Die Rettung der Phänomene: Ursprung und Geschichte eines antiken Forschungsprinzips

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Die Rettung der Phänomene: Ursprung und Geschichte eines antiken Forschungsprinzips

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DIE RETTUNG

DER PHÄNOMENE

JÜRGEN

DIE RETTUNG URSPRUNG EINES

WALTER VORMALS

G.

ANTIKEN

DER PHÄNOMENE UND

GESCHICHTE

FORSCHUNGSPRINZIPS

DE GRUYTER

J. GOSCHEN'SCHE

VERLAGSBUCHHANDLUNG,

MITTELSTRASS

GEORG

& CO · BERLIN

VERLAGSHANDLUNG, REIMER.

1962

KARL

J. GUTTENTAG, J.TROBNER

• VEIT&COMP

GEDRUCKT DEUTSCHEN

MIT UNTERSTÜTZUNG DER FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT

Archiv-Nr. 3622621

© 1962 hy Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. Berlin 30 (Printed in Gcrmany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Oboe ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile

daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen D 29

MEINEN

ELTERN

VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1961 von der Philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Meinen akademischen Lehrern möchte ich an dieser Stelle herzlich für Belehrung und Ansporn danken, insbesondere Herrn Professor Dr. Wilhelm Kamlah (Erlangen), auf dessen Anregung diese Arbeit zurückgeht und unter dessen steter Förderung sie entstand, sowie Herrn Professor Dr. Gottfried Martin (Bonn), der meine Untersuchungen von Anfang an mit seinem Interesse und seinem wissenschaftlichen Rat begleitet hat. Manchen wertvollen Hinweis verdanke ich darüber hinaus den Herren Dr. W. Burkert (Erlangen), Dipl.Phys. J. Hölling (Bonn), Dr. K.-H. Ilting (Kiel) und Dr. 0. Raith (Erlangen); und Dank schulde ich schließlich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch Gewährung eines Druckkostenzuschusses die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglicht hat. Oxford, im Frühjahr

1962 JÜRGEN

MITTELSTRASS

INHALT Seite

Einleitung

1 11 11

. . . . . . . . . . . • . .

I. Die Marburger Platoninterpretation 1. Systematische Voraussetzungen 2. Philosophie als Methode . . 3. Idee als Hypothesis . . . . . II. Hypothesis und Idee bei Platon . 1. Die Hypothesis im tMenon>höchsten>TräumenNaturwi~senschaftSophisteswissenschaftlichen>Hypothesis der Wissenschaft>PhaidonTimaios>PoliteiaTimaios>NomoiNomoi>Nomoicxtv6µevcx in Zukunft gewinnen wird. Wo ihm zum erstenmal Erfolg beschieden war, da sollte es diese Bedeutung auch über Jahrhunderte in f achwissenschaftlicher A bgeschiedenheit behalten, nämlich in der Astronomie. Die Geschichte dieses Prinzips in der Geschichte der Astronomie von Eudoxos bis Kepler ist darum das Thema des vierten Abschnitts. In ihm soll deutlich werden, daß mit dem o-0~etv Tex q,cx1v6µevcx nicht immer schon die Aufgabe gestellt war, alle Phänomene zu retten oder zu wahren, und sein Auftreten damit keineswegs schon auf ein neuzeitlich-naturwissenschaftliches Interesse der Antike und des Mittelalters schließen läßt. Denn erst in der neuen Wissenschaft Galileis gewinnt dieses Prinzip seine allgemeine neuzeitliche Bedeutung. Ursprünglich allein auf den astronomischen Bereich beschränkt, wird es nun auf alle Phänomene angewendet. Dabei kommt in dieser Erweiterung nicht nur eine Intensivierung der wissenschaftlichen Bemühung zum Ausdruck, sondern vor allem der grundlegende Unterschied zwischen dem antiken Denken, soweit es Platon repräsentiert, und dem Denken der Neuzeit. An die Geschichte dieses Prinzips knüpft sich damit die entscheidende Wendung, welche die Wissenschaft in der Neuzeit gegenüber früheren wissenschaftlichen Bemühungen nahm, in denen bis hin zu Galilei die antike Tradition lebendig geblieben war. Da aber diese Tradition in der Übernahme der antiken Aufgabe selbst in der neuen Wissenschaft noch lebendig bleibt, liegt nun im o-0~etv Tex q,cx1v6µevcx sowohl die Verschiedenheit wie auch die Einheit zweier Wissenschaftsweisen beschlossen, was die hervorragende Stellung dieses Prinzips in der Geschichte der Wissenschaft ausmacht.

10

Einleitung

Aber dieses Prinzip markiert nicht allein den entscheidenden Übergang zur neuzeitlichen Wissenschaft, es zeichnet diese Wissenschaft in ihrem Begründer Galilei auch als platonisch aus. Denn mittlerweile ist aus dem Eudoxischen Prinzip nun wirklich ein platonisches Prinzip geworden. Diese Wandlung sollte der christliche Platonismus herbeiführen, wie ihn etwa Augustin vertritt; aus den Platonischen Ideen sind die in der Schöpfung verwirklichten Gedanken Gottes geworden. Dem christlichen Platonismus ist im Rahmen des vierten Abschnitts ein besonderes Kapitel gewidmet, denn in der Tradition dieses Platonismus, der als Renaissance-Platonismus noch einmal eine unerhörte Steigerung erfährt, stehen Kopernikus und Kepler, und schließlich auch Galilei. Nur weil die Marburger, weil vor allem Natorp auf die Geschichte des cr4,~etv TO'.q,atv6µeva nicht achtgegeben haben, ist auch ihre Interpretation des Platonismus der neuen Wissenschaft falsch geworden. Ein letzter Abschnitt über Galilei soll darum einmal die Wendung beschreiben, die das antike Forschungsprinzip in der neuen Wissenschaft nimmt, zum anderen aber auch den Platonismus Galileis in das Licht einer Tradition rücken, die man nur als platonisch bezeichnen kann, wenn man dabei bedenkt, was die Geschichte aus Platons Philosophie gemacht hat.

