben nur im Blick auf die Identitätsphilosophie zu verstehende ist die Logik des Nichtidentitschen. Adornos negative Dialektik ist auf diese Weise unabdingbar an diejenige Kants und Hegels gekettet und mehr noch an den verstörten Weltlauf bzw. an das, was traditionelles Denken im Banne seines naturgeschichtlichen Laufs angerichtet hat und weiter anrichtet. Weil somit Adornos Denken den Spuren idealistischen folgt, bleibt auch sein Ziel durchaus das derer. Doch Adorno kann angesichts seiner geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation die Idee besteht für Adorno die 'Moral des Denkens' darin, "Weder stur noch souverän, weder blind noch leer, weder atomistisch noch konsequent zu verfahren"(MM,S.91). 8) Vgl. H.Schweppenhäuser, a.a.O., S.B5f.; er beschreibt die Lichtbahn Hegeischen Denkens folgendermaßen: "Ist der alten meditativen Spekulation das Absolute allein in seiner Spiegelung, dem Abglanz bewußt, so sucht die Hegeische zugleich sich ins Zentriim der Lichtquelle selbst zu setzen, in den 'unendlichen Fokus', der in die Radien der endlichen Dinge sich zerlegt. Dieser Brennpunkt ist ihr nicht bloß die fern leuchtende göttliche Sonne, sondern ebensosehr das nahe Zentrum des eigenen Geistes, jener erhellenden Leuchtkraft denkender Anschauung, die ebenso die Radien ausschickt wie ihrem Laufen zusieht. Sie weiß sich als Leuchten und Beleuchtung ineins, hat das Unendliche und das Endliche, den Grund und das Begründete zusammengebracht." 9) Vgl. Adorno, ND,S.146.

- 69 der Versöhnung nicht begrifflich positiv setzen, zumal dies nicht nur eine denkerische Gewalttat wäre, sondern in der Praxis politischen Denkens und Handelns nur als Affirmation des Bestehenden verwertet würde. Negative Dialektik ist aufgrund dieser so bestimmten Ortsangabe in geschichtlicher und erkenntnistheoretischer Hinsicht, emphatisch und moralisch: Der Schmerz über das Verlorene und vom Ganzen Abgeschnittene darf und kann nicht vergessen werden, sowohl um dieses selbst wie auch um des Ganzen, der Wahrheit willen. Der subjektive Schmerz angesichts der Trümmer ist das Ausdrucksmoment solchen Denkens und seine Ruhelosigkeit^das seiner Bewegung.Im Hin und Her zwischen den Extremen sammelt und bedenkt es seine Erfahrungen , die immer die von Differenz und Fragmentarischem sind, in dem ein 'Mehr' zum Bedürfnis wird. Der Vorwurf, solches Denken sei irrational^iàer einfach die Lust an Kritik, trifft weder die Intention noch die Durchführung negativer Dialektik. Ist man sich der Ortsbestimmung solchen Denkens klar, so ist seine kritische und systemfeindliche Haltung nur konsequent. Denn das zu suchende

10) Vgl. den Schlußsatz, mit dem Schweppenhäuser, a.a.O., S.97 die Adornosche Philosophie beschreibt: "War spekulative Dialektik die Negation des Endlichen im Absoluten, so ist negative die Negation des Absoluten um des Endlichen und seiner Rettung willen, die noch das Absolute zu bewahren vermöchte." - J.Habermas hat Adornos Denkpraxis metaphorisch mit der "Unruhe im Uhrwerk" beschrieben(vgl. J.H, Ein philosophsicher Intellektueller, in: ÜThWA, S.4o). Adorno selbst vergleicht seine Denkpraxis mit der "Echternacher Springprozession" (ND,S.158). 11) Am schärfsten in dieser Richtung hat H.Albert Adorno angegriffen; Alberts Polemik gipfelt in dem Satz: "Eine Dialektik, die der Logik entraten zu können glaubt, scheint mir einen der gefährlichsten Züge des deutschen Denkens zu unterstützen, vermutlich ganz im Gegensatz zu den hinter ihr stehenden Intentionen : die Tendenz zum Irrationalismus"(H.A., Kleines,verwundertes Nachwort zu einer großen Einleitung, in: Adorno u.a.. Der Positivismusstreit in der dt. Soziologie, Neuwied/Berlin 1972,8.339). Vgl. ähnlich G.Rohrmoser, Das Elend der kritischen Theorie, Freiburg 197o, S.42f.

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und erfahrende Nichtidentische kann nicht als Positives begrifflich bestimmt werden, wenn ihm, nach Adorno, nicht noch einmal Gewalt angetan werden soll. Positiv ist das Partikulare einzig in seinem Impuls zu bestimmter Negation des Ganzen. Und die Unruhe der S.elbstreflexion ist solchem Denken deshalb unbadingbar, weil es seinen Ort im Vollzug der Identifikation des Partikularen nicht vergessen darf. Deshalb muß negative Dialektik, "in eins Abdruck des universalen Verblendungszusammenhangs und dessen Kritik, in 19) einer letzten Bewegung sich noch gegen sich selbst kehren.""" Das Wissen bzw. die Identifizierung eines Steines als zu einem bestimmten Haus gehörig, heißt eben, daß weder dieses Haus noch dieser zu diesem Haus gehörige Stein je für sich noch die Erkenntnis ihrer Zusammenhänge, schon das Ganze wäre. Dieser Vergleich mag verdeutlichen, daß die negative Dialektik keine Miesmacherei, keine nihilistische Spielerei oder Irrationalismus ist, sondern für Adorno die einzige Gestalt von Wahrheit und Hoffnung. In einer seiner letzten veröffentlichten Aufsätze, wo sich Adorno gegen solche und ähnliche Vorwürfe wehrt, heißt es: "Wer denkt, ist in aller Kritik nicht wütend: Denken hat die Wut sublimiert. Weil der Denkende es sich nicht antun muß, will er es auch den andern nicht antun. Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht, ist das Glück der Menschheit. Die universale Unterdrückungstendenz geht gegen den Gedanken als solchen. Glück ist er, noch wo er das Unglück bestimmt: indem er es ausspricht. Damit allein reicht Glück ins universale Unglück hinein. Wer es sich nicht verkümmern läßt, der hat nicht resigniert^^^ 2. Was ist nun das Ziel derjenigen Philosophie, in deren Schatten Adorno das Zerstreute suchen will und das in sich immanent diesem Ziel widerspricht? Wie schon angedeutet, gilt Adornos Kritik vornehmlich dem Denken Kants und Hegels, die er beide als Identitätsphilosophen bezeichnet. Identitätsdenken verfolgt nach Adorno 12) Adorno, ND,S.395. 13) Adorno, K, S.15o.

- 71 das Ziel, Denken und Sein gemäß dem strittigen Spruch des P a r m e n i d e s ^ i n eins zu setzen; dabei ist letztlich das Sein immer dem so Urteilenden ein durchs Denken Vermitteltes. Wer Identität statuiert, setzt damit immer auch bereits den Vorrang der Subjektivität vor dem, was anders wäre. Die Instanz, die nach Adorno alles Seiende in der Tradition des identitätsphilosophischen bzw. idealistischen Denkens allein zu bestimmen und in sich Freiheit zu realisieren glaubt, ist das sich autonom setzende Ich. Dadurch^ daß es alles von ihm Verschiedene in den Bann seiner Herrschaft zieht, steigert es seine Macht im Selbstbehauptungskampf und macht Subjektivität überhaupt erst möglich. Gleichzeitig jedoch wird durch die Behauptung des Primats des Geistes - als dem, der diese Setzung vornimmt - über die Herkunft und Genesis dieser Herrschaft sowie über die fortbestehende Naturverfallenheit hinweggetäuscht. Die sich selbst behauptende Subjektivität im Denken muß notwendig abstrahierend alle sinnlichen Gegebenheiten und damit gerade auch die menschlichen Naturqualitäten abwerten und als nur quantifizierende Dinglichkeit beherrschen. Gerade darin sieht denn auch Adorno das proton pseudos aller bisherigen Erkenntnistheorie,

"das Subjekt,

das Objektivität zu seiner Sache, womöglich das Wirkliche zu seinem Produkt macht, vergißt sich in diesem. Geronnen, verselbständigt, fetischisiert tritt das Produkt dem Subjekt gegenüber. Die Objektivität des Selbstgemachten übertäubt, daß

es bloß selbstgemacht ist. Rationalität ihrerseits,

wie sie im neueren Zeitalter Erkenntnis durchherrscht, legt sich aus im Sinn einer Gesetzlichkeit, die sich nach den Kriterien des Notwendigen und Allgemeinen richtet, mit ihnen dem lebendigen Subjekt sich entfremdet und es unterdrückt. Dieser Prozeß ist keiner der isolierten philosophischen Reflexion, sondern reicht bis in die Grundschicht

14) Vgl. Parmenides, Fragment В 3; Parmenides, Die Fragmente, hg. ., übersetzt und erläutert von E.Heitsch, München 1974, S.16.

- 72 der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und damit der historischen Erfahrungen der Menschheit. Im Prozeß des identitätsphilosophischen Denkens sieht demnach Adorno bei allem Primat des Subjektiven das Subjekt nur als Abbild der in den gesellschaftlichen Verhältnissen vollzogenen und gewordenen Verdinglichung der Menschen. Der Schein des Primats des Logos ist geschichtlich zum Prius dessen geworden, woran er seiner Geschichte nach das Posterius wäre. Deutlicher noch wird, was Adorno unter dem Identitätsdenken verstanden wissen will, in seiner Erläuterung zu Kants berühmter Formulierung vom "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten k ö n n e n . D a z u komentiert Adorno: "Der zentrale Identitätsbegriff wird angedeutet in dem 'Ich denke(...)'; denn Kants Formel 'meine' soll von jedem Menschen erfüllt werden können. Indem dieses 'ich denke' auf die Vorstellungen eines jeden Lesers der 'Kritik der reinen Vernunft' wie auf die des Autors bezogen werden kann, ist das Moment der komparativen Allgemeinheit bereits gesetzt; in den Formulierungen 'ich denke' und'alle meine' Vorstellungen ist aber zugleich auch gesetzt die Beziehung auf ein bestimmtes einzelmenschliches Subjekt, das auf ein solches 'ich denke' rekurriert, um seine individuelle 15) Adorno, OL,S.156. - Mit diesem Zitat wird die Affinität Adornos zu materialistischer Dialektik deutlich. Ohne näher auf das diffizile Verhältnis Adornos dazu einzugehen,sei darauf hingeweisen, daß Adorno diejenige Position F.Engels als naiv ablehnt. "In einer schlechthin Einen, unterschiedslosen, totalen Materie wäre keine Dialektik"(ND,S.2o3). Was das Verhältnis zu K.Marx betrifft, so dürfte dem Urteil Düvers zuzustimmen sein, der in diesem Zusammenhang schreibt: "Wenn Marx in praktisch-politischem Sinne vermeintlich natürliche Besitz- und Machtverhältnisse als geschichtlich gewordene und damit veränderbare zu entschleiern versucht, dann geht die Intention von Adorno dahin, Marx' praktische Philosophie insofern zu ergänzen, als er die Herrschaftsstrukturen bis in die innersten Zentren des Denkens selbst verfolgt. Hiermit versucht Adorno das theoretische Korrelat z\m praktisch akzentuierten Dialektikbegriff von Marx zu geben"(Düver, a.a.O., S.65). 16) Kant, Kritik der reinen Vernunft, В 131.

- 73 Identität zu behaupten.(...) Es gibt nur soweit ein Ich, ein Subjekt, Identität, wie die Möglichkeit einer solchen Reflexion des Subjekts auf es selber besteht. Ich meine, diese Stelle der 'transzendentalen Logik' ist die zentrale der Kantischen Philosophie und damit der idealistischen Philosophie insgesamt. " ^ Adorno setzt gegen diese traditionelle Gestalt subjektiven Identitätsdenkens die Erkenntnis Hegels - der jedoch diesem letztlich ebensowenig entgangen ist - "daß die Formen die jener (Kants Philosophie,W.B.) zufolge Erkenntnis konstituieren, ebenso vom Inhalt der Erkenntnis abhängen wie umgekehrt."^®' Daher muß eine Kritik der Identität^^' von Subjekt und Objekt diese nur mit seinen eigenen dialektischen Vermittelungen konstellieren, d.h. das Subjekt selbst zu seiner Objektivität bringen, was freilich nicht heißt, dessen Erfahrungen zu tilgen; dann erst, nach dieser Vfendung gegen sich selbst "wird im Begriff selber, ohne den Umfang des Begriffs zu verletzen, ein Anderes, Nichtidentisches als sein Sinnesimplikat"^°^ ersichtlich werden. Der bisherige Primat des Subjekts, Prl-raat des Logos hat sich geschichtlich verurteilt, denn er hat die Totalität der Gesellschaft eher verstärkt als gelockert, wenngleich er die Gefangenschaft jedes einzelnen ideologisch in Freiheit umzudeuten vermochte. Weder sind also nach Adorno Subjekt und Objekt in eins zu setzen noch wurden sie aus einem gemeinsamen Dritten, dem Sein. Beide Begriffe sind "Reflexionskategorien, Formeln für ein nicht zu Vereinendes; kein Positives, keine primären Sachverhalte, sondern negativ durchaus, Ausdruck 17) Adorno, PhT II, S.117f. 18) Adorno, H, S.81. 19) Die Kritik am Identitätsbegriff heißt für Adorno nicht, diesen als ein Nichts zu leugnen. "Der Totalität ist zu opponieren, indem sie der Nichtidentität mit sich selbst überführt wird, die sie dem eigenen Begriff nach verleugnet. Dadurch ist die negative Dialektik, als an ihrem Ausgang, gebunden an die obersten Kategorien von Identitätsphilosophie, Insofern bleibt auch sie falsch, identitätslogisch, selber das, wogegen sie gedacht wird" (ND,S.148). 20) Adorno, H,S.15o.

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74 -

einzig der Nichtidentität. Trotzdem ist die Differenz von Subjekt und Objekt auch nicht ihrerseits einfach zu negieren. Weder sind sie letzte Zweiheit, noch verbirgt hinter ihnen sich letzte Einheit. Sie konstituieren ebenso sich durch einander, wie sie vermöge solcher Konstitution auseinandertreten.(..·) Jeglicher Begriff, noch der des Seins, reproduziert die Differenz von Denken und Ge21 ) dachtem." Doch auch die Vermittlung beider - von Subjekt und Objekt - ist nicht ein Erstes, darf nicht hypostasiert werden, denn auch die Vermittlung ist wiederiim nur durchs Vermittelte. Die Dialektik Hegels ist deshalb für Adorno erstarrt, weil sie sich als wissenschaftliches System darstellt. Zur Voraussetzung liegt der dialektischen Logik Hegels dabei ein Wissenschaftsbegriff, der nur wegen der durchgängigen "Identität der Identität und Nichtidentität"^^^ zugleich den Anspruch auf Absolutheit und Wahrheit erheben kann. Mit dem Verzicht auf diese identitätslogische Prämisse der Hegeischen Dialektik verliert sich für Adorno aber auch die Möglichkeit einer Begründung der Dialektik als wissenschaftliches System. Negative Dialektik trägt deshalb den Charakter eines Experiments der Vernunft mit sich selbst und ist sich nicht wie Hegels absolutes System des Resultats des Vernunftexperiments insgeheim schon im voraus seines Gelingens sicher. Negative Dialektik hat deshalb nicht die Gestalt systematischer Wissenschaft, sondern sie äußert sich in Form von fragmentarischen Modellen. Die ganze Schärfe negativer Dialektik gegenüber Hegel wird freilich dann erst ersichtlich, wenn man auf den Verzicht dieser gegenüber der überlieferten und bei Hegel in

21) Adorno, ND,S.174. 22) Hegel, Wissenschaft der Logik Bd.I, Theorie WA Bd.5, S. 74.

- 75 der 'Philosophie des Rechts' praktisch gewordenen "Negation der Negation" verweist. Adorno lehnt aufgrund der Erfahrungen in der Geschichte und den kritischen Analysen gesellschaftlicher Verhältnisse die Auffassung von der "Negation der Negation" als Position ab. "Die Gleichsetzung der Negation der Negation mit Positivität· ist die Quintessenz des Identifizierens, das formale Prinzip auf seine reinste Form gebracht. Mit ihm gewinnt im Innersten von Dialektik das antiidealisitsche Prinzip die Oberhand, jene traditionelle Logik, welche more arithmetico minus mal minus als plus verbucht. Sie ward jener Mathematik abgeborgt, gegen die Hegel sonst so idiosynkratisch reagiert. Ist das Ganze der Bann, das Negative, so bleibt die Negation der Partikularität, die ihren Inbegriff an jenem Ganzen hat, negativ. Ihr Positives wäre allein die bestimmte Negation, Kritik, kein umspringendes Resultat, das Affirmation glücklich in den Händen hielte. Mit dieser Ablehnung der 'positiven Negation' will Adorno Hegel und sich selbst nicht auf eine nur eindimensionale Wirklichkeitsauffassung festlegen, d.h. "die Möglichkeit 24 ) von Metaphysik" nicht grundsätzlich abweisen, wohl aber auf die Differenz von der Möglichkeit der Begriffe zu der gegebenen Realität aufmerksam machen. Hegels Positivität ist abstrakt und deshalb auf den Weltlauf bezogen dessen Ideologisierung; veranstaltet wird sie als Projektion der Konsequenzlogik aufs Absolute wiederum von dem Prinzip der Subjektivität. So hat Hegel, nach Adorno, letztlich die Dialektik ebenfalls nur dem Subjekt zugerechnet. "Dialektik rein dem Subjekt zuzurechnen, schafft auch die Dialektik weg, indem sie zur Totalität ausgeweitet wird. Sie entsprang bei Hegel im System, hat aber nicht ihr Maß an ihr."^^^ 23) Adorno, ND,S.159. 24) Ebda. 25) Ebda, S.161. Vgl. F.W.Schmidt, Zum Begriff der Negativität bei Schelling und Hegel, Stuttgart 1971, S.114ff. Schmidt macht auf die Nähe von Adornos Position zu Schelling aufmerksam. "Schellings Begriff der

- 76 3. Gerade weil Adorno subjektive Erfahrung, die gesättigt ist durch historisches und gesellschaftliches Wissen, konstitutiv zum Moment seiner negativen Dialektik macht, muÊ er als Gegengewicht ein Moment setzen, das verhindert, daß die Erfahrung der Mängel nicht sich in einem System für sich beruhigt. Erschließt sich die Unwahrheit des Immanenzzusammenhangs der Erfahrung überwältigend, so ist dieser Erfahrung auch Einhalt zu gebieten, "überließe Erfahrung allein sich ihrer Dynamik und ihrem Glück, so wäre kein Halten. Ideologie lauert auf den Geist, der, seiner selbst sich freuend wie Nietzsches Zarathustra, unwiderstehlich fast sich zum Absoluten wird. Theorie verhindert das. Sie berichtigt die Naivetät seines Selbstvertrauens, ohne daß er doch die Spontaneität opfern müßte, auf welche Theorie ihrerseits hinaus will."^^^ Der Vorrang des Objekts ist es, daß die Erfahrung nicht wiederum zum subjektiven Prinzip einer Logik oder einer Stimmung narzißtischer Melancholie^^' wird. Was versteht der 'rationalen Philosophie' stimmt mit Adornos Theorie der 'Negativen Dialektik' darin überein, daß die Kraft des Bewußtseins 'an seinen eigenen Trug'(Adorno, ND,S.15o) heranreicht"(Schmidt, a.a.O., S.116). 26) Adorno, ND,S.39. 27) Adorno versucht sich damit von Nietzsches 'amor fati' abzugrenzen. "Wönn er (Nietzsche,W.В.) die 'Seligkeit aus einer fixen Idee' ins Irrenhaus verweist, so könnte man den Ursprung des amor fati im Gefängnis aufsuchen. Auf die Liebe zu Steinmauern und vergitterten Fenstern verfällt jener, der nicht anderes zum Lieben mehr sieht und hat. Beide Male waltet die gleiche Schmach der Anpassung, die, um nur überhaupt im Grauen der Welt aushalten zu können, dem Wunsch Wirklichkeit zuschreibt und dem Widersinn des Zwangs Sinn. Nicht weniger als credo guia absurdum kriecht Entsagung im amor fati, der Verherrlichung des Allerabsurdesten, vor der Herrschaft zu Kreuz"(MM,S.123). - Trotz dieser Kritik gehört Nietzsche "dem Adornos Denken zutiefst verpflichtet war, zu den wenigen Autoren, welche die Dialektik der Aufklärung rücksichtslos, auch gegen sich selbst, zu Ende dachten" (A.Schmidt, Adorno - ein Philosoph des realen Humanismus, in: a.a.O., S.74).

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nun Adorno unter dem Vorrang des Objekts? Es sieht zunächst so aus, als wollte damit Adorno einem naiven Realismus das Wort reden; jedoch beabsichtigt er damit die durchgängige "qualitative Unterscheidung von in 2ñÌ sich Vermitteltem." Anknüpfend an Kants Insistieren auf das transzendentale 'Ding an sich', versucht Adorno ein Reales nicht jenseits der Dialektik als Festes zu orten, sondern auf die

Ungleichheit im Begriff der

lung von Subjekt und Objekt hinzuweisen.

Vermitt-

"Objekt kann nur

durch Subjekts gedacht werden, erhält sich aber diesem gegenüber immer als Anderes; Subjekt jedoch ist der eigenen Beschaffenheit nach vorweg auch Objekt. Vom Subjekt ist Objekt nicht einmal als Idee wegzudenken; aber vom Objekt 29) Subjekt."

Adorno will damit erhellen, dafl das Geistige,

das Bewußtsein, genetisch gesehen immer sekundär ist. Das Argument dagegen, es gäbe nun einmal keine Erkenntnis des Objekts ohne erkennendes Subjekt stimmt wohl, darf jedoch umgekehrt nicht

zu einem ontologischen Vorrecht des

Bewußtseins umgemünzt werden. "Jegliche Behauptung, daß Subjektivität irgend 'sei', schließt bereits eine Objektivität ein, die das Subjekt vermöge seines absoluten Seins erst zu begründen vorgibt. Nur weil das Subjekt

seinerseits

vermittelt, also nicht das radikal Andere des Objekts ist, das dieses erst legitimiert, vermag es Objektivität

über-

haupt erst zu fassen. Das aber heißt, ohne das vorrangige Moment von Objektivität wäre Subjektivität bzw. die Vermittlung seitens des Subjekts nichts. Adorno betreibt mit der Theorie vom Vorrang des Objekts erkenntnistheoretisch gesehen also eine Revision der Stellung zum Subjekt, das in aller Philosophie der Neuzeit vorherrscht. Die negative Dialektik führt mit dem Moment der Erfahrung als konstitutiv für alle Erkenntnis also nicht nur eine reductio ad hominem durch - dies wäre letztlich nichts anderes als was alle

idealistische

Philosophie auch schon betrieb - , sondern sie vollzieht 28) Adorno, ND,3.183. 29) Ebda, S.182. 30) Ebda, S.184.

- 78 in eminentem Maße eine reductio hominis auf die Konstellationen seiner Geschichte. Es muß nun noch darauf hingewiesen werden, daß Adorno mit dem Vorrang des Objekts nicht ein empirsch oder protokollarisch Feststellbares intendiert. Nicht eine nicht zudurchdringende materiale Gegebenheit im Sinne einer empirischen ERkenntnistheorie ist also gemeint - "das Residuum des Objekts als das nach Abzug subjektiver Zutat erübrigende Gegebene ist ein Trug der prima philosophia"^^^ sondern die Sache, um die sich Erkenntnis bemüht, ist "das Nichtidentische druch die Identität hindurch. Solche Identität ist keine 'Idee'; aber ein_Zugehängtes. Das erfahrende Subjekt arbeitet darauf hin, in ihr zu verschwinden. Wahrheit wäre sein Untergang. Von der Subtraktion alles Spezifischen der Subjektivität in der wissenschaftlichen Methode wird er, ad maiorem gloriam des zur Methode vergegenständlichten Subjekts, bloß vorgetäuscht."^^' In diese zweifellos sehr vage Bestimmung dessen, was Adorno unter dem Vorrang des Objekts intendiert, und die damit jedoch bewußt seiner gewählten Methode entspricht, dürfte durch ein Beispiel aus der Kunst noch etwas mehr Licht zu bringen sein. Denn in der Kunst sieht Adorno den Vorrang des Objekts in seiner begriffslosen Wahrheit am ehesten vermittelt. Ein Beispiel aus der 'Sprache der Musik käme im Sinne Adornos dem Gemeinten am nächsten; da dies in diesem Zusammenhang der Untersuchung nicht möglich ist, sei auf ein sprachliches verwiesen, das freilich dem Mißverständnis weit mehr ausgesetzt ist. Adorno hat die Schlußszene von Goethes Faust als Ausdruck von Wahrheit verstanden und mit der Dialektik als 'ars inveniendi' interpretiert. "Denn tatsächlich hat Goethe keine Gewalttat an der Sprache begangen. Er hat nicht, wie es am Ende unvermeidlich ward, mit der Kommunikation gebrochen und dem reinen Wort eine Autonomie zugemutet, wie sie, durch den Gleichklagg mit dem vom Kommerz besudelten. 31) Adorno, ND,S.186. 32) Adorno, ebda, S.187f. 33) Vgl. dazu den Essay Adornos: "Fragment über Musik und Sprache", in: GS 16, S.251ff.

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allzeit prekär bleibt. Sondern sein restitutives WEsen trachtet, das besudelte als dichterisches zu erwecken. An keinem einzelnen könnte das gelingen, so wenig wie in der Musik ein verminderter Septimakkord, nach der Schande, die ihm die Vulgarität des Salons antat, je wieder klingt wie jener mächtige am Anfang von Beethovens letzter Klaviersonate. Wohl aber flammt die heruntergekommene und zur Metapher verschliessene Wendung dort noch einmal auf, wo sie buchstäblich genommen ist. Dieser Augenblick birgt die Ewigkeit der Sprache am Schluß des Faust in sich." Nach diesen hinführenden Sätzen - gleichsam als captatio benevolentiae für jegliche Erfahrung von Kunstwerken gedacht - zitiert Adorno die Verse der Magna peccatorix: "Bei den Locken, die so weichlich/ Trockneten die heil'gen Glieder"(Faust, 12o43f.) und kommentiert: "Hier erfüllt sich die Form mit der wörtlichen Kraft der adverbialen Bestimmung, empfängt die Zartheit des Haares, Zeichen der erotischen Liebe, in der Aura der himmlischen. Das Unsägliche, hier wird's Ereignis, in der Sprache. 4. Negative Dialektik als 'ars inveniendi' ist die nach Wahrheit, Prozeß und Resultat in eins. Zu sagen, was nach Adorno Wahrheit sei, führt folglich unweigerlich wieder zur Beschreibung seiner Methode konstellativen Denkens. "Wahrheit ist werdende Konstellation, kein automatisch Durchlaufendes, in dem Subjekt zwar erleichtert, aber entbehrlich wäre."^^' Deshalb müssen nach Adorno Gedanken, die wahr sind sich unablässig aus der Erfahrung der Sache her erneuern, die sich eben dadurch in ihnen erst bestimmt. Da diese Methode der Denkpraxis beschrieben wurde, bleibt deshalb in diesem Zusammenhang nur noch auf den Ort der Wahrheit zu verweisen, an dem Denken als Nachdenken^®^ 34) Adorno, NL II,S.8. 35) Adorno, St, S.16 36) Vgl. Adorno, St, S.15f.: "Am ehesten wäre es(das Nachdenken, W.B.) erweiternde Konzentration zu nennen. Indem sie ihre SAche, und sie allein, visiert, gewahrt sie in ihr, was übers Vorgedachte hinausgeht und damit den fixierten Umkreis der Sprache sprengt."

- 8o sich seiner Sache am ehesten vergewissern kann. Jedoch muß jedem Bemühen, den Ort der Wahrheit einzukreisen, sofort im Sinne Adornos hinzugefügt werden, daß die Wahrheit nicht als ein Verborgenes nur geschöpft zu werden braucht, sondern Denken wahr würde, "wo es befreit ist vom Fluch der Arbeit und in seinem Objekt zur Ruhe kommt. Die Zukunft der Wahrheit enthebt freilich nicht davon, mit aller Kraft des Denkens jetzt schon sich dem Risiko ihrer Bestimmung hinzugeben. Diese Zukunft ist nicht als eine sich entwickelnde zu sehen; der Konjunktiv - Denken 'würde' wahr - macht deutlich, daß der subjektive Wunsch keine geschichtsphilosophische Logik impliziert. Und wiederum, wiewohl Hoffnung die letztlich einzige Gestalt ist, in der Wahrheit zum Zuge kommt, will Adorno sich Nietzsche anschließend - nicht Hoffnung mit Wahrheit verwechseln. Das Bedürfnis aller nach Wahrheit, Ganzheit 38Ì und Versöhnung und sabbatischem Frieden ist eben nicht 37) Adorno, St, S.19. In den Minima Moralia heißt es dazu: "Nur wer es vermöchte, in der blinden somatischen Lust, die keine Intention hat und die letzte stillt, die Utopie zu bestimmen, wäre einer Idee von Wahrheit fähig, die standhielte"(MM,S.72). 38) Die Hoffnung und das Glück des erwarteten sabbatischen Friedens beschreibt Adorno mit folgendem Aphorismus: "Dem Kinde, das aus den Ferien heimkommt, liegt die Wohnung neu, frisch, festlich da. Aber nichts hat darin sich geändert, seit es sie verließ. Nur daß die Pflicht vergessen ward, an die jedes Möbel, jedes Fenster, jede Lampe sonst mahnt, stellt ihren sabbatischen Frieden wieder her, und für Minuten ist man im Einmaleins von Zimmern, Kammern und Korridor zu Hause, wie es ein ganzes Leben lang nur die Lüge behauptet. Nicht anders wird einmal die Welt, unverändert fast, im stetigen Licht ihres Feiertags erscheinen, wenn sie nicht mehr unterm Gesetz der Arbeit steht, und dem Heimkehrenden die Pflicht leicht ist wie das Spiel in den Ferien war"(MM,S.144). - Vgl. auch L.Baeck, Das Wesen des Judentums, Wiesbaden o.J., S.2o3: "Reinheit und Freiheit in ihrer letzten Erfüllung, die große Versöhnung, das ist das ewige Leben. Der große Sabbat wird es darum genannt, ganz wie der Versöhnungstag, der Tag der völlig Sabbat ist und Ruhe des Lebens der Ewigkeit. Es ist der große Friede." - In diesem Zusammenhang sind auch auf die 'Geschichtsphilosophischen Thesen' von W.Benjamin und dessen 'Theologisch-politisches Fragment' zu verweisen. Benjamin hat darin die Kategorien Glück, Versöhnung und Untergang in Konstellation mit-

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mit der Wahrheit identisch bzw. kein Beweis seiner objektiven Wahrheit. "Ohne Hoffnung wäre die Idee der Wahrheit кашп nur zu denken, und es ist die kardinale Unwahrheit, das als schlecht erkannte Dasein für die Wahrheit auszu39) geben, nur weil es einmal erkannt ward." Nicht als ein Übergang vom Ort des Erkennens zu seinem andern stellt sich Wahrheit ein, sondern Adorno will am Ort des Erkennens, seiner Immanenz ausharren. Wie schon im Abschnitt über "Auschwitz als 'Sitz im Leben' des Erkennens" die Beschreibung des Orts der Wahrheit deutlich wurde, so sind es eben die der Niederlagen, des Pedestren. Mit dem Versuch, teppichartig Gedanken und Begriffe um solche Orte zu flechten, um das Licht der Wahrheit aufblitzen zu sehen, ist verbunden, daß dies nur geschieht, wo der Intensität des Denkens der sich in Distanz haltende Blick dazugesellt. "Der lange, kontemplative Blick jedoch, dem Menschen und Dinge erst sich entfalten, ist immer der, in dem der Drang zum Objekt gebrochen, reflektiert ist. Gewaltlose Betrachtung, von der alles Glück der Wahrheit kommt, ist gebunden daran, daß der Betrachten4o) de nicht das Objekt sich einverleibt: Nähe an Distanz." Sich am Ort der Wahrheit aufhalten, heißt, nicht damit versuchen , identisch zu werden.; dies wäre nicht nur parallel der identitätsphilosophischen Praxis, sondern zwangsläufig der Beginn von Verklärung bzw. Mythologisierung. Wahrheit kann deshalb für Adorno nicht in der traditionellen Bestimmung von adaequatio rei et intellectus aufgehen, sondern ist vielmehr die Affinität von 41 Subjekt und Objekt ) in der Selbstreflexion des Denkens. Solchermaßen gesehen ist dann Wahrheit kein unverliebares Gut, sondern vol1er Risiko und zerbrechlich. 42 ) 39) Adorno, MM,S.123f. 40) Ebda, S.111f. 41) Vgl. den Wahrheitsbegriff Adornos in der Auseinandersetzung mit Hegel (H, S. 49ff.). 42) Vgl. Adorno, ND,S.43: "Auf die Tröstung, Wahrheit sei unverliebbar, hat Philosophie zu verzichten. (...) Gegens Risiko des Abgleitens ins Beliebige ist der offene Gedanke ungeschützt; nichts verbrieft ihm, ob er hinlänglich mit der Sache sich gesättigt hat, um jenes Risiko zu überstehen."

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Was Kierkegaard v o n seiner eigenen Existenz im Gleichnis sagte: "Kleinlaut bin ich wie ein Schwa, eine schwache 43 ) und nichtige Existenz wie ein Dagesch lene..." für Adorno der Ausdruck von Wahrheit schlechthin.

, ist "Die

theologische Warheit aber wird v o n ihrer Chiffriertheit und Verstelltheit gerade garantiert, und der 'Zerfall' m i t den menschlichen Grundverhältnissen enthüllt sich als Geschichte von Wahrheit selber.

43) Kierkeggard, Entweder/Oder, Adorno, Kg, S.224). 44) Adorno, Kg, S.224.

I.Teil, S.19(zit. nach:

IV.

83 -

Gesellschaft und Kritik

1. W e n n im Kapitel über "Auschwitz als 'Sitz im Leben' der Erkenntnis" immer wieder auf das Unwesen als W e s e n der Gesellschaft hingewiesen wurde, so-müssen nun noch genauer die Prinzipien und Strukturen dessen, was A d o r n o unter Gesellschaft versteht, dargestellt werden. Dies muß vor allem deshalb geschehen, um einerseits noch stärker auf das Ineinander von geschichtsphilosophischen

, erkennt-

nistheor:>etischen und soziologischen Momenten im Denken Adornos zu verweisen, und um andererseits auf das spezifisch anthropologische bzw. naturgeschichtliche

Moment

aufmerksam zu machen, das alle Kritik Adornos motiviert: das Prinzip der

Selbsterhaltung.

Die folgenden Untersuchungen zeigen, daß durch die Darstellung der Kritik des geschichtlichen

Zerfallsprozesses

bürgerlicher Subjektivität und ihrer Identität in der v o n ihr selbst produzierten Gesellschaft, erst der Grund für d e n totalen Verblendungszusammenhang vollends d e u t l i c h wird. Der destruktive Charakter der radikalen

Gesellschafts-

kritik Adornos steht freilich in Konstellation zu der schon explizierten m e s s i a n i s c h e n Idee der Rettung.^' W e n n die Kritik d e m n a c h der gesellschaftlichen T o t a l i t ä t gilt, so ist dieser Begriff nicht m i t einer ontologischen Dignität ausgestattet. Als Vermittlung aller sozialen Fak2) ten unterscheidet sich die gesellschaftliche Totalität

1) Vgl. dazu die Anm.1o)s.u.S.42. 2) Zum Begriff der Totalität bei Adorno vgl. aus sozialwissenschaftlicher Sicht Chr. Beier, Zum Verhältnis von Gesellschaftstheorie und Erkenntnistheorie, Untersuchungen zum Totalitätsbegriff in der kritischen Theorie Adorno, Frankfurt 1977; Beier bestimmt die Bedeutungsdimension der Kategorie der Totalität bei Adorno zweifach: erstens soll die Gesellschaft "als System kennzeichnen, wobei der Systemcharakter von der Sache selbst herrührt"(a.a.O., S.67) und zweitens beansprucht sie "ein dialektisches Verhältnis durch einen selber nochmals dialektischen Zugang zur Sache selbst darzustellen" (S.68). Beier kommt d a n n zum Ergebnis, "daß das Ganze eigentlich ein philosophisches Ganze, einen Begriff (das Konkret-Allgemeine) im emphatischen Sinne meint. Auf dieser Ebene werden jedoch genuin gesellschaftstheoretische Fragestellungen verfehlt"(S.69).

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vom Begriff einer unendlichen Totalität in der traditionellen Metaphysik dadurch, daß sie "nicht unendlich ist, sondern, gerade vermöge ihres Systemcharakters, geschlossen, endlich, so wenig sie auch dingfest sich machen läßt. Waren die großen metaphysischen Kategorien Projektionen innerweltlicher gesellschaftlicher Erfahrung auf den seinerseits gesellschaftlich entsprungenen Geist, so behalten sie, einmal in die Gesellschaft zurückgeholt, nicht den Schein des Absoluten, den jene Projektion ihnen anschuf. Keine gesellschaftliche Erkenntnis darf sich anmaßen, des Unbedingten mächtig zu sein."^^ Adorno untersucht die Gesellschaft also nicht als absolute und abstrakte Größe, sondern im Gegenzug zur analytischen 4) Gesellschaftstheorie in ihrem Beziehungsgeflecht,um so eine Verflüssigung der gesellschaftstheoretischen Argumentation zu erreichen. Gesellschaft ist kein positiv gegebenes Objekt; sie wird nicht primär als wissenschaftliches Objekt behandelt, sondern auf die in ihr lebenden Subjekte rückbezogen, die ihrerseits Gesellschaft ständig bilden. Deshalb darf Soziologie auch nicht als eine Wissenschaft unter den andern betrachtet werden, denn "Soziologie hat Doppelcharakter: in ihr ist das Subjekt aller Erkenntnis, eben Gesellschaft, der Träger logischer Allgemeinheit, zugleich das Objekt. Subjekt ist Gesellschaft, weil sie auf die Menschen zurückverweist,· die sie bilden(...). Objektiv ist sie, weil auf Grund ihrer tragenden Struktur ihr die eigene Subjektivität nicht durchsichtig ist, weil sie kein Gesamtsubjekt hat und durch ihre Einrichtung dessen Instauration hintertreibt. Solcher Doppelcharakter aber modifiziert das Verhältnis sozialwissenschaftlicher Erkenntnis 3) Adorno, u.a. Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie, Neuwied/Berlin 1972, S.48f. 4) Vgl. dazu die Auseinandersetzungen auf der Tübinger Arbeitstagung der deutschen Gesellschaft für Soziologie im Jahre 1961, die in dem Band "Der Positivismusstreit ..." gesammelt sind. Vgl. die Deutung von F.Grenz, Adornos Philosophie in Grundbegriffen, S.17ff.

- 35 zu ihrem Objekt, und davon nimmt der Positivismus keine Notiz. 2. Gesellschaft ist also nach Adorno wesentlich ein Prozeß und dieser Prozeß "zehrt davon, daß die Menschen dem, was ihnen angetan wird, auch ihr Leben verdanken."^^ Damit ist schon angedeutet, daß im Prinzip des Austausches zwischen den beiden Polen Individuum und Gesellschaft das Prinzip gesellschaftlicher Synthesis zu finden ist, denn in der "Reduktion der Menschen auf Agenten und Träger des Warentausches versteckt sich die Herrschaft von Menschen über M e n s c h e n . I s t damit die Gesellschaft einerseits als Funktionsbegriff ausgewiesen, so kann die Erkenntnis dessen, was sie in ihrer geschichtlichen Genesis ausmacht, anderrerseits nur durch die Funktionen des Individuums - des Tauschs und der Herrschaft - für dieses funktionale Ganze beschrieben werden. Es ist nun interessant, daß Adorno das Ineinander von Individuum und Gesellschaft anhand der mythischen Figur des 8) Odysseus zur Sprache bringt. Dieser Mythos wird zum Modell, um die gesellschaftliche Totalität als von Menschen gemachte in ihrem Herrschaftscharakter deutlich zu machen. Adorno veranschaulicht anhand der Irrfahrten des Odysseus und seiner Abenteuer die Selbstkonstitution der Subjektivität in ihren psychologischen, anthropologischen und soziologischen Momenten. Odysseus ist das "Urbild eben des bürgerlichen Individuums, dessen Begriff in jener einheitlichen der Selbstbehauptung entspringt, deren vorweltliches 9 ) Die Muster Umgetriebene abgibt." listige und opfer5) Adorno, Einleitung, in: Der Positivismusstreit ...,S.43. 6) Adorno, GS 8,S.18. 7) Ebda, S.14. - Zum zentralen Begriff des Tauschs in Adornos Gesellschaftstheorie vgl. bes. J.F.Schmucker, Adorno - Looik des Zerfalls, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977, S.46ff. 8) Vgl. dazu den Exkurs I 'Odysseus oder Mythos und Aufklärung', in: DA,S.42ff.; dazu Schmucker a.a.O., S.17ff. 9) Horkheimer/Adorno, DA,S.42. - Der Einfachheit halber steht für die folgenden Ausführungen zu der "Dialektik der Aufklärung" nur der Name Adornos, zumal der Satz

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volle Selbstbehauptung des Odysseus ist der Sieg abendländischer Zivilisation. Was später dann Spinoza^°' auf den Begriff brachte, was in allen Kriegen seine wahnsinnigen Triumphe feierte, ist schon zu Zeiten Homers geronnene Erfahrung. Wie die Menschen notwendigerweise durch Herrschaft Natur bezwangen und ihr Selbst, ihre Identität konstituierten, so können sie ihrer gewalttätigen Sozialisationsgeschichte nicht mehr entrinnen, sondern müssen Gewalt und Herrschaft ständig als ihr eigenstes Werk erneuern. Die zerstörerische Gewalt der Natur, die die Autonomie des Selbst immer wieder mit Vernichtung bedroht, kehrt wieder in der täglichen Anstrengung des S e l b s t ^ s o l c h e r Vernichtung zu entgehen. Selbsterhaltung ist Resultat und Verstrickung mit der Naturgeschichte und als Notwendigkeit immer zugleich auch gewalttätig gegen sich selbst gerichtet, denn es impliziert Selbstverleugnung und Selbstverstümmelung.

im Vorwort zur Neuausgabe "kein Außenstehender wird leicht sich vorstellen, in welchem Maß wir beide für jeden Satz verantwortlich sind. Große Abschnitte haben wir zusammen diktiert"(S.IX), dazu auch die sachliche Grundlage liefert. Zum Verhältnis von Adorno zu Horkheimer, deren Freundschaft ins Jahr 1922 datiert - "Adorno hatte Horkheimer 1922 in einem Seminar über Husserl kennengelernt, das Hans Cornelius damals hielt"(M.Jay, a.a.O., S.42) hat W.Post auf gewisse Differenzen zwischen Adorno und dem Spätwerk Horkheimers aufmerksam gemacht, indem er Horkheimer "eine allen rationalen Rechtfertigungen bewußt trotzende metaphysische Sehnsucht nach einem absolut Anderen zur Wirklichkeit, bei dem einzig die Postulate der Vernunft noch aufgehoben sein könnten" (W.P., Kritische Theorie und metaphysischer Pessimismus, München 1971, S.14) unterstellt. Eine hier nicht zu leistende genauere Untersuchung des Verhältnisses beider Philosophen zueinander müßte vor allem auf die unterschiedliche Funktion der Ästhetik im jeweiligen Werk eingehen. 10) Vgl. Horkheimer/Adorno, DA,S.29f.: "Der Satz des Spinoza 'Conatus sese conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum'(Spinoza, Ethik, IV, 22.prop. Coroll.) enthält die wahre Maxime aller westlichen Zivilisation in der die religiösen und philosophischen Differenzen des Bürgertums zur Ruhe kommen." 11) Vgl. ebda, S.33.

- 87 12 ) Opfer und Herrschaft sind unausweichlich aneinandergekoppelt bzw. es ist die eigentümliche Dialektik menschlicher Selbstkonstitution, daß die "Menschen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben, bezahlen."^^^ Der NaturZusammenhang, gekennzeichnet für Adorno durch Gewalt und Herrschaft, setzt sich also so in Thoerie und Praxis des Subjekts fort, daß das Selbst unter dem fortwährendem Zwang seiner selbst steht: sich dem Naturzwang zu entziehen, um sich so zu erhalten und zu behaupten. Der Kampf nach außen ist zugleich der im Selbst und gegen dies und wie die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur nicht die Tat des Einzelnen, sondern gesellschaftlich verfaßt ist, so ist der M^achtkampf der Vielen der der Klassen und ihrer Unterdrückungsgeschichte. Die Menschen können deshalb weder mit sich selbst identisch noch im ganzen frei sein. Damit steht für Adorno der strukturelle Zusammenhang

12) Diese Konstellation ergibt sich für Adorno aus dem Doppelcharakter des Opfers selbst: Selbstpreisgabe und Selbstbehauptung. Modell dafür ist das homerische Gastgeschenk, das die Mitte hält "zwischen Tausch und Opfer"(DA,S.46). Das somit in der Opferhandlung enthaltene rationale Moment ist das des Tausches bzw. das der listigen Vernunft. "Ist der Tausch die Säkularisierung des Opfers, so erscheint dieses selber schon wie das magische Schema rationalen Tausches, eine Veranstaltung der Menschen, die Götter zu beherrschen, die gestürzt werden gerade durch das System der ihnen widerfahrenden Ehrung"(DA,S.47). Der Betrug an den Göttern oder an den Gastgebern zugunsten der Selbsterhaltung schlägt jedoch nach Adorno auf den Opfernden bzw. den Betrüger zurück: es wird zum Selbstbetrug an sich und den Mitmenschen, Herrschaft. Die Verleugnung der Natur im Menschen - beispielhaft in den Maßnahmen ersichtlich, die von Odysseus getroffen werden, um an den Sirenen vorbeizukommen, wird "bezahlt um der Herrschaft über die außermenschliche Natur und über andere Menschen willen. Eben dise Verleugnung, der Kern aller zivilisatorischen Rationalität, ist die Zelle der fortwuchernden mythischen Irrationalität: mit der Verleugnung der Natur im Menschen wird nicht bloß das Telos der auswendigen Naturbeherrschung sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig"(DA,S.51). 13) Horkheimer/Adorno, DA,S.12.

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von menschlicher Herrschaft über die Natur und immanent den gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen fest. Zu fragen, was die Ursache dessen ist, was Hobbes dann den 14 ) "bellum omnium in omnes" nannte, hieße nur die Methode des Bestimmens im Begrifflichen anwenden. Aus dem Zirkel von Selbstbehauptung und Naturbeherrschung ist nicht zu e n t k o m m e n ^ u n d die Suche nach einer Ursache ist nur der Versuch, die Selbstbehauptung zu entschuldigen. Wie sehr somit auch der Prozeß des Immergleichen in der Naturgeschichte von Individuum und Gesellschaft vorherrscht als Bann, als VerblendungsZusammenhang, als Ideologie^^^, so sehr ist trotzdem gegen ihn anzugehen, ihn zu kritisieren. Den Widerstand gegen diese gesellschaftliche Totalität setzt Adorno nun freilich nicht in der Diskussion geschichtsphilosophischer Konzeptionen an, sondern in der kritischen Beschreibung des Einzelnen innerhalb des Allgemeinen. 3. Wie funktionieren nun die einzelnen Individuen im Räderwerk des Ganzen? Um diese Frage zu beantworten, sei auf ein längeres Zitat aus der 'Dialektik der Aufklärung' verwiesen. "Durch die Vermittlung der totalen, alle Beziehungen und Regungen erfassenden Gesellschaft hindurch werden die Menschen zu eben dem wieder gemacht, wogegen sich das Entwicklungsgesetz der Gesellschaft, das Prinzip des Selbst gekehrt hatte: zu bloßen G.attungswesen, einander gleich durch Isolierung, in der zwangshaft gelenkten Kollektivität.

14) Th.Hobbes, Elementa philosophica, pars III, De cive, Amsterdam, deutsch in: Th.Hobbes, Vom Menschen, Vom Bürger, Hamburg 1959, S.69. 15) Vgl. Adorno, ND,S.346f.: "Menschliche Geschichte, die fortschreitende Naturbeherrschung, setzt die bewußtlose der Natur, Fressen und Gefressenwerden fort." 16) Mit diesen drei Begriffen bezeichnet Adorno abwechselnd den Zirkel von Selbstbehauptung und Naturbeherrschung, vgl. ND,S. 335-341 ; besonders charakteristisch sind folgende Sätze: "Nach wie vor stehen die Menschen, die Einzelsubjekte unter einem Bann. Er ist die subjektive Gestalt des Weltgeistes, die dessen Primat über den auswendigen Lebensprozeß inwendig verstärkt. Wogegen sie nicht ankönnen, und was sie selber negiert, dazu werden sie selber."

89 Die Ruderer, die nicht zueinander sprechen können, sind einer wie der andere im gleichen Takt eingespannt wie der moderne Arbeiter in der Fabrik, im Kino und im Kollektiv. Die konkreten Arbeitsbedingungen in der Gesellschaft erzwingen den Konformismus und nicht die bewußten Beeinflussungen, welche zusätzlich die unterdrückten Menschen dumm machten und von der Wahrheit abzögen. Die Ohnmacht der Arbeiter ist nicht bloß eine Finte der Herrschenden, sondern die logische Konsequenz der Industriegesellschaft, in die das antike Fatum unter der Anstrengung, ihm zu entgehen, sich schließlich gewandelt hat."^"^^ In diesem Gehege der Funktionen, in dem die einstige Differenz von 'Herr und Knecht' scheinbar aufgelöst ist, weil jeder ersetzbar geworden ist, ein "Bestandstück der Maschi18) nerie" , heißt überleben, sich notwendigerweise affirmativ an die gesellschaftliche Totalität anzupassen. Die Funktionen, die die einzelnen erfüllen, sind unter den Bedingungen des Systems nicht mehr geprägt von denen, die sie erfüllen, sondern umgekehrt: die nötigen Funktionen bestimmen die Individuen. Nicht mehr das, was dem Einzelnen als eigene menschliche Bestimmung vor Augen steht, bestimmt die Existenz, sondern die Lücken, die offenen Stellen, 19) jobs , die den Unterhalt gewähren. Durch die verdinglichte Gestalt der gesellschaftlichen Totalität ist dem, was bisher vielleicht die Gestalt der Subjektivität ausmachte: Selbstverantwortung und Vorblick^°' der Boden entzogen. Die Übermacht des negativen Ganzen 17) Horkheimer/Adorno, DA,S.36. 18) Adorno, GS 8,S.451 . 19) Vgl. ebda, S.16: "Jeder fast kann an sich erfahren, daß er seine gesellschaftliche Existenz kaum mehr aus eigener Initiative bestimmt, sondern nach Lücken, offenen Stellen, jobs suchen muß, die ihm den Unterhalt gewähren, ohne Rücksicht auf das , was ihm als seine eigene menschliche Bestimmung vor Augen steht, wenn anders er von einer solchen noch etwas ahnt." 20) Vgl. ebda, S.45off.

- 9o zwingt zu Verhaltensweisen des Durchschlupfens, ja Adorno 21 )

spricht von "Reaktionen von Lurchen" , die dank der herrschenden Ideologie für Leben gehalten werden. "Der mythische Bann hat sich säkularisiert zum fugenlos ineinandergepaßten Wirklichen. Das Realitätsprinzip, dem die Klugen folgen, um darin zu überleben, fängt sie als böser Zauber ein; sie sind desto weniger fähig und willens, die Last abzuschütteln, als der Zauber sie ihnen verbirgt: sie halten sie für das Leben. Metapsychologisch trifft die Rede von Regression zu."^^' Das Selbst wird in seinem gesellschaftlichen Strukturzusaramenhang, der die Einzelnen zur puren Selbsterhaltung dressiert wie gleichzeitig die Erhaltung des Selbst ihnen verweigert, historisch überholt. Was über die Jahrtausende der Entwicklungsgeschichte der Menschen hindurch das Selbst in immenser Anstrenung um seiner Erhaltung und Zivilisation geschaffen und sich angeeignet hat, greift nun auf es selbst über und zerstört es in der Anonymität eines schicksalhaft bedrohlichen Ganzen. Die Momente von Opfer und listiger Vernunft, allemal mit gewalttätigem Handeln verbunden, verselbständigen sich und wenden sich gegen das Selbst. Das aber heißt, auch die menschlichen Tugenden werden dem gegenwärtigen System angepaßt. "Die Eigenschaften, von der echten Freundlichkeit bis z\im hysterischen Wutanfall, werden bedienbar, bis sie schließlich ganz in ihrem situationsgerechten Einsatz aufgehen.(...) Sie bleiben nur noch als leichte, starre und leere Hülsen von Regungen zurück, beliebig transportabler Stoff, eigenen Zuges bar. (...) Das ist die gesellschaftliche Pathogenese der Schizophrenie. 21) Adorno, GS 8,S.2o2. 22) Adorno, ND,S.339. 23) Adorno, MM,S.3o9f. Gerade das Verhalten der Menschen unter dem Nationalsozialismus wie angesichts der derzeitigen wahnwitzigen Rüstungsanstrengungen ist für Adorno die Bestätigung dafür, daß "Schizophrenie die geschichtsphilosophische Wahrheit übers Subjekt"(ND, S.275) ist.

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Auch die geistigen und kulturellen Bedürfnisse sind in24 ) zwischen in sicherer Hand der Kulturindustrie . Mit diesem zum Schlagwcrt gewordenen Begriff versuchten Horkheimer und Adorno schon in der'Dialektik der Aufklärung', die Selbstaffirmation der in sich geschlossenen industriellen Gesellschaft zu beschreiben: das Profitmotiv wird nach Adorno blank auf die geistigen Gebilde übertragen. So endet heute für Adorno die Naturgeschichte bürgerlicher Subjektivität in der blinden Herrschaft der gesellschaftlichen Totalität übers Subjekt. Die Gefahr, daß solch kritische Analyse gesellschaftlich verfaßten Lebens die Hypostasierung der Entwicklungsgeschichte der Menschen zur Katastrophenperspektive sich ausweitet oder in einer Kon- 25) zeption von geschichtlichen Invarianten endet, ist groß. Adorno ist dieser Gefahr zumindest in manchen Passagen seiner soziologischen Arbeiten, mehr noch in manchen Aphorismen seiner 'Minima Moralia' nicht ganz entgangen; dies verweist seinerseits nur wieder auf die apokalyptische Färbung seiner Geschichtsphilosophie bzw. die Übernahme 24) Vgl. Horkheimer/Adorno, DA,S.127: "Das Prinzip gebietet dem Konsumenten zwar alle Bedürfnisse als von der Kulturindustrie erfüllbare vorzustellen, auf der anderen Seite aber diese Bedürfnisse vorweg so einzurichten, daß er in ihnen sich selbst nur noch als ewigen Konsiimenten, als Objekt der Kulturindustrie erfährt. Nicht bloß redet sie ihm ein, ihr Betrug wäre die Befriedigung, sondern sie bedeutet ihm darüber hinaus, daß er, sei's wie es sei, mit dem Gebotenen sich abfinden müsse. Mit der Flucht aus dem Alltag, welche die gesamte Kulturindustrie in allen ihren Zweigen zu besorgen verspricht, ist es bestellt wie mit der Entführung der Tochter im amerikanischen Witzblatt: der Vater selbst hält im Dunkeln die Leiter. Kulturindustrie bietet als Paradies denselben Alltag wieder an. Escape wie elopement sind von vornherein dazu bestimmt, zum Ausgangspunkt zurückzuführen. Das Vergnügen befördert die Resignation, die sich in ihm vergessen will." Vgl. dazu J.F.Schmucker, a.a.O., S.SIff. 25) Wohl durch die Erfahrung von 'Auschwitz'wie im Rahmen der jüdischen Messiashoffnung, die vor dem Heil eine Zeit der Not und Katastrophen annimmt(vgl. Schalom Ben Chorin, a.a.O., S.294), ist auch, für Adorno die Konstellation von Unheil-Erlösung bestimmend.

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messianischer Motive aus Benjamins Geschichtsphilosophie.^^^ Doch gerade im Vorwort zu den'Minima Moralia' reflektiert Adorno über die Problematik solcher fatalen geschichtsphilosophischen Perspektiven. "Es bleibt so viel Falsches bei Betrachtungen, die vom Subjekt ausgehen, wie das Leben Schein ward. Denn weil in der gegenwärtigen Phase der geschichtlichen Bewegung deren überwältigende Objektivität einzig erst in der Auflösung des Subjekts besteht, ohne daß ein neues schon aus ihr entsprungen wäre, stützt die individuelle Erfahrung notwendig sich auf das alte Subjekt, das historisch verurteilte, das für sich noch ist, aber nicht mehr an sich. (...) Die Treue zum eigenen Stand von Bewußtsein und Erfahrung ist allemal in Versuchung, zur Treulosigkeit zu mißraten, indem sie die Einsicht verleugnet, welche übers Individuum hinausgreift und dessen Substanz selber beim Namen ruft."^^^ So radikal die Kritik gesellschaftlicher Totalität bei Adorno ist, so emphatisch setzt er die Hoffnung auf das Andere der Rettung. In der äußersten Aporie der Konstellation von Gesellschaft und Individuum setzt Adorno kontrapunktisch den Funken der Hoffnung, wobei dieses 'Setzen' nicht der willkürliche oder verzweifelte Sprung in den Glauben ist, sondern aus dem Potential des geschichtlich 28) Gewordenen seine Kraft nimmt. Auch in der Zerfallsge26) Vgl. Schalom Ben-Chorin, a.a.O., S.289: "Geschichtsphilosophie und Eschatologie sind im Judentum ineinandergehende Größen, viel mehr als im Christentum, wo der theologische Bereich an sich klarer vom philosophischen abgehoben erscheint." 27) Adorno, MM,S.S. 28) Dabei muß die für Adorno so wichtige Funktion der Tradition, die gerade auch die der Idee der 'Rettung 'zum Tragen bringt, betont werden. "Die Tradition nicht vergessen und ihr doch nicht sich anpassen, heißt, sie mit dem einmal erreichten Stand des Bewußtseins, dem fortgeschrittensten, konfrontieren und fragen, was trägt und was nicht. Es gibt keinen ewigen Vorrat, kein auch nur in der Idee noch denkbares deutsches Lesebuch. Wohl aber eine Beziehung zur Vergangenheit, die nicht konserviert, doch manchem durch Unbestechlichkeit zum Überleben verhilft"(OL,S.35).

- 93 schichte des bürgerlichen Subjekts und unter den Bedingungen der Naturwüchsigkeit der Gesellschaft zeigen sich für Adorno noch die Chiffren menschlicher Freiheit, freilich nicht rein, sondern nur als Schein, "gebrochen durchs Ver29) gänglichste hindurch." Dies Andere, das Potential der Hoffnung, das Adorno in der Negativen Dialektik in der Auseinandersetzung mit Kants Lehre vom 'intelligiblen Charakter'entfaltet, will daran erinnern, daß die Menschen mehr sind, als sie sind. Dem kritischen Impuls ist gleichsam so ein soteriologischer in der Denkpraxis Adornos konfiguriert. Diese Konstellation im Blick, sollen nun die entscheidenden Momente von Adornos Kritikbegriff referiert werden. 4. Der Hinweis auf die Idee der Rettung in den soziologischen und geschichtsphilosophischen Konstellationen der uenkpraxis Adornos darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kritik der zentrale Begriff für Adorno ist. Kritik steht bei ihm für Vernunft und die Bewegung negativer Dialektik überhaupt. "Wenig übertreibt, wer den neuzeitlichen Begriff der Vernunft mit Kritik g l e i c h s e t z t . ^ Damit ist - philosophiegeschichtlich geurteilt - die Nähe Adornos zu Kant und Marx angezeigt. Die'Kritik der reinen Vernunft' wie > · 32) die der 'politischen Ökonomie' sind neben der 'bestimmten Negation' Hegels^^^ die Konstellationen, in deren Spannungsfeld Adorno seine negative Dialektik als Gesellschafts- und Erkenntniskritik betreibt. 29) Adorno, ND,S.351. 30) Vgl. Adorno, ND,S.25off;281ff. "Daß Vernunft ein anderes als Natur und doch ein Moment von dieser sei, ist ihre zu ihrer immanenten Bestimmung gewordene Vorgeschichte. Naturhaft ist sie als die zu Zwecken der Selbsterhaltung abgezweigte psychische Kraft; einmal aber abgespalten und der Natur kontrastiert, wird sie auch zu deren Anderem. Dieser ephemer entragend, ist Vernunft mit Natur identisch und nichtidentisch, dialektisch ihrem eigenen Begriff nach"(ND,S.283). 31) Adorno, К,S.11. 32) Karl Marx' Hauptwerk 'Das Kapital' trägt bekanntlich den Untertitel"Kritik der politischen Ökonomie". 33) Vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Theorie WA Bd.5, S.49.

_ 94 Dabei richtet sich Adornos Kritik gegen diese philosophische Tradition, ohne jedoch zu vergessen, daß "keine Frage nur gefragt werden könnte., in der Wissen vom Vergangenen 34 ) nicht aufbewahrt wäre und weiterdrängte." Der Maßstab der Kritik Adornos richtet sich auf Freiheit aus und hat damit seine Bestimmung von seiner geschichtsphilosophischen Intention;^^^ wie sie von daher auch ihre Schärfe hat. Das diese Momente unterstützende ist das des Widerspruchs zwischen dem Begriff von Freiheit und seiner bisherigen geschichtlichen Verwirklichung. Daher will "das Pdrential von Freiheit Kritik auch an dem, was seine zwangsläufige Formalisierung aus ihm machte."^®' Wenn kritisches Verhalten bei Adorno aus gesellschaftlichen bzw. naturgeschichtlichen und geschichtsphilosophischen Momenten gespeist wird, so ist es verständlich, daß sowohl sein Interesse an konstruktiver Gesellschaftskritik wie das an traditioneller Hermeneutik, wie sie vor allem H.G.Gadamer vertreten hat, gering ist. Konstruktive 34) Adorno, ND,S.61. 35) Wie sehr auch Horkheimers Kritische Theorie Kritik in der Konstellation mit dem Ziel der Himanität betreibt, zeigen folgende Sätze aus Horkheimers programmatischem Aufsatz 'Traditionelle und kritische Theorie', in: Kritische Theorie, Bd.II, S.19o: "Die kritische Theorie hat bei aller Einsichtigkeit der einzelnen Schritte und der Übereinstimmung ihrer Elemente mit den fortgeschrittensten traditionellen Theorien keine spezifische Instanz für sich als das mit ihr selbst verknüpfte Interesse an der Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts. (...) An der Existenz des kritischen Verhaltens, das freilich Elemente der traditionellen Theorien und dieser vergehenden Kultur überhaupt in sich birgt, hängt heute die Zukunft der Humanität." 36) Adorno, ND,S.152. 37) Deutlich wird die durchaus andere Intention Gadamers in seiner WErtung der Tradition. So schreibt Gadamer: "In Wahrheit ist die Tradition stets ein Moment der Freiheit und Geschichte selber. Auch die echteste, gediegenste Tradition vollzieht sich nicht naturhaft dank der Beharrungskraft dessen, was einmal da ist, sondern bedarf der Bejahung, der Ergreifung und der Pflege. Sie ist ihrem Wesen nach Bewahrung, wie solche in allem geschichtlichen Wandel mit tätig ist"(Wahrheit und Methode, Tübingen 1975, S.265f.).

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Kritik lehnt Adorno ab, weil er meint, sie werde von den bestehenden gesellschaftlichen Manipulationsmechanismen zur Affirmation des Bestehenden umgemünzt. "Stets wieder findet man dem Wort Kritik, wenn es denn durchaus toleriert werden soll, oder wenn man gar selber kritisch agiert, das Wort konstruktiv beigesellt. Unterstellt wird, daß nur der Kritik üben könne, der etwas Besseres anstelle des Kritisierten vorzuschalgen habe; in der Ästhetik hat Leasing vor zweihundert Jahren darüber gespottet. Durch die Auflage des Positiven wird Kritik von vornherein gezähmt 38 ) und um ihre Vehemenz gebracht." Und die hermeneutische Philosophie steht für Adorno unter dem Bann der Philosophie Hegels, die Identität für ihr oberstes Ziel hält.^^^ Die Ablehnung konstruktiver Kritik seitens Adorno ist Teil jenes viel kritisierten Verhältnisses Adornos zur Praxis, verstanden als einer Anleitung zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Auf dieses Verhältnis von Theorie und Praxis bei Adorno ist deshalb noch kurz einzugehen, weil es indirekt Licht auf dessen ' soteriologische' und anthropologische Haltung wirft. 5. Adornos Bemühen, kritische Theorie und rettende Praxis denkend zu vermitteln, ist sich des Standes innerhalb des objektiven Verblendungszusammenhangs, nicht bereits diesem entronnen, immer bewußt. "Daß an Erkenntnis, deren mögliche Beziehung auf verändernde Praxis zumindest temporär gelähmt ist, auch in sich kein Segen sei, dafür spricht vieles. Praxis wird aufgeschoben und kann nicht warten; 38) Adorno, K, S.18. 39) Vgl. Adorno, H,S.164: "Bei allem Nachdruck auf Negativität, Entzweiung, Nichtidentität kennt Hegel deren Dimension eigentlich nur um der Identität willen, nur als deren Instrument. Die Nichtidentitäten werden schwer betont, aber gerade wegen ihren extremen spekulativen Belastung nicht anerkannt . Wie in einem gigantischen Kreditsystem sei jedes Einzelne ans andere verschuldet - nichtidentisch -, das Ganze jedoch schuldenfrei, identisch. Darin begeht die idealistische Dialektik ihren Trugschluß."

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daran krankt auch Theorie. Wer jedoch nichts tun kann, ohne daß es, auch wenn es das Bessere will, zum Schlechten auszuschlagen droht, wird zum Denken verhalten; das ist seine Rechtfertigung und die des Glücks am Geiste. Dessen Horizont muß keineswegs der einer durchsichtigen Beziehung auf später mögliche Praxis sein. Vertagendes Denken über Praxis hat allemal etwas Ungemäßes, auch wenn es aus nacktem Zwang sie aufschiebt. Leicht wird jedoch alles verderben, wer sein Denken durchs cui bono gängelt. (...) Das Verzweifelte, daß die Praxis, auf die es ankäme verstellt ist, gewährt paradox die Atempause zum Denken, die nicht zu nutzen praktischer Frevel wäre. Dem Denken kommt heute ironisch zugute, daß man seinen eigenen Begriff nicht verabsolutieren darf: es bleibt, als Verhalten, ein Stück Praxis, sei diese auch sich selbst noch so sehr verborgen. Ich habe dieses ausführliche Zitat eingeschoben, um zu zeigen, wie Adorno sein Tun zu rechtfertigen versucht. Abwegig also das Verständnis, Adorno behaupte für seine Negative Dialektik dieselbe praktische Evidenz und Geltung wie Marx für seine Kritik der Politischen Ökonomie. Adorno schließt aus dem Scheitern der einst erhofften proletarischen Revolution nicht nur auf die geschichtliche Sanktionierung und die Reproduktion derselben Qualität von Herrschaft, der schon Marx konfrontiert war, sondern auch auf die Mängel der Marxschen Kritik am abstrakten Prinzip gewaltsamer Identifizierungen(Hegel), das sowohl von der frühkapitalistischen Gesellschaft als auch von der Transzendentalphilosophie behauptet wurde. Adorno moniert daher durchgängig, daß die idealistische Konzeption des reinen Denkens und des absoluten Geistes, der verselbständigten Subjektivität, sowohl als Potential der Selbstkritik von Herrschaft als auch mangelhaft, von Marx, kritisiert wurde. Negative Dialektik als vor allem immanente aber auch transzendierende Kritik der Unterschlagung des Nichtidentischen will das Versäumte nachholen. Bevor wieder vorschnell etwas

4o) Adorno, ND,S.24of.

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v o m K o p f auf die Füße g e s t e l l t w e r d e n soll, um die W e l t zu v e r ä n d e r n , w i l l A d o r n o die v o r h u n d e r t d r e i ß i g J a h r e n t e r b r o c h e n e K r i t i k der P h i l o s o p h i e K a n t s u n d H e g e l s sophisch-kritischer

im S i n n e n e g a t i v e r D i a l e k t i k

un-

philo-

durchfüh-

ren. D i e F r a g e n a c h d e r M ö g l i c h k e i t v o n p r a k t i s c h e r

Theorie

ist als S p i t z e g e g e n A d o r n o d e s h a l b u n a n g e m e s s e n , w e i l

diese

M ö g l i c h k e i t für A d o r n o d e r z e i t v e r s t e l l t ist. N a c h ihm m u ß mit der philosopischen und begrifflichen Entlarvung

der

T h e o r i e , die f r e i l i c h a l l e m a l m i t g e s e l l s c h a f t l i c h e n u n d g e s c h i c h t l i c h e n M o m e n t e n g e s ä t t i g t u n d in d e r die

Vermittlung

v o n H e r r s c h a f t u n d F r e i h e i t b i s h e r g e s c h e i t e r t ist,

begonnen

werden. D e r T h e s e v o m P r i m a t d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t , die v o n K a n t g e r a d e w e g s zu M a r x führt, hält A d o r n o e n t g e g e n :

"Die D i a -

l e k t i k v o n P r a x i s v e r l a n g t e auch: P r a x i s , P r o d u k t i o n u m der Produktion willen, universales Deckbild einer falschen, 41 ) zuschaffen."

Da n a c h A d o r n o e i n e r e t t e n d e P r a x i s

ab-

neue

u n d a n d e r e E r f a h r u n g e n b r a u c h t e a l s sie d e r z e i t zu m a c h e n sind, e n t s t e h t die v e r z w e i f e l t e A p o r i e , die für A d o r n o

nur

so zu lösen ist, d a ß er bei e i n e m D e n k e n b e h a r r t , d a s u m seine ' K r a n k h e i t ' , s e i n e n W i d e r s p r u c h , u n d d a m i t u m seine B e s c h r ä n k u n g

sein

Nichtidentisches

weiß.

In s e i n e m A u f s a t z v o n 1962 " W o z u n o c h P h i l o s o p h i e ? "

h e i ß t es

d a z u : "Die u n g e m i n d e r t e D a u e r v o n L e i d e n , A n g s t u n d D r o h u n g n ö t i g t den G e d a n k e n , d e r sich n i c h t v e r w i r k l i c h e n

durfte,

d a z u , n i c h t sich w e g z u w e r f e n . N a c h d e m v e r s ä u m t e n

Augenblick

h ä t t e o h n e B e s c h w i c h t i g u n g er zu e r k e n n e n , w a r u m die W e l t , d i e jetzt, h i e r das P a r a d i e s s e i n k ö n n t e , m o r g e n zur H ö l l e w e r d e n kann. S o l c h e E r k e n n t n i s w ä r e ja w o h l

Philosophie.

Sie a b z u s c h a f f e n u m e i n e r P r a x i s w i l l e n , die z u d i e s e r

Stunde

unweigerlich eben den Zustand verewigte, dessen Kritik

Sache

der Philosophie

ist, w a r e a n a c h r o n i s t i s c h . P r a x i s ,

die Herstellung einer vernünftigen und mündigen

welche

Menschheit

b e z w e c k t e , v e r h a r r t im B a n n des U n h e i l s 42 o h)n e eine d a s G a n z e in s e i n e r U n w a h r h e i t d e n k e n d e T h e o r i e . "

41) A d o r n o ,

ND,S.38o.

42) A d o r n o , E,

S.24.

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98 -

Somit ist Adornos Denkpraxis zu verstehen als "Statthalter 43 ) der Freiheit" und sie kann sich für das unterdrückte und ersehnte Andere in den gesellschaftlichen Verhältnissen nur so einsetzen, daß sie sich gegenüber der andrängenden Realität verweigert; das ist ihre hinzunehmende Krankheit und Ohnmacht. Medium solcher Denkpraxis ist die Kunst, denn diese ist in ihrer zerbrechlichen Konstitution ebenfalls Statthalter der Freiheit, mehr noch: der Versöhiung. Solche kritische Theorie, die ihre Kraft aus der Bewegung, die sie transzendiert, schöpft, darf sich nicht bei sich selbst beruhigen als wäre sie das Ganze, sie muß vielmehr in einer "letzten Bewegung sich noch gegen sich selbst 44 ) kehren." Solches Denken ist weder resignativ, noch Einübung auf vorbereitende revolutionäre Tat; sie ist das Einüben aufs überleben in einer theoretischen Wartestation, in der die mißachteten und vergessenen metaphysischen Be45) dürfnisse erinnert werden und überdauern sollen. In einem Aufsatz über Paul Valêrys Prosa hat Adorno diese Situation - deren soteriologische Assoziationen offen liegen - einmal formuliert: "Noch wer zum Äußersten geht, und vielleicht er am ehesten, arbeitet, unter höchst ungewissen Auspizien, an einem Vorrat, über den erst eine versöhnte Menschheit verfügte; was er tut, ist nicht aktuell, wie er vermeint, sondern möchte an besseren Tagen einmal erwachen. Kritik muß solche Hoffnung bei sich haben, um durchhalten zu können, denn nicht einzelne Probleme stehen immer schon 43) Vgl. Adorno, St, S.173. Ähnlich bestimmt Adorno den Künstler als "Statthalter des gesellschaftlichen Gesamtsubjekts", d.h. des ersehnten "richtigen Lebens der Menschen"(NL I,S.195). 44) Adorno, ND,S.395. 45) Die metaphysischen Bedürfnisse sind nach Adorno diejenigen nach Glück und Erlösung. Solange die gesellschaftlichen Verhältnisse die Menschen in ihrem Bann halten, "leben sie unterm Schleier der Maja"(ND,S.389) 46) Adorno, NL II,S.8o.

