Relativierung des Bestandsschutzes durch Einflüsse des europäischen Umweltrechts? [1 ed.] 9783428588718, 9783428188710

Die Umwelt unterliegt einem stetigen Wandel. Trotz umfassender Prüfung von Umweltvorgaben in Anlagenzulassungs- und Plan

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Relativierung des Bestandsschutzes durch Einflüsse des europäischen Umweltrechts? [1 ed.]
 9783428588718, 9783428188710

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Schriften zum Umweltrecht Band 201

Relativierung des Bestandsschutzes durch Einflüsse des europäischen Umweltrechts?

Von

Danbi Cho

Duncker & Humblot · Berlin

DANBI CHO

Relativierung des Bestandsschutzes durch Einflüsse des europäischen Umweltrechts?

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 201

Relativierung des Bestandsschutzes durch Einflüsse des europäischen Umweltrechts?

Von

Danbi Cho

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-18871-0 (Print) ISBN 978-3-428-58871-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Später veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung konnten nur noch punktuell berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Alexander Windoffer, für die engagierte Betreuung während meiner Promotionsphase. Seine wertvollen Ratschläge und sein Zuspruch waren mir bei Erstellung dieser Arbeit eine überaus große Hilfe. Herrn Prof. Dr. Christian Bickenbach danke ich sehr für die Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ganz besonders bedanken möchte ich mich ferner bei Herrn Dr. Markus Appel für die Anregung zu vorliegendem Thema sowie die Förderung, die ich durch ihn erfahren habe. Von Herzen dankbar bin ich schließlich meinen Eltern, auf deren vorbehaltslosen Rückhalt ich stets vertrauen kann, sowie all jenen, die mich während meiner Promotionszeit unterstützt und mir dabei so viel Verständnis entgegengebracht haben. Berlin, im Januar 2023

Danbi Cho

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Teil Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis sowie den Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien A. Bestandsschutz im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zum Begriff des (passiven) Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Bestandsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandsschutz durch Wirkungen eines (begünstigenden) Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten für hoheitliche Vorhabenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bindungswirkung eines wirksamen Verwaltungsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhaltsbezogene Bindungswirkung i. S. e. Abweichungsverbots . . . . . . . . a) Sachlicher Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persönlicher Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bindung von Adressaten und sonstigen Betroffenen . . . . . . . . . . . bb) Bindung der Erlassbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tatbestandswirkung: Erweiterung auf sonstige Behörden, Rechtsträger, Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandsbezogene Bindungswirkung i. S. e. Aufhebungsverbots . . . . . . . a) Ende der Wirksamkeit, § 43 Abs. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Bestandskraft: Erhöhte Verbindlichkeit durch Eintritt der Unanfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abweichungen je nach Besonderheiten des Fachrechts . . . . . . . . . . . . IV. Grundlagen des Bestandsschutzes im Immissionsschutz- und Planfeststellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung . . . aa) Genehmigungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis bb) Feststellungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriffsinstrumentarien nach Unanfechtbarkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlagen des Bestandsschutzes planfestgestellter Vorhaben . . . . . . . . . a) Regelungsgehalt des Planfeststellungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gestattungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Feststellungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingriffsinstrumentarien nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Allgemeine Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien und denkbare Einflüsse auf den Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Mitgliedstaatliche Umsetzungsverpflichtung aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, keine unmittelbare Verpflichtung des Unionsbürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Grundsatz mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie und allgemeines Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 C. Zusammenfassung und Folgerungen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . 54 2. Teil Die Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts auf den Bestandsschutz A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Arten- und Habitatschutzrecht als Gegenstand der Feststellungswirkung II. Die Vorgaben des Habitatschutzrechts für die Zulassungsentscheidung, § 34 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Projektbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Natura 2000-Verträglichkeits(vor)prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmemöglichkeit nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahren, zuständige Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts für die Zulassungsentscheidung, §§ 44 f. BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Doppelfunktion der Zugriffsverbote als repressives Verbot und Zulassungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsgegenstand und -maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmemöglichkeit nach § 45 Abs. 7 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bestandsschutzrelevante Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Die allgemeine Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: Anwendbarkeit auf projektbezogene Auswirkungen? . . . . . . . . . . . 69

Inhaltsverzeichnis 1. Das Verhältnis des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zur Regelzulassung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durch den EuGH auf sog. „Altfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Urteil des EuGH in Sachen Herzmuschelfischerei: Kein Ausschluss der allgemeinen Vermeidungspflicht durch eine Zulassung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundlegende Folgerungen für die Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFHRL unter Berücksichtigung seiner materiellen und verfahrensrechtlichen Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleich hohes materielles Schutzniveau zwischen Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dauerpflicht der Mitgliedstaaten zu geeigneten Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Verhältnis des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zur Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konkretisierung der projektbezogenen Handlungsverpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Urteil des EuGH in Sachen Waldschlößchenbrücke . . . . . . . . . . . . . . a) Die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung als „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltliche Anforderungen an die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Veränderung des Prüfungsmaßstabs durch Ausführung aufgrund sofort vollziehbarer Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen des Waldschlößchenbrücken-Urteils für den Bestandsschutz zugelassener Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statuierung eines dynamischen materiellen Schutzstandards nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verallgemeinerungsfähige Aussagen des EuGH zu Prüfungsmaßstab und -zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erfordernis einer schutzgebietsbezogenen Gesamtbetrachtung . . (1) Berücksichtigung der Vorbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Berücksichtigung kumulativer Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . (3) Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse . . . (4) Berücksichtigung des aktuellen Schutzgebietsstatus . . . . . . . cc) Folgerungen für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit zugelassener Projekte nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . (1) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei Missachtung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL . . .

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Inhaltsverzeichnis (2) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL trotz Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL . . . . . (3) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL trotz Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL . . . . . . . . . . (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) (Ir-)Relevanz von Bestandsschutzbelangen für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unkalkulierbares Risiko für den Bestandsschutz durch fortlaufende Gefahr einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung? . . . . . . . . . . . . . c) Verbleibende Spielräume: Zur Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsschutzbelangen im Rahmen der Ermessensentscheidung über geeignete Vermeidungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit und Folgerungen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Implementierung des allgemeinen Verschlechterungsverbots im nationalen Recht: Der handlungsbezogene Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entscheidung über die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung des Instruments der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung auf Fälle einer „nachzuholenden“ Verträglichkeitsprüfung? . . . . . . . 2. Reduzierung des Ermessens zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alternativmaßnahmen zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung . . aa) Unmittelbar projektbezogene Maßnahmen als potenzielle Alternativmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nicht projektbezogene Alternativmaßnahmen: Umfassende Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewichtung der konfligierenden Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Missachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL bb) Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL cc) Sonderproblem der Summationswirkung mehrerer Projekte: Auswahl zwischen mehreren bestehenden Projekten . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensrechtliche Implementierung der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relevanz der Feststellungswirkung: Erfordernis einer vorherigen Aufhebung oder Abänderung der Zulassungsentscheidung? . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Folgen einer negativen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 1. Schutz des Projektträgers durch die Gestattungswirkung: Keine unmittelbare Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verpflichtung des Mitgliedstaats zu weiteren projektbezogenen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG auf zugelassene Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmevoraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Durchführung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz als öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausnahmegründe in Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen oder Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Feststellung eines Überwiegens im Wege der Abwägung . . . . . . . b) Nichtbestehen einer zumutbaren Alternativlösung, § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Begriff der Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zumutbarkeit der Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des kohärenten Netzes Natura 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbleibender Ermessensspielraum der Behörde? . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensrechtliche Aspekte der nachträglichen Ausnahmezulassung . . a) Immanente Ausnahmezulassung kraft Konzentrations- und Gestattungswirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit der Naturschutzbehörde im einfachen Verwaltungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Unionsrechtskonformität einer Befreiung nach § 67 Abs. 2 BNatSchG . . . C. Die Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur Anwendbarkeit der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände im Zulassungsvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Freistellung für zugelassene Tätigkeiten nach nationaler Normkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unvereinbarkeit einer generellen Freistellung rechtmäßiger Tätigkeiten mit dem Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis II. Verwirklichung der Verbotstatbestände durch zugelassene Tätigkeiten . . . . 1. Artenschutzrechtliche Konflikte trotz Prüfung im Zulassungsverfahren . . 2. Zurechenbarkeit artenschutzrechtlicher Konflikte in der Bau- und Betriebsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zurechnungsmaßstab im Rahmen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Vorliegen einer Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechnung im Falle des Einwanderns geschützter Arten nach Inbetriebnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine unmittelbare Unwirksamkeit einer konfligierenden Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Durchführung konkreter Schutzmaßnahmen: Einflüsse der Art. 12, 13 FFH-RL und Art. 5 VRL auf den administrativen Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Absichtsmerkmal als Voraussetzung für eine mitgliedstaatliche Handlungsverpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 lit. a–c, Art. 13 lit. a FFHRL, Art. 5 VRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Absichtsbegriff i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL . . . . . . . . . . b) Abweichender Absichtsbegriff im Rahmen des Art. 5 VRL? . . . . . . . c) „Absichtliche“ Verbotsverwirklichung durch zugelassene Tätigkeiten? 2. Die Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die erforderlichen Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Ausnahmemöglichkeit nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG . . . 1. Ausnahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG . . a) Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses . . . . . . b) Vereinbarkeit der Ausnahmemöglichkeit mit den Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtbestehen einer zumutbaren Alternative, § 45 Abs. 7 S. 2 HS 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Verschlechterung, Verweilen im günstigen Erhaltungszustand, § 45 Abs. 7 S. 2 HS 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verbleibender Ermessensspielraum der Behörde? . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensrechtliche Aspekte der nachträglichen Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine immanente Ausnahmezulassung kraft Genehmigungs- und Konzentrationswirkung für unerkannte artenschutzrechtliche Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit der Naturschutzbehörde im einfachen Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis D. Handlungsinstrumente zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen Vorhaben . . I. (Teil-)Aufhebung der Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse: Besondere Beständigkeit aufgrund fehlender Aufhebungsmöglichkeit nach Unanfechtbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein abschließender Charakter der §§ 72 ff. VwVfG . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit der Aufhebungsvorschriften mit dem Charakter des Planfeststellungsbeschlusses als Planungsentscheidung . . . . . . . . . . . . c) Praktisches Aufhebungsbedürfnis auch im Falle öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sowie zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen . . d) Uneingeschränkte Anwendbarkeit bei Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerruf, § 49 VwVfG, § 21 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtmäßigkeit der Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerrufsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachträglich eingetretene Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Berechtigung zur Nichterteilung der Genehmigung . . . . . . . . (3) Gefährdung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nachträgliche Rechtsänderung, Berechtigung zur Nichterteilung der Genehmigung, Gefährdung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Noch kein Gebrauchmachen von der Zulassungsentscheidung cc) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerrufsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einflüsse von FFH- und Vogelschutzrichtlinie auf die Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen eines Widerrufs, Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs. 6 VwVfG, § 21 Abs. 4 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rücknahme, § 48 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3, 4 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rücknahmevoraussetzungen, § 48 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3 VwVfG . . . b) Rücknahmeermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen einer Rücknahme, Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erlass nachträglicher Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auflagenvorbehalt, Vorbehalt abschließender Entscheidung . . . . . . . . . . . a) Auflagenvorbehalt nach § 12 BImSchG für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidungsvorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG für Planfeststellungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorbehaltsgrenzen: Kein geeignetes Instrument für Prognoserisiken . . 2. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage der §§ 17, 20 BImSchG . . . . 3. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage der (Fach-)Planungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines: Erforderliche Maßnahmen zur Einhaltung des Naturschutzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendbarkeit auf planfestgestellte Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kein Ausschluss aufgrund der Konzentrationswirkung nach § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abschließende planungsrechtliche Vorschriften? . . . . . . . . . . . (3) Ausschließliche Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde aufgrund möglicher Abwägungsrelevanz? . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anordnungen nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber öffentlich-rechtlichen Vorhabenträgern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Keine abdrängende Sonderzuweisung, § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG c) Begrenzung der Anordnungsbefugnis durch die Legalisierungswirkung wirksamer Zulassungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begrenzung durch die Feststellungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unzulässigkeit der Neubewertung einer unveränderten Sachund Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grenzen der Feststellungswirkung mit Blick auf die fortlaufend geltenden Verbote aus §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begrenzung durch die Gestattungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unzulässigkeit einer (Teil-)Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erfordernis einer weitergehenden Beschränkung . . . . . . . . . . . d) Ermessen der Naturschutzbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entschließungsermessen: Berücksichtigung von Bestandsschutzbelangen und Einflüsse des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ermessensausübung im Falle bestandsschutzbeschränkender Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

262 263 264 264 265 265 267 269 273 274 275 275 277 278 279 281 284 285 286 286 287

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Inhaltsverzeichnis (2) Ermessensausübung im Falle vorläufiger Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswahlermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Subsidiärer Rückgriff auf die Aufhebungsvorschriften zum Erlass nachträglicher Anordnungen unter Beschränkung der Gestattungswirkung . . a) Anwendbarkeit der Aufhebungsvorschriften für den Erlass nachträglicher Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Anordnungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen der Anordnungsbefugnis: Nachträgliche (wesentliche) Änderung des Vorhabens oder der Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Immissionsschutzrechtliche Genehmigung: Anwendbarkeit des § 17 Abs. 4 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Planfeststellungsbeschluss: Erfordernis eines Planänderungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen nach § 20 Abs. 2 BImSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen gegenüber planfeststellungsbedürftigen Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Folgenbeseitigung nach § 77 S. 2 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückbau- und Ausgleichsverpflichtung als nachträgliche Auflage nach §§ 48, 49 i.V. m. § 36 VwVfG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Fazit: Relativierung des Bestandsschutzes durch das europäische Arten- und Habitatschutzrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

3. Teil Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz A. Einführung: Die Grundzüge des Umweltschadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis des USchadG zu anderen Vorschriften des Fachrechts, § 1 USchadG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des Umweltschadens, §§ 2 Nr. 1, 3 USchadG . . . . . . . . . . . . 3. Verantwortlicher i. S. d. § 2 Nr. 3 USchadG, Kausalitätsnachweis . . . . . . 4. Haftungstatbestände: verschuldensabhängige und -unabhängige Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Verschuldensunabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG . . b) Verschuldensabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG . . . II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Informations-, Vermeidungs- und Sanierungspflichten des Verantwortlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichten und Befugnisse der zuständigen Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung im umweltrechtlichen Haftungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Zulassungsinhaber als Träger der umweltschadensrechtlichen Primärund Sekundärpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine generelle Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten von den umweltschadensrechtlichen Primärpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Kostenfreistellung für zugelassene Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die (mittelbaren) Schutzwirkungen behördlicher Zulassungsentscheidungen im umweltschadensrechtlichen Haftungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG für Biodiversitätsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Zuvor ermittelte“ Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Enthaftung für „sehenden Auges“ zugelassene Auswirkungen . . . bb) (Ir-)Relevanz der Erkennbarkeit im Zulassungszeitpunkt? . . . . . . cc) Möglichkeiten einer nachträglichen Konfliktbewältigung . . . . . . . b) Genehmigte oder zugelassene Tätigkeit nach §§ 34, 35, 45 Abs. 7 BNatSchG, § 67 Abs. 2 BNatSchG, § 15 BNatSchG, §§ 30, 33 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zulassung nach habitat- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eingriffsregelung nach § 15 BNatSchG und Zulassung nach §§ 30, 33 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vereinbarkeit der Enthaftung nach § 15 BNatSchG mit Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vereinbarkeit der Enthaftung nach §§ 30, 33 BauGB mit Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unbeplanter Innenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG . . . . . . . . . a) Heranziehung zivilrechtlicher Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Kein) Erfordernis eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs . . . . . . . . c) Verschuldensmaßstab des BVerwG: Fehlendes Verschulden bei schutzwürdigem Vertrauen in die Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . aa) Vereinbarkeit des Ansatzes mit den Vorgaben des Unionsrechts . .

324 325 326 326 327 327 328 329 329 332 334 334 335 336 336 337 340

341 341 345 347 351 353 353 354 354 356 359 360

Inhaltsverzeichnis bb) Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die Zulassungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Faktische“ Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen für Schädigungen der Schutzgüter Boden und Gewässer . . . . . . III. Das Verhältnis des Umweltschadensrechts zum herkömmlichen Legalisierungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschränkung der Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsakte durch die Bestimmungen des Umweltschadensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfordernis eines zulassungsmodifizierenden Aktes: Die Grenzen der Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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361 364 364 367 367 369

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 4. Teil Zusammenfassung in Thesen

374

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. ABl. Abs. AEUV a. F. Alt. ÄndRL Anm. Art. AtG Aufl. BBodSchG Bd. BeckOK Beschl. BfN BGBl. BImSchG BImSchV BNatSchG Bsp. bspw. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw. ders. d. h. dies. Drs. DVBl

andere Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz/Absätze EU-Arbeitsweisevertrag alte Fassung Alternative Änderungsrichtlinie Anmerkung/en Artikel Atomgesetz Auflage Bundesbodenschutzgesetz Band Beck’sche Online-Kommentare Beschluss Bundesamt für Naturschutz Bundesgesetzblatt Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundesimmissionsschutzverordnung Bundesnaturschutzgesetz Beispiel beispielsweise Bundestag Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich beziehungsweise derselbe das heißt dieselbe Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis EG

Einl. EnWG EnWZ Erg. Erl. etc. EU EuGH EuGRZ EuR EUV EWG f. ff. FFH FFH-Richtlinie

Fn. GAin GBl. GewArch GG ggf. GK h. M. Hrsg. HS i. d. F. insb. i. S. d. i.V. m. jurisPR-UmwR krit. KrWG KSpG Lfg. LKV Ls. m.w. N. Nachw.

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Europäische Gemeinschaft(en), bei Normen auch: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam Einleitung Energiewirtschaftsgesetz Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Ergänzung Erläuterung et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Zeitschrift Europarecht EU-Vertrag (Lissabon) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (und) folgende (Seite) (und) folgende (Seiten) Fauna-Flora-Habitat Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-RL) Fußnote Generalanwältin Gesetzblatt Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung insbesondere im Sinne des/der in Verbindung mit juris PraxisReport Umwelt- und Planungsrecht kritisch Kreislaufwirtschaftsgesetz Kohlendioxid-Speicherungsgesetz Lieferung Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Leitsatz mit weiteren Nachweisen Nachweis

20 n. F. NJW Nr. NuR NVwZ NVwZ-Beil. NVwZ-RR OVG RL Rn. Rs. S. SeeAnlG SeeAnlV sog. u. a. UAbs. UH-RL

UPR Urt. USchadG UVPG v. VerfGH VerwArch VG VGH vgl. VO Vorb. VRL

VwGO VwVfG WHG WindSeeG WiVerw z. B. zit. ZNER ZUR

Abkürzungsverzeichnis neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Beilage Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungs-Report Oberverwaltungsgericht Richtlinie Randnummer Rechtssache Satz/Seite Seeanlagengesetz Seeanlagenverordnung sogenannte/r unter anderem Unterabsatz Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.04.2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (Umwelthaftungsrichtlinie) Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift) Urteil Umweltschadensgesetz Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom/von Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes Wasserhaushaltsgesetz Windenergie-auf-See-Gesetz Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Neues Energierecht Zeitschrift für Umweltrecht

Einleitung I. Problemstellung Kern der Bestandsschutzproblematik bildet der notwendige Ausgleich zwischen den privaten Bestandsinteressen auf der einen und den staatlichen Eingriffs- sowie Gestaltungsinteressen auf der anderen Seite.1 Im Umweltrecht, das von dem Grundkonflikt zwischen Industrie und der sich stetig wandelnden Umwelt geprägt ist,2 wird diese Spannungslage seit jeher besonders deutlich.3 Schien sich hier infolge umfangreicher juristischer Diskussionen4 eine im Wesentlichen gefestigte Bestandsschutzkonzeption herausgebildet zu haben, sind es in jüngerer Zeit die Einflüsse des europäischen Umweltrechts, konkret die Vorgaben der Vogelschutz-Richtlinie (VRL)5, der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL)6 sowie der Umwelthaftungsrichtlinie (UH-RL)7, die das Augenmerk erneut auf die Bestandsschutzthematik richten und die Frage nach einer möglichen Relativierung des herkömmlichen Bestandsschutzverständnisses aufwerfen.

1 Vgl. Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 27; Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, 1990, S. 11. 2 Friauf, WiVerw 1989, S. 121 (124 ff.); Sendler, UPR 1990, S. 41 (41). 3 Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 27. 4 Vgl. etwa Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, 1990; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007; Sundermann, Der Bestandsschutz genehmigungsbedürftiger Anlagen im Immissionsschutzrecht, 1985; Ossenbühl, Bestandsschutz und Nachrüstung von Kernkraftwerken, 1994; zum Bestandsschutz im Immissionsschutzrecht ferner die umfangreichen Literaturnachweise bei Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (935), Fn. 3. 5 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010 L 20 v. 26.01.2010, S. 7), zuletzt geändert durch Art. 5 VO (EU) 2019/1010 zur Änderung mehrerer Rechtsakte der Union mit Bezug zur Umwelt vom 05.06.2019 (ABl. Nr. L 170S. 115), im Folgenden bezeichnet als Vogelschutzrichtlinie oder VRL. 6 Richtlinie 92/43/EWG des Rates v. 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 v. 22.07.1992, S. 7), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndL 2013/17/EU v. 13.05.2013 (ABl. Nr. L 158, S. 193), im Folgenden bezeichnet als FFH-Richtlinie oder FFH-RL. 7 Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.04.2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. L 143 v. 30.04.2004, S. 56), zuletzt geändert durch Art. 38 Abs. 1 ÄndRL 2013/30/EU v. 12.06.2013 (ABl. L 178 v. 28.06.2013, S. 66), im Folgenden bezeichnet als Umwelthaftungsrichtlinie oder UH-RL.

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Einleitung

Vogelschutz- und FFH-Richtlinie enthalten zentrale Vorgaben für den europäischen Arten- und Habitatschutz. Die in diesen Richtlinien enthaltenen gebietsbezogenen Regelungen zielen darauf ab, durch die Errichtung eines europaweiten Netzes von FFH- und Vogelschutzgebieten – dem sogenannten Natura 2000Netz – einen Beitrag zu dem Erhalt gefährdeter wildlebender Pflanzen- und Tierarten sowie ihrer natürlichen Lebensräume zu leisten. Ergänzt wird dieser gebietsbezogene Naturschutz durch das Schutzinstrumentarium des EU-Artenschutzrechts, dessen flächendeckende, gebietsunabhängige Vorschriften dem Schutz wild lebender Vogelarten sowie bestimmter Tier- und Pflanzenarten dienen. Mit den Zielen des Natura 2000-Gebietsschutzes sowie den Vorschriften des EU-Artenschutzrechts weisen Industrieanlagen und Infrastrukturvorhaben aufgrund ihrer weitreichenden Auswirkungen ein erhebliches Konfliktpotential auf. Zerschneidet der Bau einer Verkehrsinfrastruktur ein Natura 2000-Gebiet, ist mögliche Folge hiervon, dass wandernde, flugunfähige und bodenbewohnende Arten Teillebensräume nicht mehr besiedeln können. Der Schadstoffeintrag durch verkehrsbedingte Immissionen in die Umgebung der Straße kann die betroffenen Lebensräume und Habitate innerhalb eines Natura 2000-Gebiets beeinträchtigen. Ein besonders anschauliches und praxisrelevantes Beispiel bildet schließlich der Betrieb von Windenergieanlagen, bei dem es zu Kollisionen zwischen den Rotorblättern und Vögeln kommen kann, die für letztere meist tödlich enden. Um derartigen Konflikten bei der Vorhabenrealisierung bereits im Vorfeld zu begegnen, bilden die Bestimmungen des EU-Arten- und Habitatschutzrechts bereits einen elementaren Prüfungspunkt innerhalb der Vorhabenzulassungs- und Genehmigungsverfahren. In ihrer Funktion als Zulassungsvoraussetzung haben die Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts durch die unionsrechtliche sowie nationale Rechtsprechung und Literatur eine umfangreiche und detaillierte Konkretisierung erfahren, die – abgesehen von einzelnen Aspekten – mittlerweile eine gesicherte Grundlage für Projektträger und Genehmigungsbehörden bildet.8 Hinsichtlich des Umgangs mit dem europäischen Arten- und Habitatschutzrecht im Vollzug einer Zulassungsentscheidung bestehen demgegenüber aktuell noch erhebliche Rechtsunsicherheiten. Bestandsschutzrelevante Fragen sind insbesondere dann aufgeworfen, wenn sich nachträglich geschützte Tierarten im Umfeld einer zugelassenen und bereits in Betrieb genommenen Anlage ansiedeln oder sich neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die projektbezogenen Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet ergeben: Bleibt das europäische Arten- und Habitatschutzrecht hier ungeachtet seiner Prüfung im Zulassungsverfahren weiterhin von Relevanz? Inwieweit drohen dem Anlagenbetreiber im Konfliktfall nachträgliche Beschränkungen des zugelassenen Bestands? Ist er möglicherweise sogar verpflichtet, die ihm zugelassene Tätigkeit von sich aus einzustellen, um nachträglichen naturschutzrechtlichen Konflikten Rechnung zu tragen?

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Siehe hierzu unter 2. Teil, A. II. und III.

Einleitung

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Die erhebliche Praxisrelevanz, die der Frage nach den Auswirkungen des europäischen Umweltrechts auf den Bestandsschutz zukommt, verdeutlichen für den Bereich des besonderen Artenschutzrechts bereits zahlreiche Fälle, in denen die nationalen Gerichte in den letzten Jahren mit der Anordnung nachträglicher Betriebseinschränkungen von Windenergieanlagen zum Schutz streng geschützter Vogelarten befasst waren.9 Die besondere Komplexität der Frage nach den Einflüssen des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts auf den Bestandschutz von Vorhabenträgern und Anlagenbetreibern resultiert dabei aus dem Zusammentreffen verschiedenster Belange, die es miteinander in Einklang zu bringen gilt. Im Beispielsfall der Windenergieanlagen besteht im Falle nachträglich auftretender Kollisionen letztlich ein bereits umweltschutzinterner Zielkonflikt.10 Denn nicht nur der Anlagenbetrieb, sondern auch der Klimawandel, zu deren Bekämpfung die Umstellung auf Erneuerbare Energien einen erheblichen, wenn nicht gar unabdingbaren Beitrag leistet, stellt eine ernsthafte Bedrohung für das langfristige Überleben vieler Tier- und Pflanzenarten dar.11 Auf den bereits für sich genommen komplexen Grundkonflikt zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen trifft im Bereich des EU-Artenschutzrechts sowie des Natura 2000-Gebietsschutzes im Übrigen das Gebot einer möglichst effektiven Verwirklichung der Unionsinteressen. Insbesondere mit Blick auf das Natura 2000-Schutzregime ist es der Europäische Gerichtshof, der mit seiner recht extensiven Auslegung der gegenüber diesen Gebieten bestehenden allgemeinen Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten12 die Frage nach unionsrechtlich gebotenen Beschränkungen des Bestandschutzes aufwirft.13 Anlass, das herkömmliche Bestandsschutzverständnis zu überdenken, gibt neben FFH- und Vogelschutzrichtlinie schließlich auch die Umwelthaftungsrichtlinie, deren Vorgaben im Wesentlichen durch das Umweltschadensgesetz (USchadG)14 in das nationale Recht umgesetzt wurden. Unbesehen ihrer potenziell irreführenden Bezeichnung hat die Umwelthaftungsrichtlinie keine zivil-

9 Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, NuR 2011, 891 ff.; OVG Magdeburg, Urt. v. 13.03.2014 – 2 L 215/11, juris; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12. 2017 – 5 A 2869/17, juris; Urt. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/11, juris; Beschl. v. 10.06. 2011 – 5 B 1246/11, NuR 2011, 742 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.644, NuR 2017, 429 ff.; VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris. 10 Germelmann, EnWZ 2013, 488 (490). 11 Vgl. Schlacke/Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, Einl. Rn. 5. 12 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482; Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-226/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10. 13 Vgl. Beier, NVwZ 2016 575 (580); Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016 Anm. 1; Weuthen, NVwZ 2016, 1361 ff.; Stüer, DVBl 2010, 245 (246). 14 Umweltschadensgesetz vom 10.05.2007 (BGBl. I S. 666), das zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes vom 04.08.2016 (BGBl. I S. 1972) geändert worden ist (USchadG).

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rechtlichen Haftungsvorschriften zum Gegenstand, sondern eine Erweiterung des europäischen Umweltrechts um einen ordnungsrechtlichen, d. h. öffentlich-rechtlichen Rahmen zum Einschreiten gegen Umweltgefahren und Umweltschäden.15 Ihr Ziel ist es, auf Grundlage des Verursacherprinzips einen Rahmen für die Vermeidung drohender Umweltschäden sowie die Sanierung bereits eingetretener Umweltschäden zu schaffen, Art. 1 UH-RL.16 Bei Formulierung der zu diesem Zweck festgesetzten Vermeidungs- und Sanierungspflichten für Schädigungen an den Umweltgütern der Gewässer, des Bodens sowie der Biodiversität scheint das Umweltschadensrecht auf öffentlich-rechtliche Zulassungsentscheidungen – einschließlich vorausgegangene Umweltprüfungen – weitestgehend keine Rücksicht zu nehmen. Hier stellt sich daher die Frage, inwiefern Beschränkungen des zugelassenen Bestandes dadurch drohen, dass der genehmigungskonforme Anlagenbetrieb nachträglich zum Ansatzpunkt für eine umweltschadensrechtliche Verantwortlichkeit wird. Während einige Beiträge im Schrifttum die Relevanz der vorstehend umrissenen Thematik verdeutlichen,17 lässt sich doch feststellen, dass die Bereiche des EU-Artenschutzrechts, des Natura 2000-Gebietsschutzes sowie des Umweltschadensrechts hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Bestandsschutz bislang keine derart umfassende Auseinandersetzung erfahren haben, wie dies für andere Bereiche des Umweltrechts der Fall ist. Ein gefestigtes Gesamtkonzept, das Antworten auf die vorstehend skizzierten Fragestellungen zu bieten vermag, hat sich weitestgehend noch nicht herausgebildet. Von erheblicher praktischer Relevanz ist diese Thematik indes nicht nur für Behörden und Umweltverbände, sondern auch und insbesondere für „Due-Diligence“-Prüfungen; bei letzteren wird in den kommenden Jahren ein besonderes Augenmerk auf die Beschränkungen zu richten sein, die bestandskräftig zugelassenen Vorhaben seitens des unionsrechtlich geprägten Umweltrechts drohen.18 Angesichts der hier bestehenden Rechtsunsicherheiten erscheint mit Blick auf die Vorgaben des EU-Umweltrechts derzeit fraglich, inwiefern der Sinn und Zweck des Instituts des Bestandsschutzes, Planungssicherheit für den Vorhabenträger zu schaffen, gewährleistet ist. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, dem Topos des Bestandsschutzes auch mit Blick auf die Materien des EU-Umweltrechts Konturen zu verleihen.

15 Diederichsen/Jerxsen, UPR 2007, 17 (17); Porsch, in: FS-Dolde 2014, S. 169 (170); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, Vorb. Rn. 4. 16 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 1; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, Vorb. Rn. 6. 17 Siehe etwa: Appel, NuR 2020, 663 ff.; Bayer, NuR 2019, 387 ff.; Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 ff.; Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 ff.; Lau, NuR 2018, 587 ff., 653 ff., 840 ff.; Lieber, NuR 2012, S. 655 ff. 18 Vgl. Appel, NuR 2020, 663 (664).

Einleitung

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II. Gegenstand der Untersuchung Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist vornehmlich im Interesse einer Konzentration auf die praxisrelevanten Fragestellungen in mehrfacher Hinsicht eingegrenzt. Mit Blick auf die Betrachtung des Bestandsschutzes gegenüber den Vorgaben des europäischen Umweltrechts findet eine Beschränkung auf solche Anlagen und Vorhaben statt, deren Errichtung bzw. Betrieb im Rahmen einer unanfechtbaren immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses erfolgt. Dies bietet sich an, da vorgenannten Industrieund Infrastrukturvorhaben ein vergleichsweise hohes Konfliktpotenzial mit den Anforderungen des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts innewohnt. Ferner wird sowohl bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen als auch planfeststellungsbedürftigen Vorhaben Bestandsschutz im Wesentlichen durch die jeweilige Zulassungsentscheidung gewährleistet, sodass hier ein einheitlicher Anknüpfungspunkt für die Untersuchung in Form eines Verwaltungsaktes besteht. Mit Eintritt der formellen Bestandskraft19 einer Zulassungsentscheidung ist dabei grundsätzlich ein verstärkter Bestandsschutz verbunden. Die zwei Zulassungsformen der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung sowie des Planfeststellungsbeschlusses bieten darüber hinaus aber auch einen Ansatzpunkt für die Herausarbeitung von Unterschieden, die im Hinblick auf die Reichweite des Bestandsschutzes bestehen. So wird Planfeststellungsbeschlüssen regelmäßig eine im Vergleich zu anderen Zulassungsentscheidungen erhöhte Beständigkeit zugesprochen.20 Ob diese allgemeine Annahme auch im Hinblick auf die Vorgaben des EU-Umweltrechts Geltung beanspruchen kann, wird zu untersuchen sein. Betrachtet werden sollen ferner allein Tätigkeiten, bei deren Zulassung die Vorschriften der §§ 33 ff., 44 ff. BNatSchG sowie des Umweltschadensgesetzes bereits Anwendung fanden. Außer Betracht bleibt insofern die gegebenenfalls aus Rückwirkungsgesichtspunkten problematische Anwendung der Vorschriften auf Vorhaben, die bereits vor Geltung dieser Vorschriften bestandskräftig zugelassen wurden. Die Ausklammerung dieser sogenannten Altfälle rechtfertigt sich durch die zukunftsorientierte Ausrichtung der vorliegenden Arbeit.

III. Gang der Untersuchung Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildet im ersten Teil eine Einführung in die wesentlichen Grundlagen der nationalen Bestandsschutzdogmatik, 19 Siehe zu dem Begriff der Bestandskraft und der erforderlichen terminologischen Abgrenzung zum Bestandsschutz unter 1. Teil, A. III. 2. b). 20 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 2.

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Einleitung

deren Verständnis für die Beurteilung der Einflüsse des EU-Umweltrechts unerlässlich ist. Eingegangen wird hierbei insbesondere auf die Grundzüge der durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung sowie eines Planfeststellungsbeschlusses vermittelten Bestandsschutzes. Schließlich werden auch die im Rahmen der Umsetzung von EU-Richtlinien geltenden allgemeinen Anforderungen und Grundsätze dargelegt. Im zweiten Teil werden sodann die Einflüsse des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts auf den Bestandsschutz der hier untersuchungsgegenständlichen Anlagen und Vorhaben aufgezeigt. Zwecks Einführung in vorgenannte Rechtsmaterien erfolgt zunächst ein kurzer Überblick über ihre Bedeutung für die Anlagen- und Vorhabenzulassung. Sodann wird in einem ersten Schritt zunächst das Natura 2000-Gebietsschutzrecht auf seine materiellen Anforderungen an den Zulassungsvollzug sowie die aus der FFH-Richtlinie gegenüber zugelassenen Vorhaben erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats untersucht. In diesem Rahmen erfolgt insbesondere auch eine vertiefte Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie den sich aus ihr für die Rechtsanwendung ergebenden Konsequenzen. Entsprechende Untersuchungen erfolgen in einem zweiten Schritt mit Blick auf die Vorgaben des europäischen Artenschutzrechts, wobei sich in einigen grundlegenden Punkten an die zuvor mit Blick auf das Gebietsschutzrecht gewonnenen Erkenntnisse anknüpfen lässt. In einem letzten Schritt wird für beide Rechtsmaterien gemeinsam dargelegt, welche Handlungsinstrumentarien das nationale Verfahrensrecht den Behörden beiseitestellt, um die Vorgaben des EU-Arten- sowie Natura 2000-Gebietsschutzes im Konfliktfall auch unter Eingriff in den zugelassenen Bestand immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben durchzusetzen. Eingegangen wird hierbei auch auf die möglichen Unterschiede zwischen Planfeststellungsbeschlüssen und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sowie die Frage, inwieweit das Unionsrecht eine Überformung des nationalen Verfahrensrechts erfordert. Im dritten Teil erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Umweltschadensrecht sowie den hiermit potenziell verbundenen Beschränkungen zulassungskonformer Tätigkeiten. Zunächst erfolgt eine kurze Einführung in die Regelungssystematik des Umweltschadensgesetzes, die in einigen Punkten von dem sonstigen nationalen Gefahrenabwehrrecht wesentlich abweicht. Sodann wird untersucht, welche Schutzwirkung einer behördlichen Zulassungsentscheidung gegenüber dem so umrissenen umweltschadensrechtlichen Haftungsregime zukommen kann. Im vierten und abschließenden Teil werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit in Thesenform zusammengefasst.

1. Teil

Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis sowie den Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien Kern der vorliegenden Untersuchung bildet die Frage nach einer möglichen Relativierung des Bestandsschutzes durch die Vorgaben des sekundären EU-Umweltrechts. Bevor ihr vertieft in Bezug auf die einzelnen Rechtsbereiche des Natura 2000-Gebietsschutzes, des EU-Artenschutzrechts (2. Teil) sowie des Umweltschadensrechts (3. Teil) nachgegangen werden kann, bedarf es zunächst eines grundlegenden Verständnisses über die nationale Bestandsschutzkonzeption (A.) sowie der Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien in das nationale Recht (B.). Auf dieser Grundlage lassen sich schließlich auch die für die weitere Untersuchung maßgeblichen Fragestellungen präzisieren (C.).

A. Bestandsschutz im nationalen Recht Die Darstellung des nationalen Bestandsschutzverständnisses erfordert zunächst eine Konkretisierung des Begriffs des „Bestandsschutzes“ (I.) sowie einen kurzen Überblick über seine verfassungsrechtlichen Grundlagen (II.). Ausgehend von der Prämisse, dass Bestandsschutz für die hier untersuchungsgegenständlichen immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie planfeststellungsbedürftigen Vorhaben maßgeblich durch die Rechtswirkungen der jeweiligen Zulassungsentscheidung vermittelt wird, sind sodann die allgemeinen Rechtswirkungen eines wirksamen Verwaltungsaktes darzustellen (III.), um basierend hierauf die für die Bestimmung der Reichweite des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben maßgeblichen Parameter aufzeigen zu können (IV.).

I. Zum Begriff des (passiven) Bestandsschutzes Der Begriff des „Bestandsschutzes“ hat durch den Gesetzgeber keine Konkretisierung erfahren; in der Rechtsprechung sowie dem juristischen Schrifttum wird er gleichwohl häufig herangezogen,1 sein Verständnis oftmals schlicht vorausge1 Vgl. hierzu mit zahlreichen Nachweisen Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (936).

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

setzt. Nicht zuletzt aufgrund der vielzähligen Rechtsgebiete, in denen der Begriff Verwendung findet,2 erweist sich eine allgemein gültige – und zugleich präzise – Definition als äußerst schwierig.3 Für den Bereich der Anlagengenehmigung dürfte das Verständnis gängig sein, nach dem „Bestandsschutz“ den Schutz des vorhandenen Bestandes vor nachträglichen Änderungen der Sach- oder Rechtslage bezeichnet.4 Der sogenannte passive Bestandsschutz bezieht sich dabei auf die Abwehr von hoheitlichen Maßnahmen,5 wohingegen sich der sogenannte aktive Bestandsschutz mit den Befugnissen zur Wahrung bestehender Interessen, die über die Sicherung des bisherige status quo hinausgehen, befasst.6 Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich der sogenannte präventive Bestandsschutz, der auf die Abwehr von tatsächlichen Veränderungen zielt, deren Verwirklichung den vorhandenen Bestand gefährden könnte.7 Mit Blick auf die hier zu untersuchenden Einflüsse des EU-Umweltrechts auf das Immissionsschutz- sowie Planfeststellungsrecht ist der Bestandsschutz unter dem Aspekt des passiven Bestandsschutzes von Relevanz.8 Dieser ist daher gemeint, wenn im Folgenden von Bestandsschutz die Rede ist.

II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Bestandsschutzes Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bestandsschutzes lassen sich als hinreichend geklärt bezeichnen. Ein vertieftes Verständnis zu dieser Thematik ist für die Untersuchung der Einflüsse des EU-Umweltrechts auf die nationale Be-

2 Eine umfangreiche Behandlung hat die Bestandsschutzthematik insbesondere im Bau- und Immissionsschutzrecht erfahren. Sie ist aber auch in anderen Rechtsgebieten von Relevanz, so etwa im Beamtenrecht, dem Wasser- und Straßenrecht sowie dem Gewerberecht, vgl. Schenke, NuR 1989, 8 (8); Sendler, WiVerw 1993, 235 ff. 3 Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 3; Friauf, WiVerw 1989, 121 (121); Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (936). 4 Vgl. Schenke, NuR 1989, 8 (8); Dolde, in: FS-Bachof, 1984, S. 191 (196); ders., NVwZ 1986, 873 (873), Sendler, in: Kimminich/von Lersner/Storm, Handwörterbuch des Umweltrechts, I. Band, 1994, Bestandsschutz, Spalte 268. Vermehrt auf die dem Bestandsschutz immanente Konfliktlage abstellend dagegen: Kutschera, Bestandsschutz im öffentlichen Recht, 1990, S. 11. 5 Schenke, NuR 1989, 8 (8); Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 10; Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (936). 6 Beckmann, KommJur 2014, 401 (402); Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (941); Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 22 f. 7 Schenke, NuR 1989, 8 (9). 8 Vgl. zu dem im Vergleich zum passiven Bestandsschutz generell eingeschränkten Anwendungsbereich des aktiven und präventiven Bestandsschutzes im Immissionsschutzrecht: Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 374 ff.

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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standsschutzdogmatik überdies entbehrlich. Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren sich daher bewusst auf das Wesentliche. 1. Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers Den für den Bestandsschutz im Immissions- und Planfeststellungsrecht in erster Linie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstab bildet Art. 14 GG.9 Jedenfalls die auf Grundlage einer erforderlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung errichtete und gegebenenfalls in Betrieb genommene Anlage stellt eine verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsposition dar,10 die in dem gesetzlich eingeräumten Umfang passiven Bestandsschutz genießt.11 Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für ein auf Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses errichtetes und betriebenes Vorhaben.12 Der Gesetzgeber hat Inhalt und Umfang des Bestandsschutzes durch Rechtssätze festzulegen und hierbei den Konflikt zwischen privatem Bestandsinteresse und staatlichen Eingriffs- und Gestaltungsinteressen in einen gerechten Ausgleich zu bringen.13 Derart bestandsschutzausgestaltende Regelungen stellen Inhalts- und Schrankenbestimmungen i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.14 Bestandsschutz kann von vornherein nur in dem auf diese Weise durch den Gesetz9 Dolde, NVwZ 1986, 873 (874 ff.); Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 99; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 35; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 30; Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 23 ff. 10 BVerfG, Beschl. v. 14.01.2010 – BvR 1627/09, NVwZ 2010 771 (772); Urt. v. 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, NJW 2017, 217 (223); noch offen gelassen in: BVerfG, Beschl. v. 14.01.2010 – 1 BvR 1627/09, NVwZ 2010, 771 (772); zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung: Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 57; Koch/Roller, in: Führ, GKBImSchG, § 21 Rn. 8. Sellner/Reidt/Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 2006, 2. Teil Rn. 183 vertreten, dass bereits die (nicht verwirklichte) immissionsschutzrechtliche Genehmigung als solche dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfalle; so auch Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 17; a. A.: Zitzelsberger, GewArch 1990, 153 (158); Papier/Shirvani, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, Art. 14 Rn. 213, denen zufolge die öffentlich-rechtliche Genehmigung mangels Eigenleistung kein Eigentum i. S. v. Art. 14 GG darstellt. 11 Vgl. Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 4 Rn. 130; Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (938 ff.); Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 286 und Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 101, denen zufolge aus der konstitutiven Natur der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung folgt, dass die Genehmigung unabdingbare Voraussetzung für die Annahme eines eigentumsrechtlichen Bestandsschutzes ist; Sendler, WiVerw 1993, 235 (282). 12 Vgl. hierzu ausführlicher Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 23 ff. 13 Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (939). 14 Dolde, NVwZ 1986, 873 (875); Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 72 f.; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 37 f.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

geber ausgestalteten Umfang bestehen; ein unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuleitender Bestandsschutz ist abzulehnen.15 Der Bestandsschutz für erlaubte Nutzungen kann je nach betroffenen Rechtsgebiet unterschiedlich ausgestaltet sein,16 eine Anlage – im Rahmen des verfassungsrechtlich zulässigen – damit mehr oder weniger Schutz vor nachträglichen Veränderungen genießen.17 Die Reichweite des Bestandsschutzes wird durch die einfachgesetzlichen Bestimmungen über die Änderung und Beseitigung vorhandener Anlagen ausgeformt.18 Bestandsschutz kann damit nicht im Sinne eines absoluten Schutzes vor nachträglichen Veränderungen verstanden werden.19 Unterliegt das Eigentum bereits zum Zeitpunkt seiner Begründung einem öffentlich-rechtlichen Nutzungsregime, ist der verfassungsrechtliche Schutz der Eigentumsnutzung gegenüber späteren Eingriffen und Ausgestaltungen im Grundsatz auf das hiernach Erlaubte begrenzt.20 Die Frage nach dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Bestandsschutz ist daher letztlich die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers, mithin der Verfassungsmäßigkeit des einfachen Rechts.21 2. Bestandsschutz durch Wirkungen eines (begünstigenden) Verwaltungsaktes Wie nachfolgende Ausführungen – insbesondere im zweiten Teil der Arbeit – noch verdeutlichen werden, sind Grundlage des passiven Bestandsschutzes von immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie planfeststellungsbedürftigen Vorhaben nach der einfachgesetzlichen Ausgestaltung die jeweiligen Zulassungsentscheidungen bzw. die Rechtswirkungen, die ein wirksamer – und ausgenutzter – Genehmigungsverwaltungsakt nach der gesetzlichen

15 Ausgeformt wurden die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Bestandsschutzes in erster Linie in der baurechtlichen Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwG, Urt. v. 15.02.1990 – 4 C 23/86, NVwZ 1990, 755 (757); Urt. v. 12.03.1998, BVerwGE 106, 228 (234 f.); Urt. v. 16.05.1991 – 4 C 17/90, NJW 1991, 3293 (3296); Urt. v. 07.11. 1997, NVwZ 1998, 735 (736); Beschl. v. 03.12.1997 – 4 B 190/97, NVwZ 1998, 969 (969); Beschl. v. 22.05.2007 – 4 B 14.07, ZfBR 2007, 582 (583). Aus dem Schrifttum: Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (567); Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 71; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 68 f.; Gehrke/Brehsan, NVwZ 1999, 932 ff. 16 BVerfG, Urt. v. 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 2821/11, NJW 2017, 217 (222). 17 Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 27 f. 18 Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (567). 19 Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 27. 20 BVerfG, Urt. v. 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, NJW 2017, 217 (222). 21 BVerwG, Beschl. v. 03.12.1997 – 4 B 190/97, NVwZ 1998, 969 (969); Dolde, NVwZ 1986, 873 (875); vgl. auch Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (939).

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Erlaubnisordnung hat.22 Anders als im Baurecht existiert für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen sowie planfeststellungsbedürftige Vorhaben kein Bestandsschutz allein aufgrund materieller Legalität.23 In Bezug auf Anlagen bzw. Vorhaben, die auf Grundlage einer wirksamen Zulassungsentscheidung errichtet und gegebenenfalls betrieben werden und damit dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterfallen,24 stellen die Vorschriften betreffend die Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes zugleich bestandsschutzausgestaltende Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i. S. d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar.25 Die Rechtswirkungen eines Verwaltungsaktes finden ihre verfassungsrechtliche Grundlage wiederum in dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der einen und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung26 sowie – für den Fall eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes – dem Bedürfnis nach einer Anpassung an veränderte Umstände auf der anderen Seite.27 Das Spannungsverhältnis zwischen diesen gegenläufigen Prinzipien aufzulösen, ist vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers.28 Ihm obliegt es, innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen festzulegen, welches Maß an Verbindlichkeit einem Verwaltungsakt zukommt.29 Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sind als Ausprägungen des Rechtsstaaatsprinzips dabei prinzipiell gleichwertig, sodass der Gesetzgeber je nach betroffenem Sachbereich eine Abwägung beider Prinzipien zu treffen hat.30 Ist beispielsweise das Bedürfnis nach Anpassung – wie im Feld der Umweltvorsorge und des Umgangs mit technischen Risiken – groß, ist die Bindungswirkung des Verwaltungsaktes dementsprechend schwach ausgestaltet.31 22 Vgl. zum Immissionsschutzrecht nur: Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1386); Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 163; Uschkereit, Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 285 f.; zum Planfeststellungsbeschluss: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 136 f. 23 Sendler, WiVerw 1993, 235 (282). 24 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. II. 1. 25 Vgl. BVerwG, Urt. v. 07.11.1997 – 4 C 7.97, NVwZ 1998, 735 (736). 26 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 9 dort zur „Bestandskraft“ von Verwaltungsakten. Da nach dem hier vertretenen Verständnis die „materielle Bestandskraft“ eine verstärkte Bindungswirkung nach Eintritt der formellen Bestandskraft bezeichnet, ist eine Übertragbarkeit der Argumentation gegeben; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 19. 27 Vgl. Schroeder, DÖV 2009, 217 (219); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 2; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 19 ff. 28 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 19. 29 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 14; Suerbaum, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 19. 30 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 9; Suerbaum, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 19, jeweils m.w. N. aus der Rspr. 31 Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 56.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

3. Besonderheiten für hoheitliche Vorhabenträger Vor dem Hintergrund, dass insbesondere planfeststellungsbedürftige Vorhaben regelmäßig einer hoheitlichen Vorhabenträgerschaft unterliegen, sei darauf hingewiesen, dass das aus dem Prinzip der Rechtssicherheit folgende Interesse am Fortbestand einer wirksamen Verwaltungsentscheidung auch auf diese Anwendung findet.32 Eine Berufung auf Art. 14 GG ist Hoheitsträgern demgegenüber grundsätzlich verwehrt. Ferner existiert nach herrschender Auffassung zwischen Hoheitsträgern grundsätzlich kein Vertrauensschutz.33 Das Institut des Vertrauensschutzes ist im Verwaltungsrecht in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen im Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen.34 Eines solchen Schutzes bedarf die Verwaltung selbst nicht.35 Die Träger öffentlicher Verwaltung sind vielmehr an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden, weshalb ihnen eine Berufung auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustand versagt ist.36 Sofern im Folgenden auf den Vertrauensschutzgrundsatz abgestellt wird, steht dies insofern unter dem Vorbehalt seiner Anwendbarkeit auf den betreffenden Projektträger. Auf die Frage, welche Besonderheiten sich hinsichtlich der Anwendung der bestandsschutzausgestaltenden Vorschriften auf Hoheitsträger ergeben, wird an entsprechender Stelle einzugehen sein.37

III. Bindungswirkung eines wirksamen Verwaltungsaktes Für die Bestimmung des durch immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen sowie planfeststellungsbedürftige Vorhaben gewährleisteten Bestandsschutz kommt es nach vorstehenden Ausführungen maßgeblich auf die Rechtswirkungen der jeweiligen Zulassungsentscheidung an. Im Folgenden soll daher zunächst ein Überblick über die spezifischen Wirkungen eines wirksamen Verwaltungsaktes verschafft werden, auf deren Grundlage sich sodann grund32

Siehe Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 58. BVerwG, Urt. v. 27.04.2006 – 3 C 23/05, LKV 2006, 558 (559 f.); OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.03.2013 – 8 LA 22/13, NVwZ-RR 2013, 584 (584); OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.03.2012 – 12 N 7.11, LKV 2012, 231 (232); Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (295); Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 21; Peuker, in: Knack/Henneke, § 48 Rn. 110, jedoch zweifelnd im Hinblick auf rechtlich mit Selbstverwaltungsautonomie ausgestattete Verwaltungsträger; a. A.: Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 101; Lau, UPR 2015, 361 (366), der darauf verweist, dass der Vertrauensschutz dem allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips immanent sei. 34 BVerwG, Urt. v. 27.04.2006 – 3 C 23/05, LKV 2006, 558 (559 f.). 35 BVerwG, Urt. v. 27.04.2006 – 3 C 23/05, LKV 2006, 558 (560). 36 BVerwG, Urt. v. 27.04.2006 – 3 C 23/05, LKV 2006, 558 (560); OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.03.2013 – 8 LA 22/13, NVwZ-RR 2013, 584 (584); Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (295); Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 58. 37 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 1. c) und 2. Teil, D. II. 4. b) cc). 33

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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legende Aussagen zu der Reichweite des durch immissionsschutzrechtliche Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss vermittelten Bestandsschutzes treffen lassen. Inhalt und Reichweite der Rechtswirkungen wirksamer Verwaltungsakte regelt das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht in den Vorschriften der §§ 43 ff. VwVfG nur unvollkommen.38 § 43 VwVfG knüpft an den Begriff der Wirksamkeit an und setzt die damit ausgelösten Rechtswirkungen praktisch voraus.39 Als Folge dessen ist die zur Beschreibung der Rechtswirkungen eines wirksamen Verwaltungsaktes verwendete Terminologie uneinheitlich und weist eine im Einzelnen erhebliche Bandbreite auf.40 Ungeachtet terminologischer Differenzen ist in Rechtsprechung sowie Literatur indes weitgehend anerkannt, dass ein Verwaltungsakt mit der durch seine Bekanntgabe eintretenden äußeren Wirksamkeit eine Bindungswirkung entfaltet, nach der Adressaten, sonstige Betroffene i. S. v. § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG sowie die Erlassbehörde an die im Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden sind.41 Die Bindungswirkung lässt sich dabei unter den zwei Komponenten des Abweichungs- und des Aufhebungsverbots zusammenfassen:42 Abweichungsverbote sichern als inhaltsbezogene Bindungswirkungen zwecks Gewährleistung widerspruchsfreier Rechtsakte den Inhalt eines bestehenden Verwaltungsaktes, indem sie daran hindern, bei erneuter Befassung mit dem Gegenstand der getroffenen Regelung anders als zuvor zu entscheiden.43 Aufhebungsverbote im Sinne von Beschränkungen der Aufhebbarkeit bzw. Abänderbarkeit von Hoheitsakten sichern diese in ihrem äußeren Bestand.44 1. Inhaltsbezogene Bindungswirkung i. S. e. Abweichungsverbots a) Sachlicher Umfang Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird, § 43 Abs. 1 S. 2 VwVfG. Der Umfang der inhaltlichen Bindung be38

Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 31. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 31. 40 Mangels Erkenntnisgewinn für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand soll auf ihre Darstellung verzichtet werden. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Ausführungen bei Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 31. 41 Vgl. Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 11 ff.; Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 3; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 32 ff.; Schemmer, in: Bader/ Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 25 f.; Bumke, in: Hoffmann/Riem/SchmidtAßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 53. 42 Vgl. zu diesen Begrifflichkeiten: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 17 ff. 43 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 17; Schroeder, DÖV 2009, 217 (219). 44 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 17; Schroeder, DÖV 2009, 217 (219). 39

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

stimmt sich in sachlicher Hinsicht folglich durch den Entscheidungs- bzw. Regelungsgegenstand des Verwaltungsaktes, d. h. die im Verwaltungsakt verbindlich mit Wirkung nach außen getroffene Regelung.45 Dieser „verfügende Inhalt“ des Verwaltungsaktes ist durch dessen Auslegung festzustellen, wobei die Begründung i. S. d. § 39 VwVfG ergänzend herangezogen werden kann.46 Präjudizielle Tatsachenfeststellungen oder rechtliche Beurteilungen von Vorfragen werden grundsätzlich nicht vom Entscheidungsgegenstand erfasst.47 Eine Bindung über die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinaus auf die diese Regelung tragenden tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen kann allein die sogenannte Feststellungswirkung48 eines Verwaltungsaktes vermitteln, die – anders als die allgemeine Bindung an den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes –49 einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf.50 b) Persönlicher Umfang aa) Bindung von Adressaten und sonstigen Betroffenen Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. An den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes sind demnach zuvorderst der Adressat sowie sonstige Betei-

45 Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 56, 135, der die hier als „Bindungswirkung“ bezeichnete Wirkung eines Verwaltungsaktes unter dem Begriff der „Selbstbindungswirkung“ erfasst. Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 21 f. in Bezug auf die materielle Bestandskraft und das hiermit verbundene Abweichungsverbot. 46 Siehe etwa BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 7 C 35/87, NVwZ 1990, 963 (964 ff.); OVG Münster, Urt. v. 20.08.2002 – 15 A 1031/02, NVwZ-RR 2003, 327 (328 f.); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 36 f.; Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 3; Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 22 zur materiellen Bestandskraft. 47 Vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, § 43 Rn. 36; zur materiellen Bestandskraft: Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 22. 48 Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der „Feststellungswirkung“ ist von dem der „Feststellungswirkung“, wie er in Bezug auf den Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie des Planfeststellungsbeschlusses verwandt wird, zu differenzieren. Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) bb) und 1. Teil, A. IV. 2. a) bb). 49 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 43. 50 BVerwG, Urt. v. 28.02.1963 – VIII C 28/62, NJW 1963, 1419 (1419); Urt. v. 11.07.1985 – 7 C 44/83, BVerwGE 72, 8 (9 f.); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 10 Rn. 21; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 160; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 36; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 48. In zeitlicher und grundsätzlich auch in subjektiver Hinsicht unterliegt die Feststellungswirkung dagegen denselben Grenzen wie die allgemeine Bindung an den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes.

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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ligte gebunden.51 Für den Adressaten eines Verwaltungsaktes bedeutet die Bindungswirkung dabei, dass er vom Zeitpunkt der äußeren Wirksamkeit an, bezogen auf den Zeitpunkt der inneren Wirksamkeit, berechtigt oder verpflichtet wird; seine Rechtsverhältnisse werden festgestellt oder verändert.52 Der Verwaltungsakt konkretisiert ihm gegenüber die Rechtslage, schafft „mit verbindlicher Wirkung für den einzelnen Bürger klare Verhältnisse“.53 bb) Bindung der Erlassbehörde Für die den Verwaltungsakt erlassende Behörde ist mit der äußeren Wirksamkeit eine inhaltliche (Selbst-)Bindung an ihren eigenen Akt verbunden.54 Solange der Verwaltungsakt wirksam ist, muss sie sich an die darin getroffene Regelung halten, unabhängig davon, ob sie diese später noch für rechtens oder sinnvoll hält.55 Inhaltsbezogen bedeutet Bindung für die Erlassbehörde die Pflicht, den Inhalt eines Verwaltungsaktes als gegeben zu akzeptieren und ihrem weiteren Handeln zugrunde zu legen.56 Die Behörde darf in derselben Sache grundsätzlich keine inhaltlich abweichenden Entscheidungen treffen.57 Der Bindungswirkung kommt insofern die eingangs angesprochene Funktion als Abweichungsverbot zu.58 cc) Tatbestandswirkung: Erweiterung auf sonstige Behörden, Rechtsträger, Gerichte Der in persönlicher Hinsicht auf eine Wirkung inter partes beschränkte Anwendungsbereich der Bindungswirkung wird durch die sogenannte Tatbestandswirkung auf sonstige Behörden und Rechtsträger sowie grundsätzlich alle Gerichte erweitert.59 Im Übrigen unterliegt die Tatbestandswirkung denselben Be51 Vgl. Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 29 f.; Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 11 f. 52 Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 11. 53 Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 11. 54 Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 17; Leisner-Egensperger, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 21 in Bezug auf die materielle Bestandskraft und das hiermit verbundene Abweichungsverbot. 55 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 33. 56 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 192 f.; Schroeder, DÖV 2009, 217 (219). 57 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 63; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 35. 58 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 63; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 35; Schroeder, DÖV 2009, 217 (219); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 17, 41 ff. 59 BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 31/84, NJW 1987, 1713 (1714); Erichsen/ Knoke, NVwZ 1983, 185 (191); Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 27; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 19.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

schränkungen wie die Bindungswirkung, ist mithin in ihrem sachlichen Umfang durch den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes begrenzt.60 Die Tatbestandswirkung bringt zum Ausdruck, dass ein wirksamer Verwaltungsakt von sämtlichen Staatsorganen zu beachten und als gegebener „Tatbestand“ ihren Entscheidungen zugrunde zu legen ist.61 Solange und soweit der Verwaltungsakt wirksam ist, haben sie die mit dem Verwaltungsakt getroffene Regelung ihren eigenen Entscheidungen ohne inhaltliche Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit zugrunde zu legen.62 Die Frage, ob derjenige, der in Ausübung einer Genehmigung handelt, später für die Folgen der gestatteten Nutzung zur Verantwortung gezogen werden kann, wird seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.12.1997 – IV C 75.7563 für gewöhnlich unter dem Begriff der „Legalisierungswirkung“ diskutiert.64 Nach dieser, unabhängig von ihrer konkreten Herleitung,65 allgemein anerkannten Rechtsfigur schließt eine wirksame Anlagen- oder Betriebsgenehmigung eine Inanspruchnahme des Betreibers aufgrund der polizei- und ordnungsrechtlichen Vorschriften zur Gefahrenabwehr aus, sofern sich dieser innerhalb der durch die Genehmigung festgelegten Grenzen bewegt.66 Inhaltlich bezeichnet die Legalisierungswirkung von Zulassungsentscheidungen damit letztlich nichts an-

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Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 28. Merten, NJW 1983, 1993 (1997); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 10 Rn. 20. 62 BVerwG, Urt. v. 04.07.1986 – 4 C 31/84, NJW 1987, 1713 (1714); Urt. v. 23.04.1980 – 8 C 82/79, BVerwGE 60, 111 (117); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 41; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 28. 63 BVerwG, Urt. v. 02.12.1977 – IV C 75/75, NJW 1978, 1818 (1819). Dort ging es um Fragen der Anwendbarkeit der polizeilichen Generalklausel bzw. bauordnungsrechtlicher Vorschriften auf Vorhaben, die nach § 4 BImSchG genehmigt bzw. nach § 67 Abs. 2 BImSchG oder § 16 Abs. 4 GewO angezeigt worden waren. Das Gericht sah in den Eingriffsermächtigungen des BImSchG zwar keine leges speciales gegenüber der ordnungsbehördlichen Generalklausel, hielt eine Inanspruchnahme des Genehmigungsinhabers als Verantwortlichen nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht jedoch aufgrund der Legalisierungswirkung der Genehmigung für ausgeschlossen. Siehe hierzu auch unter 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (2). 64 Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 63; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 24; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 72, 149 ff. m.w. N. aus der Rspr. 65 Begründet wird die Legalisierungswirkung mit dem Sinngehalt, der Tatbestandsoder Bindungswirkung des Verwaltungsaktes, dem Vertrauensschutz, dem Verbot eines venire contra factum proprium oder der Einheit oder Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, vgl. BGH, Urt. v. 03.02.2000 – III ZR 296/98, NVwZ 2000, 1206 (1207); Fluck, VerwArch 79 (1988), 406 (409 ff.); Schink, GewArch 1996, 50 (58). 66 Siehe BVerwG, Urt. v. 02.12.1977 – IV C 75/75, NJW 1978, 1818 (1819); BGH, Urt. v. 03.02.2000 – III ZR 296/98, NVwZ 2000, 1206 (1207); Schemmer, in: Bader/ Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 24. 61

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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deres als die vorstehend beschriebene Tatbestands- bzw. Bindungswirkung von Verwaltungsakten.67 2. Bestandsbezogene Bindungswirkung i. S. e. Aufhebungsverbots a) Ende der Wirksamkeit, § 43 Abs. 2 VwVfG Dauer und Ende der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes regelt die Vorschrift des § 43 Abs. 2 VwVfG.68 Hiernach bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, „solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist“. § 43 Abs. 2 VwVfG bestimmt damit abschließend die Aufhebung und Erledigung als Gründe für den Wegfall der Wirksamkeit,69 wobei die Aufzählung der Beendigungsgründe nicht abschließend ist („anderweitig aufgehoben“, „auf anderer Weise erledigt“).70 Während Rücknahme und Widerruf nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG oder entsprechender spezialgesetzlicher Vorschriften erfolgen,71 ist mit „anderweitiger Aufhebung“ i. S. d. § 43 Abs. 2 VwVfG primär die Aufhebung im Rechtsmittelverfahren, d. h. durch Abhilfe- oder Widerspruchsbescheid (§§ 72, 73 VwGO) oder durch gerichtliche Entscheidung (§ 113 VwGO), gemeint.72 Im Hinblick auf die Bindungs- und Tatbestandswirkung, die die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes voraussetzen, folgt aus § 43 Abs. 2 VwVfG, dass der Verwaltungsakt bereits mit Bekanntgabe und dem damit verbundenen Eintritt der Wirksamkeit jedenfalls nicht mehr zur uneingeschränkten Disposition der Entscheidungsträger steht, eine Aufhebung ebenso wie eine inhaltliche Abänderung vielmehr allein im Rahmen spezieller gesetzlicher Ermächtigungen möglich ist.73 Bestandsbezogen bedeutet die Bindungswirkung für einen Entscheidungsträger mithin, dass er einen einmal von ihm oder einem anderen Entscheidungsträger erlassenen Verwaltungsakt nicht oder nur noch unter bestimmten Voraussetzungen aufheben und damit in seinem Bestand beseitigen darf.74 Der Bindungswirkung kommt insofern die Wirkung eines Aufhebungsverbots zu.75 67 Fluck, VerwArch 79 (1988), 406 (409 f.); Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 444. 68 Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 45. 69 Baumeister, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, § 43 Rn. 25. 70 Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 45. 71 Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 16. 72 BVerwG, Beschl. v. 21.03.1990 – 9 B 276/89, NVwZ 1990, 774 (774); Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 47; Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 43 Rn. 39; Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 16; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 201. 73 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 34. Ausführlich hierzu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 19 ff. 74 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 63. 75 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 63.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

b) Materielle Bestandskraft: Erhöhte Verbindlichkeit durch Eintritt der Unanfechtbarkeit Mit Eintritt der formellen Bestandskraft, d. h. der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes durch den Adressaten oder einen betroffenen Dritten mit den ordentlichen Rechtsbehelfen,76 verfestigt sich die Verbindlichkeit, die bereits mit Rechtswirksamkeit des Verwaltungsaktes besteht, dahingehend, dass sie nun nicht mehr unter dem Vorbehalt einer erfolgreichen Anfechtung steht.77 Die vorstehend beschriebene Bindungswirkung wird ab diesem Zeitpunkt unter den Begriff der materiellen Bestandskraft gefasst, die im Übrigen den gleichen inhaltlichen Grenzen unterliegt wie die Bindungswirkung.78 Behörden und Beteiligte (§ 13 VwVfG) bleiben auch nach Ablauf der regulären Anfechtungsfristen an die im Verwaltungsakt getroffene Regelung gebunden; Aufhebung oder Änderung des Regelungsgehalts sind dann nicht mehr mit den verfahrensmäßig geregelten Rechtsbehelfen, sondern grundsätzlich nur noch nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen sowie nach den §§ 48–51 VwVfG möglich.79 Anders formuliert, folgt aus den Regelungen der §§ 43 Abs. 2 i.V. m. 48 ff. VwVfG jedoch auch, dass selbst eine formell bestandskräftige Zulassungsentscheidung nicht generell änderungsfest ausgestaltet ist, mithin selbst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes ein „absoluter Bestandsschutz“ nicht bestehen kann. Als Grundlage für die Investitionsentscheidung des Vorhabenträgers kann mithin nicht isoliert die jeweilige Zulassungsentscheidung in den Blick genommen werden. Vielmehr sind es gerade die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten einer nachträglichen Einschränkung der zugelassenen Tätigkeit, die der Vorhabenträger zu bedenken hat.80 Obgleich sich vorliegende Untersuchung allein auf den durch eine unanfechtbare Zulassungsentscheidung vermittelten Bestandsschutz beschränkt, sei an dieser Stelle auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Differenzierung zwischen den Begrifflichkeiten des Bestandsschutzes und dem der Bestandskraft auch im

76 Merten, NJW 1983, 1993 (1995); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 20; Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, Vor § 43 Rn. 35; vgl. auch Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 51. 77 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 10 Rn. 19; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 23. 78 Vgl. Merten, NJW 1983, 1996 (1996 f.); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (187 ff.); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 10 Rn. 19; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 23; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 136; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 54, 31 ff.; jeweils m.w. N. 79 Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 9; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 54; Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, Vor § 43 Rn. 34 f.; Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 43 Rn. 17. 80 Vgl. Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1386).

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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Hinblick auf Zulassungsentscheidungen hingewiesen.81 Die formelle Bestandskraft bezieht sich als Unanfechtbarkeit allein auf die Aufhebungs- und Abänderungsmöglichkeiten der Betroffenen; sie betrifft nicht die – unabhängig von Rechtsbehelfen bestehende – Möglichkeit der zuständigen Behörde, einen Verwaltungsakt von Amts wegen aufzuheben.82 Der Eintritt der formellen Bestandskraft hat auf diese Gestaltungsbefugnisse der Verwaltung grundsätzlich keinerlei Einfluss.83 Mit Eintritt der formellen Bestandskraft mag – jedenfalls sofern man die Möglichkeit des Einschreitens Dritter unter den Begriff des Bestandsschutzes fasst –84 ein erhöhter Bestandsschutz der Anlage bzw. des Vorhabens verbunden sein; Voraussetzung für den bereits durch die Bindungswirkung eines wirksamen Verwaltungsaktes vermittelten Schutz ist sie indes nicht.85 Die Begrifflichkeiten des Bestandsschutzes und der Bestandkraft können insofern auch im Hinblick auf genehmigungsbedürftige Anlagen nicht ohne Weiteres gleichgesetzt werden. c) Abweichungen je nach Besonderheiten des Fachrechts Je nach den Besonderheiten der jeweiligen Regelungsmaterie und der gesetzgeberischen Bewertung der widerstreitenden Interessen an der Beständigkeit oder Veränderbarkeit des Verwaltungsaktes weichen die gesetzlichen Regelungen von der in § 43 i.V. m. §§ 48–51 VwVfG niedergelegten Grundkonzeption von Bindungswirkung und Bestandskraft ab.86 Der Gestaltungsspielraum des Normgebers hinsichtlich der Ausgestaltung der Beständigkeit eines Verwaltungsaktes87 erstreckt sich dabei nicht nur auf die Voraussetzungen, die für einen Eingriff in den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes erforderlich sind; vielmehr ist es grundsätzlich auch Sache des Normgebers, durch welche Mittel in den Re81 Dies erfolgt oftmals nicht hinreichend. So auch Mampel, ZfBR 2002, 327 (327) und BVerwG, Urt. v. 07.11.1997 – 4 C 7/97, NVwZ 1998, 735 (736) zu seiner eigenen Rechtsprechung. 82 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 31. 83 Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 50. 84 So: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 107 ff.; so wohl auch Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (941, 947). Auf diese Frage kommt es vorliegend nicht entscheidend an, da mit den Vorgaben des EUUmweltrechts allein Allgemeinwohlinteressen im Fokus stehen. 85 Die Anwendbarkeit der §§ 17, 21 BImSchG und §§ 48, 49 VwVfG als bestandsschutzausgestaltende Regelungen setzten daher auch nicht die Bestandskraft des Verwaltungsaktes, sondern allein dessen Wirksamkeit voraus. Vgl. zu §§ 17, 21 BImSchG: Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 8; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 5; zu §§ 48, 49 VwVfG: Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (188); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 35. 86 Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 56, 208, 220; Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1387). 87 Siehe zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unter 1. Teil, A. II. 2.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

gelungsgehalt einer wirksamen Zulassungsentscheidung eingegriffen werden kann.88 Der Gesetzgeber kann mithin die an die Wirksamkeit gekoppelte Bindungswirkung des Verwaltungsaktes durch andere Instrumentarien als die Aufhebung durch Widerruf und Rücknahme begrenzen.89 Das praktisch wichtigste Instrument stellt hierbei die punktuell für bestimmte Regelungsmaterien vorgesehene Befugnis dar, nachträgliche Anordnungen zu erlassen.90

IV. Grundlagen des Bestandsschutzes im Immissionsschutzund Planfeststellungsrecht Aus den vorstehenden Ausführungen betreffend die Bindungswirkung von Verwaltungsakten folgt, dass sich die Reichweite des Bestandsschutzes nach nationaler Konzeption zum einen nach dem Regelungsgehalt der jeweiligen Zulassungsentscheidung, zum anderen aber auch und vor allem nach den einfachgesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten ihrer nachträglichen Aufhebung bzw. Abänderung bestimmt. Beide Komponenten sind nachfolgend mit Blick auf die hier untersuchungsgegenständlichen Zulassungsformen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie des Planfeststellungsbeschlusses zunächst in ihren Grundzügen darzustellen. Ermöglicht werden soll hiermit eine Präzisierung und Verortung der Problempunkte, die für die vertiefte Analyse der Reichweite des Bestandsschutzes gegenüber den Vorgaben des besonderen Arten- und Habitatschutzrechts sowie Umweltschadensrechts im zweiten und dritten Teil der Arbeit von Relevanz sind. 1. Grundlagen des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen Der durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vermittelte Bestandsschutz hat bislang hauptsächlich mit Blick auf die immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten nach § 5 Abs. 1 BImSchG eine umfangreiche Diskus88

Vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.06.2007 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1247 (1247). Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 208 und 220. Nach (umstrittener) Rspr. des BVerwG kann der Gesetzgeber die Möglichkeit einer unmittelbar zulassungsmodifizierenden Wirkung von Rechtsverordnungen vorsehen und sich damit dafür entscheiden, dass neue rechtliche Vorgaben möglichst zügig und umfassend wirksam werden können, siehe: BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2005, 1141; Beschl. v. 03.06. 2004 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1246. Vgl. zu der im Schrifttum geäußerten Kritik nur: Beaucamp, DVBl 2006, 1401 ff.; Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1387); Attendorn, NVwZ 2011, 327 ff.; Beckmann, EurUP 2020, 238 (245); Sachs, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 203 m.w. N. 90 Bumke, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, § 35 Rn. 208, 220. 89

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sion erfahren;91 diesbezüglich können die wesentlichen Parameter als geklärt angesehen werden. Vergleichsweise wenig Beachtung gefunden hat demgegenüber die im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehende Frage nach dem Umfang des Bestandsschutzes gegenüber den Anforderungen des sonstigen öffentlichen Rechts im Allgemeinen sowie des europäischen Umweltrechts im Speziellen. a) Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Der Regelungsgehalt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung wird maßgeblich durch ihre Genehmigungs- und Feststellungswirkung bestimmt. Sofern in diesem Zusammenhang von einer „Feststellungswirkung“ der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die Rede ist, kann dies insofern zu begrifflichen Verwirrungen führen, als die – nur ausnahmsweise im Falle einer gesetzlichen Anordnung bestehende – Bindung an die Entscheidungsgründe eines Verwaltungsaktes ebenfalls unter den Begriff der „Feststellungswirkung“ gefasst wird.92 Die in diesem Sinne verstandene „Feststellungswirkung“ ist für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand nicht von Bedeutung. Sofern im Folgenden von „Feststellungswirkung“ die Rede ist, bezeichnet dies daher die im Zusammenhang mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie Zulassungsentscheidungen im Allgemeinen verwandte Begrifflichkeit der Feststellungswirkung, die sich auf die Vereinbarkeit des zugelassenen Vorhabens mit den jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen bezieht und die als Bestandteil des Regelungsgehalts der Genehmigung vom sachlichen Umfang der Bindungs- bzw. Tatbestandswirkung sowie – mit formeller Bestandskraft – der materiellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes erfasst ist.93 aa) Genehmigungswirkung Der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kommt zunächst eine verfügende Wirkung94 dergestalt zu, dass sie das mit dem Genehmigungsvorbehalt nach §§ 4, 16 bzw. § 16a BImSchG verbundene präventive Errichtungs- und Betriebsverbot für die Anlage beseitigt.95 Diese sogenannte Genehmigungswirkung 91 Vgl. hierzu Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 283 ff.; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 123 ff.; Sendler, UPR 1990, 41 ff.; Röckinghausen, UPR 1996, 50 ff.; ferner die Literaturnachweise bei Hansmann, in: Festgabe 50 Jahre BVerwG, 2003, S. 935 (935) Fn. 3. 92 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 1. a). 93 Vgl. bspw. zur „Feststellungswirkung“ einer Baugenehmigung i. S. e. bindenden Feststellung, dass sich von der Nutzung des Gebäudes typischerweise ausgehende Immissionen im Rahmen des GastG halten: BVerwG, Urt. v. 04.10.1988 – 1 C 72/86, NVwZ 1989, 258; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 26.1. 94 Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 285. 95 Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 53; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 159.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

verleiht dem Zulassungsinhaber das Recht, die Anlage zu errichten und zu betreiben.96 Infolge ihrer sogenannten Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG ersetzt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung dabei einen Großteil anderer behördlichen Entscheidungen, die vor Errichtung und Betrieb der Anlage eingeholt werden müssen und der Prüfung der Beschaffenheit und des Betriebs der Anlage im Ganzen oder hinsichtlich bestimmter Teile oder Aspekte dienen; ausgenommen sind lediglich die in § 13 BImSchG angeführten Entscheidungsformen der Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, behördlichen Entscheidungen aufgrund atomrechtlicher Vorschriften und der wasserrechtlichen Erlaubnisse und Bewilligungen nach § 8 i.V. m. § 10 WHG.97 Die Konzentrationswirkung hat zur Folge, dass statt mehrerer Genehmigungen in selbstständigen Verfahren nur eine einzige (immissionsschutzrechtliche) Genehmigung in einem Verfahren erteilt wird.98 Das Genehmigungsverfahren erfolgt ausschließlich anhand der maßgeblichen immissionsschutzrechtlichen Vorschriften, wohingegen die Anforderungen des materiellen Rechts der von der Konzentration erfassten Genehmigungen weder verdrängt noch abgeschwächt werden.99 bb) Feststellungswirkung Nach allgemeiner Auffassung ist mit Erlass der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ferner grundsätzlich die bindende Feststellung verbunden, dass Errichtung und Betrieb der Anlage im Zeitpunkt der Genehmigung den für ihre Erteilung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG erforderlichen Vorschriften entsprechen.100 Die Feststellungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erstreckt sich damit zum einen auf die Vereinbarkeit mit den für die Anlage geltenden immissionsschutzrechtlichen Pflichten nach § 5 BImSchG sowie der auf Grundlage des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), zum anderen grundsätzlich auch darauf, dass im Zeitpunkt der Genehmigung „andere öffentlich-rechtliche Vorschriften“ und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegen96

Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 124. Siehe hierzu: Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 4 ff. 98 Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 32. 99 BVerwG, Urt. v. 30.06.2003 – 4 C 9/03, NVwZ 2004, 1235 (1236); VGH München, Beschl. v. 21.07.2015 – 14.2340, juris Rn. 13; OVG Lüneburg, Urt. v. 10.01.2017 – 4 LC 197/15, NVwZ-RR 2017, 366 (367); Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 22 f.; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 5; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 35, 47; Wasielewski, in: Führ, GK-BImSchG, § 13 Rn. 56. 100 BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2009, 1441 (1442); BVerfG, Beschl. v. 14.01.2010 – 1 BvR 1627/09, NVwZ 2010, 771 (774); Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 4 Rn. 130; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 157 f.; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 285. 97

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stehen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG).101 Dem Erfordernis der Vereinbarkeit mit „anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ entspricht auch die Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG, die lediglich im formellen Sinne zu verstehen ist.102 „Andere öffentlich-rechtliche Vorschriften“ i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sind solche anlagenbezogenen Vorschriften, die bei Entscheidungen, die aufgrund der Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ersetzt werden, zu prüfen wären, sowie solche, deren Prüfung keinem gesonderten Genehmigungsverfahren vorbehalten ist.103 Dagegen können materiell-rechtliche Voraussetzungen von Genehmigungen und Zulassungen, die nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG erfasst sind und daher in parallelen Entscheidungen geprüft werden, unabhängig von der Frage ihrer Einordnung als Genehmigungsvoraussetzung i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG,104 nicht Bestandteil des Regelungsgegenstands der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sein.105 Jedenfalls mit Blick auf die immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1–4 BImSchG wird der Feststellungswirkung eine vergleichsweise geringe Bedeutung beigemessen.106 Der Grund hierfür liegt in ihrer Ausgestaltung als unmittelbar geltende107 dynamische Betreiberpflichten.108 Während der 101 Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 4 Rn. 130; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 119; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 158; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bauund Immissionsschutzrecht, 2007, S. 285. Die konkrete Reichweite der Feststellungswirkung offenlassend: BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 – 7 C 48/07, NVwZ 2009, 650 (651); Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 54. 102 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) aa). 103 Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 23; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 23 ff. 104 Diese Frage wird unterschiedlich beurteilt. Vgl. zum Meinungsstand nur: Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 23 ff.; Enders, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 12. 105 Wasielewski, in: Führ GK-BImSchG, § 6 Rn. 26; Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 6 Rn. C22; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 24; insoweit nicht eindeutig: Dietlein, Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 24. 106 Vgl. Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 286; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 54, 56. 107 So die h. M.: Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 313; Sellner/Reidt/Ohms, Immissionsschutzrecht und Industrieanlagen, 3. Aufl. 2006, 1. Teil Rn. 63; Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 88; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 5 Rn. 2; ders., WiVerw 1986, 67 (71); Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 1; Kotulla, in: Kotulla, BImSchG, § 5 Rn. 1; Führ, in: Führ, GKBImSchG, § 1 Rn. 23. Kritisch hierzu: Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 8 ff., der die praktische Relevanz des Streits um die Pflichtenqualität der Grundpflichten jedoch als gering einschätzt, da die diese weder straf- noch ordnungsrechtlich sanktioniert ist, ferner ihre behördliche Durchsetzbarkeit einer Konkretisierung in Form einer Rechtsverordnung oder eines Verwaltungsaktes bedarf. Siehe auch: Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 5.2.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

Betriebsdauer eintretende Änderungen in der Bewertung der Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen und Fortschritte in der Umweltschutztechnik verändern Inhalt und Umfang der Grundpflichten.109 Der Betreiber kann sich daher nicht auf die einmalige Einhaltung der Pflichten beschränken, die er im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung hatte; er ist vielmehr während der gesamten Betriebsdauer verpflichtet, diese zu erfüllen.110 Ein gewisser passiver Bestandsschutz ergibt sich für den Anlagenbetreiber gleichwohl daraus, dass die Grundpflichten bei bestehenden Anlagen nach übereinstimmender Auffassung zunächst im Wege des Verwaltungshandelns durchgesetzt werden müssen.111 Es handelt sich bei § 5 Abs. 1 BImSchG insofern um keine selbstvollziehende Norm, d. h. die Anlage, die den Grundpflichten nicht entspricht, wird nicht allein deshalb ungenehmigt betreiben.112 Auch im Hinblick auf die Voraussetzungen sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist die Bedeutung der Feststellungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für den hierdurch vermittelten Bestandsschutz grundsätzlich dadurch beschränkt, dass sich diese allein auf die Vereinbarkeit der Anlage mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Genehmigungszeitpunkt erstreckt; spätere Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sind von ihr nicht erfasst.113 Ob und inwieweit sich aus sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften Anforderungen an immissionsschutzrechtlich bereits genehmigte Anlagen ergeben, stellt wiederum eine vom Umfang der Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zu trennende Frage dar, die sich nach dem jeweils einschlägigen Fachrecht beurteilt.114 Ihr gilt es im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung mit Blick auf das besondere Arten- und Habitatschutzrecht nachzugehen.115 108 Vgl. Schink, NVwZ 2017, 337 (339 f.); Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 2; SchmidtKötters, in: BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 3. 109 Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 167; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 6. 110 Sendler, UPR 1990, 41 (42); Jarass, DVBl 1986, 314 (315); Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 125; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 4 Rn. 167. 111 Sendler, WiVerw 1993, 235 (278); Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 56; ders., DVBl 1986, 314 (315); Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 11; Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 125. 112 Sendler, UPR 1990, 41 (42); Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 125; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 311. 113 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 – 7 C 48.07, ZUR 2009, 83 (84); ferner Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 54. 114 Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 4 Rn. 130; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2009, 1441 (1442) für Rechtsänderungen im Bereich öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Dem BVerwG zufolge rechtfertigt der Umstand, dass das BImSchG für Rechtsänderungen im Bereich der anlagenbezogenen öffentlich-rechtlichen Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG weder eine ausdrückliche Anpassungspflicht bestimmt

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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b) Eingriffsinstrumentarien nach Unanfechtbarkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Die Möglichkeit eines nachträglichen Eingriffs in den Regelungsgehalt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eröffnet das Bundesimmissionsschutzgesetz durch die konkret-individuellen Handlungsinstrumente der Verwaltung in Form der nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG, der Untersagung, Stilllegung und Beseitigung nach § 20 BImSchG sowie des Widerrufs nach § 21 BImSchG, ferner durch die Möglichkeit des Erlasses von Rechtsverordnungen nach Maßgabe des § 7 BImSchG. Diese bestandsschutzausgestaltenden Regelungen bieten der Verwaltung insbesondere geeignete Mittel zur rechtlichen „Aktivierung“ sowie Durchsetzung der immissionsschutzrechtlichen Grundpflichten.116 Für die Durchsetzung von Anforderungen, die sich aus sonstigen öffentlichrechtlichen Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ergeben, lassen sich die Eingriffsinstrumentarien des Immissionsschutzrechts dagegen nur begrenzt heranziehen.117 In Bezug auf die Vorgaben des Arten- und Habitatschutzrechts sowie des Umweltschadensrechts stellt sich daher die im weiteren Verlauf der Arbeit noch zu erörternde Frage, ob der Inhaber einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auch auf Grundlage anderer Ordnungsgesetze in Anspruch genommen werden kann und inwieweit hierbei Beschränkungen des Genehmigungsinhalts zulässig sind.118 2. Grundlagen des Bestandsschutzes planfestgestellter Vorhaben Planfestgestellten Vorhaben wird – wenngleich in unterschiedlichen Umfang – ein gegenüber anderen Anlagen erhöhter Bestandsschutz zugesprochen.119 Mitnoch spezielle Ermächtigungsgrundlagen für die Umsetzung nachträglicher Änderungen vorsieht, nicht den Schluss, dass die Anlagen insoweit größeren Schutz genießen als im Bereich der dynamischen Betreiberpflichten. Nicht nur die Betreiberpflichten nach dem BImSchG, sondern auch Verpflichtungen, die sich aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zusätzlich ergeben, könnten Änderungen unterworfen sein. Siehe hierzu auch: BVerfG, Beschl. v. 14.01.2010 – 1 BvR 1627/09, NVwZ 2010, 771 (773); BVerwG, Urt. v. 21.12.2011 – 4 C 12/10, NVwZ 2012, 636 (638). 115 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. und II. und 2. Teil, C. I. 116 Vgl. Wickel, Bestandsschutz im Umweltrecht, 1996, S. 125; Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 316 f.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 11. 117 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 2. 118 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. b) aa) und 2. Teil, D. II. 4. c). 119 Jarass, DÖV 2004, 633 (637) zum erhöhten Bestandsschutz im Vergleich zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unter Verweis auf § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG und § 17 BImSchG; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 20; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 36 spricht davon,

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

unter ist auch die Rede von einer höheren bzw. besonderen „Bestandskraft“120 oder einer „hohen Stabilität“121 des Planfeststellungsbeschlusses. Gestützt wird diese Annahme dabei im Wesentlichen auf die nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses eingeschränkten Möglichkeiten der nachträglichen Abänderung bzw. Aufhebung seines Regelungsgehalts.122 Ob bzw. in welchem Umfang diese Aussage auch mit Blick auf die Vorgaben des europäischen Umweltrechts aufrechterhalten werden kann, bildet einen zentralen Gegenstand der vorliegenden Arbeit, den es im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit zu untersuchen gilt.123 Ausgangspunkt für die Bestimmung des durch einen Planfeststellungsbeschluss vermittelten Bestandsschutzes bilden die planfeststellungsspezifischen Regelungen der §§ 72–78 VwVfG, die im Anwendungsbereich des § 1 VwVfG gelten, wenn ein Planfeststellungsverfahren durch Rechtsvorschrift angeordnet ist und das jeweils geltende Fachplanungsrecht keine inhaltsgleichen oder entgegenstehenden Bestimmungen enthält.124 Aus Gründen einer vereinfachten Darstellung sollen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die insofern subsidiären125 Regelungen des (Bundes-)Verwaltungsverfahrensgesetzes beziehen.126 Auf etwaige fachplanungsspezifische Besonderheiten ist einzugehen, sofern diese hiervon abweichende Regelungen treffen, die für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand von Relevanz sind. a) Regelungsgehalt des Planfeststellungsbeschlusses Wie im Falle immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen ist auch der Regelungsgehalt von Planfeststellungsbeschlüssen wesentlich durch die mit ihm verbundene Gestattungs- und Feststellungswirkung gekennzeichnet. dass die Regelung des Bestandsschutzes von planfeststellungsbedürftigen Anlagen eine „Privilegierung gegenüber anderen Anlagen“ erkennen lasse. 120 Vgl. Grupp, DVBl 1990, 81 (89); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 24; Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 29, 197. 121 Ramsauer/Bieback, NVwZ 2002, 277 (279). 122 Vgl. Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 20; Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 24; Wickel, in: Fehling/Kastner/ Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 36. 123 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 1. und II. 4. b) bb). 124 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 72 f. 125 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 72 f. 126 Das VwVfG des Bundes findet gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (subsidiär) Anwendung, wenn das Planfeststellungsverfahren durch Rechtsvorschriften des Bundes angeordnet wird; das VwVfG des Landes findet Anwendung, wenn durch Landesgesetz ein Planfeststellungsverfahren angeordnet wird, das durch Landesbehörden ausgeführt wird. Aufgrund der weitestgehenden inhaltlichen Übereinstimmung der Regelungen sollen sich die Ausführungen auf das VwVfG des Bundes beziehen.

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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aa) Gestattungswirkung Dem Planfeststellungsbeschluss kommt zunächst eine verfügende Wirkung dergestalt zu, als mit ihm die Erlaubnis zur Durchführung des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen erteilt wird.127 Der Planfeststellungsbeschluss überwindet insofern das für planfeststellungsbedürftige Vorhaben bestehende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.128 Mit der Zulassung des Fachplanungsvorhabens durch die Planfeststellung erlangt der Vorhabenträger das Recht, das Vorhaben entsprechend der Zulassung zu verwirklichen.129 Nach der in § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG geregelten Konzentrationswirkung sind neben der Planfeststellung andere behördliche Entscheidungen, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen nicht erforderlich.130 Die Konzentrationswirkung ist dabei auch hier lediglich im formellen Sinne zu verstehen.131 Der Umfang des Planfeststellungsvorbehalts und damit auch der Umfang der Gestattungswirkung bestimmt sich dabei nach der Anordnung in den jeweiligen Fachgesetzen.132 In der Regel umfasst der in den Fachgesetzen normierte Planfeststellungsvorbehalt133 neben der Errichtung bzw. Änderung des jeweiligen Vorhabens auch dessen Betrieb, sodass der Vorhabenträger mit Erlass des Planfeststellungsbeschlusses für gewöhnlich in die Lage versetzt wird, das Vorhaben zu errichten sowie in Betrieb zu nehmen.134 Insoweit unterscheidet sich der Plan127 Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 9; Ziekow, VwVfG, § 75 Rn. 4. 128 Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 2; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 3; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 22, 25 spricht hierbei von der „Freigabewirkung“ des Planfeststellungsbeschlusses. Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.05.2003 – 9 A 40/02, NVwZ 2003, 1381 (1382). 129 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 56. 130 Vgl. hierzu Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 17 ff. 131 Vgl. Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 70 f. m.w. N. 132 Vgl. die Auflistung bei Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 32 ff. Insofern besteht anders als bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen keine mit § 4 BImSchG vergleichbare einheitliche Norm. 133 Vgl. § 35 Abs. 2 S. 1 KrWG, § 9b AtG, § 43 Abs. 1 S. 1 EnWG, § 18 Abs. 1 NABEG, § 45 Abs. 1 WindSeeG. Allein die Errichtung und Änderung erfassen dagegen die Planfeststellungsvorbehalte in § 18 Abs. 1 AEG, § 8 Abs. 1 S. 1 LuftVG, § 17 Abs. 1 S. 1 FStrG. 134 Etwas anderes gilt, sofern die Betriebserlaubnis einem besonderen Verfahren vorbehalten ist, wie etwa dem luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 6 LuftVG oder dem Verfahren zur Erteilung einer Unternehmensgenehmigung nach § 6 AEG, Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 4. Vor diesem Hintergrund nicht hinreichend differenzierend ist die Aussage, die Genehmigungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses umfasse stets die Errichtung sämtlicher baulicher Anlagen, die Inbetriebsetzung und den bestimmungsgemäßen Betrieb der Anlage, so wohl

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

feststellungsbeschluss für gewöhnlich nicht wesentlich von der Anlagengenehmigung im engeren Sinne, mit der einheitlich über die Zulässigkeit von Errichtung und Betrieb der Anlage entschieden wird.135 Da unerwartete Konflikte mit dem Arten- und Habitatschutzrecht insbesondere beim fortlaufenden Betrieb planfestgestellter Vorhaben entstehen können, sollen sich die nachfolgenden Ausführungen auf Planfeststellungsbeschlüsse beschränken, deren Genehmigungswirkung auch den Betrieb erfasst. bb) Feststellungswirkung Gemäß § 75 Abs. 1 S. 1 HS 1 VwVfG wird durch die Planfeststellung die Zulässigkeit des Vorhabens einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle von ihm berührten öffentlichen Belange festgestellt. Es ergibt sich mithin bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des § 75 Abs. 1 S. 1 HS 1 VwVfG, dass dem Planfeststellungsbeschluss eine Feststellungswirkung136 im Sinne einer verbindlichen Festsetzung der Vereinbarkeit des Vorhabens sowie der notwendigen Folgemaßnahmen mit den für den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses erforderlichen Voraussetzungen zukommt.137 Zwar fehlt es für das Planfeststellungsverfahren an einer dem § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG entsprechenden Regelung. Allerdings ergeben sich rechtliche Bindungen für die Planfeststellung aus der sogenannten Bindung der fachplanerischen Zulassungsbehörde an das sekundäre materielle Recht.138 Auch im Planfeststellungsverfahren sind daher zunächst diejenigen materiell-rechtlichen Vorschriften zu beachten, die bei den aufgrund der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses verdrängten behördlichen Entscheidungen anzuwenden wären, ferner aber auch solche Vorschriften, die Anforderungen normieren, ohne dass ihre Prüfung grundsätzlich in einem gesonderten Genehmigungsverfahren erfolgt.139 Für die Geltung des sekundären Rechts ist dabei zwischen sogenannten Planungsleitsätzen als strikt zu beachtende Normen und Planungsnormen des seHuck, in: Huck/Müller, VwVfG, § 75 Rn. 5; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 24. 135 Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 1 Rn. 20, § 3 Rn. 15. 136 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (476). In der Kommentaturliteratur findet der Begriff der Feststellungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses weitestgehend keine ausdrückliche Erwähnung. Insbesondere wird diese in der Regel nicht als eine der sich aus § 75 VwVfG ergebenden Rechtswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses genannt, vgl. Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 3; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 1–22a. 137 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 139; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 9; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 24; Gierke/Paul, in: Theobald/Kühling, Energierecht, § 9b AtG, Rn. 8. 138 Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 19. 139 Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 19.

A. Bestandsschutz im nationalen Recht

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kundären Rechts zu differenzieren; allein letztere sind einer Abwägung zugänglich.140 b) Eingriffsinstrumentarien nach Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses Innerhalb der allgemeinen planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG ist eine ausdrückliche Regelung zu Beschränkungen des Regelungsgehalts formell bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse lediglich zugunsten Dritter in § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG vorgesehen. Hiernach kann bei nicht voraussehbaren Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen „auf das Recht eines anderen“ der Betroffene auch nach Unanfechtbarkeit des Plans Schutzvorkehrungen verlangen. Eine mit der Regelung des § 17 BImSchG vergleichbare Rechtsgrundlage zum Erlass nachträglicher Anordnungen von Amts wegen ist nicht vorgesehen.141 Nur vereinzelt enthalten die Fachplanungsgesetze diesbezüglich Sonderregelungen.142 § 76 VwVfG enthält lediglich Erleichterungen für das Verfahren der Planänderung, die bis zur Fertigstellung des Vorhabens Anwendung finden. Auf Grundlage der Ermächtigung zur Planungsentscheidung kann die Planfeststellungsbehörde eine Änderung des festgestellten Plans ohne Antrag des Vorhabenträgers allein zur Fehlerbehebung und bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses vornehmen.143 § 77 VwVfG regelt die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses allein für den Sonderfall einer endgültigen Betriebsaufgabe durch den Vorhabenträger. Nach herrschender Auffassung findet sie überdies auf errichtete und betriebene Vorhaben keine Anwendung.144 Weitere ausdrückliche Regelungen zur Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen enthält jedenfalls das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht nicht. 140

Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 20 m.w. N. Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 36; MüllerSteinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 29. 142 Vgl. § 36 Abs. 4 KrWG: Hiernach können Planfeststellungsbeschlüsse und -genehmigungen i. S. d. § 36 Abs. 1 KrWG von Bedingungen abhängig gemacht, mit Auflagen verbunden und befristet werden, soweit dies zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist (S. 1). Die Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen über Anforderungen an die Deponie oder ihren Betrieb ist auch nach dem Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses oder nach Erteilung der Plangenehmigung zulässig (S. 3). Eine entsprechende Regelung findet sich für Planfeststellungsbeschlüsse i. S. d. § 65 UVPG in § 66 Abs. 2 UVPG, ferner für Planfeststellungsbeschlüsse nach § 9b Abs. 1 AtG in § 9b Abs. 3 AtG. Siehe hierzu: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 68 ff. 143 Vgl. Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 76 Rn. 6. 144 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (459); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 77 Rn. 9; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 77 Rn. 13; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 77 Rn. 2; differenzierend: Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 77 Rn. 3, dem zufolge § 77 VwVfG Anwendung finden soll, sofern ein fertig gestelltes Vorhaben nach der Herstellung von Anfang an nicht betrieben wurde. 141

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

Im Hinblick auf die hier relevanten Vorgaben des europäischen Umweltrechts stellt sich vor diesem Hintergrund insbesondere die Frage, inwiefern die planfeststellungsspezifischen Vorschriften einer nachträglichen Beschränkung des Regelungsgehalts des Planfeststellungsbeschlusses aus Gründen des Allgemeinwohls und von Amts wegen entgegenstehen.145 Diskussionsbedürftig ist dabei insbesondere auch, inwiefern Eingriffsgrundlagen anderer Fachgesetze außerhalb des Fachplanungsrechts herangezogen werden können.146

B. Allgemeine Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien und denkbare Einflüsse auf den Bestandsschutz Das EU-Artenschutzrecht, das Natura 2000-Gebietsschutzregime sowie das Umweltschadensrecht gehen auf die Vorgaben der FFH-, Vogelschutz- sowie Umwelthaftungsrichtlinie der Union zurück. Für die Beurteilung der Einflüsse des europäischen Umweltrechts auf die nationale Bestandsschutzkonzeption ist daher ein Verständnis über die allgemeinen Anforderungen und Grundsätze, die im Hinblick auf die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht im Allgemeinen zu beachten sind, essenziell. Auf dieser Grundlage lassen sich die denkbaren Einflüsse des sekundären Unionsrechts auf die nationale Bestandsschutzkonzeption konkretisieren.

I. Mitgliedstaatliche Umsetzungsverpflichtung aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, keine unmittelbare Verpflichtung des Unionsbürgers Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Sie enthält somit finale Vorgaben für die Mitgliedstaaten, die diese durch Akte der Umsetzung zu realisieren haben.147 Spielräume hinsichtlich der zu ergreifenden Mittel stehen den Mitgliedstaaten indes nur innerhalb der von der Richtlinie gezogenen Grenzen zu, d. h. nur, wenn und soweit die Richtlinienbestimmungen hierzu keine Festlegungen trifft.148 Die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung von europäischen Richtlinien ergibt sich aus Art. 288 Abs. 3 AEUV und 145

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 1. Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. b) bb). 147 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 23. 148 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 112, der den Wortlaut des Art. 288 Abs. 3 AEUV insofern als missverständlich ansieht. 146

B. Allgemeine Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien

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der jeweiligen Richtlinienbestimmung selbst.149 Dabei erfordert die Umsetzung einer Richtlinie nicht notwendig eine förmliche und wörtliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Gesetzesvorschrift; abhängig vom Richtlinieninhalt kann hierzu ein allgemeiner rechtlicher Kontext genügen, wenn dieser tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie mit hinreichender Klarheit und Genauigkeit gewährleistet.150 Der Vergleich zu Art. 288 Abs. 2 AEUV, nach dem Verordnungen „in“ den Mitgliedstaaten gelten, verdeutlicht, dass europäischen Richtlinien nach Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich keine unmittelbare Verbindlichkeit zukommt.151 Den Einzelnen treffen die Wirkungen einer ordnungsgemäß durchgeführten Richtlinie lediglich mittelbar in Form der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Umsetzungsmaßnahmen.152 Zwar wird – ungeachtet des Wortlauts von Art. 288 AEUV – einer Richtlinienbestimmung unter bestimmten Voraussetzungen auch eine unmittelbare Wirkung zuerkannt.153 Eine solche unmittelbare Wirkung ist indes von vornherein nur bei nationalen Umsetzungsdefiziten in Betracht zu ziehen,154 sodass vorrangig auf die Frage einer ordnungsgemäßen bzw. hinreichenden Umsetzung der Richtlinienvorgaben in das nationale Recht abzustellen ist. In vorliegendem Kontext ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass eine Richtlinienbestimmung nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs selbst im Falle einer unzureichenden Umsetzung nicht fähig ist, Privaten im Wege einer unmittelbaren Anwendbarkeit objektive Verpflichtungen aufzuerlegen.155 Unmittelbare Anforderungen an die Vorhabenzulassung oder an bereits 149 Statt aller: EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-129/96 (Inter-Environnement Wallonie/Région Wallonne), ECLI:EU:C:1997:628, Rn. 40; Urt. v. 10.04.1984, Rs. 14/83 (von Colson und Kamann), ECLI:EU:C:1984:153, Rn. 15 ff.; Urt. v. 08.10.1987, Rs. C80/86 (Kolpinghuis Nijmegen), ECLI:EU:C:1987:431, Rn. 7 ff.; Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV, Art. 4 Rn. 85; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 24; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 114. 150 EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU: C:1991:87, Rn. 6. 151 W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 86. 152 EuGH, Urt. v. 06.05.1980, Rs. C-102/79 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C: 1980:120, Rn. 12; Urt. v. 19.01.1982, Rs. C-8/81 (Becker), ECLI:EU:C:1982:7, Rn. 19; W. Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 86. 153 Vgl. hierzu nur Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 137 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 48 ff. 154 EuGH, Urt. v. 22.06.1989, Rs. 103/88 (Becker), ECLI:EU:C:1989:256, Rn. 29. 155 So die st. Rspr. des EuGH: EuGH, Urt. v. 26.02.1986, Rs. C-152/84 (Marshall I), ECLI:EU:C:1986:84, Rn. 48; Urt. v. 12.05.1987, Verb. Rs. 372–374/85 (Traen), ECLI: EU:C:1987:222, Rn. 24; Urt. v. 11.06.1987, Rs. 14/86 (Pretore di Salò/X), ECLI: EU:C:1987:275, Rn. 19; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 157; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, AEUV, Art. 288 Rn. 58.

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

zugelassene Tätigkeiten, die für die Bestimmung der Reichweite des Abweichungsverbots von Relevanz sind, können sich mithin allein aus dem nationalen Umsetzungsrecht ergeben; die Wirkungen des sekundären Unionsrechts bleiben auf mittelbare Einflüsse hierauf beschränkt.156 Mit Blick auf die erste Komponente der Bindungswirkung, das Abweichungsverbot,157 ist insofern insbesondere von Interesse, ob und inwieweit die EU-Richtlinien Anforderungen an bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten stellen und wie diese Vorgaben im nationalen Recht umgesetzt wurden bzw. umzusetzen sind.

II. Grundsatz mitgliedstaatlicher Verfahrensautonomie und allgemeines Loyalitätsgebot aus Art. 4 Abs. 3 EUV Auch mit Blick auf die zweite Komponente der Bindungswirkung nationaler Verwaltungsakte, das Aufhebungsverbot,158 bleibt im Ausgangspunkt das nationale Recht maßgeblich. So richten sich im Vollzug von deutschem Ausführungsrecht durch die nationalen Behörden, dem sogenannten (mittelbaren) indirekten Vollzug,159 Verwaltungsverfahren und Verwaltungshandeln nach innerstaatlichen Recht, soweit das Unionsrecht einschließlich der allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält.160 Dieser Ansatz entspricht dem nunmehr explizit durch Art. 291 AEUV anerkannten Grundsatz der „Verwaltungsautonomie“161 bzw. „Verfahrensautonomie“162 der Mitgliedstaaten, der als Oberbegriff sowohl das materielle Verwaltungsrecht als auch das Verwaltungsverfahrensrecht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit umfasst.163 Bedarf 156 In diesem Sinne zu Art. 4 Abs. 4 S. 1 VRL: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, Vorb. vor §§ 31–36, Rn. 14. 157 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 1. 158 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. 159 Der unmittelbare indirekte Vollzug bezeichnet demgegenüber den Vollzug von unmittelbar geltendem Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten. Der direkte Vollzug bezeichnet den Vollzug des Unionsrechts durch die Unionsorgane selbst. Vgl. zur Begrifflichkeit Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 51 f., 55; Kahl, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 124, 126. 160 EuGH, Urt. v. 21.09.1983, verb. Rs. C-205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 17; Urt. v. 16.07.1998, Rs. C-298/96 (Oelmühle Hamburg), ECLI:EU:C:1998:372, Rn. 24; Urt. v. 24.09.2002, Rs. C-255/00 (Grundig Italiana), ECLI:EU:C:2002:525, Rn. 33; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 52; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 126; Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 5, 2010, Rn. 1767. 161 Vgl. Schwarze, NVwZ 2000, 241 (244). 162 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02 (Wells), ECLI:EU:C: 2004:12, Rn. 65, 67 und 70; Urt. v. 13.07.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04 (Manfredi u. a.), ECLI:EU:C:2006:461, Rn. 67; verb. Rs. C-392/04 und C-422/04 (i-24 Germany), ECLI:EU:C:2006:586, Rn. 57; Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1418); Nowak, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2. Aufl. 2022, § 11 Rn. 80. 163 Schwarze, NVwZ 2000, 241 (244); Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 5, 2010, Rn. 1768.

B. Allgemeine Anforderungen an die Umsetzung von EU-Richtlinien

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es zur Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben der Aufhebung oder Abänderung eines wirksamen Verwaltungsaktes, erfolgt dies daher grundsätzlich auf Grundlage der entsprechenden nationalen Ermächtigungsvorschriften.164 Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Union, an die die Mitgliedstaaten im indirekten Vollzug des Unionsrechts gebunden sind,165 gehören auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes.166 Anerkannt ist ferner, dass die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtswegs eingetretene Bestandskraft einer nationalen Verwaltungsentscheidung zur Rechtssicherheit beiträgt.167 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann es daher grundsätzlich nicht als dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufend angesehen werden, wenn das nationale Verfahrensrecht neben dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berücksichtigt.168 Zu Überlagerungen des nationalen Verwaltungsrechts kann indes insbesondere der aus dem allgemeinen Loyalitätsgebot des Art. 4 EUV abgeleitete Effektivitätsgrundsatz führen.169 Dieser fordert, dass die im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten die Tragweite und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen, insbesondere die Herstellung des unionsrechtlich gebotenen Zustands nicht „praktisch unmöglich“ machen dürfen.170 Betroffen war das nationale Verfahrensrecht bislang insbesondere mit Blick auf die Rücknahme begüns164

Vgl. Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1418). Terhechte, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2. Aufl. 2022, § 7 Rn. 19. 166 EuGH, Urt. v. 21.09.1983, verb. Rs. C-205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 30; Urt. v. 07.05.1992, verb. Rs. C-258 und 259/90 (Pesquerias De Bermeo u. Naviera Laida), ECLI:EU:C:1992:199, Rn. 34; Urt. v. 14.10. 1999, Rs. C-104/97 P (Atlanta), ECLI:EU:C:1999:498, Rn. 52; Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 5, 2010, Rn. 1831; ders., UPR 2014, 88 (94). 167 EuGH, Urt. v. 13.01.2004, Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz), ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 24; Urt. v. 19.09.2006, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04 (i-21 Germany GmbH und Arcor), ECLI:EU:C:2004:836, Rn. 51; Urt. v. 12.02.2008, Rs. C-2/06 (Willy Kempter), ECLI:EU:C:2008:78, Rn. 39. 168 EuGH, Urt. v. 21.09.1983, verb. Rs. C-205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 30 ff.; Urt. v. 09.10.2001, verb. Rs. C-80/99 bis C-82/99 (Flemmer u. a.), ECLI:EU:C:2001:525, Rn. 60; Urt. v. 21.06.2007, Rs. C-158/06 (ROMprojecten), ECLI:EU:C:2007:370, Rn. 23; Urt. v. 13.03.2008, verb. Rs. C-383/06–385/ 06 (Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening u. a.), ECLI:EU:C: 2008:165, Rn. 52; Triantafyllou, NVwZ 1992, 436 (437). 169 Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 5, 2010, Rn. 1805 ff.; Schill/Krenn, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV, Art. 4 Rn. 95; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 48 Rn. 76 ff. Vgl. hierzu auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 270 ff.; Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 129 ff. 170 EuGH, Urt. v. 21.09.1983, verb. Rs. C-205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 19, 22; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 53. 165

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

tigender Verwaltungsakte, die gegen das europäische Beihilferecht verstoßen.171 Das unionsrechtliche Effektivitätsgebot kann hier unter bestimmten Voraussetzungen erfordern, dass die Regelungen über den Vertrauensschutz, die Rücknahmefrist sowie die Rückabwicklung nach § 48 Abs. 1, Abs. 4 VwVfG, § 49a Abs. 2 S. 1 VwVfG unionsrechtskonform modifiziert bzw. außer Acht gelassen werden.172 Allgemein gilt indes, dass die unionsrechtlich gleichermaßen anerkannten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen den aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht a priori nachrangig sind.173 Wie im Falle rein nationaler Sachverhalte174 geht es damit auch im Hinblick auf den Vollzug unionsrechtlicher Vorgaben letztlich um die Herstellung eines einzelfallbezogenen Ausgleichs zwischen sich grundsätzlich widersprechenden Prinzipien.175 Dabei kommt es vor allem auch auf die Besonderheiten des jeweils konkret betroffenen gemeinschaftlichen Rechtsgebiets an.176 Allgemeingültige Aussagen lassen sich daher nur schwerlich treffen. Mit Blick auf die möglichen Einflüsse der FFH-, Vogelschutz- sowie Umwelthaftungsrichtlinie auf die nationale Bestandsschutzkonzeption ist mit Blick auf die zweite Komponente der Bindungswirkung, dem Aufhebungsverbot, damit insbesondere von Relevanz, wie dieser potenzielle Konflikt zwischen dem Gebot zur effektiven Durchsetzung der Richtlinienvorgaben auf der einen und Erwägungen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der anderen Seite aufzulösen ist.

C. Zusammenfassung und Folgerungen für die weitere Untersuchung Auf Grundlage der vorstehend gewonnenen Erkenntnisse lässt sich festhalten, dass sich nach nationaler Konzeption bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie planfeststellungsbedürftigen Vorhaben die Reich171 Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV, Art. 4 Rn. 95. Vgl. hierzu auch: Suerbaum, VerwArch 91 (2000), 169 ff. 172 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 32; Gärditz, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 35 Rn. 41. 173 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 140 m.w. N.; Franzius, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Art. 4 EUV Rn. 130. 174 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. II. 1. und 2. 175 Vgl. Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (478). 176 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (478). Vgl. auch Ramsauer, DVBl 2020, 540 (541): die Judikatur des EuGH betreffend die Durchbrechung der Bestandskraftwirkungen von Verwaltungsakten zur effektiven Durch- und Umsetzung des Unionsrechts i. S. d. „effet utile“-Doktrin habe zu gewissen Rechtsunsicherheiten geführt, weil sie nur begrenzt systembildend war und Einzelfälle betraf.

C. Zusammenfassung und Folgerungen für die weitere Untersuchung

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weite des Bestandsschutzes maßgeblich nach der Bindungs- bzw. Tatbestandswirkung bestimmt, die einem wirksamen (Zulassungs-)Verwaltungsakt nach der gesetzlichen Erlaubnisordnung zukommt. Für die Reichweite des Bestandsschutzes, den eine formell bestandskräftige immissionsschutzrechtliche Genehmigung bzw. Planfeststellung zu vermitteln vermögen, kommt es zum einen maßgeblich auf die Reichweite ihres jeweiligen Regelungsgehalts an, zum andern aber auch – und vor allem – auf die einfachgesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur nachträglichen Aufhebung bzw. Abänderung eben jenen Regelungsgehalts. Bestandteil des Regelungsgehalts beider Zulassungsformen bilden die Genehmigungs- bzw. Gestattungswirkung sowie Feststellungswirkung: Immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss kommt eine verfügende Wirkung dergestalt zu, dass das für die Errichtung und den Betrieb immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen sowie die Durchführung eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens bestehende präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt überwunden wird. Ferner ist mit dem Erlass der jeweiligen Zulassungsentscheidung die grundsätzlich bindende Feststellung verbunden, dass die zuzulassende Anlage bzw. das zuzulassende Vorhaben mit den jeweils geltenden Zulassungsvoraussetzungen in Einklang steht. Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Möglichkeit einer nachträglichen Beschränkung bzw. Aufhebung des Regelungsgehalts. Für immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen beinhaltet des Bundesimmissionsschutzgesetz mit den §§ 7, 17, 20 und 21 ein ausdifferenziertes Eingriffsinstrumentarium, das indes vorrangig auf die Durchsetzung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten ausgerichtet ist. Demgegenüber enthalten die allgemeinen planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG bereits kein mit dem Immissionsschutzrecht vergleichbares Eingriffsinstrumentarium, das zu nachträglichen Beschränkungen des zugelassenen Bestandes ermächtigt. Die skizzierte nationale Bestandsschutzkonzeption bleibt im Grundsatz auch maßgeblich, sofern es um die Durchsetzung unionsrechtlicher Richtlinienvorgaben geht. Die Einflüsse des sekundären Unionsrechts auf die Bindungswirkung bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen und damit die Reichweite des Bestandsschutzes sind hier grundsätzlich solche mittelbarer Art. Die mit Blick auf die Reichweite des Bestandsschutzes gegenüber den Anforderungen des europäischen Umweltrechts entscheidenden Fragen lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Mit Blick auf das Abweichungsverbot: Inwieweit stellen das EU-Artenschutzrecht, das Natura 2000-Schutzregime sowie das Umweltschadensrecht Anforderungen an die Vorhabenzulassung und bilden daher Gegenstand der Feststellungswirkung von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss? Stellen die Bestimmungen der vorgenannten Rechtsmaterien darüber hinaus – vergleichbar mit den immissionsschutzrechtlichen Betreiber-

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1. Teil: Grundlegendes zum nationalen Bestandsschutzverständnis

pflichten – materiell-rechtliche Anforderungen auch an bereits zugelassene Tätigkeiten? • Mit Blick auf das Aufhebungsverbot: Welche Eingriffsbefugnisse sind der Verwaltung zur Durchsetzung des EU-Umweltrechts gegenüber zugelassenen Tätigkeiten eröffnet? Welche Unterschiede ergeben sich hierbei zwischen immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen und planfestgestellten Vorhaben? Lässt sich die Annahme einer erhöhten Beständigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen auch gegenüber den Vorgaben des EU-Umweltrechts aufrechterhalten? Erfordern das Effektivitätsgebot bzw. die Vorgaben der FFH-, Vogelschutz- und Umwelthaftungsrichtlinie hier möglicherweise weitgehende Überformungen des nationalen Verfahrensrechts, wie dies bereits im Beihilferecht der Fall war?

2. Teil

Die Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts auf den Bestandsschutz Wurden im voranstehenden ersten Teil allgemein das nationale Bestandsschutzverständnis sowie die denkbaren Einflüsse des EU-Sekundärrechts hierauf dargelegt, gilt es im nachfolgenden zweiten Teil der Arbeit die Einflüsse des Natura 2000-Gebietsschutz- sowie EU-Artenschutzregimes auf den Bestandsschutz zu untersuchen. Zu diesem Zweck sollen einleitend die Vorgaben des besonderen Arten- und Habitatschutzrechts zunächst in ihrer Bedeutung als Zulassungsvoraussetzung dargelegt werden, um anschließend die Konstellationen herauszuarbeiten zu können, in denen sich für den Vorhabenträger potenziell Fragen des Bestandsschutzes stellen (A.). Im Anschluss werden zunächst das Natura 2000Gebietsschutzrecht (B.), sodann das europäische Artenschutzrecht (C.) auf ihre Relevanz für den Vollzug bestandskräftiger immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen sowie Planfeststellungsbeschlüsse untersucht. Daraufhin erfolgt eine Darstellung der verfahrensrechtlichen Instrumentarien, die den nationalen Behörden im Konfliktfall zur Durchsetzung des EU-Arten- und Habitatschutzrechts gegenüber bestandskräftig planfestgestellten Vorhaben sowie immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen zur Verfügung stehen (D.). Die Untersuchung der Auswirkungen des Arten- und Habitatschutzrechts auf mögliche Beschränkungen des Bestandsschutzes schließt mit einem Fazit (E.).

A. Einführung Im Ausgangspunkt bedarf es für die nachfolgende Untersuchung zunächst eines Grundverständnisses über die Bedeutung des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts im Zulassungsverfahren. Von Interesse ist dies insbesondere deshalb, da sich die Reichweite des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen sowie planfeststellungsbedürftiger Vorhaben maßgeblich auch nach dem Umfang der mit immissionsschutzrechtlicher Genehmigung sowie Planfeststellungsbeschluss verbundenen Feststellungswirkung bestimmt.1 Soweit die Feststellungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung 1 Siehe allgemein zur Bindung an den Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes unter 1. Teil, A. III. 1., zur Feststellungswirkung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen unter 1. Teil, A. IV. 1. a) bb) sowie zur Feststellungswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen unter 1. Teil, A. IV. 2. a) bb).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

reicht, kann aufgrund der mit ihr verbundenen Bindungs- bzw. Tatbestandswirkung dem zulassungskonformen Betrieb der Anlage bzw. des Vorhabens die Unvereinbarkeit mit der materiellen Rechtslage grundsätzlich nicht entgegengehalten werden.2

I. Das Arten- und Habitatschutzrecht als Gegenstand der Feststellungswirkung Die Regelungen des § 34 BNatSchG3 sowie des § 44 BNatSchG4 gehören zu den „anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften“, deren Einhaltung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Voraussetzung für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bildet. Im Planfeststellungsverfahren stellen die in den §§ 34 und 44 BNatSchG enthaltenen Gebote bzw. Verbote zwingende Planungsleitsätze des sekundären materiellen Rechts dar, die nicht im Rahmen der planerischen Abwägung überwunden werden können.5 Etwaige Ausnahmen nach § 34 Abs. 3 und § 45 Abs. 7 BNatSchG sowie Befreiungen nach § 67 Abs. 2 BNatSchG sind von der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 13 BImSchG6 bzw. des Planfeststellungsbeschlusses nach § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG7 erfasst. Die Entscheidungen sind insofern nicht durch die hierfür grundsätzlich zuständige Naturschutzbehörde, sondern durch die Immissionsschutz- bzw. Planfeststellungsbehörde mit der jeweiligen Zulassungsentscheidung zu erteilen.8 Mit dem Erlass einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschlusses ist mithin die grundsätzlich bindende Feststellung verbunden, dass die Errichtung und der Betrieb der Anlage bzw. des Vorhabens im Zulassungszeitpunkt mit den Vorgaben der §§ 34, 44 f. BNatSchG in Einklang stehen.

II. Die Vorgaben des Habitatschutzrechts für die Zulassungsentscheidung, § 34 BNatSchG § 34 BNatSchG enthält in Umsetzung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 (i.V. m. Art. 7) FFH-RL ausdrücklich auf das Zulassungsverfahren bezogene Vor2

Siehe zu der Relevanz dieser Bindungswirkung näher unter 2. Teil, D. II. 4. c) aa) (1). OVG Münster, Urt. v. 27.07.2010 – 8 A 4062/04, ZUR 2011, 35 (35 f.); Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 46; Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 29. 4 Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 29a. 5 Vgl. Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 16 ff., 68 ff.; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 130 f., 141 ff., 153. 6 Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 89b; Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 7. 7 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 10. 8 Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung: Hinsch, ZUR 2011, 191 (192); für den Planfeststellungsbeschluss: Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 131. 3

A. Einführung

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gaben: Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG (Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL) sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Pläne geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Zu den von § 34 BNatSchG erfassten Natura 2000-Gebieten gehören dabei gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung. Hierzu zählen die in die Liste nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFH-RL aufgenommenen Gebiete, auch wenn ein Schutz i. S. d. § 32 Abs. 2–4 BNatSchG noch nicht gewährleistet ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 BNatSchG) sowie Europäische Vogelschutzgebiete, d. h. Gebiete i. S. d. Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL, wenn ein Schutz i. S. d. § 32 Abs. 2–4 BNatSchG bereits gewährleistet ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG). Ergibt die Verträglichkeitsprüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinem für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig und kann nur im Wege einer Abweichungsentscheidung unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG (Art. 6 Abs. 4 FFH-RL) zugelassen werden. Dies entspricht den Vorgaben von Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL, nach dem die zuständigen einzelstaatlichen Behörden unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung – vorbehaltlich der Ausnahmemöglichkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL – dem Plan bzw. Projekt nur zustimmen, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben. 1. Projektbegriff Unmittelbare Anwendung finden die Vorgaben des § 34 BNatSchG allein auf Projekte.9 Eine gesetzliche Definition des insofern zentralen Projektbegriffs findet sich im Bundenaturschutzgesetz nicht (mehr).10 Auch FFH- und VogelschutzRichtlinie enthalten keine nähere Bestimmung dieses Begriffs. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs11 sowie ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 34 BNatSchG12 bildet Ausgangspunkt für die Bestimmung des 9 Die entsprechende Anwendung wird für bestimmte Pläne in § 36 BNatSchG angeordnet. 10 Die vormals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG a. F. enthaltene Legaldefinition wurde mit der „Kleinen Novelle“ des BNatSchG im Jahre 2008 aufgehoben, nachdem sie seitens des EuGH als europarechtswidrig eingestuft worden war (EuGH, Urt. v. 10.01. 2007, Rs. C-98/03 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:2006:3, Rn. 40 ff.). Seitdem verzichtet das BNatSchG – anders als bei den in § 36 BNatSchG näher bestimmten Plänen – auf eine nähere Bestimmung des Projektbegriffs. 11 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 21 ff. Vgl. zu dem Projektbegriff i. S. d. § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Einzelnen: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 14 ff. 12 BT-Drs. 16/12274, S. 65.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

habitatschutzrechtlichen Projektbegriffs der des UVP-Rechts. Dieser umfasst neben der Errichtung oder Änderung von baulichen oder sonstigen Anlagen auch die Durchführung von sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahmen.13 Indes unterliegt der Projektbegriff des § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht den vergleichbaren Einschränkungen, wie sie der Projektbegriff des UVP-Rechts in Art. 1 Abs. 2 UVP-RL über Art. 4 Abs. 1 und 2 UVP-RL i.V. m. den Anhängen I und II erfährt; ihm ist grundsätzlich ein wirkungsbezogenes Verständnis zugrunde zu legen, bei dem es maßgeblich auf die Auswirkungen des betreffenden Vorhabens auf das betreffende Natura 2000-Gebiet ankommt.14 Errichtung und Betrieb von immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie von Vorhaben, die dem fachgesetzlichen Planfeststellungsvorbehalt unterliegen, unterfallen als typische Eingriffsvorhaben dem habitatschutzrechtlichen Projektbegriff des § 34 BNatSchG.15 2. Natura 2000-Verträglichkeits(vor)prüfung Die Verträglichkeitsprüfung ist nach § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG obligatorisch, wenn ein Projekt geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich zu beeinträchtigen. Der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung ist insofern eine – gleichfalls obligatorische – Vorprüfung (sogenanntes „Screening“) vorgeschaltet, in deren Rahmen die Frage zu klären ist, ob dem jeweiligen Vorhaben die von § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vorausgesetzte Eignung zur erheblichen Gebietsbeeinträchtigung zu attestieren ist.16 Eine Verträglichkeitsprüfung ist dann zwingend durchzuführen, sofern nach Lage der Dinge die ernsthafte Besorgnis17 bzw. die Wahrscheinlichkeit der Ge13 Vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung von bestimmten öffentlichen und privaten Projekten v. 27.06.1985 (ABl. Nr. L 175, S. 40), zuletzt geändert durch Art. 14 Abs. 1 ÄndRL 2011/92/EU v. 13.12. 2011 (ABl. 2012 Nr. l 26, S. 1). 14 Der Projektbegriff kann insofern auch bei der Ausübung schutzgebietsgefährdender Tätigkeiten erfüllt sein, die nicht zwingend mit baulichen Veränderungen einhergehen. St. Rspr. BVerwG: BVerwG, Urt. v. 10.04.2013 – 4 C 3/12, NVwZ 2013, 1346 (1350); Urt. v. 19.12.2013 – 4 C 14.12, NVwZ 2014, 1097 (1100); Urt. v. 12.11.2014 – 4 C 34/13, NVwZ 2015, 596 (599). Ferner: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 14; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 4. Offenbleiben kann an dieser Stelle, welche weitergehenden Fragestellungen sich aus diesem wirkungsbezogene Projektbegriff ergeben. Vgl. hierzu im Einzelnen Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 14 ff. m.w. N. 15 Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 46; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 7. 16 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 9; vgl. zusammenfassend zur Vorprüfung: Frenz, NuR 2016, 30 (33 f.); Storost, DVBl 2009, 673 (674). 17 BVerwG, Beschl. v. 26.11.2007 – 4 BN 46/07, NVwZ 2008, 210 (211); Lüttgau/ Kockler, Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 10; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 9.