I. DIE MARBURGER

PLATONINTERPRETATION

Wenn man von der Platoninterpretation einer ganzen Schule spricht, dann unterstellt man, daß diese Interpretation zumindest in ihren Grundzügen einheitlich ist. Und in der Tat prägt nicht zuletzt diese Platoninterpretation das Gesicht der Marburger Schule. Ihre Vertreter haben sich alle zur Platonischen Philosophie geäußert, und ihre Darstellungen dieser Philosophie stimmen in einer im philosophischen Schrifttum ungewöhnlich konsequenten Weise überein. Die hierin zum Ausdruck kommende Einhelligkeit in der Platonauffassung hat ihren Grund nun nicht in einer unabhängigen Beschäftigung mit der Platonischen Philosophie, in deren Verlauf sich überraschenderweise diese Übereinstimmung zeigte; sie ergibt sich vielmehr als Folge einer Denkweise, hinter der ein ganz anders geartetes allgemeines Interesse steht, in dessen Verfolgung Platon notwendig so gesehen werden mußte, wie er von den Marburgern gesehen worden ist. Damit ergibt sich die Aufgabe, dieses allgemeine Interesse zunächst aufzuzeigen, um von ihm her die Einheitlichkeit des Marburger Platonverständnisses begreiflich zu machen. 1 SYSTEMATISCHE

VORAUSSETZUNGEN

Die Vertreter der Marburger Schule sind an allen philosophischen Fragen als Kantianer interessiert. Als Kantianer philosophieren und interpretieren sie, und als Kantianer betreiben sie Philosophiegeschichte. Ihr einheitliches Platonverständnis findet seinen Grund in einem einheitlichen Kantverständnis. Und dieses Verständnis ist zunächst dasjenige Hermann Cohens. Hermann Cohen hat allererst wieder Kant entdeckt und begonnen, dessen Gedanken für die philosophische Diskussion seiner Zeitfruchtbar zu machen. Daß er hierin Kant weiterdachte, ja bisweilen sogar umdachte, mindert seine Bedeutung für das allgemeine Kantverständnis nicht. Cohen und mit ihm die Marburger Schule behalten sich ausdrücklich vor, Kant weiterzudenken und gegebenenfalls besser zu verstehen, als er sich selbst verstand; und in seinen Ergebnissen sollte sich, wie zuletzt wieder Gottfried Martin hervorgehoben hat, dieser Anspruch in mancher Beziehung als gerechtfertigt herausstellen7. Als Gründer der neukantischen Marburger Schule hat Cohen dabei zugleich als Begründer des neuen Platonverständnisses dieser 7

G. Martin,

p. 97, 103.

Immanuel

Kant.

Ontologie

und

Wissenschaftstheorie

(1958 2 ),

12

Die Marburger

Platoninterpretation

Schule zu gelten. Mit seiner Schrift >>Platons Ideenlehre und die MathematikPlatosIdeenlehreDieplatonische Ideenlehre psychologisch entwickeltLogikder reinen Erkenntnis>Ausgehendvon der Arbeit Cohens über ,Platons Ideenlehre und die Mathematik' bringt hier Natorp den Beweis für die Methodenbedeutung der Platonischen Idee im Sinne einer Denksetzung und wissenschaftlichen GrundlegungoffizielleTranszendentalen DialektikKritikder reinen VernunftreinenMathematik und allgemeinen Naturwissenschaft>sicheren Gang einer Wissenschaft« 24 zu bringen, sah sich auf diese Vorbilder hingewiesen und gewann an ihnen zunächst einmal die Gewißheit, daß es so etwas wie Wissenschaft im 20 21 22

P. Natorp, Zum Gedächtnis Kants, Die Deutsche Schule VIII (1904), p. 69. P. Natorp, Platos Ideenlehre, p. 84. H. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung (1925 4 ), p. XX (Vorwort zur 3. Auf-

lage). 23

H

Kritik Kritik

Mittelstraß

der reinen Vernunft der reinen Vernunft

B 128. B VII. 2

18

Die Marburger Platoninterprefation

unbezweifelbar >>sicheren Gangedaßdie Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leit25 • Die Grundlegung der Erkenntnis bande gängeln lassen müsse>Faktum>Gesetzmäßiges, synthetisches Denken muß längst am Werk und zu förderlichen Ergebnissen in gewissem Umfang schon gelangt sein, bevor auch nur die Frage auftreten kann nach den Gesetzen dieses synthetischen Denkens, wodurch Wissenschaft überhaupt möglich ward. Nur an dem schon vorliegenden ,Faktum' der Wissenschaft kann Logik die Gesetze des Wissenschaffens selbst aufweisen, denn nur an ihm kann sie die Gesetze, von denen sie spricht, in ihrer Wirksamkeit beobachten und ihre Realität, d. h. ihre Leistungskraft, einen Sachsinn zu begründen, gleichsam auf der Tat betreffenGeistder wissenschaftlichen Philosophienur«die Mathematik vorgelegen habe. Indem Natorp aber im Anschluß an Cohen die Platon geläufige Mathematik fraglos im neuzeitlichen Sinne von Platon verstanden sieht, glaubt er sich berechtigt, das Platonische Verständnis von Wissenschaft im Sinne des Kantischen Verständnisses zu deuten. Daß sich gerade diese Deutung nicht halten läßt, wird im folgenden die Untersuchung über die Platonische Hypothesis erweisen. Indem damit aber die ganz andere Einstellung Platons der Mathematik als Wissenschaft gegenüber zum Ausdruck kommen wird, fällt zugleich der einzige Bezugspunkt fort, in welchem sich Kant und Platon im Sinne einer wissenschaftlichen Philosophie möglicherweise hätten miteinander vergleichen lassen können. Daß Erkenntnis nun ausschließlich in der Weise neuzeitlichwissenschaftlicher Erkenntnis verstanden wird, macht es scheinbar noch in einem anderen Punkte möglich, ein neuzeitliches Interesse Platons zu entdecken. Galilei beruft sich allein in seiner Erkenntnislehre auf Platon, nicht aber in seiner Naturlehre. Er macht damit eine Unterscheidung zwischen zwei >>DisziplinenDisziplin>Naturlehreninwelcher allein Dinge gegeben und für die philosophischen Fragen angreifbar vorhanden sind: nicht am Himmel sind Sterne gegeben, sondern in der Wissenschaft der Astronomiedaserkennende Bewußtsein hat nur in der Tatsache der wissenschaftlichen Erkenntnis diejenige Wirklichkeit, auf welche eine philosophische Untersuchung sich beziehen 2•