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99

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zur Debatte, sondern das Ganze. Das Nichtidentische in kritischer Reflexion gegen eine vereinnehmende Totalität und ihrer Ideologie zu wahren, heißt nicht, die Idee von Identität zu verwerfen. Gerade Adorno ersehnt die Einheit von Begriff und Sache wie die von Theorie und Praxis. Daß sie noch nie erreicht wurde und auch negative Dialektik an den verstörten Weltlauf gebunden bleibt, macht eben die Wahrheit dieser Identität noch zum Schein. Aus dem 47) Banne der Identitätsphilospphie und politisch verordneten Einheit von Theorie und Praxis hat auch Adorno erst den ersten Schritt zu ihrer wahren Einlösung getan.

47) Adorno, ND, S,148.

- loo V. EXKURS; Zur Dialektik von Musik und Philosophie 1. Die Strukturen der Denkpraxis Adornos nachzuzeichnen ohne auf sein Verhältnis zur Musik bzw. auf den Stellenwert dieser Kunstform für seine Philosophie aufmerksam zu machen, hieße nicht nur einen wesentlichen, wenn nicht sogar den wesentlichen Faktor seiner Philosophie übergangen zu haben, sondern auch einen möglichen Übergang von Philosophie zur Theologie nicht zu beachten.^' W.Gramer identifiziert^' in seiner Studie zur Musikästhetik Adornos Musik und Theologie und begründet dies mit folgenden Sätzen aus der 'Ästhetischen Theorie': "Das ästhetische Prinzip der Form ist an sich, durch Synthesis des Geformten, Setzung von Sinn, noch wo Sinn inhaltlich verworfen wird. Insofern bleibt Kunst, gleichgültig was sie will und sagt, Theologie; ihr Anspruch auf Wahrheit und ihre Affinität zum Unwahren sind eines. Ob diese Schlußfolgerung von Gramer aufgrund dieser Stelle berechtigt ist, mag vorläufig dahingestellt sein, wichtiger scheint mir die Konstellation von Kunstform, Sinn, Theologie und Wahrheit zu sein, die auf die Bedeutung der Musik und Philosophie bzw. Musik und Theologie für Adorno verweist.

1) Ich beschränke mich mit diesem Exkurs auf eine kurze Darstellung der Dialektik von Musik und Philosophie, d.h. ohne dies in seiner ganzen Differenzierung auszuführen. Vgl. zur Thematik W.Gramer, Musik und Verstehen, Eine Studie zur Musikästhetik Th.W.Adornos, Mainz 1976; M.Zenck, Kunst als begrifflose Erkenntnis, München 1977. 2) So schreibt Gramer, a.a.O., S.239: "Deshalb stellt Adorno fest, daß Musik Theologie ist und bleibt, gleichgültig, was sie will, und zwar deshalb, weil sie Einzelnes zum Ganzen formt und somit Sinn setzt -(Verweis auf ÄTH,S.4o3) - selbst in der Sinnlosigkeit. Das macht ja gerade ihre Macht und Ohnmacht aus. Sie kann dem realen Leid der Menschen in einer viel dichteren Sprache als der begrifflichen zum Ausdruck verhelfen, und sie kann es auch übertünchen. Dieses Schicksal teilt sie mit der Theologie." 3) Adorno, ÄTH,S.4o3.

- 1o1 Adornos besonderes Verhältnis zur Musik rührt her nicht 4) nur aus biographischer Prägung , sondern wohl ebensosehr, obwohl sich klare Grenzen hier kaum ziehen lassen, aus philosophischer Theorie. Das Ineinander von Musiker und Philosoph in der Biographie Adornos wird von ihm in seiner Ästhetischen Theorie zu der einer Dialektik von Musik und Philosophie. Als höchste Beispiele einer inneren Verwandtschaft dieser beiden Momente dienen ihm immer wieder Hegel und Beethoven. Beethoven verfahre "buchstäblich hegelisch" darin, daß bei "ihm die Totalität des Nichts zu einer des Seins sich bestimmt, nur eben als Schein, nicht mit dem Anspruch absoluter W a h r h e i t . U n d von Hegel behauptet 4) Adorno wurde in einer von musikalischer Kultur durchdrungenen Umwelt erzogen. Seine Mutter, Maria CalvelliAdorno, nach deren Mädchenname er nach dem Zweiten Welt krieg den seinen wählte, war eine gefeierte Sängerin. Mit einer großen Zahl bedeutender zeitgenössischer Musiker u.a. mit Schönberg, Webern, Berg, Eisler, Steuermann, Krenek als Vertreter der Wiener Schule; außerdem mit Strawinsky, Bartok, K.Weill, Boulez und К.H. Stockhausen war Adorno persönlich bekannt. Seine schriftstellerische Laufbahn begann er als Musikkritiker, Adorno selbst schreibt in dem schon eingangs erwähnten Brief zu Ehren von M.Horkheimer: "Ich aber war, nach Herkunft und früher Entwicklung, Künstler, Musiker" (Die ZEIT, 1 965/7,S.32). Zu Adornos eigenen musikalischen Kompositionen bemerkt neuerdings R.Tiedemann: "Die wenigen eigenen Kompositionen, die Adorno bis zuletzt genügten, sind zwischen 1923 und 1945 entstanden. (...) Adornos Kompositionen sind vor 1933 gelegentlich seit den fünfziger Jahren dann häufiger gespielt worden. Vor allem Carla Henius setzte sich für die Klavierzyklen ein, die den umfangreichsten Teil von Adornos kompositorischem oevre ausmachen. Daneben hat er Orchesterstücke, Kammermusik für Streicher und a capellaChöre geschrieben, schließlich auch Klavierstücke von Schumann für kleines Orchester instrumentiert und französische Volkslieder bearbeitet. Im Druck liegen lediglich die 'Sechs kurzen Orchesterstücke, op.4' vor, deren Partitur 1968 bei Ricordi in Mailand erschienen ist. Vom Rang der Adornoschen Kompositionen haben Musiker wie Ernst Krenek, R.Leibowitz und Dieter Schnebel auch literarisch Zeugnis abgelegt"(R.Tiedemann, Auch Narr! Auch Dichter! Nachwort zu Th.W.Adorno, Der Schatz des Indianer-Joe, Singspiel nach Mark Twain, Frankfurt 1979, S.12o). 5) Adorno, ÄTH,S.276.

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1o2

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Adorno, er "komponiert", seine Gedanken müsse man "mit dem spekulativen Ohr" mitspielen, "als wären sie Noten"^^. Was für Beethoven bzw. Hegel gilt, ist der Charakter der Philosophie überhaupt: "Ihr Schwebendes aber ist nichts anderes als der Ausdruck des Unausdrückbaren an ihr selber. Darin wahrhaft ist sie der Musik verschwistert. K.Oppens hat nun in Bezug auf die Adornosche Musikphilosophie gemeint, in "Adornos musikalischen Professionalismus, auf dem seine Überlegenheit allem bisherigen musikalisch-philosophischem Schrifttum gegenüber beruht, liegen auch seine Grenzen. Seine Philosophie ist eine des Kompog\ nierens eher als der Musik." Dieser Einwand dürfte jedoch wohl nur die "Philosophie der neuen Musik" treffen, hinsichtlich deren Adorno sich selbst den Vorwurf gemacht hat, zuweilen das musikalische Material "unabhängig von seiner Kristallisation 9 ) in den Werken selber, gleichsam abstrakt behandelt" zu haben. Die spätere Musikphilosophie Adornos ist weniger materialsüchtig und trägt dem, wenn auch von ihr als fragwürdig durchschauten, so doch nicht gänzlich aufhebbaren 'Ansichsein' der musikalischen Kunstwerke weit eher Rechnung. Wichtiger noch in diesem Zusammenhang ist der Rang, den Adorno der Musik zukommen läßt, und deshalb wohl auch anfechtbarer. In den Minima Moralia stellt Adorno eine Hierarchie der Künste auf: "Vielleicht ist der strenge und reine Begriff von Kunst überhaupt nur der Musik zu entnehmen, während große Dichtung und große Malerei - gerade die große - notwendig ein Stoffliches, den ästhetischen Bannkreis überschreitendes, nicht in die Autonomie der Form Aufgelöstes mit sich f ü h r t . D a s in die Form Aufgelöste ist für Adorno das Bildlose und so rührt die Dignität der Musik daher, daß sie dem theologischen Bilderverbot am striktesten von allen Künsten gehorcht und deshalb steht sie für Adorno an der Spitze. 6) Adorno, H,S.14o. 7) Adorno, ND,S.113. 8) K.Oppens, Zu den musikalischen Schriften Th.W.Adornos, in : ÜThWA,5.17. 9) Adorno, über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, S.2o. 10) Adorno, MM, S.298. 11) S.u.S.119f.

- 1o3 2. Mit dieser Auszeichnung der Musik als der 'größten der Künste' begibt sich Adorno in die Nähe Schopenhauers. Aber obwohl auch Adorno in der Interpretation einer Schönberg-Stelle Musik als Einspruch der Menschheit gegen den Mythos definiert]^¿bwohl Musik auch seiner Auffassung nach der Philosophie "in ihrer Idee unvergleichlich viel näher steht als jede andere Kunst"^^^, nennt er im Essay über die Kunst und die Künste' Schopenhauers von der Musik gekrönte 14) Hierarchie ebenso "unzulänglich" wie die von der Dichtung gekrönte Hegels; die Antipathie gegen jedes ein-fürallemal Bewertende ist bei Adorno letztlich stärker als die Liebe zur Vorrangstellung der Musik. In den Ästhetischen Theorie ist denn auch von der Vorrangigkeit der Musik gegenüber den anderen Künsten an keiner Stelle mehr direkt die Rede; daß von der "Musikähnlichkeit"^^^ aller Kunstwerke gesprochen wird, korrespondiert mit anderen Stellen, wo vom "Bildcharakter" der Werke und von der Sprachähnlichkeit der Kunst schlechthin geredet wird und illustriert nur die These Adornos, die Grenzen zwischen den Kunstgattungen würden sich heute mehr und mehr "verfransen"''^^ . Dennoch hält Adorno insgeheim der Musik den ersten Platz durchgängig in seinen Werken frei; Sätze wie "Musik plaudert aus der Schule aller K u n s t " v e r w e i s e n darauf. So ergibt sich die Konstellation, daß von einer Höherrangigkeit der Musik zwar nirgendwo in der Ästhetischen Theorie direkt die Rede ist, daß man dafür aber an sehr vielen Stellen, wo von "Kunst" ganz allgemein gesprochen wird, nicht von der Annahme loskommt, das versteckte Modell für den jeweiligen Satz habe die Musik vorgegeben. 12) Vgl. Adorno, Dissonanzen, S.II 4. 13) Adorno, Über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, S.lo. 14) Adorno, OL, S.172, 15) Adorno, ÄTH,S.124. 16) Ebda, S.271. 17) Ebda, S. 336.

- 1o4 Nicht nur den Kunstbegriff seiner Ästhetischen Theorie, sondern auch den Gehalt seiner Philosophie, seine geistigen Erfahrungen, hat Adorno in Konstellation mit musikalischen Erfahrungen zur Sprache gebracht, wobei die Dissonanz seine Grundmelodie geblieben ist. Adornos Denkpraxis ist gleichsam eine Komposition "musikalischer Logik, die stringente und doch begriffslose Kunst des Übergangs, um der redenden Sprache etwas zuzueignen, was sie unter der Herrschaft der diskursiven Logik einbüßte, die sich doch nicht überspringen, bloß in ihren eigenen Formen überli18) sten läßt kraft des eindringenden subjektiven Ausdrucks." Und in dem "Fragment über Musik und Sprache" versucht Adorno' die Affinität zur Theologie als die einer Nennung des göttlichen Namens zu deuten. "Gegenüber der meinenden Sprache ist Musik eine von ganz anderem Typus. In ihm liegt ihr theologischer Aspekt. Was sie sagt, ist als Erscheinendes bestimmt zugleich und verborgen. Ihre Idee ist die Gestalt des göttlichen Namens. Sie ist entmythologisiertes Gebet, befreit von der Magie des Einwirkens; der wie auch immer vergebliche menschliche Versuch, den Namen selber zu nennen, nicht Bedeutungen mitzuteilen," 1 9)

18) Adorno, NL I, S.46. 19) Adorno, GS 16, S.252.

- 1o5 В)

KONSTELLATIONEN

'INVERSER THEOLOGIE'

Im Dezember 1934 schrieb Adorno in einem Brief an Benjamin, daß er hinsichtlich der Kafka-Auslegung mit ihm in grosser Übereinstimmung stehe; Kafkas Werk sei "eine Photographie des irdischen Lebens aus der Perspektive des erlösten" ^^ und gerade deshalb sei die gegenseitige Ubereinstimmung auch in "einem sehr prinzipiellen Sinn die Stellung zu 'Theologie' Und Adorno fährt dann weiter fort: "Da ich auf eine solche, vorm Eingang zu Ihren Passagen, drängte, so scheint es mir doppelt wichtig, daß das Bild von Theologie, in dem ich gerne unsere Gedanken verschwinden sähe, kein anderes ist als das, aus dem hier Ihre Gedanken gespeist werden - es mag wohl 'inverse' Theologie heißen. Der Standort gegen naturale und supranaturale Interpretation zugleich, der darin erstmals in aller Schärfe formuliert ist, dünkt mir aufs genaueste mein eigener."^ ^ Die Übereinstimmung Adornos mit Benjamin im Blick auf die Theologie scheint also diejenige zu sein, nicht vom Heil, nicht vom seligen Leben und von der himmlischen Gnade direkt und im positiven Sinn zu sprechen, sondern vom irdischen Leben, seinen Brüchen und Aporien und banalen Si4) tuationen. Die 'Schrift' Adornos wie Benjamins ist so1) Adorno, Brief an W.Benjamin vom 17.12.34, in: ÜWB, S.1o3. 2) Ebda. 3) Ebda. 4) Es ist in diesem Zusammenhang wieder an die bekannten Worte am Schluß der Minima Moralia zu erinnern: "Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. (... ) Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird. Ohne Willkür und Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den Gegenständen heraus solche Perspektiven zu gewinnen, darauf allein kommt es dem Denken an"(MM,S.333f.).

- 1обzusagen die ungeschminkte Realität, sind die gesellschaftlichen negativen Verhältnisse. Dies ist, wie Adorno in demselben Brief an Benjamin ausdrücklich betont, "das Chiffrenwesen unserer Theologie, kein anderes - aber freilich auch um kein Zoll weniger. In gleicher Intention spricht sich Adorno ein Jahr später noch einmal in einem Brief an Benjamin aus. Im Zusammenhang der Diskussion der "Konfiguration von Mythos und Moderne" heißt es : "Eine Restitution der Theologie oder lieber eine Radikalisierung der Dialektik bis in den theologischen Glutkern hinein müßte zugleich eine äußerste Schärfung des gesellschaftlich-dialektischen, ja des ökonomischen Motives bedeuten. Was Adorno demnach unter 'inverser' Theologie verstanden haben will, dürfte schon nach diesen Andeutungen in Umrissen deutlich sein. Es geht ihm letztlich darum, zu zeigen, daß die "kleinsten innerweltlichen Züge" eine "Relevanz fürs Absolute"^' haben. Adorno will, theologisch gesprochen, vom Gesetz dieser Welt sprechen in äußerster Härte und Schonungslosigkeit, um so sub contrario die Rettung des Hoffnungslosen zu betreiben. Solchermaßen zu retten, heißt freilich nicht im Sinne einer diskursiven Argumentation ein Transzendentes oder Absolutes zu beweisen; es ist auch nicht die Schaffung eines einsichtigen Übergangs von der Immanenz zur Transzendenz beabsichtigt, vielmehr - und das soll im folgenden gezeigt werden - die Umstellung, die Zuspitzung, ein In-die-Enge-treiben, eine Verdichtung der innerweltlichen und ephemeren Dinge der geschichtlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Beobachtungen, um in den Extremen des Negativen auf das Aufscheinen ihres Gegenteils, der Erlösung, zu warten bzw. zu hoffen. 5) Adorno, ÜWB, S.1o4. 6) Ebda, S.117. 7) Vgl. Adorno, ND,S.398: "Die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Absolute, denn der mikrologische Blick zertrümmert die Schalen des nach dem Maß des subsummierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identität, den Trug, es wäre bloß

- 1o7 Die Hoffnung Adornos ist, daß sich die Spitze des Unheils fast mit dem des Heils berührt, wenngleich die kleinste Differenz immer noch den Unterschied von Himmel und Hölle ausmacht. Nicht also der Übergang zum Positiven wird vollzogen bzw. für möglich gehalten - die negativ dialektische Analyse der Weltverhältnisse schlägt keine Brücke zum andern Ufer, sie lotet nur die Tiefe des trennenden Abgrundes bis zum Scheitelpunkt aus. Dieser Scheitelpunkt ist zugleich die Schranke, deren Bewußtsein wohl ein Darüberhinaus im8) pliziert, das aber nicht identifiziert werden kann. Exemplar. Solches Denken ist solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes." 8) Die Nähe und die Differenz zu Hegels Position kann in diesem Zusammenhang sehr gut deutlich gemacht werden. Wird die 'Macht des Negativen' als Energie des Denkens von Hegel übernommen, so lehnt Adorno dessen Übergang zum Positiven ab. - "Diese Macht ist er (der Verstand, W.B.) nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt"(Hegel, Phänomenologie des Geistes, Vorrede, Theorie WA Bd.3,S.36). Diesem für Adorno so wichtigen Gedankengang verweigert er das Verweilen bei der Zauberkraft bzw. die Kehre zum Sein, zum Positiven, weil er darin geschichtsphilosophisch nur das naturgeschichtliche Moment der Selbstbehauptung und theologisch das Moment des magisch organisierten Betrugs am Werke sieht. Adorno ist sich freilich mit Hegel gegen Kant darin einig, daß darin, "daß etwas als Schranke bestimmt ist, darüber bereits hinausgegangen ist"(Hegel, Wissenschaft der Logik I, Theorie WA Bd.5,S.145), aber für Adorno wird wiederum im Rückgriff auf Kant das Darüberhinaus nicht mit Wirklichem verwechselt. Das Darüberhinaus bleibt Schein; Kants "Verdikt ist nicht überholt von Hegels Anstrengung, die Logik des Scheins als die der Wahrheit zu vindizieren. Aber mit dem Verdikt über den Schein bricht die Reflexion nicht ab. Seiner selbst bewußt, ist er nicht mehr der alte"(ND, S.384;vgl. auch S.373f.). Der Unterschied zu Hegel ist für Adorno also primär geschichtsphilosophisch bzw. theologisch bestimmt, d.h. das Sein selbst ist angesichts des Weltlaufs und des alttestamentlichen Bilderverbo-lS nicht positiv zu bestimmen. - Vgl. zur Thematik auch Düver, a.a.O., S.69f.

- 1o8 Die Idee der Versöhnung bzw.die der Erlösung bleibt ideell und wird nicht real, sondern nur das Motiv aller Denkan9) strengungen : daß das, was Menschen erkunden und erfahren, nicht alles ist. In einem Brief an Horkheimer hat Adorno diese seine theologische Intention sehr schön zum Ausdruck gebracht, wenn er schreibt: "Ich finde den Bergsonaufsatz ganz außerordentlich. Insbesonders ist es die Stelle über den Historiker als Retter, die mich im höchsten Maße ergriffen hat - es ist erstaunlich, wie völlig hier die Konsequenz Ihres 'Atheismus' (an den ich freilich je weniger glaube, je vollkommener er sich expliziert: denn mit jeder Explikation steigt seine metaphysische Gewalt) solchen aus meinen theologischen Intentionen begegnen, die Ihnen so unbehaglich sein mögen wie sie wollen, aber deren Konsequenzen jedenfalls eben in nichts von Ihren sich unterschieden - könnte ich doch das Motiv der Rettung des Hoffnungslosen als Zentralversuch aller meiner Versuche einsetzen, ohne daß mir ein Mehr zu sagen bliebe; es sei denn^ daß ich zu jener historischen Verzeichnung des Leidens und des Nichtgewordenen den Leser hinzudenke, von dem Sie schweigen und der doch der einzige Leser wäre, dem diese Geschichte des kreatürlichen Leidens zugeeignet wäre. Und freilich glaube ich: so wie keiner meiner Gedanken das REcht zu atmen hätte, wenn er nicht, Ihrem Atheismus konfrontiert, sich als verhüllend und wahr erwiese, so sicher wäre keiner Ihrer Gedanken zu denken, ohne dies Wozu als Kraftquelle durch den Tod hindurch, die um so gewaltiger in Ihre Erkenntnis hineinwirkt, je dichter Sie diese dagegen absperren; wie eine Art Strahlen, die nicht nur von keiner Mauer aufgehalten werden, sondern gerade die Macht besitzen, das Innerste der Mauer selber zu zeigen. 9) Vgl. Adorno, PhT Bd.I, S.127. 10) Dieser bisher unveröffentlichte Brief vom 25.2.1935 ist zit. nach H.Gumnior/R.Ringguth, Max Horkheimer, in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1973,S.84f.

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1o9

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Im folgenden sollen nun diese 'invera' theologischen Intentionen Adornos, wie er sie in den Briefen an Benjamin und Horkheimer andeutet, innerhalb der Konstellationen der Begriffe Mythos, Natur, Geschichte und Kunst im einzelnen untersucht und dargestellt werden. Die Erwartung einer anschließenden Zuairanenfassung der theologischen Momente von Adornos Philosophie kann deshalb nicht geleistet werden, weil diese eben nur in diesen Konstellationen zum Ausdruck kommen. Die beiden beigefügten Exkurse über Bultmanns Entmythologisierung und Kafkas Ästhetik dienen nicht dazu, jeweils neue Gesichtspunkte zu dieser anderweitig und ausführlich diskutierten Thematik zu liefern, sondern sollen nur kontrastierend die Position und die Methode Adornos verdeutlichen.

- 11ο I.

Natur - Geschichte - Mythos

Es kann nun nicht primär darum gehen, diese Begriffe im Sinne Adornos zu definieren. Vielmehr ist darzustellen, was diese Begriffe im Blick auf die erstrebte Erkenntnis leisten und wie sie miteinander verknüpft sind. Die semantische und funktionelle Legitimation der Begriffe muß nach Adorno vom erreichten Resultat aus geprüft und beurteilt werden. Heißt das Ziel, die geschichtliche und gesellschaftliche Wirklichkeit in ihrem wahren Lichte ungeschminkt sehen zu lassen,so ist auch dies der Ort der Wahrheit. Dieser Ort muß nach Adornos Intention der sein, "in dem die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird."^^ Im Zusammenhang dieser Untersuchung heißt dies, die Konstellation der Begriffe am Ort ihrer äußersten Verdichtung und Dunkelheit nachzuzeichnen, um so des Lichtes der Erlösung indirekt ansichtig zu werden. Mit der genannten Konstellation Natur - Geschichte - Mythos ist die für Adorno zentrale geschichtsphilosophische Thematik angesprochen. Sie wurde schon 1932 in dem programmatischen Vortrag "Die Idee der Naturgeschichte"konzipiert und zuammen mit Horkheimer in der "Dialektik der Aufklärung" exemplarisch erprobt und ausgeführt. Wenn diese Konstellation als vorrangig geschichtsphilosophische charakterisiert wurde, so muß sofort auf die in ihr enthaltenen gesellschafts- und erkenntnistheoretischen Momente hingewiesen werden, nicht zuletzt auch auf die ' invers-theologischen'. Mit der Methode der Konstellation versucht ja Adorno die Wirklichkeit in ihrer Totalität und doch exemplarisch so zu versammeln, daß das

1) Adorno, MM,S.334. 2) Vgl. jetzt GS 1, S.345ff. Adorno hielt diesen Vortrag am 15.7.1932 vor der Frankfurter Ortsgruppe der KantGesellschaft.

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"Ganze als das Unwahre"^^ überführt wird. Die Totalität ist dabei nicht nur auf der synchronen Ebene gedacht, sondern das versairanelte Bild bekommt Tiefenschärfe durch die implizit diachronische Perspektive. "Man kann nicht Auschwitz auf eine Analogie mit der Zernichtung der griechischen Stadtstaaten bringen als bloß graduelle Zunahme des Grauens, der gegenüber man den eigenen Seelenfrieden bewahrt. Wohl aber fällt von der nie zuvor erfahrenen Marter der Erniedrigung der in Viehwagen Verschleppten das tödlichgrelle Licht noch auf die fernste Vergangenheit, in deren stumpfer und planloser Gewalt die wissenschaftlich ausge4Í heckte teleologisch bereits mitgesetzt war." Um also die Konstellation in ihrer ganzen Tiefe und Weite in den Blick zu bekommen, sollen zunächst anhand der Fragestellungen und Aporien, die zur "Idee der Naturgeschichte" führten, diese dargestellt werdend); danach werden anhand der 'Dialektik der Aufklärung' ihre wichtigsten Strukturen aufgezeigt(2) und schließlich soll auf die Deutung und Bedeutung der Religion bzw.des 'Andern' in diesen Konstellationen eingegangen werden(3). 1. Mit dem programmatischen Vortrag "Die Idee der Naturgeschichte" hat Adorno für seine kritische Theorie die maßgebenden Weichen gestellt. Adorno will nicht mehr im Sinne der Phänomenologie jener Jahre^^ und wie er sie interpretierte, geschichtliches Sein von der subjektiven Kategorie 'Geschichtlichkeit' her auslegen, sondern die konkrete, d.h. dialektische Einheit von Natur und Geschichte zum Schwerpunkt seiner Arbeit machen. Er "möchte nicht ein dem geschichtlichen Sein unterliegendes oder ein in ihm liegendes reines Sein aufsuchen, sondern das geschicht3) Adorno, MM, S.57. 4) Ebda, S.315. 5) Zu denken ist dabei vor allem an M.Heidegger, M.Scheler und vor allem E.Husserl. Vgl. dazu L.Landgrebe, Der Weg der Phänomenologie, Gütersloh 1978.

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liehe Sein selber als ontologisches ,d.h. als NaturSein"®^ verstehen. Diese neue Perspektive des Verhältnisses von Natur und Geschichte richtet sich vornehmlich gegen Heideggers Konzeption von Geschichtlichkeit wie sie dieser in "Sein und Zeit"^^ entfaltet. Wohl sieht Adorno das Verdienst von Heideggers ontologischer Fragestellung, nämlich daß durch sie die von M.Scheler in die Phänomenologie eingebrachte 'Zweiheit von Natur und Geschichte' und dessen Konstruktion eines "Ideenhimmels auf Grund einer rein rationalen Schau der geschichtslosen und ewigen Gehalte, 8) der über allem Empirischen leuchtet" , überwunden ist und Geschichte "selber in ihrer äußersten Bewegtheit und ontologischen Grundstruktur" gesehen wird. Doch hat Heidegger mit seiner ontologischen Fragestellung nach 9 ) Adorno weder das "Problem der historischen Kontingenz" gemeistert noch eine wirkliche, d.h. konkrete "Versöhnung von Natur und Geschichte"erreicht. Geschichte wird bei Heidegger vielmehr durch die subjektive Kategorie der 'Geschichtlichkeit' "selbst zur Ontologie"^ ^^ verklärt. Um dies jedoch zu verhindern, um die Geschichtlichkeit des Daseins nicht zu einer Invarianten werden zu lassen, muß Heidegger die Kategorie der Möglich6) Adorno, GS 1, S.355. 7) Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1963; darin bes. §74: "Die Grundverfassung der Geschichtlichkeit". Heidegger expliziert hier das in der vorlaufenden Entschlossenheit liegende Geschehen als Geschichtlichkeit bzw. die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins, das "vorlaufend den Tod in sich mächtig werden läßt"(ebda, S.384). Adorno hat 1964 in seiner ideologiekritischen Abrechnung mit Heidegger -'Jargon der Eigentlichkeit'vor allem Heidegger eine Ontologisierung des Todes vorgeworfen. "Er vergafft sich in den Tod als das vermeintlich dem universalen Tauschverhältnis schlechthin Entzogene; den gleichen verhängnisvollen Kreislauf wie das Tauschverhältnis, das er zum Man sublimiert"(J, S. 126) .

8) Adorno, GS 1,S.348f. 9) Ebda, S.350. 10) Ebda, S.351. 11) Ebda.

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keit gegenüber der Wirklichkeit allzu stark betonen. Darin jedoch sieht Adorno "idealistische Momente, denn der Gegensatz von Möglichkeit und Wirklichkeit ist im Rahmen der 'Kritik der reinen Vernunft' kein anderer als der des kategorialen subjektiven Gefüges gegenüber der empirischen Mannigfaltigkeit."^ ^ ^ Die im Prinzip der Autonomie des Subjekts fundierte Philosophie Heideggers kann also nach Adorno gar nicht dem einzelnen empirischen Material der geschichtlichen Wirklichkeit gerecht werden, sondern der "Entwurf des Seins" behauptet eine "Priorität gegenüber der darunter behandelten Faktizität(... ) ; die Faktizität soll sich nachträglich einfügen, und wenn nicht, verfällt sie der Kritik. Wohl spricht auch Heidegger davon, daß "auch die Natur geschichtlich ist", aber "was mit dem Zeug und Werk als solchem 'geschieht', hat einen eigenen Charakter von Be1 4) wegtheit, der bislang völlig im Dunkeln liegt." Genau um dieses Dunkel geht es jedoch Adorno und er will in dieses hineinleuchten und erkunden, "wie es möglich ist, diese entfremdete, dinghafte, gestorbene Welt zu erkennen und zu d e u t e n . W a s bei Heidegger 'Zeug', innergeschichtliches Abfallprodukt ist, wird für Adorno zum Ausgangspunkt aller Überlegungen bzw. zum Ort, an dem und um den, mit Hilfe begrifflicher Konstellationen, das Licht der Erkenntnis entfacht werden soll, um das Dunkle und Ephemere erinnernd zu retten.^^^ 12) 13) 14) 15) 16)

Adorno, GS 1 ,S.353. Ebda. Heidegger, Sein und Zeit, S.389. Adorno, ebda, S.35 6. Fragt Heidegger - um an einem Beispiel die Differenz deutlich zu machen - in Hinsicht auf einen Ring, der überreicht und getragen wird, so fragt er nach "der Bewegtheit des Geschehens, in dem etwas mit ihm geschieht" ; Heidegger sieht also das geschichtliche Ding allererst in Hinsicht auf sein 'Sein-für-einanderes' bzw. im Verhältnis zum handelnden Subjekt, Adorno dagegen versucht das Dingliche und geschichtlich Gewordene in seiner Bedeutung bzw. seinem Ausdruck für sich und fürs Ganze zu verstehen. Ein Ring - um bei diesem Beispiel zu bleiben - ist "zweite

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Wie ist nun nach Adorno das Verhältnis von Natur und Geschichte zu konfigurieren, damit die Begriffe weder ontologisiert noch die einzelnen Gegebenheiten zum Verschwinden gebracht werden? Dies gelingt nur, wenn "das geschichtliche Sein in seiner äußersten geschichtlichen Bestimmtheit, da, wo es am geschichtlichsten ist, selber als ein naturhaftes Sein zu begreifen, oder wenn es gelänge, die Natur da, wo sie als Natur scheinbar am tiefsten in sich verharrt, zu begreifen als ein geschichtliches Sein. Es kommt nicht mehr darauf allein an, die Tatsache der Geschichte allgemein unter der Kategorie Geschichtlichkeit als eine Naturtatsache toto coelo zu konzipieren, sondern die Gefügtheit der innergeschichtlichen Ereignisse in ein Gefügtsein von Naturereignissen zurückzuverwandeln."^^^ Diese Umorientie-

Natur" und als solche eine Chiffre der vom Menschen geschaffenen Welt, die gerade als solche Allegorie ist für das, was mit ihr geschehen ist und geschehen kann. In der Form und im Material des Rings ist 'Naturgeschichte' versammelt und präsent und sie entschlüsselt sich nur in dem Versuch, nicht einen Zusammenhang historischer Tatbestände herauszugreifen und zu ontologisieren - das hieße etwa die Geistesgeschichte des Ringes nur nachzuerzählen, d.h. sein ihm zugedachter Symbolwert - vielmehr geht es Adorno darum, eine Konstellation von Ideen "und zwar der Idee von Vergänglichkeit, des Bedeutens und der Idee der Natur und der Idee der Geschichte"(GS 1,S.359) so um den Gegenstand zu legen, daß die "geschichtliche Faktizität in ihrer Geschichtlichkeit selbst als naturgeschichtliche" (ebda,S. 361 ) zu sehen ist. Das heißt für das Beispiel des Ringes, die Naturgeschichte des Ringes ist eben nicht nur sein Symbolgehalt der Treue und Harmonie, sondern seine 'zweite Natur' ist die des Scheins und damit mythisch, d.h. die Bedeutung des Rings ist immer schon ein geschichtliches Produkt und in diesem sind allemal schon die Momente von Angst, Bedrohung, Vergängnis und Versöhnung mit vermittelt. 17) Adorno, GS 1, S.354f.

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rung der Geschichtsphilosophie in die Idee der Naturgeschichte lehnt sich stark an die Arbeiten von G.Lukács 18) und W.Benjamin an . Die Vermittlung von Natur als das, "was von je da ist, was als schicksalhaft gefügtes, vorgegebenes Sein die menschliche Geschichte trägt, in ihr erscheint" und der von Geschichte als "jener Verhaltensweise, die charakterisiert wird 1vor 9 ) allem dadurch, daß in ihr qualitativ Neues erscheint" , wird geleistet mit Hilfe des von Lukâcs an Hegel ausgebildeten Begriffs der "zweiten Natur"^°^ und dem Begriff des "Vergängnis" wie ihn Benjamin in seiner Abhandlung ' Ursprung des deutschen Trauerspiels'^^^ verwendete. Dabei geht es Adorno vor allem um das von Lukâcs wie Benjamin angesprochene

18) Adorno selbst verweist auf G.Lukács, Die Theorie des Romans, Berlin 192o und W.Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Berlin 1928; vgl. dazu auch F.Grenz, a.a.O., S.17off. 19) Adorno, GS 1, S.346. 20) Zum Begriff der 'zweiten Natur'bei Hegel vgl. 'Grundlinien der Philosophie des Rechts', Theorie WA Bd.7, S.4 6; Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie WA Bd. 12,S.57; vgl. dazu M.Riedel, Freiheitsgesetz und Herrschaft der Natur: Dichotomie der Rechtsphilosophie, in: M.R., System und Geschichte, Studien zum historischen Standort von Hegels Philosophie, Frankfurt 1973,S.96ff., bes. S.99f.; F.Fulda, Der Begriff des Geistes bei Hegel und seine Wirkungsgeschichte , in: Hist.Wörterbuch der Philosphie, hg. von J. Ritter, Bd.3, Art. Geist VIII, S.191ff; L.Düver, a.a. 0., S.164f. 21) Vgl. Adorno, GS 1,S.357; die STellen bei Benjamin lauten: "Wenn mit dem Trauerspiel die Geschichte in den Schauplatz hineinwandert, so tut sie es als Schrift. Auf dem Antlitz der Natur steht 'Geschichte' in der Zeichenschrift der Vergängnis. Die allegorische Physiognomie der Natur-Geschichte, die auf der Bühne durch das Trauerspiel gestellt wird, ist wirklich gegenwärtig als Ruine"(a.a.O., S.197); "Natur schwebt ihnen (den Barockdichtern, W.B.) vor als ewige Vergängnis in der allein der saturnische Blick jener Generationen die Geschichte erkannte"(a.a.O., S.199).

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Problem der "Wiedererweckung"^^' der Schädelstätte der Geschichte bzw. der Leidensgeschichte der Welt.^^^ Mit der 'zweiten Natur' sind die Stationen des Verfalls, der Entfremdung, der Konvention im Blick, die nur dann aus dem Strom des Vergessens errettet werden können, wenn sie unter "der Kategorie der theologischen Wiedererweckung, unter dem eschatologischen Horizont" 24 ) gesehen werden. Was nach Adorno Lukâcs in seiner'Theorie des Romans' nur andeutet und Benjamin versucht allegorisch zu deuten, nämlich Natur als Vergänglichkeit, ist für Adorno das zentrale Motiv von Natur und Geschichte. "Die Grundbestimmung der Vergänglichkeit des Irdischen bedeutet nichts anderes als ein solches Verhältnis von Natur und Geschichte, daß alles Sein oder alles Seiende zu fassen ist nur als Verschränkung von geschichtlichem und naturhaften Sein."^^^ Damit hört Allegorie auf eine nur kunstgeschichtliche Kategorie^^^ zu sein, sie wird zur naturgeschichtlichen bzw. traditionell gesprochen zu einer geschichtsphilosophischen.

22) Vgl. Lukâcs, a.a.O., S.55: "Diese Natur ist nicht stumm, sinnfällig und sinnesfremd, wie die erste: sie ist ein erstarrter, fremdgewordener, die Innerlichkeit nicht mehr erweckender Sinneskomplex; sie ist eine Schädelstätte vermoderter Innerlichkeiten und wäre deshalb - wenn dies möglich wäre - nur durch den metaphysischen Akt einer Wiedererweckung des Seelischen, das sie in ihrem früheren oder sollenden Dasein erschuf oder erhielt, erweckbar, nie aber von einer anderen Innerlichkeit belebbar." 23) Vgl. Benjamin, a.a.O., S.183: "Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen ihres Verfalls.(...) Ist aber die Natur von jeher todverfallen, so ist sie auch allegorisch von jeher." Vgl. dazu R.Tiedemann, Studien zur Philosophie W.Benjamins, Frankfurt 1973, S.159ff. - Vgl. zum Begriff der 'Schädelstätte', Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie WA Bd.3, S.591. 24) Adorno, GS 1,S.357. 25) Ebda, S.360. 26) Vgl. ebda, : "Alles Sein oder wenigstens alles gewordene Sein, alles gewesene Sein verwandelt sich in Allegorie, und damit hört Allegorie auf, eine bloß kunstgeschichtliche Kategorie zu sein."

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Indem Adorno nun in dialektischer Weise die Begriffe der Vergänglichkeit, des Bedeutens und der Idee der Natur wie die der Geschichte in Konstellation miteinander bringt, erreicht er, daß weder historische Tatbestände ontologisiert noch eine Einheit von Vergangenheit und Gegenwart unter der Struktur des Vergehens im Sinne eines 'Seins zum Tode' konstruiert wird. Die Geschichte wird so gerade nicht auf ein Prinzip festgelegt, das einzelnes unter sich begräbt, sondern das, was 'Vergängnis' bedeutet, läßt Neues im eschatologischen Horizont erscheinen. Das Moment der Vergängnis ist dialektisch als das beharrend 28) "archaisch-mythische" wie auch als ein dynamisches, über sich hinausweisendes zu begreifen. In den Mythen ist nach Adorno neben "der Verfallenheit in Schuld und Natur zugleich das Moment der Versöhnung, 29) das prinzipielle Hinausgehen über den Naturzusammenhang" enthalten. Damit erreicht die naturgeschichtlich dialektische Perspektive der Geschichte wie der Natur nicht "bloß eine Wiederaufnahme umgedeuteter urgeschichtlicher Stoffe, sondern die geschichtlichen Stoffe selber verwandeln sich in Mythisches und Naturgeschichtliches. Adorno will damit jedoch nicht - theologisch gesprochen eine 'apokatastasis panteon '4ÌS kosmologische Heilsgeschichte konstruieren, sondern nur die Konstellation von Mythos und gegenwärtiger Geschichte als einer ganzheitlichen Geschichtsbetrachtung ermöglichen als auch jedes Faktum dieser Geschichte in seinem zeitlichen Moment des Vergehens sehen lernen. Geschichte als Hinfälliges, Nichtiges, aber auch im Horizont einer möglichen Versöhnung 27) Vgl. dazu Benjamin, a.a.O., S.263: "Heißt es doch ganz das Allegorische verkennen, den Bilderschatz, in welchem dieser Umschwung in das Heil der Rettung sich vollzieht, von jenem düstern, welcher Tod und Hölle meint, zu sondern." 28) Adorno, GS 1,S.362. 29) Ebda, S.363. 30) Ebda, S.365. 31) Vgl. C.Andresen, Art. 'Wiederbringung Aller', in: RGG, 3.Aufl. Bd. VI, Sp.1693f.

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und Errettung gestellt. Die 'Idee der Naturgeschichte' kann somit als eine allegorische Geschichtsdeutung sub specie aeternitatis verstanden werden; sie muß als der Versuch gewertet werden, Heideggers fundamentalontologische Analyse von 'Sein und Zeit' dialektisch so zu vermitteln, daß allem Geschaffenen und Vorhandenem wie allem noch Zukünftigen sein Recht zukommen kann und soll, wobei gerade das Zukünftige nicht nur auf die Erfahrung und den bisherigen G Jig alles Zeitlichen, des Nichtigen, festgelegt wird, sondern "die vollendete Negativität einmal ganz ins Auge gefaßt, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils z u s a m m e n s c h i e ß t . D i e Idee der Versöhnung, so muß an dieser Stelle sofort betont werden, erscheint nicht unvermittelt, sondern "gebrochen durchs Vergänglichste hindurch"^^^, d.h. die analytische und dialektische Reflexion auf die geschichtliche Gegenwart wird an ihrem Wendepunkt, an ihrer denkbar tiefsten Stelle abgebrochen. Die Idee der Versöhnung ebnet deshalb letztlich die Erfahrung des prinzipiellen Unterschieds von Natur und Geschichte nicht ein oder will diesen metaphysisch oder heilsgeschichtlich schlichten. Die Versöhnung als Vollzug ist keine erfahrbare Möglichkeit oder gar ein Geschehen, das im Glauben als schon geschehenes erfahrbar wäre; die Differenz zum christlichen Glauben wird streng bewahrt. Fragt man nach der Evidenz dieser naturgeschichtlichen Theorie, so liegt diese zweifellos nicht in ihrer systematischen oder logischen Geschlossenheit, sondern einzig 34 ) in ihrer Absicht, "Leiden beredt werden zu lassen" Der Schmerz und das Grauen ist die allegorische Sprache eines Denkens, das nicht primär in den Weltlauf eingreifen will, um die anstehenden Verhältnisse zum Guten zu wenden, sondern das primär den Gescheiterten, Zerstörten und Hoffnungslosen so helfen will, daß sie das Bedürfnis 32) Adorno, MM,S.334. 33) Adorno, ND,S.351. 34) Ebda, S.27.

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nach dem 'Andern' verstärkt, indem sie den Ort des Verfalls nicht ausblendet und im tröstlichen Wort das Elend nicht vergessen macht. Abgelehnt wird demnach von Adorno und dies nicht erst nach Auschwitz - die Hegeische Intention einer weltgeschichtlichen Dialektik, als gäbe es das in der Totalität des Geschichtlichen sich realisierende Absolute, den Trost eines Weltplans zum Besseren. Die Wahrheit der Versöhnung hat bei Adorno nicht eine Affinität zur Synthesis als der Aufhebung des Negativen im Werden des Absoluten, sondern Wahrheit hat bei Adorno ihren Ort beim Nichtidentischen, da, wo der "widerlich süße Geruch der Verwesung"^^^ vorherrscht, wo die armselige physische Existenz haust, dahin hat sich für ihn die metaphysische ERfahrung von Versöhnung erzogen und kommt seine 'inverse ' 36) Theologie zur Sprache: Versöhnung ist und ist nicht. Betont werden muß dabei, daß solche Denkpraxis keine Verklärung des Leidens intendiert und noch weniger eine Subreption des Positiven aus dem Negativen sich anmaßt. "Fehlgeschlossen aber wird durch die unmittelbare Erhebung der Negativität, der Kritik am bloß Seienden, zum Positiven, so als ob die Insuffizienz ledig wäre. Auch im Äußersten ist Negation der Negation keine Positivität. Das aber kann nur heißen, Wahrheit ist für Adorno im Zusammenhang der Theorie der Naturgeschichte nicht primär ein Logisch-Begriffliches, sondern konsequent eine ethi-

35) Adorno, ND,S.356f. 36) Diese Konzeption von Naturgeschichte enthält ein starkes statisches Moment; sie ist die Bildung von Konstellationen geschichtlicher Analysen und die Deutung dieser mit Hilfe religiöser Topoi bzw. messianischen Motiven. Geschichte wird nicht in ihrem möglichen Werden aus sich heraus gedeutet, sondern in einer Momentaufnahme, im Stillstand, werden die Bruchstücke und Trümmer vom 'Blickpunkt der Erlösung' aus gedeutet. Vgl. auch die Besprechung von Holtmanns Theologie der Hoffnung, s.u.S.214ff. 37) Adorno, ND,S.383.

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sehe und eschatologische Konstellation. Wenn es "kein 39 ) richtiges Leben im falschen" gibt und die Weltgeschichta 4o) als das "Ganze das Unwahre" ist, so kann Wahrheit bzw. die Evidenz der Idee der Naturgeschichte einerseits nur eine Gestalt der Hoffnung neben andern sein, ein Moment des subjektiven Geistes, von dem Adorno freilich auch annimmt, daß auch dieser vor seiner Rettung noch "das Tor 41 ) des Todes" durchschreiten muß. Und andererseits ist diese Wahrheit der Appell., die erkannte Not, die Schmerzen und das Elend im menschenmöglichen Sinne zu lindern. Wie die Idee der Naturgeschichte und in welchem Sinne ihre Konstellation von "Vergänglichkeit, des Bedeutens und der Idee der Natur und der Idee der Geschichte"^^^ eine 'in38) Eine solche Konstellation kann deshalb ethisch genannt werden, weil sie motiviert ist von der Rettung des Hoffnungslosen. Ist diese Idee der Rettung vorrangig auch eine Reflexionskategorie, so schließt sie die eingreifende Praxis rettenden Handelns nicht aus, wiewohl sie die Versöhnung nicht herbeiarbeiten kann. 39) Adorno, MM,S.42. 40) Ebda, S.57. Das Ganze ist deshalb das Unwahre, weil es das Ganze einer Momentaufnahme ist, die dieses Ganze in seiner Verfallenheit und seiner Partikularität und seinem Leiden sieht. Der Gegensatz zu Hegel rührt also daher, daß hier mit dem Begriff des Ganzen nicht die geschichtliche Bewegung am Ende aller Zeiten gemeint ist; für Adorno ist das Ganze auch in der Reflexion nicht als in sich Identisches zu denken. -Vgl. dazu Düver, a.a.O., S.7of.; B.Liebrucks, Reflexion über den Satz Hegels "Das Wahre ist das Ganze", in: Zeugnisse, Th.W.Adorno zum 6o.Geburtstag, Frankfurt 1963, S.74ff.(jetzt auch in: B.L., Erkenntnis und Dialektik, Den Haag 1972, S.152ff.). Wenngleich F.Grenz richtig sieht, daß auch für Adorno das 'Wahre das Ganze' ist, so kann man m.E. dennoch nicht sagen, bei Adorno handle es sich im Gegensatz zu Hegel lediglich um "einen Fortschritt der Erkenntnis, um eine Ergänzung"(Grenz, a.a.O., S.133); Adornos Denkpraxis ist eben letztlich von der Hegels in ihrer geschichtsphilosophischen Dimension gänzlich verschieden. 41) Adorno, ND,3,382. 42) Adorno, GS 1,8.359.

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43) verse Theologie' impliziert, läßt sich wohl vorläufig nicht besser sagen, als durch einen Aphorismus Adornos zum Märchen vom "Schneewittchen und den sieben Zwergen. Dieser Aphorismus wird ganz zitiert, um zu zeigen, wie die gelungene Einheit von Form und Inhalt als Modell einer naturgeschichtlichen Deutung der Wirklichkeit in ihrer archaisch-mythischen Gesetzlichkeit des Vergängnisses als auch in ihrer noch ausstehenden Versöhnung zur Sprache gebracht wird. Daß die naturgeschichtliche Deutung der Wirklichkeit, wenngleich mit der Idee der Rettung konfiguriert, die Sprache der Melancholie bzw. Wehmut spricht, dürfte gerade durch die Methode der Konstellation bedingt sein. Was 45) Hegel mit dem Begriff des "unglücklichen Bewußtseins" beschrieben hat, trifft mindestens momentan auch auf die Haltung Adornos zu. Adorno hält sich freilich bewußt in dieser 'unglücklichen' Konstellation auf, empfindet sie nicht als Kritik seiner Denkpraxis, weil nach seiner Auffassung nur so die Welt ohne Trug erfahren werden kann. "Unglückliches Bewußtsein ist keine verblendete Eitelkeit des Geistes, sondern ihm inhärent, die einzige authentische Würde, die er in der Trennung vom Leib empfing. Sie erinnert ihn, negativ, an seinen leibhaftigen Aspekt; 43) In der Diskussion mit Moltmanns 'Theologie der Hoffnung' wird das Problem der Naturgeschichte noch einmal besprochen und in dieser Konstellation werden dann ergänzend andere Aspekte derselben zur Sprache kommen. 44) Adorno, MM, S.157. 45) Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie WA Bd.3, S.163. - Vgl. auch W.Lepenies, Melancholie und Gesellschaft, Frankfurt 1972, S.249ff. Weil bei Adorno Dialektik nicht mehr die Bewegung ihrer fortschreitenden Aufhebung ist, sondern in Konstellationen auf der Stelle tritt, trifft die Aussage von Lepenies tatsächlich zu: "Dialektik wird - bei Adorno - so subtil wie ohnmächtig gegenüber den Verhältnissen"(a.a.O., S.252). Das psychologische Pendant solcher Denkpraxis ist die Melancholie. Gerade Benjamin hat darauf in seiner Abhandlung schon hingewiesen(a.a.O.,S. 1 49ff. ) .

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allein daß er dessen fähig ist, verleiht irgend ihm H o f f n u n g . D i e Evidenz der Hoffnung auf Versöhnung liegt einzig in ihrem Gegenteil. Angesichts des Unheils scheint dem Betrachter die Hoffnung auf Heil auf, wobei diese sich einstellende Hoffnung ihn der Situation nicht enthebt. "ÜBER DEN BERGEN - Vollkommener als jedes Märchen drückt Schneewittchen die Wehmut aus. Ihr reines Bild ist die Königin, die durchs Fenster in den Schnee blickt und ihre Tochter sich wünscht nach der leblos lebendigen Schönheit der Flocken, der schwarzen Trauer des Fensterrahmens, dem Stich des Verblutens; und dann bei der Geburt stirbt. Davon aber nimmt auch das gute Ende nichts hinweg. Wie die Gewährung Tod heißt, bleibt die Rettung Schein. Denn die tiefere Wahrnehmung glaubt nicht, daß die erweckt ward, die gleich einer Schlafenden im gläsernen Sarg liegt. Ist nicht der giftige Apfelgrütz, der von der Erschütterung der Reise ihr aus dem Hals fährt, viel eher als ein Mittel des Mordes der Rest des versäumten, verbannten Lebens, von dem sie nun erst wahrhaft genest, da keine trügende Botinnen sie mehr locken? Und wie hinfällig klingt nicht das Glück: "Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm". Wie wird es nicht widerrufen von dem bösen Triumph über die Bosheit. So sagt uns eine Stimme, wenn wir auf Rettung hoffen, daß Hoffnung vergeblich sei, und doch ist es sie, die ohnmächtige, allein, die überhaupt uns erlaubt, einen Atemzug zu tun. Alle Kontemplation vermag nicht mehr, als die Zweideutigkeit der Wehmut in immer neuen Figuren und Ansätzen geduldig nachzuzeichnen. Die Wahrheit ist nicht zu scheiden von dem Wahn, daß aus den Figuren des Scheins einmal doch, scheinlos, die Rettung hervortrete."

2. Die theoretische Konzeption der Theorie der Naturgeschichte aus dem ]ahr 1932 erscheint im Rückblick auf den verstörten Weltlauf der Geschichte während des Zweiten Weltkrieges fast schon wie eine Antizipation einer mög47 ) liehen Reflexion der Erfahrung dieses "äußersten Grauens." In den letzten Jahren des Krieges begonnen und 1947 veröffentlicht, ist die "Dialektik der Aufklärung" der Versuch, die Naturgeschichte der westlichen Zivilisation zu schreiben. Das leitende Interesse war die Frage danach, warum die Menschheit, "anstatt in einen wahrhaft menschlichen 46) Adorno, ND, S.2o1. 47) Horkheimer/Adorno, DA, S. 1o6.

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Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei verSinkt. Mit Hilfe des Begriffs 'Mythos' versuchen HOrkheimer/Adorno den Umschlag von Aufklärung in die Selbstzerstörung zu deuten. Mythos meint dabei - wie schon oben angedeutet das Archaisch-Naturhafte, das immer sich Wiederholende und die Menschen in den Bann zwingende, sowie das dadurch gerade über sich Hinausweisende. Die beiden Thesen der 'Dialektik der Aufklärung' zur Charakterisierung des abendländischen Denkprozesses und seiner damit korrespondierenden politischen und ökonomischen Geschichte - "Schon der Mythos ist Aufklärung und: 49) Aufklärung schlägt in Mythologie zurück" - zeigen an, daß für Adorno der Mythos nicht mehr nur im Sinne des 19.Jahrhunderts ein historisches Phänomen^®' ist, sondern als ein Funktionsbegriff zum principium individuationis gehört und die Dialektik von Reproduktion und Produktion der Wirklichkeit beschreibt. Mythen sind nach Adorno Bewältigungsversuche, gleichsam Modelle^^^ einer Denkpraxis deren lange Geschichte in der Genesis der Menschheit durch das in der Natur herrschende Prinzip der Gewalt überschattet und davon unabdingbar infiziert ist. Adorno geht es jedoch nicht darum, die Natur oder einen Mythos im Sinne eines historisch Ersten zu definieren. 48) Horkheimer/Adorno, DA, S. 1. 49) Ebda, S.5. 50) Vgl. R.Weimann, Literaturwissenschaft und Mythologie, Berlin/Weimar 1974, S.371ff; J.M.Krois, Der Begriff des Mythos bei E.Cassirer, in:H.Poser(Hg.), Philosophie und Mythos, Berlin/New York 1979, S.199ff; E. Cassirer, Philosphie der symbolischen Formen, 2.Teil, Das Mythische Denken, Darmstadt 1977. 51) Vgl. M.Eliade, Die Religionen und das Heilige, Darmstadt 1976, S.471: "Der Mythos, welches auch seine Natur sei, ist jedenfalls immer ein Beispiel, ein prototypischer Fall, sowohl in bezug auf die Handlungen des Menschen als auch in bezug auf seine ganze 'Kondition' ; besser gesagt: ein Modellbeispiel für die Seinsweisen des Wirklichen im allgemeinen."

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um daraus dann die Geschichte der Menschheit deduktiv zu entwickeln. Das alte Mythische als Bewältigungsversuch gegen die Erfahrung übermächtiger Natur ist immer noch der auch heute vorherrschende Motor der menschlichen Selbgterhaltung und Herrschaft; die Dialektik dieses Faktors besteht darin, die Chance des Überlebens wie den Zwang zur Gewalt in sich zu bergen. Nicht also auf ein historisch Erstes rekurriert die Naturgeschichte, sie räumt wohl der Mächtigkeit der Natur als angehäufter geschichtlicher Erfahrung einen Vorrang ein. "Nicht die Seele wird in die Natur verlegt, wie der Psychologismus glauben macht; Mana, der bewegende Geist ist keine Projektion, sondern Echo der realen Übermacht der Natur in den schwachen Seelen der W i l d e n . A d o r nos Methode der Konstellation verhindert, daß die Naturgeschichte als eine Beschreibung des Wesens des Menschen oder gar der Religion gelesen wird. Im dialektischen Verhältnis von Ausdruck und Erklärung aller Phänomene zeigt sich immer schon die Nichtidentität von Begriff und zu Begreifendem bzw. die von Natur und Geschichte. Der Mythos und damit die menschliche Sprache erscheinen als Beginn, sind aber nicht Ursache der Geschichte und deshalb ist auch nach Adorno, das, was wir Gott nennnen, nicht Ursache, Erstes, sondern Echo, "Ruf des Schreckens" und "Produkt dialektischen Denkens, worin jedes stets nur ist, was es ist, indem es zu dem wird, was es nicht ist."^^^ Der Mythos zieht so verstanden konsequent seine Entmythologisierung nach sich, denn die Angst der Menschen ist immer Movens dafür, das noch Nicht-Identische, das letzte Geheimnis zu erklären, zu lösen versuchen und die Furcht vor dem Unbekannten zu bannen. "Das bestimmt die Bahn der Entmythologisierung. Aufklärung(...) ist die radikal ge54 ) wordene, mythische Angst" , das, was noch außerhalb des Begriffs steht, das Mannigfaltige, das noch nicht bestimmte, könnte gefährlich werden. Aufklärung ist deshalb die Selbsterhaltung um den Preis der Gefangenschaft im Mythos 52) Horkheimer/Adorno, DA, S.17. 53) Ebda. 54) Ebda, S.18.

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des Begrifflichen, im logisch Abstrakten. Die Naturverhältnisse wiederholen sich somit in der Sprache der Abstraktion. "Das Prinzip der Immanenz der Erklärung jeden Geschehens als Wiederholung, das die Aufklärung wider die mythische Einbildungskraft vertritt, ist das des Mythos s e l b s t . D e r notwendige Versuch der Selbsterhaltung der Menschen in der Geschichte ist konsequent die Geschichte der gleichbleibenden Konstellation von Mythos und Aufklärung - Entmythologisierung - d.h. in jedem Mythos ist diese Konstellation und der Umschlag von Aufklärung in Mythos dialektisch verborgen.^^^ Von dieser Sicht der Dinge aus ist es verständlich, daß Adorno den Mythos der Irrfahrten des Odysseus nur allzu gern als Modell des bürgerlichen Individuums, "dessen Begriff in jener einheitlichen Selbstbehauptung entspringt"' ziT Charakterisierung abendländischer Zivilisation wählt. Odysseus ist "Urbild", d.h. Modell für die Selbstkonstitution der Subjektivität in ihren psychologischen, anthropologischen und 'theologischen' Momenten. Die listige und opfervolle Selbstbehauptung des Odysseus gegen die Übermacht der mythischen Natur kehrt wieder in der verfügenden Rationalität moderner Naturbeherrschung. 55) Horkheimer/Adorno, DA, S.15. 56) Eine Alternative zur These von Horkheimer/Adorno diskutiert Chr.Hubig, Dialektik der Aufklärung und neue Mythen, in: H.Poser(Hg.), Philosophie und Mythos, S. 218ff. Hubig wehrt sich gegen die seiner Meinung nach falsch vorgenommene Ineinssetzung von altem und gegenwärtigem Mythos. Seine These lautet, "daß die neue unbekannte Größe, der gegenwärtige scheinbare Mythos eine völlig andere Qualität hat, als jene mythische Ausgangssituation am Anfang der Rationalität, oder diejenigen mythischen Elemente, die jene Rationalität immer noch behrrschen"(a.a.O., S.219). Das heißt, Hubig geht von der Annahme aus, es gäbe positive immanente Entwicklungstendenzen in der Geschichte und versucht so - letztlich im Sinne der Hegeischen Geschichtsphilosophie - der negativen Utopie Adornos zu entgehen. 57) Horkheimer/Adorno, DA, S.42.

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Der 'neue' und'alte' Mythos heißt Rationalisierung. "Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität. Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht 58 ) ausüben." Genesis 1,26 und das Fragment des Archilo59) chos sind für Adorno der gemeinsame Ausdruck für den Herrschaftscharakter der Menschen. Wie die Menschen einst notwendigerweise durch Gewalt Natur bezwangen und kultivierten und damit zugleich ihr Selbst und ihre Identität konstituierten, so können sie heute ihre gewalttätige Sozialisationsgeschichte nicht einfach ablegen, sondern müssen Gewalt und Opfer ständig - nach außen wie nach innen - erneuern. Das Prinzip der Selbsterhaltung ist Resultat unserer Naturgeschichte und deshalb unabänderliche Verstrickung der Menschen mit NaDie Herrschaft der Menschen mittels des ordnenden Logos verstrickt sich immer mehr in die Selbsttäuschung, daß durch Abstraktion und Reduktion des mannigfaltig Naturhaften auf Einheitliches, sich Angst und Furcht davor bewältigen lasse. Die sich so entfaltende "Logistik"®^' ist 58) Horkheimer/Adorno, DA, S.12. 59) Vgl. ebda, S.llf. 60) Vgl. Adorno, ND, S.179f.: "War Herrschaft über die Natur Bedingung und Stufe der Entmythologisierung, so hätte diese auf jene Herrschaft überzugreifen, soll sie nicht doch Opfer des Mythos werden. Die philosophische Emphase auf der konstitutiven Kraft des subjek tiven Moments aber sperrt immer auch von der Wahrheit ab. So schleppen Tiergattungen wie der Dinosaurier Triceratops oder das Nashorn die Panzer, die sie schützen, als angewachsenes Gefängnis mit sich herim, das sie - so scheint es zumindest anthropomorphistisch vergebens abwerfen wollen. Die Gefangenschaft in der Apparatur ihres surv ival mag die besondere Wildheit der Nashörner ebenso erklären wie die uneingestandene und darum desto furchtbarere des homo sapiens. Das subjektive Moment wird vom objektiven gleichsam eingefaßt, ist selber, als ein dem Subjekt begrenzend Auferlegtes, objektiv." 61) Hörkheimer/Adorno, DA, S.37.

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jedoch letztlich der Verlust reflexiven Denkens und damit blind gegenüber dem Naturzusammenhang. "Denken, in dessen Zwangsmechanismus Natur sich reflektiert und fortsetzt, reflektiert eben vermöge seiner unaufhaltsamen Konsequenz auch sich selber als ihrer selbst vergessene Natur, als Zwangsmechanismus.(·..) Die Menschen distanzieren denkend sich von Natur, um sie so vor sich hinzustellen, wie sie zu beherrschen ist."^^' Adornos Geschichtsphilosophie als Naturgeschichte ist somit nicht im Hinblick auf Kategorien wie Freiheit und Gerechtigkeit zu konstruieren.^^' Gleichwohl ist sie eschatologisch ausgerichtet, d.h. nicht geschlossen für die Erwartung des Neuen und Erlösenden. Sie kann auch als 'Untergang nach oben' charakterisiert werden mit der entscheidenden Anmerkung jedoch, daß der konkreten Negation realer Vo-hältnisse keine konkrete Utopie folgt und die Vermittlung von Utopie und Praxis versagt wird. "Der Strahl, der in all seinen Momenten das Ganze als das Unwahre offenbart, ist kein anderer als die Utopie, die der ganzen Wahrheit, die noch erst zu verwirklichen wäre."®'" Die Motivation zu allen naturgeschichtlichen Überlegungen ist eben - und dies sollte in diesem Abschnitt und des Geschichtszeichens 'Auschwitz'eingedenk deutlich werden nicht "das Gute, sondern das Schlechte"®^' der alltäglichen Erfahrungen, die freilich ihr Gegenteil evozieren. 3. Welche Bedeutung kommt nun in diesen Konstellationen im einzelnen dem zu, was Adorno das 'Andere', das Nichtidentische, die Idee der Erlösung nennt und dem alle Intention letztlich gilt? 62) Horkheimer/Adorno, DA, S.38. 63) Vgl. ebda, S.199: "Demgegenüber(dem scheinbaren Fortschritt der Zivilisation, W.B.) scheint es eine Art Schrulle zu sein, die Weltgeschichte, wie Hegel es getan hat, im Hinblick auf Kategorien wie Freiheit und Gerechtigkeit konstruieren zu wollen." 64) Adorno, H, S.1o4. 65) Horkheimer/Adorno, DA, S.195.

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In der Konstellation von Natur-Geschichte-Mythos kommt das 'Andere', das religiöse Moment notwendigerweise zum einen als Ausdruck der Angst wie zum andern als der des sprachlichen Unvermögens, Begriff und zu Begreifendes identisch zu machen, vor. Es wurde ebenfalls schon expliziert, daß diese Konstellation nur eine 'inverse Theologie' enthalten kann, da sie nie aus dem Kreis des Naturgeschichtlichen hinausführt. Was als Versöhnung oder Erlösung aufscheint, transzendiert wohl den Bann des Grauens und der zwanghaften Selbstbehauptung, aber es bleibt real an den Ort der Erfahrung gekettet, d.h. die Idee der Rettung kann ebenso Ausdruck der Angst und des Überlebenswillens des Gequälten , wie sie echte Offenbarung der Macht des Andern sein kann. Die Sätze aus der Negativen Dialektik: "Wer an Gott glaubt, kann deshalb an ihn nicht glauben. Die Möglichkeit, für welche der göttliche Name steht, wird festgehalten von dem, der nicht glaubt.(...) Es hat sich verschärft: Hoffnung auch nur zu denken, frevelt an ihr und arbeitet ihr entgegen"^®', sind also nur von dieser ambivalenten bzw. negativ dialektischen Perspektive von Glaube und Aberglaube aus zu verstehen; einer Dialektik, die das naturgeschichtliche Moment in allem subjektiven Denken nicht vergessen will. Jeder Versuch, von einem Gott als dem Retter zu reden, muß sich nach Adorno dieser Dialektik von wahrer Gottesverehrung und Götzendienst bewußt bleiben; aus dieser dialektischen Spannung führt nach ihm kein Weg. Ausdruck aller wahren Religion, "das was den Erfahrungskreis transzendiert, was an den Dingen mehr ist als ihr vorweg bekanntes"^^', ist deshalb für Adorno nur unter dem Vorzeichen des alttestamentlichen Bilderverbots, d.h. im Verbot der Nennung des Gottesnamens als denkpraktische Anleitung möglich. Denn nur dadurch bleibt der Mensch bewahrt vor dem Rückfall in magische bzw. betrügerische 66) Adorno, ND, S.392. 67) Horkheimer/Adorno, DA, S.17.

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Riten und vor der Illusion, aus der Welt der Angst schon durch die Hypostasierung der Idee der Rettung faktisch gerettet zu sein. Quer durch alle Schriften Adornos kommt immer wieder der Verweis auf das alttestamentliche BILDERVERBOT , wie es klassisch in Ex.2o,4 formuliert ist, vor. So z.B. Kg, S. 241f.; MM, S.184; ND, S.2o3,2o5,291 ; St,S.28; ÄTH , S.1o6, 159 u.ö. Adorno hält sich an dieses Verbot, weil der Gedanke und der Begriff für ihn kein Abbild des Intendierten bzw. Erfahrenen sein darf. "Die aufklärende Intention des Gedankens, Entmythologisierung tilgt den Bildcharakter des Bewußtseins. Was ans Bild sich klammert, bleibt mythisch befangen, Götzendienst. Der Inbegriff der Bilder fügt sich zum Wall vor der Realität"(ND,S.2o3). Hängt so die Treue zum Bilderverbot grundlegend mit Adornos Erkenrtnistheorie zusammen, so ergibt sich von da aus auch seine "Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber"(St, S.28). Letztlich hat so "das alttestamentliche Bilderverbot neben seiner theologischen Seite eine ästhetische. Daß man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich"(ÄTH, S.1o6). Dies ist für Adorno deshalb nicht möglich, weil die ästhetischen Bilder sich von den kultischen zu unterscheiden haben. "Kunstwerke verbieten sich durch Autonomie ihrer Gestalt, das Absolute in sich einzulassen, als wären sie Symbole. Die ästhetischen Bilder stehen unterm Bilderverbot" (ÄTH,S.159). Vgl. zum Bilderverbot aus theologischer Perspektive den Aufsatz von Chr.Link, Das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott, in: ZThK 1977,S.58ff. In der Erörterung zur Traditionsgeschichte des Bilderverbotes formuliert Link das für die heutige Theologie gestellte Problem folgendermaßen: "Die Negation des Bilderverbots gilt also - modern gesprochen - theologischen Vorstellungen und Denkmustern, die verhindern, daß der universale Anspruch Gottes, die von Paulus berufene 'Kraft' des Evangeliums (Röm.1,16) sich durchsetzt, zum Zuge kommt, und die eigene Gegenwart noch erreicht. Seine Kritik richtet sich heute gegen eine Theologie, die sich in einer Weise von den Bildungsformen der europäischen Tradition hat umklammern lassen, daß sie angesichts der Sachverhalte (Ökonomie, Zivilisation usf.) , die diese Formen implizieren, in weiten Teilen der Welt nicht mehr als Ruf zur Freiheit vernommen wird"(Link, a.a.O., S.74). Link konstatiert dann weiter ganz im Sinne der von Adorno intendierten Nichtidentität von Begriff und zu Begreifendem, daß die im "Begriff der Theologie enthaltene Spannung zwischen dem Gott der Offenbarung und dem Formgesetz des Logos"(a.a.O., S.75) unaufhebbar ist. Der Gott des Alten Testaments wie der des Neuen ist nach Link ein Gott, der sich nicht bildlich schauen läßt, sondern der durch sein Wort Zukunft verheißt und darin erfahren wird. "Denn als der, der durch sein Wort der Welt ihr zeitliches Dasein eröffnet, unterscheidet sich Gott von der Welt,

- 13ο bleibt er in ihr verborgen und entzieht sich jeglichem Bild"(ebda, S.76). Auslegungshorizont für die Wahrheit Gottes ist demnach nicht die Ontologie, sondern die Eschatologie. "Kriterium theologischen Redens von Gott ist das Bilderverbot also in dem Sinn, daß es der spezifischen Gefährdung jeder Epoche begegnet, den Begriff Gottes nach dem Bild der eigenen Gegenwart, ihrer Bedürfnisse und Moden zu formen"(ebda, S.77). Von einer solchen theologischen Position aus erscheint Adornos Treue zum Bilderverbot als seiner erkenntnistheoretischen und 'invers-theologischen' Denkpraxis in relativ großer Nähe zu eben dieser Theologie . Adornos konstellative Methode, wie sie oben beschrieben wurde, ist die Durchführung des Bilderverbots,und das naturgeschichtliche Moment in all seiner Denkpraxis zeigt an, welche Erfahrungen dieses Verbot in Geltung gesetzt haben. Es ist die Erfahrung, daß das Prinzip der Selbsterhaltung jedes ihm Fremde, Andere und Göttliche fixieren will, um so dem scheinbar Bewältigten seine Opfer bringen zu können, d.h. aber zugleich, um es so im Tauschverfahren entthronen zu können. Die Verborgenheit Gottes ist für Adorno bleibender Impuls, die Gegebenheiten dieser Welt und Natur auf ihre zukünftige Möglichkeit der Erlösung als Verheißung hin kritisch zu interpretieren. Dieses 'Mehr' der Verheißung auf eine Erlösung hin ist nicht faßbar oder theoretisch auf den Begriff zu bringen; einzig die Musik ist nach Adorno ein gelungener Ausdruck solcher Erfahrung von Nichtidentität bzw. der glückhaft momentanen Erfahrung möglicher Identität. Von der Offenbarung Gottes zu sprechen bzw. von der Wahrheit einer möglichen Erlösung, heißt für Adorno ganz im Sinne des auch von Link festgestellten Sachverhaltes, nicht Gottes Existenz oder gar sein Wesen aussagen zu wollen oder zu können, sondern vielmehr "aufgrund der Voraussetzung daß Gott existiert, diesem Gott Rechnung zu tragen, von ihm sachgemäß zu reden"(Link, ebda, S.82). Adornos negative Dialektik ist bzw. kann in diesem Zusammenhang als sein sachgemäßer Beitrag zur Rede von Gott bezeichnet werden.