A. Einführung

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fahr erheblicher Beeinträchtigungen von Natura 2000-Gebieten18 besteht. Verzichtbar ist eine Verträglichkeitsprüfung nur, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte in diese Richtung weisen.19 Ergibt die Vorprüfung, dass erhebliche Beeinträchtigungen eines Natura 2000Gebiets ernstlich zu besorgen sind bzw. nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, schließt sich in einem zweiten Schritt die vertiefte „eigentliche“ Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an.20 Hierbei geht es um die Feststellung, ob Beeinträchtigungen der gebietsbezogenen Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke, jenseits eventuell bestehender naturschutzfachlich begründeter Bagatellschwellen, unter Heranziehung der „besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse“ derart ausgeschlossen werden können, dass hieran „kein vernünftiger Zweifel“ besteht.21 Bestehen Unsicherheiten über das Auftreten von nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches, darf eine Genehmigung gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG nicht erteilt werden.22 Sowohl in der Vorprüfung als auch der eigentlichen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung geht es damit maßgeblich um die Frage nach einer „erheblichen Beeinträchtigung“ des geschützten Gebiets. Der Prüfungsgegenstand ist identisch, lediglich die Prüfungsdichte differiert: während in der Vorprüfung die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung geprüft wird, geht es in der eigentlichen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung um die Entkräftigung einer derart festgestellten Möglichkeit durch einen „Gegenbeweis“.23 Maßgeblich für die Bewertung der Erheblichkeit von Gebietsbeeinträchtigungen sind die für das jeweilige Gebiet festgelegten Erhaltungsziele24 bzw. im Falle einer besonderen Schutzgebietsausweisung der hierin festgelegte Schutzzweck, vgl. § 34 Abs. 1 S. 2 BNat18 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 43. 19 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 9. 20 BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21/09, NVwZ 2012, 176 (179); Beschl. v. 26.11.2007 – 4 BN 46/07, NVwZ 2008, 210 (211); OVG Bautzen, Beschl. v. 10.01. 2013 – 4 B 183/12, NuR 2014, 119 (120); Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 13a. 21 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU: C:2004:482, Rn. 59; BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, NVwZ 2007, 1054 (1058 ff.); Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 94. Weitergehend zu den Anforderungen an die FFH-Verträglichkeitsprüfung Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 8 ff. m.w. N. 22 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 57. 23 Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 77. 24 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 46.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

SchG.25 Gemäß der Legaldefinition in § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG sind „Erhaltungsziele“26 Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps von gemeinschaftlichem Interesse27 oder einer im Anhang II der FFH-RL oder in Art. 4 Abs. 2 oder Anhang I der VRL aufgeführten Art28 für ein Natura 2000-Gebiet festgelegt sind.29 Bei den in der Gebietsausweisung festgelegten Schutzzwecken handelt es sich um eine Konkretisierung der bereits zuvor festgelegten Erhaltungsziele, mit der keine inhaltliche Änderung einhergeht.30 Geschützt ist das 25 Lüttgau/Kockler, Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 5; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 23. 26 Erhaltungsziele i. S. d. BNatSchG dürfen nicht mit dem in Art. 2 Abs. 2 FFH-RL angesprochenen und in Art. 1 lit. e, i FFH-RL konkretisierten Zielen der FFH-RL verwechselt werden, die innerhalb des gesamten räumlichen Geltungsbereichs der FFH-RL verfolgt werden. Die Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG bezieht sich konkret auf jene Ziele, um deren Verwirklichung willen das jeweilige Natura 2000-Gebiet eingerichtet wurde und deren Erreichung einen Betrag zur Realisierung der Richtlinienziele erbringt, BT-Drs. 16/12274, S. 53; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 7 Rn. 12. 27 Gemäß Art. 1 lit. e FFH-RL ist der „Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums“ die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können. Der „Erhaltungszustand“ eines natürlichen Lebensraums wird als „günstig“ erachtet, wenn sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft wahrscheinlich weiterbestehen werden und der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten im Sinne des Buchstabens i) günstig ist. 28 Gemäß Art. 1 lit. i FFH-RL ist der „Erhaltungszustand einer Art“ die Gesamtheit der Einflüsse, die sich langfristig auf die Verbreitung und die Größe der Populationen der betreffenden Arten in dem in Artikel 2 bezeichneten Gebiet auswirken können. Der Erhaltungszustand wird als „günstig“ betrachtet, wenn aufgrund der Daten über die Populationsdynamik der Art anzunehmen ist, dass diese Art ein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraumes, dem sie angehört, bildet und langfristig weiterhin bilden wird, und das natürliche Verbreitungsgebiet dieser Art weder abnimmt noch in absehbarer Zeit vermutlich abnehmen wird und ein genügend großer Lebensraum vorhanden ist und wahrscheinlich weiterhin vorhanden sein wird, um langfristig ein Überleben der Populationen dieser Art zu sichern. 29 Die Festlegung der Erhaltungsziele erfolgt in der Meldung der FFH- und Vogelschutzgebiete an die Europäische Kommission, mit der die Mitgliedstaaten ökologische Informationen über das Lebensraumtypen- bzw. Arteninventar übermitteln, das aus ihrer Sicht den Grund für die Auswahl und den Schutz des jeweiligen Gebiets bildet. Da die Meldung unter Zuhilfenahme des auf der Entscheidung 97/277/EG (ABl. EU 1997 Nr. L 107/1) beruhenden Standard-Datenbogens zu erfolgen hat, werden die gebietsbezogen verfolgten Erhaltungsziele in den jeweiligen Meldebögen festgelegt. Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05, NVwZ 2007, 1054 (1062); Urt. v. 12.03. 2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 72; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 7 Rn. 13. 30 BVerwG, Beschl. v. 09.12.2011 – 9 B 40/11, juris Rn. 4.

A. Einführung

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Natura 2000-Gebiet damit nicht in all seiner Habitat- und Artenvielfalt, sondern nur hinsichtlich derjenigen Lebensraumtypen und Arten, die über die für das jeweilige Gebiet festgelegten Erhaltungsziele bzw. den Schutzzweck im Hinblick auf ihren günstigen Erhaltungszustand als schützenswert definiert sind.31 Die Beurteilung des Vorliegens einer erhebliche Gebietsbeeinträchtigung erfordert zunächst eine sorgfältige Bestandserfassung und -bewertung der von dem Projekt betroffenen maßgeblichen Gebietsbestandteile, die dem für die Verträglichkeitsprüfung allgemein maßgeblichen Standard der „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zu entsprechen hat.32 Neben der Bestandserfassung muss die Verträglichkeitsprüfung eine Ermittlung der Wirkfaktoren des jeweiligen Projekts sowie eine den „besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisstand“ reflektierende naturschutzfachliche Bewertung der mit ihnen verbundenen Auswirkungen auf die maßgeblichen Gebietsbestandteile umfassen.33 Relevant sind all jene Wirkfaktoren des jeweiligen Vorhabens, die sich auf die Verwirklichung der gebietsbezogen verfolgten Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke auswirken können.34 Zur Erleichterung der behördlichen Prüfaufgabe wird der Projektträger durch § 34 Abs. 1 S. 3 BNatSchG verpflichtet, die zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen vorzulegen.35 3. Ausnahmemöglichkeit nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG Kommt die Verträglichkeitsprüfung zu dem Ergebnis, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig und darf nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen werden.36 Voraussetzung einer solchen Abweichungsentscheidung ist 31 Vgl. Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 12; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 17. 32 BVerwG, Urt. v. 06.11.2013 – 8 A 14/12, NVwZ 2014, 714 (718). Aufgrund der Orientierung an den Erhaltungszielen bzw. Schutzzwecken eines Natura 2000-Gebiets erfordert dies allerdings keine vollständige Inventarisierung der Tier- und Pflanzenarten eines Gebiets; vielmehr kann sich die Bestandserfassung und -bewertung auf die für die Erreichung des Erhaltungsziels bzw. Schutzzwecks maßgeblichen Gebietsteile beschränken, Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 17. Vgl. zu der Bestandserfassung und -bewertung im Einzelnen: Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 34 Rn. 78 ff. m.w. N. 33 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 22. Vgl. hierzu auch: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 84 ff. m.w. N. 34 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 22. 35 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 16. 36 Unklar ist, ob und inwieweit von dem gesetzlichen Verbot des § 34 Abs. 2 BNatSchG darüber hinaus eine Befreiung nach § 67 BNatSchG zulässig ist; siehe hierzu näher unter 2. Teil, B. VII. sowie Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 20.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

nach § 34 Abs. 3 BNatSchG, dass das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und zumutbare Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind. Können von dem Projekt im Gebiet vorkommende prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten betroffen werden, sind hinsichtlich der öffentlichen Interessen, die eine Ausnahmeentscheidung rechtfertigen können, die einschränkenden Vorgaben des § 34 Abs. 4 BNatSchG zu berücksichtigen. Schließlich sind die zur Sicherung der globalen Kohärenz von Natura 2000 notwendigen Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen, § 34 Abs. 5 S. 1 BNatSchG. 4. Verfahren, zuständige Behörde Die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG einschließlich der Vorprüfung sowie die sich gegebenenfalls anschließende Ausnahmeprüfung bilden bei zulassungspflichtigen Projekten wie immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie Planfeststellungsvorhaben einen unselbstständigen Teil des für sie jeweils vorgesehenen administrativen Kontrollverfahrens; vorgenommen wird sie von der für das jeweilige Zulassungsverfahren zuständigen Fachbehörde.37 Dies ergibt sich, wenngleich nicht ausdrücklich aus § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, so doch aus § 34 Abs. 6 BNatSchG, der ein Anzeigeverfahren bei der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde lediglich subsidiär für nicht gesondert genehmigungs- oder anzeigepflichtige Projekte vorsieht.38

III. Die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts für die Zulassungsentscheidung, §§ 44 f. BNatSchG Elementaren Bestandteil von Eingriffsplanungen sowie Projektgenehmigungen bilden auch die Vorschriften des besonderen Artenschutzrechts.39 Innerhalb der Vorschriften des besonderen Artenschutzrechts sind für diese dabei insbesondere die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG sowie die Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 BNatSchG von Relevanz, die die Vorgaben der Art. 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 lit. a und 16 FFH-RL sowie Art. 5 und 9 VRL in nationales Recht umsetzen,40 und auf die sich die nachfolgende Untersuchung beschränken soll. 37 BVerwG, Urt. v. 10.04.2013 – 4 C 3/12, NVwZ 2013, 1346 (1348); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 50; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 16, 53. 38 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 16. 39 Vgl. Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 3 m.w. N. zu der auf die Schnittstellen von Artenschutz- und Planungsrecht fokussierten Literatur. 40 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 3; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 1.

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1. Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG a) Doppelfunktion der Zugriffsverbote als repressives Verbot und Zulassungsvoraussetzung § 44 Abs. 1 BNatSchG enthält vier Zugriffsverbote:41 das Tötungsverbot, das Störungsverbot, das auf die Fortpflanzungs- und Ruhestätten besonders geschützter Tierarten bezogene Schädigungsverbot sowie das auf besonders geschützte Pflanzenarten ausgerichtete Beeinträchtigungsverbot.42 Ausweislich der unverändert aussagekräftigen Gesetzesbegründung zur Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes 2007 ist es für die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung ohne Relevanz, ob sie absichtlich, vorsätzlich, oder fahrlässig vorgenommen wird.43 Insoweit gehen die nationalen Verbotstatbestände – zulässigerweise – über die unionsrechtlichen Richtlinienvorgaben hinaus, die mit Ausnahme des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL allein „absichtliche“ 44 Schädigungen verboten wissen wollen.45 Die Vorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG sind als unmittelbar handlungsbezogene, repressive Verbote ausgestaltet, d. h. sie zielen unmittelbar auf Handlungen ab, die unterlassen werden sollen.46 Ihrer Konzeption nach stellen sie keine Regelungen für die Vorhabenzulassung dar.47 Anders als das Habitatschutzrecht mit § 34 Abs. 1 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL enthalten weder das nationale noch das europäische Recht verfahrensrechtliche Vorgaben zur präventiven Bewältigung artenschutzrechtlicher Konflikte innerhalb der Vorhabenzulassung.48 41 Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 1. Die in § 44 Abs. 2 BNatSchG enthaltenen Besitz- und Vermarktungsverbote sind für die vorliegend untersuchungsgegenständlichen Vorhaben nicht relevant. 42 Lau, NVwZ 2017, 830 (831). 43 BT-Drs. 16/5100, S. 11. Die subjektive Seite ist nach nationaler Ausgestaltung vielmehr erst im Rahmen der Verfolgung tatbestandsmäßiger Handlungen als Ordnungswidrigkeit oder Straftat zu prüfen, siehe: Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 6; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 6; Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 67. 44 Siehe zu dem unionsrechtlichen Absichtserfordernis näher unter 2. Teil, C. III. 1. 45 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 6; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 24; Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 67; a. A.: Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 6, dem zufolge der Regelungsansatz des § 44 BNatSchG schlicht der Rechtslage vor der sog. Kleinen Novelle entspricht, bei der der fehlenden Absicht lediglich im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 43 Abs. 4 a. F. tatbestandsausschließende Bedeutung zukam, nicht aber bei einem „Jedermannszugriff“. 46 Hinsch, ZUR 2011, 191 (192); Lau, NVwZ 2017, 830 (831). 47 Hinsch, ZUR 2011, 191 (192); Philipp, NVwZ 2008, 593 (593). 48 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (525); Thyssen, NuR 2010, 9 (11); Lau, NVwZ 2017, 830 (831); Sobotta, NuR 2013, 229 (229); Appel, NuR 2020, 663 (671).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Indes ist die Ausführung von Planfeststellungsbeschlüssen und immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungen vom Anwendungsbereich des § 44 BNatSchG auch nicht ausdrücklich ausgenommen.49 Die Zugriffsverbote gelten allgemein, d. h. unabhängig davon, auf welche Weise der verbotene Erfolg, etwa in Form der Tötung eines geschützten Tieres oder der Zerstörung einer Lebensstätte, herbeigeführt wird.50 Soweit im Rahmen eines Zulassungsverfahren die Vereinbarkeit mit sonstigem öffentlichen Recht zu prüfen ist, wie es im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sowie im Planfeststellungsverfahren aufgrund der allgemeinen Bindung an die Vorgaben des sekundären materiellen Rechts der Fall ist, haben die Zulassungsbehörden daher die Beachtung der Verbote bei Verwirklichung des zulassungsbedürftigen Vorhabens sicherzustellen.51 Den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen kommt mithin eine gewisse Vorwirkung dergestalt zu, dass die jeweilige Zulassungsbehörde den Vorhaben- bzw. Anlagenbetreiber aufgrund der Bindung an die Vorgaben der sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht ungeprüft in das Risiko der Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände „entlassen“ darf.52 Die Zulassung darf nur erteilt werden, wenn die zuständige Behörde zu der Einschätzung gelangt, dass kein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt ist oder dass die Voraussetzungen einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG vorliegen. Der Vorschrift des § 44 Abs. 1 BNatSchG kommt mithin eine Doppelfunktion als repressive Sanktionsnorm für Handlungen, die einen der Verbotstatbestände dieser Norm erfüllen,53 sowie als Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsvoraussetzung zu.54 b) Prüfungsgegenstand und -maßstab Obgleich weder das Bundesnaturschutzgesetz noch die FFH- und VogelschutzRichtlinie hierzu nähere Vorgaben treffen, erfordert die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände jedenfalls eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im betreffenden Gebiet vorhandenen Tierarten und Lebens-

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Siehe hierzu näher unter 2. Teil, C. I. Philipp, NVwZ 2008, 593 (593) zu § 42 BNatSchG a. F. 51 Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (525); Lau, NVwZ 2017, 830 (831); ders., in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 6. 52 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (526); Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451); Lau, NVwZ 2017, 830 (831). 53 Die Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG sind über § 69 Abs. 2 und § 1 Abs. 2 BNatSchG bußgeld- bzw. strafbewehrt. 54 Vgl. Lau, NVwZ, 2017, 830 (831); ders., in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 5; Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 vor Rn. 1; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 16 ff., 68 ff.; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 130 f., 153. 50

A. Einführung

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räume.55 Im Vergleich zur Bestandsaufnahme im Rahmen der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung verfolgt das besondere Artenschutzrecht dabei einen deutlich breiteren und offener angelegten Untersuchungsansatz, geht es doch zunächst darum, zu ermitteln, welche Arten in dem maßgeblichen Untersuchungsraum überhaupt vorkommen.56 Die Bestandsaufnahme im Rahmen der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung beschränkt sich demgegenüber den gesetzlichen Vorgaben entsprechend auf die gebietscharakteristischen, d. h. erhaltungszielbestimmenden Arten.57 Über den Prüfungsgegenstand hinaus unterscheidet sich auch der Prüfungsmaßstab des besonderen Artenschutzrechts von dem des Habitatschutzrechts.58 Über die entscheidungserheblichen naturschutzfachlichen Fragestellungen ist im Zulassungsverfahren nach dem aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand zu entscheiden.59 Der strenge im Habitatschutz geltende Maßstab der „besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse“ ist auf das Artenschutzrecht nicht übertragbar; vielmehr gilt der Maßstab „praktischer Vernunft“.60 2. Ausnahmemöglichkeit nach § 45 Abs. 7 BNatSchG § 45 Abs. 7 BNatSchG eröffnet der zuständigen Behörde die Möglichkeit, im Einzelfall eine Ausnahme von den Zugriffsverboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu erteilen. Voraussetzung ist das Vorliegen bestimmter abschließend normierter Ausnahmegründe, zu denen nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG insbesondere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses zählen. Eine Ausnahme setzt ferner voraus, dass zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen einer Art nicht verschlechtert, soweit nicht Art. 16 Abs. 1 FFH-RL weitergehende Anforderungen enthält.

IV. Bestandsschutzrelevante Fallkonstellationen Insbesondere bei Vorhaben und Anlagen mit fortlaufenden Auswirkungen sowie in Fällen, in denen zwischen Vorhabenzulassung und Baubeginn ein langer 55 BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, 302 (306); Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 37; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 13 ff. 56 VGH München, Urt. v. 19.02.2014 – 8 A 11.40040, juris Rn. 825; Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 38; Ewer, in: Lütkes/ Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 17. 57 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 17. 58 Lüttgau/Kockler, Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 12. 59 BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (525); Urt. v. 09.07. 2008 – 9 A 14/07, NVwZ 2009, 302 (308); Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475). 60 BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 – 9 A 9.15, juris Rn. 132.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Zeitraum liegt, sind eine Reihe von Fallkonstellationen denkbar, in denen die in der Zulassungsentscheidung getroffenen Bewertungen nach Bestandskraft in Frage gestellt werden könnten:61 • Denkbar ist zunächst, dass nach Vorhabenzulassung Veränderungen naturräumlicher Umstände eintreten, die für die Bestandserfassung und -bewertung im Rahmen der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung bzw. der Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände von Relevanz wären. Erhebliche Praxisrelevanz besitzt diese Fallgruppe im Hinblick auf die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände, wenn nachträglich – weitere oder erste – Individuen der jeweils geschützten Arten62 in den Wirkungsbereich des Vorhabens einwandern bzw. sich dort ansiedeln. • Auch kann sich nachträglich herausstellen, dass die arten- bzw. habitatschutzrechtliche Prüfung bereits im Rahmen des Zulassungsverfahrens fehlerhaft erfolgt ist bzw. im äußersten Fall sogar fehlerhaft gänzlich unterblieben ist. Zu denken ist hier beispielsweise an den Fall einer naturschutzrechtlichen Prüfung, die auf einer fehlerhaften Bestandserfassung basiert. • Ferner sind sowohl die Prüfung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote als auch die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung in starkem Maß von naturschutzfachlichen Bewertungen abhängig.63 Die in der Zulassungsentscheidung getroffenen Bewertungen können insofern auch durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse – beispielsweise über die Sensibilität bestimmter Lebensraumtypen oder Arten gegenüber bestimmten Vorhabenauswirkungen – in Frage gestellt werden. • Theoretisch denkbar ist schließlich die nachträgliche Aufnahme eines FFHGebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bzw. die nachträgliche Unterschutzstellung von Vogelschutzgebieten oder jedenfalls eine nachträgliche Korrektur der Gebietsgrenzen. Mit Blick auf das besondere Artenschutzrecht entspricht dem die nachträgliche Unterschutzstellung bestimmter Arten durch Aufnahme in die entsprechenden Anhänge der europäischen Richtlinien.64 61 Vgl. zu den nachfolgenden Fallgruppen auch: Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 4. 62 § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG schützt „wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten“, § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG „wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten“, § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG „Fortpflanzungsoder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten“, § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG „wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen“. 63 Vgl. Lambrecht/Trautner, Fachinformationssystem und Fachkonventionen zur Bestimmung der Erheblichkeit im Rahmen der FFH-VP, 2007, S. 12. 64 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13, Nr. 14 BNatSchG.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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In vorgenannten Fällen stellt sich die Frage nach den rechtlichen Konsequenzen für den Bestandsschutz des Vorhabenträgers: Welche Anforderungen stellen das EU-Artenschutzregime sowie der Natura 2000-Gebietsschutz an den Vollzug einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung? Mit welchen nachträglichen Einschränkungen seiner genehmigten Tätigkeit hat der Vorhabenträger zu rechnen und welchen Schutz vermag ihm eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung zu vermitteln?

B. Die Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben Für das Natura 2000-Gebietsschutzregime stellt sich die Frage nach seiner Relevanz für die Phase des Zulassungsvollzugs in besonderem Maße, bezieht sich die projektbezogene Regelung des § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL doch ausdrücklich allein auf das Zulassungsverfahren.65 Normativen Ansatzpunkt für die Frage nach den Auswirkungen des Natura 2000-Gebietsschutzrechts auf die nationale Bestandsschutzdogmatik bildet indes das sogenannte allgemeine Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Diese Bestimmung ist zunächst allgemein auf ihre mögliche Relevanz für bestandskräftig zugelassene Projekte hin zu untersuchen (I.). Einzugehen ist sodann auf das Urteil des Gerichtshofs in Sachen Waldschlößchenbrücke, dem für die Frage nach einer möglichen Relativierung des Bestandsschutzes durch die Vorgaben des europäischen Habitatschutzrechts eine zentrale Bedeutung zukommt (II.). Erst auf Grundlage der aus diesem Urteil gezogenen Schlussfolgerungen wird sich der weitere Verlauf der Untersuchung konkretisieren lassen (II. 3.).

I. Die allgemeine Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: Anwendbarkeit auf projektbezogene Auswirkungen? Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL besagt: „Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken können“.

Gemäß Art. 7 FFH-RL gelten die aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL folgenden Verpflichtungen auch für ausgewiesene Vogelschutzgebiete i. S. v. Art. 4 Abs. 1–2 VRL. 65

Siehe hierzu unter 2. Teil, A. II.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Fraglich ist, inwiefern die durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL begründete allgemeine Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten auch gegenüber den Auswirkungen solcher Tätigkeiten besteht, die dem Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 bzw. Abs. 4 FFH-RL unterfallen. Allein in diesem Fall bedürfte es einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Vorschrift auf mögliche bestandsschutzrelevante Wirkungen. Die Auslegung der Richtlinienbestimmung scheint diesbezüglich zunächst kein eindeutiges Bild zu liefern. Entsprechend der im nationalen Recht bekannten Interpretationsmethoden, die grundsätzlich auch im Rahmen der Auslegung unionsrechtlicher Bestimmungen heranzuziehen sind, ist hierbei auf Wortlaut, systematischen Zusammenhang und Telos der Regelung abzustellen.66 Unter den Begriff der „Verschlechterungen“ und „Störungen“ lassen sich grundsätzlich auch die Auswirkungen eines nach nationalem Recht bestandskräftig zugelassenen Projekts fassen, sodass jedenfalls der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine diesbezüglich bestehende Vermeidungspflicht des Mitgliedstaats nicht ausschließt. In systematischer Hinsicht ließen sich die im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausdrücklich projektbezogenen Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 FFH-RL jedoch als abschließende Spezialregelungen für dem Projektbegriff unterfallende Tätigkeiten verstehen. Mit dem Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung vor Zulassung gebietsrelevanter Pläne und Projekte und der Abweichungsmöglichkeit im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung treffen die Absätze 3 und 4 des Art. 6 FFH-RL unmittelbare Vorgaben allein für die Zulassung von Projekten, nicht aber über den späteren Umgang mit planoder projektbedingten Auswirkungen.67 Der ununterbrochene, unveränderte Betrieb einer Anlage, der sich im Rahmen der erteilten Zulassungsentscheidung bewegt, ist als einheitliche Maßnahme anzusehen, die als einziges Projekt i. S. v. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Grundsatz auch nur einmalig – nämlich im Zeitpunkt ihrer Zulassung – an den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL zu messen

66 Vgl. Pieper, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, B.I. Rn. 7 f.; zur Auslegung des primären Unionsrechts: EuGH, Urt. v. 19.09.2000, Rs. C156/98 (Deutschland/Kommission), ECLI:EU:C:2000:467, Rn. 50; zur Auslegung des Sekundärrechts: EuGH, Urt. v. 14.10.1999, Rs. C-223/98 (Adidas), ECLI:EU:C:1999: 500, Rn. 23; Urt. v. 14.06.2001, Rs. C-191/99 (Kvaener), ECLI:EU:C:2001:332, Rn. 30. 67 Gellermann, NuR 2004, 769 (770). In Umsetzung dieser unionsrechtlichen Vorgaben sind gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG Projekte unter bestimmten Voraussetzungen „vor ihrer Zulassung oder Durchführung“ einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Die in § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG angesprochene Möglichkeit einer Prüfung „vor Durchführung“ bezieht sich dabei nicht auf zulassungspflichtige, sondern allein auf solche Projekte, die lediglich einer Anzeigepflicht unterliegen und daher keiner ausdrücklichen behördlichen Zulassungsentscheidung bedürfen. Bei zulassungsbedürftigen Vorhaben, deren Ausführung als einheitliches Projekt anzusehen ist, sind die Vorgaben des § 34 BNatSchG mithin allein im Zeitpunkt ihrer Zulassung – und nicht erneut vor ihrer Durchführung – zu prüfen. Vgl. zu Vorstehendem: Gellermann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 14; ders., Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 162.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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ist.68 Bei einem abschließenden Verständnis der projektbezogenen Regelung des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL würden sich für die Mitgliedstaaten jedenfalls aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL keine weitergehenden Verpflichtungen gegenüber zugelassenen Projekten ergeben, die eine unionsrechtlich veranlasste Einschränkung des Bestandsschutzes zur Folge haben könnten.69 Zwingend ist eine derart abschließende Geltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL indes auch nach der Systematik des Art. 6 FFH-RL nicht.70 Schließlich lässt es insbesondere die zu den Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fraglich erscheinen, ob sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten gegenüber projektbedingten Auswirkungen tatsächlich auf deren Überprüfung im Zulassungsverfahren beschränken kann. Die Auslegung einer Unionsrechtsbestimmung durch den Europäischen Gerichtshof reicht in ihrer Tragweite grundsätzlich weit über das jeweilige Ausgangsverfahren hinaus. Für letztinstanzliche Gerichte folgt bereits aus der sogenannten C.I.L.F.I.T.-Doktrin des Gerichtshofs71 eine Bindungswirkung dergestalt, dass sie von der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nur befreit sind, wenn sie sich der seitens der Europäischen Gerichtshof vorgenommenen

68 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 50; Albrecht/ Gies, NuR 2014, 235 (241); Würtenberger, NuR 2010, 316 (318); Frenz, NVwZ 2011, 275 (277); ders., in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 43 ff. Problematischer ist die Abgrenzung zwischen einem einheitlichen, gleichbleibenden Projekt und einer Aneinanderreihung mehrerer einzelner, gleichartiger Projekte bei sog. Unterhaltungsmaßnahmen. Vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI: EU:C:2010:10, Rn. 41 ff.; Albrecht/Gies, NuR 2014, 235 ff.; Frenz, NVwZ 2011, 275 (276 f.). 69 Weitergehend: GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 51, der zufolge eine rechtskräftige Genehmigung bei einem derart abschließenden Verständnis des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gewährleisten würde, dass Erwägungen des Gebietsschutzes die Umsetzung des jeweiligen Vorhabens nicht mehr berühren können. Dem kann insofern nicht zugestimmt werden, als jedenfalls im deutschen Recht unabhängig von unionsrechtlichen Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zumindest die Möglichkeit einer Rücknahme nach § 48 VwVfG anlässlich einer fehlerbehafteten Verträglichkeitsprüfung bestünde. Hier würde sich dann ggf. die Frage stellen, inwieweit sich bei Verstößen gegen die Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL aus der allgemeinen aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verstößen gegen unionsrechtliche Vorgaben abzuhelfen, weitergehende Beschränkungen des Bestandsschutzes des Projektträgers ergeben können. 70 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 52. 71 EuGH, Urt. v. 06.10.1982, Rs. 283/81 (CILFIT/Ministero della Sanità), ECLI: EU:C:1982:335, Rn. 21: Hiernach ist ein letztinstanzlich entscheidendes Gericht nur dann von seiner Vorlagepflicht befreit, wenn die Frage des Gemeinschaftsrechts nicht entscheidungserheblich ist, die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum verbleibt.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Auslegung anschließen.72 Dahinstehen kann an dieser Stelle die seitens des Gerichtshofs nicht ausdrücklich entschiedene73 und im nationalen Schrifttum unterschiedlich bewertete74 Frage, inwiefern eine Bindungswirkung entsprechenden Inhalts auch für die nicht zur Vorlage verpflichteten unterinstanzlichen Gerichte angenommen werden kann. Denn Auslegungsurteilen des Europäischen Gerichtshofs ist aufgrund ihrer „Leitfunktion für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts“75 jedenfalls eine Präjudizwirkung in dem Sinne beizumessen, die mit derjenigen höchstrichterlicher Entscheidungen im deutschen Recht vergleichbar ist.76 Abgesehen von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen (§ 31 BVerfGG) kommt auch diesen zwar keine unmittelbar verbindliche Wirkung außerhalb des Ausgangsrechtsstreits zu; gleichwohl entfalten sie über den Einzelfall hinaus eine „tatsächlich rechtsbildende Kraft“.77 Für die weitere Auslegung des Unionsrechts im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist daher maßgeblich an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzuknüpfen. Sie bildet dementsprechend auch den Ausgangspunkt, wenn im Folgenden der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zunächst im Verhältnis zur Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 FFHRL, sodann im Verhältnis zur Bestimmung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL einer genaueren Untersuchung unterzogen wird. 1. Das Verhältnis des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zur Regelzulassung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL a) Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durch den EuGH auf sog. „Altfälle“ In Bezug auf das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL wiederholt festgestellt haben die Luxemburger Richter, dass dem Anwendungsbe72 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, AEUV, Art. 267 Rn. 92; Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EUKommentar, AEUV, Art. 267 Rn. 72; Ehrike, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 267 Rn. 72. 73 Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 267 Rn. 72. 74 Gegen eine derartige Bindungswirkung aufgrund der fehlenden Vorlagepflicht unterinstanzlicher Gerichte etwa: Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo, EU-Kommentar, AEUV, Art. 267 Rn. 72; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, AEUV, Art. 267 Rn. 92. Im Ergebnis für eine Bindungswirkung aus Gründen der Prozessökonomie dagegen: Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 267 Rn. 72. 75 Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Praxis und Rechtsprechung, 1986, S. 66. 76 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, AEUV, Art. 267 Rn. 93; Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EUKommentar, AEUV, Art. 267 Rn. 72 sprechen hier von einer „tatsächlichen Bindungswirkung“. 77 Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 14. Aufl. 2021, § 9 Rn. 102; Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, AEUV, Art. 267 Rn. 72; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, AEUV, Art. 267 Rn. 93.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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reich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Ausführung solcher Projekte unterfällt, deren Zulassung nach nationalem Recht erfolgte, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie für das fragliche Gebiet anwendbar wurde.78 Solche Projekte unterliegen in diesem Fall zwar nicht den Vorgaben über eine ex-ante-Prüfung seiner Auswirkungen auf das betreffende Gebiet nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.79 Mit Aufnahme des betreffenden Gebiets in die von der Kommission festgelegte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFHRL unterfällt die Ausführung eines solchen Projekts indes der allgemeinen Schutzpflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.80 Entsprechendes soll selbst für den Fall gelten, dass die Genehmigungen für das noch durchzuführende Vorhaben vor dem Beitritt des jeweiligen Mitgliedstaats zur Europäischen Union erteilt wurden.81 Dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Anwendung der Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL auf nach nationalem Recht endgültig genehmigte Projekte in diesen Fällen nicht entgegensteht, stellte der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Papenburg ausdrücklich klar.82 Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebiete es insbesondere, dass eine Regelung, die nachteilige Folgen für Einzelne hat, klar und bestimmt und ihre Anwendung für die Einzelnen voraussehbar sein muss; bei der Habitatrichtlinie sei dies im Hinblick auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation der Fall gewesen.83 Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes sei festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine neue Vorschrift unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts gilt, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist, und dass der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht so weit erstreckt werden dürfe, dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter der Geltung der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten schlechthin ausgeschlossen ist.84 Dieser bislang vom Europäischen Gerichtshof – und in der Folge auch im natio78 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 48 f.; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 121; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 33 f.; Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU: C:2016:105, Rn. 41. 79 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 48. 80 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 49. 81 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU: C:2016:8, Rn. 51 f., 55. 82 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI: EU:C:2010:10, Rn. 44 ff. 83 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI: EU:C:2010:10, Rn. 45. 84 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 46.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

nalen Schrifttum85 und der nationalen Rechtsprechung86 – vornehmlich behandelte Problemkreis der sogenannte Altfälle betrifft den Umgang mit rechtlichen Veränderungen nach Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung; angesprochen ist hiermit insbesondere auch die Frage der unechten Rückwirkung bzw. tatbestandlichen Rückanknüpfung.87 Künftig von maßgeblicher Relevanz für den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wird die bislang vergleichsweise wenig beachtete und im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu behandelnde Frage erlangen, welche Bedeutung der Vorschrift im Hinblick auf Projekte zukommt, bei deren Zulassung die Regelungen des Art. 6 FFH-RL bereits Anwendung fanden. b) Das Urteil des EuGH in Sachen Herzmuschelfischerei: Kein Ausschluss der allgemeinen Vermeidungspflicht durch eine Zulassung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL Mit Projekten, deren Zulassung bereits den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterlag, war der Gerichtshofs in der Rechtssache Herzmuschelfischerei aus dem Jahre 2004 befasst. Zu dem Verhältnis der Absätze 2 und 3 von Art. 6 FFH-RL äußerte sich der Europäische Gerichtshof dort wie folgt:88 „Diese Bestimmung [Art. 6 Abs. 3 FFH-RL] führt somit ein Verfahren ein, das mit Hilfe einer vorherigen Prüfung gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die dieses jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie dieses Gebiet als solches nicht beeinträchtigen. Ist ein Plan oder ein Projekt nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie genehmigt worden, so wird damit, was den Einfluss dieses Planes oder Projektes auf das betreffende Schutzgebiet angeht, eine gleichzeitige Anwendung der allgemeinen Schutznorm Artikel 6 Absatz 2 überflüssig. Denn die nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie erteilte Genehmigung eines Planes oder Projektes setzt notwendigerweise voraus, dass befunden worden ist, dass der Plan oder das Projekt das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt und 85 Beier, NVwZ 2016, 575 (580); Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016 Anm. 1; Weuthen, NVwZ 2016, 1361 ff.; Stüer, DVBl 2010, 245 (246); Würtenberger, NuR 2010, 316 ff.; Gärditz, DVBl 2010, 247 (248 ff.); Stüer, DVBl 2010, 256 ff.; Glaser, EuZW 2010, 225 (226 f.); Albrecht/Gies, NuR 2014, 235; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 19 ff. 86 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1636); VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 53 ff. 87 Vgl. hierzu Frenz, UPR 2014, 88 (94 ff.). Unterschiedlich beurteilt wird hierbei, ob die punktuell zu den Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL getroffenen Erwägungen des Gerichtshofs der Verallgemeinerung zugänglich sind. Für eine Verallgemeinerungsfähigkeit: Gärditz, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 3. Aufl. 2014, § 35 Rn. 45; in diese Richtung auch: Kahl, NVwZ 2011, 449 (453). 88 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 34–36.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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daher auch nicht geeignet ist, Verschlechterungen oder erhebliche Störungen im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 hervorzurufen.“

Diese Ausführungen weisen zunächst in Richtung eines abschließenden Verständnisses des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL jedenfalls für solche Projekte, die das hierin vorgesehene Verfahren durchlaufen haben. Ergänzend zu den vorstehenden Ausführungen merkte der Gerichtshof jedoch an:89 „Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein solcher Plan oder ein solches Projekt später – auch wenn kein von den zuständigen nationalen Behörden zu vertretender Fehler vorliegt – als geeignet erweist, solche Verschlechterungen oder Störungen hervorzurufen. Unter diesen Umständen erlaubt es Artikel 6 Absatz 2 der Habitatrichtlinie, dem wesentlichen Ziel der Erhaltung und des Schutzes der Qualität der Umwelt einschließlich des Schutzes der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Sinne der ersten Begründungserwägung der Richtlinie zu entsprechen.“

Aus diesem ergänzenden Zusatz wird deutlich, dass der Gerichtshof auch Projekte, die unter Geltung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugelassen wurden, jedenfalls nicht gänzlich dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entzogen wissen will.90 Dieses Verständnis bestätigen auch nachfolgende Entscheidungen des Gerichtshofs. In diesen stellte er fest, dass im Falle einer nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung neben einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugleich ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorliegen kann, wenn Verschlechterungen eines Lebensraums oder Störungen von Arten, für die das fragliche Gebiet ausgewiesen wurde, erwiesen sind.91 Entsprechendes gilt für den Fall, dass ein Projekt ohne Durchführung einer erforderlichen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung zugelassen wurde; auch hier kann neben einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugleich ein Verstoß des Mitgliedstaats gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorliegen, sofern das Projekt geeignet ist, ein geschütztes Gebiet erheblich zu beeinträchtigen oder zu einer erheblichen Störung der dort geschützten Art zu führen.92 Einer Anwendung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lassen sich auch hier die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes jedenfalls nicht pauschal entgegenhalten. Zwar bezogen sich die Feststellungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Papenburg ausdrücklich allein auf den Fall nachträglicher Rechtsänderungen. Allerdings kann den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des 89 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 37. 90 Vgl. Gellermann, NuR 2004, 769 (770). 91 EuGH, Urt. v. 20.09.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C: 2007:532, Rn. 94; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 121. 92 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU: C:2016:847, Rn. 42.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Vertrauensschutzes in Bezug auf Projekte, bei deren Zulassung die habitatschutzrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits rechtliche Geltung beanspruchten, jedenfalls kein größeres Gewicht beigemessen werden, sodass hier dem Grunde nach nichts anderes gelten kann.93 2. Grundlegende Folgerungen für die Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unter Berücksichtigung seiner materiellen und verfahrensrechtlichen Komponente Aus der vorstehend angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL jedenfalls nicht im Sinne einer gegenüber Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abschließenden Spezialregelung für Tätigkeiten verstanden werden kann, die dem Projektbegriff unterfallen.94 Ferner lässt sich auf ihrer Grundlage das Verhältnis zwischen der projektspezifischen Regelung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zum allgemeinen Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL noch weiter präzisieren. Zu differenzieren ist hierbei zwischen den zwei Elementen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, seiner materiell-rechtlichen und seiner verfahrensrechtlichen Komponente: Zum einen schreibt Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einen allgemeinen materiellen Schutzstandard fest, nach dem in besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, dauerhaft zu vermeiden sind. Zum anderen begründet die Vorschrift eine Handlungsverpflichtung der Mitgliedstaaten, diesen Schutzstandard durch „geeignete Maßnahmen“ sicherzustellen. a) Gleich hohes materielles Schutzniveau zwischen Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL Kann sich nach Aussagen des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Herzmuschelfischerei auch ein nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugelassenes Projekt später als geeignet erweisen, nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevante Verschlechterungen oder Störungen hervorzurufen, folgt hieraus zunächst, dass die materiellen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, keine Verschlechterungen der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiet ausgewiesen worden sind, hervorzurufen, durch bestehende Ge93

Vgl. Lieber, NuR 2012, 665 (668). Kritisch hierzu: Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (96), dem zufolge aus der unterschiedlichen Formulierung der Vorschriften des Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL sowie der unterschiedlichen Adressaten folge, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL „durchaus als abschließende lex specialis auch in zeitlicher Hinsicht zu verstehe sein dürfte“. Dies werde durch die Auslegung der Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durch den EuGH umgangen. 94

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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nehmigungen nicht ausgeschlossen werden.95 Auch Projekte, die nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL behördlich zugelassen wurden, sind grundsätzlich am Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu messen. Das fehlende Bedürfnis einer gleichzeitigen Anwendung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL96 lässt auf das in der Folge wiederholt bestätigte Verständnis des Gerichtshofs schließen, nach dem die Vorschriften des Abs. 2 und Abs. 3 ein gleich hohes Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet sollen.97 Eine Tätigkeit steht folglich nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Ziele dieser Richtlinie, insbesondere deren Erhaltungsziele, erheblich beeinträchtigen kann.98 Ferner kann aufgrund desselben Schutzniveaus, das Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 FFH-RL gewährleisten sollen, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits dann vorliegen, wenn die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf einem geschützten Gebiet erhebliche Störungen für eine Art verursacht, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und der erheblichen Störung der geschützten Art nachgewiesen werden müsste.99 Entsprechendes gilt für die Prüfung des anderen Typs einer Beeinträchtigung i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der Verschlechterung von Habitaten.100 Denn auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 3

95 In diesem Sinne auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.06.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:425, Rn. 70. 96 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU: C:2004:482, Rn. 35. Diese Aussage wurde mehrfach bestätigt durch EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-418/04 (Kommission/Irland), ECLI:EU:C:2007:780, Rn. 250; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 122; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 33 f. 97 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 04.03.2010, Rs. C-241/08 (Kommission/Frankreich), ECLI:EU:C:2010:114, Rn. 30; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU: C:2011:768, Rn. 142; Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU: C:2013:220, Rn. 32; Urt. v. 15.05.2014, Rs. C-521/12 (Briels u. a.), ECLI:EU:C:2014: 330, Rn. 19; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 52. 98 EuGH, Urt. v. 04.03.2010, Rs. C-241/08 (Kommission/Frankreich), ECLI:EU: C:2010:114, Rn. 32; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 126. 99 EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 142; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 42. 100 Vgl. GAin Kokott, Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C-141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015:528, Rn. 85 f. und ferner Schlussanträge v. 28.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 39 f., die darauf hinweist, dass der Gerichtshof den Maßstab einer Wahrscheinlichkeit oder Gefahr nur angewandt habe, um erhebliche Störungen von Arten zu prüfen, jedoch kein Grund ersichtlich sei, ihn nicht auch bei der Prüfung des anderen Typs einer Beeinträchtigung i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL heranzuziehen; bestätigt wurde dies auch durch: EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 42 f.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

FFH-RL ist eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn ein derartiges Risiko besteht.101 Eine Zulassung des Projekts ist in diesem Fall – vorbehaltlich einer Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL – nur möglich, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solche Auswirkungen gibt.102 Auf die Frage, welche – potenziell weitreichenden – Konsequenzen sich für bestandskräftig zugelassene Projekte aus der Statuierung des gleichen materiellen Schutzstandards zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL im Einzelnen ergeben können, wird im Verlaufe der Untersuchung noch zurückzukommen sein.103 b) Dauerpflicht der Mitgliedstaaten zu geeigneten Vermeidungsmaßnahmen Den dargelegten materiellen Schutzstandard des allgemeinen Verschlechterungsverbots haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in verfahrensrechtlicher Hinsicht durch „geeignete Maßnahmen“ sicherzustellen. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL statuiert damit auch in Bezug auf projektbedingte Auswirkungen eine Dauerverpflichtung104 der Mitgliedstaaten geeignete Schutzmaßnahmen zur Vermeidung gebietsrelevanter Beeinträchtigungen zu ergreifen, von der sie selbst eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung nicht zu befreien vermag. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL führt demgegenüber für Pläne und Projekte ein „punktuelles, förmliches Kontrollverfahren mit 101 GAin Kokott, Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C-141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015, Rn. 86 und Schlussanträge v. 28.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 40. Vgl. zu dem Maßstab bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 43; Urt. v. 04.10.2007, Rs. C-179/06 (Kommission/Italien), EU:C:2007:578, Rn. 34; Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), ECLI:EU:C:2011:502, Rn. 41 sowie unter 2. Teil, A. II. 2. 102 EuGH, Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU:C:2013:220, Rn. 40. 103 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a). 104 Undeutlich ist insofern die Formulierung des Gerichtshofs in Sachen Herzmuschelfischerei, nach der es Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei Unvereinbarkeit eines nach nationalem Recht zugelassenen Projekts mit den materiellen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL „erlaubt“, dem wesentlichen Ziel der Erhaltung und des Schutzes der Qualität der Umwelt einschließlich des Schutzes der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im Sinne der ersten Begründungserwägung der Richtlinie zu entsprechen [siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 1. b)], hierauf hinweisend: Gellermann, NuR 2004, 769 (770). Dass der Gerichtshof die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bestehende Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten durch diese von ihm gewählte Formulierung nicht in Frage stellt, wird bereits an einer anderer Stelle des genannten Urteils deutlich, der zufolge Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine „allgemeine Schutzpflicht“ festlegt, die darin besteht, Verschlechterungen und Störungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten [EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 38].

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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Präventionswirkung“105 ein, mit dem das gleiche materiell-rechtliche Schutzniveau wie im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sichergestellt werden soll. Während die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL jederzeit gelten, kommen die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erst dann zum Tragen, wenn ein Plan oder ein Projekt beantragt wird, der bzw. das erhebliche Auswirkungen auf ein Gebiet haben könnte.106 Wie seitens der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache Herzmuschelfischerei festgestellt, schafft die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL damit vor allem ein Genehmigungsverfahren, das die Gelegenheit nutzt, vor dem Eintritt einer möglichen Beeinträchtigung von Schutzgebieten die Auswirkungen eines Planes oder eines Projekts anhand der Erhaltungsziele des betroffenen Schutzgebiets zu bewerten.107 Eine Vorabkontrolle in diesem Sinne läuft der Anwendung der allgemeinen Schutznorm des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf zugelassene Projekte nicht zuwider.108 Die Regelung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL konkretisiert für Pläne und Projekte lediglich für die Phase des Zulassungsverfahrens, worin in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine „geeignete Maßnahme“ des Mitgliedstaats besteht. Sie verdrängt die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie weder vollständig noch dauerhaft; außerhalb des beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie – mithin im Zeitraum nach Abschluss des Zulassungsverfahrens nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL – greift die allgemeine, permanent wirkende Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie auch gegenüber solchen Störungen und Veränderungen, die durch die Ausführung bereits zugelassener Projekte entstehen.109 3. Das Verhältnis des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zur Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL In Bezug auf die Reichweite des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 2 FFHRL stellt sich darüber hinaus die Frage nach dem Verhältnis dieser Vorschrift zu der Regelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Fraglich ist, ob auch Projekte, die trotz ihrer nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL festgestellten Gebietsunverträglichkeit im Wege einer Ausnahme nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wur105

Albrecht/Gies, NuR 2014, 235 (243). Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/11 v. 25.01.2019, S. 23. 107 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 55. 108 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 55. 109 Siehe GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 54. Kritisch bzgl. einer Dauerpflicht nach Zulassung von Projekten und Plänen, zumal hierdurch das durch Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL etablierte einheitliche Systems des Umgangs mit Plänen und Projekten künstlich aufgesplittet werde: Gellermann, NuR 2004, 769 (770). 106

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

den, der Vermeidungspflicht des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterfallen. Die Generalanwältin Kokott vertrat in ihren Schlussanträgen zur Rechtssache Herzmuschelfischerei diesbezüglich die Auffassung, dass eine fortbestehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten gegenüber derartigen Projekten der Ausnahmegenehmigung jede praktische Wirksamkeit nehmen würde.110 Die Mitgliedstaaten wären bei einem solchen Verständnis regelmäßig verpflichtet, diese Pläne und Projekte zu verhindern, da diese zu einer Verschlechterung von Schutzgebieten führen würden.111 Pläne und Projekte, die aufgrund ihrer Unverträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines betroffenen Gebiets nur im Wege der Ausnahmeerteilung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL genehmigt werden konnten, sollen daher nicht unter die Dauerverpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL fallen.112 In der nationalen Literatur113 sowie Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts114 fand dieses abschließende Verständnis der projektbezogenen Ausnahmeregelung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Zustimmung. Ob Projekte, die im Wege einer Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden, generell dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entzogen werden können, erscheint jedoch fraglich. Denn dem Europäischen Gerichtshof zufolge stellt die Vorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL lediglich eine Ausnahmevorschrift zu Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL dar.115 Dies spricht dafür, dass die fortlaufende Verpflichtung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich auch gegenüber Projekten besteht, die trotz der (potenziellen) Beeinträchtigung von Schutzgebieten im Wege einer Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden.116 Gegenteiliges lässt sich – entgegen teilweise vertretener Ansicht – auch nicht den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Alto Sil entnehmen.117 Der Gerichtshof äußerte sich zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL dort wie folgt: 110 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 50. 111 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 50. 112 GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 50. 113 Gellermann, NuR 2004, 769 (770); Louis, NuR 2012, 385 (390); Beier, NVwZ 2016, 575 (577). 114 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, juris Rn. 32. 115 EuGH, Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetmann u. a.), ECLI:EU:C:2013:220 Rn. 32; Urt. v. 15.05.2014, Rs. C-521/12 (Briels u. a.), ECLI:EU:C:2014:330, Rn. 19. 116 In diesem Sinne wohl auch GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 65. 117 Hierauf verweisen Beier, NVwZ 2016, 575 (577) sowie VG Bremen, Urt. v. 07.02.2019 – 5 K 2621/15, ZUR 2019, 494 (497). Vgl. auch Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 34 Rn. 139, § 33 Rn. 21.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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„Sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt, kann deren Anwendung zur Folge haben, dass Tätigkeiten genehmigt werden, die [. . .] nicht mehr unter Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie fallen können.“118

Bei einer isolierten Betrachtung dieser Aussage könnte in der Tat die Schlussfolgerung der Gegenauffassung nahe liegen, dass gegenüber Projekten, die im Wege einer Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden, keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bestehen kann. Eine dahingehende Interpretation würde indes verkennen, dass die angeführte Äußerung seitens des Gerichtshofs nicht im Zusammenhang mit der Frage getroffen wurde, ob nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassene Projekte dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterfallen. Vielmehr bezog sich die Aussage des Gerichtshofs auf die – hiernach zu bejahende – Frage, ob von der Dauerverpflichtung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL eine Ausnahme zulässig ist.119 Die Äußerungen des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Alto Sil dürfen mithin nicht dahingehend missverstanden werden, dass Auswirkungen von Projekten, die über Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden, generell nicht mehr dem Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterfallen sollen. Vorzugswürdig erscheint in Bezug auf das Verhältnis des Art. 6 Abs. 4 FFHRL zur allgemeinen Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine differenzierte Betrachtung,120 die sowohl der Bedeutung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL als Ausnahmeregelung als auch dem Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als fortlaufende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines gleichen Schutzniveaus wie im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL hinreichend Rechnung trägt: Wenngleich sich die Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich auch auf Projekte bezieht, die über eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden, kann dies einerseits nicht bedeuten, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verpflichtet wären, Vermei118 EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 154. 119 Dies ergibt sich jedenfalls eindeutig aus der Rn. 156 des Urteils, in der es heißt: „Bezüglich dieser Projekte ist nicht auszuschließen, dass ein Mitgliedstaat entsprechend der in Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung in einem nationalrechtlichen Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung eines dem Interesse an der Erhaltung eines Gebiets möglicherweise erheblich zuwiderlaufenden Plans oder Projekts einen Grund des öffentlichen Interesses geltend macht und – sofern die nach dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen im Wesentlichen erfüllt sind – eine Tätigkeit genehmigen kann, die anschließend nicht mehr nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie verboten wäre.“ Bestätigt wird dies auch durch EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 55, wo ausdrücklich auf EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 156 verwiesen wird. 120 So auch Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

dungsmaßnahmen gegenüber solchen projektbedingten Verschlechterungen und Störungen zu treffen, die bereits Gegenstand der vorangegangenen Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und damit auch der Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL waren.121 Dies würde der Regelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL in der Tat jeder praktischen Wirksamkeit berauben.122 Dass den Mitgliedstaat bezüglich solcher projektbedingten Auswirkungen im Ergebnis keine Vermeidungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL trifft, lässt sich auch hier mit dem gleichen Schutzniveau begründen,123 das mit Art. 6 Abs. 2 und 3 FFHRL für natürliche Lebensräume und Habitate gewährleistet werden soll. Hieraus folgt zum einen, dass die Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL denen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu entsprechen haben; zum anderen können sie jedoch auch nicht über die des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL hinausgehen.124 Dem entspricht es, dass sich der Mitgliedstaat nach bereits angeführter Rechtsprechung des Gerichtshofs – jedenfalls in Bezug auf projektbedingte Auswirkungen – auch im Hinblick auf seine allgemeine Schutzverpflichtung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berufen kann.125 Wurden im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführten Verträglichkeitsprüfung erhebliche Gebietsbeeinträchtigungen ermittelt und wurde unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL eine Ausnahme von dem grundsätzlich bestehenden Zulassungsverbot nach Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL zugelassen, erübrigen sich spätere Maßnahmen auf Grundlage der allgemeinen Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL daher regelmäßig, vorausgesetzt die Ausnahmevoraussetzungen liegen noch vor.126 Aufgrund desselben materiellen Schutzniveaus wäre das Vorliegen einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung zwar auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anzunehmen; der Mitgliedstaat wäre aber auch hier in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL von seiner Vermeidungspflicht befreit. Auf der anderen Seite kann die Ausnahmegenehmigung jedoch auch kein „Freifahrtschein“ für gebietsunverträgliches Handeln sein.127 Zu berücksichtigen 121

Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21. 123 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 04.03.2010, Rs. C-24/08 (Kommission/Frankreich), ECLI:EU:C:2010:114, Rn. 30; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C: 2011:768, Rn. 142; Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU:C: 2013:220, Rn. 32; Urt. v. 15.05.2014, Rs. C-521/12 (Briels u. a.), Rn. 19; Urt. v. 14.01. 2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 52. 124 Würtenberger, NuR 2010, 316 (319). 125 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 55–58, 71; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C: 2011:768, Rn. 156 f. 126 In diesem Sinne auch Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21. 127 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 21, der den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in diesem Zusammenhang jedoch lediglich „wieder aufleben“ lassen will, wenn bei der Realisierung bzw. dem späteren Betrieb der Rahmen 122

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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ist in diesem Zusammenhang, dass die für eine Ausnahmeerteilung erforderliche Prüfung etwaiger zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses sowie die Frage, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, stets eine Abwägung mit den konkreten, im Rahmen der vorausgegangenen Verträglichkeitsprüfung ermittelten Beeinträchtigungen erfordert, die für das Gebiet durch den vorgesehenen Plan oder das vorgesehene Projekt entstünden.128 Darüber hinaus bestimmen sich auch die zu treffenden Ausgleichsmaßnahmen nach dem Umfang der konkreten Beeinträchtigungen.129 Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann daher auch nur zur Anwendung kommen, nachdem die Auswirkungen eines Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ermittelt wurden.130 Folglich kann sich eine nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erteilte Ausnahme nicht auf solche (potenziell) erheblichen Beeinträchtigungen erstrecken, die nicht Gegenstand der durchgeführten Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL waren. In Bezug auf solche Beeinträchtigungen trifft den Mitgliedstaat daher eine Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wobei hiervon wiederum eine Ausnahmemöglichkeit in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL besteht. Bezieht sich die Ausnahmeentscheidung von vornherein nur auf die im Rahmen der vorausgehenden Verträglichkeitsprüfung ermittelten konkreten Gebietsbeeinträchtigungen, wird auch die praktische Wirksamkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL durch die Annahme einer Vermeidungspflicht nicht tangiert. Auf die Frage, in welchen Fällen sich im Rahmen der Projektausführung Beeinträchtigungen ergeben können, die nicht Gegenstand der vorangegangenen Verträglichkeitsprüfung und damit Ausnahmeentscheidung waren, wird noch gesondert einzugehen sein.131 Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass – entsprechend den Ausführungen betreffend das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL – von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht erfasste Beeinträchtigungen nicht nur in Fällen fehlerhaft übersehener Auswirkungen, sondern auch in Fällen einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechenden Verträglichkeitsprüfung denkbar sind. 4. Zwischenfazit Festzuhalten ist, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich auch auf die Auswirkungen von Projekten erstreckt, die im Regelder Genehmigung verlassen wird oder die Ausnahmevoraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht mehr vorliegen. 128 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.11.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU: C:2007:532, Rn. 83; Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a.), ECLI:EU:C:2012:560, Rn. 114. 129 EuGH, Urt. v. 20.11.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C: 2007:532, Rn. 83; Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI: EU:C:2016:10, Rn. 57. 130 EuGH, Urt. v. 20.11.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C: 2007:532, Rn. 83. 131 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (3).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

verfahren nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL oder im Ausnahmeverfahren nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden. Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL stellen keine abschließenden Spezialregelungen für projektbedingte Auswirkungen dar, sondern verdrängen Art 6 Abs. 2 FFH-RL als leges speciales lediglich in verfahrensrechtlicher Hinsicht für den Zeitraum der Projektzulassung; im Übrigen bleibt die Dauerpflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unberührt. Durch die Vermeidungspflicht des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL soll fortlaufend das gleiche Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet werden wie durch Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Zulassungszeitpunkt. Die Mitgliedstaaten haben dies durch geeignete Vermeidungsmaßnahmen sicherzustellen. Aus Bestandsschutzgesichtspunkten verbleibt für den Projektträger hiernach insbesondere die Frage, unter welchen Umständen es trotz Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG im nachfolgenden Projektvollzug zu Konflikten mit dem Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kommen kann, ferner, welche Beschränkungen des zugelassenen Bestandes ihm infolgedessen konkret drohen. Einer weitergehenden Untersuchung bedürfen in diesem Zusammenhang die aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erwachsenden konkreten Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats.

II. Konkretisierung der projektbezogenen Handlungsverpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in der Rechtsprechung des EuGH Während vor dem Hintergrund der bereits dargelegten EuGH-Rechtsprechung der Anwendungsbereich des allgemeinen Verschlechterungsverbots nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unzweifelhaft auch auf die Auswirkungen zugelassener Projekte zu erstrecken ist, bleibt bislang weitestgehend unklar, welche konkreten Maßnahmen der Mitgliedstaat diesbezüglich in Erfüllung seiner aus Art. 6 Abs. 2 FFHRL erwachsenden Schutzverpflichtung zu ergreifen hat. Während Art. 6 Abs. 3 FFH-RL mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung ein Verfahren einführt, das für den Bereich der Projektzulassung die durch die Mitgliedstaaten zu treffenden „geeigneten Maßnahmen“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL konkretisiert, fehlt es im Übrigen an derart spezifischen Verfahrensvorgaben. Mit der Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen ist zwar ein Zielbündel benannt, aber kein spezifischer instrumenteller Handlungsrahmen vorgegeben.132 Der Mitgliedstaat hat als Adressat dieser noch zu operationalisierenden Verpflichtung die zur Zielerreichung geeigneten Instrumente zu entwickeln.133 Für die Reichweite des Bestandsschutzes des Projektträgers ist eine nähere Bestimmung der aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL resultierenden Schutzverpflichtungen des Mitgliedstaat von maßgeblicher Bedeutung; denn allein aus 132 133

Wolf, ZUR 2005, 449 (456). Wolf, ZUR 2005, 449 (456).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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dem Umstand, dass die Auswirkungen eines zugelassenen Projekts der Vermeidungspflicht des Mitgliedstaats nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterfallen, ergibt sich noch nicht zwangsläufig das Erfordernis nach unmittelbar projektbezogenen und damit potenziell bestandsschutzbeschränkenden Maßnahmen.134 1. Das Urteil des EuGH in Sachen Waldschlößchenbrücke Eine entscheidende – wenngleich bei Weitem nicht abschließende – inhaltliche Konkretisierung hat die Regelung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Bezug auf die Auswirkungen zugelassener Projekte in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Dresdner Waldschlößchenbrücke erfahren.135 Gegenstand dieses Vorlageverfahrens war die Waldschlößchenbrücke im Innenstadtgebiet von Dresden, deren Bau durch einen sofort vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss genehmigt worden war, bevor die Schutzregelungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL durch Aufnahme des betreffenden Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung anwendbar wurden.136 Die Arbeiten zum Bau der Brücke begannen dagegen erst nach Aufnahme des betreffenden Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung unter Ausnutzung der sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses.137 Während der Bauzeit wurden FFH-Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt und infolge eines Abweichungsverfahren nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Ausnahmen erteilt; den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL wurde dabei jedoch nicht entsprochen.138 Der Gerichtshof sah sich hier auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts139 mit der Frage befasst, inwiefern sich aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL das Erfordernis zur nachträglichen Überprüfung der Gebietsverträglichkeit eines nach nationalem Recht genehmigten und ausgeführten Projekts ergeben kann und – im Falle der Annahme einer derartigen Prüfungspflicht – welche Anforderungen an eine derartige Prüfung zu stellen sind. Unmittelbar betraf das Vorlageverfahren mithin die verfahrensrechtliche Komponente des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL; die hierzu ergangenen Aussagen des Gerichtshofs lassen darüber hinaus jedoch auch weitergehende Rückschlüsse auf den materiellen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und damit die Frage zu, wann sich ein zugelassenes Projekt nach seiner Zulassung als gebietsunverträglich erweisen kann. 134

Siehe hierzu näher unter 2. Teil, B. IV. 2. a) bb). EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10. 136 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 17 ff., 32 f. 137 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 17 ff., 34. 138 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 19. 139 BVerwG, EuGH-Vorlagebeschl. v. 06.03.2014 – 9 C 6/12, juris. 135

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a) Die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung als „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Bereits zuvor, in der Rechtssache Gibraltar, hatte der Gerichtshof in Bezug auf Projekte, die den sich aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ergebenden Anforderungen nicht genügen, festgestellt, dass eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestehende Pläne oder Projekte nachträglich auf ihre Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet zu prüfen, auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gestützt werden kann;140 auf Details ging er hierbei jedoch nicht ein. In dem Vorlageverfahren in Sachen Waldschlößchenbrücke stellten die Luxemburger Richter nunmehr klar, dass eine derartige Verpflichtung nicht absolut bestehen kann, da die Wendung „geeignete Maßnahmen“ in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ein Ermessen der Mitgliedstaaten bei Anwendung der Bestimmung impliziere.141 In systematischer Hinsicht verwies der Gerichtshof ferner auf die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, die seinem Wortlaut nach ein konkretes Verfahren einführt, das durch eine vorherige Prüfung gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, dieses jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie dieses Gebiet als solches nicht beeinträchtigen.142 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sehe demgegenüber konkrete Schutzmaßnahmen wie eine Verpflichtung zur Prüfung oder erneuten Prüfung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts auf die natürlichen Lebensräume und Arten nicht ausdrücklich vor,143 sondern lege eine laufende allgemeine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten fest, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Verschlechterung sowie Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken können, zu vermeiden.144 140 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 58. Der EuGH hatte dabei britische Regelungen im Blick, die vor allem für Altgenehmigungen gedacht waren. Die Europäische Kommission beanstandete das Fehlen entsprechender Überprüfungsmöglichkeiten in Gibraltar. Der EuGH wies diesen Vorwurf zurück, da eine Verpflichtung zur nachträglichen Überprüfung von Genehmigungen jedenfalls nicht – wie von der Kommission vorgetragen – aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL abgeleitet werden könne. Gleichwohl stellte er in diesem Rahmen fest, dass eine Verpflichtung zur nachträglichen Prüfung auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gestützt werden kann. Vgl. auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 09.06.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C: 2005:372, Rn. 55. Baum, NuR 2006, 145 (149) hielt es infolge dieses Urteils des EuGH noch für fragwürdig, ob Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Mitgliedstaaten zur Überprüfung bestandskräftiger Genehmigungen verpflichtet. 141 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 39 f. 142 Vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU:C:2013:220, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung. 143 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 36. 144 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 37 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herz-

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Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung zeigte der Gerichtshof sodann jedoch auch die Grenzen auf, die sich aus dem materiellen Schutzanspruch des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL145 für das Ermessen der Mitgliedstaaten ergeben. Nach Auffassung des Gerichtshofs kann die Ausführung eines Projekts, das das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen könnte und vor seiner Genehmigung keiner den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden Prüfung unterzogen wurde, nach der Aufnahme dieses Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nur dann fortgesetzt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten, ausgeschlossen ist.146 Denn eine Tätigkeit stehe nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, wenn gewährleistet sei, dass sie keine Störung verursacht, die die Ziele der Richtlinie, insbesondere die mit ihr verfolgten Erhaltungsziele, erheblich beeinträchtigen kann.147 Ferner könne ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits dann vorliegen, wenn die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr besteht, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit erhebliche Störungen für eine Art verursacht, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und der erheblichen Störung der geschützten Art nachgewiesen werden müsste.148 Wenn eine solche Wahrscheinlichkeit oder Gefahr auftreten kann, weil ein Plan oder Projekt nicht unter dem Gesichtspunkt einer „geeigneten Maßnahme“ i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf der Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse einer nachträglichen Prüfung auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet unterzogen wurde, konkretisiere sich die allgemeine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in eine Pflicht zur Durchführung dieser Prüfung.149 Die Beurteilung der Frage, ob die neue Prüfung des Vorhabens die einzige geeignete Maßnahme i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL darstelle, um die Gefahr einer Beeinträchtigung oder Stö-

muschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 38; Urt. v. 20.09.2007, Rs. C304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2007:532, Rn. 92; Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU:C:2013:220, Rn. 33 und GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 43. 145 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 2. a). 146 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 43. 147 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 41 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 126 und die dort angeführte Rspr. 148 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 42, unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 142 und die dort angeführte Rspr. 149 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 44.

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rung auszuräumen, sah der Gerichtshof dabei als Sache des nationalen Gerichts an.150 b) Inhaltliche Anforderungen an die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung In Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen an eine nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung stellte der Gerichtshof fest, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 3 FFH-RL kein besonderes Kriterium zur Durchführung der auf der Grundlage dieser Bestimmung zu erlassenden Maßnahmen enthalte.151 Dass eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Prüfung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Ergebnis gleichwohl den strengen Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie zu entsprechen hat,152 stützte der Gerichtshof maßgeblich auf die in seiner Rechtsprechung mehrfach hervorgehobene Überzeugung,153 nach der die Bestimmungen von Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL am Maßstab der mit der Richtlinie verfolgten Erhaltungsziele als ein zusammenhängender Normenkomplex auszulegen sind und mit ihnen das gleiche Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet werden soll.154 Wenn Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine Verpflichtung begründe, eine nachträgliche Prüfung eines Plans oder Projekts auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet vorzunehmen, müsse eine solche Prüfung die zuständige Behörde mithin in die Lage versetzen, sicherzustellen, dass die Ausführung dieses Plans oder Projekts nicht zu einer Verschlechterung oder zu Störungen führt, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.155 Die Prüfung müsse detailliert aufzeigen, welche Risiken einer Verschlechterung oder von Störungen, die sich im Sinne dieser Bestimmung erheblich auswirken könnten, mit der Ausführung des betreffenden Plans oder Projekts verbunden sind und den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechen.156 Für die Übertragbarkeit der Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung spricht 150 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 45. 151 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 51. 152 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 54. 153 Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. I. 2. a). 154 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 52 ff. 155 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 53. 156 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 2016:10, Rn. 54.

(Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:

(Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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nach Auffassung des Gerichtshofs ferner die analoge Anwendbarkeit der Ausnahmemöglichkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf Pläne bzw. Projekte, die ansonsten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verboten wären.157 Der Gerichtshof stellte in diesem Zusammenhang darauf ab, dass eine Ausnahmeerteilung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL die Prüfung der Auswirkungen des Plan oder Projekts nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zwingend voraussetzt, da andernfalls die Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung nicht geprüft werden können.158 c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung Was den maßgeblichen Zeitpunkt für eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL notwendig gewordene, nachträgliche Verträglichkeitsprüfung angeht, ist Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dem Europäischen Gerichtshof zufolge dahingehend auszulegen, dass alle zum Zeitpunkt der Aufnahme dieses Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorliegenden Umstände sowie alle danach durch die teilweise oder vollständige Ausführung dieses Plans oder Projekts eingetretenen oder möglicherweise eintretenden Auswirkungen auf das Gebiet zu berücksichtigen sind.159 Zum einen sei gemäß Art. 4 Abs. 5 FFH-RL ein Gebiet nach dieser Richtlinie erst ab dem Zeitpunkt geschützt, zu dem es in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen worden ist.160 Daher könne sich eine auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL getroffene Maßnahme nicht auf einen Zeitpunkt beziehen, der vor der Aufnahme des betreffenden Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung liegt.161 157 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 55 f. Diesem zweiten Begründungsstrang des Gerichtshofs lediglich eine „Hilfsfunktion“ zusprechend: Mayer, EurUP 2016, 151 (157). 158 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 57; Urt. v. 15.05.2014, Rs. C-521/12 (Briels u. a.), EU:C:2014:330, Rn. 36; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:201:768, Rn. 109. Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. I. 3. 159 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 58 ff.; im Anschluss hieran: BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1637) Rn. 42 f. 160 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 58. Der Übergang von dem (strengeren) Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 S. 1 VRL in das Schutzregime der FFH-Richtlinie nach Art. 7 FFH-RL setzt eine endgültige rechtsverbindliche, außenwirksame Erklärung eines Gebiets zum besonderen Schutzgebiet (Vogelschutzgebiet) voraus. Vgl. hierzu Stüer, in: Stüer/Probstfeld, Die Planfeststellung, 2. Aufl. 2016, Rn. 642. 161 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 59. Die Hervorhebung des Ausgangszustands resultiert daraus, dass das verfahrensgegenständliche Projekt nach nationalem Recht zugelassen worden war, bevor die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL infolge der Aufnahme des betreffenden Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung anwendbar wurden.

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Zum anderen würde das Ziel des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur unvollständig erreicht, wenn eine auf Grundlage des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL getroffene „geeignete Maßnahme“ auf einem Erhaltungszustand der Lebensräume und Arten beruhen würde, der Gesichtspunkte außer Acht lässt oder verschleiert, die nach dem Zeitpunkt der Aufnahme des betreffenden Gebiets in diese Liste eine Verschlechterung oder erhebliche Störungen herbeigeführt haben oder weiterhin herbeiführen können.162 d) Keine Veränderung des Prüfungsmaßstabs durch Ausführung aufgrund sofort vollziehbarer Zulassung Die Anforderungen an die nachträgliche Prüfung können nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs auch nicht allein deshalb verändert werden, weil das jeweilige Vorhaben gemäß einer nach nationalem Recht sofort vollziehbaren Genehmigungsentscheidung errichtet worden ist oder weil ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verhinderung des Beginns der genehmigten Arbeiten unanfechtbar erfolglos geblieben ist.163 Bei der neuen Prüfung eines bereits ausgeführten Plans oder Projekts auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet müsse der Fall berücksichtigt werden, dass sich Risiken einer Verschlechterung oder von Störungen, die sich im Sinne von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erheblich auswirken könnten, wegen der Errichtung des fraglichen Bauwerks bereits realisiert haben.164 Zudem müsse diese Prüfung ermitteln, ob durch den weiteren Betrieb des Bauwerks solche Risiken drohen.165 Unter Verweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston166 stellte der Gerichtshof fest, dass es „unter Berücksichtigung des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, wie es im ersten Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie angeführt wird, [. . .] deren praktische Wirksamkeit beeinträchtigt [würde], wenn interne Verfahrensregeln als Begründung dafür herangezogen werden könnten, dass die Anforderungen dieser Richtlinie nicht eingehalten werden müssten.“167

Im Falle eines negativen Ergebnisses der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung verbleibe dem Mitgliedstaat die Möglichkeit einer analogen Anwendung 162 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 60. 163 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 68. 164 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 70. 165 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 70. Im Anschluss hieran: BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1639). 166 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 64. 167 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 69.

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des Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie.168 Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sei nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs als Ausnahme von dem in Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL festgelegten Genehmigungskriterium eng auszulegen.169 In Bezug auf die Prüfung der Alternativlösungen im Rahmen einer analogen Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sei festzustellen, dass bei der Suche nach einer Alternative weder eine etwaige Verschlechterung und Störungen, die durch den Bau und die Inbetriebnahme des fraglichen Bauwerks hervorgerufen werden, noch etwaige Vorteile, die dieses mit sich bringt, außer Acht gelassen werden dürfen.170 Die Alternativenprüfung verlange mithin, dass die ökologischen Folgen des Fortbestands oder die Begrenzung der Nutzung des fraglichen Bauwerks einschließlich seiner Schließung, ja sogar seines Abrisses, auf der einen und die überwiegenden öffentlichen Interessen, die zu seiner Errichtung geführt haben, auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen werden.171 Zu den Maßnahmen einschließlich der Möglichkeit des Abrisses eines Bauwerks wie des im Ausgangsverfahren fraglichen, die im Rahmen der Alternativenprüfung berücksichtigt werden können, sei festzustellen, dass eine Maßnahme, die zu einer Verschlechterung oder zu Störungen, die sich i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erheblich auswirken könnten, führen könnte, dem Ziel dieser Bestimmung zuwiderliefe und nicht als eine Alternativlösung i. S. v. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL angesehen werden könnte.172 Führe eine Abwägung der Interessen und der Prioritäten zu dem Schluss, dass das bereits errichtete Bauwerk abzureißen ist, falle ein Rückbauvorhaben ebenso wie das ursprüngliche Bauvorhaben unter die „Pläne und Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch i. S. v. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erheblich beeinträchtigen könnten“ und sei damit der danach erforderlichen Prüfung zu unterziehen, bevor es durchgeführt werden kann.173

168 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 55, 71. 169 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 73; Urt. v. 16.02.2012, Rs. C-182/10, ECLI:EU:C:2012:82 (Solvay u. a.), Rn. 73; Urt. v. 20.09.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:2007:532, Rn. 82. 170 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 74. 171 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 74. 172 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 75. 173 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 76 unter Verweis auf GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-299/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 69.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Zu den wirtschaftlichen Kosten der Maßnahmen einschließlich des Abrisses des bereits errichteten Bauwerks, die im Rahmen der Alternativenprüfung berücksichtigt werden können, sei festzustellen, dass diesen Kosten nicht die gleiche Bedeutung zukommt wie dem mit der Habitatrichtlinie verfolgten Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.174 Unter Berücksichtigung der engen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL könne somit nicht zugelassen werden, dass bei der Wahl von Alternativlösungen allein auf die wirtschaftlichen Kosten solche Maßnahmen abgestellt wird.175 2. Folgen des Waldschlößchenbrücken-Urteils für den Bestandsschutz zugelassener Projekte Mit seinem Urteil zur Waldschlößchenbrücke hat der Gerichtshof aufbauend auf seine bisherige Auslegungspraxis das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung als eine „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL konkretisiert. Wenngleich die diesbezüglich getroffenen Aussagen des Gerichtshofs nur in Richtung einer weitergehenden Stärkung des unionsrechtlichen Gebietsschutzes zu Lasten der Interessen von Projektträgern und Investoren bewertet werden können,176 bestehen aktuell hinsichtlich des konkreten Umfangs der sich aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergebenden Bestandsschutzbeschränkungen auch – bzw. gerade – infolge dieser Rechtsprechung nach wie vor erhebliche Unsicherheiten. Begründet liegen diese vor allem auch darin, dass die Feststellungen des Gerichtshofs – wie bei Vorabentscheidungsgesuchen üblich – maßgeblich durch den Vorlagegegenstand geprägt sind. Dieser betraf mit der Situation einer Gebietslistung nach Projektgenehmigung, aber vor Baubeginn und einer sofort vollziehbaren Zulassungsentscheidung, der keine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde lag, einen Sonderfall.177 Aufgeworfen ist damit insbesondere die Frage, inwieweit die im Waldschlößchenbrücken-Urteil zum Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung getroffenen Aussagen auch gegenüber bestandskräftig zugelassenen und insbesondere auch gegenüber solchen Projekten Geltung beanspruchen können, die vor ihrer Zulassung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFHRL entsprechenden Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung unterzogen wurden.

174 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 77. 175 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 77. 176 Storost, UPR 2016, 147 (149); Mayer, EurUP 2016, 151 (159); Beier, NVwZ 2016, 575 (580); Appel, NuR 2020, 663 (667). 177 Dies hervorhebend: Bick, jurisPR-BVerwG 24/2016 Anm. 5, D; Mayer, EurUP 2016, 151 (159); Appel, NuR 2020, 663 (667); Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (95).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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a) Statuierung eines dynamischen materiellen Schutzstandards nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Potenzial zu weitgehenden Beschränkungen des Bestandsschutzes bergen vor allem die Aussagen des Gerichtshofs zu Prüfungsinhalt und Prüfungszeitpunkt einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung. In ihnen kommen allgemeinere Vorstellungen des nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL zu gewährleistenden Schutzstandards zum Ausdruck,178 die im Falle ihrer konsequenten Fortführung eine weit über den konkreten Verfahrensgegenstand hinausreichende Relevanz des Instruments der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nahelegen. aa) Verallgemeinerungsfähige Aussagen des EuGH zu Prüfungsmaßstab und -zeitpunkt Dass eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Prüfung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts – einschließlich der entsprechenden Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL – den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 FFHRL zu genügen hat, folgt maßgeblich aus dem gleichen Schutzniveau, das durch Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet werden soll.179 Was den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung angeht, stellt der Gerichtshof mit der Maßgeblichkeit der Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung als Ausgangspunkt der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung180 klar, dass die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung oder von Störungen des betreffenden Gebiets nicht anhand eines (unrealistischen) Idealzustands der Natur zu bewerten ist, sondern die zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Einwirkungen auf das Gebiet, wie etwa aus der Industrie, dem Verkehr oder auch durch sogenannte Altprojekte, zu berücksichtigen sind.181 Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dient allein der Erhaltung des zum Zeitpunkt der Gebietslistung vorhandenen status quo, wohingegen möglicherweise bereits vorhandene Vorbelastun-

178 Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (95). 179 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 1. b). 180 Vgl. zu den praktischen Schwierigkeiten, denen die Ermittlung des Ausgangszustands von Natura 2000-Gebieten wegen der im Zeitpunkt der Unterschutzstellung vielfach fehlenden oder lückenhaften Datenbasis und der primär nicht auf den Erhaltungszustand, sondern die Meldewürdigkeit des Gebiets gerichteten Angaben in den Meldeunterlagen begegnet: BVerwG, Urt. v. 15.05.2019 – 7 C 27/17, NVwZ 2019, 1601 (1607); Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). 181 Beier, NVwZ 2016, 575 (579).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

gen des Gebiets, die sich ungünstig auf die Lebensräume auswirken, vom Verschlechterungsverbot von vornherein nicht erfasst werden.182 Im Übrigen ist für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen Verträglichkeitsprüfung maßgeblich auf den aktuellen Zeitpunkt der nachträglichen Prüfung selbst abzustellen,183 und nicht etwa auf Zeitpunkt des Beginns der Anwendbarkeit der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL184 oder den Zulassungszeitpunkt des Projekts. Mit dieser Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL schloss sich der Gerichtshof der Generalanwältin Sharpston an,185 die in ihren Schlussanträgen für die Frage nach dem für eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung maßgeblichen Prüfungszeitpunkt überzeugenderweise auf den Charakter der Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Pflicht zur laufenden Überwachung des betreffenden Gebiets abgestellt hatte.186 Geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Verschlechterung der Lebensräume und der Störung von Arten können demnach nur Maßnahmen sein, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses im Lichte dieser laufenden Überwachung geeignet sind.187 Das In182 Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (86), Fn. 42; Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 72; Erbguth/ Schubert, DVBl 2006, 591 (596 f.). Für sog. Altfälle, die wie im Falle der Waldschlößchenbrücke vor Anwendbarkeit der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL rechtsfehlerfrei ohne Verträglichkeitsprüfung zugelassen werden durften, dürfte die Maßgeblichkeit des Ausgangszustands bei der nachträglichen Beurteilung der Gebietsverträglichkeit des Vorhabens jedenfalls einen gewissen Bestandsschutz dadurch vermitteln, dass sich bereits bestehende Pläne und Projekte auf die zeitlich nachfolgend ausgewiesenen Schutzgebiete ausgewirkt und den Erhaltungszustand der Lebensräume mitbestimmt haben. Sie sind daher bereits im Prozess der Gebietsausweisung entsprechend berücksichtigt worden, sodass eine Gebietsunverträglichkeit und damit Überprüfungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lediglich in Fällen anzunehmen sein dürfte, in denen die projektbedingten Auswirkungen über die zum damaligen Zeitpunkt der Gebietslistung vorliegenden bzw. prognostizierten bzw. prognostizierbaren Projektauswirkungen hinausgehen. Eine Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL besteht hier nur insoweit, als dass bereits genehmigte Projekte im Vergleich zum status quo eine Verschlechterung mit sich bringen. Siehe hierzu: Beier, NVwZ 2016, 575 (578 f.) m.w. N. 183 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 58 ff.; BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1639); Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (95). 184 Dies wäre bei FFH-Gebieten der Zeitpunkt der Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, bei Vogelschutzgebieten der Zeitpunkt der nationalen Gebietsausweisung. 185 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-299/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 60 ff. 186 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-299/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 61. 187 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-299/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 61.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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strument der nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durchzuführenden nachträglichen Verträglichkeitsprüfung dient insofern nicht der Überprüfung der im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführten Verträglichkeitsprüfung auf möglicherweise unterlaufene Verfahrensfehler. Vielmehr dient sie dem Zweck, im Sinne einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung ein bereits zugelassenes Projekt auf seine aktuelle Gebietsverträglichkeit hin zu überprüfen. bb) Erfordernis einer schutzgebietsbezogenen Gesamtbetrachtung Maßgeblich für die Bestimmung des Prüfungsinhalts sowie -zeitpunkts einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung ist in konsequenter Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL der Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Dauerverpflichtung der Mitgliedstaaten einerseits und die Gewährleistung eines gleichen Schutzniveaus zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL andererseits. Diese im Urteil Waldschlößchenbrücke im Allgemeinen zum Ausdruck kommenden Auslegungsleitlinien lassen eine weitergehende Konkretisierung des im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung anzulegenden Prüfungsmaßstabs und damit auch des materiellen Schutzstandards des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu. (1) Berücksichtigung der Vorbelastung Ausdrücklich hat der Gerichtshof lediglich entschieden, dass im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung sämtliche zum Zeitpunkt der Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorliegenden Umstände sowie alle danach durch die teilweise oder vollständige Ausführung dieses Plans oder Projekts eingetretenen oder möglicherweise eintretenden Auswirkungen auf das Gebiet zu berücksichtigen sind.188 Offen blieb dagegen, ob und gegebenenfalls welche über die Auswirkungen der Realisierung des eigenen Plans oder Projekts hinausgehenden sonstigen Entwicklungen, die sich auf den Erhaltungszustand von Lebensraumtypen und Arten seit dem Zeitpunkt der Gebietsausweisung ausgewirkt haben können, im Rahmen der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen sind.189 Weiterführend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf den Prüfungsmaßstab der Verträglichkeitsprüfung im Zulassungsverfahren nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. Das Bundesverwaltungsgericht geht dort von einem projektbezogenen Prüfungsansatz aus; zu beurteilen sind die Auswirkungen des jeweiligen konkre-

188 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 58 ff. 189 Fielenbach, juris-PR-UmwR 2/2016 Anm. 1, D.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

ten Vorhabens.190 Diese Beurteilung kann jedoch nicht losgelöst von dem Zustand des zu schützenden Gebietsbestandteils und der Wirkungen, denen dieser im Übrigen unterliegt, vorgenommen werden.191 Denn eine an den Erhaltungszielen orientierte Prüfung, wie sie Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fordert, ist nicht möglich, ohne neben den vorhabenbedingten Einwirkungen auch Einwirkungen in den Blick zu nehmen, denen der geschützte Lebensraum oder die geschützte Art von anderer Seite unterliegt.192 So kann eine Vorbelastung bereits zu Vorschädigungen führen, die einen verschlechterten Erhaltungszustand zur Folge haben.193 Sie kann aber auch Auswirkungen nach sich ziehen, die von dem Lebensraum oder der Art noch unbeschädigt verkraftet werden, die jedoch deren Fähigkeit, Zusatzbelastungen zu tolerieren, einschränken oder ausschließen.194 Für die Prüfung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts ist daher die Berücksichtigung der Vorbelastung unverzichtbar.195 Die Vorbelastung in diesem Sinne umfasst nach nationalem Verständnis196 die Summe der ohne das zur Genehmigung stehende Vorhaben bestehenden Einwirkungen auf den geschützten Lebensraum, in die die Auswirkungen bereits realisierter Pläne und Projekte eingehen, aber auch natürliche Effekte und nicht genehmigungspflichtige Tätigkeiten.197 Hat eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Überprüfung der Gebietsverträglichkeit eines bereits zugelassenen Projekts den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 190 BVerwG, Beschl. v. 28.11.2013 – 9 B 14/13, juris Rn. 11; Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319). 191 BVerwG, Beschl. v. 28.11.2013 – 9 B 14/13, juris Rn. 11; Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319). 192 BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319). 193 BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319). Prinzipiell läuft jede Zusatzbelastung dem günstigen Erhaltungszustand zuwider und ist daher erheblich, wenn die Vorbelastung die naturschutzfachlich für das Erhaltungsziel unbedenkliche Belastungsgrenze ausschöpft oder gar überschreitet. Je schlechter der Erhaltungszustand eines Gebiets ist, desto höher fallen mithin die Anforderungen an Zusatzbelastungen aus. Umgekehrt sind bei einem guten Erhaltungszustand Bagatellschwellen denkbar; vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08, NVwZ 2010, 1225 (1236); Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 61. 194 BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319). 195 BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09, NVwZ 2010, 319 (319); Lau, NuR 2016, 149 (150); Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 61. 196 Die nach nationaler Terminologie im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL getroffene Differenzierung zwischen Vor- und Zusatzbelastung wird seitens des EuGH und der EU-Kommission nicht vorgenommen. Der EuGH verfolgt terminologisch eine Einheitslösung, die entsprechend dem nicht weiter differenzierenden Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL auf die Gesamtbelastung abstellt. Dies schließt jedoch im Rahmen der Zielvorgaben der Richtlinie die Aufspaltung in Vor- und Zusatzbelastung nicht aus. Siehe hierzu: Hösch, UPR 2016, 421 (424) und insb. auch mit Blick auf EuGH, Urt. v. 26.04.2017, Rs. C-142/16 (Moorburg), ECLI:EU:C: 2017:301, Rn. 61, 63: Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (178); ferner Appel, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, Bd. 1, NABEG, § 5 Rn. 24 f. 197 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (178); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 100.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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FFH-RL zu entsprechen, ist auch ihr ein schutzgutbezogener Erheblichkeitsbegriff zugrunde zu legen; Maßstab muss auch hier die Gesamtbeeinträchtigung des „Gebiets als solches“ sein.198 Kommt es im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen Verträglichkeitsprüfung in zeitlicher Hinsicht zudem maßgeblich auf den Zeitpunkt der Prüfung selbst an, ist es nach Vorstehendem nur konsequent, wenn nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts in die Bewertung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dabei sämtliche zwischenzeitlich eingetretenen – und nicht nur die durch das eigene Projekt verursachten – Verschlechterungen und Verbesserungen für den Gebietszustand einfließen müssen.199 Als Vorbelastung fließen in die nachträgliche Bewertung der Gebietsverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL daher die Auswirkungen sämtlicher zwischenzeitlich eingetretener naturräumlicher Entwicklungen sowie die Auswirkungen zwischenzeitlich realisierter anderer Projekte sowie sonstiger gebietsrelevanter Tätigkeiten mit ein.200 Die Maßgeblichkeit des schutzgutbezogenen Prüfungsansatzes, der die zum Zeitpunkt der nachträglichen Prüfung vorliegende Vorbelastung einbezieht, kommt jedenfalls indirekt auch in der Aussage des Gerichtshofs zum Ausdruck, nach der eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung eines vor Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zugelassenen Projekts zu berücksichtigen hat, dass sich die Risiken einer Verschlechterung oder von Störungen, die sich i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erheblich auswirken könnten, wegen der Errichtung des fraglichen Bauwerks bereits realisiert haben.201 Wird ein bereits zugelassenes und gegebenenfalls bereits ausgeführtes Projekt nach seiner Zulassung und damit nach dem im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL maßgeblichen Zeitpunktes zum Gegenstand einer Verträglichkeitsprüfung, werden bei Zugrundelegung der schutzgutbezogenen Gesamtbetrachtung mithin die infolge seiner Errichtung bereits eingetretenen Auswirkungen gewissermaßen zum Gegenstand der Vorbelastung seiner eigenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung. Hinsichtlich der Einbeziehung von Auswirkungen sonstiger

198 So bereits Wolf, ZUR 2005, 449 (457); zu § 34 BNatSchG: Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 61, dem zufolge es auf die „Belastung des fraglichen Gebietsteils insgesamt“ ankommt. 199 BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1639). 200 Das BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1639) zieht diese Schlussfolgerung ausdrücklich lediglich für „andere Projekte, die inzwischen ebenso wie die Brücke realisiert worden sind“. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb nicht auch die sonstigen im Rahmen der Vorbelastung zu berücksichtigenden Faktoren im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Prüfung Berücksichtigung finden sollten. 201 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 70.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

zwischenzeitlich realisierter anderer Projekte, der ebenfalls im Rahmen der Vorbelastung zu berücksichtigenden naturräumlichen Effekte sowie sonstiger gebietsrelevanter Tätigkeiten in die nachträgliche Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines zugelassenen Projekts kann kein anderer Maßstab gelten. (2) Berücksichtigung kumulativer Auswirkungen In Bezug auf andere Pläne und Projekte stellt sich ferner die Frage nach der Einbeziehung kumulativer Auswirkungen in die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung. Ausdrücklich festgestellt hat der Gerichtshof auch hier lediglich, dass im Rahmen der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung auch die künftig eintretenden Auswirkungen des zugelassenen Projekts auf das Gebiet zu ermitteln sind. Dieser Maßstab folgt daraus, dass im Rahmen einer Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL – aufbauend auf dem Sachverhalt, wie er sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Zulassungsentscheidung für ein Projekt darstellt – die potenziellen künftigen Auswirkungen des Projekts auf das Natura 2000-Gebiet für die gesamte Vorhabendauer zu prognostizieren sind.202 Mit der Regelung in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, wonach Vorhaben, die ein Schutzgebiet „einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten beeinträchtigen könnten“ eine Verträglichkeitsprüfung erfordern, hat der Normgeber jedoch auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Verträglichkeit eines Projekts nicht isoliert anhand der von ihm selbst erzeugten Auswirkungen, sondern unter Einschluss der Auswirkungen anderer hinreichend verfestigter Pläne oder Projekte zu beurteilen ist.203 Die in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vorgesehene Kumulationsbetrachtung in der zuvor beschriebenen Form ist ein Spezifikum des Habitatschutzrechts.204 Im Interesse des Vorsorgeprinzips sollen hierdurch erhebliche Beeinträchtigungen aus dem Zusammenwirken mehrerer, für sich genommen geringer, d. h. unerheblicher Auswirkungen verhindert werden.205 Zu der Frage, welche anderen Pläne und Projekte in den Anwendungsbereich der Bestimmung über das Zusammenwirken einzubeziehen sind, werden in

202 Vgl. Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 32; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 64 ff.; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 55, 59 ff., 106. 203 BVerwG, Beschl. v. 05.09.2012 – 7 B 24/12, NVwZ-RR 2012, 922 (923 f.). 204 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (178). 205 Vgl. Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 29; BVerwG, Beschl. v. 05.09.2012 – 7 B 24/12, NVwZ-RR 2012, 922 (924); Urt. v. 15.05.2019 – 7 C 27/17, juris Rn. 19; Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (177); Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 10; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 4.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben

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Art. 6 Abs. 3 FFH-RL keine Aussagen getroffen.206 Nach nationalem Begriffsverständnis207 gehen die Auswirkungen bereits realisierter Pläne und Projekte, einschließlich solcher aus der Zeit vor der Umsetzung der Richtlinie bzw. vor der Ausweisung als Schutzgebiet,208 neben natürlichen Effekten sowie nicht genehmigungspflichtigen Tätigkeiten bereits als Teil der Vorbelastung in die Verträglichkeitsprüfung ein und beeinflussen die Ausgangsbedingungen und damit auch den Maßstab der Prüfung, soweit sie die Empfindlichkeit der betreffenden Gebietsbestandteile erhöhen.209 Dagegen sind die Auswirkungen noch nicht umgesetzter, jedoch bereits genehmigter Pläne und Projekte Teil der kumulativ auf ihre Vereinbarkeit mit den jeweiligen Anforderungen zu prüfenden Zusatzbelastung („allein oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten“).210 206 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 29; Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (178). 207 Hösch, UPR 2016, 421 (424): Nach nationalem Verständnis wird zwischen „Vorbelastung“ und „Kumulation“ differenziert. Die Trennlinie zwischen beiden wird grundsätzlich am Zeitpunkt der Realisierung festgemacht: Projekte und Pläne, die bereits vor dem Zeitpunkt der Behördenentscheidung über das zu prüfende Projekt umgesetzt wurden, fließen regelmäßig in die Vorbelastung ein, alle anderen Projekte, deren Auswirkungen sich bereits hinreichend konkret absehen lassen, gehören hingegen zur Kumulation. Der EuGH und die EU-Kommission treffen hingegen keine Differenzierung zwischen diesen beiden Begrifflichkeiten. Wenn in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL von „im Zusammenwirken mit anderen Projekten und Plänen“ die Rede ist, unterscheidet die Richtlinie nicht nach Vorbelastung durch „alte“ und Summationsbelastung durch „aktuelle“ Projekte, sondern fordert dazu auf, die im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung festzustellende Gesamtbelastung zu bewerten. Die Bewertungsmethodik wird durch das Unionsrecht nicht vorgeschrieben und bleibt aufgrund des Subsidiaritätsprinzips den Mitgliedstaaten überlassen. Dementsprechend ist es zulässig, die Auswirkungen von Vorhaben in Abhängigkeit von ihrem Realisierungsgrad als Minderung der Belastbarkeit des Erhaltungszustands oder als Zusatzbelastung einzuordnen. 208 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 29; vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 26.04.2017, Rs. C-142/16 (Moorburg), ECLI:EU:C:2017:301, Rn. 61, 63. 209 Hösch, UPR 2016, 421 (424); Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (179). 210 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (179). Nach st. Rspr. des BVerwG hat sich die Kumulations- bzw. Summationsprüfung dabei nur dann auf andere, noch nicht realisierte Pläne und Projekte zu erstrecken, wenn deren Auswirkungen und damit das Ausmaß der Summationswirkung verlässlich absehbar sind, was grundsätzlich erst dann der Fall ist, wenn die Zulassungsentscheidung erteilt ist. Des Weiteren muss zumindest die Möglichkeit bestehen, die Tätigkeiten etwa anhand von Planungen und Konzepten oder einer feststehenden Praxis auf ihre Vereinbarkeit mit den Erhaltungszielen des Schutzgebiets überprüfen zu können, BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 – 9 A 4/13, NVwZ 2014, 1008 (1015); Urt. v. 21.05.2008 – 9 A 68.07, juris Rn. 21; Urt. v. 24.11.2011 – 9 A 23.10, juris Rn. 40; Urt. v. 15.07.2017 – 9 C 3.16, juris Rn. 56; Urt. v. 09.02.2017 – 7 A 2.15, juris Rn. 219; Urt. v. 15.05.2019 – 7 C 27/17, juris Rn. 19. A. A.: OVG Münster, Urt. v. 01.12.2011 – 8 D 58/08.AK, NuR 2012, 342 (356 f.), nach dem auch die Auswirkungen solcher Projekte zu berücksichtigen sind, die zwar noch nicht genehmigt sind, für die aber bereits prüfungsfähige Unterlagen bei der Behörde vorliegen; vgl. auch Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Kommt es im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung maßgeblich auf den Zeitpunkt der nachträglichen Prüfung selbst an211 und ist im Rahmen einer durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung der Prüfungsmaßstab des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL anzulegen,212 ist dem Bundesverwaltungsgericht auch darin zuzustimmen, dass nicht nur die Auswirkungen zwischenzeitlich realisierter Pläne und Projekte als Vorbelastung in die nachträgliche Bewertung der Gebietsverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL eingehen, sondern darüber hinaus auch eine auf den Zeitpunkt der nachträglichen Prüfung bezogene Kumulationsprüfung erforderlich ist.213 Auch im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung sind damit letztlich alle früheren, gegenwärtigen und – soweit hinreichend verfestigt – künftigen Pläne und Projekte, die im Zusammenwirken mit dem prüfgegenständlichen Projekts Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet zeitigen, in die nachträgliche habitatschutzrechtliche Bewertung der Verträglichkeit des zur Prüfung stehenden Projekts einzubeziehen.214 (3) Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse Folge einer auf den Zeitpunkt der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung bezogenen nachträglichen Prüfung, die dem Maßstab des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu entsprechen hat, ist darüber hinaus, dass auch zwischenzeitlich vorliegende neue wissenschaftliche Erkenntnisse Berücksichtigung finden müssen. Denn der Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sind der aktuelle Diskussionsstand in der Wissenschaft und die besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse einschließlich allgemein anerkannter Erfahrungssätze und Untersuchungsmethoden zugrunde zu legen.215 Die erforderlichen Informationen sollten aktuell sein.216 Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 10, wonach in die Verträglichkeitsprüfung darüber hinaus auch solche Pläne und Projekte einzubeziehen sind, für die ein Genehmigungsantrag gestellt wurde. 211 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 59 ff. 212 So EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 53 f. 213 BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3.16, NVwZ 2016, 1631 (1639); dies befürwortend: Weuthen, NVwZ 2016, 1639 (1640). In diese Richtung auch Beier, NVwZ 2016, 575 (579), der in diesem Zusammenhang auf die Problematik des Rangverhältnisses der einzelnen Pläne oder Projekte zueinander hinweist; siehe hierzu sogleich unter 2. Teil, B. IV. 2. b) cc). 214 In diesem Sinne auch Wolf, ZUR 2005, 449 (457); Sobotta, EurUP 2015, 341 (343). Vgl. zur Einbeziehung kumulativer Auswirkungen in die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 29 f. 215 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Acheloos), ECLI:EU:C: 2012:560, Rn. 113; Urt. v. 26.10.2007, Rs. C-239/04, ECLI:EU:C:2006:665, Rn. 20;

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 101

(4) Berücksichtigung des aktuellen Schutzgebietsstatus Schließlich muss es im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung maßgeblich auf den aktuellen Schutzgebietsstatus ankommen. Zu denken ist hier an die Aufnahme eines neuen FFH-Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung217 bzw. die Ausweisung eines neuen Vogelschutzgebiets218 oder die Erweiterung bestehender Gebiete nach Projektzulassung.219 cc) Folgerungen für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit zugelassener Projekte nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Bei konsequenter Fortführung der seitens des Gerichtshofs zum Prüfungsmaßstab und -zeitpunkt einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung getroffenen Feststellungen, resultiert aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL letztlich ein materieller Schutzstandard, dem eine schutzgebietsbezogene Gesamtbetrachtung zugrunde liegt und der sich stetig anhand der dynamischer Gebietsentwicklungen sowie des fortschreitenden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes aktualisiert. Welche Konsequenzen sich hieraus im Einzelnen für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit zugelassener Projekte nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergeben können, wird im Folgenden darzulegen sein. (1) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei Missachtung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist es gerade, die potenziellen künftigen Auswirkungen des Projekts auf die Erhaltungsziele des Natura 2000-Gebiet für die gesamte Vorhabendauer zu prognostizieren; es ist eine Risikoprognose zu führen, ob ein Projekt oder Plan nicht nur gegenwärtig, sondern auch für die gesamte Projektdauer ein Natura 2000-Gebiet erhebBVerwG, Urt. v. 23.04.2014 – 9 A 25.12, ZUR 2014, 668 (671); Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05, NVwZ 2007, 1054 (1062); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 59. 216 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a.), ECLI:EU:C:2012:560, Rn. 115; Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/ EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 29 f. 217 Nach Art. 4 Abs. 5 FFH-RL unterliegt ein FFH-Gebiet den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 FFH-RL, sobald es in die Liste des Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFHRL aufgenommen ist (vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 6 BNatSchG). 218 Nach Art. 7 FFH-RL treten die Pflichten des Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 FFH-RL anstelle der Pflichten nach Art. 4 Abs. 4 S. 1 VRL ab dem Zeitpunkt der Schutzgebietsausweisung durch die Mitgliedstaaten (vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 7 BNatSchG). 219 Vgl. hierzu im Einzelnen und m.w. N.: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 39 ff., dem zufolge Auswahl- und Ausweisungsdefiziten sowie dynamischen Veränderungen von Arten und Habitaten unter anderem auch durch räumliche Erweiterungen bestehender Gebiete sowie Neuausweisungen oder – in seltenen Fällen – durch die Aufgabe funktionsloser Gebiete Rechnung zu tragen sei.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lich beeinträchtigt oder nicht.220 Einer derart vorausschauende Risikobewertung für die gesamte Projektdauer können dabei nicht nur die aktuellen Gegebenheiten zugrunde gelegt werden; vielmehr sind auch allgemein absehbar zu erwartende negative wie positiven Veränderungen des Natura 2000-Gebiets zu berücksichtigen.221 Dass ein nach Anwendbarkeit der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2– 4 FFH-RL zugelassenes Projekt222 später bei seiner Verwirklichung oder seinem Betrieb mit dem materiellen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL konfligiert, ist daher hauptsächlich in Fällen denkbar, in denen bei Projektzulassung den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG gänzlich oder zumindest teilweise nicht entsprochen wurde, d. h. eine an sich erforderliche Verträglichkeitsprüfung fehlerhaft unterblieben ist223 oder eine durchgeführte Verträglichkeitsprüfung an Ermittlungsmängeln leidet.224 Denn das Verfahren, das bei Vorhabenzulassung den späteren Eintritt erheblicher projektbedingter Gebietsbeeinträchtigungen ausschließen soll, wurde hier gerade nicht eingehalten. (2) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL trotz Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Mit dem dynamischen materiellen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lassen sich darüber hinaus insbesondere auch die Ausführungen des Gerichtshofs in Sachen Herzmuschelfischerei erklären, nach denen selbst im Falle einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich das Projekt später als geeignet erweist, nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevante Verschlechterungen oder Störungen hervorzurufen.225 Zu berücksichtigen ist insoweit, dass auch eine rechtmäßige Verträglichkeitsprüfung nur die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr solcher Gebietsbeeinträchtigungen auszuschließen vermag, die Gegenstand der Prüfung waren.226 Gehört es gerade zum Gegenstand der Verträglichkeitsprüfung, eine vorausschauende Risikobewertung für die gesamte Projektdauer zu treffen, würde eine „ideale“ Verträglichkeitsprüfung zwar sämtliche später eintretenden Beein-

220 Vgl. Europäische Kommission, Natura 20000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 32; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 55, 59 ff., 106. 221 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 106. 222 Vgl. zu der Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen bei sog. Altfällen und damit einer nachträglichen Überprüfungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: Beier, NVwZ 2016, 575 (577 f.). 223 Vgl. zum Fall einer fehlerhaft gänzlich unterbliebenen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung: BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 – 9 C 2/16, KommJur 2017, 476 ff. 224 So auch Sobotta, EurUP 2015, 341 (343). 225 EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C: 2004:482, Rn. 36. Siehe hierzu im Einzelnen oben unter 2. Teil, B. I. 1. b). 226 Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 341 (342 f., 347).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 103

trächtigungen präzise identifizieren.227 Eine Prognose als hypothetische Annahme kann indes naturgemäß keine absolute Sicherheit bieten.228 Die mit ihr verbundenen Unsicherheiten sind dabei umso größer, je weiter die Prognose reicht, je höher die Komplexität der Auswirkungen des Projekts ist und je geringer die Erkenntnisse über die betroffenen Lebensraumtypen, Arten sowie über die zu erwartenden Auswirkungen sind.229 Der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Arten sowie ihr Entwicklungstrend lassen sich aufgrund vielfältig möglicher ökologischer Veränderungen sowie veränderter oder hinzugetretener Landnutzungen, anderer Pläne und Projekte sowie Fernimmissionen regelmäßig nur über wenige Jahre hinweg angemessen abschätzen.230 Selbst eine Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung, die einem insoweit strengeren Maßstab unterliegt als die artenschutzrechtliche Prüfung, ist daher auch nicht auf ein „Nullrisiko“ auszurichten; erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass nach den „besten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ keine „vernünftigen Zweifel“ an der Gebietsverträglichkeit des Projekts bestehen.231 Zudem unterliegt der im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung erforderliche Ermittlungsaufwand der Grenze der Verhältnismäßigkeit.232 Es muss praktisch noch leistbar bleiben, im Rahmen eines Planungs- oder Zulassungsverfahrens die Gebietsverträglichkeit nachzuweisen bzw. erfolgreich zu prüfen.233 Insbesondere im Falle einer zeitlich länger zurückliegenden Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung vermag insofern auch die Einhaltung des strengen Prüfungsmaßstabs des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht auszuschließen, dass zu einem späteren Zeitpunkt Zweifel an der Gebietsverträglichkeit des zugelassenen Projekts auftreten. Unabhängig von den Auswirkungen des eigenen Projekts eingetretene allgemeine Entwicklungen, die so auch im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht prognostizierbar waren, können zu Veränderungen des Erhaltungszustands eines Natura-2000-Gebiets führen, infolge derer die Gebietsverträglichkeit des bereits zugelassenen Projekts bei einer Neubewertung zum aktuellen Zustand nicht mehr zweifelsfrei gewährleistet werden könnte.234 Eine gewisse Einschränkung erfährt die Relevanz nachträglich eingetretener naturräumlicher Entwicklungen insbe227 So GAin Kokott, Schlussanträge v. 29.01.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:60, Rn. 56. 228 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 20. 229 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 55. 230 Albrecht/Gieß, NuR 2014, 235 (241); Möckel, in: GK-BNatSchG, § 34 Rn. 26. 231 Hösch, UPR 2016, 421 (421); Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 31. 232 BVerwG, Urt. v. 21.01.2016 – 4 A 5.14, juris Rn. 100; Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 16. 233 Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 16. 234 Vgl. GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 43.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

sondere im Vergleich zum EU-Artenschutzregime235 zumindest dadurch, dass der Schutzgegenstand des allgemeinen Verschlechterungsverbots nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – entsprechend der im Rahmen der Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL geltenden Maßstäbe –236 auf die natürlichen Lebensräume und Arten beschränkt ist, für die das jeweilige Natura 2000-Gebiet ausgewiesen wurde. Dynamische Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten – wie etwa das Einwandern von Arten nach Anhang II der FFH-Richtlinie – können zwar eine Veränderung des Schutzgegenstandes zur Folge haben. Anders als im Rahmen des besonderen Artenschutzrechts sind bei Natura 2000-Gebieten hierfür die naturräumlichen Veränderungen für sich genommen jedoch nicht ausreichend. Zur Änderung der gebietsbezogenen Erhaltungsziele bedarf es vielmehr zumindest einer Anpassung der Standarddatenbögen, der Schutzerklärung sowie einer diesbezüglichen Information der Kommission.237 Dass sich ein nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL zugelassenes Projekt nachträglich als geeignet erweist, gebietsrelevante Verschlechterungen oder Störungen i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hervorzurufen, ist ferner insbesondere bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen denkbar, die für die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung im Rahmen einer Verträglichkeitsprüfung von Relevanz sein können. Der „beste wissenschaftliche Erkenntnisstand“ kann sich nach Projektzulassung etwa hinsichtlich der Sensibilität geschützter Lebensraumtypen oder Arten derart weiterentwickelt haben, dass auf Basis dieser neuen Erkenntnisse die Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nunmehr eine andere Bewertung als im Zulassungszeitpunkt erfordert.238 Sind im Rahmen einer nachträglich durchzuführenden Verträglichkeitsprüfung auch die Auswirkungen anderer Pläne und Projekte zu berücksichtigen,239 die das betreffende Gebiet im Zusammenwirken erheblich beeinträchtigen können, ist es ferner grundsätzlich denkbar, dass Zweifel an der aktuellen Gebietsverträglichkeit eines Projekts allein deshalb auftreten, weil zwischenzeitlich eine Reihe anderer Projekte genehmigt worden ist, die auf das Gebiet einwirken.240 Die Auswirkungen bereits realisierter Projekte fließen als Teil der Vorbelastung des Ge235

Siehe hierzu unter 2. Teil, C. II. 1. Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, A. II. 2. sowie ferner: EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-418/04 (Kommission/Irland), ECLI:EU:C:2007:780, Rn. 243; BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 72; Beschl. v. 14.04.2011 – 4 B 77.09, juris Rn. 36; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 76. 237 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 53, der eine Änderungsmeldung nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 S. 4, Art. 9 FFH-RL dagegen nicht für erforderlich hält; a. A.: Frenz, UPR 2014, 88 (90); ders., UPR 2015, 329 (329 f.); Meßerschmidt, NuR 2015, 2 (7 f.). 238 So zu § 33 BNatSchG: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 20. 239 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) bb) (1) und (2). 240 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). 236

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 105

biets in die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung nachfolgender Projekte gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG ein.241 Dass nach Zulassung eines Projekts nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL andere Projekte verwirklicht werden, deren zusätzliche Auswirkungen auf das Gebiet die Verträglichkeit des vormals zugelassenen Projekts in Frage stellen, dürfte daher zwar an sich nicht vorkommen. Denn im Falle einer Überschreitung der Belastungsgrenze dürfte den anderen nachfolgenden Projekte eine Zulassung nicht erteilt werden bzw. im Falle ihrer Zulassung über eine Ausnahmeerteilung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG wären Kohärenzsicherungsmaßnahmen zu erlassen. Insofern können jedoch Versäumnisse des Mitgliedstaats bzw. anderer Projektträger zu einer Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle führen, die sich dann im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung zu Lasten vormals zugelassener und verwirklichter Projekte auswirken könnten. Aus vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass eine nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fehlerfrei durchgeführte Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen im Rahmen einer späteren Bewertung nur dann zweifelsfrei auszuschließen vermag, wenn sich die ihr zugrunde liegende Bewertungsgrundlage zwischenzeitlich nicht maßgeblich verändert hat.242 Kommt es im Rahmen der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung ferner auf den aktuellen Schutzgebietsstatus an, kann schließlich auch der Fall eintreten, dass ein fehlerfrei zugelassenes Projekt infolge nachträglicher Veränderungen des Schutzgebietsstatus von Natura 2000-Schutzgebieten nunmehr mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Konflikt gerät. In Anbetracht des fortgeschrittenen Aufbaus des Netzes Natura-2000 dürfte derzeit jedenfalls die Möglichkeit der Aufnahme gänzlich neuer FFH-Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung indes lediglich theoretischer Natur sein. In der 241

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) bb) (1). In diesem Sinne auch: EuGH, Urt. v. 09.09.2020, Rs. C-254/19 (Friends of the Irish Environment), ECLI:EU:C:2020:230, Rn. 59. Der Gerichtshof war hier mit dem Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. der Möglichkeit ihrer Beschränkung auf bestimmte Teile des Projekts im Rahmen einer Entscheidung über die Verlängerung einer wirkungslos gewordenen Genehmigung befasst. Der Gerichtshof stellt dabei ausdrücklich fest, dass eine frühere Prüfung des Projekts, die vor dem Erlass der ursprünglichen Genehmigung des Projekts durchgeführt wurde, die Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen – und damit das Erfordernis einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL – nur auszuschließen vermag, „wenn sie vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthält, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeiten auszuräumen, sofern sich die relevanten Umweltdaten und wissenschaftlichen Daten nicht fortentwickelt haben, das Projekt nicht eventuell geändert wurde und es keine anderen Pläne oder Projekte gibt“. Für die spätere Bewertung der Gebietsverträglichkeit eines nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zugelassenen Projekts im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kann aufgrund desselben materiellen Schutzniveaus zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL kein anderer Maßstab gelten. 242

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Bundesrepublik Deutschland ist grundsätzlich von einer hinreichenden Meldung von FFH-Gebieten durch Nachmeldung und deren Eingang in die Kommissionsliste vom 13.11.2007 auszugehen. Offene Nachmeldeforderungen von Seiten der Kommission bestehen derzeit nicht, sodass grundsätzlich keine Gebiete existieren dürften, die nicht in den Gemeinschaftslisten enthalten sind, aber die Ausweisungskriterien von Art. 4 Abs. 1 und 2 FFH-RL erfüllen.243 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts streitet nach der Entscheidung der EUKommission über die Listung der Gebiete eine tatsächliche Vermutung für die Richtigkeit der Gebietsabgrenzung.244 Auch die Entdeckung gänzlich neuer Europäischer Vogelschutzgebiete, die bereits unmittelbar nach ihrer Meldung durch die Mitgliedstaaten an die EU-Kommission dem Schutzgebietssystem Natura 2000 angehören, erscheint angesichts des derzeitigen fortgeschrittenen Stands der Gebietsausweisung eher unwahrscheinlich; weiterhin von Relevanz könnten jedoch nachträgliche Korrekturen der Gebietsgrenzen sein.245 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der dynamische Prüfungsmaßstab des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Einzelfall dazu führen kann, dass trotz Einhaltung der strengen Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Zulassungsverfahren infolge allgemeiner nachträglich eingetretener tatsächlicher oder rechtlicher Umstände, die außerhalb der Einflusssphäre des Projektträgers liegen, die Gebietsverträglichkeit des bereits zugelassenen Projekts bei einer Neubewertung zum aktuellen Zustand nicht mehr zweifelsfrei gewährleistet werden könnte. (3) Gebietsunverträglichkeit nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL trotz Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Vorstehende Erwägungen lassen sich entsprechend auf den Fall einer Projektzulassung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL übertragen. Eine Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann sich lediglich auf solche Gebietsbeeinträchtigungen beziehen, die Gegenstand der vorausgegangenen Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL waren.246 Von der Ausnahmeentscheidung nicht erfasste Projektwirkungen aktivieren wiederum die Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.247 Dass trotz einer Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevante Fälle auftreten, ist zum einen dann denkbar, wenn die Verträg243

Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 47. So etwa BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5/08, NVwZ 2010, 1225 (1228 f.); Urt. v. 28.03.2013 – 9 A 22/11, juris Rn. 36. Kritisch hierzu: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, Vorb. vor §§ 31–36, Rn. 23. 245 Vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, Vorb. vor §§ 31–36, Rn. 15 f. zu der derzeitigen Relevanz der Rechtsfigur der faktischen Vogelschutzgebiete. 246 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, B. I. 3. 247 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, B. I. 3. 244

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lichkeitsprüfung nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprach und daher gebietsrelevante Auswirkungen des Projekts übersehen wurden. Derartige fehlerhaft verkannte Projektwirkungen können nicht Gegenstand der erteilten Ausnahmegenehmigung sein. Zwar kann sich der Mitgliedstaat gegenüber der in diesem Fall bestehenden Schutzverpflichtung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wiederum auf das Vorliegen der Ausnahmegründe in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berufen; allerdings setzt dies die Durchführung einer erneuten, nunmehr den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden nachträglichen Verträglichkeitsprüfung voraus.248 Ferner kann sich auch bei einer Ausnahmeerteilung, die auf einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechenden Verträglichkeitsprüfung basiert, im Nachhinein ein Anwendungsfall des Art. 6 Abs. 2 FFHRL ergeben. Eine „ideale“ Verträglichkeitsprüfung würde hier alle später eintretenden Beeinträchtigungen erfassen, die anschließend zum Gegenstand einer Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gemacht und gegebenenfalls durch entsprechende Kohärenzsicherungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL ausgeglichen werden könnten.249 Kann jedoch selbst eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung eine derartige absolute Prognosesicherheit nicht bieten, kann nach dem dargelegten dynamischen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL selbst eine Ausnahmeentscheidung hier keine absolute Rechts- bzw. Planungssicherheit gewährleisten. Denn es besteht stets die Möglichkeit, dass sich im Nachhinein (andere) Beeinträchtigungen ergeben, die von der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht erfasst waren und damit auch nicht Gegenstand der Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sein können. (4) Zwischenfazit Festhalten lässt sich, dass Konflikte mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFHRL im Projektvollzug insbesondere in Fällen denkbar sind, in denen eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG entsprechende Verträglichkeitsprüfung erforderlich war, jedoch nicht erfolgt ist. Darüber hinaus kann sich jedoch grundsätzlich auch ein Projekt, dem eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt, später als gebietsunverträglich 248

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) aa). Von diesem Idealfall scheint Würtenberger, NuR 2010, 316 (320) auszugehen, wenn er ausführt, eine Ausnahmegenehmigung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 FFHRL schaffe Rechts- und Planungssicherheit für den Vorhabenträger, da sich in diesem Fall spätere Maßnahmen auf Grundlage von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erübrigen, da die Verträglichkeitsprüfung alle später eintretenden Beeinträchtigungen identifiziert und diese dann gegebenenfalls ausgeglichen werden können, um die globale Kohärenz von Natura 2000 zu schützen, Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL. 249

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

erweisen, sofern nachträglich Umstände eintreten, die nicht Gegenstand der Prüfung waren. Zu denken ist hierbei an die Fälle nachträglich veränderter naturräumlicher Umstände, neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder auch nachträglich hinzugetretene Auswirkungen anderer Projekte. dd) (Ir-)Relevanz von Bestandsschutzbelangen für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit? Fraglich ist, ob der vorstehend umrissene, an den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL orientierte Prüfungsmaßstab der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung einer Korrektur zumindest gegenüber solchen Projekten bedarf, die nach nationalem Recht (formelle) Bestandskraft erlangt haben. Die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs zum Erfordernis einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung sowie den hieran zu stellenden Anforderungen finden auf nach nationalem Recht bestandskräftige Genehmigungen jedenfalls keine unmittelbare Anwendung.250 In Bezug auf den Prüfungsmaßstab einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung hat der Gerichtshof – bedingt durch den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens – ausdrücklich lediglich festgestellt, dass dieser nicht allein deshalb verändert werden kann, weil das fragliche Bauwerk gemäß einer nach dem nationalen Recht sofort vollziehbaren Genehmigung errichtet worden ist oder weil ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verhinderung des Beginns der genehmigten Arbeiten unanfechtbar erfolglos geblieben ist.251 Auch in der übrigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fehlt es hier bislang an einer ausdrücklichen Befassung mit der Bedeutung der Bestandskraft. Gegen die undifferenzierte Übertragung der seitens des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Waldschlößchenbrücke getroffenen Aussagen auf bestandskräftige Zulassungsentscheidungen spricht, dass die (formelle) Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung, die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtswegs eingetreten ist, zur Rechtssicherheit beiträgt, die zu den auch im Unionsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen zählt.252 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass der Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen ein gegenüber dem Interesse an einer ef250 Bick, Anm. jurisPR-BVerwG 24/2016 Anm. 5, D. Gleichwohl ohne Weiteres von einer erneuten Abwertung der Bestandskraft von Zulassungsentscheidung infolge der EuGH-Rspr. in Sachen Waldschlößchenbrücke ausgehend: Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016 Anm. 1, D; Beier, NVwZ 2016, 575 (580); in diesem Sinne auch zu BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631: Weuthen, NVwZ 2016, 1631 (1641). 251 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 68. 252 EuGH, Urt. v. 13.01.2004, Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz), ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 24; Urt. v. 19.09.2006, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04 (i-21 Germany GmbH und Arcor), ECLI:EU:C:2006:586, Rn. 51.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 109

fektiven Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben prinzipiell gleichwertiges Gewicht beigemessen wird.253 Der sofortigen Vollziehbarkeit kommt dagegen mit Blick auf die hierdurch vermittelte Rechtssicherheit und Vertrauensschutz keine der formellen Bestandskraft vergleichbare Bedeutung zu. Während mit Eintritt der formellen Bestandskraft eine Aufhebung durch die verfahrensmäßig geregelten Rechtsbehelfe ausgeschlossen ist,254 besteht bei der sofortigen Vollziehbarkeit einer Zulassungsentscheidung auch bei Erfolglosigkeit eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes das Risiko einer Kassation im Hauptsacheverfahren fort. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erfolgt lediglich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, sodass es nicht die „Richtigkeitsgarantien“ des Hauptsacheverfahrens aufweist.255 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in vergleichbaren umweltrechtlichen Konstellationen handelt ein Vorhabenträger – wirtschaftlich gesehen – auf eigenes Risiko, wenn er trotz Anhängigkeit eines entsprechenden Klageverfahrens unter Ausnutzung der Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses das Vorhaben ins Werk setzt und ihm deshalb infolge einer der Klage danach stattgebenden Entscheidung nutzlose oder zusätzliche Aufwendungen entstehen.256 Die sofortige Vollziehbarkeit unterliegt ihrer Natur nach nur vorläufigem Rechtsschutz und kann im Rechtsstaat nur eine vorläufige Zulässigkeit vermitteln.257 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Gerichtshof zwar die – wohl durch einen Sachverhaltsirrtum bedingte – Annahme der Generalanwältin Sharpston korrigiert hat, wonach das Bundesverwaltungsgericht wissen wolle, welche Bedeutung der „nach nationalem Verfahrensrecht eingetretenen Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses zukomme“.258 Gleichwohl herangezogen wurden seitens des Gerichtshofs die Ausführungen der Generalanwältin, nach denen unter Berücksichtigung des Ziels der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, wie es im ersten Erwägungsgrund der Habitatrichtlinie angeführt wird, die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt wäre, wenn interne Verfahrensregeln als Begründung dafür herangezogen werden könnten, dass die Anforderungen der Richtlinie nicht eingehalten werden müssten.259 Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Abänderung des Prü253

Siehe hierzu unter 1. Teil, B. II. sowie näher unter 2. Teil, B. II. 2. c). Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. b). 255 Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Vorb. § 80 Rn. 37. 256 Storost, UPR 2016, 147 (149). Vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.01.1996 – 11 VR 19.95, NVwZ 1997, 274 (275); Beschl. v. 26.08.1998 – 11 VR 4.98, NVwZ 1999, 535 (538); Beschl. v. 21.01.1999 – 11 VR 8.98, NVwZ 1999, 650 (650). 257 Storost, UPR 2016, 147 (149). 258 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 64. 259 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 68 unter Verweis auf GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 64. 254