20

Die Marburger

Platoninterpretation

kann, die aus dem Bewußtsein die Gegenstände der Natur abzuleiten sich erkühntgibt>Alsodarf das ,Faktum' der Wissenschaft nur als ,Fieri' verstanden werden ... Das Fieri allein ist das Faktum: alles Sein, das die Wissenschaft ,festzustellen' sucht, muß sich in den Strom des Werdens wieder lösenmoderner>planmäßige Zusammenarbeit von Philosophie und exakter ForschungZusammenarbeiteineder paradoxesten Thesendieje in der historischen Forschung aufgestellt worden sindVerallgemeinerungen vielfacher Erfahrung, welche in jedem Einzelfall wieder objektiv nachgeprüft, nachgemessen 29

P. Natorp, op. cit., p. VII (Vorwort). ao H.-G. Gadamer, Die philosophische Bedeutung Philosophische Systematik (1958), p. XV.

Paul Natorps.

P. Natorp,

22

Die Marburger Platoninterpretation

und nachgerechnet werden könnenhypothetische>wesentliche>Wesen>Verzicht>Prädikate wissenschaftlicher Urteiledaß die Ideen Gesetze, nicht Dinge bedeutenSetzenheißt BeziehenkritischPhaidros>Eskann somit folgende Lage entstehen: Wir haben die allersicherste Wahrheit, aber sie geht uns nichts mehr an. Oder wir haben eine erlösende Gewißheit, aber wir wissen nicht

Idee als Hypothesis

25

sicher, ob sie sich auf Wahrheit gründetabsoluten WirklichkeitenWissenschaftslehre>VorstufeimMoment des begrifflichen Schauens erfaßte Grund- und WesensanschauungUrsprünglichein v61iµa der Seele, ein Denkakt, ein Schauen des Menschenausdem Idealismus herausgetreten>Austritt>AustrittTimaios>Parmenides>Austritt>sinddie Ideen, was sie nach der herrschenden Auffassung allerdings nicht sein könnten: Grundlagen zur Erforschung der PhänomenegegebendemBewußtsein der Erkenntnis zu erhaltenHypothesisder WissenschaftMenon>kaum aufrecht erhalten>benutzt wohl die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft, aber sie sind ihm bloßer Stoff, mit dem er in souveräner Willkür umspringt und den er ganz im Sinne seiner Ideen und seiner Zahlenspekulation umformtMenon>Tugendist WissenTugend ist lehrbarEsgibt Lehrer der TugendTugendist WissenwasTugend seiobdie Tugend lehrbar seiTugendist WissenwennTugend Wissen ist, ist Tugend lehrbar>Tugendist gutbleibende>wasistÖ EO"TlVdasSicherea:AecrTa:Tov, 100 D), wie in ständig wiederholter Eindringlichkeit betont wird. Und dies erfolgt, obgleich ein möglicher Beweis für eine solche gewisse Voraussetzungslosigkeit der Ideen, die diesen ihren Charakter der Gewißheit in der Hineinnahme in eine Voraussetzung auf die Voraussetzung selbst ja übertragen, nicht nur als völlig unnötig übergangen, sondern nähere Auskunft über das Wie der Ideen (auf deren Anwesenheit in den Dingen sich die folgenden Erörterungen stützen) von Sokrates einfach abgelehnt wird (oü yo:p ht TOVTo 611crxvpi~oµa:1,100 D). 3•

36

Hypothesis

und Idee bei Platon

Das bedeutet nun im Hinblick auf die Aufforderung Platons, über die eigenen in Zweifel gezogenen Voraussetzungen bis hin zu einem i1leihenden>Platos erste Hypothesis>Phaidon>DieSchwierigkeit, Bestimmungen wie die ersten über Zahlen und Winkel, öpot, und die in Figuren symbolisierten Formeln und Sätze unter einen Hut zu bringen, hat die Ausleger unserer Stelle viel beschäftigt. Sie beleuchtet aber gerade die Situation, die Platon vorfand und die er oder die Mathematiker seiner Akademie aufzuheben trachteten. Das Nebeneinander von mathematischen öpot und Aussagen soll ja gerade überführt werden in eine Hierarchie, in der Oberes, Allgemeines voransteht und Besonderes 67 • aus ihm abgeleitet wird>Geometrien>Politeia>Phaidon>abwärts>Anlauf>SprungbrettPoliteia>aufwärts>Phaidon>Phaidonaufwärts>höhere>Phaidon>Aufstiegen>Politeia>ganzAnderesPhaidon>höherer>Vondiesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie 90 • Platon möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen>wieeben der ,Gang', die Methode es ist, die der begrifflichen Einzelfestlegung sich überordnetgleichsamals die Schneidungen der DenklinienWissenschaftSophistes>höchstenIdeen OVTl1TE>Sophistes..118fiMy1:1v), dieses Wahre aber das Seiende ist, wie es ist (Ta ÖVTa:C:,5ea-rtv}. 12o P. Natorp, op. cit., p. 148 sq.

ev

Mittelstraß

ev

ev

6

82

Platon und die Naturwissenschaft

daß eine Wahrheit der Erfahrungserkenntnis, eben auf Grund der Ideenerkenntnis, wiederum möglich, ja durch diese Grundlegung gerade ermöglicht wird>Platon sagt nicht: Jener Bereich ,ist', dieser Bereich ,ist nicht', sondern er sagt: Jener Bereich ist seiend, dieser ist nicht seiend. Das heißt jener Bereich ist wahrhaft seiend, in echter Weise seiend, seiend-seiend; dieser ist scheinbar seiend, in unechter Weise seiend, unserer das Sein suchenden Erkenntnis ein scheinbares Sein vortäuschend« (p. 43). 124 Cf. Pol. 509 D; äAX oöv exe1s TavTa 6tTTCXei611, opaT6v, V011TOV.In dieser, im &Phaidon« terminologisch zum erstenmal erfolgten Unterscheidung bleibt der Bereich des opaTov mndenkban. 125 P. Natorp, op. cit., p. 150.