Der Glaube an die sich angesichts der Not einstellende Idee der Rettung und Erlösung, die unmittelbare Annahme dieses Geistes der Hoffnung, ist nach Adorno der Dialektik von Natur und Geschichte nur um den Preis des Opfers des Wissens um die Realität des Gegebenen entronnen: also nur scheinbar. Indem solcher Glaube "auf die Einschränkung des Wissens angewiesen bleibt, ist er selbst eingeschränkt. Den im Protestantismus unternommenen Versuch des Glaubens, das ihm transzendente Prinzip der Wahrheit, ohne das er nicht bestehen kann, wie in der Vorzeit unmittelbar im

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Wort selbst zu finden und diesem die symbolische Gewalt zurückzugeben, hat er mit dem Gehorsam aufs Wort, und zwar nicht aufs heilige, bezahlt. Indem der Glaube unweigerlich als Feind oder Freund ans Wissen gefesselt bleibt, perpetuiert er die Trennung im Kampf, sie zu überwinden: sein Fanatismus ist das Mal seiner Unwahrheit, das objektive Zugeständnis, daß, wer nur glaubt, eben damit nicht mehr glaubt."®®^ Dies ausführliche Zitat soll zeigen, daß es Adorno nicht um eine aufklärerische Religionskritik, sondern darum geht, den gläubigen Menschen in seine Schranken zu weisen, ihn an seine heimliche Blasphemie wie seine damit verbundene Selbsttäuschung zu mahnen. Die damit zugleich angesprochene Aporie des christlichen Glaubens von Erkenntnis und Glaube bzw. von Vernunft und Offenbarung hat Adorno ausdrücklich reflektiert. Eine Vermittlung zwischen diesen beiden Kategorien wie auch eine einseitige Auflösung lehnt Adorno ab. Die religiöse restaurative Stimmung der Nachkriegszeit wird von ihm kritisch als "Bedürfnis nach Orientierung, Rückhalt am festen Vorgegebenen"interpretiert. Für Adorno ist die Welt nach Auschwitz geprägt durch eine Abwesenheit von Sinn, und jede traditionelle Religionskritik oder das orthodoxe Festhalten an dogmatischer Wahrheit oder eine entschlossene Entscheidung zum Glauben gleichen ihm allzu sehr einer Katastrophenpolitik. Gerade die erreichte Ebene einer historisch-kritischen Exegese der Bibel und der gegen diese exegetische Methode geltend zu machende Gehalt christlichen Glaubens, "daß einmal Gott Mensch geworden"^''^ , machen nach Adorno die aporetische Situation für jeden Gläubigen aus, und diese Situation ist nicht einfach in die eine oder andere Richtung aufzulösen. Diese Aporie ist für Adorno vielmehr Ausdruck für das Scheitern des endlichen Menschen und für die "gegenwärtige Ohnmacht der religiösen Kategorien. 68) Horkheimer/Adorno, DA, S.21. 6 9) Vgl. Adorno, Vernunft und Offenbarung, in: St, S.2off. 7o) Adorno, St, S.22 71) Ebda, S.28. 72) Ebda.

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Diese Situation gar noch als das eigentliche Skandalon des christlichen Glaubens auszugeben"^^ ' , ist freilich für Adorno gänzlich Blasphemie und der Dienst im Sinne der alten Mythologie: Herrschaft und Selbsterhaltung durchs listige Opfer der Vernunft. Gegenüber solchen allzu menschlichen Täuschungsmanövern der christlichen Theologie, sieht Adorno in der jüdischen Religion eine "Religion ohne Mythos"^^ . Die jüdische Religion ist bestimmte Negation magischer Praxis mittels des VErbotes, den Gottesnamen auszusprechen.^^^ Damit ist nach Adorno der fortgeschrittenste religiöse Bewußtseinsstand erreicht, nämlich: sowohl die Selbstbehauptung - als könnte der Mensch sich durch Magie selbst erlösen als auch die Blasphemie - als wäre Gott im Namen unmittelbar anwesend oder im Begriff zu fixieren - selbstreflexiv zu erinnern und damit auf die diese transzendierende Wahrheit aufmerksam zu machen. "Die Selbstzufriedenheit des Vorwegbescheidwissens und die Verklärung der Negativität zur Erlösung sind unwahre Formen des Widerstands gegen den B e t r u g . D a s aber heißt, das Christentum hat nach Adorno die jüdische Religion nicht überboten und in der Weise 'wahrhaftig' entmythologisiert, so daß sowohl der Unterschied zwischen Mensch und Gott gewahrt als auch die reale Situation der Menschen, ihre Naturverfallenheit, als das stetige Begleiten allen Denkens, zum Tragen gekommen wäre. Das Christentum ist deshalb ein "Rückfall hinter das Judentum"^^^, denn zum einen bringt wohl die Vergeistigung der Gottheit gegenüber dem Naturmythischen ein befreiendes Moment, aber gerade die Überbetonung der

73) Vgl. dazu ausführlich, K.Röhring, Th.W.Adorno, in: Die Religion der Religionskritik, S.9off. 74) Horkheimer/Adorno, DA, S.178. 75) Vgl. ebda, S.167ff. 76) Ebda, S. 25. 77) Ebda, S. 158.

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Liebe und Gnade Gottes in seiner Menschwerdung in Jesus Christus führt erneut und desto stärker zum Prinzip der Idolatrie. "Um soviel wie das Absolute dem Endlichen genährt wird, wird das Endliche verabsolutiert. Christus, der fleischgewordene Geist, ist der vergottete Magier. Die menschliche Selbstreflexion im Absoluten, die Vermenschlichung Gottes durch Christus ist das proton pseudos. Der Fortschritt über das Judentum ist mit der Behauptung erkauft, der Mensch Jesus sei Gott gewesen. Gerade das reflektive Moment des Christentums, die Vergeistigung der Magie ist schuld am Unheil. Es wird eben das als geistigen Wesens ausgegeben, was vor dem Geist als natürlichen Wesens sich erweist. Genau in der Entfaltung des Widerspruchs gegen solche Prätention von Endlichem besteht der Geist. Nicht so sehr in der Menschwerdung Gottes liegt für Adorno die Fortsetzung des Mythischen, als vielmehr darin, daß diese Menschwerdung als Opfer und als "konzessioniertes 79) Heilsresort" verstanden und von der Kirche verwaltet wird; ein Heilsressort, das die eigene Schuld und Naturverfallenheit vergessen machen soll. "Darin liegt ihre (der geglaubten Versöhnung von Natur und übernatur,W.B.) Unwahrheit: in der trügerischen affirmativen Sinngebung des Selbstvergessens. Lehnt Adorno somit eine offenbarungstheologisch orientierte christliche Theologie ab 81 ), so hält er umso stärker

78) 79) 80) 81)

Horkheimer/Adorno, DA, S Л 59. Ebda, S.16o. Ebda. Vgl. Adorno, St, S.26: "Während, im Gefolge der allgemeinen Neutralisierung allen Geistes zu bloßer Kultur seit den letzten hundertfünfzig Jahren, der Widerspruch der traditionellen Offenbarungsreligion zur Erkenntnis kaum mehr gefühlt wird, (...) ist die Zumutung der Offenbarungsreligion ans Bewußtsein seit der Aufklärung nicht zurückgegangen, sondern ins Ungemessene gestiegen. Daß keiner mehr davon redet, rührt daher, daß man beides überhaupt nicht mehr zusammenbringen kann."

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an dem für ihn eschatologisch orientierten Begriff der 82 )

Versöhnung als "dem höchsten Begriff des Judentmns" fest. Versöhnung, nicht als schon geschehene, sondern als noch zu erwartende. Die messianische Eschatologie der 83) Rettung aller ist die Hoffnung Adornos; sie gilt es angesichts der realen Leiden der Menschen auch und gerade am Ort der Naturverfallenheit erinnernd und hoffend am Leben zu erhalten. Das Wahrheitskritierium für die Deutung des menschlichen Lebens ist für Adorno also nicht der Verweis auf ein heilsgeschichtliches Datum oder die Herstellung von Argumenten aufgrund gemachter Erfahrungen, sondern das nicht gedeckte Vertrauen darauf, daß die Faktizität der Welt die Möglichkeit der Rettung nicht nur nicht ausschließt, sondern geradezu zwingend macht. Adorno verweist auf keine besondere erkenntnisbegründende religiöse Erfahrung, dennoch gehört seine Hoffnung in die Tradition des jüdisch messianischen Denkens. Die Unerbittlichkeit der kritischen Analysen des vergangenen und gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Lebens lebt insgeheim vom Glauben - und anders können die von Adorno zentral gebrauchten religiösen Topoi der Erlösung und Versöhnung kaum interpretiert werden - an die jüdische Verheißung der Erlösung. 82) Horkheimer/Adorno, DA, S.178. 83) Vgl. Anm. Io), s.u.S.42f.; eine konkrete Ausführung wie die Erlösung aussieht, kann Adorno nach all dem Gesagten nicht geben; die Erlösung trägt jedenfalls keine jüdisch-nationalen Züge. 84) Zu erinnern ist an dieser Stelle an Sätze aus K.Barths berühmter Tambacher Rede: "Nur aus der radikalsten Erkenntnis der Erlösung heraus kann man das Leben, wie es ist, so hinstellen, wie Jesus es getan hat. Nur vom Standpunkt der Antithesis, die in der Synthesis wurzelt, kann man die Thesis so ruhig gelten lassen" (K.B., Der Christ in der Gesellschaft, zit. nach: J. Moltmann(Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie, München 1962,S.23f.). Die Affinität solcher theologischen Sätze, mit denen Barth seine Ablehnung gegenüber allem Kulturprotestantismus legitimierte zu denen von Adornos kritischer Haltung gegenüber aller Kulturindustrie und deren Folgen, darf zunächst nicht darüber hinwegtäuschen, daß Adornos religiöse Haltung eben

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Adornos religiöse Intention geht nicht dahin, von diesem Vertrauen aus, eine Theorie besseren Handelns zu entwerfen; er versucht vielmehr - das Licht der Erlösung im Rücken -,die Phänomene der Geschichte des menschlichen Schattenwurfs auf die Erde zu untersuchen. Die Tiefe solchen Denkens zielt nicht darauf, irgend ein Geheimes oder Hintergründiges ans Licht zu holen, sondern es geht um das Verhältnis zwischen dem Bewußtsein und der Wirklichkeit des Schattenbereichs. Es geht um jene Denkpraxis, "die insistiert, ohne dabei weder etwas in der Sache Liegendes noch etwas im Subjekt selbst Seiendes zu hypo85) stasieren und vorauszusetzen." Das heißt - um in der Metaphorik von Licht und Schatten zu bleiben, weil in der metaphorischen Sprachverwendung am ehesten die 'inverse' Theologie Adornos zum Ausdruck gebracht werden kann - : Adorno beschreibt, angetrieben vom Licht, die Abgründe des geschichtlich gewordenen Lebens, ohne dabei den eigenen Schatten, der im Vorgang des Beobachtens und Abschreitens auf die Dinge fällt, zu vergessen und in die Formulierung der Analyse mit einzubringen. Nicht nach dem Ursprung des Lichts oder seiner Beschaffenheit also fragt Adorno, sondern er folgt dessen Strahlen und versucht, indem er sich selbst und damit seinen eigenen Schatten bewegt, in der Bewegung solchen konstellativen Denkens, dem Objekt der Betrachtung und damit auch sich selbst, verschiedene Perspektiven zukommen zu lassen. Daß Schatten da ist, weil der Mensch ihn, im Lichte stehend, wirft, ist für Adorno einfach gegeben. Der Mythos aber, daß das Verhältnis von Licht und Schatten ein-für-allemal fixiert sei, wird durch den Modus der Denkbewegung/Denkpraxis aufgeweicht und so die Hoffnicht der von Barth angesprochenen Synthesis entspringt. Dennoch liegt hier eine Entsprechung im Blick auf die Haltung des Glaubens vor: ein prophetischer Mut zur schonungslosen Kritik an allem 'Weltlichen'; Adorno lehnt es freilich ab, über den Grund solchen Glaubensmutes sich und andern genaue Rechenschaft zu geben. 85) Adorno, PhT Bd.I, S.139.

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nung auf Erlösung mit lebendig gehalten. Dem Schatten nachzudenken - inverse Theologie - heißt damit für Adorno dem Lichte dienen. Das ist die Denkpraxis negativer Dialektik, die sich ans Bilderverbot hält. Die Kunst solcher Haltung besteht darin, nicht die Schatten zu beschwören in der Illusion, daraus könne je einmal Licht werden, sondern den Schatten als unabänderliches Pendant zum Menschen, zu sich selbst, aufgrund des Lichts zu deuten: je größer der Mensch sich macht, desto größer wird sein Schatten 1 Nicht nach dem Wesen des Menschen ist deshalb primär zu fragen, sondern nach der Größe seines Schattens, denn der verweist 'invers' aufs Licht und direkt auf seine'Großmannssucht' . Und besonders ist auf die Schattenränder zu achten, denn im Gewahrwerden der Differenz von hell und dunkel wird die Möglichkeit und die Notwendigkeit ihrer Aufhebung bewußt. Der Mythos - oder metaphorisch gesprochen: das Ineinander von Licht und Schatten - ist zu bewegen mit der Kraft des Denkens. Der Versuch, den Mythos gänzlich zu beseitigen, hieße zugleich die Beseitigung der Lichtquelle und wäre der Triumph subjektiven Denkens. Konstellatives Denken bzw. negativ dialektisches will den Schatten nicht 'aufheben', weil dadurch nur das Selbst sich ins Licht setzen würde, d.h. einen Selbstbetrug durch 86 Ì

Nabelschau inszenieren würde. Negative Dialektik ist deshalb die 'Rettung des Scheins', denn nur so ist nach Adorno die Möglichkeit gewahrt, die Verstrickung von Licht, Schatten und Mensch in der Hoffnung auf Erlösung des Ganzen wach zu halten. Und noch einmal im Blick auf das Bilderverbot formuliert: dieses mahnt den Menschen, auf den Schatten,das Vorläufige zu achten und nicht den Versuch zu unternehmen, nur ins Licht zu schauen. Das Bilderverbot hält die Menschen an ihre Geschichte, an ihre 87 Schatten, ) denn sie sind es, die von der Lichtquelle zeugen. 86) Vgl. Adorno, ND,S.392ff. 87) Es sieht so aus, als würde sich Adorno der Geschichte der Begegnung Moses mit Gott - Ex.33 - erinnern; Mose kann und darf nur die 'Rückseite Gottes'-Ex.33,23 schauen.

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Im Duktus dieser metaphorischen Beschreibung der Intentionen der 'inversen Theologie' Adornos kann der Eindruck entstanden sein, Adorno verfahre nach dem bekannten Schema: die Heilosigkeit der Welt verweist ex negativo auf die Größe seines Schöpfers und Erlösers. Diese 88) Art 'negativer Theologie' wird von Adorno insofern entscheidend modifiziert, als er das dieser Denkfigur zugrundeliegende Motiv, d.h. das Bedürfnis nach Heil und Identität in seiner naturgeschichtlichen Genesis mitbedenkt. Adorno versucht das Heil wie das Unheil insofern nicht abstrakt zu denken, da er die Vermittlung beider durch den geschichtlich gewordenen Menschen in die Denkbewegung miteinbringt und nur das für beweiskräftig hält, was vor Augen liegt, sich aber dem logischen Schlußverfahren auf die Ermöglichung des Sehens verweigert. Aus der Verstrickung in den Schatten führt nach Adorno kein Weg. Und doch ist es wiederum dieser verstellte Weg, der auf sein Ziel, das Unverstellte verweist und im Sinne Kafkas das 'Weg-von-hier' zur Aufgabe macht. Deshalb ist Adornos QQ\ Denkpraxis "zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise" , die, um das Glück zu wahren, vorläufig nie ans Ziel kommen kann.

88) Vgl. J.Hochstaffl, Negative Theologie, München 1976. Hochstaffl geht in seiner Diskussion über einen "möglichen Sinn des Postulats negativer Dialektik"(a.a. 0., S.199f.) kurz auf Adorno ein, denkt jedoch nicht in Konstellationen, sondern traditionell in der Korrelation von Heil und Unheil. 89) F.Kafka, Sämtliche Erzählungen, Frankfurt 197o, S.321. Vgl. auch D.Mieth, Ansätze einer Ethik der Kunst, in: Handbuch der christlichen EThik, hg. von A.Hertz u.a., Gütersloh 1978, Bd.2, S.489f.

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II.

EXKURS; Zum Programm

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der Entmytholoqisierung Bult-

manns aus der Perspektive Adornos 1. Nach dem zuvor Gesagten dürfte es deutlich geworden sein, daß der Begriff des Mythos bei Adorno sowie der der Entmythologisierun.g zum unabänderlichen Kreislauf des naturgeschichtlichen Lebens gehört. Da jedoch die Entmythologisierung im Laufe der geschichtlichen Entwicklung auf die Seite der herrschenden Rationalität positivistischer Weltbeherrschung zu stehen kam, ist verständlich, daß Adorno dieser Art Entmythologisierung äußerst skeptisch gegenüberstehen muß. "Indem sie(die Entmythologisierung, W.B.) nichts übrigläßt als das bloß Seiende, schlägt sie in den Mythos zurück. Es fragt sich nun von dieser Konzeption Adornos aus, wie das Programm der Entmythologisierung Bultmanns^' zu beurteilen ist. Dabei geht es ausdrücklich nicht um eine differenziert angelegte Diskussion der Theologie Bultmanns sondern nur darum, im Kontrast zu Bultmanns Intention vor allem diejenige Adornos herauszustellen. Es soll dabei auch nicht einfach der unterschiedliche Gebrauch des Begriffs Mythos oder gar die theologische Argumentation Bultmanns gegen die naturgeschichtliche Adornos ausgespielt werden, sondern es soll über das Begriffliche zum methodischen Vorgehen beider vorgestoßen werden.

1) Adorno, ND, S.392. 2) Ich beziehe mich vor allem auf folgende Schriften R. Bultmanns: Neues Testament und Mythologie(1941), in: KuM I, S.ISff; Zu J.Schniewinds Thesen das Problem der Entmythologisierung betreffend, inKuM I,S.122ff; Zum Problem der Entmythologisierung, in: KuM II, S.179ff; Zur Frage der Entmythologisierung. Antwort" an K.Jaspers, in: KuM III, S.47ff; Zum Problem der Entmythologisierung, in: KuM VI,1, S.19ff. - Die seit 1945 fast unübersehbar angestiegene Literatur zum Problem der Entmythologisierung berücksichtige ich nicht aus den oben genannten Gründen. - Zu Bultmanns Theologie insgesamt vgl. W. Stegemann, Der Denkweg Rudolf Bultmanns, Stuttgart 1978, bes. S.97ff.

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Bultmanns Interesse, das ihn auf den Weg seiner existentialen Interpretation des Neuen Testaments und damit zugleich zu dessen Entmythologisierung gebracht hat, dürfte sicher als ein seelsorgerliches und missionarisches gewertet werden. Nicht um irgendwelche Eliminierung von Glaubensinhalten geht es ihm, sondern dariim, das wahre Skandalen des christlichen Glaubens wieder herauszustellen. Bultmanns Entmythologisierung will "ein Verständnis der Schrift gewinnen, das frei von jedem Weltbild ist, wie es das objektivierende Denken entwirft, sei es das des Mythos, sei es das der Wissenschaft."^^ Bultmann versucht, den scheinbar störenden Baiast vom Kerygma -"daß Gottes Wort den Menschen aus all seiner Angst wie aus all seiner selbstgeschaffenen Sicherheit zu Gott ruft und 4) damit in seine eigentliche Existenz" - wegzuräumen, um zum Eigentlichen des Evangeliums vorzudringen bzw. dieses den Menschen sagen zu können. Das Wegräumen von Hindernissen kann nur dann gelingen, wenn die Werkzeuge dazu taugen. Dies wissend, hat denn auch Bultmann im Streit um die Entmythologisierung betont, es gehe nicht sekundär, sondern sogar primär "um die Frage nach der 'richtigen' Philosophie."^' Von dieser Philosophie muß gefordert werden, daß sie "das mit der menschlichen Existenz gegebene Existenzverständnis in angemessene BegriffIchkeit formen"^' kann. Wenn von menschlicher Existenz gesprochen wird, so geht es Bultmann darum, daß Gottes Wort dem Menschen begegnen kann, so daß der Glaube und ein neues Existenzverständnis ermöglicht werden. Gerade also nicht Gott ist Objekt der Theologie - das wäre ja nur mythologisches Reden - sondern Thema der Theologie sind die anthropologischen und ideologischen Mißverständnisse, die verhindern, daß Gottes Wort wirkt und angemessen zur Sprache gebracht werden kann. Bultmann will also vordergründig keine Rationalisierung des Glaubens betrei3) Bultmann, KuM II, S.187. 5) Ebda, S.192. 6) Ebda.

4) Ebda, S.188.

- 14ο ben, denn dieser bleibt das Geheimnis und Geschenk Gottes, sondern die Strukturen der menschlichen Existenz so darstellen, daß das eschatologische Geschehen des Glaubens sich ereignen kann und der Gläubige vom verdinglichenden mythischen Bewußtsein befreit wird. 2. Die Nähe und die Differenz von Bultmanns Methode zu der Adornos dürfte durch diese kurze Darstellung schon in etwa deutlich geworden sein. Die methodische Nähe beider liegt darin, daß beide jedem objektivierendem Denken bzw. allem mythischen entgegenwirken wollen durch Kritik und deshalb die Sache ihres Denkens primär die der Methode ist. Die Annahme Bultmanns freilich, daß die Methode der existentialen Interpretation der menschlichen Existenz eine "Entledigung der mythischen Denkform"^^ mit sich bringe, kann von Adornos Konzeption aus nur als ein unreflektiertes Vorurteil bewertet werden. Wenngleich auch Adornos Idee einer Naturgeschichte als eine Entmythologisierung bzw. eine 'bessere' Auslegung der menschlichen Wirklichkeit verstanden werden kann, so doch als die eines gänzlich anderen Verfahrens, was freilich auch einen andern Begriff 8) von Mythos impliziert. Nach Adorno dürfen nicht historisch sedimentierte Hindernisse weggeräumt werden, um zum Wesen der Natur, der Ge7) Bultmann, KuM II, S.2o7. 8) Da Adorno anhand seiner konstellativen Methode keine explizite Definition des Mythos bzw. der Entmythologisierung gibt, seien hier verschiedene Stellen zur Thematik wiedergegeben. "Die aufklärende Intention des Gedankens, Entmythologisierung, tilgt den Bildcharakter des Bewußtseins. Was ans Bild sich klammert, bleibt mythisch befangen, Götzendienst"(ND,S.2o3); "Entmythologisierung ist Scheidung, der Mythos die trügende Einheit des Ungeschiedenen"(ND,S.122); "Das Subjekt ist die späte und dennoch der ältesten gleiche Gestalt des Mythos"(ND,S.185);"Der mythische Bann hat sich säkularisiert zum fugenlos ineinandergepaßten Wirklichen, Das Realitätsprinzip, dem die Klugen folgen, um darin zu überleben, fängt sie als böser Zauber ein"(ND, S.339).

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schichte oder des Menschen zu kommen. Gerade schon die Frage nach dem Wesen einer Sache ist mythisch und ist nach Adorno nur die Fortsetzung mythischer Denkpraxis als der. einer erzwungenen Reduktion des Mannigfaltigen auf Eines. Den Wahrheitsgehalt einer Sache erhält man nicht durch Reduktionen, sondern es gilt die verschiedenen Erfahrungen und mythischen Bewältigungsversuche der Menschen in ihrer Geschichte so zusammenzustellen, daß durch sie, ihre Anhäufung und ihre dadurch sichtbar gemachten Bruchstellen, die Notwendigkeit ihrer Aufhebung aufscheint. Damit ist der Mensch nicht in seinem Wesentlichen definiert, sondern es sind nur die Strukturen seiner bisherigen Ohnmacht beschrieben; es sind die Hindernisse gerade, die die Situation der Menschen ausmachen. Nun kann freilich eingewandt werden, daß auch Bultmanns exlstentiale Analyse der menschlichen Existenz diese als sündig und heillos, weil auf Selbsterhaltung und Selbstsicherung setzend, interpretierte Doch Bultmann geht es ja nicht primär um eine anthropologische Bestandsaufnahme, sondern darum, wie der Mensch der Moderne die Botschaft des Evangeliums verstehen kann, d.h. die Existentialinterpretation ist nur Mittel, um das überwucherte Verhältnis von Vernunft und Offenbarung so zu 'reinigen^ daß eine Vermittlung, deren Sache freilich die Gottes ist, überhaupt stattfinden kann. Impliziert wird also in diesem Bemühen - und das ist von Bedeutung - , daß die Vernunft von sich aus die Freiheit besitzt, ihre eigenen Wucherungen wegräumen zu können. Oder anders gesagt: Bultmann versucht mit rationalen Mitteln, ohne deren eigene Naturgeschichte hinlänglich zu reflektieren, die Geschichtai des Neuen Testament, insbesonders die Wundergeschichten derart von den menschlichen Bedürfnissen und historisch bedingten Interessen zu reinigen, daß das darin enthaltene göttliche Wort wieder Leuchtkraft erhält. Im Prozeß solcher Reinigung von mythischen Elementen eines Textes, um so seinen eigentlichen bzw. existentiellen Gehalt freizulegen, wird von Bultmann unbesehen die kritische Vernunft z\im Maßstab des Wesentlichen. Der aufklärende Logos steht

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gegen einen mehr oder weniger verstandenen religionsgeschichtlichen Mythos. In solcher Wertschätzung der kritischen Vernunft ohne ihrer naturgeschichtlichen Momente zu gedenken, sieht Adorno die konsequente Aufklärung am Werk; "konsequente Aufklärung jedoch schlägt zurück in Mythologie an der Stelle, wo sie den Nominalismus verabsolutiert, anstatt auch seine These dialektisch zu durchdringen; dort, wo sie im Glauben an ein letzthin Gegebenes die Reflexion abbricht. Adorno dagegen entmythologisiert z.B. die Geschichte der Irrfahrten des Odysseus nicht, um in einem Reduktionsverfahren die Bedeutung dieser Geschichten für das heutige Selbstverständnis deren wesentliche 'Kerne' herauszuarbeiten. Vielmehr konfiguriert Adorno heutige Verhältnisse so mit denen vergangener, daß die menschliche Situation und menschliches Verhalten in seiner noch heute evidenten Wirksamkeit - auch in sogenannten Nebensächlichkeiten offenbar"wird. Die Evidenz von Odysseus' Selbsterhaltungsprinzip und dem des heutigen bürgerlichen Individuums wird durch Konstellationen hergestellt. Der Mythos wird nicht durch rationale Mittel als etwas Historisches festgestellt, sondern als das der Rationalität in ihren noch anhaltenden Herrschaftsmustern und Denkfiguren wirkende Macht aufgezeigt. Der Logos ist die neuzeitliche Form des Mythos, Adorno will und kann also den Mythos nicht aufheben bzw. beseitigen, sondern nur dagegen Einspruch^erheben, denn eine konsequente Entmythologisierung "frißt sich auf wie die mythischen Götter mit Vorliebe ihre Kinder.

9) Adorno, ND,S.13o. - Vgl. auch E.Blochs Kritik an Bultmanns Entmythologisierungs-Programm, die, wenn auch von andern Denkstrukturen herkommend, doch ähnlich argumentiert. "Doch ohne Ahnung solchen Sprengpulvers sieht das Bultmannsche in allen Mythen, ohne Ansehung ihres Tenors, nichts als abgestandene Weltrede von 'Unweltlichem', nichts als besonders grotesk 'objektivierete Darstellung einer nicht objektiven Transzendenz'"(E.Bloch, Atheismus im Christentum, Frankfurt 1968, S.7o). 10) Vgl. Adorno, ND,S.64. 11) Ebda, S.392.

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Indem Bultmann invariante Strukturen eines mythischen und wissenschaftlichen Weltbildes durch Reduktionsverfahren rekonstruiert, wird in diesem scheinbar objektiven Verfahren die kritische Selbstreflexion auf dieses ausgeklammert. In dieser nicht reflektierten Zone, die eine scheinbar gereinigte Vernunft wie einen reinen Glauben ermöglicht, lauert nach Adorno gerade die "Dämonologie"^ jener sogenannte gesunde Menschenverstand, der den Mythos verstärkt, gegen den er aufbegehrt. "Vollendete Entmythologisierung bringt Transzendenz ganz auf die Abstraktion, den Begriff. Wider den Willen der Dunkelmänner triumphiert in ihrem Gut die Aufklärung, die sie verklagen. In der gleichen Bewegung des Geistes jedoch beschwört die sich selbst verhüllte, setzende Gewalt des Subjekts in aller dialektischen Theologie den Mythos wieder herauf: ihr Höchstes, als absolut Verschiedenes, ist blind. Geschichtliche Erfahrungen und Geschichten dürfen nach Adorno nicht auf ihren Wesensgehalt als einer Idee reduziert werden, denn gerade das scheinbar Unwesentliche, das dabei weggedeutet wird, wuchert im Prozeß des Wegdeutens weiter und bestimmt die Interessen. Diese aber sind gerade nicht nur durch Denken bzw. Rationalität zu schlichten; sie bedeuten nach Adorno nicht ein anderes, sie deuten vielmehr auf ein noch Ausstehendes.

3. Theologie ist für Adorno - so muß nach diesen Ausführungen zum Problem der Entmythologisierung gefolgert werden - immer 'natürliche Theologie'^^ . Nicht nur, weil 12) Adorno, P, S.338. 13) Adorno, J, S.29. 14) Unter 'natürlicher Theologie' ist damit die unendliche Aufgabe der Vermittlung von Glaube und Erfahrung angesprochen. Vgl. Chr.Link, Die Welt als Gleichnis, Studien zum Problem der natürlichen Theologie, München 1976. Wenn Link mit Recht betont, daß "nur der Glaube" erkennt, "was das Selbstzeugnis der Welt als Gleichnis des Himmelreichs sagen will: daß wir es in der Zukunft, aus der die Welt lebt, mit der Zukunft Gottes zu tun haben"(Link, a.a.O.,S.31o), so muß aus der Perspektive Adorno dazu nur noch gesagt werden,

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sie naturgeschichtliche Momente impliziert, deren Bann sie als ihr entgegenstehend auflösen will, sondern vor allem deshalb, weil sie rational die Erfahrung der Gnade Gottes von einzelnen Menschen zur allgemeingültigen Wahrheit strukturieren will und muß. Dieses Verfahren des konstruktiv Allgemein-gültig-machens, das dem Unmittelbaren jeglicher Glaubenserfahrung Geltung zu verschaffen versucht bzw. es kommunikabel macht, ist ein Verfahren mittels naturgeschichtlich gewordener Prinzipien, die damit dem Glauben die Gewalt logischer Regeln antun muß. Aus dieser Aporie ist nur durch Abstraktion zu entkommen. Der Glaube kann nur so die Fesseln seiner Unmittelbarkeit wie seiner Naturgeschichtlichkeit sprengen, daß er sich z.B. als Denken ausgibt und dabei zugunsten einer Rationalität eine Identität herstellt, die den 'Vorrang des Objekts' im Glauben vergeistigt, d.h. letztlich, die von den subjektiven naturgeschichtlichen Interessen abstrahiert und die Transzendenz auf den Begriff ihrer Logik bringt. Dies ist - analog der 'Dialektik der Aufklärung' formuliert - die zwangsläufige 'Dialektik der Theo-logie'. Für Adorno löst also - so paradox es klingen mag - nicht die 'natürliche Theologie' die Rede von Gott vorschnell in Anthropologie auf, sondern viel eher eine Theologie des 'Logos', wobei unter dem Logos das Prinzip der sich selbsterhaltenden Vernunft^gemeint ist. Der Gott solcher Theologie muß dann konsequenterweise - wie L.Feuerbach es unternommen hat - vollends desillusioniert werden, d.h. der Mensch sich endlich an die Stelle seiner Projektion setzen. Gegen solche fatale Konsequenzen von Theologie hilft nach Adorno einzig die Treue zum Bilderverbot.

daß dieses Wissen des Glaubens eben das Wissen eines glaubenden Menschen ist, d.h. nicht der Glaube glaubt, sondern der Mensch mit seiner Geschichte und in seiner naturgeschichtlichen Verstrickung. 15) Vgl. H.Ebeling(Hg.), Subjektivität und Selbsterhaltung, Beiträge zur Diagnose der Moderne, Frankfurt 1976.

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III.

145

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Mythos - Kunst - Versöhnung

Liest man, von den geschichtsphilosophischen bzw. naturgeschichtlichen Konstellationen Adornos herkommend, dessen Ästhetische Theorie an einer ihrer zentralen Stellen wie der folgenden: " Die ästhetische Erfahrung ist die von etwas, was der Geist weder von der Welt noch von sich selbst schon hätte, Möglichkeit, verheißen von ihrer Unmöglichkeit. Kunst ist das Versprechen des Glücks, das gebrochen wird."^^, so scheinen zunächst jene Kritiker Adornos Recht zu bekommen, die von Ästhetizismus bzw. vom "Rückzug aus der Geschichte in die Ästhetik"^^ sprechen. Spricht sich nicht romantische, weltflüchtige Stimmung in solchen Sätzen aus oder entschädigt sich gar Adorno selbst in seiner Ästhetik für seine 'pessimistische' Haltung in der 'Negativen Dialektik' durch die vage Sehnsucht nach dem 'ganz Andern', wenn er über das Gedicht "Sehnsucht" von Eichendorff schreibt: "Sehnsucht mündet über in sich als in ihr eigenes Ziel, so wie, in ihrer Unendlichkeit der Transzendenz über alles Unbestimmte, der Sehnsüchtige den eigenen Zustand erfährt; so wie Liebe stets so sehr der Liebe gilt wie der Geliebten"? Muß solches Glücksgefühl, "worin Erfüllung als Sehnsucht selber sich offenbart, die ewige Anschauung der Gottheit"^^, nicht gerade von einer christlichen theologischen Perspektive aus als heimliche Apotheose eines wohl religiös doch ebenso narzißtischen Subjekts bezeichnet werden? Oder sind solche ästhetischen Erfahrungen von Glück, deren Erfüllung doch letztlich unerfüllt bleiben und vage in "offene Unendlich4) keit" zu zerfließen scheinen, eine gar adäquate zeitge1) Adorno, ÄTH, S.2o4f. 2) G.Rohrmoser, Das Elend der kritischen Theorie, Freiburg 197o, S.1o3. 3) Adorno, NL I, S.132f. 4) Vgl. zur Kritik dieses Begriffs diejenige Hegels an Jacobi. Hegel, Glauben und Wissen oder Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, in: Theorie WA Bd.2, S.287ff.

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nössische ästhetische Paraphrase der paulinischen eschatologischen Einstellung zum Glück und zu den Dingen der Welt, nämlich "damit fortan auch die, welche Frauen haben, so seien als hätten sie keine und die Weinenden ..." (1.Kor.7,29ff.)? Diese kritischen Fragen an Adornos Ästhetik und wohl auch die gewagte Parallelisierung mit paulinischen Gedanken soll sogleich zu Beginn der Ausführungen dieses Abschnitts auf die Schwierigkeiten der Darstellung wie auf das Ungewohnte und 'Begriffslose' der in Adornos ästhetischen Konstellationen angesprochenen 'inversen'Theologie aufmerksam machen. Die Schwierigkeiten der Darstellung bestehen vor allem darin, daß hier von ästhetischen Erfahrungen ohne direkten Bezug zu ihrem Gegenstand, den Kunstwerken, gesprochen werden muß und zum andern hinsichtlich der traditionellen Einstellung theologischer Denkpraxis zur Poesie und ästhetischen Erfahrungen, die doch noch weitgehend vom Verdacht der Schwärmerei geprägt ist. Doch gerade dieser indirekte Vorwurf soll im folgenden auch zu widerlegen versucht werden, denn es dürfte sich herausstellen, daß - um es thesenartig zu sagen - Adornos Ästhetik da am 'realistischsten' ist, wo sie am'ästhetischsten'bzw. am'metaphysischsten' ist, denn "die mütterlich tröstende Hand, die übers Haar fährt, tut sinnlich wohl. Äußerste Beseeltheit schlägt um ins Physische."^^ Im folgenden soll nun die Konstellation Mythos - Kunst Versöhnung auf ihre theologisch 'inversen' Implikationen hin untersucht werden. Der Darstellung des Verhältnisses von Kunst und Mythos anhand des Mimetischen(1) folgt die der Konzeption von Versöhnung als die von Negation und Utopie(2). Anschließend wird nach dem Subjekt der Versöhnung bzw. nach der Konstitution des Wahrheitsgehalts von Kunstwerken gefragtO); zum Schluß wird mit der Kategorie des Naturschönen der Ort der Erfahrung von Glück beschrieben{4).

5) Adorno, ÄTH, S.412.

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147

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1. Ausgegangen werden muß wieder vom zentralen Motiv der Philosophie Adornos: dem leidvollen Gegenüber von Individuum und Natur, das durch die notwendige Selbsterhaltung des Menschen zum Prinzip der Kultur wurde und bis heute zur universalen Herrschaft über die Natur gesteigert ist. Ist die 'Dialektik der Aufklärung' vor allem die Analyse des Mythos der Naturherrschaft und ihrer speziellen Auswirkungen - Antisemitismus und Kulturindustrie so stehen die Ausführungen Adornos in seiner Ästhetischen Theorie und der Abhandlung über die 'Philosophie der neuen Musik' vor allem unter dem Aspekt: Welchen Anteil hat die Kunst an dieser Naturherrschaft bzw. inwieweit ist die Kunst eine Form, des Geistes, die aus dem Zirkel der von Mythos und Aufklärung gegen die Menschen sich selbst richtenden Naturbeherrschung hinausgeht? Wenn es stimmt, daß der Bann, der auf allen liegt sich immer mehr verstärkt, wie kann dann überhaupt noch in modernen Kunstwerken angesichts der 'objektiven Finsternis' das Licht der Versöhnung aufscheinen? Schon die in diesen Fragen implizierten Begriffspaare von Mythos und Kunst, Licht und Finsternis, zeigen, welchen Konstellationen nachzugehen ist, um die Deutung und Bedeutung der Kunstwerke im Blick auf ihre 'inversen' theologischen Momente aufzuspüren. Die Kunst hat nach Adorno da ihren Ort, wo der Übergang von der alles beherrschenden Natur zur Freiheit des Geistes am kürzesten, wo die Wand zwischen hell und dunkel am dünnsten ist. Diese Ortsangabe ist von Wichtigkeit, denn gerade weil dieser Ort der des Häßlichen, des Grauens ist, wird er vom Ästhetiker nur allzu gerne gemieden. Das wahre Kunstwerk will jedoch gerade dahin seine Freunde wie Feinde locken. "In der Lust am Verdrängten rezipiert Kunst zugleich das Unheil, das verdrängende Prinzip, anstatt bloß vergeblich dagegen zu protestieren. Daß sie das Unheil durch Identifikation ausspricht, antezipiert seine Entmächtigung; das, weder die Photographie des Unheils noch falsche Seligkeit, umschreibt die Stellung authentischer gegenwärtiger Kunst zur verfinsterten Ob-

- 148 jektivität; jede andere überführt sie durch Süßlichkeit des eigenen Falschen. An diesem Ort also, an dem der Umschlag von Gewalt in Versöhnung möglich wird bzw. aufscheinen kann, wo die Gegensätze durch Konstellation einander angenähert werden, ja sich das Kunstwerk mit dem Unheil identifiziert nicht identisch wird - , vollzieht sich das, was Adorno das Mimetische^^ der Kunst nennt. Mimetisches Verhalten beschreibt Adorno als Stellung des Subjekts " zu seinem 8' Anderen, davon getrennt und doch nicht durchaus getrennt." Mimesis ist der Versuch, so zwischen rationaler Konstruktion und buchstäblicher Magie eine dialektische Annäherung 9) an die mythische Natur zu unternehmen , daß die unabänderliche Trennung von Kunst und Natur im Bild der Versöhnung überwunden scheint. Nicht die Natur wird dabei als Vorgegebenes und Vorhandenes nachgeahmt^, sondern die Natur wird als gleichsam schon erlöste gesehen. "Fortlebende Mimesis, die nichtbegriffliche Affinität des subjektiv Hervorgebrachten zu seinem Anderen, nicht Gesetzten, bestimmt Kunst als eine Gestalt der Erkennntis, und insofern ihrerseits als 'rational'. Denn worauf das mimetische 6) Adorno, ÄTH, S.35f. 7) Der Mimesis-Begriff wird von Adorno nicht in der Tradition des Aristoteles gebraucht; Mimesis ist bei Aristoteles und in der nachfolgenden Tradition auf die Erfahrung einer Eudaimonia - in der Polis - gegründet. Vgl. F.Tomberg, Mimesis der Praxis und abstrakte Kunst, Ein Versuch über die Mimesistheorie, Neuwied/Berlin '68. 8) Adorno, ÄTH, S.86. 9) Im Blick auf Hölderlins Dichtung schreibt Adorno, daß das mimetische Verhalten einer Entmythologisierung gleichkomme. "Denn Entmythologisierung ist selber nichts anderes als die Selbstreflexion des solaren Logos, die der unterdrückten Natur zur Rückkunft verhilft, während sie in den Mythen eins war mit der unterdrückenden. Vom Mythos befreit einzig, was ihm das Seine gibt" (NL III, S.2o4). 10) Vgl. ÄTH, S.198: "Die Natur, deren imago Kunst nachhängt, ist noch gar nicht; wahr an der Kunst ist ein Nichtseiendes. Es geht ihr auf an jenem Anderen, für das die identitätssetzende Vernunft, die es zu Material reduzierte, das Wort Natur hat." Anders M.Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, Berlin 1969,3.22.

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Verhalten anspricht, ist das Telos der Erkenntnis, das sie durch ihre eigenen Kategorien zugleich blockiert. Kunst kompletiert Erkenntnis um das von ihr Ausgeschlos-, sene und beeinträchtigt dadurch wiederum den Erkenntnischarakter, ihre Eindeutigkeit."^^' Versöhnung als Ziel und Sinn des Kunstwerks ist demzufolge allemal nur Schein, d.h. nichts A.blösbares, nicht Begreifbares, eben begriffslos. Was so aus den Kunstwerken "wort1 2)

los herausleuchtet" und wodurch sie doch mehr sind als Dasein, ist bewerkstelligt durch Mimesis, durch die ästhetische Form des Kunstwerks. Doch je geglückter die Formung 11) Adorno, ÄTH, S.86f. - Wenn G.Rohrmoser, a.a.O., S.2 5f. schreibt: "Unter Mimesis versteht Adorno, daß der Mensch noch unmittelbar auf die Natur bezogen ist. Mimesis meint also die Form einer unmittelbaren Teilhabe und unmittelbaren Wiederholung der Natur durch den Menschen. Der Mensch selber, ein Naturprodukt, steht hier noch in einem unmittelbaren Austausch mit der ihn produzierenden Natur", so trifft diese Charakterisierung nicht zu; ganz zu schweigen von der Bezeichnung des Menschen als 'Naturprodukt'. Adorno setzt eben keine - wie Rohrmoser annimmt - positive Bestimmung von Natur als 'heile' Natur voraus, an der die Kunst sich als ihrem Telos ausrichten könnte. Kunst ist nach Adorno der negativen Signatur ihres Anteils an der Herrschaft über Natur als von Menschen gemachte nicht entronnen; ihre - der Kunst - gestaltete Versöhnung ist Schein. Die Begriffe Natur und Mythos werden von Adorno in seinen ästhetischen Konstellationen sowohl aporetisch als auch utopisch verwendet, d.h. sie werden durch das Kunstwerk sowohl kritisiert als auch 'gerettet'. Dieser negativ dialektische Vorgang, ein mimetisches Verhalten, ist das des Geistes, der Vernunft selbst(vgl. ND,S.283). So versucht Adorno weder das Spätere der Kunst noch ein Erstes zu retten, sondern die Teilhabe der Kunst an der Versöhnung überhaupt zum Ausdruck zu bringen. "Die geschichtliche Bahn von Kunst als Vergeistigung ist eine der Kritik am Mythos sowohl wie eine zu seiner Rettung: wessen die Imagination eingedenkt, das wird in seiner Möglichkeit von dieser bekräftigt. Solche Doppelbewegung des Geistes in der Kunst beschreibt eher deren im Begriff liegende Urgeschichte als die empirische. Die unaufhaltsame Bewegung des Geistes hin zu dem ihm Entzogenen spricht in der Kunst für das, was am Ältesten verloren ward"(ÄTH, S.18o). - Vgl. dazu M.Zenck, Kunst als begriffslose Erkenntnis, München 1977, S.26f. 12) Adorno, ÄTH, S.161.

- 15ο eines Kunstwerks und je vollkommener der geglückte Zusammenhang Versöhnung erscheinen läßt, desto stärker arbeitet dieser Schein als Moment des Magischen, gegen sich selbst, gegen das Kunstwerk. In dieser sich verschlingenden und spannungsvollen Dialektik ist nach Adorno das Kunstwerk angesiedelt, "In der Utopie ihrer Form beugt Kunst sich der lastenden Schwere der Empirie, von der sie als Kunst wegtritt. Sonst ist ihre Vollkommenheit n i c h t i g . V e r söhnung, jene für Adorno höchste religiöse Kategorie, erscheint im Kunstwerk am offensichtlichsten und ist doch zugleich nur ein "uneinlösbares grammatisches Subjekt", das "auf nichts in der Welt Vorhandenes demonstrativ sich beziehen laßt."^"^^ Adorno sieht die damit angeschnittene Problematik, nämlich aufzeigen zu müssen, wie denn nun dieser 'Schatz in irdenen Gefäßen' vorhanden sei, sehr wohl und er versucht diese beschriebene Paradoxie von 'Versöhnung ist und ist nicht' durch eine Kette von dialektischen Konstellationen nicht zu lösen, sondern zu umschreiben, einzukreisen. Kunst hat demnach für Adorno das theologische Erbe in der Gegenwart angetreten, und ihre Aufgabe ist die "Rettung des S c h e i n s " ^ a l s der Säkularisation von Offenbarung. "Das theologische Erbe der Kunst ist die Säkularisation von Offenbarung, dem Ideal und der Schranke eines jeglichen Werkes. Kunst mit Offenbarung zu kontaminieren hieße, ihren unausweichlichen Fetischcharakter in der Theorie unreflektiert wiederholen. Die Spur von Offenbarung in ihr ausrotten, erniedrigte sie zur differenzlosen Wiederholung dessen, was ist.""·^^ 13) Adorno, ÄTH, S.161 . 14) Ebda. 15) Ebda, S.164. Vgl. ebenfalls ND,S.384. Was nach Adorno Philosophie nicht mehr leisten kann, zumindest nicht gegenwärtig, unternimmt die Ästhetik, die in der Philosophie als Interpretationshilfe somit zu ihrem Recht kommt. Die Praxis philosophischer Reflexion vollzieht sich bei Adorno auf ästhetischem Felde. 16) Adorno, ÄTH, S.162.

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Die 'Spur von Offenbarung' im Kunstwerk ist die der Versöhnung oder auch die des Geistes. Geist indessen ist nicht nur Schein, sondern auch Wahrheit. Das Moment seines Nichtseins und damit die Negation allen falschen Ansichseins, tritt in die Kunstwerke ein, die jedoch den Geist nicht unmittelbar versinnlichen, dingfest machen, sondern allein durchs Verhältnis ihrer sinnlichen Elemente zueinander Geist werden. "Deshalb ist der Scheincharakter der 171 Kunst zugleich ihre Methexis an der Wahrheit." Die Wahrheit eines Kunstwerks, sein Wesen als das von Versöhnung, erscheint in seiner Form; die angestrebte Harmonie von Wesen und Erscheinung ist jedoch unerreichbar, ist und bleibt Schein. Je tiefer Kunstwerke in die Idee der Harmonie des erscheinenden Wesens sich versenken, desto weniger können sie bei sich zur Ruhe kommen. "Disharmonie 18Ì ist die Wahrheit über Harmonie." ' Deshalb ist die Absage an das klassizistische Ideal der Harmonie nach Adorno nicht einfach nur als Stilwechsel oder als Verlust von Sinn zu interpretieren, "sondern gezeitigt vom Reibungskoeffizienten der Harmonie, die als leibhaft versöhnt vorstellt, was es nicht ist, und dadurch gegen das eigene Postulat des erscheinenden Wesens sich vergeht, auf das doch gerade das Ideal von Harmonie abzielt. Die Emanzipation von ihm ist eine Entfaltung des Wahrheitsgehalts der Kunst. Die Wahrheit des Kunstwerks und seine Legitimation sieht Adorno also nicht, wie oben zunächst vermutet - anhand des Eichendorff-Gedichts - im Gefühl der Erhebung über die Tiefen und Leiden des Menschlichen und ebensowenig in der Idee des Guten und Harmonischen. Wenngleich die Wahrheit der Kunst in der Idee der Versöhnung liegt, so ist doch Kunst als Form und Ausdruck davon die Trauer "vom О wär es doch!"^°^ Weil diese schmerzliche Sehnsucht 17) 18) 19) 20)

Adorno, ÄTH, S.166. Ebda, S.168. Ebda. Ebda, S.161.

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den Kunstwerken immanent ist, suchen sie die in der Welt vorhandenen dunklen und schmerzvollen Orte auf und identifizieren sich damit, um so zum Ausdruck zu bringen, "was mehr ist als das Seiende, einzig, indem sie zur 21) Konstellation bringen, wie es ist, "Comment c'est." Kunstwerke, wollen sie wahr sein, dürfen also nach .Adornç, dieses nicht unmittelbar zur Sprache bringen; weil sie es 'wahrlich' auch gar nicht können, haben sie sich mit den Realien dieser Welt zu verbünden. "Ausdrucksvoll ist Kunst, wo aus ihr, subjektiv vermittelt, ein Objektives spricht: Trauer, Energie, Sehnsucht. Ausdruck ist das 22 ) klagende Gesicht der Werke." ' Kafka und Beckett sind denn auch für Adorno für den wahren Gestus der zeitgemäßen Kunst exemplarisch; und sie sind die Absage an alle schwärmerische Kunstauffassung. 2. Durch das soeben Ausgeführte dürfte deutlich geworden sein, daß Adornos Konzeption von Versöhnung keine des Gefühls und keine ist, die sich im Überschwang über die Faktizität der naturgeschichtlichen Verhältnisse erheben will, denn "Kunstwerke stammen aus der Dingwelt durch ihr präformiertes Material wie durch ihre Verfahrensweise; nichts in ihnen, was ihr nicht auch angehörte, und nichts, was nicht um den Preis seines Todes der Dingwelt entrissen würde. Nur kraft ihres Tödlichen haben sie teil an Versöhnung. Aber sie bleiben darin zugleich dem Mythos hörig. Die Versöhnung als Ausdruck des Kunstwerks ist konstitutiv verknüpft mit dem Ephemeren und Finstern, denn ohne dieses, wäre das Kunstwerk Komplize der Ideologie. Und dieser Ausdruck verbindet sich mit Utopie "soweit es durch seine Form antezipiert, was endlich es selber wäre, und

21) Adorno, ЙТН, S.2o1. Damit huldigt Adorno weder einem platten Naturalismus noch einer Abbildungstheorie der Wirklichkeit, wie sie vom "Sozialistischen Realismus' vertreten wird. Vgl. dazu ÄTH, S.365-374; K.Sauerland, Einführung in die Ästhetik Adornos, Berlin/New York 1 979, S . n ^ f f . 22) Adorno, ÄTH, S.170. 23) Ebda, S.2o2.

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das begegnet sich mit der Forderung, den vom Subjekt ver24) b r e i t e t e n B a n n d e s S e l b s t s e i n s zu t i l g e n . "

Die

d e s M y t h i s c h e n als d i e d e s M a n n i g f a l t i g e n u n d

chaotisch

N a t u r h a f t e n n i m m t ab d u r c h f o r m e n d e E i n h e i t

Gewalt

ä25 s t) hetischer

G e s t a l t u n g u n d sïnftigt es "z\am V e r s ö h n e n d e n . "

So w i r d

d i e K u n s t zum S t a t t h a l t e r d e s u n b e s c h ä d i g t e n L e b e n s ten d e s

inmit-

beschädigten.

Der v o n A d o r n o d e m K u n s t w e r k z u g e s c h r i e b e n e

Schein

V e r s ö h n u n g als A u s d r u c k s e i n e s W a h r h e i t s g e h a l t e s l i c h v o n d e m in der k l a s s i s c h e n K u n s t t h e o r i e

von

ist frei-

gebrauchten

B e g r i f f v o n V e r s ö h n u n g zu u n t e r s c h e i d e n . V e r s ö h n u n g

bei

Adorno meint nicht die reale Aufhebung der Gegensätze einem höheren S t a n d p u n k t u n d zu g l ü c k l i c h 26) Einverständnis

mit der Welt. Kunst bejaht nicht die

Welt oder setzt Sinn, verstanden als praktischen m u t , s o n d e r n sie ist d i e " g e s e l l s c h a f t l i c h e zur G e s e l l s c h a f t , " ^ ^ ^ d . h . 24) A d o r n o , Ä T H , 25) E b d a ,

zu

harmonischem

" w ä h r e n d sie d e r

Lebens-

Antithesis Gesellschaft

S.2o3.

S.2o2.

26) G e g e n s o l c h e idealistischen Kunsttheorien, insbesonders gegen die von G.Lukacs vertretene, wendet sich A d o r n o m i t ä u ß e r s t e r S c h ä r f e . Wer von " W i d e r s p i e g e l u n g " der Wirklichkeit spricht, impliziert nach Adorno damit z u g l e i c h , daß d i e W i r k l i c h k e i t , die N a t u r in i h r e m W e s e n g u t sei u n d w i d e r s p r i c h t d a m i t der v o n A d o r n o erhofften noch ausstehenden Erlösung. Nach Adorno wied e r h o l t L u k a c s "die e r p r e ß t e V e r s ö h n u n g , d i e er am a b s o l u t e n I d e a l i s m u s d u r c h s c h a u t " ( N L II,S.187) hat. A d o r no k r i t i s i e r t e b e n f a l l s d e n B e g r i f f des E r h a b e n e n und d a m i t seine S t e l l u n g in d e r Ä s t h e t i k K a n t s . " E r h a b e n sollte die G r ö ß e d e s M e n s c h e n als e i n e r G e i s t i g e n und N a t u r b e z w i n g e n d e n sein. E n t h ü l l t s i c h j e d o c h d i e E r f a h r u n g d e s E r h a b e n e n als S e l b s t b e w u ß t s e i n d e s M e n s c h e n v o n seiner N a t u r h a f t i g k e i t , so v e r ä n d e r t s i c h d i e Zus a m m e n s e t z u n g d e r K a t e g o r i e e r h a b e n . Sie w a r s e l b s t in ihrer K a n t i s c h e n V e r s i o n v o n d e r N i c h t i g k e i t d e s M e n s c h e n t i n g i e r t ; an ihr, d e r H i n f ä l l i g k e i t d e s e m p i r i schen E i n z e l w e s e n s , s o l l t e d i e E w i g k e i t seiner a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g , d e s G e i s t e s a u f g e h e n . ( . . . ) E r b e des E r h a b e n e n ist d i e u n g e m i l d e r t e N e g a t i v i t ä t , n a c k t und s c h e i n l o s w i e e i n m a l der S c h e i n d e s E r h a b e n e n es v e r hieß" (ÄTH, S . 2 9 5 f . ) . 27) A d o r n o , Ä T H ,

S.19.

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opponiert, vermag sie doch keinen ihr jenseitigen Standpunkt zu beziehen; Opposition gelingt ihr einzig durch 28) Identifikation mit dem, wogegen sie aufbegehrt." Adorno versucht das begriffslose dessen, was im Kunstwerk als Versöhnung aufscheint, diese Paradoxie von etwas, was nicht herstellbar ist und doch im Hergestellten aufscheint, auch als Rätsel zu bezeichnen. Wie in Rätseln wird die Antwort im Kunstwerk verschwiegen und doch ihre scheinbare Auflösung in der Struktur des Kunstwerks ersichtlich. "In oberster Instanz sind die Kunstwerke rätselhaft nicht ihrer Komposition sondern ihrem Wahrheitsgehalt nach. Die Frage, mit der ein jegliches den aus sich entläßt, der es durchschritt - die: Was soll das alles?, rastlos wiederkehrend, geht über in die: Ist es denn wahr?, die nach dem Absoluten, auf die jedes Kunstwerk dadurch reagiert, daß es der Form der diskursiven Antwort sich entschlägt. Die letzte Auskunft diskursiven Denkens bleibt das Tabu über der Antwort. Um ein Beispiel zu geben, wie Adorno an einem Kunstwerk die Konstellation von Mythos und Versöhnung, von Rätsel und Wahrheitsgehalt erfährt und interpretiert, sei das an zentraler Stelle Кder Ästhetischen Theorie stehende "Mäusefallen-Sprüchlein Mörikes, sowie die wenigen dazugehörigen interpretativen Sätze Adornos zitiert: MAUSEFALLEN-S Ρ RÜCHLEIN Das Kind geht dreimal um die Falle und spricht: Kleine Gäste, kleines Haus. Liebe Mäusin, oder Maus, Stell dich nur kecklich ein Heut nacht bei Mondenschein! Mach aber die Tür fein hinter dir zu. Hörst du? Dabei hüte dein Schwänzchen! Nach Tische singen wir Nach Tische springen wir Und machen ein Tänzchen: Witt Witt!

Meine alte Katze tanzt wahrscheinlich mit.

28) Adorno, ÄTH, S.2o1. 29) Ebda, S.192f.

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Der Hohn des Kindes 'Meine alte Katze tanzt wahrscheinlich mit' , wenn es denn durchaus Hohn sein soll und nicht das unwillentlich freundliche Bild eines gemeinsamen Tanzes von Kind, Katze und Maus, mit den beiden Tieren auf den Hinterbeinen, ist, einmal vom Gedicht zugeeignet, nicht länger das letzte Wort, das er behält. Auf Hohn das Gedicht abzuziehen, verfehlt mit dem Gedichteten den gesellschaftlichen Inhalt. Urteilsloser Reflex der Sprache auf einen abscheulichen, sozial eingeübten Ritus, übersteigt es diesen, indem es ihm sich einordnet. Der Gestus, der darauf deutet, als wäre es anders gar nicht möglich, verklagt, wie es ist, durch Selbstverständlichkeit, die lückenlose Immanenz des Ritus hält Gericht über diesen. Nur durch Enthaltung vom Urteil urteilt Kunst; das ist die Verteidigung von großem Naturalismus. Die Form, welche die Verse zum Nachhall eines mythischen,Spruchs fügt, hebt deren Gesinnung auf. Echo versöhnt."

3. Die Frage schließlich stellt sich - und sie ist aus der Perspektive christlicher Theologie entscheidend -: Wer oder was ist denn das Subjekt der Versöhnung, die in den Kunstwerken aufscheint?, und ist diese Idee der Versöhung, wie sie Adorno für das Kunstwerk in Anspruch nimmt, letztlich nicht doch nur eine ästhetische Verschleierung von indirekter Selbsterlösung bzw. eine subjektive Konstruktion einer 'offenen Unendlichkeit', die mit christlichen Kategorien deren Hoffnung erschleicht? Von theologischer Seite wurde die These aufgestellt und an der Negativen Dialektik zu verifizieren versucht, Adorno bezöge"Heil aus der Natur"^^', diese sei die Versöhnung und Erlösung spendende Gottheit. Nun dürfte dieser Vorwurf, nach all dem, was in dieser Arbeit zum Begriff und zur Funktion der Natur bei Adorno gesagt wurde, nicht haltbar sein, weil Adorno Natur weder als Erstes noch als ein Heilendes für seine Theorie in 32 ) Anspruch nimmt . Was ist es aber dann, was die ästhetische Erfahrung von Versöhnung konstituiert und ermöglicht?

30) Adorno, ÄTH, S.187f. 31) Koch/Kodalle, a.a.O., S.21ff. 32) Siehe s.u.S. 138f.

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Mit dem Begriff der ästhetischen Erfahrung ist zugleich die Dialektik von Mimesis und Konstruktion als dem allgemeinen Konstruktionsprinzip von Kunst^wie sie Adorno versteht, angesprochen. Dieses dialektische Konstruktionsverfahren bewahrt davor, ästhetische Erfahrung entweder in einem Irrationalismus oder in der subjektiven. Schaffenskraft eines künstlerischen Genius zu gründen. Die Frage also nach dem, was den Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks^ sei es auf Seiten des Künstlers wie des Rezipienten, bewirkt, kann von daher im Sinne Adornos nicht auf ein Erstes als dem einer Ursache zurückgeführt werden. Wohl sind alle Kunstwerke von Menschen gemacht, daß in ihnen jedoch auch ein Anderes jenseits des Vorhandenen und rational zu Begreifenden erscheint, ist für Adorno erwiesen und darüber kann er gerade aufgrund des Bilderverbots nicht positiv reden. Es widerfährt Adorno - und m.E. drückt, den Sachverhalt kein anderes Verb adäquater aus -, daß Rettung aller möglich ist. Die Bedürftigkeit der Welt und der menschlichen Verhältnisse kann nur dafür sprechen und nicht zuletzt die Sehnsucht ist Ausdruck dieses Andern, wenn auch nur 'via negationis'. Die Kunstwerke transzendieren die menschliche Sehnsucht und Hoffnung auf Erlösung, weil "die Bedürftigkeit, (die) als Figur dem geschichtlich Seienden" eingeschrieben ist. "Indem sie diese Figur nachzeichnen, sind sie nicht nur mehr, als was bloß ist, sondern haben soviel an objektiver Wahrheit, wie das Bedürftige seine Ergänzung und Änderung herbeizieht. Nicht für sich, dem Bewußtsein nach, jedoch an sich will, was ist, das Andere, und das Kunstwerk ist die Sprache solchen Willens und sein Gehalt so substantiell wie er. Die Elemente jenes Anderen sind in der Realität versammelt, siemüßten nur, um ein Geringes versetzt, in neue Konstellationen treten, um ihre rechte Stelle zu finden.

33) Adorno, ÄTH, S.199.

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Es wäre wohl eine überinterpretation, diese zitierten Sätze als Zustimmung und theologische Paraphrase Adornos zum ersten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses auszugeben. Und doch, sie 'müßten nur um ein Geringes versetzt werden', um solchermaßen zu gelten. Im Blick auf die gestellte Frage kann das nur heißen, Adornos ästhetische Theorie der Versöhnung ist getragen von einer 'inversen' Theologie, die an ein Anderes, als Grund und Ziel dieser Welt glaubt, weil sich dieses Andere angesichts der Abgründe dieser Welt einstellt und in den Kunstwerken sich Form und Ausdruck verschafft. Die Erkenntnis der Versöhnung ist also nicht nur eine Reflektionsleistung des Subjekts selbst im Sinne einer noeesis noeeseos, sondern mit der Kategorie der Erfahrung macht Adorno auf die Widerfahrnis solcher Erkenntnis im Prozeß dpr Interpretation von Kunst aufmerksam. Doch "unversöhnlich verwehrt die Idee von Versöhnung deren Affirmation 341 im Begriff" , d.h. die Dialektik der Erfahrung wird von Adorno eben nicht rein dem Subjekt zugerechnet. Die Bedingung der Möglichkeit dieser Idee liegt in der Erfahrung des 'Vorrangs des Objekts' wie in der naturgeschichtlichen Verfassung der Menschen selbst. Wer oder was das Andere ist, darüber versagt sich Adorno jede Spekulation. Der Verdacht, die Ästhetische Theorie Adornos betreibe eine heimliche Selbsterlösung oder sei der schwärmerische Versuch, die Kunst als Medium der Erfahrung der Gottheit zu benutzen, hat keinen Anhalt am Text. Adorno verklärt weder die ästhetische Erfahrung noch verwischt er den Unterschied von menschlichem Bedürfnis nach Erlösung und dem Subjekt seiner wahren Befriedigung. Adorno ist sich der Nähe wie der Differenz zu der des christlichen Glaubens durchaus bewußt. Was alle Kunstwerke von "den Symbolen der Religion trennt", ist, daß sie nicht wie diese des "Nichtseienden positiv mächtig"^^^ sind. Doch gilt für Adorno auch, da Kunst "gleichgültig, was sie will und 34) Adorno, ÄTH, S.161. 35) Ebda, S.2o4.

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sagt, Theologie (bleibt); ihr Anspruch auf Wahrheit und ihre Affinität zum Unwahren sind e i n e s . I n s o f e r n alle wahre Kunst nach Adorno das Rätsel aufgibt: "Ob die Verheißung Täuschung ist?"^^', ist sie tatsächlich der Statthalter eines Glaubens, der das Messiasgeheimnis nicht -3 о λ

konfessorisch löst, es aber bewahren und retten will. Die Betonung des Fragmentarischen aller Kunstwerke ist nicht zuletzt ebenfalls ein Hinweis auf die theologischeschatologische Konzeption der Ästhetik Adornos. Weil Versöhnung immer nur Schein ist, ist das Fragment die adäquate Form aller Kunstwerke. Das Versprechen von Kunst, der Versöhnung, des Nichtidentischen, der Wahrheit mächtig zu sein, nimmt sie so durch die Form zurück, ohne den Anspruch darauf preiszugeben. "Das Ideologische, Affirmative am Begriff des gelungenen Kunstwerks hat sein Korrektiv daran, daß es keine vollkommenen Werke gibt. Existierten sie, so wäre tatsächlich die Versöhnung inmitten des Unversöhnten möglich, dessen Stand die Kunst angehört. In ihnen höbe Kunst ihren eigenen Begriff auf; die Wendung zum Brüchigen und Fragmentarischen ist in Wahrheit Versuch zur Rettung der Kunst durch Demontage des Anspruchs, sie wären, was sie nicht sein können und was sie doch 39 ) wollen müssen; beide Momente hat das Fragment." Das Glück aller Kunstwerke, das sie vermitteln, ist gebrochen und darin spricht sich die Sehnsucht nach Heil als dem Wahrheitsgehalt menschlicher Schöpfung aus. Das Letzte ist nur im Brüchigen und Vergänglichen zu haben; so wahrt Adorno die Unterscheidung von Göttlichem und Menschlichem und versucht die 'Rettung des Hoffnungslosen' nicht aufzugeben. 37) Adorno, ÄTH, S.193. 36) Ebda, S.4o3. 38) Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an Kierkegaards Überlegungen über die Möglichkeit des Ärgernisses für den Glauben: "die direkte Mitteilung verweigern, heißt den Glauben fordern"(Kierkegaard, Einübung im Christentum und anderes, hg von W.Rest, München 1977, S.162). Für Adorno ist Kunst ähnlich eine indirekte Mitteilung, Schein, die das theologische Erbe dadurch wahrt. 39) Adorno, ÄTH, S.283.

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4. Wenn nun Versöhnung nicht in der Aufhebung von Natur und subjektiver Erfahrung zu einem Dritten für Adorno aufscheint, sondern nur in diesen Konstellationen und in der Form der Kunstwerke, so kann dennoch mit der Kategorie des 4o) Naturschönen ein spezifisches Moment der aufscheinenden Idee der Versöhnung angegeben und beschrieben werden. In den das Naturschöne reflektierenden Passagen seiner Ästhetischen Theorie verweist Adorno zunächst auf die Kulturlandschaften; sie erinnern an das, was nach Adorno auch 4o) Adornos Kritik an einer aufs Kunstschöne konzentrierten Ästhetik geht von der These aus, daß die subjektive Vernunft, indem sie die Naturästhetik überwinden will, alle Momente von Versprechen und Nichtidentischem aus den Objekten ausklammert und alles, was nicht Ich ist, zu Aktionsobjekten macht. Was zunächst nur an der Natur vollzogen wurde, schlug im 2o. Jahrhundert auf die spätkapitalistische Gesellschaft zurück. Hegels Ästhetik ist nach Adorno mit dieser Hypothek belastet. Identitätsphilosophisch ist bei Hegel die Natur zum Anderssein des Geistes in der Entäußerung herabgesetzt worden; das Primat des Kunstschönen ist durch eine Hypostasierung des Geistes erkauft. Damit kann Hegel schon realiter eine Versöhnung von Natur und Menschenwelt unterstellen, wo doch höchstens diese Versöhnung als Antizipation behauptet werden könnte. Die Überwindung des Naturschönen hat nach Adorno also entweder einen hypostasiert subjektiven Vernunftbegriff zur Voraussetzung, der in blanken Positivismus umzuschlagen droht, oder aber 'Geist' ist zum Prinzip schlechthin erhoben, wodurch ebenfalls nichts außerhalb seiner zugelassen wird. Adorno entwirft dagegen seine Theorie des Naturschönen als Korrektiv gegen eine subjektive, alles sich unterwerfende Vernunft wie auch gegen eine identitätsphilosophische Geistmetaphysik im Sinne Hegels. "Das Naturschöne dient Adorno als ein neuer Titel für das in der historischen Dialektik der Aufklärung verdrängte 'Ganz Andre', seine Rehabilitierung soll im Gegenzug zu Hegel den Geist warnen, in allem nur den eignen Abglanz erkennen zu wollen"(R.Bubner, über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik, in: Neue Hefte für Philosophie, hg von R.Bubner u.a., Heft Nr. 5 Ist eine philosophische Ästhetik möglich?, Göttingen 1973, S.64,Anm. 48).

- 16ο mit dem Begriff der Naturgeschichte in Konstellation gebracht werden mußte: Leiden, Herrschaft der Menschen als 41 ) Ausdruck ihrer Geschichte . Doch wird dabei Natur nicht primär als Objekt einer instr\imentalen Vernunft verstanden, sondern vielmehr als ein die Menschen zwanglos Umgebendes. Kulturlandschaften gewähren nach Adorno einen eigentümlichen Anblick von Natur, so als hätte sie das mythische Grauen einer die Menschen bedrohenden, unkontrollierten Macht verloren, aber nicht gewalttätig, sondern eher durch Besänftigung. Solche Erfahrung von Kulturlandschaft ist Ausdruck dafür, wie Naturschönes und Wahrheit überhaupt mit Versöhnung zusammengehören. Wichtig dabei ist, daß die Erinnerung an die Leiden und das Vergängnis des Ganzen nicht eliminiert wird. Hat Natur ihre Gewalt über die Menschen durch die Technik weitgehend verloren, so kann also erst in diesem Jahrhundert die Freiheit der Erfahrung des Naturschönen vollends sich ausbreiten. Aber die Geschichte der teilweisen Zähmung ist nicht als vergangen oder überwunden zu sehen, sondern in den Spuren des Leidens da. Die Theorie des Naturschönen bei Kant hatte noch zur Bedingung, daß die "Angst vor der Naturgewalt anachronistisch zu werden begann, durchs Freiheitsbewußtsein des Subjekts; es ist dessen Angst vor der perennierenden Unfreiheit gewichen. Beides wird von der Erfahrung des Naturschönen kontami42) niert." Ästhetische Erfahrung im Sinne Adornos nimmt Natur nicht mehr unter der pragmatischen Zielsetzung des Beherrschens wahr, sondern hat sich von den Zwecken der Selbsterhaltung emanzipiert. Die Reflexion ästhetischer Erfahrung führt nach Adorno somit zu einer Verhaltensweise, die das Gegebene nicht als 41) Vgl. Adorno, ÄTH, S.1o2: "Ihre tiefste Resistenzkraft aber dürfte die Kulturlandschaft dadurch erlangen, daß der Ausdruck von Geschichte, der ästhetisch an ihr ergreift, gebeizt ist von vergangenem realen Leiden. Die Figur des Beschränkten beglückt, weil der Zwang des Beschränkenden nicht vergessen werden darf; seine Bilder sind ein Memento." 42) Adorno, ebda, S.1o3.

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fraglos gültig annimmt; Erfahrung des Naturschönen repräsentiert etwas, das mehr erkennen läßt als in einem Resultat begrifflich definiert werden könnte. "Schön ist an der Natur, was als mehr erscheint, denn was es buchstäblich an Ort und Stelle ist. Ohne Rezeptivität wäre kein solcher objektiver Ausdruck, aber er reduziert sich nicht aufs Subjekts; das Naturschöne deutet auf den Vorrang des Objekts in der subjektiven Erfahrung. Wahrgenommen wird es ebenso als zwingend Verbindliches wie als Unverständliches, das seine Auflösung fragend erwartet. Weniges vom Naturschönen hat auf die Kunstwerke so vollkommen sich übertragen wie dieser Doppelcharakter. Unter seinem Aspekt ist Kunst, anstatt Nachahmung der Natur, Nachahmung des Naturschönen. Es wächst an mit der allegorischen Intention, die es bekundet, ohne sie zu entschlüsseln; mit Bedeutungen, die nicht, wie in der meinenden 43) Sprache, sich vergegenständlichen." Die ästhetische Erfahrung der Natur setzt also Nähe und Differenz zum Objekt wie zu sich selbst. Der universale Bann, der auf allen Dingen liegt, wird so gelockert, d.h. der Begriff, der logische Zwang des Ordnens und Definierens wird vom Naturschönen überholt. Wesentliches Kennzeichen naturästhetischer Erfahrung ist also deren Unbestimmtheit, das Nichtidentische. "Wie in Musik blitzt, was schön ist, an der Natur auf, um sogleich zu verschwinden vor dem Versuch, es dingfest zu machen. Kunst ahmt nicht Natur nach, auch nicht einzelnes Naturschönes, doch das Naturschöne an sich. Das nennt, über die Aporie des Naturschönen hinaus, die von Ästhetik insgesamt. Ihr Ge44) genstand bestimmt sich als unbestimmbar, negativ." Das Rätselhafte am Naturschönen wie an Kunst bedarf deshalb der philosophischen Interpretation, wenngleich auch gerade diese es nicht ganz auf den Begriff zu bringen vermag. Der Grund dafür, dafl Menschen in dieser Weise vom Naturschönen angesprochen werden, "ist das Enigmatische ihrer Sprache" 45 ); von guter Poesie wird diese imitiert. 43) Adorno, ÄTH, S.III. 44) Ebda, 8.113. 45) Ebda, S.114.