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

fungsmaßstabs zur Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL selbst durch Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung wohl nur schwerlich annehmen. Allein eine Auslegung, die auch auf die Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen keine Rücksicht nimmt, trägt letztlich auch dem Wortlaut und dem Telos des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Rechnung. Die Frage, ob eine „Verschlechterung“ oder „Störung“ eintritt bzw. eintreten könnte oder nicht, ist im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausschließlich nach naturfachlichen Kriterien zu beurteilen; den Mitgliedstaaten steht hier kein eigentlicher Gestaltungsspielraum, sondern lediglich ein Bewertungsspielraum in dem Sinne zu, dass sie die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse auswerten und zugrunde legen müssen, wobei eine gewisse „Einschätzungsbandbreite“ vorstellbar ist.260 Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eröffnet den Mitgliedstaaten insofern keinen Spielraum, innerhalb dessen die Berücksichtigung einer sofort vollziehbaren oder auch bestandskräftigen Zulassungsentscheidung möglich wäre. Ein derartiges Verständnis entspricht auch dem seitens des Europäischen Gerichtshofs hervorgehobenen gleichen Schutzniveau zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL. So sind für die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL allein naturfachliche Kriterien maßgeblich;261 es wird allein eine ökologische Gefährdungsanalyse vorgenommen.262 Entgegenstehende ökonomische, soziale, regionale und lokale Belange finden im Rahmen der Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Berücksichtigung.263 Auch der Frage, ob ein Projekt nach seiner Zulassung eine Eignung zu erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen aufweist, ist mithin eine rein habitatschutzrechtliche Betrachtung zugrunde zu legen, die allein auf die tatsächlichen Gegebenheiten abstellt und verfahrensrechtliche Gesichtspunkte wie das Vorliegen einer Zulassungsentscheidung außer Acht lässt. Die Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines zugelassenen Projekts scheint überdies auch deshalb nicht der geeignete Ort, um der Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung oder der Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Relevanz beizumessen, da sich praktikable, allgemein gültige Maßstäbe diesbezüglich nur schwerlich herleiten lassen. 260 Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 75 (84 f.). 261 Wolf, ZUR 2005, 449 (453); Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (112), Fn. 134. Vgl. auch Frenz, UPR 2014, 88 (91), dem zufolge es sich bei der Eignung zu erheblichen Beeinträchtigungen um einen wirkungsbezogenen Begriff handelt, der eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Schutzgebiets hindern soll und danach rein habitatschutzrechtlich auszulegen ist. 262 Wolf, ZUR 2005 449 (453). 263 Wolf, ZUR 2005, 449 (453).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 111

Bei der Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL können mithin weder „interne Verfahrensregeln“ wie die sofortige Vollziehbarkeit einer Zulassungsentscheidung oder der Eintritt ihrer formellen Bestandskraft noch die Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Berücksichtigung finden. Der Wortlaut der Bestimmung, ihr Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs lassen jedenfalls an dieser Stelle kein anderes Ergebnis zu. Der dargelegte materielle Schutzmaßstab des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kann mithin auch im Hinblick auf bestandskräftige Zulassungsentscheidungen keine Korrektur erfahren, selbst wenn ihnen eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt; anzulegen ist ein rein naturfachlicher Maßstab. b) Unkalkulierbares Risiko für den Bestandsschutz durch fortlaufende Gefahr einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung? Bei konsequenter Fortführung eines an den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFHRL orientierten Prüfungsmaßstabs im Rahmen der Dauerverpflichtung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL können sich nach vorstehenden Ausführungen sämtliche zwischenzeitlich eingetretene allgemeine Veränderungen des Erhaltungszustands potenziell zu Lasten der Gebietsverträglichkeit eines (bestandskräftig) zugelassenen Projekts auswirken. Neben dem dynamischen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erweist es sich mit Blick auf den Bestandsschutz des Projektträgers ferner als problematisch, dass – anders als im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL – für eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Überprüfung kein bestimmter Zeitpunkt bzw. verfahrensrechtlicher Anlass festgelegt ist. Die Ausführungen des Gerichtshofs, nach denen ein im Anschluss an eine nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Untersuchung und vor der Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigtes Projekt „vor seiner Ausführung von den zuständigen Behörden einer nachträglichen Prüfung auf Verträglichkeit mit diesem Gebiet zu unterziehen ist, wenn diese Prüfung die einzige geeignete Maßnahme darstellt, um zu verhindern, dass die Ausführung dieses Plans oder Projekts zu einer Verschlechterung oder zu Störungen führt, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten“,264 lassen sich wohl nicht dahingehend verstehen, dass der Zeitpunkt des Baubeginns den verfahrensrechtlichen Ansatzpunkt für die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung bilden soll. Vielmehr dürfte die Bezugnahme auf diesen Zeitpunkt durch die konkrete Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts bedingt gewesen sein, die sich ausdrücklich auf das Er-

264 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 46.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

fordernis einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung „vor Ausführung“ eines entsprechenden Plans bzw. Projekts bezog.265 Den übrigen Ausführungen des Gerichtshofs lässt sich entnehmen, dass die nachträgliche Überprüfung eines zugelassenen Projekts allgemein bereits dann als „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht zu ziehen ist, wenn sich die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten nicht zweifelsfrei ausschließen lässt, ohne dass es hierfür des Nachweises eines Kausalzusammenhangs bedürfte.266 Dieser Maßstab erklärt sich erneut aus dem gleichen Schutzniveau, das mit Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL gewährleistet werden soll. Denn auch die exante-Prüfung eines Projekts nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist durchzuführen, wenn ein derartiges Risiko besteht.267 In diesem Fall ist eine Genehmigung nur möglich, wenn entweder die Prüfung zeigt, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird (Art. 6 Abs. 3 S. 2 FFH-RL), oder das Projekt nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gerechtfertigt ist.268 Während der materielle Anlass zur Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung damit dem im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entspricht, fehlt es an einem mit der Projektzulassung vergleichbaren verfahrensrechtlichen Ansatzpunkt. Vermag nun aber ausweislich der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Sachen Herzmuschelfischerei selbst eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung nicht auszuschließen, dass sich das zugelassene Projekt später als geeignet erweist, Verschlechterungen oder Störungen i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hervorzurufen, scheint für den Projektträger aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL letztlich eine über die gesamte Errichtungs- und Betriebsdauer seines Projekts bestehende Gefahr einer ständig neuen Verträglichkeitsprüfung zu resultieren, innerhalb derer sich sämtliche zwischenzeitlich eingetretenen allgemeinen Veränderungen des Erhaltungszustands potenziell zu Lasten der Verwirklichung des zugelassenen Bestandsvorhabens auswirken können. Naheliegend erscheint 265 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 30. 266 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 1. a). 267 GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 40; dies., Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015, Rn. 86. Vgl. zu dem Maßstab bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: EuGH, Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI:EU:C:2004:482, Rn. 43; Urt. v. 04.10.2007, Rs. C-179/06 (Kommission/Italien), EU:C:2007:578, Rn. 34; Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-2/10 (Azienda Agro-Zootecnica Franchini und Eolica di Altamura), ECLI:EU:C:2011:502, Rn. 41. In Umsetzung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist nach § 34 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine Verträglichkeitsprüfung obligatorisch, wenn ein Projekt geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten erheblich zu beeinträchtigen, siehe hierzu: 2. Teil, A. II. 2. 268 GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 40.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 113

vor diesem Hintergrund die in der nationalen Literatur geäußerten Befürchtung einer aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL resultierenden „subsidiären Dauerpflicht“ zur Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL mit der „Möglichkeit einer erforderlichen ex-post- und ggf. ex-post-post-Betrachtung des ursprünglichen Projekts“.269 Das Instrument der Verträglichkeitsprüfung könnte sich über Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gewissermaßen zu einem über die gesamte Projektlaufzeit schwebenden „Perpetuum Mobile“ 270 entwickeln.271 Ob dies tatsächlich die von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bezweckte Rechtsfolge sein kann, lässt sich anzweifeln, erscheint sie doch mit Erwägungen des Bestandsschutzes nur schwerlich vereinbar.272 Die grundsätzliche Erstreckung der allgemeinen Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf die Auswirkungen auch bestandskräftig zugelassener Projekte mag zur effektiven Verwirklichung des in Art. 2 Abs. 1 FFH-RL normierten Hauptziels der Richtlinie, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern, erforderlich sein. Die Mehrzahl der zu prüfenden Projekte und Pläne ist nicht auf wenige Jahre beschränkt, sondern auf längere oder dauerhafte Betriebszeiten angelegt; zu denken ist hier etwa an Infrastrukturen wie Straßen oder Schienenwege.273 Insbesondere bei Großvorhaben liegen zwischen Zulassung und Baubeginn oft mehrere Jahre. Nicht zuletzt angesichts der mit einer prognostischen Verträglichkeitsprüfung notwendigerweise verbundenen Unwägbarkeiten sowie des Dynamikpotentials der Natur wäre der Schutz der Natura 2000-Gebiete unvollständig, würde die allgemeine Schutzverpflichtung des Mitgliedstaats hinsichtlich der Auswirkungen von Projekten mit deren Zulassung enden. Ungeachtet dieser hoch zu gewichtenden Naturschutzbelange können auf der anderen Seite die als allgemeine Rechtsgrundsätze der Union anerkannten Grundsätze der Rechtssicherheit,274 des Vertrauensschutzes275 sowie das mittler-

269 Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (96). 270 B. Stüer/E. Stüer, DVBl 2016, 571 (572). 271 Appel, NuR 2020, 663 (668). 272 Siehe Appel, NuR 2020, 663 (668). 273 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 106. 274 Vgl. EuGH, Urt. v. 21.09.1983, verb. Rs. C-205 bis 215/82 (Deutsche Milchkontor), ECLI:EU:C:1983:233, Rn. 30; Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 5, 2010, Rn. 1831; ders., UPR 2014, 88 (94); Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo, EU-Kommentar, EUV, Art. 19 Rn. 25; Kadelbach, in: Schulze/Janssen/Kadelbach, Europarecht, 4. Aufl. 2020, § 8 Rn. 45. 275 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.07.1973, Rs. 1/73 (Westzucker), ECLI:EU:C:1973:78, Rn. 5; Urt. v. 12.04.1984, Rs. 281/82 (Unifrex), ECLI:EU:C:1984:165, Rn. 25; Urt. v. 07.05.1992, verb. Rs. C-258/90 und 259/90 (Pesquerias De Bermeo u. Naviera Laida), ECLI:EU:C:1992:199, Rn. 34; Urt. v. 14.10.1999, Rs. C-104/97 P (Atlanta), ECLI:EU: C:1999:498, Rn. 52; Urt. v. 26.04.1988, Rs. 316/86 (Krücken), ECLI:EU:C:1988:201,

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

weile in Art. 5 Abs. 4 EUV auch primärrechtlich verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip276 sowie sonstige für das jeweilige Projekt streitende Interessen bei der Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben.277 Ausweislich des Art. 2 Abs. 3 FFH-RL ist bei Umsetzung der Richtlinienbestimmungen auch den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Insbesondere planfeststellungsbedürftige Großprojekte erfüllen ihrerseits wichtige, teils auch primärrechtlich verankerte Zielsetzungen der Union wie die Gewährleistung der Mobilität und damit des freien Binnenmarktes (Art. 3 EUV, Art. 26 AEUV) oder den Ausbau transeuropäischer Netze (Art. 170 ff. AEUV).278 Darüber hinaus leisten eine Reihe von Projekten langfristig gesehen auch einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Naturschutz.279 Dies betrifft augenscheinlich den Bereich des Ausbaus Erneuerbarer Energien, aber auch Projekte wie etwa solche zur Verlagerung des Verkehrs auf die Schienen, zur Verkürzung von Strecken oder Reduzierung von Emissionen.280 Bedenken begegnet die durch den Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL insbesondere mit Blick auf Projekte, denen eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt. Ließe sich die Zulässigkeit eines Projekts aufgrund sämtlicher zwischenzeitlich eingetretener Umstände – einschließlich solcher, die selbst bei Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht prognostiziert werden mussten – im Nachhinein, nunmehr gestützt auf eine Verträglichkeitsprüfung auf Grundlage des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Frage stellen, erscheint dies angesichts der hohen Anforderungen einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und dem hiermit verbundenen Prüfungsaufwand für den Projektträger281 aus VerhältnisRn. 22; Urt. v. 28.04.1988, Rs. 170/86 (von Deetzen), ECLI:EU:C:1988:214, Rn. 16; Kadelbach, in: Schulze/Janssen/Kadelbach, Europarecht, 4. Aufl. 2020, § 8 Rn. 46. 276 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.06.1980, verb. Rs. 41/79, 121/79 und 796/79 (Testa), ECLI:EU:C:1980:163, Rn. 21; Kadelbach, in: Schulze/Janssen/Kadelbach, Europarecht, 4. Aufl. 2020, § 8 Rn. 44. 277 Vgl. Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (107 ff.); Gärditz, DVBl 2010, 247(250). 278 Diesen Aspekt hervorhebend: Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (116 f.). 279 Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (116 f.). 280 Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (116 f.). 281 Nach § 34 Abs. 1 S. 3 BNatSchG hat der Projektträger die zur Prüfung der Verträglichkeit sowie der Voraussetzungen nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Bei Vorhaben, die einer UVP-Pflicht unterliegen, obliegt dem Vorhabenträger bereits nach § 6 Abs. 1 S. 1 UVPG die Vorlage entsprechender Materialien, da zu den nach dieser Bestimmung entscheidungserheblichen Unterlagen auch die für eine etwaige Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung erforderlichen gehören. Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 36.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 115

mäßigkeitsgründen bedenklich und wirft überdies die Frage nach der praktischen Wirksamkeit der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL auf. c) Verbleibende Spielräume: Zur Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsschutzbelangen im Rahmen der Ermessensentscheidung über geeignete Vermeidungsmaßnahmen Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, dass es auch mit Blick auf das allgemeine Vermeidungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eines Ausgleichs zwischen den im Einzelfall konfligierenden Belangen des Natura 2000-Gebietsschutzes auf der einen und den Bestandsschutzinteressen des Projektträgers auf der anderen Seite bedarf. Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs scheinen für die Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Bezug auf die Auswirkungen zugelassener Projekte dagegen allein zwei Kriterien maßgeblich: der gleiche Schutzstandard zwischen Art. 6 Abs. 2 und 3 FFH-RL sowie der Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Dauerverpflichtung der Mitgliedstaaten. Dem Vorliegen einer behördlichen Zulassungsentscheidung misst der Gerichtshof im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL demgegenüber offenbar keine maßgebliche Bedeutung zu. Der durch den Gerichtshof vorgenommenen Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ließe sich nach den Ergebnissen der bisherigen Untersuchung insofern durchaus eine einseitige Stärkung des europäischen Habitatschutzrechts zu Lasten anderer unionsrechtlich anerkannter Belange vorwerfen. Bevor jedoch vorschnell eine Abweichung von den Auslegungsgrundsätzen des Gerichtshofs erwogen282 oder gar die Frage nach einer etwaigen Überschreitung der Grenzen der Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof aufgeworfen wird,283 ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Berücksichtigung von Bestandsschutzbelangen im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch nicht gänzlich ausschließt. Vorrangig gilt es daher der Frage nachzugehen, inwieweit sich eine hinreichende Berücksichtigung von Bestandsschutzinteressen des Projektträgers auch unter Zugrundelegung des seitens des Gerichtshofs vertretenen Verständnisses des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erzielen lässt. Zumindest bei näherer Betrachtung belässt auch das WaldschlößchenbrückenUrteil für derartige Erwägungen einen hinreichenden Spielraum. Nach den hier getroffenen Aussagen mag das dem Mitgliedstaat nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eröffnete Ermessen durch den nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu bewahrenden Schutzstandard materiell-rechtlich stark eingeschränkt sein.284 Vorgaben hinsicht282 Vgl. zu der im Einzelnen umstrittenen Frage der Bindungswirkung erga omnes von Auslegungsurteilen des EuGH: Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo, EU-Kommentar, AEUV, Art. 267 Rn. 70 ff. 283 So aber wohl: Hoffmann, in: Kment, Der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf das Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2020, S. 75 (115 f.). 284 So Korbmacher, UPR 2018, 1 (6). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 1. a).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lich der für den Bestandsschutz des Projektträgers besonders relevanten Frage nach den ihm im Einzelnen drohenden bestandsschutzbeschränkenden Maßnahmen lassen sich dem Urteil bei genauerer Betrachtung indes nur begrenzt entnehmen. So statuierte der Gerichtshof eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung allein für den Fall, dass diese die einzig geeignete Maßnahme darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen auszuschließen, ohne hierbei die alternativ zur Verträglichkeitsprüfung in Betracht zu ziehenden Maßnahmen zu konkretisieren. Die Beurteilung des Bestehens einer nachträglichen Überprüfungspflicht bleibt damit letztlich weitestgehend der einzelfallbezogenen Entscheidung des Mitgliedstaats überlassen. Ungeklärt blieb schließlich auch die Frage nach den konkreten Rechtsfolgen bzw. weiteren Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung und fehlenden Ausnahmemöglichkeit.285 Jedenfalls an dieser Stelle erlangt auch der beschränkte Verfahrensgegenstand in Sachen Waldschlößchenbrücke Relevanz. In Rede stand die nachträgliche Überprüfung eines Projekts, dem keine unanfechtbare, sondern lediglich sofort vollziehbare Zulassungsentscheidung zugrunde lag, die überdies bereits vor Gebietslistung erteilt wurde und der keine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung vorangegangen war.286 Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im Rahmen der Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen Aspekte des Bestandsschutzes sowie die Einhaltung – oder auch Nichteinhaltung – der im Zulassungszeitpunkt bereits anwendbaren Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL von Relevanz sind, blieb bislang nicht nur im Waldschlößchenbrücken-Urteil, sondern auch in der sonstigen zu Art. 6 FFH-RL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offen und damit klärungsbedürftig.287

285

Vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147. Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. II. 2. 287 Vgl. insb. EuGH, Urt. v. 26.04.2018, Rs. C-97/17 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2018:285, wo es im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL um ein Projekt ging, für das zwar eine Zulassung vorlag, das jedoch keiner den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Prüfung unterzogen worden war. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:847 betraf vornehmlich ungenehmigte Projekte; sofern es auch um eine genehmigte Nutzung ging, war diese vor Anwendbarkeit der Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL zugelassen worden, sodass sich der EuGH nicht mit der Bedeutung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung auseinanderzusetzen hatte. In dem Urt. v. 07.09.2004, Rs. C-127/02 (Herzmuschelfischerei), ECLI: EU:C:2004:482 ging der EuGH zwar augenscheinlich davon aus, dass sich auch im Falle einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Prüfung die später eintretende Gefahr oder Wahrscheinlichkeit erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen nicht gänzlich ausschließen lasse; allerdings traf er keine Aussage zu den für diesen Fall seitens der Mitgliedstaaten konkret zu ergreifenden Maßnahmen. 286

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 117

Vermag das Vorliegen einer behördlichen Zulassung weder die grundsätzliche Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu verhindern, noch den im Rahmen dieser Vorschrift anzulegenden materiellen Schutzstandard zur Bewertung der Gebietsverträglichkeit abzuändern,288 ist hiermit insofern nicht gesagt, dass die Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung bzw. Aspekte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL oder auch sonstige für das zugelassene Projekt streitende öffentliche Interessen im Rahmen der Vermeidungspflicht des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ohne Bedeutung wären. Lediglich der Ort ihrer Berücksichtigungsfähigkeit ist nicht im Prüfungsmaßstab zur Bewertung der Gebietsverträglichkeit eines Projekts und damit der Bestimmung des materiellen Schutzniveaus des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, sondern vielmehr an anderer Stelle, nämlich der Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die im konkreten Einzelfall zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen zu suchen. Der Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsschutzbelangen im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL stehen auch die in der Rechtssache Papenburg getroffenen Aussagen des Gerichtshofs nicht entgegen. Der Gerichtshof stellte hier lediglich klar, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Anwendung der Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL auf Projekte, die bereits vor Anwendbarkeit der Schutzbestimmungen der FFH-Richtlinie endgültig genehmigt wurden, nicht generell entgegengehalten werden können.289 Wenngleich hiernach der Schutz des Vertrauens in den Bestand einer Zulassungsentscheidung mithin nicht so weit erstreckt werden kann, dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von unter der Geltung der früheren Regelung entstandenen Sachverhalten „schlechthin ausgeschlossen“ ist,290 bedeutet dies nicht, dass Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bei Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL keinerlei Bedeutung beigemessen werden kann.291 Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass dem Unionsrecht eine hinreichende Verwirklichungschance eröffnet ist.292 Nicht zwangsläufig ausgeschlossen ist hierdurch, dass die Ziele der FFH-Richtlinie im Einzelfall hinter den Erwägungen des Vertrauensschutzes sowie der Rechtssicherheit zurücktreten können.293 Nationale Verfahrensregelungen mögen ferner nicht dazu führen kön-

288

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) dd). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 1. a). 290 EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-266/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 46. 291 In diesem Sinne auch OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Lieber, NuR 2012, 665 (668). 292 Gärditz, DVBl 2010, 247 (250). 293 Lieber, NuR 2012, 665 (668). 289

118

2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

nen, dass Vorgaben des Unionsrechts nicht eingehalten werden.294 Eröffnet Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – anders als hinsichtlich seines materiellen Schutzstandards – in seiner verfahrensrechtlichen Komponente jedoch selbst einen Spielraum, kann bei einer Berücksichtigung der Bestandskraft einer nationalen Verwaltungsentscheidung von einer Nichteinhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben nicht die Rede sein. War der Gerichtshof speziell zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL mit der Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsschutzbelangen bei der Wahrnehmung der allgemeinen Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich befasst, lassen sich weiterführende Anhaltspunkte jedenfalls seinem Verständnis vom allgemeinen Loyalitätsgebot der Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 EUV entnehmen. Nach Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Wie bereits Erwähnung fand, stehen die unionsrechtlich gleichermaßen anerkannten Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen den aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten prinzipiell gleichwertig gegenüber.295 Trotz der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die rechtswidrigen Folgen eines Unionsrechtsverstoßes zu beheben,296 resultiert ausweislich der Rechtsprechung des Gerichtshofs allein aus der Unionsrechtswidrigkeit einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung daher keine grundsätzliche Verpflichtung der nationalen Verwaltungsbehörden zu dessen Überprüfung oder Anpassung.297 Eine aus Art. 4 Abs. 3 EUV resultierende Pflicht nationaler Verwaltungsbehörden, ihre Entscheidung zu überprüfen, wurde seitens des Gerichtshofs bislang vielmehr lediglich für Ausnahmekonstellationen angenommen, etwa um einer später vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Unionsrechts Rechnung zu tragen.298 Belastende Verwaltungsakte, deren Unionsrechtswidrigkeit sich nach Eintritt ihrer formellen Bestandskraft durch ein grundsätzlich ex tunc wirkendes Urteil des Gerichtshofs herausstellt, sind dann auf Antrag hin zu überprüfen, wenn die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen, die Entscheidung aufgrund eines in letzter Instanz entscheidenden nationa294 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 68 unter ausdrücklichen Verweis auf GAin Sharpston, Schlussanträgen v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 64. 295 Siehe hierzu unter 1. Teil, B. II. 296 EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a.), ECLI: EU:C:1991:428, Rn. 36; Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02 (Wells), ECLI:EU:C:2004:12, Rn. 64; Urt. v. 28.02.2012, Rs. C-41/11 (Inter-Environnement Wallonie), ECLI:EU:C: 2012:103, Rn. 43. 297 Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 140. 298 Kahl, in: Calliess/Ruffert, AEUV/EUV, EUV, Art. 4 Rn. 140.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 119

len Gerichts bestandskräftig geworden ist, dieses Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshof zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Unionsrechts beruht, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 267 Abs. 3 AEUV erfüllt war, der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat und Belange Dritter nicht verletzt werden.299 Allein unter diesen engen Voraussetzungen überwiegt das Interesse an der Herstellung möglichst unionsrechtskonformer Zustände die durch die Bestandskraft einer behördlichen Entscheidung vermittelte Rechtssicherheit, sodass die Verwaltungsbehörde unionsrechtlich verpflichtet ist, ihren (bestandskräftigen) Verwaltungsakt zu überprüfen.300 Dem Gerichtshof geht es ersichtlich darum, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der in Rede stehenden Fälle und Interessen einen „Ausgleich zwischen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem der Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht zu finden“.301 Ob sich der Bestandsschutz oder das Interesse an einer Korrektur der Entscheidung durchsetzt, ist im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu beantworten. Fällt die Abwägung zugunsten der Rechtssicherheit aus, kann der bestandskräftige Verwaltungsakt unverändert bestehen blieben; geht die Abwägung hingegen zugunsten der Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht aus, besteht eine Rechtsbereinigungspflicht, d. h. der Verwaltungsakt muss dem Unionsrecht angepasst werden.302 Mit Blick auf die durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL begründete Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu „geeigneten Maßnahmen“, die sich insofern als lex specialis zu der allgemeinen Verpflichtung aus Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV bzw. Art. 288 Abs. 3 AEUV begreifen lässt, kann kein abweichendes Verständnis gelten. Soweit speziellere Handlungspflichten im Unionsrecht vorhanden sind, die die konkret in Frage stehende Pflicht abschließend regeln, gehen sie der allgemeinen Loyalitätspflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV zwar vor.303 Indes bleibt Art. 4 Abs. 3 299 EuGH, Urt. v. 13.01.2004, Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz), ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 24; Urt. v. 19.09.2006, verb. Rs. C-392/04 und C-422/04 (i-21 Germany GmbH und Arcor), ECLI:EU:C:2006:586, Rn. 51; Urt. v. 12.02.2008, Rs. C-2/06 (Kempter), ECLI:EU:C:1991:60, Rn. 37; Urt. v. 04.10.2012, Rs. C-249/11 (Byankov), ECLI:EU: C:2012:608, Rn. 76. Vgl. hierzu auch: Kahl, NVwZ 2011, 449 (452). 300 Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, EUV, Art. 4 Rn. 110 f. 301 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.10.2012, Rs. C-249/11 (Byankov), ECLI:EU:C:2012:608, Rn. 77; Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, EUV, Art. 4 Rn. 109; Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (478). 302 Obwexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, EUV, Art. 4 Rn. 109. 303 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.12.1991, Rs. C-374/89 (Kommission/Belgien), ECLI:EU: C:1991:60, Rn. 13 ff. zu ex-Art. 5 Abs. 1 EWG-Vertrag); EuGH, Urt. v. 17.06.1987, Rs. C-394/85 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1987:293, Rn. 21; Urt. v. 12.07.1990, Rs. C-35/88 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:1990:302, Rn. 43; Urt. v. 03.03.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

EUV als Grundsatz jedenfalls für die Interpretation dieser Vorschrift von Relevanz.304 Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen Verstoß gegen das materiell-rechtliche Schutzniveau des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durch entsprechende Vermeidungsmaßnahmen abzuhelfen, anders als der allgemeinen aus Art. 4 EUV folgenden Verpflichtung zur Durchsetzung sonstiger Unionsinteressen ein derart absolutes Gewicht zukommen sollte, dass andere ebenfalls unionsrechtlich anerkannte Grundsätze wie die der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes keinerlei Berücksichtigung finden können. Auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL muss es mithin darum gehen, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls einen gerechten Ausgleich zwischen den konfligierenden Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie der Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen auf der einen und dem Interesse an der Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen, die zu erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen führen können, auf der anderen Seite zu finden. Nur unter der Prämisse, dass Bestandsschutzaspekte im Rahmen der Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen Berücksichtigung finden, lässt sich der dynamische und ausschließlich an naturfachlichen Gesichtspunkten orientierte materielle Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL rechtfertigen. Dies gilt umso mehr, als sich in Bezug auf die Handlungsverpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Bestandsschutzfragen nicht nur im Hinblick auf solche Verwaltungsentscheidungen stellen, die von Anfang an mit unionsrechtlichen Vorgaben in Widerspruch standen, sondern gerade auch im Hinblick auf solche Verwaltungsakte, die sich zum Zeitpunkt ihres Erlasses keiner Beanstandung ausgesetzt sahen.305 Das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dient gerade nicht der Überprüfung eines möglichen Unionsrechtsverstoßes im Zulassungsverfahren, sondern der Überprüfung der aktuellen Gebietsverträglichkeit eines bereits zugelassenen Projekts.306 Mindestens ebenso wie bei Verwaltungsakten, die sich nach einer späteren Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof als von Anfang an rechtswidrig herausstellen, müssen der Ge-

1993, verb. Rs. C-332, 333 und 335/92 (Eurico Italia), ECLI:EU:C:1994:79, Rn. 22; Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV, Art. 4 Rn. 73; Obexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, EUV, Art. 4 Rn. 84; Hatje, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, EUV, Art. 4 Rn. 38; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 28. 304 Vgl. Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, EUV, Art. 4 Rn. 73; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 28, Fn. 110; Obexer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, EUV, Art. 4 Rn. 87. Vgl. für das Primärrecht: EuGH, Urt. v. 21.07.2005, Rs. C-349/03 (Kommission/Vereinigtes Königreich), ECLI:EU:C:2005:488, Rn. 43; für das Sekundärrecht: EuG, T-366/07 (Telefónica), Rn. 309 ff. 305 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 1. b) und 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (2). 306 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) aa).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 121

danke der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bei begünstigenden Verwaltungsakten, die zunächst rechtmäßig ergangen sind, jedoch nicht in Einklang mit später erlassenen bzw. infolge veränderter Umstände erst später einschlägigen Sekundärrecht stehen, Berücksichtigung finden.307 3. Fazit und Folgerungen für die weitere Untersuchung Der durch den Europäischen Gerichtshof vorgenommenen Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lässt sich nach vorstehender Analyse das Potenzial zu durchaus erheblichen Beschränkungen des Bestandsschutzes auch bestandskräftig zugelassener Projekte nicht aberkennen. Trotz der Bedenken, denen die extensive Auslegung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL durch den Europäischen Gerichtshof begegnet, erscheint die Annahme einer weitgehenden Relativierung des Bestandsschutzes gleichwohl als verfrüht.308 Konstatieren lässt sich vielmehr, dass eine abschließende Befassung mit der Relevanz von Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – insbesondere auch unter dem Blickwinkel der Bestandskraft nationaler Zulassungsentscheidungen sowie der Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren – durch den Europäischen Gerichtshof derzeit noch aussteht. Zumindest unter Zugrundelegung seiner bisherigen Rechtsprechung ist eine Berücksichtigung von Bestandsschutzbelangen zwar nicht bei Bestimmung des materiellen Schutzstandards des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, so doch jedenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen möglich und überdies auch geboten. Ansatzpunkt bietet hierbei zum einen die Entscheidung über die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung, ferner die Entscheidung über die weiteren, im Falle ihres negativen Ausgangs zu ergreifenden Maßnahmen. Bereits an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben kann ferner, dass sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs Anhaltspunkte für die Berücksichtigungsfähigkeit von Aspekten der Rechtssicherheit im Rahmen der Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL finden.309 Auf welche Art und Weise sich Bestandsschutzbelangen auf vorgenannten Ebenen im Einzelnen Rechnung tragen lässt, ohne hierbei in Konflikt mit den Vorgaben des Natura 2000-Gebietsschutzes sowie den hierzu aufgestellten Maßstäben des Gerichtshofs zu geraten, wird in den nachfolgenden Abschnitten zu konkretisieren sein. Bedingt durch den Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als umsetzungsbedürftige Richtlinienbestimmung ist ferner zu untersuchen, wie sich die Vorgaben des Verschlechterungsverbots bzw. der diesbezüglich bestehenden 307

Vgl. Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 141. In diesem Sinne auch: Appel, NuR 2020, 663 (667). 309 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI: EU:C:2016:105, Rn. 41. Siehe hierzu ausführlich unter 2. Teil, B. VI. 308

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats in das nationale Recht integrieren lassen. Unmittelbare Beschränkungen des Bestandsschutzes können sich für den Projektträger ohnehin nur aus dem nationalen (Umsetzungs-)Recht ergeben.310 Vor diesem Hintergrund ist im Ausgangspunkt auf die unmittelbar in Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergangene Verbotsvorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG einzugehen (III.). Sodann sind die Entscheidung des Mitgliedstaats über die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung (IV.), die Rechtsfolgen einer negativen Verträglichkeitsprüfung (V.) sowie die Ausnahmemöglichkeit in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL (VI.) einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Abschließend ist auf die Frage einzugehen, inwieweit die Möglichkeit einer Befreiung nach § 67 BNatSchG auch gegenüber den Vorgaben des Natura 2000-Gebietsschutzes besteht (VII.).

III. Die Implementierung des allgemeinen Verschlechterungsverbots im nationalen Recht: Der handlungsbezogene Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG Zur Umsetzung seiner Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL i.V. m. Art. 288 Abs. 3 AEUV311 hat der deutsche Gesetzgeber in § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sämtliche Veränderungen und Störungen für unzulässig erklärt, die zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können.312 Liegt eine erhebliche Beeinträchtigung vor, ist – vorbehaltlich einer Ausnahmegenehmigung nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG – die verursachende Veränderung oder Störung unmittelbar kraft Gesetzes unzulässig, ohne dass es einer behördlichen Entscheidung bedarf.313 Für die unmittelbare Geltung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG streitet bereits die Formulierung als handlungsbezogener Verbotstatbestand, ferner die Bußgeldbewehrung der Vorschrift nach § 69 Abs. 3 Nr. 6 BNatSchG im Falle eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns.314

310 311

Siehe hierzu unter 1. Teil, B. I. und II. Siehe zur Umsetzungsverpflichtung des nationalen Gesetzgebers unter 1. Teil,

B. I. 312

Vgl. BT-Drs. 16/12274, S. 64. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 11, 31. 314 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2005, 1141 (1442); Beschl. v. 03.06.2004 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1246 (1247). Insofern besteht bereits von vornherein keine Vergleichbarkeit zu den weder straf- noch bußgeldbewehrten immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten, bezüglich derer teilweise vertreten wird, dass sie im Sinne einer abstrakten, dem individuellen Pflichtenstadium vorgelagerten allgemeinen Handlungsnorm zu verstehen seien, vgl. hierzu nur: Uschkereit, Der Bestandsschutz im Bau- und Immissionsschutzrecht, 2007, S. 313 ff. Die h. M. geht überdies auch dort von einer unmittelbaren Geltung der Grundpflichten aus, siehe hierzu oben unter 1. Teil, A. IV. 1. a) bb). 313

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 123

Darüber hinaus ist gemäß § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG durch geeignete Gebote und Verbote in einzelgebietsbezogenen Schutzerklärungen sicherzustellen, dass den Anforderungen des Art. 6 FFH-RL entsprochen wird. § 32 Abs. 3 S. 4 BNatSchG stellt dabei klar, dass weitergehende – und damit vor allem strengere – Schutzvorschriften unberührt bleiben. Vor dem Hintergrund, dass die zur Umsetzung der europäischen Mindestschutzerfordernisse aus Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL bestimmten Anordnungen bereits in den §§ 33–36 BNatSchG normiert sind, erweist sich die auf konkrete Einzelgebiete bezogene Schutzerklärung als geeignete Regelungsebene, um die abstrakten gesetzlichen Anordnungen der §§ 33 ff. BNatSchG in einer Weise zu konkretisieren, die den Besonderheiten des einzelnen Gebiets und den dort verfolgten Erhaltungszielen gerecht wird.315 Existieren Ge- und Verbote i. S. d. § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG, gehen diese als leges speciales dem allgemeinen Verschlechterungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vor, soweit sie selbst den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entsprechen.316 Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, angesichts der Verpflichtung aus § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG jedoch aus der Gesetzessystematik.317 Da dem allgemeinen Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG damit jedenfalls eine Auffangfunktion als Normierung des gesetzlichen Mindeststandards zukommt,318 sollen sich die nachfolgenden Ausführungen auf die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG beschränken. 1. Anwendungsbereich Ausweislich der Gesetzesbegründung war die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG als Auffangtatbestand für solche Veränderungen und Störungen angedacht, die nicht dem Projektbegriff des § 34 BNatSchG unterfallen.319 Bei derartigen Maßnahmen, die keine Projekte darstellen, besteht die Vermutung, dass sie vor ihrer Durchführung nicht zur Kenntnis der Behörden gelangen werden, sodass dem Gesetzgeber hier für den Fall erheblich beeinträchtigender Wirkungen die Festsetzung eines abstrakt-generellen Verbots gerechtfertigt erschien.320

315

Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 32 Rn. 12. BT-Drs. 16/12274, S. 64; Würtenberger, NuR 2010, 316 (319); Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 478; Appel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 33 Rn. 14; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 32 Rn. 12 und § 33 Rn. 6. 317 Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 3; Appel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 33 Rn. 14. 318 Appel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 33 Rn. 14; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 6. 319 BT-Drs. 16/12274, S. 64; Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 1. 320 Siehe BT-Drs. 16/12274, S. 64. 316

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Nicht zuletzt angesichts der Weite des Projektbegriffs321 wurde der Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG daher zunächst als gering angesehen; erfasst sein sollten vorrangig nicht genehmigungs- oder anzeigepflichtige Maßnahmen wie etwa Freizeitaktivitäten.322 Ein derart abschließendes Verständnis der projektbezogenen Regelung des § 34 BNatSchG wäre für den Projektträger aus Bestandsschutzgesichtspunkten insofern von Vorteil, als sich aus dem Habitatschutzrecht jedenfalls keine unmittelbaren Pflichten für die Errichtung- und Betriebsphase eines bestandskräftig zugelassenen Projekts ergeben würden.323 Angesichts der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zum Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lässt sich eine derartige Auslegung jedoch nicht mehr aufrechterhalten. Gelten die materiellen Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch für Tätigkeiten, die dem Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterfallen,324 ist die Vorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG dahingehend – unionsrechtskonform – auszulegen, dass von ihr grundsätzlich auch solche Veränderungen und Störungen erfasst sind, die auf die Auswirkungen zugelassener Projekte zurückzuführen sind.325 Obgleich eine derartige Interpretation des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht seiner ursprünglichen Intention entsprechen mag, ist davon auszugehen, dass

321 Vgl. zur weiten Auslegung des Projektbegriffs nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: EuGH, Urt. v. 10.01.2006, Rs. C-98/03 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C: 2006:3, Rn. 31 ff.; Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-226/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 35 ff. 322 So noch: J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 33 Rn. 3, diese Auffassung jedoch nicht mehr vertretend in der 3. Aufl. 2021. 323 So wohl auch Gellermann, NuR 2004, 769 (770). 324 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 2. a). 325 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 54 ff.; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht BNatSchG, § 33 Rn. 5; Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 33 Rn. 19 f.; wohl auch Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 16; dagegen wohl noch von einem abschließenden Verständnis des § 34 BNatSchG: VGH Mannheim, Urt. v. 21.12.2006 – 8 S 1827/06, juris Rn. 19, wo der VGH statuierte, dass „weder die FFH-Richtlinie noch das Naturschutzgesetz [. . .] Regelungen [enthalten], aus denen die Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde abgeleitet werden könnte, auch nach der Zulassung eines Projekts die Frage der Umweltverträglichkeit unter Kontrolle zu halten und notfalls von Amts wegen oder auf Antrag eines Dritten einen Planfeststellungsbeschluss wieder aufzuheben, wenn nachträglich Umstände eintreten, die geeignet sein könnten, die Verträglichkeitsfrage neu zu überdenken“. In der zur EuGH-Rspr. ergangenen Literatur wird die hier vertretene Schlussfolgerung für § 33 BNatSchG weitestgehend nicht gezogen, vgl. Beier, NVwZ 2016, 575 ff.; Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016 Anm. 1; Korbmacher, UPR 2018, 1 ff.; Mayer, EurUP 2016, 151 ff.; Gärditz, DVBl 2010, 247 ff.; Würtenberger, NuR 2010, 316 ff.; Glaser, EuZW 2010, 225 f.; ferner auch BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 – 9 A 9/15, NVwZ 2016, 1631 (1637). Da es bei Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Richtlinienbestimmung auf seine Umsetzung im nationalen Recht ankommt, ist dies verwunderlich, siehe hierzu unter 1. Teil, B. I.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 125

der Gesetzgeber mit § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine Umsetzungsnorm schaffen wollte, die den unionsrechtlichen Anforderungen hinreichend Rechnung trägt. Auch lässt der Wortlaut der Vorschrift eine solche Auslegung im Sinne einer Dauerverpflichtung für Projekte, die nach § 34 BNatSchG zugelassen wurden, ohne Weiteres zu. Anders als § 5 Abs. 1 BImSchG, der sich ausdrücklich auf „die Errichtung und den Betrieb“ immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen bezieht und damit anerkanntermaßen dynamischen Betreiberpflichten im Sinne einer während des gesamten Betriebszeitraums zu beachtenden Dauerpflicht begründet,326 fehlt es bei § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG zwar an einem entsprechenden klarstellenden Zusatz. Andererseits sind nach § 34 BNatSchG genehmigte Tätigkeiten auch nicht ausdrücklich von dem Verbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ausgenommen. Seinem Wortlaut nach statuiert § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vielmehr ein allgemein an sämtliche potenzielle Verursacher von Störungen und Verschlechterungen gerichtetes handlungsbezogenes Verbot. Die vom Gesetzgeber auch als „allgemeines Verschlechterungsverbot“327 bezeichnete Schutznorm ist mit seiner Anknüpfung an „Veränderungen“ und „Störungen“ so weit gefasst, dass grundsätzlich sämtliche erhebliche Gebietsbeeinträchtigungen eingeschlossen werden.328 Adressat des Veränderungs- und Störungsverbots nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sind neben sonstigen aktiv Handelnden daher auch Anlagenbetreiber und Vorhabenträger bzw. Inhaber eines nach § 34 BNatSchG zugelassenen Projekts.329 Entsprechend den zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL aufgestellten Grundsätzen schließt § 34 BNatSchG als Spezialregelung zwar in ihrem Anwendungsbereich den Rückgriff auf das allgemeine Verbot des § 33 Abs. 1 BNatSchG aus.330 Für die Zulassung projektbedingter Einwirkungen ist die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG insofern ohne Relevanz.331 Außerhalb des Zulassungszeitpunkts findet § 33 BNatSchG jedoch auch auf projektbezogene Auswirkungen Anwendung.332 Die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG wird durch die Vorschrift des § 34 BNatSchG in Bezug auf Projekte mithin weder vollständig noch dauerhaft verdrängt, sodass ein nicht unerheblicher Anwendungsbereich verbleibt.

326

Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) bb). BT-Drs. 16/12 274, S. 64. 328 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 13. 329 So auch Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 11. 330 Siehe zum Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL unter 2. Teil, B. I. 2. b); zu § 33 BNatSchG: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 5. 331 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 5. 332 So auch Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 17. 327

126

2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

2. Inhaltliche Anforderungen In Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG gelten die zum materiellen Schutzniveau des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL getroffenen Aussagen entsprechend.333 Aufgrund des gleichen Schutzniveaus, das es über § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG herzustellen gilt, ist für die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit zu Veränderungen oder Störungen führt, die das in Rede stehende Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen können, derselbe Maßstab zugrunde zu legen wie im Rahmen des § 34 Abs. 2 BNatSchG.334 Die Verbotswirkung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG wird mithin bereits dann aktiviert, wenn nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die in Rede stehende Veränderung oder Störung nachteilige Auswirkungen auf die im jeweiligen Gebiet verfolgten Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke hat.335 Eine erhebliche Beeinträchtigung muss für einen Verstoß gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht bereits eingetreten sein; vielmehr genügt die Möglichkeit („führen können“).336 Nur wenn sich anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes erhebliche Beeinträchtigungen mit Gewissheit und ohne vernünftigen Zweifel ausschließen lassen, liegt kein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vor.337 Entfallen kann eine Wirkungsprognose der projektbedingten Auswirkungen, wenn durch die ausgeübte Tätigkeit eine Schädigung bereits eingetreten ist.338 Hier stellt sich dann lediglich die Frage der Erheblichkeit der Auswirkungen.339 Bei Überprüfung des Vorliegens eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sind – trotz des insoweit von § 34 Abs. 1 BNatSchG abweichenden Wortlauts – die Vorbelastungen im Gebiet, die kumulierenden Auswirkungen anderer zu erwartender, aber noch nicht verwirklichter Vorhaben sowie sämtliche absehbar zu erwartenden allgemeinen Veränderungen für die Lebensraumtypen und Arten miteinzubeziehen. 340 Aspekte des Bestandsschutzes können auf die Bewertung der Gebietsverträglichkeit eines zugelassenen Projekts nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG keinen Einfluss haben.341 Dabei kommt es im Rahmen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG entscheidend darauf an, ob die Errichtung oder der Betrieb eines Projekts aktuell Veränderungen

333

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a). Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 23. 335 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 59; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 9. 336 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 23. 337 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 25. 338 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 25. 339 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 25. 340 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) bb) sowie Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 33 Rn. 29. 341 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) dd). 334

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 127

und Störungen verursacht, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen können.342 Allein ein derartiges Verständnis entspricht der handlungsbezogenen Formulierung des Verbotstatbestands und wird dem Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als fortlaufende Vermeidungsverpflichtung des Mitgliedstaats gerecht.343 § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG beinhaltet für Projektträger im Ergebnis eine fortlaufende, sich stetig aktualisierende allgemeine Verhaltenspflicht,344 die während der gesamten Errichtungs- und Betriebsdauer und gegebenenfalls auch während der Stilllegung von Projekten zu beachten ist. In Übereinstimmung mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kommt die Vorschrift dann zum Tragen, wenn sich nach der Zulassung eines Projekts herausstellt, dass dessen Verwirklichung entgegen den im Zulassungszeitpunkt getroffenen Annahmen relevante Veränderungen oder Störungen i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG hervorruft.345 Dies gilt dabei nicht nur für den Fall, dass ein Projekt unter Verfehlung der Anforderungen des § 34 BNatSchG zugelassen wurde, sondern auch, wenn sich der Zulassungsakt selbst zwar keiner habitatschutzrechtlichen Beanstandung ausgesetzt sieht, die Ausführung des Projekts jedoch gleichwohl zu Verschlechterungen oder erheblichen Störungen führen kann.346 3. Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die in Umsetzung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergangene Verbotsvorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG für zugelassene Projekte i. S. d. § 34 BNatSchG außerhalb des Zulassungsverfahrens ein dauerhaft beachtliches Verbot gebietsrelevanter Veränderungen und Störungen begründet. Inhaltlich ist § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG dabei derselbe Maßstab zugrunde zu legen wie im Rahmen des § 34 Abs. 2 BNatSchG. Mit § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ist jedenfalls das materielle Schutzniveau des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in das nationale Recht implementiert. Offen bleibt die in den nachstehenden Abschnitten zu untersuchende Frage nach den verfahrensrechtlichen Instrumentarien zur Sicherstellung und Durchsetzung des in § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG normierten Schutzstandards gegenüber zugelassenen Projekten.

342

Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 11. Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) aa). 344 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 31. 345 Siehe zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: 2. Teil, B. I. 1. b) sowie 2. Teil, B. II. 2. a) cc); zu § 33 BNatSchG: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 5. 346 Siehe zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: 2. Teil, B. I. 1. b) sowie 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (2) und (3); zu § 33 BNatSchG: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 5. 343

128

2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

IV. Die Entscheidung über die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung Veranlasst durch das Waldschlößchenbrücken-Urteil, bedarf im Folgenden zunächst das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung einer näheren Befassung. Bevor auf die Möglichkeit der verfahrensrechtlichen Implementierung dieses projektspezifischen Vermeidungsinstrumentariums in das nationale Recht eingegangen wird (3.), ist zunächst der Frage nachzugehen, in welchen Fällen die nachträgliche Überprüfung eines nach Anwendbarkeit der Vorgaben des Art. 6 FFH-RL zugelassenen Projekts überhaupt als „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht zu ziehen ist (1.), ferner, welche Gesichtspunkte für die Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht eines zugelassenen Projekts von Relevanz sein können (2.). 1. Beschränkung des Instruments der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung auf Fälle einer „nachzuholenden“ Verträglichkeitsprüfung? Die Frage, in welchen Fällen die nachträgliche Überprüfung eines nach Anwendbarkeit der Vorgaben des Art. 6 FFH-RL zugelassenen Projekts als „geeignete Maßnahme“ in Betracht zu ziehen ist, stellt sich insbesondere angesichts des beschränkten Verfahrensgegenstands in Sachen Waldschlößchenbrücke. Ausdrücklich hat der Europäische Gerichtshof die Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfungspflicht lediglich für solche Projekte angenommen, die vor ihrer Zulassung keiner den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Prüfung unterzogen wurden und deren Zulassungsentscheidung darüber hinaus auch noch nicht in Bestandskraft erwachsen war.347 Ob Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Einzelfall auch die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung eines Projekts erfordern kann, dessen bestandskräftiger Zulassungsentscheidung eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt, wurde seitens des Europäischen Gerichtshofs dagegen bislang nicht ausdrücklich entschieden. Insbesondere mit Blick auf die Bedenken, denen eine zumindest in verfahrensrechtlicher Hinsicht „anlasslose“ und in materiell-rechtlicher Hinsicht dynamische nachträgliche Verträglichkeitsprüfung begegnet,348 lässt sich bis zu einer ausdrücklichen Befassung des Gerichtshofs daher grundsätzlich in Frage stellen, ob die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung, wie sie im Waldschlößchenbrücken-Urteil konkretisiert wurde, gegenüber solchen Projekten überhaupt zur Anwendung gelangen kann.349 Das 347 348 349

(7 f.).

Dies hervorhebend: Appel, NuR 2020, 663 (667). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. b). So Appel, NuR 2020, 663 (667 f.); nicht eindeutig: Korbmacher, UPR 2018, 1

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 129

Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung könnte lediglich im Sinne einer „nachzuholenden“350 Verträglichkeitsprüfung zu verstehen sein, die allein in Fällen einer fehlenden oder fehlerhaften Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung im Zulassungsverfahren eingreift. In den bisher getroffenen Ausführungen wurde indes bereits deutlich, dass die bisher zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vertretene Auslegungspraxis des Gerichtshofs eine gegenteilige Sichtweise nahelegt.351 Jedenfalls für die Frage, wann eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung überhaupt als eine geeignete Vermeidungsmaßnahme in die Ermessenserwägungen des Mitgliedstaats einzustellen ist, kann wie auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL allein die materiell-rechtlich zu beurteilende Frage entscheidend sein, ob die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer projektbedingten Verschlechterung der Lebensräume oder der Störung von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele der FFH-Richtlinie erheblich auswirken könnten, nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann. Dargelegt wurde ferner, dass weder die Unanfechtbarkeit einer Zulassungsentscheidung noch die Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL an der Beurteilung des materiellen Schutzstandards des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL etwas zu ändern vermögen.352 Liegt der Projektzulassung keine den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde – sei es, dass eine solche trotz Erfordernis nicht durchgeführt wurde, sei es, dass sie nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprach – lassen sich nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevante Gebietsbeeinträchtigungen, nicht ohne Weiteres ausschließen.353 Denn das Verfahren, das bei Vorhabenzulassung den späteren Eintritt erheblicher projektbedingter Gebietsbeeinträchtigungen ausschließen soll, wurde gerade nicht eingehalten. Ausschließen lassen dürfte sich die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen hier nur ausnahmsweise in Fällen, in denen sich der Gebietszustand zwischenzeitlich erheblich verbessert hat. Im Falle einer Missachtung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL ist es daher naheliegend, eine nachträgliche Überprüfung des zugelassenen Projekts zumindest als eine geeignete Vermeidungsmaßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht zu ziehen.354 Sofern eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde, besteht für die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung jedenfalls solange kein Anlass, wie die Ergebnisse der in der Zulassungsentscheidung durchgeführten Verträglichkeitsprü350 351 352 353 354

So die Bezeichnung bei Korbmacher, UPR 2018, 1 (7). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. b). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) dd). Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 341 (342 f.). Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 341 (347).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

fung noch zutreffend und tragfähig sind.355 Aber auch eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung vermag die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen nur zweifelsfrei auszuschließen, sofern sich die maßgebliche Bewertungslage zwischenzeitlich nicht verändert hat.356 Die erneute Verträglichkeitsprüfung kann daher grundsätzlich als eine geeignete Vermeidungsmaßnahme in Betracht zu ziehen sein, wenn Veränderungen des Erhaltungszustands des betreffenden Gebiets auftreten, die nach den zum Zeitpunkt der Projektzulassung verfügbaren neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht prognostiziert werden mussten bzw. konnten, oder bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über projektbedingte Auswirkungen auf den Erhaltungszustand. Kann ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits dann vorliegen, wenn die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr besteht, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf einem geschützten Gebiet erhebliche Störungen für eine Art verursacht, ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Tätigkeit und der erheblichen Störung der geschützten Art nachgewiesen werden müsste,357 und sieht Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausdrücklich eine ex-ante-Verträglichkeitsprüfung als geeignete Maßnahme zur Ausräumung einer derartigen Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen vor, ist es naheliegend, die ex-post-Verträglichkeitsprüfung auch in Bezug auf bestandskräftig und unter Einhaltung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL zugelassene Projekte zumindest als eine der geeigneten Vermeidungsmaßnahmen i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anzusehen, sollte die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen nach Zulassung des Projekts nicht mehr zweifelsfrei ausgeschlossen werden können. Mit dem generellen Ausschluss einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung bzw. im Anschluss hieran möglicher projektbezogener Vermeidungsmaßnahmen wäre der Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Einzelfall möglicherweise jegliche Verwirklichungschance genommen. Auch die Generalanwältin Sharpston vertrat in ihren Schlussanträgen zur Dresdner Waldschlößchenbrücke die Auffassung, dass bei einem Projekt, dem eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Prüfung zugrunde liegt, „bei einer Änderung der Verhältnisse des Gebiets oder der Projektdetails eine Nachprüfung der Untersuchung im Licht der veränderten Situation als eine durch Art. 6 Abs. 2 vorgeschriebene ,geeignete Maßnahme‘ zur Vermeidung der Verschlechterung der Lebensräume oder der Störung von Arten geboten sein [kann]“.358

355

Beier, NVwZ 2016, 575 (577). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (2). 357 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 41 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 142 und die dort angeführte Rspr. 358 GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 43. 356

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 131

2. Reduzierung des Ermessens zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfungspflicht? Selbst wenn man die nachträgliche Überprüfung bestandskräftig zugelassener Projekte – unabhängig von der Einhaltung Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFHRL – als grundsätzlich „geeignete Maßnahme“ i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ansieht, ist hiermit noch nicht die Frage beantwortet, wann eine Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Durchführung einer solchen Verträglichkeitsprüfung anzunehmen ist. Denn auch für den Fall, dass sich die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen nicht zweifelsfrei ausschließen lässt, ergibt sich ausweislich der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine solche Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL anders als bei Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nicht automatisch, sondern nur, sofern dies die einzige geeignete Maßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten, auszuräumen.359 Dargelegt wurde, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung neben dem Interesse an einer effektiven Verwirklichung der Richtlinienziele auch Bestandsschutzinteressen des Projektträgers maßgeblich Berücksichtigung finden müssen.360 Das dem Mitgliedstaat diesbezüglich eingeräumte Ermessen bietet insofern auch ein gewisses Korrektiv für den fehlenden verfahrensrechtlichen Ansatzpunkt einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung.361 Eine präzise Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL von dem des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bleibt daher nach wie vor von erheblicher Relevanz.362 Die Frage, wann eine Maßnahme nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geboten ist, bedarf angesichts der Vielfalt an zu berücksichtigenden Faktoren stets einer Bewer359 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 46. Missverständlich ist insofern die Formulierung des EuGH unter Rn. 44: „Wenn eine solche Wahrscheinlichkeit oder Gefahr auftreten kann, weil ein Plan oder Projekt nicht – unter dem Gesichtspunkt einer ,geeigneten Maßnahme‘ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie – auf der Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse einer nachträglichen Prüfung auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet unterzogen wurde, konkretisiert sich die in Rn. 37 des vorliegenden Urteils genannte allgemeine Schutzpflicht in einer Pflicht zur Durchführung dieser Prüfung“, die im Sinne einer automatischen Pflicht zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung verstanden werden könnte. 360 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c). 361 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. b). 362 Entscheidend ist hierbei zum einen die Reichweite des Projektbegriffs sowie die Bestimmung dessen, was unter den Begriff der „Zustimmung“ i. S. d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu fassen ist, vgl. hierzu etwa: EuGH, Urt. v. 09.09.2020, Rs. C-254/19 (Friends of the Irish Environment), ECLI:EU:C:2020:230, Rn. 22–48 (zur Entscheidung über die Verlängerung einer Genehmigungsfrist) sowie EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-226/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 47, 48 (zu fortlaufenden Unterhaltungsmaßnahmen).

132

2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

tung anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls bzw. der Situation des jeweiligen Gebiets.363 Sofern es um die Auswirkungen zugelassener Projekte geht, mag es hierbei bis zu einer ausdrücklichen Befassung des Europäischen Gerichtshofs mit der Bedeutung der Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung für die Ermessensentscheidung der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL an verlässlichen Kriterien fehlen. Dies darf jedoch nicht zur Folge haben, dass das Ermessen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Zweifelsfall undifferenziert durch die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung ausgeübt wird.364 Um für die Ermessensentscheidung über das Bestehen einer nachträglichen Überprüfungspflicht zumindest gewisse Parameter bestimmen zu können, ist zum einen maßgeblich, welche sonstigen Maßnahmen alternativ zur Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung in Betracht kommen [a)], zum anderen, welche Gesichtspunkte mit welchem Gewicht in die Ermessensentscheidung über die verschiedenen in Betracht kommenden Maßnahmen i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einzustellen sind [b)]. Die Schwierigkeit, allgemein gültige Maßstäbe für das Erfordernis einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung im Speziellen sowie generell zu projektbezogenen Maßnahmen zu finden, resultiert vor allem auch aus dem weiten Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. a) Alternativmaßnahmen zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung Die Frage, welche weiteren „geeigneten Maßnahmen“ alternativ zu der Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung in Betracht zu ziehen sind, wurde seitens des Gerichtshofs nicht näher konkretisiert und ist auch in der nationalen Rechtsprechung365 sowie Literatur bislang weitgehend ungeklärt.366 aa) Unmittelbar projektbezogene Maßnahmen als potenzielle Alternativmaßnahmen Fraglich ist zunächst, ob als mögliche Alternativen zur Durchführung einer den strengen Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden nach-

363 Allgemein zu den nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen Maßnahmen: Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (82). 364 Vgl. hierzu: Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016 Anm. 1, D. 365 Das BVerwG ließ die Frage in dem Verfahren betreffend die Dresdner Waldschlößchenbrücke offen; das Erfordernis einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung bejahte das Gericht im konkreten Fall bereits daraus, dass das Projekt einer Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bedurfte, jedoch keiner nachträgliche Verträglichkeitsprüfung auf Grundlage der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse unterzogen worden war, BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631 (1637). Vgl. hierzu auch Bick, jurisPR-BVerwG 24/2016 Anm. 5. 366 Fielenbach, jurisPR-UmwR 2/2016, D.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 133

träglichen Verträglichkeitsprüfung unmittelbar projektbezogene Maßnahmen in Betracht zu ziehen sind. Das Erfordernis einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung lässt sich jedenfalls nicht mit dem Argument verneinen, es lägen ohnehin die Ausnahmevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL vor, weshalb die ansonsten bestehende Handlungsverpflichtung des Mitgliedstaats nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entfalle.367 Denn wie bereits festgestellt, setzt eine Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zwingend eine vorherige Verträglichkeitsprüfung voraus, die den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL genügt.368 Die Ausnahmemöglichkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann mithin keine Alternative zur Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung darstellen. Entsprechendes ist für im eigentlichen Sinne projektbezogene Maßnahmen anzunehmen, wie die Anordnung der vollständigen oder teilweisen Einstellung eines zugelassenen Projektbetriebs. Zwar mögen derartige Maßnahmen in tatsächlicher Hinsicht imstande sein, die Gefahr oder Wahrscheinlichkeit von erheblichen projektbedingten Gebietsbeeinträchtigungen auszuräumen. Auch die Anordnung derartiger zulassungsbeschränkender Maßnahmen setzt jedoch voraus, dass die Gebietsunverträglichkeit des zugelassenen Projekts zuvor im Wege einer nachträglichen, den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung festgestellt wurde.369 Allein ein derartiges Verständnis entspricht dem gleichen Schutzniveau zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFHRL und trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinreichend Rechnung. So wie im Zulassungszeitpunkt die im Wege einer ex-ante-Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL festgestellte Gebietsverträglichkeit des Projekts Voraussetzung für dessen Zulässigkeit bildet,370 muss nach Projektzulassung spiegelbildlich die Feststellung der Gebietsunverträglichkeit des zugelassenen Projekts im Wege einer denselben Maßstäben genügenden ex-post-Verträglichkeitsprüfung Voraussetzung für jede zulassungsbeschränkende „geeignete Maßnahme“

367 In diesem Sinne zur Vorhabenzulassung auch Kremer, ZUR 2007, 299 (303). Nach Rspr. des EuGH kann ein Projekt, das ansonsten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als verboten hätte angesehen werden können, in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL genehmigt werden, EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 55; unter Verweis auf Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 156. 368 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 3 und 2. Teil, B. II. 1. b). 369 So für § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auch VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 58 f.; a. A. offenbar: GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:63, Rn. 49, die als Alternative zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung neben geeigneten, klar umrissenen Präventivmaßnahmen (z. B. bei einer ganz konkreten Gefährdung) auch den Widerruf der ursprünglichen Genehmigung und die Anordnung eines vollständig neuen Prüfungsverfahrens als einzig geeignete Maßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht zieht. 370 Vgl. hierzu unter 2. Teil, A. II. 2.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

auf Grundlage des nationalen Rechts sein.371 Art. 6 Abs. 3 FFH-RL markiert insofern auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die allgemeine Verantwortlichkeitsgrenze für den Projektträger.372 Eine im weiteren Sinne zu verstehende „Alternative“ zur Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung des in Rede stehenden Projekts bzw. Plans kann es zwar darstellen, dass in einem nachgelagerten Verfahren die Beachtung des Verschlechterungs- und Störungsverbotes nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL hinreichend sichergestellt ist.373 Bei den hier zu betrachtenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sowie Planfeststellungsbeschlüssen kommt eine derartige Verlagerung auf eine nachgelagerte Ebene indes nicht in Betracht. bb) Nicht projektbezogene Alternativmaßnahmen: Umfassende Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Die im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht zu ziehenden Alternativmaßnahmen sind indes nicht auf unmittelbar projektbezogene Maßnahmen beschränkt. Begründet liegt dies in dem umfassenden Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Neben den Auswirkungen bereits zugelassener Pläne und Projekten nimmt das allgemeine Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFHRL auch sämtliche sonstigen anthropogenen Beeinträchtigungen und Störungen in den Blick, die – wie beispielsweise landwirtschaftliche Tätigkeiten oder Fischereitätigkeiten – nicht dem Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterfallen.374 Darüber hinaus ist die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht auf die Abwehr externer, durch menschliche Tätigkeiten verursachte Beeinträchtigungen

371 Vorläufige Maßnahmen, die den Bestand der Genehmigung nicht tangieren, sind dagegen bereits im Vorfeld der Durchführung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung zulässig [siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (2)]. Auch derartige vorläufige Maßnahmen können indes nicht als Alternativmaßnahmen in Betracht gezogen werden, da sie lediglich der vorläufigen Absicherung bis zur Durchführung der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung dienen. 372 Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34. 373 Siehe OVG Münster, Urt. v. 16.06.2016 – 8 D 99/13.AK, juris Rn. 371, das die Nachholung der FFH-Verträglichkeitsprüfung eines Bebauungsplans, bei dessen Aufstellung eine Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFHRL noch nicht bestand, unter Verweis darauf ablehnte, dass eine derartige Prüfung nicht die einzige geeignete Maßnahme darstellt, um die Beachtung des Art. 6 Abs. 2 FFHRL zu gewährleisten. Vielmehr sei diesem Ziel bereits dadurch genügt, dass im nachfolgenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für die streitgegenständliche Anlage eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführt worden sei. 374 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 15.01.2019, S. 18.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 135

und Störungen beschränkt.375 Für die Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kann es vielmehr auch erforderlich sein, Maßnahmen zu ergreifen, um natürliche Entwicklungen zu unterbinden, die den Erhaltungszustand von Arten und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können.376 Schließlich bezieht sich die Handlungsverpflichtung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht nur auf absichtliche Handlungen, sondern umfasst auch alle möglichen zufallsbedingten Ereignisse wie Brände oder Überschwemmungen, sofern diese vorhersehbar sind.377 Anders als im Rahmen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL, der sich zunächst allein auf das jeweils zur Zulassung anstehende Projekt fokussiert, bildet das einzelne Projekt lediglich einen Gegenstand der fortlaufenden und „gesamthaft ergebnisbezogen“378 ausgerichteten mitgliedstaatlichen Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.379 Aus der Vielzahl der von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfassten Tätigkeiten bzw. Entwicklungen sowie dem mitgliedstaatlichen Handlungsspielraum resultiert insofern eine entsprechend große Bandbreite an denkbaren Vermeidungsmaßnahmen. Das Handlungsinstrumentarium des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL reicht von Maßnahmen des allgemeinen Gebietsmanagements über die Luftreinhalte- oder Lärmaktionsplanung, die fachgesetzlichen Befugnisse und Steuerungsmöglichkeiten, die Anpassung des Genehmigungsregimes für landwirtschaftliche Tätigkeiten bis hin zum vertraglichen Naturschutz und Umweltschadensrecht.380 Gemeinsam ist den Maßnahmen ihr antizipatorischer Charakter; sie sind zu ergreifen, bevor es zu einer Verschlechterung oder Störungen kommen kann.381 Resultiert die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr von Verschlechterungen und Störungen, die zu erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen führen können, letztlich stets aus einem Zusammenspiel sämtlicher auf das Gebiet einwirkender Faktoren, ist die Neutralisierung der Auswirkungen bereits zugelassener Projekte folglich nicht nur durch projektspezifische Vermeidungsmaßnahmen möglich. Vielmehr kommen grundsätzlich sämtliche Maßnahmen in Betracht, die geeignet sind, den nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL relevanten anthropogenen sowie natür375 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 15.01.2019, S. 18. 376 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 34; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 6. 377 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 18. 378 Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (87). 379 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (177); Korbmacher, UPR 2018, 1 (7). 380 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). 381 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 18. Vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 13.12.2007, Rs. C-418/04 (Kommission/Irland), ECLI:EU:C: 2007:780, Rn. 208.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lichen Entwicklungen entgegenzuwirken.382 Aufgrund des gesamthaft ergebnisbezogenen Charakters des Verschlechterungsverbots können zwar einerseits sämtliche nach Projektzulassung auf das betreffende Gebiet einwirkende Faktoren die Gebietsverträglichkeit des zugelassenen Projekts nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Frage stellen und damit grundsätzlich Ansatzpunkt für projektspezifische Vermeidungsmaßnahmen bieten. Andererseits muss Zweifeln an der Gebietsverträglichkeit von zugelassenen Projekten – anders als im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL –383 im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gerade nicht zwingend auch durch unmittelbar projektspezifische Maßnahmen begegnet werden. Dem gesamtgebietsbezogenen, fortlaufend dynamischen Charakter der Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL lässt sich vor allem durch Maßnahmen des allgemeinen Gebietsmanagements Rechnung tragen.384 Derartige allgemeine Gebietsmanagementmaßnahmen stellen insbesondere auch ein geeignetes Instrumentarium dar, um die Auswirkungen zugelassener und verwirklichter Projekte zu neutralisieren.385 Für FFH-Gebiete sieht Art. 6 Abs. 1 FFH-RL vor, dass die Mitgliedstaaten für besondere Schutzgebiete die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festlegen, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.386 Für die besonderen Schutzgebiete der Vogelschutz-Richtlinie, die sogenannten „Special Protection Areas“, findet Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ausweislich 382

Vgl. Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). Dort bleibt bei Zweifeln an der Gebietsverträglichkeit eines Projekts allein die Möglichkeit der Versagung der Zulassung oder der Erteilung einer Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, siehe hierzu unter: 2. Teil, A. II. 3. 384 Vgl. Hösch, UPR 2014, 290 (292). 385 Vgl. Weuthen, ZUR 2017, 215 (221 f.); Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34. 386 Auf nationaler Ebene sind gemäß § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG schon in der Unterschutzstellung geeignete Erhaltungsmaßnahmen festzusetzen, die den Anforderungen des Art. 6 FFH-RL gerecht werden. Die in Betracht kommenden Erhaltungsmaßnahmen sind vielfältig und können rechtlicher, administrativer und vertraglicher Natur sein, Art. 6 Abs. 1 FFH-RL. Zur näheren Ausgestaltung und flexibleren Anpassung der einzelnen Erhaltungsmaßnahmen, insbesondere zur Pflege und Entwicklung, können die Länder gemäß § 32 Abs. 5 BNatSchG entsprechend Art. 6 Abs. 1 FFH-RL Bewirtschaftungspläne aufstellen. Bewirtschaftungspläne können selbstständig (z. B. Managementpläne) oder Bestandteil anderer Pläne (z. B. Nationalparkprogramme, Landschaftspläne) sein. Welche Form am besten geeignet ist, hängt auch von dem Gebiet und dem Nutzungsdruck ab. Bewirtschaftungspläne haben in der Regel den Charakter einer Verwaltungsvorschrift, sofern sie nicht ausdrücklich als Verordnung oder Satzung erlassen werden. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 98 ff. 383

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 137

des Art. 7 FFH-RL zwar keine Anwendung; allerdings sehen die Bestimmungen des Art. 5 Abs. 1 und 2 VRL ein Bewirtschaftungskonzept vor, das demjenigen von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL vergleichbar ist.387 Die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL stehen in der Regel zum Zeitpunkt der Ausweisung des Gebiets fest und müssen ab diesem Zeitpunkt, d. h. spätestens nach Ablauf von sechs Jahren nach Aufnahme des besonderen Schutzgebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlichem Interesse (Art. 4 Abs. 4 FFH-RL), angewandt werden.388 Zu einem späteren Zeitpunkt können die Erhaltungsmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete überarbeitet oder angepasst werden, um neue relevante Erkenntnisse oder etwaige Veränderungen des Zustands der betreffenden Lebensraumtypen und Arten zu berücksichtigen.389 Auch die Verpflichtung zu Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ist mithin fortlaufend und dynamisch ausgestaltet.390 Mit dem Instrument des Gebietsmanagements lassen sich einerseits bestimmte natürliche Entwicklungen fördern, andererseits aber auch nachteiligen natürlichen oder anthropogenen Entwicklungen, die – wie zugelassene Projekte – die Vorbelastung des Gebiets prägen, entgegenwirken.391 Im Rahmen des Gebietsmanagements nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ist zu entscheiden, welche Maßnahmen – einschließlich der Korrektur oder Kompensation bestehender Eingriffe – notwendig sind, damit die gebietsbezogenen Erhaltungsziele erreicht werden.392 Sofern gebietsrelevante Beeinträchtigungen in Rede stehen, steht es damit grundsätzlich im Ermessen des Mitgliedstaats zu prüfen, inwiefern diese dem Einzelnen zugerechnet werden können und infolgedessen entsprechende projektbezogene Maßnahmen – zu denen im weiteren Sinn auch die Durchführung einer 387 Danach müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass für die in Anhang I aufgeführten Arten, sowie für regelmäßig auftretende Zugvogelarten, besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume durchgeführt werden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL gilt – anders als Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL nicht für die besonderen Schutzgebiete der VRL (SPA), Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete, 2013, S. 1 f. Im Ergebnis unterscheiden sich die Verpflichtungen beider Richtlinien nicht voneinander, weshalb es unproblematisch ist, dass § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG für alle Natura 2000-Gebiete auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verweist, Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 102. 388 Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete, 2013, S. 2 f. 389 Europäische Kommission, Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete, 2013, S. 4; dies., Vermerk der Kommission über die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, 2012, S. 6. 390 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 102. 391 Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34; vgl. ferner Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 110. 392 Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

nachträglichen Verträglichkeitsprüfung zählt – rechtfertigen, oder ob diesen nicht vielmehr von vornherein aus öffentlichen Mitteln – etwa durch allgemeine Gebietserhaltungsmaßnahmen – oder auch durch Maßnahmen gegenüber Dritten begegnet werden soll.393 b) Gewichtung der konfligierenden Belange Fraglich ist, unter welchen Umständen eine Verpflichtung der jeweils zuständigen nationalen Behörde zur nachträglichen Überprüfung der Verträglichkeit eines bestandskräftig zugelassenen Projekts bestehen kann. Der Mitgliedstaat hat im Rahmen der Ermessensentscheidung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unter Berücksichtigung der sonstigen in Betracht kommenden Vermeidungsmaßnahmen eine Abwägungsentscheidung zwischen den konfligierenden Belangen des Bestandsschutzes auf der einen und dem Interesse an der Sicherstellung des Natura 2000Gebietsschutzes auf der anderen Seite zu treffen.394 Entscheidend sind hierbei stets die Umstände des konkreten Einzelfalls. Sachgerecht und praktikabel erscheint es gleichwohl, im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung eine Differenzierung danach zu treffen, ob die Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren beachtet wurden oder nicht. aa) Missachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Die Bestandsschutzinteressen des Projektträgers sind grundsätzlich auch in Fällen einer rechtswidrigen Projektzulassung in die Ermessenserwägungen des Mitgliedstaats einzustellen. Denn Verwaltungsakte erwachsen im Interesse der Rechtssicherheit sowie der Gewährleistung eines wirkungsvollen behördlichen Verfahrens grundsätzlich unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit in Bestandskraft.395 Bereits festgestellt wurde, dass das Unionsinteresse an der Herstellung unionsrechtskonformer Zustände das Interesse an der Beständigkeit nationaler Verwaltungsentscheidungen hier nicht ohne Weiteres überwiegt.396 Auch das Vorliegen berechtigter Vertrauensschutzinteressen kann dem Adressaten eines Verwaltungsaktes nicht bereits aufgrund der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidung abgesprochen werden. Die Voraussetzungen des unionsrechtlichen anerkannten Vertrauensschutzes entsprechen denen des nationalen Rechts; erforderlich ist ein – der Behörde zuzurechnender – Vertrauenstatbestand, die Schutz393 Vgl, Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34. 394 Siehe zu diesem Erfordernis unter 2. Teil, B. II. 2. c). 395 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253 (269 ff.); Ziekow, VwVfG, § 43 Rn. 8 f. 396 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 139

würdigkeit des Vertrauens sowie schließlich eine Interessenabwägung zugunsten des Einzelnen.397 Der Vertrauenstatbestand kann in dem Vorliegen einer – im äußersten Fall bereits bestandskräftigen – Zulassungsentscheidung gesehen werden, die dem Projektträger die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Habitatschutzrechts bescheinigt. Im nationalen Verwaltungsrecht ergibt sich aus § 43 Abs. 1 VwVfG, dass es für die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme einer Genehmigung auf ihre Wirksamkeit und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit ankommt.398 Die sich hieraus ergebende Abweichung vom Vorrang des Gesetzes rechtfertigt sich durch gleichrangige rechtstaatliche Belange der Rechtssicherheit.399 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verlangt daher grundsätzlich auch in diesen Fällen die Berücksichtigung des Vertrauens des Begünstigten auf den Bestand des von der Behörde erlassenen Verwaltungsaktes.400 Waren die Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren zu beachten, fällt ihre Missachtung jedoch in besonderem Maße für die Annahme einer nachträglichen Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Überprüfung der aktuellen Gebietsverträglichkeit des bereits bestandskräftig zugelassenen Projekts ins Gewicht. Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Ausdruck kommende allgemeine Wertung, nach der sich die Missachtung besonderer, zur Sicherstellung unionsrechtlicher Interessen vorgesehener Verfahren grundsätzlich zu Lasten von Rechtssicherheits- und Vertrauensschutzerwägungen auswirkt.401 So war es mit Blick auf solche bestandskräftige nationale Verwaltungsakte, deren Unionsrechtswidrigkeit sich nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit durch ein grundsätzlich ex tunc wirkendes Urteil des Gerichtshofs herausstellte,402 insbesondere die Missachtung des Vorlageverfahrens nach Art. 267 AEUV, das der Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts, ferner der Gewährleistung von Individualrechtsschutz dient,403 die über die „bloße“ Unionsrechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hinaus unter bestimmten weiteren einschränkenden Voraussetzungen die Annahme einer Überprüfungspflicht der jeweils zuständigen nationalen 397 Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 197 Rn. 46. Siehe hierzu etwa EuGH, Urt. v. 19.09.2002, Rs. C-336/00 (Huber), ECLI:EU:C:2002:509, Rn. 58 ff.; Urt. v. 01.04.1993, Rs. C-31/91 (Lageder), ECLI:EU: C:1993:132, Rn. 33 ff. 398 Beckmann, EurUP 2020, 238 (249). 399 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 3; Beckmann, EurUP 2020, 238 (249). 400 Vgl. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 22. Dies verdeutlicht auch die nationale Aufhebungsregelung des § 48 VwVfG, die mit ihren Abs. 2 und 3 das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens auch in Fällen rechtswidriger Verwaltungsakte anerkennt. 401 Vgl. Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (478). 402 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c). 403 Vgl. hierzu: Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 267 Rn. 5 ff.

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Behörde begründete. Dies spricht dafür, der Einhaltung bzw. Missachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL, die erhebliche projektbedingte Gebietsbeeinträchtigungen präventiv verhindern sollen, mit herausgehobener Bedeutung in die Ermessensentscheidung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einzustellen.404 Ferner ergibt sich aus der sonstigen Rechtsprechung des Gerichtshof außerhalb des EU-Umweltrechts, dass die Einhaltung von Verfahrensvorgaben, die der Sicherstellung unionsrechtlicher Interessen dienen, auch für die Bewertung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens von maßgeblicher Bedeutung sein können. So differenziert der Europäische Gerichtshof im Beihilfenrecht hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Beihilfeempfängers dahingehend, ob der Betroffene sich selbst aktiv dahingehend vergewissert hat, ob das Meldeverfahren nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV korrekt eingehalten wurde.405 Ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer, der in der Lage ist, den Erlass einer Maßnahme vorherzusehen, die seine Interessen berühren kann, kann sich nach Auffassung des Gerichtshofs im Falle ihres Erlasses nicht auf Vertrauensschutz berufen.406 Wenngleich die diesbezüglich seitens des Gerichtshofs entwickelten, sehr strengen Maßstäbe auf die Marktrelevanz des Komplexes im Bereich des Beihilfenrechts zurückzuführen sind,407 lassen sie sich zumindest im Ansatz auch auf das Habitatschutzrecht übertragen. Es ist nicht ersichtlich, dass dem europäischen Umweltschutz bzw. den Zielen der FFH-Richtlinie ein wesentlich geringeres Gewicht beizumessen wäre als Interessen des Binnenmarktes. Jedenfalls im Falle einer erforderlichen, jedoch fehlerhaft gänzlich unterbliebenen Natura 2000-Verträglichkeitprüfung oder bei vorwerfbaren schwerwiegenden Ermittlungsfehlern im Rahmen einer durchgeführten Verträglichkeitsprüfung wird ein schutzwürdiges Vertrauen des Projektträgers in den Bestand der Zulassungsentscheidung daher in der Regel nur bedingt angenommen werden können.408 Unter dem Aspekt 404 In dem in Sachen Waldschlößchenbrücke verfahrensgegenständlichen Sachverhalt war zwar kein Verfahren nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL durchgeführt worden; da die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2–4 FFH-RL zum Zulassungszeitpunkt noch nicht anwendbar waren, war dies allerdings rechtsfehlerfrei. 405 EuGH, Urt. v. 20.03.1997, Rs. C-24/95 (Alcan), ECLI:EU:C:1997:163, Rn. 30 f., 41; gebilligt von BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 17.02.2000 – 2 BvR 1210/98, EuGRZ 2000, 175 ff.; Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 197 Rn. 46. 406 EuGH, Urt. v. 21.07.2011, Rs. C-194/09 P (Alcoa Trasformazioni/Kommission), ECLI:EU:C:2011:497, Rn. 71; Urt. v. 05.03.2015, Rs. C-585/13 P (Europäisch Iranische Handelsbank/Rat); ECLI:EU:C:2015:145, Rn. 95. Hierauf verweisend: Sobotta, EurUP 2015, 341 (347). 407 Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 197 Rn. 46. 408 Ähnlich: Sobotta, 2015, 341 (347) zum Vertrauensschutz im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung in analoger Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Siehe hierzu näher unter 2. Teil, B. VI. 2. a) bb).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 141

der Vorwerfbarkeit dürfte die Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht hier für den Projektträger regelmäßig keine unverhältnismäßige Einschränkung darstellen.409 Soweit der Antragsteller die notwendigen Gutachten vorlegt, ist er auch für etwaige Mängel verantwortlich und hat die hieraus resultierenden Konsequenzen tragen.410 Die mit der nachträglichen Überprüfung seines Projekts einhergehenden Einschränkungen dürften dem Projektträger regelmäßig zuzumuten sein. Zu berücksichtigen ist schließlich, dass mit der Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht die Unzulässigkeit einer Tätigkeit noch nicht festgestellt ist; wie auch im Rahmen der Projektzulassung kann die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung durch eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechende Prüfung der Auswirkungen auf das Gebiet widerlegt werden oder die Maßnahme kann nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gerechtfertigt werden.411 In diesen Fällen erfordert Art. 6 Abs. 2 FFH-RL keine weiteren unmittelbar projektbezogenen Maßnahmen seitens des Mitgliedstaats. Schließlich kann selbst bei einem negativen Ausgang der Verträglichkeitsprüfung den durch die Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung vermittelten Bestandsschutzinteressen des Projektträgers noch auf der nachgelagerten Ebene, im Rahmen der Entscheidung über die weiteren zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen, Rechnung getragen werden.412 In Fällen einer Missachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFHRL im Zulassungsverfahren dürften damit im Ergebnis regelmäßig gewichtige Belange für die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung streiten. Gleichwohl bedarf es angesichts der Vielschichtigkeit der im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Belange stets einer einzelfallbezogenen Abwägung der konkret betroffenen Interessen unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der Bestandskraft nationaler Zulassungsentscheidungen für die Rechtssicherheit. Im Falle von Projekten, die auf Grundlage einer unanfechtbaren Zulassungsentscheidung bereits errichtet und betrieben werden, wird der Mitgliedstaat in jedem Fall zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen haben, den projektbedingten Auswirkungen durch allgemeine Maßnahmen des Gebietsmanagements oder auch Maßnahmen gegenüber Dritten entgegenzuwirken. 409

Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 341 (347). Sobotta, EurUP 2015, 341 (347), der darüber hinaus anführt, dass der Projektträger auch die Vorteile aus der nicht hinreichend geprüften Gebietsbeeinträchtigung ziehe. Ihm seien daher auch die Lasten aufzuerlegen, die er bei einer angemessenen und vollständigen Verträglichkeitsprüfung hätte tragen müssen. Wenn staatliche Stellen ihn von diesen Kosten freistellen würden, läge es im Fall von Unternehmen sogar nahe zu prüfen, ob es sich um eine unionsrechtlich verbotene Beihilfe i. S. v. Art. 107 f. AEUV handelt. 411 Vgl. GAin Kokott, Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C-141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015:528, Rn. 87. 412 Siehe hierzu unter 2. Teil, B.V. 2. 410

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

bb) Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL Bereits dem Grunde nach anders stellt sich demgegenüber die Situation im Falle von Projekten dar, denen eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt. Der Bestandskraft einer rechtmäßigen Zulassungsentscheidung ist grundsätzlich ein höheres Gewicht beizumessen als in Fällen eines (unions-)rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes.413 Ferner fehlt es hier an einem Verstoß gegen spezielle, zur Sicherstellung von Unionsinteressen vorgesehene Verfahrensvorgaben, der zusätzlich zu den Zweifeln an der Vereinbarkeit des Projekts mit dem materiellen Schutzstandard des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu Lasten der Bestandskraft der Zulassungsentscheidung ins Gewicht fallen könnte. Auch kommt dem Vertrauensschutz des Projektträgers im Falle eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes ein besonderes Gewicht zu.414 Das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand der durch einen Verwaltungsakt konkretisierten Rechtslage ist grundsätzlich umso schützenswerter, als das Vertrauen nicht durch dessen Rechtswidrigkeit und damit potenzielle Korrekturbedürftigkeit abgeschwächt ist.415 Der Vertrauensschutzgrundsatz ist dabei nicht nur als Grenze der rückwirkenden Rechtsanwendung von Bedeutung.416 Ein schutzwürdiges Vertrauen ist daher nicht nur dem Projektträger zuzuerkennen, dessen Tätigkeit in Ausübung einer Zulassungsentscheidung erfolgt, die vor Anwendbarkeit der Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL erteilt wurde. Mag eine Zulassungsentscheidung, bei deren Erlass die habitatschutzrechtlichen Bestimmungen bereits Anwendung fanden, von vornherein unter dem Vorbehalt des fortlaufenden Verschlechterungsverbots stehen, kann jedenfalls dem Projektträger, dessen Projekt vor seiner Zulassung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung unterzogen wurde, ein hierdurch vermittelter Vertrauensschutz nicht vollständig abgesprochen werden. Gegenteiliges ließe sich nicht zuletzt angesichts des teilweise erheblichen Prüfungsaufwandes, der mit der Einhaltung der strengen Anforderungen nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL verbunden ist, nur schwer mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 4 EUV) vereinbaren. Auch wäre die praktische Wirksamkeit der Verfahrensanforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL in Frage gestellt.417 413 Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. II. 2. c); ferner: Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17. 414 Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 241 (347 f.), der dem Aspekt des Vertrauensschutzes im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung in analoger Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verortet und der Einhaltung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFHRL Bedeutung für die Bewertung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Vorhabenträgers beimisst. 415 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 20. 416 Vgl. Classen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 197 Rn. 46. 417 Siehe zu diesem Einwand bereits unter 2. Teil, B. II. 2. b).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 143

Gegen die nachträgliche Überprüfung rechtmäßig zugelassener Projekte lassen sich darüber hinaus auch Aspekte der Zurechenbarkeit anführen. Wurden die Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren eingehalten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass eine Verschlechterung des Gebietszustands maßgeblich auf sonstige, später eingetretene anthropogene sowie natürliche Einwirkungen auf das Gebiet zurückzuführen ist, deren Vermeidung nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ebenfalls den Mitgliedstaaten oblag.418 Derartige Versäumnisse des Mitgliedstaats bezüglich seiner Pflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFHRL können zu einer Erhöhung der Belastungsgrenze des geschützten Gebiets dergestalt führen, dass im Rahmen einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL Zweifel an der Gebietsverträglichkeit eines bereits zugelassenen Projekts auftreten würden.419 Bei Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht würde damit die Verantwortlichkeit für Versäumnisse des Mitgliedstaats hinsichtlich seiner Pflichten aus Art. 6 Abs. 2 FFHRL letztlich auf den Projektträger abgewälzt.420 Inwiefern hier die nachträgliche Prüfung eines zugelassenen Projekts auf seine Gebietsverträglichkeit als einzig geeignete Maßnahmen i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Betracht kommen kann, erscheint vor diesem Hintergrund zweifelhaft.421 Es ist davon auszugehen, dass der Mitgliedstaat seinen Pflichten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gegenüber Verschlechterungen des Gebietszustands vorrangig durch allgemeine, nicht projektspezifische Gebietserhaltungsmaßnahmen nachzukommen hat. Zu denken ist an sonstige Maßnahmen, die in Erfüllung der Handlungsverpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gegenüber den naturräumlichen Veränderungen in Betracht kommen,422 wie insbesondere die Festlegung bzw. Anpassung von Erhaltungsmaßnahmen in Bewirtschaftungsplänen i. S. v. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL.423 Unter Um418

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (2). In diesem Sinne zur Zulassung neuer Projekte nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL: Hösch, UPR 2016, 421 (424), Fn. 29. 420 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). 421 Vgl. Beier, NVwZ 2016, 575 (579) unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 34. 422 Dahinstehen kann an dieser Stelle, auf welche Grundlage des nationalen Rechts ein solches Vorgehen in Betracht käme. Gegen eine Verpflichtung zu einem Vorgehen nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG i.V. m. § 3 Abs. 2 BNatSchG, da der behördliche Schutzauftrag in § 32 Abs. 3 S. 3 BNatSchG i.V. m. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausreichend sei: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 15; wohl auch: J. Schumacher/ A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 33 Rn. 49, 59, ihnen zufolge soll bei Verschlechterungen aufgrund von natürlichen Entwicklungen zwar Art. 6 Abs. 2 FFH-RL greifen, allerdings dürfte es regelmäßig an einem aktiven Handeln für die Schadensverursachung fehlen, sodass kein Adressat für das Verbot nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vorhanden sei. Für eine Anwendung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG dagegen noch: Wolf/Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, 1. Aufl. 2012, § 33 Rn. 6; wohl auch Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 6. 423 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). Dagegen wäre die Zulassung neuer Projekte nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL bei einer entsprechenden Vorbelastung des Gebiets infolge 419

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

ständen sind auch Maßnahmen gegenüber Dritten, d. h. Nicht-Projekten oder unter Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL zugelassenen Plänen oder Projekten zu erwägen. Projektbezogene Maßnahmen und damit auch die Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht gegenüber Projekten, die unter Beachtung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL zugelassen wurden, können demgegenüber in der Regel nur nachrangig in Betracht kommen. Regelmäßig wird sich eine Pflicht zur erneuten Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung erst bei einem entsprechenden verfahrensrechtlichen Anlass ergeben, etwa im Rahmen einer Entscheidung über die Verlängerung einer Zulassungsentscheidung oder eines Änderungsverfahrens als Auslöser und Träger dieser Prüfung;424 die Verpflichtung zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung folgt in diesen Fällen regelmäßig bereits aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL.425 Entscheidend sind jedoch stets die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. So kann etwa in Fällen, in denen zwischen der ursprünglichen Zulassungsentscheidung und dem Baubeginn ein langer Zeitraum liegt, die Durchführung einer erneuten nachträglichen Verträglichkeitsprüfung vor Baubeginn – und damit noch vor Verwirklichung der durch die Zulassungsentscheidung vermittelten Rechtsposition – naheliegen, sofern konkrete Anhaltspunkte für eine Veränderung der Bewertungsgrundlage bestehen. Entsprechendes kann in Fällen gelten, in denen nachträgliche Zweifel an der Gebietsverträglichkeit eines zugelassenen Projekts infolge neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über konkrete projektbedingte Auswirkungen auftreten. Sollte trotz Eintritt der Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung eine nachträgliche Überprüfungspflicht angenommen werden, müssen Zurechnungsgesichtspunkte jedenfalls im Rahmen des Auswahlermessens über die weiteren, im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung zu ergreifenden Vermeidungsmaßnahmen Berücksichtigung finden.426 von Versäumnissen des Mitgliedstaats zu versagen. Diesbezüglich besteht im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kein Handlungsspielraum. 424 Siehe hierzu: Appel, NuR 2020, 663 (668), der darauf verweist, dass Bestandsschutzerwägungen im Änderungsverfahren nicht maßgeblich zu Tragen kommen, da der Vorhabenträger durch den Änderungsantrag selbst den Weg für eine neue Prüfung eröffnet hat. Siehe zum Erfordernis einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung für Planänderungen: Hüting/Hopp, UPR 2003, 1 (5). 425 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.09.2020, Rs. C-254/19 (Friends of the Irish Environment), ECLI:EU:C:2020:320, Rn. 48: Eine Entscheidung über die Verlängerung einer befristet erteilten Genehmigung unterfällt jedenfalls dann den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, wenn die ursprüngliche Genehmigung nach ihrem Erlöschen bei Ablauf der von ihr für diese Arbeiten gesetzten Frist aufgehört hat, Rechtswirkungen zu erzeugen, und diese Arbeiten nicht durchgeführt worden sind. Bestandsschutzerwägungen können im Fall einer Verlängerungsentscheidung bereits deshalb nicht zum Tragen kommen, da die ursprüngliche Genehmigung bereits keine Rechtswirkungen mehr entfaltet. Im nationalen Recht ist dies relevant für die Entscheidung nach § 18 Abs. 3 BImSchG, siehe hierzu: BVerwG, Urt. v. 19.12.2019 – 7 C 28.18, ZUR 2020, 296 (298); Berkemann, ZUR 2021, 149 ff. 426 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 2.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 145

Festhalten lässt sich, dass für den Projektträger auch eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung das Risiko einer nachträglichen erneuten Überprüfung seines Projekts nicht auszuschließen vermag. Jedoch werden nach Eintritt der Bestandskraft der Zulassungsentscheidung regelmäßig gewichtige Belange gegen eine Reduzierung des Ermessens des Mitgliedstaats in Richtung einer Verpflichtung zur Durchführung einer solchen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung streiten. Maßnahmen des allgemeinen Gebietsmanagements dürften hier in der Regel die vorrangig zu ergreifenden Maßnahmen darstellen, wohingegen die nachträgliche Überprüfung mit der Möglichkeit weiterer unmittelbar projektbezogener Vermeidungsmaßnahmen nur als ein ergänzendes Instrumentarium herangezogen werden kann.427 Dem Interesse an einem effektiven Schutz der Natura 2000-Gebiete bleibt hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass der Ausschluss einer nachträglichen Überprüfungspflicht den Mitgliedstaat nicht von seiner im Übrigen fortbestehenden Vermeidungspflicht befreit. Nach Durchführung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung – sei es bereits im Zulassungszeitpunkt, sei es erst nachträglich – unterfallen die projektbedingten Auswirkungen zwar weiterhin der allgemeinen Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. Allerdings werden ab diesem Zeitpunkt die Auswirkungen derartiger Projekte hauptsächlich als Vorbelastung des Natura 2000-Gebiets im Rahmen allgemeiner, nicht unmittelbar projektbezogener Vermeidungsmaßnahmen sowie im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nachfolgender Pläne und Projekte nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erfasst.428 Das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung eignet sich mithin vorrangig zur Erfassung der Auswirkungen solcher Projekte, denen keine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL entsprechende Verträglichkeitsprüfung zugrunde liegt. Durch ein derartiges Verständnis des Überprüfungsermessens der Mitgliedstaaten bleibt die praktische Wirksamkeit der Prüfung nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL weitestgehend gewährleistet, der Projektträger zu einer ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL gehalten. Auch lässt sich zumindest in einem gewissen Umfang der Gefahr einer „anlasslosen“, sich ständig erneuernden Pflicht zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung begegnen. cc) Sonderproblem der Summationswirkung mehrerer Projekte: Auswahl zwischen mehreren bestehenden Projekten Erweist sich die Einhaltung der Verfahrensvorgabe des Art. 6 Abs. 3, 4 FFHRL als ein grundsätzlich geeignetes Kriterium für die sachgerechte Ausübung des Überprüfungsermessens, stößt die Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats auf 427 Vgl. allgemein zur Problematik der Reduzierung der Vorbelastung durch kumulierende Auswirkungen: Weuthen, ZUR 2017, 215 (222). 428 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) cc) (2) und 2. Teil, B. IV. 2. a) bb).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

zusätzliche Probleme, sofern die Belastungsgrenze eines Gebiets durch die kumulativen Auswirkungen mehrerer (bereits verwirklichter) Projekte erstmals erreicht oder gar überschritten wird.429 Die nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erforderliche „Erheblichkeit“ der von einem Projekt ausgehenden Auswirkungen auf ein Natura 2000-Gebiet wird durch schutzgutbezogene Reaktions- und Belastungsschwellen konkretisiert.430 Diese bestimmen je nach Art oder Lebensraumtyp und unter Berücksichtigung der im jeweiligen Schutzgebiet vorherrschenden Bedingungen die maximalen Belastungsgrenzen für Einwirkungen.431 Da es bei der (nachträglichen) Bewertung der Gebietsverträglichkeit des einzelnen zugelassenen Projekts jeweils auf die Gesamtbelastung des in Rede stehenden Natura 2000-Gebiets bzw. dessen Erhaltungsziele ankommt, bietet bei einer Überschreitung der Belastungsgrenze grundsätzlich jedes einzelne Projekt einen Ansatzpunkt für eine nachträgliche Verträglichkeitsprüfung. Der Mitgliedstaat steht hier vor der Frage, welches der bereits verwirklichten Projekte vorrangig bzw. ausschließlich zum Gegenstand einer nachträglichen Prüfung zu machen ist.432 Für die vorrangige Überprüfung des zuletzt zugelassenen Projekts ließe sich das sogenannte Prioritätsprinzip anführen,433 aus dem in Bezug auf die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung der Vorrang des zuerst genehmigten Vorhabens vor einem später zu genehmigenden Vorhaben folgt.434 So fließen zuerst zugelassene Projekte – sei es als Vor- oder Zusatzbelastung –435 in die Bewertung der Gebietsverträglichkeit später zur Prüfung stehender Projekte ein und erschweren deren Zulassung dadurch, dass sie die Belastungsgrenze des Gebiets erhöhen.436 Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die Auswirkungen bestandskräftiger Altvorhaben Gegenstand einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFHRL entsprechenden Verträglichkeitsprüfung waren oder nicht.437 Vorbehaltlich eines etwaigen Bagatellvorbehalts438 handelt es sich bei jeder Überschreitung der

429

Vgl. Beier, NVwZ 2016, 575 (579). Weuthen, DVBl 2020, 1123 (1123); siehe hierzu umfassend: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 109 ff. 431 Weuthen, DVBl 2020, 1123 (1123 f.). In Bezug auf Stickstoffeinträge konkretisieren beispielsweise sog. „Critical Loads“ die Erheblichkeitsschwelle. Hierbei handelt es sich um Eintragsraten von Luftschadstoffen, bis zu deren Erreichen die Naturwissenschaft signifikante schädliche Effekte an Umweltrezeptoren über einen Zeitraum von 10 bis 100 Jahren ausschließt. Siehe Balla, NuL 2005, 169 (172). 432 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). 433 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). 434 Hösch, UPR 2016, 421 (426 f.). Kritisch zur Heranziehung des Prioritätsprinzips als alleinigen Entscheidungsmaßstab in der Kumulation: Weuthen, DVBl 2020, 1123 (1126 ff.). 435 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) bb) (1) und (2). 436 Vgl. Albrecht/Gies, NuR 2014, 235 (243). 437 Vgl. Sobotta, EurUP 2015, 341 (345 f.). 438 Vgl. hierzu: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 114 ff. 430

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 147

Belastungsgrenze um eine erhebliche Beeinträchtigung i. S. d. Art. 6 Abs. 3 FFHRL.439 Schöpft bereits die Vorbelastung des Gebiets die Belastungsgrenzen aus oder überschreitet diese sogar, ist grundsätzlich jede Zusatzbelastung mit dem Erhaltungsziel unvereinbar und erheblich, da sie die kritische Grenze überschreitet oder bereits mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt.440 Würde nun das ältere Projekt zum Gegenstand einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung gemacht, wären in konsequenter Anwendung des gleichen Schutzmaßstabs zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL sowie der Maßgeblichkeit des aktuellen Zeitpunkts der Prüfung die Auswirkungen anderer, später verwirklichter Projekte bei Beurteilung der Gebietsverträglichkeit des nunmehr (erneut) zur Prüfung stehenden älteren Projekts zu berücksichtigen. Dies würde bedeuten, älteren Projekten entgegen dem Prioritätsgrundsatz die Auswirkungen nachträglich hinzugekommener Projekte aufzulasten. Auch könnte für den Fall, dass die Belastungsgrenze eines Gebiets durch ein Zusammenwirken projektbedingter Auswirkungen erreicht oder überschritten wird, die Vermutung nahe liegen, dass die Vorbelastung im Rahmen der Zulassung des später hinzugetretenen Projekts nicht ordnungsgemäß ermittelt wurde. Für die vorrangige Heranziehung des zuletzt zugelassenen Projekts würde hier neben dem Prioritätsprinzip auch die insofern naheliegende Missachtung der Verfahrensvorgaben nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL streiten. Gegen die vorrangige (erneute) Überprüfung des zuletzt zugelassenen Projekts lässt sich jedoch einwenden, dass dieses im Vergleich zu Altprojekten in der Regel „sauberer“ sein dürfte,441 ein Vorgehen gegen dieses daher ungerechtfertigt. Die Prüfungsunterlagen älterer Projekte beruhen regelmäßig auf einem Zustand des Natura 2000-Gebiets, der mit dem heutigen nur noch eingeschränkt vergleichbar ist.442 Ferner kann gerade bei älteren Natura 2000-Untersuchungen mit zunehmendem zeitlichen Abstand regelmäßig davon ausgegangen werden, dass diese nicht mehr dem aktuell geltenden besten wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen.443 Mit wachsendem Erkenntnisstand ändert sich auch die Beurteilung von Wirkungszusammenhängen.444 Aussagen aus früheren (Verträglichkeits-)Untersuchungen sind daher vielfach mit heutigen Standards inkompatibel.445 Dem Ziel der Vermeidung erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen könnte daher durch die Heranziehung der älteren Projekte eher Rechnung getragen sein. Andererseits 439

BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08, NVwZ 2010, 1225 (1236). BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08, NVwZ 2010, 1225 (1236). 441 Beier, NVwZ 2016, 575 (579). 442 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.05.2019 – 7 C 27/17, juris Rn. 50; Weuthen, ZUR 2017, 215 (221); Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). 443 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.05.2019 – 7 C 27/17, juris Rn. 50; Weuthen, ZUR 2017, 215 (221). 444 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). 445 Fellenberg, NVwZ 2019, 177 (180). 440

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

ist insbesondere im Hinblick auf Altprojekte, die bereits vor Listung der jeweiligen Natura 2000-Gebiete zugelassen und verwirklicht wurden, zu berücksichtigen, dass diese den Ausgangszustand eines Natura 2000-Gebiets bereits nachhaltig geprägt haben, seiner Ausweisung jedoch nicht entgegenstanden.446 Letztlich dürfte die Auswahl zwischen den verschiedenen zugelassenen Projekten stark von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängen. Eine praktikable Lösung des Konflikts zwischen dem Prioritätsgrundsatz einerseits und dem dynamischen Maßstab des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL andererseits erscheint es hier, erheblichen Gebietsbelastungen infolge von Summationswirkungen verschiedener Projekte nicht im Wege einzelner unmittelbar projektbezogener Maßnahmen entgegenzutreten, sondern im Wege allgemeiner gesamtgebietsbezogener Managementmaßnahmen.447 Letztere stellen ein geeignetes Instrumentarium auch zur Neutralisierung der Auswirkungen bereits zugelassener Projekte dar.448 Während unmittelbar projektbezogene Vermeidungsmaßnahmen nur möglich sind, wenn die Überschreitung der Erheblichkeitsgrenze i. S. d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Wege einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung festgestellt wurde,449 können über das Gebietsmanagement auch Beeinträchtigungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle neutralisiert werden.450 Zu berücksichtigen ist schließlich, dass bestimmten Belastungen eines Natura 2000-Gebiets von vornherein nicht durch einzelne projektbezogene Maßnahmen begegnet werden kann. So hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass sich bei hohen Vorbelastungen eines Gebiets durch Stickstoff ein dem „CriticalLoads“-Wert entsprechender Zustand nicht mit Mitteln des Habitatschutzes, sondern nur durch eine effektive Luftreinhaltepolitik erzielen lässt.451 In diesen Fällen kann die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung mit dem Ziel nachfolgender projektbezogener Vermeidungsmaßnahmen mithin von vornherein nicht als „geeignete“ Maßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL angesehen werden. 3. Verfahrensrechtliche Implementierung der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung im nationalen Recht Erweist sich die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung als grundsätzlich geeignetes und im Einzelfall auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenes Vermeidungsinstrumentarium, stellt sich die Frage nach ihrer verfahrensrechtlichen Implementierung in das nationale Recht. Selbst für den Fall einer unzureichenden 446

Beier, NVwZ 2016, 575 (579). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) bb). 448 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) bb). 449 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) aa). 450 Vgl. Uhl/Runge/Lau, Ermittlung und Bewertung kumulativer Beeinträchtigungen im Rahmen naturschutzfachlicher Prüfinstrumente, BfN-Skripten 534, 2019, S. 34. 451 BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5/08, NVwZ 2010, 1225 (1237). 447

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 149

Richtlinienumsetzung lassen sich jedenfalls Maßnahmen, die unmittelbare Verpflichtungen des Projektträgers begründen und sich damit zu Lasten seines Bestandsschutzes auswirken können, von vornherein nicht auf Art. 6 Abs. 2 FFHRL stützen.452 Zwar soll nach Auffassung des Gerichtshofs eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass ihre Anwendung zu faktischen negativen Belastungen Privater führt.453 Selbst wenn man in der Durchführung einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung für sich genommen lediglich eine mittelbare Betroffenheit des Einzelnen dergestalt sieht, dass er die nachträgliche Überprüfung seines Projekts zu „erdulden“ hat454 und zumindest für den Fall, dass sich die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung im konkreten Einzelfall als einzig geeignete Maßnahme darstellt, von einer hinreichenden Bestimmtheit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausgeht,455 könnte Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Verfahrensgrundlage nur im Falle einer nicht hinreichenden nationalen Umsetzung herangezogen werden. Die Frage nach der Implementierung der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung in das nationale Recht bleibt daher in jedem Fall maßgeblich. 452 Vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (142). 453 Vgl. EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-431/92 (Großkrotzenburg), ECLI:EU:C: 1995:260, Rn. 24 ff. und 37 ff.; Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02 (Wells), ECLI:EU:C: 2004:12, Rn. 55 ff. 454 Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (142). Vgl. zur Annahme der unmittelbaren Wirkung der durch die UVP-RL begründeten Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung: EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-431/92 (Großkrotzenburg), ECLI:EU:C:1995:260, Rn. 24 ff. und 37 ff.; Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-201/02 (Wells), ECLI:EU:C:2004:12, Rn. 55 ff. 455 So ist mittlerweile anerkannt, dass Art. 4 Abs. 3 EUV trotz seiner allgemeinen und unpräzisen Fassung sowie des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten ausnahmsweise auch eine selbstständige Grundlage für Verpflichtungen der Mitgliedstaaten sein kann, wenn die betreffende Fallgestaltung nicht durch eine spezifische Vorschrift geregelt ist und ein Mitgliedstaat nur durch eine einzige Maßnahme seiner Verpflichtung aus dem Unionsrecht entsprechen kann (Ermessensreduktion auf Null). Vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 01.10.1998, Rs. C-285/96 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1998:453, Rn. 19 f.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 27; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, EUV, Art. 4 Rn. 107. Lässt sich aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dagegen keine Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Durchführung der ex-ante-Verträglichkeitsprüfung ableiten, ist bereits das für die unmittelbare Anwendung einer Richtlinienbestimmung erforderliche Kriterium der hinreichenden Bestimmtheit anzuzweifeln, vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 46. Generell von einer hinreichenden Bestimmtheit des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausgehend dagegen: Epiney, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 73 (143), die darauf verweist, dass die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL klar vorgebe, dass die Mitgliedstaaten die geeigneten Schritte unternehmen müssen, damit in dem betreffenden Gebiet keine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten und Störungen mit erheblichen Auswirkungen eintreten.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

a) Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung Inhaltlich stellt sich die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung als Überprüfung der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG dar. Wie sich zumindest indirekt aus der Regelung des § 34 Abs. 6 BNatSchG ergibt, bildet im Rahmen der Projektzulassung das jeweilige Zulassungsverfahren das Trägerverfahren für die durch § 34 Abs. 1 BNatSchG angeordnete Verträglichkeitsprüfung.456 Für die Phase nach der Projektzulassung fehlt es hingegen an vergleichbaren Regelungen. In der Bestimmung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG kann weder eine Aufgaben- noch Befugnisnorm gesehen werden; weder begründet sie eine Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Behörden zur Überprüfung bzw. Durchsetzung der in dieser Vorschrift normierten Verbotswirkungen noch kann sie als verfahrensrechtliche Eingriffsgrundlage für belastende Maßnahmen herangezogen werden.457 Während Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als umfassende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der funktionalen Integrität von Natura 2000-Gebieten durch Ergreifung geeigneter Vermeidungsmaßnahmen zu verstehen ist, beschränkt sich die in unmittelbarer Umsetzung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erlassene Vorschrift des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auf die Positivierung eines Verbotes von Verschlechterungen und Störungen.458 Bevor indes Erwägungen in Richtung einer unmittelbaren Heranziehung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als Trägerverfahren für die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung angestellt werden, ist an dieser Stelle an die zuvor gewonnene Erkenntnis anzuknüpfen, nach der die Durchführung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL genügenden nachträglichen Verträglichkeitsprüfung zum einen zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer nachträglichen Ausnahme, zum anderen für nachträgliche Eingriffe in den Regelungsgehalt einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung darstellt.459 Insofern kommen als Trägerverfahren für die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich zum einen das – im Folgenden noch näher zu konkretisierende – Ausnahmezulassungsverfahren nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG,460 zum anderen die Ermächtigungsgrundlagen in Betracht, die zu einer nachträglichen Aufhebung bzw. Abänderung des Regelungsgehalt zwecks Durchsetzung der Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ermächtigen.461 Eine im Einzelfall bestehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung von zugelassenen Vorhaben ließe sich als Einschränkung des Entschließungsermessens 456

Siehe hierzu unter 2. Teil, A. II. 4. Vgl. Appel, NuR 2020, 663 (669); Wolf/Möckel, in: GK-Schlacke, 1. Aufl. 2012, § 33 Rn. 9. 458 Wolf/Möckel, in: GK-Schlacke, 1. Aufl. 2012, § 33 Rn. 9. 459 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) aa). 460 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, B. VI. 461 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. I. und II. 457

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 151

zur Prüfung der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG in das nationale Recht integrieren. b) Relevanz der Feststellungswirkung: Erfordernis einer vorherigen Aufhebung oder Abänderung der Zulassungsentscheidung? Ausweislich des Wortlauts des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG ist für die Erteilung der Ausnahme von den Verbotswirkungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG die Naturschutzbehörde im Rahmen eines schlichten Verwaltungsverfahrens zuständig. Jedenfalls die Kompetenz für die Aufhebung einer Zulassungsentscheidung steht demgegenüber allein der jeweiligen Zulassungsbehörde als Ausgangsbehörde zu.462 Insofern können nach nationaler Regelungssystematik grundsätzlich verschiedene Behörden für die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung zuständig sein. Während Doppelzuständigkeiten von Naturschutzund anderen Fachbehörden grundsätzlich nicht ausgeschlossen sind,463 stellt sich die Frage, ob die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung durch die Naturschutzbehörde auf Grundlage des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG deshalb ausscheidet, weil es hierfür einer vorherigen Aufhebung bzw. Abänderung des feststellenden Teils der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses bedürfte.464 Als erforderlich erweisen könnte sich dies aufgrund der Bindung der Naturschutzbehörde an die Feststellungswirkung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sowie Planfeststellungsbeschlüssen. Bilden die Vorgaben des § 34 BNatSchG zwingenden Prüfungsgegenstand von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sowie Planfeststellungsbeschlüssen, ist mit dem Erlass der jeweiligen Zulassungsentscheidung grundsätzlich die bindende Feststellung verbunden, dass die Anlage bzw. das Vorhaben im Zulassungszeitpunkt mit den Anforderungen des § 34 BNatSchG in Einklang steht.465 Die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des § 34 BNatSchG kann dabei zum einen bedeuten, dass eine erhebliche Beeinträchtigung des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen ausgeschlossen werden kann, mithin keine Unzulässigkeit des Projekts nach § 34 Abs. 2 BNatSchG vorliegt. Zum anderen kann sie aber auch bedeuten, dass das Vorhaben zwar an sich nach § 34 Abs. 2 BNatSchG unzulässig ist, aber eine Abweichungsentscheidung nach Maßgabe des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zuzulassen war. Die Naturschutzbehörde ist an diese Feststellung infolge der Tatbestands- bzw. Legalisierungswirkung, die 462

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. sowie 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (1). Hellermann, NuR 2018, 805 (809). 464 Siehe zu entsprechenden Erwägungen mit Blick auf die artenschutzrechtliche Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG: Lieber, NuR 2012, 665 (670); Fischer, I+E, 2014, 93 (98 ff.); Lau, UPR 2015, 361 (368). 465 Siehe hierzu unter 2. Teil, A. I. 463

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

einer wirksamen Zulassungsentscheidung zukommt, gebunden. Eine abweichende Bewertung der Gebietsverträglichkeit bzw. des Vorliegens der Ausnahmevoraussetzungen zum Zulassungszeitpunkt könnte daher nur unter vorheriger Aufhebung der Wirksamkeit der Zulassungsentscheidung und damit ihres Regelungsgehalts im Rahmen besonderer gesetzlicher Vorgaben erfolgen. Eine nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung dient indes gerade nicht dem Zweck, die habitatschutzrechtliche ex-ante-Bewertung des Projekts im Zulassungszeitpunkt auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG zu überprüfen. Vielmehr wird mit ihr im Sinne einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung die aktuelle Gebietsverträglichkeit des zugelassenen Projekts – dem Charakter des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als fortlaufende Dauerverpflichtung des Mitgliedstaats entsprechend – im Zeitpunkt der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung überprüft.466 Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die feststellende Wirkung einer Anlagengenehmigung, mit der dem Vorhaben seine Vereinbarkeit mit sämtlichen im Zeitpunkt ihrer Erteilung zu prüfenden und von der Konzentrationswirkung erfassten öffentlich-rechtlichen Vorschriften attestiert wird, im Grundsatz für die gesamte Lebensdauer einer baulichen Anlage gelten mag.467 Indes ist die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes in zeitlicher Hinsicht dadurch begrenzt, dass sich der Verwaltungsakt grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Entscheidungszeitpunkt bezieht. Spätere Veränderungen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht sind nicht erfasst,468 auch wenn seine Regelung selbst bis zu einem Widerruf nach § 49 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwVfG in vollem Umfang wirksam bleibt.469 Zielt das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung nicht auf eine Neubewertung einer im Zulassungszeitpunkt vorhandenen Sach- und Rechtslage ab, ist die Feststellungswirkung der Zulassungsentscheidung von vornherein nicht in Frage gestellt, ihre vorherige Aufhebung bzw. Abänderung mithin nicht erforderlich. Gegen die Durchführung einer durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung auf Basis des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG durch die Naturschutzbehörde bestehen daher im Grundsatz keine Bedenken. 4. Zwischenfazit Die im vorstehenden Abschnitt zum Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung gewonnenen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung stellt grundsätzlich eine geeignete

466 467 468 469

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) aa). Ramsauer, in: Kopp/Raumsauer, VwVfG, § 43 Rn. 43. Schroeder, DÖV 2009, 217 (223); Erichsen/Knoke, NVwZ 1983, 185 (191). Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 100.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 153

Maßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL dar, um Zweifeln im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen gegenüber zugelassenen Projekten zu begegnen. Die Annahme einer mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur Durchführung einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung setzt stets eine Bewertung der Umstände des konkreten Einzelfalls voraus. Erforderlich ist die Herstellung eines Ausgleichs zwischen den Bestandsschutzbelangen des Projektträgers einerseits und dem Interesse an einer effektiven Verwirklichung des gesamthaft ergebnisbezogenen Verschlechterungsverbots andererseits. Wurden die Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren missachtet, fällt dieser Verstoß regelmäßig zulasten von Bestandskraft und Vertrauensschutz und damit für die Durchführung einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung ins Gewicht. Wurde demgegenüber im Zulassungsverfahren eine den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung durchgeführt, streiten gewichtige Belange gegen die Annahme einer nachträglichen Überprüfungspflicht. Vorrangig sind hier nicht unmittelbar projektbezogene Vermeidungsmaßnahmen in Betracht zu ziehen. Die Durchführung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL vollumfänglich entsprechenden Verträglichkeitsprüfung vermag das Risiko einer expost-Verträglichkeitsprüfung zwar nicht auszuschließen, so doch wesentlich zu reduzieren. Das Instrument der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung lässt sich in das nationale Verfahrensrecht integrieren. Als Trägerverfahren kommen zum einen das Ausnahmezulassungsverfahren nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG, zum anderen die Ermächtigungsgrundlagen in Betracht, die zu einer nachträglichen Aufhebung bzw. Abänderung des Regelungsgehalts einer wirksamen Zulassungsentscheidung zwecks Durchsetzung der Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ermächtigen.