84

Platon und die Naturwissenschaft

im Hinblick auf die Seinsweise der Sinnendinge meint. Wenn sie einen Seinsmangel dieser Sinnendinge zum Ausdruck brächte, wäre gegen sie nichts einzuwenden, da es Platon ja in der Tat in seinen Formulierungen immer um ein Zurückbleiben der Sinnendinge hinter den Ideen ihrem Seinsgrad nach geht. Aber das kann von Natorp nicht gemeint sein, da dieses Zurückbleiben die generelle Andersartigkeit der Sinnendinge, nicht aber ihre grundsätzliche Zusammengehörigkeit mit dem Sein der Ideen ausmacht. Natorp verleiht so unserer Textstelle ein systematisches Gewicht, das ihr in der Formulierung Platons gar nicht zukommt. Seine Interpretation gründet weniger in den Folgerungen, die er aus den wenigen Worten zieht, als vielmehr schon in der Art, wie er diese Wortegewaltsam faßt. Die Interpretation steht damit, wie so oft in Natorps Platonbuch, auf den schwachen Füßen einer textlichen Überforderung. Es ist eben einfach nicht zulässig, allein von einzelnen Ausdrücken her zu argumentieren, wenn doch nur allzu offenkundig ist, daß diese TermiAusdrücke unterminologisch verwandt sind 126 • Die >>weiche>Festigkeitv gibt in der hier gewählten >>neutralen>zweiWeisen des Seienden>zählendevfür ein näheres Verständnis, wie diese Weisen im einzelnen zu denken sind, hergibt, so entscheidend sind nun die Schlüsse, die Platon aus ihr zieht. Sie hat nämlich nichts Geringeres zum Ergebnis als die Preisgabe aller Naturforschung in der Preisgabe einer Seinsweise als Bereich möglicher Wissenschaft. Im 6eVTeposlTÄovsgibt Platon die Nutzanwendung aus der im Laufe des Dialogs wiedergegebenen Erörterung bekannt. Wie nun Wissenschaft im Rahmen des 6ewpos 1TÄovsverstanden ist, heißt zugleich, 126 Cf. die terminologischen Überlegungen G. Martins (Einleitung in die Allgemeine Metaphysik, 1957), die dieser gerade an den Ausdruck 6vo ei6T] ,&v ÖvTc.ov knüpft. Martin entscheidet sich hier (p. 57 sq.) für die Übersetzung &Zwei Gattungen des Seins>verlerntvaber gibt lediglich das Schema ab, auf dessen Boden hier die kommt für eine WissenEntscheidung fällt. Das el6os der cxlcr8TJTCX schaft, der es letztlich um metaphysische Begründung geht, nicht mehr in Frage. Wenn die :Myot also auch das Sein noch nicht selbst ausmachen, so kann in ihnen doch dieses Sein erblickt werden. Das meint der Ausdruck els Tovs :Myovs KCXTcxSymposionPhaidon>naturwissenschaftlichen>Menon>naturwissenschaftlichstenTimaios>vernunftlosemVorstellung>schneidenste>schärfste>Fünfplatonischen KörperSystem>dessenGrundriß entwarfWerden>Ursprünge>Natur>ZuständeWurzelnaller Dinge>schönsten>Wesen>Natur>WesenTimaiosganze>wahrscheinlichTov a01Ta:AtEVTov, die Idee des Angelfischers an sich. Das crroµov el6os erscheint damit nicht in der Vernehmensweise der aioih)cns, sondern vielmehr, wie jede andere Idee, in der Vernehmensweise des vovs. Und selbst wenn Platon hier möglicherweise auch an ein sinnliches Vernehmen denkt - andere Stellen (z. B. 264 B) scheinen diesen Gedanken nahezulegen -, so kommt es ihm offenbar weniger auf das tatsächliche sinnliche Vernommensein als vielmehr auf eine mögliche sinnliche Vernehmbarkeit an. Hier ist dann an die mögliche Konkretheit des crroµov el6os, nicht an seine immer schon erfolgte Konkretion gedacht. Auch diese Feststellung aber würde noch davon zeugen, wie wenig es Platon auf ein individuelles hie et nunc der Dinge ankommt. Die Frage der Individuation, um welche es sich hier handelt, wird erst später zum Problem und von Platin als erstem in einer Art >>Individualisierungesgleitet hier leibhaftige Existenz aus einer methodischen Bewegung von Ideen heraus, Existenz stellt sich dar als ein bestimmter Sinn, ein bedeutungsmäßig faßbares So-SeinParmenidesdieWirklichkeit des Eins mit ecrr1 und seine>erfunden>Nomoi>Politeia>Timaios>Politeia>NomoiLokalisation>Politeia>Politeia>wissenschaftlichen>Vorschule>Politeia>wahrenPhilosophie>hinauf>Unten>Untersich>überfahrenwahrhaft) und den wahren Figuren nach (iräo-1 Tois ö:,\116ecr1 crxfiµao-1)zusammengesetzt sind. Diese Bewegungen sind allein mit der Vernunft erfaßbar, nicht aber mit dem Gesicht. l~O Pol. 529 D: KaAAto-ra µev TJYEio-6atKa\ C!Kptßeo-ra,-a,&v ,&v 6e &AT)6tv&v-rroM tv6eiv.