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Doch wie Mimesis stets noch ein archaisches, gewalttätiges Moment in sich trägt, wäre ein mimetisches Verhältnis allein zur Natur Regression, Ideologie. Erfahrung des Naturschönen kann deshalb nicht unmittelbar als Versprechen eines herrschaftlosen Reiches interpretiert werden. Gerade auf die Ambivalenz von Freiheit und Regression im Naturschönen verweisend, sagt Adorno: "Das Naturschöne ist die Spur des Nichtidentischen an den Dingen im Bann universaler Identität. Solange er waltet, ist kein Nichtidentisches positiv da. Daher bleibt das Naturschöne so versprengt und ungewiß wie das, was von ihm versprochen wird, alles Innermenschliche überflügelt. Der Schmerz im Angesicht des Schönen, nirgends leibhafter als in der Erfahrung von Natur, ist ebenso die Sehnsucht nach dem, was es verheißt, ohne daß es darin sich entschleierte, wie das Leiden an der Unzulänglichkeit der Erscheinung, die es versagt, indem sie ihm gleichen möchte. Das setzt im Verhältnis zu den Kunstwerken sich fort."'*^^ Das vom Naturschönen Verheißene ist demnach so fragil wie alle Verheißung und doch ist in ihm ein Unauslöschlichliches. Um dies vage anzudeuten, beschreibt Adorno emphatisch die wolkenlosen Tage eines mittelmeerländischen Landes. "Indem sie so strahlend unverstört zum Ende sich neigen, wie sie begannen, geht von ihnen aus, nicht sei 47 ) alles verloren, alles könne gut werden." Hoffnung spricht sich - typisch für Adorno - in der Konstellation von Tag u n d Nacht aus; zusammen gilt: alles könne gut werden. Daß dabei Stimmung sich ins Romantische und Pantheistische versteigen kann, ist Adorno bewußt. Das Naturschöne ist deshalb nicht Vorschein, nicht schon Teilhabe an der Versöhnung oder Erlösung, sondern bleibt Bild, Schein des Wahren. "Das Naturschöne bleibt Allegorie dieses Jenseitigen trotz seiner Vermittlung durch die gesellschaftliche Immanenz. Wird aber diese 46) Adorno, ÄTH, 5.114. 47) Ebda.

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Allegorie als der erreichte Stand von Versöhnung unterschoben, so erniedrigt sie sich zmn Behelfsmittel, den unversöhnten zu verschleiern und zu rechtfertigen, in dem doch solche Schönheit möglich sei."''^' Es kann nun auch von dieser Argumentationsbasis aus der von Koch/Kodalle erhobene Vorwurf, Adorno erhoffe Heil und Versöhnung aus der Natur bzw. er beschwöre Natur 49 ) "jenseits von Geschichte und Reflexion" noch einmal zurückgewiesen werden. Blickt man auf Äußerungen zur Funktion der Natur im Prozeß kritischer Emanzipation vom Bann der Selbsterhaltung und Naturbeherrschung wie sie Adorno vor allem in der 'Dialektik der Aufklärung' vorgetragen hat, könnte der Eindruck entstehen^ Adorno intendiere ein "Eingedenken der Natur im S u b j e k t " d u r c h das Herrschaft zerginge. Doch die ausgeführten Erörterungen des Naturbegriffs im Zuammenhang der Negativen Dialektik und der Ästhetischen Theorie haben gezeigt, daß Natur nicht als Reservat eines versöhnten Zustands oder als heile Welt für Adorno einsteht, sondern vielmehr erst in der Geschichte herzustellen wäre. "Das Bild des Ältesten an der Natur ist umschlagend die Chiffre des noch nicht Seienden, Möglichea 51 ) Die Natur, weder die innere noch die äußere, ist also für Adorno kein Residuum im Sinne Rousseaus; noch ist sie ein Anlaß zu ihr als einem Ersten zurückzukehren oder sie unvermittelt aufzunehmen. Natur ist unabdingbar mit Geschichte zusammenzusehen, nur so wird - allegorisch gedeutet ihr Impuls einer fürs Andere und werden ihre Farben die ihrer kommenden Schönheit.

48) Adorno, ÄTH, S.1o8. 49) Koch/Kodalle, a.a.O., S.22. 50) Horkheimer/Adorno, DA, S.39. Vgl. dazu kritisch F.J. Schmucker, .a.a.O., S.65f. 51) Adorno, ÄTH, S.115.

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IV. EXKURS; Adornos Kafka Interpretation als Modell einer 'inversen' theologischen Kunstphilosophie Der folgende Exkurs hat zum Ziel, an Adornos kunstphilosophischer Interpretation der Werke Kafkas exemplarisch zu zeigen, wie Adorno vorgeht und vor allem, welch große Bedeutung Kafka für Adornos konstellatives Verfahren und die damit erzielten ästhetischen Erkenntnisse hat. Was Adorno im Werk Kafkas erkundet hat, dürfte von kaum zu überschätzender Bedeutung für die ganze kritische Theorie Adornos; auch wenn die "Aufzeichnungen zu Kafka"^^ erst 1953 erschienen sind, so hat Adorno daran schon seit 1942 gearbeitet. Um diese Bedeutung wie das Verfahren zu zeigen, referiere ich - der Gliederung Adornos folgend - die'AufZeichnungen zu Kafka'; in einem weiteren Abschnitt gehe ich dann näher auf die Affinität von Adorno zu Kafka ein, nicht nur um auf die geistesgeschichtliche Herkunft Adornos hinzuweisen, sondern mehr noch, um auf den Primat ästhetischer Erfahrung bei Adorno und deren invers-theologischer Ausrichtung aufmerksam zu machen. 1. Adornos Kafka Interpretation aus dem Jahre 1953, die sich mit der zahlreichen Sekundärliteratur zu Kafkas Werk kaum auseinandersetzt, gliedert sich in neun Abschnitte, deren jeder Kafkas Werk aus einer anderen Perspektive betrachtet und analysiert. Diese Konstellation vielfacher Aspekte und Kategorien soll den Wahrheitsgehalt der Werke offenlegen. Adorno beginnt mit Überlegungen zur Wirkungsgeschichte und zur Rezipierbarkeit(Teil I); das Ergebnis ist die Feststellung des hermetischen Charakters von Kafkas Werk: "Jeder Satz spricht: deute mich, und keiner will es dulden" (3o4). Die oft bemerkte Offenheit Kafkas für alle Deutungen ist nur die Kehrseite seiner Verschlossenheit. Mit den Figuren der Romane Kafkas sich zu identifizieren, geht 1) Adorno, P, S.3o2ff,· die folgenden Zahlen in Klammern verweisen auf die entsprechenden Seiten des Aufsatzes in: Prismen(P).

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nicht, da das kontemplative Verhältnis von Text und Leser von Grund auf gestört ist. Kafkas Texte sind nach Adorno darauf "angelegt, daß nicht zwischen ihnen und ihrem Opfer ein konstanter Abstand bleibt, sondern daß sie seine Affekte derart aufrühren, daß er fürchten muß, das Erzählte käme auf ihn los wie Lokomotiven aufs Publikum in der jüngsten, dreidimensionalen Filmtechnik"(3o4). Aufgrund dieser Schwierigkeiten gelangt Adorno im II. Abschnitt zur Maxime seiner Interpretation: "Alles wörtlich zu nehmen, nichts durch Begriffe von oben her zudecken" (3o5). Nur so sind nach ADorno die in den Werken sedimentierten ERfahrungen und Gesten wiederzugewinnen, die das Wesentliche ausmachen. Denn "nicht das Ungeheuerliche schockiert, sondern dessen Selbstverständlichkeit"(3o7) und nur so wird der Interpret der scheinbar "blinden Stellen" (3o7) im Werk einsichtig. Im III.Abschnitt geht Adorno auf das vielfach schon verhandelte Verhältnis von Kafka zu Sigmund Freud bzw. der Psychoanalyse überhaupt ein; aber nicht um etwa im üblichen Sinn eine biographische Erhellung des Werks durch psychoanalytische Kategorien durchzuführen, sondern im Interesse einer Kritik der Psychoanalyse durch die Werke Kafkas. Die Auslegungsrichtung kehrt sich also um: Freud wird von Kafka aus interpretiert, denn Kafka hat diesen "in der Skepsis gegen das Ich womöglich noch überboten"(312). Wenn Freud nach Adorno seine psychoanalytischen Ergebnisse durch den 'Abhub der Erscheinungswelt' gewinnt, also durch Abstraktion und Reduktion, so gewinnt sie Kafka nach Adorno durch Montage "aus dem Kehricht der Realität. (...) Die Wunden, welche die Gesellschaft dem Einzelnen einbrennt, werden von diesem als Chiffren der gesellschaftlichen Unwahrheit, als Negativ der Wahrheit gelesen"(312). Kafka heilt nicht Wunden, sondern verwandelt sie "ins Schlimmste", nur so werden sie zur "Laterna magica"(313), zur heilenden Kraft, die der Erkenntnis. Von diesen hermeneutischen Regeln für eine Interpretation Kafkas aus - sie sind aus dessen Werk abgelesen - reflektiert Adorno im nächsten Abschnitt(IV) die sozialpsychologischen und anthropologischen Verhältnisse der Epoche

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Kafkas. "Der Augenblick des Einstands aber, auf den alles bei ihm abzielt, ist der, da die Menschen dessen innewerden, daß sie kein Selbst - daß sie selbst Dinge sind"(318). Kafkas Methode der Darstellung gesellschaftlicher und damit zugleich anthropologischer Verhältnisse ist das, das Ephemere als das Immergleiche auszulegen. "Was auf der Spitze des Augenblicks balanciert wie ein Pferd auf den Hinterbeinen, wird geknipst, als solle die Pose für immer währen" (314) . Der kindliche Blick des Schreckens bewirkt dessen Gegenteil: "an Stelle des Eingedenken ans Menschliche die Probe aufs Exempel der Entmenschlichung" (317). Die Interpretation nimmt dann im Teil V geschichtsphilosophische Bezüge auf. "Kafka durchschaut den Monopolismus an den Abfallsprodukten der liberalen Ära, die von jenem liquidiert wird. Dieser geschichtliche Augenblick, nicht ein angeblich durch Geschichte hindurch scheinendes Überzeitliches ist die Kristallisation seiner Metaphysik, und Ewigkeit bei ihm keine andere als die des endlos, wiederholten Opfers, aufgehend am Bilde des jüngsten"(32o). Das Neue in der Geschichte ist immer schon das Alte, déjà vu, und der Mythos der Wiederkehr des Immergleichen ist Gleichnis des absolut Vergänglichen. Geschichte als die des Andern "hat noch nicht begonnen"(321), Adorno sieht so bei Kafka seine 'Idee der Naturgeschichte' bestätigt bzw. er dürfte sie durch die Lektüre Kafkas geschärft und präzisiert haben. Der geschichtsphilosophische Aspekt wird in Teil VI zur Erläuterung dessen, was ästhetische Erfahrung bzw. Sensibilität vermag, ausgeweitet. Ist die Chance einer Veränderung der Welt verpaßt, so kann Kafkas Werk als Vorwegnahme faschistischer Verhältnisse ausgelegt werden, ja zur "Aufdeckung des wimmelnden Grauens unter dem Stein der Kultur"(325) werden. Die Figur des Gracchus - dem nicht nur wilden Jäger und Mann der Gewalt-wird für Adorno zxam Bild der Abschaffung des Todes in den Konzentrationslagern. "Gracchus ist das vollendete Widerspiel der Möglichkeit, die aus der Welt vertrieben ward: alt und lebens-

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satt zu sterben"(326). Im VII. Abschnitt versucht Adorno, Kafka literaturgeschichtlich einzuordnen, was denn gerade zur Beschreibuny seiner Einzigartigkeit verhilft. Kafka ist nicht einfach dem Expressionismus zuzuordnen, denn "Kafka zwingt den Expressionismus, dessen Schimärisches er wie keiner seiner Freunde muß verspürt haben und dem er doch treu blieb, zu einer vertrackten Epik; die reine Subjektivität als notwendig auch sich selber entfremdete und zum Ding gewordene, zu einer Gegenständlichkeit, der die eigene Entfremdung zum Ausdruck gerät. Die Grenze zwischen dem Menschlichen und der Dingwelt verwischt sich"(328f.) Auch das Verhältnis zur Musik wird in diesem Teil angesprochen und der 'unmusikalische' Kafka letztlich, indem seine spröde Prosa alle musikalischen Wirkungen verschmäht, diese von Adorno als "tiefste Beziehung zur Musik"(332) interpretiert. Mit solchen paradoxen Bezügen will Adorno den unbequemen Gehalt des Werkes deutlich machen. Im VIII. Abschnitt versucht Adorno Kafka mit philosophiegeschichtlichen Kategorien in Konstellation zu bringen: Kafka als Aufklärer, der der 'Dialektik der Aufklärung' ein Schnippchen schlägt. Kafka reagiert für Adorno gemäß seinem Verfahren der Verdunkelung und schonungslosen Darstellung des bloß Seienden "im Geiste der Aufklärung auf deren Rückschlag in Mythologie"(337). Er sieht eine Affinität zwischen den Parabeln Lessings und Passagen Kafkascher Beschreibungskunst: beider Kampf gegen die religiöse Autorität der Orthodoxie(vgl. 334). Im letzten Teil(IX) werden schließlich die theologischeschatologischen Momente der Adornoschen Kafka Interpretation als dessen Zentrum deutlich. Kafkas Darstellung des menschlichen Lebens in dieser Welt ist die Beschreibung der "Hölle aus der Perspektive der Erlösung"(338 -vgl. MM, S.333f.). Was der dialektischen Theologie - und Adorno rechnet dazu vor allem K.Barth in der Nachfolge Kierkegaards (vgl. 324) - als Licht und Schatten gilt, wird umgedeutet: "Die Lichtquelle, welche die Schründe der Welt

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als höllisch aufglühen läßt, ist die optimale"(339), deshalb betreibt Kafka 'inverse' Theologie. Nach Adorno versucht Kafkas Darstellung der entfremdeten Welt, den naturgewaltigen Mythos "durch eine Art Mimikry" (34o) auszutreiben. "Kafka will durch die Verdinglichung des Subjekts, die ohnehin von der Welt verlangt wird, diese womöglich noch überbieten: Totenhaftes wird zur Botschaft der sabbatischen Ruhe"(341). Die beschädigte Welt kann nicht mehr untergehen, sie wird zxim 'Untergang nach oben'. So kommt Adorno zu dem treffenden metaphorischen Vergleich für Kafkas Werk: "Kein Theologiimenon könnte ihm näher kommen als der Titel eines amerikanischen Filmlustspiels: Shopworn Angel"(341). Die Verbrüderung Kafkas mit dem Tod als der Hälfte des Lebens ist die Hoffnung auf die ganze Auferstehung. "Noch dem Äußersten standzuhalten, indem es Sprache wird"(317), ist der Ausdruck des Wahrheitsgehaltes von Kafkas Werk. 2. "Wie bei Denkern von bedeutender Kraft Einsichten, die aufs treueste ihr Objekt treffen, vielfach zugleich solche über den Denkenden selbst sind, so bei Benjamin. Dieser Satz Adornos über Benjamin kann auch auf sein Verhältnis zu Kafka angewendet werden. Die Affinität von Kafka und Adorno ist nach dem obigen Referat offensichtlich und gerade deshalb umso schwerer zu bestimmen, denn es ist кают mehr ersichtlich, wer hier wen auslegt: jedenfalls kann gesagt werden, was Adorno bei Kafka sieht, trifft nahezu auf Adornos negative Dialektik zu. Die Interdependenz von Kafka und Adorno soll nun noch einmal stichwortartig verdeutlicht werden. Hinsichtlich des Ästhetischen kann von Adorno wie von Kafka gesagt werden: Tragisches und Komisches werden ununterscheidbar. Der Rätselcharakter der Kunst wird zur Bedingung von Wahrheit und nur im äußersten Grauen des Erlebbaren verdichtet sich die Hölle zum Schein ihres Gegenteils. Der Satz Kafkas aus den "Hochzeitsvorbereitungen

2) ÜWB, S.83.

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auf dem Lande": "Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendet-sein: Das Licht auf dem zurückwichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts."^', trifft auf die Ästhetische Theorie Adornos zu wie auf die Intention seiner Negativen Dialektik. Auch was die sozialpsychologische.und anthropdogische Position betrifft, herrscht eine große Affinität zwischen Adorno und Kafka. Der Einzelne ist ohnmächtig vor der Macht der Apparate und des Kollektivs; dem Mißlingen der Veränderung der Welt entspricht die Regression der in der falsch eingerichteten Gesellschaft Lebenden; an einen Fortschritt kann nicht mehr geglaubt werden, höchstens auf sein Gegenteil gehofft werden; die Gesellschaft und die Weltgeschichte sind eine "Höllenmaschine"'^^ , der der Einzelne so hilfslos ausgeliefert ist, wie der Verurteilte in der 'Strafkolonie' der Tötungsmaschine; Freiheit, SelbsL Verwirklichung und Mündigkeit werden illusorisch und eine konsistente Moral kann nicht mehr begründet werden, weil es "kein richtiges Leben im falschen"^' gibt. Die Menschheit erkennt sich als Tiergattung: "das liegt in der Zeit (...). Das Tier ist uns näher als der Mensch."®' Das untergehende Subjekt bleibt ohnmächtig "dem Froste dieses unglückseligsten Zeitalters ausgesetzt"^' wie Kafkas betrogener Landarzt. Und schließlich die beiderseitige Übereinstimmung auf der geschichtsphilosophischen bzw. theologisch-eschatologischen Ebene. Für beide hat die Geschichte der Rettung noch nicht 8) begonnen, weil die "Last der Jahrhunderte auf uns" die Zukunft versperrt. Dem Mythos der Gewalt und Herrschaft ist nicht ebenso gewalttätig und engagiert entgegenzutre3) F.Kafka, Hochzeitsvorbereitung auf dem Lande, Frankfurt 1966, S.93f. 4) Adorno, MM, S.315. 5) Ebda, S.42. 6) Janouch, Gespräche mit Kafka, Frankfurt 1968, S.43. 7) Kafka, Sämtliche Erzählungen, Frankfurt 197o, S.128. 8) Ebda, S.341.

- 17ο ten, sondern mit der List der Gewaltlosigkeit, um so die Herrschaft als solche zu entlarven. "Dem eigenen Spiegelbild soll der Mythos erliegen"(341). Hoffnung wird nicht aus den abstrakten theologischen Sätzen von geschehener Erlösung geschöpft, da reiner Glaube eher "Dämonologie" (338) sein dürfte. Die Hoffnung erneuertsich aus ihrem Gegenteil, weil geglaubt wird, daß das, was ist, nicht alles ist. Deutlich werden sollte durch diese Zusammenstellung, daß sich die kritische Theorie Adornos zu einem nicht geringen Teil aus den ästhetischen Erfahrungen und Aussagen Kafkas speist, zumal Adorno davon ausgeht, daß der Ausdruck zeitgenössischer Kunst den Wahrheitsgehalt des heutigen gesellschaftlichen Lebens überhaupt trifft. Kritisches konstellatives Denken ist bei Adorno ästhetisch ausgerichtet, wobei Ästhetik eben nicht nur eine Kunstlehre meint, sondern als "eine Stellung des Gedankens zur 9) Objektivität" zu verstehen ist.

9) Adorno, Kg, S.295.

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С) MODELLANALYSEN ALS KONFRONTATION VON THEOLOGIE UND NEGATIVER DIALEKTIK Wenn in den beiden vorausgegangenen Kapiteln das "Schwindelerregende" ^ ^ des dialektischen Denkens Adornos durch die Montage von Zitaten, durch Wiederholungen und ständiges Ausbalancieren und Kreisen um den nicht zu definierenden Charakter des Nichtidentischen deutlich wurde, so gilt es nun dieses kritische Organon - der Unruhe einer Uhr vergleichbar - mit theologischen Denksystemen zu konfrontieren bzw. zu konfigurieren. Diese Methode folgt der Adornos, der im Modell den Anspruch, verbindliche Aussagen zu machen, eingelöst sah. "Die Forderung nach Verbindlichkeit ohne System ist die nach Denkmodellen. Diese sind nicht bloß monadologischer Art. Das Modell trifft das Spezifische und mehr als das Spezifische, ohne es in seinen allgemeineren Oberbegriff zu verflüchtigen. Philosophisch denken ist soviel wie in Modellen denken; ne2) gative Dialektik ein Ensemble von Modellanalysen." Das Ziel eines solchen Unternehmens ist damit schon angegeben: es soll etwas Spezifisches an den theologischen Texten wie auch an den Konstellationen Adornos getroffen werden, ohne es in einen 'allgemeineren Oberbegriff zu überführen. Das heißt, es wird der Versuch unternommen, mit der Sonde negativer Dialektik einzelne theologische Topoi und Argumentationszusammenhänge in den theologischen Systemen mit den thematisch entsprechenden der Adornoschen Denkpraxis zu konfrontieren und zu analysieren, um so eventuelle Bruchstellen, begriffliche Hypostasierungen oder Subreptionen von Identitätsaussagen innerhalb 1) Vgl. Adorno, ND, S.4o: "Dialektik, die nicht länger an die Identität 'geheftet' ist, provoziert, wo nicht den Einwand des Bodenlosen, der an seinen faschistischen Früchten zu erkennen ist, den des Schwindelerregenden." - "Der Schwindel, den das erregt, ist ein index veri; der Schock des Offenen, die Negativität, als welche es im Gedeckten und Immergleichen notwendig erscheint, Unwahrheit nur fürs Unwahre"(ND,S.41). 2) Adorno, ebda, S.37.

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des theologischen Denkens aufzuspüren. Und das heißt weiter - und ich wiederhole damit bewußt das schon in der Einleitung Angedeutete - dies geschieht, ohne damit die Gesamtleistung dieser theologischen Systeme und deren durchgehende Intention zu Fall bringen zu wollen. Ausgehend von der Beschreibung des jeweiligen theologischen Entwurfs, führt dann die Beschreibung gleichsam wie eine Kamera immer näher ans Objekt heran, um so zum Detail und seiner Bedeutung fürs Ganze zu kommen und um die spezifischen Probleme und Lösungsvorschläge der theologischen Position mit denen der Adornoschen Denkpraxis zusammenzubringen und aneinander abzuarbeiten. Dabei muß betont werden, daß es gerade nicht um eine umfassende Diskussion der ins Auge gefaßten systematisch-theologischen Probleme und Topoi geht. Das Interesse der Modellanalysen gilt in erster Linie der Denkpraxis Adornos und den Anfragen dieser an die jeweiligen besonderen theologischen Argumentationsketten. Durch dieses Verfahren soll also sowohl die jeweilige theologische Urteilskraft geprüft und geschärft als auch die Position Adornos im Blick auf ihre theologische Relevanz, d.h. ihr kritisch methodisches Potential, wie ihre sachliche Begrenztheit überprüft werden. Der Einwand, daß damit philosophisches Denken von außen an theologisches herangetragen und damit von einer Vergleichbarkeit ausgegangen würde, die den verschiedenen Inhalt des jeweiligen Denkens unterschlage, trifft nicht. Denn es wird ja nicht versucht, irgendwelche theologischen 'Ergebnisse' der Adornoschen Denkpraxis - die es als in sich geschlossene Denkfigur gar nicht gibt - in der Theologie heimisch zu machen, sondern es geht lediglich um die Prüfung der Möglichkeit und Konsistenz systematischtheologischer Begrifflichkeit als der Vermittlung von Vernunft und Sprache einerseits und der von dogmatischem Wissen und der Sprache des Glaubens andererseits. Die Analyse und Kritik theologischer Argumente geschieht also nicht mit der Absicht, damit religionskritisch im traditionellen Sinne, theologische Arbeit zu desavouieren oder gar den christlichen Glauben insgesamt als Trug zu ent-

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larven. Diese Gefahr ist deshalb abwegig, weil die Darlegung der Struktur der 'inversen' Theologie Adornos deutlich zu machen versuchte, daß nicht Skepsis oder ein spöttischer Zynismus den Argumentationshorizont von Adornos Denken ausmacht, sondern seine Intention die nach der 'Rettung des Hoffnungslosen' und nach der Erlösung aller ist. Zur Debatte steht also letztlich nicht der Gegenstand bzw. die Hoffnung des Glaubens, wohl aber die selbstkritische Prüfung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt des Glaubens bzw. Glaubenden und dessen begriffliche 41

Fixierung. Die Kritik am ArgumentationsZusammenhang eines dogmatischen Topos impliziert gerade weder seine Hinfälligkeit noch die des Ganzen, wohl aber wirft sie einen Schatten auf die Stimmigkeit der einzelnen Teile un+·. ere inander : auf die Methode. 3) Unter traditioneller Religionskritik verstehe ich besonders diejenige, die mit der Aufklärung in Frankreich (Holbach 1761) formuliert und in L.Feuerbachs "Wesen des Christentums"(1841) einen ihrer Höhepunkte erreicht hat; d.h. es ist jene religionskritische Intention gemeint, die darauf zielt, Gott als menschliche Erfindung zu entlarven und jeglichen Glauben an einen persönlichen Gott als Dummheit bzw. psychologische Kompensation abzutun. Solchen Klischees entspricht Adorno nicht. - Gleichwohl ist Adorno neuerdings in dem Autoren-Lexikon "Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart", hg. von K.H.Weger, Freiburg/Basel 1979, als Religionskritiker aufgenommen worden(ebda, S.19ff.). G.Rohrmoser als Verfasser des Artikels bemüht sich allerdings, Adorno aus der Alternative von Theismus und Atheismus herauszuhalten; er kommt zu dem Ergebnis: "In Adornos Denken wird der christliche Glaube herausgefordert nicht durch eine banale und geistlose Verneinung der Existenz Gottes, sondern durch die Härte und Unerbittlichkeit, mit der das Beste der christlichen Religion angeklagt wird: die Bewährung der Realität und Macht Gottes in der Einlösung des Versprechens eines Todes des Todes, einer Kontinuität des Menschen, die repressionsfrei sich vollendet in der Auferstehung der Natur und damit der leiblichen Auferstehung des Menschen selber"(ebda, S.21f.). 4) Adorno formuliert am Schluß der Negativen Dialektik das Movens seiner kritischen Intention folgendermaßen: "Aus dem Bedürfnis wird gedacht, auch, wo das wishful thinking verworfen ist. Der Motor des Bedürfnisses ist der der Anstrengung, die Denken als Tun involviert. Ge-

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Aufmerksam gemacht werden kann systematisch-theologisches Denken durch die Konfrontation mit der Denkpraxis Adornos darauf, daß die Bruchstellen und Aporien theologischen Denkens gar nicht repariert werden können und dies verweist freilich auf das von Adorno intendierte Ineinander von Form und Inhalt - im Interesse des Glaubens vielleicht gar nicht repariert zu werden brauchen. Es ist denn auch das naturgeschichtliche Argument Adornos, daß mit allem Glauben an Gott unabdingbar die List der gewalttätigen und selbstbehauptenden Vernunft verbunden ist, das dies zu bedenken gibt und der rote Faden ist, der sich durch alle Modellanalysen durchzieht. Wendet man sachlich gegen dieses Vorgehen ein, daß es im christlichen Glauben nicht um Aporien und Bruchstellen gehe, sondern um die Hoffnung auf Erlösung, die im Glauben an Jesus Christus gewißmachend begründet ist, so muß dennoch auch mit Paulus gesagt werden, daß die Glaubenden auf dieser Erde unter 'Stöhnen' wandeln und auf "die Sohnschaft und auf die Erlösung unseres Leibes"(Röm.8,23) warten. Wider die vorschnelle und trügerische begriffliche Aufhebung dieser Spannung(Nichtidentität) von dem im Glauben Ergriffenen und der Erfahrung des Leibes als dem Ort des Glaubens in eine Freiheit des Geistes, geht es demnach in allen Modellanalysen. So selbstverständlich dies in jeder christlichen Theologie im allgemeinen auch gewußt und gesagt wird, so schwierig scheint es doch - wie die folgenden Untersuchungen zeigen zu sein, dies im Detail, 'im Kleinen' und in der Form und Methode systematisch-theologischer Darstellung und Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen. Zur Wahl von Tillichs 'theologischer Anthropologie', Moltmanns 'Theologie der Hoffnung' und Jüngels Begründungsversuch eines 'Gott-denkens' als Kontrahenten und Gesprächspartner ist in der Einleitung(s.o.S.14f.) das genstand von Kritik ist darum nicht das Bedürfnis im Denken, sondern das Verhältnis zwischen beiden. Das Bedürfnis im Denken will aber, daß gedacht werde"(ND, S. 397) .

- 175 Nötige schon gesagt worden. Daß in der Darstellung des folgenden bestimmte Konstellationen wiederholt und teilweise noch einmal in diesem andern Kontext expliziert werden (z.B. Odysseus als Modell anthropologischer Strukturen) liegt in der Methode der Arbeit (s.o.S.17f.) begründet.

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I. Selbsterhaltung als Verhängnis Die Anthropologie Adornos in Gegenüberstellung zu P.Tillichs theologischer Anthropologie

1. Um Tillichs theologische Anthropologie zu verstehen, ist auszugehen von seiner prinzipiellen ontologischen Unterscheidung von Essenz und Existenz, denn sie ist das Aufbauprinzip seines ganzen theologischen Systems. Nicht daß Tillich dabei eine dualistische Auffassung intendierte, sondern er will durch diese Unterscheidung gerade das Ganze von Welt und Menschsein in den Blick bekommen, d.h. diese Unterscheidung wird unter der Prämisse gemacht, daß "das Sein dem Nichtsein ontologisch vorausgeht"^' und der Mensch, obwohl er seine Endlichkeit durch den Tod und die Begrenzung in Raum und Zeit erfährt, durch diesen Vorrang des Seins, zu diesem Ganzen, zum Sein-Selbst gehört.^' Das Ganze ist durch die oben genannte Unterscheidung für das Bewußtsein charakterisiert als die Polarität von Mensch und Welt. "Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen IchSelbst und Welt ist die ontologische Grundstruktur und schließt alles andere ein."^' Aus dieser polaren Struktur des Daseins ergibt sich für Tillich konsequent die Korrelations-Methode als die adäquate Form des Erkennens überhaupt, denn sie vermittelt Essenz und Existenz im Sinne von Frage und Antwort. Theologisches Erkennen will die Einigung des Getrennten,und die Methode der Korrelation sichert dieses prinzipielle 4) erkenntnisleitende Interesse. 1) Tillich, Systematische Theologie(= ST) Bd.I,S.222. 2) Vgl. Tillich, ST I,S.223: "Die Macht der unendlichen Selbsttranszendenz ist ein Ausdruck dafür, daß der Mensch zu dem gehört, was jenseits des Nichtseins liegt, nämlich zum Sein-Selbst." 3) Ebda, S.2o2. 4) Vgl. ebda, S.76: "Beim Gebrauch der Methode der Korrelation schlägt die systematische Theologie folgenden Weg ein: Sie gibt eine Analyse der menschlichen Situation, aus der die existentiellen Fragen hervorgehen, und sie zeigt, daß die Symbole der christlichen Botschaft die Antworten auf diese Fragen sind."- J.Track,

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Weil also Tillich nicht von einem dualistischen Prinzip ausgeht, ist auch das Objekt des Glaubens für den Menschen nicht ein völlig Fremdes, vielmehr entsprechen sich die Strukturen von Subjekt und Objekt bzw. sie partizipieren aneinander gemäß der fundcimentalen "Elementen-Paare"^^ von Individualisation und Partizipation. Die Vernunft des erkennenden Subjekts trägt die Struktur der Selbst-WeltKorrelation in sich und insofern ist wahre Erkenntnis überhaupt möglich. Aufgrund der existentiellen Polarität von Selbst und Welt, die sich in der Vernunft fortsetzt, bleibt alle Erkenntnis zunächst zweideutig. Einzig die christliche Offenbarung des 'Neuen Seins' in Jesus als dem Christus kann eine ungebrochene Wahrheit vermitteln, denn dieses Neue Sein ist die Überwindung der Polarität, die Erlösung aus dem Stande der Entfremdung und Sünde. Wie kommt es nun nach Tillich zur Entfremdung der Existenz von der Essenz bzw. wie stellt sich die grundlegende anthropologische Struktur des Menschen dar? 2. Tillich interpretiert mit den ontologischen Kategorien der Essenz und Existenz die Geschichte des Falls(Gen.3)^ um in diesen Symbolen die Auslegung für die universale menschliche Situation zu gewinnen. Er benutzt bewußt diese philosophische Begrifflichkeit, denn für Tillich ist der Existentialismus, der den Menschen in der Welt als im Zustand der Entfremdung befindlich beschrieben hat, ein "natürlicher Bundesgenosse", ja "ein Glücksfall"®^ für die christliche Theologie. Der Existentialismus analysiert nach Tillich nur, was es heißt, zu existieren, er ver-

Der theologische Ansatz Paul Tillichs, Göttingen 1975, faßt die Methode der Korrelation folgendermaßen zusammen: "Die Methode der Korrelation kommt nur dort zur sachgerechten Anwendung, wo die grundlegenden Symbole des christlichen Glaubens 'Gott' und 'Jesus als der Christus' im Fragehorizont der philosophisch-metaphorischen Ausdrücke Macht über Sein und Nichtsein und Neues Sein ausgelegt werden"(Track, a.a.O., S.29o). 5) Tillich, ST· I, S.195, 6) Tillich, ST II, S.33.

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tritt nicht wie die philosophische Richtung des Essentialismus, als dessen Hauptvertreter Tillich Hegel nennt^^ zugleich eine Wertung der Existenz als Ausdruck der Essenz. Das Symbol des Falls wird in aller idealistischen bzw. essentialistischen Philosophie auf einen Unterschied bzw. auf einen Mangel an Idealität reduziert und nicht als Bruch im ganzen des Seins expliziert; Hegels Philosophie ist deshalb nach Tillich Ideologie. Doch nicht nur gegen den Idealismus, wie er ihn versteht,· will sich Tillich mit seiner Begrifflichkeit absetzen, sondern auch gegen jede Form naturalistischer oder stoizistischer Philosophie, denn eine solche nimmt "die Existenz hin, ohne nach der Ursache ihrer Negativität zu fragen. Er versucht nicht, die Frage zu beantworten, warum der Mensch seine Negativität als etwas erfährt, das nicht sein 8Ì sollte und wofür er verantwortlich ist." Wie stellt sich nun der von Tillich intendierte "christ9) liehe Realismus" als Interpretation des Zustands der Entfremdung bzw. des Symbols des Falls dar? Tillich gliedert seine Interpretation von Gen.1-3 in vier logisch aufeinander folgende Schritte, гот so gleichsam die Genesis und Geltung des Symbols des Falls in seiner schicksalhaften Logik einsichtig zu machen. "Die Erzählung stellt dar: erstens die Voraussetzungen für den Fall, zweitens seine. Motive, drittens das Ereignis selbst, und viertens seine F o l g e n . I m ersten Stadium charakterisiert Tillich den Menschen als frei, weil er ausgezeichnet ist mit Sprache, Phantasie und technischer Rationalität; ja seine Freiheit besteht sogar darin, "seiner essen-

7) Vgl. Tillich, ST II,S.3o: "Hegel ist der klassische Essentialist, weil er auf das Universum die scholastische Lehre anwandte, daß Gott jenseits von Essenz und Existenz ist." 8) Tillich, ST II, S.36f. 9) Ebda, S.37. 10) Ebda, S.38.

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tiellen Natur zu w i d e r s p r e c h e n . ^ ^

Diese Freiheit wird

allerdings eingegrenzt durch das universale

Schicksal,

verstanden von Tillich als die Partizipation und Formung durch "Natur, Geschichte und m i c h t

selbst.Tillich

m a c h t diese Partizipation des Individuums m i t der ihn umgebenden W e l t durch folgende Aufreihung deutlicher:

"Adam

und Eva und die Natur - vertreten durch die Schlange sind am Fall beteiligt.

^^ Die Möglichkeit des Falls

w i r d aus dieser Korrespondenz v o n Freiheit und Schicksal interpretiert; nur weil der M e n s c h frei ist, kann er sein Schicksal wählen. Als ein von Gott geschaffener,

diesem

als Partner ebenbildlich, kann sich der M e n s c h gegen seinen Schöpfer entscheiden. "Die Größe und die Schwäche des Menschen haben ein und dieselbe Wurzel. Die Frage nun, warum sich der M e n s c h in seiner Freiheit gegen seinen Schöpfer entscheidet, beantwortet Tillich in seinem zweiten Abschnitt. Er versucht die Motivation zum Fall durch die psychologischen Begriffe 'träumende und 'Versuchung' zu imischreiben. M i t 'träumender

Unschuld'

Unschuld'

charakterisiert er den Zustand des essentiellen Seins als den der Unentschiedenheit, ein "Zustand vor der Aktualität, vor der Existenz und vor der G e s c h i c h t e " ^ .

In diesem Zu-

stand herrscht nach Tillich reine Potentialität, die freilich nicht schon göttliche Vollkommenheit meint,sondern "Adam vor dem Fall"^^^

beschreibt.

Die 'träumende Unschuld' treibt nun über sich hinaus, weil dieser Zustand immer m i t Angst verbunden ist, die von Tillich genauer als der "Wunsch zur Sünde"^^^

bestimmt wird.

Das göttliche Gebot, nicht vom Ваглпе der Erkenntnis zu es-

11) Tillich, ST II, S.38. 12) Tillich, ST I, S.217. 13) Tillich, ST II, S.39. 14) Ebda. 15) Ebda, S.4o. 16) Ebda, S.41. 17) Ebda, S.42.

- 18ο sen, signalisiert, daß der Mensch - Adam vor d e m Fall im "Konflikt zwischen dem Wunsch, seine Freiheit zu aktualisieren, und der Forderung, seine träumende Unschuld 18) zu bewahren" , sich befindet; doch "kraft seiner endlichen Freiheit entscheidet er sich für die Aktualisierung"^®^, d.h. der Mensch entscheidet sich für 1 9) sich selbst und verliert damit zugleich seine Unschuld. In seinem dritten Abschnitt geht Tillich dann auf das Ereignis des Falls selbst näher ein. Die Freiheit als Bedingung der Möglichkeit zum Fall und die psychologische Situation "zwischen zwei Ängsten"^°^ gestellt zu sein, führen also zum Faktum des Falls als dem eigentlichen Übergang von der Essenz zur Existenz. Dieses Ereignis muß als das ontologische Konstitutivum aller Geschichte überhaupt gesehen werden, wenngleich es selbst nicht als historisch zu datieren ist. "Der Übergang ist kein Ereignis in der Vergangenheit, denn er geht allem, was sich in Zeit und Raum ereignet, ontologisch voraus. Er konstituiert die Bedingungen zeitlicher und räumlicher Existenz, und er ist manifest in der Art, in der in jedem Individuum der Übergang von träumender Unschuld zu schuldhafter Verwirk21 ) lichung sich vollzieht." Aus diesem Grunde ist von diesem Ereignis adäquat auch nur in mythologischer Sprache zu erzählen und es symbolisch zu deuten. Gerade die biblische Sündenfallgeschichte verweist nach Tillich auf die universale und kosmische Dimension und Geltung des Erzählten in ihrer mythologischen Form. Daß die Entscheidung, die sich seit jeher und immer schon in jedem Individuum vollzieht, so gefallen ist, nennt Tillich die Korrelation von "Freiheit und tragischem Schicksal." 2 2 1 18) Tillich, ST II, S.38. 19) Die naheliegende Frage, wie sich die 'träumende Unschuld' und die Situation des Konflikts der Freiheit im Zustand vor dem Fall miteinander vertragen, stellt Tillich nicht, d.h. Tillich interpretiert die Urgeschichte existentialistisch,ohne freilich die wirklichen Fragen des Existentialismus zu stellen. Vgl. Track, a.a.O., S.395f. 20) Tillich, ST II,S.43. 21) Ebda. 22) Ebda, S.45.- Im Gang seiner fortlaufenden Erläuterung

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Da die Sündenfallgeschichte für Tillich psychologischethischen^^^ Charakter trägt, ihre Form zugleich auf ihre universale Bedeutung verweist, ist für die Theologie die Aufgabe gestellt, die "tragische Universalität der Entfremdung und die persönliche Verantwortlichkeit des Men24 ) sehen" anzuerkennen und, mit Hilfe der Psychologie und Saziologie, diese Situation des Menschen im Stande der Entfremdung zu beschreiben. In einem letzten Abschnitt geht Tillich noch näher auf die Folgen des Falls ein. Er muß nach dieser Beschreibung des Falls nun das Verhältnis von "Schöpfung und Fall" klären, wenn er nicht letztlich in der Aporie landen will, daß der Schöpfer selbst für die Folgen seiner Schöpfung verantwortlich gemacht wird. Das heißt, er stellt klar, daß die Natur und der Mensch gefallen sind und der Mensch als der in Freiheit sich dafür Entscheidende, dafür auch verantwortlich ist. Wie aber verhält es sich dann mit dem biblischen Bekenntnis Gen.1,31 von der 'guten Schöpfung'? Um seine Logik des Falls in etwa widerspruchsfrei zu halten, muß Tillich zu der schwierigen Konstruktion Zuflucht nehmen, Schöpfung und Fall in eins zu sehen.^^^ Schöpfung und Fall koinzidieren in der Erfahrung der universalen Entfremdung, "insofern gibt es keinen Moment in Raum und Zeit, an dem das Potentielle der ursprünglichen Schöpfung als solches aktuell wird."^®^ Durch die Einführung der des Sündenfalls nennt Tillich die freie Entscheidung der Abwendung des Menschen von Gott die "geistige hybris der Geschöpfe"(ST II,S.45). Diese Identifikation von Freiheit und hybris ist nur schwer verständlich. 23) Der ethische Charakter der Sündenfallgeschichte sich für Tillich aus der Entscheidungssituation Menschen. Vgl. auch Tillich, Biblische Religion Frage nach dem Sein, in: Gesammelte Werke( =GW) S.162. 24) Tillich, ST II, S.46.

ergibt des und die Bd.V,

25) H.Röer, Heilige - profane Wirklichkeit bei P.Tillich, Paderborn 1975, S.9o weist darauf hin, "daß Tillich das Verhältnis von Schöpfung und Sündenfall in einer Weise versteht, die von dem üblichen Verständnis der biblisch-christlicheTradition nicht unerheblich abweicht. " 26) Tillich, ST II, S.51.

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der formalen Unterscheidung von Aktualität und Potentialität des Seins, entgeht Tillich der Schwierigkeit, dem biblischen Topos von der 'guten Schöpfung' widersprechen zu müssen, denn potentialiter kann sie als 'gut'bezeichnet werden, sie wird erst aktualiter zur entfremdeten. Die Vermittlung beider Seinsweisen wird von Tillich nicht ausführlich diskutiert, sondern lediglich darauf verwiesen, daß der Übergang von der Essenz(Potentialität) zur Existenz(Aktualität) als Sprung und nicht als Notwendigkeit im essentiellen Sinne verstanden werden darf.

3. Tillichs Interpretation der biblischen Sündenfallgeschichte Gen.1-3 hat zum Resultat: der Zustand der Existenz ist der Zustand der Entfremdung. Wobei gerade der Begriff der Entfremdung darauf aufmerksam macht, und das ist für Tillichs theologisches Denken wichtig, daß der Mensch auch im Zustand der Entfremdung(aktualiter) immer noch "essentiell zu dem gehört, wovon er entfremdet ist."^''^ Das Ganze, Gottes Schöpfung potentialiter betrachtet, umschließt auch den Zustand der Entfremdung. Deshalb kann Tillich die Erfahrung des Todes bzw. des Sterben-müssens und Leidens als eine Grenzsituation interpretieren, in 28) der das "schmerzvolle Erkennen der verlorenen Ewigkeit" voll zimi Bewußtsein kommt. Der Mensch besitzt im Zustand der Entfremdung endliche Freiheit. Diese so bestimmte Freiheit ermöglicht es ihm, einerseits immer noch "aus der Ganzheit seines Seins her29) aus" zu handeln, andererseits verbleibt er ein "Wesen, das die Möglichkeit hat, ohne zu sagen, w o f ü r . S o erfährt der Mensch im Zustand der Entfremdung die ständige Bedrohung der Möglichkeit zur Freiheit. Nicht um die Beschneidung irgendeiner Möglichkeit geht es Tillich, son27) Tillich, ST II, S.53. 28) Ebda, S.77. 29) Tillich, Die politische Bedeutung der Utopie im Leben der Völker, in: GW Bd. VI, S.158. 30) Ebda, S.159.

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d e m um die Möglichkeit zur Freiheit, weil die Freiheit den Menschen an seine essentielle Herkunft erinnert. "Der Mensch, der nicht mehr aus der Zentriertheit, aus der Ganzheit, aus dem, worin alle Elemente seines Seins zu letzter Entscheidung zusammenkommen, handeln kann, hat aufgehört, ein Mensch im wahren Sinne des Wortes zu sein. Er ist entmenschlicht; und es ist sehr wichtig, sich klar zu werden, daß hier der Begriff der Entmenschlichung durch Unfreiheit e i n s e t z t . ' Daß die Freiheit bedroht ist, führt dazu, die Endlichkeit sich als die Bedrohung durch das Nichtsein genauer bewußt zu machen. Nicht erst in der Grenzsituation des Todes, sondern mitten im Leben ist diese Bedrohung zu erfahren. "Denn Endlichkeit heißt Mischung von Sein und Nichtsein. Wir alle stehen in jedem Augenblick in der Situation dieser Mischung von Sein und Nichtsein. Das Nichtsein ist nicht etwas, auf das wir blicken können als außerhalb von uns. Wir sind in jedem Augenblick im Nichtsein ebensosehr wie im Sein, wir sind in jedem Augenblick in einer Situation der B e d r o h t h e i t . D i e s e Bedrohtheit wird von Tillich auch als existentielle Angst beschrieben, die nicht rational überwunden werden kann. Endliche Freiheit ist aber nicht nur der Zustand der Bedrohtheit und der Angst, sondern auch der der Erwartung, die wesentlich zim Menschen gehört. Daß die Erwartung zum Wesen des Menschen gehört, ist der Ermöglichungsgrund für den Gläubigen, die Hoffnung zu hegen, am ewigen Leben, dem Leben Gottes teilzuhaben. Dadurch daß auch der gefallene Mensch in der Erwartung am Grund des Seins partizipiert, ergibt sich für Tillich die theologische Korrelation von Entfremdung und Versöhnung, ja die Entfremdung fordert geradezu die Versöhnung heraus, denn Gott leidet an der Entfremdung des Menschen mit. "Der Mensch ist sich selbst entfremdet, wenn er Gott entfremdet ist; aber auch Gott ist sich selbst entfremdet, wenn er dem Menschen ent31) Tillich, GW Bd.VI,S.159. 32) Ebda, S.160.

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fremdet ist. Wenn Gott das mächtigste und vollkommenste Seiende wäre, aber nur neben mit existierte, so würde die Entfremdung von diesem anbetungswürdigen Gefährten zwar bedauerlich sein, aber nichts, was mich unbedingt angeht; sie würde keine absolute Forderung nach einer Versöhnung in sich s c h l i e ß e n . D i e anthropologische Situation fordert aufgrund der ontologischen Prämissen eine solche theologische Systematik heraus. 4. Versucht man nun Adornos Anthropologie mit der so skizzierten Tillichs zu konfrontieren, so heißt dies, vor allem auf die ontologischen, erkenntnistheoretischen und geschichtsphilosophischen Momente und Argumente einzugehen und zu fragen, welche Interessen und Implikationen in der jeweiligen Position zum Zuge kommen. Da Entfremdung auch ein von Adorno gebrauchter Begriff ist, der bei ihm anthropologische, soziologische und geschichtsphilosophische Konstellationen einschließt, so kann ebenfalls dargelegt werden, was nach Adorno die Bedingungen, Motive und Folgen der Entfremdung sind. In diesem analysierenden Vergleich stellen sich dann Nähe und Differenz beider Positionen heraus. Als Grundtext der europäischen Zivilisation gilt für Adorno die Odyssee Homers. Mit ihr kann nicht nur der Geschichtsprozeß als 'Dialektik der Aufklärung' im allgemeinen, sondern ebenso deutlich, "die Beschreibung der 34) Fluchtbahn des Subjekts von den mythischen Mächten" in den neuen Mythos: Herrschaft im besonderen aufgezeigt werden. Ist der Grundtext theologischer Anthropologie traditionell - wie bei Tillich - Gen.3, so hat Adorno für seine negativ dialektische Anthropologie einen nicht minder traditionsreichen und mythengeladenen Stoff gewählt. Adam und Odysseus als die beiden 'typoi' unserer Kultur. 33) Tillich, Entfremdung und Versöhnung im modernen Denken, in: GW Bd. IV,S.185. 34) Horkheimer/Adorno, DA, S.44.

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Als erkenntnisleitendes Interesse von Adornos Auslegung der Odyssee gilt die Frage, warum die Menschheit, anstatt nach Generationen der Aufklärung und des technischen Fortschritts in ein wahrhaft menschliches Stadium der Freiheit zu treten, in die Unmenschlichkeit von Krieg und Rassenwahn sich stürzten. Bei solcher "Selbstbesinnung über seine eigene Schuld"^^' sucht kritisches Denken notgedrungen radikal die eigenen Aporien und Prämissen freizulegen, d.h. den Fragen nach dem, was die Menschen bestimmt und was - theologisch gesprochen - sie zum Bösen verführt, nachzugehen. Adorno setzt dabei voraus, daß Freiheit und aufklärendes bzw. kritisches Denken in Korrelation stehen; daß aber auch "der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enthalten, der heute überall sich ereignet. Adornos Interpretation der Odysse tendiert also von vornherein nicht daraufhin, die Schuld bzw. einen 'Sündenfall' der Menschen zu rekonstruieren, ihn ähnlich wie Tillich in seine verschiedene ontologische Voraussetzungen und psychologische Motive auseinanderzulegen, sondern Adorno zielt darauf, die Menschen in und zusammen mit ihren natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen zu verstehen. Denn "wie die Aufklärung die wirkliche Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft als ganzer unter dem Aspekt ihrer in Personen und Institutionen verkörperten Idee ausdrückt, so heißt Wahrheit nicht bloß das vernünftige Bewußtsein, sondern ebensosehr dessen Gestalt in der Wirklichkeit."^^' Wenn Tillich die Frage, ob "Natur am Fall teilhat"^®' eindeutig mit ]a beantwortet und die "idealistische Auffassung, daß der schuldige Mensch von der unschuldigen Natur

35) 36) 37) 38)

Horkheimer/Adorno, DA, S.2. Ebda, S.3. Ebda. Tillich, ST II,S.47.

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39) scharf zu trennen ist" , entschieden ablehnt, so scheint es zunächst, als verfolge Tillich dieselbe Intention wie Adorno: den Menschen nicht als solchen, sondern im Zusammenhang mit seinen biologischen Bedingungen und seiner Sozialisationsgeschichte zu beschreiben. Tillich verweist indirekt sogar auf die modernen Einsichten der Anthropologie und Biologie, geht jedoch im Verlauf seiner explizierten Anthropologie nicht mehr darauf ein, sondern streng von seiner ontologischen Grundstruktur aus.Dabei werden psychologische und biologische Entwicklungsvorgänge in ontologische Strukturen uminterpretiert bzw. zur Stützung ontologischer Argumentation verwendet; so z.B. wenn das sexuelle Bewußtsein des Kindes in "analoger Bedeutung" den "Zustand des essentiellen Seins verständlich machen" ' soll. Tillich konstruiert somit von seinen ontologischen Prämissen aus ein abstraktes Menschenbild. Die verwendeten existentialistischen Begriffe dienen ihm nicht dazu, analytische Erkenntnisse in seine Anthroplogie einzubringen, sondern dazu, in den Bahnen einer existentialistischen Ontologie zu denken. Der Einwand, daß auch Adornos Interpretation der Homerischen Odyssee einseitig sei und die "Anwendung soziologischer Begriffe wie 'bürgerlich' 41 ) auf Odysseus einen Mangel an historischer Reflexion" darstelle, ist festzuhalten, gleichwohl muß dem entgegengehalten werden, daß Adorno 42 ) wider den "eingeschliffenen Kategorienapparat" philosophischer Anthropologie, soziologische, psychologische, ökonomische und geschichtsphilosophische Begriffe in eine solche Konstellation zueinander bringt, daß die gegenwärtigen Prinzipien und Strukturen privater wie gesellschaft39) Tillich, ST II,S.49. 40) Ebda, S.41f. 4 41) H.-G.Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1975 S.258, Anm.2. 42) Horkheimer/Adorno, DA,8.4.

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lieber Konstitution evident werden. Die damit angeschnittene Problematik der erkenntnisleitenden Interessen der jeweiligen Interpretation der 'Grundtexte' muß weiter verfolgt werden. Gerade das erkenntnistheoretische Verfahren zur Gewinnung anthropologischer Erkenntnis dürfte für die Anthropologie selbst Relevanz haben zumal sowohl Tillich mit seiner Interpretation die 43) "volle Tiefe des christlichen Realismus" beansprucht als auch Adorno mit der 'Dialektik der Aufklärung' der Wahrheit zum Durchbruch verhelfen will, indem er das Selbstbewußtsein des objektiven Verblendungszusammenhangs reflektiert. Tillichs Strukturen der Vernunfterkenntnis gleichen aufgrund seiner ontologischen Prämissen denen des Seins 44 selbst, ) d.h. die "Bedingungen der Erfahrungen sind a priori" Eine theologische Anthropologie gewinnt ihre Erkenntnisse nach Tillich so, daß sie nur die Endlichkeit und Fraglichkeit des Menschen radikal zur Sprache zu bringen hat, dann wird sie immanent, gleichsam automatisch, auf ihr Fehlendes als das Positiven geführt. Der Mensch ist nach Tillich immer schon in Denken 45)und Handeln "ausgerichtet auf die Antwort: das Ewige" , weil er auch im Stande der äußersten Entfremdung immer noch Teil·des Ganzen und Ewigen ist. Die Methode der Korrelation ist der indirekte Beweis dafür, daß alle Geschichte der Menschen, ihr Denken und Handeln auf die Einheit als die Vollendung hin ausgerichtet ist. Adornos konstellative Methode ist nicht ontologisch ausgerichtet; er denkt nicht in Korrelationen von Teil und Ganzem. Gleichwohl impliziert auch Adornos Denkpraxis ein kommendes Ganzes^^', aber eine Teilhabe daran ist nicht substantiell gegeben, sondern wird nur vermittelt in den Begriff skonstellationen und der Erfahrung von Leiden und Gewalt in der Geschichte'. Die Bedingung der Möglichkeit, 43) Tillich, ST II, S.37. 44) Tillich, ST I, S.197. 45) Tillich, ST II,s;22. 46) Vgl. diese Arbeit S. Ilo.

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den Prozeß der menschlichen Entwicklungsgeschichte als 'Dialektik der Aufklärung' und damit als das Prinzip von Herrschaft gegen sich selbst wie gegen andere zu interpretieren, wird von Adorno nicht in der Teilhabe der menschlichen Vernunft an einer ursprünglich ontologisch bestimmten Einheit gesehen, sondern in der Erfahrung des Andern innerhalb der Konstellation negativer Dialektik. Das Ganze und Heile ist wohl auch Wunsch und Bedürfnis des Denkens bei Adorno, aber dieses Bedürfnis ist nicht das Korrelat seiner Befriedigung wie bei Tillich, denn Wie und Was das Ganze ist, ist nicht zu sagen. Schon die Aufstellung von ontologischen Grundstrukturen, wie sie Tillich vornimmt, ist im Sinne Adornos der Ausdruck von objektivierendem Denken, Ausdruck von Selbstbehauptung und Entfremdung, nicht schon diesem entronnen. Wenn also Adorno Odysseus als Modell bürgerlich-abendländischer Zivilisation zum Material seiner anthropologischen Ausführungen macht, so nur um einerseits, die Einheit von mythischer Natur und gegenwärtig technischer Naturbeherrschung aufzuzeigen, und um andererseits mit diesem frühen Zeugnis abendländischer Kultur- und Geistesgeschichte, die strukturelle Gleichheit von "Weltgeschichte und Aufklä47 ) rung" zu demonstrieren. Denn schon "der originale Mythos enthält das Moment der Lüge, das im schwindelhaften Faschismus triumphiert."^®' Lehnt Adorno jegliche 'prima philosophia'ab, so auch die Methode der Korrelation im Tillichschen Sinne, da diese letztlich deduktiv verfährt, wenn sie den ontologischen Primat des Seins setzt und von daher dann das System der Korrespondenzen und 'Grund-Elemente-Paare' ableitet. Tillichs Anthropologie ist eindeutig von seiner Ontologie bestimmt, denn "Sein umschließt personhaftes Sein , es verneint das personhafte Sein nicht." 49), während bei Adorno 47) Horkheimer/Adorno, DA, S.43. 48) Ebda, S.44. 49) Tillich, Biblische Religion und die Frage nach dem Sein, in: GW Bd.V,S.183. - Vgl. G.Hummel, Theologische Anthropologie und die Wirklichkeit der Psyche, Darmstadt 1972, S.165: "Die anthropologische Konse-

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die negative Dialektik der Geschichtsdeutung eine Folge anthropologischer und gesellschaftlicher - empirischer Erfahrungen ist. Adornos anthropologische Denkpraxis ist nicht durch eine Ontologie legitimiert, sondern einzig durch ihr Verfahren selbst, indem dies um die Sache Kreise zieht, hoffend sie so zum Sprechen zu bringen, führt sie nicht zu einer

übergeordneten - gleichsam sinnvollen - Per-

spektive, wie das Tillich gelingt. Adornos Anthropologie bleibt negativ.

5. Es muß freilich noch einmal gefragt werden, ob Adorno nicht doch auch dem Sein als dem Ganzen einen Primat einräumen muß, wenn seine Kritik am weltgeschichtlichen Verlauf einer Wahrheit gilt, die immer schon mit der Idee von Freiheit zusammengeht. Adorno leugnet die Affinität seiner Denkpraxis zur Identitätsphilosophie keineswegs, jedoch ist zu unterscheiden, "ob ein Denken, durch die Not der einem jeglichen unentrinnbaren Form, geschlossen, prinzipiell sich fügt, um den Anspruch der traditionellen Philosophie auf geschlossenes Gefüge immanent zu verneinen - oder ob es jene Form der Geschlossenheit von sich aus urgiert, der Intention nach sich selbst zum Ersten m a c h t . D e r Fehler des traditionellen Denkens ist also nach Adorno, daß es die Identität von Begriff und Sache für bereits vollzogen oder für jederzeit erreichbar hält. Negative Dialektik als einer kreisenden Bewegung von Begriffen um die zu begreifende Sache kommt nicht zur Ruhe, deshalb nicht zur Identität, das eben bleibt ihr negatives Moment. In der Sprache Tillichs quenz aus diesem Seins-überhang ist das, was wir(...) eine Unter-Schlagung des Personalen unter das Ontologische nennen wollen." - "Mit anderen Worten: das Menschsein ist eine Rolle des Seins; eine wichtige oder sogar die wichtigste, soweit wir verstehen; aber doch nach Tillich keine, die das Sein letztlich erwägt, entscheidet, verantwortet, kurz: erlaubt, sondern die vom Sein erlaubt ist"(a.a.O., S.173). 5o) Adorno, ND, S.148f.

- 19ο foirmuliert: das negative Moment bei Adorno ist nicht Teil eines umfassenden Ganzen und deshalb selbst schon Hinweis auf dieses. Die Vernunft für sich kann nach Adorno nicht wie bei Tillich das Unbedingte denken und gewahrt in ihrer Tiefe^^^ weder die Wahrheit noch das Sein. Das heißt im Blick auf die Geschichte der Entfremdung der Menschen, Adorno hütet sich, von einem paradiesischem Zustand, einer träumenden Unschuld zu sprechen und ebenso von einem Übergang bzw. dem Fall. An der Explizierung des Mimesis-Begriffs^^' bei Adorno kann noch einmal gezeigt werden, wie anthropologische und erkenntnistheoretische Momente bei Adorno ständig ineinanderübergehen bzw. wie Adorno die Konstellation von Freiheit und Schicksal naturgeschichtlich - und nicht ontologisch - interpretiert. "Die Ratio, welche die Mimesis verdrängt, ist nicht bloß deren Gegenteil. Sie ist selber Mimesis: die ans Tote. Der subjektive Geist, der die Beseelung der Natur auflöst, bewältigt die entseelte nur, indem er ihre Starrheit imitiert und als animistisch sich selber auflöst. Nachahmung tritt in den Dienst von Herrschaft, indem noch der Mensch vorm Menschen zum Anthropomorphismus wird."^^^ Adorno interpretiert also mimetische Verhaltensweisen als Beziehungen der Menschen zu ihrem 'Andern',, zu Natur und Gesellschaft und dem nicht zu Nennenden. Das Selbst konstituiert sich, indem es sich von der es umgebenden Natur, eben dem Andern, lossagt. Es setzt sich selbst als identisch und tritt aus dem Zusammenhang mit Natur heraus. Es schafft sich so Distanz zur Natur, indem es sich als identisches Selbst gegen das Zerfließen in Anderes absichert. Subjekt wird, indem es sich selbst als Objekt setzt, mimetische Regungen dabei sublimierend. 51) Vgl. J.Track, a.a.O., S.37f. der die Tiefe der Vernunft bei Tillich folgendermaßen charakterisiert: "Menschliche Vernunft ist geschaffene Vernunft, sie ist essentiell endlich und begrenzt. Wird nun der Mensch dieser gegebenen Endlichkeit gewahr, wird er auch des Unendlichen gewahr, das im Endlichen gegenwärtig ist." 52) Vgl. diese Arbeit S.138. 53) Horkheimer/Adorno, DA, S. 53.

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Die Geschichte der Konstitution des Selbst vollzieht nach Adorno iiraner als Lossage der mimetischen

sich

Beziehungen

der Menschen von Natur. Dieser Prozeß ist zunächst m i t archaisch-magischer Naturbeherrschung verklammert und m ü n d e t schließlich in eine 'Freigabe' λ^οη Natur und A n derem für rationale

Herrschaft.

Der 'Sündenfall' bzw. die Selbstkonstitution ist also für Adorno ebenso wie für Tillich nicht einst in grauer V o r zeit einmal passiert, aber gegen Tillich ist von Adorno her zu betonen, daß dieser Vorgang auch nicht

symbolisch,

gleichsam überzeitlich als Rechtfertigung einer bereits getroffenen ontologischen Systematik zu interpretieren ist. Die Menschen sind nach Adorno, was sie geworden sind; die Heimfahrt des Odysseus ist Modell der

Entwicklungsge-

schichte der M e n s c h e n nicht vom Paradies weg, sondern gcilehrt und am Leben mittels schrecklicher Erfahrung und listiger V e r n u n f t - hin zu einer Heimat, in der noch nie54 ) mand war.

Adorno stellt damit Tillichs Intention einer

symbolischen Auslegung von 'Schöpfung und Fall'

gleichsam

v o m Kopf auf die Füße, w e n n er in der 'Dialektik der A u f klärung' formuliert:

"Furchtbares hat die Menschheit sich

antun müssen, bis das Selbst, der identische,

zweckge-

richtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt. Die Anstrengung, das Ich zusammenzuhalten, haftet dem Ich auf allen Stufen an, und stets war die Lockung, es zu verlieren, m i t der blinden Entschlossenheit zu seiner Erhaltung gepaart. Wenn so für Adorno mimetisches Verhalten immer schon und immer noch zum m e n s c h l i c h e n V e r h a l t e n gehört, so tangiert dies auch das Freiheitsbewußtsein. Adorno kann nicht wie Tillich von "Freiheit als solcher"^^^

sprechen, die dann

vermischt m i t Endlichkeit zur 'endlichen Freiheit'

einge-

schränkt wird. Unter d e n Bedingungen bisherigen Lebens 54) Vgl. E.Bloch, Das Prinzip Hoffnung, gabe, Frankfurt 1967,3.1628. 55) Horkheimer/Adorno, DA, S.33. 56) Tillich, ST II, S.39.

Wiss.Sonderaus-

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konnte es keine Freiheit als Vorhandenes geben; sie ist immer nur Abstraktion und existiert im überbaut^¿ie Kühnheit, mit der Tillich von Freiheit spricht, ist für Adorno narzißtisch, Setzung der naturbeherrschenden Souveränität. "Freiheit wird, im abstrakten Allgemeinbegriff eines Jenseits der Natur, zur Freiheit vom Reich der Kausalität vergeistigt. Damit aber zur Selbsttäuschung. Psychologisch gesprochen, wäre das Interesse des Subjekts an der These, es sei frei, narzißtisch, so maßlos wie alles Narzißtische.··^^) Vernunft ging nach Adorno aus Natur hervor und will sie transzendieren, beherrschen; Vernunft kann jedoch Natur nie aus sich verdrängen, ohne vollends ideologisch zu werden. Auf den Begriff der Entfremdung angewandt, heißt dies von Adorno her formuliert: kein noch so intensives Reden 59) von 'Neuem Sein' kann innerhalb dieser Gesellschaft und ihrer Geschichte Entfremdung aufheben. Der Versuch, im Glauben und in der Liebe neues Sein als Geschenk anzunehmen, der symbolischen Macht des Heilswortes zu vertrauen, begibt sich in die Gefahr, anthropologisches bzw. naturgeschichtliches Wissen zu unterschlagen und eine abstrakte Versöhnung für sich zu behaupten. Eine solche Versöhnung als neues Sein auszugeben, ist nach Adorno eine Subreption, weil es ein Betrug gegen sich selbst und gegen die Natur ist. 57) Vgl. Adorno, ND,S.279: "Freiheit existiert nur, blaß genug, im Überbau; ihr perennierendes Mißlingen lenkt die Sehnsucht ab auf die Unfreiheit. Wahrscheinlich ist die Frage nach dem Sinn des Daseins insgesamt Ausdruck jenes MißVerhältnisses." 58) Adorno, ebda, S.217. 59) Tillichs Rede vom 'Neuen Sein' impliziert große Schwierigkeiten, denn wenn die Entfremdung universal ist, wie kann dann Neues Sein überhaupt erfahren werden? Tillich formuliert: "Das Neue Sein ist das essentielle Sein unter den Bedingungen der Existenz, das Sein, in dem die Kluft zwischen Essenz und Existenz überwunden ist"(ST II,S.13o). Die Schwierigkeiten häufen sich noch, wenn Tillich die Überwindung der Entfremdung nicht nur in Jesus Christus als dem Träger des Neuen Seins sieht, sondern auch von der Liebe als dem "Drang zur Wiedervereinigung" spricht, die die "Sünde besiegt, denn Entfremdung ist durch Wiedervereinigung über-

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Der Glaube an die Möglichkeit der Aufhebung der Entfremdung ist nach Adorno iiraner mit Selbstbehauptung gepaart, ist mit eine List der scheinbar autonomen Vernunft, Natur und ihre Verdrängung vergessen zu machen; die Geschichte der Glaubensgemeinschaften ist für Adorno Beweis genug für diese erpreßte Versöhnung. "Den im Protestantismus unternommenen Versuch des Glaubens, das ihm transzendente Prinzip der Wahrheit, ohne das er nicht bestehen kann, wie in der Vorzeit unmittelbar im Wort selbst zu finden und diesem die symbolische Gewalt zurückzugeben, hat er mit dem Gehorsam aufs Wort, und zwar nicht aufs heilige, bezahlt. 6. Nach der Darstellung der erkenntnistheoretischen Implikationen der jeweiligen anthropologischen Erkenntnis, soll nun im einzelnen aufgezeigt werden, was Adorno unter der Selbsterhaltung als List der Vernunft versteht. Somit können noch einmal die Adornoschen naturgeschichtlichen Strukturen der Entfremdung gegenüber den ontolgischen Stadien der Tillichschen verdeutlicht werden. Für Adorno ist gemäß seiner geschichtsphilosophischen Perspektive die Irrfahrt des Odysseus von Troja nach Ithaka "der Weg des leibhaft gegenüber der Naturgewalt unendlich schwachen und im Selbstbewußtsein erst sich bildenden Selbst durch die Mythen."®^^ Die mythische Vorwelt ist in den Raum säkularisiert, den Odysseus auf seinem Heimweg durchmessen muß. Auf bestimmte Inseln und Zonen des Meeres, das zugleich das Symbol der tiefen Bedrohung darstellt, verteilt, dokumentieren die vielfältigen Ungeheuer und Gefahren die Macht der mythischen Vorwelt, die 62 )

immer wieder "das Selbst aus der Bahn seiner Logik" herausziehen will und mit Zerstörung bedroht. Die Logik der Heimfahrt des Odysseus ist die Logik und Sozialisationsgeschichte der Selbstbehauptung; indem Odysseus sich wunden"(ST II,S.55). Auf die damit sich eröffnenden philosophischen wie theologischen Schwierigkeiten verweist ebenfalls J.Track, a.a.O., S.363f. 6o) Horkheimer/Adorno, DA, S.21. 61) Ebda, S.44. 62) Ebda, S.45.

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den Verlockungen und Gewalten der Mächte ausliefert, "wird er zxnti Leben hart und stark. Doch wie gelingt es Odysseus, seine physische Ohnmacht in die Entmachtung der Mächte umzuwandeln? Was ist der Preis, den er für seinen Sieg über die Naturgewalten zu bezahlen hat? Adorno interpretiert Odysseus' Rettung als List der Ratio. "Das Organ des Selbst, Abenteuer zu bestehen, sich wegzuwerfen, um sich zu behalten, ist die List."®^' Die inhaltlichen Momente dieser rettenden List entwickelt Adorno anhand des Zusammenhangs von Tausch und Opfer. Das homerische Gastgeschenk ist Ausdruck und Deutungsmuster für das, was er den "Betrug im Opfer" nennt; analog dem zivilisierten Reisenden, der den Wilden "bunte Glasperlen für Elfenbein bietet"®^', übervorteilt Odysseus die Naturgottheiten. Seine Anpassung an ihre Spielregeln und die Selbstbehauptung durch die Technik eben solcher Anpassung macht den Doppelcharakter des Opfers aus, ja "impliziert einen objektiven Widerspruch, der auf die Entfaltung gerade des rationalen Elements im Opfer drängt"^^^, eben dem Moment des Betrugs bzw. der List der Vernunft im Opfer. Die List der Vernunft entspringt im Kultus und Odysseus ist Opfer und Opfernder zugleich. Im Blick auf die Natur als dem Bindeglied von Innen und Außen des Selbst heißt dies: in der Anwendung der List wird der im Opfer gesetzte Betrug zum Element des Charakters selbst. 63) Horkheimer/Adorno, DA, S.45. Die Logik der Heimfahrt impliziert auch die Verwandlung und Darstellung von Mythos in Epos. "Mühselig und widerruflich löst sich im Bilde der Reise historische Zeit ab aus dem Raum, dem unwiderruflichen Schema aller mythischen Zeit" (DA,S.46). 64) Ebda, S.46 65) Ebda. 66) Ebda, S.47. Den Sachverhalt erläutert Adorno in der Interpretation des Abenteuers von Odysseus mit dem Kyklopen Polyphem(Homer, Odyssee IX). Die List des Namens rettet Odysseus das Leben. "In Wahrheit verleugnet das Subjekt Odysseus die eigene Identität, die es zum Subjekt macht und erhält sich am Leben durch die Mimikry ans Amorphe.(...) Seine Selbstbehauptung aber ist wie in der ganzen Epopöe, wie in aller Zivilisation, Selbstverleugnung"(DA, S.62f.).

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Natur ist nicht zu bezwingen, sondern nur durch Anpassung zu verwandeln. Was als Geist im Unterschied zur Natur ausgegeben wird, gar als ein Höheres, der Natur enthoben, ist die Transformation des Opfers in Subjektivität und Rationalität, die aber damit den Zusammenhang mit der Natur zerreißt. Die Praxis des Opferns ist die List der Selbsterhaltung und sie ist als solche zugleich Betrug an der Natur wie am Selbst, weil sie die Verleugnung der Natur im Selbst impliziert. Indem somit Adorno das Opfer in seine dialektischen Momente auflöst, entmythologisiert er es einerseits, um jedoch andererseits deutlich zu machen, daß aus dieser Dialektik von Mythos, Verehrung und Aufklärung nicht zu entkommen ist. "Erweist das Prinzip des Opfers um seiner Irrationalität willen sich als vergänglich, so besteht es zugleich fort kraft seiner Rationalität. Diese hat sich gewandelt, sie ist nicht verschwunden. Das Selbst trotzt der Auflösung in blinde Natur sich ab, deren Anspruch das Opfer stets wieder anmeldet. Aber es bleibt dabei gerade dem Zusammenhang des Natürlichen verhaftet. Lebendiges, das sich gegen Lebendiges behaupten möchte.(...) Das identisch beharrende Selbst, das in der Überwindung des Opfers entspringt, ist unmittelbar doch wieder ein hartes, steinern festgehaltenes Opferritual, das der Mensch, indem er dem NaturZusammenhang sein Bewußtsein entgegensetzt,sich selber zelebriert. 68) Adornos Kritik am "ehrwürdigen Glauben ans Opfer" ist nicht geleitet von Widerwillen gegen primitives Denken oder gegen Religion und Glaube überhaupt, sondern seine hier vorgebrachte Kritik an überheblicher Religionskritik im aufklärerischen Sinne ist der Aufweis, daß Religion allemal noch in Aufklärung und den Prinzipien der Selbstkonstitution enthalten ist. Kritik an der Religion und dem Glauben intendiert nicht deren Abschaffung, sondern dient dazu, ihre Verstrickung in die Dialektik der Naturgeschichte der Selbstkonstitution der Menschen nicht zu 67) Horkheimer/Adorno, DA, S.5of. 68) Ebda, S.48.