V. Die Folgen einer negativen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung Sollte sich im Rahmen einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG entsprechenden ex-post-Verträglichkeitsprüfung die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen zweifelsfrei ausschließen lassen, besteht kein Ansatzpunkt für weitere unmittelbar projektbezogene Maßnahmen. Kann die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung hingegen nicht widerlegt werden, ist aus Bestandsschutzgesichtspunkten von Interesse, welche Konsequenzen sich aus dem insofern festgestellten Verstoß gegen die Vorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG für den Projektträger ergeben (1.), ferner, welche weiteren projektbezogenen Handlungspflichten den Mitgliedstaat hier nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL treffen können (2.). Dies wird im Folgenden zu untersuchen sein.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

1. Schutz des Projektträgers durch die Gestattungswirkung: Keine unmittelbare Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung Für den Projektträger kann sich im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung zunächst die Frage stellen, ob er die ihm zugelassene, nunmehr jedoch für gebietsunverträglich befundene Projektausführung von sich aus anzupassen oder im äußersten Fall sogar einzustellen hat. Hierfür könnte die unmittelbare Geltung der Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sprechen, die von einer Konkretisierung behördlicherseits unabhängig ist.470 Andererseits folgt aus der Gestattungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschlusses, dass dem Adressaten die Errichtung und der Betrieb der immissionsschutzrechtlichen Anlage bzw. des planfestgestellten Vorhabens im Rahmen der jeweiligen Zulassungsentscheidung gestattet sind, solange und soweit diese wirksam ist.471 Verstößt die zulassungskonforme Projektausführung gegen den Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, wäre der Zulassungsinhaber folglich nur dann von sich aus verpflichtet, die Anlagenerrichtung bzw. -betriebsweise entsprechend anzupassen oder einzustellen, wenn der Verstoß gegen die naturschutzrechtlichen Bestimmungen unmittelbar die (Teil-) Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung und damit ein Entfallen der Bindung an ihren Regelungsgehalt zur Folge hätte. Die unmittelbare Unwirksamkeit einer mit den Vorgaben des Verschlechterungsverbots konfligierenden Zulassungsentscheidung lässt sich jedenfalls nicht aus der Regelung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ableiten.472 Dies folgt bereits aus ihrer Rechtsnatur als EU-Richtlinienbestimmung. Grundlage für eine derart unmittelbar in die Rechtsstellung des Projektträgers eingreifende Wirkung kann – wenn überhaupt – allein das nationale Recht bieten.473 Ein Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben stellt indes nicht allein wegen des Rangs oder der Bedeutung der verletzten Bestimmung einen besonders schwerwiegenden Fehler i. S. d. § 44 Abs. 1 VwVfG dar, der die Nichtigkeit eines wirksamen Verwaltungsaktes zur Folge hätte.474 Aus § 43 Abs. 2 i.V. m. § 48 VwVfG bzw. den entsprechenden spezialgesetzlichen Rücknahmevorschriften ergibt sich im Übrigen die allgemeine gesetzgeberische Wertung, dass selbst ein rechtswidriger Verwaltungsakt grundsätzlich wirksam bleibt, solange und soweit er nicht durch einen gesonderten administrativen Akt aufgehoben wird.475 Ent-

470

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. III. 1. Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) aa) und 1. Teil, A. IV. 2. a) aa). 472 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Glaser, EuZW 2010, 225 (226 f.); Appel, NuR 2020, 663 (669). 473 Siehe hierzu unter 1. Teil, B. I. 474 Müller, in: Huck/Müller, VwVfG, § 44 Rn. 10. 475 Vgl. Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 15. 471

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 155

sprechendes gilt für die Fälle, in denen der Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes nachträglich infolge veränderter sachlicher oder rechtlicher Verhältnisse nunmehr in Widerspruch zu der materiellen Rechtslage steht. Hier ermöglichen § 49 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 und 4 VwVfG unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen einen Widerruf. Lässt die Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse mithin bereits die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes unberührt, kann sie erst recht nicht zu dessen Nichtigkeit führen.476 Insofern bildet auch in Fällen, die aufgrund einer veränderten Sach- und Rechtslage von der Feststellungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung nicht erfasst sind,477 die Bindung an die Gestattungswirkung den maßgeblichen Ansatzpunkt für den Bestandsschutz des Projektträgers. Aus den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG folgt, dass die Unvereinbarkeit des Regelungsgehalts eines Verwaltungsaktes mit der materiellen Gesetzeslage – sei es, dass sie bereits zum Erlasszeitpunkt vorlag, sei es, dass sie erst nachträglich infolge Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten ist – nicht zur automatischen Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes führt, sondern lediglich Anlass für dessen Aufhebung bzw. Abänderung mittels eines unmittelbar zulassungsmodifizierenden bzw. -durchbrechenden Aktes der Verwaltung bilden kann.478 Da die Ausgestaltung der Grenzen der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers obliegt,479 mag es im Einzelfall auch denkbar sein, dass abweichend von der gesetzlichen Grundsystematik des § 43 Abs. 2 i.V. m. §§ 48, 49 VwVfG unmittelbar durch Gesetz in den Regelungsgehalt einer wirksamen Zulassungsentscheidung eingegriffen wird. Unterschiedlich beurteilt wird dabei, inwiefern sich das Vorliegen einer direkten legislativen Beeinflussung wirksamer Verwaltungsakte ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben muss,480 oder ob sich dies auch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben kann.481 Diese Frage bedarf vorliegend indes keiner Entscheidung, da jedenfalls der Bestimmung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG weder ausdrücklich noch ihrem Regelungszusammenhang nach der gesetzgeberische Wille entnommen werden kann, dass die Bindungswirkungen wirksamer Verwaltungsakte unter Überwindung des Vertrauensschutzes der Inhaber wirksamer Verwaltungsakte 476 Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.1981 – 6 C 16/79, BVerwGE 64, 24 (28); Urt. v. 03.02.1984 – 4 C 39/82, BVerwGE 69, 1 (3); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 57 und § 49 Rn. 49. 477 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 3. b). 478 Vgl. Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1386 f.). 479 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. II. 2. 480 Hierfür in Bezug auf nachträglich erlassene Rechtsvorschriften: Beaucamp, DVBl 2006, 1401 (1405). 481 BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2009, 1141(1142); Beschl. v. 03.06.2004 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1246 (1247); Attendorn, NVwZ 2011, 327 (326); Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49 Rn. 49. In diese Richtung wohl auch Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1387).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

und in Abweichung von der allgemeinen Gesetzeslage durchbrochen werden sollen. Dies verdeutlicht nicht zuletzt ein Vergleich mit den – nicht unumstrittenen – Fällen, in denen das Bundesverwaltungsgericht einer gesetzlichen Bestimmung eine unmittelbar zulassungsmodifizierende Wirkung zusprach. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um nachträglich ergangene Verordnungen im Bereich der Umweltgesetzgebung, mittels derer allgemeine gesetzliche Pflichten konkretisiert wurden.482 Das Bundesverwaltungsgericht stellte bei seiner am Wortlaut und dem Regelungszweck orientierten Auslegung maßgeblich darauf ab, dass sich die in Rede stehenden Verordnungen unmittelbar an den Genehmigungsinhaber richteten, konkrete Voraussetzungen und Anforderungen für die genehmigte Tätigkeit enthielten und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gegenüber den Betreibern von Altanlagen Übergangsvorschriften vorgesehen waren.483 Mit derartigen die allgemeine Gesetzeslage wenngleich in abstrakt-genereller Weise, so doch konkretisierenden Verordnung weist die Bestimmung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG keinerlei Vergleichbarkeit auf. Nach der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention sollten zugelassene Projekte von der Regelung von vornherein nicht erfasst sein.484 § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG richtet sich dementsprechend auch nicht spezifisch an die Inhaber bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen, sondern adressiert undifferenziert sämtliche Störer, deren Verhalten zu einer Verbotsverwirklichung führen kann. Untersagt sind keine spezifisch vorhabenbezogenen Tätigkeiten, sondern allgemein sämtliche Tätigkeiten, die zu erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen führen können. Die Vorschrift entbehrt auch einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht werdende Auseinandersetzung mit den durch eine Zulassungsentscheidung vermittelten Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, derer es für die Annahme einer unmittelbar zulassungsmodifizierenden Wirkung jedoch bedürfte.485 Wenngleich seine materiellrechtliche Geltung von keiner weiteren behördlichen Konkretisierung abhängig ist, stellt § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG doch keine sogenannte „self-executing“-

482 Siehe: BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2005, 1141 zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutzV), die auf Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 2a Abs. 1 TierSchG die Anforderungen an die Haltung von Tieren nach § 2 TierSchG auch für bereits zugelassene Anlagen zur Haltung von Legehennen regelte. Ferner BVerwG, Beschl. v. 03.06.2004 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1246 zur Abfalllablagerungsverordnung (AbfAblV) und zur Deponieverordnung (DepV), die auf Grundlage von § 36c Abs. 1 KrW-/AbfG a. F. die abfallrechtlichen Grundpflichten konkretisieren. Vgl. zu der im Schrifttum geäußerten Kritik nur: Beaucamp, DVBl 2006, 1401 ff.; Weidemann/Krappel, DVBl 2011, 1385 (1387); Attendorn, NVwZ 2011, 327 ff.; Beckmann, EurUP 2020, 238 (245); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 43 Rn. 203 m.w. N. 483 BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2005, 1141 (1442); Beschl. v. 03.06.2004 – 7 B 14/04, NVwZ 2004, 1246 (1247). 484 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. III. 1. 485 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2005, 1141 (1443); Beaucamp, DVBl 2006, 1401 (1404 f.).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 157

Norm dar,486 die ohne behördliche Durchsetzung bestimmt, ob eine Anlage ungenehmigt betrieben wird oder nicht. Führt demnach die Unvereinbarkeit einer durch immissionsschutzrechtliche Genehmigung oder Planfeststellungsbeschluss gestatteten Tätigkeit mit den Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht zur unmittelbaren Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung und damit der Beendigung ihrer Gestattungswirkung, bleibt der Projektträger jedenfalls formell-rechtlich solange und soweit zur Ausführung der ihm gestatteten Tätigkeit befugt, bis die Zulassungsentscheidung nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorschriften aufgehoben oder abgeändert wurde. Im Vorfeld eines derart zulassungsmodifizierenden Aktes ist er zu einer entsprechenden Anpassung oder gar Einstellung der ihm zugelassenen Tätigkeit von sich aus nicht verpflichtet.487 Ist selbst eine formell bestandskräftige Zulassungsentscheidung nicht von vornherein änderungsfest ausgestaltet, bleibt nach nationaler Regelungssystematik ein Mindestmaß an Bestandsschutz durch die einschränkenden Voraussetzungen für die Aufhebung und Abänderung wirksamer Verwaltungsakte sowie die hierbei bestehenden Entschädigungsverpflichtungen gewährleistet.488 2. Verpflichtung des Mitgliedstaats zu weiteren projektbezogenen Maßnahmen Lässt sich aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL jedenfalls eine unmittelbare Unwirksamkeit einer konfligierenden Zulassungsentscheidung nicht ableiten, bleibt fraglich, welche Handlungsverpflichtungen sich für den Mitgliedstaat aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL für den Fall einer negativen Verträglichkeitsprüfung ergeben können. Nicht hinreichend ist jedenfalls die bloße Einleitung strafrechtlicher Verfahren oder die Verhängung von Verwaltungssanktionen gegenüber den für Verschlechterungen oder Störungen i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Verantwortlichen, sofern

486 Vgl. zu dem Begriff der „self-executing“-Norm: Sach, Genehmigung als Schutzschild?, 1994, S. 90. 487 A. A. offenbar: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 31, dem zufolge der verantwortliche Verursacher bei Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung aufgrund von § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG entsprechende Schutz- und Schadensminderungsmaßnahmen zu ergreifen oder die ursächliche Tätigkeit oder Anlage so zu verändern hat, dass keine Veränderung oder Störung mehr eintritt. Sei dies nicht möglich, müsse er die ursächliche Tätigkeit beenden bzw. die Anlage entfernen. Widersprüchlich ist insofern aber die Aussage unter Rn. 32, nach der die zuständigen Behörden verpflichtet sind, das Veränderungs- und Störungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG verwaltungsrechtlich durchzusetzen, wenn der Verantwortliche seiner Verpflichtung aus § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht nachkommt. Im Falle einer vorhandenen Genehmigung müsse die Behörde diese gemäß §§ 48 f. VwVfG zurücknehmen. 488 Vgl. Beckmann, in: Erbguth/Kluth, Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, 2012, S. 123 (152).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

die beeinträchtigende Nutzung fortbesteht.489 Insofern vermag auch die Bußgeldbewehrung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nichts daran zu ändern, dass die Vorschrift für sich genommen zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht ausreicht. In direkter Anwendung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung die Projektzulassung vorbehaltlich der Ausnahmemöglichkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zwingend zu versagen. Eine vergleichbar eindeutige Verpflichtung lässt sich der Regelung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in Bezug auf die ex-post Verträglichkeitsprüfung bereits zugelassener Projekte nicht entnehmen. Auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs blieb gerade offen, welche weiteren projektbezogenen Maßnahmen der Mitgliedstaat zur Erfüllung seiner Schutzpflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im jeweiligen Einzelfall zu ergreifen hat, sollte ein bestandskräftig zugelassenes Projekt gegen das Verschlechterungs- bzw. Störungsverbot verstoßen.490 Eine Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Aufhebung einer mit dem Verschlechterungsverbot konfligierenden nationalen Zulassungsentscheidung kann damit nicht ohne Weiteres angenommen werden.491 Fehlt es an konkreten Verfahrensvorgaben, bleibt es vielmehr grundsätzlich dem Ermessensspielraum des Mitgliedstaats überlassen, durch welche konkreten Vermeidungsmaßnahmen er einem festgestellten Verstoß gegen das allgemeine Verschlechterungsverbot abhilft.492 Allgemein gilt, dass der Mitgliedstaat auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur zu solchen Maßnahmen verpflichtet sein kann, die ihm rechtlich und tatsächlich möglich sind.493 Nach dem Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie haben die mitgliedstaatlichen Behörden im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die geeigneten Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen abzuwenden. Im Falle der Unvereinbarkeit eines zugelassenen Projekts mit dem Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH489 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU: C:2016:847, Rn. 55 f. 490 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c). 491 Im Ergebnis ebenso: Würtenberger, NuR 2010, 316 (319); siehe auch: Kahl, NVwZ 2011, 449 (453); Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 30 f.; a. A. offenbar: Beier, NVwZ 2016, 575 (590), dem zufolge der Projektträger zur Vermeidung eines drohenden Widerrufs seiner Genehmigung entweder den Nachweis der Gebietsverträglichkeit seines Projekts oder des Vorliegens der Ausnahmevoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erbringen müsse. 492 Vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.2021 – 4 C 2/19, juris Rn. 37; Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 15.01.2019, S. 18. 493 Vgl. EuGH, Urt. v. 19.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI: EU:C:2016:847, Rn. 57. Auf die Grenze der Unmöglichkeit in Bezug auf die gegenüber natürlichen Entwicklungen bestehende Vermeidungspflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verweisend: Möckel/Köck, NuR 2009, 318 (321); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 32 Rn. 110.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 159

RL sind dem Grunde nach verschiedene „geeignete Maßnahmen“ denkbar, mit denen der Mitgliedstaat seiner Handlungsverpflichtung nachkommen kann.494 Sie reichen von der Auferlegung nachträglicher Schutzmaßnahmen über Beschränkungen des zugelassenen Betriebs bis hin zur vollständigen Stilllegung einschließlich des Rückbaus einer bereits errichteten und in Betrieb genommenen Anlage.495 Führt die Unvereinbarkeit der formell-rechtlichen Gestattungssituation mit den Vorgaben des Verschlechterungsverbots nicht zur unmittelbaren Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung, setzt eine dahingehende Wahrnehmung der Handlungsverpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die vorherigen Abänderung bzw. Aufhebung der ihrem Regelungsgehalt nach konfligierenden Zulassungsentscheidung in einem gesonderten Verwaltungsverfahren voraus.496 Entsprechend den Aussagen des Gerichtshofs zur nachträglichen Verträglichkeitsprüfung kann eine Verpflichtung zur Durchführung einer bestimmten Vermeidungsmaßnahme i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – und damit insbesondere auch zur Aufhebung einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung – nur dann angenommen werden, sofern dies die einzig geeignete Maßnahme darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung auszuschließen.497 Für die Beurteilung dieser Frage sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Im Rahmen der Ermessensentscheidung muss auch an dieser Stelle insbesondere der gesamtgebietsbezogene Ansatz des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Berücksichtigung finden; die zum Überprüfungsermessen getroffenen Erwägungen gelten hier entsprechend.498 Da sich die Gebietsbeeinträchtigung in der Regel aus einem Zusammenwirken mehrerer Wirkfaktoren ergibt, sind nicht nur unmittelbar projektbezogene Vermeidungsmaßnahmen, sondern auch Maßnahmen gegenüber sämtlichen relevanten anthropogenen sowie natürlichen Wirkfaktoren in Betracht zu ziehen. Maßgeblich für die Verpflich-

494 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; siehe auch Gärditz, DVBl 2010, 247 (250); Würtenberger, NuR 2010, 316 (320); a. A. offenbar: Glaser, EuZW 2010, 225 (227); Kahl, NVwZ 2011, 449 (453); Suerbaum, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 30 f., die vor dem Hintergrund des PapenburgUrteils des EuGH allein auf den Widerruf der Zulassungsentscheidung abstellen. 495 Vgl. zu der Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL: EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 74 f. Siehe ferner auch: OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Appel, NuR 2020, 663 (669); Würtenberger, NuR 2010, 316 (319 f.). 496 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Beier, NVwZ, 2016, 575 (580); Appel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 33 Rn. 14; ders., NuR 2020, 663 (669). Vgl. im Hinblick auf die Papenburg-Entscheidung des EuGH ferner: Glaser, EuZW 2010, 225 (226 f.); Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 31; Kahl, NVwZ 2011, 449 (453); Gärditz, DVBl 2010, 247 (249); Glaser, EuZW 2010, 225 (226). In diese Richtung auch: Baum, NuR 2006, 145 (150). 497 Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 23/19, juris Rn. 52. 498 Siehe hierzu ausführlich unter 2. Teil, B. IV. 2. a) bb).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

tung des Mitgliedstaats nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist allein, dass es insgesamt nicht zu einer Gebietsbeeinträchtigung kommt. Festhalten lässt sich gleichwohl, dass die Handlungsverpflichtung des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL es im Einzelfall erfordern kann, dem Verschlechterungsverbot unter Aufhebung oder Abänderung des Regelungsgehalts einer Projektzulassung zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen, wobei die Wahl des Instrumentariums grundsätzlich in sein Ermessen gestellt ist. Von Interesse ist daher vor allem, welche Instrumentarien das nationale Recht bereitstellt, um die Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG gegenüber den hier untersuchungsgegenständlichen immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen sowie planfestgestellten Vorhaben durchzusetzen. Da sich diese Frage gleichermaßen mit Blick auf die Vorgaben des EU-Artenschutzrechts stellt, wird auf sie zu einem späteren Zeitpunkt für beide Rechtsmaterien gemeinsam zurückzukommen sein.499 Bei Anwendung des nationalen Verfahrensrechts zur Durchsetzung des allgemeinen Verschlechterungsverbots ist – wie stets bei unionsrechtlich geprägten Sachverhalten – einerseits der Effektivitätsgrundsatz zu beachten, der im Einzelfall zu Überformungen des nationalen Rechts führen kann.500 Das nationale Konfliktbewältigungsinstrumentarium muss geeignet sein, Einschränkungen des Verschlechterungsverbots auch durch die Auswirkungen zugelassener Projekte zu verhindern. Auf der anderen Seite lässt sich über die Voraussetzungen der nationalen Verfahrensvorschriften nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls auch den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Rechnung tragen und damit der gerade auch mit Blick auf die aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erwachsenden Vermeidungspflichten gebotene Ausgleich der konfligierenden Belange sicherstellen.501 Weitergehende Aussagen zu der Frage, wie dieser Ausgleich im Einzelfall aussehen kann, lassen sich im Vorfeld einer Konkretisierung der gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen sowie planfestgestellten Vorhaben nach nationalem Recht denkbaren Vermeidungsmaßnahmen noch nicht treffen. Vorweggenommen sei an dieser Stelle jedoch, dass die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, wie sie im nachfolgenden Abschnitt dargelegt wird, für die Abwägungsentscheidung der mitgliedstaatlichen Behörden eine entscheidende Rolle spielen wird.502

499

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. Siehe hierzu unter 1. Teil, B. II. 501 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Appel, NuR 2020, 663 (669); Glaser, EuZW 2010, 225 (227). 502 Siehe hierzu insb. unter 2. Teil, D. I. 2. c) bb). 500

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 161

3. Zwischenfazit Mit Blick auf die im vorstehenden Abschnitt untersuchten Folgen einer negativen ex-post-Verträglichkeitsprüfung lässt sich festhalten, dass die im Wege einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung festgestellte Unvereinbarkeit einer zugelassenen Tätigkeit mit den Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG nicht die unmittelbare Unwirksamkeit der Gestattungswirkung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen und Planfeststellungsbeschlüssen zur Folge hat. Der Projektträger bleibt zumindest formell-rechtlich zur Ausführung der ihm gestatteten Tätigkeit befugt, bis die Zulassungsentscheidung nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorschriften aufgehoben oder abgeändert wurde. Für den Mitgliedstaat folgt im Falle einer negativen Verträglichkeitsprüfung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich eine Pflicht zu weiteren Vermeidungsmaßnahmen. Der festgestellte Verstoß gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG bietet hier Ansatzpunkt für weitere projektbezogene Maßnahmen. Welche Instrumentarien zur Durchsetzung der Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen Projekten im Einzelnen in Betracht zu ziehen sich, bestimmt sich nach nationalem Verfahrensrecht.

VI. Die Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG Kann ein im Wege einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung festgestellter Verstoß gegen die Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG Ansatzpunkt für weitere projektbezogene Maßnahmen bilden, stellt sich für den Projektträger die im Folgenden darzulegende Frage, ob (1.) und unter welchen Voraussetzungen (2.) für ihn die Möglichkeit besteht, potenziell bestandsschutzbeschränkenden behördlichen Anordnungen über eine nachträgliche Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zu entgehen. Schließlich ist zu untersuchen, welche verfahrensrechtlichen Besonderheiten sich für die Erteilung einer nachträglichen Ausnahmezulassung mit Blick auf die in diesem Fall vorhandene Zulassungsentscheidung ergeben könnten (3.). 1. Anwendbarkeit des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG auf zugelassene Projekte Das nationale Recht sieht in § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG ausdrücklich vor, dass die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständige Behörde unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG Ausnahmen von dem Verbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG zulassen kann. Diese Ermächtigung erstreckt sich zudem auf die Ausnahmeerteilung von jenen Verboten, die nach § 32 Abs. 3 S. 2 BNatSchG in eine gebietsbezogene Schutzerklärung aufgenommen wurden, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu genügen, und die dem Verbot

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG vorgehen.503 Nach der ursprünglichen gesetzgeberischen Intention war die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dazu gedacht, auch „Nichtprojekten“ die Ausnahmemöglichkeiten der projektbezogenen Regelungen nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zu eröffnen.504 Bei Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auf Projekte i. S. d. § 34 BNatSchG505 muss sie jedoch erst recht auch auf diese Anwendung finden.506 In Bezug auf die Frage der Unionsrechtskonformität der in § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit ist zu berücksichtigen, dass sich die Regelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zwar unmittelbar allein auf Möglichkeit einer Ausnahme für den Fall bezieht, dass ein Projekt trotz negativen Ergebnisses einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL durchgeführt werden soll. Jedenfalls für Projekte i. S. d. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL folgt das Erfordernis einer entsprechenden Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf die allgemeine Schutzpflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL jedoch aus dem Gedanken des gleichen Schutzniveaus zwischen Art. 6 Abs. 3 und Abs. 2 FFH-RL. Der Schutz des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als lex generalis kann nicht über den des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL hinausgehen.507 Werden bereits genehmigte Projekte aufgrund von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL den potenziellen Einschränkungen einer Verträglichkeitsprüfung unterworfen, muss ihnen auch die Abweichungsmöglichkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL eröffnet sein.508 Es wäre wertungswidersprüchlich, Projekte nach ihrer Zulassung durch Versagung einer Berufung auf die Ausnahmegründe des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL letztlich strengeren Anforderungen zu unterwerfen als im Zeitpunkt ihrer Zulassung. Wie bereits Erwähnung fand, hat auch der Europäische Gerichtshof den Mitgliedstaaten mittlerweile ausdrücklich die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL für den Fall einer Unvereinbarkeit eines bereits zugelassenen Projekts mit dem materiellen Schutzniveau des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eingeräumt, allerdings – entspre-

503

Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 10. BT-Drs. 16/12274, S. 64; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 7. 505 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. III. 1. 506 Würtenberger, NuR 2010, 316 (320). 507 Würtenberger, NuR 2010, 316 (319). Die wohl h. M. geht auch im Hinblick auf Nicht-Projekte davon aus, dass die Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar bzw. aus Verhältnismäßigkeitsgründen sogar geboten ist, vgl. hierzu: Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 33 Rn. 7; Louis, NuR 2010, 77 (85); Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (68); Appel, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 33 Rn. 22; J. Schumacher/A. Schumacher, Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 33 Rn. 62. 508 Dies gilt insb. auch für Projekte, die bei ihrer Zulassung noch nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL unterlagen, Albrecht/Gies, NuR 2014, 235 (245); GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.06.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU: C:2011:425, Rn. 110. 504

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 163

chend seiner ständigen Rechtsprechung –509 nur unter der Voraussetzung, dass zuvor eine Verträglichkeitsprüfung entsprechend den Maßgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL erfolgt.510 Die vormals vertretene Auffassung, die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG sei mit den Vorgaben des Unionsrechts nicht vereinbar, da sie eine durch die FFH-Richtlinie nicht vorgesehene Ausnahme enthalte,511 ist damit jedenfalls für zugelassene Projekte nicht (mehr) haltbar.512 Von einer fehlerhaften Umsetzung der Vorgaben des Art. 6 FFH-RL in das nationale Recht könnte allenfalls unter dem Aspekt ausgegangen werden, dass § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG die Verträglichkeitsprüfung nicht ausdrücklich als Voraussetzung enthält.513 Dem lässt sich jedoch durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dergestalt Rechnung tragen, dass eine solche anhand der Maßstäbe des § 34 Abs. 1 BNatSchG vor der Ausnahmeentscheidung durchgeführt wird.514 2. Ausnahmevoraussetzungen des § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG Eine Ausnahme von den Verbotswirkungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG setzt nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 BNatSchG voraus, dass das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist (Nr. 1) und zumutbare Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle, ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind (Nr. 2). Unmittelbar bezieht sich die Regelung des § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf die Situation der Vorhabenzulassung. Inwieweit die entsprechende Anwendung der Regelung auf ein bereits zugelassenes 509 St. Rspr. EuGH, Urt. v. 15.05.2014, Rs. C-521/12 (Briels u. a.), ECLI:EU:C: 2014:330, Rn. 35 f.; Urt. v. 11.04.2013, Rs. C-258/11 (Sweetman u. a.), ECLI:EU:C: 2013:220, Rn. 35. Dem folgend z. B. BVerwG, Urt. v. 10.04.2013 – 4 C 3.12, NVwZ 2013, 1346 (1347 f. und 1349). 510 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 55–58, 71; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C: 2011:768, Rn. 156 f. Vgl. auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.06.2011, Rs. C-404/ 09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:425, Rn. 111, der zufolge bei Altvorhaben auch nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Verschlechterungen oder erhebliche Störungen von Schutzgebieten zuzulassen sind, wenn die materiellen Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL gegeben sind. 511 Gellermann, NVwZ 2010, 73 (77); ders., Natura 2000, 1998, S. 57; FischerHüftle, NuR 2008, 213 (218); Semmelmann, in: Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000-Schutzgebiete, 2009, S. 185 (202); a. A. Louis, NuR 2010, 77 (85). 512 So nunmehr auch: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 33 Rn. 12. 513 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 34. 514 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 33 Rn. 34.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Projekt eine Rücksichtnahme auf die nunmehr veränderte Gestattungssituation sowie die hiermit relevanten Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gleichwohl zulässt, gilt es im Folgenden zu untersuchen. a) Notwendigkeit der Durchführung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG Für den Fall eines bereits errichteten und gegebenenfalls bereits in Betrieb genommenen Projekts ist im Rahmen der Ausnahmeprüfung danach zu fragen, ob der Fortbestand des bereits errichteten Vorhabens sowie sein weiterer Betrieb bzw. seine weitere Nutzung durch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sind.515 aa) Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses Der Begriff der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses ist weder in der FFH-Richtlinie definiert, noch hat er bislang eine abschließende Konkretisierung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfahren.516 Zum Kreis der öffentlichen Interessen zählen jedenfalls die in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 4 S. 1 BNatSchG ausdrücklich benannten Gründe des Gesundheitsschutzes, der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung sowie jene des Umweltschutzes.517 Darüber hinaus kommen jedoch auch vielfältige sonstige öffentliche Belange, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, in Betracht.518 Zur näheren Bestimmung des Begriffs der zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses bietet sich auch die Berücksichtigung anderer Bereiche des Unionsrechts an, in denen ähnliche Begriffe vorzufinden sind.519 Zu denken ist hier beispielsweise an den Begriff des „zwingenden Erfordernisses“,520 der 515

Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631 (1639). Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 40; dies., Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richtlinie“ 92/43/EWG, 2007, S. 8; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 48. 517 Europäische Kommission, Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richtlinie“ 92/43/EWG, 2007, S. 9; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 39. 518 BVerwG, Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1.15, juris Rn. 104; Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07, juris Rn. 13; Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 153; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 39; Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 34 Rn. 142. Siehe hierzu im Einzelnen: Spieth/Appel, NuR 2009, 669 (671). 519 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 40; dies., Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richtlinie“ 92/43/EWG, 2007, S. 8. 516

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 165

vom Europäischen Gerichtshof als ungeschriebene Schranke der Grundfreiheit des freien Warenverkehrs entwickelt wurde521 und im Grundsatz auch für die anderen Grundfreiheiten gilt.522 Das Merkmal der „zwingenden“ Gründe erfordert nicht das Vorliegen von Sachzwängen, denen niemand ausweichen kann.523 Ausreichend ist vielmehr ein „durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln“.524 Jedoch muss die Verwirklichung der öffentlichen Interessen einen der Hauptzwecke des Vorhabens darstellen; bloß begleitende Nebenzwecke sind nicht ausreichend.525 Dient ein Projekt ausschließlich privaten Interessen, kann zu seinen Gunsten keine Ausnahme in Anspruch genommen werden; diese sind im Kontext des § 34 Abs. 3 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL irrelevant.526 Vorhaben privater Träger können im Wege der Ausnahmeerteilung daher nur zugelassen werden, wenn zugleich hinreichend gewichtige öffentliche Belange ihre Realisierung erfordern.527 Bei privaten Projekten zum Ausbau der Erneuerbaren Energien lässt sich etwa ihr Beitrag zur Verwirklichung des im Allgemeininteresse gelegenen Ziels einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Energieerzeugung als öffentliches Interesse anführen.528 Auch kann 520 Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 40; dies., Auslegungsleitfaden zu Artikel 6 Absatz 4 der „Habitat-Richtlinie“ 92/43/EWG, 2007, S. 8; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 48. 521 EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), ECLI:EU:C:1979:42, Rn. 8. 522 Pache, in: Schulze/Janssen/Kadelbach, Europarecht, 4. Aufl. 2020, § 10 Rn. 82. 523 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, 1171 (1174); Urt. v. 15.01.2004 – 4 A 11/02, NVwZ 2004, 732 (736); Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 18. 524 BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 153; OVG Koblenz, Urt. v. 08.11.2007 – 8 C 11523/06, NuR 2008, 181 (187); Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 134. 525 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, ZUR 2000, 331 (333 f.); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 40; Möckel, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 34 Rn. 142; Lüttgau/Kockler, in: BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 18. 526 Epiney, UPR 1997, 303 (309); Freytag/Iven, NuR 1995, 109 (114); Gellermann, NVwZ 2001, 500 (504); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 38; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 142, der dies als eine mit dem europäischen Grundrechtsschutz zu vereinbarende Entscheidung des europäischen Gesetzgebers ansieht. Kritisch dagegen: Kahl/Gärditz, ZUR 2006, 1 (6), die eine angemessene Berücksichtigung privater Nutzungsinteressen im Wege einer grundrechtskonformen Auslegung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL für geboten halten. 527 EuGH, Urt. v. 16.02.2012, Rs. C-182/10 (Solvay u. a.), ECLI:EU:C:2012:82, Rn. 77; Europäische Kommission, Auslegungsleitfaden zu Art. 6 Abs. 4 der „HabitatRichtlinie“ 92/43/EWG, 2007, S. 8; Ramsauer/Bieback, NVwZ 2002, 277 (278 f.); Gellermann, Natura 2000, 2. Aufl. 2001, S. 92; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 123. 528 Vgl. Gatz, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Z V. Rn. 113.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

ein öffentliches Interesse angenommen werden bei Eisenbahn- und Straßenbahnlinien oder auch Verkehrsflughäfen privater Unternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen.529 (1) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz als öffentliches Interesse Bei Projekten, die nach nationalem Recht bestandskräftig zugelassen wurden, sind neben den Gründen, die für das jeweilige Projekt „an sich“ streiten, auch Aspekte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie speziell die Bestandskraft einer nationalen Verwaltungsentscheidung als öffentliches Interesse an dem Fortbestand des Projekts zu berücksichtigen. Der Wortlaut der Regelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL lässt eine dahingehende Auslegung ohne Weiteres zu. Auch die Generalanwältin Kokott ging bereits in ihren Schlussanträgen in Sachen Alto Sil im Jahre 2011 davon aus, dass das Interesse an der Erhaltung bestandskräftiger Genehmigungen zumindest als eines der für ein Projekt sprechenden öffentliches Interessen zu berücksichtigen sei, die gegen die Beeinträchtigungen des Natura 2000-Gebiets abzuwägen sind.530 In der Folge brachte sie in ihren Schlussanträgen in Sachen Kommission/Bulgarien531 sowie in Sachen Kommission/Griechenland532 zum Ausdruck, dass bei der Identifizierung des öffentlichen Interesses nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL vor allem das Prinzip der Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz zu berücksichtigen sind.533 Während die Ausführungen der Generalanwältin Kokott zur Ausnahmemöglichkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL seitens des Europäischen Gerichtshofs in seiner – taggleich zum Waldschlößchenbrücken-Urteil – ergangenen Entscheidung in Sachen Kommission/Bulgarien534 noch nicht aufgegriffen wurden,535 schloss sich der Gerichtshof in seinem Urteil in Sachen Kommission/Griechenland aus demselben Jahr den Ausführungen der Generalanwältin dem Grunde nach an und stellte fest, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit gegebenenfalls eine mit den Vorga529

Vgl. Ramsauer/Bieback, NVwZ 2002, 277 (278). GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.06.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU: C:2011:425, Rn. 113 f. unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 01.06.1999, Rs. C-126/97 (Eco Swiss), ECLI:EU:C:1999:269, Rn. 46 und Urt. v. 13.01.2004, Rs. C-453/00 (Kühne & Heitz), ECLI:EU:C:2004:17, Rn. 24. 531 GAin Kokott, Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C-141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015:528. Kritisch hierzu: Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 150, dem zufolge mit dieser Konstruktion aus der Abwägung bewusst ausgeschlossenen reinen Privatinteressen zum Durchbruch verholfen werden könne. 532 GAin Kokott, Schlussanträge v. 18.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 57. 533 Zustimmend: Lau, NuR 2016, 149 (154). 534 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-244/05 (Kommission/Bulgarien), ECLI: EU:C:2016:8. 535 Lau, NuR 2016, 149 (154). 530

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 167

ben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht in Einklang stehende Nutzung entsprechend der in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL vorgesehenen Ausnahmeregelung rechtfertigen könne.536 Erforderlich sei insbesondere eine Prüfung der Frage, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, sowie eine Abwägung der betroffenen Interessen, die sich auf eine Prüfung der Verträglichkeit mit den für das geschützte Gebiet festgelegten Erhaltungszielen nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL stützt.537 Hiermit setzt sich der Gerichtshof in keinen Widerspruch zu seinen Ausführungen in Sachen Waldschlößchenbrücke, nach denen interne Verfahrensregelungen nicht als Begründung dafür herangezogen werden können, um die Anforderungen der FFHRichtlinie nicht einzuhalten.538 Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sieht gerade die Berücksichtigungsfähigkeit von „öffentlichen Interessen“ vor, unter die auch Belange der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes fallen. Von einer Nichteinhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann insofern nicht die Rede sein. Mit der Berücksichtigungsfähigkeit des Grundsatzes der Rechtssicherheit als öffentliches Interesse im Rahmen der Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL setzt sich der Gerichtshof auch in eine Linie mit seiner Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten. Dort erkennt er den Grundsatz der Rechtssicherheit als einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses an, der im Einzelfall Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.539 Das aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bestehende Interesse am Fortbestand einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung tritt dabei nicht nur verstärkend neben das bereits für das jeweilige Projekt „an sich“ streitende Interesse. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb diese Gesichtspunkte nicht bereits für sich genommen ein öffentliches Interesse i. S. d. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL begründen sollten, das im Falle eines Überwiegens die hierdurch zugelassenen gebietsunverträglichen Auswirkungen eines Projekts zu rechtfertigen vermag.540 Auch Projekten, die zwar für sich genommen rein privatnützig 536 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU: C:2016:105, Rn. 41. 537 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI: EU:C:2016:105, Rn. 41. Eine Rechtfertigung des seitens des EuGH angenommenen Verstoßes der Hellenischen Republik gegen ihre Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFHRL dadurch, dass sie einer gebietsunverträglichen Nutzung „keine hinreichenden Grenzen gesetzt“ habe, schloss der Gerichtshof in dem konkreten Fall jedoch bereits unter Verweis darauf aus, dass eine solche Rechtfertigung von der Hellenischen Republik nicht geltend gemacht worden sei. 538 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 69. 539 EuGH, Urt. v. 14.11.2013, Rs. C-221/12 (Belgacom), ECLI:EU:C:2013:736, Rn. 40; Urt. v. 24.05.2011, Rs. C-47/08 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C:2011:334, Rn. 95, 97; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, AEUV, Art. 49 Rn. 86. 540 Unklar diesbezüglich Lau, UPR 2015, 361 (366) und Lieber, NuR 2012, 655 (670), deren Ausführungen zu dem der Regelung des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG entsprechenden Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG auch dahingehend

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

sind, jedoch über eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung verfügen, ist mithin ein öffentliches Interesse an ihrer Verwirklichung zuzuerkennen, wenngleich letzterem im Rahmen der Abwägung ein geringeres Gewicht beizumessen sein wird als in Fällen, in denen ein zusätzliches öffentliches Interesse verstärkend hinzutritt. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass bestandskräftig zugelassenen Projekten in privater Trägerschaft die Möglichkeit einer Ausnahme in entsprechender Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL von vornherein versperrt wäre. Dies ließe sich nur schwer mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbaren, dessen Ausprägung die Ausnahmemöglichkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL darstellt.541 (2) Ausnahmegründe in Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen oder Arten Können von dem Projekt im Gebiet vorkommende prioritäre natürliche Lebensraumtypen oder prioritäre Arten betroffen werden, gelten die strengeren Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 BNatSchG. Als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses können hier ohne Weiteres nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Landesverteilung und des Zivilschutzes, oder den maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt geltend gemacht werden (S. 1).542 Will die zuständige Behörde in ihrer Abweichungsentscheidung sonstige Gründe i. S. d. § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG berücksichtigen, ist zuvor eine Stellungnahme der EU-Kommission einzuholen.543 Gründe der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes könnten in Fällen des § 34 Abs. 4 BNatSchG mithin jedenfalls nach Einholung einer Stellungnahme der EU-Kommission als öffentliches Interesse Berücksichtigung finden. bb) Feststellung eines Überwiegens im Wege der Abwägung Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses vermögen eine Ausnahme nur zu rechtfertigen, wenn sie das Integritätsinteresse des betroffenen FFH-Gebiets zu verstehen sein könnten, dass das Vorliegen einer bestandskräftigen Planung und die im Vertrauen hierauf getätigten Aufwendungen lediglich verstärkend zu einem am Projekt „an sich“ bestehenden öffentlichen Interesse hinzutreten; so wohl auch Beier, NVwZ 2016, 575 (590). 541 Siehe zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Sobotta, ZUR 2006, 353 (359); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 134. 542 Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 20. 543 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, NVwZ 2007, 1054 (1069); Lüttgau/ Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 20.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 169

(eindeutig) überwiegen.544 Erforderlich ist insofern eine Abwägung zwischen den für das Projekt streitenden öffentlichen Interessen einerseits sowie dem – ebenfalls öffentlichen – Interesse an der Integrität des konkret betroffenen Natura 2000-Gebiets andererseits.545 Das Gewicht, mit dem das Integritätsinteresse des Natura 2000-Gebiets in die Abwägung einzustellen ist, bestimmt sich maßgeblich durch das Ausmaß der im Rahmen der (nachträglichen) Verträglichkeitsprüfung für den konkreten Einzelfall ermittelten Beeinträchtigungen.546 Maßgebend für die Abwägung ist das Interesse an der Integrität des betroffenen Natura 2000Gebiets, nicht das bloße Interesse an der Kohärenz von Natura 2000.547 Hinsichtlich der Bestimmung der Erheblichkeit des Gewichts der für das Vorhaben „an sich“ streitenden öffentlichen Interessen sei an dieser Stelle auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen.548 Mit Blick auf die speziell im Rahmen der nachträglichen Ausnahmeerteilung zu berücksichtigenden Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bzw. der Bestandskraft einer nationalen Verwaltungsentscheidung wurde bereits festgestellt, dass diese sonstigen unionsrechtlichen Vorgaben und damit auch dem Integritätsinteresse des betroffenen Natura 2000-Gebiets prinzipiell gleichwertig gegenüberstehen.549 Was die Gewichtung dieser Aspekte im Einzelnen betrifft, bietet sich auch an dieser Stelle eine Differenzierung danach an, ob den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren Rechnung getragen wurde oder nicht bzw. ob die nach-

544 Frenz, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 34 Rn. 134; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 141. 545 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05, NVwZ 2007, 1054 (1069); Lau, UPR 2015, 361 (366); Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 49 f.; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 19; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 124; Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 141; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 41. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 11.09.2012, Rs. C-43/10 (Acheloos), ECLI:EU:C:2012:560, Rn. 121; Urt. v. 16.02.2012, Rs. C-182/10 (Solvay), ECLI:EU:C:2012:82, Rn. 74 f. 546 Ausdrücklich zum Fall einer entsprechenden Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFHRL im Falle einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung: BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631 (1639). Zur direkten Anwendung des § 34 Abs. 3 BNatSchG: BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12/07, NVwZ 2010, 123 (127 f.); Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 50; Lüttgau/Kockler, in: Giesberts/Reinhard, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 19. 547 Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 50. 548 Vgl. Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 148 m.w. N.: anerkannte Kriterien sind etwa das europa- oder verfassungsrechtliche Gewicht des verfolgten Zwecks, die Höhe des tatsächlichen oder prognostizierten Bedarfs am geplanten Vorhaben (z. B. der Verkehrsbedarf einer Straße oder der Verkehrsentlastungsbedarf eines Ortes), die Dringlichkeit des Vorhabens sowie die normative oder politische Vorgabe der mit dem Vorhaben verfolgten Ziele, wobei gesetzliche Vorgaben ein größeres Gewicht entfalten. 549 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

träglichen Konflikte mit dem Natura 2000-Gebietsschutz dem Projektträger vorgeworfen werden können oder nicht.550 Der Bestandskraft und damit dem Aspekt der Rechtssicherheit im Falle einer rechtmäßigen Zulassungsentscheidung, die unter Beachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL erging, ist grundsätzlich ein höheres Gewicht beizumessen als in Fällen ihrer Missachtung.551 Auch auf ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich ein Projektträger jedenfalls bei Nichtdurchführung einer erforderlichen Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung im Zulassungsverfahren oder bei vorwerfbaren schweren Ermittlungsfehlern grundsätzlich nicht berufen.552 Eine Rechtfertigung im Wege der Ausnahme wird hier nur dann in Betracht kommen, wenn sonstige für das Projekt „an sich“ streitende öffentliche Interessen das Integritätsinteresse des Natura 2000-Gebiets zu überwiegen vermögen; Aspekte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes können hier für sich genommen dagegen eine Ausnahme regelmäßig nicht rechtfertigen.553 Demgegenüber wird dem schutzwürdigen Vertrauen des Projektträgers in Fällen, in denen im Zulassungsverfahren eine Verträglichkeitsprüfung unter Einhaltung der strengen Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL erfolgt ist, grundsätzlich ein erhebliches Gewicht beizumessen sein.554 Jedenfalls in Fällen, in denen für das Projekt darüber hinaus auch sonstige öffentliche Interessen streiten, kann hier daher regelmäßig von „zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ i. S. d. § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG ausgegangen werden.555 Wenngleich die Feststellung eines überwiegenden, für das Vorhaben streitenden öffentlichen Interesses letztlich stets eine Bewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls erfordert, lässt sich zumindest festhalten, dass den für das Vorhaben sprechenden Gründen aufgrund des zusätzlichen öffentlichen Interesses in Form der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Falle des Vorliegens einer bestandskräftigen – und insbesondere rechtmäßigen – 550 Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. IV. 2. b). In diesem Sinne auch: Sobotta, EurUP 2015, 341 (346 f.). 551 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. b) bb). 552 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, B. IV. 2. b) aa). Siehe ferner auch: Sobotta, EurUP 2015, 341 (347). 553 Vgl. auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 18.02.2016, Rs. C-504/14 (Kommission/Griechenland), ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 57, der zufolge das Prinzip der Rechtssicherheit keine Baugenehmigung rechtfertigen kann, die unter Missachtung des Gebietsschutzes erteilt wurde. 554 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, B. IV. 2. b) bb) und Sobotta, EurUP 2015, 341 (347 f.). 555 Von einem regelmäßigen Überwiegen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ausgehend jedenfalls für Projekte, die rechtmäßig vor Anwendbarkeit der FFH-Richtlinie zugelassen wurden: GAin Kokott, Schlussanträge v. 03.09.2015, Rs. C141/14 (Kommission/Bulgarien), ECLI:EU:C:2015:528, Rn. 134 und Sobotta, ZUR 2006, 353 (367).

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 171

Zulassungsentscheidung ein größeres Gewicht zukommt als vor Erteilung der Zulassungsentscheidung.556 b) Nichtbestehen einer zumutbaren Alternativlösung, § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG Voraussetzung für eine Ausnahme ist gemäß § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG ferner, dass zumutbare Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle, ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben ist. aa) Zum Begriff der Alternative Der Begriff der Alternative i. S. d. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL hat in der FFH-Richtlinie keine Konkretisierung erfahren und bedarf insofern einer Auslegung.557 Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Begriff der Alternative aus der Funktion des durch Art. 4 FFH-RL begründeten Schutzregimes zu verstehen.558 Bereits aufgrund seines Ausnahmecharakters begründet Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL ein strikt beachtliches Vermeidungsgebot.559 Lässt sich das Planungsziel an einem nach dem Schutzkonzept der FFH-Richtlinie günstigeren Standort oder mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen (sogenannte Standort- oder Ausführungsalternative),560 muss von dieser Alternative Gebrauch gemacht werden.561 Weder ist der für die Abweichungsentscheidung zuständigen Behörde für den Alternativenvergleich ein planerischer Abwägungsspielraum eingeräumt,562 noch steht dem Projektträger ein irgendwie ge556

Vgl. Lau, NuR 2018, 587 (591). BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, 1171 (1172 f.). 558 BVerwG, Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173). So auch: Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 59. 559 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173); Urt. v. 28.03.2013 – 9 A 22/11, juris Rn. 105; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 36. 560 Siehe zu dem Erfordernis des günstigeren Standorts oder geringerer Eingriffsintensität der Alternative im Einzelnen: Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 59; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, 63 (75 f.); Jarass, NuR 2007, 371 (378). Obgleich diese Voraussetzung in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht ausdrücklich normiert ist, ergibt sich keine Diskrepanz zu der nationalen Umsetzungsregelung des § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG. Vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2016:10, Rn. 75, wonach eine Maßnahme, die ihrerseits zu einer Verschlechterung oder zu Störungen führen kann, die sich i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erheblich auswirken könnten, dem Ziel dieser Bestimmung zuwiderliefe und daher nicht als Alternativlösung i. S. v. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL angesehen werden kann. 561 BVerwG, Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138; Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 36. 562 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, 1171 (1172 f.). 557

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

arteter Gestaltungsspielraum zu.563 Dieses Verständnis des Alternativenbegriffs kommt in der nationalen Umsetzungsbestimmung des § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zum Ausdruck, die in Konkretisierung zu Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL bestimmt, dass die Alternative geeignet sein muss, „den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle, ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen“. Der Alternativenbegriff steht mithin auch in engem Zusammenhang mit den Planungszielen, die mit dem Vorhaben verfolgt werden.564 Eine Alternativlösung i. S. v. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG ist nur gegeben, wenn sich das mit dem Projekt oder Plan verfolgte Ziel trotz gegebenenfalls hinnehmbarer Abstriche auch mit ihr erreichen lässt.565 Das Bundesverwaltungsgericht566 sowie die ganz herrschende Literaturauffassung567 geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass die sogenannte Null-Variante, d. h. ein vollständiger Verzicht auf das Projekt, nicht als Alternative in Betracht kommen kann.568 Der mit dem Projekt oder Plan verfolgte Zweck ließe sich hier keinesfalls verwirklichen. Als Alternative sind ferner nur solche Änderungen anzusehen, die die Identität des Vorhabens unberührt lassen.569 Von einer Alternative kann daher dann nicht mehr die Rede sein, wenn eine planerische Variante auf ein anderes Projekt hinausläuft, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger Weise verfolgten Ziele nicht verwirklicht werden könnten.570 Inwieweit Abstriche von einem Planungsziel hinzunehmen sind, hängt maßgebend von seinem Gewicht und dem Grad seiner Erreichbarkeit im jeweiligen Einzelfall ab.571 563 BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07, juris Rn. 33; Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138. 564 BVerwG, Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 58. 565 BVerwG, Urt. v. 09.07.2009, NVwZ 2010, 123 (129); Urt. v. 17.05.2002, NVwZ 2002, 1243 (1245). Vgl. auch Hösch, NuR 2004, 210 (215); Cosack, UPR 2002, 250 (253); Epiney, UPR 1997, 303 (308); Hoppenberg/de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, E. Rn. 698. 566 BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20/05, NVwZ 2007, 1054 (1071). 567 Vgl. Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, 1 (6); Wolf, ZUR 2005, 339 (454); Cosack, UPR 2002, 250 (253 f.); Frenz, NuR 2015, 683 (684); Jarass, NuR 2007, 371 (378); Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 178; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 36. 568 Demgegenüber spricht sich die Europäische Kommission dafür aus, dass im Rahmen der Alternativenprüfung „auch die Nulloption“ in Betracht gezogen werden sollte, siehe: Europäische Kommission, Natura 2000-Gebietsmanagement, Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, ABl. C 33/01 v. 25.01.2019, S. 39. 569 BVerwG, Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2010, 123 (129); Urt. v. 11.08. 2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138. 570 BVerwG, Urt. v. 15.01.2004 – 4 A 11/02, NVwZ 2004, 732 (736); Urt. v. 11.08. 2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138. 571 BVerwG, Beschl. v. 01.04.2009 – 4 B 61/08, NVwZ 2009, 910 (917); Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1/15, juris Rn. 138.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 173

bb) Zumutbarkeit der Alternative Eine Begrenzung erfährt das weitreichende Verständnis der Alternativenprüfung unter dem Aspekt des unionsrechtlich in Art. 5 Abs. 4 EUV niedergelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,572 der in der nationalen Umsetzungsnorm im Begriff der „Zumutbarkeit“ seinen Ausdruck gefunden hat.573 Eine Maßnahme ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, wenn sie die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erfüllung der mit der gemeinschaftlichen Regelung verfolgten Ziele weder angemessen noch erforderlich ist.574 Entscheidend ist im Rahmen der Alternativenprüfung nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL, ob die mit dem Projekt verfolgten zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die Verwirklichung gerade dieser Alternative verlangen oder ob sie auch auf andere Weise bzw. an einem anderen Ort mit noch verhältnismäßigem Aufwand erreicht werden können.575 Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf das „zumutbare Maß an Vermeidungsanstrengungen nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu dem damit erzielbaren Gewinn für Natur und Umwelt stehen“.576 Der hinter dem Begriff der Zumutbarkeit stehende gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es dabei rechtfertigen, dass selbst naturschutzfachlich vorzugswürdige Alternativen aus gewichtigen naturschutzexternen Gründen ausscheiden.577 Von vornherein nicht zumutbar sind Alternativen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht realisiert werden können578 bzw. deren Realisierbarkeit jedenfalls höchst ungewiss ist.579 Wie das Erfordernis eines überwiegenden öffentlichen Interesses nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG läuft mithin auch das Erfordernis der „Zumutbarkeit“ auf eine Abwägung hinaus.580 Auch der Europäische Gerichtshof hat mehrfach festgehalten, dass die Alternativenprüfung

572 BVerwG, Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173). Obgleich die in § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG vorgesehene Voraussetzung der „Zumutbarkeit“ der Alternative sich in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht findet, folgt hieraus daher keine Diskrepanz zu der nationalen Umsetzungsvorschrift, Füßer/Lau, NuR 2012, 448 (449). 573 Cosack, UPR 2002, 250 (253); Jarass, NuR 2007, 371 (378); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 36. 574 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.06.1990, Rs. C-118/89 (Lingenfelser), ECLI:EU:C: 1990:267, Rn. 12. 575 BVerwG, Beschl. v. 03.06.2010 – 4 B 54.09, NVwZ 2010, 1289 (1291); Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06, juris Rn. 170. 576 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2/99, NVwZ 2000, 1171 (1173); Urt. v. 12.03. 2008 – 9 A 3/06, juris Rn. 172. 577 Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 61. 578 Cosack, UPR 2002, 250 (253); Schrödter, NuR 2001, 8 (14); Hoppenberg/de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, E. Rn. 705. 579 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 169 m.w. N. 580 Füßer/Lau, NuR 2012, 448 (449); Lau, UPR 2015, 361 (366).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

die Abwägung der einander widerstreitenden Interessen voraussetzt.581 Die Abwägung im Rahmen der Alternativenprüfung hängt – wie auch die Abwägungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG – letztlich stets von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab.582 Während bei der Bewertung der Zumutbarkeit im Rahmen der direkten Anwendung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auf den Zeitpunkt der Prüfung des beantragten Projekts abzustellen ist,583 muss im Rahmen einer nachträglichen Alternativenprüfung – wie auch im Rahmen der ihr vorausgehenden nachträglichen Verträglichkeitsprüfung –584 der Zeitpunkt der nachträglichen Prüfung selbst maßgeblich sein. Für den Fall, dass das in Rede stehende Projekt zum Zeitpunkt der nachträglichen Alternativenprüfung bereits verwirklicht und in Betrieb genommen wurde, muss mithin insbesondere die hierdurch geschaffene tatsächliche Lage Berücksichtigung finden. Wurde das Projekt auf Grundlage einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bereits errichtet und gegebenenfalls bereits in Betrieb genommen, ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Durchführung einer Standort- oder Ausführungsalternative in tatsächlicher Hinsicht den vorherigen Abriss des Bauwerks oder dessen Stilllegung erfordern kann.585 Wie der Gerichtshof in Sachen Waldschlößchenbrücke festgestellt hat, können im Rahmen der Alternativenprüfung weder etwaige Verschlechterungen und Störungen, die durch den Bau und die Inbetriebnahme des in Rede stehenden Bauwerks hervorgerufen werden, noch etwaige Vorteile, die dieses mit sich bringt, außer Acht gelassen werden.586 Die Alternativenprüfung erfordert hier eine Abwägung der ökologischen Folgen des Fortbestands oder der Begrenzung der Nutzung des fraglichen Bauwerks einschließlich seiner Schließung, im äußersten Fall sogar seines Abrisses auf der einen und der überwiegenden öffentlichen Interessen, die zu seiner Errichtung geführt haben, auf der anderen Seite.587 In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beseitigung eines bereits errichteten Bauwerks nur um den Preis eines erneuten Eingriffs möglich ist, der seinerseits einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6

581

EuGH, Urt. v. 20.09.2007, Rs. C-304/05 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C: 2007:532, Rn. 83; Urt. v. 24.11.2011, Rs. C-404/09 (Alto Sil), ECLI:EU:C:2011:768, Rn. 109. 582 Vgl. zu den hierbei maßgeblichen Belangen ausführlich: Füßer/Lau, NuR 2012, 448 (449 ff.). 583 Cosack, UPR 2002, 250 (253). 584 Siehe hierzu oben unter 2. Teil, B. II. 2. a) aa). 585 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2017, 1631 (1639). 586 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 74. 587 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 74.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 175

Abs. 3 FFH-RL zu unterziehen wäre.588 Eine Maßnahme, die ihrerseits zu einer Verschlechterung oder zu Störungen führen kann, die sich i. S. v. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erheblich auswirken könnten, liefe dem Ziel dieser Bestimmung zuwider und kann daher nicht als eine Alternativlösung i. S. v. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL angesehen werden.589 Im Rahmen der Abweichungsprüfung ist eine Alternativmaßnahme, die den Abriss eines vorhandenen Bauwerks voraussetzt, daher bereits aus diesem Grund regelmäßig nur als ultima ratio in Betracht zu ziehen; vorrangig wäre eine Begrenzung der Nutzung oder eine Schließung des Bauwerks zu erwägen.590 Im Rahmen der nachträglichen Alternativenprüfung muss unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten neben der durch zum Zeitpunkt der Vorhabenzulassung veränderten tatsächlichen Situation allerdings auch die durch das Vorliegen einer bestandskräftigen behördlichen Zulassungsentscheidung veränderte rechtliche Situation Berücksichtigung finden. Wie im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sind neben den für den Fortbestand eines Projekts an sich streitenden öffentlichen Belangen auch die durch eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelten Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in die unter dem Aspekt der Zumutbarkeit gebotene Abwägungsentscheidung nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG einzustellen.591 Hinsichtlich der Gewichtung dieser Belange gelten im Grundsatz dieselben Erwägungen wie im Rahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.592 Die Ausnahmeerteilung mag ultima ratio und eine „Flucht in die Ausnahme“ nicht möglich sein.593 Die Berücksichtigung der für den Fortbestand des bestandskräftig zugelassenen Projekts streitenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes erfordern jedoch in jedem Fall eine im Vergleich zur Vorhabenzulassung erhebliche Absenkung des Zumutbarkeitsmaßstabs zugunsten des Projektträgers. Jedenfalls sofern mit der Errichtung des Vorhabens auf Grundlage einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bereits begonnen wurde, kann die Möglichkeit der Durchführung von Standortalternativen, wenn nicht bereits aufgrund der bereits angesprochenen faktischen Hindernisse, so jedenfalls aus Gründen des Vertrauensschutzes regelmäßig nicht als zumutbare Alternative i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG angesehen werden, die der Erteilung einer Ausnahme entgegen588 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU: C:2016:10, Rn. 76 unter Verweis auf GAin Sharpston, Schlussanträge v. 24.09.2015, Rs. C-299/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 69; BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631 (1639). 589 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 75. 590 Vgl. BVerwG, Urt. v. 15.07.2016 – 9 C 3/16, NVwZ 2016, 1631 (1639). 591 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. a) aa) (1). 592 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. a) bb). 593 So zu § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG: Lau, UPR 2015, 361 (366); Fellenberg, in: Kerkmann, Naturschutzrecht in der Praxis, 3. Aufl. 2021, § 10 Rn. 164.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

stünde.594 Aber auch Ausführungsvarianten sind dem Projektträger im Rahmen einer nachträglichen Alternativenprüfung grundsätzlich in weitaus geringerem Umfang zuzumuten als im Rahmen der Vorhabenzulassung. Sind die nachträglich eingetretenen Konflikte mit dem Natura 2000-Gebietsschutz dem Projektträger nicht vorwerfbar, vermögen aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich nur äußerst gewichtige Beeinträchtigungen, etwa die Gefährdung extrem seltener Arten oder Lebensräume, weitreichende Abstriche von der bestandskräftig zugelassenen Tätigkeit zu rechtfertigen.595 Soweit ein Projekt jedoch seiner Natur nach kontinuierlich Verschlechterungen eines Natura 2000-Gebiets bewirkt, wird es dem Projektträger andererseits auch zuzumuten sein, gewisse Abstriche von der ihm zugelassenen Tätigkeit hinzunehmen; der Vertrauensschutz alleine vermag hier keine zeitlich unbegrenzte Beeinträchtigung zu rechtfertigen.596 Es bedürfte darüber hinaus eines weiteren, gegenüber den beeinträchtigten Naturwerten überwiegenden Interesses an der dauerhafte Durchführung des Vorhabens.597 Im Rahmen der Abwägung zwischen den verschiedenen Alternativen können nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch finanzielle Erwägungen den Ausschlag geben.598 Ob Kosten außer Verhältnis zu dem nach Art. 6 FFH-RL festgelegten Schutzregime stehen, ist wiederum am Gewicht der beeinträchtigten gemeinschaftlichen Schutzgüter zu messen.599 Richtschnur hierfür sind die Schwere der Gebietsbeeinträchtigung, Anzahl und Bedeutung etwa betroffener Lebensraumtypen oder Arten sowie der Grad der Unvereinbarkeit mit den Erhaltungszielen.600 Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 594 Vgl. hierzu auch Lieber, NuR 2012, 655 (670 f.), dem zufolge vor dem Hintergrund des faktisch und rechtlich Möglichen ein Ausweichen etwa auf einen anderen Standort oder eine andere Trasse im Falle einer nachträglichen Alternativenprüfung ausgeschlossen oder zumindest nicht zweckmäßig sein kann. 595 In diese Richtung auch: Sobotta, EurUP 2015, 341 (348). Weitergehend jedenfalls mit Blick auf die artenschutzrechtliche Ausnahme nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG: Lau, NuR 2018, 587 (592): Ihm zufolge sind außerhalb der von der bestehenden Genehmigung belassenen Spielräumen von vornherein keine Alternativen denkbar, wenn man zu dem für die Ausnahme maßgeblichen Zielbündel im Hinblick auf Bestandsvorhaben auch den Grundsatz der Rechtssicherheit zählt. 596 Sobotta, EurUP 2015, 341 (348). 597 Sobotta, EurUP 2015, 341 (348). 598 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173). Siehe auch: Cosack, UPR 2002, 250 (253); Frenz, NuR 2015, 683 (685); J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 136; Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 61. 599 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173). Zustimmend: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 175; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 136. 600 BVerwG, Urt. v. 11.05.2000 – 4 C 14/98, NVwZ 2000, 1171 (1173); Cosack, UPR 2002, 250 (253); J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 34 Rn. 136.

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 177

in Sachen Waldschlößchenbrücke kann den wirtschaftlichen Kosten der Maßnahmen, die im Rahmen der Alternativenprüfung berücksichtigt werden können, jedoch „nicht die gleiche Bedeutung“ beigemessen werden wie dem mit der FFHRichtlinie verfolgten Ziel der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.601 Unter Berücksichtigung der engen Auslegung von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann dem Gerichtshof zufolge bei der Wahl von Alternativlösungen daher nicht „allein“ auf die wirtschaftlichen Kosten eines Rückbaus abgestellt werden.602 Kostenargumenten kommt mithin grundsätzlich eine geringere Bedeutung zu als den Integritätsinteressen.603 Im Falle eines bereits errichteten und durchgeführten Bauwerks dürften die Kosten, die im Zuge der Alternativmaßnahmen entstünden, auch in Verhältnis zu den bereits getätigten Investitionen zu setzen sein. Auch an dieser Stelle ist allerdings eine Differenzierung dahingehend geboten, ob sich die Gebietsunverträglichkeit des Projekts auf vorwerfbare Ermittlungsmängel im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL oder gar ihre Unterlassung trotz Erforderlichkeit zurückführen lässt.604 Hervorgebracht wird in diesem Zusammenhang berechtigterweise, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, gerade in Grenzfällen die Verträglichkeit nur unvollständig zu prüfen und sich später auf den zwischenzeitlich betriebenen Aufwand zu berufen, womit die praktische Wirksamkeit des Gebietsschutzes nach der Habitatrichtlinie in Frage gestellt wäre.605 c) Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des kohärenten Netzes Natura 2000 Soll ein Projekt im Wege des Abweichungsverfahrens zugelassen werden, sind nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 5 S. 1 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes Natura 2000 notwendigen Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Aus der Gestattung eines Vorhabens, das ein Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigt, folgt insofern nicht, dass die ökologischen Belange den entgegenstehenden öffentlichen Interessen schlechthin geopfert werden.606 Sie sind mit der zwingenden Verpflichtung zur Bewältigung der damit ausgelösten Folgen verbunden.607 Die Bewältigung des Konflikts zwi601 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 77. Schwer verständlich ist der diesbezügliche Verweis des Gerichtshofs auf die Schlussanträge der GAin Sharpston v. 24.09.2015, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C:2015:631, Rn. 70, da der GAin zufolge „bei der Abwägung der verschiedenen Optionen die wirtschaftlichen Kosten, z. B. des Rückbaus der Brücke und der Entschädigung des Bauträgers, grundsätzlich unbeachtlich sind.“ 602 EuGH, Urt. v. 14.01.2016, Rs. C-399/14 (Waldschlößchenbrücke), ECLI:EU:C: 2016:10, Rn. 77. 603 Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 172. 604 In diesem Sinne: Sobotta, EurUP 2015, 341 (347). 605 Sobotta, EurUP 2015, 341 (347). 606 Wolf, ZUR 2005, 449 (454). 607 Wolf, ZUR 2005, 449 (457).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

schen den zurücktretenden ökologischen und den sich durchsetzenden wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Belangen erfolgt damit im Wege der Kompensation.608 d) Verbleibender Ermessensspielraum der Behörde? Unterschiedlich beurteilt wird, ob es sich bei der Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme um eine Ermessensentscheidung oder um eine gebundene Entscheidung der Behörde handelt. Nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs609 sowie Teilen der nationalen Literatur610 steht die Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL auch beim Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen im Ermessen der zuständigen Behörde. Demgegenüber geht die Gegenauffassung davon aus, dass dem Projektträger bei Erfüllung der in § 34 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 BNatSchG normierten Voraussetzungen ein Anspruch auf eine stattgebende Entscheidung im Abweichungsverfahren zusteht.611 Für die Annahme eines zumindest intendierten Ermessens streitet maßgeblich, dass bereits der Tatbestand des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG eine Abwägung der für das Vorhaben sprechenden zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses mit der Beeinträchtigung des betroffenen Gebiets voraussetzt, sodass eine nochmalige Abwägung unter Zugrundelegung ausschließlich derselben Kriterien auf Rechtsfolgenseite keinen Sinn ergeben würde.612 3. Verfahrensrechtliche Aspekte der nachträglichen Ausnahmezulassung Fraglich ist, welche verfahrensrechtlichen Besonderheiten sich für die Ausnahmezulassung mit Blick auf das Vorliegen einer bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses ergeben können. a) Immanente Ausnahmezulassung kraft Konzentrationsund Gestattungswirkung? Treten im Vollzug einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses Konflikte mit den Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auf, ließe sich möglicherweise in Frage stellen, ob es hier über608

Wolf, ZUR 2005, 449 (457). EuGH, Urt. v. 04.03.2010, Rs. C-241/08 (Kommission/Frankreich), ECLI:EU: C:2010:114, Rn. 72; Urt. v. 26.10.2006, Rs. C-239/04 (Kommission/Portugal), ECLI: EU:C:2006:665, Rn. 25. 610 Mühlbauer, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 34 Rn. 19; Winter, NuR 2010, 601 (605); Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 136. 611 Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 63; für § 45 Abs. 7 BNatSchG auch: Lau, NuR 2018, 840 (845). 612 Ewer, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 34 Rn. 63. 609

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 179

haupt der Erteilung einer gesonderten nachträglichen Ausnahmeerteilung bedarf oder ob diese nicht vielmehr bereits der vorhandenen Zulassungsentscheidung entnommen werden kann. In den Fällen, in denen sich die Gebietsunverträglichkeit eines Projekts erst im Rahmen einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung herausstellt,613 wird die immissionsschutzrechtliche Genehmigung bzw. der Planfeststellungsbeschluss regelmäßig auch keine ausdrückliche Ausnahmegenehmigung enthalten.614 Indes werden nach der in § 13 BImSchG bzw. § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG angeordneten Konzentrationswirkung die an sich erforderlichen behördlichen Entscheidungen ersetzt und nicht gebündelt, sodass sie gerade keines gesonderten Ausspruchs in der jeweiligen Zulassungsentscheidung bedürfen.615 Erstreckt sich die Gestattungswirkung beider Zulassungsformen ferner auf Errichtung und Betrieb der genehmigungspflichtigen Anlage bzw. des planfeststellungsbedürftigen Vorhabens616 und haben weder die bereits anfängliche noch die nachträglich infolge einer veränderten Sach- oder Rechtslage eingetretene Unvereinbarkeit mit der materiellen Rechtslage die unmittelbare Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung – und damit das Entfallen ihrer Gestattungswirkung – zur Folge,617 erscheint die Annahme, Planfeststellungsbeschluss und immissionsschutzrechtliche Genehmigung enthielten kraft ihrer Genehmigungs- und Konzentrationswirkung sämtliche für ihren Vollzug notwendig werdenden Ausnahmegenehmigungen, zumindest nicht vollkommen abwegig.618 Eine solches Verständnis liefe im Ergebnis jedoch auf eine generelle Freistellung immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben von den Verbotswirkungen des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG hinaus, die sich mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht vereinbaren lässt.619 Die Annahme einer immanenten Ausnahmegenehmigung auch für solche Konflikte, die in der jeweiligen Zulassungsentscheidung keine gesonderte keine rechtliche Würdigung erfahren haben, wird ferner den Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nicht gerecht. Eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL kann sich aus materiellen Gründen von vornherein nur auf die ausdrücklich im Rahmen einer vorherigen Verträglichkeitsprüfung ermittelten Auswirkungen beziehen.620 613

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. a) cc). Vgl. zu § 45 Abs. 7 BNatSchG: Lieber, NuR 2012, 665 (666). 615 Zu § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG: Fischer, I+E 2014, 93 (98); Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 62; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HKVerwR, VwVfG, § 75 Rn. 18; Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 75 Rn. 23; Masing/Schiller, in: Obermayer/Funke/Kaiser, VwVfG, § 75 Rn. 4, 16; Wysk, in: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn. 12; zu § 13 BImSchG: Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 21. 616 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) aa) und 1. Teil, A. IV. 2. a) aa). 617 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 1. 618 Lieber, NuR 2012, 665 (666). 619 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 620 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 3. 614

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Wie bereits herausgearbeitet wurde, vermag daher selbst eine ausdrücklich erteilte Ausnahmegenehmigung nicht vor dem Erfordernis einer erneuten Verträglichkeitsprüfung und einer ebenfalls erneuten Überprüfung des Vorliegens der Ausnahmevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu schützen, wenn die ihr zugrunde liegende Verträglichkeitsprüfung nicht sämtliche künftige Beeinträchtigungen erfasst.621 Planfeststellungsbeschlüssen und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen lässt sich mithin auch unter Berücksichtigung ihrer Konzentrations- und Gestattungswirkung keine Ausnahmegenehmigung für unvorhergesehene bzw. unvorhersehbare Konflikte entnehmen. b) Zuständigkeit der Naturschutzbehörde im einfachen Verwaltungsverfahren? Bedarf es für die hier interessierenden Konfliktsituationen einer gesonderten nachträglichen Ausnahmeerteilung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG, stellt sich – wie auch mit Blick auf die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung –622 die Frage, ob diese entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift durch die Naturschutzbehörde im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens zu erteilen ist. In der Literatur werden teilweise Erwägungen dahingehend angestellt, ob sich die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde auch für solche Ausnahmeentscheidungen begründen lässt, die die Auswirkungen bereits zugelassener Projekte betreffen.623 Gegen die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde streitet zunächst, dass die Konzentrationswirkung nach § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG, die auch die Erteilung etwaig erforderlicher Ausnahmeentscheidungen erfasst,624 nicht anders als die Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG625 mit Erteilung der Zulassungsentscheidung endet.626 Teilweise wird indes die Auffassung vertreten, dass mit der nachträglichen Erteilung einer Ausnahmegenehmigung eine Ergänzung des feststellenden Teils des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses verbunden sei, die eines Planänderungsverfahrens nach § 76 VwVfG bedürfe.627 Da eine Modifizierung oder Ergänzung des erlassenen Planfeststellungsbeschlusses über das Instrument der Planänderung gemäß § 76 VwVfG nur bis zur Fertigstellung des

621

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 3. Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 3. b). 623 Zu § 45 Abs. 7 BNatSchG: Lieber, NuR 2012, 665 (670); Fischer, I+E, 2014, 93 (98 ff.). 624 Zu § 13 BImSchG: Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 89b; Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 7; zu § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG: Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 10. 625 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, D. II. 4. b) aa). 626 Siehe hierzu im Einzelnen unter 2. Teil, D. II. 4. b) bb) (1). 627 Lieber, NuR 2012, 665 (670). 622

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 181

Vorhabens möglich ist, wäre bei dieser Sichtweise nach Fertigstellung des Vorhabens gemäß den Vorschriften des Fachplanungsrechts die Durchführung eines neuen, selbstständigen Planfeststellungsverfahrens erforderlich.628 Die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für die Ausnahmeentscheidung würde hier daraus folgen, dass ihr die ausschließliche Zuständigkeit für die nachträgliche Änderung eines festgestellten Plans zukommt.629 In der nachträglichen Ausnahmeentscheidung nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG für sich genommen eine Planänderung zu sehen, würde indes der zuvor gewonnen Erkenntnis widersprechen, nach der die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung die Feststellungswirkung von Planfeststellungsbeschluss und immissionsschutzrechtlicher Genehmigung grundsätzlich unberührt lässt. Überprüft wird gerade nicht die Gebietsverträglichkeit des Projekts als Zulassungsvoraussetzung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG, sondern als Dauerpflicht nach § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG. Mithin ist mit der Erteilung einer hiernach erforderlichen Ausnahmeentscheidung der Regelungsgehalt der Zulassungsentscheidung nicht berührt. Für die nachträgliche Ausnahmeerteilung nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG außerhalb eines Planänderungsverfahrens bzw. Änderungsgenehmigungsverfahrens ist damit grundsätzlich von der Zuständigkeit der Naturschutzbehörde innerhalb eines „isolierten“630 Verwaltungsverfahrens auszugehen. Hingewiesen sei an dieser Stelle bereits darauf, dass die Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gleichwohl auch für die Zulassungsbehörden von Relevanz bleibt, nämlich im Rahmen der Entscheidung über nachträgliche Beschränkungen des Regelungsgehalts der Zulassungsentscheidung anlässlich eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG.631 4. Zwischenfazit Festhalten lässt sich, dass für den Projektträger die Möglichkeit besteht, infolge einer negativen ex-post-Verträglichkeitsprüfung drohenden bestandsschutzbeschränkenden behördlichen Maßnahmen über eine nachträgliche Ausnahmezulassung nach Maßgabe des § 33 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG zu entgehen. Die Ausnahmezulassung ist dem Projektträger durch das Vorliegen einer bestandskräftigen Projektzulassung nicht garantiert, so doch im Vergleich zur Situation einer Ausnahmeerteilung im Zulassungsverfahren zumindest erleichtert. Als zwingende Gründe des öffentlichen Interesses i. S. d. § 33 Abs. 1 628

Vgl. Lau, UPR 2015, 361 (368). Siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. II. 4. b) bb) (3). Dem Planänderungsbeschluss kommt wiederum Konzentrationswirkung zu. Nach überwiegender Auffassung gilt dies auch für die Entscheidung nach § 76 Abs. 2 VwVfG, vgl. hierzu: Maus, NVwZ 2012, 1277 (1280) m.w. N. 630 Vgl. zu § 45 Abs. 7 BNatSchG: Fischer, I+E 2014, 93 (98 ff.). 631 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. c) bb). 629

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG fallen bei Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung Gründe der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ins Gewicht. Streitet für den Fortbestand des Projekt ein zusätzliches öffentliches Interesse, kann regelmäßig von einem das Interesse an der Integrität des konkret betroffenen Natura 2000-Gebiets überwiegenden öffentlichen Interesse am Fortbestand des Projekts ausgegangen werden. Ferner führt das Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung zu einer Absenkung des Zumutbarkeitsmaßstabs im Rahmen der nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG gebotenen Alternativenprüfung. Die nachträgliche Ausnahmezulassung erfolgt grundsätzlich durch die Naturschutzbehörde im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens.

VII. Unionsrechtskonformität einer Befreiung nach § 67 Abs. 2 BNatSchG Im Zusammenhang mit dem habitatschutzrechtlichen Verschlechterungsverbot sowie den nachfolgend näher zu untersuchenden Vorgaben des EU-Artenschutzrechts nicht unerwähnt bleiben kann schließlich die Möglichkeit der Befreiung nach § 67 Abs. 2 BNatSchG. Nach § 67 Abs. 2 S. 1 BNatSchG kann von den Verboten des § 33 Abs. 1 S. 1 und des § 44 BNatSchG sowie von Ge- und Verboten i. S. d. § 32 Abs. 3 BNatSchG auf Antrag eine Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würden. Eine „unzumutbare Belastung“ in diesem Sinne liegt vor, wenn die Durchsetzung der betreffenden Verbotsvorschrift im Rahmen einer Abwägung der betroffenen (Grund-)Rechtspositionen mit den öffentlichen Interessen, die mit dem jeweiligen naturschutzrechtlichen Verbot verfolgt werden, wegen der Besonderheit der Situation und der Schwere der verbotsbedingten Belastung unangemessen erscheint.632 Erforderlich ist eine unangemessene bzw. unbillige Betroffenheit des Einzelnen in der Art, dass ihm gleichsam ein Sonderopfer abgefordert wird.633 Eine Befreiung ist jedenfalls für staatliche Stellen sowie Unternehmen mit mehrheitlicher öffentlicher Beteiligung von vornherein nicht möglich, da eine unzumutbare Belastung in einem Zusammenhang mit der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG stehen muss, auf die sich eine staatliche Stelle nicht berufen kann.634 Unterschiedlich beurteilt wird die Anwendbarkeit der Befreiungsregelung im Falle der Betroffenheit von Tier- oder Pflanzenarten, die in Anhang IV der FFH632

Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 656. VG Halle (Saale), Urt. v. 23.11.2010 – 4 A 34/10, NuR 2011, 600 (604); VG Minden, Urt. v. 22.10.2014 – 11 K 3865/13, juris Rn. 65. 634 Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Leitfaden zur Berücksichtigung des Artenschutzes bei Aus- und Neubau von Bundeswasserstraßen, 2020, S. 11; Lau, NuR 2018, 587 (593). 633

B. Bedeutung des Habitatschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben 183

Richtlinie aufgeführt sind oder dem Kreis der europäischen Vogelarten zugehören635 oder wenn erhebliche Gebietsbeeinträchtigung in Rede stehen, die gemessen am Maßstab des Art. 6 Abs. 3, 4 BNatSchG nicht zulassungsfähig wären.636 Denn sowohl das europäische Artenschutzrecht als auch der europäische Gebietsschutz kennen mit Art. 16 Abs. 1 FFH-RL und Art. 9 Abs. 1 VRL bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL allein Ausnahmegründe des öffentlichen Interesses. Der Gesetzgeber war sich dessen zwar bewusst, hielt die Möglichkeit einer Befreiung gleichwohl aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für geboten, ein Grundsatz, der – so die Gesetzesbegründung – nicht nur im deutschen Verfassungsrecht, sondern auch im europäischen Primärrecht verankert ist.637 Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten.638 Vor diesem Hintergrund sei eine entsprechende Befreiungsregelung im privaten Interesse neben- bzw. vorrangig zu den Ausgleichs- und Entschädigungsregelungen geboten.639 In der Literatur ist diese Sichtweise teilweise auf Zustimmung gestoßen.640 Seitens der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wurde die Frage der Unionsrechtskonformität des § 67 Abs. 2 BNatSchG bislang offengelassen, da es in den betreffenden Fällen jeweils bereits an der Feststellbarkeit einer unzumutbaren Belastung fehlte.641 Vieles spricht dafür, mit der Gegenauffassung den Anwendungsbereich des § 67 Abs. 2 S. 1 BNatSchG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sich der Rückgriff auf diese Vorschrift in Fällen einer Betroffenheit europäischer Vögel oder Arten des Anhangs IV FFH-RL642 oder in Fällen drohender erhebli635

Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 18. Uneingeschränkt anwendbar ist § 67 BNatSchG jedenfalls dann, soweit es um den Schutz allein kraft nationalen Rechts besonders oder streng geschützter Arten geht. Entsprechendes gilt, soweit in einer Verordnung zum Schutz von Natura 2000-Gebieten über die Anforderungen des Europäischen Habitatschutzrechts hinausgehende Regelungen getroffen sind, Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 20. 637 Vgl. BT-Drs. 16/12274, S. 76 f. 638 BVerfG, Beschl. v. 02.03.1999 – 1 BvL 7/91, NJW 1999, 2877 (2879). 639 BT-Drs. 16/12274, S. 76. 640 Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 67 Rn. 5. Ferner jedenfalls in Bezug auf die Vorgaben des Artenschutzrechts: Lau, NuR 2018, 587 (593); ders., in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 67 Rn. 11. 641 OVG Magdeburg, Urt. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09, NuR 2012, 196 (204); OVG Bautzen, Urt. v. 10.10.2012 – 1 A 389/12, juris Rn. 36; VG Halle (Saale), Urt. v. 23.11. 2010 – 4 A 34/10, NuR 2011, 600 (604); VG Cottbus, Urt. v. 07.03.2013 – VG 4 K 6/10, NuR 2014, 67 (74); VG Stade, Urt. v. 05.04.2014 – 1 A 1490/10, NuR 2014, 520 (522). 642 Möckel, ZUR 2008, 57 (63 f.); Gellermann, NuR 2007, 783 (789); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 18. 636

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

cher Gebietsbeeinträchtigungen verbietet.643 Es ist davon auszugehen, dass dem unionsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angesichts der großen Bedeutung des Schutzziels der biologischen Vielfalt durch die Ausnahmemöglichkeiten des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL bzw. Art. 9 VRL und damit § 45 Abs. 7 BNatSchG bereits hinreichend Rechnung getragen ist.644 Art. 6 Abs. 4 FFH-RL lässt sich ebenfalls in Richtung eines auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bereits auf europäischer Ebene grundsätzlich endabgewogenen Schutzsystems verstehen.645 Dies gilt umso mehr, als Art. 6 Abs. 4 FFH-RL im Gegensatz zu Art. 16 Abs. 1 lit. b FFH-RL, Art. 9 Abs. 1 lit. a 3. Spiegelstrich VRL keine Abweichungsmöglichkeit von den gebietsschutzrechtlichen Geboten und Verboten aus anderen als zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses vorsieht.646

C. Die Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für bestandskräftig zugelassene Vorhaben Im Vergleich zu den Vorgaben des Natura 2000-Gebietsschutzes kommt den Vorgaben des EU-Artenschutzrechts die bislang größere Praxisrelevanz zu. Ein Grund hierfür liegt in dem weiten, gebietsunabhängigen Anwendungsbereich der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sowie der schnelleren Dynamik, der die für ihre Bewertung maßgeblichen naturräumlichen Umstände unterliegen. Rechtlich stellt sich das EU-Artenschutzrecht in seiner Bedeutung für den Vollzug bestandskräftig zugelassener Vorhaben dabei als weniger komplex dar als das Habitatschutzrecht. Die Anwendbarkeit der artenschutzrechtlichen Verbotsbestimmungen kann jedenfalls infolge der Neufassung des § 44 BNatSchG durch die „kleine Novelle“ des Bundesnaturschutzgesetzes647 bereits nach der nationalen normativen Ausgestaltung nicht ernstlich angezweifelt werden. Die Frage

643 In diesem Sinne: Teßmer, in: Gisberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 15; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 20: Möckel, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 34 Rn. 136; Wolf, ZUR 2005, 449 (455 f.) mit Bedenken aufgrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes; siehe zur Möglichkeit einer Befreiung auch von den Vorgaben des § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 67 Rn. 12, der dies im Ergebnis jedoch ablehnt. 644 Möckel, ZUR 2008, 57 (64); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 67 Rn. 18, der in der Vermeidung grundrechtlich nicht hinnehmbarer Belastungen indes ein öffentliches Interesse i. S. d. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG sieht. 645 Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 67 Rn. 13. 646 Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 67 Rn. 13, der die Regelung des § 67 Abs. 2 BNatSchG gleichwohl bis zu einer Befassung des EuGH mit der Fragestellung weiterhin für anwendbar hält, ohne dass dem der Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegensteht, da die Regelung jedenfalls nicht offensichtlich unionsrechtswidrig sei. 647 BGBl. I, S. 2873.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

185

nach möglichen Einflüssen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie erlangt hier vorrangig erst auf Ebene des administrativen Gesetzesvollzugs an Bedeutung. Dies vorangestellt, soll im Folgenden zunächst die Anwendbarkeit der EUArtenschutzbestimmungen auf bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten dargelegt werden (I.), um sodann zu untersuchen, inwieweit die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände im Vollzug bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen erfüllt sein können (II.). Ausgangspunkt bilden hierbei die nationalen Verbotstatbestände, die über die unionsrechtlichen Vorgaben inhaltlich insoweit hinausgehen, als sie keine subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen enthalten. Ferner ist der Frage nachzugehen, ob und inwieweit sich der FFH- und Vogelschutzrichtlinie Vorgaben für die administrative Durchsetzung der Verbotstatbestände gegenüber bestandskräftig zugelassenen Vorhaben entnehmen lassen (III.). Hierbei lässt sich im Wesentlichen an die im Zusammenhang mit dem Habitatschutzrecht gewonnenen Erkenntnisse anknüpfen. Entsprechendes gilt für die abschließend darzulegende Möglichkeit einer Ausnahmezulassung von den artenschutzrechtlichen Verboten nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG (IV.).

I. Zur Anwendbarkeit der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände im Zulassungsvollzug 1. Keine Freistellung für zugelassene Tätigkeiten nach nationaler Normkonzeption Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG im Vollzug bestandskräftig zugelassener Tätigkeiten ist in der nationalen Literatur648 sowie Rechtsprechung649 allgemein anerkannt. Hieran anschließend setzt auch die Verwaltungspraxis voraus, dass die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts bei der Umsetzung von bestandskräftigen immis-

648 Lau, UPR 2015, 361 ff.; ders., NuR 2018, 587 ff.; ders., NuR 2018, 2018, 653 ff.; ders., NuR 2018, 840 ff.; Lieber, NuR 2012, 665 ff.; Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (454); de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch. des öffentlichen Baurechts, Z III. Rn. 67; Appel, NuR 2020, 663 (671). A. A. offenbar Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (480), der auf das Fehlen einer dem Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entsprechenden Regelung im Artenschutzrecht verweist. 649 Die Anwendbarkeit des § 44 BNatSchG auch auf bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten wird von der Rspr. ohne Weiteres vorausgesetzt bzw. nicht weiter problematisiert, vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 62; OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, juris Rn. 4; Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 37 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 8 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 30.06.2016 – 5 S 1984/15, juris Rn. 19; Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/ 17, juris Rn. 43 ff.; Urt. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/11, juris Rn. 5; Beschl. v. 10.06. 2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5; VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.644, juris Rn. 33 ff.; VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris Rn. 14 ff.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

sionsschutzrechtlichen Genehmigungen650 sowie Planfeststellungsbeschlüssen651 Beachtung finden müssen. Dass sich grundsätzlich jede einzelne Handlung im Vollzug einer Zulassungsentscheidung an den Vorgaben der §§ 44 f. BNatSchG messen lassen muss, folgt bereits aus der verhaltens- bzw. handlungsbezogenen – und gerade nicht als Zulassungsvoraussetzung konzipierten –652 Ausgestaltung der Zugriffsverbote.653 In ihrer Funktion als Zulassungsvoraussetzung erschöpfen sich die Verbotstatbestände des § 44 BNatSchG mit Abschluss des Zulassungsverfahrens.654 Als verhaltensbezogene Sanktionsnorm bleiben sie jedoch auch nach Erlass und nach Eintritt der Unanfechtbarkeit einer Zulassungsentscheidung anwendbar.655 Die Regelungen des besonderen Artenschutzrechts enthalten darüber hinaus auch keinen tatbestandlichen Ansatzpunkt, an den sich eine generelle Freistellung zugunsten zugelassener Tätigkeiten anknüpfen ließe. Dies verdeutlicht zunächst ein Vergleich mit den gleichsam handlungsbezogen formulierten Verboten des allgemeinen Artenschutzrechts. Für bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten enthalten diese eine Erleichterung dergestalt, dass die Verbote des § 39 Abs. 1 BNatSchG unter dem Vorbehalt des „vernünftigen Grundes“ stehen.656 Dieser Rechtfertigungsgrund liegt jedenfalls dann vor, wenn die in Rede stehende Handlung ausdrücklich erlaubt ist.657 Eine vergleichbarer Vorbehalt, unter den sich die Ausübung einer zugelassenen Tätigkeit fassen ließe, besteht für die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht.658 Ferner wurde im Zuge der „kleinen Novelle“ des Bundesnaturschutzgesetzes vom 12.12.2007659 die vormals in § 43 Abs. 4 BNatSchG 2002 vorgesehene Ausnahmeregelung aufgehoben, nach der die Verbote des § 42 Abs. 1 und 2 BNat650 Gemeinsamer Runderlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen; Verwaltungsvorschrift (VwV) „Naturschutz/Windenergie“ (HMUKLV/. HMWEVW 2020), Ziff. 4.2, S. 14 f. 651 Vgl. hierzu etwa Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, Leitfaden Artenschutz- und Umweltschadensrecht bei zugelassenen Straßenbauvorhaben, 2016, S. 9 ff. 652 Siehe hierzu unter 2. Teil, A. III. 1. a). 653 Lieber, NuR 2012, 665 (665); Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (454). Vgl. auch: de Witt, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Z III. Rn. 67; Lau, UPR 2015, 361 (361). 654 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lau, UPR 2015, 361 (361); Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (454). 655 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62. 656 Lau, UPR 2015, 361 (361). 657 Lau, UPR 2015, 361 (361); Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 39 Rn. 3; Frenz/Müggenborg, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 39 Rn. 8. 658 Lau, UPR 2015, 361 (361); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 6. 659 BGBl. I, S. 2873.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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SchG 2002 für den Fall, dass die dem Verbotstatbestand unterfallenden Handlungen bei der Ausführung eines nach § 19 BNatSchG 2002 zugelassenen Eingriffs vorgenommen wurden, nur insoweit galten, als die Schutzgüter der Verbotstatbestände absichtlich beeinträchtigt wurden.660 Da eine vergleichbare Freistellung für unabsichtliche Handlungen nunmehr nicht vorgesehen ist, besteht bereits normativ kein Ansatzpunkt für die vormals seitens des Bundesverwaltungsgerichts zu § 43 Abs. 4 S. 1 BNatSchG a. F. vertretene Auffassung, nach der Beeinträchtigungen, die sich als unausweichliche Konsequenz rechtmäßigen Verhaltens – wie etwa den Vollzug eines Planfeststellungsbeschlusses – ergeben, als unabsichtlich einzustufen seien.661 Die Vereinbarkeit dieser Auslegung mit den Vorgaben der FFH- und Vogelschutzrichtlinie bedarf daher jedenfalls an dieser Stelle noch keiner Auseinandersetzung.662 Ferner enthält die geltende Fassung des § 44 Abs. 5 S. 5 BNatSchG für nach § 15 Abs. 1 BNatSchG unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Abs. 1 oder Abs. 3 BNatSchG zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden sowie für Vorhaben i. S. d. § 18 Abs. 2 S. 1 BNatSchG zwar eine umfassende Freistellung von den Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten des § 44 Abs. 1 und 2 BNatSchG. Allerdings bezieht sich diese Freistellung allein auf solche Tier- und Pflanzenarten, die nicht unter besonderem europäischen Schutz stehen.663 Für die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung im Fokus stehenden unionsrechtlich geschützten Tierarten des Anhangs IV lit. a der FFH-Richtlinie, die europäischen Vogelarten sowie die Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufgeführt sind, sieht § 45 Abs. 5 S. 2 Nr. 1–3 BNatSchG lediglich auf bestimmte Tatbestände der Zugriffsverbote begrenzte Modifikationen vor.664 Wie auch das allgemeine Verschlechterungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG belassen die materiellen Vorgaben des § 44 BNatSchG mithin keinen Raum für eine Freistellung allein unter Berufung auf eine vorliegende Zulassungsentscheidung, mag sie auch bestandskräftig sein. 2. Unvereinbarkeit einer generellen Freistellung rechtmäßiger Tätigkeiten mit dem Unionsrecht Überlegungen in Richtung einer pauschalen Freistellung bestandskräftig zugelassener Tätigkeiten von den Verbotstatbeständen des europäischen Artenschutz660

BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – 7 C 40/11, NVwZ 2014, 524 (525). BVerwG, Beschl. v. 12.04.2005 – 9 VR 41/04, UPR 2006, 26 (28); Urt. v. 11.01.2001 – 4 C 6/00, NVwZ 2011, 1040 (1042) zur Vorgängernorm des § 20f Abs. 3 S. 1 BNatSchG 1998. 662 Siehe zu dem unionsrechtlich geforderten Absichtserfordernis unter 2. Teil, C. III. 1. 663 Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 76. 664 Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 47. 661

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

rechts stünde mit Blick auf die nach Anhang IV der FFH-Richtlinie geschützten Arten auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Gibraltar665 entgegen.666 Gegenstand dieses Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich waren unter anderem verschiedene nationale Regelungen,667 denen zufolge die in Umsetzung der Art. 12, 13 und 16 FFH-RL ergangenen Verbote nicht eingriffen, wenn die betreffende Handlung im Zusammenhang mit einer rechtmäßigen Tätigkeit erfolgte und nicht vernünftigerweise vermieden werden konnte.668 Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass eine solche Ausnahmeregelung, die auf der Rechtmäßigkeit der Handlung als solcher beruht, dem Geist und Zweck der FFH-Richtlinie sowie dem Wortlaut von Art. 16 FFH-RL zuwiderläuft.669 Insoweit sei festzustellen, dass Art. 16 FFH-RL die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliedstaaten von den Artikeln 12 bis 15 lit. a und b FFH-RL abweichen dürfen, genau festlegt und daher restriktiv auszulegen ist.670 Ferner hob der Gerichtshof hervor, dass Art. 12, 13 und 16 FFH-RL gemeinsam ein in sich stimmiges Regelungssystem zum Schutz der Populationen der betroffenen Arten bilden, sodass jede mit der Richtlinie unvereinbare Ausnahme davon sowohl die Verbote der Art. 12 oder 13 FFH-RL als auch die Ausnahmebestimmung des Art. 16 FFH-RL verletzt.671 Der Umstand, dass mit einer wirksamen

665 Siehe EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 106 ff. 666 Lau, NuR 2018, 840 (841). 667 Regulations 30(3) und 43(4) der in England, Wales und Schottland geltenden Conservation (Natural Habitats, &c.) Regulations 1994 (Conservation Regulations 1994), Regulations 35(3)(c) und 38(4) der in Nordirland geltenden Conservation (Natural Habitats, &c.) Regulations (Nothern Ireland) 1995 (Conservation Regulations [Northern Ireland] 1995) sowie Sections 17U(2)(c) und 17X(4) der in Gibraltar geltenden Natura Protection Ordinance 1992 in der Fassung der Nature Protection Ordinance (Amendment) Regulations 1995 (Nature Protection Ordinance 1991). Regulation 40(3) (c) Conservation Regulations 1994 lautete: „. . . [A] person shall not be guilty of an offence by reason of – [. . .] any act made unlawful by that regulation if he shows that the act was the incidental result of a lawful operation and could not reasonably have been avoided.“ Die anderen Bestimmungen waren weitgehend identisch formuliert. 668 Siehe hierzu: GAin Kokott, Schlussanträge v. 09.06.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:372, Rn. 112. 669 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 113. Auf diese Rspr. Bezug nehmend: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lau, UPR 2015, 361 (361); Lieber, NuR 2012, 665 (668); MüllerMitschke, NuR 2018, 453 (454). 670 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 111. 671 EuGH, Urt. v. 20.10.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:626, Rn. 112 unter Verweis auf GAin Kokott, Schlussanträge v. 09.06.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:372, Rn. 113. Der EuGH trat hiermit den seitens der britischen Regierung gegen den Vorwurf einer Überschreitung des Geltungsbereichs des Art. 16 FFHRL hervorgebrachten Einwand entgegen, dass die im nationalen Recht vorgesehene Ausnahme nicht Art. 16 Abs. 1 FFH-RL umsetzen würden, sondern Art. 12 FFH-RL in Bezug auf Tiere bzw. Art. 13 FFH-RL in Bezug auf Pflanzen.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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Zulassungsentscheidung die Frage der Realisierbarkeit des Vorhabens beantwortet ist und es sich bei dem auf dieser Grundlage erfolgten Bau und Betrieb der betreffenden Anlage mithin um ein rechtmäßiges Verhalten handelt,672 vermag daher für sich genommen keine generelle Freistellung von den Zugriffsverbote des Artenschutzrechts zu rechtfertigen.673 Obgleich sich die Ausführungen des Gerichtshofs unmittelbar lediglich auf die Bestimmungen der FFH-Richtlinie bezogen, kann mit Blick auf die Vogelschutzrichtlinie, die ebenfalls keine allgemeine Ausnahme zugunsten rechtmäßiger Tätigkeiten enthält, nichts anderes gelten.674 Ebenso wie Art. 12, 13 und Art. 16 der FFH-Richtlinie bilden Art. 5 und Art. 9 der Vogelschutzrichtlinie ein geschlossenes Schutzsystem,675 sodass auch hier jede von diesen Regelungen abweichende Ausnahme grundsätzlich sowohl die Verbote des Art. 5 VRL als auch die Ausnahmebestimmung des Art. 9 VRL verletzt. Die Grundsätze von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz lassen sich der grundsätzlichen Anwendbarkeit des EU-Artenschutzrechts auf bestandskräftig zugelassene Vorhaben ebenso wenig entgegenhalten wie den Bestimmungen des Art. 6 FFH-RL.676 Dies gilt selbst für den Fall, dass die Umsetzungsfrist677 für die Vorgaben des Art. 12 FFH-RL und Art. 5 VRL zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Zulassungsentscheidung noch nicht abgelaufen war.678 Mit Blick 672 Von der Rechtmäßigkeit des genehmigten Verhaltens zu differenzieren ist die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zulassungsentscheidung, siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. a). 673 Lau, NuR 2018, 840 (841). Siehe auch VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lieber, NuR 2012, 665 (668); Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (454). 674 Siehe auch Möckel, NuR 2014, 381 (387); Lieber, NuR 2012, 665 (668). 675 BVerwG, Urt. v. 21.06.2006 – 9 A 28/05, NVwZ 2006, 1161 (1164); Möckel, NuR 2014, 381 (387). 676 Siehe zu der Bedeutung der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für die Anwendung des Art. 6 FFH-RL unter 2. Teil, B. I. 1. a) und b). 677 Anders als Art. 6 Abs. 2 FFH-RL setzt die Anwendung der Art. 12 Abs. 1 FFHRL und Art. 5 VRL nicht die Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung voraus, vgl. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C:2016:847, Rn. 158. 678 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62. A. A.: Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (479): Gegen eine rückwirkende Anwendung des Artenschutzrechts auf zugelassene Vorhaben spreche, dass die Bestimmungen der Art. 12 ff. FFH-RL und Art. 5 ff. VRL keine dem Art. 6 Abs. 2 FFH-RL entsprechende Vorschrift enthalten, die eine ausnahmsweise Rückwirkung und damit Einschränkung des Vertrauensschutzes bewirken könnte. Diese Auffassung verkennt, dass die Aussagen des EuGH in Sachen Papenburg zu den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ausdrücklich im Zusammenhang mit der Frage der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL auf sog. Altvorhaben getroffen wurden (EuGH, Urt. v. 14.01.2010, Rs. C-226/08 (Papenburg), ECLI:EU:C:2010:10, Rn. 44). Sofern nach der Rechtsprechung des EuGH Projekte, die genehmigt wurden, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie für das fragliche Gebiet anwendbar wurde, und die daher nicht den

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

auf den Schutzzweck der FFH- und Vogelschutzrichtlinie ist nicht ersichtlich, dass zwischen den Regelungen der Art. 3 ff. FFH-RL zum Habitatschutz und den Regelungen der Art. 12 ff. FFH-RL bzw. Art. 5 ff. VRL zu differenzieren wäre.679 Die Ziele der FFH- sowie Vogelschutzrichtlinie können auch im Hinblick auf die Bestimmungen des EU-Artenschutzrechts allenfalls infolge einer einzelfallorientierten Abwägung hinter Erwägungen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zurücktreten.680 3. Zwischenfazit Festhalten lässt sich, dass die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht anders als die Vorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG im Zulassungsvollzug fortlaufend zu beachten sind. Eine Freistellung für Tätigkeiten, die sich im Rahmen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bewegen, ist nach nationaler Ausgestaltung des besonderen Artenschutzrechts nicht vorgesehen und stünde überdies auch in Widerspruch zu den artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie.

II. Verwirklichung der Verbotstatbestände durch zugelassene Tätigkeiten Mit der Anwendbarkeit der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG im Vollzug einer Zulassungsentscheidung ist die Frage aufgeworfen, in welchen Fällen es trotz Durchführung einer artenschutzrechtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren nachträglich zu artenschutzrechtlichen Konflikten kommen kann (1.) und inwiefern diese Konflikte dem Vorhabenträger auch im Sinne einer Tatbestandsverwirklichung zugerechnet werden können (2.). Schließlich wird auf die Frage einzugehen sein, welche Sicherheit eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung Vorhabenträgern und Anlagenbetreibern gegenüber den auch im Zulassungsvollzug anwendbaren artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu vermitteln vermag (3.).

Vorgaben der Habitatrichtlinie über eine ex-ante-Prüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL unterfallen, gleichwohl von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfasst sind (a. a. O. Rn. 49), liegt dies nicht darin begründet, dass allein der Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine rückwirkende Anwendbarkeit auf Projekte, die bei dem Inkrafttreten des Natura 2000Schutzregimes bereits genehmigt waren, zu entnehmen wäre; vielmehr folgt dies daraus, dass sich die Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ausdrücklich allein auf den Zulassungszeitpunkt bezieht. 679 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lieber, NuR 2012, 665 (668). Siehe auch Kahl, NVwZ 2011, 449 (453). 680 So auch Lieber, NuR 2012, 665 (668).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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1. Artenschutzrechtliche Konflikte trotz Prüfung im Zulassungsverfahren Hinsichtlich der denkbaren artenschutzrechtlichen Konfliktsituationen gelten im Grundsatz vergleichbare Erwägungen wie mit Blick auf das gleichsam nach Zulassungserteilung zu beachtende allgemeine Verschlechterungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL:681 Die Betroffenheit einzelner Arten durch die Bauausführung oder den Betrieb einer zugelassenen Anlage kann zunächst daraus resultieren, dass bereits zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung im Einwirkungsbereich des Vorhabens vorkommende geschützte Arten im Rahmen der Bestandserfassung nicht hinreichend erfasst und damit objektiv erkennbare artenschutzrechtliche Konflikte übersehen wurden.682 Die Prüfung des Artenschutzrechts im Zulassungsverfahren erweist sich hier rückblickend als unzureichend. Die artenschutzrechtliche Prüfung ist aufgrund ihres deutlich breiteren und offener angelegten Untersuchungsansatzes683 im Vergleich zur Bestandsaufnahme im Rahmen der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung dabei besonders fehleranfällig.684 Theoretisch denkbar ist ferner, dass eine zutreffend erfasste, jedoch nicht besonders geschützte Art erst nach Zulassungserteilung durch Aufnahme in die entsprechenden Anhänge der europäischen Richtlinien unter Schutz gestellt685 und so das Schutzregime des § 44 BNatSchG erst nachträglich eröffnet wird.686 Darüber hinaus kann ein Konflikt mit den Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG insbesondere bei nachträglichen Veränderungen der Sachlage eintreten, die im Rahmen der Vorhabenzulassung nicht vorhersehbar waren.687 Zu denken ist hier an das nachträgliche Einwandern – weiterer oder erster – Individuen der jeweils geschützten Arten688 in den Wirkungsbereich des Vorhabens oder das 681

Siehe 2. Teil, B. III. 2. und 2. Teil, B. II. 2. a) cc). Vgl. Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475); Lieber, NuR 2012, 665 (665); Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1668); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 4. 683 Vgl. hierzu oben 2. Teil, A. III. 1. b). 684 Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 38. 685 Vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13, Nr. 14 BNatSchG. 686 Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1668). 687 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lieber, NuR 2012, 665 (665); Appel, NuR 2020, 663 (671); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 4. 688 § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG schützt „wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten“, § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG „wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten“, § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG „Fortpflanzungsoder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten“, § 44 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG „wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen“. 682

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Vorliegen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Sensibilität bestimmter Arten gegenüber den vorhabenbezogenen Auswirkungen.689 Veränderungen in der Natur kommen dabei im besonderen Artenschutzrecht, dessen Schutzgegenstand das einzelne Tier- bzw. Pflanzenexemplar ist, eine deutlich höhere rechtliche Relevanz zu als im Natura 2000-Gebietsschutz.690 Während Veränderungen in der Natur bei Schutzregimen, die auf den Lebensraum abstellen, erst allmählich, oft über Jahrzehnte hinweg, an rechtlicher Relevanz gewinnen, kann sich die für die Bewertung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände relevante Situation jederzeit und kurzfristig dadurch ändern, dass geschützte Arten in den Einwirkungsbereich eines Vorhabens zuwandern oder daraus abwandern.691 Zwar liegt auch der Zweck der artenschutzrechtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren gerade darin, mögliche Konflikte mit den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen zu prognostizieren und einer rechtlichen Bewältigung zuzuführen.692 Wurde die Prüfung ordnungsgemäß durchgeführt, kann daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es im Vollzug des jeweiligen Vorhabens zu keinen rechtlich unbewältigten Konflikten mit geschützten Arten kommen wird. Allerdings ist auch an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass Prognosen naturgemäß keine absolute Sicherheit zu gewährleisten vermögen. Im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung gilt für die Bestandserfassung sowie Auswertung der vorhandenen Erkenntnisse überdies der im Vergleich zum Habitatschutzrecht weniger strenge Maßstab der „praktischen Vernunft“.693 Aufgrund der Entwicklungsdynamik wild lebender Tiere und Pflanzen wird einer artenschutzrechtlichen Prüfung zudem von vornherein eine nur beschränkte „Haltbarkeit“ von grundsätzlich etwa drei694 bis fünf Jahren695 beigemessen.696 Vor dem Hintergrund dieser wesensmäßig hohen Dynamik des Artenschutzrechts vermag es nicht zu verwundern, dass die Gerichte in den letzten Jahren vermehrt mit der Anordnung nachträglicher Betriebseinschränkungen von Windenergieanlagen zum

689 Vgl. Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1668 f.); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 4; Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, Leitfaden Artenschutz- und Umweltschadensrecht bei zugelassenen Straßenbauvorhaben, 2016, S. 6. 690 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475). 691 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475). 692 Siehe hierzu unter 2. Teil, A. III. 1. a). 693 Siehe hierzu unter 2. Teil, A. III. 1. b). 694 VerfGH München, Urt. v. 03.12.2013 – Vf.8-VII-13, juris Rn. 36; Schmidt-Eichstaedt, UPR 2010, 401 (403). 695 VGH Kassel, Urt. v. 21.08.2009 – 11 C 318/08.T, juris Rn. 632; Beschl. v. 02.01. 2009 – 11 B 368/08.T, NuR 2009, 255 (277); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 11.07.2019 – 9 A 13/18, juris Rn. 138. 696 Lau, UPR 2015, 361 (362).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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Schutz streng geschützter Vogelarten vor betriebsbedingten Kollisionen befasst waren.697 2. Zurechenbarkeit artenschutzrechtlicher Konflikte in der Bau- und Betriebsphase Aus vorstehenden Ausführungen wird ersichtlich, dass artenschutzrechtliche Konflikte während der Errichtungs- oder Betriebsphase eines Vorhabens bzw. einer Anlage trotz Durchführung einer artenschutzrechtlichen Prüfung im jeweiligen Zulassungsverfahren auftreten können. Bereits aus dem Umstand, dass es sich bei § 44 Abs. 1 BNatSchG um eine nach den §§ 69 Abs. 2, 71 BNatSchG sowie § 71a Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG straf- und bußgeldbewehrte Verbotsvorschrift handelt, folgt ihre unmittelbare Anwendbarkeit; ihre materiell-rechtliche Geltung bedarf keiner vorherigen behördlichen Konkretisierung. Die Bewertung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 44 Abs. 1 BNatSchG – wie die Verletzung oder Tötung (Nr. 1), die erhebliche Störung der jeweils geschützten Tierarten (Nr. 2), die Beschädigung oder Zerstörung ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten (Nr. 3) oder die Beschädigung oder Zerstörung geschützter Pflanzenarten (Nr. 4) – folgt dabei einheitlichen Maßstäben und bedarf vorliegend keiner näheren Befassung.698 Für die Untersuchung der Einflüsse des EU-Artenschutzrechts auf den Bestandsschutz ist vielmehr ein anderer, im Folgenden zu untersuchender Aspekt von Interesse, nämlich die Frage, inwiefern im Vollzug einer Zulassungsentscheidung auftretende Konflikte dem Vorhabenträger bzw. Anlagenbetreiber auch im Sinne einer Tatbestandsverwirklichung zugerechnet werden können und damit einen Ansatzpunkt für seine Verantwortlichkeit bieten. Aufgegriffen werden soll dabei insbesondere die in der Literatur vereinzelt vorgenommene Differenzierung nach der jeweiligen Vollzugsphase, in der sich das Vorhaben zum Zeitpunkt des artenschutzrechtlichen Konflikts befindet.699 Bevor dieser Fragestellung im Einzelnen nachgegangen werden kann [b) und c)], bedarf es im Ausgangspunkt zunächst eines grundlegenden Verständnisses über den Zurechnungsmaßstab, der bei der Bewertung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände anzulegen ist [a)].

697 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 62; OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, juris Rn. 4; Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 37 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 8 ff.; OVG Weimar, Beschl. v. 10.02.2015 – 1 EO 356/14, juris Rn. 54; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 43 ff.; Urt. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/ 11, juris Rn. 5; Beschl. v. 10.06.2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5; VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris Rn. 14 ff. 698 Siehe hierzu etwa: Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (387 f.); Sobotta, NuR 2007, 642 (643 ff.); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 7 ff. 699 Siehe hierzu die umfassende Auseinandersetzung bei: Lau, NuR 2018, 587 ff.; ders., NuR 2018, 643 ff.; ders., NuR 2018, 729 ff.; ders., NuR 2018, 840 ff.

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a) Zurechnungsmaßstab im Rahmen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände Die Annahme einer Verbotsverwirklichung erfordert in jedem Fall einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer menschlichen Tätigkeit und den nach den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen zu vermeidenden Schäden an den geschützten Arten bzw. Teile ihrer Habitate.700 Schäden, die aus natürlichen Ursachen resultieren, unterfallen den Verbotstatbestände des EU-Artenschutzrechts nicht.701 Was die Anforderungen an den menschlichen Verursachungsbeitrag betrifft, erfassen die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände – anders als es ihre handlungsbezogene Formulierung nahe legen könnte – nicht allein die unmittelbar schädigende Handlung, sondern vielmehr allgemein die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs, wie etwa des Todes von Tieren besonders geschützter Tierarten oder der Beschädigung ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten.702 Jedenfalls aus Gründen der Verhältnismäßigkeit kann dabei indes nicht bereits jeder im naturwissenschaftlichen Sinne kausale Beitrag ausreichend sein, um die Verbotswirkungen des § 44 Abs. 1 BNatSchG zu aktivieren. Erforderlich ist vielmehr, dass sich bei juristisch wertender Betrachtung ein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen dem jeweiligen Verursachungsbeitrag und dem jeweiligen Schaden an den geschützten Arten herstellen lässt.703 Insbesondere im Zusammenhang mit der Bewertung von Anlagen und Vorhaben bedarf die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote, die ihrer Formulierung nach auf Handlungen Einzelner und deren Beurteilung ausgerichtet sind, zwangsläufig einer Modifikation.704 Hier ist der Blickwinkel vom einzelnen Menschen weg auf die Frage zu richten, ob der tatbestandliche Erfolg bei einer juristisch-wertenden Gesamtbetrachtung dem Vorhaben bzw. der Anlage zugerechnet werden kann.705 Dieses Verständnis liegt auch dem sogenannten Signifikanzansatz zugrunde, der seitens des Bundesverwaltungsgerichts mit Blick auf die Planung und Durchführung von öffentlichen Infrastruktur- und privaten Bauvorhaben zur Eingrenzung

700 Vgl. EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C: 2002:60, Rn. 34; Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/ EWG, 2021, 2.3.2a Rn. 2-41, 2.3.4a Rn. 2-48. 701 Vgl. zu Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL: Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.3.2a Rn 2-41, 2.3.4a Rn. 2-51. 702 Vgl. Philipp, NVwZ 2008, 593 (593) zu § 42 BNatSchG a. F.; Lau, NuR 2018, 653 (654); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 6. 703 Vgl. Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (450); Lau, NuR 2018, 840 (842); ders., NuR 2018, 653 (654); ders., in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 10. 704 Vgl. Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, 2014, S. 89. 705 Vgl. Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, 2014, S. 89.

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des Tötungs- und Verletzungsverbots entwickelt wurde,706 und der mittlerweile in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG seine Bestätigung auf Gesetzesebene gefunden hat.707 Bei der Planung und Zulassung öffentlicher Infrastruktur- und privater Bauvorhaben ist hiernach davon auszugehen, dass unvermeidbare betriebsbedingte Tötungen oder Verletzungen einzelner Individuen sozialadäquate Risiken darstellen, denen die Tiere stets ausgesetzt sind und die daher auch den Tatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG nicht erfüllen sollen.708 Eine Zurechnung erfolgt nur dann, wenn sich durch das Vorhaben das Risiko eines betriebsbedingten Erfolgseintritts bei einer wertenden Betrachtung in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht.709 Für die Verwirklichung des Tötungstatbestandes und damit die Möglichkeit der „Inanspruchnahme“ des Anlagenbetreibers bzw. Vorhabenträgers kommt es dabei weder entscheidend auf die Art der Einwirkung noch darauf an, durch wen die Gefahrenschwelle unmittelbar überschritten wird.710 Ein erhöhtes Tötungsrisiko – und damit die Tatbestandsverwirklichung – lässt sich dem Vorhabenträger in Fällen, in denen sich dieses Risiko unmittelbar durch eine Handlung des Vorhabenträgers bzw. der von ihm eingeschalteten Unternehmen in Form von baubedingte Beeinträchtigungen realisiert,711 gleichermaßen zurechnen wie in Fällen, in denen erst die Handlung eines Dritten, wie etwa des eine Bundesfernstraße nutzenden Verkehrsteilnehmers,712 zu einer Verwirklichung des Tötungsrisikos führt. Unterschieden wird auch nicht zwischen vollständig unbeweglichen Anlagen wie bloßen Gebäudekörpern713 oder Energiefreileitungen714 und solchen, deren Betrieb wie bei Windenergieanlagen715 mit Bewegung einhergeht. 706 Siehe etwa: BVerwG, Urt. v. 13.05.2009 – 9 A 73.07, NVwZ 2009, 1296 (1304); Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07, NVwZ 2010, 123 (131). 707 Vgl. BT-Drs. 18/11939, S. 17; VGH München, Beschl. v. 27.11.2017 – 22 CS 17.1574, ZUR 2018, 304 (307) spricht von einer „positiv-rechtlichen Verankerung“. 708 BVerwG, Urt. v. 18.03.2009 – 9 A 39/07, NVwZ 2010, 44 (49); BT-Drs. 16/5199, S. 21 und 16/12274, S. 70 f.; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 8; Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 16; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 9. 709 Siehe nur: BVerwG, Urt. v. 13.05.2009 – 9 A 73.07, NVwZ 2009, 1296 (1304); Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07, juris Rn. 42; Urt. v. 08.01.2014 – 9 A 4/3, NVwZ 2014, 1008 (1020); Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10, ZUR 2012, 95 (99). Näher zu dieser Rspr.: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 62 ff.; Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 44 Rn. 16; siehe zur Kritik an dieser Rspr. die Nachweise bei Bick/ Wulfert, NVwZ 2017, 346 (347 f.). 710 Vgl. Fellenberg, UPR 2012, 321 (326); Tholen, Das Artenschutzregime der FloraFauna-Habitat-Richtlinie, 2014, S. 89. 711 BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 – 9 A 4.13, juris Rn. 99. 712 Vgl. BVerwG, Urt. v. 13.05.2009 – 9 A 73.07, NVwZ 2009, 1296 (1304); Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07, juris Rn. 91. 713 VG Berlin, Beschl. v. 28.02.2020 – 24 L 365.19, ZUR 2020, 628 (629); Louis, NuR 2009, 91 (93); Thyssen, NuR 2010, 9 (12). 714 OVG Münster, Urt. v. 21.06.2013 – 11 D 8/10.AK, NuR 2013, 587 (590).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

b) Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Vorliegen einer Zulassungsentscheidung Mit Blick auf die Frage der Zurechenbarkeit artenschutzrechtlicher Konflikte im Zulassungsvollzug lässt sich zunächst festhalten, dass jedenfalls die Existenz einer wirksamen verwaltungsbehördlichen Zulassungsentscheidung für sich genommen einen im juristisch-wertenden Sinne relevanten Verursachungsbeitrag des Anlagenbetreibers nicht auszuschließen vermag.716 Dies folgt bereits daraus, dass die Bestimmungen des EU-Artenschutzrechts eine dahingehende Freistellung gerade nicht vorsehen.717 Relevant ist diese Feststellung zunächst für die Fälle, in denen Betroffenheiten einzelner, bereits im Zulassungszeitpunkt im Wirkungsbereich der Anlage bzw. des Vorhabens vorhandener Arten in der artenschutzrechtlichen Prüfung nicht hinreichend erfasst wurden. Treten hier in der Bau- oder Betriebsphase artenschutzrechtliche Konflikte auf, lässt sich ihre tatbestandliche Zurechenbarkeit zum Vorhabenträger nicht unter Verweis auf die ihm erteilte Zulassungsentscheidung ablehnen. Aus Zurechnungsgesichtspunkten nicht anders bewertet werden können die Fälle, in denen nach Erteilung der Zulassungsentscheidung, aber noch vor Baubeginn geschützte Tierarten in den Gefahrenbereich der Anlage einwandern.718 Auch hier liegt in der gleichwohl vorgenommenen Vorhabenumsetzung eine dem Anlagenbetreiber zurechenbare Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände, falls Tiere nach Anhang IV der FFH-Richtlinie oder der europäischen Vogelarten getötet oder verletzt werden, es störungsbedingt zur Verschlechterung der lokalen Population dieser Arten kommt oder deren Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschädigt werden.719 Allein das Vorliegen einer Zulassungsentscheidung vermag den Zurechnungszusammenhang nicht zu unterbrechen. c) Zurechnung im Falle des Einwanderns geschützter Arten nach Inbetriebnahme Zu unvorhergesehenen und damit rechtlich in der Zulassungsentscheidung nicht bewältigten Konflikten kann es ersichtlich auch und gerade infolge eines nachträglichen Einwanderns geschützter Arten während der Betriebsphase einer zugelassenen Anlage kommen. Die Annahme einer Verbotsverwirklichung ließe sich hier jedoch möglicherweise unter Verweis darauf in Frage stellen, dass es die Individuen der jeweils geschützten Art sind, die durch ihr nachträgliches Ein715 716 717 718 719

BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – 4 C 1.12, juris Rn. 11. Lau, NuR 2018, 840 (842). Siehe hierzu unter 2. Teil, C. I. 2. Lau, NuR 2018, 840 (842). Lau, NuR 2018, 840 (842).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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wandern in den Wirkungsbereich der bereits in Betrieb genommenen Anlage die Konfliktsituation unmittelbar herbeiführen. In der nationalen Literatur wird dieser Gedanke, namentlich durch Lau, vereinzelt thematisiert, im Ergebnis jedoch überzeugenderweise ein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anlagenbetrieb und dem tatbestandlichen Erfolg angenommen.720 Für die Frage, wann ein kausaler Verursachungsbeitrag auch im juristisch-wertenden Sinne eine Verantwortlichkeit für den tatbestandlichen Erfolg wie die Tötung einer geschützten Art begründen kann, wird von dieser Auffassung aufgrund des ordnungsrechtlichen Charakters der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände ein Rückgriff auf die im Polizei- und Ordnungsrecht vertretene Theorie der unmittelbaren Verursachung721 befürwortet, nach der es maßgeblich auf eine wertende Betrachtung und Verantwortungsschreibung ankommt.722 In Fällen eines Einwanderns in der Betriebsphase werde bei natürlicher Betrachtungsweise die Schwelle zum unmittelbaren Gefahreneintritt nicht vom Anlagenbetreiber, sondern von den betreffenden Tieren oder Pflanzen überschritten.723 Dies allein sei jedoch nicht entscheidend; über eine Verantwortungszuschreibung als Zustandsstörer lasse sich auch hier ein hinreichender Zurechnungszusammenhang herstellen.724 Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen natürliche Vorgänge einen Zurechnungszusammenhang unterbrechen können, sei die normative Wertung des § 3 Abs. 3 Nr. 2 USchadG heranzuziehen, nach der das Umweltschadensgesetz keine Anwendung auf Umweltschäden oder die unmittelbare Gefahr solcher Schäden findet, wenn sie durch ein außergewöhnliches, unabwendbares und nicht beeinflussbares Naturereignis verursacht wurden.725 Einen Zurechnungszusammenhang will diese Auffassung daher erst durch solche Ereignisse aufgehoben wissen, die außerhalb des Einflussbereichs des Anlagenbetreibers einen Schaden bzw. eine Schadensgefahr verursachen.726 Allein das Einwandern besonders geschützter Arten in den Ge720 Lau, NuR 2018, 653 (654); a. A. jedenfalls mit Blick auf das Unmittelbarkeitserfordernis i. S. d. § 2 Nr. 3 USchadG Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (482), siehe hierzu näher unter 3. Teil, B. II. 1. a) bb). 721 Hiernach ist ein Verhalten ursächlich, wenn es für sich gesehen bei einer wertenden Zurechnung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschreitet und dadurch die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (mit-)begründet, Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, § 4 Rn. 314. 722 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (450); Lau, NuR 2018, 840 (842); ders., NuR 2018, 653 (654). 723 Lau, NuR 2018, 653 (654). 724 Lau, NuR 2018, 653 (654). 725 Lau, NuR 2018, 653 (654): Die hierin zum Ausdruck kommende normative Wertung hinsichtlich der Frage der Verantwortlichkeit lasse sich auf das besondere Artenschutzrecht übertragen, da das Umweltschadensrecht in Gestalt des Biodiversitätsschadens nach § 19 BNatSchG auch den Artenschutz erfasse und insoweit einen Mindeststandard festsetze. 726 Lau, NuR 2018, 653 (654).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

fahrenbereich einer Anlage nach Baubeginn nehme dem Anlagenbetreiber jedoch nicht jegliche Einflussnahmemöglichkeit auf die Abwendung der dadurch entstehenden artenschutzrechtlich relevanten Gefahrenlage und könne somit den Zurechnungszusammenhang nicht durchbrechen.727 Dahinstehen kann in vorliegendem Zusammenhang, ob sich die auf Handlungen Einzelner ausgerichteten Zurechnungsmaßstäbe des Polizei- und Ordnungsrechts für die Bewertung anlagen- bzw. vorhabenbedingter Auswirkungen im Allgemeinen eignen728 sowie insbesondere auch im Anwendungsbereich des Signifikanzansatzes herangezogen werden können.729 Zuzustimmen ist vorgenannter Auffassung jedenfalls darin, dass für die artenschutzrechtliche Beurteilung von Vorhaben- und Anlagenauswirkungen nur eine wertende Gesamtbetrachtung entscheidend sein kann, bei der es weder entscheidend auf den einzelnen Handlungsbeitrag noch auf die Frage ankommt, wer bzw. was die Gefahrenschwelle unmittelbar überschreitet. Für die Frage der Tatbestandsverwirklichung kann es daher auch nicht maßgeblich darauf ankommen, ob eine geschützte Art zum Zeitpunkt der Zulassung bereits im Wirkungsbereich der Anlage vorhanden war und die Gefahrenschwelle sodann durch die Errichtung oder Inbetriebnahme unmittelbar überschritten wird, oder ob die Konfliktlage durch das „Inbetriebhalten“ einer durch menschliches Handeln errichteten und in Betrieb genommenen Anlage herbeigeführt wird. Bei einem gegenteiligen Verständnis wären in Betrieb genommene Anlagen mangels tatbestandlichem Anknüpfungspunkt bereits von vornherein einer nachträglichen Anpassung an naturräumliche Veränderungen entzogen, ein Ergebnis, das sich mit der wesensmäßigen Dynamik des EU-Artenschutzrechts nur schwerlich vereinbaren lässt. Dafür, dass der genaue Zeitpunkt des Einwanderns der geschützten Arten jedenfalls für die Bewertung des Tatbestandes nicht entscheidend sein kann, streiten letztlich auch die Schwierigkeiten, auf die der Versuch einer Unterscheidung zwischen dem Fall einer bereits anfänglich fehlerbehafteten bestandskräftigen Zulassungsentscheidung und einer nachträglichen Veränderungen der Sachlage im Hinblick auf die artenschutzrechtlichen Vorgaben in der Praxis stößt.730 In vielen Fällen wird sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen, ob ein artenschutzrechtlicher Konflikt schon zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung bestand, jedoch nicht erkannt

727

Lau, NuR 2018, 653 (654). Kritisch hierzu: Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, 2014, S. 89, die infolge der Aufgabe des Handlungsbezugs im Rahmen der Bewertung von Projekten eine Heranziehung der Zurechnungsmaßstäbe des Straf- und Ordnungsrechts für ausgeschlossen hält und eine Orientierung an der Erheblichkeitsschwelle § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL in Betracht zieht. 729 Jedenfalls gegen die Heranziehung der ordnungsrechtlichen Begriffe „Störung“ und „Gefahr“ im Anwendungsbereich des sog. Signifikanzansatzes: BVerwG, Beschl. v. 07.01.2020 – 4 B 20/19, juris Rn. 5. 730 Lieber, NuR 2012, 665 (665); Lau, NuR 2018, 587 (588). 728

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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wurde, oder ob dieser erst nachträglich – etwa durch das neue Einwandern von geschützte Arten – eingetreten ist.731 In der Rechtsprechung werden Zurechnungserwägungen, die zwischen einem Einwandern vor oder nach Baubeginn bzw. Inbetriebnahme differenzieren, soweit ersichtlich bereits nicht angestellt.732 Eine signifikante Risikoerhöhung und damit eine Verwirklichung des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG wurde zwecks nachträglicher Betriebsbeschränkungen auch für Konfliktsituationen infolge eines Einwanderns geschützter Arten nach Inbetriebnahme angenommen.733 Teilweise blieb auch offen, wann der artenschutzrechtliche Konflikt tatsächlich entstanden ist.734 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass es für die Frage einer dem Anlagenbetreiber zurechenbaren Tatbestandsverwirklichung nicht maßgeblich auf den genauen Zeitpunkt des Einwanderns geschützter Arten ankommen kann. 3. Keine unmittelbare Unwirksamkeit einer konfligierenden Zulassungsentscheidung Kann nach vorstehenden Ausführungen auch die Verwirklichung einer behördlich zugelassenen Tätigkeit zu einer Verwirklichung der Verbotstatbestände i. S. d. § 44 Abs. 1 BNatSchG führen, könnte sich für Anlagenbetreiber und Vorhabenträger die Frage stellen, welche Sicherheit ihnen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung bzw. ein Planfeststellungsbeschluss noch zu vermitteln vermag. Angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit des § 44 Abs. 1 BNatSchG könnte die Befürchtung naheliegen, er müsse seine Anlage fortwährend, genaugenommen täglich auf ihre Vereinbarkeit mit den sich dynamisch fortentwickelnden artenschutzrechtlichen Verbotswirkungen überprüfen und entsprechend anpassen.735 Erhebliche Rechtsunsicherheiten würden für ihn vor allem daraus resultieren, dass nachträgliche Konfliktsituationen oftmals durch das nachträgliche Einwandern geschützter Arten in den Wirkungsbereich der Anlage und damit durch Umstände bedingt sein werden, die außerhalb seiner Einflusssphäre liegen. Dahingehende Bedenken lassen sich indes – entsprechend den bereits zum Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG getroffenen Erwägungen – auf731

Lieber, NuR 2012, 665 (665); Lau, NuR 2018, 587 (588). Siehe etwa OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2016 – 5 S 1984/15, juris Rn. 19; Beschl. v. 03.02.2012 – 5 S 190/12, unveröffentlicht; OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, NuR 2011, 891; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 44 ff. 733 Vgl. VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2018 – 2 L 1764/18.KS, juris Rn. 84 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 16 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62 ff. 734 Vgl. etwa OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 50; VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K 15.1343, juris. 735 Siehe zu der entsprechenden Problematik hinsichtlich der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten Sendler, UPR 1990, 41 (42). 732

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

grund der Gestattungswirkung der erteilten Zulassungsentscheidung relativieren:736 Konfligiert der Regelungsgehalt einer Zulassungsentscheidung bereits anfänglich oder nachträglich infolge einer veränderten Sach- und Rechtslage mit den materiell-rechtlichen Vorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG, führt dies nicht zur unmittelbaren Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung i. S. d. § 43 Abs. 2 VwVfG. Die Gestattungswirkung einer Zulassungsentscheidung wird insofern nicht unmittelbar ipso iure aufgehoben; vielmehr kann sich aus der Unvereinbarkeit mit der materiellen Rechtslage erst das Bedürfnis nach einer Anpassung bzw. Aufhebung der formell-rechtlichen Gestattungssituation nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorschriften ergeben. Im Vorfeld eines solchen zulassungsmodifizierenden bzw. -aufhebenden Aktes bleibt die zugelassene Tätigkeit zumindest formell-rechtlich weiterhin zulässig. 4. Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich statuieren, dass Konflikte mit den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen trotz Durchführung einer artenschutzrechtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren auftreten können. Denkbar ist dies in Fällen einer bereits anfänglich fehlerbehafteten Prüfung im Zulassungsverfahren oder in Fällen einer nachträglich veränderten Sach- oder Rechtslage. Der für die Annahme einer Verbotsverwirklichung erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen artenschutzrechtlichem Konflikt und zugelassener Tätigkeit wird durch das Vorliegen einer behördlichen Zulassungsentscheidung nicht durchbrochen. Entsprechendes gilt in den besonders praxisrelevanten Fälle des nachträglichen Einwanderns geschützter Arten in den Einwirkungsbereich einer Anlage. Jedenfalls aus Zurechnungsgesichtspunkten ist grundsätzlich keine Differenzierung danach geboten, ob Individuen der geschützten Arten bereits im Zulassungszeitpunkt im Einwirkungsbereich der Anlage vorhanden waren oder erst nachträglich vor oder nach Baubeginn oder sogar erst nach Inbetriebnahme der Anlage eingewandert sind. Eine mit den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen nicht zu vereinbarende, aber zulassungskonforme Tätigkeit bleibt zumindest formellrechtlich jedoch solange zulässig, wie die Zulassungsentscheidung nicht aufgehoben oder abgeändert wurde.

III. Die mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Durchführung konkreter Schutzmaßnahmen: Einflüsse der Art. 12, 13 FFH-RL und Art. 5 VRL auf den administrativen Vollzug Können auch zugelassene Tätigkeiten mit den Verbotstatbeständen des § 44 Abs. 1 BNatSchG konfligieren, stellt sich die Frage, welche Vorgaben sich aus den hinter dieser Bestimmung stehenden unionsrechtlichen Regelungen der Art. 12 736

Siehe hierzu ausführlich unter 2. Teil, B. V. 1.