7010\J'Tc.>V

EXEIV,

122

Platon und die Naturwissenschaft

Von einer Rettung der Phänomene kann in diesem >>Programm>wohnen>PhaidonangemessenglaubenWohnungPhaidon>Politeia>Phaidon>PoliteiaPoliteia>Astronomie des Unsichtbaren>Vorschulev -r6:sKlVT}O"ElS-

134

Platon und die Naturwissenschaft

So sieht auch Walter Burkert gerade in dieser Behauptung >>eines der horrendesten Beispiele für die anachronistischen Konstruktionen einer Wissenschaft des Pythagoras. Das Epizykelsystem ist in der griechischen Fachastronomie zwischen Autolykos und Apollonios entwickelt worden und hat für die Frage nach vorplatonischem Pythagoreismus außer Betracht zu bleibenNomoiTimaiosDie mathematische Theorie der Planeten, die Platon in den , Gesetzen' - doch anscheinend nicht im ,Timaios' - kennt, kann ... nur die des Eudoxos sein. Chronologisch steht diesem Schluß nichts im Wege, sachlich lassen sich die Anspielungen der , Gesetze' aufs Eudoxossystem beziehen; und die Verbindung von Eudoxos und Platon ist mehrfach bezeugt>Formenund ZahlenNomoi>sachlichen>entgegengesetzte KraftTimaios>ÜberholenÜberholt-Werden>MaterialistenErde>Steine>PoliteiaPlato was kept right by his clear understanding of the functions of scientific hypothesis. Its business, as the phrase of the Academy went, is ac;:,~etv TO: ~etv TO:cpo:iv6µevadie entscheidende Rolle spielt, aber er stimmt dieser Astronomie in ihren Ergebnissen eben auch nur zu. Es kann gar keine Rede davon sein, daß Platon zu dieser Astronomie, die in schroffem Gegensatz zu seiner bisherigen Überzeugung steht, aufgefordert hätte. Er ist überrascht von einer Rettung der Phänomene, die er bisher für unmöglich hielt, und er billigt sie am Ende, weil er sie bewiesen sieht. Hinter seinen Andeutungen aber läßt sich mit Sicherheit die Astronomie des Eudoxos erkennen. Eudoxos ist es gewesen, der sich als erster mit >>derartigen Hypothesen>Schüler>Nomoi~etvTO:cpatv6µeva ist. Herakleides scheidet schon aus chronologischen Gründen aus, er ist sehr viel jünger (etwa 390-310) als Eudoxos (etwa 408-348), und außerdem war er ebenso wie Platon kein Fachastronom. Auch er wird sich Eudoxos und Kallippos gegenüber im wesentlichen rezeptiv verhalten haben. Eudoxos ist die überragende Gestalt unter den Astronomen KAe!6T)s6 TTovTtKoswo8eµevos c,4>~e1v tpeTo Tex cpatv6µevcx (In cael. p. 619, 9-11). Dieser Satz reicht jedoch keinesfalls aus, um Herakleides als den Autor unseres Prinzips hinzustellen, bringt er doch nichts weiter als die Feststellung zum Ausdruck, daß sich auch Herakleides (wie möglicherweise andere neben ihm) um ein c,4'>~etv Tex cpcx1v6µevcx bekümmert hat. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch eine weitere Simplikios-Stelle bestätigt, in der es, auf Herakleides und Aristarch bezogen, heißt: yeyovevcx1 Ttvas ... voµ!?;oncxs c,oo?;eu8at Texcpcx1v6µevcx TOܵtv ovpcxvoü KcxlTOOV aCTTpoov,;peµovvToov (In cael. p. 444, 34-36). Keine Rede davon, daß einer dieser beiden das Prinzip formuliert hat, und doch erklärt Kranz gerade an Hand dieses Zitates, daß Aristarch dem Herakleides in methodologischer Abhängigkeit igefolgt« sei (p. 129).

Die Aufgabe

153

seiner Zeit, sein System stellte eine >>Revolutionder Denkart>Nomoi~e1vTCX tmethodische Prinzip des Eudoxos>lthink that it is evident that Plato's role has been widely exaggerated. His own direct contributions to mathematical knowledge were obviously nil. That, for a short while, mathematicians of the rank of Eudoxus belonged to his circle is no proof of Plato's influence on mathematical research. The exceedingly elementary character of the examples of mathematical procedures quoted by Plato and Aristotle give no support to the hypothesis that Theaetetus or Eudoxus had anything to learn from Plato« (p. 152). 214 Dieser Rekonstruktionsversuch kann sich selbst auf den Wortlaut des Simplikios-Berichtes stützen. Sehr merkwürdig ist nämlich, daß Simplikios an der betreffenden Stelle Sosigenes gleich zweimal als Gewährsmann nennt. Nicht alles,

154

Die Rettung

der Phänomene

in der Geschichte der Astronomie

Das crcil~e1vTex sEtv'TO:sElV'TO:>Timaios>Politeia>DecaeloNomoi>wahrenLehreaiv6µevcx hinausgegangen ist im Sinne einer Bedeutungsverengung. Diese Festlegung der Aufgabe stellt eine spezifisch Aristotelische Zutat dar. Zwar hatte man sich bisher immer daran gehalten, daß alle Kreisbewegungen um ein gemeinsames Zentrum stattfinden (auch bei Platon ist dies so), aber das ganz einfach darum, weil überhaupt kein Grund anzugeben war, der dazu gezwungen hätte, auch andere Kreismittelpunkte anzunehmen. Man kam mit der Erde als Mittelpunkt aus. Daß nur sie als Mittelpunkt in Frage kommt, wurde erst bei Aristoteles zur dogmatischen Vorschrift im Namen seiner Physik. Mit dieser Physik kollidiert Ptolemaios, der sich gezwungen sieht, in seiner Theorie der Exzenter und Epizykel von dieser Vorschrift abzuweichen 237 • Er tut dies zwar unter formaler Anerkennung der Aristotelischen Physik (Synt., Opera I. 2, p. 7), weicht aber unter dem Druck der Schwierigkeiten zugleich auf den mathematisch-hypothetischen Bereich des aci>~eivTex q>cxiv6µevcx aus. Diese Art von Kinematik kann sich dann allerdings nicht mehr auf die Platonische Metaphysik stützen. q>cxiv6µevcx ist Der Weg zur hypothetischen Behandlung des aci>~eivTex vielmehr nur im - zwar von Ptolemaios nicht eingestandenen, aber offenbaren - Verzicht auf die Wiedergabe wahrer Verhältnisse frei und wird von Ptolemaios unbefangen in seiner Theorie der Exzenter und Epizykel benutzt. In der Emanzipation des mathematischen Aspektes der Eudoxischen Forderung von seiner metaphysischen Begründung hat die Astronomie mit Ptolemaios ihren Wahrheitsanspruch verloren. Gewonnen wurde dafür eine Hypothese, die den Phänomenen gerecht wird, ohne sie in ihrem tatsächlichen Bestand wiederzugeben. In der >>Syntaxisovpcxvc;'>1TO:VTCX 6!' oµCXAWV Cf. Synt., Opera I. 2, p. 208. KCXI fYKVKrdc.:>v KIVT)CYEc.:>V CITTOTEAOvµevcx. 240 E. J. Dijksterhuis, op. cit., p. 67.