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vergessen. Was uns also 'unbedingt angeht', ist im Sinne Adornos, die Selbstreflexion und Selbsterfahrung des menschlichen in seiner Fraglichkeit nicht schon als tröstliche Teilhabe am Unbedingten und Ganzen auszugeben, sondern die Wahrheit in der 'Tiefe' ihrer Naturgeschichte und ihrer unaufhebbaren negativen Dialektik von Betrüg und Opfer zu verstehen. Nun ist allerdings auch Tillich sich darüber im klaren, daß die Erfahrung des Unbedingten in der Tiefe menschlicher Selbsterfahrung von Sein und Nichtsein, zweideutig bleibt^^^ Und auch Tillich weiß, daß die metaphorische Rede von der ^Tiefe der V e r n u n f t " i h r e n 'Sitz im Leben' in Mythos und Kultus hat; es scheint also, als bliebe auch für Tillich die kraft der Vernunft an die Dialektik von Mythos und Kultus gebunden. Tillich sieht jedoch diese Dialektik da überwunden, "wo immer das ontologische Verständnis der Vernunft angenommen und die Tiefe der Vernunft verstanden wird."^^) Damit hat Tillich Adorno die Stichworte der Kritik schon in die Hand gegeben. Der entscheidende Unterschied der negativen Anthropologie und Dialektik Adornos zur Denkweise Tillichs liegt - aus der Perspektive Adornos gesehen darin, daß Tillich die Vernunft ontologisiert, d.h. das zweideutige Moment in aller Vernunft wird von Tillich in eine umfassende Ontologie eingebunden und damit entschärft; das gewalttätige und betrügerische Moment der Vernunft wird zugunsten seiner scheinbaren Rettung vergessen. Oder anders gesagt: das erkenntnistheoretische Problem, das sich für Tillich aufgrund des Sündenfalls stellt, nämlich wie die Menschen post lapsum noch die Erfahrung und die Erkenntnis eines Neuen Seins, des Rettenden machen können, wird von einer Ontologie, in der das Gefallene immer schon Teil des umfassenden Ganzen ist, überholt - aber nicht geklärt.

69) Vgl. Tillich, ST I, S.97f. 70) Ebda, 5.96. 71) Ebda, S.98.

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Tillich bleibt deshalb, obwohl er sich vom Idealismus als philosophischer Richtung distanzieren will, für Adorno nach wie vor ein Idealist, der aufgrund seiner ontologischen Systematik kein störendes Element duldet bzw. jede Differenz oder Nichtidentität als Teil des mit sich identisch Ganzen auslegen kann. Offenbarung als theologische Kategorie wird so nur das Pendant einer ontologisch festgelegten Identität. In welche Schwierigkeiten Tillich sich damit begibt, wird deutlich, wenn er im Blick auf die Offenbarungserkenntnis sagt: "Gebraucht man endliche Materialien in ihrer gewöhnlichen Bedeutung für die Offenbarungserkenntnis, so zerstört man dadurch den Sinn der Offenbarung und nimmt Gott seine G ö t t l i c h k e i t . D a s aber heißt aus der Perspektive Adornos, das Gewöhnliche und Natürliche muß ausgeschieden werden, vergessen, um dem Glauben Platz zu machen. Auf diese 'vernünftigen' Maßnahmen, deren Praxis Naturfeindlichkeit impliziert, will Adorno mit seiner negativ dialektischen Anthropologie aufmerksam machen. Denn "nicht bloß hat Vernunft genetisch aus der Triebenergie als deren Differenzierung sich entwickelt: ohne jenes Wollen, das in der Willkür jeden Denkaktes sich manifestiert und allein den Grund abgibt für dessen Unterscheidung von den passiven, 'rezeptiven' Momenten des Subjekts, wäre dem eigenen Sinn nach kein Denken. Der Idealismus aber ist aufs Gegenteil eingeschworen und darf das, um den Preis seiner Vernichtung, nicht Wort haben; das erklärt wie die Ver74 ) kehrung so deren Nähe zum wahren Sachverhalt."

7. Indem nun die Bedingungen und Motivationen der Selbsterhaltung im jeweiligen Denken von Tillich und Adorno erörtert sind, bleibt noch,dem Verhältnis von Subjektivität und seinen Sozialformen nachzugehen, d.h. die gesellschaft72) Tillich entzieht sich jeder erkenntnistheoretischen Diskussion, indem er feststellt: "Die Wahrheit der Offenbarung hängt nicht von Kriterien ab, die nicht selbst zur Offenbarung gehören"(ST I,S.157). 73) Tillich, ebda, S.158. 74) Adorno, ND, S.227f.

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liehen Folgen der Entfremdung ins Auge zu fassen. Auf diese Weise kommt die abstrakte Rede von Entfremdung bei Tillich vollends zur Geltung. Denn nicht zuletzt bewirkt Selbsterhaltung die Unterscheidung von Individuum und Gesellschaft, Herrschaft von wenigen einzelnen über die vielen andern. Das Modell des Odysseus zeigt für Adorno die Folgen der Selbsterhaltung: den listigen Einzelgänger, den "homo oeconomicus, dem einmal alle Vernünftigen g l e i c h e n . O d y s seus wird, indem er das Risiko des Untergangs eingeht und seine Schiffsmannschaft zum Zweck der Rettung aufs Spiel setzt, das Urbild der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung.^^^Selbsterhaltung ist der Bann, der über allen und allem liegt: die gesellschaftliche Verfassung unserer Zivilisation. Dieser Bann ist "die subjektive Gestalt des Weltgeistes, die dessen Primat über den auswendigen Lebensprozeß inwendig verstärkt. Wogegen die Menschen nicht ankönnen, und was sie selber negiert, dazu werden sie selber. Tillich bestimmt diese gesellschaftliche Entfremdung mit der Kategorie des Schicksals, das die Freiheit eines jeden einschränkt und zur endlichen Freiheit macht, damit aber immer noch ein Teil der primären ontologischen Einheit ist. Es fragt sich deshalb auch sofortwelche inhaltlichen Differenzen sich in der unterschiedlichen Benennung der totalen Entfremdung verbergen. Wenngleich auch bei Tillich die Entfremdung Resultat des symbolisch verstandenen Sündenfalls, das Vierk des frei sich dafür entscheidenden Menschen ist, so muß erörtert werden, ob die 'dämonische Macht', die den Einzelnen vorläufig in der Zweideutigkeit des Lebens hält, mehr oder weniger bewirkt als Adornos Kategorie des Banns. Die Frage verschärft sich noch, wenn mitbedacht wird, daß die Rettung aus der Entfremdung bei Tillich durch die In-Geltung-Setzung des Neuen Seins vollzogen wird; bei Adorno von Rettung nur vage als von 75) Horkheimer/ Adorno, DA, S.57. 76) Vgl. ebda. 77) Adorno, ND, S,335.

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einem 'Mehr'und einem 'Hinzutretenden' gesprochen wird, das einer begrifflichen Definition entzogen ist. Kann von universalem bzw. totalem Bann aber nicht nur der sprechen, der von einer universalen Erlösung immer schon weiß? Oder anders gefragt: Ist der Bann der Entfremdung für Adorno ein von außen Verhängtes, das gleichermaßen wieder aufgehoben werden muß? Adorno versteht unter dem Bann nicht ein von außen Verhängtes, sondern ein von Menschen Gemachtes. Wenn auch der Bann wie ein Verhängnis wirkt, so ist er doch nicht eins "mit dem principium individuationis und dessen sturer 78) Selbsterhaltung." Der Bann ist ein geschichtlich Gewordenes, zweite Natur und damit Ideologie, die vermittels der Reflexion erkannt werden kann. "Das Unheil liegt in den Verhältnissen, welche die Menschen zur Ohnmacht und Apathie verdammen und doch von ihnen zu ändern wären; nicht primär in den Menschen 79 ) und der Weise wie die Verhältnisse ihnen erscheinen." Dies heißt wiederum nicht, daß Adorno die Menschen unschuldig sprechen will, wenngleich er einen ethischen Personalismus ablehnt®?^ Der Bann ist Schuld der Menschen insofern, als die Menschen die Pervertierung von Mittel und Zweck ständig legitimieren, indem sie Herrschaft und Betrug für notwendig erachten. Zu brechen ist der Bann nach Adorno nur mit dem Mittel, das ihn geschaffen hat und am Leben erhält: der List der Vernunft. Das würde dann die Auflösung von Herrschaft gegen die Natur nach außen und innen nachsichziehen: Freiheit entstünde. 81 ) Von Freiheit ist jedoch kein Modell verfügbar. 78) Adorno, ND, S.336. 79) Ebda, S.189; vgl. auch GS 8, S.37o. 80) Vgl. Adorno, ND,S.271: "Person, als Absolutes, negiert die Allgemeinheit, die aus ihr herausgelesen werden soll, und schafft der Willkür ihren fadenscheinigen Rechtstitel.(...) Ihr Prinzip, das unerschütterlicher Einheit, wie es ihre Selbstheit ausmacht, wiederholt trotzig im Subjekt die Herrschaft." 81) Vgl. Adorno, ND,S.259: "Vielleicht wären freie Menschen auch vom Willen befreit." - Ebenso im Konjunktiv läßt E.Bloch das Ziel der Hoffnung und Freiheitswünsche, vgl. E.Bloch, Das Prinzip Hoffnung, a.a.O., S.1628.

- 2oo "als daß Bewußtsein, wie in die gesellschaftliche Gesamtverfassung, so durch diese hindurch in die Komplexion des Individuums eingriffe. Das ist darum nicht durchaus schimärisch, weil Bewußtsein seinerseits abgezweigte Triebenergie, selber auch Impuls, auch ein Moment dessen ist, 82 ^

worein sie eingreift." "Affinität ist die Spitze einer Dialektik von Aufklärung."®^' In der Selbstreflexion auf den Bann im Medium des Denkens wird bzw. kann dieser gelockert werden, was freilich noch nicht Erlösung, sondern erst deren Dringlichkeit sichtbar macht. Die Erkenntnis des Bannes wird von Adorno nicht wie von Tillich als schon als ein vom Unendlichen Umgriffenes interpretiert, auch nicht als ein Standort der Erkenntnis markiert, der sich bereits im Haus der Versöhnung, des Seins selbst befindet, sondern Adorno befindet sich mit seiner Erkenntnis noch vor dem Allerheiligsten und reicht höchstens an dessen Tür, sieht durch den Türspalt einen Lichtschein - mehr nicht. Dieser Schein ist - um es metaphorisch zu sagen - nicht die Lichtquelle, aber er erhellt den Standort des Betrachters \im so kontrastreicher. Das "Absolute jedoch, wie es der Metaphysik vorschwebt, wäre das Nichtidentische, das erst hervorträte, nachdem der Identitätszwang zerging."®^' Entfremdung ist bei Adorno also nicht in- dem Sinne Schicksal wie bei Tillich, denn dieser sieht im Schicksal eine Notwendigkeit ohne die die polare Korrelation zur Freiheit nicht wäre. So gehört nach Tillich Entfremdung wesensmäßig und notwendigerweise zum Menschsein hinzu, denn "sein Schicksal verlieren, heißt: den Sinn seines Seins verlieren. Schicksal ist nicht ein sinnloses Fatum. Es ОС N ist Notwendigkeit vereint mit Sinn." Die tiefe Erkenntnis der Entfremdung als Situation des Menschen im Sinne eines 'christlichen Realismus' ist deshalb für Tillich 82) 83) 84) 85)

Adorno, NS, S.26o. Ebda, S.264. Ebda, S.396. Tillich, ST I, S.235.

- 2ol bereits Teil des Mutes, der, indem er das Endliche in seiner Schicksalshaftigkeit bejaht, am un.endlichen Sein teilhat. Für Adorno hat Entfremdung dagegen keinen Sinn, sondern ist der hergestellte und zwanghaft am beben erhaltene Unsinn. Adornos Begriff von Entfremdung ist bar aller ontologischer Interessen und korrespondiert einzig mit seinen geschichtsphilosophischen Intentionen, deren erkenntnistheoretischer Rahmen die negative Dialektik ausmacht. Entfremdung ist deshalb auch für Adorno kein Zustandsbegriff, Teil des Menschseins als solcher, sondern nur Hinweis und Erfahrung dafür, daß auch noch die Idee ihres Gegenteils, die der Freiheit, noch verzerrt ist und erlöst werden muß. Das Endliche und Gewöhnliche ist nach Adorno nicht zu übersteigen, weil es kein Hinterungsgrund für das

Wesentliche

ist. "Aus der Dialektik des Bestehenden ist nicht auszuscheiden, was das Bewußtsein als dinghaft fremd erfährt: negativ Zwang und Heteronomie, doch auch die verunstaltete Figur dessen, was zu lieben wäre und was zu lieben der Bann, die Endogamie des Bewußtseins nichts gestattet. (...) Der versöhnte Zustand annektierte nicht mit philosophischem Imperialismus das Fremde, sondern hätte sein Glück daran, daß es in der gewährten Nähe das Ferne und Verschiedene bleibt, jenseits des Heterogenen wie des Eigenen."®®^

8. Geht aber denn - so soll noch einmal abschließend gefragt werden - Adorno nicht doch auch von einem Ersten, einem 'Ontologischen' aus, wenn er von Odysseus als dem 'Urbild' des bürgerlichen Individuums spricht? Wird damit nicht auch von einem einzelnen Fall aus hochgerechnet und das Besondere zum Allgemeinen generalisiert, eine Wesensaussage getroffen: weil dieser Eine, deshalb auch alle Andern und N achfolgenden? Entsprechen sich denn nicht Adam und Odysseus?

Wo liegt, von dieser Metaebene aus gefragt,

der Unterschied der jeweiligen Typologie der Entfremdung? 86) Adorno, ND, S.189f.

- 2o2 Wie schon angedeutet, liegt die grundlegende Differenz zwischen Adornos und Tillichs Anthropologie nicht in den Charakterisierungen der Entfremdung. Auf dieser Ebene können auch Unterschiede festgestellt werden, aber sie sind Unterschiede in der Quantität der beobachteten Phänomene. Die Differenz liegt in der jeweiligen Einbettung der anthropologischen Ergebnisse: in eine umfassende ontologische Grundstruktur bei Tillich einerseits und in die einer geschichtsphilosophischen Perspektive bei Adorno andererseits. Doch läßt sich diese Differenz nicht wiederum im Blick auf ihre Reichweite einschränken? Das heißt, geht nicht beider Denken auf die Erfassung von Totalität bzw. den Nachweis darüber, daß Entfremdung allgemein gültig ist? Und wenn dem so ist, reduziert sich dann die Differenz von Ontologie und Geschichtsphilosophie auf die Wahl des Stoffes, der zur Darstellung der Entfremdung dient? Läßt man sich auf diese Argumentation ein und wird deutlich, 87) daß die Kategorie der Totalität auch von Adorno beansprucht wird, so muß die grundlegende Differenz beider noch einmal im Blick auf die jeweils verschiedene erkenntnistheoretische Methode kurz erläutert werden. Tillich charakterisiert sein Vorgehen im Blick auf die Gewinnung theologisch anthropologischer Erkenntnis anhand 88 ) von Gen.1-3 als "halbe Entmythologisierung" und damit als den Versuch, mythisches Denken mit der Logik der Kausalität zu vermischen, um so Besonderes und Allgemeines letztlich zur Stimmigkeit zu bringen, ein ontologisches System zu konstruieren. Diese "halbe Entmythologisierung" hat gravierende Brüche in der Argumentation zur Folge, versucht aber dennoch mit Hilfe eines onto-logischen Systems stimmig zu machen, was der Mythos eben nur in 'halber' Form zuläßt. Das heißt, die halb psychologische, halb ontologische Erklärung, warum Adam sich für die Abwendung von seinem Schöpfer entschloß, führt entweder zu einem logischen Regressus ad infinitim oder aber zum unvermittelten 87) Vgl. diese Arbeit S. 88) Tillich, ST II, S.36.

- 2o3 оQ\

Sprung von der Existenz in die Essenz. Solche Brüche in der ontologisch theologischen Argumentation Tillichs sind für Adorno nicht zufällig oder gar eine zu behebende Schwäche, sondern eine Konsequenz der Methode, d.h. der ordnenden und selbsterhaltenden Vernunft, die zugleich wahr und unwahr ist, zugleich die Unstimmigkeiten der menschlichen Erfahrungen aufdeckt und sofort wieder versucht, sie selbstbehauptend zu verdecken, zu schlichten, um der 'Bedrohung durch das Nichtsein'- wie Tillich sagt zu entgehen. Tillichs Konstruktion eines ontologischen Primats des Seins ist aus der Perspektive der negativen Dialektik ein klarer Beweis dafür, daß die Vernunft um ihr Risiko weiß und deshalb vorbaut, d.h. auf Identität aus ist. Wenn das Ganze gesichert ist, kann die Entfremdung als Teil dieses Ganzen den Sinn fürs Ganze nicht zerstören. Deshalb ist die Behauptung der totalen Entfremdung seitens Tillich für Adorno eine List der Vernunft, Selbsterhaltung durch Opfer. Denn das Eingeständnis der Schuld und Verlorenheit kann Betrug deshalb sein, weil doch die Rettung in der ontologischen Grundstruktur des Seins schon vorweg konstruiert ist. Was kann schon schief gehen, wenn feststeht, daß die radikalste Frage immer schon von der Antwort überholt ist?^^^ Eine ontologische Begründung und Erläuterung des Sündenfalls nimmt jeglicher Rede von Entfremdung ihre existentielle Schwere und wird dem damit gestellten erkenntnistheoretischen Problem nicht gerecht. Tillichs Satz innerhalb seiner Darstellung der ontologischen Grundstruktur von Selbst und Welt: "Nur wenn der Mensch sich selbst als Mensch konserviert, hat er die Möglichkeit, jede gegebene 92 ) Situation zu überschreiten" , ist denn auch aus der Per89) Vgl. Adorno, ND, S.182. 90) Vgl. Horkheimer/Adorno, DA, S.38: "Die Menschen distanzieren denkend sich von Natur, um sie so vor sich hinzustellen, wie sie zu beherrschen ist." 91) So zynisch solche Anfragen an eine theologische Systematik klingen mögen, sie sind gestellt, um auf die ontologischen Verflechtungen von Glaubenssätzen aufmerksam zu machen: sie entstellen das Wissen des Glaubens , 92) Tillich, ST I, S.213.

- 2o4 spektive Adornos durchaus konsequent, gerade aber deshalb auch die schärfste Kritik gegen Tillichs ontologisches System des Glaubens selbst: es ist fast die listigste Form 93 ) der Kunst menschlicher Selbsterhaltung. Es könnte nun der Eindruck entstanden sein, als würde Adorno die menschliche Selbsterhaltung als falsch im moralischen Sinne bewerten; doch darum geht es nicht, sondern um den Nachweis, daß Selbsterhaltung mittels der Herrschaft der Vernunft notwendigerweise in Gang gehalten und legitimiert wird. Der Erfolg der Vernunft in ihrer Geschichte besteht in der Raffinesse, das ihr immanent Gewalttätige und Naturgeschichtliche zu verschleiern und deshalb sich selbst wie ihr Anderes zu betrügen. Um diese "eclipse 94 ) of reason" aufzuzeigen, ging es in der Auseinandersetzung mit Tillichs Anthropologie. Daß auch die paulinische Logik öon Sünde und Gnade in Röm.5,12ff. etwas von der Kraft dieser listigen Vernunft in sich hat, heißt nicht, fortan eine Systematisierung des Grauens oder eine Festschreibung der Entfremdung anzustreben. Adornos dialektische Anthropologie blendet die 'Begierde nach Rettung' nicht aus sowenig wie die Erfahrung von Gnade. Das Verdikt über die listige und gewalttätige Vernunft heißt auch nicht, die Reflexion abzubrechen, sondern die Kritik an den Figuren des Scheins der identifizierenden Logik so weit zu treiben, daß diesen Figuren Hoffnung bzw. das Scheinlose aufleuchtet, nicht ohne sie oder über ihnen. 93) Vgl. Adorno, ND, S.179: "Das Ichprinzip imitiert sein Negat. Nicht ist, wie der Idealismus über die Jahrtausende einübte, obiectum subiectum; wohl jedoch subiectum obiectum.Der Primat von Subjektivität setzt spiritualisiert den Darwinschen Kampf ums Dasein fort.(...] An ihm partizipierterkenntnistheoretisch-metaphysisch das Subjekt, das sich als Baconschen Meister und schließlich idealistischen Schöpfer aller Dinge ausruft. " 94) So der englische Orginaltitel der von Horkheimer 194 7 veröffentlichten Untersuchung "Zur Kritik der instrumentellen Vernunft", Frankfurt 1974.

- 2o5 II. 'Hoffnung wider Hoffnung' Adornos Geschichtsphilosophie in Auseinandersetzung mit J.Moltmanns 'Theologie der Hoffnung' Für einen Philosophen, der Auschwitz nicht nur als Thema gewählt hat, sondern der sich in jeder Passage seiner Schriften bemüht, Auschwitz nicht nur nicht zu vergessen, sondern sogar das zufällige eigene überleben dieses Völkermordes als eine Schuld wachzuhalten, die "mit dem Leben nicht mehr zu versöhnen"^^ ist, für einen solchen Philosophen fällt es schwer, von Hoffnung zu sprechen. Mut zu machen nach dem Erleben des Krieges und des Grauens ist für Adorno eine falsche Versöhnung, "Schützengrabenreligion" , die glaubt, an die Menschen sich mit guten Vorsätzen wenden zu können, um ihnen das zu geben, wa·: sie bräuchten: Zuversicht und Mut. Wer vorschnell sich so zum Prediger des noch Positiven macht, ist nach Adorno ein Helfershelfer "der radikal schuldigen und schäbigen K u l t u r . A d o r n o hat denn auch den in der Emigration ge4) schriebenen Satz: "Das Ganze ist das Unwahre" nie mehr zurückgenommen. Unmöglich war für ihn in den Kriegsjahren und unter dem Eindruck von den Berichten aus den Konzentrationslagern der Gedanke, "daß nach diesem Krieg das Leben 'normal' weitergehen könnte - als wäre nicht der Wiederaufbau von Kultur allein schon deren Negation -(...). Millionen Juden sind ermordert worden, und das soll ein Zwischenspiel sein und nicht die Katastrophe selbst. Worauf wartet diese Kultur eigentlich noch?(...) Die Logik der Geschichte ist so destruktiv wie die Menschen, die sie zeitigt: wo immer ihre Schwerkraft hintendiert, reproduziert sie das Äquivalent des vergangenen Unheils. 1) 2) 3) 4)

Adorno, ND, S.355. Ebda, S.358. Ebda. Adorno, MM, S.57; vgl. dazu diese Arbeit S.llo.

- 2o6 Normal ist der Tod.

.,5)

Adorno hat dieses 'emotionale W i s s e n ' d a ß nach Auschwitz alles Reden über die Positivität des Daseins und vom Sinn der Geschichte, Hohn und Unrecht an den Opfern sei, nicht mehr verdrängt. Ist die Tonlage seiner Ausführungen in den fünfziger und sechziger Jahren auch milder geworden, so seine bestimmte Negation dieser unserer gesellschaftlichen Verhältnisse um so schärfer. Das emotionale Mdment aller Denkpraxis Adornos ist deshalb die Trauer, eine "hilflose Liebe"^' zum Vergangenen und zu den Toten. Doch gerade in dieser 'hilflosen Liebe' und Leidenschaft der Erkenntnis des Pedestren unserer Kultur, stellt sich in der distanzierenden Analyse des Gegebenen bei Adorno der Gedanke ein: wäre dies Pedestre allein die Wahrheit, so wäre Wahrheit entwürdigt. "Wohl sind die Menschen ausnahmslos unterm Bann, keiner zur Liebe schon fähig, und darum meint ein jeder sich zu wenig geliebt. Aber die zuschauerhafte Haltung dürckt zugleich den Zweifel aus, 8) ob dies denn alles sein könne." Für den Theologen Moltmann ist, wie er in der Einleitung seiner "Theologie der Hoffnung" sagt, die Hoffnung auf die Zukunft des auferstandenen Christus "nicht etwas am Christentum, sondern es ist schlechterdings das Medium des christlichen Glaubens, der Ton, auf den in ihm alles gestimmt ist, die Farbe der Morgenröte eines erwarteten Ta9) ges, in die hier alles getaucht ist." Doch die Intention Moltmanns geht nicht nur auf die poetische Einstimmung hinsichtlich der Erwartung des Reiches Gottes, sondern durchaus dahin, den "Widerstreit von Hoffnung und Erfahrung" auszutragen. 5) Adorno, MM, S.65. 6) Vgl. zu der damit angeschnittenen Korrelation von Emotion und Kognition, die in die Erfahrung eingehen: E. Herms, Die Bedeutung der natürlichen Theologie für die pastorale Praxis, in: Wissenschaft u. Praxis in Kirche u. Gesellschaft, Heft 7, 1978, S.326. 7) Adorno, Kg, S.29o. 8) Adorno, ND, S.354. 9) J.Moltmann, Theologie der Hoffnung(=TH), München 1965, S.12. 10) Ebda, S.14.

- 2o7 Konfrontiert wird also im folgenden eine Philosophie, die Auschwitz zmn 'Sitz im Leben' hat mit einem theologischen Entwurf, der die Hoffnung des christlichen Glaubens nicht in der sturmfreien Zone halten will, sondern diese Hoffnung als "Widerspruch Gottes gegen das Leiden und Sterben"^ verfechten und explizieren will. Eine Auseinandersetzung wird also seitens der Theologie gewünscht und dürfte, gerade auch aufgrund der beiderseitigen Verwendung von Kategorien wie Möglichkeit, Antizipation, Nichtidentität, sowie der ähnlichen philosophischen Intention - die Reflexionsphilosophie der Subjektivität zu überwinden interessant sein. Daß also noch 'etwas kommen' muß und Rettung erwartet wird, scheint bei Adorno wie bei Moltmann ohne Zweifel zu sein; doch welche Hoffnung ist jeweils gemeint und worauf gründet sie ihre Wahrheit? Zu fragen und darzustellen ist also der jeweilige erkenntnistheoretische Modus der Hoffnung, ihre Bedingungen, ihre Evidenz und ihr 'Sitz im Leben'.

1. Das Programm und die Intention von Moltmanns 'Theologie der Hoffnung' wird deutlich, wenn sie im Kontext ihrer Abgrenzungen, d.h. ihrer erkenntnistheoretischen und theologischen Frontstellung expliziert wird. Moltmanns Interesse ist davon geleitet, die Theologie von aller transzendentalen Eschatologie zu reinigen und statt dessen eine kosmologische bzw. biblische Eschatologie zu entwerfen, die seiner Meinung nach der Aufgabe der Theologie, nämlich "Gotteserkenntnis in einer Korrelation von Weltver12) ständnis und Selbstverständnis zu entwickeln" , adäquater ist. Dies ist deshalb erforderlich, weil "ohne eine kosmologische Eschatologie (ist) eschatologische Existenz des Menschen nicht aussagbar(ist). Die christliche Eschatologie kann sich darum nicht mit dem kantianischen Wissenschafts- und Wirklichkeitsbegriff abfinden. Auch die Weise der Welterfahrung ist kein Adiaphoron. Weltbild 11) Moltmann, TH, S.17. 12) Ebda, S.57.

- 2o8 und Glaube sind vielmehr untrennbar; gerade darum, weil der Glaube die Welt nicht zum Bilde der Gottheit und 13) nicht zum Bilde des Menschen werden lassen kann." Moltmann versucht sich deshalb von der sowohl in der dialektischen wie in der existentialen Theologie vorherrschenden Kantschen Erkenntnistheorie abzusetzen, weil im Gefolge dieser idealistischen Perspektive, Gott und Mensch analog der sich selbst setzenden reflexiven Subjektivität gedacht sind; dabei muß die sich selbst setzende Vernunft von Zeit und Raum abstrahieren, um die Identität des Ich in Welt und Zeit im Begriff bestimmen zu können. Diese Abstraktionsleistung der Vernunft korrespondiert der Idee eines Absoluten, das als unwandelbare Substanz und ewige Präsenz begriffen wird und konstituiert sich damit transzendental. Wichtig ist nun für Moltmann dabei, daß Kant ausdrücklich aus dieser sich transzendental vergewissernden Reflexion die Zeit ausscheidet. "Die Zeit ist nichts anderes als die Form des inneren Sinnes, d.h. des 1Anschauens unserer 4) selbst und unseres inneren Zustandes" , und "verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit"^^'. Die Folge dieser Abstraktion von der Zeit ist nach Moltmann eine ethische Reduktion der Eschatologie nach Maßgabe der praktischen Vernunft von moralischen Zwecken.^®' Die Auswirkungen solcher transzendentaler Reflexionsphilosophie innerhalb ihrer Anwendung in theologischem Denken expliziert Moltmann an K.Barths und R.Bultmanns theologischen Entwürfen. Barth geht es in den zwanziger Jahren in der Auseinandersetzung mit W.Herrmanns Theologie darum, Theologie nicht im religiösen Erlebnis gründen zu lassen, Gottes Nichtobjektivierbarkeit nicht aus einer zwielichten Innerlichkeit 13) Moltmann, TH, S.6o. 14) I.Kant, Kritik der reinen Vernunft, В 49. 15) Ebda, В 47. 16) Vgl. Moltmann, TH, S.4of.

- 2o9 abzuleiten, sondern Gott von Gott selbst her zu denken, d.h. Gott in seiner Selbstoffenbarung zu begreifen. Gottes Selbstoffenbarung ist als das 'deus dixit' zu glauben, nicht beweisbar und deshalb auch nicht logisch zu widerlegen, sondern sich selbst begründend und beweisend. Damit dies nicht religionsphilosophische Spekulation bleibt, legt Barth Gottes Selbstoffenbarung einzig in Jesus Christus im Zusammenhang der Trinitätslehre aus, d.h. Gott ist selbst Subjekt, Prädikat und Objekt seiner Selbstoffenbarung. Holtmann, die Barthsche Selbstkritik hinsichtlich des in solch immanenter Fassung der Trinitätslehre versteckten überzeitlichen Verständnisses Gottes im Ohr, sieht eben deshalb auch in Barths revidierter Fassung der Selbstoffenbarung Gottes ein Verständnis von transzendentaler Eschatologie vorherrschend. "Das Verständnis der Christusoffenbarung als Selbstoffenbarung Gottes beantwortet die Frage nach der Zukunft und dem Ziel, die durch Offenbarung angezeigt werden, mit einer Reflexion auf den Ursprung der Offenbarung, auf Gott selbst. Mit dieser Reflexion aber wird fast unmöglich, auf Grund der Offenbarung des Auferstandenen noch von einer ausstehenden Zukunft Jesu Christi zu reden. Für Moltmann ist aufgrund dieses Zeitverständnisses bei Barth die Theologie als Explikation einer transzendentalen Subjektivität Gottes noch nicht überwunden, bleibt noch ein "Ausdruck für den Gott des Parmenides." 1 8 ) Ist für Barth durch diese Nähe zum griechischen Zeitverständnis Gott der in sich Ruhende und Unveränderliche geworden, wenngleich auch Gottes 'Selbst' von des Menschen 'Selbst' geschieden ist, so verbleibt nach Moltmann "Bult17) Moltmann, TH, S.5o. 18) Ebda, S.5o.- Unter dem'Gott des Parmenides' versteht Moltmann das ewige, eine volle Sein des Nunc aeternum. Er verweist dafür auf das Fragment B8, 5 von Parmenides, wo es vom Seienden heißt: "Und nicht war es einmal, auch wird es nicht sein, da es zugleich ganz ist"(Parmenides, Die Fragmente, hg., übersetzt und erläutert von E.Heitsch, München 1974, S.25f.).

- 21ο mann im Banne der verborgenen Korrelation von Gott und 1 9) Selbst stehen." Gott wird bei Bultmann nicht von einer christlichen Trinitätslehre her definiert, sondern vom Selbstsein des Menschen, seiner Eigentlichkeit aus,ganz im Sinne des Kantschen moralischen Gottesbeweises der praktischen Vernunft. Das aber heißt, es wird die Verborgenheit Gottes^°^ mit dem menschlichen Selbst in seiner Tiefe bzw. seiner Fraglichkeit letztlich identifiziert. Bultmann setzt damit eine vorgegebene Gottesverbundenheit des menschlichen Selbst voraus; das Geheimnis des Menschen wird zugleich das Gottes und deshalb gehören Glaube und Offenbarung zusammen, das eine erschließt sich im andern. Gegen diese Art Gott und Mensch vermittelt zu denken, fragt Moltmann: "Warum aber soll das Vorverständnis, das den Menschen nach 'Offenbarung' fragen läßt, nur ein nichtwissendes Wissen um sich selbst und 'nicht ein Weltwissen' sein? Warum ist das Wort, das von jeher das Licht der Menschen war, natürlich nicht eine kosmologische oder theologische Theorie, sondern ein Sich-selbst-Verstehen in der Anerkennung des Schöpfers?^^ Und zum andern fragt MOltmann: "ob wirklich der Mensch im Geschehen der Offenbarung in Verkündigung und Glaube schon 'zu sich selbst' in jener Eigentlichkeit, die Ursprünglichkeit und Endgültigkeit in einem ist, kommt. Dann wäre offenbar der Glaube selbst das praktizierte Ende der Geschichte 22)und der Glaubende wäre selbst schon der Vollendete." Die Folge solchen von Moltmann in Frage gestellten theologischen Denkens, das im BAnne eines abstrakten Begriffs von Subjektivität Gott im Modus des eigenen 'Selbst' expliziert, ist nach Moltmann, daß im Zuge der Verdinglichung und Subjektivierung die Welt und Natur zum Objekt wird. Die Beziehung zur Welt wird zum Hindernis der eigent19) Moltmann, TH, S.53. 20) Vgl. dazu die umfassende Untersuchung des Problems in der neueren Theologiegeschichte von H.Döring, Abwesenheit Gottes, Paderborn 1977. 21) Moltmann, TH, S.58. 22) Ebda, S.59.

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liehen Bestimmung des Menschen, seiner Gottesbeziehung. "Der Mensch unterscheidet dann ständig sein Weltsein von seinem eigenen Selbstsein und macht so die Welt zur Welt in der Säkularisierung und sich zur reinen personalen Empfängnis aus Gott."^^^ Der vollzogenen Subjektivierung Gottes korrespondiert also konsequent die Entweltlichung der Welt, eine Folge - und darauf kommt es Moltmann besonders an - der prinzipiellen Eliminierung der Kategorie Geschichte aus der abendländischen Ontologie. Moltmann möchte nun diesen Fehler, den er begrifflich als die Explikation einer transzendentalen Eschatologie bezeichnet, aufheben, indem er erkenntnistheoretisch von Kant zu Hegel übergeht, d.h. sich dem Urteil Hegels über 24 ) die Kantsche "Reflexionsphilosophie der Subjektivität" anschließt. Nach der Meinung Moltmanns hat Hegel "dabei erkannt, daß beides, Verdinglichung und Subjektivität, in diesem Prozeß Abstraktionsprodukte der Reflexionsphilosophie sind und darum einander dialektisch bedingen. In beiden vollzieht sich eine Negation und ein Ausbruch der Geschichte.' (··. ) Ein neuer wissenschaftlicher Kosmosbegriff verdeckt (bei Kant, W.B.) die Erfahrung der Wirklichkeit als Geschichte. Auf der anderen Seite verglimmt die Existenz des Menschen zur unaussprechbaren, einsamen Subjektivität, die alle Berührung und Entäußerung in die Wirklichkeit fliehen muß, um bei sich selbst zu bleiben. Diesen Dualismus von Verdinglichung und Subjektivität möchte Moltmann wieder flüssig machen, in seiner Gegensätzlichkeit vermitteln und versöhnen, d.h. "als geschichtliche Gestalten des Geistes in einem eschatologischen Prozeß (zu) verstehen, der durch die Verheißung aus Kreuz und Auferstehung Christi in Hoffnung und in Gang gehalten wird."^®' In solcher von Hegel erborgten dialektischen 23) Moltmann, TH, S.56. 24) Vgl. Hegel, Glauben und Wissen oder Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, in: Hegel, Theorie WA Bd.2, S.287ff; zu Kant bes. S.3o1ff. 25) Moltmann, TH, S.42. 26) Ebda, S.43.

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Vermittlung von Kreuz und Auferstehung tritt nach Moltmann der Mensch auch wieder "in die Wahrnehmung einer tiefen leiblichen Solidarität mit dem 'Harren der Kreatur (Röm.8,2of.) ein;(...) es ist nicht möglich, von der gläubigen Existenz in Hoffnung und radikaler Offenheit zu sprechen und zugleich die 'Welt'für einen Mechanismus oder einen in sich geschlossenen WirkungsZusammenhang im objektiven Gegenüber zum Menschen zu halten. Wie sieht nun die von Moltmann konzipierte Hoffnung aus? Welche Erfahrungen und Erwartungen vermittelt diese Hoffnung, die seiner Meinung nach nicht mehr strittig ist? Welche Bedingungen ihrer Möglichkeit sind notwendig? Welche Geltung bzw. allgemeine Verbindlichkeit beansprucht diese Hoffnung?^®^ 2. Die von Moltmann konzipierte christliche Eschatologie hat ihren Grund und Ursprung in Jesus Christus und mit Recht schreibt deshalb H.-G.Geyer in seinen "Ansichten zu 29 ) J.Moltmanns 'Theologie der Hoffnung'" "seine Erkenntnis (die Erkenntnis über Jesus Christus, W.B.) bestimmt das Wesen christlicher Eschatologie. Diese christologische Grundlegung bildet das spezielle Thema von Kap.III(bei Moltmann: Auferstehung und Zukunft Jesu Christi, W.B.), dem Mittel- und Höhepunkt des ganzen B u c h e s . D i e s e m Urteil zustimmend, dürfte für die hier intendierte Konfrontation mit der Geschichtsphilosophie Adornos doch wesentlich sein, zunächst auf die erkenntnistheoretische Perspektive hinzuweisen, von der aus Moltmann seine christliche Eschatologie entwirft. Notgedrungen muß Moltmann, indem er christologisch ansetzt. 27) Moltmann, TH, S.6o. 28) Gefragt wird also - und dies soll ausdrücklich betont werden - von einer erkenntnistheoretischen Ebene aus. Die Konfrontation theologischer Systeme mit Adorno zielt allemal auf die Problematik von Glauben und Wissen, nicht auf theologische Glaubensgehalte. 29) H.-G. Geyer, Ansichten zu Jürgen Moltmanns 'Theologie der Hoffnung', in: Diskussion über die 'Theologie der Hoffnung' von Jürgen Moltmann, hg» und eingeleitet von W.-D.Marsch, München 1967(=DTH). 30) Geyer, a.a.O., S.57.

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in den Streit шп die Auferstehung Jesu von Nazareth eintreten. In diesem Streit wird nach Moltmann "um die Zukunft der Geschichte und um die Weise des Erkennens, des Hoffens und der Arbeit an dieser Zukunft gerungen. Es wird um die Erkenntnis der Sendung der Gegenwart und um die Bestimmung und die Aufgabe des Menschseins in ihr gestritDieser Streit steht für Moltmann eng im Zusammenhang der drei Kantschen Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Vías darf ich hoffen?^^^ Moltmann will mit diesem Fragehorizont darauf verweisen, daß gerade die Frage der Auferstehung Jesu alle Dimensionen menschlichen Lebens und menschlicher Erfahrung umfaßt. Zu fragen ist dabei allerdings sofort, ob Moltmann durch diese Replik auf Kant nicht unbedacht auch dessen erkenntnistheoretische Prämissen, die er gerade überwinden will, im Hinblick auf seinen eigenen Vernunftbegriff mitübernimmt. Wird damit also nicht unbesehen auch die christliche Hoffnung eingereiht in die Interessen der reinen Zweck-Vernunft, deren letztes Ziel bei Kant die Glückseligkeit ist? Und was noch schwerer wiegen dürfte: Wird christliche Hoffnung damit nicht auch ein im Sinne Kants notwendig zu denkendes Ideal des höchsten Guts, weil nur so die alltäglichen Erfahrungen dieser Zweck-Vernunft in ihrem praktischen Umgang mit Natur und Welt sich trösten und entschädigen kann? Das heißt mit den Worten Kants formuliert, wird Hoffnung bzw. die Verheißung auf Erlösung und allseitige Gerechtigkeit nicht vom Maßstab "einer höchsten Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet"^^^ aus entworfen? Gebietet es also die Logik dieser Vernunft, mehr zu hoffen und zu erwarten als in der Vergangenheit und Gegenwart erfahren wurde?

31) Moltmann, TH, S.165. 32) I.Kant, Logik, A 25. - Was Moltmann nicht diskutiert und wohl auch übersieht, ist, daß Kant diese drei Fragen auf die anthropologische Grundfrage "Was ist der Mensch" zurückführt bzw. sie in dieser Hinsicht behandelt. 33) Kant, Kritik der reinen Vernunft, В 837.

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Holtmanns Formulierung: "Die Erwartung macht das Leben gut, denn erwartend kann der Mensch seine ganze Gegenwart annehmen und Freude nicht nur in der Freude, sondern auch im Leide, und Glück nicht nur im Glück, sondern auch im Schmerz finden. So geht die Hoffnung durch Glück und Schmerz hindurch, weil sie Zukunft auch für das Vergehende, Ster34 ) bende und Tote an den Verheißungen Gottes erblicken kann", zeigt, daß hier Kants "System der sich selbst lohnenden Moralität"^^^ zumindest formal noch vorherrscht. Der von Adorno in der 'Dialektik der Aufklärung' analysierten Logik der Selbsterhaltung mittels der naturgeschichtlich argumentierenden List der Vernunft dürfte auch Holtmann demnach nicht entronnen sein.^^' Fragt man nun immanent gesehen weiter nach den Bedingungen der Möglichkeit von Hoffnung, so verweist Holtmann eben auf die Auferweckung Jesu von Nazareth und auf die damit implizierte Geschichte bzw. Tradition der biblischen Verheißung als Hoffnungswissen. "Die christliche Zukunftshoffnung entspringt aus der Wahrnehmung eines bestimmten. 34) Holtmann, TH, S.27. 35) I.Kant, a.a.O., В 837. 36) Daß dieser Verdacht gegenüber Holtmann nicht grundlos ist, ergibt sich auch aus den kritischen Anfragen von H.G.Geyer. Er fragt im Blick auf Holtmanns Begriff der Verheißung, ob der "für die Erkenntnis der Auferweckung Jesu Christi primordinale Zusammenhang in ihrem Bezug auf die Zukunft Jesu Christi besteht" bzw. ob "Jesus Christus im Kontext von Kreuz und Auferstehung oder im Kontext von Auferstehung und Parusie"(a.a.O., S.65) erkannt wird? Geyer sieht, daß es nicht gleichgültig ist, "mit Bezug worauf in der Erkenntnis Jesu Christi seine Auferstehung primär und alle weiteren Erkenntnisschritte bedingend zu verstehen"(ebda) sind. - Holtmann hat in seiner Antwort an Geyer die aufgeworfene Problematik nicht erkannt, denn er lehnt die von Geyer gestellte Fragestellung überhaupt ab und geht ganz konsequent in der Logik der sich selbsterhaltenden Vernunft zur Diskussion der Frage nach dem Sinn des Kreuzes Jesu Christi über(vgl. DTH, S.223). Damit verbleibt er unreflektiert im Banne des Kantschen 'Ich denke' als der Selbstbegründung des Denkens, dem er doch gerade durch seine theologische Argumentation entkommen wollte.

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einmaligen Geschehens, der Auferstehung und Erscheinung Jesu Christi. Doch kann theologisches Hoffnungswissen dieses Geschehen nur wahrnehmen, indem es den Zukunftshorizont zu ermessen sucht, den dieses Geschehen entwirft. (...) Wo immer dieses Erkennen geschieht, vollzieht sich auch Erinnerung an die Verheißungsgeschichte des Alten Testaments in einer kritischen und verwandelnden Vergegenwärtigung.

Dabei ist die Auferweckung Christi nicht

zu verstehen als eine Möglichkeit in der Welt und ihrer Geschichte, sondern diese Auferweckung ist "eine neue 38 Ì

Möglichkeit von Welt, Existenz und Geschichte überhaupt." Nicht ein sich aus dem Kausalzusammenhang ergebendes Neues oder ein zufällig Neues oder gar ein aus einer Idee Ableitbares will Moltmann darunter verstanden wissen: die Auferweckung Jesu Christi ist nicht in Analogie zu dem, was immer und auch sonst erfahrbar ist, zu verstehen, son39) d e m in Analogie zu dem, was kommen will. Doch um dieses Analogielose der Auferweckung Jesu Christi erkennen zu können, um daraus Hoffnung zu gründen und Vertrauen und Glauben zu stärken, muß Moltmann Bedingungen dieses gläubigen Erkennens angeben. Zxim einen verweist er dabei auf die schon genannte alttestamentliche Verheißungsgeschichte, zum andern darauf, daß nur dann der Glaube und die Hoffnung den Gott der 4 Verheißung in seinem neuen ö) und "real-objektiv Möglichen" erkennen können, wenn "der Gott der Auferstehung zusammen mit der Erkenntnis der Auferstehung Jesu an dem aus der Geschichte, aus der Welt und aus der eigenen Existenz bekannt 41 ) gewordenen 'Tod Gottes' als Gott erwiesen werden kann." Mit dem Begriff der Verheißungsgeschichte rekurriert Moltmann unmittelbar auf den Jahweglauben Israels. Nicht Gesetz und Evangelium werden zum Interpretament der Verhält37) 38) 39) 40) 41)

Moltmann, TH, S.176. Ebda, S.162. Vgl. ebda, S.162f. Ebda, S.152. Ebda.

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nisbestiiranung von Altem und Neuen Testament, sondern die Kontinuität der Verheißung Gottes an sein Volk ist das Bindeglied. Doch obwohl das "Evangelium in der Verheißungsgeschichte des Alten Testaments seine unaufgebbare Voraus42 ) Setzung" hat, denkt Moltmann das Verhältnis von alt und neu nicht bruchlos, aber auch nicht im Sinne eines historischen Kausalverhältnisses, denn die Sprache der Verheißung ist nicht die Sprache der historischen Tatsachenbeweise, weder im Sinne der Erinnerung noch in dem des zu Hoffenden.^^^ 3. In dieser Verknüpfung von Verheißung und der Erkenntnis des Novums der Auferweckung Jesu Christi in der Tradition der Verheißungsgeschichte, liegt jedoch eine interessante und aus der Perspektive Adornos folgenreiche Problematik in Moltmanns Theologie. Denn einerseits entsteht Hoffnungswissen dadurch, daß die Auferweckung in Kontinuität zur Verheißungs- und Erfüllungsgeschichte Israels im Sinne von empirischer Faktizität gesehen wird, und zum andern ist die Auferweckung ein antizipatorisches Geschehen, analogielos und auf faktische Einlösung in Zukunft angewiesen. Die damit aufgeworfene erkenntnistheoretische Antinomie von Geschichte und Eschatologie, die immer auch schon in der Rede von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi vorhanden ist, löst Moltmann so, daß er das "Rätsel dieser geheimnisvollen Identität des gekreuzigten und auferweckten Christus" in ihrer "ontisch-historischen und noetischeschatologischen Lesart" aufeinander bezieht und ihre "Er44) gebnisse miteinander identifiziert." Diese Vermittlung von Geschichte und Eschatologie versucht Moltmann begriff45) lieh als die "eschatologische Identität" von Kreuz und Auferweckung zu fassen. 42) Moltmann, TH, S.133. 43) Vgl. Moltmann, Der gekreuzigte Gott(=GG), München 1972, S.160. 44) Moltmann, GG, S.149. 45) Moltmann, TH, S.184.

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Um noch genauer auszumachen, was Moltmann mit diesem Begriff intendiert - er verweist auf W.Benjamin als seinen Mentor dieser"äialektischen Identität von Geschichte und Eschatologie"'^^^- muß auf seine zweite Bedingung der Erkenntnis dieser 'eschatologischen Identität' eingegangen werden: dem Problem des Todes Gottes. Hat schon die Kategorie der Verheißung als das Moment der Kontimuität von Altem und Neuem Testament im Blick auf das Novum der Auferstehung Christi eine erkenntnistheoretische Antinomie mitsichgebracht, so kann dies theologisch noch mit dem Verweis auf Gott als der Kontinuität und das Novum begründende und einende überbrückt werden. Man kann argumentieren: Wie Gott damals am Schilfmeer, so wird Gott auch wieder rettend und wunderbar eingreifen. Wird freilich Gott in Jesus von Nazareth geglaubt, so stellt sich in dessen Kreuz und Tod die Problematik der Kontinuität nicht nur im Blick auf Jesus, sondern im Blick auf Gott selbst. Die Ernstnahme der Geschichte Jesu von Nazareth, seiner Verkündigung und seiner Kreuzigung bringt die Frage nach dem, welche Rolle Gott in dieser Geschichte spielt- das Theodizeeproblem - unabdingbar mit sich. Moltmann sieht diese Problemhäufung und versucht sie mittels der schon erwähnten Dialektik Hegels zu lösen. Er 47) interpretiert Hegels Interpretation vom Tode Gottes als eine Theologie "der dialektischen Selbstbewegung des absoluten Geistes" und deshalb als die "Epiphanie des Ewigen als Subjekt." 48) ' Nach Moltmann unternimmt es Hegel 46) Moltmann, GG, S.152. - Moltmann zitiert aus Benjamins 'Theologisch-politischem Fragment'. Daß der Entdeckungswie der BegründungsZusammenhang bei Benjamin ein gänzlich anderer ist, d.h. kaum als Begründung in eine christliche Dogmatik integriert werden kann, dürfte Moltmann zu wenig bedacht haben. Schwerer wiegt, daß Moltmann von einer'Identität' redet, während bei Benjamin nur an die - wie bei Adorno - 'dialektische Konstellation' gedacht ist. Moltmann interpretiert Benjamin ausschließlich von Hegel her. 47) Vgl. dazu Chr.Link, Hegels Wort 'Gott selbst ist tot', Zürich 1974(=Theolog.Studien 114). 48) Moltmann, TH, S.155.

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in seiner dialektischen Auslegung des Todes Gottes "Glauben und Wissen zu versöhnen, doch um den Preis, daß er die Historizität des Offenbarungsgeschehens aufhob und es als ein ewiges Geschehen verstand. 'Denn der Begriff tilgt die Zeit'. Das Kreuz - die Verborgenheit Gottes und die Selbständigkeit des Menschen - wird aber nicht schon im Logos der Reflexion und des Bewußtseins 'aufgehoben', sondern wird vorläufig aufgehoben in die Verheißung und die Hoffnung auf ein noch ausstehendes, reales Eschaton, welches ein Stimulans für das Bewußtsein ist, aber nicht im Bewußtsein des Glaubens aufgeht. Das Kreuz bezeichnet eine eschatologische Offenheit, die durch die Auferstehung Christi und den Geist der Gemeinde noch nicht geschlossen wird, sondern über beides hinaus offen bleibt auf die Zu49) kunft Gottes und die Vernichtung des Todes." Moltmann versucht Hegels positiver Dialektik dadurch zu entgehen, daß er die Auferweckung Christi nicht in den Begriff, sondern in die Verheißung eines 'Mehr' aufhebt, das gegen Kreuz und Leiden weiterhin nach "Auferstehung, Leben und Gerechtigkeit fragen, suchen und hoffen läßt. (...) Die Welt versinkt dann nicht im Abgrund des Nichts, sondern ihr Negatives wird ins Nocht-nicht der Hoffnung a u f g e h o b e n . E s ist der Glaube, der den Widerspruch des Kreuzes und seine Erfahrung aufhebt, weil er nicht zurücksieht, sondern sich nach vorne rufen läßt. Es ist der Glaube, der - nach Adorno - sich als Wissen ausgibt, weil er die Erniedrigung Jesu zum Tode am Kreuz mit Gottes eigentlichem Wesen identifiziert; und es ist der Glaube, der folglich bekennt, daß Gott gerade an diesem Ort der Verborgenheit "mit seinem ganzen Sein Liebe ist."^^^ Nun spricht Moltmann sicher nicht dieselbe begriffliche Sprache Hegels und die Versöhnung von Glaube und Wissen bzw. von Hoffen und Wissen wird nicht im Rahmen der Dialektik Hegels vollzogen; der Tod Gottes wird nicht zu einem Moment der höchsten Idee gemacht, die in ihrer "höchsten 49) Moltmann, TH, S.155. 50) Ebda. 51) Moltmann, GG, S.19o.

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Totalität" in die "heiterste Freiheit ihrer Gestalt auferstehen kann und muß."^^' Doch Moltmann argumentiert ohne Zweifel in der Intention der Dialektik Hegels. Zu fragen bleibt deshalb aus der Perspektive Adornos, ob nicht doch die List der Vernunft auch hier es ist, die als Theo-logie der Hoffnung verkleidet, das Kreuz bedenken und Solidarität mit aller gequälten Kreatur üben kann, weil sie durch dieses Opfer nur um so mehr über das Pedestre siegt. Moltmann spricht denn auch an einer zentralen Stelle seines Entwurfs nicht mehr vom gläubigen Menschen, der in Schuld und Leiden verstrickt, sich nach Erlösung sehnt, sondern - abstrahierend nicht von der Zeit, wohl aber von den einzelnen Menscher und ihren Verhältnissen - von einer Verheißungseschatologie, die allen Widerspruch und alle Gottlosigkeit überwindet; es ist die rdee der Verheißungseschatologie, die ihren Träger opfern muß, um ans Ziel zu kommen. Herrscht hier nicht in äußerster Konzentration theologischer Argumentationskunst jene List des Odysseus vor, wenn Moltmann schreibt: "Nicht in radikaler Entweltlichung gewinnt sich der Glaube, sondern durch hoffnungsvolle Entäußerung in die Welt hinein wird er zu einem Gewinn für die Welt. Indem er das Kreuz, das Leiden und Sterben mit Christus, indem er die Anfechtung und den Kampf um leiblichen Gehorsam annimmt und sich in den Schmerz der Liebe hineingibt, verkündet er die Zukunft der Auferstehung, des Lebens und der Gerechtigkeit Gottes im Alltag der Welt. Die Zukunft der Auferstehung kommt zu ihm, indem er das Kreuz auf sich nimmt. So greifen futurische Eschatologie und Kreuzestheologie i n e i n a n d e r . M u ß man nicht im Sinne der 'Dialektik der Aufklärung' sagen, hier greifen die beiden dialektischen Momente der einen Vernunft ineinander, das selbsterhaltende und das mimetische Moment und Moltmann folgt - nur in theologischer Weise - der List der Vernunft und unterschlägt das Nichtidentische dieser beiden Momente. Die so hergestellte 'eschatologische Iden52) Hegel, a.a.O., S.433. 53) Moltmann, TH, S.148.

- 22ο tität' dürfte deshalb eine formale sein, deren wahres Subjekt nicht Gott, sondern das beherrschende 'ich denke'ist.

4. Ist Auschwitz nun des öfteren schon als Gegenpart und Skandalen aller geschichtsphilosophischen Konstruktionen von einem Fortschritt aufs Bessere genannt und aufgeführt worden, so soll nun, um dieses Schandmal in seiner negativ dialektischen Relevanz in die Erörterung der Theologie Moltmanns miteinzubringen, bei Adornos Konzeption seiner Idee von 'Natur-Geschichte' noch einmal eingesetzt werden. Von dieser Perspektive aus wird dann die Moltmannsche Geschichtsauffassung sich in ihren verschiedenen Bedingungen und Modi erhellen. Die schon beschriebene leidvolle Dialektik von Selbsterhal tung und Selbstbetrug des bürgerlichen Subjekts am Modell des Odysseus' impliziert nach Adorno insbesonders auch das Moment der Naturbeherrschung. Was in der Selbstbehauptung gegen die Natur, der Herrschaft über Dinge wie Mitmenschen seinen Ursprung hat, wird in der Geschichte der individuellen und sozialen Handlungsfelder zur Kultur. Adorno geht es dabei nicht um eine Versöhnung von Natur und Geschichte. Es kann ihm nicht darum gehen, weil er Natur und Geschichte nicht als ursprünglichen Gegensatz sieht. Diese Annahme gehört gerade zur Ideologie des bürgerlichen Subjekts, um so seine Praxis der Naturbeherrschung prinzipiell legitimieren zu können. Die Idee der Naturgeschichte heißt andererseits auch nicht, daß Adorno geschichtlich Gewordenes als ein Natürliches verstanden wissen will. Das Ineinander von Natur und Geschichte will nicht aufgehoben werden zu 54) Vgl. zum Problem auch E.Herms, Gotteslehre und Ideologiebegriff, in: Evang.Theologie 1978, S.61ff. Herms versucht die Aporie durch eine ontologische Setzung zu vermeiden, indem er nicht nur von der notwendigen Seinsgebundenheit des Denkens spricht, sondern diese theologisch begründet, d.h. die Gotteslehre wird zu "einer Begründungsinstanz für kritische Vernunft"(a.a.O., S.75), Dagegen ist aus der Perspektive Adornos das zu Tillich Gesagte zu wiederholen. 55) Es werden im folgenden noch einmal die wesentlichen Konstellatiçnen von Adornos'Idee der Naturgeschichte'

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einer dialektisch vermittelten Synthesis, sondern es ist eine methodische Konstellation, шп das Ineinander von Natur und Geschichte im gesellschaftlich und individuellen gegenwärtigen Bereich kritisch in den Blick zu bekommen. Naturgeschichte nach Adorno ist also ein ideologiekritischer Begriff und seine Intention ist dann erfaßt, wenn es gelingt, "das geschichtliche Sein in seiner äußersten geschichtlichen Bestimmtheit, da, wo es am geschichtlichsten ist, selber als ein naturhaftes Sein zu begreifen, oder wenn es gelingt, die Natur da, wo sie als Natur scheinbar am tiefsten in sich verharrt, zu begreifen als ein geschichtliches Sein. Es kommt nicht mehr darauf allein an, die Tatsache der Geschichte allgemein unter der Kategorie Geschichtlichkeit als eine Naturtatsache toto coelo zu konzipieren, sondern die Gefügtheit der innergeschichtlichen Ereignisse in ein Gefügtsein von Naturereignissen zurückzuverwandeln. Wie sieht nun die 'Rückverwandlung der konkreten Geschichte in dialektische Natur' aus; wie ist das erkennende Subjekt eines solchen ideologiekritischen Prozessses zu bestimmen und welche Relevanz hat diese Denkfigur für den eben zu behandelnden Sachverhalt? Um als erstes nach dem erkennenden Subjekt der Naturgeschichte zu fragen, so stellt sich damit das von allen Kritikern Adornos angesprochene Problem, wie denn, wenn alle - auch Adorno selbst - unterm Bann und der Verstrikkung der List der Vernunft und ihrer geschichtlichen Macht stehen, dieser Bann in kritischer Wendung durchbrochen werden könne. Ist die Vernunft nicht gerade als beherrschende und sich selbst betrügende gänzlich und total ihrer eigenen Macht unterworfen? Trifft also nicht auch für Adorno selbst zu, was er allen andern mehr oder weniger vorwirft: in differenziertester Analyse und Kritik nur den Bann zu stärken und der List zu unterliegen? Adorno ist sich selbst darüber im klaren, daß "alle Kontemplation nicht mehr vermag, als die Zweideutigkeit der wiederholt, um den ArgumentationsZusammenhang im Blick auf Moltmann herzustellen. In der Wiederholung machen sich außerdem neue Aspekte bemerkbar. 56) Adorno, GS I, S.354f.

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Wehmut in immer neuen Figuren und Ansätzen geduldig nachzuzeichnen. Zim andern ist an die Ambivalenz der Vernunft zu erinnern. Die List der Vernunft hat nicht nur im. Prozeß der Naturbeherrschung sich behauptet, sondern auch die Kultur als der Reflexion und Praxis über diesen Prozeß ermöglicht. In den Konstellationen dieser Denkpraxis Opfer, Tausch, Mimesis - und ihrer gesellschaftlich geschichtlichen Entwicklung hat sich das gebildet, was man Kultur nennt, und darin beschlossen ist auch die Ambivalenz ihrer Bewegung: Autonomie der Vernunft als Geist der Versöhnung und zwanghafte, herrschaftliche List zum Zwecke der Selbsterhaltung. Wenngleich nun die traditionelle Kultur im Fortschritt der Naturbeherrschung einerseits wie in der Hypostasierung des Geistes andererseits sich konsequent zur Kulturindustrie und der technischen Rationalität fortentwickelt hat, so darf nach Adorno der mit der Naturbeherrschung unabdingbar verbundene Geist nicht nur mit dem Resultat der bisherigen Geschichte identisch gesetzt werden. In der Totalität des gesellschaftlichen Banns von Naturbeherrschung und Selbstbetrug ist immer schon und noch das Moment des Geistes vorhanden, der auf Freiheit und Selbstkritik ausgeht und ohne diesen Impuls keine wahre Erkenntnis und Selbstreflexion möglich wäre. "Wenn die Menschen den Geist entwickelten, um sich am Leben zu erhalten, so sind die geistigen Gebilde, die sonst nicht existierten, doch keine Lebensmittel mehr. Die unwiderrufliche Verselbständigung des Geistes gegenüber der Gesellschaft, die Verheißung von Freiheit, ist selbst so gut ein Gesellschaftliches, wie die Einheit von beidem es ist. Wird jene Verselbständigung einfach verleugnet, so wird der Geist unterdrückt und macht dem, was ist, nicht weniger die Ideologie, als wo er ideologisch Absolutheit сg\

usurpiert." ' Dieser Geist, Moment der listigen Vernunft, wird von Adorno inmitten des Verblendungszusammenhangs beibehalten; es ist 57) Adorno, MM, S.157. 58) Adorno, GS 8 , S.121.

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das Moment, in dem Wahrheit und Erlösung aufscheinen, freilich nicht ein unverlierbares Gut, sondern ein äußerst fragiles, denn es "kann zur Hypostase eines grundlos Erdachten ausarten, in welchem der Gedanke das Verlorene zu besitzen wähnt; leicht verwirrt die Anstrengung,es zu be59) greifen, wiederum sich mit Seiendem." In der Bewegung des Denkens gegen sich selbst, hält sich dieses Nichtidentische am Leben, eine Qualität, die nicht bloß Instrument der Selbstbehauptung ist, sondern Verheißung von Erlösung, gerade weil sie sich ihres Verhaftetseins im Bann bewußt bleibt. Was also im Sinne Adornos Erlösung verheißt, ist nicht wie bei Moltmann gegründet in einer 'eschatologischen Identität' von Auferweckung als Erinnerung und Zukunft als Sendung, sondern ist der Funke gleichsam, der in äußerster Verdichtung der naturgeschichtlichen Konstellationen entsteht und diese beleuchtet. Die Erleuchtung der dem Vergängnis verfallenen Szenerie macht in ihrer gleichzeitigen Erkenntnis für Adorno klar, daß das zu Sehende nicht alles ist, ja daß der erkennende Geist selbst dem Vergehen verfallen ist. "Ist Rettung der innerste Impuls jeglichen Geistes, so ist keine Hoffnung als die der vorbehaltlosen Preisgabe: des zu Rettenden wie des Geistes, der hofft. Adorno hat mit dieser Formulierung auch die äußerste Möglichkeit von Selbsterlösung und Selbstgerechtigkeit ausgeschlossen und Rettung bzw. Erlösung einzig extra se - um es in lutherischer Terminologie zu s a g e n ® - umschrieben. Solche Haltung kommt doch wohl dem nahe, was im MarkusEvangelium von dem Vater des epileptischen Knaben als Haltung des Glaubens formuliert wird: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben"(Mk. 9,24). Es kann nun in einem weiteren Reflexionsgang das Verhältnis von Natur und Geschichte noch genauer bestimmt werden, geleitet von dem Moment der Vernunft, dessen Wahrheit mit 59) Adorno, ND, S.383. 6o) Ebda, S.382. 61) Vgl. M.Luther, WA 56, S.264: "... sondern die Gerechtigkeit gleichsam immer noch als außerhalb seiner selbst sich befindend zu erwarten, selber aber immer noch in Sünde zu leben und zu sein"(zit. nach:G.Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken, Tübingen 1964, S.183) .

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Freiheit gekoppelt ist und - dies ist für Adorno bestimmend - mit dem Interesse, eben dieses Moment der Vernunft, das dem Bann um Weniges entragt, nicht aus seiner Verflochtenheit mit der Naturgeschichte in die Autonomie zu entlassen. Denn darin bewahrt Adorno das Spezifikum seiner negativen Dialektik, daß er in seiner Denkpraxis darauf insistiert, daß auch der Geist der Kritik und der Erlösung nicht schon dem Verblendungszusammenhang enthoben, nicht für sich frei ist. Versucht man diese Konstellation von Natur und Geschichte in eine logische Reihe bzw. ein System zu pressen, dürfte alles falsch werden. Wichtig ist, daß der Fluchtpunkt beider ihr Vergängnis ist und daß die Spuren ihres Zerfallsprozesses, Fragmente sind, die als solche zu deuten sind. Geschichte wird so von Adorno als Ganzes in ihrer Bedeutung nur in Fragmenten und als Fragment interpretiert. Das Fragment ist die allegorische Form der Geschichte und als solches Deutung der "Geschichte im Stillstand"®^'. Bewegung ist in der Geschichte nicht Fortschritt über dieses alltägliche Leben hinaus, weil Tod und Vergängnis immer noch ihr Ziel ist. "Alles schreitet fort in dem Ganzen, nur bis heute das Ganze nicht. Dieser Satz ist nicht gegen die Hoffnung auf Erlösung gesagt und nicht nihilistisch zu deuten, sondern er ist der Versuch Adornos, den eigenen Tod mit in die eigenen Reflek-» tionen hineinzunehmen. Dieser Satz ist nicht gesagt, um insgeheim dem Tod einen Sinn zu geben; das hieße ihm verzweifelt zu trotzen und das Prinzip der Selbsterhaltung in Geltung zu setzen. Und dieser Satz ist nicht gesagt, um heimlich die Verzweiflung®'^' zum Beweis eines letzten Sinnhaften zu machen. Dieser Satz ist gesagt, um selbstkritisch

62) Adorno, Moments musicaux, Frankfurt 1964, S.38. 63) Adorno, St, S.35. 64) Vgl. Adorno, ND, S.363: "Verzweiflung an der Welt, die doch ihr Fundament in der Sache und ihre Wahrheit hat und weder ästhetischer Weltschmerz ist noch eine falsches und verdammenswertes Bewußtsein, garantiere bereits, so wird insgeheim fehlgeschlossen, das Dasein des hoffnungslos Entbehrten, während doch Dasein ziim universalen Schuldzusammenhang wurde."

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sich klar zu machen, daß Geschichtsphilosophie als "Eingedenken an Transzendenz nicht mehr möglich ist als kraft der Vergängnis; Ewigkeit erscheint nicht als solche, sondern gebrochen durchs Vergänglichste hindurch."®^' Damit hat Adorno auch nicht den Tod, Negativität, als Letztes oder als Urerfahrung ausgegeben.^^^ Ist die von Moltmann explizierte Verheißungsgeschichte, die in der Auferweckung gründet und doch "deren real-ausständige, noch nicht erreichte und noch nicht verwirklichte Z u k u n f t " m e i n t , nicht ein Argument gegen Adornos Idee der Naturgeschichte? Verbleibt Adorno nicht mit der Kategorie der Vergängnis und ihrer allegorischen Deutung trotz aller Selbstkritik und dem Schein der Erlösung, im Bann des Mythischen, Immergleichen, das eben keine Zukunft und

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Erfüllung kennt, sondern nur "unglückliches Bewußtsein" bleibt? Gibt es denn nichts Neues im Ablauf der Geschichte und ist das Moment des Kontingenten so zu vernachlässigen? Adorno ist diesen Fragen in seinem Aufsatz für J.König "Fortschritt"^^^ nachgegangen. Dabei ist zunächst wichtig, daß Adorno mit der Kategorie der Vergängnis nicht einem moralischen Pessimismus huldigt, der, vom Untergang des Abendlandes überzeugt, mit Emphase stoßen will, was ohnehin fällt. Mit seinen Reflexionen zur Idee des Fortschritts will Adorno weder die Kulturpessimisten noch die Fortschrittsgläubigen unterstützen, sondern deutlich machen, daß von Zukunft im Sinne eines hoffnungsvollen - wenn auch dialektischen - Fortschreitens in und mit der Geschichte nicht interesselos, im objektiven Sinne geredet werden kann. Über die Geschichte und insbesonders über die Zukunft und deren immanente Möglichkeiten zu reflektieren, ist erkennt-

65) Adorno, ND, S.351. 66) Vgl. ebda, S.359: "Sogar die Erfahrung des Todes reicht nicht hin als Letztes und Unbezweifeltes, als Metaphysik gleich der, welche einst Descartes aus dem hinfälligen ego cogitans deduzierte." 67) Moltmann, TH, S.5o. 68) Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Theorie WA Bd. 3, S.163ff. - Vgl. diese Arbeit S.III. 69) Adorno, St, S.29ff. (1 962).

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nistheoretisch nach Adorno von einer "Unmöglichkeit des Eindeutigen"^®^ begleitet, die zur Sache gehört. Es ist nun im Blick auf eine Verdeutlichung dessen, was Adorno unter der Dynamik des Weltlaufs versteht, hilfreich, an dieser Stelle zuvor kurz das "theologische Verständnis 71 ) wie es Moltmann konzipiert hat, ins Gevon Geschichte" Geschichte"^^^ dächtnis zu rufen.

5. Indem Moltmann stringent von der Auferweckung Jesu Christi her denkt, wird "mit der Erinnerung dieses einen und einmaligen Geschehens die Hoffnung auf die Zukunft des ganzen Weltgeschehens e r i n n e r t . F ü r Moltmann muß die Theologie Geschichte als "intellectus fidei resurrectionis"^^^ entwerfen, damit deutlich wird, daß der Mensch Geschichte bzw. Zukunft erst dann hat und in ihr ist, wenn er sie sich im Geschehen bzw. in der Offenbarung der Auferweckung Christi stiften läßt. Die Zukunft, in die sich der Christ von diesem Geschehen her senden läßt, ist Gottes Zukunft, ist deshalb "Hoffnung auf die universale Zukunft 74 ) des Heils der Welt." Dabei ist die jeweils erlebte Gegegnwart nicht der Beweis für die Gegenwart und Zukunft Gottes, sondern die Erfahrung des Leidens im Alltag reizt zur Hoffnung um so mehr auf die herrliche Zukunft Gottes. Und die Vergangenheit wird im "Wanderhorizont der Verheissung"^^^ nicht einfach vergessen, sondern die Auferweckung stiftet ein Kontinuum, in dem durch die Zukunft Gottes auch die Vergangenheit erlöst ist. "Eine Hoffnung(...) gewinnt ihre Freiheit nicht durch Vergessen dessen, was war und nicht zu ändern ist, sondern genau umgekehrt durch das Erinnern des Vergangenen, denn diese Zukunft erhält Hoffnung für sie. Ist diese Zukunft die Seinsweise Gottes, so 70) 71) 72) 73) 74) 75)

Adorno, St, S.29. Moltmann, TH, S.164. Ebda, S.163. Ebda. Ebda, S.278. Ebda, S.98.

- 227 kann sie nicht nur als Zukunft der jeweiligen Gegenwart bedacht werden, sondern itiuß auch als die Zukunft vergangener Gegenwart verstanden werden. Ist sie eine Zukunft des Heils durch Neuschöpfung, so bringt sie ein Heil für die Gegenwärtigen und die Vergangenen."^^' Holtmanns eschatologische Geschichtsauffassung ist somit nicht Heilsgeschichte in einem traditionellen Sinne, d.h. daß die Auferweckung Christi in eine progressive Offenbarungsgeschichte Gottes eingeordnet ist, deren dialektisches Fortschreiten das Reich Gottes stetig aufbaut und herbeibringt. Der durch die Gottesverheißung zur Veränderung der Welt berufene Mensch ist nicht der eigenmächtige Macher des Reiches Gottes. "Subjekt der Weltveränderung'ist für den Menschen darum der Geist der göttlichen Hoffnung. Der Gläubige im Sinne Moltmanns steht im weltverändernden Gehorsam als dem Dienst der Versöhnung und solche Berufung und Sendung durch Gott "lassen den Menschen nicht mehr im Umkreis der Natur und nicht mehr in der Welt als Heimat leben, sondern nötigen ihn dazu im Horizont der Geschichte 78 Ì ZU existieren." Moltmann möchte sich mit den zuletzt zitierten Sätzen gegen den BAnn allen griechischen Kosmosdenkens und aller Naturverfallenheit abgrenzen. Der Mensch als im Horizont der Geschichte existierend ist für Moltmann somit nicht der Vermittler des vielfältig Seienden für das eine, ewige Sein, sondern er greift "mitleidend mit dem Elend des Seienden in die erlösende Zukunft der Seienden vor und stiftet ihm so Versöhnung, Rechtfertigung 79 ) und Bestand." Um diese theologische Geschichtskonzeption zu stützen, zitiert Moltmann das Schlußwort von Adornos Q _ \ Minima Moralia. Verfolgen also Moltmann und Adorno doch dieselbe Auffassung von Geschichte bzw. ihrem Zukunftshorizont? Sind die 76) Moltmann, Antwort auf die Kritik der Theologie der Hoffnung, DTH, S.22of. 77) Moltmann, TH, S.267. 78) Ebda, S.266. 79) Ebda, S.267. 80) Ebda, S.267( = MM, S.333f.)