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Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sowie des Art. 5 VRL für den administrativen Vollzug ergeben können. Art. 12 Abs. 1 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen, das ein Verbot für alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung von aus der Natur entnommenen Exemplaren dieser Arten (lit. a), jede absichtliche Störung dieser Arten (lit. b), jede absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern aus der Natur (lit. c) sowie jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten dieser Arten (lit. d) enthält. Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sieht eine vergleichbare Verpflichtung in Bezug auf die in Anhang IV lit. b der FFH-Richtlinie genannten Pflanzenarten vor.737 Nach Art. 5 VRL haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 der Richtlinie fallenden europäischen Vogelarten zu treffen, insbesondere das Verbot des absichtlichen Tötens oder Fangens, ungeachtet der angewandten Methode (lit. a), der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und die Entfernung von Nestern (lit. b), des Sammelns der Eier in der Natur und den Besitz dieser Eier, auch in leerem Zustand (lit. c) sowie des absichtlichen Störens geschützter Vögel, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtszeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung der VRL erheblich auswirkt (lit. d). Wie seitens des Europäischen Gerichtshofs wiederholt festgestellt, verpflichtet die vollständige und wirksame Anwendung des Art. 12 Abs. 1 FFHRL und des Art. 5 VRL die Mitgliedstaaten zum einen zur Einführung eines kohärenten Rechtsrahmens, mit dem die in den genannten Vorschriften genannten Aktivitäten effektiv verboten werden, zum anderen aber auch zur Durchführung konkreter besonderer Schutzmaßnahmen.738 Der Mitgliedstaat muss die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um die Verwirklichung der Verbotstatbestände zu verhindern und die Einhaltung der Verbotstatbestände durchzusetzen.739 Im Anwendungsbereich des – für vorliegend zu betrachtende Fallkonstel737 Art. 13 Abs. 1 FFH-RL spricht in der deutschen Sprachfassung von „erforderlichen Maßnahmen“ zur Errichtung eines „strikten Schutzsystems“. Diese von Art. 12 Abs. 1 FFH-RL abweichende Formulierung ist jedoch nicht im Sinne abweichender inhaltlicher Anforderungen auszulegen, zumal in der englischen und französischen Sprachfassung eine übereinstimmende Formulierung gewählt wurde. 738 Zu Art. 12 Abs. 1 FFH-RL: EuGH, Urt. v. 15.03.2012, Rs. C-340/10 (Kommission/Zypern), ECLI:EU:C:2012:143, Rn. 60; Urt. v. 11.01.2007, Rs. C-183/05 (Kommission/Irland), ECLI:EU:C:2007:14, Rn. 29; Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 34–39; Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C:2016:847, Rn. 140; Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie, 2021, 2.2.1 Rn. 2-11. Zu Art. 5 VRL: EuGH, Urt. v. 17.04.2018, Rs. C-441/17 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C:2018:255, Rn. 252 m.w. N. 739 EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 19–30, 34–39; Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C: 2016:847, Rn. 163.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lationen weniger relevanten – Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL gelten vorstehende Maßstäbe entsprechend. Mitgliedstaatliche Handlungsverpflichtungen gegenüber zugelassenen Tätigkeiten können sich aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL oder Art. 5 VRL freilich nur ergeben, wenn diese Tätigkeiten die in vorgenannten Bestimmungen normierten Verbotstatbestände verwirklichen können.740 Relevant wird an dieser Stelle, dass die unionsrechtlichen Verbotstatbestände – mit Ausnahme des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL – allein „absichtliche“ Schädigungen der geschützten Arten erfassen. Das Merkmal der Absichtlichkeit ist dabei insbesondere für die Abgrenzung des Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL zur Bestimmung des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL von Bedeutung. Art. 12 Abs. 4 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einführung eines Systems zur fortlaufenden Überwachung des unbeabsichtigten Fangs oder Tötens der in Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie genannten Tierarten, anhand dessen sie diejenigen weiteren Untersuchungsoder Erhaltungsmaßnahmen einleiten, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der unbeabsichtigte Fang oder das unbeabsichtigte Töten keine signifikanten negativen Auswirkungen auf die betreffenden Arten haben. Damit sind die Anforderungen an das mitgliedstaatliche Tätigwerden im Falle eines unabsichtlichen Fangs oder Tötens deutlich niedriger als im Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL.741 Obgleich das Absichtsmerkmal von den nationalen Verbotstatbeständen nicht vorausgesetzt wird, ist damit jedenfalls für die nähere Konkretisierung der unionsrechtlich gebotenen administrativen Handlungspflichten (2.) zunächst entscheidend, ob in dem Vollzug einer Zulassungsentscheidung ein absichtliches Handeln i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. a–c, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFHRL bzw. Art. 5 VRL liegen kann (1.). 1. Das Absichtsmerkmal als Voraussetzung für eine mitgliedstaatliche Handlungsverpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 lit. a–c, Art. 13 lit. a FFH-RL, Art. 5 VRL Die Beurteilung der Frage, inwieweit in dem Vollzug einer Zulassungsentscheidung ein absichtliches Handeln i. S. d. FFH- und Vogelschutzrichtlinie liegen kann [ c)], setzt wiederum ein grundlegendes Verständnis über den Absichtsbegriff i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. a–c, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL [a)] sowie den Absichtsbegriff i. S. d. Art. 5 VRL [b)] voraus.

740 Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.2.3 Rn. 2–17. 741 Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 86.

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a) Der Absichtsbegriff i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL Jedenfalls der Absichtsbegriff des Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL hat in mehreren Judikaten des Gerichtshofs eine Konkretisierung erfahren. Das hierin zum Ausdruck kommende Verständnis lässt sich auf das Absichtsmerkmal in Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL ohne Weiteres übertragen. Auf die Frage, ob Entsprechendes auch mit Blick auf den Absichtsbegriff des Art. 5 VRL angenommen werden kann, wird im Anschluss einzugehen sein.742 In seinem Urteil zur Rechtssache Caretta caretta aus dem Jahr 2002 sah der Gerichtshof eine absichtliche Störung i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL durch den Verkehr von Mopeds auf den Fortpflanzungsstränden der Schildkröte Caretta caretta sowie das Vorhandensein von Tretbooten und kleine Booten im Meeresgebiet der betreffenden Strände als gegeben an.743 Dabei stellte er maßgeblich darauf ab, dass der Verkehr von Mopeds auf dem Strand verboten war und Schilder aufgestellt worden waren, die auf das Vorhandensein von Schildkrötennestern auf diesen Stränden hinwiesen.744 Ferner war das Meeresgebiet der betreffenden Strände als absolute Schutzzone eingestuft und es war eine spezielle Beschilderung vorhanden.745 Bereits in dieser Entscheidung wurde deutlich, dass der Gerichtshof dem Absichtsbegriff i. S. d. Art. 12 Abs. 1 FFH-RL ein gegenüber dem nationalen Verständnis weiteren Ansatz zugrunde legt.746 In der Rechtssache C-221/04 (Fuchsjagd) stellte der Gerichtshof sodann unter Verweis auf seine Feststellungen in der Rechtssache Caretta caretta ausdrücklich fest, dass „das Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie [. . .] nur verwirklicht sein [kann], wenn nachgewiesen ist, dass der Handelnde den Fang oder die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart gewollt oder zumindest in Kauf genommen hat“.747 Jüngst stellte der Gerichtshof klar, dass diese Feststellung gleichermaßen für die Ver-

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Siehe hierzu unter 2. Teil, C. III. 1. b). EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 36. 744 EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 35. Kritisch hierzu: Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Einführung §§ 44–45 Rn. 13. 745 EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 35. 746 Vgl. GAin Kokott, Schlussanträge v. 09.06.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI: EU:C:2005:372, Rn. 118; Fischer-Hüftle, NuR 2005, 768 (770); Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 5. Aufl. 2015, Rn. 3479. Ferner auch: BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075/04, NVwZ-Beil. 2006, 1 (54). 747 EuGH, Urt. v. 18.05.2006, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2006:329, Rn. 71. Siehe ferner: GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2005:777, Rn. 49. 743

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

bote in Art. 12 Abs. 1 lit. b und c FFH-RL gilt.748 Die Verbote in Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL sollen auch auf solche Maßnahmen Anwendung finden, mit der offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird als das Fangen oder Töten, die Störung von Tierarten oder die absichtliche Zerstörung oder Entnahme von Eiern.749 In der Rechtssache Fuchsjagd verneinte der Gerichtshof unter Bezugnahme auf das Absichtserfordernis den seitens der Europäischen Kommission geltend gemachten Verstoß Spaniens gegen seine Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL zum Schutz des Fischotters durch Erteilung einer staatlichen Genehmigung zum Auslegen von Schlingen mit einer Arretierung zur Fuchsjagd in mehreren privaten Jagdrevieren. Der Gerichtshof stellte diesbezüglich zum einen darauf ab, dass sich die streitige Genehmigung selbst nicht darauf erstreckt, den Fang von Fischottern zuzulassen.750 Zum anderen hob er hervor, dass das Vorhandensein von Fischottern im fraglichen Gebiet nicht förmlich nachgewiesen worden war.751 Daher sah es der Gerichtshof als nicht bewiesen an, dass den spanischen Behörden, als sie die streitige Genehmigung für die Fuchsjagd erteilten, bekannt war, dass sie damit möglicherweise den Fischotter in Gefahr brächten.752 Aus der vorgenannten Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt, dass Absichtlichkeit i. S. d. FFH-Richtlinie nicht mit dem Begriff der „Absicht“ im deutschen (Straf-)Recht gleichgesetzt werden kann, der einen auf die Erfolgsverwirklichung gerichteten Handlungswillen voraussetzt.753 Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr ein bedingter Vorsatz im Sinne einer bewussten Inkaufnahme des Verletzungserfolgs.754 Von einer Inkaufnahme des Verletzungserfolgs ist dabei auszugehen, wenn der Handelnde sich der höchstwahrscheinlich schädi748 EuGH, Urt. v. 04.03.2021, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2021:166, Rn. 51. 749 Siehe EuGH, Urt. v. 04.03.2021, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2021:166, Rn. 53 unter Bezugnahme auf forstwirtschaftliche Maßnahmen oder eine Erschließung. 750 EuGH, Urt. v. 18.05.2006, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2006:329, Rn. 72. 751 EuGH, Urt. v. 18.05.2006, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2006:329, Rn. 73. 752 EuGH, Urt. v. 18.05.2006, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2006:329, Rn. 73. 753 Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur, Leitfaden zur Berücksichtigung des Artenschutzes bei Aus- und Neubau von Bundeswasserstraßen, 2020, S. 5. Vgl. auch Sobotta, NuR 2007, 642 (643); GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2005:777, Rn. 37. Zum Absichtsbegriff des deutschen Strafrechts siehe nur: BGH, Beschl. v. 23.02.1961 – 4 StR 7/61, juris Rn. 40; Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, § 15 Rn. 66 f. m.w. N. 754 Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.3.1 Rn. 2-34.

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genden Wirkung seiner Handlung für eine der in Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgelisteten Arten bewusst ist und diese gleichwohl vornimmt.755 Entsprechend dem individuenbezogenen Schutzansatz des besonderen Artenschutzrechts setzt die Annahme einer Absichtlichkeit mithin eine Individualisierbarkeit der betroffenen Tiere oder Pflanzen voraus.756 Vorgenannte Judikate des Gerichtshofs verdeutlichen dies. In der Rechtssache Fuchsjagd lehnte der Gerichtshof die Absichtlichkeit insbesondere auch unter Verweis darauf ab, dass das Vorhandensein von Fischottern im fraglichen Jagdrevier bereits nicht förmlich nachgewiesen war.757 In der Rechtssache Caretta caretta war hingegen das Vorhandensein von Schildkrötennestern auf den in Rede stehenden Stränden bzw. die Einstufung der betreffenden Strände als absolute Schutzzone jedenfalls infolge der entsprechenden Beschilderung bekannt.758 Allein das Wissen um eine konkrete Gefahrenlage vermag mithin eine Absichtlichkeit i. S. d. Art. 12 Abs. 1 FFH-RL zu begründen.759 Besteht demgegenüber für die geschützten Tierarten eine lediglich abstrakte Gefahrenlage, unterfällt dies dem allgemeinen Lebensrisiko, sodass in der gleichwohl vorgenommene Handlung keine bewusste Inkaufnahme des Verletzungserfolgs gesehen werden kann.760 Eine gewisse Unsicherheit verbleibt vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung hinsichtlich der Frage, ob für das Wissen und Wollen auf die Person des Verhaltensverantwortlichen oder auf die dessen gefährdende Tätigkeit zulassende oder duldende nationale Behörde abzustellen ist. Erforderlich ist hier eine Differenzierung zwischen der Verbotsverwirklichung durch den Verhaltensverantwortlichen als den (primären) Adressaten der in Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFHRL aufgeführten Verbotstatbestände und der diesbezüglich bestehenden Verpflichtung des Mitgliedstaats, die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen. Für das Vorliegen des subjektiven Absichtselements im Sinne der Tatbestandsverwirklichung ist – wie auch allgemein in Bezug auf die Verbotsverwirklichung – auf die Person des Verhaltensverantwortlichen als Adressaten der Verbotstatbestände abzustellen.761 Das subjektive Willenselement kann auf die Be755 Vgl. Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.2.3 Rn. 2-34; Lau, NuR 2018, 653 (655). 756 Lau, NuR 2018, 653 (655). 757 EuGH, Urt. v. 18.05.2006, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2006:329, Rn. 59 ff. und 73; Lau, NuR 2018, 653 (655). 758 EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 35; Lau, NuR 2018, 653 (655). 759 Lau, NuR 2018, 653 (655). 760 Lau, NuR 2018, 653 (655). Siehe auch: BVerwG, Urt. v. 27.11.2018 – 9 A 8/17, juris Rn. 101; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 64. 761 Beier, DVBl 2012, 149 (152); Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-FaunaHabitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 128 f.; ähnlich bereits Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (449 ff.); a. A. offenbar: BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12/10, juris Rn. 119.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

hörde keine Anwendung finden.762 Deutlich wird dies auch in den Ausführungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Caretta caretta II, wo dieser zunächst auf die beim „Verursacher“ der Störungen vorliegende Inkaufnahme der Störung der Meeresschildkröten Caretta caretta während der Fortpflanzungszeit abstellte,763 um sodann den hieraus resultierenden Verstoß der Hellenischen Republik gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 lit. b FFH-RL dadurch festzustellen, dass sie nicht innerhalb der gesetzten Frist alle erforderlichen konkreten Maßnahmen ergriffen hat, um die absichtliche Störung der Meeresschildkröte Caretta caretta während ihrer Fortpflanzungszeit zu vermeiden.764 Aus dem Umstand, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Fuchsjagd einerseits ausdrücklich auf den Willen des Handelnden, andererseits aber auch auf die Kenntnis bzw. das Wissen der handelnden – konkret die Genehmigung erteilenden – Behörde abstellt, folgt nicht zwangsläufig etwas anderes.765 Anders als noch in der Rechtssachen Caretta caretta766 ließen sich die Aussagen des Gerichtshofs hier zwar auch dahingehend verstehen, dass es ihm um die Feststellung eines absichtlichen Handelns durch die spanische Behörde selbst ging.767 Überzeugender ist es jedoch, das Abstellen auf das Wissen der Behörde über das Vorhandensein geschützter Arten darauf zurückzuführen, dass es dort um die Frage eines möglichen Verstoßes des 762 Vgl. GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU:C:2005:777, Rn. 66. Diese Frage wurde seitens des EuGH offengelassen, siehe hierzu: Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, 2014, S. 85 und 128; Sobotta, ZUR 2006, 353 (360); Beier, DVBl 2012, 149 (152), der darauf verweist, dass im zugrunde liegenden Fall bereits nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Fischotter in dem Jagdgebiet überhaupt vorkommt, weshalb der Genehmigungsbehörde – unabhängig von einem subjektiven Willenselement – nicht nachgewiesen werden konnte, dass ihr das Vorhandensein von Fischottern bekannt war und dass sie mit der erteilten Jagdgenehmigung für die Fuchsjagd möglicherweise den Fischotter in Gefahr brachte. Kritisch zu dem Verzicht auf das Merkmal der Absichtlichkeit: Beier/Geiger, DVBl 2011, 399 (402 f.). 763 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C: 2002:60, Rn. 159. Maßgeblich für diese Annahme dürfte – entsprechend den Ausführungen des Gerichtshofs in seinem ersten Urteil zur Meeresschildkröte Caretta caretta – auch hier gewesen sein, dass die Bedeutung der benannten Bereiche für die Fortpflanzung der Schildkröte vor Ort allgemein bekannt war, die genannten gefährdenden Handlungen jedoch gleichwohl vorgenommen wurden, GAin Kokott, Schlussanträge v. 18.02.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II); ECLI:EU:C:2016:105, Rn. 142; Lau, NuR 2018, 653 (655). 764 EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C: 2002:60, Rn. 160. A. A. Lau, NuR 2018, 653 (655), dem zufolge für den EuGH „ersichtlich nicht entscheidend [gewesen sei], dass die Strandbesucher bzw. die Bauherren von dem Vorkommen der Meeresschildkröte im fraglichen Gebiet wussten, sondern das entsprechende Wissen der untätig gebliebenen bzw. entsprechende Genehmigungen ausreichenden griechischen Behörde genügte“. 765 A. A. wohl Lau, NuR 2018, 653 (655). 766 Hier stellte der EuGH unzweifelhaft auf das Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes beim unmittelbar Handelnden ab. 767 Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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Mitgliedstaats gegen seine Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL durch die Erteilung einer Genehmigung ging und nicht um die Feststellung eines Verstoßes durch die Duldung einer bereits ausgeübten Tätigkeit, wie es in den Rechtssachen betreffend die Schildkröte Caretta caretta der Fall war. Wie seitens der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in Sachen Fuchsjagd dargelegt, kann es bei der präventiven Anwendung des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL im Rahmen der mitgliedstaatliche Zulassungstätigkeit naturgemäß (noch) nicht maßgeblich darauf ankommen, ob die jeweils handelnden Individuen die geschützten Tiere tatsächlich absichtlich beeinträchtigen.768 Entscheidend ist hier vielmehr, ob die zuständigen Stellen davon ausgehen müssen, dass das zu genehmigende Verhalten die nach Art. 12 Abs. 1 FFH-RL verbotenen Schäden verursachen wird.769 Die Verpflichtung des Mitgliedstaats zur effektiven Umsetzung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände kann sich nicht darauf beschränken, bereits verwirklichte tatbestandsmäßige Handlungen zu sanktionieren; vielmehr darf die Behörde auch nicht gleichsam „sehenden Auges“770 eine Tätigkeit zulassen, die geeignet ist, einen der Tatbestände des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL zu verwirklichen. b) Abweichender Absichtsbegriff im Rahmen des Art. 5 VRL? Unterschiedlich beurteilt wird, inwiefern der Absichtsbegriff des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL im Rahmen des Art. 5 VRL Anwendung finden kann. Zu berücksichtigen ist diesbezüglich, dass Art. 5 VRL anders als die artenschutzrechtlichen Bestimmungen der Habitatrichtlinie nicht nur bestimmte seltene und gefährdete Arten, sondern sämtliche europäischen Vogelarten einschließlich diverser Allerweltarten erfasst.771 Anders als es die Weite des Anwendungsbereichs nach Art. 5 VRL vermuten lassen würde,772 fallen die Ausnahmevoraussetzungen der Vogelschutzrichtlinie zugleich weitaus restriktiver aus als die der FFH-Richtlinie.773 Während letztere Abweichungen aufgrund aller denkbaren Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses erlaubt (Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL), kommen bei ersterer abgesehen von sehr spezifischen Gründen nur eine vernünftige Nut768 GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU: C:2005:777, Rn. 65. Siehe hierzu auch: Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). 769 GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C-221/04 (Fuchsjagd), ECLI:EU: C:2005:777, Rn. 65. 770 Vgl. Füßer/Lau, NuR 2009, 445 (451). 771 VGH München, Urt. v. 28.01.2008 – 8 A 05.40018, juris Rn. 64; Niederstadt/ Krüsemann, ZUR 2007, 347 (352); Sobotta, NuR 2007, 642 (648); GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 81 ff. Vgl. hierzu: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 71a. 772 Vgl. Lau, NuR 2018, 587 (591). 773 GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 86; Sobotta, NuR 2007, 642 (648).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

zung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen in Betracht, die zudem streng überwacht und selektiv sein muss (Art. 9 Abs. 1 lit. c VRL).774 Vor diesem Hintergrund wird für Art. 5 VRL teilweise ein restriktiveres Verständnis des Absichtsbegriffs als im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL für erforderlich gehalten, da andernfalls die Auslösung der Verbotstatbestände nach Art. 5 VRL aufgrund der Omnipräsenz der Allerweltsarten praktisch nicht vermeidbar wäre.775 Nahezu jedes staatliche Vorhaben sowie nahezu jede private Aktivität sähe sich mit den Schranken des Art. 5 VRL konfrontiert.776 In der Literatur wird dabei teilweise befürwortet, den Absichtsbegriff des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL zwar grundsätzlich auch im Rahmen des Art. 5 VRL anzuwenden, bei Allerweltsvogelarten, deren aktueller Erhaltungszustand als gut einzustufen ist, nicht intendierte, aber vorhersehbare Tötungen von Individuen einer Art als Folge geplanter Infrastrukturvorhaben jedoch als nicht tatbestandsmäßig anzusehen.777 In eine ähnliche Richtung gehen auch die Erwägungen der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen zu den verbundenen Rechtssachen C-473/19 und C-474/ 19, nach denen sich der Absichtsbegriff in Bezug auf die europäischen Vögel grundsätzlich auf Handlungen beschränken soll, die die Beeinträchtigung von Vögeln gerade bezwecken.778 Werde eine solche Beeinträchtigung hingegen lediglich in Kauf genommen, sollen die Verbote nach Art. 5 lit. a und b VRL nur greifen, soweit dies notwendig ist, um die betroffenen Arten i. S. d. Art. 2 VRL auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.779 Angesichts des Wertungswiderspruchs, der bestünde, wenn einer nicht bedrohten, in breiter Population vorkommenden Vogelart über Art. 5 und Art. 9 VRL ein weitergehender Schutz zukäme als einer in ganz Europa nach Anhang IV der 774 GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 86. 775 VGH München, Urt. v. 28.01.2008 – 8 A 05.40018, juris Rn. 64; Niederstadt/ Krüsemann, ZUR 2007, 347 (352); Sobotta, NuR 2007, 642 (648); GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 81 ff.; vgl. hierzu: Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Einführung §§ 44–45 Rn. 17; Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 71a. 776 VGH München, Urt. v. 28.01.2008 – 8 A 05.40018, juris Rn. 64; Sobotta, NuR 2007, 642 (648). 777 Niederstadt/Krüsemann, ZUR 2007, 347 (352). 778 GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 90. Vgl. hierzu: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 71a. 779 GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 90. Vgl. hierzu: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 71a.

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FFH-Richtlinie streng geschützten Art, erscheinen vorstehende Erwägungen in Richtung eines restriktiveren Verständnisses des Absichtsbegriffs nach Art. 5 VRL durchaus plausibel. Der Europäische Gerichtshof hat sich bislang mit der Möglichkeit einer differenzierenden Sichtweise im Rahmen des Absichtsbegriffs des Art. 5 VRL nicht auseinandergesetzt, sodass seine Rechtsprechung hier zumindest nicht eindeutig entgegensteht.780 Indes erscheint eine derart differenzierte Auslegung des Absichtsbegriffs nach Art. 5 VRL wenig praktikabel.781 Zu berücksichtigen sind ferner die Rechtsunsicherheiten, die mit einer von dem Absichtsbegriff des Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL abweichenden Auslegung des Art. 5 VRL verbunden wäre.782 Anstatt – systemfremd – bereits auf Tatbestandsebene des Art. 5 VRL über die Berücksichtigung des Erhaltungszustands einer Art einen Populationsbezug herzustellen sowie Abwägungselemente einzubeziehen,783 streiten daher die besseren Gründe dafür, den vorgenannten – durchaus berechtigten – Bedenken auf Ebene der Ausnahmemöglichkeiten Rechnung zu tragen784 und dem Absichtsbegriff des Art. 5 VRL dasselbe Verständnis zugrunde zu legen wie im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL.785 c) „Absichtliche“ Verbotsverwirklichung durch zugelassene Tätigkeiten? Fraglich ist, inwieweit auf Grundlage des vorstehend umrissenen unionsrechtlichen Absichtsbegriffs von einer „absichtlichen“ Schädigung ausgegangen werden kann, wenn sie im Vollzug einer Zulassungsentscheidung erfolgt. In der Rechtssache Gibraltar war der Gerichtshof zwar unmittelbar allein mit der Frage der Umsetzung der Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 FFH-RL auf Geset780 Insbesondere wurden die Erwägungen der GAin Kokott seitens des Gerichtshofs nicht aufgegriffen, da dieser die Vorlagefrage des vorlegenden nationalen Gerichts allein auf die Bestimmungen des Art. 12 Abs. 1 lit. a–c FFH-RL und nicht auf Art. 5 VRL bezog, vgl. EuGH, Urt. v. 04.03.2021, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2021:166, Rn. 46 ff. In der nationalen Literatur wurde das Urteil des EuGH teilweise als Offenlassen [Schmidt/Sailer, ZNER 2021, 146 (156, 161)], teilweise als „klare Absage“ [Köck, ZUR 2021, 298 (299)] zu dem Vorschlag der GAin Kokott aufgefasst. 781 Vgl. auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 10.09.2020, verb. Rs. C-473/19 und C-474/19 (Skydda Skogen), ECLI:EU:C:2020:699, Rn. 89, die anmerkt, dass die von ihr vertretene Auslegung in der Anwendung komplizierter sei, da sie doch eine Berücksichtigung des Erhaltungszustands der Vogelarten erfordert. 782 So auch Lau/Steeck, NuR 2008, 386 (389). 783 Vgl. Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 71a, dem zufolge die mit dieser „Tatbestandslösung“ verbundenen Spielräume bei der Auslegung des Absichtsbegriffs nach dem aktuellen deutschen Regelungssystem aus Verhältnismäßigkeitsgründen auf der Ebene der Ausnahme Beachtung finden müssten. 784 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, C. IV. 1. b). 785 Von einem einheitlichen Verständnis des Absichtsbegriffs ausgehend wohl auch: Lau, NuR 2018, 653 (655); Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 3; unklar: Möckel, NuR 2014, 381 (387).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

zesebene befasst.786 Gleichwohl lässt sich aus der hier festgestellten Unvereinbarkeit einer generellen gesetzlichen Freistellung rechtmäßiger Tätigkeiten von den Verbotstatbeständen des Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 FFH-RL zumindest schließen, dass auch ein rechtmäßiges Handeln grundsätzlich „absichtlich“ im Sinne dieser Regelung sein kann.787 Nicht mehr haltbar ist damit das vormals seitens des Bundesverwaltungsgerichts788 vertretene Verständnis, Beeinträchtigungen, die sich als unausweichliche Konsequenzen rechtmäßigen Verhaltens ergeben, seien als unabsichtlich einzustufen.789 Wenngleich ein vorsätzliches Handeln damit nicht unter Verweis auf einen fehlenden Rechtswidrigkeitsvorwurf ausgeschlossen werden kann,790 lässt sich doch in Frage stellen, ob von einer bewussten Inkaufnahme der tatbestandlichen Schädigung auch dann noch ausgegangen werden kann, wenn diese im Vollzug einer Zulassungsentscheidung eintritt, die dem Vorhabenträger die Vereinbarkeit seines Vorhabens mit den Bestimmungen des EU-Artenschutzrechts auf Grundlage einer artenschutzrechtlichen Prüfung ausdrücklich bestätigt. Mit der Bedeutung einer im Zulassungsverfahren durchgeführten artenschutzrechtlichen Prüfung für die Auslegung des Absichtsmerkmals war der Gerichtshofs bislang, soweit ersichtlich, nicht befasst. Einwenden ließe sich, dass der Sinn einer Zulassungsentscheidung gerade darin liegt, dem Vorhabenträger eine gesicherte Vertrauensbasis für die Errichtung und den Betrieb seines beantragten Vorhabens zu gewährleisten, sodass bei einem genehmigungskonformen Handeln von einem bedingten Schädigungsvorsatz nicht ausgegangen werden kann. Mag dies den Regelfall darstellen, vermögen dahingehende Erwägungen jedenfalls eine pauschale Freistellung rechtmäßig zugelassener Tätigkeiten von dem unionsrechtlichen Absichtsmerkmal gleichwohl nicht zu begründen.791 Denn auch eine vorausgegangene artenschutzrechtliche Prüfung vermag nicht völlig auszuschließen, dass im Einzelfall beim Zulassungsinhaber konkrete Kenntnis über die Fehlerhaftigkeit der Prüfung oder über nachträgliche Veränderungen der Sachlage besteht. 786

Siehe hierzu unter 2. Teil, C. I. 2. Siehe hierzu: GAin Kokott, Schlussanträge v. 09.06.2005, Rs. C-6/04 (Gibraltar), ECLI:EU:C:2005:372, Rn. 118. 788 Siehe hierzu unter 2. Teil, C. I. 1. 789 Lieber, NuR 2012, 665 (668); Dolde, NVwZ 2007, 7 (9); Sobotta, NuR 2007, 642 (643). Vgl. auch Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 5. Aufl. 2015, Rn. 3480; Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 3. Das BVerwG bezeichnete die Aufrechterhaltung seiner bisherigen Rechtsprechung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Caretta caretta sowie Gibraltar selbst als „zumindest zweifelhaft“, BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075/04, NVwZ-Beil. 2006, 1 (54); ferner: BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12/10, juris Rn. 119. 790 Siehe zu entsprechenden Erwägungen mit Blick auf die Verschuldenshaftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG unter 3. Teil, B. II. 2. ). 791 Entsprechende Erwägungen lassen sich auch mit Blick auf das Verschuldenserfordernis im Umweltschadensrecht nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG treffen, siehe hierzu näher unter 3. Teil, B. II. 2. c). 787

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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Kommt es hier durch die gleichwohl vorgenommene Errichtung oder Inbetriebnahme der zugelassenen Anlage zu Konflikten mit geschützten Arten, wird sich der Vorwurf eines zumindest bedingt vorsätzliches Handeln nur schwerlich unter Verweis auf ein Vertrauen in die Zulassungsentscheidung generell ausschließen lassen. Festhalten lässt sich damit, dass auch im Vollzug einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung grundsätzlich ein „absichtliches“ Handeln i. S. d. Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL, Art. 5 VRL liegen kann. Dem hier vertretenen Verständnis widerspricht es auch nicht, wenn die Europäische Kommission die Tötung von Fledermäusen durch den Betrieb einer Windenergieanlage sowie Tötungen im Straßenverkehr als unabsichtliche Tötung einstuft und damit dem Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL zuordnet.792 Hiermit ist zunächst nur gesagt, dass die mit dem Betrieb einer zugelassenen Anlage weiterhin verbundene abstrakte Gefahr tödlicher Tierkollisionen für sich genommen noch nicht die Schutzverpflichtung nach Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL aktiviert.793 Vereinzelt wird in der nationalen Literatur, namentlich durch Lau, eine aus Art. 12 Abs. 1 FFH-RL resultierende Handlungsverpflichtung der Mitgliedstaaten für den Fall eines nachträglichen Einwanderns geschützte Arten in den Gefahrenbereich einer Anlage indes aus anderen Gründen abgelehnt. Abgestellt wird hierbei darauf, dass es für die Verwirklichung der unionsrechtlichen Verbotstatbestände einer Handlung bedürfe, die grundsätzlich zeitgleich mit dem subjektiven Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit vorliegen müsse.794 Im Falle eines Einwanderns geschützter Arten in den Gefahrenbereich der Anlage nach Erteilung der Zulassungsentscheidung, aber noch vor Baubeginn, sei in der gleichwohl erfolgenden Errichtung bzw. Inbetriebnahme der Anlage eine Verwirklichung der Zugriffsverbote des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL sowie des Art. 5 VRL zu sehen.795 Dagegen fehle es bei einem Einwandern geschützter Arten nach Inbetriebnahme zum Zeitpunkt des aktiven Tätigwerdens mangels konkreter Gefahr noch am subjektiven Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit bzw. im Falle des Art. 12 lit. d FFH-RL an der hier zumindest erforderlichen Erkennbarkeit der konkreten Gefahrenlage im Sinne eines Fahrlässigkeitsvorwurfs.796 Im Zeitpunkt der Erkennbarkeit des Konflikts sei eine Verantwortlichkeit dagegen mangels einer tatbestandsmäßigen Handlung des Anlagenbetreibers abzulehnen.797 Mit dem Weiter792 Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.3.6 Rn. 2-75. 793 Vgl. Lau, NuR 2018, 653 (656). 794 Lau, NuR 2018, 653 (656). 795 Lau, NuR 2018, 840 (844). 796 Lau, NuR 2018, 653 (656). 797 Lau, NuR 2018, 653 (656). Unter Verweis auf das Vorliegen einer tatbestandlichen Handlungseinheit wird an anderer Stelle die Gleichstellung des Falls eines Ein-

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

betrieb der Anlage, dem weiterhin unter Verkehr Halten einer Straße oder dem Absehen von baulichen Schutzmaßnahmen könne dem Anlagenbetreiber schwerpunktmäßig lediglich ein Unterlassen zur Last gelegt werden, das jedoch bei einem genehmigten Anlagenbetrieb nicht zur Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbote führen könne.798 Im Gegensatz zum nationalen Recht kenne das Unionsrecht keine Zustandsstörerhaftung, sodass das zeitliche Auseinanderfallen des Handelns des Anlagenbetreibers in Form der Errichtung und/oder Inbetriebnahme der Anlage und des Eintritts einer artenschutzrechtlichen Konfliktlage unionsrechtlich eine grundsätzliche Entbindung des Anlagenbetreibers von der artenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit für diese Situation bewirke.799 Den Mitgliedstaat sollen bei einem Einwandern geschützter Arten nach Inbetriebnahme der Anlage daher lediglich Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 4 FFH-RL bzw. Art. 13 VRL treffen, woraus sich weitaus geringere Anforderungen an ein mitgliedstaatliches Tätigwerden ergeben als aus Art. 12 Abs. 1 FFH-RL bzw. Art. 5 VRL.800 Gegen ein derart handlungsbezogenes Verständnis der unionsrechtlichen Verbotstatbestände streitet indes wie auch im Rahmen der nationalen Umsetzungsnorm des § 44 Abs. 1 BNatSchG,801 dass die Bewertung anlagen- und vorhabenbedingter Auswirkungen zwangsläufig einer von dem einzelnen Handlungsbeitrag losgelösten Betrachtung bedarf. Hier eine strikte Kongruenz zwischen menschlicher Handlung und subjektiven Absichtselement zu verlangen, würde die Betriebsphase von Anlagen und Vorhaben, die eine im Vergleich zu Handlungsbeiträgen Einzelner – wie etwa die Jagd oder Freizeithandlungen in Form des Motorradfahrens auf Fortpflanzungsstränden einer geschützten Art – größere Gefahr für den Erhaltungszustand der geschützten Arten darstellt, weitestgehend bereits dem Anwendungsbereich der strengen Schutzverpflichtungen des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL und Art. 5 VRL entziehen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass auch der Europäische Gerichtshof der Auslegung der artenschutzrechtlichen Verbotsvorwanderns nach Baubeginn, aber vor Inbetriebnahme der Anlage mit dem Fall eines Einwanderns nach Inbetriebnahme befürwortet, siehe Lau, NuR. 2018, 653 (657). Unklar bleibt, ob damit auch eine Tatbestandsverwirklichung durch den Anlagenbetreiber im Falle eines Einwanderns geschützter Arten nach Baubeginn verneint werden soll. Dies wäre insofern unverständlich, als das Vorliegen einer Handlung des Anlagenbetreibers in Bezug auf Tätigkeiten der Bauausführung nicht angezweifelt werden kann. 798 Lau, NuR 2018, 653 (656). 799 Lau, NuR 2018, 653 (656). 800 Lau, NuR 2018, 653 (656) zufolge besteht hier ein weiter Ermessensspielraum, der ausreichend Raum für die Berücksichtigung der Legalisierungswirkung der bestehenden Genehmigung sowie für das mit Blick darauf bereits vom Anlagenbetreiber ausgeübte Vertrauen bietet. Allerdings soll auch in diesem Fall das Ermessen regelmäßig in Richtung eines entsprechenden Einschreitens intendiert sein, wenn Vorkommen einer europäisch besonders geschützten Art betroffen sind, die für die Erhaltung der Art von herausragender Bedeutung sind und die Art dort besonderen Risiken ausgesetzt ist. 801 Siehe hierzu unter 2. Teil, C. II. 2. c).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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schriften weniger ein strikt handlungsbezogenes, sondern vielmehr erfolgsorientiertes Verständnis zugrunde zu legen scheint. So bejahte der Gerichtshof den Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL bereits durch das bloße Vorhandensein von Bauwerken auf dem Fortpflanzungsstrand der Meeresschildkröte Caretta caretta unter Verweis darauf, dass dieses geeignet sei, eine Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungsstätte i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL herbeizuführen.802 Auch sofern die Europäische Kommission den Vogelschlag durch den Betrieb von Windenergieanlagen unter den Tatbestand des Art. 12 Abs. 4 FFH-RL fasst,803 folgt hieraus gerade, dass in dem fortlaufenden Betrieb objektiv eine Form der Tötung i. S. d. Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL gesehen werden kann. Sowohl Art. 12 Abs. 1 lit. a FFH-RL als auch Art. 12 Abs. 4 FFH-RL setzen gleichermaßen den „Fang“ oder das „Töten“ der in Anhang IV lit. a der FFH-Richtlinie genannten Tierarten voraus; das maßgebliche Differenzierungskriterium zwischen den beiden Tatbeständen bildet das Absichtsmerkmal.804 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass eine Verbotsverwirklichung grundsätzlich auch im Falle eines nachträglichen Einwanderns geschützter Arten während der Betriebsphase denkbar ist. 2. Die Ermessensentscheidung des Mitgliedstaats über die erforderlichen Schutzmaßnahmen Haben vorstehende Ausführungen ergeben, dass auch im Zulassungsvollzug grundsätzlich eine „absichtliche“ Schädigung i. S. d. Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL gesehen werden kann, ist im Folgenden der Frage nachzugehen, welche Handlungsverpflichtungen sich für den Mitgliedstaat hieraus im Einzelnen ergeben können. Während sich der FFH- und Vogelschutzrichtlinie in Bezug auf die materiellen Verbotstatbestände unbedingt verpflichtende Vorgaben entnehmen lassen,805 fehlt es an genauen Angaben dazu, welche „notwendigen“ und „erforderlichen“ Maßnahmen die Mitgliedstaaten zur Einführung eines strengen bzw. strikten806 802 EuGH, Urt. v. 30.01.2002, Rs. C-103/00 (Caretta caretta), ECLI:EU:C:2002:60, Rn. 38. 803 Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.3.6 Rn. 2-75. 804 Vor diesem Hintergrund erscheint auch fraglich, weshalb nach Auffassung von Lau nach Inbetriebnahme einer Anlage mangels Handlung der Tatbestand des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL nicht vorliegen soll, der Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 4 FFHRL jedoch eröffnet sein soll. 805 Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 47. 806 Art. 13 Abs. 1 FFH-RL spricht in der deutschen Sprachfassung von „erforderlichen Maßnahmen“ zur Errichtung eines „strikten Schutzsystems“. Diese von Art. 12 Abs. 1 FFH-RL abweichende Formulierung ist jedoch nicht im Sinne abweichender

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Schutzsystems für die in Anhang IV lit. a und b der FFH-Richtlinie genannten Tier- und Pflanzenarten sowie zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 VRL fallenden Vogelarten konkret zu ergreifen haben.807 Den Mitgliedstaaten ist insoweit ein gewisser Ermessenspielraum eröffnet.808 Welche konkreten Maßnahmen nach Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sowie Art. 5 VRL zur effektiven Durchsetzung der in den Bestimmungen genannten Verbotstatbestände erforderlich sind, bestimmt sich maßgeblich nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls.809 In manchen Fällen mag es bereits ausreichen, eine allgemeine Regelung im innerstaatlichen Recht vorzusehen, die die verschiedenen in Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL genannten Formen der Beeinträchtigung untersagt und angemessene Sanktionen für Verstöße vorsieht, während in anderen Fällen weitergehende konkrete Maßnahmen erforderlich werden können.810 Soweit ersichtlich, war der Gerichtshof mit der Frage, welche Schutzmaßnahmen der Mitgliedstaat gegenüber zugelassenen Tätigkeiten zu ergreifen hat und welche Bedeutung Rechtssicherheits- und Vertrauensschutzgesichtspunkten im Rahmen der artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie zukommen kann, bislang nicht näher befasst.811 Resultiert aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL eine Verpflichtung zum Erlass kohärenter und koordinierter vorbeugender Schutzmaßnahmen,812 kann es mit Blick auf die mitgliedstaatliche Schutzverpflichtung jedenfalls nicht entscheidend darauf ankommen, ob in dem jeweiligen Einzelfall das Absichtsmerkmal auch tatsächlich in der Person des Vorhabenträgers vor-

inhaltlicher Anforderungen auszulegen, zumal in der englischen und französischen Sprachfassung eine übereinstimmende Formulierung gewählt wurde. 807 Zu Art. 12 Abs. 1 FFH-RL: Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFHRichtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.2 Rn. 2-9. 808 Zu Art. 12 Abs. 1 FFH-RL: Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFHRichtlinie 92/43/EWG, 2021, 2.2 Rn. 2-10; siehe ferner auch Tholen, Das Artenschutzregime der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie im deutschen Recht, 2014, S. 47. 809 Vgl. zu Art. 12 Abs. 1 FFH-RL: Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFHRichtlinie 92/43/EWG, 2.2 Rn. 2-10. 810 Vgl. Sobotta, NuR 2007, 642 (645 f.). 811 Vgl. Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1167). Siehe insb. EuGH, Urt. v. 10.11.2016, Rs. C-504/14 (Caretta caretta II), ECLI:EU:C:2016:847, Rn. 39, 43, wo der Gerichtshof für die behördlich genehmigte Errichtung und Nutzung von Häusern bzw. Wohneinheiten einen Verstoß der Hellenischen Republik gegen Art. 12 Abs. 1 FFH-RL annahm, auf die Bedeutung einer solchen Genehmigung gegenüber den Vorgaben des Artenschutzrechts jedoch nicht näher einging. 812 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.03.2012, Rs. C-340/10 (Kommission/Zypern), ECLI:EU: C:2012:143, Rn. 61.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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liegt. Die mitgliedstaatlichen Behörden können sich nicht darauf beschränken, bereits eingetretene Verstöße zu sanktionieren. Wie im Stadium des Zulassungsverfahrens werden die mitgliedstaatlichen Schutzverpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL daher auch gegenüber zugelassenen Vorhaben bereits bei einer entsprechenden Kenntnis der Behörde über eine konkrete Gefährdungssituation aktiviert.813 Wurden die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände in der Zulassungsentscheidung abgearbeitet, mag zwar grundsätzlich kein Anlass für die nationalen Behörden bestehen, von einer konkreten Gefährdungssituation auszugehen, sodass sich hier grundsätzlich auch keine Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL FFH-RL ergeben dürften. Bestehen hingegen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdungssituation, wie etwa im Falle einer Sichtung geschützter Arten im Baufeld, der Feststellung „verdächtiger“ Strukturen814 oder bei „qualifizierten Hinweisen“ auf Arten nach Anh. IV FFH-RL oder relevante Vogelarten, die im Zulassungsverfahren übersehen oder unzureichend gewürdigt wurden,815 werden die Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL aktiviert. Im Übrigen lässt sich an die Erkenntnisse anknüpfen, die im Zusammenhang mit den mitgliedstaatlichen Vermeidungspflichten aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gewonnen wurden: Enthält das Unionsrecht keine konkreten Vorgaben, richtet sich die Frage, welche Art von Maßnahmen seitens der nationalen Behörden zur Umsetzung der Verbote in Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL und Art. 5 VRL erforderlich sind, nach nationalem Verfahrensrecht.816 Führt die Unvereinbarkeit einer zugelassenen Tätigkeit mit den Verbotsvorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht zur unmittelbaren Unwirksamkeit einer auf Grundlage des nationalen Rechts ergangenen Zulassungsentscheidung,817 kann es im Einzelfall der Abänderung bzw. Aufhebung der jeweiligen Zulassungsentscheidung im Rahmen eines gesonderten Verwaltungsverfahrens bedürfen, um den Unionsbestimmungen zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen.818 Auf die Frage, welche Instrumentarien das nationale Recht zur Durchsetzung der artenschutzrechtlichen Verbotsvorgaben gegenüber den untersuchungsgegenständlichen immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen sowie planfestgestellten Vorhaben enthält, 813

Siehe hierzu unter 2. Teil, C. III. 1. a). Vgl. Lau, UPR 2015, 361 (362). 815 In diesen Fällen von einer nachträglichen Überprüfungspflicht der Naturschutzbehörde ausgehend: D. Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 45 Rn. 63; vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K 15.1343, juris Rn. 29. 816 So auch Europäische Kommission, Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/ EWG, 2021, 2.2.3 Rn. 2-18. 817 Siehe hierzu unter 2. Teil, C. II. 3. 818 Siehe zu diesen mit Blick auf Art. 6 Abs. 2 FFH-RL getroffenen Erwägungen: 2. Teil, B. V. 2. 814

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

wird noch zurückzukommen sein.819 Die Verpflichtung zu einer bestimmten Maßnahme kann auch hier jedenfalls nur angenommen werden, sofern sie die einzig geeignete Maßnahme zur Beseitigung des unionsrechtswidrigen Zustands darstellt. Aus Verhältnismäßigkeitsgründen kann die aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL bzw. Art. 5 VRL folgende Verpflichtung zu geeigneten Schutzmaßnahmen nicht weiter reichen als zur Vermeidung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände erforderlich ist. Ferner bedarf es auch mit Blick auf die aus Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sowie Art. 5 VRL erwachsenden Handlungsverpflichtungen der Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den im Einzelfall konfligierenden, unionsrechtlich grundsätzlich gleichermaßen anerkannten Interessen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf der einen und den Zielen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie auf der anderen Seite. Dem lässt sich je nach den Umständen des Einzelfalls durch die – gegebenenfalls unionsrechtlich überformten – Voraussetzungen der nationalen Verfahrensvorschriften Rechnung tragen. Einem solchen Verständnis steht auch die Rechtsprechung des Gerichtshof zum EU-Artenschutzrecht nicht entgegen.820 Wenngleich vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofs in Sachen Gibraltar eine generelle Freistellung genehmigter Tätigkeiten von den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen nicht in Betracht kommen mag, bedeutet dies nicht, dass im Rahmen der mitgliedstaatlichen Ermessensentscheidung über die gebotenen Schutzmaßnahmen für Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes kein Raum verbliebe.821 Auch für die insofern mit Blick auf die Durchsetzung der artenschutzrechtlichen Vorgaben gebotene Abwägungsentscheidung wird die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmeentscheidung, wie sie im nachfolgenden Abschnitt dargestellt wird, von Relevanz sein. 3. Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Falle eines Konflikts einer zugelassenen Tätigkeit mit den Vorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG im Rahmen des administrativen Vollzugs die aus den Bestimmungen der Art. 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sowie Art. 5 VRL folgenden mitgliedstaatliche Handlungsverpflichtungen zu beachten sind. Das in der nationale Umsetzungsvorschrift des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht enthaltene, von den unionsrechtlichen Verbotstatbeständen – mit Ausnahme des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL – dagegen durchgängig vorausgesetzte Merkmal einer „absichtlichen“ Schädigung der geschützten Arten kann grundsätzlich auch durch eine Tätigkeit verwirklicht sein, die sich im Rah819

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. Vgl. Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1167). 821 Vgl. Lau, NuR 2018, 840 (841); Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1167). 820

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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men einer nationalen Zulassungsentscheidung bewegt. Die mitgliedstaatliche Verpflichtung zum Erlass geeigneter und vor allem vorbeugender Schutzmaßnahmen gegenüber zugelassenen Tätigkeiten wird aktiviert, sobald Kenntnis über eine konkrete Gefährdungssituation bei den mitgliedstaatlichen Behörden besteht. Welche Schutzmaßnahmen im Einzelnen gegenüber zugelassenen Anlagen sowie Vorhaben zu ergreifen sind, richtet sich grundsätzlich nach den Verfahrensinstrumentarien des nationalen Rechts. Die aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen sind in praktische Konkordanz mit potenziell konfligierenden Bestandsschutzbelangen von Anlagenbetreibern sowie Vorhabenträgern zu bringen.

IV. Die Ausnahmemöglichkeit nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG Treten im Vollzug bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen unvorhergesehene artenschutzrechtliche Konflikte auf, besteht für den Vorhabenträger die Möglichkeit, potenziellen behördlichen Anordnungen durch eine Ausnahmezulassung zu entgehen. Im Folgenden soll zunächst auf die Voraussetzungen des für bestandskräftig zugelassene Vorhaben praktisch bedeutsamsten Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG eingegangen werden, der – übereinstimmend mit dem Wortlaut von § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG – eine Ausnahme bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ermöglicht (1.). Sodann ist auf mögliche verfahrensrechtliche Besonderheiten mit Blick auf die Situation einer vorhandenen Zulassungsentscheidung einzugehen (2.). Im Wesentlichen lässt sich hierbei auf die Ausführungen zu der Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 BNatSchG anknüpfen; herausgearbeitet werden sollen die mit Blick auf das Artenschutzrecht bestehenden Besonderheiten. 1. Ausnahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG ermöglicht eine Ausnahme bei Vorliegen zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art, sofern keine weniger beeinträchtigenden zumutbaren Alternativen gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Populationen der betreffenden Art nicht verschlechtert sowie die weiteren Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL gewahrt sind. a) Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses Der Ausnahmegrund der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses wurde Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL entnommen und stimmt inhaltlich mit der in § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG enthaltenen Voraussetzung für die Ertei-

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lung einer habitatschutzrechtlichen Ausnahme überein; die Voraussetzungen sind daher einer einheitlichen Betrachtungsweise zugänglich.822 Grundsätzlich gilt, dass an die artenschutzrechtliche Ausnahmeprüfung keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an die des Natura 2000-Gebietsschutzes.823 Mit Blick auf die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ausnahmeerteilung gelten daher im Grundsatz die zum Natura 2000-Gebietsschutz getroffenen Erwägungen entsprechend.824 Sofern die nachträgliche Ausnahmeerteilung für ein bereits bestandskräftig zugelassenes Vorhaben in Rede steht, sind neben den für die Fortführung des jeweiligen Vorhabens „an sich“ streitenden öffentlichen Interessen insofern vor allem auch Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die Bestandskraft nationaler Verwaltungsentscheidungen in die gebotene Abwägung mit den Belangen des Artenschutzes einzustellen. Mit Blick auf die Frage der Gewichtung des Artenschutzinteresses sind etwa die Anzahl der betroffenen Arten und Individuen, der Erhaltungszustand der betroffenen Arten sowie die Bedeutung des Vorkommens der betroffenen Arten für die lokale Population und für den Bestand im jeweiligen Bundesland, der Populationstrend der betroffenen Arten sowie die Eingriffssensibilität der Art zu berücksichtigen.825 In Bezug auf die erforderliche Gewichtung des öffentlichen Interesses, das für den Fortbestand eines zugelassenen Vorhabens streitet, ist mit Blick auf die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände zunächst zu berücksichtigen, dass das Unionsrecht hier keine spezifischen Verfahrensvorgaben für die Zulassung potenziell störender Nutzungen vorsieht, deren Missachtung zu Lasten der Bestandskraft einer Zulassungsentscheidung bzw. des Vertrauens des Zulassungsinhabers ins Gewicht fallen könnte.826 Umgekehrt ist in Fällen einer im Zulassungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführten artenschutzrechtlichen Prüfung dem Vertrauen des Vorhabenträgers ein besonderes Gewicht beizumessen. Von Relevanz ist dies insbesondere bei einem Einwandern besonders geschützter Arten nach Bau bzw. nach Inbetriebnahme einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage bzw. eines planfestgestellten Vorhabens, da in diesen Fällen ein entsprechendes Ver822

Vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 27. Vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3/06, juris Rn. 239; Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14/07, ZUR 2009, 141 (150); Philipp, NVwZ 2008, 593 (597); Lau, NuR 2018, 587 (592); Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 41. 824 Siehe hierzu ausführlich unter 2. Teil, B. VI. 2. 825 Müller-Mitschke, NuR 2015, 741 (746) m.w. N. 826 Siehe auch Lau, UPR 2015, 361 (366), der allgemein davon ausgeht, dass für das Überwiegen i. S. d. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG – abgesehen von Extremfällen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Projektträger und Planfeststellungsbehörde – grundsätzlich ohne Belang ist, welche Umstände zu den nunmehr als zwingenden Grund herangezogenen Bedürfnislagen geführt haben. § 45 Abs. 7 BNatSchG sei lösungsorientiert ausgestaltet; die Vorschrift habe nicht die Aufgabe, „Sünden“ der Vergangenheit – wie Fehler im Rahmen der Anlagenzulassung – zu sanktionieren. 823

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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trauen bereits ausgeübt worden ist.827 Ein schutzwürdiges Vertrauen in Fortbestand der durch die Zulassungsentscheidung konkretisierten Rechtslage kann dem Vorhabenträger auch nicht generell unter Verweis auf die fortlaufende Geltung der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG im Vollzug der Zulassungsentscheidung abgesprochen werden. Ein gegenteiliges Verständnis würde der Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung für den Bestandsschutz des Vorhabenträgers zuwiderlaufen. Vielmehr bedarf es einer Gewichtung des schutzwürdigen Vertrauens im konkreten Einzelfall. In Fällen eines durch nachträglich eingewanderte Arten verursachten Konflikts wird dabei einerseits die – insbesondere im Vergleich zur Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung – beschränkte „Haltbarkeit“ der artenschutzrechtlichen Prüfung828 zu berücksichtigen sein. Andererseits muss jedoch auch der Umstand Beachtung finden, dass der Konflikt hier auf naturräumlichen Umständen beruht, die außerhalb der Einflusssphäre des Vorhabenträgers liegen. Jedenfalls in Fällen, in denen für die Fortführung eines bestandskräftig zugelassenen Vorhabens neben Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch sonstige öffentliche Interessen streiten, werden regelmäßig „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ i. S. d. § 47 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG vorliegen. Für die bislang besonders praxisrelevanten Fälle zugelassener Windenergieanlagen ließe sich dies etwa mit Blick auf das im öffentlichen Interesse liegende Ziel einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Energieerzeugung annehmen.829 Die nachträgliche Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG könnte hier im Falle nachträglicher Konflikte mit europäisch geschützten Vogelarten jedoch aus anderen, nachfolgend darzulegenden Erwägungen anzuzweifeln sein. b) Vereinbarkeit der Ausnahmemöglichkeit mit den Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie Fraglich ist, inwieweit für das Vorhaben streitende überwiegende öffentliche Interessen und damit insbesondere Bestandsschutzgesichtspunkte eine Ausnahmezulassung auch in Fällen der Betroffenheit europäischer Vogelarten zu begründen vermögen. Der Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG sieht sich hier Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Unionsrechts ausgesetzt. Denn anders als in Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL ist ein Ausnahmegrund des überwiegenden öffentlichen Interesses in Art. 9 Abs. 1 VRL nicht ausdrücklich enthalten. Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt den abschließenden Charakter der in Art. 9 Abs. 1 VRL aufgeführten Abweichungs827

Vgl. Lau, NuR 2018, 587 (591). Lau, UPR 2015, 361 (362). Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, C. II. 1. 829 Dies stellt die durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes v. 20.07.2022, I 1362 mit Wirkung vom 29.07.2022 eingefügte Regelung des § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG nunmehr ausdrücklich klar, siehe BT-Drs. 20/2354, S. 26 f. Siehe zu den zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses allgemein unter 2. Teil, B. VI. 2. a) aa). 828

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

gründe betont830 sowie ihre enge Auslegung für geboten erachtet.831 Bereits hiernach ließ sich in Frage stellen, ob eine artenschutzrechtliche Verbotsausnahme zu Lasten europäischer Vögel in unionsrechtskonformer Weise auf „zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ gestützt werden kann.832 Bestärkt wurden die Zweifel schließlich durch das Urteil des Gerichtshofs in dem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die Republik Polen, in dem dieser eine mit § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG inhaltsgleiche Vorschrift des polnischen Naturschutzrechts unter Hinweis darauf für unionsrechtswidrig erklärte, dass Art. 9 Abs. 1 VRL einen Ausnahmegrund des zwingenden öffentlichen Interesses nicht enthält.833 Insbesondere unter dem Eindruck des vorgenannten Urteils wird in der nationalen Rechtsprechung teilweise davon ausgegangen, dass der Ausnahmetatbestand des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG auf die europäischen Vogelarten keine Anwendung finden kann.834 Überwiegend wird in Literatur835 und Rechtsprechung836 demgegenüber – auch unter dem Eindruck des EuGH-Urteils im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Polen –837 vertreten, dass Art. 9 Abs. 1 VRL zur Vermeidung von Wertungs-

830 EuGH, Urt. v. 08.07.1987, Rs. C-247/85 (Kommission/Belgien), ECLI:EU:C: 1987:339, Rn. 7; Urt. v. 07.03.1996, Rs. C-118/94 (Associazione Italiana per il World Wildlife Fund), ECLI:EU:C:1996:86, Rn. 21; Urt. v. 12.07.2007, Rs. C-507/04 (Kommission/Österreich), ECLI:EU:C:2007:427, Rn. 326. 831 EuGH, Urt. v. 08.06.2006, Rs. C-60/05 (WWF Italia u. a./Regione Lombardia), ECLI:EU:C:2006:378, Rn. 34. 832 So BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3/06, juris Rn. 262; kritisch hierzu: Steeck/ Lau, NVwZ 2009, 616 (622). Siehe allgemein zum Streitstand: Gläß, in: Giesberts/ Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 51. 833 EuGH, Urt. v. 26.01.2012, Rs. C-192/11 (Kommission/Polen), ECLI:EU:C:2012: 44, Rn. 39 (amtlich bisher nur in polnischer und französischer Sprache erschienen, siehe zur deutschen, nichtamtlichen Übersetzung: NuR 2013, 718 (720)). 834 VG Gießen, Urt. v. 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI, ZUR 2020, 430 (433 f.); in diesem Sinne auch OVG Münster, Urt. v. 29.03.2017 – 11 D 70/09.AK, juris Rn. 958; ferner: Möckel, NuR 2014, 381 (389). A. A. wohl: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.02.2020 – OVG 11 s 8/20, juris Rn. 39. 835 Dolde, NVwZ 2008, 121 (125); Kratsch, NuR 2007, 100 (105); Lütkes, NVwZ 2008, 598 (602); Philipp, NVwZ 2008, 593 (597); Kautz, NuR 2007, 234 (239); Gellermann, NuR 2007, 783 (789); Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 32. 836 VGH Kassel, Urt. v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07.T, juris Rn. 247; OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2007 – 11 B 916/06.AK, juris Rn. 84. 837 Müller-Mitschke, NuR 2015, 741 (744 f.); Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (250 f.); Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (438); Lau, NuR 2018, 587 (591); Müller/Klostermeier, NVwZ 2020, 774 (775); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 27; Schrödter/Gellermann; in: Schrödter, BauGB, § 1 a Rn. 219; jeweils m.w. N. Siehe auch VG Neustadt (Weinstraße), Beschl. v. 09.02.2017 – 3 L 121/ 17.NW, juris Rn. 65 ff.; VGH München, Urt. v. 19.02.2014 – 8 A 11.40064, 8 A 13.40004, juris Rn. 852. Offen gelassen durch OVG Lüneburg, Urt. v. 25.10.2018 – 12 LB 118/16, juris Rn. 232 und OVG Koblenz, Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 10240/18, juris Rn. 279.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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widersprüchen und zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit um einen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund des zwingenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art anzureichern sei. Die Unanwendbarkeit der Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG hätte insbesondere auch für den hier zu betrachtenden Zulassungsvollzug potenziell weitreichende Folgen, waren es bislang doch hauptsächlich Konflikte mit streng geschützten Vogelarten, die nachträgliche Betriebseinschränkungen von Windenergieanlagen nach sich zogen.838 Ein Ausnahmegrund, mit dem sich auch Aspekten der durch eine Zulassungsentscheidung vermittelten Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes angemessen Rechnung tragen ließe, wäre dem Anlagenbetreiber entzogen. Wie bereits im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Absichtsbegriff der Vogelschutzrichtlinie deutlich wurde,839 lassen sich mit Blick auf die hier interessierenden Infrastrukturvorhaben die Wertungswidersprüche nicht von der Hand weisen, die im Falle einer strikten Orientierung am Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 VRL sowohl innerhalb der Vogelschutzrichtlinie als auch im Verhältnis der Vogelschutzrichtlinie zu der FFH-Richtlinie bestünden: In artenschutzrechtlicher Hinsicht verfügt die Vogelschutzrichtlinie gegenüber der FFH-Richtlinie über einen weitreichenderen Anwendungsbereich, der sämtliche im Gebiet der Mitgliedstaaten wild lebend vorkommenden Vogelarten einschließlich diverser Allerweltsarten erfasst.840 Im Falle einer streng wortgetreuen Auslegung des Art. 9 Abs. 1 VRL unterläge eine Ausnahme für eine nicht bedrohte, in breiter Population vorkommende Vogelart einem strengeren Maßstab als eine Ausnahme für eine in ganz Europa nach Anhang IV der FFHRichtlinie streng geschützte Art.841 Die europäischen Vogelarten wären ungeachtet ihrer geringeren Schutzbedürftigkeit zudem weitergehend geschützt als die stärker gefährdeten Arten nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie in einem zu ihrem Schutz ausgewiesenen Europäischen Vogelschutzgebiet (Art. 4 Abs. 1 VRL).842 Denn für letztere findet nach Art. 7 FFH-RL die gebietsgezogene Ausnahmemöglichkeit des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Anwendung, der Ausnahmen aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zulässt.843 Bedeutsame Infrastrukturvorhaben müssten ferner selbst dann ohne Ausnahmemöglichkeit scheitern, wenn hiermit lediglich die Tötung einzelner Vögel ungefährdeter Allerweltsarten verbunden wäre, während Freizeitaktivitäten nach der

838

Siehe hierzu unter 2. Teil, C. II. 1. Siehe hierzu unter 2. Teil, C. III. 1. b). 840 Vgl. Lau, NuR 2018, 587 (591), der es vor diesem Hintergrund die Enge des Katalogs der Ausnahmegründe in Art. 9 Abs. 1 VRL für „überraschend“ ansieht. 841 Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (437); Müller/Klostermeier, NVwZ 2020, 774 (775). In diese Richtung auch Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (250). 842 Philipp, NVwZ 2008, 593 (597). 843 Philipp, NVwZ 2008, 593 (597). 839

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs844 als „vernünftige Nutzung“ i. S. d. Art. 9 Abs. 1 lit. c FFH-RL die Verbotstatbestände des Art. 5 VRL überwinden können.845 Der Versuch einer Auflösung dieser Wertungswidersprüche auf Ebene der Ausnahmezulassung ist schließlich auch einer solchen auf Tatbestandsebene vorzuziehen.846 In Frage stellen ließe sich jedoch, ob dies zwingend durch Annahme eines ungeschriebenen Ausnahmegrundes zu erfolgen hat. In der nationalen Rechtsprechung wird im Zusammenhang mit Infrastrukturvorhaben teilweise eine weite Auslegung des Begriffs der öffentlichen Sicherheit nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 4 BNatSchG befürwortet und unter Verweis auf diesen Ausnahmegrund die Frage der Anwendbarkeit des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG auf europäische Vogelarten offengelassen.847 Der Begriff der öffentlichen Sicherheit sei dahingehend auszulegen, dass er auch den Schutz des Staates und der sonstigen Träger öffentlicher Gewalt und kollektiver Schutzgüter umfasst; der im Begriff der öffentlichen Sicherheit angelegte Schutz des Staates sei außer auf bereits vorhandene Einrichtungen auch auf solche in Planung zu erstrecken; dieser Begriff erfasse damit einen Großteil der Fälle, die – wie etwa Verkehrsinfrastrukturprojekte – im Rahmen der FFH-Richtlinie regelmäßig als zwingende Gründe des öffentlichen Interesses eine Abweichung von Verbotstatbeständen ermöglichen.848 Teilweise werden dabei selbst Projekte der Windenergienutzung als Maßnahmen bewertet, die der Energieversorgungssicherheit als Teil der öffentlichen Sicherheit dienen.849 Der Ausnahmegrund der „öffentlichen Sicherheit“ ist auch in Art. 9 Abs. 1 lit. a VRL vorgesehen, sodass bezüglich seiner Anwendbarkeit auf europäische Vogelarten keine Zweifel bestehen.850 Aus dem Umstand, 844 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.10.2003, Rs. C-182/02 (Ligue pour la protection des oiseaux u. a.), ECLI:EU:C:2003:558, Rn. 11; Urt. v. 08.07.1987, Rs. C-262/85 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1987:340, Rn. 38. 845 VGH Kassel, Urt. v. 17.06.2008 – 11 C 1975/07.T, juris Rn. 247; Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (250); Dolde, NVwZ 2008, 121 (125); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 28. 846 Siehe hierzu 2. Teil, C. III. 1. b). 847 OVG Münster, Urt. v. 29.03.2017 – 11 D 70/09.AK, juris Rn. 949 ff.; OVG Koblenz, Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 10240/18, juris Rn. 278 ff.; VGH München, Urt. v. 19.02.2014 – 8 A 11.40040, juris Rn. 849 ff.; so auch: Mayr/Sanktjohanser, NuR 2006, 412 (418); ebenfalls auf die Möglichkeit eines weiten Verständnisses des Ausnahmegrundes der öffentlichen Sicherheit verweisend, ohne hierbei auf Einzelheiten einzugehen: Sobotta, NuR 2007, 642 (649). 848 OVG Koblenz, Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 10240/18, juris Rn. 278. 849 VGH Kassel, Beschl. v. 06.01.2020 – 9 B 1876/18, juris Rn. 29; VG Darmstadt Urt. v. 24.08.2018 – 6 L 4907/17.DA, juris Rn. 169; BfN, Hinweise zu den rechtlichen und fachlichen Ausnahmevoraussetzungen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG bei der Zulassung von Windenergievorhaben, 2020, S. 3; zurückhaltend: Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (251); a. A. VG Gießen, Urt. v. 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI, ZUR 2020, 430 (435). 850 OVG Koblenz, Urt. v. 06.11.2019 – 8 C 10240/18, juris Rn. 279; VG Gießen, Urt. v. 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI, ZUR 2020, 430 (435).

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dass der Ausnahmegrund der „öffentlichen Sicherheit“ den Regelungsvorgaben des Art. 9 Abs. 1 lit. a VRL und Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL entstammt, folgt jedoch auch, dass dieser im unionsrechtlichen Kontext in Anlehnung an die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs zum entsprechenden Begriff in Art. 36 AEUV851 restriktiv auszulegen ist und allein Belange im Zusammenhang mit der Existenzsicherung des Staates und seiner Einrichtungen, der Bekämpfung von Gewaltanwendungen im Inneren oder von außen sowie die Abwehr unmittelbarer oder absehbarer Gefahren für grundlegende gesellschaftliche Interessen erfasst.852 Infrastrukturvorhaben lassen sich hiernach allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen als der öffentlichen Sicherheit dienliche Maßnahmen bewerten.853 Teilweise wird erwogen, zugunsten der Vorhabenverwirklichung den Ausnahmegrund des Art. 9 Abs. 1 lit. c VRL heranzuziehen, der deutlich geringere Anforderungen an die Ausnahmeerteilung stellt als Art. 16 Abs. 1 FFH-RL.854 Hiernach kann von den artenschutzrechtlichen Verboten auch abgewichen werden, um unter streng überwachten Bedingungen selektiv den Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen zu ermöglichen. Als vernünftige Nutzung in diesem Sinne hat der Gerichtshof der Europäischen Union beispielsweise den Fang und die Haltung zur Benutzung als lebende Lockvögel für die Jagd oder zu Liebhaberzwecken auf traditionellen Messen und Märkten,855 den Fang zwecks Vermeidung von Inzucht bei der Züchtung zu Freizeitzwecken856 oder die als Freizeitbeschäftigung ausgeübte Jagd857 angesehen. Hervorgebracht wird, dass die vorhabenbedingte Verwirklichung ar851 Vgl. hierzu: Leible/T. Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 36 Rn. 21. 852 BVerwG, Urt. v. 27.01.2000 – 4 C 2.99, juris Rn. 36; VG Augsburg, Beschl. v. 13.02.2013 – Au 2 S 13.143, NuR 2013, 284 (286); VG Gießen, Urt. v. 22.01.2020 – 1 K 6019/18.GI, ZUR 2020, 430 (435); Lau, NuR 2018, 587 (591); Gellermann, NuR 2020, 178 (180); ders, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 26; Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 30; Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Einführung §§ 44–45 Rn. 31. 853 Gellermann, NuR 2020, 178 (180); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 26. Siehe hierzu auch: Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (251). 854 VGH München, Urt. v. 19.02.2014 – 8 A 11.40040, juris Rn. 851; Lau, NuR 2018, 587 (591); ders., NuR 2013, 685 (688); Frenz/Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, Einführung §§ 44–45 Rn. 31. Zustimmend: Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 51. Überlegungen in diese Richtung anstellend auch: Sobotta, NuR 2007, 642 (649). Siehe zum Merkmal des vernünftigen Grundes, welches im allgemeinen Artenschutz die Verbotsverwirklichung durch Fachplanungsvorhaben ausschließt: Louis, NuR 2004, 557 (557). 855 EuGH, Urt. v. 08.07.1987, Rs. C-262/85 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C: 1987:340, Rn. 38. 856 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, Rs. C-10/96 (ASBL), ECLI:EU:C:1996:504, Rn. 24. 857 EuGH, Urt. v. 16.10.2003, Rs. C-182/02 (Ligue pour la protection des oiseaux u. a.), ECLI:EU:C:2003:558, Rn. 11.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

tenschutzrechtlicher Verbotstatbestände sich vor diesem Hintergrund möglicherweise erst recht als „andere vernünftige Nutzung“ in diesem Sinne verstehen ließe.858 Im Ergebnis dürften die besseren Gründe für die Annahme eines ungeschriebenen Ausnahmegrundes des überwiegenden öffentlichen Interesses sprechen. Hiermit wird ein an den Betroffenheiten des konkreten Einzelfalls orientierter Ausgleich der konfligierenden Interessen ermöglicht, in den hier interessierenden Fällen einer nachträglichen Bewältigung artenschutzrechtlicher Konfliktsituationen insbesondere auch unter Einbeziehung von Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Erreichen lässt sich dies durch eine systematische Auslegung des Art. 9 VRL. Obgleich die Ausnahmegründe des Art. 9 VRL abschließend sind, können die Zielvorgaben des Art. 2 VRL bei der Auslegung der Ausnahmegründe nicht unberücksichtigt bleiben.859 Nach Art. 2 VRL treffen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen, um die Bestände aller unter Art. 1 VRL fallenden Vogelarten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, wobei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung getragen wird. Bei einer entsprechenden systematischen Auslegung unter Einbeziehung der Zielvorgaben des Art. 2 VRL schließt Art. 9 VRL Gründe sozialer und wirtschaftlicher Art und sonstige zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses als Rechtfertigung für eine Ausnahme nicht aus.860 Auch die angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Polen steht der Annahme eines ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes nicht zwangsläufig entgegen.861 In seinen Urteilsgründen hat sich der Gerichtshof mit der Problematik von Wertungswidersprüchen sowie Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Es steht daher nicht fest, ob der Gerichtshof in einem deutschen Vorlageverfahren zu einer gleichen Entscheidung kommen würde.862 Die Republik Polen hatte zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichtshofs mit der Fragestellung einen Verstoß gegen das Unionsrecht bereits eingeräumt und die Änderung des Wortlauts der von der

858 VGH München, Urt. v. 19.02.2014 – 8 A 11.40040, juris Rn. 851; Lau, NuR 2018, 587 (591). 859 Dolde, NVwZ 2008, 121 (125); Kautz NuR 2007, 234 (239). 860 Müller-Mitschke, NuR 2015, 741 (744) m.w. N.; a. A.: VG Gießen, Urt. v. 22.01. 2020 – 1 K 6019/18.GI, ZUR 2020, 430 (433). 861 Müller-Mitschke, NuR 2015, 741 (744 f.); Müller/Klostermeier, NVwZ 2020, 774 (776); Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (437); Gellermann, NuR 2020, 178 (181); Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (250 f.). 862 Müller/Klostermeier, NVwZ 2020, 774 (776); Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (437).

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Rüge betroffenen Vorschrift bereits in Gang gesetzt, weshalb der Gerichtshof zu weiteren Erörterungen nicht veranlasst gewesen sein dürfte.863 Im Ergebnis ist daher von einer Anwendbarkeit des in § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG vorgesehenen Ausnahmegrundes auch bei Betroffenheit europäischer Vogelarten auszugehen. Hingewiesen sei jedoch auf die verbleibende Rechtsunsicherheit, die bis zu einer ausdrücklichen Befassung des Gerichtshofs mit der vorstehend untersuchten Fragestellung besteht.864 Sollte das Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung im Rahmen der Ausnahmegründe der Vogelschutzrichtlinie keine Berücksichtigung finden können, sind Erwägungen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes jedenfalls mit entsprechendem Gewicht in die Entscheidung über ein nachträgliches behördliches Einschreiten einzustellen.865 c) Nichtbestehen einer zumutbaren Alternative, § 45 Abs. 7 S. 2 HS 1 BNatSchG Auch die in § 45 Abs. 7 S. 2 HS 2 BNatSchG enthaltene Voraussetzung, nach der eine Ausnahme nur zugelassen werden darf, wenn weniger beeinträchtigende zumutbare Alternativen nicht gegeben sind,866 entspricht im Wesentlichen der des europäischen Gebietsschutzrechts in § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG.867 Auch an dieser Stelle lassen sich mithin die zum Habitatschutzrecht getroffenen Erwägungen entsprechend heranziehen.868 Insbesondere bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Alternative einer Abwägung der im Einzelfall konfligierenden Interessen. Sofern ein bereits bestandskräftig zugelassenes Vorhaben in Rede steht, müssen die durch eine im äußersten Fall bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelten Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch im Rahmen der Alternativenprüfung Berücksichtigung finden. Hieraus folgt eine erhebliche Absenkung des Zumutbarkeitsmaßstabs zugunsten 863 Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (437); Gellermann, NuR 2929, 178 (181); Bick/Wulfert, NuR 2020, 250 (250 f.). 864 Auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Vorlage nach Art. 263 AEUV durch die nationalen Gerichte verweisend: Karpenstein/Engel, ZUR 2020, 437 (438); Gellermann, NuR 2020 178 (181); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 27. 865 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. c) bb). 866 Vgl. Art. 16 Abs. 1 FFH-RL, wonach die Mitgliedstaaten Ausnahmen nur zulassen, „sofern es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“. Auch nach Art. 9 Abs. 1 VRL können die Mitgliedstaaten von den entsprechenden Vorschriften der Richtlinie abweichen, „sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt“. 867 Schütte/Gerbig, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 45 Rn. 37; Frenz/Lau, in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, Einführung §§ 44–45 Rn. 25. 868 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. b).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

des Vorhabenträgers.869 Wurde ein Vorhaben auf Grundlage einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bereits errichtet und gegebenenfalls bereits in Betrieb genommen, können vor diesem Hintergrund jedenfalls Standortalternativen grundsätzlich nicht als zumutbar i. S. d. § 45 Abs. 7 S. 2 HS 1 BNatSchG angesehen werden.870 Auch Ausführungsalternativen sind dem Vorhabenträger in weitaus geringerem Umfang zuzumuten als in der Phase vor Erteilung einer Zulassungsentscheidung. d) Keine Verschlechterung, Verweilen im günstigen Erhaltungszustand, § 45 Abs. 7 S. 2 HS 2 BNatSchG Eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG kann schließlich nur zugelassen werden, wenn sich der Erhaltungszustand der Populationen der betreffenden Art nicht verschlechtert sowie die weiteren Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFHRL gewahrt sind.871 Obgleich dies keine ausdrückliche Regelung erfahren hat, ist allgemein anerkannt, dass dem Eintritt einer Verschlechterung des Erhaltungszustands mittels populationsstärkender Maßnahmen begegnet werden kann, den sogenannten FCS-Maßnahmen.872 Derartige Maßnahmen können sich als erforderlich erweisen, wenn der Erhaltungszustand der betroffenen Population sich andernfalls verschlechtern würde oder dies jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann.873 e) Verbleibender Ermessensspielraum der Behörde? Liegen die Ausnahmevoraussetzungen nach § 45 Abs. 7 S. 1, 2 BNatSchG vor, „können“ die zuständigen Behörden eine artenschutzrechtliche Ausnahme von den Verboten des § 44 BNatSchG erteilen. Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob es sich aufgrund der bereits dezidierten tatbestandlichen Regelung der Ausnahmevoraussetzungen bei dem hierdurch eröffneten Ermessen generell um ein intendiertes Ermessen mit der Folge handelt, dass die Ausnahme zumindest im 869 Weitergehend: Lau, NuR 2018, 587 (592): Ihm zufolge sind außerhalb der von der bestehenden Genehmigung belassenen Spielräumen von vornherein keine Alternativen denkbar, wenn man zu dem für die Ausnahme maßgeblichen Zielbündel im Hinblick auf Bestandsvorhaben auch den Grundsatz der Rechtssicherheit zählt. 870 Vgl. hierzu auch Lieber, NuR 2012, 655 (670 f.), dem zufolge vor dem Hintergrund des faktisch und rechtlich Möglichen im Falle einer nachträglichen Alternativenprüfung ein Ausweichen etwa auf einen anderen Standort oder eine andere Trasse ausgeschlossen oder zumindest nicht zweckmäßig sein kann. 871 Unterschiedlich beurteilt wird, inwiefern dem Verweis des § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG auf etwaige weitere Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL eine praktische Bedeutung zukommt. Siehe hierzu im Einzelnen: Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 60. 872 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 32. 873 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 32.

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

227

Regelfall zu erteilen ist.874 Jedenfalls für den hier in Rede stehenden Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG, der eine Abwägung der für das Vorhaben sprechenden zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses mit den Belangen des besonderen Artenschutzrechts vorsieht, ist entsprechend den Erwägungen zu § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG875 von einem zumindest intendierten Ermessen der zuständigen Behörde auszugehen. 2. Verfahrensrechtliche Aspekte der nachträglichen Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht lässt sich weitestgehend auf die zur nachträglichen Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gefundenen Erkenntnisse zurückgreifen. a) Keine immanente Ausnahmezulassung kraft Genehmigungs- und Konzentrationswirkung für unerkannte artenschutzrechtliche Konflikte Für die hier interessierenden Fälle, in denen die artenschutzrechtlichen Konflikte im Zulassungsverfahren nicht bekannt waren, lässt sich einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen oder einem Planfeststellungsbeschluss keine immanente Ausnahmegenehmigung kraft Konzentrations- und Gestattungswirkung entnehmen.876 Die Entbehrlichkeit einer gesonderten (nachträglichen) Ausnahmegenehmigung für Konflikte, die in der Zulassungsentscheidung nicht bewältigt wurden, würde faktisch auf eine pauschale Freistellung immissionsschutzrechtlich genehmigter sowie planfestgestellter Tätigkeiten von den Vorgaben des EU-Artenschutzrechts hinauslaufen. Dies stünde, wie seitens des Gerichtshof in der Rechtssache Gibraltar festgestellt, in Widerspruch zu den materiellen Vorgaben der Art. 12, 13, 16 FFH-RL bzw. der Art. 5, 9 VRL.877 Neben einer Umgehung der materiellen Ausnahmevoraussetzungen, würde eine allumfassenden Ausnahmegenehmigung auch diversen formellen Anforderungen nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG i.V. m. Art. 16 Abs. 3 FFH-RL und Art. 9 Abs. 2 VRL nicht gerecht.878 Erforderlich sind hiernach insbesondere Angaben dazu, für welche Arten die auf Grundlage dieser Vorschriften ergangenen Ausnahmege874 Für ein intendiertes Ermessen: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 45 Rn. 16; wohl auch: Gläß, in: Giesberts/Reinhard, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 37; a. A. Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 14; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 45 Rn. 33. 875 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. d). 876 Siehe zu den entsprechenden Erwägungen zu der Ausnahme nach § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG: 2. Teil, B. VI. 3. a). 877 Siehe hierzu unter 2. Teil, C. I. 2. 878 Lieber, NuR 2012, 665 (666); siehe auch Lau, UPR 2015, 361 (365).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

nehmigungen gelten.879 Ferner darf nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jeder Eingriff, der die unionsrechtlich geschützten Arten betrifft, nur auf Grundlage einer Entscheidung genehmigt werden, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen ist, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL bzw. Art. 9 Abs. 1 und 2 VRL vorgesehenen Gründe, Bedingungen und Anforderungen an eine Ausnahmeerteilung Bezug genommen wird.880 Für die Annahme einer Ausnahmegenehmigung kraft Konzentrationswirkung muss sich der Begründung eines Planfeststellungsbeschlusses daher zumindest im Wege der Auslegung entnehmen lassen, hinsichtlich welcher Tierarten und in welchem Umfang sowie nach welcher Alternative des § 44 Abs. 1 BNatSchG die Verbotstatbestände als erfüllt angesehen werden881 und dass die Behörde die materiellen Voraussetzungen für die Ausnahme als gegeben erachtet hat.882 Vorstehende Anforderungen sind nicht erfüllt, wenn die vorhabensbedingte Beeinträchtigung einer bestimmten Art zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung objektiv noch nicht erkennbar war oder (fehlerhaft) nicht erkannt wurde.883 b) Zuständigkeit der Naturschutzbehörde im einfachen Verwaltungsverfahren Für die Erteilung einer nachträglichen Ausnahmezulassung von den Verbotswirkungen des § 44 Abs. 1 BNatSchG ist nach § 45 Abs. 7 BNatSchG die Naturschutzbehörde zuständig. Die Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 13 BImSchG sowie auch die des Planfeststellungsbeschlusses nach § 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG endet mit Erlass der Zulassungsentscheidung,884 sodass sich mit ihr eine Zuständigkeit der jeweiligen Zulassungsbehörde für die nachträgliche Ausnahmeerteilung nicht begründen lässt. Insbesondere ist auch in der nachträglichen Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG jedenfalls für sich genommen keine Planänderung zu sehen.885 879 Art. 16 Abs. 3 lit. a FFH-RL, Art. 9 Abs. 2 lit. a VRL; siehe hierzu: Lau, UPR 2015, 361 (365); Lieber, NuR 2012, 665 (666). 880 EuGH, Urt. v. 08.06.2008 – 9 A 14/07, Rs. C-60/05 (WWF Italia u. a.), ECLI: EU:C:2006:378, Rn. 34 (zu Art. 9 Abs. 1 und 2 VRL); Urt. v. 14.06.2007, Rs. C-342/ 05 (finnischer Wolf), ECLI:EU:C:2007:341, Rn. 25 (zu Art. 16 Abs. 1 FFH-RL). Auf diese Rspr. verweisend: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 62; Lieber, NuR 2012, 665 (666). Siehe auch: Fischer, I+E 2014, 93 (98). 881 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 08.07.2009 – 8 C 10399/08, juris Rn. 295. 882 Vgl. zum Planfeststellungsbeschluss: BVerwG, Urt. v. 18.06.1997 – 4 C 3/95, NVwZ-RR 1998, 292 (295); VGH Kassel, Urt. v. 28.06.2005 – 12 A 8/05, NuR 2006, 42 (53); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 153. 883 Lieber, NuR 2012, 665 (666). 884 Siehe hierzu auch noch unter 2. Teil, D. II. 4. b) aa) und 2. Teil, D. II. 4. b) bb) (1). 885 Lau, UPR 2015, 361 (365, 368); Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, Artenschutz- und Umweltschadensrecht bei zugelassenen Straßenbauvorhaben, 2016, Teil A, S. 13 f.; a. A.: Lieber, NuR 2012, 665 (670). Ausführlich zu dieser Diskussion: Fischer, I+E 2014, 93 (98 ff.).

C. Bedeutung des EU-Artenschutzrechts für zugelassene Vorhaben

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Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die nachträgliche Ausnahmeentscheidung der Bewältigung solcher Konflikte dient, die das Artenschutzrecht gerade nicht als Zulassungsvoraussetzung, sondern als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt betreffen.886 Mithin geht mit der Ausnahmeerteilung an sich auch keine Abänderung des Regelungsgehalts des Planfeststellungsbeschlusses einher, die zwingend einer Entscheidung durch die Planfeststellungsbehörde bedürfte. Soweit es um die Durchsetzung eingriffsorientierten Gefahrenabwehrrechts und nicht um der Zulassungserteilung vorgelagerte Kontrollmechanismen geht, bietet die formelle Konzentrationswirkung keine Grundlage dafür, die Kompetenzen der für die Gefahrenabwehr zuständigen Behörde auf die Planfeststellungsbehörde zu verlagern.887 Allerdings bedarf es einer Planänderung durch die Planfeststellungsbehörde dann, wenn die Ausnahmeerteilung einen Eingriff in das Abwägungsgefüge des Planfeststellungsbeschlusses erfordert.888 Dies kann etwa der Fall sein, wenn es zur Sicherstellung der Ausnahmevoraussetzungen nach § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG noch der Festsetzung populationsstützender Maßnahmen bedarf, die ihrerseits wieder abwägungsrelevante Konflikte auslösen, weil ihre Durchführung einen Zugriff auf das Eigentum Dritter erfordert oder sonstige öffentliche Belange berührt.889 3. Zwischenfazit Die vorstehende Untersuchung hat ergeben, dass mit Blick auf die im Zulassungsvollzug fortlaufend beachtlichen artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses nach § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG besteht. Mit ihr lässt sich den durch eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelten Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes Rechnung tragen. Von einer Anwendbarkeit des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG ist insbesondere auch im Falle einer Betroffenheit von europäischen Vogelarten auszugehen. Wie auch im Rahmen der entsprechenden habitatschutzrechtlichen Ausnahmemöglichkeit des § 33 Abs. 1 S. 2 886

Vgl. Fischer, I+E 2014, 93 (99); Lau, UPR 2015, 361 (365). Fischer, I+E 2014, 93 (100). 888 Lau, UPR 2015, 361 (365). So auch: Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, Artenschutz- und Umweltschadensrecht bei zugelassenen Straßenbauvorhaben, 2016, Teil A, S. 13 f. 889 Lau, UPR 2015, 361 (365); Ministerium für Verkehr und Infrastruktur BadenWürttemberg, Artenschutz- und Umweltschadensrecht bei zugelassenen Straßenbauvorhaben, 2016, Teil A, S. 13 f. und Teil D, S. 16 f. und 21 f. A. A. offenbar: Fischer, I+E 2014, 93 (101): Eine Planänderung kann ihm zufolge erst dann angenommen werden, wenn eine erforderliche Ausnahmegenehmigung versagt wird, das Vorhaben mithin ohne Verstoß gegen ordnungsrechtliche Vorschriften nicht mehr wie geplant realisierbar ist und daher umgeplant werden muss. Vergleichbares gelte, wenn artenschutzrechtlich gebotene Projektänderungen mit planungsrechtlicher Relevanz erforderlich werden, etwa weil für die Realisierung von CEF-Maßnahmen i. S. d. § 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG zusätzlicher Grunderwerb unabdingbar werde. 887

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

i.V. m. § 34 Abs. 3 BNatSchG vermittelt eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung dem Vorhabenträger zwar keine Garantie für die Erteilung einer nachträglichen Ausnahmezulassung von den Verbotsvorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG; ihre Erteilung ist jedoch im Vergleich zur Situation der Vorhabenzulassung aufgrund der Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsschutzbelangen zumindest erleichtert. Die nachträgliche Ausnahmezulassung erfolgt grundsätzlich durch die Naturschutzbehörde im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens.

D. Handlungsinstrumente zur verfahrensrechtlichen Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen Vorhaben Die vorstehende Analyse des EU-Arten- und Gebietsschutzrechts hat ergeben, dass auch eine Tätigkeit, die sich im Rahmen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses bewegt, die Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG verwirklichen kann. Für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand relevant sind die Fälle nachträglicher naturräumlicher Veränderungen sowie neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, ferner die Situation einer bereits anfänglich fehlerbehafteten naturschutzrechtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren. Zu denken ist schließlich an die weniger praxisrelevanten Fälle neuer Natura 2000-Schutzgebiete bzw. einer nachträglichen Korrektur ihrer Gebietsgrenzen sowie die nachträgliche Unterschutzstellung von Arten. Ersichtlich wurde ferner, dass es insbesondere die Vermeidungs- und Schutzverpflichtungen des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sowie Art. 12, 13 FFH-RL, Art. 5 VRL im Einzelfall erfordern können, den Verbotstatbeständen der §§ 33, 44 BNatSchG unter Aufhebung oder Abänderung des Regelungsgehalts einer Zulassungsentscheidung zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Angesichts des Ermessensspielraums, der dem Mitgliedstaat diesbezüglich eröffnet ist, reicht die Bandbreite der denkbaren Instrumentarien von der Auferlegung nachträglicher Schutzmaßnahmen über die Einschränkung des Genehmigungsumfangs bis hin zur vollständigen oder teilweisen Aufhebung der Genehmigung.890 In Betracht kommt schließlich auch die Anordnung einer Stilllegung oder des Abrisses einer bereits errichteten und betriebenen Anlage. Inwieweit das nationale Recht ein hinreichendes Handlungsinstrumentarium zur Durchsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben auch gegenüber bestandskräftig genehmigten bzw. planfestgestellten Anlagen und Vorhaben beinhaltet, bedarf einer näheren Untersuchung. Wie bereits festgehalten wurde, enthalten zumindest die allgemeinen planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG keine Ein890

OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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griffsgrundlagen, die eine nachträglichen Anpassung oder Aufhebung bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen ermöglichen.891 Das Handlungsinstrumentarium des Immissionsschutzrechts ist vorrangig auf die Durchsetzung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten angelegt; die Durchsetzung der Anforderungen des sonstigen öffentlichen Rechts richtet sich nach dem jeweiligen Fachrecht. Die §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG stellen als rein materiell-rechtliche Vorschriften indes weder Aufgaben- noch Befugnisnormen dar; weder begründen sie eine Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Behörden zur Durchsetzung der in diesen Vorschriften normierten Verbotswirkungen noch können sie als verfahrensrechtliche Eingriffsgrundlage für unmittelbar vorhabenbezogene belastende Maßnahmen herangezogen werden.892 Auch im Übrigen enthält das Bundesnaturschutzgesetz kein spezielles naturschutzrechtliches Eingriffsinstrumentarium, das – vergleichbar mit den Regelungen der §§ 7, 17, 21 BImSchG für die dynamischen Betreiberpflichten des Immissionsschutzrechts – eine differenzierte verfahrensseitige Durchsetzung des allgemeinen Verschlechterungsverbots oder der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände gegenüber zugelassenen Vorhaben ermöglicht.893 Von einer unzureichenden Umsetzung der aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Schutz- und Vermeidungspflichten wäre indes nur auszugehen, wenn das nationale Recht auch im Übrigen keine hinreichende Grundlage zur Sicherstellung des in den §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG normierten Schutzstandards enthalten würde. Ein mitgliedstaatliches Tätigwerden ist allein dann geboten, wenn der bestehende Rechtszustand nicht bereits den Richtlinienvorgaben entspricht.894 Vorrangig ist daher stets der Versuch zu unternehmen, dem Unionsrecht im Wege richtlinienkonformer Auslegung des bestehenden nationalen Rechts Rechnung zu tragen. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass selbst die zum Beihilferecht ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die weitgehende Überformungen der nationalen Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG erforderlich machte,895 den nationalen Gesetzgeber nicht zu Modifikationen der bestehenden Gesetzeslage veranlassen konnten.896 Dies vorangestellt, soll im folgenden Abschnitt dargelegt werden, welche Konfliktbewältigungsinstrumentarien das nationale Recht zur Durchsetzung der Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber unanfechtbar genehmigten immissionsschutzrechtlichen Anlagen sowie planfestgestellten Vor891

Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 2. b). Zu § 44 BNatSchG: Gläß, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 44 Rn. 42; zu § 33 BNatSchG: Appel, NuR 2020, 663 (669). 893 Appel, NuR 2020, 663 (669). 894 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 288 Rn. 119. 895 Siehe hierzu unter 1. Teil, B. II. 896 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 34. 892

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

haben enthält. Hierbei sind verschiedene Aspekte von Relevanz: Zum einen ist zu untersuchen, inwieweit die im nationalen Recht vorhandenen Instrumentarien im Einzelfall eine hinreichende Durchsetzung der unionsrechtlichen Handlungsverpflichtungen, andererseits aber auch eine Berücksichtigung von Bestandsschutzgesichtspunkten ermöglichen. Von Interesse ist ferner die Frage, ob sich die im Allgemeinen angenommene „erhöhte Beständigkeit“ von Planfeststellungsbeschlüssen, die auf eine erhöhte Änderungsfestigkeit nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zurückgeführt wird, auch gegenüber den Anforderungen des EU-Arten- und Habitatschutzrechts zum Ansatz bringen lässt.

I. (Teil-)Aufhebung der Zulassungsentscheidung Zu betrachten ist zunächst, inwieweit ein Konflikt mit den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG die nationalen Behörden zur Aufhebung der hier zu betrachtenden Zulassungsentscheidungen berechtigen bzw. verpflichten kann. Bevor im Einzelnen auf die Voraussetzungen eines Widerrufs (2.) sowie die einer Rücknahme (3.) eingegangen wird, ist zunächst die Anwendbarkeit der Aufhebungsvorschriften auf die hier zu untersuchenden Zulassungsformen zu untersuchen (1.). 1. Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse: Besondere Beständigkeit aufgrund fehlender Aufhebungsmöglichkeit nach Unanfechtbarkeit? Während die Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unzweifelhaft nach Maßgabe des § 21 BImSchG sowie des § 48 VwVfG möglich ist,897 wird bereits unterschiedlich beurteilt, ob bzw. in welchem Umfang die Aufhebungsvorschriften der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse Anwendung finden können. Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen zur Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen finden sich in den Fachplanungsgesetzen nur vereinzelt.898 Die Anwendbarkeit der allgemeinen Aufhebungsvorschriften ist entscheidend für die Frage, inwieweit Planfeststellungsbeschlüssen gegenüber sonstigen Zulassungsentscheidungen eine besondere Beständigkeit zukommt. Teilweise werden die §§ 48, 49 VwVfG jedenfalls dann als durch die Spezialregelungen des Planfeststellungsrechts verdrängt angesehen, soweit es um den Anspruch Dritter auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Widerruf 897 Siehe hierzu nur: Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 2 f. 898 Siehe z. B. § 57 Abs. 3 S. 2 WindSeeG, der die Planfeststellungsbehörde zur Aufhebung eines zuvor ergangenen Planfeststellungsbeschlusses im Falle einer Gefahr für die Meeresumwelt, einer Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, einer Beeinträchtigung der Sicherheit der Landes- und Bündnisverteidigung oder sonstiger überwiegender öffentlicher Belange ermächtigt.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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oder die Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes geht.899 Verwiesen wird hierbei insbesondere auf die in § 75 Abs. 2 VwVfG geregelte Ausschlusswirkung des Planfeststellungsbeschlusses. Aus dieser ergebe sich, dass den durch ein Planvorhaben Betroffenen nach Unanfechtbarkeit des Beschlusses – abgesehen von dem Ausnahmefall des Eintritts unvorhersehbarer Auswirkungen – keine rechtliche Möglichkeit mehr eröffnet sein soll, den Planfeststellungsbeschluss erneut in seinem Bestand anzugreifen.900 Dieser dem Anlagenbetreiber eingeräumte Schutz würde im Falle einer Rückgriffsmöglichkeit Drittbetroffener auf die allgemeinen Aufhebungsvorschriften entwertet.901 Vereinzelt wird die Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse darüber hinaus generell – und nicht allein in Bezug auf die Ansprüche Drittbetroffener – abgelehnt.902 Hervorgebracht wird diesbezüglich, dass die Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse mit der spezifischen Funktion des Planfeststellungsverfahrens unvereinbar sei, in einem besonders ausgestalteten Verfahren eine prinzipiell umfassende und abschließende Entscheidung über die öffentlich-rechtliche Zulässigkeit eines konkreten Vorhabens hinsichtlich seiner Lage, Gestalt und Einfügung in die Umgebung herbeizuführen.903 Zum Ausdruck komme dies unter anderem in der erhöhten Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses, die durch die Wirkungen des § 75 Abs. 2 VwVfG erreicht werde.904 Darüber hinaus lasse sich den in §§ 74, 75 VwVfG angelegten Charakteristika des Planfeststellungsbeschlusses, ein komplexes Interessengeflecht mit Wirkungen gegenüber zahlreichen Betroffenen und Allgemeinwohlbelangen zu regeln und zu gestalten, über Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG nicht hinreichend Rechnung tragen.905 Denn Letztere seien prinzipiell auf zweiseitige Rechtsverhältnisse angelegt.906 899 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.11.1995 – 4 K 2/95, juris Rn. 56; VGH Kassel, Beschl. v. 17.06.1992 – 2 Q 195/92, NVwZ-RR 1993, 588 (589). 900 VGH Kassel, Beschl. v. 17.06.1992 – 2 Q 195/92, NVwZ-RR 1993, 588 (589). 901 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.11.1995 – 4 K 2/95, juris Rn. 56; Grupp, DVBl 1990, 81 (89); für einen weitgehend abschließenden Charakter des § 75 Abs. 2 S. 2–4 VwVfG mit Blick auf Ansprüche Dritter auch: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 76 ff., die zugleich aber Durchbrechungen von diesem Grundsatz bei einer Überschreitung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle sowie bei Vollzug des Unionsrechts bzw. des europarechtlich begründeten nationalen Rechts zulässt. 902 Grupp, DVBl 1990, 81 (88 ff.); in diese Richtung auch: OVG Magdeburg, Urt. v. 16.11.1995 – 4 K 2.95, juris Rn. 54; die Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG auf die behördliche Rücknahme oder den Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses offenlassend: VGH Kassel, Beschl. v. 17.06.1992 – 2 Q 195/92, NVwZ-RR 1993, 588 (589). 903 Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 904 Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 905 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.11.1995 – 4 K 2.95, juris Rn. 57; Grupp, DVBl 1990, 81 (89 f.). 906 OVG Magdeburg, Urt. v. 16.11.1995 – 4 K 2.95, juris Rn. 57; Grupp, DVBl 1990, 81 (89 f.).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Die hinter der Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG stehende Befürchtung, dass andernfalls Vorhaben mit unvorhergesehenen und für die Allgemeinheit oder den Einzelnen nicht hinnehmbaren Auswirkungen auf Grundlage bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse realisiert werden könnten, sei weitgehend unbegründet.907 Teilweise könne der Eintritt möglicher Nachteile für das Gemeinwohl durch die Vorhabennutzung bereits auf Grundlage speziell hierfür geschaffener Bestimmungen des Fachplanungsrechts verhindert werden.908 Im Übrigen bedürfe es nachträglicher Anordnungen zugunsten von Allgemeinwohlbelangen regelmäßig auch deshalb nicht, da die Gemeinwohlverträglichkeit bereits im Rahmen der Abwägung vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses zu berücksichtigen sei.909 Nachfolgende tatsächliche Veränderungen, die zu schweren Nachteilen für das Gemeinwohl führen können, dürften zum einen höchst selten sein und zum anderen kaum bei Errichtung der Anlage, sondern allenfalls bei der Nutzung auftreten.910 Für die Überwachung des Betriebs eines planfestgestellten Vorhabens sei die Planfeststellungsbehörde nicht zuständig, in den entsprechenden Fachgesetze hinreichende Ermächtigungen zur Gefahrenabwehr vorgesehen.911 Verwiesen wird schließlich darauf, dass es sich bei den Trägern planfeststellungsbedürftiger Vorhaben regelmäßig um Stellen der öffentlichen Verwaltung handelt.912 Bei diesen sei davon auszugehen, dass sie bei drohenden schweren Nachteilen für das Gemeinwohl oder einer nachträglichen Veränderung der Planungsgrundlagen – und damit in den für § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und Nr. 5 VwVfG relevanten Fällen – bereits von sich aus entweder eine Änderung des festgestellten Plans beantragen oder die Durchführung des Vorhabens endgültig aufgeben werden, sodass ohnehin die Bestimmung des § 76 VwVfG oder die des § 77 VwVfG zur Anwendung käme.913 Entsprechendes gelte für die Fälle, in denen das öffentliche Interesse eine Korrektur der Rechtsverletzung gebiete; eine Anwendung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG erweise sich hier daher als nicht notwendig.914 Das Bundesverwaltungsgericht915 sowie die nunmehr wohl herrschende Literaturauffassung916 halten demgegenüber die allgemeinen Aufhebungsvorschriften 907

Grupp, DVBl 1990, 81 (88). Grupp, DVBl 1990, 81 (88). 909 Grupp, DVBl 1990, 81 (88). 910 Grupp, DVBl 1990, 81 (88). 911 Grupp, DVBl 1990, 81 (88). 912 Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 913 Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 914 Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 915 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (282); Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 7001.11, NVwZ 2013, 297 (298); Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 7001/11, NVwZ 2013, 297 (298); Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1.96, NVwZ 1998, 281 (282); Urt. v. 19.12.2017 – 3 A 8/15, NVwZ 2018, 501 (503); Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, NVwZ 908

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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der §§ 48, 49 VwVfG auch auf unanfechtbare Planfeststellungsbeschlüsse für grundsätzlich anwendbar. Die Systematik des Planfeststellungsrechts soll jedoch die Auslegung und Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG beeinflussen. Die hiernach gebotenen Modifikationen betreffen dabei vorrangig die Durchsetzung von Ansprüchen Drittbetroffener: Soweit die Rücknahme eines Planfeststellungsbeschlusses aufgrund seiner anfänglichen Rechtswidrigkeit in Betracht kommt, sei der in § 75 Abs. 1a VwVfG zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz der Planerhaltung zu beachten.917 Lasse sich ein Mangel des Planfeststellungsbeschlusses im ergänzenden Verfahren oder durch Planergänzung beheben, schließe dies seine auf diesen Mangel gestützte vollständige Rücknahme aus.918 Ein Widerruf nach Maßgabe des § 49 VwVfG komme – entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – nur als ultima ratio in Betracht, sodass Dritte einen Widerruf nur verlangen können, wenn Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen.919 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts soll die erhöhte Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen gerade in dieser durch § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG beschränkten Anwendung der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen über Rücknahme und Widerruf zum Ausdruck kommen und nicht in ihrer grundsätzlichen Unanwendbarkeit.920 Vorgenannter Auffassung ist zuzustimmen. a) Kein abschließender Charakter der §§ 72 ff. VwVfG Für die Anwendbarkeit der allgemeinen Aufhebungsregelungen spricht zunächst, dass § 72 VwVfG, der einen ausdrücklichen Anwendungsausschluss für 2021, 152 (154); ferner: OVG Koblenz, Urt. v. 22.04.1986 – 6 A 16/85, NJW 1986, 2779 (2780); VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 31. 916 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (295); Kautz, NuR 2017, 93 (96); Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (580); Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 20; Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 232; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 113 f.; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 188; Schink, in: Knack/ Henneke, VwVfG, § 72 Rn. 60; Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 72 Rn. 28. 917 Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 189; Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 19; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 117. 918 Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 19; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 117. 919 BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 – 4 A 2/15, NVwZ 2016, 1325 (1327); Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283); Beschl. v. 16.12.2003 – 4 B 75/03, NVwZ 2004, 865 (867); Urt. v. 28.04.2016 – 4 A 1/15, NVwZ 2016, 1325 (1327); VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 31; Wickel, in: Fehling/ Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 22; Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 19; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 190. 920 BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 – 4 A 2/15, NVwZ 2016, 1325 (1327); Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

bestimmte Vorschriften normiert, die Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG anders als die Vorschrift des § 51 VwVfG gerade nicht erfasst.921 Auch werden die §§ 48, 49 VwVfG nicht durch die planfeststellungsrechtlichen Spezialregelungen der §§ 73 ff. VwVfG verdrängt.922 Diese Vorschriften betreffen lediglich Einzelaspekte, die dem Gesetzgeber aufgrund der Eigenart von Planfeststellungsbeschlüssen als regelungsbedürftig erschienen; sie bilden indes kein geschlossenes Regelwerk, mit dem die Änderung oder Aufhebung bestandskräftiger Planfeststellungsbeschlüsse abschließend erfasst wird.923 § 76 VwVfG betrifft die wesentliche Änderung des festgestellten Planes vor Fertigstellung des Vorhabens. Anders als bei wesentlichen Änderungen geht es bei Rücknahme und Widerruf nicht um eine planerisch-gestaltende Aufgabe, sondern um die Rückführung auf den ursprünglichen „vorplanerischen“ Rechtszustand.924 Mit der Regelung des § 77 VwVfG sollte nach Willen des Gesetzgebers den Bedürfnissen der Praxis entsprechend eine zusätzliche Aufhebungsmöglichkeit über die allgemeinen Aufhebungsregelungen hinaus geschaffen werden, die den in § 77 VwVfG geregelten Fall sogenannter „steckengebliebener Vorhaben“ nicht erfassen.925 Hieraus lässt sich nicht schließen, dass durch diese punktuelle Sonderregelung die für unzureichend erachteten Aufhebungsregelungen vollständig ersetzen werden sollten.926 Schließlich steht auch die Regelung des § 75 Abs. 2 VwVfG einer Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG nicht entgegen. § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG beschränkt sich auf die Regelung der Auswirkungen der Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen; zu der in den §§ 48, 49 VwVfG geregelten Durchbrechung der Bestandskraft enthält sie keine Aussage.927 Aus § 75 Abs. 2 S. 2 921 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (282); Urt. v. 31.07. 2012 – 4 A 7001/11, 4 A 7002/11, 4 A 7003/11, NVwZ 2013, 297 (298); Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, NVwZ 2021, 152 (154); Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (580); Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 18. 922 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (282) für die Vorschrift des § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG. Diese Frage noch offenlassend: BVerwG, Urt. v. 14.09.1992 – 4 C 34–38/39, NVwZ 1993, 362 (363). 923 BVerwG, Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, NVwZ 2021, 152 (154); VGH Mannheim, Urt. v. 04.07. 2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 31; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 113. 924 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1.96, NVwZ 1998, 281 (282); so auch Bell/ Herrmann, NVwZ 2004, 288 (294). 925 BT-Drs. 7/910, S. 90; BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (282). 926 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (282); so auch Bell/ Herrmann, NVwZ 2003, 288 (295); Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 77 Rn. 2a. 927 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1.96, NVwZ 1998, 281 (282); Urt. v. 31.07. 2012 – 4 A 7001/11, 4 A 7002/11, 4 A 7003/11, NVwZ 2013, 297 (298); ähnlich: Ziekow, VerwArch 99 (2008), 559 (580); Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 19.

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VwVfG lässt sich bereits nicht ableiten, dass die subjektiv-rechtlichen Ansprüche Dritter gegen das unanfechtbar planfestgestellte Vorhaben dort abschließend geregelt sein sollen.928 Soweit es um die hier interessierenden Fälle der Aufhebung eines Plans im Allgemeinwohlinteresse geht, vermag ein Rekurs auf diese Vorschrift als Argument gegen die Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG von vornherein nicht zu überzeugen.929 Zu berücksichtigen ist schließlich, dass mittlerweile auch von Seiten des Gesetzgebers die Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG auf Planfeststellungsbeschlüsse in einigen Vorschriften des Fachplanungsrechts vorausgesetzt wird.930 b) Vereinbarkeit der Aufhebungsvorschriften mit dem Charakter des Planfeststellungsbeschlusses als Planungsentscheidung Auch der Charakter des Planfeststellungsbeschlusses lässt sich einer Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG nicht in überzeugender Weise entgegen halten.931 Zwar mag es zutreffen, dass ein Planfeststellungsbeschluss ein komplexes Interessengeflecht gestaltet und eine Vielzahl belastender, begünstigender, personaler und dinglicher Wirkungen entfaltet, während dem „einfachen“ Verwaltungsakt häufig ein bloß zweiseitiges Rechtsverhältnis zugrunde liegt.932 Eine solche Typisierung vermag die Möglichkeit einer Aufhebung im Wege des Widerrufs oder der Rücknahme indessen nicht auszuschließen. Denn im Bereich des Fachplanungs- und Umweltrechts werden viele komplexe Verhältnisse in einem förmlichen Verwaltungsverfahren geregelt, ohne dass die Aufhebung einer diesbezüglichen Entscheidung grundsätzlich ausgeschlossen wäre.933 Im Übrigen gilt auch in diesem Zusammenhang, dass Rücknahme und Widerruf keine planerisch-gestaltenden Maßnahmen, sondern lediglich eine Rückführung auf den ursprünglichen Rechtszustand darstellen.934 Aus dem Charakter des Planfeststellungsbeschlusses als Planungs- und Abwägungsentscheidung kann daher nicht gefolgert werden, dass er allein durch eine erneute Planungs- und Abwägungsentscheidung aufgehoben werden kann.935 Soweit Gegenteiliges nicht ausdrücklich fachgesetz928 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283); Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 188. 929 Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 18; gegen eine Ausschlusswirkung des § 75 Abs. 2 VwVfG für die Aufhebung im Gemeinwohlinteresse auch: Ziekow, VwVfG, § 72 Rn. 33. 930 Vgl. § 57 Abs. 6 WindSeeG, § 14 Abs. 6 SeeAnlG. 931 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283). 932 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283). 933 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 281 (295); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283). 934 BVerwG, Urt. v. 21.05.1997 – 11 C 1/96, NVwZ 1998, 281 (283); Urt. v. 31.07. 2012 – 4 A 7001/11, 4 A 7002/11, 4 A 7003/11, NVwZ 2013, 297 (298). 935 BVerwG, Urt. v. 31.07.2012 – 4 A 7001/11, 4 A 7002/11, 4 A 7003/11, NVwZ 2013, 297 (298); Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 188.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lich angeordnet ist,936 bedarf es für die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses daher auch nicht der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens im Sinne der actus-contrarius-Doktrin.937 c) Praktisches Aufhebungsbedürfnis auch im Falle öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sowie zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen Der Verweis auf die angesichts der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft planfeststellungsbedürftiger Vorhaben regelmäßig fehlende Notwendigkeit für die Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG vermag bereits angesichts der zunehmenden Anzahl der sich in privater Trägerschaft befindlichen Vorhaben nicht mehr zu überzeugen.938 Vormals in öffentlich-rechtlicher Vorhabenträgerschaft stehende Vorhaben werden zunehmend privatisiert, das Instrument der Planfeststellung überdies auf neue Anwendungsbereiche ausgedehnt, in denen in der Praxis ohnehin nur Private auftreten.939 Die Bindung an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung lässt sich hier nicht zum Ansatz bringen, was die Frage nach zusätzlichen Eingriffsmöglichkeiten aufwirft.940 Ferner kann das Bedürfnis nach einem Rückgriff auf die allgemeinen Aufhebungsvorschriften der §§ 48 und 49 VwVfG auch im Falle einer Betriebsaufgabe durch einen hoheitlichen Vorhabenträger bestehen. Dies betrifft insbesondere die Phase nach Fertigstellung und Inbetriebnahme des planfestgestellten Vorhabens. Selbst wenn der hoheitliche Vorhabenträger hier die weitere Durchführung des Vorhabens aufgrund drohender schwerer Nachteile für das Gemeinwohl oder nachträglicher Veränderungen der Planungsgrundlagen infolge seiner Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG von sich aus aufgibt, kommt eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach § 77 VwVfG nicht (mehr) in Betracht. Denn wenngleich die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus auch auf Vorhaben anwendbar sein mag, mit deren Ausführung noch nicht begonnen worden ist,941 ist ihre Anwendung ausgeschlossen, sofern die weitere Nutzung eines bereits fer-

936 Nach § 14 Abs. 1 S. 1 WaStrG bedarf etwa die Beseitigung von Bundeswasserstraßen der vorherigen Planfeststellung. 937 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (295); Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 77 Rn. 13a; Geiger, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 34. 938 Vgl. Bell/Hermann, NVwZ 2004, 281 (295); Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 38. 939 Dies betrifft etwa die Planfeststellung nach §§ 43 ff. EnWG für Hochspannungsund Gasversorgungsleistungen. Siehe hierzu: Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 117; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 1 Rn. 22. 940 Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 38. 941 BVerwG, Beschl. v. 10.11.2004 – 4 B 57/04, NVwZ 2005, 327 (328).

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tig gestellten und in Betrieb genommenen Vorhabens aufgegeben wird.942 Hierfür streitet neben dem Wortlaut der Vorschrift auch, dass die Bestimmung des § 77 VwVfG ausweislich der Gesetzesbegründung dazu dienen soll, in den Fällen sogenannter steckengebliebener Vorhaben, deren Umsetzung mithin nicht zum Abschluss gekommen ist, die rechtliche Grundlage für Aufhebung und Rückbau zu schaffen.943 Die Annahme einer unmittelbaren Unwirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses im Falle einer Betriebsaufgabe durch den Vorhabenträger aufgrund „anderweitiger Erledigung“ i. S. d. § 43 Abs. 2 VwVfG begegnet Bedenken im Hinblick auf den Aspekt der hinreichend klaren Erkennbarkeit einer endgültigen Aufgabe planfestgestellter Anlagen.944 Da eine Erledigung „auf sonstige Weise“ allein aufgrund erledigender äußerer Umstände und ohne einen administrativen Feststellungsakt eintritt, sind an die Erkennbarkeit vergleichsweise strenge Anforderungen zu stellen.945 Handelt es sich bei Planfeststellungsbeschlüssen um Allgemeinverfügungen i. S. d. § 35 S. 2 VwVfG, die Wirkungen gegenüber jedermann entfalten,946 muss auch die endgültige Aufgabe der planfestgestellten Anlage eine hinreichende Publizität aufweisen, d. h. allgemein und für jedermann ohne Weiteres erkennbar sein.947 Erforderlich ist entweder ein klarer Hoheitsakt über die Aufgabe der planungsrechtlichen Zweckbestimmung oder das Vorliegen der Voraussetzungen für die Funktionslosigkeit des Planfeststellungsbeschlusses.948 Für die Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG besteht daher jedenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit auch gegenüber hoheitlichen Vorhabenträgern ein praktisches Bedürfnis. Der Umstand, dass Hoheitsträgern eine Berufung auf den Vertrauensschutzgrundsatz verwehrt ist, kann lediglich zu Beschränkungen bei der Anwendung der allgemeinen Aufhebungsvorschriften führen.949 Sofern darauf verwiesen wird, dass zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen auf Grundlage der §§ 48 und 49 VwVfG kein Bedürfnis bestehe, vermag 942 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (459); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 77 Rn. 9; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 77 Rn. 13; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 77 Rn. 2; differenzierend: Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 3, dem zufolge § 77 VwVfG Anwendung finden soll, sofern ein fertig gestelltes Vorhaben nach der Herstellung von Anfang an nicht betrieben wurde. 943 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (459). 944 Vgl. Ramsauer, DVBl 2019, 457 (462 f.). 945 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (463). 946 Geiger, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 1; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 19. 947 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (463). 948 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (463). 949 Für die Unanwendbarkeit der § 48 Abs. 2 und 3 VwVfG: BVerwG, Urt. v. 27.04. 2006 – 3 C 23/05, LKV 2006, 558 (560); Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (295); Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 58. Siehe zu der Unanwendbarkeit des Vertrauensschutzgrundsatzes auf Hoheitsträger auch unter 1. Teil, A. II. 3.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Anforderungen des europäischen Artenund Gebietsschutzrechts verdeutlichen dies. Die Untersuchung dieser Rechtsmaterien hat gezeigt, dass naturräumliche Veränderungen nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses im Einzelfall auch eine nachträgliche Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses erfordern können. Wie im Folgenden noch zu präzisieren sein wird, lässt sich diesem Bedürfnis mit den fachplanungsrechtlichen sowie naturschutzrechtlichen Instrumentarien allein nicht vollumfänglich Rechnung tragen. d) Uneingeschränkte Anwendbarkeit bei Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen Nach vorstehenden Erwägungen ist von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG jedenfalls dann auszugehen, sofern es um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen und damit auch die Vorgaben des besonderen Arten- und Habitatschutzrechts geht. Zu konstatieren ist, dass sich das gängige Verständnis einer erhöhten Beständigkeit eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses gegenüber anderen Zulassungsformen unter Zugrundelegung der herrschenden Auffassung vorrangig auf die Ausschlusswirkung des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG und damit auf den Schutz gegenüber Ansprüchen Drittbetroffener und weniger auf seine Beständigkeit gegenüber der Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen bezieht. Zwar kann auch im Hinblick auf Allgemeinwohlbelange der Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur ultima ratio sein.950 Auch wenn § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG diesbezüglich keine spezielle Regelung trifft, kommt der Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses auch hier nur dann in Betracht, wenn mildere Maßnahmen wie die nachträgliche Anordnung von Schutzauflagen zum Schutz der öffentlichen Güter nicht ausreichen.951 Bei dieser aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Beschränkung handelt es sich indes gerade um kein Spezifikum des Planfeststellungsrechts. Da die Vorschrift des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG lediglich Ansprüche Dritter betrifft, können sich aus dieser Vorschrift für die Anwendung der §§ 48 und 49 VwVfG beim Vorgehen der Planfeststellungsbehörde von Amts wegen zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen keine Einschränkungen ergeben. Vereinzelt wird hier demgegenüber eine teleologische Reduktion der Tatbestände der §§ 48, 49 VwVfG dergestalt für geboten erachtet, dass die Wertungen bzw. die einschränkenden Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 VwVfG für Ansprüche Dritter als zusätzliche Voraussetzungen auf die Tatbestände der §§ 48, 49 950 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 47; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 116. 951 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (294); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 116.