Mathematische

und physikalische

Astronomie

167

bilden 241 • Man versteht jetzt, daß es später dem Platoniker Kopernikus vor allem um die Abschaffung dieses Ausgleichspunktes gehen muß, war doch mit ihm das Axiom, das er wieder zu seiner vollen Geltung bringen will, nur mit Mühe noch und gleichsam bloß in einer Arbeitshypothese beibehalten. p In der Begründung für die Annahme allein kreisförmiger Bewegungen ist Ptolemaios A überzeugter Platoniker, wenn E er feststellt, daß nur diese BeM wegungen der Natur der göttlichen Wesen entsprechen, während Regellosigkeit und Ungleichförmigkeit ihnen fremd sind. Die Darstellung dieser gleichförmigen Kreisbewegungen nennt er eine Nicht EZ Großtat und bezeichnet sie als (Exzentermittelpunkt • Epizy kelmittelpunkt das Endziel der auf philoso- des Planeten P) oder M (exzentrisch gelegener Mittelpunkt, Erde) Z, sondern A (Ausgleichsphischer Grundlage beruhenpunkt) Z rotiert gleichförmig auf der Apsidenden mathematischen Wissenlinie. schaft242. Er ist in dieser Überzeugung zugleich aber auch Aristoteliker, da er sich in der Erklärung der Bewegungsformen jener göttlichen Wesen an die Aristotelische Physik gebunden fühlt. Und als Aristoteliker verwirft er mit empirisch-physikalischen Argumenten das heliozentrische System Aristarchs (Synt., Opera I. 1, p. 24). Dabei kann man nun Ptolemaios kaum vorwerfen, daß er Konsequenzen, die sich aus seinen mathematischen Überlegungen für das Aristotelische Weltbild ergeben mußten, ausgewichen sei. Sicher, er hätte die heliozentrische Hypothese übernehmen können, die nach seinen eigenen Worten einfacher war (ibid.), aber was wäre damit für eine physikalische Sicht schon gewonnen worden? Offenbar nichts; denn nun hätte man ja weiterfragen müssen, aus welchem Grunde die Planetenbewegungen kreis2n

Synt., Opera I.1, p. 216: TOV"TEV crrrÄWSev TOiS iaots xp6vo1s iaas yoov{as CX1TOÄaµßavova1v ,rpos Tois KEVTpo1s EKCXOTT')S TWVirepupop&v. 2' 2 Synt., Opera I. 2, p. 208: ,rp0Ke1µevov6' tiµiv TOVKai eiri TOOV e,rÄavooµevoov cxo-repoovwa,rep eq>'T)Ä{ovKal O"eÄT)ll'llS TCXS q>atvoµevasCXVTWV cxvooµaÄ{as,raaas CX1T06ei~a1 61' oµaÄ&v Kal EYKVKÄloov KIVT}O"EOOV CX1TOTEÄovµevas, TOVTOOV µev o!KeloovÖVTOOV Tfj q>VO"EI TOOV &loov, 6:Ta~{as 6e Kal cxvoµo16TTjTOS CXÄAOTplü>v, µeya µev tiyeicrea1 ,rpocrfllVTOV OVTEWS 1TEpCXTO: VO"llIllorumtarnen suppositiones quas adinvenerunt, non est necessarium esse veras: licet enim, talibus suppositionibus factis, apparentia salvarentur, non tarnen oportet dicere has suppositiones esse veras; quia forte secundum aliquem alium modum, nondum ab hominibus comprehensum, apparentia circa stellas salvanturOV 6e EKEivoKal EKO:O'TO\J, .ov6e öv· Kai yap T0 öv oiov µopq>T]V oöo-a TWVTTO:VTWV ov6ev EO'TIV C(IJTWV. µopq>fjsVOT]Tfjs.revVT]TIKT] yap TJTOVevos VO'IS 2 76 Enn. III, 8. 11. 10. Brehier III, p. 167. 2 77 Enn. VI, 9. 5, 14. Brehier VI, 2, p. 178.