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oben gestellten Fragen damit nun von Moltmann selbst überholt worden? Auf den ersten Blick mag mit dem Begriff des 'messianischen Lichts' bei Adorno und dem darin implizierten Standpunkt der Erkenntnis von der Erlösung her dieselbe Intention vorliegen: Gegenwart soll von der heilvollen Zukunft her begriffen und erfahren werden. Und tatsächlich liegt die Affinität beider Konzeptionen in der Sensibilität und Solidarität für alle Erniedrigten und Gequälten dieser Welt, die vor allem vom Blick ihrer Erlösung her aufbricht. W. Benjamins Schlußs atz seines Aufsatzes zu "Goethes Wahlverwandtschaften" : "Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns 81) die Hoffnung gegeben" ist Impuls für Adorno wie für Moltmann, nämlich die Erlösung für alle und auch für die vergangener Leidenden zu erhoffen. Adorno betont in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich, daß die Utopie der negativen Dialektik ihre Sehnsucht in der "Auferstehung 82 )

des Fleisches" hat; darin ist er in der Ablehnung gegenüber aller Vergeistigung idealistischer Hoffnungs- bzw. Unsterblichkeitsphilosophie mit christlicher Theologie einig. "Die christliche Dogmatik, welche die Erweckung der Seelen mit der Auferstehung des Fleisches zusammendachte, war metaphysisch folgerechter, wenn man will: aufgeklärter als die spekulative Metaphysik; so wie Hoffnung leibhafte Auferstehung meint und Q о \durch deren Vergeistigung ums Beste sich gebracht weiß." Sind sich also Moltmann und Adorno einig darin, daß angesichts der Erfahrungen in dieser Welt und ihrem Alltag Hoffnung für alle die einzige Gestalt aller Denkpraxis nur sein kann, so hat doch die bisherige erkenntnistheoretische Diskussion der jeweiligen Konzeption so große Differenzen aufgewiesen, daß die affirmativ geraeinte Zitation Adornos durch Moltmann einer Subreption gleichkommt. 81) W.Benjamin, Goethes Wahlverwandtschaften, in: W.B., Illuminationen, Ausgewählte Schriften, Frankfurt 1977, S.135. 82) Adorno, ND, S.2o5. 83) Ebda, S.391.

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Adornos Geschichtskonzeption bzw. seine Idee der Naturgeschichte ist nicht in dem Sinne vom 'Standpunkt der Erlösung' aus gedacht, als hieße dies, schon mit der Idee der Notwendigkeit von Versöhnung und Erlösung an dieser teilzuhaben. Das Licht, "das von der Erlösung her auf die Welt scheint"®^^, ist immer noch Schein, Produkt mit des Bewußtseins, das in den Rissen und Abgründen herrschender Logik und analytischer Urteile den Mangel alles Seienden inne wird und deshalb im Nichtidentischen auf die Möglichkeit der Rettung aller hofft. Geschichte ist also bei Adorno nicht als auf die Rettung zulaufende oder als von dieser getriebene im Sinne von Verheißung gedacht. Die Dynamik und Dialektik der Geschichte ist ihrer Bedeutung nach die des Stillstandes, bleibt immanent, weil das "Ganze in seiner Bewegung stillsteht, weil es nichts außer sich kennt, nicht das göttliche Absolute, sondern dessen vom 85) Gedanken unkenntlich gemachtes Gegenteil." Ist für Moltmann Gott das Subjekt der Geschichte, weil er in der Auferstehung Jesu Christi ein Novum gesetzt hat, das in seiner Erfüllung einmal auch alles Vergangene zu sich bringt, so kennt Adorno aufgrund des bisherigen leidvollen Weltlaufs kein Gesamtsubjekt der Menschheitsgeschichte. Wohl ist auch für Adorno Geschichte nach vorne offen; die Möglichkeit der Veränderung für den Einzelnen durch das Moment der Kontingenz gegeben, denn " nur wenn, was ñfi Ìist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles." ^ Aber für Adorno gibt es keine Erkenntnis eines eschatologischen Novxjms. Für ihn ist der Glaube an die Auf erweckung Jesu als Prolepse der endgültigen Zukunft Gottes nur eine "Rebellion bloßen Bewußtseins" , die ganz konsequent zu Ende gedacht, den Gläubigen aus dem Umkreis der Natur und der Heimat entlassen muß, um sich gegen die Widerwärtigkeiten dieser, die Hoffnung aufs Ganze gewiß und sicher zu machen. Gerade die von Moltmann aufgrund der Auferweckung 84) Adorno, MM, S.333. 85) Adorno, St, S.35. -Vgl. auch S.1o9 dieser Arbeit. 86) Adorno, ND, S.389. 87) Ebda.

- 23ο Christi explizierte 'gestiftete Zukunft' verbleibt nach Adorno im Bann des Iitimergleichen, des Mythischen, denn sie ist an Erinnerung gebunden, "die mythisch ist als Ge-. QQ \

dächtnis des von je Gewesenen." Dagegen muß nun allerdings von Moltmann aus eingewendet werden, daß er dem Bann des Immergleichen dadurch zu entgehen versucht, daß er sich nicht an geschichtlich empirische Daten erinnert, sondern im Moment der Erinnerung an die Auferweckung Jesu geschieht Offenbarung Gottes. "Die Auferweckung Christi erkennen heißt darum, in diesem Geschehen die Zukunft Gottes zur Welt und die Zukunft des Menschen, die er an diesem Gott und seinem Handeln findet, 89 Ì erkennen." Moltmann überwindet damit die von Adorno im Zusammenhang der Diskussion von Heilsgeschichte erhobenen Vorwürfe; Moltmann setzt weder Erlösung mit dem Fortschritt gleich, noch mediatisiert er die Sendung des Menschen, die aus der Auferweckung folgt, in die Geschichte; die Hoffnung des Glaubens hofft nicht auf die Wiederkehr des Gleichen, sondern auf die noch unvorstellbare Einlösung des Versprochenen. Moltmanns Begriff von Hoffnung ermöglicht also nicht nur eine Offenheit für Neues, sondern hat ihren Rückhalt und ihre Durchhaltekraft in der Geschichte Jesu und den Zeugen seines Wirkens. Die Offenheit für Veränderung im Sinne Adornos, die Möglichkeit verändernd in den Lauf der Dinge einzugreifen, liegt nur beim Einzelnen und seiner kritischen Reflexionskraft, die zudem sich kein Bild^°^ eines versöhnten Zustandes machen darf. Kennt also Adorno statt einer Heilsgeschichte nur eine Unheilsgeschichte, die heraufziehende Katastrophe? Bleibt hier Hoffnung letztlich doch ein leeres Gedankenspiel angesichts der Alltagserfahrungen und der geschichtlichen Überlieferungen? Kann denn nach Adorno überhaupt etwas anderes als das Immergleiche - Ausübung von Herrschaft - geschehen? 88) Adorno, Kg, S.195. 89) Moltmann, TH, S.176. 90) Vgl. S. 119 dieser Arbeit.

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Adorno versucht alle diese Fragen nach Fortschritt, Heil und dem Ersten und Letzten in der Geschichte von vornherein als metaphysisch falsche Spekulationen einerinstrumentellen Vernunft einsichtig zu machen. Die Last der geschichtsphilosophischen Spekulation, Sinn und Notwendigkeit im Blick auf einen positiven oder negativen Geschichtsverlauf zu konstruieren, ist für ihn Anstrengung einer Rationalität, die sich gegen das Bedrohliche der Natur absichern 91 ) will. Die Frage nach dem Sinn der Geschichte ist demnach nicht positiv zu lösen, sondern zu reflektieren im Blick darauf, welche Erwartungen, welche Ängste und welche Erfahrungen metaphysischer Tradition zu dieser Frage führ92 ) ten. Nicht ein Sündenfall zu Beginn ist die ursprüngliche und verhängnisvolle Katastrophe, sondern die Interpretation der alltäglichen Erfahrungen und des allgemeinen Geschichtsverlaufs als Sündenfall und damit als unter dem Denken von Allgemeinem und Besonderem sich vollziehend, ist die 'irrationale' Katastrophe, die sich ständig wiederholt. "Das tödlich Gemeinsame aber von Notwendigkeit und Zufall, die schon Aristoteles gemeinsam dem bloß Seienden zuschrieb, ist Schicksal. Es hat seinen Ort ebenso in dem Kreis, den das herrschaftliche Denken um sich legt, wie in dem, was herausfällt und, von Vernunft verlassen, eine Irrationalität sich erwirbt, die mit der vom Subjekt gesetzten Notwendigkeit konvergiert.(...) Daß das Besondere nicht philosophisch zur Allgemeinheit verflüchtigt werde, verlangt, daß es auch nicht im Trotz des Zufalls sich verschließe. Zur Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem hülfe die Reflexion der Differenz, nicht deren 93 ) Extirpation." Der Verblendungszusammenhang ist nicht erfunden, aber er ist die Leistung auch und gerade nicht nur der äußerlichen Natur oder einer zufälligen Entscheidung, sondern der Vernunft, die die Erfahrungen der Schmerzen und des Ineinander von Natur und Geschichte aufkläre91) Vgl. Adorno, ND, S.172 u.ö. 92) Vgl. die Diskussion mit Tillich, bes. S.175f. 93) Adorno, ND, S.338f.

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risch zu bannen versucht, indem sie es auf ein Erstes zurückführt. Dabei vollzieht sie konsequent die Trennung von Natur und Geschichte bzw. die von Natur und Geist. Doch diese Antithese ist falsch und wahr zugleich. "Wahr, soweit sie ausspricht, was dem Naturmoment widerfuhr; falsch, soweit sie die Verdeckung der Naturwüchsigkeit der Geschichte durch diese selber vermöge ihrer begriffliehen Nachkonstruktion apologetisch wiederholt." 94 ) Der einmal gesetzte Unterschied läßt von der "Reflexion sich verflüssigen, nicht aufheben." 95 )

6. Versucht man nun vorläufig die beiden Positionen gegeneinander abzugrenzen, so bleibt festzuhalten, daß zum einen Moltmann, von Benjamin und Bloch herkommend, in der Analyse des Weltlaufs als der des Leidens mit Adorno im Resultat übereinstimmt: angesichts des Gegebenen und Vergangenen ist Hoffnung für alle und alles die einzige Möglichkeit. Zum andern aber denkt Adorno nicht von einem Subjekt der Geschichte her, das durch die Setzung eines eschatologischen Novums, den Menschen auf den Weg der Verheißung stellt; für Adorno bleibt die Geschiche immanente Herrschaftsgeschichte, d.h. unter dem Bann menschlicher Naturbeherrschung und der ideologischen Verblendung der damit verknüpften Vernunft. Dem intellectus fidei ressurectionis Moltmanns steht der intellectus spei crucis bei Adorno entgegen. Es erhebt sich von der Perspektive Adornos her deshalb der grundsätzliche Einwand, ob Moltmann durch die Identifzierung der Zukunft mit Gottes Verheißung nach vorne und auf Hoffnung hin, wohl Zuversicht und Raum gewinnt, aber doch wohl nur um den Preis des Verschwindens der konkreten Gegenwart bzw. des körperlich-naturhaften Moments. Adornos Anfrage an den Geschichts- und Wirklichkeitsbegriff der 'Theologie der Hoffnung' ist also die, ob hier nicht 94) Adorno, ND, S.349. 95) Ebda, S. 35o.

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gerade auch im Banne Hegelscher Logik - die Momente des Glaubens und Hoffens allzu schnell von einer Logik des Geistes beschlagnahmt werden, der Geschichte und Sinn konstruiert. Wird nicht trotz der vielfach wiederholten Rede bei Moltmann von der Geschichtlichkeit alles Seienden gerade listig das Naturwüchsige ausgeklammert, um so "das 96) Negative des Allgemeinen wegzudenken"? Ist nicht aller Anspruch des Glaubens, die Auferstehung sei die Aufhebung des Kreuzes in den Sieg der Verheißung Gottes als dessen 97 ) "Sein im Werden" eine nur erdachte Versöhnung von Natur und Geschichte auf Kosten der Natur? Und resultiert nicht daraus die enorme Schwierigkeit aller Theologie, eine adäquate Schöpfungstheologie zu entwerfen? Wenn Moltmann Geschichte und Eschatologie im Auferstandenen identisch sieht, so interpretiert er das Kreuz - die Erfahrung dieser Welt und ihrer Vergängnis - vom Prius des 98) Glaubens aus. Freilich weiß Moltmann, daß in diesem Glauben die Widersprüche von Kreuz und Auferstehung dialektisch vermittelt sind und realiter sich noch auswirken. Wenn er aber diesen Glauben inhaltlich füllt bzw. auslegt als das Geschehen Gottes, so verschwindet dieser 'formale' Vorbehalt und mit itim die Nichtidentität von Kreuz und Auferstehung. Das gläubige Denken der 'dialektischen Identität' wird als Denken Gottes zu einer Behauptung, dessen Zwanghaftes sich in der Sprache verrät. Dieser Glaube darf nicht unsicher sein, sondern muß sich gegen alle Einwände und Widersprüche der Faktizität behaupten. Dies gelingt, wenn ein personifiziertes Transzendentalsubjekt - der Glaube - sich von Natur und Welt abstrahierend, sich durchsetzt. Was der Hoffnung im Wege steht, wird von diesem Glauben verwandelt und fortschreitend in der Idee der Er96) Adorno, ND, S.319. 97) Die mit dieser Wendung umschriebene Rede vom Sein Gottes bei K.Barth durch E.Jüngel(E.J., Gottes Sein ist im Werden, Tübingen 1965) ist durchaus auch die Intention der Gotteslehre Moltmanns. 98) Vgl. Moltmann, TH, S.2o9: "Der Glaube an Christus ist das prius, aber die Hoffnung hat in diesem Glauben den Primat."

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99) lösung zur Ruhe gebracht. Um zu zeigen, wie solche theo-logische Maßnahme aussieht, zitiere ich eine längere Passage aus Moltmanns'Theologie der Hoffnung': "Der apokalyptische Ausdruck 'Auferweckung von den Toten durch Gott' bringt in die Personenbestimmung 'gekreuzigt auferstanden' eine Werkformel hinein. Mit der Auferweckung durch Gott wird Jesus identifiziert als der auferweckte Gekreuzigte. Dann liegt der Identitätspunkt nicht in der Person Jesu, sondern extra se in dem Gott, der aus dem Nichts Leben und Neues Sein schafft. Er ist dann ganz gestorben und ganz auferweckt. Für dieses Denken liegt in der Selbstoffenbarung Jesu in seinen Erscheinungen die Offenbarung der Gottheit und der Treue Gottes. Dann muß man sagen, daß in diesem Geschehen, das in Kreuzigung und Ostererscheinungen erfahrbar wird, Gott sich zu Gott bekennt und seine Treue offenbar macht. Dann aber weist dieses Geschehen, das in Kreuz und Ostererscheinungen offenbar wird, auf die Verheißungen Gottes zurück und auf ein Eschaton der Offenbarung seiner Gottheit an allem voraus. Es muß dann als das eschatologische Treuegeschehnis Gottes verstanden werden und zugleich als eschatologische Verbürgung seiner Verheißung und als Anbruch der Erfüllung. Es ist folgerichtig, daß dann die Zukunft Christi nicht nur in seiner universalen Verherrlichung erwartet wird, sondern daß seine Herrschaft der eschatologischen Offenbarung der Gottheit Gottes an allem, was ist und was nicht ist, subordiniert wird, wie es Paulus 1.Kor.15,28 andeutet." loo)

Je dichter Holtmann die theologischen Begründungszusammenhänge fügt, je logischer und eindeutiger er die Aussagen verknüpfet und folgert, desto mehr liefert er sich nach Adorno dem Identitätsdenken, der Naturgeschichte der listigen Vernunft aus. Die Hoffnung auf Erlösung - von der ja auch Adorno spricht - ist nach Adorno nicht als Recheneinheit zu handhaben oder als Teilhabe des Bewußtsein an diesem zu hypostasieren. Die Erlösung ist nach Adorno das Ende aller Geschichte bzw. die Aufhebung der Welt

99) Vgl. Adorno, St, S. 45: "Wo immer jedoch von dem fürsichseienden Geist mit Grund geurteilt werden kann, er schreite fort, partizipiert er selbst an der Naturbeherrschung, eben weil er nicht, wie er sich einbildet, chooris, sondern in jenen Lebensprozeß verflochten ist, von dem er nach dessen eigenem Gesetz sich schied." 100) Holtmann, TH, S.182. Die Unterstreichungen sind nicht im Orginal; sie wurden zur Verdeutlichung hinzugefügt.

- 235 in die 'sabbatische Ruhe'. Die sich einstellenden Vorstellungen und Aussagen davon sind allemal Schein. "Im richtigen Zustand wäre alles, wie in dem jüdischen Theologumenon, nur um ein Geringes anders als es ist, aber nicht das Geringste läßt sich so vorstellen, wie es dann Der Modus des Konjunktiv schwächt sogar noch eine solche Aussage ab. Steht hier - beim Vergleich von Holtmanns und Adornos Geschichtsauffassung - einfach eine theologische gegen eine philosophische Position? Ist eine Konfrontation beider Standpunkte also von vornherein ein falsch angelegtes Unternehmen? Dieser Einwand ist zugleich wahr und falsch. Wahr deshalb, weil er die Nichtidentität von Glauben und selbstkritischer Vernunft aufzeigt und damit davor warnt, als könnte oder müßte man nur lang genug unterschiedliche Positonen miteinander analysieren und auf Prinzipien zurückführen, um sie letztlich entweder in sophistischer Manier miteinander zu versöhnen oder sie prinzipiell für unvergleichbar auszugeben. Falsch aber vor allem wird der Einwand dann, wenn das Nichtidentische seinerseits zum Schutzwall subjektiver Meinung wird, hinter dem diese glauben und wissen könne, was sie w o l l e . D a r a n hat gerade weder Moltmann noch Adorno ein Interesse. Hoffnung und Heil sind nicht in blinder Entscheidung, Willkür oder im Sprung auf die eine oder andere Seite der scheinbaren Alternative zu haben, sondern nur zu erfahren im Spannungsbereich von Glauben und Wissen.

7. Wurde im bisherigen Verlauf der Erörterung deutlich, daß Adorno nicht im Blick auf ein besonderes geschichtliches Datum oder von einem göttlich gesetzten Novum her Hoffnung gewinnen kann, sondern vielmehr - wie oben schon in Kapitel В III. gezeigt wurde - durch ästhetische Werke

101) Adorno, ND, S.292. 102) Vgl. Moltmann, TH, S. 79ff.

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vermittelt, so muß die Diskussion der Hoffnung durch das diesem Bereich zugehörige Moment, dem des Glücks noch ergänzt werden. Es dürfte nicht uninteressant sein, den Zusammenhang von Glück und Hoffnung gerade auch in Moltmanns diesbezüglicher Konzeption zu erörtern. Der oben erhobene Vorwurf, dai3 um der Zukunft willen Holtmann die Gegenwart und das Moment des körperlich-naturhaften nahezu eliminiere, kann so noch einmal geprüft werden. Zu fragen ist, wie verhalten sich Moltmanns Idee vom Leben als ein "Fest ohne Ende^*^'^' und seine Konzeption des Gottesdienstes als "messianisches Interemezzo"^°^^ zu Adornos Konstellationen metaphysischer Erfahrungen des Glücks und des Ästhetischen als Chiffre der Erlösung? Es sind nicht nur die Sinne, die für Adorno durch die ästhetische Erfahrung des Naturschönen Transzendenz vermitteln, sondern auch der reflektierende Geist, der aufgrund 'metaphysischer E r f a h r u n g ' ü b e r ein 'unglückliches Bewußtsein' hinausstrebt. Korrespondiert der Begriff der Erfahrung des Naturschönen mit dem der Versöhnung, so der des Glücks mit dem der E r l ö s u n g ! E r geht aufs Ganze, denn Glück ist jene oberste Idee, "worin Erfüllung als Sehnsucht selber sich offenbart, die ewige Anschauung der Gottheit."^' Vom Glück spricht Adorno als einer Erfahrung von Geborgenheit gleich in jenem Gasthaus an der Donau bei Wien, "in 103) Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes( = KK), München 1975, S.132. 104) Ebda, S.298. 105) Vgl. Adorno, ND, S.365: "Der Begriff metaphysischer Erfahrung ist anders noch antinomisch als die transzendentale Dialektik Kants es lehrt." - "Der Überschuß übers Subjekt aber, den subjektive metaphysische Erfahrung nicht sich möchte ausreden lassen, und das Wahrheitsmoment am Dinghaften sind Extreme, die sich berühren in der Idee der Wahrheit"(ebda, S.366). 106) Adorno verwendet die Begriffe Erlösung und Versöhnung weitgehend synonym als Modi der Idee der Rettung.Will man eine Unterscheidung setzen, so die, daß Versöhnung mehr das Verhältnis von Mensch und Natur anspricht, während Erlösung die Rettung von Welt, Mensch und Natur insgesamt meint. 107) Adorno, NL I, S.133.

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dem man sich zu Hause fühlt wie nur am Ende der Glück ist in der Erinnerung plötzlich da, was nicht heißt, Adorno hätte die schimärische Hoffnung, vergangenes Glück lasse sich beliebig und unmittelbar vergegenwärtigen. Vielmehr ist es mit dem Glück nicht anders als mit der Wahrheit: "man hat es nicht, sondern ist darin. Ja, Glück ist nichts anderes als das Umfangensein, Nachbild der Geborgenheit in der Mutter. Darum aber kann kein Glücklicher je wissen, daß er es ist. Um das Glück zu sehen, müßte er aus ihm heraustreten: er wäre wie ein Geborener. Wer sagt, er sei glücklich, lügt, indem er es beschwört, und sündigt so an dem Glück. Treue hält ihm bloß, der spricht: ich war glücklich. Das einzige Verhältnis des Bewußtseins zum Glück ist der Dank: das macht dessen unvergleichliche Würde G.lück und die dankbare Erinnerung daran, assoziieren bei Adorno sofort die Kindheit und darin Ortschaften und Landschaften. Das Glück von Kindertagen - Hoffnung im Vergangenen - liefert für Adorno das Modell für metaphysische Erfahrung, "eines Begriffs, welcher endlich der der Sache selbst wäre, nicht das Armselige von den Sachen Abgezogene. Dieses Glück drückt sich denn für Adorno am deutlichsten in Kunstwerken, vor allem der der Musik aus. Aber das Glück und damit die metaphysische Erfahrung wäre allzu sehr romantischer Gefühlswelt und deren Ideologie ausgesetzt, wenn es sich nur nach rückwärts orientierte. Metaphysische Erfahrung, die auf Wahrheit und damit aufs Ganze zielt inmitten des Unwahren, richtet sich auch nach vorne aus bzw. bleibt beim Ort der Erfahrung des Glücks nicht stehen. Metaphysische Erfahrung "hält sich negativ

108) Adorno, OL, S.167. 109) Vgl. "Adorno, ND, S.365: "Wer indessen an derlei Erfahrungen naiv sich erlabt, als hielte er in Händen, was sie suggeriert, erliegt Bedingungen der empirischen Welt, über die er hinaus will, und die ihm doch die Möglichkeit dazu allein beistellen." 110) Adorno, MM, S.143f. 111) Adorno, ND, S.364.

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in jenem Ist denn das alles?, das am ehesten im vergeblichen Warten sich aktualisiert.^^^ Mit dieser paradoxen Wendung 'vergebliches Warten' ist nicht ein leeres Sehnen, ein verzweifeltes Suchen intendiert, sondern solches Verhalten "reflektiert den Zustand, der sein Maß hat an der 113) Versagung." Der reflektierende Geist dieser Erfahrung wird am tatsächlich Gegebenen und Vorhandenen seines Mangels inne, d.h. Hoffnung und Warten werden nach Adorno nicht zu Fluchtmöglichkeiten in metaphysische Spekulationen oder ängstliche Regressionen. Denn was "wäre Glück, das sich nicht mäße an der unmeßbaren Trauer dessen, was ist?" 114) Was Adorno somit unter Glück und 'vergeblichen Warten' als metaphysischer Erfahrung versteht, verbindet Erinnerung und Hoffnung bzw. diese gehen eine solche Konstellation ein, daß kein Moment Vorrang gewinnt. 'Geschichte im Stillstand' also auch für diese Perspektive. Die Gegenwart, in der Erfahrung zur Erkenntnis wird, ist die Zeitform für Adorno. Das heißt nicht, daß Adorno die Gegenwart festhalten oder beschwören will, sondern er gewinnt Zukunft und Vergangenheit, indem er der Gegenwart ihr Gewordensein enthüllt und Zukunft, indem er das Mehr, das Nichtidentische des Gewordenseins im Gegenwärtigen freilegt, ihm den Weg ebnet. Nicht von der Zukunft her wird das Mögliche entworfen, sondern im Gegenwärtigen wird das Weitertreibende und Andere gesehen, das weit mehr ist, als subjektive Erfahrung oder gar Willkür. Von hier aus wird denn auch noch einmal deutlich, daß Geschichte für Adorno nicht zu erkennen ist in einem Nachdenken eines ablaufenden Hintereinanders oder einem Weiterschreiten. Was Geschichte ist, kann nur in Versenkung ins Objekt, sei es die Natur oder das von Menschen Gemachte, erkannt werden. Geschichte erfahren heißt soviel wie ihres immanenten Prozesses im Augenblick ihres Stillstandes innewerden, nämlich in der Versenkung in ein Kunstwerk bzw.

112) Adorno, ND, 8.366. 113) Ebda. 114) Adorno, MM, S. 266.

- 239 eben ins Objekt. Geschichte ist so in jedem Moment des Kontinuums ein Gewordenes, Katastrophe, auf die sie zutreibt und die bisher unterdrückte Möglichkeit des Andern, ihr Mehr, das Nichtidentische. 'Geschichte im Stillstand' heißt also im Gegenwärtigen, im Moment gleichsam das Modell des Ganzen zu haben, ihre Bewegung. Jedoch nicht der Moment eines Prozesses ist gemeint, sondern der Prozeß als Moment und den Moment als Prozeß; darin leuchtet auch das Glück auf. Adorno versucht so dem Bestreben der konstruierenden ratio zu entgehen, die Zukunft nach ihren Maßstäben plant und eine kontinuierliche Handlungstheorie aufstellt, so als wüßte sie - die listig gewordene und gewalttätige ratio -, was zu tun sei. Wer von der Zukunft her denkt - und sei es die verheißene -,muß nach Adorno von der sich selbsterhaltenden und sich alles unterordnenden ratio her denken. Von der Deutung der 'Geschichte im Stillstand' gilt, was von daher für das Verhältnis von Theorie und Praxis grundsätzlich gilt: "Diejenige Theorie dürfte noch die meiste Hoffnung auf Verwirklichung haben, welche nicht als Anweisung auf ihre Verwirklichung gedacht ist."^^^^ Im Blick auf Moltmanns Konzeption heißt dies, daß den hoffnungsgeleiteten Ausführungsbestimmungen, die sich aus der Auferweckung Christi bei Moltmann für die Praxis der Christen - Sendung und Befreiung - ergeben, seitens Adorno Vorsicht entgegengebracht werden muß. Die Auferweckung ist auch im Sinne Adornos Verheißung und eine glückhafte 'Idee', aber sie kann nicht als Anlaß für glückliche Erfahrung verstanden werden. Der Übergang von der Erfahrung von Versöhnung zu einem 'glücklichen und erfüllten' Leben ist für Adornos Denkpraxis deshalb auch unmöglich, weil "unversöhnlich (verwehrt) die Idee von Versöhnung deren Affirmation im B e g r i f f . V o m Glück her und fürs Glück läßt sich keine ethische Anweisung geben.

115) Adorno, St, S.190. 116) Adorno, ND, S.161.

- 24ο "Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht, ist das Glück der Menschheit"^^^', und in den Minima Moralia wird vom "Glück der winzigen Freiheit, die im Erkennen als sol118) Cham liegt" , gesprochen. Damit versucht Adorno aufgrund der Ablehnung jeglicher Ethik des Glücks doch der bürger119) liehen Krankheit der Melancholie zu entgehen. Sein Verhalten will "emphatisches D e n k e n " s e i n , das gestärkt wird einerseits von Kindheitserinnerungen und andererseits vornehmlich durch die antizipatorische Kraft der Erfahrung von Kunstwerken, denn deren Deutung ist nicht einfach die "geistige Reproduktion dessen, was ohnehin ist. Solange sie(es) nicht abbricht, hält sie (es) die Möglichkeit •fest."^21) Ist - so kann nun gefragt werden - Adornos Glaube derjenige an die Kraft des Denkens, an die Selbstreflexion der Dialektik, die sich nicht bei sich beruhigt, beruhigen kann, weil sie sich inmitten des Verblendungszusammenhangs bzw. des falschen Lebens weiß? Wird also bei Adorno insgeheim das Denken hypostasiert zum Absoluten und Allimfassenden? Und ist diese "Gestalt von Hoffnung"122) nicht mehr an Zukunft interessiert - und damit wohl auch an einer verändernden Praxis -,weil sie melancholisch an der Idee des Schönen festhält bzw. ständig darum kreist und sie konfiguriert? 123) "Das Glück des Geistes" , das mit solchen Einwänden angesprochen ist, ist freilich nach Adorno nicht ungebrochen zu genießen; und daß sein subjektives Verhältnis zur Praxis aufgrund des objektiv gestörten Weltlaufs krankt, darum weiß Adorno so gut wie darum, daß sein subjektives Glück 117) Adorno, K, S.150. 118) Adorno, MM, S.23. 119) Vgl. dazu S.III Anm. 45 in dieser Arbeit. 120) 121) 122) 123)

Adorno, K, S. 15o. Ebda. Vgl. Adorno, ND, S.396. Ebda, S.24o.

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124)

- wenn auch mikrig - ein Privileg ist, das zur Verantwortung im Blick auf die Wahrheit anstrengt. Adorno versucht somit dem Aberglauben an das Denken zu entgehen und elitärem philosophischem Hochmut zu widerstehen, indem er Rechenschaft seines Denkens, seines 'Glücks am Geist' im Bestehenden gegen dieses zu geben bereit ist. Der Moment der Wahrheit, der das Denken leitet, ist nicht am Trost für sich oder der Welt primär interessiert, sondern an der Aufdeckung des Falschen im Vorhandenen. "Den Privilegcharakter, welchen die Rancune ihr(der Wahrheit, W.B.) vorrechnet, verliert sie dadurch, daß sie sich nicht auf die Erfahrungen herausredet, denen sie sich verdankt, sondern in Konfigurationen und Begründungszusammenhänge sich einläßt, die ihr zur Evidenz helfen oder sie ihrer Mängel überführen. Es dürfte zumindest die Stärke der Denkpraxis sowie der geschichtsphilosophischen Konstellationen Adornos sein, daß ihre Konsequenz nicht eine Geistmetaphysik ist, deren Moral ein ironisches 'alles ist eitel' zimi Prinzip hat. Der Skepsis Adornos gegenüber allen Hoffnungsappellen und Ermutigungen zu verheißungsvollem Vorwärtsschreiten in eine bessere Zukunft um der Freiheit der Menschheit willen,und sei sie auch vom Glauben an die Auferweckung Jesu Christi getragen, korrespndiert keine insgeheime Welt- und Menschenverachtung. Adornos geschichtsphilosophische Denkpraxis gibt vielmehr Zeit, die Details dieser Welt und Gesellschaft genau zu analysieren und vor verallgemeinernder Begrifflichkeit zu schützen. Gerade um der Zukunft der metyphysichen Dimension willen nimmt Adorno umso schärfer und kritischer die immanente und materielle wahr, denn das Nichtige und Vergängliche ist der allegorische Ausdruck des Absoluten. "Wo die Menschen der Gleichgültigkeit ihres Da124) Vgl. Adorno, ND, 8.49: "An denen, die das unverdiente Glück hatten, in ihrer geistigen Zusammensetzung nicht durchaus den geltenden Normen sich anzupassen - ein Glück, das sie im Verhältnis zur Umwelt oft genug zu büßen haben -, ist es, mit moralischem Effort, stellvertretend gleichsam, auszusprechen, was die meisten, für welche sie es sagen, nicht zu sehen vermögen oder sich aus Realitätsgerechtigkeit zu sehen verbieten." 125) Adorno, ND, S.5o.

- 242 seins versichert sind, erheben sie keinen Einspruch; solange sie nicht ihre Stellung zum Dasein verändern, ist ihnen eitel auch das Andere. Wer das Seiende unterschiedslos und ohne Perspektive aufs Mögliche der Nichtigkeit zeiht, leistet dem stumpfen Betrieb Beihilfe. Die Vertiertheit, auf die solche totale Praxis hinausläuft, ist schlimmer als die erste: sie wird sich selbst zum Prinzip. Die Kapuzinerpredigt von der Eitelkeit der Immanenz liquidiert insgeheim auch die Transzendenz, die einzig von Erfahrungen in der Immanenz gespeist wird.(...) Die metaphysischen Interessen der Menschen bedürfen der ungeschmälerten Wahrnehmung ihrer materiellen. Solange diese ihnen verschlei12 6) ert sind, leben sie unterm Schleier der Maja." Adornos 'Glück des Geistes' als metaphysische Erfahrung ist also nicht Weltflucht und seine Versenkung ins Detail nicht die Hypostasierung des Denkens. Vielmehr gilt: Weil das Einzelne kein Letztes ist, ist das konstellative Denken ums Einzelne der einzige Weg, das Nichtidentische im Konkreten zu erfahren; das Glück und die Hoffnung, die Adorno ersehnt, sind nicht ein Harmonisches, sondern eben das Nichtidentische, das weitertreibt. Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie sind deshalb bei Adorno die Konstellation ums Einzelne im Moment des Denkens.

8. Hoffnung und Verheißung auf ein neues Leben strengen an, wenn sie nur nach vorne auf Veränderung und Erwartung eingestellt sind. Moltmann versucht darum das neue Leben kraft des Glaubens an die Auferweckung Jesu Christi nicht nur als Umkehrung der Lebensrichtung, als Zukunftshorizont, sondern auch unter Wahrnehmung der "ästhetischen Seite der A u f e r s t e h u n g " ^ z u interpretieren. Den Glauben gilt es in dieser Hinsicht nicht nur als Hoffnung auszulegen, sondern auch als die antizipatorische Freude im Heute. Neues Leben als die Einheit von Erinnerung und Hoffnung soll die

126) Adorno, ND, S.388f. 127) Moltmann, KK, S. 128.

- 243 Erfahrung von Gnade demonstrieren und diese als "das Fest der Freiheit, als Freude am Dasein und als Ekstase des G l ü c k s " f e i e r n .

"Diese ästhetischen Kategorien

der Auferstehung gehören zum neuen Leben im Glauben dazu; ohne sie werden die Nachfolge Christi und der neue Gehorsam zu einer freudlosen und gesetzlichen Arbeit. Ostern beginnt mit einem Fest, denn Ostern ist ein Fest und macht 12 9 j das von ihm betroffene Leben zu einem festlichen Leben." Die Erfahrung der Befreiung durch die Teilhabe an der Auferweckung Christi, die zum Lied, zum Lachen, zu Spiel und Tanz ermuntert, trägt wohl nach Holtmann "den Charakter der A n t i z i p a t i o n " ^ g l e i c h w o h l spielt sie nicht mit irrealen Möglichkeiten, sondern mit "den realen Möglichkeiten der Zukunft Christi im schöpferischen Geist. Moltmann geht es dabei nicht um ein Absehen von der leidenden und seufzenden Kreatur, sondern das Fest der Freiheit und Freude ist ein Widerspiel gegen die Schmerzen, gegen den Tod. Das Fest der Befreiung, ja der ganze Alltag ist somit für den Christen Widerstand und Trost, nicht nur punktuell, sondern Alltag und Festtag verschmelzen zur messianischen Zeit. Die Teilhabe an der Verklärung bzw. an der Verherrlichung Jesu im Geiste der Freiheit als "Fest ohne Ende prägt das persönliche Leben, den Einsatz für die Befreiung der Bedrückten, Traurigen und Apathischen und den Kampf für eine erfreulichere Welt."^^^^ Der einst apokalyptisch erwartete Sabbat , die messianische Zeit,hat mit der Auferweckung Christi schon begonnen; die eschatologische Orientierung der Christen in die Bewegung der Hoffnung und in die Gemeinschaft der messianischen Gemeinde als Individuum soll freilich nicht einer Entrückung von der Welt dienen, sondern ist die Treue ge-

128) Moltmann, KK, S.128. 129) Ebda. 130) Ebda, S.130. 131 ). Ebda, S. 131 . 132) Ebda, S.133.

- 244 genüber der Erde, um so die Einheit und Kontinuität von Erinnerung ans Kreuz und Hoffnung auf dessen siegreiche Überwindung zu wahren. "Der Lebensstil der messianischen Zeit wird durch die messianischen Leiden geprägt. Er ist selten anders erkennbar denn: 'als die Sterbenden und siehe, wir leben'.^^^Das Kreuz, die Konflikte zwischen Liebe und Leiden, Hoffnung und Trauer sollen nicht übergangen, sondern von Ostern her interpretiert werden. Die Freude über den durch Christus vorweggenommenen Sieg über den Tod ist der Beginn der Verherrlichung des Menschen und in dieser Freude und Verklärung schaut er schon Gott. Aus dieser Perspektive wird dann auch die Welt und die Natur in ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit zur Demonstration der Schöpferkraft und Güte Gottes. "Die Natur zeigt nicht nur das Bild der Selbst- und Arterhaltung zweckdienlicher Strukturen, sondern ein Prangen mit Reichtum und das heißt Freiheit. Durch diese Einbeziehung von ästhetischen Kategorien in die Konzeption einer'Theologie der Hoffnung'in der Kraft des Geistes versucht Moltmann Ethik und Ästhetik miteinander so zu koppeln, daß Hoffnung und Sendung der Christen aufgrund der Verheißung nicht nur zu revolutionärer Ungeduld oder moralischen Durchhalteappellen im Bewußtsein und im Verhalten regrediert. Ethik und Ästhetik sollen in "der Erfahrung Gottes und im Leben des Glaubens untrennbar"^ sein. "Gottes Herrschaft wird zugleich als seine Herrlichkeit und seine Schönheit zugleich als seine Souveränität erfahren. Seine Herrlichkeit läßt sich nicht auf seine Herrschaft und seine Herrschaft nicht auf seine Herrlichkeit reduzieren. Das eine interpretiert und schützt vielmehr das andere vor M i ß v e r s t ä n d n i s s e n . I n der Korrelation von Ethik und Ästhetik kann das Kreuz Christi zur Erkenntnis der Schönheit und der Liebe Gottes werden und solche "Gotteserkenntnis ist auch eine Kunst, und. 133) Moltmann, KK, S.312. 134) Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung ( = FSCH), München 1971, S.27. 135) Ebda, S. 48. 136) Ebda.

- 245 1 37) wenn das Wort erlaubt ist, ein hohes Spiel." Überblickt man diese 'ästhetische Interpretation' der Auferweckung Christi von Moltmann, so kann man sagen, er versucht damit seine Theologie der Hoffnung, deren Schluß138) abschnitte nicht umsonst die 'Hermeneutik der christlichen Sendung' und den 'Beruf der Christenheit an der Gesellschaft' erörtern, zu ergänzen und zu korrigieren. 139) Die drängende Bewegung der Hoffnung und der Imperativ zur Gestaltung des neuen Lebens sollen verlangsamt werden, um Zeit für die Gegenwart - die Freude - zu gewinnen.^ Das von Moltmann angesprochene Verhältnis von Ethik und Ästhetik soll untrennbar und korrelativ sein, dennoch so muß entgegengehalten werden - wird die Ästhetik in den Dienst der theologischen Ethik Holtmanns gestellt. Deutlich wird dies in den funktionalen Bestimmungen der ästhetischen Kategorien. Zum einen soll die Ästhetik dazu dienen, eineGlaubens drohende im Ethisierung bzw. Moralisierung der "Frei141) zu verhindern. heit des neuen Gehorsam" 137) Moltmann, FSCH, S.34. 138) Vgl. Theologie der Hoffnung, Kap,IV §8: Hermeneutik der christlichen Sendung; Kap. V §6: Der Beruf der Christenheit an der Gesellschaft. 139) Moltmann schließt die Theologie der Hoffnung mit dem Aufruf: "Die Welt ist noch nicht fertig, sondern wird als in Geschichte befindlich begriffen. Sie ist darum die Welt des Möglichen, in der man der zukünftigen verheißenen Wahrheit, Gerechtigkeit und dem Frieden dienen kann.(...) Ihr den Horizont der Zukunft des gekreuzigten Christus zu eröffnen, ist die Aufgabe der christlichen Gemeinde." 140) Hatte ursprünglich Moltmann den Aspekt des Zeitlosen und Ewigen abgelehnt( vgl. TH, S.23"der Gott des Parmenides"), so betont er nun diesen Moment. "In diesem Sinn wird Ewigkeit in der Freude erfahren. Denn die höchste Zeiterfahrung der Freude ist ihre eigene Intensität. (.., ) Ewigkeit ist in dieser Erfahrung unendlich, denn in der Freude kann man 'kein Ende finden' " (FSCH, S.42f.). 141) Moltmann, KK, S.128.

- 246 zum andern fragt Holtmann, welche Funktion "Glück, Spiel 1 42 ) und Freude in unserer Gesellschaft" haben können. Ihre Funktion und ihre Berechtigung haben sie nur als Antizipation der Zukunft des erlösten Lebens und nur so sind sie nicht nur Entlastung und Kompensation für alltägliche Frustrationen. Wohl soll der Gottesdienst als messianischer Lebensstil die "Priorität vor der Ethik"^^^^ behalten, aber diese Vorordnung dürfte Holtmann kaum durchgehalten haben, wenn er diesen Lebensstil, der "mehr Freiheit ins alltägliche Leben bringen" 1 44 )soll, geprägt sein 145) läßt von der "Erinnerungsarbeit und Hoffnungsarbeit." Die Feier, der Tanz und das Spiel werden so zur Arbeit der Antizipation, zum Sich-etwas-vorspielen und dazu, sich das Ganze, den Sinn des L e b e n s ^ z u demonstrieren. Das sinnvolle Ganze wird im Glauben vorweggenommen und als Fest und im Fest realisiert und so zugleich Impuls zu neuer Tat. Die messianische Zeit, wie sie Moltmann verstanden und mit ästhetischen Kategorien interpretiert hat, ist dennoch nicht die erstrebte^ sabbatische Ruhe und der Frieden, 147)sondern eher Aktion, Bewegung, Arbeit und Happening. "Den Armen das Evangelium des Reiches zu verkünden, Kranke zu heilen, Verachtete anzunehmen. Gefangene zu 142) 143) 144) 145) 146)

Moltmann, FSCH, S.lo. Moltmann, KK, S. 298. Ebda, S.3o1. Ebda, S.3o8. Vgl. ebda: "Der Sinn, den wir in unserer Zukunft sehen, bestimmt die Bedeutung, die wir dem Vergangenen beimessen. Zur Kontinuität der Lebensgeschichte gehört darum der Entwurf im Blick auf ein sinnvolles Ganzes."

147) Moltmann inszeniert nahezu einen 'faustischen' Lebensstil, denn die christliche Gemeinde schafft mit ihren Aktionen " im Innern hier ein paradiesisch Land" und es drängen sich weitere Verse auf: "Solch ein Gewimmel möcht'ich sehn. Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die. Spur von meinen Erdentagen Nicht in Äonen untergehn.Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick." (Goethe, Faust II, IISBoff.)

- 247 befreien und mit Hungrigen zu essen und zu trinken, ist das Fest Christi in der Geschichte Gottes mit der Welt."^^®^ In solcher Einordnung der ästhetischen Kategorien in humanitäre Aktionen dürfte die Wahrheit des Ästhetischen um sein Bestes gebracht sein. Moltmann verfolgt in der Anwendung der von ihm gewählten ästhetischen Kategorien die Intention der Ästhetik Kants, wenn er die ästhetische Bedeutung der Auferweckung Christi durch den Begriff der Transfiguration auslegt. Mit dem Begriff der Transfiguration intendiert Moltmann die Kant149) sehe Einbildungskraft als produktives Erkenntnisvermögen, die den "erhöhten, verklärten und verwandelten Mensch G o t t e s " ^ a l s Schönheit und Vollkommenheit begreift und verwandelt. Schönheit wird so wie bei Kant zum Symbol der Sittlichkeit; die Wirkung der Herrlichkeit des Auferstandenen auf die Gläubigen ist der Wandel im "neuen Leben"^^^'. Kant hat bekanntlich Schönheit als Zweckmäßigkeit eines.Gegenstandes ohne Vorstellung eines Zweckes definiert. Nun sagt Kant wohl mit Absicht nirgends, was das sei, das die Wirkung der Schönheit beim Betrachter hervorruft. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, daß die sogenannte ästhetische Erfahrung bei Kant als rein passives Hinnehmen von äußerlich auf sie Wirkendem nicht verstanden werden kann, daß vielmehr die Erfahrung, wenn in ihr der ästhetische Gehalt konstituiert wird, auch als subjektive Leistung der reflektierenden Urteilskraft beschrieben werden muß. Die Leistung besteht zunächst im Gewahrwerden, daß das vorliegende Besondere des Gegenstandes sich der Einordnung nicht fügt und die hinzubringenden Allgemeinbegriffe nicht einfach passen, sodann in der darauf antwortenden Bewegung, die die Urteilskraft auf sich selbst zurückbringt, und das heißt auf ihre vermittelnde Funktion zwischen Besonderem und Allgemeinem. Als Reflexion wird die Urteilskraft selber 148) Moltmann, KK, S.298. 149) Vgl. I.Kant, Kritik der Urteilskraft, §49(A 19of.): "Die Einbildungskraft(als produktives Erkenntnisvermögen) ist nämlich sehr mächtig in Schaffung gleichsam einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt. Wir unterhalten uns mit ihr, wo uns die Erfahrung zu alltäglich vorkommt; bilden diese auch wohl um: zwar noch immer nach analogischen Gesetzen, aber doch auch nach Prinzipien, die höher hinauf in der Vernunft liegen ...". 150) Moltmann, KK, S.128. 151) Ebda. 152) Kant, a.a.O., § 19 (A 6o).

- 248 sich so in ihrem Vermitteln bewußt. Kant beschreibt anhand dieser reflektierenden Urteilskraft die Struktur ästhetischer Erfahrung. Ihre Reflexionsleistung ist das, was Kant 153) dann auch die Belebung der Erkenntniskräfte und der Anregung des Lebensgefühls nennt. R.Bubner sieht darin dann eine wesentliche Erkenntnis Kants, daß er die "ästhetische Erfahrung in der Spannung zwischem sinnlichem Angerührtsein und schöpferischem Leisten" 154) identifiziert hat. Daß dann weiter solche Darlegung der ästhetischen Erfahrung letztlich diese in die Nähe der praktischen Philosphie bringt, hat nicht zuletzt F.Schiller dazu veranlaßt, sein Programm der "Ästhetischen Erziehung des Menschen" zu entwerfen. Die Vermittlungsleistung der reflektierenden Urteilskraft erscheint bei Schiller dann im wesentlichen Moment des Spiels, das die Freiheit des Menschen ermöglicht und verwirklicht. 156) Moltmann übernimmt bzw. fügt sich in die Tradition dieser ästhetischen Konzeption ein, denn die Transfiguration Christi löst bei den von ihr Ergriffenen den ästhetischen Spieltrieb aus und gestaltet sich als Fest der Freiheit Ostern - von dem dann gesagt wird: "das Fest der Freiheit ist selbst die festliche Befreiung des Lebens." 157) Für Schiller war die Freiheit, die durch das ästhetische Spiel ermöglicht wurde noch nicht Realität, wenngleich das Spiel "Freiheit zu geben durch Freiheit" 158) berufen ward. Das Schillersche Reich des 'schönen Scheins' wird bei Moltmann zur empirischen Realität zu bestimmter Zeit, in bestimmten Räumen und für bestimmte Leute. Mit diesem Exkurs zur Herkunft und der Relevanz der ästhetischen Konzeption Moltmanns sollte gezeigt werden, in welchen Rahmen Moltmann seine Ausführungen zum "Fest der Freiheit" einspannt und daß seine Vorordnung der Ethik vor der Ästhetik im Blick auf die Herkunft seiner Begrifflichkeit durchaus ihre Logik besitzt. 1 59 ) Adorno, der mit seinen Ausführungen zum Naturschönen durchaus auch an die Ästhetik Kants anknüpft, lehnt jedoch die - vor allem durch Schiller weitergeführte und populär gemachte - ethische und pädagogische Konsequenz der Kant153) Kant, a.a.O., § 12 (A 37f.). 154) R.Bubner, Über einige Bedingungen gegenwärtiger Ästhetik, in: neue hefte für philosophie, Heft 5, Göttingen 1973, S.67. 155) F.Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen, in: F.S., Werke in drei Bänden, hg. von HG, Göpfert, Bd.II, München 1 966, S.445ff. 156) Schiller, ebda, S.511f., 518. Vgl. dazu Adorno, ÄTH, S.154, 47o; H.Kraft, Um Schiller betrogen, Pfullingen 1978. 157) Moltmann, KK, S.13o. 158) Schiller, a.a.O.,S.519. 159) Vgl. diese Arbeit S.149ff.

- 249 sehen Ästhetik ab. Gerade die von Moltmann gehandhabte Umformung der ästhetischen Kategorien in theologisch-ethische Dimensionen, zeigt nach Adorno die verhängnisvolle zugrundeliegende Unterscheidung von Form und Inhalt^ wie sie im Gefolge von Kant praktiziert wird. Moltmann übernimmt die ästhetischen Kategorien - Spiel, Schönheit Tanz - nur formal und füllt sie theologisch-ethisch aus. Beispielhaft kann das an der Kategorie des Spiels bei Moltmann gezeigt werden, wenn er die christliche Freiheit als den neuen Gehorsam gegenüber dem Auferstandenen als "Spiel der Liebe, die das Rechte tut, wenn sie tut, was sie mag"^^]^ interpretiert bzw. damit die ästhetische Kategorie für theologisch-ethische Sachverhalte benützt. Die formale Übernahme dieser Kategorie scheint für Moltmann die Gewähr zu bieten, auch die ästhetische Dimension des Spielcharakters von Kunst - Freiheit - nicht zu verlieren. Für Adorno regrediert durch solche Transfiguration das Spiel von seinem Kunstcharakter zu demjenigen, dem solche Transfiguration entgehen wollte: Zweckrationalität bzw. Unfreiheit.^^^^ Das Verhältnis von Spiel und Praxis ist komplexer als es in Schillers Ästhetik ausgeführt wird und von Moltmann 'verwendet'. Adorno sieht im Spielmoment der Kunst selbst ein Nachbild von Praxis, das gerade nicht Freiheit evoziert, sondern Zwang. "Tun in jeglichem Spiel ist eine inhaltlich der Beziehung auf Zwecke entäußerte, der Form, dem eigenen Vollzug nach jedoch festgehaltene Praxis. Das Wiederholungsmoment im Spiel ist das Nachbild unfreier Arbeit, so wie die außerkünstlerisch dominierende Gestalt des Spiels, der Sport, an praktische Verrichtungen gemahnt und die Funktion erfüllt, Menschen auf die Anforderung der Praxis, vor allem durch reaktive Umfunktionierung physischer Unlust in sekundäre Lust, unablässig zu gewöhnen, 163) ohne daß sie die Kontrebande von Praxis bemerkten." 160) Vgl. Adorno, ÄTH, S.21 Iff; 524ff. 161) Moltmann, FSCH, S.54. 162) Vgl. Adorno, ÄTH, S.47o: "Im spezifischen Spielcharakter verbündet sich Kunst, schroff der Schillerschen Ideologie entgegengesetzt, mit Unfreiheit." 163) Adorno, ebda, S.471.

- 2 5ο Spiel ist für Adorno wesentlich die Nötigung zmn Immergleichen und der Gehorsam gegenüber den Spielregeln wird von ihm als Ritualisierung und repressive Veranstaltung gesehen. "Nur wo Spiel des eigenen Grauens innewird, wie bei Beckett, partizipiert es in Kunst irgend an Versöhnung. Ist Kunst so wenig ganz ohne Spiel denkbar wie ganz ohne Wiederholung, so vermag sie doch den furchtbaren Rest in sich als negativ zu bestimmen. Das Spielmoment in der Kunst und erst recht für sich genommen, muß nach Adorno in dieser Gesellschaft zum leeren Spiel werden. Gerade weil der Begriff der Form andererseits das Zentrum der Ästhetik Adornos ausmacht, bedarf es einer großen Anstrengung, ihn zu denken. "Der Formbegriff markiert die schroffe Antithese der Kunst zum empirischen Leben, in welchem ihr Daseinsrecht ungewiß ward. Kunst hat soviel Chance wie die Form, und nicht mehr."^®^^ Deshalb impliziert die ästhetische Form den Wunsch, nichts ünfiltriertes ins Kunstwerk aus dem bloß Seienden einfließen zu lassen und insofern konvergiert Form mit Kritii^i^hlechthin bei Adorno. Was Form im und durch das Kunstwerk leistet-, erbringt es nicht ebenso losgelöst davon, so wenig wie der Inhalt als Ablösbares, als Idee seine Geltung behält, wie noch Hegel sich das dachte. "Er wie Kant denken hinter den ästhetischen Phänomenen her; dieser hinter dessen Tiefe und Fülle, jener hinter dem spezifischen Ästhetischen daran. Mit diesen Überlegungen sollte deutlich werden, daß Moltmanns Verwendung ästhetischer Kategorien eine Reduzierung dieser impliziert, die nicht dadurch gelöst wird, daß sie affirmativ mit theologischen Inhalten angereichert werden. Das Verhältnis von ästhetischem und theologischem Denken bedarf gründlicherer Überlegungen.

164) 165) 166) 167)

Adorno, ÄTH, S..470. Ebda, S.213. Vgl. die Ausführungen dieser Arbeit S.143. Adorno, ÄTH, S,529.

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9. In einem letzten Abschnitt muß noch genauer auf das schon angesprochene Verhältnis von Theorie und Praxis eingegangen werden, da dies im Blick auf Moltmanns Theologie wie auf Adornos Geschichtsphilosophie einen zusammenfassenden Aspekt erbringt. Der Versuch Moltmanns - ja fast durchgängig aller Theologie - die Erkenntnis und den Glauben an die Rettung und Versöhnung des Menschen durch Gott, gesellschaftlich zu vermitteln und diese Hoffnung gesellschaftlich-praktisch zu verantworten (vgl. 1.Petr. 3,15), indem diese Hoffnung appliziert wird zur Sendung der Befreiung aller und zum Fest der Befreiten, ist im Sinne Adornos an einem Praxismodell orientiert, das auf subjektives Engagement wie auf gesellschaftliche Totalität aus ist. Da für Adorno alle 'soteriologischen' Kategorien in Konstellation mit ästhetischer Erfahrung und Reflexion stehen, wehrt er sich gegen eine unmittelbare Anwendung sowie gegen eine Theorie von Praxis, die Ansprüche an die Wirkung und praktische Verwertbarkeit von ästhetischen Gebilden stellt. Es geht Adorno nicht darum, grundsätzlich die Bedürfnisse nach Trost, Hoffnung und Festlichkeit als von vornherein falsch oder ideologisch abzutun, sondern darum, ihre gängigen Befriedigungen - seien sie individuell oder kollektiv als Unfreiheit und Ideologie zu entlarven. Hoffnung und Verheißung auf Versöhnung und Erlösung können nach Adorno nicht als Fest der Freiheit realisiert oder öffentlich praktiziert werden. Praxis - und sei es die der Befreiung bzw. des Spiels - ist immer noch die Blindheit und Gewalttätigkeit des Reflexes von Lebensnot, ist also nie direkter Ausdruck von Freiheit und metaphysischer Erfahrung. "Praxis tendiert ihrer schieren Form nach zu dem hin, was abzu168) Adorno hat sich in dem Aufsatz "Engagement"(NL III, S.1o9ff.) mit diesem Problem und speziell mit dem der engagierten Literatur - besonders mit B.Brecht - auseinandergesetzt. Adorno weiß, daß jedes Kunstwerk auf die Herstellung richtigen Lebens zielt; er sieht darin aber keine Vermittlung als ein Mittleres zwischen Engagement und Autonomie der Werke, sondern er betont, den Primat der Form, d.h." den Kunstwerken ist aufgebürdet, wortlos festhalten, was der Politik versperrt ist"(NL III, S,134).

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schaffen ihre Konsequenz wäre; Gewalt ist ihr immanent und erhält sich in ihren Sublimierungen, während Kunstwerke, noch die aggressivisten, für Gewaltlosigkeit stehen. Sie setzen ihr Memento wider jenen Inbegriff des praktischen Betriebs und des praktischen Menschen, hinter dem der barbarische Appetit der Gattung sich verbirgt, die so lange noch nicht Menschheit ist, wie sie von ihm sich beherrschen läßt und mit Herrschaft sich fusioniert." •.9) Kunst ist Kritik von Praxis als Unfreiheit und Hoffnung; und die Versöhnung als kritischer Wahrheitsgehalt der Kunst kann nach Adorno nicht in gesellschaftliche Aktionen und Veranstaltungen umgesetzt werden, wenn sie nicht gleichzeitig damit ihrer Form, d.h. ihrem Gehalt wesentlich schaden will. Freilich ist dieser Wahrheitsgehalt der Kunst - Versöhnung - auch nicht einfach im subjektiven Erlebnis zu bewahren. Die Erfahrung von Kunst als dem Schein von Glück und Versöhnung ist mehr als subjektives Erlebnis, "sie ist Durchbruch von Objektivität im subjektiven B e w u ß t s e i n . I n solcher Wirkung ist Kunst in der unfreien Gesellschaft nach Adorno der Statthalter der Freiheit, nicht schon derer· Antizipation, die zur richtigen Praxis anleiten könnte. Glück und Versöhnung, die messianische Zeit, ist für Adorno also jenseits von gesellschaftlicher Praxis und damit auch jenseits von Kunst, denn auch sie ist ein Gemachtes. "Die Frage nach der Wahrheit eines Gemachten ist aber keine andere als die nach dem Schein und nach seiner Errettung als des Scheins von Wahrem. Glaubt Moltmann, daß durch die Auferweckung Jesu Christi der Hoffnungsgrund zum Heil für alle gelegt wurde und dieser Glaube sich in seiner theologischen Explikation durchs Kreuz des Alltags und der Geschichte bewährt und im Fest des Gottesdienstes auch realisiert, Ostern also nicht nur Schein des Andern, sondern schon Teilhabe an der einstigen gänzlichen Vollkommenheit Gottes ist, so sieht Adorno 169) Adorno, ÄTH, S.359. 170) Ebda, S. 363. 171) Ebda, S, 198.

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in den Kunstwerken bzw. in den ästhetischen Erfahrungen und in der Naturgeschichte mittels des Geistes in der Vernunft nur die Möglichkeit des möglichen Andern. Die Weltgeschichte als Naturgeschichte ist die ständige Erinnerung und Erfahrung dessen, daß Versöhnung und Erlösung ausstehen, sein könnten; Gewordenes und Gemachtes und Gedachtes gewähren nicht schon Teilhabe am Ganzen. "Kein daseiendes, erscheinendes Kunstwerk ist des Nichtseienden positiv mächtig. Das scheidet die Kunstwerke von den Symbolen der Religionen, welche Transzendenz der unmittelbaren Gegen172) wart in der Erscheinung zu haben beanspruchen." Es ist die Sehnsucht nach dem Mehr, dem begrifflich Evidenten, die die Theologie mit Adornos Ästhetik und Geschichtsphilosophie verbindet. Wie diese Sehnsucht im Begrifflichen und durch sein Medium bewahrt werden kann, ist die gemeinsame Verantwortung.

172) Adorno, ÄTH, S.2o4.

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III. Gott als Geheimnis Zur Konstitutionsproblematik von Glauben und Denken bei E.Jüngel und Adorno Der Versuch, die Theologie Jüngels^' mit den philosophischen und 'invers-theologischen' Konstellationen Adornos ins Gespräch zu bringen, stellt vor einige Schwierigkeiten.. Wie soll eine so dezidierte theologische Sprach- und Glaubenslehre wie die Jüngels mit dem bewußt vagen, aphoristischen und letztlich nichtchristlichen Denken Adornos zusammengebracht werden? Diese Frage so formuliert, verweist wiederum darauf, daß es nicht darum geht, Jüngels grundsätzliche theologische Intention von Adorno her als inadäquat darzustellen. Es geht vielmehr nur darum, Anfragen von der einen zur anderen Seite zu stellen, denn so können auf mögliche immanente Aporien, fehlerhafte Begründungszusammenhänge und methodische Schwächen hier und da aufmerksam gemacht werden. Nützlich für die Theologie kann eine Gegenüberstellung von Jüngel und Adorno also deshalb sein, weil dadurch die jeweilige Methode und Denkbewegung auf ihre Prämissen und Konsequenzen hin jeweils untersucht wird. Genauer: es interessiert, wie Erkenntnis in der Konstellation von Denken

1) Im folgenden geht es nicht um eine Besprechung sämtlicher Schriften Jüngels, sondern nur um die seines theologischen Entwurfs zur Gotteslehre: "Gott als Geheimnis der Welt", Tübingen 1977. - Daß dieses Buch jedoch als vorläufige Summa des theologischen Denkens von Jüngel gelten kann, dürfte angesichts der Breite der darin aufgeworfenen Probleme und der ausdrücklich auch zur Sprache gebrachten Christologie vom menschgewordenen und gekreuzigten Gott, nicht strittig sein. Als 'theologischen Gesamtentwurf' wird denn auch Jüngels Abhandlung durchgehend von seinen Rezensenten bewertet. Vgl. F.X.Bantle, Nichttheistisch Gott denken und aussagen. Zu E.Jüngels Buch Gott als Geheimnis der Welt, in: Münchner Theol. Zeitschrift Jg.29/1978, S.412ff.; H. Graß, Literatur zur systematischen Theologie, in: ThR 1979/Heft 2, - zu Jüngel - S.157ff.; W.Kasper, Abschied vom Gott der Philosophen, Rezension von E.Jüngel 'Gott als Geheimnis der Weithin: Ev.KOmm. 1977, S.622f.

- 255 und Glauben bzw. von Denken und Erfahren bei Jüngel und Adorno zustande kommt und wie sie sich als solche ausweist. Ist Jüngel darauf aus, nicht am Denken vorbei zum Glauben an Gott und zum 'Gott-denken' zu kommen^', und versucht Adorno gegen alle Wissenschafts- und Faktengläubigkeit auf metaphysische Erfahrungen nicht zu verzichten, so dürfte der beiderseitige Anspruch auf Wahrheit^^ als der Ort der Begegnung wie der der Prüfung gelten können. Das kann im Blick auf die folgende Darstellung nur heißen. 2) Schon im Untertitel seiner Abhandlung macht Jüngel auf die abendländische Geschichte des Denkens als Begleiter seiner theologischen Bemühungen aufmerksam, denn er schreibt seine Abhandlung "Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus". - Vgl. ebenfalls: "Die christliche Theologie muß vielmehr bei der Erarbeitung ihres Gottesbegriffs das Geschäft des Denkens noch strenger betreiben, als es die Philosophie mit ihrem Gottesbegriff getan hat. Abschied vom 'Gott der Philosophen' ist also alles andere als Abschied von der Pflicht, Gott zu denken" (Jüngel, a.a.O., S.269). 3) Angemerkt werden muß hier freilich sofort, daß Jüngel und Adorno hinsichtlich der Wahrheit jeweils verschiedene Akzente setzen. Wenn Jüngel schreibt, daß es zur Eigenart des Glaubens gehöre, "daß er zu je seiner Zeit einer Wahrheit zum Ausdruck verhilft, die zwar nicht jederzeit erfahrbar, aber gleichwohl jederzeit wahr ist" (Jüngel, S.517), so will er trotz dieser 'unverfügbaren' Wahrheit im Blick auf das Problem der Sagbarkeit Gottes "die Arbeit am Gottesgedanken vom Interesse an einem allgemeinverbindlichen Gottesbegriff geleitet sein lassen"(S.312). Das kann nur heißen, daß Jüngel die Wahrheit des Glaubens auch für die Vernunft und deren Regeln evident machen will. In ähnlicher Weise versucht Adorno im Anschluß an Hegel Wahrheit in der "Konstellation von Subjekt und Objekt" (ND,S.131) als Prozeß zu begreifen. "Wahrheit entäußert sich ihrer Subjektivität: weil kein subjektives Urteil wahr sein kann und doch ein jegliches muß wahr sein wollen, transzendiert Wahrheit zum An sich. Als derart übergehende jedoch, so wenig bloß gesetzte wie bloß enthüllte, ist sie unvereinbar auch mit dem von Ontologie Erfragten" (H, S.52f.). Jüngel wie Adorno stellen sich, wenn auch in jeweils anderer Wendung, gegen eine nominalistische reduktible Idee von Wahrheit; das berechtigt durchaus, von einem gemeinsamen Interesse an der Wahrheit, die über Empirisches hinausgeht, zu sprechen. - Vgl. auch: J.Möller, Wahrheit als Problem, Traditionen - Theorien - Aporien, München/ Freiburg 1971.

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weder dem Glauben an Gott, den Vater Jesu Christi noch der Erfahrung und dem Bedürfnis nach Erlösung als solcher gilt in erster Linie der kritische Blick, sondern dem jeweiligen Verhältnis dieses Glaubens und dieses Bedürfnisses zu seiner reflexiven Vermittlung im Prozeß des Denkens. Das Interesse der Konstellationen von Jüngels und Adornos Positionen geht letztlich auch darauf aus, die Warnung Kants einzulösen, wonach nicht nur die "Möglichkeit der 4) Begriffe" geprüft werden sollte, sondern auch ihr Verhältnis zur Wirklichkeit der Alltagserfahrungen. Wenn - was die folgende Untersuchung zeigt - Jüngels theologische Arbeit nicht hinter Kants "Kritik der reinen Vernunft" erkenntnistheoretisch zurückfallen will, und Adorno umgekehrt, die Grenzen dieses Ansatzes bzw. den'Block' von Kants Erkenntnisgrenzen^^ durchbrechen will, so muß sich zeigen lassen, wie in dieser gemeinsamen Intention, Glauben und Denken ihrer Wahrheit, die ihren Ausweis in Freiheit und Verstehen hat, gerecht wird.^' 1. Jüngels Theologie kann als der Versuch gekennzeichnet werden, nicht nur die Wahrheit des christlichen Glaubens immanent zu erläutern, sondern ihn auch vor dem Forum des fortgeschrittensten Bewußtsein der Zeit zu verantworten.

4) I.Kant, Kritik der reinen Vernunft, Das Ideal der reinen Vernunft, (A 596). 5) Vgl. Adorno, ND, S.375ff. Adorno bezeichnet "die Theorie von den Grenzen möglicher positiver Erkenntnis" als den "Kantischen Block"(ND,S.376). Adornos Kritik daran lautet: "Nur wenn die Dichotomie von Form und Inhalt absolut wäre, dürfte Kant behaupten, die Dichotomie verwehre jeglichen nur aus den Formen kommenden, nicht materialen Inhalt. Eignet den Formen selbst dies matereiale Moment, so zeigt sich der Block als geschaffen von eben dem Subjekt, das er hemmt"(ND, S.377). 6) Es wird sich auch im folgenden zeigen, daß Adornos Kritik nicht primär gegen den Glauben und seiner Wahrheit sich richtet, als vielmehr gegen die Form seiner theologischen Explikation.

- 257 Jüngel will mit seinen Untersuchungen sich und allen Theologen Rechenschaft darüber geben, wie groß einerseits die Schwierigkeiten sind, die auftreten, wenn man heute in theologischer Weise Gott denken will und wie notwendig andererseits ein solches Unternehmen ist, wenn anders der Glaube nicht sprachlos und irrational werden soll. Die Betonung der Notwendigkeit dieser theologischen Arbeit liegt dabei nicht nur im Sinne einer Dringlichkeit angesichts der Erfahrungen der Gläubigen in dieser Welt, dem Stand der philosophischen Denkpraxis und der Situation der Kirchen und der Theologie in dieser Gesellschaft; die Notwendigkeit ergibt sich viel mehr nach Jüngel um Gottes willen, denn von ihm zu reden bzw. Gott zu denken, ist "mehr als notwendig".^^ Mit diesem 'Mehr' will Jüngel darauf hinweisen, daß Gott adäquat zu denken nicht heißen kann, ihn im Sinne irgendwelcher erkenntnistheoretischer Prinzipien denken zu müssen, sondern nur heißen kann, Gott in der Fülle seiner Selbstoffenbarung nachzudenken. Dabei versucht Jüngel nicht den Glauben ans Wort Gottes als vernünftig zu beweisen, sondern das 'Mehr' der Theo-logik gegenüber aller vernünftigen Anthropologik liegt nach ihm in der Immanenz des Glaubens selbst, d.h. der gestifteten Ermöglichung, Gott zu denken und zu sagen, wie Gott ist. Jüngel will so mit seinen theologischen Untersuchungen die Objektivität Gottes als der Erfahrung von Liebe darstellen im Medium der Analyse der subjektiven Bedingungen der Erkenntnis des Glaubens. Insofern unternimmt es Jüngel, in extremer Weise 'analogisch' die Momente des Subjektiven und die des Objektiven in der Rede von Gott als das eine durch das andere ermöglicht, darzustellen. Die Methode soll gewährleisten, daß der Satz: "Gott als Geheimnis der Welt 8) hat seine anthropologischen Entsprechungen" expliziert und zum Verstehen kommen kann. Nicht nur um Jüngels theologische Intention theologiegeschichtlich einzuordnen, sondern vor allem um das Feld bzw. 7) Jüngel, ebda{=Gott als Geheimnis der Welt), S.3o u.ö. 8) Ebda, S.534.

- 258 die Marksteine seiner theologischen Arbeit - formal wie inhaltlich - abzustecken, kann gesagt werden, daß Jüngel eine dialektische Vermittlung der theologischen Positionen von Schleiermacher und Barth anstrebt. Schleiermacher, der ihm als Vertreter des subjektiven Moments und Barth als der des objektiven gilt, sollen durch ihre Extreme so vermittelt werden, daß Gott "mehr als notwendig" gedacht werden kann, weil eben nur so Gottes Liebe und seine freimachende Gnade zur Sprache kommen kann. Gott zu denken soll begreiflich machen und darüber aufklären, daß Gottes Liebe in seiner Selbstoffenbarung den 9) Menschen nicht zu deren Annahme mehr oder weniger zwingt bzw. die menschliche Vernunft überrumpeln will, sondern daß Gottes 'Mehr' das seiner Identität mit dem gekreuzigten Jesus ist. Gottes überzeugende Liebe ist das Mitleiden und Mitsterben mit allen M e n s c h e n . D i e Ohnmacht des 'Wortes vom Kreuz'(1.Kor.1,18) kann dann nach Jüngel als das Entscheidende "zwischen Sein und Nichtsein"^^^ freiwillig angenommen werden, um so dem Tod nicht das letzte Wort zu lassen. Indem Jüngel somit das dunkle Wort vom "Tode Gottes"^^^ im Gefolge Hegels aufnimmt, versucht eradas durch die - vor allem frühe - Barthsche Theologie und unterstützt durch 9) Damit soll dem von D.Bonhoeffer gegen Barth erstmals erhobene Vorwurf des Offenbarungspositivismus(vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München 1951, S.179) die Spitze genommen werden. Vgl. auch W.Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt 1973, S.274; P.Eicher, Offenbarung, München 1977, S.239ff. 10) Vgl. Jüngel, ebda, S.5o3: "daß Jesus Christus als Mensch zugleich die Person ist, in der Gott selbst die Gottverlassenheit des Menschengeschlechts erträgt, das macht den Kreuzestod Jesu Christi zum Heilsereignis schlechthin." - Eicher kommentiert die Intention Jüngels dahingehend: "Entschiedener als bei Barth wird hier das exklusiv als Offenbarungsgeschehen gefaßte Versöh^ungsgeschehen- auf seine alle Menschlichkeit inkludierende Konsequenz hin entfaltet und argumentativ in die Begründungszusammenhänge gerade auch der zwar nicht glaubenden, aber trotzdem noch vernünftigen Menschen hineingetragen"(Eicher, a.a.O., S.257). 11) Jüngel, ebda, S.43. 12) Ebda, S.83ff; 132ff.