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VwVfG übertragen werden.952 Bei einer Aufhebung oder Änderung des Planfeststellungsbeschlusses zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen gestützt auf §§ 48, 49 VwVfG sei zusätzlich zu verlangen, dass die Auswirkungen, aufgrund derer eine Änderung der Zulassung vorgenommen werden soll, bei Erlass der Planfeststellung zum einen nicht vorhersehbar gewesen sein dürfen und zum anderen erheblich sein müssen.953 Die weiteren Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 VwVfG, dass die Maßnahmen nicht untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sein dürfen, müssten dagegen nicht als zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen bei der Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG verlangt werden; ihre Berücksichtigung sei hinreichend bei der Ermessensausübung möglich.954 Keine Geltung sollen die zusätzlichen Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG bei der Anwendung der §§ 48, 49 VwVfG in Fachplanungsgebieten beanspruchen, in denen eine Regelung zu nachträglichen Auflagen von Amts wegen besteht, die im Vergleich zu § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG geringere Voraussetzungen enthalten.955 Ebenfalls zu verzichten sei auf diese Voraussetzung bei einer verfassungsrechtlichen Relevanz des zu regelnden Konflikts – etwa bei einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Beeinträchtigung der Umwelt, die somit in den Schutzbereich von Art. 20a GG fällt –956 oder im Falle eines europarechtlichen Hintergrunds.957 Wenngleich auch vorgenannte Auffassung zu der uneingeschränkten Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG gelangen dürfte, sofern es um die Durchsetzung der hinter den Vorgaben des besonderen Arten- und Habitatschutzrechts stehenden Vorgaben der FFH- und Vogelschutzrichtlinie geht, sei darauf hingewiesen, dass die besseren Gründe gegen eine einschränkende Auslegung der Widerrufsund Rücknahmevorschriften unter Heranziehung der Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG sprechen. Unter Berufung auf die „besondere Bestandskraft“ des Planfeststellungsbeschlusses958 lässt sich eine dahingehende teleologische Reduktion bereits deshalb nicht begründen, da der Gesetzgeber durch die Ausge952

Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 121 f. Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 122. 954 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 122. 955 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 124. 956 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 123. 957 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 123; weitergehend: Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 24, die die Heranziehung der §§ 48, 49 VwVfG als Ermächtigungsgrundlage für nachträgliche Anordnungen in Form der Teilrücknahme oder des Teilwiderrufs allein dann für möglich erachten, sofern es um die Wahrung höherrangigen Rechts wie etwa zwingender europarechtlicher Vorgaben geht. Sofern es allein um die Erfüllung einfachgesetzlicher Anforderungen des sekundären materiellen Rechts gehe, sei ein nachträglicher Zugriff auf die planfestgestellte Anlage zum Wohl der Allgemeinheit dagegen wohl allein beim Vorliegen entsprechender spezialgesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen zum Widerruf bzw. zur Rücknahme möglich. 958 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 122. 953

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

staltung des einfachen Rechts gerade Umfang und Grenzen des Bestandsschutzes festlegt.959 Soll die Vorschrift des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG lediglich in beschränkten Ausnahmefällen die Ausschlusswirkung des § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG für Ansprüche Dritter beseitigen, lassen sich die Wertungen dieser Vorschrift auf die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen von Amts wegen nur schwerlich übertragen. Dies verdeutlichen letztlich auch die Rückausnahmen, die die vorgenannte Auffassung von der Übertragung der Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG auf die Fälle einer Aufhebung aus Allgemeinwohlgründen trifft. e) Zwischenfazit Mit Blick auf die im vorstehenden Abschnitt untersuchte Frage der Anwendbarkeit der allgemeinen Aufhebungsvorschriften lässt sich im Ergebnis festhalten, dass die §§ 48, 49 VwVfG – vorbehaltlich fachplanungsrechtlicher Sonderregelungen – auch auf Planfeststellungsbeschlüsse grundsätzlich uneingeschränkt Anwendung finden, sofern es um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen und damit auch die Vorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts geht. Die Voraussetzungen für die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses lassen sich im Folgenden daher gemeinsam mit denen für die Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung darlegen. 2. Widerruf, § 49 VwVfG, § 21 BImSchG Mit Blick auf die hier interessierende Durchsetzung der im Vorhabenvollzug fortlaufend beachtlichen Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG ist insbesondere die Aufhebungsmöglichkeit des Widerrufs von Relevanz. Die Voraussetzungen des Widerrufs eines Planfeststellungsbeschlusses als begünstigenden Verwaltungsakt richten sich nach § 49 Abs. 2 VwVfG. Hiernach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den dort normierten Widerrufsgründen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Eine entsprechende Regelung trifft für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen § 21 Abs. 1 BImSchG. Die dort normierten Widerrufsgründe entsprechen denen des § 49 Abs. 2 VwVfG. Ist die sachliche Zuständigkeit für die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht ausdrücklich geregelt, ist nach allgemeinen Grundsätzen diejenige Behörde sachlich zuständig, die im Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes sachlich zuständig wäre.960 Dies ist in der Regel die Erlassbehörde,961 mithin für Planfest959

Siehe hierzu unter 1. Teil, A. II. 1. BVerwG, Urt. v. 30.10.2018 – 2 A 1/18, NVwZ-RR 2019, 278 (279); Schoch, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 48 Rn. 329. 961 Pautsch, in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, § 49 Rn. 40, 86; Schoch, in: Schoch/ Schneider, VwVfG, § 48 Rn. 329. 960

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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stellungsbeschlüsse die Planfeststellungsbehörde. Für den Widerruf nach § 21 BImSchG ergibt sich die ausschließliche Zuständigkeit der Immissionsschutzbehörde bereits ausdrücklich aus der Regelung selbst, in der an mehreren Stellen die Zuständigkeit der Genehmigungsbehörde vorausgesetzt wird, vgl. § 21 Abs. 2, 3 und 4 BImSchG. Im Folgenden sind zunächst die Widerrufsvoraussetzungen im Hinblick auf die Durchsetzung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG im Zulassungsvollzug zu untersuchen [a) und b)]. Sodann ist auf die behördliche Ermessensentscheidung [c)] sowie die Rechtsfolgen einer Widerrufsentscheidung einzugehen [d)]. a) Rechtmäßigkeit der Zulassungsentscheidung Dem Wortlaut von § 21 BImSchG bzw. § 49 VwVfG zufolge kann Gegenstand des Widerrufs allein eine im Zeitpunkt ihrer Erteilung rechtmäßige Genehmigung sein. Anfänglich rechtswidrig erteilte Genehmigungen können dagegen nach den in der Regel weniger strengen Voraussetzungen des § 48 VwVfG zurückgenommen werden. Da der Inhaber einer rechtswidrigen Zulassungsentscheidung jedoch nicht besser behandelt werden kann als derjenige, dessen Genehmigung rechtmäßig ist, finden die Widerrufsvorschriften nach überwiegender Auffassung auch auf rechtswidrige Zulassungsentscheidungen entsprechende Anwendung.962 Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes ist dabei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes.963 Dies gilt auch für den Planfeststellungsbeschluss964 sowie die immissionsschutzrechtliche Genehmigung.965 Insbesondere handelt es sich bei diesen Formen der Zulassungsentscheidung um keine Dauerverwaltungsakte, die – abweichend von vorgenannten Maßstäben – rechtswidrig werden, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach ihrer Erteilung ändert.966 962 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 24; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 6; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 6; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 15. 963 Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 31; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 48 m.w. N. 964 St. Rspr. des BVerwG, vgl. nur BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07, NVwZ 2010, 123 (125); Beschl. v. 07.07.2010 – 7 VR 2.10, juris Rn. 21 m.w. N.; Beschl. v. 17.01.2013 – 7 B 18.12, juris Rn. 27 m.w. N.; Urt. v. 11.08.2016 – 7 A 1.15, ZUR 2016, 665 (666); Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, juris Rn. 27. 965 BVerwG, Beschl. v. 11.01.1991 – 7 B 102.90, NVwZ-RR 1991, 236 (236); OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.09.2020 – 12 ME 29/20, juris Rn. 39; VG München, Beschl. v. 24.08.2016 – M 1 SN 16.2024, juris Rn. 22. 966 Zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung: BVerwG, Beschl. v. 11.01.1991 – 7 B 102/90, juris Rn. 3; OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.09.2020 – 12 ME 29/20, juris Rn. 39; zum Planfeststellungsbeschluss: BVerwG, Urt. v. 28.04.2016 – 4 A 2.15, juris Rn. 28.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Entspricht die artenschutzrechtliche Prüfung dem zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung geltenden aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnisstand, führen nachträgliche Erkenntnisse betreffend einer übersehenen Art oder nicht vorhergesehene Auswirkungen des Vorhabens daher nicht zur Rechtswidrigkeit der Zulassungsentscheidung.967 (Unions-)Rechtswidrig ist die Zulassungsentscheidung hingegen zumindest dann, wenn der in Bezug auf die Bestandserfassung sowie Auswertung der vorhandenen Erkenntnisse anzulegende Prüfungsmaßstab der „praktischen Vernunft“ im Zulassungsverfahren nicht eingehalten wurde.968 Auch mit Blick auf die Anforderungen des Natura 2000-Gebietsschutzes kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zulassungsentscheidung weiterhin im Sinne einer ex-ante-Prüfung darauf an, ob die erfolgte Natura 2000Verträglichkeitsprüfung im Zeitpunkt des Erlasses der Zulassungsentscheidung den Anforderungen des § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 FFH-RL und damit insbesondere dem Standard der „besten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprach.969 Die Verschiebung des maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts in der Waldschlößchenbrücken-Entscheidung auf den aktuellen Zeitpunkt970 betrifft allein die aufgrund der Dauerverpflichtung des Mitgliedstaats nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene nachträgliche Verträglichkeitsprüfung.971 Da die Regelung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG im Zulassungszeitpunkt durch die Spezialregelung des § 34 BNatSchG verdrängt wird, kann ein Verstoß gegen die Vorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG mithin nicht die Rechtswidrigkeit einer Zulassungsentscheidung bewirken; dies kann allein eine Missachtung der Vorgaben des § 34 BNatSchG. Hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit bedarf es mit Blick auf Prognoseentscheidungen, um die es sich bei der Beurteilung der Vereinbarkeit eines zur Zulassung stehenden Vorhabens oder einer Anlage mit den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts handelt, insofern einer Differenzierung zwischen fehlerhaften und fehlgeschlagenen Prognosen.972 Eine fehlerhafte Prognose kann sich im Ergebnis als richtig erweisen; umgekehrt kann sich eine fehlerfreie Prognose im Ergebnis als unrichtig erweisen.973 Eine fehlgeschlagene Prognose führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung, wenn sie entweder auf einer

967

Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475). Lieber, NuR 2012, 665 (665). Siehe auch Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (475). Vgl. zum artenschutzrechtlichen Prüfungsmaßstab unter 2. Teil, A. III. 1. b). 969 Korbmacher, UPR 2018, 1 (7); Appel, NuR 2020, 663 (668). Siehe zu den Anforderungen an eine rechtmäßige Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG unter 2. Teil, A. II. 2. 970 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 1. c). 971 Vgl. Korbmacher, UPR 2018, 1 (7); Appel, NuR 2020, 663 (668). 972 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (545). 973 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (545). 968

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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unzutreffenden Prognosebasis oder auf einer ungeeigneten Prognosemethode beruht und damit fehlerhaft ist.974 b) Widerrufsgründe aa) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Von besonderer Relevanz für die hier zu betrachtenden Fallkonstellationen ist der Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG kann eine Genehmigung widerrufen werden, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die gemäß § 6 BImSchG zur Versagung der Genehmigung geführt hätten, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Entsprechenden Voraussetzungen unterliegt der Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses nach Maßgabe des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG. (1) Nachträglich eingetretene Tatsachen Nachträglich eingetreten sind Tatsachen, wenn sie nach der Genehmigungserteilung, d. h. nach ihrer Wirksamkeit i. S. d. § 43 VwVfG aufgetreten sind.975 Zu den nachträglich eingetretenen Tatsachen i. S. d. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG zählen insbesondere auch solche, die für andere als die immissionsschutzrechtlichen Anforderungen i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG relevant sind; erfasst sind damit auch natur- oder artenschutzrechtlich relevante Veränderungen im Einwirkungsbereich der Anlage.976 Von Bedeutung ist dies insbesondere mit Blick auf die in der Praxis vermehrt auftretenden Fälle, in denen geschützte Arten nachträglich in den Einwirkungsbereich einer zugelassenen Anlage einwandern.977 Neue Tatsachen i. S. d. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG sind nach herrschender Auffassung ferner auch nachträglich gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse über Gefahren, die von bestimmten Betriebsweisen ausgehen können, oder auch solche naturschutzfachlicher Art.978 Der Wider974

Ramsauer, DVBl 2020, 540 (545). Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 10; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 35; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 29 f.; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 34; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 34. 976 Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 31. Zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG: OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 10. 977 Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 35; siehe hierzu auch unter 2. Teil, C. II. 1. 978 Zu § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG: BVerwG, Beschl. v. 15.02.1988 – 7 B 219/87, NVwZ 1988, 824 (825); Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 11; Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 11.1; Feldhaus, in: Feldhaus, 975

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

rufsgrund ist daher in Betracht zu ziehen, wenn die in der Zulassungsentscheidung getroffene naturschutzfachliche Bewertung über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem EU-Arten- und Habitatschutzrecht nachträglich durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage gestellt wird. Keine nachträgliche Tatsache i. S. d. Nr. 3 liegt hingegen vor bei einer Neubewertung979 oder nachträglichen behördlichen Kenntnisnahme980 eines bereits im Zulassungszeitpunkt verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisstands. In diesen Fällen ist der Verwaltungsakt gegebenenfalls rechtswidrig, sodass allenfalls eine Rücknahme nach § 48 VwVfG möglich ist.981 Zu berücksichtigen ist schließlich, dass ein Widerruf aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen nur in Betracht kommt, wenn sich die Rechtslage nach Erlass des Verwaltungsaktes nicht ebenfalls maßgeblich geändert hat.982 Für den Fall einer Änderung der rechtlichen Grundlagen ist ein Widerruf allein unter den strengeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG zulässig.983 Werden die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG nach Erlass der Zulassungsentscheidung infolge einer nachträglichen Unterschutzstellung eines Gebiets(teils) oder einer Art anwendbar, ist ein Widerruf nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG daher ausgeschlossen.984

BImSchG, § 21 Rn. 28; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 36; Appel, in: Appel/ Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 35; für den Widerruf eines Planfeststellungsbeschlusses nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG: BVerwG, Beschl. v. 27.05.2015 – 3 B 5/ 15, NVwZ 2016, 323 (325). 979 BVerwG, Urt. v. 11.12.1990 – 6 C 33/88, NVwZ 1991, 577 (578); Zitzelsberger, GewArch 1990, 271 (271 f.); Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 64; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 36; Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 32; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 35. 980 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 62; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 37; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 11; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 29; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 33; Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 32. 981 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 62; Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 32. 982 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 40; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 68; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 90. 983 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 40; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 68; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 90; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 37; Hansmann/ Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 33; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 11. 984 Entsprechendes gilt für die vorliegend nicht näher zu untersuchenden Fälle, in denen die Vorgaben der §§ 33, 44 BNatSchG im Zulassungszeitpunkt bereits dem Grunde nach keine Geltung beanspruchten, siehe hierzu: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 40.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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(2) Berechtigung zur Nichterteilung der Genehmigung Nachträglich eingetretene Tatsachen rechtfertigen einen Widerruf nur, wenn eine entsprechende Tatsachenlage seinerzeit die Nichterteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses gerechtfertigt hätte. Bei einem Verstoß gegen die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG wäre dies – vorbehaltlich einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG – der Fall.985 Mit Blick auf den Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG muss die Gebietsunverträglichkeit des Projekts durch eine den Anforderungen des § 34 Abs. 2 BNatSchG genügende Verträglichkeitsprüfung festgestellt werden, um einen Widerruf nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG begründen zu können. Nur dann läge eine Unzulässigkeit des Projekts nach § 34 Abs. 2 BNatSchG vor, die – vorbehaltlich einer Ausnahmezulassung nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG – zu einer Verweigerung der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses berechtigen würde.986 Der Widerrufsgrund der Nr. 3 eignet sich nach Vorstehendem mithin insbesondere auch als Ansatzpunkt für die Durchführung einer nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotenen nachträglichen Verträglichkeitsprüfung, die stets auf den aktuellen Zeitpunkt ihrer Prüfung abstellt und den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG zu entsprechen hat.987 Das Nichtvorliegen der jeweiligen Ausnahmevoraussetzungen bildet nach Vorstehendem sowohl mit Blick auf die Vorgaben des EU-Artenschutzrechts als auch die des Natura 2000-Gebietsschutzrechts Voraussetzung für die Annahme eines Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG. Mit Blick auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung als gebundene Entscheidung ist zu berücksichtigen, dass nachträglich eingetretene Tatsachen bei der gebotenen fiktiven Betrachtung die Genehmigungsversagung ferner dann nicht rechtfertigen, wenn die veränderte Sachlage – wäre sie zum Zeitpunkt der Genehmigung bekannt gewesen – durch die Beifügung von Auflagen oder sonstigen Nebenbestimmungen zur Genehmigung ausreichend berücksichtigt werden könnte.988 Soweit es um die Durchsetzung immissionsschutzrechtlicher Pflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geht, ist solchen nachträglich eingetretenen Tatsachen vielmehr im Wege einer nachträglichen Anordnung nach § 17 BImSchG

985

Siehe hierzu unter 2. Teil, A. III. Siehe hierzu unter 2. Teil, A. II. 987 Siehe zu der Frage nach der verfahrensrechtlichen Implementierung der nachträglichen Verträglichkeitsprüfung unter 2. Teil, B. IV. 3. a). 988 Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 31; Koch/Roller, in: Führ, GKBImSchG, § 21 Rn. 31; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 38; Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 35; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 36. 986

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Rechnung zu tragen.989 Allein wenn die hiernach erforderliche nachträgliche Anordnung aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht getroffen werden darf, soll die Behörde gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 BImSchG unter den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 Nrn. 3–4 BImSchG die Genehmigung widerrufen.990 Zwar fehlt es für sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG an einer dem § 17 Abs. 2 S. 2 BImSchG vergleichbaren Regelung. Indes können Nebenbestimmungen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ausweislich des Wortlauts des § 12 BImSchG, der sich allgemein auf § 6 BImSchG bezieht, auch zur Sicherstellung der Anforderungen des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG beigefügt werden.991 Insofern ließe sich erwägen, ob die Widerrufsmöglichkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG tatbestandlich zumindest dann ausscheidet, wenn sich die Vereinbarkeit mit den in Rede stehenden sonstigen öffentlichrechtlichen Bestimmungen durch eine nachträgliche Anordnung herstellen lässt. In vorliegendem Zusammenhang kann diese Frage jedoch im Ergebnis dahinstehen, da sich – wie noch zu konkretisieren sein wird – nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG, die mit Beschränkungen der Gestattungswirkung verbunden sind, weder auf § 17 BImSchG noch auf sonstige Bestimmungen des öffentlichen Rechts stützen lassen. Diese Situation ist der in § 17 Abs. 2 S. 2 BImSchG geregelten Situation gleichzustellen, sodass ein Widerruf nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 BImSchG möglich bleibt.992 (3) Gefährdung des öffentlichen Interesses Schließlich muss ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet sein. Hierbei handelt es sich um eine zusätzliche Tatbestandsvoraussetzung, weshalb einerseits die bloße Verletzung des materiellen Rechts nicht ausreicht.993 Aus einem Vergleich zum Widerrufsgrund der Nr. 5 ergibt sich andererseits, dass eine Gefährdung des öffentlichen Interesses bei Nr. 3 nicht erst bei schweren Nachteilen für das Gemeinwohl angenommen werden kann.994 Erforderlich ist daher eine 989 Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 33; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 38; Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 35; Appel, in: Appel/ Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 36. 990 Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 35; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 36. 991 Vgl. Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 133. 992 Vgl. Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 9. 993 Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 33; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 35; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 39; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 37. 994 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 35; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 39; Koch/Roller, in: Führ, GKBImSchG, § 21 Rn. 36; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 12; Sachs, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 69.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter.995 Jedenfalls angesichts des unionsrechtlich gebotenen Schutzes von Natura 2000-Gebieten sowie den nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie geschützten Arten kann bei Verstößen gegen die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG von einer Gefährdung des öffentlichen Interesses im vorgenannten Sinne ausgegangen werden.996 bb) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG Nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG kommt ein Widerruf in Betracht, wenn die Behörde aufgrund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, die Genehmigung bzw. den Planfeststellungsbeschluss nicht zu erteilen, soweit der Betreiber bzw. Vorhabenträger von der Genehmigung bzw. dem Planfeststellungsbeschluss noch keinen Gebrauch gemacht hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. (1) Nachträgliche Rechtsänderung, Berechtigung zur Nichterteilung der Genehmigung, Gefährdung des öffentlichen Interesses Neben den vorliegend nicht untersuchungsgegenständlichen Fällen, in denen die Vorgaben des besonderen Arten- und Habitatschutzrechts im Zulassungszeitpunkt noch keine Geltung beanspruchten,997 ist der Widerrufsgrund der Nr. 4 in Betracht zu ziehen bei der Aufnahme weiterer FFH-Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, der Unterschutzstellung weiterer Vogelschutzgebiete oder bei der nachträglichen Korrektur der Gebietsgrenzen. Mit Blick auf die artenschutzrechtlichen Vorgaben wäre an den Fall zu denken, dass eine zutreffend erfasste, kollisionsgefährdete, jedoch nicht besonders geschützte Art erst nach Genehmigungserteilung in eine der Listen nach § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 13 BNatSchG aufgenommen und so dem Schutzregime des § 44 BNatSchG unterstellt wird.998 Von den „geänderten Rechtsvorschriften“ i. S. d. § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG sind sowohl immissionsschutzrechtliche als auch sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG erfasst.999 Sollte aufgrund einer derartigen nachträglichen Rechtsänderung nunmehr ein Verstoß gegen die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG vorliegen, wäre die Behörde – vorbehaltlich einer entsprechenden Ausnahmezulas995

Abel, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 57. Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547); Lau, NuR 2018, 840 (843). 997 Siehe hierzu: Kahl, NVwZ 2011, 449 (453); Glaser, EuZW 2010, 225 (227); Gärditz, DVBl 2010, 247 (249); Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 30 ff. 998 Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1168). 999 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 36. 996

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

sung – zur Nichterteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses berechtigt. Hier gelten insofern dieselben Erwägungen wie zu § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG.1000 Auch die Gefährdung des öffentlichen Interesses ließe sich entsprechend annehmen.1001 (2) Noch kein Gebrauchmachen von der Zulassungsentscheidung In der Praxis dürfte ein Widerruf in den für die §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG relevanten Fällen jedoch regelmäßig an der weiteren Voraussetzung des § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG scheitern, nach der von der Genehmigung bzw. Vergünstigung noch kein Gebrauch gemacht worden sein darf.1002 Ein Gebrauchmachen von der Vergünstigung liegt vor, wenn der Begünstige den Verwaltungsakt „ins Werk“ gesetzt hat, mithin im Falle von Genehmigungen mit der Realisierung des zugelassenen Vorhabens begonnen worden ist.1003 Werden die Regelungen der §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG infolge nachträglicher Rechtsänderungen erst in der Betriebsphase eines Vorhabens anwendbar, scheidet ein Widerruf nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG mithin grundsätzlich aus. Fraglich ist, inwieweit die Voraussetzung des Nichtgebrauchmachens von der Vergünstigung aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unangewendet bleiben muss. Mit dem Merkmal, nach dem der Begünstigte von der ihm durch Verwaltungsakt gewährten Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht haben darf, ist der Widerruf anlässlich einer nachträglichen Änderung der rechtlichen Grundlage des Verwaltungsaktes nach nationaler Systematik an strengere Voraussetzungen geknüpft als in Fällen einer nachträglich veränderten Sachlage. Im Rahmen der gebotenen Abwägung der konfligierenden Belange1004 hat der Gesetzgeber damit dem Vertrauensschutz des Begünstigten hier ein besonderes Gewicht gegenüber dem Interesse an einer nachträglichen Anpassung des Verwaltungsaktes beigemessen.1005 Dieser durch die einschränkenden Voraussetzun1000

Siehe 2. Teil, D. I. 2. b) aa) (2). Siehe 2. Teil, D. I. 2. b) aa) (3). 1002 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 43 ff.; Gärditz, DVBl 2010, 247 (249). 1003 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 43; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 106. Mit Blick auf immissionsschutzrechtliche Genehmigungen wird für das Gebrauchmachen überwiegend auf den Beginn der Anlagenerrichtung abgestellt; bloße Vorbereitungsmaßnahmen sollen demgegenüber nicht ausreichen, Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 47. 1004 Siehe zu dem Auftrag des Gesetzgebers, das Spannungsverhältnis zwischen diesen gegenläufigen Prinzipien aufzulösen: 1. Teil, A. II. 2. 1005 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 40. 1001

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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gen des § 21 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG vermittelte besondere Vertrauensschutz gegenüber nachträglichen Rechtsänderungen bleibt grundsätzlich auch in Fällen maßgeblich, in denen es um die Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben geht.1006 Denn auch die Unionsrechtsordnung erkennt die Verpflichtung zur Gewährleistung von Vertrauensschutz an; der allgemeinen aus Art. 4 Abs. 3 EUV erwachsenden Verpflichtung des Mitgliedstaats zur Herstellung unionsrechtskonformer Zustände steht sie prinzipiell gleichwertig gegenüber.1007 Wie die Untersuchung zum Natura 2000-Gebietsschutz1008 sowie EU-Artenschutzrecht1009 gezeigt hat, erfordern die aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats grundsätzlich nichts Abweichendes. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die zu ergreifenden Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen sind die Belange des Arten- und Habitatschutzrechts in praktische Konkordanz mit Aspekten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu bringen. Es begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, dass dem insofern auch unionsrechtlich gebotenen Ausgleich der konfligierenden Belange nach nationaler Ausgestaltung bereits im Rahmen der Widerrufsvoraussetzungen Rechnung getragen ist. Der Begünstigte muss sich nicht generell darauf verweisen lassen, dass Vertrauensschutzerwägungen durch die im nationalen Recht bestehende Entschädigungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 6 VwVfG hinreichend Rechnung getragen wäre. Denn die Entschädigung vermag stets nur ein subsidiäres Instrument zu sein und lässt das Erfordernis eines wirksamen Grundrechtsschutz durch Bestandsschutz nicht entbehrlich werden.1010 Eine hinreichende Verwirklichungschance für die Anwendbarkeit neuer Unionsregelungen auch gegenüber bereits bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten, wie sie vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Papenburg gefordert wurde,1011 lässt sich im Einzelfall über eine unionsrechtskonforme Auslegung des Widerrufsgrundes nach § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG hinreichend sicherstellen.1012 Das Unionsrecht erfordert inso1006

Vgl. Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 28. Siehe hierzu unter 1. Teil, B. II. und 2. Teil, B. II. 2. c). 1008 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 2. 1009 Siehe hierzu unter 2. Teil, C. III. 2. 1010 Glaser, EuZW 2010, 225 (227). 1011 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. I. 1. a). 1012 Siehe hierzu: Gärditz, DVBl 2010, 247 (249 f.); Glaser, EuZW 2010, 225 (227); Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 32; Kastner, in: Fehling/ Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 57; Kahl, NVwZ 2011, 449 (452), der de lege ferenda die Aufnahme eines speziellen Widerrufsgrundes zur Durchsetzung nachträglich erlassenen Unionsrechts vorschlägt, sollte sich die Rechtssache Papenburg zu einer Doktrin verfestigen. Für die Einordnung der Rechtssache Papenburg als Sonderfall noch: von Bogdandy/Schill, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 51. EL September 2013, EUV, Art. 4 Rn. 89; anders dann offenbar bei: Schill/Krenn, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 65. EL August 2018, EUV, Art. 4 Rn. 98. 1007

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

fern nicht, dass das Merkmal des Nichtgebrauchmachens von der Vergünstigung in § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unangewendet bleiben müsste. cc) Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG, § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG Der Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG soll schwere Nachteile für das Gemeinwohl verhindern oder beseitigen. Er dient als Auffangtatbestand für unabweisbare Ausnahmefälle, in denen die übrigen Widerrufsgründe nicht greifen.1013 Die Regelung bedarf einer dementsprechend engen Auslegung.1014 Für die Annahme von „schweren Nachteilen für das Gemeinwohl“ ist jedenfalls die bloße Beeinträchtigung oder Gefährdung des öffentlichen Interesses, wie sie in § 21 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 VwVfG gefordert wird, gerade nicht ausreichend.1015 Ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl kann dagegen eine konkrete Gefahr für bedeutende Rechtsgüter wie das Leben oder die Gesundheit von Menschen sein.1016 Der Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG lässt sich ferner heranziehen, um nachträglichen und unabdingbaren Anforderungen des Unionsrechts Rechnung zu tragen, die insbesondere über den Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG nicht hinreichend erfasst werden.1017 Entsprechend den Erwägungen, wie sie zum Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 4 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwVfG getroffen wurden, begegnet es zwar einerseits Bedenken, bereits in jedem Verstoß gegen die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG allein aufgrund ihres unionsrechtlichen Hintergrundes einen schwereren Nachteil für das Gemeinwohl i. S. d. § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG bzw. § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG erkennen zu wollen.1018 Andererseits ist jedenfalls in Fällen, in denen die Regelungen der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG 1013 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 44; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 109; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 17; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 48; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 45. 1014 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 44; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 109. 1015 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 82; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 44. 1016 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 44; Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 49 Rn. 111; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 17; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 49; Koch/Roller, in: Führ, GKBImSchG, § 21 Rn. 52. 1017 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. b) bb) (2). VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 46; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 82. 1018 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. b) bb) (2).

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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erst infolge einer nach Erlass der Zulassungsentscheidung ergangenen Rechtsänderung Anwendung finden, zu berücksichtigen, dass ohne den Auffangtatbestand des schweren Nachteils für das Gemeinwohl die Möglichkeit einer nachträglichen Anpassung der bestehenden Gestattungssituation an veränderte unionsrechtliche Anforderungen weitestgehend bereits tatbestandlich ausgeschlossen wäre.1019 Von einer hinreichenden Verwirklichungschance für nachträglich anwendbare Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts wird man hier nicht bereits unter Verweis darauf ausgehen können, dass die §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG für bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten unmittelbar materiellrechtliche Geltung beanspruchen.1020 Als „schweren Nachteil für das Gemeinwohl“ lassen sich angesichts der Weite dieser Begrifflichkeiten die Fälle, in denen der Regelungsgehalt einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung infolge nachträglicher Rechtsänderungen nunmehr in Widerspruch zu den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG steht, jedenfalls im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung auch ohne Weiteres erfassen.1021 Dahinstehen kann in vorliegendem Kontext, ob es auch für den Widerrufsgrund nach Nr. 5 einer veränderten Sach- oder Rechtslage bedarf.1022 Erforderlich ist in jedem Fall, dass die Umstände, die zur Annahme schwerer Nachteile für das Gemeinwohl führen, nunmehr dem Erlass einer Genehmigung mit gleichem Inhalt entgegenstehen würden.1023 Ein schwerer Nachteil für das Gemeinwohl kann mithin nur angenommen werden, wenn der Verstoß gegen § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG im Wege einer den Anforderungen des § 34 Abs. 2 BNatSchG genügenden Verträglichkeitsprüfung festgestellt worden ist und überdies keine Ausnahmemöglichkeit nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG besteht.1024 Entsprechendes gilt für die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG. Auch hier sind die Ausnahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 7 BNatSchG bereits auf Tatbestandsebene von Relevanz.1025 1019

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. b) bb) (2). Siehe zur unmittelbaren Anwendbarkeit der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG: 2. Teil, B. III. und 2. Teil, C. II. 2. 1021 Vgl. Kahl, NVwZ 2011, 449 (453); VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 47 ff. 1022 Für das Erfordernis einer veränderten Sach- oder Rechtslage: Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 43; wohl auch: Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 50; gegen ein solches Erfordernis: Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 17; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 43; Laubinger, in: Ule/ Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 21 C36; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49 Rn. 54; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 83. 1023 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 44; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 83. 1024 Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, D. I. 2. b) aa) (2); ferner: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 58 ff. 1025 A. A. offenbar: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 68, der darauf abstellt, dass eine Ausnahmegenehmigung i. S. d. § 45 Abs. 6 bis 8 BNat1020

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

c) Widerrufsermessen aa) Allgemeines Bei Vorliegen eines Widerrufsgrundes entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßen Ermessen, ob und wie die ursprüngliche Zulassungsentscheidung widerrufen werden soll.1026 Dabei hat die zuständige Behörde insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.1027 Das hierin enthaltene Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs verlangt, dass die Behörde unter mehreren gleich geeigneten Mitteln grundsätzlich dasjenige auszuwählen hat, das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten belastet.1028 Mit Blick auf das Entschließungsermessen der Erlassbehörde ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass der Widerruf einer Zulassungsentscheidung für den Anlagenbetreiber bzw. Vorhabenträger regelmäßig die schwerwiegendste der rechtlich vorgesehenen Möglichkeiten darstellt. Vor einem Widerruf anlässlich eines Verstoßes gegen die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG hat die zuständige Behörde daher insbesondere die Möglichkeit nachträglicher Schutzanordnungen in Betracht zu ziehen, sofern diese geeignet sind, die betreffenden Gefahren abzuwenden. Nachträgliche Nebenbestimmungen – so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen – können sowohl immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen wie auch Planfeststellungsbeschlüssen auch zur Durchsetzung der Anforderungen nach §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG jedenfalls subsidiär auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVG bzw. § 21 BImSchG beigefügt werden.1029 Im Rahmen des Auswahlermessens bezüglich des Umfangs des Widerrufs hat die Behörde insbesondere die Möglichkeit eines Teilwiderrufs als milderes Mittel in Betracht zu ziehen.1030 Darüber hinaus erfordert es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass eine Maßnahme angemessen ist. Hieran fehlt es, wenn die Schwere der Belastung für den Bürger außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck steht.1031

SchG durch die Naturschutzbehörde nicht erfolgt sei. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bedürfe keiner Erörterung, zumal sich die Klägerin hierauf nicht berufen habe. 1026 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 26. 1027 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 26; Abel, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 24; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 51; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 20. 1028 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 72; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 48; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 52. 1029 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. II. 5. 1030 Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 20; Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 22; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 51; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 52. 1031 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 72.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung bedarf es grundsätzlich einer Abwägung sämtlicher durch den Widerruf berührten Belange.1032 bb) Einflüsse von FFH- und Vogelschutzrichtlinie auf die Ermessensausübung Sofern es um die Entscheidung über einen Widerruf zur Durchsetzung der Vorgaben aus den §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG geht, stellt sich insbesondere die Frage, inwiefern die Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL bzw. allgemein das unionsrechtliche Effektivitätsgebot das Ermessen der zuständigen Behörde beeinflussen.1033 Im Fall des § 44 Abs. 1 BNatSchG gilt dies allein für den Fall, dass unionsrechtlich besonders geschützte Arten betroffen sind; dies ist im Folgenden jedoch zu unterstellen. Jedenfalls eine Ermessensreduktion auf Null kann in Fällen eines Widerrufs zur Durchsetzung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG nicht bereits aufgrund ihres unionsrechtlichen Hintergrundes angenommen werden.1034 Das im Rahmen des mitgliedstaatlichen Vollzugs zu berücksichtigende Effektivitätsgebot kann beim indirekten Vollzug von Unionsrecht ein Ermessen zwar jedenfalls dann ausschließen, wenn unionsrechtlich die Aufhebung des Verwaltungsaktes zwingend vorgeschrieben ist.1035 Festgestellt wurde jedoch, dass es sowohl Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wie auch Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL grundsätzlich dem Ermessensspielraum des Mitgliedstaats überlassen, mit welchen konkreten Vermeidungs- bzw. Schutzmaßnahmen er im Einzelfall seiner Handlungsverpflichtung nachkommt. Eine Verpflichtung zur vollständigen oder teilweisen Aufhebung einer ihrem Inhalt nach mit dem Verschlechterungsverbot bzw. den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen konfligierenden Zulassungsentscheidung lässt sich vorgenannten Bestimmungen nur für den Fall entnehmen, dass es sich hierbei um die einzig geeignete Maßnahme zur Herstellung unionsrechtskonformer Zustände, d. h. zur Vermeidung der Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen oder der Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände, handelt.1036 Geboten ist insofern eine einzelfallbezogene Betrachtung, die mit Blick auf die Vorgaben des Art. 6 1032 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 52a. 1033 Die Frage der möglichen Einflüsse des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf das Entschließungsermessen der nationalen Behörden nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG offenlassend: VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2016 – 5 S 1984/15, juris Rn. 15. 1034 Aufgrund Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und dem Effektivitätsgebot eine Ermessensreduktion auf Null erwägend dagegen: Glaser, EuZW 2010, 225 (227). 1035 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49 Rn. 61c; Abel, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 25.1. 1036 Siehe hierzu unter 2. Teil, B.V. 2 und 2. Teil, C. III. 2.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Abs. 2 FFH-RL insbesondere dessen gesamtgebietsbezogenen Ansatz zu berücksichtigen hat.1037 Dabei kann die Verpflichtung zu „geeigneten“ projekt- bzw. vorhabenbezogenen Schutz- und Vermeidungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL bzw. Art. 5 VRL aus Verhältnismäßigkeitsgründen nicht weiter reichen als zur Erreichung des durch die jeweilige Vorschrift statuierten Schutzzwecks, der Vermeidung von gebietsrelevanten Verschlechterungen und Störungen oder der Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände, erforderlich ist. Insofern stellt sich auch aus unionsrechtlicher Perspektive die vollständige oder teilweise Aufhebung einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung als ultima ratio dar.1038 Ist nach Vorstehendem das Ermessen über den Erlass eines Widerrufs zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 BNatSchG nicht aufgrund der unionsrechtlichen Verpflichtungen des Mitgliedstaats ausgeschlossen, muss das Unionsinteresse an der Durchsetzung des allgemeinen Verschlechterungsverbots sowie der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände in jedem Fall mit hinreichendem Gewicht in die im Rahmen der Entscheidung über den Widerruf gebotene Abwägungsentscheidung eingestellt werden. Auch unionsrechtlich ist es dabei geboten, einen einzelfallbezogenen Ausgleich zwischen dem Interesse an der Herstellung unionsrechtskonformer Zustände durch Aufhebung der Zulassungsentscheidung und den Interessen der durch die Zulassungsentscheidung vermittelten Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu finden.1039 Nicht unberücksichtigt bleiben kann in diesem Zusammenhang, dass Art. 6 Abs. 4 FFH-RL sowie Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL mit der Möglichkeit einer Ausnahme von den Anforderungen des europäischen Gebiets- und Artenschutzes aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses eine ausdrückliche Regelung zur Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den Belangen des Natura-2000 Gebietsschutzes bzw. EU-Artenschutzrechts auf der einen und dem Interesse an der Verwirklichung störender Tätigkeiten treffen. Der Vogelschutzrichtlinie ist ein solcher Ausnahmegrund zumindest im Wege einer systematisch ergänzenden Auslegung zu entnehmen.1040 Im Falle bestandskräftig zugelassener Vorhaben finden im Rahmen der Ausnahmevoraussetzungen dabei auch Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes als „öffentliches Interesse“,1041 ferner im Rahmen der Alternativenprüfung unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit1042 maßgeblich Berücksichtigung. Dies kann dazu führen, dass auch eine gebietsunverträgliche oder mit den artenschutzrechtlichen 1037 1038 1039 1040 1041 1042

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 2. So zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: Würtenberger, NuR 2010, 316 (320). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 2 und 2. Teil, C. III. 2. Siehe hierzu unter 2. Teil, C. IV. 1. b). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. a) aa) (1) und 2. Teil, C. IV. 1. a). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. b) bb) und 2. Teil, C. IV. 1. b).

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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Verbotstatbeständen konfligierende Nutzung im Einzelfall unverändert auf Grundlage einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung fortgeführt werden darf, sei es auch unter Festsetzung der notwendigen Kohärenzsicherungsmaßnahmen. Ist einerseits dem Vorhabenträger bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen eine nachträgliche Ausnahmezulassung in der Regel zu gewähren,1043 werden die zuständigen nationalen Behörden andererseits bei Nichtvorliegen der Ausnahmevoraussetzungen von erforderlichen und nach nationalem Recht grundsätzlich möglichen Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen regelmäßig nicht absehen können, sollten sich diese im Einzelfall auch als Aufhebung der Zulassungsentscheidung erweisen. Berechtigten Vertrauensschutzinteressen des Anlagenbetreibers ist in diesem Fall über die Entschädigung nach § 49 Abs. 6 VwVfG bzw. § 21 Abs. 4 BImSchG Rechnung zu tragen. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Erlass eines Widerrufs vorzunehmende Abwägung wird insofern durch die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG determiniert.1044 Liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ausnahmeerteilung vor, wird sich der Erlass eines (Teil-)Widerrufs regelmäßig als ermessensfehlerhaft erweisen. Liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahmezulassung nicht vor, besteht mithin insbesondere kein gegenüber den Belangen des EU-Arten- bzw. Gebietsschutzes überwiegendes öffentliches Interesse an der Fortführung des zugelassenen Vorhabens, kann von einem nach nationalem Recht grundsätzlich möglichen Widerruf der Zulassungsentscheidung in der Regel nur abgesehen werden, wenn andere geeignete – nicht zwingend vorhabenbezogene – Maßnahmen bestehen, um die Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG durchzusetzen.1045 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Vertrauensschutzerwägungen in den hier relevanten Fällen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3–5 i.V. m. Abs. 6 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3–5 i.V. m. Abs. 4 BImSchG nach der gesetzgeberischen Ausgestaltung bereits in die Widerrufs- und Entschädigungsvoraussetzungen integriert sind, sodass für ihre Berücksichtigung im Rahmen der Ermessensbetätigung in der Regel ohnehin kein wesentlicher Raum verbleibt.1046 1043

Siehe hierzu unter 2. Teil, B.VI. 2. d) und 2. Teil, C. IV. 1. e). Im Ergebnis ebenso: Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547), der jedoch nicht auf die Berücksichtigungsfähigkeit von Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Rahmen der Ausnahmevoraussetzungen eingeht; ähnlich auch: Lau, NuR 2018, 840 (845). 1045 So jedenfalls für die Fälle eines nachträglichen Einwanderns geschützter Arten nach Genehmigungserteilung, aber noch vor Baubeginn: Lau, NuR 2018, 840 (844) (siehe zu der Differenzierung zwischen den Vollzugsphasen unter 2. Teil, C. II. 2.); ähnlich auch Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547), der jedoch nicht auf den Aspekt des Auswahlermessens auch in Fällen einer fehlenden Ausnahmemöglichkeit eingeht; a. A.: Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1167). 1046 So die wohl h. M.: BVerwG, Urt. v. 24.01.1992 – 7 C 38/90, NVwZ 1992, 565 (566); Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 49 Rn. 13; Abel, in: Bader/Ronellenfitsch, 1044

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Obgleich die nachträgliche Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG sowie § 45 Abs. 7 BNatSchG aufgrund der Beschränkung der Konzentrationswirkung auf das Zulassungsverfahren grundsätzlich in der Zuständigkeit der Naturschutzbehörden verbleibt,1047 sind die Voraussetzungen für ihre Erteilung damit auch für die Zulassungsbehörde im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Erlass eines Widerrufs von Relevanz. Hingewiesen sei darauf, dass die Berücksichtigung der nachträglichen Ausnahmemöglichkeit im Rahmen der Ermessenentscheidung nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass im Rahmen der Widerrufsgründe der § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3–5 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3–5 BImSchG das Nichtvorliegen der Ausnahmevoraussetzungen bereits auf Tatbestandebene relevant wird. Aufgrund des Abstellens auf die fiktive Situation der Zulassungserteilung stehen die Ausnahmevoraussetzungen dort in ihrer Funktion als Zulassungsvoraussetzung in Rede; Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes können insoweit keine Berücksichtigung finden. Im Rahmen der Ermessensausübung steht hingegen die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmeerteilung im Fokus, bei der aufgrund des Abstellens auf den aktuellen Zeitpunkt eine vorhandenen Zulassungsentscheidung und die hierdurch vermittelten Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu beachten sind. d) Rechtsfolgen eines Widerrufs, Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs. 6 VwVfG, § 21 Abs. 4 BImSchG Sollte sich ein Widerruf zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG als erforderlich erweisen, bewirkt dieser, dass die Genehmigung unwirksam wird, § 49 Abs. 4 VwVfG, § 21 Abs. 3 BImSchG. Nach § 49 Abs. 6 VwVfG sowie § 21 Abs. 4 BImSchG hat die Behörde den Betroffenen auf Antrag für den Vermögensnachteil zu entschädigen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen schutzwürdig ist. An einem schutzwürdigen Vertrauen fehlt es dabei jedenfalls solange, wie der Anlagenbetreiber bzw. Vorhabenträger keine Vermögensdisposition im Vertrauen auf die Genehmigung getroffen hat.1048 Die für den Anspruch notwendige Schutzwürdigkeit des Vertrauens bemisst sich im Übrigen grundsätzlich in Anlehnung an die in § 48 Abs. 2 VwVfG genannten Kriterien.1049 Nicht

BeckOK VwVfG, § 49 Rn. 27; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 26; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 49 Rn. 33; etwas anderes soll gelten, sofern dem Vertrauensschutz über den Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs. 4 VwVfG nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann; a. A.: Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49 Rn. 61b. 1047 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 3. b) sowie 2. Teil, C. IV. 2. b). 1048 Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 29. 1049 Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 53.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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schutzwürdig ist das Vertrauen daher etwa, wenn der Betroffene selbst den Eintritt von Tatsachen nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG herbeigeführt hat.1050 Zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens lässt sich ferner darauf abstellen, in wessen Verantwortungsbereich das Risiko des Eintritts der den Widerruf begründenden Umstände fällt.1051 Auch die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Widerruf begründenden Umstände kann ein schutzwürdiges Vertrauen für solche Investitionen ausschließen, die nach Erlangung derselben erfolgen.1052 Dem Vertrauensschutz Betroffener lässt sich in den hier relevanten Fällen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3–5 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3–5 BImSchG damit jedenfalls auf Sekundärebene durch die Entschädigungspflicht nach § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG bzw. § 21 Abs. 4 BImSchG Rechnung tragen.1053 In den für §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG relevanten Fällen, in denen der Widerruf regelmäßig durch naturräumliche Veränderungen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und damit durch Umstände bedingt ist, die außerhalb der Einflusssphäre des Vorhabenträgers liegen, wird grundsätzlich von einem schutzwürdigen Vertrauen auszugehen sein. Wie bereits festgestellt, lässt sich die Schutzwürdigkeit des Vertrauens nicht allgemein unter Verweis auf die dauerhaft auch im Zulassungsvollzug beachtlichen Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG ablehnen.1054 Die Gewährung einer Entschädigung im Falle des Widerrufs einer Zulassungsentscheidung steht der effektiven Verwirklichung der materiellrechtlichen Vorgaben von FFH- und Vogelschutzrichtlinie nicht entgegen, sodass jedenfalls ein Ausschluss der Entschädigungsmöglichkeit unionsrechtlich nicht geboten ist. 3. Rücknahme, § 48 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3, 4 VwVfG Sollte eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung oder ein Planfeststellungsbeschluss bereits anfänglich gegen die Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts verstoßen, kann eine Rücknahme der Zulassungsentscheidung in Betracht zu ziehen sein.

1050 Peuker, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 49 Rn. 101; Kastner, in: Fehling/Kastner/ Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 49 Rn. 53. 1051 Koch/Roller, in: Führ, GK-BImSchG, § 21 Rn. 75; Kühling, in: Kotulla, BImSchG, § 21 Rn. 65; Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 31; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 62; kritisch: Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 62 f., nach dem sich die Schutzwürdigkeit des Vertrauens danach beurteile, ob der Genehmigungsinhaber mit den widerrufsbegründenden Veränderungen zu rechnen brauchte. 1052 Jarass, BImSchG, § 21 Rn. 31; Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 64; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 61. 1053 OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 147; Glaser, EuZW 2010, 225 (227); Wolf, ZUR 2005, 449 (457). 1054 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. b) bb) und 2. Teil, C. IV. 1. a).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

a) Rücknahmevoraussetzungen, § 48 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3 VwVfG Die Rücknahme einer wirksamen Zulassungsentscheidung setzt nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG ihre Rechtswidrigkeit voraus. Voraussetzung ist mithin, dass die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung im Zulassungszeitpunkt nicht den Anforderungen des § 34 BNatSchG entsprach bzw. die artenschutzrechtliche Prüfung dem an sie zu stellenden Maßstab der „praktischen Vernunft“ nicht gerecht wurde.1055 Durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung oder einen Planfeststellungsbeschluss wird keine Geldleistung oder teilbare Sachleistung i. S. d. § 48 Abs. 2 VwVfG gewährt, sodass eine Rücknahme ohne weitere Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 4 VwVfG zulässig ist. § 48 Abs. 3 VwVfG stellt keine zusätzlichen Anforderungen an die Rücknahme, sondern ist nur Voraussetzung für den öffentlich-rechtlichen Ausgleichsanspruch auf Sekundärebene.1056 b) Rücknahmeermessen Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes steht nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG im Ermessen der Behörde. Die zu treffende Ermessensentscheidung umfasst dabei das Entschließungsermessen über das „Ob“ der Rücknahme sowie das Auswahlermessen über den konkreten Umfang der Rücknahme.1057 Im Rahmen der Ermessensausübung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.1058 Auch hier gilt, dass die Rücknahme der Zulassungsentscheidung nur als ultima ratio in Betracht kommen kann, sofern mildere Maßnahmen zur Herstellung rechtskonformer Zustände nicht vorhanden sind. Kann der Rechtsverstoß durch die nachträgliche Beifügung von Nebenbestimmungen ausgeräumt werden, kann dies aus Verhältnismäßigkeitsgründen der Vollaufhebung vorrangig sein.1059 Mit Blick auf die Einflüsse des Unionsrechts auf die Ermessensausübung wurde bereits festgestellt, dass eine Verpflichtung zur Rücknahme nicht bereits generell aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes angenommen werden kann.1060 Im Übrigen gelten hier die zum Widerrufsermessen getroffenen Aussagen entsprechend.1061 Die Rücknahme einer mit den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrecht konfligierenden Zulassungsentscheidung wird demnach in der Regel nur geboten sein, sofern sich dies als einzig geeignete Maßnahme zur Herstellung unionsrechtskonformer Zustände darstellt und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 BNatSchG nicht vorlie1055 1056 1057 1058 1059 1060 1061

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. a). Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 176. Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 38. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 88. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 103. Siehe hierzu unter 2. Teil, B. II. 2. c). Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. c).

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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gen. Bestandsschutzgesichtspunkten bleibt dadurch Rechnung getragen, dass diese als öffentliches Interesse im Rahmen der Ausnahmevoraussetzungen Berücksichtigung finden1062 und überdies zu einer Absenkung des Zumutbarkeitsmaßstabs im Rahmen der Alternativenprüfung führen.1063 c) Rechtsfolgen einer Rücknahme, Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG Die Rücknahme eines wirksamen Verwaltungsaktes hat gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG dessen Unwirksamkeit zur Folge. Als Ausgleich für den nicht gewährten Bestandsschutz ist nach Maßgabe des § 48 Abs. 3 VwVfG auf Antrag des durch die wirksame Rücknahme Betroffenen der Vermögensnachteil auszugleichen, den er dadurch erlitten hat, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat.1064 Der Anspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG ist auf Geldersatz gerichtet; zu ersetzen ist allein das negative Interesse, d. h. der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass die Behörde falsch entschieden hat und der Begünstigte sich auf den Bestand des Verwaltungsaktes eingerichtet hat1065 Begrenzt ist das Vertrauensinteresse durch das Bestandsinteresse, § 48 Abs. 3 S. 3 VwVfG.1066 Der Anspruch besteht nur, sofern das Vertrauen des Begünstigten unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist.1067 Das öffentliche Interesse i. S. d. § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG bezieht sich dabei anders als das Interesse an der Rücknahme nicht auf die Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes als solche, sondern nur noch auf eine Vermeidung der Pflicht zum Nachteilsausgleich.1068 Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens bemisst sich dabei nach den Kriterien des § 48 Abs. 2 VwVfG, einschließlich der Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG.1069 Ein schutzwürdiges Vertrauen kann dem Vorhabenträger mithin insbesondere dann abzusprechen sein, wenn er die Fehlerhaftigkeit der Umweltprüfungen im Zulassungsverfahren bzw. der ihr zugrunde liegenden Fachgutachten kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.1070 1062

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. a) aa) (1) und 2. Teil, C. IV. 1. a). Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 2. b) bb) und 2. Teil, C. IV. 1. c). 1064 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 187. 1065 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 191. 1066 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 195. 1067 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 192; Kastner, in: Fehling/ Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 48 Rn. 59. 1068 Suerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 48 Rn. 172. 1069 BVerwG, Urt. v. 28.01.2010 – 3 C 17/09, NVwZ-RR 2010, 801 (801); Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 48 Rn. 59; Müller, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 48 Rn. 94; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 193. 1070 Siehe zu entsprechenden Erwägungen mit Blick auf das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG: 3. Teil, B. II. 2. c) bb). 1063

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

4. Frist Bestandsschutz wird schließlich in gewissem Umfang auch über die Aufhebungsfristen vermittelt.1071 Gemäß § 21 Abs. 2 BImSchG, § 49 Abs. 2 S. 2 i.V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG, § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 VwVfG sind Widerruf und Rücknahme nur innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung der den Widerruf bzw. die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen durch die Zulassungsbehörde zulässig.1072 Bezüglich der unionsrechtlichen Einflüsse gilt auch hier, dass aufgrund der Anerkennung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit als Bestandteil der Unionsrechtsordnung grundsätzlich keine Bedenken gegen die Anwendung einer nationalen Vorschrift bestehen, die für die Aufhebung einer nationalen Zulassungsentscheidung auf den Ablauf einer Frist abstellt.1073 Da auch FFH- und Vogelschutzrichtlinie eine absolute Verpflichtung zur Aufhebung einer ihrem Regelungsgehalt nach mit den §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG konfligierenden Zulassungsentscheidung nicht begründen, ist auch eine Nichtanwendung der Fristenregelung grundsätzlich nicht geboten. 5. Zwischenfazit Es lässt sich festhalten, dass Konflikten mit den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG im Zulassungsvollzug grundsätzlich durch eine (Teil-) Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie auch eines Planfeststellungsbeschlusses begegnet werden kann. Einer weitreichenden Überformung bzw. Nichtanwendung einzelner Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzung bedarf es hierfür nicht. Nachträglichen naturräumlichen Veränderungen oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich über den Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG Rechnung tragen, nachträglichen Veränderungen in rechtlicher Hinsicht jedenfalls über den Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG. Bei Verstößen aufgrund einer bereits anfänglich bestehenden, jedoch fehlerhaft verkannten Konfliktlage kommt eine Rücknahme nach § 48 VwVfG in Betracht. Mit Blick auf die Entscheidung über die (Teil-)Aufhebung einer Zulassungsentscheidung erfordern die mitgliedstaatlichen Handlungsverpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL wie auch Art. 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL nicht ohne Weiteres eine Reduzierung des Entschließungsermessens auf Null. Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung zwischen den Belangen des EUArten- und Habitatschutzrechts auf der einen und den durch eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelten Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und 1071

Bell/Herrmann, NVwZ 1994, 288 (295). Siehe hierzu im Einzelnen: Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 51 ff. 1073 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 283 ff. 1072

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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des Vertrauensschutzes auf der anderen Seite. Maßgeblichen Parameter bietet hierbei die nachträgliche Ausnahmemöglichkeit nach §§ 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 BNatSchG. Sollte sich die (Teil-)Aufhebung einer Zulassungsentscheidung im Einzelfall als erforderlich erweisen, lässt sich berechtigten Vertrauensschutzinteressen des Vorhabenträgers zumindest auf Entschädigungsebene Rechnung tragen.

II. Erlass nachträglicher Schutzmaßnahmen Wie bereits aus vorstehenden Ausführungen ersichtlich wurde, kommen als geeignete Maßnahme zur Sicherstellung der Anforderungen der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG neben der (Teil-)Aufhebung einer Zulassungsentscheidung insbesondere auch die Auferlegung nachträglicher Schutzmaßnahmen in Betracht. Zu denken ist hier etwa an die Anordnung nachträglicher Betriebsbeschränkungen oder konfliktvermeidender oder -mindernder Maßnahmen. Fraglich ist, inwieweit dieses Instrumentarium mit Blick auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen sowie planfestgestellte Vorhaben zum Einsatz kommen kann. Soweit eine Nebenbestimmung zum Nachteil des Zulassungsinhabers nachträglich beigefügt werden soll, bedarf es unabhängig von der Frage ihrer rechtstechnischen Einordnung1074 aufgrund des Vorbehalt des Gesetzes einer gesonderten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.1075 Eine solche Ermächtigung kann im Verwaltungsakt selbst in Form eines Auflagen-, Widerrufs- oder Entscheidungsvorbehalts enthalten sein oder sich aus einer fachgesetzlichen Regelung ergeben.1076 Fehlt es an einer fachgesetzlichen Ermächtigung ist die nachträgliche Beifügung einer Nebenbestimmung nur zulässig, wenn die Voraussetzungen einer Teilaufhebung der Zulassungsentscheidung nach §§ 48, 49 VwVfG vorliegen.1077 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst die Möglichkeit untersucht, nachträglichen Konflikten mit den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutz1074 Die h. M. sieht in dem nachträglichen Erlass einer Nebenbestimmung eine Teilaufhebung des zunächst nebenbestimmungsfrei ergangenen Hauptverwaltungsaktes, der mit dem teilweisen Neuerlass dieses Verwaltungsaktes verbunden ist, OVG Magdeburg, Urt. v. 12.01.2012 – 2 L 151/10, juris Rn. 31; Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (477); Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 38; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 36 Rn. 21d. 1075 Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 12.01.2012 – 2 L 151/10, juris Rn. 31; VGH Mannheim, Urt. v. 14.04.2008 – 8 S 2322/07, NVwZ-RR 2008, 751 (752); Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 36 Rn. 41; Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 38; Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 92. 1076 Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 36 Rn. 41; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 39 f.; Weiß, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 92. 1077 VGH Mannheim, Urt. v. 14.04.2008 – 8 S 2322/07, NVwZ-RR 2008, 751 (752); Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 92; Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 41.

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rechts bereits durch einen entsprechenden Vorbehalt in der Zulassungsentscheidung Rechnung zu tragen (1.). Mit Blick auf denkbare fachgesetzliche Ermächtigungen zum Erlass nachträglicher Nebenbestimmungen werden die Bestimmungen der §§ 17, 20 BImSchG (2.), die Anordnungsbefugnis nach § 75 Abs 2 S. 2 VwVfG (3.) sowie die naturschutzrechtliche Generalklausel des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG (4.) einer näheren Betrachtung unterzogen. Abschließend wird auf die Möglichkeit eines subsidiären Rückgriffs auf die Aufhebungsvorschriften eingegangen (5.). 1. Auflagenvorbehalt, Vorbehalt abschließender Entscheidung Insbesondere mit Blick auf die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts, bei dem bereits das Zuwandern einzelner Exemplare geschützter Arten für die Bewertung des § 44 Abs. 1 BNatSchG von Relevanz sein kann, stellt sich die Frage, inwiefern sich künftigen, noch nicht konkret absehbaren naturräumlichen Veränderungen bereits im Rahmen der Zulassungsentscheidung durch einen entsprechenden Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalt Rechnung tragen lässt. a) Auflagenvorbehalt nach § 12 BImSchG für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen Die Zulässigkeit von Nebenbestimmungen ist für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen abschließend in § 12 BImSchG festgelegt.1078 Außerhalb der in § 12 BImSchG geregelten Fälle sind Auflagenvorbehalte auch mit Zustimmung des Antragstellers unzulässig.1079 Die allgemeine Regelung des § 36 VwVfG ist nach § 1 Abs. 2 VwVfG bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 12 BImSchG nicht ergänzend anwendbar.1080 § 12 Abs. 3 BImSchG sieht die Möglichkeit eines Auflagenvorbehalts für Teilgenehmigungen i. S. d. § 8 BImSchG vor. Darüber hinaus ist ein Auflagenvorbehalt auch bei Vollgenehmigungen für Erprobungsanlagen gemäß § 12 Abs. 2 S. 2 BImSchG zulässig, da dieser eine mildere Form des dort vorgesehenen Widerrufsvorbehalts darstellt.1081 Nach § 12 Abs. 2a S. 1 BImSchG kann eine Vollgenehmigung ferner mit Einverständnis des Antragstellers unter Auflagenvorbehalt erteilt werden, soweit hierdurch hinreichend bestimmte, in der Genehmigung bereits allgemein festgelegte Anforderun1078 Jarass, BImSchG, § 12 Rn. 2; Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 7. 1079 Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 7; Jarass, BImSchG, § 12 Rn. 43; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 10.2. 1080 Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 7; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 2.1. 1081 Jarass, BImSchG, § 12 Rn. 45; Kugelmann, in: Kotulla, BImSchG, § 12 Rn. 111; Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 101, 189; a. A. Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 12 D61.

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gen an die Errichtung oder den Betrieb der Anlage in einem Zeitpunkt nach Erteilung der Genehmigung näher festgelegt werden sollen. b) Entscheidungsvorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG für Planfeststellungsbeschlüsse Eine dem § 12 Abs. 2a BImSchG vergleichbare Regelung enthält für Planfeststellungsbeschlüsse § 74 Abs. 3 VwVfG. Hiernach ist eine abschließende Entscheidung, soweit sie noch nicht möglich ist, im Planfeststellungsbeschluss vorzubehalten. § 74 Abs. 3 VwVfG stellt systematisch eine abschließende Sonderregelung zu § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG dar.1082 Die Möglichkeit eines Auflagenvorbehalts wird damit einerseits dahingehend beschränkt, dass ein solcher im Planfeststellungsrecht aufgrund des dort geltenden Grundsatzes der umfassenden Problembewältigung nur zulässig ist, soweit eine abschließende Entscheidung noch nicht möglich ist.1083 Andererseits geht § 74 Abs. 3 VwVfG über die in § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG vorgesehene Möglichkeit eines Auflagenvorbehalts insofern hinaus, als sich der Entscheidungsvorbehalt grundsätzlich auch auf Regelungen erstrecken darf, die rechtstechnisch keine Auflagen darstellen.1084 Grundsätzlich sind sämtliche Teilfragen, die ihrer Natur nach von der Planentscheidung abtrennbar sind, einer nachträglichen Lösung und damit einem Entscheidungsvorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG zugänglich.1085 c) Vorbehaltsgrenzen: Kein geeignetes Instrument für Prognoserisiken Zu berücksichtigen sind indes die Grenzen, denen das Instrumentarium des Auflagen- bzw. Entscheidungsvorbehalts unterliegt. Konflikte mit dem europäischen Arten- oder Natura 2000-Gebietsschutz, die sich nach den jeweils hierfür anzulegenden Prüfungsmaßstäben bereits im Zulassungszeitpunkt ausreichend sicher prognostizieren lassen, muss bereits auf Zulassungsebene Rechnung getragen werden.1086 Die Möglichkeit eines Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalts entbindet die jeweils zuständige Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsbehörde nicht von dem Grundsatz, dass eine Zulassungsentscheidung nur dann erteilt wer1082 BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429 (430); Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 200; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 192 f.; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 74 Rn. 120; Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 275. 1083 BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429 (429); Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 275. 1084 Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 275. 1085 BVerwG, Beschl. v. 30.08.1994 – 4 B 105/94, NVwZ-RR 1995, 322 (322). Siehe zu den einzelnen in Betracht kommenden Regelungskomplexen: Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 283 ff. 1086 Zum besonderen Artenschutzrecht: Lau, NuR 2018, 587 (593). Siehe auch: Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 193.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

den darf, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.1087 Bei der in § 12 Abs. 2a BImSchG vorgesehenen Möglichkeit eines Auflagenvorbehalts handelt es sich dementsprechend lediglich um einen „Detaillierungsvorbehalt“1088 für Fälle, in denen mit hinreichender Sicherheit von der Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen ausgegangen werden kann und allein die konkrete Ausgestaltung einzelner Aspekte noch offen ist.1089 Auch § 74 Abs. 3 VwVfG regelt allein den Fall, dass der Planfeststellungsbeschluss erlassen werden kann und soll, sodass über das „Ob“ des Vorhabens entschieden ist, Teilentscheidungen zum „Wie“ jedoch entweder sachgerecht noch nicht getroffen werden können oder aus sonstigen berechtigten Gründen zurückgestellt werden sollen.1090 Über einen Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalt lässt sich mithin grundsätzlich nur solchen Konflikten begegnen, deren möglicher Eintritt bei Erlass der Zulassungsentscheidung bereits konkret vorhersehbar ist und lediglich ihr Ausmaß sich noch nicht feststellen lässt.1091 Dagegen können Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalte einer Zulassungsentscheidung nicht generell zu dem Zweck beigefügt werden, die jeder Prognose zwangsläufig anhaftende Unsicherheit abzufangen, dass sich die ihr zugrunde gelegte Sach- oder Rechtslage später ändern kann bzw. sicherzustellen, dass die jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen auch künftig erfüllt bleiben.1092 Das allgemeine Risiko, dass es anders kommen kann als prognostiziert, stellt keinen Fall der Unmöglichkeit einer abschließenden Entscheidung dar, die einen Entscheidungsvorbehalt nach § 74 Abs. 3 VwVfG zu rechtfertigen vermag.1093 Bei Erlass der Zulassungsentscheidung theoretisch denkbare, jedoch noch nicht konkret absehbare Entwicklungen sind vielmehr dem Bereich der Widerrufsvorschriften sowie der übrigen gesetzlich vorgesehenen nachträglichen Reaktionsmöglichkeiten

1087 Zu § 12 BImSchG: Mann, in: Landmann/Rohmer, BImSchG, § 12 Rn. 196; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 30; vgl. zu § 74 Abs. 3 VwVfG: Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 202. 1088 Jarass, BImSchG, § 12 Rn. 47; Fachagentur Wind: Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 6. 1089 Jarass, BImSchG, § 12 Rn. 47; Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 196; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 12 Rn. 37. 1090 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 200. 1091 Vgl. zu § 74 Abs. 3 VwVfG: BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429 (430). 1092 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (481); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 6; Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 287. 1093 BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429 (430); Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 193; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 74 Rn. 60.

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zuzuordnen.1094 Wollte man allgemeinen Prognoserisiken durch Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalte begegnen, würden die gesetzlichen Voraussetzungen der Widerrufsvorschriften und etwaiger ergänzender gesetzlicher Reaktionsmöglichkeiten wie in § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG oder § 17 BImSchG unterlaufen.1095 Der abstrakten Gefahr bzw. Möglichkeit nachträglicher naturräumlicher Veränderungen, die im Rahmen der Zulassungsentscheidung nach dem jeweils anzulegenden Prüfungsmaßstab nicht zu prognostizieren waren, und den hieraus resultierenden Konflikten mit den Vorgaben des besonderen Arten- oder Habitatschutzrechts, lässt sich mithin nicht durch Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalte begegnen.1096 Zur Bewältigung künftiger ungewisser Konfliktsituationen im Zulassungsvollzug stellen Auflagen- oder Entscheidungsvorbehalte kein taugliches Instrumentarium dar.1097 2. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage der §§ 17, 20 BImSchG Eine ausdrückliche Ermächtigung zum Erlass von Anordnungen nach Genehmigungserteilung sieht das Immissionsschutzrecht in § 17 BImSchG vor. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Immissionsschutzbehörde „zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten“ nach Erteilung der Genehmigung sowie nach einer nach § 15 Abs. 1 BImSchG angezeigten Änderung Anordnungen treffen.1098 Die Vorschrift gilt ausweislich ihres insofern eindeutigen Wortlauts mithin allein für die Durchsetzung immissionsschutzrechtlicher Pflichten.1099 Der Vollzug der sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG richtet sich dagegen nach dem jeweiligen Fachrecht.1100 Zur Durchset1094 So zu § 74 Abs. 3 VwVfG in Abgrenzung zu § 75 Abs. 2 S. 2–4 VwVfG: BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 – 11 C 2/00, NVwZ 2001, 429 (430); Kämper, in: Bader/ Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 74 Rn. 120; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 74 Rn. 60. 1095 Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (481); Lau, NuR 2018, 587 (593). 1096 Vgl. Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (481); Lau, NuR 2018, 587 (594). 1097 Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 6. 1098 OVG Weimar, Beschl. v. 10.02.2015 – 1 EO 356/14, juris Rn. 50. 1099 BVerwG, Beschl. v. 08.11.2017 – 3 B 11.16, NVwZ 2017, 404 (408); Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 13; Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 73; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 120; Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 17 Rn. 36. 1100 OVG Koblenz, Urt. v. 03.08.2016 – 8 A 10377/16, juris Rn. 41; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 62; OVG Weimar, Beschl. v. 10.02.2015 – 1 EO 356/14, juris Rn. 54; VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K 15.1343, juris Rn. 32; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 4; Manten, ZUR 2008, 576 (579); Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 13, 16; Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 19; Czajka, in: Feldhaus,

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zung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG lässt sich § 17 BImSchG mithin nicht heranziehen. Sofern in der Literatur unter Verweis auf die Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vereinzelt Gegenteiliges vertreten wird,1101 vermag dies nicht zu überzeugen. Denn mit Abschluss des Genehmigungsverfahrens endet auch die in § 13 BImSchG angeordnete Konzentrationswirkung, sodass die Zuständigkeit für den Vollzug der öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Immissionsschutzrechts wieder an die jeweiligen Fachbehörden zurückfällt.1102 Sie sind für die Überwachung und Kontrolle des Betriebs sowie für den Erlass nachträglicher Anordnungen aufgrund des einschlägigen Fachrechts zuständig.1103 Die Immissionsschutzbehörde wird durch die Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG nicht zu einer „generellen Betriebsüberwachungsbehörde“.1104 § 20 Abs. 1 BImSchG ermächtigt die zuständige Behörde zur vollständigen oder teilweisen Betriebsuntersagung, sofern der Betreiber einer genehmigungsbedürftigen Anlage einer Auflage, einer vollziehbaren nachträglichen Anordnung oder einer abschließend bestimmten Pflicht aus einer Rechtsverordnung nach § 7 BImSchG nicht nachkommt und die Auflage, die Anordnung oder die Pflicht die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage betrifft. Für die vorliegend relevante Durchsetzung nachträglich auftretender oder erkannter Konflikte mit den Vorgaben des Arten- und Habitatschutzrechts ist dieses Eingriffsinstrumentarium ebenfalls nicht geeignet. Nachträgliche Anordnungen i. S. d. § 20 Abs. 1 BImSchG sind allein solche des § 17 BImSchG,1105 mit denen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht durchgesetzt werden können. Auch die Rechtsverordnungen nach § 7 BImSchG dienen allein der Sicherstellung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen. Unter Auflagen i. S. d. § 20 Abs. 1 BImSchG sind zwar nach ganz überwiegender Auffassung auch solche zur Erfüllung sonstiger öffentlich-

BImSchG, § 17 Rn. 39; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 120. 1101 Wemdzio, NuR 2011, 464 (466). 1102 OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, juris Rn. 4; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 62; OVG Weimar, Beschl. v. 10.02. 2015 – 1 EO 356/14, juris Rn. 54; VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K 15.1343, juris Rn. 32; VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris Rn. 15; Manten, ZUR 2008, 576 (579); Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 25; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 117; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 22; Wasielewski, in: GK-BImSchG, § 13 Rn. 65. 1103 Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 25; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 22; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 117. 1104 Wohlrabe, GewArch, 1982, 223 (224); Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 117. 1105 Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 20; Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 12; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 18.

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rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu verstehen.1106 Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung kann nach § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG mit einer Auflage verbunden werden, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der in § 6 BImSchG genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen. Zur Gewährleistung der materiell-rechtlichen Anforderungen im Falle nicht erkannter oder erkennbarer Konfliktsituationen kann die Auflage jedoch nicht dienen. 3. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage der (Fach-)Planungsvorschriften Für unanfechtbare Planfeststellungsbeschlüsse enthält § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG eine allgemeine Regelung zum Erlass nachträglicher Schutzvorkehrungen. Treten nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auf, kann nach dieser Vorschrift der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Gemäß § 75 Abs. 2 S. 3 VwVfG sind sie dem Träger des Vorhabens durch Beschluss der Planfeststellungsbehörde aufzuerlegen. Ausweislich seines Wortlauts erlaubt § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG nachträgliche Schutzauflagen allein zugunsten betroffener Dritter, nicht jedoch, sofern diese ausschließlich dem Schutz des Allgemeinwohls dienen.1107 Nach § 75 Abs. 3 S. 1 VwVfG kann die Planfeststellungsbehörde nachträgliche Schutzmaßnahmen ferner nicht von Amts wegen, sondern nur auf schriftlichen Antrag des Betroffenen anordnen.1108 Ist § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG seinem Wortlaut nach mithin auf den Schutz subjektiver Rechte ausgelegt,1109 scheint die Vorschrift bereits von vornherein kein taugliches Instrument zur Bewältigung von Konflikten mit den Vorgaben des Arten- und Habitatschutzrechts zu sein. 1106 Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 16; Peschau/Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 20 Rn. 30; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 19; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 15; a. A. Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 6. 1107 So die h. M.: Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (476); Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (368); Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 116; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 24; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG § 75 Rn. 163; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 42; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 67. 1108 So die h. M.: Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 175; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 84; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 48; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 90; Kupfer, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 75 Rn. 113; Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 75 Rn. 127. 1109 Lau, UPR 2015, 361 (364); Lieber, NuR 2012, 665 (670).

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Teilweise wird gleichwohl vertreten, dass auf Grundlage von § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG auch Schutzvorkehrungen ausschließlich zugunsten des Allgemeinwohls und insbesondere auch zur Bewältigung von Verstößen gegen § 44 BNatSchG angeordnet werden können.1110 Die Beschränkung des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG auf „Rechte eines Dritten“ sei hierbei unschädlich.1111 § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG solle gewährleisten, dass nachteilige Wirkungen des Vorhabens, die vor Unanfechtbarkeit der Planungsentscheidung – wären sie damals bereits bekannt gewesen – im Wege der Schutzvorkehrungen nach § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG hätten bewältigt werden können, auch nach Bestandskraft der Planungsentscheidung noch angeordnet werden können; § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG ermögliche seinerseits auch Schutzvorkehrungen „zum Wohl der Allgemeinheit“.1112 Es sei nicht einsichtig, weshalb zwar im Interesse Drittbetroffener nachträgliche Schutzauflagen verfügt werden können, nicht aber im Interesse der Einhaltung des objektiven Rechts.1113 Auch das Bundesverwaltungsgericht stellte Überlegungen dahingehend an, ob die „geringfügigen textlichen Unterschiede“ von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG, der auch Schutzauflagen zugunsten der Allgemeinheit umfasst, und § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG für die Auslegung der letzteren Vorschrift überhaupt bedeutsam sein können.1114 Im Ergebnis ließ das Gericht die Frage nach der Zulässigkeit von Auflagen zugunsten des Allgemeinwohls auf Grundlage von § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG jedoch offen.1115 Mit Blick auf Schutzvorkehrungen zugunsten von Allgemeinwohlbelangen wird darüber hinaus teilweise für erforderlich gehalten, § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG nicht nur auf solche Konflikte anzuwenden, die auf nachträglich eingewanderte Arten zurückzuführen sind, sondern auch auf solche, die bereits bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses objektiv vorhersehbar waren, jedoch seitens der Planfeststellungsbehörde übersehen wurden.1116 Fraglich ist, inwiefern sich diese Sichtweise mit der von § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG vorausgesetzten fehlenden Voraussehbarkeit der Vorhabenauswirkungen in Einklang bringen lässt. Voraussehbar sind solche Auswirkungen, die zum Zeitpunkt der Planungsentscheidung gewiss sind

1110

VGH Mannheim, Beschl. v. 03.02.2012 – 5 S 190/12 (unveröffentlicht) (anders dagegen: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 74); Lieber, NuR 2012, 665 (670); D. Kratsch, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 45 Rn. 64; wohl auch: Lau, UPR 2015, 361 (364). 1111 VGH Mannheim, Beschl. v. 03.02.2012 – 5 S 190/12 (unveröffentlicht); zustimmend: Lieber, NuR 2012, 665 (670). 1112 VGH Mannheim, Beschl. v. 03.02.2012 – 5 S 190/12 (unveröffentlicht); zustimmend: Lieber, NuR 2012, 665 (670). 1113 Lieber, NuR 2012, 665 (670). 1114 BVerwG, Urt. v. 12.08.1999 – 4 C 3/98, NVwZ 2000, 675 (675). 1115 BVerwG, Urt. v. 12.08.1999 – 4 C 3/98, NVwZ 2000, 675 (675). 1116 Lieber, NuR 2012, 665 (670); Lau, UPR 2015, 361 (364).

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oder die mit hinreichender Zuverlässigkeit prognostiziert werden können.1117 Der Betroffene soll mit Ansprüchen gegen solche Vorhabenwirkungen ausgeschlossen werden, die bereits gegen die ursprüngliche Planfeststellung hätten geltend gemacht werden können.1118 Die Rechtsprechung1119 und Teile des Schrifttums1120 legen dabei einen objektiven Maßstab an und stellen darauf ab, ob der Betroffene verständigerweise mit den Auswirkungen rechnen musste; auf die subjektive Fähigkeit des Planbetroffenen, das Eintreten möglicher nachteiliger Wirkungen sachkundig einschätzen zu können, soll es grundsätzlich nicht ankommen.1121 Nicht voraussehbar sind hiernach nachteilige Auswirkungen, die abweichend von einer methodisch fehlerfrei erstellten Prognose eintreten, die die Planfeststellungsbehörde dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegt hat,1122 oder deren Schädlichkeit bzw. Gefährlichkeit sich erst nachträglich aufgrund neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse und des technischen Fortschritts herausstellen.1123 Anders bewertet wird demgegenüber der Fall einer bereits bei Erstellung methodisch fehlerhaften Prognose; entwickeln sich die Vorhabenauswirkungen hier nachteiliger als prognostiziert, wurden sie nach der zugrunde gelegten Prognose zwar tatsächlich nicht vorhergesehen, waren für einen objektiven Betrachter jedoch vorhersehbar, sodass § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG jedenfalls nicht unmittelbar herangezogen werden kann.1124 Zur Erfassung naturschutzrechtlicher Kon1117 BVerwG, Urt. v. 07.03.2007 – 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827 (829); Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 70 m.w. N. 1118 Vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.2007 – 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827 (830); Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 66. 1119 BVerwG, Urt. v. 01.07.1988 – 4 C 49/86, NVwZ 1989, 253 (255); Urt. v. 07.03. 2007 – 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827 (829). 1120 Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 75 Rn. 37; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 69; Masing/Schiller, in: Obermayer/Funke/ Kaiser, VwVfG, § 75 Rn. 26; Uschkereit, in: Pautsch/Hoffmann, VwVfG, § 75 Rn. 49; Ziekow, VwVfG, § 75 Rn. 27. 1121 Inwiefern dieser objektive Maßstab, der dem Betroffenen letztlich sachverständige Kenntnisse abverlangt, zu befürworten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da es für die Bewertung von Allgemeinwohlbelangen ohnehin an einem „Betroffenen“ fehlt, auf dessen subjektive Sichtweise abgestellt werden könnte. Kritisch zum objektiven Maßstab und auf den Maßstab eines Betroffenen abstellend, der über durchschnittliche Erkenntnisfähigkeiten verfügt: Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 75 Rn. 125; Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn. 47a f.; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 71; siehe ferner: Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 151. 1122 BVerwG, Urt. v. 21.03.1996 – 4 A 10/95, NVwZ 1996, 1006 (1007); Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 70; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 148; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 75 Rn. 38. 1123 BVerwG, Beschl. v. 21.01.2004 – 4 B 82/03, NVwZ 2004, 618 (618); Urt. v. 28.04.2016 – 4 A 2/15, NVwZ 2016, 1325 (1327); Neumann/Külpmann, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 71a; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 148; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 75 Rn. 39. 1124 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 71.

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fliktsituationen, die bereits bei Erlass des Planfeststellungsbeschluss bestanden und nach den im Zulassungsverfahren anzulegenden Prüfungsmaßstäben auch objektiv erkennbar waren, bedürfte es nach vorstehenden Ausführungen damit einer Art doppelt analogen Anwendung des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG.1125 Für eine dahingehende Anwendung des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG wird hervorgebracht, dass die hinter dem Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit stehende Erwägung, eine ausufernde Durchbrechung der Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen durch Geltendmachung von Ansprüchen zu verhindern, bei dem ohnehin nicht der Bestandskraft fähigen, allein objektiv relevanten Artenschutzrecht nicht bestehe.1126 Hingewiesen wird überdies auf die in der Praxis regelmäßig schwierige Abgrenzung zwischen bereits im Zeitpunkt der Planfeststellung vorliegenden Konflikten und solchen, die erst nachträglich infolge neu eingewanderter Arten entstanden sind.1127 Vorgenannter Auffassung ist zuzugestehen, dass sich das Bedürfnis, Konflikten mit den §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG durch die Anordnung nachträglicher Schutzvorkehrungen zu begegnen, insbesondere angesichts des unionsrechtlichen Hintergrundes des Natura 2000-Gebietsschutzes sowie EU-Artenschutzrechts nicht von der Hand weisen lässt. Die Notwendigkeit einer analogen bzw. – im Falle der Anwendung zugunsten bereits anfänglich bestehender Konflikte – sogar mehrfach analogen Anwendung des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG verdeutlicht jedoch, dass diese Vorschrift hierfür nicht den geeigneten Ansatzpunkt bietet. Der Wortlaut des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG weicht eindeutig von dem des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG ab, der ausdrücklich auf das Wohl der Allgemeinheit Bezug nimmt.1128 Von „geringfügigen textlichen Unterschieden“ oder einem Redaktionsversehen, das auf eine planwidrige Regelungslücke schließen lässt, kann mithin nicht ausgegangen werden.1129 Während § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG der Bewältigung sämtlicher vorhabenbedingter Konflikte dient, werden die von § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG erfassten Konflikte gerade auf solche zwischen dem Vorhaben und den hiervon betroffenen Dritten reduziert.1130 Eine Analogie zu § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG für ein Einschreiten von Amts wegen zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen ist mit der herrschenden Auffassung daher abzulehnen. Hierfür streitet auch, dass die Fachplanungsgesetze zum Teil ausdrücklich zu nachträglichen Anordnungen im öffentlichen Interesse ermächtigen.1131 Eines 1125

Lau, UPR 2015, 361 (364). Lau, UPR 2015, 361 (364); Lieber, NuR 2012, 665 (670). 1127 Lau, UPR 2015, 361 (364). 1128 Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 42; hierauf hinweisend auch: Lau, UPR 2015, 361 (364). 1129 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (368). 1130 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (368). 1131 Siehe etwa: § 9b Abs. 3 S. 2 AtG; § 36 Abs. 4 S. 2 und 3 KrWG, § 66 Abs. 2 S. 1 und 2 UVPG, wonach die Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen über 1126

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Rückgriffs auf § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG unter Überschreitung der Wortlautgrenze fordert auch der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz nicht.1132 Denn wie bereits angedeutet und wie im Folgenden noch zu konkretisieren sein wird, lässt sich eine hinreichende Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen mittels nachträglicher Anordnungen auch gegenüber planfestgestellten Vorhaben jedenfalls auf Grundlage der allgemeinen Aufhebungsvorschriften sicherstellen.1133 4. Nachträgliche Anordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG Aufgezeigt wurde, dass sich nachträgliche Schutzanordnungen zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG weder auf die Anordnungsbefugnisse des Bundesimmissionsschutzgesetzes noch auf die allgemeinen Planungsvorschriften der §§ 72 ff. VwVfG stützen lassen. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit sich dem Bundesnaturschutzgesetz als Fachgesetz eine Eingriffsgrundlage zur Durchsetzung der in ihm enthaltenen naturschutzrechtlichen Verbotsvorgaben auch gegenüber zugelassenen Vorhaben und Anlagen entnehmen lässt. Herangezogen werden könnte die Vorschrift des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG, die eine als naturschutzrechtliche Generalklausel1134 ausgestaltete sonderordnungsrechtliche Anordnungsbefugnis der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden enthält.1135 Untersuchungsbedarf besteht mit Blick auf die Anordnungsbefugnis nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG dabei in verschiedener Hinsicht. Näherer Betrachtung bedarf ihre Anwendbarkeit auf die hier zu betrachtenden Zulassungsformen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie des Planfeststellungsbeschlusses [b)]. Zu analysieren sind ferner mögliche Begrenzungen der naturschutzbehördlichen Anordnungsbefugnisse aufgrund der Legalisierungswirkung vorgenannter Zulassungsentscheidungen [c)] sowie die für die Ermessensentscheidung der Naturschutzbehörde nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG relevanten Gesichtspunkte [d)]. Bevor auf vorgenannte Punkte näher eingegangen werden kann, sind zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der naturschutzrechtlichen Generalklausel überschlägig darzustellen [a)]. Anforderungen an das Vorhaben auch nach dem Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses zulässig ist, soweit dies zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist. Siehe auch § 57 Abs. 2 und 3 WindSeeG; § 14 Abs. 2, 3 SeeAnlG. 1132 Offen gelassen von: VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 75. 1133 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. c) aa) sowie näher unter 2. Teil, D. II. 5. 1134 BT-Drs. 16/12274, S. 51; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23. 1135 Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 15; Lütkes, in: Lütkes/ Ewer, BNatSchG, § 3 Rn. 6; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 13.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

a) Allgemeines: Erforderliche Maßnahmen zur Einhaltung des Naturschutzrechts Gemäß § 3 Abs. 2 BNatSchG überwachen die für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden die Einhaltung der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften und treffen nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen, „um deren Einhaltung sicherzustellen“, soweit nichts anderes bestimmt ist.1136 Bereits aus dieser Formulierung ergibt sich, dass gegenläufige Maßnahmen ergriffen werden können, noch bevor es zu einer Verletzung naturschutzrechtlicher Verbote und damit auch der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG kommt.1137 Ein wirksamer Naturschutz erfordert gerade ein präventives Handeln im Vorfeld eines eingetretenen Schadens.1138 Die Befugnis der Naturschutzbehörde zur Abwehr von Zuwiderhandlungen gegen naturschutzrechtliche Vorschriften setzt damit nicht erst bei der eingetretenen und andauernden Störung in Form einer erfolgten oder gegenwärtigen Rechtsverletzung ein.1139 Entsprechend seinem Charakter als sonderpolizeirechtliche Generalklausel ist für ein Einschreiten auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG vielmehr das Vorliegen einer konkreten Gefahr ausreichend, d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass es bei ungehindertem Geschehensablauf aus Sicht eines durchschnittlichen Amtswalters zu einem Verstoß gegen naturschutzrechtliche Verbote kommen wird.1140 Die bloß abstrakte Gefahr, d. h. eine Situation, die lediglich bei einer typisierenden Betrachtung zu einem Schaden führen kann, genügt für die Anordnung von Gefahrabwehrmaßnahmen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG hingegen nicht.1141 1136 § 3 Abs. 2 BNatSchG ist damit Aufgabenzuweisung- und Befugnisnorm, Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 18. 1137 Schumacher, NuR 2019, 323 (325). Zumindest missverständlich ist daher die Formulierung des OVG Lüneburg, für ein Einschreiten auf Grundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG sei „auf Tatbestandsseite ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erforderlich“, siehe OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 55. Kritisch hierzu auch Schumacher, NuR 2019, 323 (325). 1138 Schumacher, NuR 2019, 323 (325); Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21. 1139 VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K 15.1343, juris Rn. 28; Urt. v. 01.12. 2016 – Au 2 K 16.644, juris Rn. 37; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 49; Schumacher, NuR 2019, 323 (325); Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 32. 1140 VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 49; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 32; Heß/Wulff, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 19; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 26. 1141 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 32, die darauf verweisen, dass im Falle einer bloß abstrakten Gefahr allenfalls Verordnungen in Betracht kommen; a. A.: Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, BNatSchG, § 3 Rn. 7.

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Für ein Einschreiten auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG ist grundsätzlich auch das Vorliegen eines Gefahrenverdachts ausreichend, d. h. eine zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung unklare Sachlage, die ebenso gefährlich wie ungefährlich sein kann.1142 Zulässig sind in diesem Fall jedoch lediglich Gefahrerforschungseingriffe, d. h. Maßnahmen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung.1143 Für die hier in Rede stehende Untersuchung der Reichweite des Bestandsschutzes ist die Möglichkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG von geringer Relevanz und kann insofern außer Betracht bleiben.1144 Ermöglicht § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG den Naturschutzbehörden bei Vorliegen einer konkreten Gefahr damit grundsätzlich die Anordnung von Gefahrabwehrmaßnahmen zur Durchsetzung der Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG,1145 verbleibt die im Folgenden zu untersuchende Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese auch gegenüber bestandskräftig zugelassenen immissionsschutzrechtlichen Anlagen und planfestgestellten Vorhaben getroffen werden können. b) Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG Die Frage nach der Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen sowie planfeststellungsbedürftige Vorhaben stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund eines potenziell abschließenden Charakters der im Immissionsschutz- bzw. Planfeststellungsrecht vorgesehenen Eingriffsinstrumentarien. aa) Anwendbarkeit auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen Als vergleichsweise unproblematisch erweist sich die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen. Nach ganz herrschender Auffassung richtet sich die Zulässigkeit nachträglicher Maßnahmen zur Durchsetzung von Anforderungen, die sich aus sonstigen öffent1142 OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.10.2015 – 4 ME 229/15, juris Rn. 6; Lau, NuR 2018, 587 (588); Barner-Gaedicke, NuR 2018, 663 (665); Brinktrine, in: Giesberts/ Reinhardt, Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 27; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21. 1143 Zu der Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen: Lau, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 44 Rn. 9; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 27; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 21. 1144 Siehe näher zu der Frage der im Falle eines Gefahrenverdachts gegenüber einem Anlagenbetreiber zulässigen Anordnungen: Lau, NuR 2018, 587 (588 f.). 1145 VG Augsburg, Urt. v. 17.12.2015 – Au 2 K.15.1343, juris Rn. 25; Lütkes, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 3 Rn. 6; Müller-Walter, in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 5.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lich-rechtlichen Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ergeben, allein nach dem jeweiligen Fachrecht.1146 Aus dem Umstand, dass das Immissionsschutzrecht zur nachträglichen Durchsetzung von Vorgaben sonstiger öffentlichrechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG keine speziellen Ermächtigungsgrundlage enthält, lässt sich nicht schließen, dass die Anlagen diesbezüglich einen größeren Schutz genießen als im Bereich der immissionsschutzrechtlichen Pflichten.1147 Die Instrumentarien, die das Immissionsschutzrecht zur nachträglichen Konfliktbewältigung enthält, sind gegenüber den Eingriffsgrundlagen anderer Fachgesetze nicht abschließend. Die Beschränkung des § 17 BImSchG auf immissionsbezogene Anordnungen1148 kann nicht dahingehend verstanden werden, dass nicht immissionsbedingte Gefahren generell ohne Einschränkungsmöglichkeit gestattet sein sollen.1149 Umfang und Grenzen des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen bestimmen sich insofern auch nach den einschlägigen Eingriffsgrundlagen der Fachgesetze. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen nachträgliche Maßnahmen der Naturschutzbehörde auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen im Grundsatz keine Bedenken.1150 Auch in der Rechtsprechung wird die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen nicht in Frage gestellt.1151 Entgegen vereinzelt vertretener Auffassung1152 liegt hierin auch kein unzulässiger Eingriff in den Kompetenzbereich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde. Die Konzentrationswirkung und damit die Zuständigkeit der Immissionsschutzbehörde für die Durchsetzung sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG endet mit Erlass der Genehmi-

1146 Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 25; Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 22; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 117. 1147 Vgl. BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – 7 C 14/08, NVwZ 2009, 1441 (1442) für Rechtsänderungen im Bereich öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt durch: BVerfG, Beschl. v. 14.01.2010 – 1 BvR 1627/09, NVwZ 2010, 771 (774). 1148 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 2. 1149 Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 446. 1150 Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23.3; siehe auch Schumacher, NuR 2019, 323 (324). 1151 OVG Lüneburg, Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 35 ff.; Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 38 ff.; Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, juris Rn. 4; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 8 ff.; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 43 ff.; Beschl. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/11, juris Rn. 5; Beschl. v. 10.06.2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5; VG Augsburg, Urt. v. 29.03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 37. 1152 Wemdzio, NuR 2011, 464 (468).

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gungsentscheidung.1153 Das nachfolgende Überwachungsverfahren in der Errichtungs-, Betriebs- und Stilllegungsphase ist von der Entscheidungskonzentration nach § 13 BImSchG nicht mehr erfasst.1154 Die zuständigen Naturschutzbehörden sind innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs durch das Vorliegen einer wirksamen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung von der Überwachung der genehmigten Anlage nicht ausgeschlossen. Bei Ausübung ihrer Kompetenzen haben sie freilich die durch die Regelungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gesetzten Grenzen zu beachten.1155 bb) Anwendbarkeit auf planfestgestellte Vorhaben Unterschiedlich beurteilt wird demgegenüber, ob die Eingriffsgrundlagen außerhalb des Fachplanungsrechts, des sogenannten sekundären materiellen Rechts,1156 auf planfestgestellte Vorhaben Anwendung finden können. Diese Fragestellung hat bislang vergleichsweise wenig Beachtung gefunden. Teilweise wird bei Planfeststellungsbeschlüssen die Anwendbarkeit von Eingriffsgrundlagen des sekundären Fachrechts zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen verneint.1157 Verwiesen wird hierbei auf den mit der Konzentrations- und Gestattungswirkung verbundenen abschließenden Charakter des Planfeststellungsbeschlusses.1158 Die Planfeststellung stelle eine einheitliche Gesamtentscheidung dar, die ausschließlich mit den planspezifischen Instrumentarien geändert werden könne.1159 Allein durch diese sei den Besonderheiten der Planfeststellung Rechnung getragen und die vom Gesetzgeber gewollte besondere Bestandskraft der Planfeststellung sichergestellt.1160 Die Anwendung der fach1153

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 2. Fischer, I+E 2014, 93 (97); Fluck, NVwZ 1992, 114 (117). 1155 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. II. 4. c). 1156 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 72. 1157 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 72 f., 118 f., die als Beispiel hierfür § 53 Abs. 3 HessBO und § 41 BImSchG nennt; wohl auch: Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 5 Rn. 23; v. Feldmann/Groth, NVwZ 2014, 1173 (1176); Kautz, NuR 2017, 93 (96); Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 177 ff. 1158 Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 178; Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 72 f., 118 ff. 1159 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 72 f., 118 ff. sieht im Hinblick auf Rechte Dritter § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG als eine die Eingriffsgrundlagen des sekundären materiellen Rechts verdrängende Regelung an, im Hinblick auf Allgemeinwohlbelange wohl die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG, die ihrer Auffassung zufolge nur ausnahmsweise in Fällen verfassungs- oder europarechtlicher Gebotenheit Anwendung finden sollen und auf die dann – in gewissem Umfang – die einschränkenden Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG zu übertragen seien; ähnlich: Feldmann/Groth, NVwZ 2014, 1173 (1176); vgl. auch Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 178. 1160 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 119. 1154

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

rechtlichen Eingriffsgrundlagen würde hingegen dazu führen, dass nachträglich zusätzliche Anforderungen zur Abwehr von Nachteilen für die Allgemeinheit an ein planfestgestelltes Vorhaben gestellt werden könnten, ohne dass es auf die Voraussetzung der fehlenden Vorhersehbarkeit der Auswirkungen des Vorhabens als Wesensmerkmal des fachplanungsrechtlichen Bestandsschutzes ankäme.1161 Die betreffenden Fachbehörden könnten damit nachträglich den Planfeststellungsbeschluss abändern und dem Vorhaben etwa ein höheres Schutzniveau zugunsten des Allgemeinwohls abverlangen, als es die Planfeststellungsbehörde aufgrund ihrer Gesamtabwägung sämtlicher Belange vorgesehen hat.1162 Dies würde letztlich zu einer Umgehung der durch die Planfeststellungsbehörde in Form des Planfeststellungsbeschlusses gefundenen, grundsätzlich abschließenden Konfliktlösung führen.1163 Überwiegend wird dagegen ein nachträgliches Einschreiten gegenüber planfestgestellten Vorhaben auch auf Grundlage von fachgesetzlichen Regelungen für zulässig gehalten.1164 Diese Ansicht verdient Zustimmung. (1) Kein Ausschluss aufgrund der Konzentrationswirkung nach § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG Die Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses nach § 75 Abs. 1 S. 1 HS 2 VwVfG lässt sich der Anwendbarkeit der Eingriffsgrundlagen des sekundären materiellen Rechts ebenso wenig entgegenhalten, wie es mit Blick auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Fall ist.1165 Auch die Konzen1161

Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 119. Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 120. 1163 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 120. Ebenfalls auf den abschließenden Charakter des Planfeststellungsbeschlusses abstellend: Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 178. 1164 Grupp, DVBl 1990, 81 (88 f.); Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (292 f.); Fischer, I+E 2014, 93 (95 ff.); wohl auch Ziekow, VwVfG, § 72 Rn. 33. Siehe auch die h. M. zur Anwendbarkeit des § 17 BImSchG: Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 6.1; Koch/König, in: Führ, GK-BImSchG, § 17 Rn. 17; Frenz, in: Kotulla, BImSchG, § 17 Rn. 30; unter Einschränkungen auch: Hansmann/ Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 64 f., nach denen von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 17 BImSchG auf planfestgestellte Vorhaben dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn das Gesetz, nach dem die Planfeststellung erfolgt ist, der Behörde abschließend eine eigene Befugnis zu nachträglichen Maßnahmen einräumt, wie dies bspw. in § 36 Abs. 4 S. 3 KrWG der Fall ist; ferner Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 7; a. A.: Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 17 Rn. 32; Kautz, NuR 2017, 93 (96); zur Anwendbarkeit des § 24 BImSchG: VGH Mannheim, Urt. v. 15.10. 2015 – 5 S 2020/13, juris Rn. 80; OVG Bremen, Urt. v. 11.06.1996 – 1 G 3/94, juris Rn. 72; vgl. auch: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2009 – 3 K 716/08, juris Rn. 16 (bestätigt durch OVG Münster, Beschl. v. 04.01.2012 – 8 A 281/10, juris Rn. 5). 1165 Fischer, I+E 2014, 93 (97); siehe zur Anwendbarkeit des § 17 BImSchG auf Planfeststellungsbeschlüsse: Frenz, in: Kotulla, BImSchG, § 17 Rn. 30; Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 6.1. 1162

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trationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses stellt lediglich eine Zuständigkeits-, Verfahrens- und Entscheidungskonzentration dar,1166 die nach der gesetzlichen Ausgestaltung mit Erlass des Planfeststellungsbeschluss endet.1167 Es ist nicht ersichtlich, weshalb für die zeitliche Reichweite der fachplanungsrechtlichen Konzentrationswirkung etwas anderes gelten sollte als für die Konzentrationswirkung nach § 13 BImSchG.1168 Sofern teilweise unter Verweis auf die größere Sachnähe der Planfeststellungsbehörde die Erstreckung der Konzentrationswirkung der Planfeststellung jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Vorhabens befürwortet wird,1169 ist zu berücksichtigen, dass auch die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde kraft Konzentrationswirkung als Ausnahmeregelung von dem im Übrigen geltenden Gefüge fachbehördlicher Zuständigkeiten im Zweifel eng auszulegen ist.1170 Jede Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung bedarf einer entsprechenden gesetzlichen Regelung.1171 Ohne eine derartige ausdrückliche Legitimation1172 lässt sich jedenfalls kraft der Konzentrationswirkung eine allgemeine Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde über den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hinaus nicht begründen.1173 (2) Abschließende planungsrechtliche Vorschriften? Sofern von der Gegenansicht allgemein auf die „besondere Bestandskraft“ der Planfeststellung verwiesen wird, liefert dies für die Frage nach der Anwendbarkeit der fachgesetzlichen Eingriffsbefugnisse insoweit keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn, als sich die Reichweite des Bestandsschutzes, wie er durch einen wirksamen Planfeststellungsbeschluss vermittelt wird, gerade auch nach den gemäß der gesetzgeberischen Ausgestaltung anwendbaren Eingriffsgrundlagen bestimmt.1174 Wie auch mit Blick auf die Aufhebungsvorschriften der §§ 48, 49 VwVfG ist für die Anwendbarkeit der fachrechtlichen Eingriffsbefugnisse damit maßgeblich, inwieweit sich den planungsrechtlichen Vorschriften im Wege der Auslegung ein abschließender Charakter gegenüber diesen entnehmen lässt.

1166

BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 – 4 A 1075/04, NVwZ-Beil. 2006, 1 (41). Lau, NuR 2018, 653 (657); a. A. wohl Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, § 2 Rn. 178; Kautz, NuR 2017, 93 (98). 1168 Fischer, I+E 2014, 93 (97). 1169 So Kautz, NuR 2017, 93 (98). 1170 Fischer, I+E 2014, 93 (97). 1171 Berger, VerwArch 100 (2009), 342 (359); Fischer, I+E 2014, 93 (97). 1172 Eine derartige Legitimation enthält etwa § 19 Abs. 4 WHG, der auf Antrag der zuständigen Wasserbehörde die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für nachträgliche Inhalts- und Nebenbestimmungen zuschreibt. 1173 Fischer, I+E 2014, 93 (97). 1174 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. 1167

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Die Vorschrift des § 75 Abs. 2 S. 2–4 VwVfG kann aufgrund seiner ausschließlichen Bezugnahme auf Rechte Dritter1175 für ein Einschreiten zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen keine Ausschlusswirkung entfalten. Die Annahme der Anwendbarkeit der fachrechtlichen Eingriffsgrundlagen führt daher auch zu keiner Umgehung der Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 S. 2–4 VwVfG. Sofern darauf verwiesen wird, dass die hierin vorausgesetzte fehlende Voraussehbarkeit der nachteiligen Auswirkungen ein Wesensmerkmal des durch einen Planfeststellungsbeschluss vermittelten erhöhten Bestandsschutzes darstellt, vermag dies insofern nicht zu überzeugen, als § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG diese Voraussetzung allein für nachträgliche Anordnungen zugunsten Rechte Dritter vorsieht. Mit dem Tatbestandsmerkmal der Unvorhersehbarkeit soll der betroffene Dritte mit Ansprüchen gegen solche Vorhabenwirkungen ausgeschlossen werden, die bereits gegen die ursprüngliche Planfeststellung hätten geltend gemacht werden können.1176 Auf die nachträgliche Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen lassen sich diese Erwägungen nicht ohne Weiteres übertragen.1177 Vereinzelt enthalten die Fachplanungsgesetze zwar Bestimmungen betreffend den Erlass nachträglicher Anordnungen zum Schutz von Allgemeinwohlbelangen, die in ihrem Anwendungsbereich die fachgesetzlichen Eingriffsgrundlagen grundsätzlich als leges speciales verdrängen können.1178 Zur Durchsetzung von naturschutzrechtlichen Vorgaben sind sie indes nicht in allen Fällen geeignet.1179 Aus dem Umstand, dass in den allgemeinen Regelungen der §§ 72 ff. VwVfG keine und in den fachplanungsrechtlichen Vorschriften nur vereinzelt Instrumentarien zur nachträglichen Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen von Amts wegen enthalten sind, lässt sich auch nicht schließen, dass die Anordnungsbefugnisse des sekundären Fachrechts im Übrigen keine Anwendung finden sollen. Die gesetzliche Ausgestaltung des (Fach-)Planungsrechts dürfte historisch darin begründet liegen, dass das Planfeststellungsrecht traditionell als Instrument zur Zulassung hoheitlicher Vorhaben entwickelt wurde.1180 Bei öffentlich-rechtlichen Vorhabenträgern ist aufgrund ihrer unmittelbaren Gesetzesbindung nach Art. 20

1175

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 3. Vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.2007 – 9 C 2/06, NVwZ 2007, 827 (830); Neumann/ Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 66. 1177 So zum besonderen Artenschutzrecht: Lieber, NuR 2012, 665 (670). 1178 Siehe etwa: § 9b Abs. 3 S. 2 AtG; § 36 Abs. 4 S. 2 und 3 KrWG; § 66 Abs. 2 S. 1 und 2 UVPG, wonach die Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen über Anforderungen an das Vorhaben auch nach dem Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses zulässig ist, soweit dies zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist. Siehe auch § 57 Abs. 2 und 3 WindSeeG; § 14 Abs. 2, 3 SeeAnlG. 1179 Vgl. etwa § 9b Abs. 3 S. 2 AtG: nachträgliche Auflagen sind hiernach zur Erreichung der in § 1 Nr. 2–4 AtG bezeichneten Zwecke zulässig. 1180 Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 46; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 37; Steinberg/Wickel/Müller, Fachplanung, 4. Aufl. 2012, § 1 Rn. 22. 1176

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Abs. 3 GG1181 bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten grundsätzlich davon auszugehen, dass sie drohenden Verstößen gegen materiell-rechtliche Standards von sich aus entgegenwirken und ihr Vorhaben entsprechend anpassen bzw. eine Änderung des festgestellten Plans beantragen oder im äußersten Fall sogar die Durchführung des Vorhabens endgültig aufgeben werden.1182 Angesichts der wachsenden Zahl der sich in privater Trägerschaft befindlichen planfeststellungsbedürftigen Vorhaben lässt sich eine Privilegierung planfestgestellter Vorhaben durch den Ausschluss behördlicher Anordnungsbefugnisse zur Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen indes nicht (mehr) begründen.1183 Die Bindung an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung lässt sich hier nicht zum Ansatz bringen, was die Frage nach zusätzlichen Eingriffsmöglichkeiten aufwirft.1184 Überdies kann – wie noch zu konkretisieren sein wird – ein hoheitliches Einschreiten zur Durchsetzung materiell-rechtlicher Anforderungen trotz der Gesetzesbindung von öffentlich-rechtlichen Vorhabenträgern auch ihnen gegenüber erforderlich sein.1185 (3) Ausschließliche Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde aufgrund möglicher Abwägungsrelevanz? Der Gegenauffassung ist zuzugestehen, dass es der gesetzlichen Systematik zuwiderliefe, würde man den Fachbehörden die Befugnis zugestehen, nachträgliche Änderungen eines festgestellten Plans bzw. eines auf dieser Grundlage verwirklichten Vorhabens im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens vorzunehmen. Dass die Änderung eines in einem formellen Verfahren aufstellten Plans bzw. eines planfestgestellten Vorhabens grundsätzlich der Durchführung eines neuen Planfeststellungsverfahrens bedarf, ergibt sich aus den Planfeststellungsvorbehalten des Fachplanungsrechts,1186 für die Phase bis zur Fertigstellung des Vorhabens zudem aus § 76 VwVfG.1187 Auch soweit einige fachplanungsrecht1181 Grundlegend: BVerwG, Urt. v. 16.01.1968 – 1 A 1.67, BVerwGE 29, 52 (56); ferner: Urt. v. 14.02.1969 – 4 C 215.65, BVerwGE 31, 263 (271); Scheidler, UPR 2004, 253 (253); Bäcker, in: Lisken/Denniger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, D. Rn. 18; Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Aufl. 2022, § 9 Rn. 80. 1182 Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 37. Vgl. auch Grupp, DVBl 1990, 81 (89). 1183 Siehe zu den entsprechenden Erwägungen zur Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG unter 2. Teil, D. I. 1. c). 1184 Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 72 Rn. 38. 1185 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. b) cc). 1186 Siehe etwa: § 18 Abs. 1 S. 1 AEG; § 43 Abs. 1 S. 1 EnWG; § 17 Abs. 1 S. 1 FStrG; § 8 Abs. 1 S. 1 LuftVG; § 1 Abs. 1 S. 1 MBPlG; § 18 Abs. 1 NABEG; § 2 Abs. 1 SpurVerkErprG; § 20 Abs. 1 S. 1 UVPG; § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 PBefG. 1187 Nach Fertigstellung des Vorhabens findet § 76 VwVfG weder direkt noch analog Anwendung, Maus, NVwZ 2018, 1087 (1088); Weiß, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 76 Rn. 18.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

liche Planfeststellungsvorbehalte unwesentliche Änderungen bereits nicht erfassen1188 und das Planfeststellungserfordernis im Übrigen unter den Voraussetzungen der §§ 76 Abs. 2, Abs. 3 und 74 Abs. 7 S. 1 VwVfG entfallen kann, kommt jedenfalls den Fachbehörden keine Kompetenz zu, den Planfeststellungsbeschluss nachträglich im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens abzuändern.1189 Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses kann eine nachträgliche Planänderung ohne entsprechenden Antrag des Vorhabenträgers zudem selbst durch die Planfeststellungsbehörde nicht ohne Weiteres, sondern allein unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG von Amts wegen eingeleitet werden.1190 Indes kann nicht in jeder nachträglichen Anordnung auf Grundlage der fachgesetzlichen Eingriffsgrundlagen, die im weiteren Sinn ein planfestgestelltes Vorhaben betrifft, eine Planänderung gesehen werden.1191 Eine Planänderung ist anzunehmen bei Abweichungen von dem verfügenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses unter Wahrung der Identität des Vorhabens.1192 Nachträgliche ordnungsrechtliche Auflagen der Fachbehörden, die lediglich der vorläufigen Gefahrenabwehr dienen, werden indes nicht Teil des Planfeststellungsbeschlusses.1193 Nachträgliche betriebliche Anordnungen – etwa auf Grundlage des § 17 BImSchG1194 – sind dem Regelungsgegenstand der Planfeststellung jedenfalls dann entzogen, wenn der Planfeststellungsbeschluss allein die Errichtung, nicht jedoch den Betrieb des Vorhabens erfasst.1195 Tatsächliche Veränderungen des Betriebs eines Vorhabens stellen hier daher keine Planänderung dar.1196 Zwar mag ein Planänderungsverfahren auch dann erforderlich sein, wenn wesentliche und sub-

1188 Siehe etwa: § 9b Abs. 1 S. 1 AtG; § 35 Abs. 1 KrWG; § 35 Abs. 2 S. 1 KrWG; § 4 Abs. 1 S. 1 KSpG. 1189 Kautz, NuR 2017, 93 (94). 1190 BVerwG, Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, NVwZ 2021, 152 (154); Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 76 Rn. 31; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HKVerwR, VwVfG, § 76 Rn. 12; Weiß, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 76 Rn. 35; a. A.: Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 76 Rn. 2. 1191 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (292 f.); Fischer, I+E 2014, 93 (96); a. A. wohl Lau, NuR 2018, 653 (657 f.): nachträgliche Anordnungen nach § 3 Abs. 2 BNatSchG würden sich, solange das Vorhabens noch nicht fertiggestellt ist, als Planänderung i. S. d. § 76 VwVfG erweisen, für deren Zulassung die Planfeststellungsbehörde zuständig sei. Auch nach Fertigstellung des Vorhabens sei wegen des unmittelbaren Zusammenhangs entsprechender Maßnahmen mit dem Vorhaben regelmäßig die Planfeststellungsbehörde zuständig. 1192 BVerwG, Urt. v. 07.12.2006 – 4 C 16/04, NVwZ 2007, 576 (579); Fischer, I+E 2014, 93 (96); Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 76 Rn. 5 f.; Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 271. 1193 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (293). 1194 Siehe hierzu: Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 25 ff. 1195 Fischer, I+E 2014, 93 (96). 1196 Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (289); Maus, NVwZ 2012, 1277 (1278).

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stanzielle Fragen im Wege der Abwägung neu entschieden werden müssen.1197 Jedoch tangiert nicht jede nachträgliche Anordnung die durch die Planfeststellungsbehörde getroffene Gesamtentscheidung derart, dass es hier zwingend der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens bedürfte. Jedenfalls bei nachträglichen Anordnungen anlässlich im Zeitpunkt der Zulassung nicht voraussehbarer Konflikte handelt es sich der Sache nach um keine durch Finalsätze strukturierte Abwägungsentscheidung; vielmehr beruht die Entscheidung in diesem Fall als Reaktion auf die nachträglich eingetretenen schädlichen Auswirkungen auf einem konditionalen Entscheidungsprogramm.1198 Zu weitgehend wäre es, eine über den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses fortdauernde Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde damit zu begründen, dass allein diese beurteilen könne, ob ein Sachverhalt von dem Regelungsgehalt eines Planfeststellungsbeschlusses erfasst ist.1199 In der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung findet diese Sichtweise keine Grundlage. Sie würde im Ergebnis darauf hinauslaufen, der Planfeststellungsbehörde den Status einer generellen Betriebsüberwachungsbehörde zuzuschreiben; dies würde der gesetzlichen Ausgestaltung der Konzentrationswirkung zuwiderlaufen, die sich grundsätzlich ausschließlich auf das Zulassungs- bzw. Änderungsverfahren bezieht. Ein hinreichender Schutz der durch den Planfeststellungsbeschluss gefundenen abschließenden Konfliktlösung ist durch die Bindung der Fachbehörden an seinen Regelungsgehalt bei Anwendung der fachgesetzlichen Eingriffsgrundlagen sichergestellt.1200 Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass die planungsrechtlichen Vorschriften einer Anwendung der fachgesetzlichen Eingriffsgrundlagen durch die hierfür zuständigen Fachbehörden grundsätzlich nicht entgegenstehen, sofern nicht das Gesetz, nach dem die Planfeststellung erfolgt ist, der Planfeststellungsbehörde eine abschließende eigene Befugnis zu nachträglichen Maßnahmen einräumt.1201 1197 Siehe zu nachträglichen Anordnungen nach § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG, über die nach h. M. grds. in einem allgemeinen, nichtförmlichen Verwaltungsverfahren entschieden wird: Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 267; Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 76 Rn. 19; siehe auch: Wysk, in: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 76 Rn. 14; Lau, UPR 2015, 361 (365); Kautz, NuR 2017, 93 (97) zu Modifikationen der Ausführungsplanung. 1198 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 75; vgl. zu § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG: Deutsch, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 180. 1199 In diese Richtung jedoch Kirchberg, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 2 Rn. 178: Sämtliche Maßnahmen, die dem Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses selbst oder der Klärung seines Regelungsumfangs gelten, sollen bereits aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Gesamtabwägung daher nur von der Planfeststellungsbehörde selbst getroffen werden können. 1200 Siehe hierzu näher unter 2. Teil, D. II. 4. c). 1201 Für § 17 BImSchG: Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 64; a. A.: Posser, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK, BImSchG, § 17 Rn. 6.1.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

cc) Anordnungen nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber öffentlich-rechtlichen Vorhabenträgern? Insbesondere vor dem Hintergrund der jedenfalls traditionell öffentlich-rechtlichen Trägerschaft planfeststellungsbedürftiger Vorhaben stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit eines Einschreitens auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber Hoheitsträgern. Teilweise wird vertreten, dass die Vorgaben des Naturschutzrechts gegenüber Hoheitsträgern nur mit Aufsichtsmitteln durchgesetzt werden können, nicht hingegen mittels Verfügungen der Naturschutzbehörde.1202 Für diese Sichtweise streitet zunächst, dass für die Verantwortlichkeit im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG als sonderordnungsrechtlicher Generalklausel die Regeln des allgemeinen Polizeirechts gelten.1203 Angesprochen ist damit die Frage nach der formellen Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern, bei der es darum geht, ob die Polizei- und Ordnungsbehörden gegen eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschreiten dürfen, die in Wahrnehmung der ihr übertragenen hoheitlichen Aufgabe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verursacht hat.1204 Die herrschende Auffassung lehnt eine solche formelle Polizeipflicht von Hoheitsträgern grundsätzlich ab.1205 Etwas anderes soll nur bei einer polizeilichen Notzuständigkeit gelten, d. h. in den Fällen, in denen das Abwarten des Handelns des anderen Hoheitsträgers die Wirksamkeit der Gefahrenabwehrbekämpfung gefährden würde.1206 Für die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf hoheitliche Tätigkeiten spricht indes, dass mit Blick auf die mögliche Verwirklichung der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände von einer hoheitlichen Tätigkeit grundsätzlich die gleiche Gefahr ausgeht wie von Tätigkeiten Privater.1207 Zwar ließe sich diese Gefährlichkeit unter Verweis darauf ausräumen, dass der Hoheitsträger – insofern anders als Private – aufgrund seiner Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG die Gewähr für die Einhaltung sämtlicher rechtlicher Anforderungen bietet und bereits von sich aus die erforderlichen Maßnahmen ergreifen wird, um einer möglichen Verwirklichung der Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 2, 44

1202 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 39; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 32; a. A. wohl: Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 7. 1203 Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 31 f. 1204 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, § 4 Rn. 306. 1205 Bäcker, in: Lisken/Denniger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, D. Rn. 20; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, § 4 Rn. 306. Kritisch hierzu: Götz/Geis, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 17. Aufl. 2022, § 13 Rn. 82 m.w. N. 1206 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 11. Aufl. 2021, § 4 Rn. 306 m.w. N. 1207 Vgl. zu diesem für die formelle Polizeipflicht von Hoheitsträgern angeführten Argument: Jarass, BImSchG, § 2 Rn. 20.

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Abs. 1 BNatSchG abzuhelfen.1208 Die ordnungsrechtliche Gefährlichkeit einer hoheitlichen Betätigung mag hierdurch relativiert sein; gänzlich ausgeschlossen ist sie jedoch nicht.1209 Schließlich lässt sich das seitens des Bundesverwaltungsgerichts zur Begründung der Vollzugskompetenz der Immissionsschutzbehörde auch gegenüber hoheitlichen Anlagenbetreibern herangezogene Argument der überlegenen fachlichen Kompetenz1210 auf sämtliche Sonderordnungsbehörden – und damit auch auf die Naturschutzbehörden – ausdehnen, deren Aufgabenerfüllung in besonderer Weise Fachkompetenz erfordert.1211 Jedenfalls soweit es um die Durchsetzung unionsrechtlicher Vorgaben geht, ist eine Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG aus Effektivitätsgründen auch gegenüber hoheitlichen Tätigkeiten zu befürworten. dd) Keine abdrängende Sonderzuweisung, § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG Im Hinblick auf die Anwendbarkeit der naturschutzrechtlichen Generalklausel ist schließlich zu berücksichtigen, dass § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG nur einschlägig ist, „soweit nichts anderes bestimmt ist“. Ein Rückgriff auf die Generalklausel scheidet mithin aus, wenn und soweit im Bundesnaturschutzgesetz oder in anderen Fachgesetzen speziellere Anordnungsbefugnisse bestehen.1212 Dahinstehen kann in vorliegendem Zusammenhang, inwiefern die Ermächtigungsgrundlagen des Umweltschadensgesetzes als abdrängende Sonderzuweisungen in diesem Sinne anzusehen sind.1213 Die Eingriffsbefugnisse des Umweltschadensrechts können Maßnahmen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG jedenfalls nur insoweit verdrängen, als ein bestimmter Sachverhalt vom Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes erfasst ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass der Regelungsgegenstand des EU-Arten- und Habitatschutzrechts nicht deckungsgleich mit dem des Umweltschadensrechts ist. Die Schutzsysteme der FFH-Richtlinie und der Umwelthaftungsrichtlinie stehen

1208 Borowski, VerwArch101 (2010), 58 (82); siehe hierzu bereits unter 2. Teil, D. I. 1. c) und 2. Teil, D. II. 4. b) bb) (2). 1209 Borowski, VerwArch101 (2010), 58 (82). 1210 BVerwG, Urt. v. 25.07.2002 – 7 C 24/01, NVwZ 2003, 346 (347). 1211 Borowski, VerwArch101 (2010), 58 (83). 1212 VG Lüneburg, Urt. v. 18.08.2017 – 2 A 144/16, juris Rn. 22; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 14; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23; Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 15. 1213 Siehe hierzu: Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 15; Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 14; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 42.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

grundsätzlich nebeneinander und ergänzen sich gegenseitig.1214 Während Maßnahmen zur Behebung eines Biodiversitätsschadens i. S. d. § 19 Abs. 1 BNatSchG allein nach Maßgabe des Umweltschadensgesetzes möglich sind und ein Rückgriff auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG ausscheidet, bleibt zur Durchsetzung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG daher weiterhin die Regelung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG anwendbar. c) Begrenzung der Anordnungsbefugnis durch die Legalisierungswirkung wirksamer Zulassungsentscheidungen Ist der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auch hinsichtlich der Auswirkungen immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben eröffnet, bleibt fraglich, in welchem Umfang dies der Fall ist. Für den Bestandsschutz des Vorhabenträgers ist diese Frage insbesondere deshalb von erheblicher Relevanz, als für ein Einschreiten auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG bereits das Vorliegen einer konkreten Gefahr der Verbotsverwirklichung ausreichend ist.1215 Soweit konkrete anlagen- oder vorhabenbezogene Maßnahmen in Rede stehen, ergeben sich bei der Anwendung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG Grenzen aus der Feststellungs- und Gestattungswirkung der zuvor erteilten wirksamen Zulassungsentscheidung bzw. der mit ihr verbundenen Tatbestands- bzw. Legalisierungswirkung.1216 Die Rechtsprechung war in diesem Zusammenhang vermehrt mit der Zulässigkeit nachträglicher Betriebsbeschränkungen immissionsschutzrechtlich genehmigter Windenergieanlagen anlässlich drohender Verstöße gegen § 44 Abs. 1 BNatSchG befasst.1217 aa) Begrenzung durch die Feststellungswirkung Zu untersuchen sind zunächst die Grenzen, die sich aus der Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschluss ergeben. 1214 Vgl. auch GAin Kokott, Schlussanträge v. 15.12.2005, Rs. C-221/04 (Schlingenjagd), ECLI:EU:C:2005:777, Rn. 53. 1215 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. a). 1216 Für immissionsschutzrechtliche Anlagen: OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 40; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VG Würzburg, Urt. v. 22.02.2019 – W 4 K 17.987, juris Rn. 43; Beschl. v. 05.03.2018 – W 4 S 17.1000, juris Rn. 49; VG Augsburg, Urt. v. 29.03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 40; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 35; Brinktrine, in: BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23.3. 1217 Siehe etwa OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 38 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 8 ff.; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 43 ff.; Beschl. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/11, juris Rn. 5; Beschl. v. 10.06.2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5.

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(1) Unzulässigkeit der Neubewertung einer unveränderten Sach- und Rechtslage Die Vorgaben des § 34 BNatSchG sowie der §§ 44 f. BNatSchG bilden zwingenden Prüfungsgegenstand der jeweiligen Zulassungsverfahren.1218 Mit dem Erlass einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschlusses ist mithin die auch für sonstige Behörden grundsätzlich bindende Feststellung verbunden, dass die zugelassene Tätigkeit im Zulassungszeitpunkt mit den Vorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts in Einklang steht.1219 Die Bindungswirkung an den Regelungsgehalt der Genehmigung setzt dabei nicht ihre Rechtmäßigkeit voraus.1220 Der bis zur Erteilung der Zulassungsentscheidung vorliegende Sachverhalt wird von der Feststellungswirkung erfasst, unabhängig davon, ob die Behörde den Sachverhalt richtig ermittelt und bewertet hat.1221 Wurden arten- oder habitatschutzrechtliche Konflikte bereits bei Erteilung der Anlagengenehmigung fehlerhaft verkannt, setzt eine Anordnung zur Durchsetzung der naturschutzrechtlichen Anforderungen daher die vorherige Aufhebung der im Zulassungsbescheid getroffenen Feststellungen durch die Zulassungsbehörde nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG, § 21 BImSchG voraus.1222 Zwar obliegt die Ausgestaltung des durch einen wirksamen Zulassungsakt vermittelten Bestandsschutzes und damit auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen nachträgliche Beschränkungen bzw. Durchbrechungen der durch einen wirksamen Verwaltungsakt vermittelten Bindungswirkung zulässig sind, innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum.1223 Eingriffe in den Regelungsgehalt einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung können daher grundsätzlich auch abweichend von der in § 43 i.V. m. §§ 48–51 VwVfG niedergelegten Grundkonzeption zulässig sein.1224 Allerdings muss sich ein dahingehender Regelungswille der jeweiligen Bestimmung zumindest im Wege der Auslegung entnehmen lassen.1225 Die Regelung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie der Naturschutzbehörde die Neubewertung der bereits im Ausgangsbescheid bewerteten naturschutzrechtlichen Konflikte ermöglicht, um auf dieser Grundlage nachträgliche Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls Fehler der Zulas1218

Siehe hierzu unter 2. Teil, A. Siehe zu der Bindung sonstiger Behörden aufgrund der Tatbestands- bzw. Legalisierungswirkung unter 1. Teil, A. III. 1. b) cc). 1220 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 1. b) cc). 1221 Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1168). 1222 Vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 124; Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1168). 1223 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. c). 1224 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. c). 1225 Siehe zu diesem Aspekt im Zusammenhang mit der Frage einer unmittelbar zulassungsmodifizierenden Wirkung von Rechtsnormen unter 2. Teil, B. V. 1. 1219

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

sungsbehörde zu korrigieren. Mag das Instrument der nachträglichen Anordnung jedenfalls durch die Zulassungsbehörde selbst grundsätzlich auch zur Korrektur bestimmter in der Zulassungsentscheidung übersehener Gesichtspunkte genutzt werden können,1226 kann den Fachbehörden die Befugnis zu einem derart weitreichenden Eingriff in den Regelungsgehalt einer Zulassungsentscheidung jedenfalls ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht zugestanden werden.1227 In vorliegendem Zusammenhang kann angesichts des Charakters des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG als sonderordnungsrechtliche Generalklausel auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Lösung des Konkurrenzproblems zwischen den Eingriffstatbeständen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und den Generalklauseln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts nicht unberücksichtigt bleiben.1228 Die Instrumentarien des Bundesimmissionsschutzgesetzes, die ein nachträgliches Einschreiten gegen genehmigungsbedürftige Anlagen ermöglichen, sind nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht abschließend, sodass sie die ordnungsbehördlichen Generalklauseln als gesetzliche Grundlage nicht kraft ihrer Spezialität formell verdrängen.1229 Allerdings soll sich die Legalisierungswirkung einer Genehmigung dergestalt auf die Anwendbarkeit der Generalklausel auswirken, dass sie es ausschließt, die in der Generalklausel bezeichneten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Einschreitens für gegeben zu erachten.1230 Zur Abwendung unmittelbar drohender Gefahren soll ein Einschreiten auf Grundlage der ordnungsbehördlichen Generalklausel jedoch auch bei genehmigten Anlagen zulässig sein, da die Verursachung derartiger Gefahren durch die Legalisierungswirkung einer Genehmigung rechtlich nicht gedeckt wird.1231 Die Legalisierungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, wie sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verwendung findet, bezeichnet inhaltlich nichts anderes als die mit einem wirksamen Verwaltungsakt allgemein verbundene Bindungs- bzw. Tatbestandwirkung.1232 Aus vorgenannter Rechtsprechung ergibt sich mithin, dass die ord1226 Für die Zulässigkeit von Anordnungen auf Grundlage des § 17 BImSchG ohne eine Änderung der Sach- und Rechtslage: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.04. 2017 – OVG 11 N 10.15, juris Rn. 15; OVG Münster, Urt. v. 09.12.2016 – 8 A 2691/15, juris Rn. 26; Posser, in: Giesberts/Reinhard, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 1; zu § 36 Abs. 4 S. 3 KrWG: Mann, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, § 36 Rn. 95; a. A.: Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 90. Gegen die Neubewertung einer bestimmten bereits in der Genehmigung behandelten Gefahr auch durch die Genehmigungsbehörde auf Grundlage des § 16 Abs. 3 SeeAnlV a. F.: OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 141; diese Frage offenlassend: BVerwG, Urt. v. 29.04.2021 – 4 C 2/19, juris Rn. 33. 1227 Ähnlich: Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166). 1228 Siehe hierzu bereits unter 1. Teil, A. III. 1. b) cc). 1229 BVerwG, Urt. v. 02.12.1977 – 4 C 75.75, juris Rn. 16 ff. 1230 BVerwG, Urt. v. 02.12.1977 – 4 C 75.75, juris Rn. 16. 1231 BVerwG, Urt. v. 02.12.1977 – 4 C 75.75, juris Rn. 17. 1232 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 1. b) cc).