184

Die Rettung

der Phänomene

in der Geschichte der Astronomie

dige Einheit der noetischen Welt, das noein ihr Sein, während das Noetische in seiner ursprünglichen Vielheit das Seiende (TexoVTa:) genannt wirdIdeenlehre>Ideenlehre«übernimmt Augustin aber als Platonische Lehrmeinung und verändert sie noch einmal in charakteristischer Weise: der Plotinische 1>Gedankengut>vonoben her>NaturwissenschaftTheologia Platonicamachinamundi weiler die Religion selbst nur noch im Lichte des Platonismus zu erblicken, weil er in ihr nichts anderes als die Logos-Lehre zu sehen vermagHeptaplusHeptaplusTresmundos figurat antiquitas. Supremum omnium ultramundanum, quem theologi angelicum, philosophi autem intellectualem vocant, quem a nemine satis pro dignitate decantatum Plato inquit in Phaedro. Proximum huic caelestem; postremum omnium sublunarem hunc, quem nos incolimusexcaduca corporum substantiaexdivina mentis natura>excorpore, sed incorrupto, ex mente, sed mancipata corpori>NomoimundusintelligibilisaltenTheologenfrüheren Platonikern>Derevolutionibus>SyntaxisSyntaxislgitur cum haec animadvertissem ego, saepe cogitabam, si forte rationabilior modus circulorum inveniri possit, e quibus omnis apparens diversitas dependeret, omnibus in seipsis aequaliter motis, quemadmodum ratio absoluti motus poscitgemeinen VerstandDerevolutionibus>Derevolutionibus>Derevolutionibus>Nequeenim necesse est, eas hypotheses esse veras, immo ne verisimiles quidem, sed sufficit hoc unum, si calculum observationibus congruentem exhibeant« 331 • Auch ist es nicht richtig, wenn Blumenberg Osiander an dieser Stelle vorwirft, er sei über den >>traditionellen Hypothesenbegriff>SeitKopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins X>wegzudenkense1v Tex cpa:l\16µeva: scheint ein für allemal gelöst zu sein. Es ist hier nicht der Ort, näher auf das System Keplers einzugehen, seinen Weg vom >>MysteriumCosmographicum>Astronomia Nova« zu schildern, der ein Weg vom traditionellen, forciert vorgetragenen Platonismus kopernikanischer Prägung zur Selbstbezeugung neuzeitlicher wissenschaftlicher Astronomie ist; unter den leitenden Gesichtspunkten dieser Arbeit ist allein die Keplersche Fassung des Prinzips

Astronomia

nova. Kopernikus

209

und Kepler

aci>~e1vTexcpcx1v6µevcx wichtig. Hier zeigt sich nämlich, daß die Neuzeit mit Kepler für den astronomischen Bereich eine charakteristische Umformung an diesem Prinzip, dem sie als erste doch voll genügen sollte, vornimmt. Die Rettung der Phänomene erfolgt bei Kepler endgültig erst durch die Annahme, daß die Bahnen der Planeten keine Kreise, sondern vielmehr Ellipsen sind, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Bislang lag die gleichförmige Kreisbahn als selbstverständliche, undiskutierte Voraussetzung jeder astronomischen Hypothese zugrunde, und noch Kopernikus hatte es als seine vornehmste Aufgabe angesehen, in der Abschaffung des punctum aequans diese Kreisbahn für alle Phänomene wieder zurückzugewinnen. Tatsächlich sind die Ellipsen Keplers viel revolutionärer für die Geschichte der Astronomie gewesen als die Heliozentrik des Kopernikus. Eudoxos' Kreise und Keplers Ellipsen sind die eigentlichen Marksteine in dieser Geschichte; hinter beiden Entdeckungen steht das System des Kopernikus an Bedeutung zurück. Erst die Ellipsen stellten wieder etwas unerhört Neues dar, das es vorher nie gegeben hatte und das darüber hinaus noch dem vornehmsten Prinzip der Astronomie widersprach. So ist bei Kepler die Eudoxische Forderung des CT'¼)~e1v Texcpcx1v6µevcxihrem Anspruch nach erfüllt, ihrem Sinne nach aber entthront: es hat sich gezeigt, daß unter der Voraussetzung der Kreisbewegung die Phänomene nicht gerettet werden können. Das System des Kopernikus war hierin ein letzter großartiger Versuch gewesen und nichts anderes; mit dem Auftreten des Keplerschen Systems wurde sein konventioneller Charakter vollends offenbar. Das hat Kepler schon sehr früh gesehen. Im >>MysteriumCosmographicum>Commentariolus>Derevolutionibus>Es hat wenig Sinn, nach den Ursachen eines bestimmten Bewegungssystems zu fragen, wenn man dieses System nicht als einen Ausdruck der Realität betrachtet, sondern als eine mathematische Fiktion zur Erzielung von Resultaten, die einer empirischen Kontrolle standhalten. Es sei denn, man fasse diese Ursachen auch als mathematische Fiktionen auf, was ein haltbarer, aber nicht Keplers Standpunkt ist. Umgekehrt wird die Überzeugung, daß ein kinematisches Bild den wirklichen Sachverhalt wiedergibt, um so stärker werden, je besser man es kausal erklären kannUnordnung>AstronomiaNova>werkbiographischeAstronomiaNovaHeld>RomansErgofalsum oportet esse aliquid eorum quod assumpseramus. Assumptum autem erat: orbitam, qua Planeta transiret, esse perfectum circulum: esse in linea apsidum punctum aliquod unicum in certo et constante intervallo a centro eccentrici, circa quod punctum aequalibus temporibus Mars aequales angulos conficiat. Horum igitur alterutrum aut forte utrumque falsum est. Nam observationes usurpatae falsae non sunt« 363 • Kepler zögert also noch, aus seinem vergeblichen Versuch, die Kreishypothese zu bestätigen, den richtigen Schluß zu ziehen, daß es eine kreisförmige Planetenbewegung nicht gibt. Allerdings machen seine Erklärungen deutlich, daß ein solcher Schluß nun nicht mehr lange vermieden werden kann. Die Vermutung nämlich, allein die Annahme eines festen Kreismittelpunktes auf der Apsidenlinie sei möglicherweise falsch, die Kreishypothese aber richtig, sucht nur über die Gewißheit hinwegzutäuschen, daß in Wahrheit beide Annahmen unmittelbar miteinander zusammenhängen und darum entweder beide verifiziert oder beide falsifiziert werden. Wenn die Marsbahn wirklich 883

Astronomia

Nova II, 19. Ges. Werke III, p. 176.