- 259 die metaphysischen Denktraditionen entstandene Mißverständnis abzubauen, Gott sei eine überweltliche, ganz andere und vom Menschen total getrennte Größe. Nicht Gott als in seiner Göttlichkeit allmächtig und unwandelbar ewig gilt es zu denken, sondern zusammen mit der Vergänglichkeit des Gekreuzigten. Denn behauptet man Gott "als das schlechthin jenseitige Wesen, als ein letztes Jenseits alles Jenseitigen, dann stellt die Notwendigkeit, immer auch noch ein Jenseits alles Jenseitigen zu denken, zugleich die Unmöglichkeit dar, ein so bestimmtes göttliches Wesen überhaupt zu denken. 1 4) Die Anknüpfung an Schleiermacher darf nun freilich nicht im Sinne Jüngels so gedeutet werden, daß die Betonung der Menschlichkeit Gottes dem subjektiven Bedürfnis des Menschen nicht entgegenkomme, wohl aber steht sie gegen die religiöse Anschauung, als könne Gottes Unendlichkeit und seine Unbegreiflichkeit eben nur analog dem Endlichen der vergänglichen Natur begriffen werden. Die Menschlichkeit Gottes wird von Jüngel nicht anthropologisch begründet, sondern streng theologisch. Das heißt, der krönende Satz der Gotteslehre Schleiermachers: "Gott ist die Liebe"^^' wird von Jüngel streng trinitarisch ausgelegt, um so gegen Schleiermacher deutlich zu machen, daß Theologie sicher nur in Analogie, will sagen in menschlichen Worten von Gott reden kann, diese Analogie aber nicht eine Projektion des Menschen auf Gott ist, sondern eine solche, die Gott selbst stiftet. "Denn in Glaube, Liebe und Hoffnung wird der Mensch so angesprochen, kommt ihm der von sich aus redende Gott so nahe, daß der Mensch von Gottes Heiligem Geist, 'in, mit und unter den Erscheinungsweisen von Wirklichkeit' , also ganz und gar unsichtbar und doch ganz und gar konkret bestimmt wird."^^^ Durch die trinitarische 13) Jüngel, ebda, S.133. 14) Ebda, S.27. Jüngel spricht denn auch an zentralen Stellen vom 'großen Schleiermacher', so S.124,249,5o7. 15) F.Schleiermacher, Der christliche Glaube, hg. von M. Redeker, Berlin 196o, Bd. II, § 167, S.449f. 16) Jüngel, ebda, S.535.

- 26ο Gestalt seiner Theologie will Jüngel gegen Schleiermacher deutlich machen, daß der Unterschied zwischen Gott und Mensch gerade nicht so zim Ausdruck kommen darf, daß die Liebe auf die Seite des Menschen, Gott aber auf die Seite des letztlich jenseitig Unbegreiflichen zu stehen kommt. Die trinitarische Gestalt der Theologie soll verhindern, daß nicht "zu guter Letzt doch Gott zum Prädikat menschlicher L i e b e w i r d . Wenn nun Jüngel so mit und zugleich gegen Schleiermacher und Barth denkt, so ist dadurch auch seine grundsätzliche Kritik an der abendländischen metaphysischen Tradition impliziert. Um deutlich machen zu können, daß christliche 18) Theologie sowohl "ausschließlich Offenbarungstheologie" zu sein hat und deshalb sich trinitarisch explizieren muß, als auch, um zu "denken, was wir glauben" auf diese Weise den Aberglauben zu ersticken, muß Jüngel eine umfassende Kritik der nach seiner Meinung wirkungsvollsten theologischen und erkenntnistheoretischen Positionen der Neuzeit durchführen. Dabei versteht Jüngel eine solche Kritik ganz im Kantschen Sinne, d.h. nicht als bloße Entgegensetzung des biblischen Glaubens gegen die Macht des Zweifels, sondern Kritik als Durchführung und Entscheidung darüber, was der Vernunft aus sich heraus möglich ist. Kants Position ist dabei für Jüngel formal der terminus ad quem: die religionskritischen Positonen Fichtes, Feuerbachs und Nietzsches sind für ihn nur mehr der Beweis dafür, daß die von Kant aufgezeigte Aporie des im 'Ich denke' sich konstituierenden Denkens^°^Gott gerade nicht als Gewährsmann solchen Denkens sicherstellen kann. "Die Folgen dieser Selbstbegründung des Denkens für den metaphysischen Gottesbegriff zeigten sich bereits im Ansatz bei Descartes. Das über so etwas wie Existenz entscheidende cogito setzte 17) 18) 19) 20)

Jüngel, ebda, S.453. Ebda, S.144. Ebda. Vgl. ebda, S.171ff; dazu vgl. Adorno, PhT I, S.118ff.

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sich selbst zwischen die essentia dei und die existentia dei und zersetzte so den als Einheit von Wesen und Existenz gedachten Gottesbegriff. Das 'Ich denke' stand fortan zwischen Gott und Gott. Es zersetzte damit aber seine 21 ) eigene Gottesgewißheit. " Hat sich damit für Jüngel der Versuch der neuzeitlichen Metapyhsik als brüchig erwiesen, so ist ihm doch die Position Kants insofern wichtig, als Kant im Blick auf den praktischen Gebrauch der Vernunft Gott sehr wohl denken kann bzw, sogar denken muß. "Die praktische Notwendigkeit, Gott zu denken, kann - obwohl Gott als moralischer Gesetzgeber nicht unter die Bedingungen der Sinnlichkeit fällt - nicht verwirklicht werden, ohne Gott zumindest in Analogie zu den vom 'Ich denke' begleiteten Vorstellungen 22 )

zu denken." Wenngleich denn auch Jüngel die von Kant verwendete Verhältnisanalogie als Ermöglichung philosophisch verantwortlicher Rede von Gott ablehnt, so versucht er doch in Parallele zu Kant, theologische Erkenntnis nicht mehr vom 'Ich denke' aus zu konstituieren, sondern vom 'Ich glaube', das seinen Ort im Wort als dem der Denkbarkeit Gottes hat. Damit stellt sich Jüngel für sein theologisches Programm zwei grundsätzliche Aufgaben: 1. Gott so zu denken, wie er ist und 2. das Denken so zu denken, "daß es überhaupt nicht mehr darauf bedacht sein kann, zwischen Gottes We23 ) sen und Gottes Existenz einzudringen." Diese Aufgaben können nur gelöst werden, wenn bewußt als Ort der Denkbarkeit Gottes ein dem Denken vorausgehendes Wort angenommen wird: das neutestamentliche Zeugnis von Jesus als dem 'Wort vom Kreuz'(1.Kor.1,18). Die theologische Denkbewegung geht damit nach Jüngel nicht mehr vom 'Ich denke'aus, sondern vom Vorrang des geglaubten Wortes Gottes und Gott ist nicht mehr an sich zu denken, sondern "in der Identi21) Jüngel, ebda, S.2oo. 22) Ebda, S.179. 23) Ebda, S.2o5.

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24 ) tat rait dem Menschen Jesus" , d.h. Gott ist in der Einheit mit der Vergänglichkeit zu denken. Und weil der Glaube das Medium des Denkens ist, kann Jüngel folgern: das "Denken dessen, was der Glaube ist, impliziert dann aber auch die Möglichkeit, Gott so zu denken, wie er an sich selbst Diese zuletzt zitierte These dürfte am klarsten Jüngels theologische Intention wie Denkpraxis markieren. Gerade deshalb soll nun an dieser Stelle die Darstellung von Jüngels Theologie abgebrochen und mit dem Denken Adornos konfrontiert werden. So sehr zwischen Adorno und Jüngel hinsichtlich der Beurteilung des Prinzips und der Folgen der neuzeitlichen Metaphysik ein Einverständnis herzustellen sein dürfte^®', so stellt sich doch von Adornos Denkpraxis aus die Frage, ob das 'Denken des Glaubens' und damit die Denkbarkeit Gottes im Sinne Jüngels durch den vollzogenen Ortswechsel - in den des Glaubens - schon dem Prozeß der 'Dialektik der Aufklärung' entgangen ist bzw. überhaupt entgehen kann. Zu fragen und zu diskutieren ist also nicht so sehr die von Jüngel gestellte Alternative: "entweder Gottes Einheit mit der Vergänglichkeit so zu denken, daß Gott und Glaube nur noch der Vergangenheit angehören und der Atheismus das Schicksal des Geistes ist, oder Gottes Einheit mit der Vergänglichkeit so zu denken, daß sowohl Gott als auch die 24) Jüngel, ebda, S.253. 25) Ebda, S.238. - W.Kasper urteilt dazu: "Bei aller Kritik an Anselms ontologischem Argument also doch das Bekenntnis zu seinem Programm der fides quaerens intellectim" (a.a.O., S.622). 26) Hinsichtlich der Beurteilung des neuzeitlichen Denkens und seiner politischen Konsequenzen stimmt Jüngel in den Tenor der 'Dialektik der Aufklärung' ein. "Aus dem cartesianischen Sicherstellen durch Vorstellen ist also - in strenger Konsequenz - längst ein Sicherstellen durch Herstellen geworden, womit die Entscheidungsfunktion des menschlichen Subjekts über Sein und Nichtsein um eine ganze Qualität potenziert und entsprechend das Sicherheitsrisiko de facto (und nicht nur in intellectu) weltweit geworden ist.(...) Der Wille zur Macht ist de facto Zwang zur Macht geworden" (Jüngel, ebda, S.240).

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Vergänglichkeit als bisher unzureichend gedacht erkannt werden und der Weg des Geistes durch die schlechte Alternative von Theismus und Atheismus hindurch in eine Gott endlich wieder denkende Geistes-Gegenwart gebahnt werden 27 ) kann" , sondern es ist im Zusammenhang dieser Untersuchung zu diskutieren, ob dieser 'Weg des Geistes' als denkende Geistes-Gegenwart Jüngels theologische Intention nicht von den immanenten Regeln menschlicher Vernunft her, denen Jüngel ja ebenfalls entsprechen will, unterlaufen wird. Nicht die Zumutung Jüngels, nämlich "Gott als einen Redenden ernst zu nehmen" 28) , ist seitens der Position Adornos das Problem, sondern vielmehr dies, wie, wenn der Mensch "ontologisch ein durch Sprachlichkeit konstituier29) tes Wesen" ist, Gott denkend entsprochen werden kann, wenn Gott und Mensch unterschieden werden müssen. Nicht die Voraussetzungen Jüngels, "daß es so etwas wie Glaube gibt"^°' bzw. daß der Glaube keine "mindere Weise des Erkennens" ist, wird von Adorno bezweifelt, sondern vielmehr dies: ob Glauben als menschliches Verhalten ein solches ist, "in dem der Mensch gleichursprünglich (Unterstreichung von mir, W.B.) sowohl Gott als auch sich selbst e n t s p r i c h t . ^ . Um die von Jüngel in diesem Zusammenhang getroffene so diffizile Unterscheidung von der im Glauben freien Selbstbestimmung des Menschen, "die nicht auf eine 32 ) Selbstbegründung des menschlichen Ich rekurrieren muß" wird sich also die folgende Diskussion drehen.

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2. Das von Jüngel gestellte theologische Programm: "Gott mit dem Vermögen menschlicher Vernunft zu entsprechen ver27) 28) 29) 30) 31) 32)

Jüngel, ebda, S.274. Ebda, S.216. Ebda, S.217. Ebda, S.219. Ebda. Ebda, S.220.

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suchen"^^^, ist auch im weitesten Sinne - wenn auch als philosophisches Problem - dasjenige Adornos. In seiner Vorlesung zur "Einleitung in die Philosophische Terminologie" (1962) sagte er dazu: "Indem ich auf das heutige Beispiel komme (Kants 'Kritik der reinen Vernunft', W.B.) treffe ich zugleich auf eine Frage, die mir selber, je mehr ich nachdenke, überhaupt als das Zentrum der philosophischen Besinnung erscheint: das Problem des sogenann34 ) ten ontologischen Gottesbeweises." Daß Adornos kritische Theorie und seine damit implizierte theologische Intention ebenfalls das erkenntnistheoretische Prinzip des 'Ich denke' nicht als möglichen Ort eines Gott entsprechenden Denkens übernimmt, dürfte aus dem Gang der bisherigen Untersuchung zu Adornos philosophischem Denken deutlich geworden sein. Freilich bezieht Adorno auch nicht den Ort des Glaubens ans 'Wort vom Kreuz' und geht in seiner Intention auch nicht dahin, den christlichen Gott zur Sprache bringen zu wollen. w;enn gleichwohl Adorno sein Interesse, am 'ontologischen Gottesbeweis' anmeldet, so heißt dies, er versucht zwischen^^^ Kants und Hegels Position die Wahrheit metaphysischer Erfahrung dialektisch zu vermitteln. Vermitteln heißt dabei nicht den goldenen Mittelweg einzuschlagen, sondern "ist möglich nur durch die Extreme hindurch. Und das Ziel solcher Anstrengung nach Erkenntnis wäre, "das Begriffslose(metaphysische Wahrheit, W.B.) mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen."^^' Für Adorno endet die Erkenntniskritik Kants mit der berechtigten Destruktion der Metaphysik,sofern sie positive Erkenntnisansprüche stellt. Dennoch muß Kant sich einge33) Jüngel, ebda, S.214. 34) Adorno, PhT I, S.97f.; vgl. ND, S.376. 35) Vgl. Adorno, ÄTH, S.166f; dazu auch L.Düver, a.a.O., S.76ff; Hoff. H.Paetzold, Neomarxistische Ästhetik, Bd. II, Düsseldorf 1874, S.77ff. 36) Adorno, PhT I, S.38. 37) Adorno, ND, S.19.

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stehen, daß ohne Metaphysik, die sich für ihn in der Ideenlehre findet, eine objektive Theorie in seinem gesuchten Sinne nicht möglich ist. Kant strebt, nach Adorno letztlich nicht im Gegenzug gegen den Rationalismus Wolffscher Prägung eine Wendung zum Subjekt an, sondern zentral für Kant "steht der Gedanke, Objektivität selber, Objektivität der Erkenntnis, Objektivität der erfahrenen Welt zu retten und zu verteidigen durch die Analyse der 38 Ì subjektiven Bedingungen unserer Erkenntnis." Deshalb verweigert Kant Anleihen bei den Erfahrung übersteigenden metaphysischen Wahrheiten und 39 ) errichtet nach Adorno ein System von "Haltesignalen" , das jedoch ängstlich den Menschen auf den Bannkreis naturwissenschaftlicher Erkenntnis beschränkt. "Die permanente reductio ad hominem alles Erscheinenden rüstet Erkenntnis zu nach Zwecken innerer und äußerer Herrschaft;(...) Solange die subjektive Rückfrage die Probe auf Gültigkeit sein soll, solange sind nicht wissenschaftlich sanktionierte, nämlich nicht- notwendige und nicht-allgemeine Erkenntnisse minderwertig." 4o) Verschmäht auf diese Weise Kant den Übergang zu metaphysisch affirmativen Aussagen, indem er nach Adorno einen 'Block' vor der Überschreitung der Grenze errichtet, eine Grenze, die der Vernunft dadurch gesetzt ist, daß Existenzurteile nur insoweit treffen, als sie durch sinnliche Anschauung belegbar sind, so heißt dies nicht, daß für Adorno Hegels Denkbewegung mehr Recht zukäme. So sehr auch Adorno der Hegeischen Kritik an Kants 'Block' und Dualismus von Form und Inhalt, Verstand und Sinnlichkeit zustimmt, daß nämlich "den Formen selbst ein materiales Moment" zukommt, so sehr also die von Kant respektier41 ) te Grenze sich als "geschaffen von eben dem Subjekt" erweist, so folgt Adorno doch nicht Hegel, der behauptet, 38) 39) 40) 41)

Adorno, PhT II, S.49. Adorno, ND, S.378. Ebda. Ebda, S. 377.

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der Block sei im Subjekt und im Prozeß des Denkens aufzulösen/2' Hegel, der die Erkenntnis des Absoluten als positiv möglich unterstellt, muß dafür nach Adorno den Preis der Aufgabe der kritischen Punktion der Vernunft zahlen. "Hat Hegel, vermöge seiner Kantkritik, das kritische Philosophieren großartig über das formale Bereich hinaus erweitert, so hat er in eins damit das oberste kritische Moment, die Kritik an der Totalität, am abschlußhaft gegebenen Unendlichen, eskamotiert. Selbstherrlich hat er dann doch den Block weggeräumt, jenes fürs Bewußtsein Unauflösliche, an dem Kants transzendentale Philosophie ihre innerste Erfahrung hat, und eine vermöge ihrer Brüche bruchlose Einstimmigkeit der Erkenntnis stipuliert, der etwas von mythischem Blendwerk eignet. Die Differenz von Bedingtem und Absolutem hat er weggedacht, dem Bedingten den Schein des Unbedingten verliehen. Damit hat er schließlich doch der 43 ) Erfahrung Unrecht getan, von der er zehrt." Wenn Adorno den Kantschen 'Block' auflöst, so nicht im Sinne Hegels, sondern dadurch, daß er diesen 'Block' nicht als Invariante anthropologischer Strukturen des Erkenntnisvermögens, sondern als Resultat der Naturgeschichte der Menschen interpretiert. "Gegründet ist der gesellschaftliche Verdacht, jener Block, die Schranke vorm Absoluten, sei eins mit der Not von Arbeit, welche die Menschen real im gleichen Bann hält, den Kant zur Philosophie verklärt. Die Gefangenschaft in der Immanenz, zu der er(Kant, W.B.), so redlich wie grausam, den Geist verdammt, ist die in der Selbsterhaltung, wie sie den Menschen eine Gesellschaft auferlegt, die nichts konserviert als die Versagung, deren

42) Gegen die 'Lösung' Hegels sagt Adorno: "Man behält das Gefühl, daß schließlich durch den ganz zu sich selbst gelangten, absolut gewordenen Geist das eskamotiert worden ist, woran er sich eigentlich messen kann, und daß gerade dadurch, daß er nichts außer sich mehr hat, das verfehlt, worauf er eigentlich gehen sollte" (PhT II, S.73). 43) Adorno, H, S.1o3.

- 267 es schon nicht mehr bedürfte."

44)

Mit diesen ausführlichen Zitaten sollte deutlich gemacht werden, was es heißt, die kritische Theorie Adornos als die zwischen Kant und Hegel zu bezeichnen. Das heißt also: Adorno lehnt sowohl Hegels Lehre von der Versöhnung von Vernunft und Wirklichkeit im Begriff des absoluten Geistes ab wie die Kants von der prinzipiellen Unversöhnbarkeit. Die gesellschaftlichen und geschichtlich gewordenen Verhältnisse können ebensowenig dazu berechtigen, die Möglichkeit zum Besseren prinzipiell im Sinne eines regulativen Prinzips zu interpretieren, wie umgekehrt, jenes 'Utopia'^^Àls schon erreicht zu behaupten. Jegliche metaphysische Erfahrung wie Sehnsucht muß nach Adorno mit den naturgeschichtlichen Erfahrungen in Konstellation gebracht werden, wenn anders nicht die Versöhnung vorschnell erschlichen werden soll bzw. als "Gesinnungspaß fürs E i n v e r s t ä n d n i s z u r Ware werden soll. So ergibt sich für Adorno, daß 'Kants Resignation' vor dem Block' zugleich wahr und falsch ist. Wahr, weil sie den Schein von Versöhnung als Schein stehen läßt; falsch, weil sie ein Gesellschaftliches bzw. Naturgeschichtliches als Invariante ausgibt und mit dem Verbot es zu denken, dem platten Positivismus in die Hände arbeitet. Ist damit die Adornoschen Denkpraxis in ihrer Vermittlung zwischen Kant und Hegel abgesteckt, so muß nun noch genauer und im ein47 ) zelnen auf die oben gestellte Frage zugedacht werden.

3. Adornos Einwand gegen das traditionelle metaphysische wie theologische Denken und der Versuch, es zu überholen. 44) Adorno, ND, S.379f. 45) Vgl. Adorno, ND, S.393: "Die Konvergenz aller Gedanken im Begriff von etwas, das anders wäre als das unsäglich Seiende, die Welt, ist nicht dasselbe wie das Infinitesimalprinzip, mit dem Leibniz und Kant die Idee der Transzendenz einer Wissenschaft kommensurabel zu machen gedachten, deren eigene Fehlbarkeit, die Verwechslung von 'Naturbeherrschung und Ansichsein, erst die berichtigende Erfahrung von Konvergenz motiviert." 46) Ebda, S.389. 47) Vgl. diese Arbeit S. 253.

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findet sich komprimiert im letzten Abschnitt seiner "Meditationen zur Metaphysik": "Sie(die Metaphysik, W,B.) vermittelte, mag sie es wollen oder nicht, begrifflich zwischen dem unbedingten und dem endlichen Geist; das machte die Theologie intermittierend stets wieder zu ihrem Feind. Obwohl sie das Absolute denkt, bleibt es, als von ihr Vermitteltes, dem bedingten Denken hörig.(...) Tastet aber der Gedanke, im ungeschmälerten Bewußtsein dessen, derart über sich hinaus, daß er das Andere ein ihm schlechthin Inkommensurables nennt, das er doch denkt, so findet er nirgends Schutz als in der dogmatischen Tradition. Denken ist in solchem Gedanken zu seinem Gehalt fremd, unversöhnt, und findet sich aufs neue zu zweierlei Wahrheit verurteilt, die mit der Idee des Wahren unvereinbar wäre. Metaphysik hängt daran, ob ohne Erschleichung aus dieser Aporie hinauszugelangen ist. Dazu muß Dialektik, in eins Abdruck des universalen VerblendungsZusammenhangs und dessen Kritik, in einer letzten Bewegung sich noch gegen sich selbst kehren. Mit diesen Sätzen macht Adorno deutlich, daß erstens jeg liches und besonders das idealistische Denken, versucht, über sich hinaus zu kommen, das Andere zu denken; zweitens alle diese begrifflichen Versuche dem Identitätsdenken verhaftet bleiben; drittens, daß auch die in dogroatischtheologischen Begriffen geleistete Versöhnung von Denken und Glauben im Blick auf die naturgeschichtlichen Verhältnisse als erschlichen anzusehen sind und schließlich viertens, daß der Versuch, metaphysische Erfahrung begrifflich zu formulieren nur dann gelingen kann, wenn Dialektik selbstreflexiv gegen sich selbst denkt, d.h. sich ihrer naturgeschichtlichen Verstrickung konstant erinnert. Um diese kritischen Angriffspunkte im Blick auf eine Konfrontation mit Jüngels noch zu schärfen, muß zunächst noch Adornos Angriff auf das Identitätsdenken untersucht werden. Was ist damit von Adorno gemeint?

48) Adorno, ND, S.395.

- 269 Dieses Problem dürfte gerade deshalb auch den Nerv der Theologie Jüngels treffen, weil dessen Intention doch dahin geht, von der Identität von Glaube und Gott her zu denken, gleichwohl jedoch Gott und Mensch auch auseinanderhalten will, d.h. nicht vom 'Ich denke' aus zu begründen, was Gott ist. "Dem 'Ich denke' ist das'Ich glaube' so entgegenzusetzen, daß gerade nicht das Ich über das entscheidet, was Glauben heißt. (...) Ebensowenig kann freilich ein 'Wir glauben' so etwas wie eine Selbstbegründung des Glaubens leisten. Glauben schließt vielmehr Selbstbegründung als sein Gegenteil von sich aus. Deshalb und nur deshalb kann die Gewißheit des Glaubens (im Gegenzug zum 'Ich denke' als Vollzug der Selbstbegründung des Fenkens) das Wort als den Ort der Denkbarkeit Gottes so zur Geltung bringen, daß es wieder zumutbar wird, Gott 44Ì zu denken. Jüngel sieht also durchaus das Problem der Identität und versucht deshalb den Glauben bzw. die Sprache als den Ort anzugeben, der verhindert, daß das Denken des Subjekts das ihm fremde Objekt auf ein ihm bekanntes reduziert und so beherrscht. Ist damit schon angedeutet, was Identitätsdenken^°' meint, so ist dieses gerade im Blick auf Sprache und Erfahrung hin zu erläutern, um damit Jüngels Intention kritisch verstehen zu können. Adorno geht von der Erfahrung aus, daß - wie schon im Zusammenhang der Erläuterung zur Idee der Naturgeschichte gezeigt wurde - Naturbeherrschung das Prinzip ist, an dem der Subjektbegriff sich gebildet hat. Dieses Prinzip, das sich gegen das Diffuse, Andrängende vermöge seiner eigenen Erhaltung bildet und durchhält, ist das Selbst, das so gegenüber der Natur sich selbst erhält. Das Selbst als ein identisch sich Durchhaltendes ist das Modell aller Identität nach Adorno. Alle vereinheitlichenden Momente, durch die Menschen dem Identität aufprägen, was sie selbst nicht sind, sind die 49) Jüngel, ebda, S.226f. 50) Vgl. auch die Ausführungen dazu S.61f. dieser Arbeit.

- 27ο Begriffe, denn der Begriff ist nach Adorno das Organon der Identität dadurch, daß Denken - auch im Dienste der Selbsterhaltung stehend - begrifflich sein muß. Man könnte es auch so ausdrücken: das Prinzip der Identität ist selbst ein Denkprinzip bzw. jedes Prinzip, unter das alles Mannigfaltige subsumiert oder aus dem alles Mannigfaltige de-, duziert werden soll, ist notwendig ein Denkprinzip. Der Rekurs auf ein Erstes, die Reduktion auf eine alles einschließende Einheit ist immer die Reduktion des Denkens selbst, das seinen Sieg im System der Deduktion feiert. In gleicher Weise, wie Jüngel das 'Ich denke' als das der Theologie entgegenstehende Denkprinzip interpretiert und ablehnt, sieht auch Adorno darin das Zentrum des von ihm bekämpften Identitätsdenken. Adorno wendet sich deshalb so emphatisch dagegen, nicht um dem Medium begrifflicher Reflexion zu entsagen, sondern um der Illusion bzw. der Ideologie zu wehren, philosophische Begrifflichkeit und Systematik "könne das Wesen in die Endlichkeit ihrer Bestimmung bannen,"^ ^ ^ Gerade um des Andern willen, des Mehr, das mit Begriffen letztlich nicht zu fassen und festzustellen ist, das Nichtbegriffliche, Nichtidentische also, um dessentwillen die Anstrengungen des Begriffs überhaupt unternommen werden, will Adorno die Autarkie des Begriffs und damit das Identitätsdenken brechen bzw. den Schein des Ansichseienden von Begriffen tilgen. Mit seiner Methode begrifflicher Konstellation als negativer Dialektik - um es auch in diesem Zusammenhang zu sagen - soll erreicht werden, daß die Begriffe "in ihrer eigenen Begrifflichkeit nicht sich befriedigen, obwohl sie dadurch, daß sie das Nichtbegriffliche als ihren Sinn einschließen, es tendenziell sich gleichmachen und damit in sich befangen bleiben. Ihr Gehalt ist ihnen sowohl immanent: geistig, wie ontisch: ihnen transzendent. Durchs Selbstbewußtsein davon vermö52) gen sie ihren Fetischismus ledig zu werden." 51) Adorno, ND, S.22. 52) Ebda, S. 21.

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Ad;omo versucht somit das Identitätsdenken als falsche und erzwungene Synthese von Subjekt und Objekt der subjektiven Selbsterhaltung deutlich zu machen. An der Zweiteilung von Subjekt und Objekt gilt es nicht um eines statisch gedachten Dualismus willen festzuhalten, sondern um die Hoffnung der Erkenntnis wachzuhalten, daß einmal noch der Identitätszwang zergehe und die Identität des Nichtidentischen zutage trete. Solchem 'unversöhnlichen' Denken, das die Differenz zwischen Begriff und Gedachtem offen hält, "ist die Hoffnung auf Versöhnung gesellt, weil der Widerstand des Denkens gegen das bloß Seiende, die gebieterische Freiheit des Subjekts, auch das am Objekt intendiert, was durch dessen Zurüstung zum Objekt diesem verloren ging."^^' Das identitätssetzende und herrschende Prinzip des 'ich denke' versucht Adorno dadurch aufzuheben, indem er nicht nur der erkenntnistheoretischen Vermittlung von Subjekt und Objekt dialektisch nachgeht, sondern auch Selbstreflexion auf die "Vermittlung im Vermittelnden, dem Subjekt", betreibt^ Geht Jüngel vom'Ich denke'zum 'Ich glaube' als dem Ort der Selbstoffenbarung Gottes im Wort über, so versucht Adorno dem Identitätsdenken bzw. der Selbstbegründung des Menschen im 'Ich denke' dadurch zu entgehen, daß er diesem Prinzip gleichsam seine 'eigene Melodie' vorspielt. Das heißt, Adorno will nicht ein Prinzip durch ein anderes ersetzen, sondern das 'Ich denke' von innen her kritisieren. Die Kraft zu dieser Kritik am Identitätsdenken kommt dem kritisch konstellativen Denken Adornos freilich nicht aus sich selbst zu, denn dies hieße ja nur die Hypostasierung des Subjekts ins Unendliche zu treiben. Um zu sehen, daß Erkenntnis und Wahrheit nicht im Gefolge des 'ich denke' gewonnen werden kann, bedarf es nach Adorno des " Anstosses von außen", des "Wissens von außen". Adorno spricht in diesem Zusammenhang auch vom "Halt am Nichtidentischen"

53) Adorno, ND, S.29. 54) Ebda, S.171.

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und vom "Moment der Unmittelbarkeit"^^^, vergleichbar dem qualitativen Sprung in Kierkegaards Denken.. Damit will Adorno nicht aus dem Denkprozeß herausspringen,indem er auf ein 'außen' verweist, das wäre seiner Meinung nach einerseits eine "Verlästerung der Vernunft"^^^ und anderrerseits ein wiederum subjektives Mißverständnis, denn "die Einsicht in die Vermitteltheit des Denkens durch die Objektivität negiert nicht das Denken und die objektiven Gesetze, durch die es Denken ist."^^^ Hat nach Jüngel das Wort Gottes die Funktion, den Menschen aus dem Bann des 'Hier und Jetzt' zu entfernen, d.h. aus seiner selbstgemachten Identität zu entlassen und ihm сQ\ eine durch Gott geschenkte "eschatologische Gegenwart" zu erschließen, so stellt sich dieser Augenblick der Erkenntnis bzw. das, was Adorno auch metaphysische Erfahrung nennt "einzig im Vollzug der immanenten Dialektik ein, die den Zug hat, sich zu transzendieren, nicht durchaus unähnlich dem Übergang der Platonischen Dialektik zu den 59 ) ansichseienden Ideen." Der EntSicherung der subjektiven Denkprinzipien durch den Glauben ans Wort Gottes bei Jüngel entspricht formal bei Adorno die Entsicherung der Denkbewegung als "entfesselter Dialektik"®°', die sich vom Systemdenken idealistischer Prägung lossagt und die Tota55) Alle Zitate bei Adorno, ND, S.181. 56) Ebda, S.182. 57) Ebda, S.18o. Sehr versteckt und in den Tpopos eines Märchenmotivs verkleidet, 'bekennt' sich Adorno doch z\im Sprung der Philosophie in ihr Anderes. "Die Entt täuschung darüber jedoch, daß gänzlich ohne Sprung, in eigener Bewegung, die Philosophie aus ihrem Traum erwacht; daß sie dazu dessen bedarf, was ihr Bann fernhält, eines Anderen und Neuen - diese Enttäuschung ist keine andere als die des Kindes, das bei der Lektüre von Hauffs Märchen trauert, weil dem von seiner Mißgestalt erlösten Zwerg die Gelegenheit entgeht, dem Herzog die Pastete Souzeraine zu servieren"(ND,S.182). 58) Vgl. Jüngel, ebda, S.235. 59) Adorno, ND, S.181. 60) Vgl. ebda, S.46.

- 273 lität als Modell im Kleinsten zu denken versucht. Adorno will das Denken nicht vorweg durch die Absolutheit der Begrifflichkeit systematisch absichern, sondern sich dem Objekt ausliefern; nur so ist Denken ein 'Mehr' gegenüber der trüben Kopie des Vorhandenen und Immergleichen. "Je mehr die Autonomie von Subjektivität kritisch sich durchschaut, sich ihrer als eines ihrerseits Vermittelten bewußt wird, desto bündiger die Verpflichtung des Gedankens/ mit dem es aufzunehmen, was ihm die Festigkeit einbringt, die er nicht in sich hat."^^'

4. Es sieht nun so aus, als ob die eingangs gestellte Frage, inwiefern Jüngels Versuch, das 'Ich denke' metaphysischer Tradition durch seinen Ansatz im 'Ich glaube' zu überholen, um Gott nicht von einer Notwendigkeit des denkenden Subjekts abhängig zu machen, sondern Gott als den übergreifenden und den Menschen begründenden zu denken, durchaus auch in der kritischen Theorie Adornos ihr Pendant besitzt. Das hieße, obwohl die materialen Unterschiede der Denkbewegungen von Jüngel und Adorno erheblich sind, zumindest die Intention beider, um aus dem bestimmenden Schatten des Identitätsdenkens zu entkommen, vorläufig als nahezu gleich bezeichnet werden kann. Und desweiteren ist nicht zu bestreiten, daß auch methodisch zwischen Jüngel und Adorno eine gewisse Affinität besteht. Doch tun sich freilich bei genauem Hinsehen an diesem Punkt entscheidende Unterschiede auf, was nicht so sehr am verschiedenen Gegenstand des Denkens beider liegt, als vielmehr an der verschiedenen Auffassung und Durchführung der Form-Inhalt Problematik. Der Unterschied ist also nicht primär im Blick auf die jeweilige theologische bzw. metaphysische Intention zu suchen, sondern daraufhin, welche Konseguenzen der formal scheinbar gleiche Ansatz im Blick auf seine inhaltliche und methodische Durchführung mit sich bringt.

61) Adorno, ND, S.47.

- 274 Wenn das zentrale Anliegen Jüngels das ist, Gott denkend zu entsprechen und dies nur am Ort bzw. im Medium des Glaubens adäquat geschehen kann, so fragt sich, ob der Übergang an den neuen Ort des Denkens den alten sozusagen spurlos aufheben kann, wenn denn im Stande des Glaubens nach wie vor in Begriffen gedacht werden soll oder wie Jüngel formuliert: "Gott mit dem Vermögen menschlicher Vernunft zu entsprechen"®^' ist. Die Frage also ist die, welche Sätze 'vernünftig' im Stande des Glaubens gesprochen werden können, so daß diese Sätze einerseits Gott entsprechen und andererseits zugleich dem Bann des 'Ich denke' entronnen sind? Um dieses Problem beantworten zu können, muß die Bestimmung des Orts des Glaubens bei Jüngel noch einmal genauer untersucht werden. Jüngel hat sich diesem von ihm durchaus gesehenen Problem in den beiden zentralen Abschnitten seiner Untersuchung - §11:^Das Wort als Ort der Denkbarkeit Gottes' und §12:'Die Gewißheit des Glaubens als EntSicherung' - ausführlich und differenziert gestellt. Er wehrt allen aufkommenden Zweifel, ob die Vernunft Gott oder eben doch nur einen selbst gemachten bzw. projektierten Götzen denken kann, dadurch ab, daß er damit anfängt, Gott als den Menschen ansprechenden zu glauben. Der Glaube, daß Gott in jeder Hinsicht vor dem Menschen ist, ist die für den Gottesgedanken "konstitutive Funktion"®^'. So läßt sich der Mensch glaubend von Gott bestimmen und erfährt sich als Mitgenommener. Gott zu denken, setzt also automatisch nach Jüngel den Glauben an dessen Vorgängigkeit voraus, sonst wäre es kein Denken Gottes. "Das Denken erfährt sich, wenn es Gott zu denken beginnt, bereits als mitgenommen. Es ist mitgenommen, weil es, wenn es Gott denkt, dem Glauben folgt, der die ursprünglichste Weise des Mitgenommenwerdens durch Gott ist. Erst durch das Faktum, daß es Glauben gibt, wird das Denken im Blick auf Gott nachdenklich und nachdenkend. Es folgt dem Glauben, geht seiner Eigenart 62) Jüngel, ebda, 8.214. 63) Ebda, S.219.

- 275 nach und läßt sich auf diese indirekte Weise seinerseits mitnehmen. Die solchen Sätzen folgende Frage, warum denn der Mensch überhaupt zunächst glaubt und dann erst der Bewegung des Glaubens nachdenkt - ohne daß deshalb dieses Denken mit dem Glauben identisch wird stellt Jüngel nicht^^l Indirekt wird sie beantwortet, indem Jüngel von der Zumutung des Glaubens spricht, die anzunehmen ist bzw. zumutbar sei. In dem Zirkel von Sprachlichkeit des Menschen, Glaube und Gott versucht Jüngel nicht auf ein Erstes durch Reflexion zu rekurrieren, sondern er springt an der Stelle des Glaubens in diesen Zirkel hinein, indem er dem Mitdenkenden diese "Zumutung 2:umutet - eben die des Wortes Gottes. Diese Zumutung an den Mitdenkenden wird von Jüngel durch das Zugeständnis, daß damit die Anthropologie unabdingbar zur Theologie gehöre, wettgemacht. "Theologie ist wesentlich Lehre vom Wort Gottes. Als solche ist sie dann auch Lehre von der Ansprechbarkeit des Menschen. Diese Zumutung integriert Jüngel dann so in seine Theologie, daß er den Vorrang des Wortes Gottes anthropologisch in der Struktur des menschlichen Wortes bzw. der Sprache überhaupt eingelöst sieht. Nicht die Dingwelt bringt den Menschen zu sich selbst, sondern erst das ansprechende Wort macht aus der punktuellen Identität des Ich im 'Hier und Jetzt' diejenige, die sich als das 'Hier im Jetzt' erfährt. "Aus der die dumpfe Identität des Ich-Hier-Jetzt Punktes immer schon unterbrechenden Sprachlichkeit des menschlichen Seins entsteht diejenige Ferne zu sich selbst ohne die sich kein Ich nahe kommt. Aus jener Ferne zu sich selbst hingegen kommt der Mensch auf sich zu. So hat fifiÌ er Zeit. So ist er Mensch." Was zunächst als Mangel er64) Jüngel, ebda, S.218f. 65) Damit dürfte das Problem der Konstitution des Denkens bzw. des Verhältnisses von Denken und Glauben verschleiert sein, weil es dezionistisch zugunsten der Autorität Gottes gelöst wird. Die Unterscheidung von Glauben und Denken wird damit verwischt. Vgl. Jüngel, ebda, S.221. 66) Jüngel, ebda, S.216. 67) Ebda, S. 217. 68) Ebda, S.233.

- 276 scheint, daß nämlich der Mensch auf'Ansprechen'von außen angewiesen ist, erweist sich also als Widerfahrnis der Fülle der Freiheit, als "Freiheit zu erschlossener Gegenwart."^^) Nun ist sich Jüngel darüber im klaren, daß die Explizierung des Menschen als "Wort-Wesen" , der durch das zuvorkommende Wort im Glauben an das Wort Gottes zu sich selbst kommt, zur Schwärmerei führen kann, wenn nicht das Denken zwischen dem Wort und dem zu Begreifenden unterscheiden kann. Gerade das Denken, das nur Begriffe bilden kann, aufgrund "des Faktums ansprechender Sprache"^^^, unterscheidet zwischen Wort und Gott und macht deutlich, daß "Gott im Wort als Abwesender anwesend" ist, Ist Glauben das "Sich-von-Gott-treffen-Lassen"^^', so kann das Denken nur heißen, diesem Geschehen zu folgen und die Erfahrung der Begegnung in seiner paradoxen Gestalt begrifflich zur Sprache zu bringen. Wenn nun Jüngel, nachdem er so die Faktoren seiner theologischen Theorie: Gott-Wort-Glauben-Denken bestimmt hat, folgert, daß der "Glaube diejenige Selbstbestimmung des Menschen (ist), in der dieser aufgrund seines Bestimmtseins durch Gott auf Selbstbegründung verzichtet" und er diesen Satz damit begründet, daß der Glaube deshalb auf Selbstbegründung verzichten kann, "weil so etwas wie Selbstbegründung im Vertrauen auf Gott schon überboten ist"^^^ , so dürften solche Sätze bzw. solche Begründungszusammenhänge nicht nur als Sätze des Glaubens deklariert werden, sondern müßten doch aufgrund der in ihnen enthaltenen reflexiven Denkbewegung eben als theo-logische bezeichnet werden, in denen das anthropologische Moment des Denkens als des Begrifflichen nicht zu vergessen ist. Das heißt, die oben genannte Paradoxie, daß das Denken des Glaubens Gott nur als "Abwesenden anwesend" explizieren kann, muß in der begrifflichen Bestimmung - aus der Sicht Adornos - ebenfalls zur Sprache kommen und darf nicht zugunsten eines schein69) Jüngel, ebda, S.234.

7o) Ebda, S.233.

71) Ebda, S.224.

72) Ebda, S.222.

73) Ebda, S.243.

- 277 bar eindeutigen Glaubens unterschlagen werden. Der Einwand, daß Jüngel ja nicht von Glauben schlechthin, sondern eben von dem spezifischen Glauben an das Wort Gottes als dem, der sich diesem Wort, das in Jesus Christus sichtbar geworden ist, verdankt, spricht, trifft deshalb nicht das Problem, weil Jüngel ja ausdrücklich Denken von Glauben unterscheiden will. Wohl folgt das Denken dem Glauben, aber es ist als Begriffliches zuvor von Jüngel remoto dei bestimmt worden, weil nur so die Sprache des Glaubens allgemein verständlich gemacht werden kann.Jüngel identifiziert an dieser zentralen Stelle seiner Untersuchung also vorschnell Glauben und Denken. Der Grund wie die Folge davon ist, daß er das 'Ich glaube' zum Denkprinzip seiner Untersuchung macht und machen kann und damit einem Iden74 ) titätsprinzip huldigt bzw. zumindest in den Bann eines solchen gerät. Die äußerst paradoxen sprachlichen Wendungen"^^^ , die die Ausführungen zur Bestimmung des Menschen als dem Wort Glaubenden nachvollziehen sollen, sind nicht nur ein Indiz für das zugrundeliegende Problem, sondern machen auch aus der Perspektive Adornos gesehen darauf aufmerksam, daß hier die naturgeschichtlichen Momente aus den theologischen Reflexionen ausgemerzt werden sollen. 74) Mit dem Prinzip des 'Ich glaube' macht Jüngel die Widerstände des Kreuzes Jesu für das Denken mit dem Wort Gottes identisch. Vgl. S.24 7: "In dieser konkret bestimmbaren Vergangenheit(dem Kreuz Jesu, W.B.) kam Gott. Im 'illic et tunc' des Todes Jesu kam Gott zum Menschen. Das verkündigt, das besagt das Wort, dem der Glaube entspricht: das Wort vom Kreuz. In ihm sind das, was das uns anredende Wort des von sich aus redenden Gottes sagt (Gott am Kreuz als unser Nächster), und die Struktur des Verhältnisses von Wort und Glaube kongruent . " 75) Vgl. Jüngel, ebda, S.24 6: "Gott ist uns nur nah, indem er uns von uns selbst entfernt. Als der uns von uns selbst entfernt. Als der uns von uns selbst Entfernende ist Gott freilich dem bei sich selbst Seienden und nur bei sich selbst sein Wollenden, dem auf sich selbst insisitierenden Menschen der Fernste. Doch umgekehrt gilt zugleich: dieses fundamentale 'nos extra nos esse' ist als solches identisch mit der Nähe Gottes. Es tritt zu dem 'nos extra nos esse' Gottes Für-uns-Sein nicht noch hinzu."

- 278 Wohl bezieht Jüngel anthropologische Fakten in sein Denken ein, aber sie erscheinen begrifflich gereinigt von allen Spuren ihrer naturgeschichtlichen Entstehung. Der Hinweis Jüngels, daß das denkende Ich sich als genwärtig versteht und diese Geistesgegenwart "auf Sinnlichkeit angewiesen"^^^ ist, wird eben nicht als konkretes Eingedenken des Leibes und seiner Natur ernst genommen, sondern abstrakt in den Denkprozeß eingegliedert. "In seiner Sinnlichkeit, als Leib, ist das Ich jetzt hier, während es als Geist diese seine sinnliche Anwesenheit durch Entfernung in die Vergangenheit und Zukunft einholt und zur Gegenwart qualifiziert." Diese Formulierung und die kurz darauf folgende Feststellung, daß dieser "dargelegte allgemeine anthropologische78Sachverhalt von höchster Be) deutung für die Theologie" ist, verweist in seinem sprachlichen Ausdruck darauf, was inhaltlich dann vorliegt: anthropologische Sachverhalte werden von Jüngel nur all79 ) gemein, d.h. abstrakt und nicht konkret aufgenommen. Anthropologie wird unter dem Vorzeichen der 'Geistesgeschichte' in die Theologie aufgehoben, um das 'Ich glaube' besser begründen zu können. Ein weiteres Indiz dafür, daß Jüngel der Ziunutung an seine Mitdenkenden - "zu denken, was wir g l a u b e n " - nicht gerecht wird, liegt in der von Jüngel wohl bewußten Vernachlässigung der Hamartiologie. Am Schluß der Überlegungen zur Denkbarkeit Gottes merkt Jüngel an, "daß von der Sünde des Menschen nicht zufällig bisher kaum die Rede war. Dies geschah aus einem theolo81) gischen Grund." So berechtigt Jüngel sicher von Sünde theologisch nur im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des 76) Vgl. zu einem solchen Geist-Begriff Adornos Ausführungen in: PhT II, S.129f. 77) Jüngel, ebda, S. 234. 78) Ebda. 79) Vgl. dazu auch H.Graß, a.a.O., S.166: "Alles vollzieht sich in dem engen christologischen Raum der Menschwerdung Gottes und des Kreuzes, in dem Gott zur Welt kommt. Darüber wird dann ein trinitarischer Überbau errichtet. Nicht einmal der Mensch, geschweige denn die Welt kommen wirklich voll in den Blick." 80) Jüngel, ebda, S.144. 81) Ebda, S.3o5.

- 279 Sünders sprechen kann und will, so scheint er doch dabei zu vergessen, daß Sünde ihre anthropologischen Entsprechungen hat und in der Bestimmung des Menschen zum Ausdruck kommen muß. Die Definition des Menschen als 'WortWesen' muß deshalb abstrakt bleiben, weil Jüngel das Angegangen-werden des Menschen im Wort nur als Wort Gottes identifiziert und die Stimme der Natur, das Ecto des menschlichen Wortes als scheinbare Antwort unterschlägt. Im 82Ì

Phänomen des Glaubens aufs Wort hat sich im Laufe der Geschichte ein Stimmengewirr - Wort Gottes und Echo des menschlichen Wortes - versammelt, dessen Entwirrung nicht zuletzt auch durch das kritische Denken wie es Jüngel gerade expliziert, teilweise geleistet werden kann. Adorno verweist darauf, daß wohl das Denken Wort und Gott unterscheiden zu vermag, daß aber im Denken als einem geschichtlich entstandenen Vermögen, das Prinzip der Selbsterhaltung und damit die Herrschaft des Identisch-machens des Begrifflichen waltet. Das 'Ich glaube' vermag sicher das 'Ich denke' zu überholen und zu befrieden, aber doch wohl nur um den Preis der Verschleierung darüber, wo die Grenze von Glaube und Aberglaube genau verläuft. Jüngels theologisches83) Denken "bejaht das Wort als Ort der Denkbarkeit Gottes" , um so dem Glauben seinen Platz zuzuweisen, doch geschieht dies ohne zu bedenken, daß dieser Platz 82) Diese Beschreibung des Glaubens als Hören aufs Stimmengewirr (vgl. DA, S.2of.) versucht dem naturgeschichtlichen Moment im Glauben mit Rechnung zu tragen. Glauben ist für Adorno so immer ein mimetischer Impuls, der Versuch, sich dem Vorgängigen und übermächtigen anzupassen. Dagegen steht die entmythologisierende Kraft der Reflexion, dem das Subjekt seinen Weg in die Aufklärung verdankt, wenngleich dieser Weg keiner ins Freie war, sondern der der 'Dialektik der Aufklärung'. Aus diesem Spannungsfeld von Mimesis und Reflexion kann der Mensch von sich aus letztlich nicht ausbrechen(vgl. ND, S.181). Der Glaube, diesem Spannungsfeld durch den Gehorsam aufs Wort schon entronnen zu sein, ist jedoch nach Adorno eine erpreßte Versöhnung und deshalb ideologisch befrachtet. 83) Jüngel, ebda, S.223.

- 28ο immer mit vom Aberglauben besetzt wird bzw. schon besetzt sein kann. Jüngel kommt bei dieser 'Platzbesetzung' eine Dialektik zu Hilfe, deren traditionelle Logik.im Prozeß des Ansprechens Gottes und der Entsprechung seitens des Menschen vergessen läßt, welches Moment in der Synthesis des Glaubens mit aufgehoben wurde. Die traditionelle Dialektik wird von Adorno genau aufgrund dieses 'Vergessen-machens' des subjektiven Moments bzw. des naturgeschichtlichen kritisiert und als negative Dialektik durchgeführt. Denn das,was in der philosophischen Tradition mit Geist bezeichnet wird und in der Theologie als die Bestimmung des Glaubens expliziert wird, vergißt nach Adorno allzu schnell im Gefolge der idealistischen Denkbewegung das naturgeschichtliche Moment des Geistes und erschleicht sich so ihre objektive Position. Nach Adorno ist das "nicht seiende Moment am Geist so ineinander mit dem Dasein, daß es säuberlich herauszuklauben soviel wäre wie es vergegenständlichen und fälschen. ^ Jüngel dürfte genau dieser Gefahr mehr oder weniger erlegen sein, wenngleich er nicht den Geist des Glaubens vergegenständlicht, sondern im Akt des Glaubens - verstanden als die Bewegung des Denkens im Medium des Wortes bzw. der Sprache - das subjektive Element mit all seinen Implikationen eliminiert und deshalb auch nicht von Sünde reQ с \

den muß bzw. Sünde abstrakt theologisch bestimmen kann. Um es noch einmal zusammenzufassen: Jüngels theologische Bemühungen, "Gott mit dem Vermögen menschlicher Vernunft zu entsprechen", müssen deshalb abstrakt bleiben, weil sie nur gelingen, wenn die naturgeschichtlichen Momente der menschlichen Vernunft - im Sinne Adornos gesprochen - vom Glauben übertüncht werden, d.h. eine Identität von Wort und Gott hergestellt wird. Oder um es theologisch zu formulieren: Das Fehlen der Harmatiologie in der Gotteslehre, 84) Adorno, ND, S.200. 85) Vgl. Jüngel, ebda, S.3o5: "Die Sünde macht das Nichts zu Etwas; sie baut das Nichts zur Gegen-Gottheit auf. Und sie tut das gerade, indem sie Gott aus dem Streit zwischen Sein und Nichtsein heraushält."

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d.h. das Fehlen

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der anthropologischen Entsprechungen der

Sünde in der Bestimmung des Menschen als 'Wort-Wesen' 8fiÌ macht die Vernunft scheinbar zahm, den Glauben aber leer.

5. Die im Fortgang der bisherigen Darstellung immer wieder spezifizierte und neu angegangene Frage, ob Jüngels theologische Denkbemühung ihr Ziel erreicht, konnte nun dahingehend beantwortet werden, daß dies Jüngel nur unter weitgehenster Ausklammerung naturgeschichtlicher Momente aus der Vernunft gelungen ist. Die Analyse zeigte, daß gerade diese Ausklammerung der naturgeschichtlichen Momente ihrerseits wieder ein typisch naturgeschichtliches Bemühen des Subjekts ist, das, was Adorno als den Selbstbetrug des Odysseus' entlarvt hat. Jüngels Denken des Glaubens bleibt also ganz theo-logisch, weil es die Spuren der Selbstbehauptung und des Selbstbetrugs im Glauben möglichst unsichtbar machen will. Dies ist jedoch wohl kein Verdienst theologischen Denkens, sondern gerade um des Glaubens willen an den Gott, der sich in Jesus von Nazareth am Kreuz offenbart hat, der Anfang jeglicher theologia gloriae. Gegen solche aus der Perspektive Adornos gemachten kritischen Anmerkungen zu Jüngels Versuch, Gott mit den Mitteln menschlicher Vernunft zu denken, könnte von der Position Jüngels her argumentiert werden, daß es ja nicht in erster Linie um eine adäquate Anthropologie, sondern um die richtige Theologie gehe. Das heißt, Theologie konstituiert sich gerade nicht auf anthropologische Fakten, sondern einzig und allein vom Wort Gottes her als dem Ereignis des 'Wortes vom Kreuz'. Von diesem Ereignis "der Identifizierung Gottes mit dem gekreuzigten Menschen Jesus" her "hat sich theologisches Denken von diesem christologischen Er86) Der Versuch Jüngels, dem Wort Gottes als das den Glauben ermöglichende Tiefe zukommen zu lassen, ist m.E. mit dem Gedanken von der "doppelten Notwendigkeit und Möglichkeit der Einheit Gottes mit der Vergänglichkeit" (Jüngel , ebda, S.24 9ff.) nicht gedient, da diese Bestimmungen von Jüngel im Blick auf ihre ontologische Relevanz verhandelt werden.

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282

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eignis sagen zu lassen, was Gott - und was Mensch - zu heißen verdient. Dieses Ereignis gibt folglich auch Auskunft darüber, wie Gott entsprechende Rede möglich ist."

87 )

Es muß also in einem weiteren Gedankengang vor allem Jüngels Sprachtheorie reflektiert und mit der Adornos konfrontiert werden, um erstens^Jüngels Theologie nicht einseitig zu diskutieren und um zweitens, die Frage nach der theologischen Konstitution von Erkenntnis in ihrer Tiefe stellen zu können. Die schon verhandelte These Jüngels, daß der Mensch, weil von Gott angesprochen, "ein ontologisch durch 88) Sprachlichkeit konstituiertes Wesen" ^ist, gilt es noch genauer im Blick auf ihre theologische und sprachphilosophische Konsequenz zu untersuchen, damit der Vorrang des Wortes Gottes eben nicht nur auf seine anthropologischen Entsprechungen hin, sondern auch als theologisches Proprium gewürdigt wird. Jüngel geht mit E.Fuchs davon 89) aus, daß die Sprache "den Vorrang vor allem Denken" hat, und deshalb theologisches Denken nicht primär anthropologischen Gegebenheiten verantwortlich ist, sondern als ein "Verantworten des Wortes Gottes"^°^ zu betreiben ist. Nicht von der Struktur menschlicher Sprache aus will folglich Jüngel auf das, was Wort Gottes für alle Menschen bedeutet, schließen. Diese 'existentialistische Engführung' theologischen Denkens, die "Gott zwar im Horizont der Sprache gedacht, ihn selber aber zunächst als sprachlos - nämlich 91 ) abgesehen vom Ereignis des Wortes Gottes - bedacht" hat, führt nach Jüngel gerade nicht aus der Aporie des neuzeitlichen transzendentalen Gottesgedanken heraus. Weil diese Art theologischen Denkens überwunden werden muß, setzt Jüngel als Prämisse: 87) Jüngel, ebda, S.315 88) Ebda, S.217f. 89) Jüngel, ebda, S.345. Er zitiert zustimmend E.Fuchs: "Die Sprache hat das Prius, den Vorrang vor allem Denken." Ebenso wird als Begründung dafür auf Schleiermachers Dialektik verwiesen. 90) Jüngel, ebda, S.314. 91) Ebda.

- 283 "Gott und M e n s c h als in je besonderer Weise 92 ) Sein zu denken."

sprachliches

Weil Gott der von sich aus Redende

ist, ist alle Theologie als ein"Gott denkendes E n t s p r e chen nur Frage gegenüber dem ansprechenden und zuvorkomm e n d e n W o r t Gottes. Gott ist dann das ins Fragen bringen93 ) de Ereignis"

, das Geheimnis des Wortgeschehens am Kreuz

Jesu. Erkenntnis des Geheimnisses geschieht nicht im Prozeß der Reflexion menschlicher Vernunft, sondern theologische Erkenntnis ist ein Nachsprechen und Danken für die offenbarte Liebe Gottes. "In das Geheimnis, das Gott ist, kann der M e n s c h seinerseits nur berufen werden. Daß dies geschehen ist, behauptet der christliche Glaube, der d a m i t allerdings zugleich 94 die ) Verschlossenheit dieses Geheimnisses bestreitet."

Gott hat sich m i t dem

Wort

v o m Kreuz' offenbart und der Glaube leitet die e r k e n n t n i s suchende Theologie. Der sich solchen Sätzen stellende Einwand, daß doch der M e n s c h Gottes W o r t nur in menschlicher Form 'habe' und v o n Gott doch nur 'secundum m o d u m recipientis

hominis'

geredet werden könne, wird von Jüngel 95 nicht im Sinne der ) traditionellen Lehre v o n der Analogie

im Rahmen der ne-

gativen Theologie aufgelöst. Jüngel will stattdessen,

"ein

Verständnis der Rede von Gott gewinnen, das den A n t h r o p o morphismus nicht nur duldet oder aber nur gerade wegen seiner die Andersartigkeit Gottes pointiert zur Geltung bringenden Unangemessenheit für angemessen erachtet,

sondern

die anthropomorphe Struktur menschlicher Rede von v o r n h e rein positiv in Anschlag bringt. Dabei ist das Anliegen der sogenannten negativen Theologie zu wahren, nämlich Gott nicht als in irgendeiner und sei es noch so sublimen Weise w e l t l i c h bedingt zu v e r s t e h e n . D e n

solchen Prämissen

92) Jüngel, ebda, S.314. 93) Ebda, 8.339. 94) Ebda, S.340. 95) Jüngel diskutiert in §17 seiner Abhandlung ausführlich das Analogieproblem. Die dabei im Anschluß an K.Barth vertretene analogia fidei bringt das Offenbarungsereignis des Wortes vom Kreuz den Menschen nahe. "In diesem Ereignis und als dises vollzieht sich die Analogie des Glaubens, in der nicht etwa menschliche Worte Gott zu

- 284 entsprechenden theologischen Gebrauch der Analogie sieht denn Jüngel in den Gleichnissen Jesu vorbildhaft verwirklicht; sie stehen für die "Sprache des Glaubens überhaupt?97 ) In den Gleichnissen Jesu kommt nach Jüngel Gott zur Sprache. Die Form der Gleichnisse gewährt die Nähe Gottes, d.h. die Form des Zur-Sprache-Kommens ist ein Ereignis, das als "je immer größere Ähnlichkeit inmitten noch so großer 98 ) Unähnlichkeit zwischen Gott und Mensch" ' geschieht. Diese solchermaßen beschriebene und verstandene Analogie macht die Sprachlogik des Glaubens aus. Ein Gleichnis 99) spricht "Gott und Mensch sozusagen zusammen." Jüngel übersieht bei dieser Explikation seiner analogia fidei nicht, daß die Gleichnisse Jesu für uns nur in menschlicher Sprache zugänglich sind. Daß sie eine gottgemäße Form haben, setzt er als im Glauben an ihre Botschaft von der Gottesherrschaft als Liebe voraus. Und er setzt weiter voraus, daß solche Sprache deshalb ankamt und verstanden wird, weil Liebe zur S p r a c h e ^ u n d zur Bestätigung drängt. Form nahe treten, sondern Gott als Wort in menschlichen Worten Menschen nahe kommt"(Jüngel, ebda, S.393). Wohl mit Recht fragt F.X.Bantle(.a.a.O., S.424) aufgrund solcher Sätze Jüngels: "Wie aber kann je eine analogia fidei, die nicht mehr den Abgrund zwischen Gott und Geschöpf bedenkt, und statt dessen Glaubensanalogie im genannten Sinne sein will, Röm.l1,33-36 entsprechen?" - Vgl. zum Analogieproblem auch: Chr. Link, Die Welt als Gleichnis, München 1976, bes. S. 141ff. 96) Jüngel, ebda, S.355. 97) Ebda, S.4oo. 98) Ebda, S.4o8. 99) Ebda, S.4o4,Anm. loo) Die Evidenz der analogia fidei wird von Jüngel einer Sprachtheorie aufgebürdet, die in der Liebe sich selbst erweist. Liebe ist nach Jüngel ohne weiteres "sowohl anthropologisch als auch theologisch evident"(Jüngel, ebda, S.4o8). Als Begründung für dieses Vertrauen genügt Jüngel: "Liebe aber drängt zur Sprache. Weil Gott nicht nur ein Liebender, sondern die Liebe selber ist, muß von ihm nicht nur, sondern kann von ihm auch geredet werden. Denn die Liebe ist der Sprache mächtig: caritas capax verbi"(ebda.) Daß Jüngel mit solchen Sätzen in den homiletischen Stil verfällt, dient dem gestellten Problem kaum, sondern dient eher der Verschleierung des Sachverhalts.

- 285 u n d I n h a l t s i n d so im G l e i c h n i s a l s G l e i c h n i s die Liebe fungiert als die anthropologische der Gott analogen Rede oder ist, w i r d ЛЛП G l e i c h n i s

versammelt;

Entsprechung

: " w o v o n im G l e i c h n i s d i e

selbst

J ü n g e l b ü r d e t m i t d i e s e r so k o n z i p i e r t e n a n a l o g i a d e r S p r a c h e d i e j e n i g e A r b e i t a u f , die

fidei

traditionellerweise

a l s W e r k d e s H e i l i g e n G e i s t e s in d e r T h e o l o g i e wird.

Rede

konkret."^'

expliziert

Im S p r a c h e r e i g n i s d e r a n a l o g e n R e d e v o n G o t t b z w .

in

d e n G l e i c h n i s s e n J e s u s p r i c h t s i c h G o t t so d e n M e n s c h e n daß Glaube entsteht und damit das Gott dankende Reden D e n k e n e i n s e t z e n k a n n . Die P r o b l e m a t i k d e s a d ä q u a t e n stehens des Wortes - das viel verhandelte Problem - versucht Jüngel - wiewohl

und Ver-

hermeneutische

seine ganze

churg auch als theologische Hermeneutik

zu,

zur

Untersu-

Gotteslehre

i n t e r p r e t i e r t w e r d e n k ö n n t e - in e i n e r A n m e r k u n g

unterzu-

b r i n g e n . "Die u n e r l ä ß l i c h e E x t e r n i t ä t d e s v o n s i c h aus r e d e n d e n G o t t e s d a r f n i c h t zur L e u g n u n g d e s

Sachverhaltes

f ü h r e n , daß d e r M e n s c h d a b e i in s e i n e m I n n e r s t e n

angespro-

c h e n u n d auf d i e s e W e i s e a u s s i c h h e r a u s g e s e t z t w i r d . jeder menschlichen Rede von Gott spricht der Mensch g l e i c h s i c h s e l b s t aus - w a s a l l e r d i n g s k e i n e s w e g s wendig

zunot-

in F o r m d i r e k t e r M i t t e i l u n g e n ü b e r s i c h s e l b s t

schehen muß; der M e n s c h sagt mehr über sich selbst

In

ge-

schon

a l l e i n d a d u r c h a u s , d a ß er v o n G o t t r e d e n m u ß u n d w i l l d a ß er d i e s

und

gern

Die m i t d i e s e n S ä t z e n a n g e d e u t e t e

Problematik von 'innen

außen'

sowie die des jeweiligen menschlichen

nisses

ist w i e d e r u m a u s d e r P e r s p e k t i v e A d o r n o s e i n

d a f ü r , daß J ü n g e l m i t s o z i a l p s y c h o l o g i s c h e n

-

SelbstverständIndiz

und -anthropo-

l o g i s c h e n M o m e n t e n s i c h s c h w e r t u t b z w . sie auf d i e s e

Weise

bewältigen will und muß. Doch nicht diesem Mangel gilt jetzt die sondern den damit zusammenhängenden

Aufmerksamkeit,

sprachphilosophischen

B e s t i m m u n g e n J ü n g e l s . D a J ü n g e l s i c h z u s t i m m e n d zur

Bezeich-

101) J ü n g e l , e b d a , S . 4 o o A n m . - D i e v o n J ü n g e l g e s t e l l t e Frage nach dem 'secundum modum recipientis recipitur' w i r d v o n i h m so b e a n t w o r t e t , d a ß d i e s e m e i n " s e c u n d u m diventum deum' vorausgeht. Gott k o m m t zur S p r a c h e ." (Jüngel , e b d a , S . 4 o 3 ) . 102) E b d a , S.4o4

Anm.

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286

-

nung der Gleichnisse Jesu als " ästhetischer Objekte"^°^' äußert und die Form-Inhalt Problematik explizit behandelt wird, stellen sich aus der Perspektive Adornos folgende Fragen: Kann die Sprache das leisten, was Jüngel ihr vom Vorrang des Wortes Gottes her zumutet oder wird sie von ontologischen Bestimmungen überfrachtet? Das heißt, es ist nach dem Verhältnis der entdeckten Logik der Sprache des Glaubens zu ihrer theologischen Begrifflichkeit zu fragen. Unterläuft etwa der theologische BegründungsZusammenhang den einmal eingeräumten Vorrang der Glaubensspräche? Können die Gleichnisse Jesu in ihrer immanenten Analogie als Wort Gottes auf deren säkularisierte Form trinitarischer Theo-logik gebracht werden?

6. Versucht man zunächst das Verhältnis von Sprache und Denken bei Adorno genauer zu bestimmen, so stellt man auf den ersten Blick wiederum eine gewisse Affinität zu Jüngel fest. Auch Adorno will nicht^in Ablehnung jeglichen Ursprungsdenkens, Denken als Erstes setzen, sondern denkend wiedergeben, was dieses "als Erfahrung bereits Und er ist sich des "sprachlichen Wesens"^°^' seiner Philosophie durchaus bewußt. Allerdings ist bei Adorno Sprache und Denken so ineinander, daß es immer das menschliche Ich, Subjekt, ist, das denkend spricht. Sprache und Denken stehen also auf einer Ebene in Konstellation miteinander. Die Sprache als Organon des Denkens hat die Aufgabe, Sache und Ausdruck der sprachlichen Begriffe miteinander in Korrelation zu bringen. Um bei Adorno die sprachphilosophischen Momente genauer zu fassen, ist es angebracht, seine ästhetischen Reflektionen zu den Kategorien Form, Wahrheitsgehalt und Inhalt noch einmal zu betrachten; erst von daher können dann zu den oben gestellten Fragen zu Jüngel die kritischen Anmerkungen gemacht werden. 103) Jüngel, ebda, S.4oo Aran. 104) Adorno, ND, S.69

1o5) Ebda, S.63.

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287

-

Wenn Adorno Kunst als "autonom und als fait social beschreibt, so deshalb, um die darin implizierte Dialektik von Subjektivem und Objektivem, von Wahrheit und Lüge, Scheinlosem und Schein als in der maßgeblichen Dialektik von Form und Inhalt anzugeben. "Die Grundschichten der Erfahrung, welche die Kunst motivieren, sLnd der gegenständlichen Welt, vor der sie zurückzucken, verwandt. Die ungelösten Antagonismen der Realität kehren wieder in den Kunstwerken als die immanenten ihrer Kunst ist durch ihr Moment der Autonomie nicht nur an die jeweiligen gesellschaftlichen und historischen Gegebenheiten gekettet, sondern rührt an die Wahrheit der Versöhnung. Man könnte deshalb tatsächlich im Sinne Jüngels davon sprechen, daß die Kunst nicht ohne "die Unentbehrlichkeit der 10 8 ) Analogie" auskommt, will man sachgemäß von ihr reden. Da- hieße dann, Kunstwerke sind 'analog' der Wahrheit geschaffen, "sie haben den Wahrheitsgehalt und sie haben ihn nicht", diese "ünbestimmtheitszone zwischen dem Unerreichbaren und dem Realisierten macht ihr Rätsel Diese 'Unbestimmtheitszone' ist nach Adorno allerdings die der Dialektik von Form und Inhalt und nicht analog zu bestimmen; insofern trifft der Begriff der Analogie doch nicht das von Adorno angesprochene Problem. Die Dialektik des Kunstwerks fordert die Interpretation heraus, die des philosophischen Begriffs, um so dem Wahrheitsgehalt auf die Spur zu kommen. Dabei ist zu beachten und das vertieft den Unterschied zu Jüngels analogem Denken, daß "der Wahrheitsgehalt der Kunstwerke kein unmittelbar zu Identifizierendes ist. Wie er einzig vermittelt erkannt wird, ist er vermittelt in sich selbst. Was das Faktische am Kunstwerk transzendiert, sein geistiger Gehalt, ist nicht festzunageln auf die einzelne sinnliche Gegebenheit, konstituiert sich durch diese hindurch. Darin besteht d er vermittelte Cha106) Adorno, ÄTH, S.19. 107) Ebda. 108) Jüngel, ebda, S.384; dies wird von Jüngel freilich im Blick auf das Reden von Gott gesagt. 109) Adorno, ÄTH, S. 194.

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288

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rakter des W a h r h e i t s g e h a l t e s . " ^ D o c h

ebensowenig liegt

der Wahrheitsgehalt eines Kunstwerks in der Idee, denn dies hieße nur die Form-Inhalt-Dialektik zugunsten des Inhalts aufzulösen, wobei doch gerade bei Adorno der Akzent auf der Form liegt. Der Unterschied zu Hegels Bestimmung, "daß der Inhalt nichts ist als das Umschlagen der Form in Inhalt, und die Form nichts als Umschlagen des Inhalts in Form" und die weitere, daß "wahrhafte Kunstwerke eben nur solche sind, deren Inhalt und Form sich als durchaus identisch erweisen"^^^^, ist der, daß Adorno diese Dialektik von Form und Inhalt in den Werken nicht zur Ruhe kommen läßt,

sondern als

Sprengkraft ihre unablässige wechselseitige Negation denkt. Die von Hegel vorgenommene Identität reflektiert nach Adorno auch nicht genügend die relative

Autonomie ästheti-

scher Werke und ebnet deshalb Ästhetisches und Philosophisches

vorschnell ein. Adorno wirft Hegel vor, er ver-

wechsle "die abbildende oder diskursive Behandlung von Stoffen mit jener für Kunst konstitutiven Andersheit."

112)

110) Adorno, ÄTH, S.195. - Die von Adorno geforderte philosophische Interpretation von Kunstwerken ist durchaus der von Jüngel geforderten Denkanstrengung hinsichtlich des Glaubens an Gott parallel. Jüngels Satz:"Wer verantwortlich von Gott reden will, muß Gott denken" (Jüngel, ebda, S.3o9) könnte im Blick auf Adorno lauten: Wer verantwortlich von Kunst reden will, muß Kunst begrifflich denken. - Der Unterschied stellt sich freilich sofort ein, denn Jüngel ordnet die Sprache dem Denken qualitativ vor. Damit dürfte eine verhängnisvolle Weiche gestellt sein, die mit der von G.Sauter in die Theologie eingebrachten Begrifflichkeit von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang(G.Sauter(Hg.), Wissenschaftstheoretische Kritik der Theologie, München 1973, S.3o8ff.) erhellt werden kann. D.h., Jüngel unterscheidet nicht genügend zwischen beiden Bereichen, was zur Folge hat, daß der Entdekkungszusammenhang seiner Worttheologie(Gleichnisse Jesu) unbesehen die Funktion einer dogmatischen Begründung (Wort entspricht Gott) erhält. 111) Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Theorie WA Bd. 8, S.265 ,266. 112) Adorno, ÄTH, S. 18.

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289

-

Die Form repräsentiert nach Adorno das spezifisch Ästheische. "weil Ästhetik den Formbegriff, ihr Zentrwn, in der Gegebenheit von Kunst immer schon voraussetzt, bedarf es ihrer ganzen Anstrengung, ihn zu denken. Will sie nicht tautologisch sich verstricken, so ist sie auf das verwiesen, was dem Formbegriff nicht immanent ist, während dieser ästhetisch nichts außerhalb seiner selbst Wort haben 113) will." Ästhetisch Form zu denken heißt denn, daß Form die empirischen Elemente integriert, so daß nichts unvermittelt ins Kunstwerk eingeht; Form ist also die synthetisierende Kraft, die das Mannigfaltige ordnet. Genau dadurch aber "verlängert sich das schuldhaft Herrschende in die Kunstwerke hinein." ^ ^ ^ Wohl steht diese Kraft der Synthesis nicht mehr unter dem Primat der Selbsterhaltung des Subjekts, weil sie selbst schon die von Mimesis und Konstruktion ist. Adorno kann deshalb formulieren: "Alldem gegenüber ist ästhetische Form die objektive Organisation eines jeglichen innerhalb eines Kunstwerks Erscheinenden zum stimmig Beredten. Sie ist die gewaltlose Synthesis des Zerstreuten, die es doch bewahrt als das, was es ist, in seiner Divergenz und seinen Widersprüchen, und darum tatsächlich eine Entfaltung der Wahrheit.^^^ Doch um nicht unbesehen einer falschen Versöhnung von Form und Inhalt das Wort zu reden, muß betont werden, daß für Adorno auch diese 'gewaltlose Synthesis' nicht das letzte Wort ist. Die Form schlichtet nicht das in ihr verschiedene, sondern bewahrt es auf und trägt deshalb in sich das Moment der Kritik gegen ihre eigene Unmittelbarkeit wie die ihres Gehalts und ihrer gesellschaftlichen Konstellation.^^ 113)-Adorno, ÄTH, S.213. 114) Ebda, S.217. 115) Ebda, S.215f. 116) Vgl. Adorno, ebda, S.216: "Sie(die Form, W.B.) säkularisiert das theologische Modell der Gottesebenbildlichkeit, Schöpfung nicht, aber das objektivierte Verhalten von Menschen, das Schöpfung nachahmt; keine freilich aus dem Nichts sondern aus Geschaffenem. Die metaphorische Wendung drängt sich auf. Form an den Kunstwerken sei all das, worin die Hand ihre Spur hinterließ, worüber sie hinging." Vgl. auch diese Arbeit S. 143; 24o.