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nungsrechtliche Generalklausel nicht als Norm angesehen werden kann, die zu einer Durchbrechung der Legalisierungswirkung einer Zulassungsentscheidung ermächtigt. Für die Bestimmung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG als sonderordnungsrechtliche Generalklausel kann insoweit nichts anderes gelten. (2) Grenzen der Feststellungswirkung mit Blick auf die fortlaufend geltenden Verbote aus §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG Ist die Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde durch ihre Bindung an den Feststellungswirkung einer zuvor erteilten wirksamen Zulassungsentscheidung begrenzt, unterliegt auch letztere ihrerseits Beschränkungen. Die mit einer wirksamen Zulassungsentscheidung verbundene Feststellung der Vereinbarkeit mit den Vorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts bezieht sich allein auf den Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung; spätere Veränderungen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht sind von ihr nicht erfasst.1233 Statuieren die §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG einen fortlaufenden, auch über den Zulassungszeitpunkt hinaus beachtlichen materiellen Schutzstandard, der die aktuelle Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen hat, ist die Bedeutung der Feststellungswirkung insofern eingeschränkt. Die Situation stellt sich hier nicht wesentlich anders dar als gegenüber den dynamischen Betreiberpflichten des Immissionsschutzrechts.1234 Jedenfalls in Bezug auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen scheint daher Einigkeit dahingehend zu bestehen, dass eine Anordnung der Naturschutzbehörde nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf nachträglich eingetretene Umstände gestützt werden kann, die im Zulassungszeitpunkt noch nicht bekannt waren und daher von der Legalisierungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungswirkung auch nicht erfasst sein können.1235 Derart nachträgliche Umstände können etwa vorliegen, wenn nachträglich besonders geschützte Arten in den Gefahrenbereich einer Anlage einwandern oder es zu im Zulassungszeitpunkt nicht voraussehbaren Veränderungen des Erhaltungszustands eines Natura 2000-Gebiets kommt; hier kann die Naturschutzbehörde Anordnungen zur Durch1233 Siehe zu den Grenzen der Feststellungswirkung in Bezug die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Habitatschutzrechts unter 2. Teil, B. IV. 3. b). 1234 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) bb). 1235 OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 40; Urt. v. 05.07. 2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 36; VG Augsburg, Urt. v. 29.03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 40; Schumacher, NuR 2019, 323 (324 f.); Brinktrine, in: BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23.4; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 35; siehe auch Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 124. A. A. zum Artenschutz: Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (481), dem zufolge im Zulassungszeitpunkt im Hinblick auf das Artenschutzrecht abschließend entschieden werde, da das Unionsrecht keine Regelung enthalten, die ein Einschreiten vorsieht, wenn eine Art nach dem für die Zulassungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt einwandert, siehe hierzu bereits unter 2. Teil, C. I. 1.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

setzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG grundsätzlich ohne Tangierung der Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung treffen. Entgegen teilweise vertretener Auffassung1236 ist – wie auch mit Blick auf den Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG – von einer veränderten Sachlage dabei auch auszugehen, wenn sich nach Zulassungserteilung neue wissenschaftliche Erkenntnisse ergeben, die für die Beurteilung der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände von Relevanz sind.1237 Von einer nachträglichen Neubewertung einer gleich gebliebenen Tatsachenlage, die aufgrund der Legalisierungswirkung der Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde entzogen ist, ist erst in Fällen einer Neubewertung oder nachträglichen Kenntnisnahme eines bereits im Zulassungszeitpunkt verfügbaren wissenschaftlichen Kenntnisstandes auszugehen. Schließlich beschränken sich die Feststellungen in der Zulassungsentscheidung auch auf die zu diesem Zeitpunkt vorliegende Rechtslage, sodass eine Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde beispielsweise auch in den Fällen in Betracht kommt, in denen eine zutreffend erfasste, kollisionsgefährdete, aber nicht besonders geschützte Vogelart erst nach Genehmigungserteilung durch Aufnahme in eine der Listen nach § 7 Abs. 2 S. 1 Nr. 13 BNatSchG dem Schutzregime des § 44 BNatSchG unterfällt1238 oder nachträglich FFH-Gebiete in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen werden. Die Feststellungswirkung von Planfeststellungsbeschlüssen unterscheidet sich in Bezug auf die Vorgaben des Arten- und Habitatschutzes nicht von der Feststellungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung,1239 sodass vorgenannte Maßstäbe hier gleichermaßen gelten. bb) Begrenzung durch die Gestattungswirkung Als mitunter schwierig gestaltet sich die Begrenzung der Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde mit Blick auf die Gestattungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie des Planfeststellungsbeschlusses. Aus der Gestattungswirkung folgt, dass dem Zulassungsinhaber die Errichtung und der Betrieb der immissionsschutzrechtlichen Anlage bzw. des planfestgestellten Vorhabens im Rahmen der Zulassungsentscheidung gestattet ist, solange und soweit diese wirksam ist.1240 Wie bereits festgestellt wurde, hat die infolge einer verän1236

Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1168). Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. b) aa) (1). Vgl. auch BVerwG, Urt. v. 29.04. 2021 – 4 C 2/19, juris Rn. 33. 1238 A. A.: Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1168), nach denen eine Anordnung nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG eine veränderte Sachlage voraussetze. 1239 Siehe hierzu oben 1. Teil, A. IV. 2. a) bb). 1240 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. IV. 1. a) aa) und 1. Teil, A. IV. 2. a) aa). 1237

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derten Sach- und Rechtslage eingetretene Unvereinbarkeit einer behördlich zugelassenen Tätigkeit mit der materiellen Rechtslage nicht die unmittelbare Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung nach § 43 Abs. 2 VwVfG zur Folge, sodass die Schutzwirkung der Gestattungswirkung insoweit fortbesteht.1241 (1) Unzulässigkeit einer (Teil-)Aufhebung Aus der Gesetzessystematik ergibt sich, dass die Regelungsbefugnis der Fachbehörden und damit auch der Naturschutzbehörde jedenfalls dort endet, wo die nachträgliche Anordnung eine (teilweise) Aufhebung der wirksamen Zulassungsentscheidung darstellen würde.1242 Nach den insoweit einschlägigen Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG bzw. § 21 BImSchG, steht die Befugnis hierzu ausschließlich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde1243 bzw. der Planfeststellungsbehörde1244 unter den dort normierten erhöhten Voraussetzungen und einer gegebenenfalls zu gewährenden Entschädigung zu.1245 Maßnahmen, die sich inhaltlich als (Teil-)Aufhebung des Regelungsgehalts einer wirksamen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschlusses darstellen würden, können daher von der zuständigen Naturschutzbehörde nicht auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gestützt werden.1246 Aufgeworfen ist hiermit die Frage, wann mit Blick auf die Gestattungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie eines Planfeststellungsbeschlusses von einer derart unzulässigen (Teil-)Aufhebung auszugehen ist. Von Relevanz ist dies insbesondere mit Blick auf die Zulässigkeit nachträglicher Betriebsbeschränkungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG. In Bezug auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen war die Rechtsprechung vermehrt mit dieser Fragestellung befasst; praktikable Kriterien zur Abgrenzung des zulässigen Inhalts nachträglicher Anordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG zur unzulässigen Teilaufhebung der immissions1241

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. V. 1. und 2. Teil, C. II. 3. Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung: Schumacher, NuR 2019, 323 (324); Giesberts, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 22; Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 13 Rn. 117; Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 25; Guckelberger, in: Kotulla, BImSchG, § 13 Rn. 75. 1243 Brinktrine, in: BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23.3; Manten, ZUR 2008, 576 (580). 1244 VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2016 – 5 S 1984/15, juris Rn. 12. 1245 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2 und 3. 1246 Für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung: OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.07.2011 – 4 ME 175/11, juris Rn. 4; Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, NuR 2019, 335 (337); Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 47; OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VG Würzburg, Urt. v. 22.02.2019 – W 4 K 17.987, juris Rn. 45 f.; VG Augsburg, Urt. v. 29.03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 40; Brinktrine, in: BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 23.3; Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 35. 1242

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schutzrechtlichen Genehmigung lässt sie indes weitestgehend vermissen.1247 Teilweise wird zur Abgrenzung der Befugnisse der Fachbehörden zu denen der Immissionsschutzbehörde allgemein darauf abgestellt, ob die erforderlichen Anordnungen die Genehmigung „einschränken“ oder ohne Tangierung der Genehmigung – quasi an der Genehmigung vorbei – getroffen werden können.1248 Mit der Zulässigkeit nachträglicher Beschränkungen eines durch Planfeststellungsbeschluss zugelassenen Vorhabenbetriebs war die Rechtsprechung bislang nur vereinzelt befasst; als auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG unzulässige Teilaufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wurden hier jedenfalls Betriebsbeschränkungen über mehrere Monate angesehen.1249 Teile der Rechtsprechung1250 sowie einige Stimmen im Schrifttum1251 befürworten für die Abgrenzung des zulässigen Inhalts nachträglicher Anordnungen 1247 Als auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG unzulässige Teilaufhebung bzw. -abänderung angesehen wurde bspw. die Anordnung, die Windkraftanlage jedes Jahr 3,5 Monate, beginnend eine Stunde vor Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang abzuschalten (VG Würzburg, Urt. v. 22.02.2019 – W 4 K 17.987, juris Rn. 46). Als auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG zulässige Maßnahmen wurde dagegen die Abschaltung der Windenergieanlage für einen Zeitraum von 1,5 Monaten jeweils im Zeitraum von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang angesehen (VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2018 – 2 L 1764/18.KS, juris Rn. 83 ff., das auf die Legalisierungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung indes nicht einging) oder die nächtliche Abschaltung für vier Monate von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang zwischen Juli und Oktober bei Windgeschwindigkeiten unterhalb von 6 m/s und Temperaturen in Nabenhöhe von über 10 Grad Celsius sowie Trockenheit (kein Niederschlag) (OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 40 ff.; im konkreten Fall erwies sich die streitige Abschaltanordnung jedoch deshalb als rechtswidrig, da es an den tatsächlichen Voraussetzungen für eine derartige Maßnahme auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG mangelte.). Die Abgrenzungsfrage noch offenlassend: VG Oldenburg, Beschl. v. 10.06.2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5; Beschl. v. 07.07. 2011 – 5 B 1433/11, juris Rn. 5. Teilweise wird die Abgrenzungsproblematik im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG von den Gerichten nicht problematisiert, siehe etwa VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris, Rn. 14 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 – Au 2 K 16,644, juris Rn. 33 ff. 1248 OVG Magdeburg, Urt. v. 09.11.2016 – 2 L 112/14, juris Rn. 63; VG Würzburg, Urt. v. 22.01.2019 – W 4 K 17.987, juris Rn. 44; Beschl. v. 05.03.2018 – W 4 S 17.1000, juris Rn. 50. 1249 VGH Mannheim, Beschl. v. 30.06.2016 – 5 S 1984/15, juris Rn. 12 ff., der in der Untersagung des Betriebs einer planfestgestellten Museumsbahn für den Zeitraum vom 1. November eines Jahres bis zum 31. März des Folgejahres eine auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG unzulässige Maßnahme sah. 1250 OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, NuR 2019, 335 (337); Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 47; VG Augsburg, Urt. v. 29. 03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 41. Für die Frage, ob nachträgliche Betriebszeiteinschränkungen als (Teil-)Widerruf zu qualifizieren sind, seien zwei Kriterien maßgeblich: Zum einen sei darauf abzustellen, ob sich die Maßnahme bei Genehmigungserteilung als inhaltliche Einschränkung bzw. Teilversagung der Genehmigung und nicht lediglich als Nebenbestimmung dargestellt hätte. Zum anderen sei – wie bei der Abgrenzung zwischen nachträglicher Anordnung gem. § 17 BImSchG und Widerruf gem. § 21 BImSchG – maßgeblich, ob mit der behördlichen Maßnahme eine unverhältnismäßige (§ 17 Abs. 2

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auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber einer unzulässigen (Teil-)Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einen Rückgriff auf die Kriterien zur Abgrenzung zwischen § 21 BImSchG und § 17 BImSchG. Im Verhältnis zwischen § 21 BImSchG und § 17 BImSchG werden Maßnahmen, die sich auf einen durch Nebenbestimmungen i. S. d. § 12 BImSchG geregelten oder regelbaren Bereich beschränken, § 17 Abs. 1 BImSchG zugeordnet, wohingegen Eingriffe in den Kernbereich der Genehmigung der Sache nach als Teilwiderruf angesehen werden, die allein auf Grundlage des § 21 BImSchG zulässig sind.1252 Die Herleitung genereller Maßstäbe für die Bestimmung des Genehmigungskerns erweist sich dabei wiederum als schwierig. Mit Blick auf die Zulässigkeit nachträglicher Betriebsbeschränkungen auf Grundlage des § 17 BImSchG stellen einige darauf ab, ob auf Basis der vorhandenen Genehmigung noch ein geordneter Betrieb möglich ist oder die Ausnutzung der Genehmigung als solche unmöglich gemacht wird.1253 Teilweise wird aus der Regelung des § 17 Abs. 2 S. 2 BImSchG geschlossen, dass jedenfalls die Anordnung von Maßnahmen, die noch mit einem verhältnismäßigen Aufwand zu verwirklichen sind, in der Regel keinen Eingriff in den Kernbereich darstellt, mithin nicht als Teilaufhebung der Genehmigung anzusehen ist.1254 (2) Erfordernis einer weitergehenden Beschränkung Einer weitergehenden Konkretisierung des nach § 17 BImSchG zulässigen Regelungsgehalts und der mitunter schwierigen Abgrenzung der hiernach zulässiSatz 1 BImSchG) Einschränkung der Betriebszeiten, also ein Eingriff in den „Genehmigungskern“, verbunden sei; wohl auch: OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 10. 1251 Lau, NuR 2018, 840 (844); Appel, NuR 2020, 663 (672); Füßer & Kollegen, Rechtsgutachten zum Umgang mit der nachträglichen Ansiedelung von europarechtlich geschützten Arten im Umfeld genehmigter Vorhaben, im Auftrag des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Schwannstraße 3, 40476 Düsseldorf, Juli 2017, S. 28 f. 1252 Feldhaus, in: Feldhaus, BImSchG, § 21 Rn. 8; Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 17 Rn. 17; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 21 Rn. 13; dies., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 34. 1253 Frenz, in: Kotulla, BImSchG, § 17 Rn. 46, 59. 1254 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 35; siehe auch Schumacher, NuR 2019, 323 (324). Diesen Maßstab auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG übertragend: OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 42. Kritisch zu diesem Abgrenzungsmaßstab zwischen § 17 und § 21 BImSchG: Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 21 Rn. 10; Frenz, in: Kotulla, BImSchG, § 17 Rn. 46. Gegen ein solches Verständnis spricht, dass die Abgrenzung des § 17 BImSchG zu § 21 BImSchG der Frage einer möglichen Unverhältnismäßigkeit der nachträglichen Anordnung i. S. d. § 17 Abs. 2 S. 2 BImSchG vorgelagert ist, weil letztere eine absolute inhaltliche Grenze nachträglicher Anordnungen darstellt, sodass dasselbe Kriterium kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen § 17 BImSchG und § 21 BImSchG bilden kann.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

gen nachträglichen Betriebsbeschränkungen bedarf es in vorliegendem Zusammenhang indes nicht. Dahinstehen kann auch, ob nach vorgenannter Auffassung für die Abgrenzung des nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG zulässigen Anordnungsumfangs zur (Teil-)Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen auf die zu § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG geltenden Maßstäbe zurückzugreifen wäre und inwiefern hiernach insbesondere auch betriebsbeschränkende Maßnahmen als zulässig anzusehen wären.1255 Denn zweifelhaft ist bereits, ob der Regelungsumfang des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG mit dem des § 17 BImSchG derart gleichgesetzt werden kann oder ob es nicht vielmehr einer weitergehenden Beschränkung der Regelungsbefugnis der Naturschutzbehörde bedarf.1256 Zwar erscheint Annahme einer derart weitreichenden Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde zunächst vor dem Hintergrund naheliegend, dass es im Übrigen an einer naturschutzrechtlichen Befugnisnorm zur Durchsetzung der naturschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG fehlt, die Durchsetzung von Anforderungen sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG jedoch gerade auf die Anordnungsbefugnisse des Fachrechts angewiesen ist. Ferner mag es dem Gesetzgeber aufgrund seines Gestaltungsspielraums hinsichtlich der Ausgestaltung der Bindungswirkung einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung1257 innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen grundsätzlich freistehen, nachträgliche Beschränkungen der Gestattungswirkung, wie sie auch in einer nachträglichen Anordnung, die den Genehmigungskern unberührt lässt, zumindest faktisch zu sehen ist,1258 nicht nur durch die Zulassungsbehörde selbst, sondern auch durch die jeweiligen Fachbehörden auf Grundlage fachgesetzlicher Anordnungsbefugnisse zuzulassen. Ein dahingehender Regelungswille des Gesetzgebers lässt sich der Vorschrift des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG indes nicht entnehmen. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang überzeugenderweise darauf verwiesen, dass § 17 BImSchG die Befugnis zur Einschränkung der Gestattungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung deutlich zum Ausdruck bringt, wohingegen § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG weder nach sei1255 Inwiefern neben technisch realen Maßnahmen zur Vermeidung der nachteiligen Auswirkungen auf Grundlage der §§ 74 Abs. 2 S. 2, 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG auch sachliche Beschränkungen der Vorhabenzulassung in Form von Betriebsbeschränkungen angeordnet werden können, wird unterschiedlich beurteilt. Für die Zulässigkeit derartiger Schutzanordnungen etwa: Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-VerwR, VwVfG, § 75 Rn. 73 und § 74 Rn. 45; Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 75 Rn. 91; Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 74 Rn. 143a; dagegen: Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 75 Rn. 46, § 74 Rn. 102; Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 166. 1256 Vgl. Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 16; Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166 f.). 1257 Siehe hierzu im Zusammenhang mit der Bindung an die Feststellungswirkung unter 2. Teil, D. II. 4. c) aa) (1). 1258 Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 2.

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nem Wortlaut noch nach der Gesetzesbegründung1259 Anhaltspunkte dafür enthält, dass der Gesetzgeber substantielle Durchbrechungen der Regelungswirkung wirksamer oder gar formell bestandskräftiger Zulassungsentscheidungen ermöglichen wollte.1260 Die Anordnungsbefugnis des § 17 BImSchG bezieht sich sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung innerhalb des Abschnitts über genehmigungsbedürftige Anlagen nach ausdrücklich auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen. In seinem Absatz 2 enthält § 17 BImSchG überdies eine explizite Regelung über das Verbot nachträglicher Anordnungen bei Unverhältnismäßigkeit einer derartigen Maßnahme, womit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Eingriff in die Rechte des Genehmigungsinhabers Rechnung getragen wird.1261 In der Regelung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG fehlt es demgegenüber an einer Bezugnahme auf eine vorhandene Zulassungsentscheidung oder an einschränkenden Tatbestandsmerkmalen, die für die Annahme entsprechend weiter Eingriffsbefugnisse aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und damit auch verfassungsrechtlich geboten wären.1262 Der Umstand, dass die Anordnungsbefugnis nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auf die Abwehr von Zuwiderhandlungen gegen bestimmte naturschutzrechtliche Verpflichtungen beschränkt ist, mithin nicht allgemein die Abwehr von Gefahren für Natur und Landschaft erfasst, sowie die Hervorhebung des Kriteriums der Erforderlichkeit der hiernach zu treffenden Maßnahmen,1263 sind insoweit nicht ausreichend. Jedenfalls auf Grundlage einer wirksamen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines wirksamen Planfeststellungsbeschlusses errichtete Anlagen bzw. Vorhaben unterfallen dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG, sodass es verfassungsrechtlich bedenklich wäre, würde § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG mit seiner generalklauselartigen Formulierung zu weitreichenden Eingriffen in die Gestattungswirkung ermächtigen.1264 Nach der verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitstheorie1265 müssen die wesentlichen Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs im

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BT-Drs. 16/12274, S. 51. Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 16; siehe auch Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166 f.). Anders dagegen offenbar: OVG Lüneburg, Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 37. 1261 Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 112; Jarass, BImSchG, § 17 Rn. 38 zufolge liefert § 17 Abs. 2 BImSchG ein „wesentliches Element des passiven Bestandsschutzes“. 1262 Vgl. Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 16; Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166 f.). 1263 Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 30. 1264 Vgl. Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166 f.); a. A. offenbar: OVG Lüneburg, Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 37. 1265 Vgl. hierzu nur BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978 – 2 BvL 8/77, NJW 1979, 359 (360). 1260

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

Gesetz selbst geregelt sein und dürfen nicht der Verwaltung überlassen werden.1266 Nach Vorstehendem spricht Überwiegendes dafür, nicht nur Anordnungen, die sich inhaltlich als (Teil-)Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses darstellen, sondern darüber hinaus auch nachträgliche Beschränkungen der Gestattungswirkung, wie sie auf Grundlage des § 17 BImSchG für zulässig erachtet werden, der Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde zu entziehen. Mit Blick auf die Gestattungswirkung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen sowie auch von Planfeststellungsbeschlüssen lassen sich auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG damit vor allem vorläufige Maßnahmen zur unmittelbaren Gefahrenabwehr stützen, mit denen der zugelassene Betrieb und damit die Gestattungswirkung der Zulassungsentscheidung nicht dauerhaft beschränkt wird.1267 Regelmäßig wiederkehrende oder über einen längeren Zeitraum angeordnete Betriebsbeschränkungen können dagegen nur unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG bzw. § 21 BImSchG angeordnet werden.1268 Soweit es um die Durchsetzung von materiellen Vorgaben der FFH- oder Vogelschutzrichtlinie geht, erfordert auch das unionsrechtliche Effektivitätsgebot keine Erstreckung der Regelungsbefugnis der Naturschutzbehörde über den vorstehend umgrenzten Regelungsumfang des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG hinaus. In welchem Verfahren die unionsrechtlichen Vorgaben durchzusetzen sind, richtet sich grundsätzlich nach mitgliedstaatlichem Recht. Sollten entgegen der hier vertretenen Auffassung auch weitergehende Beschränkungen der Gestattungswirkung auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG für zulässig erachtet werden, bedürfte ihre Anordnung zur Durchsetzung des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG in jedem Fall der Durchführung einer den Anforderungen des § 34 BNatSchG entsprechenden ex-post-Verträglichkeitsprüfung.1269 Vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr können demgegenüber bereits im Vorfeld einer solchen Prüfung bei Vorliegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen in Betracht gezogen werden.

1266

Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1166 f.). So Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 17. Vgl. auch: Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 41. 1268 So Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 17; siehe auch: Reicherzer/Todorov/Arenz, NVwZ 2020, 1165 (1167); anders dagegen: OVG Lüneburg, Urt. v. 05.07.2022 – 12 KS 121/21, juris Rn. 49, das grds. auch unbefristete Anordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 BNatSchG für zulässig ansieht, sofern sie nicht ohnehin wegen ihrer (erheblichen) Auswirkungen als (Teil-)Widerruf zu qualifizieren sind. 1269 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. a) aa). 1267

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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Mit Blick auf den besonders praxisrelevanten Verbotstatbestand des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist zu berücksichtigen, dass es für die Anordnung bestandsschutzbeschränkender Maßnahmen einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos durch das in Rede stehende Vorhaben bedarf.1270 Wie das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, würde eine Anknüpfung an die allgemeinen Begriffe „Störung“ und „Gefahr“ im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG die Besonderheiten des Tötungs- und Verletzungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verkennen, denen durch den sogenannten Signifikanzansatz Rechnung getragen ist.1271 d) Ermessen der Naturschutzbehörde Nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG steht das Einschreiten im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Naturschutzbehörde.1272 Die Behörde verfügt dabei über ein Entschließungsermessen, ob sie überhaupt tätig wird, sowie über ein Auswahlermessen, wie sie im Einzelnen tätig wird.1273 Das Ermessen ist pflichtgemäß und entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben, mithin insbesondere an der Effektivität der Gefahrenabwehr auszurichten.1274 aa) Entschließungsermessen: Berücksichtigung von Bestandsschutzbelangen und Einflüsse des Unionsrechts Teilweise wird im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG davon ausgegangen, dass das Einschreiten gegen rechts- oder ordnungswidrige Zustände oder das Nichteinschreiten keine gleichwertigen Alternativen darstellen, sondern das Einschreiten die Regel sei.1275 Die jeweils zuständige Behörde müsse daher nicht weiter begründen, weshalb sie gegen ihrer Auffassung nach rechtswidrige Zu1270 BVerwG, Beschl. v. 07.01.2020 – 4 B 20/19, juris Rn. 5; OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 55 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 06.12.2017 – 5 A 2869/17, juris Rn. 51 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 29.03.2021 – Au 9 K 18.1392, juris Rn. 45. A. A.: OVG Bautzen, Beschl. v. 05.02.2018 – 4 B 127/17, juris Rn. 12 ff., das zwischen der konkreten Gefahr eines Verstoßes gegen § 44 Abs. 1 BNatSchG im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG und dem Vorliegen eines Verstoßes nach Maßgabe des Signifikanzansatzes im Rahmen der Widerrufsvoraussetzungen nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG differenziert. 1271 BVerwG, Beschl. v. 07.01.2020 – 4 B 20/19, juris Rn. 5. 1272 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 23; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 28. 1273 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 23; Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 17. 1274 Gellermann, NuR 2018, 805 (809); Frenz/Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 38. 1275 VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.644, juris Rn. 39; P. FischerHüftle/J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 3 Rn. 21.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

stände vorgeht.1276 Von der Gegenauffassung wird ein derart intendiertes Ermessen dagegen grundsätzlich abgelehnt.1277 Allein aus der Verletzung des Naturschutzrechts folge noch nicht, das ein Absehen vom Einschreiten ermessensfehlerhaft wäre.1278 Für diese Sichtweise spricht insbesondere der Wortlaut des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG, dem sich anders als etwa bei Gefahranordnungen nach § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG („soll“), kein Hinweis auf ein intendiertes Ermessen entnehmen lässt.1279 Ein nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG grundsätzlich verbleibender Ermessensspielraum könnte bei drohenden Verstößen gegen die Tatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, 44 Abs. 1 BNatSchG jedoch durch den unionsrechtlichen Hintergrund der Vorschriften ausgeschlossen oder zumindest intendiert sein. Teilweise wird in der Literatur bei Verstößen gegen unionsrechtlich begründete Normen in der Regel eine Pflicht zum Einschreiten angenommen.1280 In Bezug auf die Durchsetzung der Vorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage lässt sich in der Rechtsprechung die Aussage finden, dass sich bei der gebotenen europarechtskonformen Auslegung des Bundesnaturschutzgesetzes „im Einzelfall“ eine Verpflichtung der zuständigen Naturschutzbehörde zum Einschreiten aus den Vorgaben der FFH-Richtlinie ergeben könnte.1281 Das Bundesverwaltungsgericht nahm eine unionsrechtlich nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gebotene Beschränkung des Entschließungsermessens der Naturschutzbehörde jedenfalls in Bezug auf einen Radweg an, der ohne Durchführung eines erforderlichen Planfeststellungsverfahrens und dementsprechend auch ohne vorherige Durchführung einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung ausgebaut worden war. Das Gericht ging hier davon aus, dass das grundsätzlich nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG bestehende Entschließungsermessen der zuständigen Behörde bis zum Abschluss des nachträglich eingeleiteten Planfeststellungsverfah-

1276 VG Köln, v. 17.12.2013 – 14 K 1733/12, juris Rn. 45; VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 – Au 2 K 16.644, juris Rn. 39; P. Fischer-Hüftle/J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 3 Rn. 21. 1277 BVerwG, Urt. v. 01.09.2016 – 4 C 4/15, juris Rn. 27; Urt. v. 01.06.2017 – 9 C 2/ 16, NVwZ 2017, 1634 (1636); Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 23; Frenz/ Hendrischke, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 3 Rn. 38; Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 17. 1278 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 24. 1279 BVerwG, Urt. v. 01.09.2016 – 4 C 4/15, juris Rn. 27; Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 17. 1280 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 25; P. Fischer-Hüftle/J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 3 Rn. 21. 1281 OVG Lüneburg, Urt. v. 13.03.2019 – 12 LB 125/18, juris Rn. 54.

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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rens gegen die formell-illegale Nutzung des Radwegs einzuschreiten, aufgrund ihrer allgemeinen Schutzpflicht aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL regelmäßig dann auf Null reduziert sei, falls die vorläufige weitere Nutzung des Radwegs die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr zusätzlicher nutzungsbedingter Verschlechterungen begründe.1282 Etwas anderes könne ausnahmsweise nur gelten, wenn öffentliche Belange von erheblichem Gewicht einer Stilllegung der Anlage entgegenstehen.1283 Ob sich vorgenannte Maßstäbe ohne Weiteres auf Tätigkeiten übertragen lassen, denen eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung zugrunde liegt, erscheint angesichts der hierdurch vermittelten Belange der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die in praktische Konkordanz mit dem Unionsinteresse an einer effektiven Verwirklichung des EU-Arten- und Habitatschutzrechts zu bringen sind, fraglich. Sofern es um die Durchsetzung der unionsrechtlich begründeten Normen der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen Tätigkeiten geht, bedarf es mit Blick auf mögliche Einflüsse des Unionsrechts auf das Entschließungsermessens und der Berücksichtigungsfähigkeit von Bestandsinteressen des Anlagenbetreibers letztlich einer differenzierten Betrachtung. Entscheidend ist, ob Maßnahmen in Rede stehen, die die Gestattungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses nachträglich beschränken, oder Maßnahmen lediglich vorläufiger Natur, die der unmittelbaren Gefahrenabwehr dienen.1284 (1) Ermessensausübung im Falle bestandsschutzbeschränkender Maßnahmen Werden auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG – entgegen der hier vertreten Auffassung – Beschränkungen der Gestattungswirkung im Umfang von § 17 BImSchG für zulässig erachtet, die über rein vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr hinausgehen, muss die Naturschutzbehörde im Rahmen des ihr durch § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG eröffneten Ermessens konsequenterweise auch den berechtigten Bestandsschutzinteressen des Anlagenbetreibers

1282 BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 – 9 C 2/1, NVwZ 2017, 1634 (1637). Sind nutzungsbedingte weitere Verschlechterungen nicht zu befürchten, ist nach Auffassung des BVerwG das Ermessen, gegen die einstweilige Nutzung der rechtswidrig errichteten Anlage einzuschreiten, dagegen grundsätzlich nicht auf Null reduziert. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Projekt nicht im Neubau, sondern im Ausbau eines im Wirkbereich des FFH-Gebiets vorhandenen Verkehrsweges besteht. In diesem Fall bedürfe es regelmäßig einer Abwägung im Einzelfall, in die neben den Naturschutzbelangen insbesondere auch die Belange der Nutzer des Verkehrsweges einzubeziehen seien. Besondere Umstände könnten allerdings in dieser Konstellation das behördliche Ermessen einschränken, gegebenenfalls sogar zu einer Pflicht zur Nutzungsunterbindung verdichten. 1283 BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 – 9 C 2/1, NVwZ 2017, 1634 (1637). 1284 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (2).

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

hinreichend Rechnung tragen.1285 Die im Rahmen des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG zu treffenden Ermessenserwägungen entsprechen dann dem Grunde nach denjenigen, die im Rahmen der Entscheidung über die (Teil-)Aufhebung der jeweiligen Zulassungsentscheidung zu treffen sind.1286 Im Rahmen des Entschließungsermessens nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG hat die Behörde mithin eine Prüfung vorzunehmen, ob angesichts der festzustellenden Einschränkungen der zugelassenen Tätigkeit die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote bzw. das allgemeine Verschlechterungsverbot des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ein solches Gewicht aufweisen, dass ein nachträgliches Einschreiten erforderlich und angemessen ist.1287 Werden auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG auch nachträgliche Betriebsbeschränkungen nicht nur vorläufiger Natur für zulässig erachtet, ist es daher nur konsequent, wenn die Rechtsprechung Gesichtspunkte wie Einnahmeverluste des Genehmigungsinhabers infolge nachträglicher Betriebseinschränkungen, die Legalisierungswirkung der erteilten bestandskräftigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen sowie den damit verbundenen Vertrauensschutz des Genehmigungsinhabers im Rahmen des nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG eröffneten Ermessens verortet1288 und die Dauer der Betriebszeitbeschränkung dem üblicherweise für 20–30 Jahre genehmigten Betrieb einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage gegenüberstellt.1289 Was die Einflüsse des Unionsrechts, konkret der aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL sowie Art. 5 VRL folgenden mitgliedstaatlichen Handlungspflichten auf das Entschließungsermessen der Naturschutzbehörde anbelangt, lässt sich an dieser Stelle auf die zum Widerrufsermessen getroffenen Erkenntnisse zurückgreifen.1290 Eine Ermessensreduktion auf Null kann aufgrund der Anerkennung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im Unionsrecht sowie des durch die vorgenannten Bestimmungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie eröffneten Handlungsspielraums des 1285 So auch Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 16. 1286 Vgl. VG Oldenburg, Beschl. v. 07.07.2011 – 5 B 1433/11, juris Rn. 5; Beschl. v. 10.06.2011 – 5 B 1246/11, juris Rn. 5; Lau, NuR 2018, 840 (844); Füßer & Kollegen, Rechtsgutachten zum Umgang mit der nachträglichen Ansiedelung von europarechtlich geschützten Arten im Umfeld genehmigter Vorhaben, im Auftrag des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Schwannstraße 3, 40476 Düsseldorf, Juli 2017, S. 33; a. A.: VG Würzburg, Urt. v. 22.01.2019 – W 4 K 17.987, juris Rn. 56. 1287 Vgl. Gemeinsamer Runderlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen; Verwaltungsvorschrift (VwV) „Naturschutz/ Windenergie“ (HMUKLV./. HMWEVW 2020), Ziff. 4.2, S. 16. 1288 VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2018 – 2 L 1764/18.KS, juris Rn. 126 ff.; VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris Rn. 42 ff. 1289 VG Minden, Beschl. v. 08.08.2016 – 1 L 1155/16, juris Rn. 44. 1290 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. c).

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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Mitgliedstaats nicht ohne Weiteres angenommen werden. Die insofern auch unionsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den konfligierenden Bestandsschutzbelangen des Anlagenbetreibers auf der einen und den Interessen an einer effektiven Durchsetzung des EU-Arten- und Habitatschutzrechts auf der anderen Seite wird dabei durch die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG beeinflusst. Liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ausnahmeerteilung vor, wird sich die nachträgliche Anordnung unter Beschränkung der Gestattungswirkung regelmäßig als ermessensfehlerhaft erweisen, zumal die Naturschutzbehörde für die Erteilung einer solchen auch zuständig ist.1291 Liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ausnahmezulassung hingegen nicht vor, besteht mithin vor allem kein gegenüber den Belangen des EU-Arten- bzw. Gebietsschutzes überwiegendes öffentliches Interesse an der unveränderten Fortführung der zugelassenen Tätigkeit, kann von einer nach nationalem Recht grundsätzlich möglichen bestandsschutzbeschränkenden Anordnung auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG in der Regel nur abgesehen werden, sofern andere geeignete Maßnahmen bestehen, um den Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG zur Wirksamkeit zu verhelfen.1292 (2) Ermessensausübung im Falle vorläufiger Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr Stehen hingegen lediglich vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr in Rede, sind die in die Ermessensentscheidung einzustellenden Erwägungen anderer Natur. Bestandsschutzinteressen des Anlagenbetreibers werden hier nicht bzw. jedenfalls nicht wesentlich tangiert und bilden mithin keinen relevanten Teil der im Rahmen der Ermessensentscheidung zu treffenden Güterabwägung. Vordergründig ist hier dem Kriterium der Effektivität der Gefahrenabwehr Rechnung zu tragen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmeerteilung kann hier nicht wesentlich in die Ermessenserwägungen einfließen. Da einerseits Bestandsschutzinteressen des Anlagenbetreibers im Falle lediglich vorläufiger Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr nicht bzw. jedenfalls nicht wesentlich tangiert werden, andererseits das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der naturschutzrechtlichen Vorgaben durch die Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sowie Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL bzw. allgemein den unionrechtlichen Effektivitätsgrundsatz verstärkt wird, ist hier in der Regel von einer Reduzierung des Entschließungsermessens auf Null oder zumindest von einem intendierten Ermessen auszugehen. 1291

Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. 3. b) und 2. Teil, C. IV. 2. b). Ähnlich in Bezug auf § 44 Abs. 1 BNatSchG jedenfalls für die Fälle eines nachträglichen Einwanderns geschützter Arten nach Genehmigung, aber vor Baubeginn: Lau, NuR 2018, 840 (844). 1292

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

bb) Auswahlermessen Angesichts des durch die Bestimmungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie eröffneten Ermessensspielraums hinsichtlich der konkret zu ergreifenden Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen bleibt von den Einflüssen des Unionsrechts jedenfalls das Auswahlermessen der Naturschutzbehörde grundsätzlich unberührt. Die aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie resultierenden Vermeidungs- und Schutzverpflichtungen sind jedoch mit hinreichenden Gewicht in die Ermessenserwägungen einzustellen. Das durch § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG eröffnete Auswahlermessen besteht hinsichtlich der in Anspruch zu nehmenden Person sowie der anzuordnenden Maßnahme und ist insbesondere unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszuüben.1293 Erforderlich ist dabei stets eine Beurteilung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Die auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG konkret anzuordnenden Maßnahmen richten sich insbesondere auch nach der Art und Intensität der Rechtsverletzung.1294 Sie müssen vor allem erforderlich sein. Sofern nachträgliche Abschaltanordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG überhaupt für zulässig erachtet werden, sind als mildere Mittel insbesondere konfliktvermeidende oder -mindernde Maßnahmen zu bedenken.1295 5. Subsidiärer Rückgriff auf die Aufhebungsvorschriften zum Erlass nachträglicher Anordnungen unter Beschränkung der Gestattungswirkung Nach der hier vertretenen Auffassung enthalten die Vorschriften des Bundesimmissionsschutzrechts, die allgemeinen planungsrechtlichen Vorschriften der §§ 72 ff. VwVfG sowie ferner auch das Bundesnaturschutzgesetz keine spezialgesetzlichen Befugnisse, die zu nachträglichen Anordnungen zwecks Durchsetzung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG unter Beschränkung der Gestattungswirkung ermächtigen. Auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG lassen sich lediglich vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr stützen. Der nachträgliche Erlass von Nebenbestimmungen zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 BNatSchG ist mithin nur unter den erhöhten Voraussetzungen einer Teilaufhebung der Zulassungsentscheidung nach §§ 48, 49 VwVfG bzw. § 21 BImSchG – und einer gegebenenfalls zu zahlenden Entschädigung – möglich.1296 1293 Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 30; Brinktrine, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 3 Rn. 29. 1294 Siehe hierzu ausführlich: Krohn, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 3 Rn. 34 ff. 1295 VG Kassel, Beschl. v. 02.08.2018 – 2 L 1764/18.KS, juris Rn. 125. 1296 Vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 14.04.2008 – 8 S 2322/07, NVwZ-RR 2008, 751 (752); Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 92; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 41; Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, HK-

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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a) Anwendbarkeit der Aufhebungsvorschriften für den Erlass nachträglicher Nebenbestimmungen Die Heranziehung der Aufhebungsvorschriften könnte zunächst fraglich erscheinen, basierten die zur Reichweite der Anordnungsbefugnis nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG getroffenen Erwägungen doch unter anderem auf der Annahme, dass es sich bei dem Erlass einer nachträglichen Anordnung bzw. Nebenbestimmung zumindest formell gerade um keine Teilaufhebung des ursprünglichen Verwaltungsaktes handelt.1297 Die Begrifflichkeiten der Rücknahme und des Widerrufs sind indes nicht im formellen, sondern im materiellen Sinne zu verstehen.1298 Sie erfassen nicht nur die vollständige oder teilweise Beseitigung von formell abtrennbaren Regelungen, sondern auch dessen Änderung oder Ergänzung.1299 Denn ihre Funktion, einen angemessenen Ausgleich zwischen den konfligierenden Belangen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der einen und der Gesetzmäßigkeit auf der anderen Seite herzustellen, können die Aufhebungsvorschriften nur dann gewährleisten, wenn sie als Mittelweg zwischen unverändertem Fortbestand und vollständiger Aufhebung des Verwaltungsaktes grundsätzlich auch die nachträgliche Beifügung oder Veränderung von Nebenbestimmungen zulassen.1300 Abgesehen von Praktikabilitätserwägungen1301 muss es jedenfalls aus Verhältnismäßigkeitsgründen möglich sein, anstatt des indirekten Wegs, den Verwaltungsakt aufzuheben und sodann einschließlich der (veränderten) Nebenbestimmung neu zu erlassen, direkt auf Grundlage der Aufhebungsvorschriften eine nachträgliche Nebenbestimmung zu erlassen, sofern diese im Vergleich zur Aufhebung tatsächlich das mildere Mittel darstellt.1302 Dies gilt insbesondere auch für Planfeststellungsbeschlüsse,1303 auf die die allgemeinen Aufhebungsvorschriften der §§ 48, 49 VwVfG, jedenfalls sofern es um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen geht, uneingeschränkt Anwendung finden.

VerwR, VwVfG, § 36 Rn. 41; Tiedemann, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 36 Rn. 24. 1297 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (1) und (2). Ferner: Ramsauer, in: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 36 Rn. 21d. 1298 Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94. 1299 Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48 Rn. 25 und § 49 Rn. 5; Durner, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Fachplanungs-, Raumordnungs- und Naturschutzrechts, 2007, S. 249 (286). 1300 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 75; Weiß, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94. 1301 Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94. 1302 Tiedemann, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 36 Rn. 69a; Henneke, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 36 Rn. 49. 1303 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 75; Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288 (292); Müller-Steinwachs, Bestandsschutz im Fachplanungsrecht, 2007, S. 85, 128; Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 75 Rn. 42.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

b) Voraussetzungen der Anordnungsbefugnis Nachträgliche Anordnungen können auf Grundlage der Aufhebungsvorschriften sowohl zur Korrektur ursprünglicher Fehler der Zulassungsentscheidung (§ 48 VwVfG) als auch als Reaktion auf dynamische Entwicklungen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse (§ 49 VwVfG) ergehen. Ist ein (teilweiser) Widerruf nicht schon gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG vorbehalten, müssen für den Erlass einer nachträglichen Nebenbestimmung auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVfG, § 21 BImSchG andere Gründe für eine Aufhebung vorliegen sowie das Aufhebungsermessen fehlerfrei ausgeübt werden. Hinsichtlich der Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG sei an dieser Stelle auf die bereits getroffenen Ausführungen verwiesen.1304 Darüber hinaus können einem Verwaltungsakt nachträglich auf Grundlage der Aufhebungsvorschriften nur solche Nebenbestimmungen beigefügt werden, mit denen er auch ursprünglich hätte erlassen werden können.1305 Mithin müssen die im Fachrecht oder subsidiär in § 36 VwVfG normierten Voraussetzungen für die ursprüngliche Beifügung von Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt vorliegen.1306 Bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung als gebundene Entscheidung i. S. d. § 36 Abs. 1 VwVfG muss die nachträgliche Nebenbestimmung mithin den Voraussetzungen des § 12 BImSchG gerecht werden. Auf Planfeststellungsbeschlüsse findet § 36 Abs. 1 VwVfG keine Anwendung, da aufgrund der planerischen Gestaltungsfreiheit auf ihren Erlass kein Rechtsanspruch besteht.1307 Anwendbar sind nach § 72 Abs. 1 S. 1 VwVfG jedoch die Regelungen des § 36 Abs. 2 und 3 VwVfG, die nach Maßgabe von § 74 Abs. 2 VwVfG insbesondere die Anordnung von Schutzmaßnahmen ermöglichen.1308 c) Grenzen der Anordnungsbefugnis: Nachträgliche (wesentliche) Änderung des Vorhabens oder der Anlage Bedarf es für die nachträgliche Anordnung einer (wesentlichen) Änderung der immissionsschutzrechtlichen Anlage oder des planfestgestellten Vorhabens, stellt sich die Frage, ob diese auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVfG durch die zuständige Behörde angeordnet werden kann oder ob es hier der Durchführung eines 1304

Siehe hierzu unter 2. Teil. D. I. Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94. 1306 OVG Magdeburg 12.01.2012 – 2 L 151/10, juris Rn. 31; Stelkens, in: Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rn. 41; Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 36 Rn. 94; offen gelassen durch: VGH Mannheim, Urt. v. 14.04.2008 – 8 S 2322/07, NVwZ-RR 2008, 751 (752). 1307 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 75 Rn. 168; Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 72 Rn. 177. 1308 VGH Mannheim, Urt. v. 04.07.2018 – 5 S 2117/16, juris Rn. 75; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 72 Rn. 103. 1305

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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gesonderten Änderungsverfahrens bedarf. Diesbezüglich ist zwischen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und dem Planfeststellungsbeschluss zu differenzieren. aa) Immissionsschutzrechtliche Genehmigung: Anwendbarkeit des § 17 Abs. 4 BImSchG Für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 15, 16 BImSchG, dass es für eine (wesentliche) Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs der immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage der Durchführung eines Änderungsgenehmigungsverfahrens bedarf. Für den Fall, dass es zur Erfüllung einer Anordnung nach § 17 BImSchG erforderlich ist, die Lage, die Beschaffenheit oder den Betrieb der Anlage wesentlich zu ändern und in der Anordnung nicht abschließend bestimmt ist, in welcher Weise sie zu erfüllen ist, ist hierfür gemäß § 17 Abs. 4 BImSchG eine Änderung der Genehmigung nach § 16 BImSchG erforderlich. Aus § 17 Abs. 4 BImSchG lässt sich im Gegenschluss ableiten, dass bei abschließend bestimmten wesentlichen Änderungen das immissionsschutzrechtliche Genehmigungserfordernis entfällt.1309 Hinter dieser Regelung steht die Erwägung des Gesetzgebers, dass es in Fällen, in denen die nachträgliche Anordnung nur das geforderte Ziel angibt, einer Überprüfung der vom Betreiber gewählten Änderungsmaßnahmen in dem vom Gesetz vorgeschriebenen Verfahren bedarf.1310 Wenngleich sich § 17 Abs. 4 BImSchG unmittelbar allein auf die abschließende Festlegung und Konkretisierung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen an Art und Weise der Änderung bezieht,1311 lässt sich jedenfalls die der Regelung zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung auf nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften übertragen, sofern sie auf Grundlage des § 21 BImSchG bzw. § 48 VwVfG durch die Immissionsschutzbehörde erfolgt. Sofern abschließend bestimmt ist, wie die nachträgliche Anordnung zu erfüllen ist, entfällt daher auch hier das Genehmigungserfordernis nach § 16 Abs. 1 BImSchG. Zu berücksichtigen ist dabei, dass einer abschließend bestimmten Anordnung auf Grundlage der Aufhebungsvorschriften auch im Falle der Entbehrlichkeit eines Änderungsverfahrens nicht die Wirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zukommt; sie hat daher auch keine Konzentrationswirkung i. S. d. § 13 BImSchG.1312 Andere behördliche Zulassungsentscheidungen – und damit insbesondere auch eine nachträg1309 Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 206; Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 17 Rn. 107. 1310 Vgl. BT-Drs. 7/179, S. 37. 1311 So Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 213. 1312 Siehe zu § 17 Abs. 4 BImSchG: Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 3; Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 213.

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

liche Ausnahmezulassung nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 oder nach § 45 Abs. 7 BNatSchG – müssen mithin trotz einer abschließend bestimmten nachträglichen Anordnung eingeholt werden.1313 bb) Planfeststellungsbeschluss: Erfordernis eines Planänderungsverfahrens Für Planfeststellungsbeschlüsse fehlt es an einer mit § 17 Abs. 4 BImSchG vergleichbaren Regelung, wonach das Erfordernis einer Änderungsgenehmigung entfällt, wenn die Anordnung selbst abschließend bestimmt, in welcher Weise sie zu erfüllen ist.1314 Ein Planänderungsverfahren wird nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich durch Antrag des Vorhabenträgers eingeleitet, wenn dieser das Vorhaben anders als planfestgestellt ausführen will.1315 Jedenfalls nach Eintritt der formellen Bestandskraft1316 kann die Planfeststellungsbehörde eine Planänderung von Amts wegen nur noch unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG einleiten.1317 Dabei vermögen auch die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG allein den fehlenden Antrag des Vorhabenträgers zur Einleitung des Planfeststellungsverfahrens und damit das „Ob“ der Abänderungsbefugnis zu überwinden.1318 Ist die Änderung hiernach grundsätzlich zulässig, richten sich die verfahrensrechtlichen Anforderungen der Planänderung („Wie“) bis zur Fertigstellung des Vorhabens nach § 76 VwVfG,1319 im Übrigen allein nach den

1313

Hansmann/Ohms, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 17 Rn. 213. Mann, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, § 39 Rn. 15. 1315 Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 76 Rn. 6. 1316 Dagegen kann eine Planänderung durch die Planfeststellungsbehörde auf Grundlage der Ermächtigung zur Planungsentscheidung von Amts wegen eingeleitet werden, sofern dies der Fehlerbehebung eines noch nicht formell bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses dient, Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 277; Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 76 Rn. 9; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 76 Rn. 6. 1317 BVerwG, Urt. v. 23.06.2020 – 9 A 22/19, NVwZ 2021, 152 (154); Schink, in: Knack/Henneke, VwVfG, § 76 Rn. 31; Wickel, in: Fehling/Kastner/Störmer, HKVerwR, VwVfG, § 76 Rn. 12; Weiß, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 76 Rn. 35. Die für eine (wesentliche) Änderung des zugelassenen Vorhabens erforderliche Zulassung durch eine Planfeststellung kann auch durch eine nachträgliche Auflage der Planfeststellungsbehörde auf Grundlage der fachplanungsrechtlichen Anordnungsermächtigungen nicht ersetzt werden. In der Praxis wird dem durch den Erlass sog. nachträglicher Zielanordnungen begegnet, mit denen dem Vorhabenträger aufgegeben wird, eine von der Planfeststellungsbehörde für erforderlich gehaltene Änderung vorzunehmen. Siehe hierzu: Mann, in: Versteyl/Mann/Schomerus, KrWG, § 36 Rn. 100, § 39 Rn. 15; Fellenberg/Schiller, in: Jarass/Petersen, KrWG, § 36 Rn. 125; Beckmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, KrWG, § 36 Rn. 99. 1318 Vgl. BVerwG, Urt. v. 19.12.2017 – 3 A 8/15, NVwZ 2018, 501 (503). 1319 BVerwG, Urt. v. 19.12.2017 – 3 A 8/15, NVwZ 2018, 501 (503); Weiß, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 76 Rn. 35. 1314

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Vorgaben der jeweiligen Fachplanungsgesetze.1320 Die besonderen Anforderungen, welchen die Planung als Verwirklichung eines Vorhabens unter möglichst optimalem Ausgleich verschiedener, teilweise miteinander konkurrierender öffentlicher und privater Belange gerecht zu werden hat, kann über die §§ 48, 49 VwVfG nicht geleistet werden.1321 Die Aufhebung des Verwaltungsaktes nach §§ 48, 49 VwVfG erfolgt in einem einfachen Verwaltungsverfahren, wohingegen es für die Änderung des Plans bzw. Vorhabens nach Maßgabe der jeweiligen fachplanungsrechtlichen Vorschriften der Durchführung eines förmlichen Planänderungsverfahrens bedarf. Geht mit der nachträglichen Anordnung eine Änderung des Vorhabens an sich einher bzw. wird die Gesamtkonzeption des ursprünglichen Vorhabens berührt, ist die Planfeststellungsbehörde auch bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebungsvorschriften daher nicht von der Einhaltung der für die Planänderung geltenden verfahrensrechtlichen Regelungen entbunden.1322 d) Ermessen Hinsichtlich der Ermessenserwägungen, die im Rahmen der Entscheidung über den Erlass nachträglicher Anordnungen auf Grundlage der Aufhebungsvorschriften zu treffenden sind, sei auf die Ausführungen zu § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG verwiesen.1323 6. Zwischenfazit Vorstehende Untersuchung hat ergeben, dass es für nachträgliche Anordnungen zur Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG eines Rückgriffs auf die allgemeinen Aufhebungsvorschriften bedarf, sofern sich diese inhaltlich als Beschränkungen der Gestattungswirkung von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und Planfeststellungsbeschluss darstellen. Die speziellen Anordnungsbefugnisse des § 17 BImSchG sowie des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG bieten hier keinen tauglichen Ansatzpunkt Die Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG ist durch die Legalisierungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung in zweierlei Hinsicht beschränkt. Aufgrund der Bindung der Naturschutzbehörde an die Feststellungs1320 Vgl. Weiß, in: Schoch/Schneider, VwVfG, § 76 Rn. 18; Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 268. 1321 BVerwG, Beschl. v. 18.08.2005 – 4 B 17/05, juris Rn. 22. A. A.: offenbar Bell/ Herrmann, NVwZ 2004, 288 (292), die darauf verweisen, dass neben der Tatsache, dass Entschädigungen nicht stets zu leisten sind, sich das Verwaltungs- und das Planungsermessen nicht erheblich unterscheiden, was insbesondere dann gelte, wenn nur ein enger Bereich interessengerecht auszugestalten ist, wie es bei Auflagen für ein Vorhaben regelmäßig der Fall sei. Die Vorgaben der allgemeinen Verfahrensvorschriften würden dabei ein geordnetes Verfahren gewährleisten. 1322 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2004 – 4 B 57/04, NVwZ 2005, 327 (328) zu der parallelen Anwendung der §§ 76 und 77 VwVfG. 1323 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. d).

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wirkung können vorhabenbezogene Anordnungen nur auf eine gegenüber dem Zeitpunkt der Vorhabenzulassung veränderte Sach- oder Rechtslage gestützt werden. Nicht erfasst werden hiernach Fälle, in denen arten- oder gebietsschutzrelevante Konflikte bereits im Zulassungszeitpunkt fehlerhaft verkannt wurden. Überdies lassen sich nach der hier vertretenen Auffassung auf die naturschutzrechtliche Generalklausel nur vorläufige Maßnahmen stützen, mit denen keine dauerhafte Beschränkung oder Aufhebung der Gestattungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung verbunden ist.

III. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen Mit Blick auf mögliche Handlungsinstrumentarien stellt sich schließlich die Frage, inwieweit die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG die Anordnung der Stilllegung oder Beseitigung einer bereits errichteten und in Betrieb genommenen Anlage bzw. eines solchen Vorhabens veranlassen können. 1. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen nach § 20 Abs. 2 BImSchG Eine ausdrückliche Regelung enthält für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen die Vorschrift des § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG. Hiernach soll die zuständige Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist. Inhalt der Stilllegungsanordnung ist das Verbot des weiteren Betriebs der Anlage.1324 Vor Inbetriebnahme der Anlage zielt die Anordnung auf die Einstellung der Bauarbeiten.1325 Der Betreiber hat jede weitere Handlung zu unterlassen, die der Errichtung oder dem Betrieb der Anlage dient.1326 Die Beseitigungsanordnung beinhaltet das Gebot, die Anlage abzubauen und vom Betriebsgrundstück zu entfernen.1327 Eine Anordnung nach § 20 Abs. 2 BImSchG setzt das Fehlen der erforderlichen Genehmigung voraus. Will die zuständige Behörde aufgrund von Konflik1324 Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 50; Appel, in: Appel/Ohms/ Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 39. 1325 Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 39; Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 50; Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 45. 1326 Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 45; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 39; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 39. 1327 Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 50; Koch/Führ, in: Führ, GK-BImSchG, § 20 Rn. 51; Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 45; Appel, in: Appel/Ohms/ Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 39.

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ten der genehmigten Anlage mit den Vorgaben des besonderen Arten- oder Habitatschutzrechts ihre Stilllegung oder Beseitigung anordnen, hat sie mithin zuvor die immissionsschutzrechtliche Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 21 BImSchG oder des § 48 VwVfG aufzuheben. Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 BImSchG verdeutlicht erneut, dass der Bestandsschutz immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen im Wesentlichen durch die Rechtswirkungen der Genehmigung gewährleistet wird. Liegen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 BImSchG vor, soll die Behörde die Stilllegung oder die Beseitigung der Anlage anordnen. Ihr Entschließungsermessen zum Einschreiten nach § 20 Abs. 2 BImSchG („Ob“) ist mithin eingeschränkt; von dem Erlass einer Verfügung kann allein in atypischen Fällen abgesehen werden.1328 Die Entscheidung darüber, ob die Behörde die Beseitigung oder die Stilllegung der Anlage anordnet, steht grundsätzlich in ihrem Auswahlermessen.1329 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist die Beseitigung als eingriffsintensiveres Mittel nur dann anzuordnen, sofern eine Stilllegung zum Schutz der Allgemeinheit und Nachbarschaft nicht ausreichend ist.1330 Kein Auswahlermessen steht der Behörde nach § 20 Abs. 2 S. 2 BImSchG dagegen zu, sofern die Allgemeinheit oder Nachbarschaft nicht auf andere Weise geschützt werden kann; hier hat sie zwingend die Beseitigung der Anlage anzuordnen.1331 Mit Blick auf die Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts gilt auch hier, dass das Unionsinteresse mit hinreichendem Gewicht in die Ermessenserwägungen eingestellt werden muss. Wurde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung anlässlich einer Unvereinbarkeit mit den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG aufgehoben, ist das ohnehin eingeschränkte Entschließungsermessen der Immissionsschutzbehörde, den insofern durch die Errichtung oder den fortlaufenden Betrieb der Anlage vorliegenden Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot oder die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände mittels einer entsprechenden Stilllegungs- oder Beseitigungsanordnung zu unterbinden, daher regelmäßig auf Null reduziert. Bestandsschutzaspekten kann an dieser Stelle keine Relevanz mehr zukommen. Angesichts des durch die Bestimmungen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie eröffneten Ermessensspielraums hinsichtlich 1328 BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 7 C 35/87, NVwZ 1990, 963 (964); OVG Berlin, Beschl. v. 20.10.2000 – 2 S 9/00, NVwZ-RR 2001, 89 (92); Koch/Führ, in: Führ, GKBImSchG, § 20 Rn. 52; Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 46 f.; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 50; Appel, in: Appel/Ohms/ Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 37. 1329 Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 49; Appel, in: Appel/Ohms/ Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 38. 1330 Peschau/Czajka, in: Feldhaus, BImSchG, § 20 Rn. 56; Kühling/Dornbach, in: Kotulla, BImSchG, § 20 Rn. 49; Jarass, BImSchG, § 20 Rn. 49; Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 20 Rn. 49; Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 38. 1331 Appel, in: Appel/Ohms/Saurer, BImSchG, § 20 Rn. 38.

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der konkret zu ergreifenden Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen bleibt dagegen auch hier das Auswahlermessen der Immissionsschutzbehörde grundsätzlich unberührt.1332 Erforderlich ist insofern eine Beurteilung anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Die Beseitigung einer bereits errichteten Anlage kann dabei auch unionsrechtlich bereits deshalb nicht zwingend geboten sein, weil diese gegebenenfalls ihrerseits zu Verschlechterungen oder Störungen i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG1333 oder zu einer Verwirklichung der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG führen kann. 2. Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen gegenüber planfeststellungsbedürftigen Vorhaben Fraglich ist, auf welche Grundlage sich mögliche Stilllegungs- und Rückbauanordnungen gegenüber planfeststellungsbedürftigen Vorhaben stützen lassen, sollten sich diese zur Sicherstellung der Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG als erforderlich erweisen. Mit Blick auf planfestgestellte Vorhaben fehlt es an einer dem § 20 Abs. 2 BImSchG entsprechenden Vorschrift, die allgemein zu nachträglichen Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen ermächtigt. Sofern die Fachplanungsgesetze Regelungen betreffend die Stilllegung planfestgestellter Vorhaben enthalten, gehen diese von einer durch Entschluss des Betreibers veranlassten Stilllegung aus und treffen für diesen Fall Vorgaben zur Nachbetriebsphase.1334 Auch allgemeine gesetzliche Rückbauverpflichtungen1335 oder Ermächtigungen zur Anordnung des Rückbaus1336 enthalten die Fachplanungsgesetze nur vereinzelt. Die Anordnung des Rückbaus eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens setzt jedenfalls voraus, dass der ihm zugrunde liegende Planfeststellungsbeschluss aufgehoben worden ist oder auf andere Weise seine Wirksamkeit verloren hat, § 43 Abs. 2 VwVfG.1337 Das Ende der Wirk1332

Siehe hierzu auch unter 2. Teil, D. II. 4. d) bb). Siehe zu der Relevanz dieses Aspekts für die Alternativenprüfung nach § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG unter 2. Teil, B. VI. 2. b) bb). 1334 Vgl. § 40 KrWG, §§ 11, 23 AEG. 1335 Vgl. §§ 58 Abs. 1 WindSeeG, 15 Abs. 1 SeeAnlG, die eine Beseitigungspflicht des Anlagenbetreibers für den Fall anordnen, dass der Planfeststellungsbeschluss oder die Plangenehmigung unwirksam werden. 1336 Vgl. §§ 57 Abs. 3 S. 2 WindSeeG, 14 Abs. 3 S. 2 SeeAnlG: die Planfeststellungsbehörde kann einen zuvor ergangenen Planfeststellungsbeschluss aufheben und die Beseitigung der Anlage anordnen, sofern eine Gefahr für die Meeresumwelt oder einer Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs oder einer Beeinträchtigung der Sicherheit der Landes- und Bündnisverteidigung oder sonstiger überwiegender öffentlicher Belange nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Teilweise enthält das Fachrecht auch besondere Instrumente für Maßnahmen, die zu einer Anlagenbeseitigung führen. Dies gilt etwa nach § 11 AEG für die Stilllegung von bestimmten Eisenbahnbetriebsanlagen, § 23 AEG für ihre Entwidmung. Siehe hierzu: Wysk, in: Kopp/ Ramsauer, VwVfG, § 72 Rn. 6d. 1337 Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 72 Rn. 6d. 1333

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samkeit eines Planfeststellungsbeschlusses vermag jedoch für sich genommen keine Rückbau- oder Ausgleichspflichten des Vorhabenträgers zu begründen.1338 Mit Blick auf mögliche Grundlagen für Stilllegungs- bzw. Beseitigungsanordnungen ist im Folgenden zunächst auf die planspezifische Regelung des § 77 S. 2 VwVfG einzugehen [a)], sodann auf die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung auf Grundlage der allgemeinen Aufhebungsvorschriften [b)] sowie schließlich auf die Anordnungsbefugnis nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG [c)]. a) Folgenbeseitigung nach § 77 S. 2 VwVfG Indirekt kann sich eine Pflicht des Vorhabenträgers zum Rückbau aus § 77 S. 2 VwVfG im Zusammenhang mit der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nach § 77 S. 1 VwVfG ergeben.1339 Für den Fall, dass ein Planfeststellungsbeschluss nach § 77 S. 1 VwVfG aufgehoben wird, sind nach § 77 S. 2 VwVfG dem Vorhabenträger in dem Aufhebungsbeschluss die Wiederherstellung des früheren Zustands oder geeignete andere Maßnahmen aufzuerlegen, soweit dies zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich ist. Wie bereits festgestellt, findet die Vorschrift des § 77 S. 1 VwVfG im Falle einer Nutzungsaufgabe eines fertig gestellten Vorhaben indes keine Anwendung.1340 Eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ist hier nur unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG zulässig.1341 Die Regelung des § 77 S. 2 VwVfG ist in diesem Fall nicht unmittelbar einschlägig, eine analoge Anwendung der Vorschrift kommt nicht in Betracht.1342 Angesichts der teilweise in den Fachplanungsgesetzen vorhandenen ausdrücklichen Regelungen zum Rückbau im Falle unwirksamer Planfeststellungsbeschlüsse dürfte bereits eine planwidrige Regelungslücke nur schwerlich angenommen werden können.1343 Jedenfalls fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage: Die Regelung des § 77 VwVfG zielt darauf ab, einen „Planungstorso“ zu verhindern.1344 Das Ziel eines Rückbaus, „Planungsruinen“ nach Aufgabe eines in der Vergangenheit betriebenen Vorhabens zu beseitigen, ist hiermit nur begrenzt vergleichbar.1345 Eine Rückbauverpflichtung nach § 77 S. 2 VwVfG scheidet für die hier relevanten Fälle, in denen eine Aufhebung nach Maßgabe der §§ 48, 49 VwVfG erfolgt, mithin aus. 1338 1339 1340 1341

Ramsauer, DVBl 2019, 457 (464). Vgl. Kohls, ZUR 2018, 330 (331). Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 1. c). Vgl. Schmidtchen, EurUP 2017, 19 (27); Bell/Herrmann, NVwZ 2004, 288

(294). 1342

Ramsauer, DVBl 2018, 457 (464); Kohls, ZUR 2018, 330 (332). Kohls, ZUR 2018, 330 (332). 1344 Neumann/Külpmann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 77 Rn. 2; Fischer, in: Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 3 Rn. 294. 1345 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (464). 1343

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

b) Rückbau- und Ausgleichsverpflichtung als nachträgliche Auflage nach §§ 48, 49 i.V. m. § 36 VwVfG? Teilweise wird im Schrifttum die Möglichkeit erwogen, dem Vorhabenträger eine Rückbauverpflichtung als Auflage bereits im Planfeststellungsbeschluss aufzuerlegen.1346 Hält man die Beifügung derartiger Auflagen zum Planfeststellungsbeschluss für zulässig, könnten diese grundsätzlich auch nachträglich unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG beigefügt werden.1347 Die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVfG ließe sich möglicherweise bereits mit einer entsprechenden Rückbauverpflichtung verbinden. Der Anordnung einer Rückbauverpflichtung auf Grundlage der allgemeinen Aufhebungsvorschriften stehen jedenfalls die planungsrechtlichen Instrumentarien nicht entgegen.1348 § 77 S. 2 VwVfG enthält eine entsprechende Verpflichtung allein für den Sonderfall sogenannter „steckengebliebener“ Vorhaben. Dass die Vorschrift hiermit eine abschließende Regelung zu etwaigen Rückbauverpflichtungen treffen wollte, lässt sich ihr nicht entnehmen.1349 Auch aus dem Umstand, dass die meisten Fachplanungsgesetze keine Regelungen zu Rückbauverpflichtungen enthalten, lässt sich nicht schließen, dass die Anordnung derartiger Verpflichtungen auf Grundlage des § 36 VwVfG fachplanerisch ausgeschlossen werden sollte.1350 Vielmehr dürfte das Fehlen derartiger Bestimmungen darin begründet liegen, dass die Rechtsfolgen einer Aufhebung bzw. eines Außerkrafttretens von Planfeststellungsbeschlüssen seinerzeit nicht als regelungsbedürftig angesehen wurden, da entweder mit einem Außerkrafttreten von Planfeststellungsbeschlüssen nicht gerechnet wurde oder weil man die Folgen eines solchen Außerkrafttretens dem allgemeinen Ordnungsrecht überlassen wollte.1351 In rechtssystematischer Hinsicht problematisch könnte es sich jedoch erweisen, dass die Auflage als Nebenbestimmung zu einem Haupt-Verwaltungsakt streng akzessorisch ist.1352 Sie müsste daher wirksam bleiben, obgleich der Planfeststellungsbeschluss als Haupt-Verwaltungsakt aufgehoben wird.1353 Einge1346 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465 f.); wohl auch: Schmidtchen, EurUP 2017, 19 (25); dagegen: Kohls, ZUR 2018, 330 (337 f.). 1347 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 5. 1348 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). 1349 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). 1350 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465); a. A.: Kohls, ZUR 2018, 330 (338): ihm zufolge steht die Festsetzung von Rückbauverpflichtungen für stillgelegte OnshoreHöchstspannungsleitungen auf Grundlage von § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG oder § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG entgegen, dass das Fachrecht hier gerade keine gesetzlichen Rückbauverpflichtungen vorsieht. 1351 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). 1352 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). 1353 Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465).

D. Durchsetzung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

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wandt wird in diesem Zusammenhang, dass die Auflage anders als etwa Befristung oder die Bedingung eine in sich selbstständige Regelung enthalte, die zwar ihre Rechtfertigung im Haupt-Verwaltungsakt findet, jedoch als sogenannte Folgeauflage über dessen Wirksamkeit hinaus gelten kann.1354 Auch behalte die Auflage nach der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nicht nur ihren Sinn und ihre Rechtfertigung, sondern entfalte ihn sogar umgekehrt erst mit der Aufhebung.1355 Die Anordnung einer Rückbauverpflichtung auf Grundlage der §§ 48, 49 VwVfG durch die Planfeststellungsbehörde erscheint nach Vorstehendem grundsätzlich denkbar. Im Rahmen der Ermessensentscheidung der Planfeststellungsbehörde ist zu berücksichtigen, dass die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses nicht automatisch auch die Notwendigkeit des Rückbaus der planfestgestellten Anlage begründet. Ob die Durchsetzung der Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG die Anordnung eines Rückbaus erfordert, bedarf auch hier einer Entscheidung auf Grundlage der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls.1356 c) Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG Wird trotz (Teil-)Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses die Errichtung oder der Betrieb eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens fortgesetzt und besteht die konkrete Gefahr einer Verwirklichung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG, kommt – sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen vorhanden sind – die Anordnung einer Stilllegung oder Beseitigung der Nutzung jedenfalls auf Grundlage der naturschutzrechtlichen Generalklausel des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG in Betracht.1357 Mit Unwirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses kann dessen Legalisierungswirkung Anordnungen der Fachbehörde nicht mehr entgegenstehen.1358 Das Entschließungsermessen der Naturschutzbehörde, Verstöße gegen die Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts durch entsprechende Gefahrabwehrmaßnahmen zu verhindern, ist angesichts ihrer aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bzw. Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL erwachsenden Hand1354

Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). Ramsauer, DVBl 2019, 457 (465). 1356 Siehe zu den hierbei zu treffenden Erwägungen unter 2. Teil, D. III. 1. 1357 Vgl. zur Nutzungsuntersagung eines formell illegal, ohne die erforderliche Planfeststellung errichteten Radwegs auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG: BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 – 9 C 2/16, NVwZ 2017, 1634 ff. Siehe allgemein zur Zulässigkeit der Verpflichtung des Vorhabenträgers zum Rückbau auf Grundlage des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts: Kohls, ZUR 2018, 330 (335 f.); Ramsauer, DVBl 2019, 457 (466). 1358 Siehe zu den sich aus der Legalisierungswirkung für die Anwendung des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG ergebenden Beschränkungen unter 2. Teil, D. II. 4. c). 1355

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

lungsverpflichtungen regelmäßig auf Null reduziert oder zumindest intendiert.1359 Bestandsschutzaspekten kann an dieser Stelle keine Relevanz mehr zukommen. Unberührt bleibt das Auswahlermessen der Naturschutzbehörde. Die zu § 20 Abs. 2 BImSchG getroffenen Erwägungen gelten hier entsprechend.1360

IV. Zusammenfassung Vorstehende Untersuchung hat ergeben, dass im nationalen Recht grundsätzlich ein hinreichendes Instrumentarium besteht, um im Einzelfall den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen immissionsschutzrechtlichen Anlagen sowie planfestgestellten Vorhaben zur Wirksamkeit zu verhelfen. Den aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats ist hinreichend Rechnung getragen, einer Anpassung des nationalen Rechts bedarf es insoweit nicht. Jedenfalls die allgemeinen Aufhebungsvorschriften nach §§ 48, 49 VwVfG, § 21 BImSchG bieten eine hinreichende Grundlage, um Konflikten mit dem EU-Arten- und Habitatschutzrecht im Zulassungsvollzug durch nachträgliche Anordnungen sowie im äußersten Fall durch die vollständige oder teilweise Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder eines Planfeststellungsbeschlusses zu begegnen. Sofern die Konfliktlage auf einer gegenüber dem Zeitpunkt der Vorhabenzulassung veränderten Sach- oder Rechtslage beruht, lassen sich ferner zumindest vorläufige Maßnahmen, die mit keiner dauerhaften Beschränkung oder Aufhebung der Gestattungswirkung verbunden sind, auf die Generalklausel des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG stützen. Infolge einer Aufhebung der Genehmigung bietet für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen schließlich § 20 Abs. 2 BImSchG eine Grundlage für eine Stilllegungsund Beseitigungsanordnung. Bei planfeststellungsbedürftigen Vorhaben kommen nach vorheriger Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses entsprechende Anordnungen auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG in Betracht, sofern sie der Durchsetzung der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände dienen. Soweit es um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen und damit auch der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG von Amts wegen geht, ist ein Einschreiten gegenüber planfestgestellten Vorhaben auch nach Eintritt der formellen Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich mittels derselben bestandsschutzbeschränkenden Instrumentarien zulässig wie bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen. Dies ist nicht maßgeblich durch die Einflüsse des Unionsrechts bedingt, sondern bereits in der nationalen Regelungssystematik angelegt. Die erhöhte Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen

1359 1360

Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 4. d) aa). Siehe hierzu unter 2. Teil, D. III. 1.

E. Fazit

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gegenüber anderen Zulassungsformen besteht vornehmlich gegenüber der Durchsetzung von Interessen Drittbetroffener. Hinsichtlich der Einflüsse der aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats auf die behördliche Ermessensausübung bedarf es einer Differenzierung zwischen solchen Maßnahmen, die die Gestattungswirkung einer bestehenden Zulassungsentscheidung aufheben oder nachträglich beschränken, und solchen, die die Gestattungswirkung weitestgehend unberührt lassen: Im Rahmen der Entscheidung über die nachträgliche (Teil-)Aufhebung einer Zulassungsentscheidung oder die (faktische) Beschränkung ihres Regelungsgehalts mittels nachträglicher Anordnungen kann eine Reduzierung des Entschließungsermessens auf Null nicht ohne Weiteres allein aufgrund des unionsrechtlichen Hintergrundes der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände angenommen werden. Geboten ist hier vielmehr eine Abwägung zwischen den Belangen des EU-Arten- und Habitatschutzrechts auf der einen und den durch eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelten Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der anderen Seite. Maßgeblichen Parameter für die im Rahmen des Entschließungsermessens zu treffende Abwägung bietet hier die nachträgliche Ausnahmemöglichkeit nach §§ 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. nach § 45 Abs. 7 BNatSchG. Berechtigten Vertrauensschutzinteressen des Vorhabenträgers lässt sich jedenfalls auf Entschädigungsebene Rechnung tragen. Sofern vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr oder auch Stilllegungs- und Beseitigungsanordnungen infolge der vorherigen Aufhebung der Zulassungsentscheidung in Rede stehen, sind Bestandsschutzinteressen nicht tangiert, sodass angesichts der mitgliedstaatlichen Verpflichtung, Verstößen gegen die Vorgaben des Unionsrechts durch geeignete Maßnahmen abzuhelfen, regelmäßig von einer Reduktion des Entschließungsermessens auf Null ausgegangen werden kann. Unberührt bleibt das behördliche Auswahlermessen hinsichtlich der im konkreten Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen.

E. Fazit: Relativierung des Bestandsschutzes durch das europäische Arten- und Habitatschutzrecht? Nachdem in den vorstehenden Abschnitten die Anforderungen des EU-Artenund Habitatschutzrechts an bestandskräftig zugelassene Tätigkeiten sowie die diesbezüglich bestehenden Handlungspflichten des Mitgliedstaats untersucht wurden, ist abschließend und zusammenfassend auf den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung zurückzukommen, die Frage nach einer möglichen Relativierung des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben durch das europäische Arten- und Habitatschutzrecht. Mit anderen Worten: Welche Schutzwirkung vermag eine nach na-

316

2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

tionalem Recht bestandskräftige Zulassungsentscheidung Anlagenbetreibern und Vorhabenträgern gegenüber den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts zu vermitteln? Die Bestimmungen des EU-Arten- und Habitatschutzrechts bilden einen elementaren Prüfungspunkt innerhalb des Anlagenzulassungs- und Planfeststellungsverfahrens. Dessen ungeachtet statuieren die §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG auch für die Vollzugsphase unmittelbar und fortlaufend beachtliche Verbotstatbestände. Auch nach Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit vermögen weder eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung noch ein Planfeststellungsbeschluss eine absolute Planungssicherheit im Sinne einer generellen Freistellung der hiernach zugelassenen Tätigkeit von den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts zu vermitteln. Für den Bestandsschutz von Vorhabenträgern und Anlagenbetreibern birgt dies insofern ein erhebliches Einschränkungspotenzial, als trotz Durchführung aufwändiger Umweltprüfungen im Zulassungsverfahren Umstände, die außerhalb ihrer Einflusssphäre liegen, die Zulässigkeit einer bestandskräftig genehmigten bzw. planfestgestellten Tätigkeit nachträglich und fortlaufend in Frage stellen können. Eine Verwirklichung der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG ist während der Errichtungs- und Betriebsphase nicht nur in Fällen möglich, in denen die arten- bzw. habitatschutzrechtliche Prüfung bereits im Zulassungsverfahren fehlerhaft war. Vielmehr können aufgrund der Dynamik der im Naturschutzrecht geregelten Sachverhalte insbesondere auch Veränderungen naturräumlicher Umstände oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch Änderungen in rechtlicher Hinsicht – wie beispielsweise die nachträgliche Unterschutzstellung von Gebieten oder Arten – zu der Annahme einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung oder Verwirklichung der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände führen. Selbst eine den strengen Anforderungen des § 34 BNatSchG vollumfänglich entsprechende Verträglichkeitsprüfung vermag hiervor nicht zu schützen. Gleichwohl erweist sich eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung für den Vorhabenträger auch gegenüber den Anforderungen des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts nicht als bedeutungslos. Knüpft das Fachrecht an einen nach Erlass der Zulassungsentscheidung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht veränderten Sachverhalt über die Zulassungsvoraussetzungen hinausgehende Anforderungen, ist die Bedeutung der Feststellungswirkung und damit der durch eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung vermittelte Bestandsschutz zwar eingeschränkt. Die mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. einem Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich verbundene bindende Feststellung, dass die hiermit zugelassene Tätigkeit in Einklang mit den Vorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts steht, bezieht sich allein auf den Zulassungszeitpunkt. Im Falle einer veränderten Sach- oder Rechtslage können behördliche Anordnungen daher grundsätzlich auf Verstöße der zugelassenen Tätigkeit gegen die Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG

E. Fazit

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gestützt werden, ohne dass es hierfür einer Durchbrechung der Bindungs- bzw. Legalisierungswirkung der Zulassungsentscheidung bedürfte. Bestandsschutz wird in diesen Fällen indes maßgeblich durch die Gestattungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung vermittelt. Denn weder die anfängliche noch die nachträglich infolge Veränderungen der Sach- und Rechtslage eingetretene Unvereinbarkeit einer zugelassenen Tätigkeit mit den Verbotstatbeständen der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG hat die unmittelbare Unwirksamkeit der jeweiligen Zulassungsentscheidung zur Folge. Zur Überwindung der formalen Zulassungsebene bedarf es vielmehr eines weiteren Gestaltungsaktes, der nach Maßgabe der allgemeinen Aufhebungsvorschriften oder sonstiger besonderer gesetzlicher Bestimmungen die Gestattungswirkung der Zulassungsentscheidung aufhebt oder abändert. Im Vorfeld eines derart zulassungsmodifizierenden Aktes bleiben Errichtung und Betrieb, die sich im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder des Planfeststellungsbeschlusses bewegen, jedenfalls in formeller Hinsicht weiterhin zulässig. Wird durch die auch im Zulassungsvollzug fortlaufend beachtlichen Verbote der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG ein dauerhafter Ansatzpunkt für ein nachträgliches behördliches Einschreiten geschaffen, bleibt Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nach nationaler Bestandsschutzkonzeption zumindest durch die einschränkenden Voraussetzungen, denen die nachträgliche Aufhebung bzw. Beschränkung einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung unterliegt, die Eröffnung eines behördlichen Ermessens sowie schließlich die gesetzlich vorgesehenen Entschädigungsmöglichkeiten Rechnung getragen. Maßgeblich für die Frage einer möglichen Relativierung der herkömmlichen Bestandsschutzkonzeption sind vor diesem Hintergrund insbesondere auch die Einflüsse des hinter den Bestimmungen der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG stehenden Unionsrechts auf die Auslegung und Anwendung des nationalen Verfahrensrechts. Diesbezüglich lässt sich statuieren, dass auch unter Berücksichtigung der bislang – insbesondere zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL – ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs eine einzelfallbezogene Berücksichtigung von Bestandsschutzbelangen weiterhin möglich bleibt. Weitreichende Überformungen des nationalen Verfahrensrechts, wie etwa aus dem Beihilferecht bekannt, sind nicht gefordert. Begründet liegt dies insbesondere auch in dem Ermessensspielraum, den sowohl die allgemeine Vermeidungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 FFHRL als auch die Schutzverpflichtungen nach Art. 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 FFH-RL, Art. 5 VRL dem Mitgliedstaat hinsichtlich der im Einzelnen zu ergreifenden Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen gewähren. Überdies eröffnen die Bestimmungen des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts mit der Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses nach Maßgabe der Art. 6 Abs. 4 FFH-RL und Art. 16 Abs. 1 lit. c FFH-RL selbst einen Ansatzpunkt für eine nachträgliche Freistellung insbesondere auch unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Rechtssicher-

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2. Teil: Einflüsse des EU-Artenschutz- und Habitatschutzrechts

heit und des Vertrauensschutzes. Im Falle der Betroffenheit unionsrechtlich geschützter Vogelarten ist ein solcher Ausnahmegrund jedenfalls im Wege einer ergänzender Auslegung der Vogelschutzrichtlinie anzunehmen. Festhalten lässt sich, dass mit den Vorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts unzweifelhaft eine wesentliche Beschränkung des Bestandsschutzes immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben verbunden ist. Hier von einer Relativierung zu sprechen erscheint indes zu weitgehend, bieten die Voraussetzungen der nachträglichen Ausnahmezulassung sowie der Entscheidung über eine nachträgliche Aufhebung oder Beschränkung des Regelungsgehalts einer Zulassungsentscheidung doch hinreichend Raum für die Herstellung der auch unionsrechtlich gebotenen praktischen Konkordanz zwischen dem Interesse an der Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der geschützten Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten auf der einen und den ebenfalls unionsrechtlich anerkannten Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.

3. Teil

Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz Mit Blick auf mögliche Beschränkungen des Bestandsschutzes durch das europäische Umweltrecht bedarf schließlich auch das auf die Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie zurückgehende Umweltschadensrecht einer näheren Betrachtung. Zu diesem Zweck soll zunächst eine Einführung in die – teils recht unübersichtliche – Systematik dieses vergleichsweise neuen Haftungsregimes gegeben werden (A).1 Ausgehend von der Grundannahme, dass Bestandsschutz immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen sowie planfeststellungsbedürftiger Vorhaben maßgeblich durch die Rechtswirkungen einer wirksamen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines wirksamen Planfeststellungsbeschlusses gewährt wird, ist sodann zu untersuchen, welche Relevanz dem Vorliegen einer behördlichen Zulassungsentscheidung im Rahmen des umweltschadensrechtlichen Haftungsregimes beigemessen werden kann (B.). Ein zusammenfassendes Fazit schließt die Untersuchung des Umweltschadensrechts ab (C.).

A. Einführung: Die Grundzüge des Umweltschadensrechts Der deutsche Gesetzgeber ist seiner Verpflichtung zur Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie vorrangig durch eine 1:1-Umsetzung in Form des 2007 erlassenen Umweltschadensgesetzes nachgekommen. Hiermit hat er sich gegen die Integration der Richtlinienvorgaben in die vorhandene Systematik des deutschen Umweltrechts entschieden.2 Das Umweltschadensgesetz ist dabei ausdrücklich auf eine Ergänzung durch das Naturschutz-, Wasserhaushalts- und Bodenschutzgesetz angelegt.3 Im Rahmen der Umsetzungskonzeption lässt sich das Umweltschadensgesetz als allgemeiner Teil verstehen, der durch die fachrechtlichen Maßstäbe als besonderer Teil gesteuert wird.4 1 Nicht näher eingegangen werden kann hierbei auf die einzelnen Abgrenzungs- und Anwendungsfragen, die sich im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Umweltschadensrechts stellen. 2 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547). Siehe auch Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1181), dem zufolge eine Einpassung der UH-RL in das BNatSchG und WHG und BBodSchG durchaus denkbar gewesen wäre. 3 Petersen, NuR 2014, 525 (525); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, Vorb. Rn. 25. 4 BT-Drs. 16/3806, S. 13.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Trotz einzelner typisch zivilrechtlicher Elemente5 dient das Umweltschadensgesetz der Gefahrenabwehr, -vermeidung und -beseitigung und begründet damit als Instrument des besonderen Ordnungsrechts eine öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit.6 Anders als das besondere Arten- und Habitatschutzrecht stellen das Umweltschadensgesetz sowie die ergänzenden Vorschriften des Fachrechts keine unmittelbaren Anforderungen an die Vorhabenzulassung, sondern begründen hiervon unabhängige, zusätzliche Verpflichtungen.7 Die §§ 4–6 USchadG sehen für bestimmte Fälle eingetretener oder unmittelbar drohender Schädigungen an den Umweltgütern der Gewässer, des Bodens sowie der Biodiversität Informations-, Gefahrenabwehr- und Sanierungspflichten des Verantwortlichen vor, die seitens der zuständigen Behörden auf Grundlage des § 7 Abs. 2 USchadG auch angeordnet werden können. § 9 USchadG regelt die Kosten der Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen. Grundlage für das Bestehen der umweltschadensrechtlichen Einstands- und Kostentragungspflichten ist die Eröffnung des Anwendungsbereichs nach Maßgabe der §§ 1 und 3 USchadG. Die einzelnen Voraussetzungen (I.) und Rechtsfolgen (II.) sollen im Folgenden überschlägig dargestellt werden.

I. Anwendungsvoraussetzungen 1. Verhältnis des USchadG zu anderen Vorschriften des Fachrechts, § 1 USchadG Entscheidend für die Anwendbarkeit des umweltschadensrechtlichen Haftungsregimes ist zunächst die Subsidiaritätsklausel des § 1 USchadG. Nach § 1 S. 1 USchadG gilt das Umweltschadensgesetz nur subsidiär, soweit Vorschriften des Fachrechts die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden nicht näher bestimmen oder in ihren Anforderungen diesem Gesetz nicht entsprechen. Rechtsvorschriften mit weitergehenden Anforderungen bleiben unberührt, § 1 S. 2 USchadG. Mit der Regelung des § 1 USchadG wird einerseits sichergestellt, dass der Schutzstandard der Umwelthaftungsrichtlinie nicht unterschritten wird; andererseits verbleibt Raum für weitergehende Anforderungen in den Umweltfachge5 Siehe zu dem für das öffentliche Recht untypische Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG unter 3. Teil, A. I. 4. b). 6 BT-Drs. 16/3806, S. 20; Lau, ZUR 2009, 589 (589); Kohler, NuR 2017, 657 (657); Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (11798); Petersen, NuR 2014, 525 (525); ders., USchadG, § 7 Rn. 2; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 3; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 2; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, Vorb. Rn. 25; Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547) spricht insofern von einer Art „Hybridnorm“. 7 VG Saarlouis, Urt. v. 21.07.2021 – 5 K 1944/18, juris Rn. 78 ff.; Appel, NuR 2020, 663 (672); a. A.: Duikers, NuR 2006, 623 (631), dem zufolge die Vermeidungs- und Sanierungspflichten die fachgesetzlichen Anforderungen ergänzen, soweit diese einen niedrigeren Standard aufweisen, sodass die Einhaltung der Pflichten nach dem Umweltschadensgesetz zur Voraussetzung der fachgesetzlichen Genehmigungen werde.

A. Einführung: Die Grundzüge des Umweltschadensrechts

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setzen.8 Das Umweltschadensgesetz soll ausweislich der Gesetzesbegründung einen Mindeststandard formulieren, der aufgrund der europarechtlichen Vorgaben nicht unterschritten werden darf.9 Von einer näheren Bestimmung der Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden durch Bundes- oder Landesrecht (§ 1 S. 1 Alt. 1 USchadG) ist auszugehen, wenn diese Regelungen die Anforderungen an die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden konkreter, d. h. inhaltlich genauer bzw. ausführlicher regeln.10 Dies ist jedenfalls dort der Fall, wo der Gesetzgeber davon abgesehen hat, im Umweltschadensgesetz überhaupt Anforderungen zu stellen, und stattdessen ausdrücklich auf die fachgesetzlichen Anforderungen verweist.11 Ob Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder in ihren Anforderungen dem Umweltschadensgesetz nicht entsprechen (§ 1 S. 1 Alt. 2 USchadG) oder weitergehende Anforderungen enthalten (§ 1 S. 2 USchadG) setzt in jedem Einzelfall eine nähere rechtliche Prüfung voraus, ob das Umweltschadensgesetz oder das Fachgesetz einen strengeren Schutzstandard enthält.12 Vorschriften mit „weitergehenden Anforderungen“ sind dabei nicht nur Bestimmungen mit einem anderen, weitergehenden Anwendungsbereich, sondern auch solche, die auf Rechtsfolgenseite inhaltlich strengere Anforderungen an die Verantwortlichkeit stellen.13 Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten eingehen zu können, sei darauf verwiesen, dass in der Subsidiarität des Umweltschadensgesetzes bzw. in seinem gegenüber den fachrechtlichen Bestimmungen beschränkten Anwendungsbereich zumindest mit Blick auf die Schutzgüter Boden14 und Gewäs8 Petersen, NuR 2014, 525 (527); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 3; Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (171). 9 BT-Drs. 16/3807, S. 19; BVerwG, Urt. v. 29.04.2021 – 4 C 2/19, juris Rn. 50; Fritsch, UPR 2011, 365 (369). 10 Petersen, NuR 2014, 525 (527); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 5. 11 Dies ist etwa der Fall bei den Anforderungen an Art und Umfang der Sanierungsmaßnahmen, bzgl. derer § 7 Abs. 2 USchadG auf fachrechtliche Vorschriften verweist, oder hinsichtlich der Definition des Bodenschadens, bzgl. derer § 2 Nr. 1c USchadG auf das BBodSchG verweist, Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 5. 12 Petersen, NuR 2014, 525 (527); Fritsch, UPR 2011, 365 (369); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 8; kritisch gegenüber den hierbei auftretenden Abgrenzungsfragen unter den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit: Cosack/Enders, DVBl 2008, 495 (407). Siehe zur Abgrenzung des USchadG zu der Vielzahl potenziell haftungsrelevanter Fachgesetze auf die jeweils „weiter gehenden Anforderungen“: Duikers, Die Umwelthaftungsrichtlinie der EG, 2006, S. 143 ff.; Becker, Das neue Umweltschadensgesetz, 2007, Rn. 162 ff.; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 8 ff. 13 BT-Drs. 16/3806, S. 20; Cosack/Enders, DVBl 2008, 495 (407); Petersen, NuR 2014, 525 (527); Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 5. 14 Vgl. Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (172); Petersen, NuR 2014, 525 (525); Brinktrine, EurUP 2012, 2 (8); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umwelt-

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

ser15 einer der maßgeblichen Gründe für die bislang geringe Praxisrelevanz des hierin begründeten Haftungsregimes gesehen wird.16 2. Der Begriff des Umweltschadens, §§ 2 Nr. 1, 3 USchadG Zentral für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Umweltschadensgesetzes nach § 3 USchadG ist ferner der Begriff des Umweltschadens. Ein Umweltschaden liegt gemäß der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 USchadG17 vor bei einer Schädigung18 von Arten und natürlichen Lebensräumen nach Maßgabe des § 19 BNatSchG (lit. a), einer Schädigung der Gewässer nach Maßgabe des § 90 WHG (lit. b) oder einer Schädigung des Bodens durch eine Beeinträchtigung der Bodenfunktionen i. S. d. § 2 Abs. 2 BBodSchG, die durch eine direkte oder indirekte Einbringung von Stoffen, Zubereitungen, Organismen oder Mikroorganismen auf, in oder unter den Boden hervorgerufen wurde und Gefahren für die menschliche Gesundheit verursacht (lit. c). Das Umweltschadensgesetz definiert damit den Begriff des Umweltschadens nicht unmittelbar selbst, sondern verweist auf das jeweilige Fachrecht.19 Eine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinne des Umweltschadensgesetzes ist nach § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG jeder Schaden, der erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands dieser Lebensräume und Arten hat.20 Die für eine Schädigung relevanten Arten werden dabei in § 19 Abs. 2 BNatSchG21 und die recht, USchadG, § 1 Rn. 14 ff. Zur fehlenden Bedeutung des USchadG für den Bodenschutz näher: Brinktrine, ZUR 2007, 337 (346). 15 Vgl. Becker, NVwZ 2007, 1105 (1108); Petersen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, WHG, § 90 Rn. 99; Reinhardt, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, WHG, § 90 Rn. 15. 16 Inhaltlich weitergehende Anforderungen enthält das USchadG dagegen hinsichtlich der Sanierungspflichten für Biodiversitätsschäden, siehe hierzu: Petersen, USchadG, § 7 Rn. 46; Fritsch, UPR 2011, 365 (370); Duikers, UPR 2008, 427 (427); Dolde, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Umwelthaftung nach neuem EG-Recht, 2005, S. 169 (192 ff.); ferner: OVG Münster, Urt. v. 11.03.2021 – 21 A 49/17, juris Rn. 200 ff. 17 Siehe Art. 2 Nr. 1 lit. a–c UH-RL. 18 Ein Schaden oder eine Schädigung liegt nach § 2 Nr. 2 USchadG vor bei einer direkt oder indirekt eintretenden feststellbaren nachteiligen Veränderung einer natürlichen Ressource (Arten und natürliche Lebensräume, Gewässer und Boden) oder einer Beeinträchtigung der Funktion einer natürlichen Ressource. 19 Petersen, NuR 2014, 525 (527); Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (171); John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 5. 20 Siehe zum Begriff des Biodiversitätsschaden näher: Louis, NuR 2008, 163 (165 ff.); Lau, ZUR 2009, 589 (590 ff.); Gellermann, NVwZ 2008, 828 (829 ff.); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 7 ff.; Fellenberg, in: Lütkes/ Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 13 ff. 21 Nach § 19 Abs. 2 BNatSchG sind Arten i. S. d. § 19 Abs. 1 BNatSchG die Arten, die in (1.) Art. 4 Abs. 2 und Anh. I VRL oder (2.) den Anhängen II und IV FFH-RL aufgeführt sind.

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für eine Schädigung relevanten natürlichen Lebensräume in § 19 Abs. 3 BNatSchG22 definiert. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Enthaftung für behördlich zugelassene Auswirkungen vor. Für den Bestandsschutz des Vorhabenträgers gegenüber dem umweltrechtlichen Haftungsregime kommt dieser sogenannten Enthaftungsklausel eine entscheidende Bedeutung zu; auf sie wird an späterer Stelle zurückzukommen sein.23 Eine Schädigung eines Gewässers i. S. d. Umweltschadensgesetzes ist nach § 90 WHG jeder Schaden mit erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf (1.) den ökologischen oder chemischen Zustand eines oberirdischen Gewässers oder Küstengewässers, (2.) das ökologische Potenzial oder den chemischen Zustand eines künstlichen oder erheblich veränderten oberirdischen Gewässers oder Küstengewässers, (3.) den chemischen oder mengenmäßigen Zustand des Grundwassers oder (4.) den Zustand eines Meeresgewässers. Ausgenommen sind solche nachteiligen Auswirkungen, für die die §§ 31 Abs. 2 i.V. m. 44, 47 Abs. 3 S. 1 WHG gelten.24 Gemeinsam ist den Begriffen des Umweltschadens, dass sie nicht jede Veränderung der erfassten Umweltmedien ausreichen lassen, sondern vielmehr jeweils eine gewisse Erheblichkeit fordern.25 Im Hinblick auf Schädigungen des Gewässers sowie Schädigungen von Arten und Lebensräumen kommt dies im Erfordernis der „erheblichen nachteiligen Auswirkungen“ in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG bzw. § 90 Abs. 1 WHG zum Ausdruck. Bei Bodenschädigungen folgt dies aus der Definition in § 2 Nr. 1 lit. c USchadG, die nur solche Schädigungen des Bodens erfasst, die „Gefahren für die menschliche Gesundheit“ verursachen.26 3. Verantwortlicher i. S. d. § 2 Nr. 3 USchadG, Kausalitätsnachweis Das Haftungsregime des Umweltschadensgesetzes trifft allein „Verantwortliche“ i. S. d. § 2 Nr. 3 USchadG. Verantwortlicher ist hiernach jede natürliche oder juristische Person, die eine berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt, einschließlich des Inhabers einer Zulassung oder Genehmigung für eine solche Tätigkeit oder der Person, die eine solche Tätigkeit anmeldet oder notifiziert und dadurch unmittelbar einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines 22 Nach § 19 Abs. 3 BNatSchG sind natürliche Lebensräume i. S. d. § 19 Abs. 1 BNatSchG die (1.) Lebensräume der Arten, die in Art. 4 Abs. 2 oder Anh. I VRL aufgeführt sind, (2.) natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse sowie (3.) Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anh. IV der FFH-RL aufgeführten Arten. 23 Siehe hierzu unter 3. Teil, B. II. 1. 24 Ist etwa die Verschlechterung des Wasserzustands unvermeidbar oder liegt sie im öffentlichen Interesse, liegt daher kein Umweltschaden i. S. d. Umweltschadensgesetzes vor, Fritsch, UPR 2011, 365 (368). 25 Petersen, NuR 2014, 525 (527). 26 Petersen, NuR 2014, 525 (527).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

solchen Schadens verursacht hat. Erfasst sind mithin allein gefahrbegründende berufliche Tätigkeiten.27 Den Begriff der beruflichen Tätigkeit definiert § 2 Nr. 4 USchadG wiederum als jede Tätigkeit, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, einer Geschäftstätigkeit oder eines Unternehmens ausgeübt wird, unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich und mit oder ohne Erwerbscharakter ausgeübt wird. Ein Umweltschaden und die Gefahr eines Umweltschadens begründet nach § 2 Nr. 3 USchadG ferner nur dann eine Verantwortlichkeit, wenn die berufliche Tätigkeit hierfür „unmittelbar“ ursächlich ist. Das Umweltschadensrecht begründet damit allein eine Verhaltensverantwortlichkeit.28 Für die Frage, wann eine unmittelbare Gefahren- oder Schadensverursachung anzunehmen ist, zieht die herrschende Auffassung den Verursacherbegriff des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts heran.29 4. Haftungstatbestände: verschuldensabhängige und -unabhängige Haftung Hinsichtlich der Eröffnung seines Anwendungsbereichs trifft das Umweltschadensgesetz in § 3 Abs. 1 USchadG schließlich eine Differenzierung zwischen einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung30 für berufliche Tätigkeiten nach Anlage 1 des Gesetzes (Nr. 1) und der – dem sonstigen öffentlichen Recht grundsätzlich fremden – verschuldensabhängigen Haftung für sonstige berufliche Tätigkeiten (Nr. 2). a) Verschuldensunabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG Die verschuldensunabhängige Haftung für sämtliche Umweltschäden und unmittelbare Gefahren solcher Schäden nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG gilt allein für die in Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz abschließend aufgezählten beruflichen Tätigkeiten. Die vom Verschulden des Verantwortlichen unabhängige Haftung rechtfertigt sich daraus, dass diesen Tätigkeiten eine spezifische Gefährlich27

Lau, UPR 2015, 361 (368). Beuck, VersR 2012, 1215 (1219); Beckbissinger, EurUP 2020, 2 (5); Knopp, UPR 2007, 414 (417); Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (173); Louis, NuR 2008, 163 (164); Becker, Das neue Umweltschadensgesetz, 2007, Rn. 58; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 2 Rn. 29; Petersen, USchadG, § 2 Rn. 119; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 45; John, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 19 Rn. 36. 29 OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 107; VG Gießen, Urt. v. 13.12.2017 – 1 K 4316/16.GI, juris Rn. 38; Becker, NVwZ 2005, 371 (373); Lau, ZUR 2009, 589 (594); Beuck, VersR 2012, 1215 (1219); Schrader, in: Gisberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 16; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 46; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 2 Rn. 38; Petersen, USchadG, § 2 Rn. 133. 30 Shirvani, UPR 2010, 209 (210); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 48. 28

A. Einführung: Die Grundzüge des Umweltschadensrechts

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keit im Hinblick auf die geschützten Umweltgüter innewohnt,31 der Betroffene durch seine berufliche Tätigkeit mithin eine besondere umweltrelevante Gefahr schafft.32 Es handelt sich insofern um eine Form der Gefährdungshaftung.33 Eine analoge Anwendung der Anlage 1 des Umweltschadensgesetzes auf dort nicht explizit genannte Tätigkeiten ist ausgeschlossen.34 Einige der beruflichen Tätigkeiten nach Anlage 1 des Umweltschadensgesetzes können dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungserfordernis unterfallen. So betrifft etwa der Betrieb von Anlagen, die nach der Industrieemissionsrichtlinie 2010/75/EU (IED-Richtlinie)35 einer Genehmigung bedürfen (Nr. 1), hauptsächlich Anlagen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind. Von der Anlage 1 erfasst sind ferner auch eine Reihe planfeststellungsbedürftiger Tätigkeiten.36 b) Verschuldensabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG Die Mehrzahl der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen sowie planfeststellungsbedürftigen Vorhaben unterfällt nicht der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz. Während das Umweltschadensgesetz für sämtliche Umweltschäden und unmittelbare Gefahren solcher Schäden gilt, sofern diese durch berufliche Tätigkeiten nach Anlage 1 verursacht werden, kommt für sonstige berufliche Tätigkeiten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG eine Haftung allein für Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen i. S. d. § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG und unmittelbare Gefahren solcher Schäden in Betracht. Erforderlich ist zudem ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Verantwortlichen. Der Anwendungsbereich des Umweltschadensgesetzes wird im Rahmen der sogenannten „Biodiversitätsschäden“ damit einerseits zwar auf jegliche berufliche Tätigkeit erweitert, andererseits erfordert eine Haftung nach § 3 Abs. 1 31 Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 4; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 48. 32 Beckbissinger, EurUP 2020, 2 (4); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 4. 33 Müggenborg, NVwZ 2009, 12 (13); Beuck, VersR 2012, 1215 (1221); Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (411); Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 6 Rn. 332; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 4; teilweise wird sie auch als „gefährdungshaftungsartig“ bezeichnet, Kohler, NuR 2017, 657 (658). 34 Petersen, NuR 2014, 525 (529); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 7. 35 Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17). 36 Erfasst ist etwa der Betrieb von Deponien, die gem. § 35 Abs. 2 und 3 KrWG einer Planfeststellung bedürfen (Nr. 2) oder die Aufstauung von oberirdischen Gewässern gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 WHG (Nr. 6), siehe zu weiteren Beispielen: Petersen, NuR 2014, 525 (529).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Nr. 2 USchadG zugleich einschränkend auch ein Verschulden des Verantwortlichen.37 Bei Gewässer- und Bodenbeeinträchtigungen, die nicht durch eine in Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz aufgelistete berufliche Tätigkeit ausgelöst werden, verbleibt es bei einer Verantwortlichkeit nach sonstigen Haftungsnormen außerhalb des Umweltschadensrechts.38 Die durch § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG begründete verschuldensabhängige Haftung ist dem deutschen öffentlichen Recht grundsätzlich fremd; im Polizei- und Ordnungsrecht sowie Sonderordnungsrecht ist allgemein anerkannt, dass die öffentlich-rechtliche Verhaltensverantwortlichkeit, wie sie auch dem Umweltschadensgesetz zugrunde liegt, kein Verschulden des Handelnden voraussetzt.39

II. Rechtsfolge 1. Informations-, Vermeidungs- und Sanierungspflichten des Verantwortlichen Für den Fall der Verursachung eines Umweltschadens bzw. der unmittelbaren Gefahr eines solchen Schadens40 normiert das Umweltschadensgesetz in den §§ 4–6 USchadG verschiedene ordnungsrechtliche Pflichten des Verantwortlichen, die auf die Vorgaben der Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 UH-RL zurückzuführen sind. Den Verantwortlichen trifft nach § 4 USchadG zunächst eine umfassende Informationspflicht, nach der die zuständige Behörde sowohl bei der unmittelbaren Gefahr eines Umweltschadens als auch im Falle eines bereits eingetretenen Umweltschadens unverzüglich über alle bedeutsamen Aspekte des Sachverhalts zu unterrichten ist.41 Besteht die unmittelbare Gefahr eines Umweltschadens, hat der Verantwortliche nach § 5 USchadG unverzüglich die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen.42 Ist ein Umweltschaden bereits

37 Schwonberg, NVwZ 2018, 431 (431). Siehe auch: Petersen, NuR 2014, 525 (529); Kohler NuR 2017, 657 (658). 38 Petersen, NuR 2014, 525 (529). 39 Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (411); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 9. 40 Eine unmittelbare Gefahr liegt dabei vor bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass ein Umweltschaden in naher Zukunft eintreten wird, § 2 Nr. 5 USchadG. 41 Siehe hierzu: John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 44. 42 Bei Vermeidungsmaßnahmen handelt es sich um Maßnahmen, die den Schaden vermeiden oder zumindest weitestgehend minimieren, § 2 Nr. 6 USchadG. Welche Maßnahmen im Einzelfall zu ergreifen sind, lässt sich nur unter Berücksichtigung der spezifischen Umstände des jeweiligen Einzelfalls bestimmen. In erster Linie kommen solche Maßnahmen in Betracht, die auf die Beseitigung der Gefahr ausgerichtet sind und Vorkehrungen gegen ihre Ausbreitung und Fortwirkung treffen, sodass das Entstehen bzw. die Vertiefung eines Umweltschadens verhindert wird, vgl. Art. 6 Abs. 1 UHRL. Siehe hierzu: Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 3; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 5 Rn. 3; Petersen, USchadG, § 5 Rn. 20.

A. Einführung: Die Grundzüge des Umweltschadensrechts

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eingetreten, trifft ihn nach § 6 USchadG eine Sanierungspflicht, die sowohl Schadensbegrenzungs-43 sowie Sanierungsmaßnahmen44 erfasst. Die vorstehend angeführten Informations-, Gefahrenabwehr- und Sanierungspflichten entfalten eine unmittelbare Wirkung, d. h. sie sind vom Verantwortlichen unabhängig von einer behördlichen Anordnung zu beachten.45 Im Hinblick auf die Vornahme von Sanierungsmaßnahmen ist nach § 8 USchadG jedoch eine vorherige Abstimmung mit der zuständigen Behörde vorgesehen.46 2. Pflichten und Befugnisse der zuständigen Behörde Die zuständige Behörde ist gemäß § 7 Abs. 1 USchadG verpflichtet, die Einhaltung der Anforderungen des Umweltschadensgesetzes zu überwachen. Nach § 7 Abs. 2 USchadG ist sie befugt, gegenüber dem Verantwortlichen etwaige Vermeidungs-, Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen anzuordnen.47 3. Kostentragung Nach § 9 Abs. 1 S. 1 USchadG hat der Verantwortliche grundsätzlich die Kosten der Vermeidungs-, Schadensbegrenzungs- und Sanierungsmaßnahmen zu tra43 Schadensbegrenzungsmaßnahmen sind Maßnahmen, mit denen die betreffenden Schadstoffe oder sonstigen Schadfaktoren unverzüglich kontrolliert, eingedämmt, beseitigt oder auf sonstige Weise behandelt werden, um weitere Umweltschäden und nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder eine weitere Beeinträchtigung von Funktionen zu begrenzen oder zu vermeiden, § 2 Nr. 7 USchadG. 44 Nach § 2 Nr. 8 USchadG ist unter einer Sanierungsmaßnahme jede Maßnahme zu verstehen, um einen Umweltschaden nach Maßgabe der fachrechtlichen Vorschriften zu sanieren. Über die Art und den Umfang der notwendigen Sanierung trifft das Umweltschadensgesetz damit unmittelbar keine Aussage, sondern verweist diesbezüglich auf das einschlägige Fachrecht. Bei Biodiversitätsschäden und Gewässerschäden richtet sich die Sanierung nach Anhang II Nr. 1 UH-RL, auf die durch § 19 Abs. 4 BNatSchG bzw. § 90 Abs. 2 WHG Bezug genommen wird. Nach Anhang II Nr. 1 der UH-RL kommen die primäre und die ergänzende Sanierung sowie die Ausgleichssanierung in Betracht. Vergleichbar konkrete Vorgaben existieren für die Sanierung von Bodenschädigungen i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. c USchadG nicht. Die Sanierung richtet sich hier nach § 8 Abs. 1 i.V. m. § 2 Nr. 8 und Nr. 10 USchadG nach den dort in Bezug genommenen fachrechtlichen Vorschriften. Siehe zu Sanierungsmaßnahmen im Einzelnen: John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 49; Petersen, USchadG, § 2 Rn. 155 ff. 45 Knopp, UPR 2007, 414 (418); Lau, ZUR 2009, 589 (594); Petersen, NuR 2014, 525 (528); ders., USchadG, § 4 Rn. 12; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 4; Schrader, in: Gisberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 18; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 6. 46 Petersen, NuR 2014, 525 (528); Shirvani, UPR 2010, 209 (211). 47 Nach § 10 USchadG wird die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Sanierungspflichten nach dem Umweltschadensgesetz von Amts wegen tätig oder, wenn ein Betroffener oder eine Umweltvereinigung i. S. d. § 3 UmwRG dies beantragen und die zur Begründung des Antrags vorgebrachten Tatsachen den Eintritt eines Umweltschadens glaubhaft erscheinen lassen, siehe zu den Voraussetzungen: Schrader/Hellenbroich, ZUR 2007, 289 (290 ff.).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

gen, die nach dem Umweltschadensgesetz erforderlich sind.48 § 9 Abs. 1 S. 2 USchadG sieht für bestimmte Konstellationen unter anderem die Möglichkeit der Kostenbefreiung durch landesrechtliche Regelungen vor.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung im umweltrechtlichen Haftungsregime Bereits der vorstehende Überblick verdeutlicht, dass sich die Vorgaben des Umweltschadensrechts zumindest nicht ohne Weiteres in die gängige Systematik des Polizei- und (Sonder-)Ordnungsrechts integrieren lassen, werden mit dem Verschuldenserfordernis in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG sowie der Enthaftungsklausel nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG doch Elemente eingeführt, die dem sonstigen Polizei- und (Sonder-)Ordnungsrecht grundsätzlich fremd sind. Aus Bestandsschutzgesichtspunkten wirft dies die Frage auf, ob bzw. inwieweit das herkömmliche Verständnis über die Schutzwirkung von Zulassungsentscheidungen, wie es in den ersten beiden Teilen der vorliegenden Untersuchung erarbeitet wurde, auch dem Umweltschadensrecht zugrunde gelegt werden kann. Von Relevanz ist dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass unmittelbar geltende Gefahrvermeidungspflichten sowie hoheitliche Befugnisse zu ihrer Durchsetzung sich auch außerhalb des Umweltschadensrechts finden.49 Entsprechendes lässt sich für Sanierungspflichten sowie diesbezüglich bestehende behördliche Anordnungsbefugnisse feststellen.50 Nach nationaler Bestandsschutzkonzeption schützt den Inhaber einer wirksamen öffentlich-rechtlichen Zulassungsentscheidung vor einer dahingehenden Inanspruchnahme jedoch die Legalisierungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung. Um das umweltschadensrechtliche Haftungsregime in Verhältnis zu dem nationalen Legalisierungsverständnis bringen zu können (III.), ist im Folgenden zu 48 Beckmann, EurUP 2020, 238 (246). Siehe hierzu näher: Duikers, UPR 2008, 427 ff. 49 Zu denken ist hier etwa an die in § 5 Abs. 1 WHG für den Bereich des Wasserrechts normierte allgemeine Sorgfaltspflicht, die unmittelbare Geltung beansprucht und deren Einhaltung auf Grundlage der landeswasserpolizeirechtlichen Generalklauseln sowie der wasserrechtlichen Eingriffsbefugnis gemäß § 100 Abs. 1 S. 2 WHG seitens der zuständigen Wasserbehörden auch durchgesetzt werden kann, siehe hierzu: Petersen, USchadG, § 5 Rn. 9, § 7 Rn. 39; Duikers, Die Umwelthaftungsrichtlinie der EG, 2006, S. 160 f. zu § 1a Abs. 2 WHG a. F.; ferner allgemein: Lakowski/Ziehm, in: Koch/Hofmann/Reese, Umweltrecht, 5. Aufl. 2018, § 5 Rn. 81; Faßbender, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, WHG, § 5 Rn. 31 f. m.w. N. 50 So enthält etwa das Bodenschutzrecht neben den in § 4 Abs. 1 und 2 BBodSchG enthaltenen Pflichten zur Vermeidung schädlicher Bodenveränderungen mit § 4 Abs. 3 BBodSchG auch die Pflicht zur Sanierung des Bodens und von Gewässern, wenn eine schädliche Bodenveränderung oder Altlast vorliegt. Zur Erfüllung der sich aus § 4 BBodSchG ergebenden Pflichten kann die zuständige Behörde nach § 10 Abs. 1 S. 1 BBodSchG die notwendigen Maßnahmen treffen.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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untersuchen, welche Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung im System des Umweltschadensrechts zukommt. Ausgangspunkt bildet hierbei zunächst die allgemeine Frage, inwieweit auch eine Tätigkeit, die sich im Rahmen einer behördlichen Zulassungsentscheidung bewegt, eine umweltschadensrechtliche Verantwortlichkeit und die hiermit verbundenen Vermeidungs-, Sanierungssowie Kostentragungspflichten auszulösen vermag (I.). Sodann ist auf mögliche mittelbar haftungsbeschränkende Wirkungen behördlicher Zulassungsentscheidungen einzugehen (II.). Relevant ist hierbei insbesondere die Regelung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG, die für Biodiversitätsschäden die Möglichkeit einer Enthaftung für bestimmte behördlich zugelassene Auswirkungen normiert, sowie das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG.

I. Der Zulassungsinhaber als Träger der umweltschadensrechtlichen Primär- und Sekundärpflichten Darzulegen ist zunächst, inwieweit die Primär- und Sekundärpflichten nach dem Umweltschadensgesetz einen Anlagenbetreiber auch für solche Tätigkeiten treffen können, die sich im Rahmen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bewegen. Diesbezüglich geben Umwelthaftungsrichtlinie und Umweltschadensgesetz ein recht eindeutiges Bild. 1. Keine generelle Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten von den umweltschadensrechtlichen Primärpflichten Jedenfalls eine allgemeine Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen im Sinne einer generellen Haftungsfreistellung von den Vermeidungs- und Sanierungspflichten sehen Umwelthaftungsrichtlinie und Umweltschadensgesetz nicht vor.51 Während der Richtlinienentwurf der Kommission noch einen generellen Ausnahmetatbestand für genehmigte Tätigkeiten enthalten hatte,52 wurde von einer derartigen allgemeinen „permit-defence“-Regelung in der Umwelthaftungsrichtlinie im Ergebnis abgesehen und dahingehend abgeschwächt, dass den Mitgliedstaaten in Art. 8 Abs. 4 UH-RL lediglich die Möglichkeit eröffnet wurde, bestimmte genehmigte Tätigkeiten auf Sekundärebene 51 Petersen, NuR 2014, 525 (530); Portsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (175); Brinktrine, ZUR 2007, 337 (341); Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1182 f.); Beckbissinger, EurUP 2020, 238 (247); Shirvani, UPR 2010, 209 (209); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 25; siehe auch BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29/15, NVwZ 2018, 427 (428 f.); OVG Hamburg, Urt. v. 08.94.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 90. 52 Art. 9 Abs. 1 lit. c des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umwelthaftung betreffend die Vermeidung von Umweltschäden und die Sanierung der Umwelt vom 23.01.2002, KOM (2002) 17 endg., ABl. 2002 C 151 E v. 25.06.2002, S. 132.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

von den Kosten der durchgeführten Sanierungstätigkeiten freizustellen.53 Nach Art. 8 Abs. 4 lit. a UH-RL können die Mitgliedstaaten zulassen, dass der Betreiber die Kosten der gemäß dieser Richtlinie durchgeführten Sanierungstätigkeiten nicht zu tragen hat, sofern er nachweist, dass er nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat und zudem der Umweltschaden durch eine Emission oder ein Ereignis verursacht wurde, die aufgrund einer Zulassung, die nach den zum Zeitpunkt der Emission oder des Ereignisses geltenden nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung bestimmter gesetzlicher Maßnahmen der Gemeinschaft zuerkannt oder erteilt wurde, ausdrücklich erlaubt sind und deren Bedingungen im vollen Umfang entsprechen. Aus der Bestimmung des Art. 8 Abs. 4 lit. a UH-RL bzw. der nationalen Umsetzungsnorm des § 9 Abs. 1 S. 2 USchadG54 folgt, dass eine Freistellung des Verantwortlichen aufgrund einer behördlichen Zulassungsentscheidung allenfalls auf Ebene der Kostentragungspflicht in Betracht kommt.55 Eine Beschränkung seiner primären Verantwortlichkeit hinsichtlich der Informations-, Vermeidungs- und Sanierungspflichten findet hierdurch nicht statt.56 Dieses Auslegungsergebnis wird durch den Begriff des „Betreibers“ nach Art. 2 Nr. 6 UH-RL bzw. des im Umweltschadensgesetz verwendeten, weitgehend inhaltsgleichen57 Begriff des „Verantwortlichen“ in § 2 Nr. 3 USchadG bestätigt. Dieser benennt ausdrücklich auch den „Inhaber einer Zulassung oder Genehmigung“, woraus sich schließen lässt, dass die Pflichten des Verantwortlichen nach dem Umweltschadensgesetz grundsätzlich unabhängig davon bestehen, ob der Verursacher für seine Tätigkeit über eine Zulassung oder Genehmigung verfügt.58

53 Portsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (175); Dolde, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Umwelthaftung nach neuem EG-Recht, 2005, S. 169 (184). Siehe auch: Shirvani, UPR 2010, 209 (209); Appel, NuR 2020, 663 (672). 54 § 9 Abs. 1 S. 2 USchadG überlässt es den Ländern, den Verantwortlichen von der grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 S. 1 USchadG bestehenden Kostentragungspflicht für durchgeführte Sanierungsmaßnahmen freizustellen, sofern die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 UH-RL vorliegen. 55 Duikers, UPR 2008, 427 (432); Brinktrine, ZUR 2007, 337 (341 f.); Becker, NVwZ 2005, 371 (375); Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 195 f.; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 25; siehe auch: Diederichsen, NJW 2007, 3377 (3379); Knopp, UPR 2005, 361 (363). 56 Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 25. 57 Shirvani, UPR 2010, 209 (209). Der Begriff „Verantwortlicher“ wurde in der deutschen Umsetzung allein aus rechtssystematischen Gründen gewählt, da der Gesetzgeber die Pflichtigkeit nach dem USchadG als öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit ausgestalten wollte; eine inhaltliche Änderung gegenüber der UH-RL war hiermit nicht bezweckt. Siehe BT-Drs. 16/3806, S. 20 f.; Louis, NuR 2009, 2 (2). 58 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547); Beckmann, EurUP 2020, 238 (248); Shirvani, UPR 2010, 209 (209); Brinktrine, ZUR 2007, 337 (341); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 28.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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Dass schließlich auch der Begriff des Umweltschadens keinen tauglichen Ansatzpunkt für die Annahme einer generellen Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten bildet, bestätigt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser war mit der Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung für die Annahme eines Umweltschadens im Sinne der Umwelthaftungsrichtlinie in dem Vorabentscheidungsverfahren in Sachen Folk gegen Unabhängiger Verwaltungssenat für die Steiermark befasst.59 Nach Auffassung des Gerichtshofs steht die Umwelthaftungsrichtlinie im Bereich der Gewässerschäden einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die eine Tätigkeit allein deshalb generell und ohne Weiteres vom Begriff des „Umweltschadens“ ausschließt, weil sie durch eine Bewilligung in Anwendung des nationalen Rechts gedeckt ist.60 Dabei stellte der Gerichtshof maßgeblich darauf ab, dass Art. 2 Nr. 1 lit. b UH-RL eine Ausnahme lediglich für solche nachteiligen Auswirkungen vorsieht, für die Art. 4 Abs. 7 der Wasserrahmenrichtlinie gilt.61 Wenngleich sich die Ausführungen des Gerichtshofs bedingt durch den Vorlagegegenstand ausdrücklich allein auf den Bereich der Gewässerschäden nach Art. 2 Nr. 1 lit. b UH-RL bezogen, lässt sich ihnen doch die maßgebliche Erwägung entnehmen, dass eine bestimmte Tätigkeit allein in den durch die Umwelthaftungsrichtlinie ausdrücklich vorgesehenen Fällen aus dem Begriff des Umweltschadens ausgenommen werden kann. Da die Richtlinie auch in Bezug auf Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume i. S. d. Art. 2 Nr. 1 lit. a UH-RL sowie Schädigungen des Bodens i. S. d. Art. 2 Nr. 1 lit. c UH-RL jedenfalls eine generelle Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten nicht vorsieht, kann insofern auch für diese Schutzgüter nichts anderes gelten.62 Aus den verschiedenen Bestimmungen der Umwelthaftungsrichtlinie bzw. des in ihrer Umsetzung ergangenen Umweltschadensgesetzes63 folgt mithin, dass das umweltschadensrechtliche Haftungsregime prinzipiell unabhängig davon greift, ob das den Schaden verursachende Handeln behördlich zugelassen wurde oder

59

EuGH, Urt. v. 01.06.2017, Rs. C-529/15 (Folk), ECLI:EU:C:2017:419, Rn. 26 ff. EuGH, Urt. v. 01.06.2017, Rs. C-529/15 (Folk), ECLI:EU:C:2017:419, Rn. 34. 61 EuGH, Urt. v. 01.06.2017, Rs. C-529/15 (Folk), ECLI:EU:C:2017:419, Rn. 28 ff. 62 Zurückhaltender: Knopp/Lohmann/Schumacher, NuR 2017, 741 (745), die aufgrund der expliziten Bezugnahme der Vorlagefrage auf die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 lit. b UH-RL bezweifeln, ob sich aus diesem Urteil des Gerichtshofs verallgemeinerungsfähige Aussagen entnehmen lassen. Von einer Bestätigung der Aussage, behördliche Genehmigungen würden generell keine pauschale Legalisierungswirkung entfalten, könne daher allenfalls unter Vorbehalt gesprochen werden. 63 Aufgrund der nach Art. 288 UAbs. 3 AEUV bestehenden Bindung des deutschen Gesetzgebers an die Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie, hätte die Anerkennung einer generellen Legalisierungswirkung von Zulassungsentscheidungen einen Unionsrechtsverstoß bedeutet, Diederichsen, NJW 2007, 3377 (3379); Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (409). Siehe zu der hiervon zu trennenden Frage der Vereinbarkeit der UHRL mit den EU-Grundrechten: Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1183) m.w. N. 60

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

nicht.64 Ferner differenzieren Umwelthaftungsrichtlinie und Umweltschadensgesetz weder zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Zulassungsentscheidungen noch nach dem Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit. Der Inhaber einer rechtmäßigen Zulassung ist bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit grundsätzlich ebenso Verantwortlicher i. S. d. Umweltschadensgesetzes wie der Inhaber einer rechtswidrigen Zulassungsentscheidung.65 Als Verantwortliche i. S. d. Umweltschadensgesetzes können die Betreiber immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie Träger planfestgestellter Vorhaben die Primärpflichten nach den §§ 4–6 USchadG damit grundsätzlich auch in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit treffen, die sich im Rahmen einer bestandskräftigen behördlichen Zulassungsentscheidung bewegt, sofern hierdurch unmittelbar ein Umweltschaden oder die Gefahr eines solchen Schadens verursacht wird.66 Kommt der Verantwortliche seinen Primärpflichten nicht nach, muss die jeweils zuständige Behörde grundsätzlich in der Lage sein, die Erfüllung der Pflichten auch ordnungsrechtlich durchzusetzen.67 § 7 Abs. 2 USchadG vermittelt den zuständigen Behörden die hierfür notwendigen Eingriffsbefugnisse.68 Vermag eine behördliche Zulassung von einer Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz grundsätzlich nicht zu befreien, erstreckt sich die Befugnis der zuständigen Behörde nach § 7 Abs. 2 USchadG daher auch auf den Erlass von Anordnungen, mit denen die umweltschadensrechtlichen Pflichten gegenüber dem Inhaber einer Zulassungsentscheidung durchgesetzt werden.69 Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 USchadG als fachrechtliche Eingriffsnorm auch gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen sowie planfeststellungsbedürftigen Vorhaben bestehen im Grundsatz keine Bedenken.70 2. Keine Kostenfreistellung für zugelassene Tätigkeiten Schließlich knüpfen auch die Kostentragungsregelungen des § 9 USchadG an den Begriff des „Verantwortlichen“ an und beziehen damit den Inhaber einer Zulassung oder Genehmigung mit ein.71 Fraglich ist, ob zumindest eine Freistellung 64 Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (455); Lau, UPR 2015, 361 (362); Shirvani, UPR 2010, 209 (209); Portsch, in: FS-Dolde 2014, 169 (175); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 1 Rn. 25. 65 Siehe hierzu: Shirvani, UPR 2010, 209 ff. 66 Shirvani, UPR 2010, 209 (210). 67 Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 6. 68 John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 3; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 6. 69 Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 25. 70 Siehe zu der Frage der Anwendbarkeit von Eingriffsbefugnissen des Fachrechts auf immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen sowie planfestgestellte Vorhaben: 2. Teil, D. II. 4. b) aa) und bb). 71 Shirvani, UPR 2010, 209 (210).

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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von den Kosten der Sanierungsmaßnahmen in Betracht kommt, sofern der Umweltschaden durch eine Tätigkeit verursacht wurde, die sich im Rahmen einer behördlichen Zulassungsentscheidung bewegt. Wie bereits angeführt, eröffnet die Umwelthaftungsrichtlinie den Mitgliedstaaten in Art. 8 Abs. 4 lit. a UH-RL unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen die Möglichkeit einer dahingehenden Kostenfreistellung für bestimmte genehmigte Tätigkeiten.72 In Umsetzung des Art. 8 Abs. 4 UH-RL überlässt es die Regelung des § 9 Abs. 1 S. 2 HS 2 USchadG den Ländern, den Verantwortlichen von der grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 S. 1 USchadG bestehenden Kostentragungspflicht für durchgeführte Sanierungsmaßnahmen freizustellen, sofern die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 UH-RL vorliegen.73 Die Bundesländer haben indes von der Ermächtigung des § 9 Abs. 1 S. 2 HS 2 USchadG bislang keinen Gebrauch gemacht, sodass der Verantwortliche die Kosten der Sanierungstätigkeiten unabhängig von dem Vorliegen einer behördlichen Zulassungsentscheidung selbst zu tragen hat.74 Da es sich bei Art. 8 Abs. 4 lit. a UH-RL lediglich um eine optionale Regelung handelt, liegt diesbezüglich keine unzureichende Richtlinienumsetzung durch den Mitgliedstaat vor; eine unmittelbare Anwendung der Richtlinienbestimmung scheidet insofern aus.75 Einen im Unterschied zu Art. 8 Abs. 4 UH-RL obligatorischen Kostenbefreiungstatbestand sieht zwar Art. 8 Abs. 3 S. 1 lit. b UH-RL vor,76 nach dem der Betreiber die Kosten für gemäß der Umwelthaftungsrichtlinie durchgeführte Vermeidungs- oder Sanierungstätigkeiten nicht tragen muss, wenn er nachweisen kann, dass die Umweltschäden oder die unmittelbare Gefahr solcher Schäden auf die Befolgung von Verfügungen oder Anweisungen einer Behörde zurückzuführen sind, wobei es sich nicht um Verfügungen oder Anweisungen infolge von Emissionen oder Vorfällen handelt, die durch die eigenen Tätigkeiten des Betreibers verursacht werden. Die für die Kostenbefreiung nach Art. 8 Abs. 3 S. 1 lit. b UH-RL erforderlichen Vorschriften hat der Bundesgesetzgeber aus Kompetenzgründen nicht selbst erlassen, sondern die Länder in § 9 Abs. 1 S. 2 HS 1 USchadG ermächtigt, Regelungen über Kostenbefreiungen und Kostenerstattungen zu treffen.77 Auf die Frage der landesrechtlichen Umsetzung kommt es vor-

72 Für die Kosten der durchgeführten Vermeidungsmaßnahmen ist hingegen keine Kostenfreistellung vorgesehen. 73 Kritisch zu der Möglichkeit der Kostenfreistellung: Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (415); befürwortend dagegen: Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 9 Rn. 14. 74 Shirvani, UPR 2010, 209 (210, 213). 75 Peters, USchadG, § 9 Rn. 83. 76 Duikers, UPR 2008, 427 (431); Shirvani, UPR 2010, 209 (212 f.). 77 Vgl. BT-Drs. 16/3806, S. 26.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

liegend jedoch nicht an.78 Denn unabhängig hiervon betrifft die in Art. 8 Abs. 3 S. 1 lit. b UH-RL angesprochene „Befolgung von Verfügungen“ einer Behörde jedenfalls nicht den Fall der Kostenbefreiung im Falle einer behördlich zugelassenen Tätigkeit.79 Dieser Fall ist vielmehr speziell in Art. 8 Abs. 4 UH-RL geregelt.80 3. Zwischenfazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Primär- und Sekundärpflichten des Umweltschadensrechts Anlagenbetreiber und Vorhabenträger grundsätzlich auch für solche Tätigkeiten treffen können, die sich im Rahmen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bewegen.