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Die Rettung

der Phänomene

in der Geschichte der Astronomie

kreisförmig verläuft, dann muß sich ein fester Kreismittelpunkt, sei es auch lediglich ein fiktiver Punkt wie der Ausgleichspunkt, angeben lassen; ist das nicht möglich, so läßt sich auch die Kreishypothese nicht mehr länger halten. Obgleich Kepler eine solche Alternative in dieser Schärfe hier noch nicht sieht, gibt er doch zu erkennen, daß die Frage nach der Bewegungsform der Planeten ganz neu gestellt werden muß 364 • Die kritischen 8 Bogenminuten, die seine Kreishypothese zu Fall gebracht hatten, haben, so stellt Kepler abschließend fest, den Weg zur Erneuerung der gesamten Astronomie gewiesen (sola igitur haec octo minuta viam praeiverunt ad totam Astronomiam reformandam) 365 • Diese Erneuerung ist jetzt nur noch über die endgültige Destruktion der >>alten>Philosophiae Naturalis Principia Mathematica>Rationemvero harum gravitatis proprietatum ex phaenomenis nondum potui deducere, & hypotheses non fingo. Quicquid enim ex phaenomenis non deducitur, hypothesis vocanda est; & hypotheses seu metaphysicae, seu physicae, seu qualitatum occultarum, seu mechanicae, in philosophia experimentali locum non habent. In hac philosophia propositiones deducuntur ex phaenomenis, & redduntur generales per inductionemhypothesesnon fingo« auch die Beliebigkeit von Annahmen, die nicht um einer vollständigen Erklärung der Phänomene willen, sondern vielmehr in rechnerischer Unverbindlichkeit gemacht werden. Gemeint sind die Hypothesen der mathematischen Astronomie. Es gibt, wie sich gezeigt hat, im Grunde beliebig viele Hypothesen, die alle den Phänomenen in irgendeiner Weise gerecht werden können; aber nur eine Hypothese, diejenige Keplers und universaler diejenige Newtons, erklärt diese Phänomene wirklich. Ihr kommt damit nicht mehr der Charakter von Hypothesen in dem von Galilei beschriebenen Sinne zu, nämlich beliebig und zahlreich zu sein, sondern allein noch der Charakter, den ein begründeter Wahrheitsanspruch verleiht: abschließend und zugleich alle Vielfalt ausschließend zu sein. Die Phänomene selbst rücken wieder ins Zentrum der Überlegungen, aus dem sie die Unverbindlichkeit beliebiger mathematischer Konstruktionen zeitweilig verdrängt hatte. Die Phänomene sollen jetzt ausdrücklich erklärt werden, nicht mehr nur in den Kalender passen. Die negative Einstellung des Physikers Newton der mathematischen Hypothese im astronomischen Bereich gegenüber präzisiert Cotes in seiner Vorrede, wenn er von bestimmten Naturforschern sagt, daß selbst dann, wenn ihre Hypothesen die Phänomene aufs genaueste wiedergeben können, sie doch nicht behaupten dürfen, ein wahres System vorgetragen und die wahren Ursachen der Himmelsbewegungen gefunden zu haben, wenn sie nicht die Existenz dieser oder wenigstens die Nichtexistenz anderer Ursachen nachgewiesen haben 462 • u 9 Ibid. 450 Newton, op. cit. III, p. 3 . . 451 Newton, op. cit. III, p. 92. 462 Newton, op. cit. I, p. XXIV: Nam a phaenomenis vel accuratissime satisfacere possent ex hypothesibus suis; veram tamen philosophiam tradidisse, & veras causas motuum caelestium invenisse nondum dicendi sunt; nisi vel has revera existere, vel saltem alias non existere demonstraverint.

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Exkurs

Mathematische Hypothesen im Sinne der herkömmlichen Astronomie sind damit hinfällig und scheiden für Newton aus der wissenschaftlichen Astronomie aus, seitdem man mit Kepler wieder nach dem »wahren« Natursystem fragt und weiß, daß diese Wahrheit nur in einer möglichen Realisierbarkeit liegt. Ein neues Pathos kündigt sich an. Als Pathos des Physikers kompromittiert es zunächst die Wissenschaftlichkeit der Mathematik, sofern in ihr die Hypothesen der alten Astronomie gründen. Das Prinzip des o-~~etv Tex cpcx1v6µevcx wird auf neue Weise ernst genommen; bislang war man es zufrieden, wenn die Hypothesen mit den Phänomenen übereinstimmten. Diese Rettungsversuche waren brauchbar, nun sollen sie wahr sein. Da aber das All, von dem man sprechen will, nur eines ist, kann es auch nur ein wahres System geben, das den Aufbau dieses Alls wiedergibt. Newton verwirft mit allen abenteuerlichen Hypothesen zugleich auch jene, die in der Tat die Phänomene noch im traditionellen Sinne hatten retten können. Cotes hat in seiner Vorrede näher ausgeführt, was Newton unter Hypothesen versteht, die er selbst nur kursorisch als metaphysische, physische, mechanische oder solche verborgener Eigenschaften einfach abtut. Es sind vor allem die Systeme im Anschluß an die Aristotelische Auffassung, gemäß der alle Wirkungen aus der Natur der Körper ableitbar sind, wobei man eben nur die Unklarheit über die Ursachen dieser Wirkungen in die Natur der Körper selbst zurückverlegt, ohne sie verstanden zu haben. >>Atunde sint illae naturae non docentHiquidem ex simplicissimis quibus possunt principiis rerum omnium causas derivandas esse volunt: nihil autem principii loco assumunt, quod nondum ex phaenomenis comprobatum fuerit. Hypotheses non comminiscuntur, neque in physicam recipiunt, nisi ut quaestiones de quarum veritate disputeturLaScience de la nature acquieret de jour en jour de nouvelles richesses; la Geometrie en reculant ses limites, a porte son flambeau dans les parties de la Physique qui se trouvoient le plus pres d'elle; le vrai syst~me du monde a ete connu, developpe & perfectionne; la m~me sagacite qui s'etoit assujetti les mouvemens des corps celestes, s'est portee sur les corps qui nous environnent; en appliquantla Geometrie a l'etude de ces corps, ou en essayant de l'y appliquer, on a su appercevoir & fixer les avantages & les abus de cet emploi; en un mot depuis la Terre jusqu' a Sa turne, depuis l'Histoire 457 • des Cieux jusqu' a celle des insectes, la Physique a change de face