- 29ο Erkenntnis verdankt sich nach Adorno also nicht einer unmittelbaren Wirkung der Kunstwerke, die gleichsam das Innerste des Menschen ansprechen würden. "Die Einheit der ästhetischen Konstituentien mit den kognitiven aber ist 117) die des Geistes als der Vernunft" , d.h. Erkenntnis ist vermittelt, nicht unmittelbar- die der ästhetischen Erfahrung, die selbst nur die von Möglichkeit ist. "Weil aber der Kunst ihre Utopie, das noch nicht Seiende, schwarz verhängt ist, bleibt sie durch all ihre Vermittlung hindurch Erinnerung, die an das Mögliche gegen das Wirkliche, das jenes verdrängte, etwas wie die imaginäre Wiedergutmachung der Katastrophe Weltgeschichte, Freiheit, die im Bann der Necessität nicht geworden, und von der ungewiß ist, ob sie wird."^^®^ Zusammenfassend und um das gestellte Problem nicht aus den Augen zu verlieren, seien folgende Sätze Adornos zitiert: "Nicht als abstrakte Negation der ratio, nicht durch die ominöse unmittelbare Schau des Wesens der Dinge sucht Kunst dem Unterdrückten das Seine widerfahren zu lassen, sondern indem sie die Gewalttat der Rationalität durch deren Emanzipation von dem, was ihr in der Empirie ihr unabdingbares Material dünkt, revoziert. Sie ist nicht, wie das Convenu es will. Synthesis, sondern zerschneidet die Synthesen mit derselben Kraft, die sie bewerkstelligt. Was transzendent ist an der Kunst, hat die gleiche Tendenz119) wie die zweite Reflexion des naturbeherrschenden Geistes." Das aber heißt, Adorno unterscheidet sehr wohl zwischen Entdeckungszusammenhang(der Form derKunstwerke) und dem BegründungsZusammenhang seiner ästhetischen Theorie(dem Vermögen der Kunst). Und doch sind beide Bereiche auch nicht getrennt, sondern bilden eine Konstellation: das Nicht-identische.

117) Adorno, ÄTH, S.2o8. 118) Ebda, S.2o4. 119) Ebda, S.2o9.

- 291 7.

überdenkt man nun noch einmal die oben an Jüngels

Position gestellte Fragen, so ergibt sich schon eine Antwort, wenn man die Nähe Jüngels zu der hier nur skizzierten und aus der Perspektive Adornos dargestellten Positions Hegels bzw. die des Vorwurfs von Adorno an Hegel sieht. Wenn Jüngel sagt: "Die Analogie ist selber im eminenten Sinn ein S p r a c h e r e i g n i s " ^ s o gibt er zweifellos zunächst einer formalen Kategorie den Vorrang innerhalb seiner Denkbewegung, aber er setzt dabei doch wohl sofort und unbesehen Form und Inhalt in eins, denn das Sprachereignis als ein von Gott her qualifiziertes hebt die Form zugunsten des Ereignisses des Kommens Gottes auf. Deutlich wird dies wieder an einer Formulierung Jüngels: "Im Ereignis der Analogie χ a = b:c hört Gott gerade auf, X zu sein. Er stellt sich vor, indem er ankommt. Und dieses sein Ankommen gehört selbst zu seinem S^Z^n, das er ankommend offenbart. Dies ist aber nur möglich, wenn diese Ankunft selber bereits als ein Zur-Sprache-Kommen sich vollzieht, so daß in einer solchen Analogie nicht nur die Relata, sondern gerade auch ihre Verhältnisse zueinander und deren Entsprechung an sich selbst sprachlich sind."^^^* Jüngel behauptet damit tatsächlich die Synthesis der Form und des Geformten; die Sprache ist nicht mehr Organon einer Sache, sondern damit identisch. Dies hat zur Folge, daß die an der Glaubenssprache entdeckte Logik der analogen Entsprechung auch mit der begründenden Logik identifiziert wird; die wichtige Unterscheidung zwischen dem Entdeckungszusammenhang einer Sache und ihrer reflexiven theoretischen Begründung wird ver122) wischt. Wohl steht auch nach Adorno die Logik des Kunstwerks - und ein Gleichnis Jesu ist ein solches in einem Verhältnis zur diskursiven Logik, doch darf die des Kunstwerks sich nicht in deren Bann begeben, wenn anders die Autonomie des Kunstwerks nicht aufgegeben werden 120) Jüngel, ebda, S. 395. 121) Ebda, S.390. 122) Vgl. zur Begrifflichkeit der Sache: Sauter, a.a.O., S. 312ff.

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292

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soll. Bei Jüngel Scheint die am Evangelimn entdeckte Form гшп Prinzip seiner Theologie zu werden und damit die Differenz zwischen Glauben und Denken zu verschwinden. Der von Adorno gegenüber Hegel erhobene Vorwurf dürfte also zutreffen: er verwechselt die diskursive Behandlung von Stof12 3) fen mit der für das Evangelium konstitutiven Andersheit. Die Intention Jüngels, Gott zur Sprache zu bringen, 'wie er an sich ist' ohne die Differenz zwischen Gott und dem Menschen einzuebnen, wendet sich in ihr Gegenteil. Ihren Ausdruck findet solche Tendenz in einer scheinbar beiläufigen Bemerkung, in der Jüngel den Begriff für die Theologie verteidigt und dann abschließend sagt: "Wo von Gott her gedacht wird, entsteht demgegenüber (dem metaphysischen Gebrauch der Analogie, W.B.) ein ganz neues Verständnis 124) von Analogie."

Dieser Satz kann doch nur bedeuten, daß

Jüngel nicht der Sprache, d.h. dem Evangelium einen Vorrang einräumt, wie er eigentlich vorgibt, sondern dem Denken, d.h. der systematischen Intention, um dem Material der Sprache des Glaubens die Gesetze wissenschaftlicher

Denprinzipien

aufzudrücken. Wenn es oben so aussah, als würde der Entdekkungszusammenhang bei Jüngel zum Prinzip seiner Theologie, so muß nun genauer gesagt werden, daß eben nur das èntdeckt wird, was eine ganz bestimmte Systematik des Suchens finden will. Eine weitere Beobachtung kann diesen Sachverhalt noch unterstützen. Wiewohl Jüngel das 'Wort vom Kreuz' als das eigentliche Evangelium herausstellt, so sieht er andererseits in den Gleichnissen Jesu "die Sprache des Glaubens über125) haupt."

Um diese Unstimmigkeit zu beseitigen, muß Jün-

gel notgedrungen die Verkündigung Jesu von der Gottesherrschaft auf die christologische Formel des 'Wortes vom Kreuz' bringen; dies vollzieht er so, daß er die Gleichnisse auf den Gehalt reduziert, sie seien nur hermeheutische Modelle 123) Adorno, ÄTH, S.18. 124) Jüngel, ebda, S.39o. 125) Ebda, S. 4oo.

- 293 -

für das weitergehende Bekenntnis: "das Wort sei Fleisch 126) geworden und habe unter uns Wohnung genommen," Dieses Reduktionsverfahren, das dem Prinzip einer auf Systematik drängenden Ratio entspringt, bringt nicht nur Auseinanderliegendes zusammen, sondern auch die mannigfaltigen Bezüge und Vergleiche, die in den Gleichnissen Jesu angesprochen sind^ auf eine Formel. Den Sachverhalt, daß von Jesus eben mehrere Gleichnisse zur Gottesherrsehaft vorliegen, dessen 'Gehalt' eben sprachliche Variationen erfordert, um das Kommen Gottes in 'Bälde' den verschiedenen Zuhörern deutlich und erfahrbar zu machen, bekommt Jüngel so gar nicht mehr in den Blick. Die je verschiedenen 'Materialien' der Gleichnisse Jesu bzw. die je verschiedenen Bezugsebenen der angekündigten Gottesherrschaft (Senfkorn, Schatz im Acker u.a.) verweisen doch darauf, daß der Bezug des Angesagten zur Empirie in seiner Vielfalt nicht auf Eines sich reduzieren läßt, die Sprachform damit aber ebenfalls am Nichtidentischen des Angesagten mit dem ihm vergleichbaren Empirischen, teilhat. 128)Dies, wie auch der Sachverhalt, daß der Apostel Paulus aller Wahrscheinlichkeit nach kaum Gleichnisse in seinen Missionsreden benutzte, spricht gegen die Methode, die Form der Gleichnisse zur einzig adäquaten Form des Wortes Gottes zu erklären. Indem Jüngel die ästhetische Sprachform der Gleichnisse rein formal aufnimmt und mit der diskursiven Logik des Analogieschlusses in Verbindung bringt, wird unter der Hand aus dem Vorrang einer ästhetischen Kategorie der eines systematischen Denkens, das - und darin liegt der Fehler die Synthesis seiner Begrifflichkeit als die Unmittelbar126) Jüngel, ebda, S.4o1. 127) Die von Jüngel selbst immer wieder herausgestellten Relationen und Situationen der Gleichnisse(vgl. auch Jüngel, Paulus und Jesus, Tübingen 1964, S.87ff.) und die Entdeckung, daß mit einem Gleichnis eine "Geschichte erzählt wird"(Jüngel, Gott als Geheimnis ..., S.4o2) wird durch dieses Reduktionsverfahren einfach eingeebnet. 128) Dieser Schluß ist,aufgrund des Befundes an literarischen Gattungen in seinen Briefen^kaum zu umgehen.

- 294 keit der verhandelten Sache ausgibt. Das für uns heute notwendige Nachdenken des in den Gleichnissen Jesu Angesagten und Zugesprochenen, kann nicht dadurch zum unmittelbaren Glaubensereignis werden, daß die Erkenntnis ihrer Sprachform in ihrer begrifflichen Bestimmung formuliert wird und als theologische Quintessenz ausgegeben, dem Hö1 29 i

rer verdeutlichen soll, wie Gott an sich ist. ' Gerade weil Jüngel konsequent von 'Gott her denkt', d.h. berechtigterweise den Glauben als Konstituens jeglicher Theologie reklamiert, bleibt Theologie eine Reflexionsleistung der menschlichen Vernunft und die Warnung Kants, nicht von der logischen "Möglichkeit der Begriffe sofort auf die Möglichkeit der Dinge (reale) zu schließen" ^ ist für die Theologie, sofern sie nicht Glaubensakt sein kann und will, immer noch zutreffend. Wiewohl Jüngel dieser Regel im allgemeinen sicher zustimmen würde, so hat er doch im besonderen, im 'Kleinsten', aufgrund seines analogen Denkverfahrens, dagegen verstoßen. Wenn Jüngel die traditionelle theologische Rezeption der Lehre von der Analogie ablehnt, weil diese nur die Überlegenheit bzw. Unbekanntheit Gottes sicherstelle, so dürfte er damit den Knoten des 'secundum modum recipientis recipitur' nur auf Kosten einer Identifikation von Form und Inhalt sprachlicher Gebilde zerschlagen haben. Dies aber hat den neuen Knoten einer Ontologisierung der Sprache zur Folge, wie sie denn Adorno beispielhaft an Heidegger kritisiert hat. Mit dem Begriff der Ontologisierung der Sprache soll nun abschließend noch einem Sachverhalt bei Jüngel nachgegangen werden, der mehrfach schon angesprochen und angedeutet wurde und der die Differenz zwischen Adorno und Jüngel vollends deutlich macht. 12 9) Man könnte dies auch so formulieren, daß man sagt: Jüngel setzt Dogmatik und Exegese in eins. Die Exegese der Gleichnisse, die von Jüngel zur Begründung seiner Analogielehre aufgeboten wird, ist selbst im vornherein systematisch ausgerichtet und arbeitet ständig mit Kategorien, die der gegenwärtigen systematischen Diskussion entstammen und deshalb auch wieder für die Inanspruchnahme der exegetischen Befunde für die Systematik passen. Vgl. auch P.Cornehl, a.a.O., S.344f. an die Adresse Moltmanns. 13o) Kant, a.a.O., ( A 597).

- 295 -

8. Unter Ontologisierung der Sprache versteht Adorno jenen Sachverhalt, den Jüngel mit dem Satz revoziert: aufgrund des Ereignisses des Wortes Gottes seien "Gott und Mensch als in je besonderer Weise sprachliches Sein zu denken. ^ Nach Adorno wird dabei Sprache zwangsläufig als ein Erstes ausgegeben, als "physei, nicht als thesei."'^^' Dies aber entpricht einem Rekurs auf einen archaischen Fetischismus, der die Leistungen der Reflexion und damit der kritischen Vernunft vergessen machen möchte. Adorno sieht in solcher Haltung die Sehnsucht nach dem heilen Wort, nach Ganzheit,zum Ausdruck kommen, deren Ausläufer jene Identitätsphilosophien sind, die das Vorhandene affdr-mativ bestätigen wollen. Daß JÜngels theologisches Prinzip der Sprache sich in diese Nähe begibt, ist - gerade auch vom oben Dargelegten aus naheliegend. Sicher ist theologisch unbestritten, daß "in der menschlichen Bestätigung der Definitivität " 13 3)

des göttli-

chen Wortes Gott geehrt wird, doch Jüngels Begründung dieses Sachverhalts dürfte tatsächlich die Sprache hypostasieren. Dabei wird wieder deutlich, daß Jüngel von Gott her denkt, d.h. er versucht in einigen Passagen seiner theologischen Systematik, menschliche Erfahrungen mit dem Wort glaubhaft als göttliches Wort auszugeben und zwar als sich im Begriff bestätigend. Hat der Apostel Paulus das Modell menschlicher Rede auf Gott übertragen(2.Kor.1,18-21), so folgert daraus Jüngel und dies ist seine Begründung für das 'sprachliche Sein' Gottes wie des Menschen -: "Der Übertragung des Modells menschlicher Rede auf Gott liegt die Gewißheit zugrunde, daß Gott sich gerade im Vollzug seiner Göttlichkeit zugleich als menschlich erwiesen hat. Ihn als einen Redenden zu denken, von ihm als einem Redenden zu reden, ist kein 'dogmatischer Anthropomorphismus', der Gott zu nahe träte. 131) Jüngel, ebda, S. 314 Anm. 132) Adorno, ND, S.II 5. 133) Jüngel, ebda, S.392. - Dies gilt vor allem für eine Theologie, die in der Nachfolge K.Barths streng von der Offenbarung her denkt.

- 296 sondern eine Folge desjenigen Ereignisses, in dem Gott als Gott sprachlich zugänglich wird und das die Bibel Offenbarung nennt. In diesem Ereignis und als dieses vollzieht sich die Analogie des Glaubens, in der nicht etwa menschliche Worte Gott zu nahe treten, 'sondern Gott als Wort (Unterstreichung von mir, W.B.) in menschlichen Wor1 34 ) ten Menschen nahe kommt." Nicht der Glaube, daß in menschlichen Worten von Gottes Offenbarung gesprochen werden kann, ist zu kritisieren, sondern die von Jüngel getroffene analoge Bestimmung "Gott als Wort", die damit ja doch das Geheimnis Gottes zu dem der Sprache macht und die Sprache ontologisiert. Was auch die diffizilste Dialektik nur mühevoll l e i s t e t , begriff und das zu Begreifende, Wort und Sache identisch zu machen, soll die Analogie des 'Gott als Wort' leisten. Adorno schreibt im Blick auf Heideggers Sprachonotologie - und dies trifft teilweise auch auf manche Passagen in Jüngels Abhandlung zu - :"Freilich ist jener Fetischismus kaum zu durchschauen, weil schlechterdings alles Gedachte auch sprachlich ist, der besinnunglose Nominalismus so falsch wie der Realismus, der der fehlbaren Sprache die Attribute der geoffenbarten erteilt. Heidegger hat für sich, daß es kein sprachloses An sich gibt; daß also Sprache in der Wahrheit ist, nicht diese in der Sprache als ein von ihr bloß Bezeichnetes. Aber der konstitutive Anteil der Sprache an der Wahrheit stiftet keine Identität beider. Die Kraft der Sprache bewährt sich darin, daß in der Reflexion Ausdruck und Sache auseinander treten. Sprache wird zur Instanz von Wahrheit nur am Bewußtsein der Unidentität des Ausdrucks mit dem Gemeinten. Heidegger weigert sich jener Reflexion; er hält inne nach dem ersten Schritt der sprachphilosophischen Dialektik. Repristination ist sein Denken auch darin, daß es durch ein Ritual des Nennens die Gewalt des Namens wiederherstellen möchte. 134) Jüngel, ebda, S.393. 135) Adorno, ND, S.II 5.

- 297 Daß auch Jüngel sich dem'Ritual des Nennens' nicht entziehen kann, um Gewalt über den Namen zu bekommen, liegt schon in seiner Intention: 'Gott so zu denken, wie er an sich selbst ist' , begründet und dürfte nicht zuletzt an den sprachlichen Wendungen innerhalb seiner Explikation des "dreieinigen Gottes als Geheimnis der Welt"(§25) abzulesen sein. So z.B.: "Der Satz Gott kommt zu Gott kann ohne den Satz Gott kommt von Gott nicht als wahr behauptet werden. Indem Gott zu Gott kommt, hört er nicht auf, von Gott zu kommen. Es ist zwar streng zu unterscheiden zwischen Gott, insofern er sich selber Ursprung ist, und Gott, insofern er sich selber Ziel ist. Es sind zwei unterschiedene Seinsweisen (tropoi hyparxeos) Gottes. Ziel ist nicht gleich Ursprung. Aber das Ziel ist in Gott dem Ursprung gleichursprünglich.^^^ Solche Wendungen sind wenngleich sie noch das Bemühen zeigen, nicht Gewalt über den Namen bekommen zu wollen, dennoch von einem Abstraktionsgrad, der sie nicht nur in die Nähe der Tautologie, sondern sie auch syntaktisch in die Nähe der Metaphysik(z.B. Hegels) bringt, die Jüngel überholen will, weil sie zwischen Gott und Gott das vermittelnde 'Ich denke geschoben hat. Das heißt, Jüngels begriffliche Form fällt hinter die vom ihm erreichte theologische Differenzierung des Problems von Glauben und Denken wieder zuück. Dieser Bruch darf jedoch nach Adorno nicht durch Sprachlehren wettgemacht werden, sondern muß als der des unaufhebbaren Bruches von Denken und dem Wunsch nach seiner Erlösung um der Erlösung willen als Wunde offengehalten werden. Daß Gott 'mehr als notwendig' ist, wird im Schmerz gerade auch dieser Wunde offenbar.

136) Jüngel, ebda, S.527.

- 298 D) DIE RELEVANZ DER DENKPRAXIS ADORNOS FÜR EINE SYSTEMATISCHE THEOLOGIE Die vorausgegangene Darstellung der Denkpraxis und inverstheologischen Konstellationen Adornos verlangen nun, daß diese näher mit den Problemen gegenwärtiger systematischer Theologie bzw. ihren Methoden in Beziehung gebracht werden. Dabei geht es nicht darum, nachträglich die theologische Legitimation der Beschäftigung mit der Philosophie Adornos seitens der Theologie einzuholen, vielmehr sollte deutlich geworden sein, daß die "Sache" selbst dazu auffordert. So sehr die Hoffnung auf die kommende Erlösung und die Erfahrung der unheilvollen Verstrickungen der Menschen mit der Welt die gemeinsamen Einsichten von Adornos Philosophieren und einer, christlichen Theologie sind - und dies sind ja schon gewichtige und weitreichende Gemeinsamkeiten -, so muß doch gleich zu Beginn dieser abschließenden Überlegungen auf die schon anfangs genannte Gefahr der Äquivokation der Begriffe noch einmal aufmerksam gemacht werden. Gerade die Begriffe der Erlösung und des "ganz Andern" bei Adorno und in einer christlichen Theologie dürfen nicht vorschnell in eins gesetzt werden. Der Grund und das Ziel des Denkens bei Adorno ist eben nicht erklärtermaßen Jesus Christus; und die Differenz zwischen einem jüdisch-messianischen und dem neutestamentlich-eschatologischen Hoffen kann nicht ungeschichtlich harmonisiert werden. Ist also das Ziel der Denkanstrengung von Adorno und einer christlichen Theologie verschieden, so dürfte doch das Interesse und ein Stück des Weges gleich sein. Und dieser gemeinsame Weg dient einerseits der Aufarbeitung und Analyse der anthropologischen Bedingungen und Möglichkeiten wahrer Erkenntnis und andererseits gerade auch ihrer verständlichen und adäquaten Darstellung. Es ist gleichsam das soteriologische Interesse - die "Rettung des Hoffnungslosen" - das Adorno mit einer christlichen Theologie verbindet. Wenn es die Aufgabe systematischer Theologie ist, das zu thematisieren, "was der christliche Glaube bei einer zusammenhängenden Betrachtungsweise als geltend wissen soll" 1) E. Lessing, Dogmatik als Aufgabe systematischer Theologie, in: ZThK 1978, S. 358.

- 299 und dies nur in den Feldern von "Bekenntnis, Subjektivität und Kirche"

vollzogen werden kann, so dürften gerade die-

se drei Felder auf die anthropologischen Bedingungen wie auf die Schwierigkeit ihrer Verknüpfung und Systematisierung für die Theologie hinweisen. Es stellen sich dabei folgende Fragen: Welches sind die anthropologischen Bedingungen und Bedürfnisse, die im Bekenntnis zum Dreieinigen Gott vorkommen dürfen und müssen? Welchen Stellenwert dürfen sie erhalten, damit ein gemeinsames "wahrheitsermöglichendes Wissen" ^^ für die Gemeinschaft der Gläubigen noch zum Ausdruck kommen kann? Wie müssen die "drei Felder" miteinander verknüpft werden, damit die grundlegende Unterscheidung von Gott und Mensch gewahrt bleibt und doch jeder einzelne mit seinen Erfahrungen sich noch in der Gemeinschaft des Bekenntnisses aufgenommen und geborgen weiß? Und schließlich: Wie ist der Unterschied zwischen geltendem theologischem Wissen - dogmatischen Aussagen - und subjektiven Glaubenserfahrungen darzustellen, wenn gilt, daß der dreieinige, lebendige Gott sich nicht in Begriffen verfügbar machen läßt bzw. der Heilige Geist zum Glauben verhilft "ubi et quando visum est"? Die folgenden - thesenartigen - Erwägungen erheben niclt den Anspruch, diese Fragestellungen umfassend zu diskutieren oder gar befriedigend lösen zu wollen. Sie sind formuliert, um Orientierungs- und Anknüpfungspunkte zu besitzen, um die Relevanz von Adornos Denkpraxis, d. h. seiner konstellativen dialektischen Methode sowie seines Insistierens auf den naturgeschichtlichen Spuren in allem Denken für die systematisch-theologische Arbeit diskutieren zu können. Wenn die Theologie "zwischen Menschen geschieht" und dabei die Probleme nennt, "die jede Gotteserfahrung umgeben, die das Re4) den von Gott begleiten und oft genug gefährden",

so kann

m. E. gerade Adornos Denkpraxis nach all den vorausliegenden "Untersuchungen für die Theologie ein hilfreicher Gegner bzw. Weggefährte sein. 2) Ebda, S. 354. 3) Ebda, S. 355. 4) G. Sauter, Th'eologie als Beschreibung des Redens von Gott, in: W. Pannenberg/G. Sauter u. a., Grundlagen der Theologie, Stuttgart 1974, S. 53.

- Зоо I. Konstellativ-dialektisches Denken als eine Form theologischer Argumentation 1 . Adornos konstellativ-dialektische Denkpraxis' steht - philosophiegeschichtlich gesehen - in der Tradition der linkshegelianischen Religionskritik, wenngleich sie deren Konsequenzen nicht teilt. ^^ Sie geht davon aus, daß - nach Auschwitz vollends - jegliche Behauptung der Evidenz und Präsenz von Versöhnung Trug ist. Nicht jedoch rationalisiert sie das Bedürfnis nach Erlösung als selbstgemachte und selbstverschuldete Projektion gesellschaftlicher und geschichtlicher Verhältnisse. "Die volle Versöhnung durch den Geist inmitten der real antagonistischen Welt ist bloße Behauptung. Die philosophische Antezipation der Versöhnung frevelt an der realen; was immer ihr widerspricht, schiebt sie als philosophieunwürdig der faulen Existenz zu. Aber lückenloses System und vollbrachte Versöhnung sind nicht das Gleiche, sondern selber der Widerspruch: die Einheit des Systems rührt her von unversöhnlicher Gewalt. Die vom Hegeischen System begriffene Welt hat sich buchstäblich als System, nämlich das einer radikal vergesellschaftlichten Gesellschaft, erst heute, nach hundertfünfundzwanzig Jahren, sa2) tanisch bewiesen." Indem Adorno Hegels Religions- und Geschichtsphilosophie damit nicht nur immanent, sondern auch vom Resultat der realen Geschichte aus kritisiert, versagt er sich selbst jeden solchen Entwurf. Kritisches Denken ist bei Adorno auf die gesellschaftlichen und individuellen Einzelheiten gerichtet und gewinnt so seine ethische und ästhetische Intention. Von ethischer Intention kann deshalb gesprochen werden, weil Adornos Denken eine selbstreflexive Kraft innewohnt, die sich an einer relativen Freiheit des Einzelnen ausrichtet und daraufhin arbeitet. Diese Kraft des kritischen Denkens ist gleichsam mit der Bewegung des Denkens selbst identisch und deshalb ist sie für Adorno "Statthalter der Freiheit". ^^ 1) Vgl. A. Schmidt, Adorno - ein Philosoph des realen Humanismus, in: Th.W.Adorno zum Gedächtnis, Frankfurt 1971, S. 75, 2) Adorno, H, S. 39f. 3) Adorno, St, .S. 173.

- 3o1 Die ästhetische Intention dieser Denkpraxis geht mit der konstellativen Methode in eins, d. h. wahrnehmend sollen die zu reflektierenden Phänomene so mit dem Material ihrer Genesis wie ihrer Wirkungsgeschichte gewaltlos umstellt werden, daß der Vorrang des Objekts als Hinweis auf das Nichtidentische

von herangetragenem Begriff und der zu

untersuchenden Sache deutlich bleibt. Die solchermaßen arrangierte Umstellung des Objekts, vereinnahmt dieses nicht und kann sich deshalb weder beruhigen, noch eine erlösende Synthese vollbringen. Die Unruhe negativer Dialektik ist also gerade nicht Selbstzweck, sondern die Arbeit des Wachbleibens, des Offenhaltens der Wunden und damit die Ortsangabe der Hoffung des einzelnen auf "Rettung"; nicht schon deren Einlösung. Adornos sym-pathisches Ausharren bei der Immanenz und das schonungslose Benennen ihrer Leiden macht die Dringlichkeit einer Transzendenz und der Erlösung erst recht deutlich. Die Möglichkeit der Erlösung ergibt sich nicht auf Grund von antizipierender Teilhabe an ihr, sondern einzig aus der Erfahrung der Unerlöstheit und dem vorläufig irrational erscheinenden Gedanken, das Erlösung sein könnte. Dieser Gedankenblitz stärkt die Arbeit der Kritik am Gegebenen wie er zugleich die Hoffnung nährt, daß das, "was ist, nicht alles ist." ^^ Versucht man auf diese Weise, Adornos Denkpraxis, wie sie für die Theologie interessant sein könnte, zusammenzufassen, so zeigt es sich, wie wenig ein solcher Versuch der Differenziertheit und konstellativen Technik von Adornos Denken adäquat wird. Und dies dürfte nicht in erster Linie am Referenten, sondern konstitutiv an Adornos Denkpraxis selbst liegen; sie sperrt sich gegen jegliches Resümieren. Doch genau hier liegt m. E. die Stärke wie die Schwäche der Denkp'raxis Adornos: sein Verhältnis zur Praxis. Adornos Philosophie ist eben nicht einfach - im wahrsten Sinne des Wortes - in Praxis, sei es diejenige einer didaktischen, politischen oder soteriologischen Handlungsstrategie, umzusetzen. Und dies nicht etwa deshalb, weil dieses Denken zu kompliziert oder zu paradox formuliert wäre, sondern weil 4) Adorno, ND, S. 389.

- 3o2 der kritische Impuls - wie oben angedeutet - prinzipiell nicht zur Ruhe kommen darf, das Denken gar keine Zeit zu seiner Verleiblichung hat. Oder anders gesagt: Die von Adorno erkannte Ambivalenz von Selbstbehauptung und dem Aufscheinen von Freiheit im Vollzug der Selbstbehauptung bei allem Tun und Denken hat Angst vor aller Tat bzw. vor Festlegung und möchte die erreichte Konstellation kritischer Denkbemühung nicht stören. Diese Schwäche: "Praxis wird aufgeschoben und kann nicht warten; daran krankt auch Theorie"

ist jedoch gerade aus der Perspektive der Theologie

die Stärke der Denkpraxis Adornos und macht ihre Affinität zum theologischen Denken aus. Denn zum einen ist solches Denken trotz aller Unruhe offen für neue Erfahrungen, kritikfähig und bereit, auch das Dunkle und Rätselhafte, das Häßliche und Abstoßende aufzunehmen und zu durchdringen, ohne es sofort zu vereinnahmen oder zu katalogisieren. Und zum andern ist dies eine Verfahrensweise, die theologischem Denken nicht nur nicht fremd sein sollte, sondern die gemäß dem Apostel Paulus (vgl. 1. Kor. 9,19ff.u.ö.) zum Dienst der Verkündigung des Evangeliums von Christus gehört. Theologisch-systematisches Denken hat immer schon deshalb ein gestörtes Verhältnis zur Praxis des Glaubens, weil es einerseits genau weiß, daß nicht dogmatische Richtigkeiten (Mt. 7,21) oder glänzende Weisheitsrede (1. Kor. 1,18ff.) Gottes heilsschaffende Macht erweisen, sondern sie in "Schwachheit ihre Vollendung erreicht" (2. Kor. 12,9). Und theologisches Denken weiß andererseits, daß wiederum nicht die Werke der Liebe die Erlösung bewirken, sondern einzig der Glaube an das Evangelium Gottes, das für alle sola gratia geschenkt wird. Diese Spannung von Glauben und Handeln, zwischen dem Schon der Versöhnung in Christus und dem Noch-nicht der erhofften Erlösung der gesamten Welt ist es, die eine - bei allen inhaltlichen Differenzen - sehr starke formale Affinität zwischen Adornos Denkpraxis und einer theologischen herstellen kann. Wenn oben gesagt wurde, daß Adorno nicht konsequent logisch denkt, daß er Wortgeflechte um die zu analysierende Sache 5) Ebda, S. 240; vgl. auch St, S. 169ff.

- ЗоЗ legt, d a ß er u m die n i c h t i d e n t i s c h e E i n h e i t v o n B e g r i f f Sache, weil um das Fragmentarische aller begrifflich

und

gewon-

n e n e n W a h r h e i t w e i ß , so d ü r f t e d i e s a l s o e i n A n k n ü p f u n g s p u n k t sein, u m die R e l e v a n z d e r D e n k p r a x i s A d o r n o s für d i e T h e o l o g i e e i n s i c h t i g m a c h e n zu k ö n n e n . G e r a d e m i t e i n e r k o n s t e l l a t i v - d i a l e k t i s c h e n M e t h o d e d ü r f t e es m ö g l i c h d e n "Schatz des E v a n g e l i u m s "

(2. K o r . 4,7)

sein,

so d a r z u s t e l l e n ,

daß nicht um einer logisch systematischen Evidenz

willen

d i e s e r S c h a t z w e r t l o s o d e r gar t h e o l o g i s c h e s D e n k e n m i t d e m V o l l z u g des G l a u b e n s v e r w e c h s e l t w i r d . 2. I s t e i n m a l die A f f i n i t ä t u n d R e l e v a n z v o n A d o r n o s p r a x i s für die t h e o l o g i s c h - s y s t e m a t i s c h e A r b e i t

Denk-

zugestanden,

so m u ß ihre D r i n g l i c h k e i t u n d N o t w e n d i g k e i t w e n i g s t e n s

noch

andeutungsweise aufgezeigt werden. U n t e r s u c h t m a n die g e g e n w ä r t i g w i c h t i g s t e n E"-,würfe u n d M o n o g r a p h i e n ^^ auf ihre

theologischen

Argumentationsstruk-

t u r e n h i n ab, so e r g i b t sich, daß fast d u r c h g e h e n d d i e

theo-

logischen Kernaussagen mit Mitteln der diskursiven Logik v o r g e t r a g e n bzw. in d e r e n S c h e m a t a d a r g e s t e l l t w e r d e n .

Die

Evidenz und Stringenz theologischen Denkens und seiner Wahrh e i t soll m ö g l i c h s t im G e w ä n d e w i s s e n s c h a f t l i c h e r

Begriff-

l i c h k e i t u n d d e r e n A n s p r u c h auf A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t k o m m e n u n d w i r k e n . Die d a m i t e r r e i c h t e u n d

einher-

angestrengte

A p o l o g i e des E v a n g e l i u m s v o n C h r i s t u s als e i n e r K r a f t G o t t e s z u m H e i l für j e d e n

(vgl. Röm. 1,16) g e r ä t d a b e i w o h l zu e i n e r

s c h a r f s i n n i g e n T h e o - l o g i k , j e d o c h o f t u m d e n P r e i s der heit des Wortes Gottes. Theologische Argumentation

Frei-

vergißt

i m F o r t g a n g ihrer l o g i s c h e n u n d s y s t e m a t i s c h e n A r b e i t u n d D a r s t e l l u n g a l l z u s c h n e l l z w e i e r l e i : E r s t e n s , d a ß die

Diffe-

renz zwischen religiöser Erfahrung - dem selbstmächtigen Wirk e n des W o r t e s G o t t e s - u n d t h e o l o g i s c h e m S y s t e m

denkerisch

n i c h t a u f z u h e b e n ist. Das W i r k e n d e s E v a n g e l i u m s als theou" im H e i l i g e n G e i s t i s t d u r c h t h e o l o g i s c h e

"dynamis

Beschreibung

6) M o d e l l h a f t ist d i e s im T e i l С d i e s e r A r b e i t g e s c h e h e n ; vgl. a u c h die A r b e i t v o n A. J e f f n e r , K r i t e r i e n c h r i s t licher G l a u b e n s l e h r e (s. u. Anm. 9); W . H ä r l e / E . H e r m s w o l l e n m i t ihrer S t u d i e " R e c h t f e r t i g u n g . D a s W i r k l i c h keitsverständnis des christlichen Glaubens, Göttingen 1980" e x p l i z i t die V e r i f i k a t i o n des c h r i s t l i c h e n G l a u bens mittels logisch analytischen Methoden demonstrieren.

- 3o4 grundsätzlich nicht einzuholen. Und zweitens, daß Gottes Gnade gerade 'noch nicht'allgemein einsichtig zu machen ist, sondern vorläufig nur von einzelnen und Gruppen -angenommen wird und ansonsten gerade seine Allgemeingültigkeit schärfstens bestritten wird. Der schon von dem Apostel Paulus schmerzlich erfahrene Riß zwischen logischem und religiösen Bedürfnis seiner Zuhörer in Athen (vgl. Act. 17) kann kaum durch systematische oder begriffliche Anstrengung geschlossen werden, denn die Botschaft von Kreuz und Auferweckung Jesu Christi läßt sich nicht analog den gerade herrschenden Bedürfnissen explizieren. Methodisch kann dies für die systematisch theologische Arbeit soviel bedeuten, daß die Vermittlung der für die Glaubenden geschehenen Versöhnung in Jesus Christus nicht - noch nicht - mit wissenschaftlichen Mitteln um jeden Preis geleistet und ihre Wahrheit damit erwiesen werden müßte. Das heißt freilich auch nicht, daß der Theologe die Regeln diskursiver Logik verschmähen könnte. Wohl aber dies, daß er sich genau überlegen muß, wo und wie er sie einsetzen kann. 8) Daß Gott "mehr als notwendig ist"

überschreitet - tra-

ditionell gesprochen - die Erkenntnismöglichkeit der natürlichen Vernunft. Ein solcher Satz ist Ausdruck des Glaubens und dessen Erfahrung von dem Ubermaß der göttlichen Gnade (vgl. Röm. 5,17). Einsichtig gemacht werden kann im Sinne Adornos nur die Notwendigkeit der Gnade für unsere Situation durch eine differenzierte Analyse des Feldes der Gesetzlichkeiten dieser Welt und ihrer Lebensbedingungen. Die theologische Vernunft macht damit nicht dem Glauben Platz, wohl aber bereitet sie der Gnade einen Weg (vgl. Jes. 40,3). 7) Dies darf deshalb nicht geschehen, weil theologisches Denken immer auch seine Spitze in einer ethischen Konkretion hat bzw. der Gläubige - auch der Theologe sich nach Paulus im Gericht noch verantworten muß (1. Kor. 3,13 u. ö.). Die Spezialisierung der theologischen Disziplinen hat vergessen lassen, was die Reformatoren noch wußten: Theologie hat in eminentem Maße theologia practica zu sein. Vgl. dazu auch H. G. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, 3. Aufl. Gütersloh 1980, S. 24f. 8) So die These in E. Jüngels scharfsinnigem Buch "Gott als Geheimnis der Welt", (S. 30) im Gegenzug zu der von R. Descartes inaugurierten Argumentationsfigur neuzeitlicher Methaphysik.

- 3o5 Die Schwierigkeiten heutiger protestantischer systemati9) scher Theologie an diesem Punkt hat A. Jeffner überzeugend herausgearbeitet. Seine Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, "daß es unmöglich ist, irgendeinem von den Verfassern eine Kriterienanwendung zuzuschreiben, die es zuließe, seine Darstellung als Gesamtheit 'positiv argumentativ'zu nennen."

Als Grund für diesen Mangel nennt

Jeffner die jeweils verschiedene

Inanspruchannahme von

Erfahrung als Kriterium für evidente Glaubenssätze. Der durch die Einbringung von Jeffners Ergebnissen in diesen Zusammenhang provozierte

Einwand, daß damit aus einem

völlig verschiedenen Argumentationszusammenhang und Interesse heraus Gedanken eingebracht würden, ist nur insofern berechtigt, als Jeffners Untersuchung der Argumentationsmethoden von Glaubenslehren letztlich auf logisch entscheidbare Kriterien

für die Beurteilung von dogmatischen Sätzen

zielt. Von Adornos Denkpraxis aus müßte die Prämisse solchen Vertrauens in logische Evidenz noch "entmythologisiert" werden. Jeffners Ergebnisse sind jedoch gerade für eine mögliche Verknüpfung von konstellativem mit bisherigen theologischem Denken deshalb von Bedeutung, weil der von Jeffner angesprochene Mangel auf die Notwendigkeit konstellativen Denkens umsomehr verweist. Die von Jeffner geforderte "posi1 2) tive argumentative Glaubenslehre" zielt ja gerade nicht auf eine eindimensional mit empirisch wissenschaftlichen Mitteln durchgeführte Glaubenslehre, sondern auf eine nach 9) A. Jeffner, Kriterien christlicher Glaubenslehre, Eine prinzipielle Untersuchung heutiger protestantischer Dogmatik im deutschen Sprachbereich, Uppsala 1976 (= Göttingen 1977) . 10)Jeffner, ebda, S. 132. 11)Jeffner, ebda, S. 81: "Unsere summarische Diskussion soll nicht mehr zeigen als das: Viele Probleme der Anwendung von Erfahrungskriterien sind in unserem Material ungelöst, und es gibt in diesem Material keine wirklich fruchtbaren Anregungen dazu, wie diese Probleme in ihrer ganzen Weite wohl gelöst werden sollen." 12)Jeffner, ebda, S. 137.

- Зоб dem "Integrationsprinzip"

aufgebaute. Jeffner gibt da-

mit indirekt einer konstellativen Methode innerhalb der systematisch-theologischen Arbeit die besten Chancen, das dogmatisch notwendige Wissen so zu vermitteln, dafl es der Wirklichkeit des Glaubens wie der der Glaubenden adäquat wird. Adornos Denkpraxis kann demnach den systematisch denkenden Theologen dahingehend ermutigen, die unvollkommenen und logisch nicht evidenten Argumentationszusammenhänge

dogmati-

scher Sätze als Denkfiguren insgesamt aufzunehmen, ihre Bruchstellen und immanenten Unstimmigkeiten herauszustellen, um damit den Hinweis auf den notwendigen 'Scheincharakter', d. h. den vorläufigen Status aller theologischen Aussagen deutlich zu machen. Dabei dürfen freilich nicht unter der Hand Mängel innerhalb der theologischen Aussagen bzw. ihrer biblischen Fundierung ein heimlicher Beweis für die Wahrheit der verhandelten Sache werden. Systematische Theologie hieße bei Beachtung von Adornos Denkpraxis nicht, nach einem lückenlosen System logisch-evidenter Glaubenswahrheiten zu streben, sondern die Probleme und Aporien herauszuarbeiten, die sich beim Versuch, Gott im Zusammenhang von Welterfahrung zu denken und zu sagen, einstellen.

Und die Notwendigkeit konstellativer theologi-

scher Argumentation bestünde darin, in der jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Situation den Versuch zu wagen, zu sagen, was der "christliche Glaube bei einer zu1 4) sammenhängenden Betrachtungsweise als geltend wissen" soll. Dieses Wissen müßte dann eine Beschreibung der akuten 13) Jeffner beschreibt das 'Integrationsprinzip' folgendermaßen: "Wir verstehen dabei unter 'Integration' erstens, keinen Sektor des intellektuellen Lebens gegen die übrigen Sektoren zu isolieren, sondern im Gegenteil über die Beziehungen nachzudenken, die zwischen ihnen - z . B . zwischen Wissenschaft, Moral, Schönheitserlebnissen und Religion - bestehen. Zweitens, ( ) man nimmt einen von Lebensanschauung und Moral unabhängigen metatheoretischen Platz der Begegnung an. Drittens beinhaltet Integration, daß man in der Gesamtheit der Behauptungen und Normen, die man akzeptiert, logische Ordnung erstrebt" (a.a.O., S. 139f.) 14) E. Lessing, a.a.O., S, 358.

- 3o7 Aporien und Problemfelder implizieren, gleichsam eine Grammatik der Lebenserfahrungen entwerfen. So käme in den Konstellationen von Bekenntnis, Subjektivität und Kirche zum Vorschein, daß das jeweils thematisierte und geltende Wissen des Glaubens, weil es gesättigt wäre mit den Erfahrungen der Welt, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium auch in der Praxis des Alltags durchführen kann und muß. Konstellatives Denken könnte damit den Vollzug

des Glau-

bens - "ich glaube, hilf meinem Unglauben" (Mk. 9,24) zur Darstellung bringen, ohne "sein Geheimnis anzutasten".^^^ Und solches

methodisches Denken rationalisierte nicht den

Glauben, sondern stellte Regeln auf, die die Verständigung über den Glauben zu Ergebnissen wie zu weitertreibenden Denkanstrengungen führte. Denn diese Regeln würden gerade nicht zu einstimmigen Satz- und Begründungszusammenhängen anleiten, sondern den disharmonischen Stimmen im Gefüge des erhofften Ganzen Platz einräumen, weil sie ihrerseits auf die "Sehnsucht nach Erlösung" (Rom. 8,23) hinweisen würden. Durch solch konstellativ dialektisches Denken - das ein Denken der Unterscheidung ist - würde schließlich auch das Ja zu Gottes Liebe für den einzelnen nicht heimlich erzwungen oder zu seinen Gunsten antizipatorisch behauptet, sondern der Lobpreis der Gnade Gottes als subjektive Erfahrung würde zur Einladung und dem Angebot der Hoffnung. Das Ja zu Gottes Gnade in Jesus Christus bliebe dann, solange nicht alle in es einstimmen können, in dogmatischer Sprache gesagt, das Wissen um die Vorläufigkeit aller unserer Rede von Gott. Oder um es im Sprachstil Adornos zu formulieren: Was wäre das Lob Gottes, das sich nicht mäße an der Trauer der Mitmenschen? 3. Diesen bewußt holzschnittartigen Hinweisen auf die Reichweite und Leistungsfähigkeit konstellativen Denkens für die systematische Theologie stellt sich freilich sofort die Frage entgegen, ob damit nicht eine Beliebigkeit zum Prinzip theologischen Denkens und Redens gemacht wird bzw. wie denn der normative Charakter theologisch-dogmatischer Rede bei

15) G. Sauter, a.a.O., S. 54.

- 3o8 solcher Methode noch gewahrt werden kann. Kann überhaupt noch innerhalb solchem konstellativ-dialektischen Denken klar und entschieden gesagt werden, was christlichen Glauben ausmacht? Eine solche Anfrage tendiert in ihrer erwarteten Antwort auf ein Aufgebot von letztbegründenden Sätzen und Bestimmungen mit scheinbar klaren und festen Aussagen, die alle weiter davon abgeleiteten legitimieren. Dem verweigert sich konstellativ-dialektisches Denken; und diese Weigerung dürfte gerade der Struktur des Glaubens an Jesus Christus eher entsprechen als alle Versuche, diesen Glauben logisch

oder

assertorisch mit evidenten Aussagen und Bestimmungen zu behaupten oder überzeugend in ein System zu bringen.

Daß

dies nicht für eine theologische Denkpraxis und ihre Darstellung der verbindliche Maßstab sein kann, muß gerade aufgrund der neutestamentlichen fundamentalen Erfahrungen des Glaubens, genauer gesagt: der Beschreibung dieser Erfahrungen, immer wieder geltend gemacht werden. Glauben an Jesus Christus lebt in und von sich oft widersprechenden Erfahrungen, deren Strukturen nicht ohne Zwang in logisch evidente Zusammenhänge oder ein System überführt werden können. Die vielfach schwierige Syntax von Paulus (z. B. in Rom. 7;8) ist nicht primär durch stilistisches Unvermögen, sondern sachlich bedingt. Der eschatologische Horizont des Glaubens und der begonnenen "neuen Schöpfung" (2. Kor. 5,17) ist eben nur mühsam in herkömmlicher Syntax auszudrücken und noch viel weniger in ein strLngentes System zu dringen. Der Einwand, daß ein Bekenntnis des Glaubens eindeutig und gewiß ist und zu sein hat, ist nicht stichhaltig. Denn jedes

16) Vgl. G. Sauter, Theologie als Wissenschaft. Ein Gespräch, in: .W. Pannenberg/G, Sauter, Grundlagen S. 63: "Ich sehe demgegenüber als Grundregel wissenschaftlichen Arbeitens, auch kirchlichen Redens, an, daß Verstehen und Einverständnis nicht unbedingt zur Deckung kommen müssen. Wir werden gerade in der Theologie zu unterscheiden haben: Wenn wir zum Einverständnis einladen, ist dies etwas anderes,als zu überzeugen oder gemeinsam zu prüfen oder auch durch Erklärung etwas einsichtig zu machen."

- 3o9 Bekenntnis - gerade weil es eindeutig ist - ist gefährdet und bedarf der Wiederholung und Interpretation gerade weil es für einen anderen gesprochen ist. Wer ein Bekenntnis spricht, weiß, daß er solches nur in hoffendem Glauben und auf Gnade hin tun kann. Der von E. Lessing gemachte Vorschlag, dogmatisches bzw. systematisches Denken als theologische Wissen eines Wissen

Metatheorie, als

zu verstehen, dürfte ein Ansatz sein,

die bei Adorno gefundene Methode konstellativ dialektischen Denkens auch innerhalb der Theologie zum Zuge zu bringen. Das heißt: mit den Feldern des christlichen Bekenntnisses, der Subjektivität und der kirchlichen Gemeinschaft eine solche Konstellation zu vollziehen, daß dem einzelnen eine Chance bleibt, in die Gemeinschaft des Glaubens und seiner Lehre sich einzubringen. Denn diese Methode bedeutet eben, daß nicht durch ein System oder ein latentes deduktives Verfahren theologische Rede begründet wird, sondern daß "weder Bekenntnis noch Subjektivität noch Kirche je für sich von letzter Verbindlichkeit sind, wohl aber sind sie zusammen Bedingungen dogmatischen Redens und damit des dogmatischen Wissens. Sie strukturieren Dogmatik und bilden so das Feld, innerhalb dessen sie sich bewegt."

18Ì

17) E. Lessing, Dogmatik als Aufgabe systematischer Theologie, a.a.O., S. 350ff. 18) Ebda, S. 358.

- 31ο II. ^Naturgeschichte' als Faktor theologischer Anthropologie 1. Die theologische Anthropologie beantwortet die Frage 'Was ist der Mensch?"meist derart, daß nicht auf empirische Feststellungen, Erfahrungen und biologische Daten des menschlichen Lebens und seiner geschichtlichen Entwicklung rekurriert wird, sondern diese Frage vom Glauben und dem Urteil Gottes aus erläutert und aufgelöst wird. So wird assertorisch mit M. Luther in Anknüpfung an Röm. 3,28 gesagt - und darin stimmen nahezu alle evangelischen Untersuchungen theologischer Anthropologie überein -: " ... breviter hominis definitionem colligit, dicens, hominem iustificari fide." ^^ Diese abstrakte Definition des wahren Menschen, die theologisch mit gutem Recht verantwortet werden kann, dürfte gerade im Sinne einer anthropologischen Aussage, doch allzu 'hoch' ansetzen. Zumindest verleitet eine solche Definition dazu, Glaubensaussagen mit analytischen Aussagen zu verwechseln oder Anthropologie zu einer Hilfswissenschaft für dogmatische Behauptungen werden zu lassen. Wohl weiß man seitens der Theologie, daß das neue Sein in Christus "die paradoxe Einheit der Auferstehungsmacht und der Leidensgemein2) Schaft in sich schließt, Phil. 3,10" . Aber die Argumentationsweise theologischer Anthropologie löst die Paradoxic fast zwangsläufig in den Sieg des Glaubens "der die Welt überwunden hat" (vgl. 1. Joh. 5,4) auf und endet in einer Euphorie hinsichtlich dessen, was die Möglichkeit menschlichen Lebens zum Guten betrifft. Das Problem theologisch-anthropologischer Bestimmungen und Aussagen ist deshalb wohl dies, wie die Ergebnisse der Humanwissenschaften in den theologischen Rahmen einzubringen sind, ohne daß sowohl dieser wie jene

um ihre Relevanz gebracht werden.

Von Adornos Denkpraxis aus gesehen, kann jegliche Anthropologie weder vom "neuen Menschen" ausgehen noch gar ihn 1) M. Luther, Disputatio de homine (1536), These 32, in: WA 39/1, S. 176. - Darauf rekurrieren Sauter wie E. Jüngel; vgl. Sauter, Mensch sein - Mensch bleiben, a.a.O., S. 81; E. Jüngel, Der Gott entsprechende Mensch, Bemerkungen zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Grundfigur theologischer Anthropologie, S. 345. 2) Sauter, Mensch sein - Mensch bleiben, S. 98.

-

311

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beschreiben. Sie muß vielmehr die menschlichen Unzulänglichkeiten, die Leiden und den tragisch-komischen Prozeß der Geschichte menschlicher Aufklärung und Selbstbehauptung - also den "alten Menschen" - ins Rampenlicht stellen. Weil es "kein richtiges Leben im falschen"

gegeben hat und gibt

und weil auf alle Versuche, Freiheit und Mündigkeit für den einzelnen oder eine Gemeinschaft zu erwerben, der Schatten 4) der listigen Vernunft fällt, kommt Anthropologie nicht aus der Schattenseite menschlicher Geschichte heraus. Eine Beschreibung der Sonne wäre Götzendienst. "Im Blick auf den in ihrer Glut verdorrten Baum erst lebt die Ahnung von der Majestät des Tages, der die Welt, die er bescheint, nicht zugleich versengen muß." ^^ Wendet man theologisch gegen eine solche Perspektive ein, daß es eben in theologischer Anthropologie nicht um einen "verdorrten Baum", sondern um den Aufweis des in Christus erschienen neuen Lebens und dessen Vollzug gehe, so muß und kann sofort mit Paulus gesagt werden, daß die an Christus Glaubenden noch auf dieser Erde unter Stöhnen wandeln und auf die "Sohnschaft und die Erlösung des Leibes" (Rom. 8,23) warten. Es geht also in theologischer Anthropologie darum, den Ort des Glaubenden und seine 'weltlichen' Bedingungen nicht vorschnell - oder enthusiastisch - aufzulösen und in doxologischem Eifer vergessen zu machen. Das theologisch zu explizierende Wissen um das wahre Menschsein im Glauben an Jesus Christus muß demnach in seiner Darstellung nicht nur das Evangelium, sondern auch die Aporien und vielfältigen Probleme menschlichen Glaubens - das Gesetz - zur Sprache bringen. Das heißt, theologische Anthropologie muß die Interessen der Denkprozesse des Glaubens und der darin versteckten List der menschlichen Vernunft zur Sprache bringen, wenn es ihr um die bleibende Unterscheidung von Gott und Mensch 3) Adorno, MM, S. 42. 4) Zu erinnern ist hier nur noch einmal an die Interpretation von Odysseus, wie sie Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" vorgelegt hat. "In Wahrheit verleugnet das Subjekt Odysseus die eigne Identität, die es zum Subjekt macht und erhält sich am Leben durch Mimikry ans Amorphe. (...) Solche Distanz ist aber zugleich Leiden." (DA. S. 62f.) 5) Adorno, DA, S. 196.

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ankommt. So selbstverständlich dies in jeder christlichen Theologie im allgemeinen auch gewußt und gesagt wird, so schwierig scheint es doch - wie noch zu zeigen ist - zu sein, dies im Detail systematisch-theologischer Arbeit und Begrifflichkeit zum Ausdruck zu bringen bzw. durchzuhalten. 2. Wenn G. Sauter im Zusammenhang seiner anthropologischen Ausführungen sagt: "Wer sich der Art und Weise Gottes, am Menschen zu wirken, aussetzt, kommuniziert mit der erlösungsbedürftigen, sich nach dem Heil 'objektiv' ausstrekkenden Welt (Rom. 8,22f.)"

und wenn F. Wagner das Han-

deln Gottes in der Komplementarität von aktiver Selbstbestimmung und passivem Bestimmtsein theologisch nur dann adäquat erfaßt sieht, "wenn sie als der eine identische Prozeß gedacht wird, demzufolge das Bestimmen (Aktivität, Allgemeinheit, Gott) im Bestimmten (Passivität, Besonderheit, Mensch) bei sich ist"

, so sind in diesen theolo-

gischen Sätzen die Momente der naturgeschichtlich bedingten Interessen des Glaubenden untergegangen bzw. die Unterscheidung von Gott und Mensch so miteinander vermischt, daß sie dem Leser nicht mehr ohne weiteres deutlich werden. Das Besondere des von Gott ausgehenden Heils scheint einer allgemein gültigen Aussage fähig. Oder um es aus der Perspektive Adornos schärfer noch zu formulieren: Das Heil, das der Glaubende als die Treue Gottes durch und über den Tod hinaus als eben sein Besonderes bekennend behauptet, wird in solcher dogmatischen Sprache zu einem Allgemeinen transponiert, das die Differenz von Glaube und logischem Schlußverfahren des theologischen Denkens verschwinden macht. Der Platz, der dem Objekt im Glaubensakt eigentlich zukommt, wird in seiner begrifflichen Explizierung vom Subjekt des Denkens erworben, d. h. - wie F. Wagner schreibt - Subjekt und Objekt 8Ì werden "substituiert"

6) Sauter, a.a.O., S. 98. 7) F. Wagner, Der Mensch zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit, S. 161. 8) Ebda, S. 160.

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Diese Substitution von Subjekt und Objekt als eine doch wohl traditionelle Argumentationsweise religiöser Denk9) praxis wird in der dogmatischen zum Ineinander von Glaubens- und erkenntnistheoretischen Aussagen, wobei glücklich vergessen wird, wer diese Substitution vorgenommen hat. Dieser Vorgang, der ganz auf der Linie einer dogmatischen Methode von Letztbegründungen und Wesensaussagen liegt, kann noch einmal an einer Argumentationskette G. Sauters gezeigt werden. Sauter schreibt: "Diese Verheißung (des Lebens kraft der Auferstehung Jesu Christi, W. B.) gilt allen Menschen, sie gilt universell, aber gerade als Verheißung ist sie nicht als generelle Bestimmung der Menschheit zu erheben. Was wir "in Christus" als "neue Menschen" wirklich sind, sind wir unter der Herrschaft des lebensschaffenden, geschöpfliches Dasein aus dem Nichts rufenden Gottes (Rom. 4,17). Ohne von der Treue Gottes gehalten zu werden, wären wir auch als Menschen nicht mehr einer gemeinsamen Bestimmung teilhaftig." Der vorgenommene Perspektivenwechsel vom zweiten Satz dieses Zitates zum dritten zeigt exemplarisch wie durch eine Substitution von Subjekt und Objekt in der dogmatischen Aussage über die Treue Gottes die noch zuvor getroffene Unterscheidung von besonderer Glaubensaussage und genereller anthropologischer Bestimmung verschwindet. Die Verheißung wird durch den Blick auf ihren Urheber begründet, das aber heißt zugleich, durch eine theo-logische Reflexion wird die Differenz von Gott und Mensch unbemerkt aufgehoben und - im Sinne Adornos interpretiert - der "Vorrang des Objekts" mit dem Vorgang der Denkbewegung selbst identisch gemacht; von Gott wird in den "Orientierungsmustern der Subjektivität" gesprochen. Das ungesicherte Moment im Glauben als der noch ausstehenden 9) Zu erinnern ist nur an die wirkungsvollste Weise solcher Argumentation, die der Mystik. 10) Sauter, a.a.O., S. 99. 11) Ebda, S. 77; dieser Vorwurf muß nun paradoxerweise gegen Sauter erhoben werden.

- 314 Erfahrung von Erlösung und Heil wird in der begrifflichen Reflexion zu sich gebracht, in den Begriff der Treue Gottes versammelt, d. h. mit diesem Begriff identisch.- Der so dogmatisch gesicherte und begründete Glaube kann - auf erkenntnistheoretischer Ebene - als Selbsttäuschung gedeutet werden, denn die scheinbare überantwortung in die Treue Gottes als der Gewißheit des Heils ist - zumindest dem begrifflichen Denkprozeß nach - die Sicherheit einer Reflexionsleistung der sich selbstbehauptenden Subjektivität. Das Ergebnis solcher dogmatischen Ausformungen christlichen Glaubens kann dann auch nur sein: eine Gottesfinsternis, die zwangsläufig 1 2)

nicht nur zur Krise der Anthropologie führt. Der Einwand, eine solche kritische Analyse sei von sophistischem Interesse, das gleichermaßen wie jede Religionskritik zur Auflösung des christlichen Glauben führe, trifft deshalb nicht, weil es gerade auch im Sinne Adornos weder um eine Auflösung des Glaubens noch um eine Reduktion der Theologie in

Anthropologie geht. Vielmehr bringt eine solche Analyse,

die dem naturgeschichtlichen Argument innerhalb einer theologischen Argumentation zum Zuge verhilft, einen Nutzen für die Theologie bzw. für eine theologische Anthropologie. Denn wenn christliche Glaubensaussagen und mit ihnen theologisches dogmatisches Wissen nicht, wie gerade Sauter weiß, zu einer generellen Bestimmung anthropologischer Aussagen taugt, weil 1 3) sonst die "Differenz von Unendlichkeit und Endlichkeit" eingeebnet würde, dann ist zu fragen, ob theologische Anthropologie nicht durch die Berücksichtigung des naturgeschichtlichen Moments in jeglichem Denken, sowohl adäquatere Sätze im Blick auf den Menschen wie auch auf Gott formulieren könnte. ImDuktus der Ausführungen Sauters heißt Die christo1 4 dies: ) logischen Ausführungen von Gal. 2,20 müssen anthropologisch so interpretiert werden, daß die"Zukunft der Erlösung" 12) Ebda, S. 99. 13) Ebda, S. 92. 14) Ebda, S. 97f.

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begrifflich nicht unbesehen zur Begründung anthropologischer Aussagen wird. Das heißt, das im "Fleische-leben" ist Voraussetzung für das im "Glauben-leben", wobei freilich nicht die Empirie die Begründung des Glaubens im Sinne seiner Ursache, gleichwohl eine Stärkung seiner Hoffnung (Auferstehung des Fleisches) ist. Das im "Glauben-leben" verändert eben niemals das physische Leben in einem grundsätzlichen Sinne; theologisch gesprochen: die Schöpfung darf im Interesse der Erlösung nicht vernichtet werden. Mit solcher anthropologischen Argumentation wird gerade nicht der Glaube - fides qua - oder gar Gott selbst von anthropologischen Daten abhängig gemacht. Wohl aber wird durch einen solchen Hinweis die menschliche bzw. schöpfungsgemäße Bedingung der Möglichkeit des Glaubens anerkannt. D. h. es wird betont, daß in allem durch den Geist Gottes geschenkten Glauben auch und noch das Moment der listigen Vernunft enthalten ist. Nur um den Preis einer konkreten Sprache zugunsten eines billigen Gotteslobes kann vergessen werden, daß Glauben noch ein "menschlicher" Akt und deshalb auch in seinem Höchsten dem Dank an den gnädigen Gott - fragmentarisch bzw. ein zu erlösender bleibt. Das im "Fleische-leben" von Gal. 2,20 wird durch solche Interpretation sowohl in seiner Notwendigkeit als auch in seiner Erlösungsbedürftigkeit Ernst genommen und damit die Erlösung nicht ohne die Schöpfung erhofft und theologisch zur Sprache gebracht. Das naturgeschichtliche Moment - um in diesen Begriff auch das soeben angesprochene im "Fleische-leben" mit aufzunehmen - ist demnach kein neues Forschungsfeld, das auch ausgespart oder für spätere zusätzliche Analysen aufgehoben werden könnte. Vielmehr gehört es als unaufgebbares Moment in allem Denken und Wissen - auch dem theologischen - immer schon zur Praxis des Denkens mit hinzu. Es leitet - bewußt gemacht - zu verantwortlicher Selbstkritik an und bringt die notwendige Einbettung allen Wissens und seiner Begrifflichkeit in seine Geschichtlichkeit und seine Vorläufigkeit. Sich des naturgeschichtlichen Moments im christlichen Glauben wie seinem dogmatischen Wissen zu vergewissern, heißt

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also nicht, mechanisch immanente Wirkungszusammenhänge zu beschreiben und theologische Anthropologie auf Protokollsätze oder Verhaltensrelationen zu reduzieren. Es heißt auch nicht, die Geschichtlichkeit allen Lebens als Invariante zum Absoluten zu erheben. Wohl ist nach Adorno der Mensch nur, was er war, aber zugleich ist "er nicht nur, was er war und ist, sondern ebenso, was er werden kann; keine Bestimmung reicht hin, das zu antezipieren." ^^^ Damit will Adorno nicht einer Anthropologie huldigen, die von der "offenen Existenz" schwärmt, denn solche Offenheit ist nichts eindeutig Positives, sondern nach Adorno nur die Ontologisierung einer historischen Momentaufnahme. ^^^ Mit dem Rekurs auf das naturgeschichtliche Moment als Widerpart jeder begrifflichen konsistenten theologischen Definition des Menschen wird jedoch Anthropologie auch nicht auf ein archaisch Festes oder Invariantes verweisen, wenngleich alles Physische, besonders das Leiden und der Schmerz Ausdruck dafür sind, daß aller geistigen Erfahrung und Erkenntnis ein somatisches bzw. naturgeschichtliches Moment innewohnt. "Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle." ^^^ Das naturgeschichtliche Moment ist also in der Konstellation systematisch-theologischer Arbeit letztlich kein hinderlicher Faktor, sondern ein die Hoffnung auf die Erlösung förderlicher. Denn menschliches Leiden zur Sprache zu bringen und seine Ursache und Folgen offen zu legen, ist für eine theologische Anthropologie m. E. die erforderliche Arbeit am Gesetz dieser Welt bzw. dem Gesetzten, die das Evangelium vom Heil in Jesus Christus und der Erlösung vom Leiden in seiner ganzen Dringlichkeit und Tröstlichkeit (vgl. Offbg. 21,4) groß macht. 3. Was kann dies nun für die Arbeit theologischer Anthropologie weiterhin bedeuten? Ist - so wäre zunächst zurückzufragen - in der theologischen Anthropologie nicht allenthalben das somatische bzw. naturgeschichtliche Moment in der

15) Adorno, ND, S. 59. 16) Vgl. ebda, S. 128. 17) Ebda, S. 201.

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Erinnerung an den Sündenfall und in der Hermeneutik des "Wortes vom Kreuz" schon enthalten? Und hat nicht schon Paulus ausdrücklich in Röm. 6,5 dieses Moment des Leidens gerade in die Beschreibung des neuen Lebens eingebracht, wenn er schreibt: "denn wenn wir mit der Ähnlichkeit seines Todes verwachsen sind, so werden wir es auch mit der seiner Auferstehung sein"? Daß christliche Theologie und speziell die theologische Anthropologie um das naturgeschichtliche Moment weiß, soll nicht bestritten werden. Das Problem ist eben nur dies, w i e

dieses Moment in der begrifflichen Ausarbeitung dog-

matischen Wissens und dogmatischer Argumentation zur Geltung kommt. Gerade Sauter machte ja direkt und indirekt darauf aufmerksam, wie dieses Moment im Prozeß theologischen Denkens und Argumentierens unbesehen abstrahiert wird. Das "Zauberwort 'Werden'" hat eben nicht nur das anthropologi18) sehe Denken "in den Bann gezogen" , sondern ist die Gefahr allen theologischen Denkens und Argumentierens, weil es die Hoffnung und Verheißung des Glaubens in ein logisches Schlußverfahren hineinnimmt und unbesehen zu Realitäten hypostasiert. Adorno nennt als Grund für diese Art zu denken - empirische und geschichtliche Daten im Vollzug des Denkens aufzuheben interessanterweise auch die Kategorie der Möglichkeit. "Es ist das Mögliche, nie das unmittelbar Wirkliche, das der Utopie den Platz versperrt;1 9inmitten des Bestehenden ) erscheint es darum abstrakt." Gerade weil die christliche Theologie das Mögliche als Wirklichkeit in Jesus Christus bekennt und begrifflich erläutern will und muß, ist diese Gefahr des hypostasierenden Denkens innerhalb systematischer Theologie so groß; dieses Denken verstellt der Zukunft der Erlösung den Platz, indem es die menschliche Alltagserfahrung angesicht des Bildes des Möglichen 18) Sauter, a.a.O., S. 92. 19) Adorno, ND, S. 64.

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vorschnell aufhebt. So redet die theologische Anthropologie vom "wahren Menschen" in Jesus Christus, indem sie damit oftmals unbesehen den "historischen Jesus" zum Vorbild macht. So wird ein Bild des Glaubens zur Norm dogmatischen Wissens und zur Begründung ethischen Handelns, das dann eine christliche Freiheit postuliert, die, weil nicht konkret mit der Alltagswirklichkeit vermittelt, in Ideologie umschlägt. Theologische Anthropologie müßte vielmehr im Wissen darum, daß nicht von der Möglichkeit des Glaubens in Jesus Christus aus der "wahre Mensch" begrifflich bestimmt werden darf, sondern daß durch die Beschreibung der geschichtlichen und gegenwärtigen Erfahrungen, der "wahre Mensch" eben als der "sündige" und der der Erlösung bedürftige in den Blick kommt, ihre systematische Arbeit betreiben. So käme das naturgeschichtliche Moment zu seinem Recht und mehr noch der Glaube, der dann angesichts der unheilvollen und partikularen Erfahrungen von Heil seine Hoffnung einzig darauf setzen kann, daß "nichts uns zu trennen vermag von der Liebe Gottes" (Rom. 8,39). Theologische Anthropologie muß den Bann, der über allen und allem liegt in seinen konkreten Vollzügen beschreiben, um so die Erkenntnis des Unheils auch in der Form der Beschreibung - in der Grammatik des dogmatischen Wissens verdeutlichen zu können. Nicht primär die Bilder eines scheinbar gelungenen und glücklichen Lebens dürfen entworfen werden, sondern es muß mehr von der alltäglichen "Banalität des Bösen"

in allen menschlichen Beziehungen

und Wünschen gesprochen werden, die wohl auch jeden Glauben bis ins Innerste begleitet. Nicht um die Freude und das Glück aus der Erfahrung zu löschen, sondern um die Hoffnung

20) Diese Formulierung wurde wohl erstmals von H. Arendt gebraucht. Ich verwende sie hier, um bewußt nochmals an Auschwitz als dem Sitz der Erkenntnis Adornos zu erinnern. Vgl. H. Arendt, Eich in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1964. Vgl. auch F. W. Marquardt, Christsein nach Auschwitz, in: Junge Kirche 1979, S. 336ff,

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des Glaubens nicht mit dem Optimismus des Machbaren zu verwechseln. So verstanden liefert theologische Anthropologie nicht in erster Linie Materialien für eine Ethik des befreiten und sinnvollen Lebens, sondern Anleitungen und Regeln dafür, wie die schlimmen Erfahrungen und Erinnerungen nicht vorschnell zugunsten eines kurzfristigen enthusiastischen Glaugensaufschwunges verdrängt und vergessen werden. Die realen Spuren des Leidens müssen zur Grammatik theologischer Sprache und theologischen Wissens werden, wenn die Erlösung nicht doch heimlich das Werk der listigen Vernunft werden soll. Und ist in diesem Zusammenhang nicht an die Geschichte Hiobs zu erinnern! Sein Schreien aus der Tiefe war es, das Gott - den Erlöser - auf den Plan rief; es waren nicht die scheinheiligen, positiven Glaubensaussagen seiner so theologischen Freunde. Theologische Arbeit - das könnte von Adorno gelernt werden hat im Unterschied zum Vollzug des Glaubens - nicht die Organisation und Vollzug der "Rettung des Hoffnungslosen", sondern vorrangig die Erarbeitung des Wissens um ihre Notwendigkeit und Möglichkeit zu sein. Und theologisches Denken sollte nicht allzu schnell dem Lobpreis des Glaubens Platz machen, weil es das Salz bleiben muß, das die Hoffnung auf die kommende Erlösung nicht billig und fad machen darf.

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Verzeichnis der zitierten Literatur A) Schriften Th.W.Adornos^^ - Ästhetische Theorie, hg, von G.Adorno und R.Tiedemann (= Gesammelte Schriften Bd.7), Frankfurt 197o. - Dialektik der Aufklärung(zusammen mit M.Horkheimer), Frankfurt 1971 (= fibü 6144). - Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1 969, (4.Aufl.). - Eingriffe, Neun kritische Modelle, Frankfurt 1963. - Erziehung zur Mündigkeit, Vorträge und Gespräche mit H.Becker 1959-1969, hg. von G.Kadelbach, Frankfurt 1975. - Gesammelte Schriften: Bd.1: Philosophische Frühschriften, hg. von R.Tiedemann, Frankfurt 197?.. Bd.8, Soziologische Schriften 1, hg. von R.Tiedemann, Frankfurt 1972. Bd.13, Die Musikalischen Monographien, Wagner, Mahler, Berg, hg. von G.Adorno/R.Tiedemann, Frankfurt 1977. Bd.14: Dissonanzen, Einleitung in die Musiksoziologie, hg. von R.Tiedemann, Frankfurt 1973. Bd. 16: Musikalische Schriften I-III, hg. von R.Tiedemann, Frankfurt 1978. - Drei Studien zu Hegel, Frankfurt 197o. - Impromptus, Frankfurt 1969. - Jargon der Eigentlichkeit, Zur deutschen Ideologie, Frankfurt 1964. - Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt 1973, - Kierkegaard, Konstruktion des Ästhetischen, Frankfurt 1 974. - Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien, Frankfurt 1972. - Minima Moralia, Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt 197o. - Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928-1962, Frankfurt 1964. - Negative Dialektik. Wissenschaftliche Sonderausgabe Frankfurt 197o.

1) Die einzelnen Titel der Aufsätze Adornos werden nicht aufgeführt, sondern nur die der Aufsatzsammlungen. Vgl. auch die 'Kommentierte Bibliographie zu Th.W.Adorno' von C.Pettazzi, in: Th.W.Adorno, Sonderband text+ kritik, hg. von H.L.Arnold, München 1977.

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Noten zur Literatur: Bd.I, Frankfurt 1958. Bd.II, Frankfurt 1961. Bd. III, Frankfurt 1965. Bd. IV, Frankfurt 1974. Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, Frankfurt 1967. Philosophie der neuen Musik, Frankfurt 1978. Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie( Adorno u.a.), Neuwied/Berlin 1972. Philosophische Terminologie, Bd.I, Frankfurt 1973; Bd.2, Frankfurt 1974. Der Schatz des Indianer-Joe, Singspiel nach Mark Twain, hg. und mit einem Nachwort versehen von R.Tiedemann, Frankfurt 1979. Stichworte, Kritische Modelle 2, Frankfurt 1969. Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt 1973. über Walter Benjamin, hg. von R.Tiedemann, Frankfurt 197o. über das gegenwärtige Verhältnis von Philosophie und Musik, in: Archivio di Filosofia, Organo dell' Instituto di Studi Filosofici, 13(1953), S.5ff. Brief an M.Horkheimer(25.2.1935), teilweise zitiert in: H.Gumnior/RÄingguth, Max Horkheimer in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1973, S.84f. Walter Benjamin, Briefe, hg. und mit Anmerkungen versehen von G.Scholem und Th.W.Adorno, Frankfurt 1978(2 Bde.).

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