II. Die (mittelbaren) Schutzwirkungen behördlicher Zulassungsentscheidungen im umweltschadensrechtlichen Haftungsregime Kann nach der Regelungssystematik des Umweltschadensrechts ein Anlagenbetreiber grundsätzlich auch für eine berufliche Tätigkeit, die sich im Rahmen einer im äußersten Fall bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bewegt, auf Grundlage des Umweltschadensgesetzes zur Gefahrenabwehr und Sanierung von Umweltschäden herangezogen werden und kommt selbst eine Freistellung von den Sanierungskosten nicht in Betracht, scheinen die mit dem umweltschadensrechtlichen Haftungsregime verbundenen Beschränkungen des Bestandsschutzes zunächst beträchtlich. Bevor an dieser Stelle jedoch vorschnell auf eine mögliche Bedeutungslosigkeit behördlicher Zulassungsakte und insbesondere ihr vorausgegangener aufwändiger Umweltprüfungen geschlossen wird, ist zu berücksichtigen, dass die Systematik des Umweltschadensrechts zwar eine generelle Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten nicht anerkennt, sich aus dem Vorliegen einer wirksamen Zulassungsentscheidung jedoch zumindest mittelbar gewisse Haftungsbeschränkungen ergeben können.81 Ansatzpunkt bildet hierbei zum einen die für Biodiversitätsschäden geltende Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG (1.), zum anderen das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG (2.). In Bezug auf Schäden an den Schutzgütern Boden und Gewässer fehlt es zwar an einer dem § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG entsprechenden Regelung; gleichwohl erweist sich eine Zulassungsentscheidung auch hier nicht als bedeutungslos (3.). 78 Bislang hat allein das Land Berlin eine solche Regelung zur Kostenfreistellung erlassen, siehe § 8a Abs. 5 Berliner Bodenschutzgesetz (Bln BodSchG), § 43b Abs. 6 Berliner Naturschutzgesetz (NatSchGBln), § 71 Abs. 7 Berliner Wassergesetz (BWG). 79 Shirvani, UPR 2010, 209 (213). 80 Shirvani, UPR 2010, 209 (213). 81 Vgl. Beckmann, EurUP 2020, 238 (247); Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547).

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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1. Die Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG für Biodiversitätsschäden § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG sieht für Biodiversitätsschäden i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. a USchadG i.V. m. § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG eine sogenannte Enthaftungsklausel82 vor, die auf den Vorgaben des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL basiert. Nach Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL umfassen Schädigungen geschützter Arten und natürlicher Lebensräume nicht die zuvor ermittelten nachteiligen Auswirkungen, die aufgrund von Tätigkeiten eines Betreibers entstehen, die von den zuständigen Behörden gemäß den Vorschriften zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 oder Art. 16 FFH-RL oder Art. 9 VRL oder im Falle von nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Lebensräumen und Arten gemäß gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschriften ausdrücklich genehmigt wurden. Der nationale Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorgaben in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dahingehend umgesetzt, dass abweichend von § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG keine Schädigung vorliegt bei zuvor ermittelten nachteiligen Auswirkungen von Tätigkeiten einer verantwortlichen Person, wenn die Auswirkungen von der zuständigen Behörde nach den §§ 34, 35, 45 Abs. 7 BNatSchG oder § 67 Abs. 2 BNatSchG oder, wenn eine solche Prüfung nicht erforderlich ist, nach § 15 BNatSchG oder auf Grund der Aufstellung eines Bebauungsplan nach § 30 oder § 33 BauGB genehmigt wurden oder zulässig sind. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gilt sowohl für die verschuldensunabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG sowie für die verschuldensabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG. Obgleich in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG auf die Definition der Schädigung in § 19 Abs. 1 BNatSchG nicht gesondert Bezug genommen wird,83 bezieht sich der Schadensbegriff auf § 19 BNatSchG insgesamt.84 Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG trägt dem Umstand Rechnung, dass der Tatbestand des § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG sehr weitgehend gefasst ist und insofern aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Einschränkung bedarf.85 Unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG liegt bereits keine Schädigung von Arten und natürlichen Lebensräumen und damit auch kein Umweltschaden i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. a USchadG vor, an den sich etwaige Informations-, Vermeidungs- und Sanierungspflichten nach dem 82 Aufgrund des zivilrechtlichen Kontexts gegen die Verwendung des Begriffs der Enthaftung dagegen: Schrader, in: Gisberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1178). 83 Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG haftet der Verantwortliche nur für Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen i. S. d. § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG. 84 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (547 f.). 85 Appel, NuR 2020, 663 (674); Duikers, Die Umwelthaftungsrichtlinie der EG, 2006, S. 73; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 33; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 28; siehe auch: Petersen, NuR 2014, 525 (531).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Umweltschadensgesetz knüpfen ließen.86 § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG normiert damit im Ergebnis die begrenzte Legalisierungswirkung einer vorhandenen Zulassungsentscheidung für „zuvor ermittelte“ nachteilige Auswirkungen, soweit eines der in der Vorschrift genannten Prüfprogramme durchlaufen wurde.87 Erkennt das Umweltschadensrecht damit eine gewisse Schutzwirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen ausdrücklich an, ergeben sich Unsicherheiten für den Bestandsschutz der Vorhabenträger daraus, dass die konkrete Reichweite der durch § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG vermittelten beschränkten Legalisierungswirkung im Einzelnen noch nicht abschließend geklärt ist.88 Im Folgenden ist vor diesem Hintergrund zunächst das Kriterium der „zuvor ermittelten Auswirkungen“ [a)], sodann das Erfordernis einer Zulassung nach einem der in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG genannten Prüfverfahren [b)] einer näheren Untersuchung zuzuführen. a) „Zuvor ermittelte“ Auswirkungen aa) Enthaftung für „sehenden Auges“ zugelassene Auswirkungen Eine der in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG genannten Zulassungsentscheidungen vermag die Annahme eines Umweltschadens nur hinsichtlich „zuvor ermittelter“ nachteiliger Auswirkungen auszuschließen. Nach überwiegender Auffassung fallen hierunter allein solche Auswirkungen, die zuvor konkret ermittelt wurden und in deren Kenntnis das Vorhaben „sehenden Auges“ zugelassen wurde.89 Diesen Auswirkungen gleichgestellt werden solche, die im Sinne einer „worst-case“-Betrachtung vorsorglich als wahr unterstellt wurden, sofern diese Annahmen hinreichend konkret sind und der Sachverhalt angemessen erfasst wird.90 Dagegen soll für Auswirkungen, die im Zulassungsverfahren nicht vorhergesehen wurden, 86 Petersen, NuR 2014, 525 (530); Appel, NuR 2020, 663 (674); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 28. 87 Lieber, NuR 2012, 665 (671); Appel, NuR 2020, 663 (674); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 28; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; siehe auch OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 90; John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 13; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 74. 88 Vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 08.04.2019 – 1 Bf 200/15, juris Rn. 90; Beckmann, EurUP 2020, 238 (249). 89 Lau, UPR 2015, 361 (369); Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (455); Appel, NuR 2020, 663 (674); Gassner, UPR 2009, 333 (334); Bruns/Kieß/Peters, NuR 2009, 149 (154); Petersen, NuR 2014, 525 (531); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 40; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 29; John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 13; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, § 19 Rn. 26; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK, BNatSchG, § 19 Rn. 33; kritisch zu dem Begriff der Genehmigung eines Umweltschadens „sehenden Auges“: J. Schumacher, in: Schumacher/ Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 82. 90 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 32; John, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 19 Rn. 13; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 40.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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keine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG eintreten.91 Die Enthaftungsklausel greift demnach nicht hinsichtlich solcher nachteiligen Auswirkungen, die im Zulassungsverfahren nicht erkannt, in ihrer Tragweite unterschätzt oder im maßgeblichen Entscheidungsverfahren schlicht „unter den Teppich gekehrt“ wurden.92 Eine Fehleinschätzung der Auswirkungen vermag eine Legalisierungswirkung nicht auslösen, unabhängig davon, worauf sie beruht.93 Ohne Belang ist ferner, ob der Vorhabenträger und die Zulassungsbehörde bzw. die planende Gemeinde auf bestimmte Ermittlungen verzichten durften.94 Über die Enthaftungsregelung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG soll gerade ein Anreiz geschaffen werden, auch über das rechtlich zwingend gebotene Maß hinaus weitere Auswirkungen zu ermitteln und in die Prüfung einzubeziehen, um so die Reichweite der Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG zu vergrößern.95 bb) (Ir-)Relevanz der Erkennbarkeit im Zulassungszeitpunkt? Nach herrschender Auffassung soll es für die Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG grundsätzlich auch nicht darauf ankommen, ob die Auswirkungen im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung erkennbar waren oder nicht.96 Später auftretende, zum Zeitpunkt des Genehmigungsverfahrens nicht vorhersehbare Auswirkungen sollen § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG daher nicht unterfallen.97 Kommt es auf die Frage der Erkennbarkeit im Zulassungszeitpunkt nicht an, greift die Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG insbesondere nicht bezüglich solcher Umweltschäden, die sich infolge einer späteren Änderung der Sach- und Rechtslage einstellen.98 Denn bei derartigen erst nachträglich eingetretenen Umständen können die entsprechenden nachteiligen Auswirkungen nicht im Sinne der Vorschrift zuvor ermittelt und behördlich zugelassen worden sein.99 Siedeln sich nach Erlass der Zulassungsentscheidung geschützte Arten im Einwirkungsbereich der Anlage an oder entwickeln sich Lebensräume, die dann 91 Appel, NuR 2020, 663 (674); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 30; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 40. 92 Lau, UPR 2015, 361 (369); Müller-Mitschke, NuR 2018, 453 (455 f.); John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 13; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 26; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 40. 93 Ramsauer, DVBl 2020, 540 (548). 94 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 30. 95 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 30; Otto, ZfBR 2009, 330 (336). 96 Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 44; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31. 97 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 44. 98 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (377). 99 Beckmann, EurUP 2020, 238 (249).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

nachteiligen Auswirkungen ausgesetzt sind, kann die Legalisierungswirkung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG mithin nicht eingreifen.100 Gleiches gilt, wenn im Zulassungszeitpunkt nicht vorhersehbare Entwicklungen dazu führen, dass das Beeinträchtigungspotential einer Anlage – etwa aufgrund einer unvorhersehbaren Zunahme des Verkehrsaufkommens auf einem planfestgestellten Verkehrsweg – über die Erheblichkeitsgrenze ansteigt.101 Selbst sorgfältigste Ermittlungen im Vorfeld der behördlichen Zulassungsentscheidung vermögen das Risiko einer umweltschadensrechtlichen Haftung für Biodiversitätsschäden damit lediglich zu minimieren, jedoch nicht gänzlich auszuschließen.102 Angesichts der natürlichen Dynamik von Arten und Lebensräumen ist es vielmehr nicht unwahrscheinlich, dass sich ein Anlagenbetreiber im Laufe der Zeit mit naturräumlichen Gegebenheiten konfrontiert sieht, die im Rahmen der Zulassungserteilung noch keine Rolle gespielt haben und hinsichtlich derer daher auch keine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG in Betracht kommt.103 Die Rechtsfolgen des Umweltschadensgesetzes greifen schließlich unabhängig vom Eintritt der Unanfechtbarkeit einer Genehmigungs- bzw. Zulassungsentscheidung,104 sodass selbst der Eintritt der formellen Bestandskraft eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nicht sicherzustellen vermag. In der Literatur finden sich vereinzelt Versuche, dieser Härte des umweltschadensrechtlichen Haftungsregimes durch eine einschränkende Auslegung Rechnung zu tragen. Hervorgebracht wird in diesem Zusammenhang, dass der Ausschluss einer Enthaftung in Fällen nicht erkennbarer Auswirkungen eine drastische und unzumutbare Belastung derjenigen Betroffenen darstelle, die im Vorfeld alles in ihrer Macht Stehende unternommen haben, um den nachteiligen Auswirkungen ihrer Tätigkeit bereits im Vorfeld zu begegnen.105 Die erforderlichen naturschutzfachlichen Untersuchungen seien ohnehin bereits mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden.106 Zu dem Verhältnismäßigkeitsaspekt trete überdies der Vertrauensschutzaspekt hinzu; die Behörde habe durch die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung einen objektiven Rechtsschein100 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (377); Lau, ZUR 2009, 589 (593); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 14; Lieber, NuR 2012, 665 (671); Beckmann, EurUP 2020, 238 (249); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29. 101 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (377). 102 Vgl. Gassner, UPR 2007, 292 (294). 103 Lau, ZUR 2009, 589 (593) zu § 21a Abs. 1 S. 2 BNatSchG a. F. 104 Petersen, NuR 2014, 525 (531); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 40. 105 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 51. 106 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 51.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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tatbestand gesetzt, auf deren Richtigkeit der Adressat auch vertrauen durfte.107 Vor diesem Hintergrund sei in Abweichung zu den Grundsätzen der herrschenden Auffassung eine Enthaftung jedenfalls für die Fälle zu erwägen, in denen die eingetretenen nachteiligen Auswirkungen einer Tätigkeit trotz gründlicher Durchführung einer der genannten Prüfungen unter Zugrundelegung der objektiv gebotenen Sorgfalt und unter Ausnutzung sämtlicher zur Verfügung stehenden Mittel nicht erkennbar waren.108 Mögen die Bedenken vorgenannter Auffassung auch mit Blick auf den verbleibenden Bestandsschutz durchaus berechtigt sein, läuft die Annahme einer Enthaftung hier dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG bzw. des hinter dieser Regelung stehenden Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL zuwider. Dieser stellt ausdrücklich auf die „vorher ermittelten nachteiligen Auswirkungen“ ab. Wenngleich das Vertrauen des Zulassungsinhabers im Falle einer naturschutzrechtlichen Prüfung, die sämtlichen zum Zulassungszeitpunkt verfügbaren tatsächlichen und rechtlichen Erkenntnissen entspricht, unzweifelhaft schutzwürdig ist, bietet die Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG hier angesichts der insofern eindeutigen unionsrechtlichen Vorgaben nicht den geeigneten Ansatzpunkt für seine Berücksichtigung. Nach der Konzeption der Umwelthaftungsrichtlinie kann die fehlende Erkennbarkeit und ein insofern vorliegendes schutzwürdiges Vertrauen in den Regelungsgehalt der Zulassungsentscheidung erst im Rahmen des Verschuldenserfordernisses nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG Berücksichtigung finden.109 Mit Blick auf Konflikte, die durch ein nachträgliches Einwandern geschützter Arten entstehen, wird die Verantwortlichkeit des Anlagenbetreibers schließlich vereinzelt auch unter Verweis darauf abgelehnt, dass diese nicht – wie von § 2 Nr. 3 USchadG vorausgesetzt – „unmittelbar“ durch den Anlagenbetreiber verursacht werden, sondern erst durch das nachträgliche Einwandern geschützter Arten.110 Gegen dieses Verständnis streitet, dass mit dem Kriterium der Unmit107 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 52. 108 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 51 f. Siehe auch: Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31, der einerseits § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG auch bei fehlgeschlagenen Prognosen für nicht anwendbar hält, zugleich jedoch vertritt, dass jedenfalls mehr als die Einhaltung des im jeweiligen Zeitpunkt geltenden fachlichen Standards für Prognoseentscheidungen nicht gefordert werden könne, da andernfalls die Legalisierungswirkung für viele bestandskräftige Vorhaben angesichts zunehmend erhöhter fachlicher Anforderungen leerliefe. Dies gelte insbesondere für Vorhaben, die bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Umwelthaftungsrichtlinie zugelassen wurden. 109 Beckmann, EurUP 2020, 238 (249); Appel, NuR 2020, 663 (673); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31. Siehe näher zum Verschuldenserfordernis unter 3. Teil, B. II. 2. 110 Kautz, NuR 2018, 474 (482).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

telbarkeit aus einer Vielzahl grundsätzlich ursächlicher Verhaltensweisen eingrenzend diejenigen ermittelt werden, die bei wertender Betrachtungsweise eine ordnungsrechtliche Verantwortung rechtfertigen.111 Im Zusammenhang mit den Verbotstatbeständen des besonderen Artenschutzrechts wurde dargelegt, dass nach der insofern gebotenen wertenden Betrachtung das nachträgliche Einwandern besonders geschützter Arten in den Gefahrenbereich einer Anlage für sich genommen den Zurechnungszusammenhang nicht zu unterbrechen vermag.112 Ferner ist zu berücksichtigen, dass Art. 4 Abs. 1 lit. b UH-RL bzw. § 3 Abs. 3 Nr. 2 USchadG ausdrücklich solche Umweltschäden sowie die unmittelbare Gefahr solcher Schäden aus dem Anwendungsbereich des Umweltschadensrechts ausnimmt, die durch ein außergewöhnliches, unabwendbares und nicht beeinflussbares Naturereignis verursacht werden. Hieraus ergibt sich, dass sonstige natürliche Vorgänge eine Haftung nach dem Umweltschadensgesetz gerade nicht auszuschließen vermögen.113 Festhalten lässt sich, dass selbst sorgfältigste Ermittlungen der negativen Auswirkungen eines Vorhabens im Zulassungszeitpunkt eine spätere Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nicht zu garantieren vermögen. Gleichwohl liegt es im Eigeninteresse des Vorhabenträgers, die möglichen negativen Auswirkungen seiner Tätigkeit auf Arten und natürliche Lebensräume im Rahmen der Vorhabenzulassung detailliert und kompetent zu ermitteln und der zur Entscheidung berufenen Behörde zur Kenntnis zu bringen. Allein dies vermag das Risiko einer späteren Inanspruchnahme nach dem Umweltschadensgesetz zumindest zu minimieren.114 Die Ermittlung nachteiliger Auswirkungen eines zuzulassenden Vorhabens findet in der Umweltverträglichkeitsprüfung regelmäßig statt; die von § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG geforderte Ermittlung in diese Prüfung einzubinden, liegt insofern nahe.115 cc) Möglichkeiten einer nachträglichen Konfliktbewältigung Treten Auswirkungen ein, die im Rahmen des ursprünglichen Zulassungsverfahrens nicht vorhergesehen wurden bzw. nicht vorhersehbar waren, besteht für den Verantwortlichen die Möglichkeit, einer Haftung nach dem Umweltschadens111

Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 2 Rn. 38. Siehe hierzu unter 2. Teil, C. II. 2. c). 113 Siehe Lau, NuR 2018, 653 (654), der diese Argumentation im Rahmen der Verbotstatbestände des besonderen Artenschutzrechts anführt. 114 Petersen, NuR 2014, 525 (531); Duikers, NuR 2006, 623 (631); Bruns/Kieß/ Peters, NuR 2009, 149 (159); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn 26; John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 13; siehe auch: Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 42. 115 Otto, ZfBR 2009, 330 (333); Gassner, UPR 2007, 292 (294); Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 42. 112

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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gesetz dadurch zu entgehen, dass er nachträglich eine entsprechende Zulassungsoder Genehmigungsentscheidung einholt, die sich mit den konkreten Auswirkungen auseinandersetzt und so die Rechtsfolgen des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG herbeiführt.116 In Bezug auf die Voraussetzungen einer solchen nachträglichen Ausnahmeerteilung sei an dieser Stelle auf die Ausführungen zum europäischen Arten- und Gebietsschutzrecht verwiesen.117 Insbesondere werden hier die Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes mit hinreichendem Gewicht zugunsten des Fortbestands bestandskräftig zugelassener Vorhaben und Anlagen zu berücksichtigen sein. Sind die zuvor nicht ermittelten Auswirkungen nicht zulassungsfähig, scheidet dieser Weg freilich aus.118 Denkbar ist hier die Durchführung von Maßnahmen, die eine Schädigung ausschließen oder unter die Erheblichkeitsschwelle drücken, ohne das Vorhaben selbst zu ändern.119 b) Genehmigte oder zugelassene Tätigkeit nach §§ 34, 35, 45 Abs. 7 BNatSchG, § 67 Abs. 2 BNatSchG, § 15 BNatSchG, §§ 30, 33 BauGB Auch zuvor ermittelte Auswirkungen sind nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG allein dann vom Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ausgenommen, wenn die betreffende Tätigkeit nach einem der in der Regelung genannten Prüfverfahren zugelassen wurde oder zulässig ist. Wie zumindest aus der dieser Vorschrift zugrunde liegenden Richtlinienbestimmung des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL deutlich wird, bezieht sich das Erfordernis der Genehmigung dabei auf die betreffende Tätigkeit und nicht auf die nachteiligen Auswirkungen.120 Im Folgenden ist zunächst auf die Enthaftungsmöglichkeit infolge einer Genehmigung bzw. Zulässigkeit nach den habitat- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen der §§ 34, 35, 45 Abs. 7 BNatSchG, § 67 Abs. 2 BNatSchG [aa)], sodann auf die Enthaftungsmöglichkeit nach Maßgabe der Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG sowie der §§ 30, 33 BauGB einzugehen [bb)]. Hinsichtlich der Anforderungen, die an vorgenannte Umweltprüfungen im Einzelnen zu stellen sind, bestehen aktuell noch erhebliche Unsicherheiten. aa) Zulassung nach habitat- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen Nach der Aufzählung in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG kann zunächst eine Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung (§ 34 BNatSchG), eine Verträglichkeitsprüfung der 116 Petersen, NuR 2014, 525 (531); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 29; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44. 117 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. VI. und 2. Teil. C. IV. 118 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44. 119 Petersen, NuR 2014, 525 (531); Lieber, NuR 2012, 665 (671). Zu denken ist hier etwa an Bauzeitenbeschränkungen oder CEF-Maßnahmen. 120 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 33.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen und die land-, forst- oder fischereiwirtschaftliche Nutzung von rechtmäßig in Verkehr gebrachten gentechnisch veränderten Produkten (§ 35 BNatSchG), eine Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverboten des § 44 BNatSchG (§ 45 Abs. 7 BNatSchG) sowie eine Befreiung von den Verboten des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG und des § 44 BNatSchG sowie von Geboten und Verboten i. S. d. § 32 Abs. 3 BNatSchG (§ 67 Abs. 2 BNatSchG) enthaftend wirken.121 Abgesehen von den Bedenken, die mit Blick auf das europäische Habitat- und Artenschutzrecht hinsichtlich der Einbeziehung der Befreiungsvorschrift des § 67 Abs. 2 BNatSchG bestehen,122 steht dies in Einklang mit den Vorgaben des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 1 Alt. 1 UH-RL.123 Aufgrund der Konzentrationswirkung des Planfeststellungsbeschlusses bzw. der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung werden Entscheidungen nach den §§ 34, 35, 45 Abs. 7 oder § 67 Abs. 2 BNatSchG grundsätzlich durch die jeweilige Zulassungsentscheidung erfasst; eine förmliche Entscheidung nach diesen Vorschriften ist daneben nicht erforderlich.124 Halten sich Errichtung und Betrieb innerhalb der durch die Zulassungsentscheidung vorgegebenen Grenzen, wird man davon auszugehen haben, dass die „Tätigkeit“ von der zuständigen Behörde auch nach den genannten Bestimmungen genehmigt wurde.125 Unterschiedliche Ansichten werden zu der Frage vertreten, welche Anforderungen an die vorherigen Umweltprüfungen i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG zu stellen sind. Einer Ansicht zufolge soll eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nur dann eintreten, wenn die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung bzw. artenschutzrechtliche Ausnahmeprüfung sämtlichen für die jeweilige Umweltprüfung geltenden rechtlichen Anforderungen genügt.126 Ein Haftungsausschluss nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG könne nur eintreten, wenn der später konkret eintretende Umweltschaden an Arten und natürlichen Lebensräumen zuvor im Verfahren ermittelt wurde, die erforderlichen Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen in der darauf folgenden Verwaltungsentscheidung auch festgesetzt wurden und der Umweltschaden sich gleichwohl realisiert.127 Nicht ausreichend sei, dass überhaupt nachteilige Auswirkungen für bestimmte Arten oder 121

Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 36; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 30. 122 Siehe hierzu bereits unter 2. Teil, B. VII.; ferner: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 25; John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 11; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 83. 123 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 25. 124 Siehe hierzu unter 2. Teil, A. I. 125 Siehe zum Planfeststellungsbeschluss: Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, 365 (374). 126 Louis, NuR 2009, 2 (6); wohl auch: J. Schumacher, in: Schumacher/FischerHüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 80. 127 Louis, NuR 2009, 2 (6); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 80.

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natürliche Lebensräume ermittelt wurden.128 Wenngleich das Gesetz nur von ermittelten negativen Auswirkungen spreche und sich nicht zur Vermeidung oder zum erforderlichen Ausgleich verhalte, verstehe es sich von selbst, dass aus den ermittelten Auswirkungen auch die rechtlich gebotenen Folgerungen für deren Behandlung gezogen werden müssen.129 Die Gegenauffassung hält es demgegenüber für die Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nicht für erforderlich, dass die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung oder artenschutzrechtliche Prüfung sowohl fachlich als auch rechtlich in jeder Hinsicht fehlerfrei erfolgt ist.130 Ausreichend sei, dass die betreffende nachteilige Auswirkung im Rahmen der in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG genannten Prüfungen tatsächlich festgestellt, gewürdigt und in diesem Sinne ausdrücklich hingenommen worden ist.131 Eine in jeder Hinsicht zutreffende rechtliche Bewertung, ob eine derart „sehenden Auges“ hingenommen Auswirkung im Rechtssinne als „erhebliche Beeinträchtigung“ und damit als „Schaden“ zu qualifizieren ist, werde für eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gerade nicht vorausgesetzt.132 Vorhergesehene Umweltauswirkungen sollen dieser Auffassung zufolge erst dann nicht von der Legalisierungswirkung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG erfasst sein, sofern die zugrunde liegende Umweltprüfung an schwerwiegenden Mängeln leidet.133 Von einem schwerwiegenden Mangel wird dabei in Anlehnung an § 4 Abs. 3 S. 2 UVPG dann ausgegangen, wenn das Ergebnis der fachlichen Prüfung nicht mehr „nachvollziehbar“ ist, d. h. vollständig außerhalb des Rahmens zulässiger Einschätzungen liegt.134 Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs sei die Legalisierungswirkung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG ausgeschlossen, wenn trotz der Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung i. S. d. § 34 Abs. 2 BNatSchG die nach § 34 Abs. 5 BNatSchG erforderlichen Kohärenzsicherungsmaßnahmen nicht vorgesehen wurden.135 Stellen sich festgesetzte Kohärenzsicherungsmaßnahmen im Nachhinein als unzurei128

Louis, NuR 2009, 2 (6). Louis, NuR 2009, 2 (6); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 80. 130 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (374); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 41; vgl. auch Gassner, UPR 2009, 333 (334). 131 Gassner, UPR 2009, 333 (334); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31. 132 Ramsauer, FS-Jarass, 2015, S. 365 (374); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31. 133 Appel, NuR 2020, 663 (674); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 41. Keine dahingehende Beschränkung vornehmend dagegen: Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (374). 134 Appel, NuR 2020, 663 (674); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 41. 135 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34. 129

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chend heraus, soll dies die Legalisierungswirkung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dagegen unberührt lassen.136 Einigkeit besteht mithin jedenfalls dahingehend, dass eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dann eintritt, wenn aus den zuvor ermittelten Auswirkungen mit Blick auf die zu treffenden Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen die rechtlich gebotenen Schlussfolgerungen gezogen wurden.137 Hierfür streitet maßgeblich die hinter der Regelung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG stehende Intention, Doppelbelastungen zu vermeiden.138 Die umweltschadensrechtliche Haftung mit der Folge weiterer Sanierungsanforderungen soll für solche Schäden an Arten und natürlichen Lebensräumen ausgeschlossen werden, die zuvor im Zulassungsverfahren erkannt und durch entsprechende Schutz- und Kompensationsmaßnahmen bereits bewältigt wurden.139 Sofern erstgenannte Auffassung für eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG darüber hinaus eine vollkommen fehlerfreie Durchführung der Natura 2000- oder Artenschutzprüfung verlangt, überspannt dies die Voraussetzungen an eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG.140 Im Wortlaut von Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL und § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG, der allein auf die zuvor im Rahmen einer der genannten Umweltprüfungen ermittelten nachteiligen Auswirkungen abstellt, findet eine dahingehende Auslegung keine Stütze.141 Dass die Umweltprüfung selbst in Aspekten, die die nachteiligen Auswirkungen nicht unmittelbar betreffen, in jeder Hinsicht fehlerfrei sein muss, fordert § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gerade nicht.142 Der vorrangige Zweck des Umweltschadensrechts bzw. konkret des § 19 BNatSchG liegt auch nicht darin, eine in jeglichen Punkten fehlerfreie Durchführung einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung oder artenschutzrechtlichen Prü136 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34. Eine Lösung sei in einem solchen Fall vielmehr über die im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorzusehenden Instrumente des Monitorings und Risikomanagements zu suchen. 137 So auch: Shirvani, UPR 2010, 209 (210); Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (180), bei denen jedoch unklar bleibt, ob die Umweltprüfung auch im Übrigen sämtlichen an sie zu stellenden Anforderungen zu genügen hat. 138 Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (180); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 78; siehe auch: Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 54. 139 Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (180); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 78. 140 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 54. 141 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31; Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 56. 142 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 56.

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fung zu gewährleisten143 und nachträglich Defizite früherer Zulassungsverfahren zu sanktionieren.144 Vielmehr soll durch das Umweltschadensrecht der Eintritt von Umweltschäden verhindert bzw. deren Sanierung sichergestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb zu Lasten der Rechts- und Investitionssicherheit für Bauherren und Vorhabenträger über die Hintertür des Umweltschadens Sachfragen erneut aufgerufen werden sollten, die bereits Gegenstand des Zulassungsverfahrens waren und dem Betroffenen die Enthaftung in Fällen zu verwehren, in denen wegen erheblicher nachteiliger Auswirkungen zwar ein Umweltschaden i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. a USchadG i.V. m. § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG anzunehmen war, eine Zulassung jedoch gleichwohl erfolgt ist, entweder weil die Auswirkungen als nicht erheblich bewertet wurden oder weil die Voraussetzungen einer Ausnahme nach den §§ 34, 35 BNatSchG oder § 45 Abs. 7 BNatSchG angenommen wurden.145 Die enthaftende Wirkung einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3–5 BNatSchG oder nach § 45 Abs. 7 BNatSchG lässt sich damit etwa nicht ex post unter Verweis darauf in Abrede stellen, die nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG geforderten zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses hätten entgegen der im Zulassungsverfahren getroffenen behördlichen Beurteilung tatsächlich nicht vorgelegen.146 Selbst eine rechtswidrige Behördenentscheidung kann damit unter Umständen die Enthaftungswirkung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG herbeiführen, sofern sie nicht an schwerwiegenden Mängeln leidet.147 Eine inzidente Überprüfung, ob die jeweilige Umweltprüfung fachlich und rechtlich in jeder Hinsicht zutreffen war, erfolgt bei Beurteilung der Legalisierung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG grundsätzlich nicht.148 bb) Eingriffsregelung nach § 15 BNatSchG und Zulassung nach §§ 30, 33 BauGB Soweit Auswirkungen nicht im Rahmen einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung oder einer spezifischen artenschutzrechtlichen Prüfung zu betrachten waren, bezieht § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG ferner auch solche Auswirkungen ein, die im Rahmen der Eingriffsregelung nach § 15 BNatSchG oder auf Grundlage eines Bebauungsplans nach §§ 30, 33 BauGB genehmigt wurden oder zulässig

143 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 56. 144 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 6. 145 Vgl. Ramsauer, FS-Jarass, 2015, S. 365 (374); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 41. 146 Vgl. Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 34. 147 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 41. 148 Gassner, UPR 2009, 333 (334); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

sind. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG misst damit vorrangig der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG sowie der artenschutzrechtlichen Prüfung eine Legalisierungswirkung bei. Nur soweit eine solche Prüfung objektiv nicht erforderlich ist,149 erstreckt sich die Enthaftung auch auf die Eingriffsregelung gemäß § 15 BNatSchG sowie die Zulassung aufgrund der Aufstellung eines Bebauungsplans nach § 30 oder § 33 BauGB.150 Wird etwa zu Unrecht von der Durchführung einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung abgesehen, lässt sich die Legalisierungswirkung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG auch nicht aus einer ordnungsgemäß geprüften Eingriffsregelung ableiten.151 Die Einbeziehung der Eingriffsregelung in den Enthaftungstatbestand trägt dem Umstand Rechnung, dass der Begriff der natürlichen Lebensräume in § 19 Abs. 3 BNatSchG,152 deren Schädigung einen Biodiversitätsschaden i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. a USchadG i.V. m. § 19 Abs. 1 S. 1 BNatSchG begründen kann, räumlich nicht auf solche Lebensräume innerhalb von Natura 2000-Gebieten beschränkt ist, sondern auch Habitate erfasst, die außerhalb von Natura 2000-Gebieten liegen153 und für die es daher keiner Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe des § 34 BNatSchG bedarf.154 Dieser schutzgebietsunabhängige, über den Regelungsgegenstand des Natura 2000-Gebietsschutzes hinausreichende Regelungsansatz des Umweltschadensgesetzes ist bereits in der Umwelthaftungsrichtlinie angelegt, die in Art. 2 Nr. 3 UH-RL den Schutz ebenfalls ohne weitere Voraussetzungen auf die in den Anhängen der spezifischen Richtlinien genannten

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Siehe BT-Drs. 16/3806, S. 30. Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 33. 151 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 33. 152 Der Begriff der Lebensräume erfasst nach § 19 Abs. 3 BNatSchG (1.) die Lebensräume der Arten, die in Art. 4 Abs. 2 oder in Anhang I der VS-RL oder in Anhang II FFH-RL aufgeführt sind, (2.) die natürlichen Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse (d. h. die in Anhang I FFH-RL aufgeführten Lebensraumtypen) sowie (3.) die Fortpflanzungs- und Ruhestätten der in Anhang IV der FFH-RL aufgeführten Arten. 153 So auch die h. M.: Otto, ZfBR 2009, 330 (331); Louis, NuR 2008, 163 (165 f.); Gellermann, NVwZ 2008, 828 (830); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 12; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 43; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 26; John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 10; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 2 Rn. 11; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 23. Für eine Beschränkung auf Natura 2000-Gebiete dagegen: Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (409); Lau, ZUR 2009, 589 (590 f.); zur UHRL: Kieß, Die Sanierung von Biodiversitätsschäden nach der europäischen Umwelthaftungsrichtlinie, 2008, S. 46 ff.; zweifelnd auch: Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 12. Differenzierend: Duikers, NuR 2006, 624 (626); Scheidler, NVwZ 2007, 1113 (1115); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 15. 154 BT-Drs. 16/3806, S. 30; Otto, ZfBR 2009, 330 (334 f.); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, § 19 Rn. 84; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 38. 150

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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Arten und Lebensräume erstreckt.155 Während der Beratung zur Umwelthaftungsrichtlinie wurde eine Begrenzung der Sanierungspflicht von Arten und Lebensräume auf ausgewiesene Natura 2000-Gebiete zwar diskutiert, letztlich aber nicht übernommen.156 Die Funktion der Umwelthaftungsrichtlinie ist damit gerade nicht darauf beschränkt, den europarechtlichen Arten- und Lebensraumschutz der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie zu flankieren.157 (1) Vereinbarkeit der Enthaftung nach § 15 BNatSchG mit Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL In vielerlei Hinsicht problematisch erweist sich die Frage, ob bzw. inwieweit die Einbeziehung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in den Enthaftungstatbestand des § 19 Abs. 1 S. 2 USchadG mit den Vorgaben des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL in Einklang steht. Neben den Fällen einer Genehmigung gemäß den nationalen Vorschriften zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 oder Art. 16 FFH-RL oder Art. 9 VRL ermöglicht die Umwelthaftungsrichtlinie in Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL eine Haftungsfreistellung grundsätzlich auch für Genehmigungen nach „gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschriften“. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL kann die Genehmigung nach gleichwertigen nationalen Naturschutzvorschriften allerdings nur für „nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallende Lebensräume und Arten“ zur Enthaftung führen. Die Öffnungsklausel ist daher nur von Relevanz, wenn und soweit Mitgliedstaaten – anders als Deutschland – von der durch Art. 2 Nr. 3 lit. c UH-RL eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen, freiwillig weitere Lebensräume und Arten in den Schutz einzubeziehen.158 Die Einbeziehung der Eingriffsregelung als nationale Naturschutzvorschrift zur Enthaftung von Umweltschäden an europäisch geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete ist dagegen – jedenfalls über eine direkte Anwendung des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL – an sich unionsrechtlich ausgeschlossen.159 155 Gassner, UPR 2007, 292 (294); Louis, NuR 2008, 163 (166); Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 13; John, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 19 Rn. 10. 156 J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 24. 157 Gellermann, NVwZ 2008, 828 (830); ders, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 13; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 14; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 26. 158 Gassner, UPR 2009, 333 (334); Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 88; Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 38. 159 Louis, NuR 2009, 2 (6 f.); Gassner, UPR 2009, 333 (334); Fellenberg, in: Lütkes/ Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 38; a. A.: Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (373), dem zufolge die Aufnahme des § 15 BNatSchG und der §§ 30, 33 BauGB unschädlich sei, da sich aus diesen Bestimmungen keine Zulässigkeit für Vorhaben ergebe, die zu Beeinträchtigungen unionsrechtlich geschützter Arten oder Lebensräumen führen.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Dessen ungeachtet streitet für die Einbeziehung der nationalen Eingriffsregelung in den Enthaftungstatbestand nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG, dass die Umwelthaftungsrichtlinie in Bezug auf Beeinträchtigungen von Lebensräumen außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete eine planwidrige Regelungslücke aufweist.160 Entnimmt man der Umwelthaftungsrichtlinie einen schutzgebietsunabhängigen und flächendeckenden Schutz, muss eine Enthaftung auch außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Schutzgebiete möglich sein.161 Eine gegenteilige Auffassung würde zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass eine Haftungsfreistellung für die als besonders schutzwürdig angesehenen Natura 2000-Gebiete in Betracht käme, nicht jedoch für Schäden an sonstigen, nicht ausgewiesenen Lebensräumen.162 Die Einbeziehung der Eingriffsregelung in den Katalog der Enthaftungstatbestände lässt sich daher grundsätzlich als auch unionsrechtlich geboten ansehen, um dem Entstehen von Wertungswidersprüchen zu begegnen.163 Ungeachtet vorstehender Erwägungen zur Anwendbarkeit der Öffnungsklausel werden Bedenken hinsichtlich der Unionsrechtskonformität der nationalen Eingriffsregelung vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der „Gleichwertigkeit“ geäußert. Teilweise wird bereits angezweifelt, ob es sich bei der nationalen Eingriffsprüfung – wie vom Gesetzgeber offenbar angenommen –164 um ein der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung und der spezifischen artenschutzrechtlichen Prüfung gleichwertiges, auf den Schutz bestimmter Lebensräume und Arten zielendes Regelungsinstrument handelt.165 Überwiegend bildet Ausgangspunkt der unionsrechtlichen Bedenken dagegen der Umstand, dass die Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG auf Rechtsfolgenseite neben Vermeidungs- und Kompensationsmaßnahmen auch Ersatzmaßnahmen sowie Ersatzgeld vorsieht.166 Vor dem Hintergrund, dass die Natura 2000Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL bei jeder ausnahmsweise zulässigen erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiet einen Kohärenzausgleich vorschreibt, wird – in unterschiedlichem Ausmaß – in Frage gestellt, inwieweit die im Rahmen der Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG vor160 Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 38; siehe hierzu ausführlich: Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 86 f. 161 Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 38. 162 Vgl. Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 87. 163 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 55. 164 BT-Drs. 16/3806, S. 30. 165 Vgl. Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 38; Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 56. 166 John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 12.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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gesehenen Rechtsfolgen das von Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL vorausgesetzte Merkmale der „Gleichwertigkeit“ nationaler Naturschutzvorschriften erfüllen. Teilweise wird hierzu vertreten, dass die Eingriffsregelung nur dann als gleichwertig einzustufen sei, wenn die ermittelten nachteiligen Auswirkungen durch Maßnahmen abgewendet werden, die der Qualität von Kohärenzsicherungsmaßnahmen entsprechen.167 Erforderlich seien daher Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der europäisch geschützten Arten und Lebensräume; im Falle der Festsetzung von Ersatzmaßnahmen oder Ersatzgeld scheide eine Enthaftung aus.168 Ersatzmaßnahmen seien auch in relativ weiter Entfernung von den beeinträchtigten Funktionen und Werten des Naturhaushalts zulässig und entsprächen daher nicht den Anforderungen an Kohärenzsicherungsmaßnahmen; das Instrument des Ersatzgeldes sei der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung ohnehin fremd.169 Eine vermittelnde Auffassung nimmt demgegenüber zumindest im Falle einer Kompensation durch raum- und funktionsbezogene Naturschutzmaßnahmen eine Gleichwertigkeit an, wohingegen raum- und funktionsfernen Ersatzmaßnahmen oder der Anordnung eines Ersatzgeldes keine enthaftende Wirkung beigemessen werden könne.170 Teilweise wird die Frage nach der Gleichwertigkeit der in § 15 BNatSchG vorgesehenen Rechtsfolgen mit den Kohärenzsicherungsmaßnahmen i. S. d. Habitatschutzrechts für die Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG dagegen als generell irrelevant angesehen.171 Die haftungsbefreiende Wirkung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG soll unabhängig davon eintreten, ob eine Ersatzmaßnahme raumund funktionsnah durchgeführt wird oder – im Falle nicht zu vermeidender oder nicht in angemessener Frist auszugleichender oder zu ersetzender Beeinträchtigungen – eine Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG geleistet wurde.172 Für letztgenannte Auffassung streitet, dass die Gleichwertigkeitsklausel des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL – wie eingangs dargelegt – auf die von der Eingriffsregelung erfassten Tatbestände jedenfalls unmittelbar keine Anwendung 167 Louis, NuR 2009, 2 (7); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 84. 168 Louis, NuR 2009, 2 (7); J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 85. 169 Louis, NuR 2009, 2 (7). 170 Otto, ZfBR 2009, 330 (335); Gellermann, NVwZ 2008, 828 (835); ders., in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 25; John, in: Schlacke, GKBNatSchG, § 19 Rn. 12; im Ergebnis ebenso: Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/ Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 57 f. 171 Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 36a; Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 39. 172 Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 39.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

findet. Sowohl in Bezug auf die von ihr vorausgesetzte tatbestandliche Prüfung als auch im Hinblick auf die hiernach anzuordnenden Rechtsfolgen erscheint es bedenklich, die Enthaftung für Schäden an Lebensräumen außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete im Wege einer entsprechenden Anwendung der Öffnungsklausel des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL an der Gleichwertigkeit der nationalen Eingriffsregelung mit dem Maßstab der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung sowie der hiernach vorgesehenen Kohärenzsicherungsmaßnahmen messen zu wollen. Mittelbar würde so über die Regelungen zur Umwelthaftung der strenge Maßstab der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung auf Sachverhalte übertragen, für die eine solche Prüfung auch nach europäischen Vorgaben gerade nicht vorgesehen ist.173 Andererseits kann für Schäden an geschützten Lebensräumen außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete auch nicht jeder nationalen Naturschutzvorschrift eine haftungsfreistellende Wirkung beigemessen werden. Rechnung zu tragen ist dem hinter der Enthaftungsregelung des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL stehenden Grundgedanken, für zuvor ermittelte und entsprechend kompensierte Auswirkungen einen doppelten Schadensausgleich über das Umweltschadensrecht zu verhindern.174 Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Sanierung einer Schädigung von Arten oder natürlichen Lebensräumen entsprechend Nr. 1 des Anhangs II zur Umwelthaftungsrichtlinie zum Gegenstand hat, möglichst eine Zurückversetzung der geschädigten Umwelt in ihren Ausgangszustand zu erreichen.175 Erforderlich ist, dass im Sinne einer Naturalrestitution reale Maßnahmen ergriffen werden.176 Unionsrechtlich unbedenklich ist damit jedenfalls die Annahme einer enthaftenden Wirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach § 15 Abs. 2 BNatSchG; in beiden Fällen handelt es sich um reale Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.177 Aber auch in Fällen, in 173 Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 58 f.; Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 88 f., dem zufolge sich das Kriterium der Gleichwertigkeit ohnehin nicht auf Art. 6 Abs. 3, 4, Art. 16 FFH-RL und Art. 9 VRL bezieht, sondern vielmehr auf den Grundgedanken des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL, nämlich die Haftungsfreistellung für geprüfte und unter Anordnung einer Kompensation zugelassene nachteilige Auswirkungen. 174 Siehe hierzu unter 3. Teil, B. II. 1. b) aa). 175 VG Hamburg, Urt. v. 18.09.2015 – 7 K 2983/14, juris Rn. 44; VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 40. 176 Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 39; Peters/Jahn-Lüttmann/ Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 57 f. 177 Vgl. Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 58, die eine Haftungsfreistellung im Fall von Ersatzmaßnahmen, die keinen räumlich-funktionalen Zusammenhang zum Eingriff aufweisen, gleichwohl für unionsrechtlich bedenklich ansehen.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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denen infolge nicht zu vermeidender oder nicht in angemessener Frist auszugleichender oder zu ersetzender Beeinträchtigungen eine Ersatzzahlung nach § 15 Abs. 6 BNatSchG geleistet wird, ist den Anforderungen der Umwelthaftungsrichtlinie jedenfalls dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass die Ersatzzahlung zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden ist.178 Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass eine Enthaftung für Umweltschäden an den unionsrechtlich geschützten Lebensräumen und Arten außerhalb ausgewiesener Natura 2000-Gebiete grundsätzlich unabhängig von den in § 15 BNatSchG vorgesehenen Rechtsfolgen in Betracht kommt. (2) Vereinbarkeit der Enthaftung nach §§ 30, 33 BauGB mit Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL Die Eingriffsregelung findet auf Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans (§ 30 BauGB) oder während der Planaufstellung (§ 33 BauGB) nach § 18 Abs. 2 S. 1 BauGB keine Anwendung. Der Gesetzgeber sah es hier jedoch als ausreichend an, dass die Eingriffe in Natur und Landschaft ausweislich der speziellen Regelung des § 1a Abs. 3 BauGB auf der Grundlage der planerischen Entscheidung im Rahmen der bauleitplanerischen Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB ermittelt und wie bei der Eingriffsregelung ausdrücklich genehmigt werden.179 Ob eine Enthaftung für Eingriffe, die im Rahmen der Aufstellung eines Bebauungsplans genehmigt wurden, gemessen an den Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie europarechtskonform erfolgen kann, wird in der nationalen Literatur bereits aufgrund vergleichbarer Erwägungen wie zur naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung in Frage gestellt.180 Dessen ungeachtet erweist es sich als mit Blick auf die bauleitplanerische Eingriffsregelung als problematisch, dass grundsätzlich keine Verpflichtung der planenden Gemeinde zu einer vollständigen Kompensation planbedingter Eingriffe besteht.181 Selbst wenn die konkreten 178 Fellenberg, in: Lütkes/Ewers, BNatSchG, § 19 Rn. 39; a. A.: Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 58: aufgrund des nur lockeren örtlichen Zusammenhangs sei nicht garantiert, dass die Geldzahlung stets dem jeweils betroffenen Naturraum selbst zugutekommt. Im Übrigen sei damit eine vollständige Wiederherstellung nicht garantiert. 179 BT-Drs. 16/3806, S. 30; vgl. J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 88. 180 Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 32. Unterschiedlich beurteilt wird auch hier insb. die Frage, inwieweit die im Rahmen der Eingriffsprüfung angeordneten Rechtsfolgen eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG zu rechtfertigen vermögen. 181 Louis, NuR 2009, 2 (7); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 32; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 89; a. A.: Porsch, in: FS-Dolde, 2014,

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Auswirkungen auf die Arten und die natürlichen Lebensräume im Rahmen der Bauleitplanung angemessen ermittelt werden, kann die Gemeinde die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange im Rahmen der Abwägung zurückstellen und auf Kompensationsmaßnahmen teilweise oder gar vollständig verzichten.182 Vor dem Hintergrund, dass die Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung eine Abwägung der erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen nicht zulässt, wird von der herrschenden Auffassung bezweifelt, ob der städtebaulichen Eingriffsregelung uneingeschränkt die Gleichwertigkeit attestiert werden kann.183 Selbst wenn man auch in Bezug auf die Frage einer enthaftenden Wirkung der städtebaulichen Eingriffsregelung nicht auf ihre Gleichwertigkeit mit der Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung abstellt,184 wird man jedenfalls angesichts der hinter der Enthaftungsmöglichkeit stehenden Intention, einen doppelten Schadensausgleich zu verhindern, im Falle einer Abwägung der erforderlichen Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen eine Enthaftung ausschließen müssen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote – anders als der Natura 2000-Gebietsschutz, der nach § 1a Abs. 4 BauGB auf Ebene der Bauleitplanung umfänglich und abschließend (§ 34 Abs. 8 BNatSchG) geprüft wird –185 nach herrschender Auffassung auf die gemeindliche Bauleitplanung keine Anwendung findet; die Gemeinde ist als Trägerin der Bauleitplanung nicht Adressatin der artenschutzrechtlichen Verbote.186 Sie hat bei Aufstellung des Bebauungsplans lediglich sicherzustellen, dass die Verwirklichung des Plans im Vollzug nicht an von vornherein unüberwindlichen artenschutzrechtlichen Hindernissen scheitert.187 Ausnahmen und Befreiungen von den Verboten werden grundsätzlich erst im Rahmen der nachgelagerten Zulassung der einzelnen Vorhaben erteilt.188 Vor diesem Hintergrund kann die Legalisierungswirkung des

S. 169 (181); den Aspekt der Abwägung dagegen nicht problematisierend ferner: Petersen, Die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie im Umweltschadensgesetz, 2008, S. 87; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 38. 182 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41; vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.11.2007 – 4 BN 45/07, NVwZ 2008, 216 (216); Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1a Rn. 23. 183 Louis, NuR 2009, 2 (7); ders., NuR 2008, 163 (169 f.); Gellermann, NVwZ 2008, 828 (835); John, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 19 Rn. 12; J. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, § 19 Rn. 89. 184 Siehe hierzu unter 3. Teil, B. II. 1. b) bb) (1). 185 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41. 186 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 33. 187 Heugel, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 44 Rn. 45 f. 188 Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (182); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41.

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§ 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG erst an eine derartige Zulassung im Rahmen des nachgelagerten Genehmigungsverfahrens anknüpfen.189 (3) Unbeplanter Innenbereich Während die Eingriffsregelung den Außenbereich i. S. d. § 35 BauGB und die §§ 30 und 33 BauGB den beplanten oder zu beplanenden Innenbereich abdecken, ist für Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB die Anwendung der Eingriffsregelung nach § 18 Abs. 2 BNatSchG ausgeschlossen.190 Diese Lücke schließt § 18 Abs. 4 BNatSchG, der es dem Vorhabenträger ermöglicht, die Anwendung der Eingriffsregelung zu beantragen, um dem Haftungsrisiko für den Umweltschaden zu entgehen.191 Soweit bestimmte nachteilige Auswirkungen eines Vorhabens im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans nicht ermittelt wurden und dieser Mangel nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führt, wird dem Bauherrn teilweise in entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 4 BNatSchG die Möglichkeit eingeräumt, dass auf seinen Antrag hin auch im Geltungsbereich eines Bebauungsplans die entsprechenden Prüfungen auf der Ebene des Planvollzugs durchgeführt werden.192 c) Zwischenfazit Über die Vorschrift des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG kommt eine Freistellung von einer umweltschadensrechtlichen Verantwortlichkeit für solche Auswirkungen in Betracht, die im Zulassungsverfahren konkret vorhergesehen und von der Behörde „sehenden Auges“ zugelassen wurden, sofern die zugrunde liegende Umweltprüfung an keinen schwerwiegenden Mängeln leidet. Bei Umweltschäden an geschützten Lebensräumen und Arten außerhalb ausgewiesener Natura 2000Gebiete kommt eine Enthaftung grundsätzlich unabhängig von den in § 15 BNatSchG vorgesehenen Rechtsfolgen in Betracht. Selbst sorgfältigste Ermittlungen der negativen Auswirkungen eines Vorhabens im Zulassungszeitpunkt vermögen eine spätere Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG indes nicht zu garantieren. Im Falle unvorhergesehener nachteiliger Auswirkungen besteht für den Verantwortlichen im Einzelfall noch die Möglichkeit einer Legalisierung durch

189 Otto, ZfBR 2009, 330 (337 f.); Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (181); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 41; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 33; Peters/Jahn-Lüttmann/Wulfert/Koukakis/Lüttmann/Götze, Bewertung erheblicher Biodiversitätsschäden im Rahmen der Umwelthaftung, BfN-Skripten 393, 2015, S. 60. 190 Louis, NuR 2009, 2 (7). 191 Louis, NuR 2009, 2 (7); Otto, ZfBR 2009, 330 (335 f.). 192 Otto, ZfBR 2009, 330 (338 f.); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 42; a. A.: Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 38.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

nachträgliche Einholung einer entsprechenden Zulassungs- bzw. Genehmigungsentscheidung i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG. 2. Das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG Sollte eine Haftung immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen sowie planfestgestellter Vorhaben für Biodiversitätsschäden nicht bereits an der Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG scheitern, stellt sich jedenfalls für nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelistete berufliche Tätigkeiten vor allem die Frage nach der Relevanz einer behördlichen Zulassungsentscheidung für das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG normierte Verschuldenserfordernis. Das im Bereich einer öffentlich-rechtlichen Störerhaftung ungewöhnliche Verschuldenserfordernis rechtfertigt sich daraus, dass die Verantwortung hier auf Tätigkeiten erstreckt wird, denen nicht das typische Gefährdungspotential der Tätigkeiten der Anlage 1 anhaftet.193 Eine ansonsten nahezu uferlose Haftung bei der Verursachung von Biodiversitätsschäden durch nahezu jede denkbare berufliche Tätigkeit soll durch das Verschuldenserfordernis korrigierend eingeschränkt werden.194 Eine wesentliche Konturierung hat das Verschuldenserfordernis insbesondere auch mit Blick auf die Bedeutung einer Zulassungsentscheidung dabei in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.09.2018 erfahren.195 Bevor die hierin aufgestellten Grundsätze einer näheren Betrachtung zugeführt werden [b) und c)], sind vorab die allgemeinen Maßstäbe darzulegen, nach denen sich das Vorliegen eines vorsätzlichen bzw. fahrlässigen Handelns i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG beurteilt [a)]. a) Heranziehung zivilrechtlicher Maßstäbe In der nationalen Rechtsprechung196 und Literatur197 ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass zur Bestimmung der Tatbestandsmerkmale „Vorsatz“ und „Fahr193 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50; vgl. auch den 9. Erwägungsgrund der UH-RL. 194 OVG Koblenz, Urt. v. 22.07.2015 – 8 A 10041/15, juris Rn. 92; OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 118; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 43; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 14; in diesem Sinne auch BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29/15, NVwZ 2018, 427 (428), mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL. 195 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 ff. 196 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (427); OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 119; OVG Koblenz, Urt. v. 22.07.2015 – 8 A 10041/15, juris Rn. 92; VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 50; VG München, Urt. v. 25.01.2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 59. 197 Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (411); Koukakis, NuR 2018, 460 (463); Saurer, NuR 2017, 289 (290); Petersen, USchadG, § 3 Rn. 40; Schrader, in: Giesberts/Rein-

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lässigkeit“ i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG auf die zivilrechtlichen Maßstäbe (§ 276 BGB) zurückzugreifen ist. Hierfür streitet, dass sich dem Gefahrenabwehrrecht, auf das die Gesetzesbegründung Bezug nimmt,198 keine Maßstäbe oder Begriffsbestimmungen für Vorsatz und Fahrlässigkeit ableiten lassen.199 Im Polizei- und Ordnungsrecht sowie Sonderordnungsrecht ist allgemein anerkannt, dass die öffentlich-rechtliche Verhaltensverantwortlichkeit, wie sie auch dem Umweltschadensgesetz zugrunde liegt, kein Verschulden des Handelnden voraussetzt.200 Der Rückgriff auf die Maßstäbe des Zivilrechts ist insofern sachgerecht.201 Vorsätzlich handelt hiernach, wer einen rechtswidrigen Erfolg mit Wissen und Willen verwirklicht.202 Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Fahrlässigkeit setzt dabei die Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit des pflichtwidrigen Erfolgs voraus.203 Der Heranziehung zivilrechtlicher Maßstäbe steht auch der unionsrechtliche Hintergrund des Umweltschadensgesetzes nicht entgegen.204 Werden die von der Umwelthaftungsrichtlinie in ihrem Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL zwingend vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale des vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns durch die Richtlinie nicht selbst konkretisiert, fällt dessen Definition in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.205 Ferner verdeutlicht auch die Entstehungsgeschichte des hinter der Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG stehenden Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL,206 dass mit dem nachträglich eingefügten Verschuldenserfordernis für Biodiversitätsschäden aufgrund ungefährlicher beruflicher Tätigkeiten eine Haftungsbeschränkung im Sinne eines Verschuldens im hergebrachten Verständnis des (zivilen) Haftungsrechts angestrebt wurde.207 Folglich ist es nahardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 14; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 44. Siehe auch: Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 11. 198 Vgl. BT-Drs. 16/3806, S. 21. 199 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). 200 Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (411); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 9. 201 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). Die Heranziehung der im Zivilrecht geltenden Maßstäbe auch im Bereich des öffentlichen Rechts ist in der Rspr. des BVerwG anerkannt. Siehe etwa zur Heranziehung des Fahrlässigkeitsbegriffs nach § 276 Abs. 2 BGB im Rahmen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG: BVerwG, Beschl. v. 12.12.2007 – 2 B 93/07, juris Rn. 5 f. 202 BGH, Urt. v. 08.02.1965 – III ZR 170/63, NJW 1965, 962 (963). 203 Siehe nur Stadler, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 28 ff. m.w. N. 204 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). 205 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). Siehe zum Kriterium des „ursächlichen Zusammenhangs“: EuGH, Urt. v. 09.03.2010, Rs. C-378/ 08 (ERG u. a.), ECLI:EU:C:2010:126, Rn. 55. 206 Vgl. Erwägungsgrund 9 des Gemeinsamen Standpunkts [EG] des Rates Nr. 58/ 2003 vom 18.09.2003, ABl. 2003 C 277 E/10. 207 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

heliegend, für die Begriffsbestimmung von Vorsatz und Fahrlässigkeit jedenfalls sinngemäß auf das überkommene Verständnis des jeweiligen nationalen Zivilrechts zurückzugreifen.208 b) (Kein) Erfordernis eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs Nach dem im Zivilrecht gängigen Rechtsverständnis ist ein Schuldvorwurf bei einem völlig rechtmäßigen Verhalten des Handelnden nicht denkbar.209 Vor diesem Hintergrund wurde in der nationalen Literatur sowie der verwaltungs- und oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zunächst kontrovers beurteilt, ob eine verschuldensabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG ausscheidet, wenn das schadensursächliche Verhalten rechtmäßig bzw. genehmigungskonform ist und dem Inhaber einer Genehmigung daher kein Rechtswidrigkeitsvorwurf gemacht werden kann.210 Teilweise wurde vertreten, dass auch ein Verschulden i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Verantwortlichen zwingend voraussetzt und daher im Falle eines ordnungsgemäßen Gebrauchmachens von einer wirksamen Genehmigung eine Verschuldenshaftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG allgemein ausgeschlossen sei.211 Etwas anderes komme erst in Betracht, wenn eine Genehmigung trotz des Schadenseintritts und dessen Erkennbarkeit weiter ausgeschöpft werde.212 In diesem Fall könnten zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung nachträglich entfallen, zum anderen könne eine von der Genehmigung unabhängige Verpflichtung zur Unterlassung weiterer Schadensverursachung entstanden sein.213 Eine 208

BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). Stadler, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 13. 210 Das Erfordernis der Rechtswidrigkeit bejahend: VG Schleswig, Urt. v. 20.09. 2012 – 6 A 186/11, juris Rn. 71; VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 59; VG München, Urt. v. 25.01.2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 52; Beuck, VersR 2012, 1215 (1222); verneinend: OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 122 ff. 211 VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 59; VG Schleswig, Urt. v. 20.09.2012 – 6 A 186/11, juris Rn. 71; VG München, Urt. v. 25. 1. 2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 59 ff.; Beuck, VersR 2012, 1215 (1222); Kautz, UPR Sonderheft 2018, 474 (482). A. A.: Kohler, NuR 2017, 657 ff., der die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens zwar als implizites Kriterium der Inanspruchnahme nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG auffasst, die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens jedoch nicht bereits daraus ableitet, dass sich die Schädigung als Folge einer behördlich zugelassenen Maßnahme einstellt; im Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG folge aus dem Zusammenhang mit § 19 BNatSchG, dass naturschutzrechtlich eine die Verantwortlichkeit ausschließende Rechtfertigung eines schädigungsursächlichen Verhaltens als Folge einer behördlichen Eingriffsgestattung erst und nur unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG gegeben sei. 212 VG München, Urt. v. 25. 1. 2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 65. 213 VG München, Urt. v. 25. 1. 2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 65. 209

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dahingehende Auslegung sei auch mit den Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie vereinbar.214 Der Umstand, dass Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL in seinem Wortlaut den Begriff der Rechtswidrigkeit nicht nenne, beruhe darauf, dass die Umwelthaftungsrichtlinie durch die Rechtstraditionen anderer europäischer Länder geprägt ist und deren Rechtsordnungen vielfach keine Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Verschulden treffen.215 Auf diese Rechtstraditionen anderer Länder könne ohne klare Stütze im Wortlaut nicht zurückgegriffen werden, da Maßstab für die Auslegung des Begriffs des „Verschuldens“ die jeweilige nationale Rechtstradition sei.216 Auch aus der Kostenregelung des Art. 8 Abs. 4 lit. a UH-RL bzw. der nationalen Umsetzungsnorm des § 9 Abs. 1 S. 2 USchadG sowie der Regelung des § 2 Nr. 3 USchadG lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten. Aus diesen Bestimmungen folge zwar, dass eine Inanspruchnahme von Verantwortlichen nach der Konzeption der Umwelthaftungsrichtlinie bzw. des Umweltschadensgesetzes auch im Falle des Ausnutzens einer Genehmigung denkbar sei.217 Allerdings seien diese Erwägungen auf die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG normierte verschuldensunabhängige Haftung beschränkt.218 Eine gegenteilige Sichtweise würde dazu führen, dass in den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG eine Kostenfreistellung auf Sekundärebene aufgrund eines Fehlens von Fahrlässigkeit und Vorsatz nicht möglich wäre, da in diesem Fall bereits der Haftungstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG auf Primärebene nicht erfüllt wäre.219 Das Bundesverwaltungsgericht trat vorgenannter Auffassung in seinem Grundsatzurteil vom 21.09.2018220 ausdrücklich entgegen und stellte klar, dass es für das Verschulden i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob das zum Erfolgseintritt führende Verhalten des Verantwortlichen rechtmäßig ist.221 Umgekehrt soll bei der Prüfung, ob eine Handlung vorsätzlich oder fahrlässig ist, grundsätzlich nicht ausschlaggebend sein, ob die Handlung mit der Rechtsordnung insgesamt, namentlich mit einschlägigen Vorschriften des Naturschutzrechts, in vollem Umfang in Einklang steht.222 Das Gericht verwies dabei zunächst auf den Gesetzeswortlaut, dem sich kein Anknüpfungspunkt dafür 214

VG Schleswig, Urt. v. 20.11.2012 – 6 A 186/11, juris Rn. 71. VG Schleswig, Urt. v. 20.11.2012 – 6 A 186/11, juris Rn. 71; VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 63; Kohler, NuR 2017, 657 (659). 216 VG München, Urt. v. 25.01.2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 62. 217 VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 67. 218 VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 67 ff. 219 VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 68. 220 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427. 221 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428), in Ablehnung von VG Schleswig, Urt. v. 20.09.2012 – 6 A 186.11, juris Rn. 71. Siehe hierzu auch Schwonberg, NVwZ 2018, 431 (431 f.); Koukakis, NuR 2018, 460 (463). 222 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428); zustimmend: Koukakis, NuR 2018, 460 (462). 215

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entnehmen lasse, dass ein Verschulden i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG stets die Rechtswidrigkeit des die Unversehrtheit der nach § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG geschützten Arten und natürlichen Lebensräume berührenden Verhaltens des Verantwortlichen voraussetzt.223 In systematischer Hinsicht ergebe sich aus der Regelung des § 2 Nr. 3 USchadG, dass Verantwortlicher i. S. d. Umweltschadensgesetzes auch der Inhaber einer – mit Legalisierungswirkung verbundenen – Zulassung oder Genehmigung für eine berufliche Tätigkeit ist, der in Ausübung oder Bestimmung dieser Tätigkeit unmittelbar einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat.224 Zudem enthalte § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG eine Haftungsfreistellung hinsichtlich eines im Einzelnen festgelegten, begrenzten Bereichs genehmigter oder zulässiger Tätigkeiten einer verantwortlichen Person.225 Hieraus folge im Umkehrschluss, dass genehmigte oder gesetzeskonforme Tätigkeiten außerhalb des Anwendungsbereichs des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG grundsätzlich der verschuldensabhängigen Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG unterworfen sind.226 Schließlich verwies das Bundesverwaltungsgericht auf die Entstehungsgeschichte der Umwelthaftungsrichtlinie, der zu entnehmen sei, dass sich der Richtliniengeber bewusst gegen die grundsätzliche Ausnahme von erlaubten Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich der Umwelthaftungsrichtlinie entschieden habe.227 Das Bundesverwaltungsgericht stützte seine Auslegung damit im Wesentlichen auf dieselben Erwägungen, wie sie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereits gegen eine generelle Freistellung behördlich zugelassener Tätigkeiten von dem umweltrechtlichen Haftungsregime angeführt wurden.228 Die Sichtweise des Bundesverwaltungsgerichts entspricht auch der (nunmehr) herrschenden Literaturauffassung.229 Sie ist überzeugend, da es nur schwerlich als mit der Aufgabe einer ausdrücklichen „permit-defence“-Regelung in der Umwelthaftungsrichtlinie vereinbar angesehen werden kann, sonstige, nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelistete berufliche Tätigkeiten, die sich im Rahmen einer behördlichen Zulassungs223

BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). So bereits Saurer, NuR 2017, 289 (291); OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 127. 225 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). 226 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428). Siehe auch: OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 127; Saurer, NuR 2017, 289 (291); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50b; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 39. 227 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (428 f.). Siehe hierzu unter 3. Teil, B. I. 1. 228 Siehe hierzu unter 3. Teil, B. I. 1. 229 Saurer, NuR 2017, 289 (291); Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 33; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 11; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50b; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 45; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 14. 224

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entscheidung bewegen, durch die Annahme eines ungeschriebenen Rechtswidrigkeitserfordernisses von einer umweltschadensrechtlichen Haftung generell freizustellen. Bei einem rechtmäßigen Handeln scheidet eine Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz damit auch für nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz genannte berufliche Tätigkeiten jedenfalls nicht bereits auf Tatbestandsebene aus.230 c) Verschuldensmaßstab des BVerwG: Fehlendes Verschulden bei schutzwürdigem Vertrauen in die Zulassungsentscheidung Wenngleich die Verantwortlichkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG nicht die Rechtswidrigkeit des schadensursächlichen Verhaltens voraussetzt, ist die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens sowie die Reichweite der Legalisierungswirkung einer Genehmigung nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts für die umweltschadensrechtliche Haftung des Verantwortlichen gleichwohl von maßgeblicher Bedeutung.231 Hierzu führte das Bundesverwaltungsgericht aus: „[. . .] So wird ein Verantwortlicher, der schutzwürdig auf eine Genehmigung vertraut, bei einem von der Legalisierungswirkung der Genehmigung umfassten Verhalten regelmäßig nicht fahrlässig handeln [. . .]. Demgegenüber wird derjenige im Zweifel mindestens fahrlässig handeln, der bewusst ein die Unversehrtheit der nach § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG geschützten Arten und natürlichen Lebensräume verletzendes Handeln ohne eine hierfür erforderliche Genehmigung ausführt oder der wissentlich gegen naturschutzrechtliche Verbotstatbestände verstößt.“232

Nach den vorstehenden Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts wird eine Haftung für sonstige, nicht in Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelistete berufliche Tätigkeiten mangels Verschuldens regelmäßig ausscheiden, wenn der Verantwortliche in schutzwürdiger Weise auf die Richtigkeit einer behördlichen Zulassungsentscheidung – einschließlich der ihr zugrunde liegenden behördlichen Prüfungen und fachgutachterlichen Untersuchungen – vertraut hat und im Rahmen eines zulassungskonformen Verhaltens eine Schädigung von Arten oder Lebensräumen nach § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG oder die unmittelbare Gefahr solcher Schäden verursacht.233 230

Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 14. BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429). Siehe zu den Maßstäben des BVerwG auch: Koukakis, NuR 2018, 460 (464); Wendt, jurisPR-UmwR 5/2018 Anm. 3; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50b; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 11; Cuypers, in: Frenz/ Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 45; Schrader, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 14. 232 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429). In diese Richtung bereits Shirvani, UPR 2010, 209 (212); Louis, NuR 2009, 2 (4); siehe auch Lau, ZUR 2009, 589 (594). 233 Appel, NuR 2020, 663 (673); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50b. 231

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

aa) Vereinbarkeit des Ansatzes mit den Vorgaben des Unionsrechts Aus Sicht des Vorhabenträgers ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begrüßenswert, gewährleistet sie zumindest für sonstige berufliche Tätigkeiten, die nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelistet sind, ein gewisses Maß an Investitions- und Planungssicherheit. Die Vereinbarkeit dieses Ansatzes mit den Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie ist durch den Europäischen Gerichtshof zwar nicht ausdrücklich geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hielt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Begrifflichkeiten von Vorsatz und Fahrlässigkeit i. S. d. Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL in diesem Zusammenhang für nicht erforderlich.234 Jedenfalls im Hinblick auf den für die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen nach Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 5 und Art. 11 Abs. 2 UH-RL zwingend vorausgesetzten Ursachenzusammenhang zwischen einer Handlung und dem Umweltschaden hat der Europäische Gerichtshof jedoch festgestellt, dass die Definition von Elementen, die für die Umsetzung der Umwelthaftungsrichtlinie zwar erforderlich, in ihr jedoch nicht festgelegt sind, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, die insoweit über einen weiteren Ermessensspielraum verfügen.235 Wie auch seitens des Bundesverwaltungsgerichts angenommen, lässt sich dieser Grundsatz gleichermaßen auf die von der Umwelthaftungsrichtlinie in Art. 3 Abs. 1 lit. b UH-RL vorausgesetzten, jedoch nicht näher konkretisierten Merkmale „vorsätzlich“ und „fahrlässig“ übertragen.236 Ist den Mitgliedstaaten damit bei der Bestimmung der Merkmale Vorsatz und Fahrlässigkeit ein Ermessensspielraum eröffnet, begegnet es keinen Bedenken bei ihrer Auslegung auch dem unionsrechtlich gleichermaßen anerkannten Vertrauensschutzgrundsatz Rechnung zu tragen.237 Der Umstand, dass eine behördliche Zulassungsentscheidung außerhalb des beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 2 Nr. 1 lit. a UAbs. 2 UH-RL bzw. § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG für sich genommen weder die Annahme eines Umweltschadens noch die Verantwortlichkeit des Zulassungsinhabers auszuschließen vermag, steht der Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens auf den Zulassungsakt im Rahmen des in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG zusätzlich geforderten Verschuldens nicht entgegen.238 Das Verschuldenserfordernis bedarf als eigenständiges subjektives Tatbestandselement grundsätzlich einer von den Begriffen des Verantwortlichen sowie des Umweltschadens losgelösten Betrachtung.239 234

BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429). EuGH, Urt. v. 09.03.2010, Rs. C-378/08 (ERG u. a.), ECLI:EU:C:2010:126, Rn. 55. 236 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429). 237 Siehe zu entsprechenden Erwägungen im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL: 2. Teil, B. II. 2. c). 238 Vgl. Koukakis, NuR 2018, 460 (464). 239 Vgl. Koukakis, NuR 2018, 460 (464). 235

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

361

Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ein schutzwürdige Vertrauen in die Zulassungsentscheidung den Fahrlässigkeitsvorwurf allein für den Regelfall auszuschließen vermag. Das Vorliegen eines behördlichen Zulassungsaktes kann im Rahmen der verschuldensabhängigen Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG von erheblicher Bedeutung sein; umgekehrt bedeutet dies jedoch nicht, dass der Zulassungsinhaber stets von dem Vorwurf der Fahrlässigkeit bzw. des Vorsatzes freigestellt wäre.240 Es bedarf vielmehr stets einer einzelfallbezogenen Beurteilung der Frage, ob bzw. inwieweit sich das Vorliegen eines Zulassungsaktes bzw. das schutzwürdige Vertrauen hierauf auf die Beurteilung der Verschuldensfrage auswirken kann.241 Wird mithin über das Verschuldenserfordernis kein genereller Ausschluss behördlich zugelassener Tätigkeiten begründet, gerät der seitens des Bundesverwaltungsgerichts angelegte Maßstab auch nicht in Konflikt mit den Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie, die eine allgemeine „permit-defence“-Regelung gerade nicht vorsieht. bb) Bestimmung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf die Zulassungsentscheidung Geht man vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen davon aus, dass der Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts mit den unionrechtlichen Vorgaben grundsätzlich vereinbar ist, verbleibt die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Verantwortliche in derart schutzwürdiger Weise auf die ihm erteilte Zulassungsentscheidung vertrauen kann, dass ein Fahrlässigkeitsvorwurf ausgeschlossen ist. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass Bezugspunkt des Verschuldensvorwurfs die Unversehrtheit der von § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG geschützten Arten und natürlichen Lebensräume bildet.242 Ausgangspunkt für die Verschuldensprüfung muss daher die Frage sein, inwiefern der Regelungsgehalt der Zulassungsentscheidung im Einzelfall die Annahme rechtfertigt, es werde bei ihrer Ausübung kein Biodiversitätsschaden eintreten.243 Grundsätzlich wird der Zulassungsinhaber bei Einhaltung der gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen, zu denen insbesondere auch die in § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG genannten Umweltprüfungen gehören, auf das Ausbleiben einer Schädigung der geschützten Arten und Lebensräume bzw. der unmittelbaren Gefahr solcher Schäden vertrauen dürfen.244 Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Zulas240

Koukakis, NuR 2018. 360 (464). Koukakis, NuR 2018, 460 (464 f.). Vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 22.07.2015 – 8 A 10041/15, juris Rn. 80 ff. 242 VG Köln, Urt. v. 29.11.2016 – 2 K 6873/15, juris Rn. 49; Kohler, NuR 2017, 657 (658); Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 44. Siehe auch Saurer, NuR 2017, 289 (290). 243 Vgl. auch OVG Koblenz, Urt. v. 22.07.2015 – 8 A 10041/15, juris Rn. 80 ff. 244 Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 25.10.2018 – 12 LB 118/16, juris Rn. 244; Koukakis, NuR 2018, 460 (464). 241

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

sungsentscheidung lässt sich jedenfalls nicht unter Verweis auf die grundsätzlich ungeachtet einer behördlichen Zulassung bestehenden Pflichten nach den §§ 4–6 USchadG ablehnen. Denn nach der Konzeption des Umweltschadensgesetzes bzw. der Umwelthaftungsrichtlinie bildet das Verschuldensmerkmal gerade eine Voraussetzung für das Entstehen dieser Pflichten.245 Sofern sich der Verantwortliche im Rahmen einer behördlichen Zulassungsentscheidung hält, wird ihm daher insbesondere für nachteilige Auswirkungen, die im Zulassungszeitpunkt noch nicht erkennbar waren, regelmäßig kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden können.246 Wenngleich umfangreiche Ermittlungen im Vorfeld der Zulassungsentscheidung dem Verantwortlichen eine Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nicht zu garantieren vermögen, zahlen sie sich damit jedenfalls für sonstige, nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz aufgeführte berufliche Tätigkeiten auch in Fällen unvorhersehbarer Entwicklungen zumindest im Hinblick auf das Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG aus. Allgemeine Aussagen zu der Frage, wann dem Vorhabenträger abweichend von dem vorstehenden Grundsatz trotz ordnungsgemäßer Durchführung der erforderlichen Umweltprüfungen ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, lassen sich nur schwerlich treffen. Besondere Überwachungspflichten, an denen sich ein Verschuldensvorwurf im Anschluss an den Erlass einer behördlichen Zulassungsentscheidung knüpfen ließe, enthält das Umweltschadensgesetz nicht.247 Maßgeblich sind insofern die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Ein fahrlässiges Verhalten könnte anzunehmen sein, wenn sich dem Zulassungsinhaber – etwa aufgrund substantiierter Hinweise Dritter – nachträgliche Veränderungen aufdrängen, die erhebliche nachteilige Auswirkungen des zugelassenen Verhaltens auf die Erreichung oder Beibehaltung des günstigen Erhaltungszustands geschützter Lebensräume oder Arten oder die unmittelbare Gefahr solcher erheblichen nachteiligen Auswirkungen nahelegen. Stellt der Vorhabenträger in dieser Situation gleichwohl keine weitergehenden Überprüfungen an, und verursacht sodann in Ausübung der ihm gestatteten Tätigkeit einen Biodiversitätsschaden bzw. die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens, kann im Einzelfall die An-

245 Vgl. OVG Münster, Urt. v. 11.03.2021 – 21 A 49/17, juris Rn. 204, nach dem das Verschuldenserfordernis „entgegen der insoweit missverständlichen Überschrift des § 3 USchadG ,Anwendungsbereich‘ keine Voraussetzung [ist], die über die Anwendbarkeit des Gesetzes entscheidet“, ein Vorgehen bei sonstigen beruflichen Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG auf Grundlage des Umweltschadensgesetzes jedoch nur bei Vorliegen des Verschuldenserfordernisses in Betracht kommt. Siehe zu den entsprechenden Erwägungen mit Blick auf die Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG: 2. Teil, B. IV. 2. b) bb) und 2. Teil, C. IV. 1. a). 246 Beckmann, EurUP 2020, 238 (249); Appel, NuR 2020, 663 (673); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 31; ähnlich: Koukakis, NuR 2018, 460 (464). 247 Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (377), der eine Standardisierung in diesem Bereich für geboten hält, um einen unionsweit einheitlichen Mindeststandard zu erreichen.

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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nahme gerechtfertigt sein, dass dies unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte vorhergesehen und vermieden werden können. Inwieweit auch eine rechtswidrige Zulassungsentscheidung den Verschuldensvorwurf auszuräumen vermag, wird teilweise angezweifelt.248 Richtigerweise wird man dem Zulassungsinhaber auch in den Fällen, in denen die Zulassungsentscheidung und insbesondere die ihr zugrunde liegenden Umweltprüfungen nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, ein schutzwürdiges Vertrauen jedenfalls nicht von vornherein absprechen können. Aus § 43 Abs. 1 VwVfG ergibt sich, dass es für die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme einer Genehmigung auf ihre Wirksamkeit und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit ankommt.249 Insofern kann grundsätzlich auch das Vertrauen in eine rechtswidrige Zulassungsentscheidung schutzwürdig sein.250 Dass im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG zumindest nicht bereits jeder objektive Verstoß gegen die Vorgaben der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie den Rückschluss auf ein fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln beim Verantwortlichen zulässt, folgt – wie das Bundesverwaltungsgericht hervorhebt – bereits daraus, dass Bezugspunkt für Vorsatz oder Fahrlässigkeit des nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG Verantwortlichen allein die Unversehrtheit der nach § 19 Abs. 2 und 3 BNatSchG geschützten Arten und natürlichen Lebensräume und nicht die Einhaltung sämtlicher gegebenenfalls einschlägiger naturschutzrechtlicher Vorschriften ist.251 Ein vermutetes Verschulden lässt sich überdies allein in Fällen normativer Anhaltspunkt hierfür annehmen, woran es jedoch in den Bestimmungen des Umweltschadensgesetzes sowie der Umwelthaftungsrichtlinie fehlt.252 Hinsichtlich der Frage, in welchen Fällen ein Vertrauen in eine rechtswidrige Zulassungsentscheidung als schutzwürdig anzusehen ist, bietet sich letztlich ein Rückgriff auf die Kriterien des § 48 Abs. 3 S. 2 i.V. m. Abs. 2 S. 3 VwVfG an. Ein schutzwürdiges, den Fahrlässigkeitsvorwurf ausräumendes Vertrauen auf das Ausbleiben eines Biodiversitätsschadens wird dem Zulassungsinhaber hiernach insbesondere in den Fällen abzuerkennen sein, in denen er die Fehlerhaftigkeit der Umweltprüfungen im Zulassungsverfahren bzw. der ihr zugrunde liegenden Fachgutachten kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.253 Der Begriff der groben Fahrlässigkeit setzt dabei vor248

Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 3 Rn. 11. Beckmann, EurUP 2020, 238 (248). 250 Siehe hierzu unter 2. Teil, B. IV. 2. b) aa) und Beckmann, EurUP 2020, 238 (248). 251 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 50a. 252 BVerwG, Urt. v. 21.09.2017 – 7 C 29.15, NVwZ 2018, 427 (429). 253 Ähnlich: Shirvani, UPR 2010, 209 (212); Louis, NuR 2009, 2 (4), die allerdings bereits ausreichen lassen wollen, dass der Inhaber der Genehmigung deren Rechtswidrigkeit kannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. Kritisch hierzu: Beckmann, EurUP 2020, 238 (249), der dem Zulassungsinhaber ein schutzwürdiges Vertrauen offenbar nur in den Fällen eines kollusiven Zusammenwirkens mit der Genehmigungsbehörde aberkennen will. 249

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

aus, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird.254 Sie kann vorliegen, wenn der Adressat einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder bestehenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Verwaltungsaktes nicht nachgeht.255 d) Zwischenfazit Festhalten lässt sich, dass für nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelistete berufliche Tätigkeiten – und damit für die Mehrzahl immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen sowie planfeststellungsbedürftiger Vorhaben – mit dem Verschuldenserfordernis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG ein zusätzlicher Ansatzpunkt neben der Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG besteht, über den die Legalisierungswirkung einer behördlichen Zulassungsentscheidung zumindest indirekt und einzelfallbezogen Berücksichtigung finden kann. Zwar kann auch in der Ausübung einer zulassungskonformen Tätigkeit grundsätzlich ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG liegen. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Zulassungsinhabers auf die Legalisierungswirkung einer wirksamen – nicht zwingend rechtmäßigen – behördlichen Zulassungsentscheidung schließt einen Verschuldensvorwurf jedoch zumindest in der Regel aus. 3. „Faktische“ Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen für Schädigungen der Schutzgüter Boden und Gewässer Für Schädigungen der Schutzgüter Gewässer und Boden ist eine mit der Bestimmung des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG vergleichbare Ausnahmeregelung, die eine Berücksichtigung vorausgegangener Umweltprüfungen im Genehmigungsverfahren zulässt, nicht vorgesehen.256 Auch kommt für berufliche Tätigkeiten nach der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz, für welche Schädigungen dieser Rechtsgüter allein relevant sind, eine Enthaftung über ein fehlendes Verschulden nicht in Betracht. Damit entfällt auch der Ansatzpunkt für eine Haftungsfreistellung aufgrund eines schutzwürdigen Vertrauens in die Ausnutzung einer behördlichen Zulassungsentscheidung.257 Es verbleibt bei dem eingangs dargelegten Grundsatz, nach dem das Vorliegen einer behördlichen Zulassungsentscheidung eine Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensgesetz nicht auszuschließen

254

Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 161 m.w. N. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 48 Rn. 161 m.w. N. 256 Die in Art. 2 Nr. 1 lit. b UH-RL bzw. § 90 Abs. 1 HS 2 WHG für Schädigungen der Gewässer vorgesehene Ausnahme bezieht sich nicht auf den Regelungsgehalt von Zulassungsentscheidungen im Sinne einer Legalisierungswirkung. 257 Siehe hierzu unter 3. Teil, B. II. 2. c). 255

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

365

vermag.258 Scheint nach der Regelungssystematik des Umweltschadensrechts damit die Gefahr einer Inanspruchnahme für eine genehmigungskonforme Tätigkeit hier besonders hoch, lässt sich diese Befürchtung bei näherer Betrachtung in gewissem Umfang relativieren. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Errichtung und der Betrieb von planfeststellungsbedürftigen Vorhaben und immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen weitgehend nicht unter die in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz gelisteten beruflichen Tätigkeiten fallen, sodass eine verschuldensunabhängige Haftung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 USchadG in der Regel ausscheidet.259 Ferner entfaltet jedenfalls eine Zulassungsentscheidung, die den Anforderungen des Fachrechts entspricht, zumindest faktisch eine Schutzwirkung dahingehend, dass eine zulassungskonforme berufliche Tätigkeit in der Regel keine „erheblichen nachteiligen Auswirkungen“ auf das Schutzgut Gewässer oder „Gefahren für die menschliche Gesundheit“ verursachen wird.260 Mit Blick auf das Schutzgut Wasser schreibt § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG vor, dass die Erlaubnis oder Bewilligung für die Benutzung eines Gewässers bereits zu versagen ist, wenn schädliche Gewässerveränderungen zu erwarten sind. Die vom Umweltschadensgesetz mit Blick auf das Schutzgut Wasser definierte Erheblichkeitsschwelle bleibt damit hinter derjenigen des Wasserrechts zurück.261 Die Behörde wird eine wasserrechtliche Erlaubnis nach § 8 i.V. m. § 10 WHG nicht erteilen dürfen, wenn sie erkennt, dass mit ihrer Ausnutzung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den ökologischen oder chemischen Zustand eines Gewässers verbunden sind, wie sie nach § 2 Nr. 1 lit. b USchadG i.V. m. § 90 WHG für einen Umweltschaden vorausgesetzt werden.262 Soweit für ein Vorhaben, das mit einer Gewässerbenutzung verbunden ist, ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt wird, entscheidet die Planfeststellungsbehörde über die wasserrechtlich erforderliche Erlaubnis oder Bewilligung im Einvernehmen bzw. – bei einer Planfeststellung durch Bundesbehörden – mit der zuständigen Wasserbehörde, § 19 Abs. 1 WHG.263 Von der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 13 BImSchG sind die wasserrechtlichen Erlaubnisse und Be-

258

Siehe hierzu unter 3. Teil, B. I. 1. Kautz, NuR 2018, 474 (482); Petersen, NuR 2014, 525 (528 f.); Ramsauer, in: FS-Jarass 2015, S. 365 (369 ff.). 260 Allgemein in Bezug auf zugelassene Tätigkeiten: Shirvani, UPR 2010, 209 (211). 261 Becker, NVwZ 2007, 1105 (1107); Fritsch, UPR 2011, 365 (369); Portsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (176); siehe auch: Petersen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, WHG, § 90 Rn. 92. 262 Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (176). 263 Die Konzentrationswirkung ist mithin auf die Verfahrens- und Zuständigkeitskonzentration beschränkt; wasserrechtliche Entscheidungen werden nicht ersetzt, sondern gesondert erlassen, wenn auch durch dieselbe Behörde, Deutsch, in: Mann/Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, § 75 Rn. 72 m.w. N. 259

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

willigungen i. S. d. § 8 i.V. m. § 10 WHG zwar nicht erfasst.264 Letztere beziehen sich indes nur auf die Benutzung der Gewässer, sodass es für die Anlagen selbst bei der Genehmigung nach §§ 4, 6 BImSchG verbleibt.265 Soweit sie nicht im Abwasserbereich bereits nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG i.V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu beachten sind, finden die Vorgaben des Wasserrechts einschließlich des § 12 WHG daher grundsätzlich im Rahmen der Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Berücksichtigung.266 Auch wird eine behördliche Zulassung – zumindest, soweit sie den rechtlichen Anforderungen entsprechen will – nicht für eine Beeinträchtigung der Bodenfunktionen erteilt werden können, die Gefahren für die menschliche Gesundheit i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. c USchadG verursacht.267 Dies verdeutlicht ein Blick auf die Voraussetzungen für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie eines Planfeststellungsbeschlusses. Zu den Grundpflichten, deren Einhaltung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG Voraussetzung für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bildet, gehört nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG insbesondere die Pflicht des Anlagenbetreibers, die Anlage so zu errichten und zu betreiben, dass Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Als schädliche Umwelteinwirkungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG, im Übrigen als sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG gelten dabei bereits schädliche Bodenveränderungen i. S. d. § 2 Abs. 3 BBodSchG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, soweit sie durch Immissionen verursacht werden.268 Ferner zählt zu den Schutzgütern des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG entsprechend § 1 BImSchG insbesondere auch das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen.269 Schäden an der Gesundheit sind dabei nicht zuletzt aufgrund ihres besonderen verfassungsrechtlichen Schutzstatus stets erheblich, sodass die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gesundheitsbeeinträchtigung ohne Weiteres eine Gefahr darstellt, die es zu vermeiden gilt.270 Im Planfeststellungsrecht gehört das Verbot einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Rechte Dritter zu den strikt zu beachtenden Planungsleitsätzen, das sich allgemein in § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG wiederfindet.271 Denn eine Planung, die 264

Siehe: Jarass, BImSchG, § 13 Rn. 17. Wasielewski, in: Führ, GK-BImSchG, § 6 Rn. 44. 266 Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 40. 267 Porsch, in: FS-Dolde, 2014, S. 169 (176); Dolde, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Umwelthaftung nach neuem EG-Recht, 2005, S. 169 (185). 268 Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 44 sowie § 6 Rn. 27; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 6 Rn. 42 m.w. N. 269 Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 67. 270 Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, § 5 Rn. 67. 271 Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 25. 265

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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vorhabenbedingte unzumutbare Belastungen unbewältigt ließe, wäre von vornherein dem Vorwurf der Abwägungsdisproportionalität oder der unzureichenden Konfliktbewältigung ausgesetzt und damit rechtswidrig.272 Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, dass über die Zulassungsvoraussetzungen, denen immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige sowie planfeststellungsbedürftige berufliche Tätigkeiten unterliegen, grundsätzlich sichergestellt ist, dass es im Vollzug zu keinen Umweltschäden an den Schutzgütern Gewässer und Boden i. S. d. Umweltschadensrechts kommen wird. Selbst eine ordnungsgemäße Zulassungsprüfung vermag freilich nicht auszuschließen, dass in Abweichung zum Normalbetrieb oder auch infolge nachträglicher Veränderungen in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht ein Umweltschaden bzw. die unmittelbare Gefahr eines solchen eintritt, und infolgedessen eine zugelassene Tätigkeit zum Ansatzpunkt einer umweltschadensrechtlichen Verantwortlichkeit des Zulassungsinhabers wird. Die Situation stellt sich hier nicht wesentlich anderes dar als mit Blick auf Biodiversitätsschäden.273

III. Das Verhältnis des Umweltschadensrechts zum herkömmlichen Legalisierungsverständnis Wurden vorstehend die (mittelbaren) Schutzwirkungen einer behördlichen Zulassungsentscheidung gegenüber dem umweltschadensrechtlichen Haftungsregime dargelegt, ist im Folgenden die Kompatibilität dieser Systematik mit dem nationalen Bestandsschutzverständnis zu untersuchen. 1. Beschränkung der Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsakte durch die Bestimmungen des Umweltschadensrechts Nach herkömmlichem Verständnis schützt die sogenannte Legalisierungswirkung einer wirksam erteilten Zulassungsentscheidung den Inhaber einer öffentlich-rechtlichen Zulassung grundsätzlich vor einer Inanspruchnahme auf Grundlage der allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Vorschriften sowie sonstiger öffentlich-rechtlicher Eingriffsbefugnisse für ein Verhalten, das sich im Rahmen der erteilten Zulassungsentscheidung bewegt.274 Hiermit scheint es zu272

Lieber, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 74 Rn. 131. Siehe hierzu unter 3. Teil, B. II. 1. a). 274 Siehe zu der allgemein anerkannten Rechtsfigur der Legalisierungswirkung: 1. Teil, A. III. 1. b) cc), 2. Teil, D. II. 4. c) aa) (1); zu der Legalisierungswirkung behördlicher Genehmigungen gegenüber den Sanierungspflichten nach § 4 Abs. 3 BBodSchG: Dombert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BBodSchG, § 4 Rn. 49 ff.; zu der Legalisierungswirkung behördlicher Genehmigungen gegenüber einem behördlichen Einschreiten auf Grundlage des § 100 Abs. 1 S. 2 WHG: Kubitza, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, WHG, § 100 Rn. 46; ferner: Petersen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, WHG, § 90 Rn. 98. 273

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

nächst unvereinbar, wenn selbst eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung einer Verantwortlichkeit nach dem Umweltschadensrecht nicht entgegensteht und den Zulassungsinhaber die umweltschadensrechtlichen Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen grundsätzlich auch für solche Tätigkeiten treffen können, die sich im Rahmen einer behördlichen Zulassungsentscheidung bewegen. Indes wurde im Rahmen der vorstehenden Analyse deutlich, dass die vorgenannte Grundannahme bereits durch die Systematik des Umweltschadensrechts selbst eingeschränkt wird. Von einer umweltschadensrechtlichen Haftung für Biodiversitätsschäden sind nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG zumindest solche Auswirkungen ausgenommen, die in der jeweiligen Umweltprüfung erkannt und insofern zum Gegenstand der Zulassungsentscheidung gemacht wurden. Für die Schutzgüter Gewässer und Boden gelangt man zu einem vergleichbaren Ergebnis aufgrund der über den Schutzstandard des Umweltschadensgesetzes hinausgehenden Anforderungen des Fachrechts an die behördliche Zulassungserteilung. Eine umweltschadensrechtliche Haftung kommt hiernach vorrangig für solche Auswirkungen in Betracht, die im Zulassungsverfahren fehlerhaft nicht erkannt wurden oder die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erkennbar waren. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Reichweite der Legalisierungswirkung auch nach herkömmlichem Verständnis stets nach dem Regelungsgehalt der jeweiligen Zulassungsentscheidung richtet. Nachträgliche Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht sind von dem Regelungsgehalt einer Zulassungsentscheidung von vornherein nicht erfasst. Wie aus der Untersuchung des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts deutlich wurde, kann die Bedeutung der Legalisierungswirkung einer wirksamen Zulassungsentscheidung spezialgesetzlich durch solche unmittelbar geltenden gesetzlichen Vorgaben eingeschränkt sein, die gerade auch im Zulassungsvollzug fortlaufend Geltung beanspruchen.275 Schließlich kann auch ein vom Regelungsgehalt der Zulassungsentscheidung erfasster Sachverhalt stets nur gegenüber solchen behördlichen Eingriffsbefugnissen legalisiert sein, die gerade nicht die Beschränkung oder Aufhebung der Regelungswirkung einer wirksamen Zulassungsentscheidung zum Gegenstand haben.276 Erweisen sich behördlich ausdrücklich zugelassene Auswirkungen als mit dem materiellen Recht unvereinbar, bedeutet dies insofern nicht, dass diese hinzunehmen wären.277 Beanspruchen die umweltschadensrechtlichen Primärpflichten nach den §§ 4– 6 USchadG Geltung auch für solche berufliche Tätigkeiten, die sich im Rahmen einer behördlichen Zulassungsentscheidung bewegen, und weist § 7 Abs. 2 275 Siehe zu den Grenzen der Legalisierungswirkung gegenüber den über den Zulassungszeitpunkt hinaus fortgeltenden Verboten der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG: 2. Teil, D. II. 4. c) aa) (2). 276 Siehe hierzu unter 1. Teil, A. III. 2. b) und 2. Teil, D. II. 4. c) bb) (2). 277 Vgl. Dolde, in: Hendler/Marburger/Reinhardt/Schröder, Umwelthaftung nach neuem EG-Recht, 2005, S. 169 (185).

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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USchadG den zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungsbefugnisse zu, führt dies im Ergebnis dazu, dass die Bedeutung der Legalisierungswirkung wirksamer Zulassungsentscheidungen von vornherein beschränkt ist. Aus Bestandsschutzgesichtspunkten stellt sich die Situation für den Vorhabenträger hier im Grundsatz nicht wesentlich anders dar als gegenüber den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG oder sonstigen unmittelbar geltenden dynamischen Umweltgrundpflichten wie denen nach § 5 BImSchG, die auf spezialgesetzlicher Grundlage auch unter Durchbrechung der Regelungswirkung einer wirksamen Zulassungsentscheidung durchgesetzt werden können.278 Auch unter Berücksichtigung des speziellen Verschuldenserfordernisses für sonstige berufliche Tätigkeiten in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG, ist jedenfalls ein grundlegender Systemwechsel des deutschen Industrieanlagenrechts mit der Systematik des Umweltschadensrechts insofern nicht verbunden.279 2. Erfordernis eines zulassungsmodifizierenden Aktes: Die Grenzen der Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG Lassen sich die Vorgaben des unionsrechtlich begründeten Umweltschadensrechts dem Grunde nach mit dem herkömmlichen Bestandsschutzverständnis in Einklang bringen, erweist sich ihre Integration in das Anlagen- und Planfeststellungsrecht mit Blick auf die Gestattungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen gleichwohl als nicht unproblematisch. Begründet liegt dies weniger in den Vorgaben der Umwelthaftungsrichtlinie als in der Entscheidung des Gesetzgebers zur 1:1-Umsetzung der Richtlinienvorgaben.280 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass eine umweltschadensrechtliche Verantwortlichkeit bzw. das Bestehen von Vermeidungs- und Sanierungspflichten für sich genommen ebenso wenig die unmittelbare Unwirksamkeit einer Zulassungsentscheidung bewirken kann wie ein Verstoß gegen die fortlaufend beachtlichen Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG.281 Eine zugelassene Tätigkeit bleibt auch hier zumindest formell-rechtlich solange zulässig, wie die entgegenstehende Gestattungswirkung nicht auf Grundlage besonderer gesetzlicher Vorschriften aufgehoben oder abgeändert wurde. 278 Siehe Duikers, NuR 2006, 623 (631); Shirvani, UPR 2010, 209 (212); Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 15; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 25. 279 Dies mit Blick auf die Aufgabe einer allgemeinen „permit-defence“-Regelung in der Umwelthaftungsrichtlinie befürchtend: Spieth, in: Oldiges, Umwelthaftung vor der Neugestaltung – Erwartungen und Anforderungen aufgrund des künftigen Europäischen Umwelthaftungsrechts, 2004, S. 63 (66). 280 Kritisch gegenüber der 1:1-Umsetzung des deutschen Gesetzgebers auch: Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, 365 (367). 281 Siehe hierzu unter 2. Teil, B.V. 1. und 2. Teil, C. II. 3.

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Konflikte mit der insofern fortbestehenden Gestattungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen sind dabei insbesondere mit Blick auf die Pflicht zur Ergreifung von Vermeidungsmaßnahmen denkbar.282 Als Vermeidungsmaßnahme kommt gemäß § 5 USchadG i.V. m. § 2 Nr. 6 USchadG grundsätzlich jede Maßnahme in Betracht, die bei einer unmittelbaren Gefahr eines Umweltschadens dazu dient, diesen Schaden zu vermeiden oder jedenfalls in seinem Ausmaß zu minimieren.283 Werden die Umweltschäden durch die Errichtung oder den Betrieb der Anlage bewirkt, werden sich diese ohne Veränderungen der zugelassenen Anlage oder ihres Betriebs – und damit ohne einen Eingriff in die Gestattungswirkung der Zulassungsentscheidung – nicht vermeiden lassen.284 Im äußersten Fall könnte hier als Vermeidungsmaßnahme auch eine vollständigen Betriebseinstellung in Betracht zu ziehen sein.285 Bedarf es aufgrund der fortbestehenden Wirksamkeit einer behördlichen Zulassungsentscheidung zur Durchsetzung der umweltschadensrechtlichen Primärpflichten damit im Einzelfall der vorherigen Aufhebung oder Abänderung einer entgegenstehenden Gestattungssituation, wirft dies zwangsläufig die Frage nach der inhaltlichen Reichweite der Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG auf. Nicht unbedenklich erscheint es in diesem Zusammenhang, dass das Verhältnis der umweltschadensrechtlichen Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG zur Gestattungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidung keine eindeutige gesetzliche Regelung erfahren hat.286 Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine gesetzliche Anpassung der Anordnungsbefugnisse nach § 7 Abs. 2 USchadG an das bestehende Anlagen- und Planfeststellungsrecht gewesen. Erkennt das Umweltschadensrecht außerhalb des beschränkten Anwendungsbereichs des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG eine allgemeine Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen nicht an, wird die zuständige Behörde dem Verantwortlichen nach § 7 Abs. 2 USchadG grundsätzlich auch solche Maßnahmen aufgeben können, die sich inhaltlich als Beschränkung der Gestattungswirkung darstellen. Jedenfalls Vermeidungsmaßnahmen, die mit Eingriffen in den Kernbereich der Gestattungswirkung verbunden sind, können auf Grundlage des § 7 Abs. 2 USchadG allein jedoch nicht angeordnet werden.287 Aus der Ge282

Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44. Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 14; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 5 Rn. 3. 284 Vgl. Appel, NuR 2020, 663 (672); Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, S. 365 (366). 285 Vgl. Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, 365 (366); Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44. 286 Kritisch hierzu: Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, 365 (375 f.). 287 So zu Beschränkungen der Gestattungswirkung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen: Fachagentur Wind, Nachträgliche Anpassung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen aufgrund artenschutzrechtlicher Belange, 2016, S. 15. 283

B. Zur Bedeutung einer behördlichen Zulassungsentscheidung

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setzessystematik ergibt sich, dass es hierfür vielmehr einer vorherigen (Teil-) Aufhebung der Zulassungsentscheidung unter den erhöhten Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG bzw. § 21 BImSchG – einschließlich einer gegebenenfalls zu gewährenden Entschädigung – bedarf.288 Als problematisch würde sich die Annahme einer inhaltlich unbeschränkten Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG nicht zuletzt unter dem Aspekt der Behördenzuständigkeit erweisen. Eine nachträgliche Aufhebung einer Zulassungsentscheidung fällt in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Zulassungsbehörde.289 Die Zuständigkeiten für die Maßnahmen nach dem Umweltschadensgesetz sind landesrechtlich demgegenüber regelmäßig der jeweiligen Naturschutz-, Bodenschutz- oder Wasserschutzbehörden zugewiesen.290 Die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde für Maßnahmen nach dem Umweltschadensrecht lässt sich grundsätzlich nur dort begründen, wo entweder bereits das Bundesrecht eine umfassende Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörde bestimmt291 oder das Landesrecht eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs292 begründet.293 Hinsichtlich der Begrenzung der Anordnungsbefugnis nach § 7 Abs. 2 USchadG gelten entsprechende Erwägungen auch mit Blick auf die Fälle, in denen es zur Durchsetzung der umweltschadensrechtlichen Pflichten einer (wesentlichen) Änderung der immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage bzw. des planfestgestellten Vorhabens bedarf. Nach der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf es für die Zulassung einer (wesentlichen) Änderung einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage bzw. eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens der Durchführung eines Änderungsverfahrens, das in die ausschließliche Zuständigkeit der jeweiligen Zulassungsbehörde fällt.294 Erfordert die Durchführung von Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen die Änderung des planfestgestellten Vorhabens, wird in diesem Fall daher zusätzlich eine entsprechende Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses erforderlich werden.295 288 Vgl. auch Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44, dem zufolge das Szenario einer vollständigen Betriebseinstellung praktisch kaum relevant werde, zumindest solange nicht zugleich nach Maßgabe der einschlägigen Regelungen eine – in der Regel entschädigungspflichtige – Aufhebung der Genehmigung erfolgt. 289 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. I. 2. 290 Vgl. etwa für Bayern: § 51b Zuständigkeitsverordnung (ZustV) v. 16. Juni 2015 (GVBl. S. 184, BayRS 2015-1-1-V), die zuletzt durch § 2 der Verordnung vom 14. Dezember 2021 (BayMBl. Nr. 902) geändert worden ist; für Nordrhein-Westfalen: Anhang II Ziff. 7.2 der Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz (ZustVU) v. 3. Februar 2015, zuletzt geändert durch Artikel 21 des Gesetzes vom 1. Februar 2022 (GV. NRW. S. 122): „Die für Vermeidung, Schadensbegrenzung oder Sanierung nach jeweiligem Fachrecht zuständige Behörde“. 291 Vgl. § 4 Abs. 6 AEG. 292 Vgl. § 5 Abs. 2 BerlBodSchG und § 4 Abs. 2 Nr. 5 BerlNatSchG. 293 Lieber, NuR 2012, 665 (671), Fn. 46. 294 Siehe hierzu unter 2. Teil, D. II. 5. c). 295 Lieber, NuR 2012, 665 (671); Ramsauer, in: FS-Jarass, 2015, 365 (376).

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3. Teil: Einflüsse des Umweltschadensrechts auf den Bestandsschutz

Mit Blick auf die behördliche Ermessensausübung ist zu berücksichtigen, dass die Umwelthaftungsrichtlinie den mitgliedstaatlichen Behörden im Hinblick auf die Anordnung der erforderlichen Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen kein Entschließungsermessen zugesteht.296 Hierfür streitet maßgeblich der Wortlaut von Art. 5 Abs. 4 S. 1 und Art. 6 Abs. 3 S. 1 UH-RL, nach dem die Behörde „verlangt“, dass die Vermeidungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen vom Betreiber ergriffen werden.297 Allerdings hat der verantwortliche Betreiber nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 lit. b UH-RL lediglich die „erforderlichen“ Vermeidungs- und Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen und auch nur solche Maßnahmen können seitens der Behörde verlangt werden, vgl. Art. 5 Abs. 3 lit. b, Art. 6 Abs. 2 lit. c UH-RL. Unberührt bleibt insofern zumindest das Auswahlermessen der nationalen Behörden hinsichtlich der in Anspruch zu nehmenden Verantwortlichen sowie der anzuordnenden Maßnahme.298 Im Rahmen des Auswahlermessens hat die Behörde insbesondere auch dem Vertrauen des Vorhabenträgers in die (unbeschränkte) Ausnutzbarkeit seiner Zulassungsentscheidung und die infolgedessen getroffenen Investitionen zu berücksichtigen.299 Bereits aus Verhältnismäßigkeitsgründen wird die vollständige Betriebseinstellung – die nach nationaler Systematik die vorherige Aufhebung der Zulassungsentscheidung voraussetzen würde – allein als ultima ratio in Betracht kommen.300

C. Fazit Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass mit dem Umweltschadensrecht ein Instrumentarium besteht, mit dem sich neben den offensichtlichen Anwendungsfäl296 So auch die h. M. zu § 7 Abs. 2 USchadG: OVG Schleswig, Urt. v. 04.02.2016 – 1 LB 2/13, juris Rn. 131; VG München, Urt. v. 25. 1. 2017 – M 9 K 15.3863, juris Rn. 69; Becker, NVwZ 2007, 1005 (1111); Duikers, NuR 2006, 623 (628); Müggenborg, NVwZ 2009, 12 (16); Führ/Lewin/Roller, NuR 2006, 67 (72); Knopp, UPR 2007, 414 (419); Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, BNatSchG, § 19 Rn. 66; Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 48; Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 57; Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 7; für eine Ermessensreduzierung auf Null: Cosack/Enders, DVBl 2008, 405 (414). A. A.: Petersen, USchadG, § 7 Rn. 27, 17, der jedoch auch davon ausgeht, dass in nicht wenigen Fällen eine Ermessensreduzierung anzunehmen sein werde. 297 Zwar sehen Art. 5 Abs. 3 lit. b UH-RL und Art. 6 Abs. 2 lit. c UH-RL vor, dass die Behörde jederzeit von dem Betreiber verlangen „kann“, die erforderlichen Vermeidungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen. Dieser vermeintliche Widerspruch zwischen Art. 5 Abs. 3 und 4 UH-RL bzw. Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 UH-RL lässt sich jedoch auflösen, indem Art. 5 Abs. 3 UH-RL als Befugniskatalog ausgelegt wird, Duikers, NuR 2006, 623 (628); Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 7; vgl. auch Führ/Lewin/Roller, NuR 2006, 67 (72). 298 Cuypers, in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, § 19 Rn. 48; siehe hierzu näher: Beckmann/Wittmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, USchadG, § 7 Rn. 8 ff. 299 Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44; siehe auch Shirvani, UPR 2010, 209 (212). 300 Vgl. Fellenberg, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, § 19 Rn. 44.

C. Fazit

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len unerwarteter Störfälle insbesondere auch dynamischen Fortentwicklungen der Umwelt zulasten des zugelassenen Bestandes Rechnung tragen lässt. Wie auch gegenüber den Anforderungen des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts vermag selbst eine bestandskräftige Anlagenzulassung oder Planfeststellung, der umfangreiche Umweltprüfungen zugrunde liegen, dem Zulassungsinhaber hier keine absolute Planungssicherheit zu gewährleisten. Eine umfassende Legalisierungswirkung behördlicher Zulassungsentscheidungen im Sinne einer generellen Freistellung der hiernach zugelassenen Tätigkeit von einer späteren Inanspruchnahme auf Grundlage des Umweltschadensrechts ist nach der Systematik des Umweltschadensrechts ausgeschlossen. Als bedeutungslos erweist sich das Vorliegen einer wirksamen behördlichen Zulassungsentscheidung auch gegenüber dem umweltschadensrechtlichen Haftungsregime gleichwohl nicht. Dies gilt insbesondere für sonstige, nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensrecht gelistete berufliche Tätigkeiten. Für diese besteht neben der Enthaftungsklausel für Biodiversitätsschäden nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG mit dem Verschuldenserfordernis in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG ein weiteres Einfallstor, das eine systemkonforme Berücksichtigung des durch eine wirksame Zulassungsentscheidung vermittelten Vertrauens- bzw. Bestandsschutzes ermöglicht. Relativiert werden die mit dem Umweltschadensrecht verbundenen Beschränkungen des Bestandsschutzes darüber hinaus auch für berufliche Tätigkeiten nach der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz zumindest dadurch, dass die Fachgesetze jedenfalls mit Blick auf die Schutzgüter des Bodens und der Gewässer ein grundsätzlich höheres Schutzniveau aufweisen als das Umweltschadensrecht. Schließlich kommt einer wirksamen Zulassungsentscheidung auch gegenüber den umweltschadensrechtlichen Vermeidungs- und Sanierungspflichten eine Schutzwirkung dergestalt zu, dass eine hiernach zugelassene Tätigkeit zumindest formell-rechtlich solange zulässig bleibt, wie die entgegenstehende Gestattungswirkung nicht durch einen zulassungsmodifizierenden Akt der Verwaltung aufgehoben oder abgeändert wurde.

4. Teil

Zusammenfassung in Thesen Die wesentlichen Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung lassen sich in Thesenform wie folgt zusammenfassen: 1. Der Bestandsschutz immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen sowie planfeststellungsbedürftiger Vorhaben wird durch die Vorgaben des EU-Arten-, Habitat- und Umweltschadensrechts beschränkt. Eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung – mögen ihr auch umfangreiche, den rechtlichen Anforderungen genügende Umweltprüfungen zugrunde liegen – vermittelt dem Zulassungsinhaber hier keine absolute Planungssicherheit. 2. Die §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG begründen für immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlagen sowie planfestgestellte Vorhaben fortlaufend und unmittelbar beachtliche Verbotstatbestände. Eine bestandskräftige Zulassungsentscheidung, der eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG bzw. eine artenschutzrechtliche Prüfung zugrunde liegt, rechtfertigt keine generelle Freistellung für die hiernach zugelassene Tätigkeit. § 34 BNatSchG stellt keine gegenüber § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG abschließende Spezialregelung für Tätigkeiten dar, die dem Projektbegriff unterfallen. 3. Nachträgliche Konflikte mit den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1 und 44 Abs. 1 BNatSchG können trotz Durchführung einer entsprechenden naturschutzrechtlichen Prüfung im Zulassungsverfahren auftreten, wenn sich diese als bereits anfänglich fehlerbehaftet erweist, vor allem aber auch bei Veränderungen naturräumlicher Umstände, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nach Zulassungserteilung sowie theoretisch auch in Fällen neuer Natura 2000-Schutzgebiete bzw. einer nachträglichen Korrektur ihrer Gebietsgrenzen oder einer nachträglichen Unterschutzstellung von Arten. 4. Mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung sowie einem Planfeststellungsbeschluss ist die grundsätzlich bindende Feststellung der Vereinbarkeit der hierin zugelassenen Tätigkeit mit den Vorgaben des EU-Arten- und Habitatschutzrechts im Zulassungszeitpunkt verbunden. Die Bedeutung dieser Feststellungswirkung ist durch die im Zulassungsvollzug fortlaufend beachtlichen Verbotstatbestände der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG beschränkt. Behördliche Anordnungen können im Falle einer nachträglich veränderten Sach- oder Rechtslage grundsätzlich auf Verstöße der zugelassenen Tätigkeit gegen die Verbotsvorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1

4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

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BNatSchG gestützt werden, ohne dass es hierfür einer Durchbrechung der Bindungs- bzw. Legalisierungswirkung der Zulassungsentscheidung bedürfte. 5. Bestandsschutz wird gegenüber den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG maßgeblich durch die Gestattungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung vermittelt. Weder die anfängliche noch die nachträglich infolge von Veränderungen der Sach- und Rechtslage eingetretene materielle Unvereinbarkeit einer zugelassenen Tätigkeit mit den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG hat die unmittelbare Unwirksamkeit der jeweiligen Zulassungsentscheidung zur Folge. Im Vorfeld eines weiteren Gestaltungsaktes, der nach Maßgabe der allgemeinen Aufhebungsvorschriften oder sonstiger besonderer gesetzlicher Bestimmungen die Gestattungswirkung der Zulassungsentscheidung aufhebt oder abändert, bleiben Errichtung und Betrieb, die sich im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses bewegen, jedenfalls in formeller Hinsicht weiterhin zulässig. 6. Konfligiert ein zugelassenes Projekt mit den Vorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG, kann sich aus der allgemeinen Vermeidungspflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL im Einzelfall eine Verpflichtung der nationalen Behörden zu unmittelbar projektbezogenen Vermeidungsmaßnahmen ergeben, sofern sich dies als einzig geeignete Maßnahme darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr erheblicher Gebietsbeeinträchtigungen auszuschließen. a) Die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Auswirkungen von Projekten, die im Regelverfahren nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL oder im Ausnahmeverfahren nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugelassen wurden. b) Die aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erwachsende Verpflichtung des Mitgliedstaats, das gesamthaft ergebnisbezogene Verschlechterungsverbot durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, ist einzelfallbezogen in Ausgleich zu bringen mit potenziell konfligierenden Bestandsschutzinteressen des Projektträgers. Interessen des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Bestandskraft nationaler Zulassungsentscheidungen müssen Berücksichtigung finden. Die zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs belässt diesbezüglich einen hinreichenden Spielraum. c) Ein grundsätzlich geeignetes Vermeidungsinstrumentarium i. S. d. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL stellt die Durchführung einer nachträglichen Verträglichkeitsprüfung dar, mittels derer die aktuelle Gebietsverträglichkeit eines bereits zugelassenen Projekts überprüft wird. Die nachträgliche Verträglichkeitsprüfung hat den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu entsprechen; weder die formelle Bestandskraft der Projektzulassung noch die

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4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

Einhaltung der Vorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren beeinflussen den Prüfungsmaßstab. d) Die Annahme einer mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur Durchführung einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung setzt stets eine Bewertung der Umstände des konkreten Einzelfalls voraus. In Fällen einer Missachtung der Verfahrensvorgaben des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL im Zulassungsverfahren, fällt dieser Verstoß regelmäßig zulasten von Bestandskraft und Vertrauensschutz und damit für die Durchführung einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung ins Gewicht. Die Durchführung einer den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL vollumfänglich entsprechenden Verträglichkeitsprüfung vermag das Risiko einer ex-post-Verträglichkeitsprüfung zwar nicht auszuschließen, so doch wesentlich zu reduzieren. e) Als Trägerverfahren für die ex-post-Verträglichkeitsprüfung kommen im nationalen Recht zum einen das Ausnahmezulassungsverfahren nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG, zum anderen die Ermächtigungsgrundlagen in Betracht, die zu einer nachträglichen Aufhebung bzw. Abänderung des Regelungsgehalts einer Projektzulassung zwecks Durchsetzung der Verbotsvorgaben des § 33 Abs. 1 S. 1 BNatSchG ermächtigen. f) Die Handlungsverpflichtung des Mitgliedstaats aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kann es im Einzelfall erfordern, dem Verschlechterungsverbot unter Aufhebung oder Abänderung des Regelungsgehalts einer Projektzulassung zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen. Hinsichtlich der Wahl des Instrumentariums verbleibt dem Mitgliedstaat grundsätzlich ein Ermessensspielraum. Maßgeblich sind die Handlungsinstrumentarien des nationalen Verfahrensrechts. 7. Konfligiert eine zugelassene Tätigkeit mit den Vorgaben des § 44 Abs. 1 BNatSchG, sind mit Blick auf den administrativen Vollzug die aus den Bestimmungen der Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a FFH-RL sowie Art. 5 VRL folgenden mitgliedstaatliche Handlungsverpflichtungen zu beachten. a) Das in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 44 Abs. 1 BNatSchG nicht enthaltene, von den unionsrechtlichen Verbotstatbeständen – mit Ausnahme des Art. 12 Abs. 1 lit. d FFH-RL – dagegen durchgängig vorausgesetzte Merkmal einer „absichtlichen“ Schädigung der geschützten Arten kann grundsätzlich auch durch eine Tätigkeit verwirklicht sein, die sich im Rahmen einer nationalen Zulassungsentscheidung bewegt. b) Die mitgliedstaatliche Verpflichtung zum Erlass geeigneter, vorbeugender Schutzmaßnahmen gegenüber zugelassenen Tätigkeiten wird aktiviert, sobald Kenntnis über eine konkrete Gefährdungssituation bei den mitgliedstaatlichen Behörden besteht.

4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

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c) Welche Schutzmaßnahmen im Einzelnen gegenüber zugelassenen Anlagen sowie Vorhaben zu ergreifen sind, richtet sich grundsätzlich nach den Verfahrensinstrumentarien des nationalen Rechts. Die aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen sind in praktische Konkordanz mit potenziell konfligierenden Bestandsschutzbelangen von Anlagenbetreibern sowie Vorhabenträgern zu bringen. 8. Bestandsschutzbelangen lässt sich mit Blick auf die im Zulassungsvollzug fortlaufend beachtlichen Verbote der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG auch über die Möglichkeit einer nachträglichen Ausnahmezulassung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses nach § 33 Abs. 1 S. 1 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG sowie § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG Rechnung tragen. Die Ausnahmezulassung ist dem Projektträger durch das Vorliegen einer bestandskräftigen Projektzulassung nicht garantiert, so doch im Vergleich zu der Situation einer Ausnahmeerteilung im Zulassungsverfahren zumindest erleichtert. a) Als zwingende Gründe des öffentlichen Interesses i. S. d. § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 1 bzw. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG fallen beim Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung Gründe der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ins Gewicht. Streitet für den Fortbestand des Projekt ein zusätzliches öffentliches Interesse, kann regelmäßig von einem das Interesse an der Integrität des konkret betroffenen Natura 2000-Gebiets bzw. das Artenschutzinteresse überwiegenden öffentlichen Interesse am Fortbestand des zugelassenen Vorhabens ausgegangen werden. b) Das Vorliegen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung führt zu einer Absenkung des Zumutbarkeitsmaßstabs im Rahmen der nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG gebotenen Alternativenprüfung. c) Die nachträgliche Ausnahmezulassung erfolgt grundsätzlich durch die Naturschutzbehörde im Wege eines einfachen Verwaltungsverfahrens. d) Von einer Anwendbarkeit des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG ist auch im Falle einer Betroffenheit von europäischen Vogelarten auszugehen. 9. Im nationalen Recht besteht grundsätzlich ein hinreichendes Instrumentarium, um im Einzelfall den Vorgaben der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG gegenüber bestandskräftig zugelassenen immissionsschutzrechtlichen Anlagen sowie planfestgestellten Vorhaben zur Wirksamkeit zu verhelfen. Den aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats ist hinreichend Rechnung getragen. a) Soweit es um die Durchsetzung von Allgemeinwohlbelangen und damit auch der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG von Amts wegen geht, ist

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4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

ein Einschreiten gegenüber planfestgestellten Vorhaben auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich mittels derselben bestandsschutzbeschränkenden Instrumentarien zulässig wie bei immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen. b) Die allgemeinen Aufhebungsvorschriften nach §§ 48, 49 VwVfG, § 21 BImSchG bieten eine hinreichende Grundlage, um nachträglich erkannten Konflikten mit dem EU-Arten- und Habitatschutzrecht durch den Erlass nachträglicher Anordnungen sowie im äußersten Fall durch die vollständige oder teilweise Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. eines Planfeststellungsbeschlusses zu begegnen. Nachträgliche naturräumliche Veränderungen sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich über den Widerrufsgrund des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3 BImSchG erfassen. Rechtsänderungen, die nach dem Gebrauchmachen von der Zulassungsentscheidung eintreten, kann erforderlichenfalls über eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 VwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG Rechnung getragen werden. Bei Verstößen aufgrund einer bereits anfänglich bestehenden, jedoch fehlerhaft verkannten Konfliktlage kommt eine Rücknahme nach § 48 VwVfG in Betracht. c) Die Anordnungsbefugnisse des § 17 BImSchG sowie des § 75 Abs. 2 S. 2 VwVfG bieten für die Durchsetzung des EU-Arten- und Habitatschutzrechts keinen tauglichen Ansatzpunkt. d) Die Anordnungsbefugnis der Naturschutzbehörde nach § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG ist durch die Legalisierungswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bzw. des Planfeststellungsbeschlusses in zweierlei Hinsicht beschränkt. Vorhabenbezogene Anordnungen können zum einen nur auf eine gegenüber dem Zeitpunkt der Vorhabenzulassung veränderte Sach- oder Rechtslage gestützt werden. Nicht erfassen lassen sich Fälle, in denen arten- oder gebietsschutzrelevante Konflikte bereits im Zulassungszeitpunkt fehlerhaft verkannt wurden. Zum anderen lassen sich auf § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG gegenüber zugelassenen Tätigkeiten nur vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr stützen, mit denen keine dauerhafte Beschränkung oder Aufhebung der Gestattungswirkung der jeweiligen Zulassungsentscheidung verbunden ist. e) Nach Aufhebung der Genehmigung bietet für immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen § 20 Abs. 2 BImSchG eine Grundlage für eine Stilllegungs- und Beseitigungsanordnung. Bei planfeststellungsbedürftigen Vorhaben kommen nach vorheriger Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses entsprechende Anordnungen jedenfalls auf Grundlage des § 3 Abs. 2 HS 2 BNatSchG in Betracht, sofern sie der Durchsetzung der naturschutzrechtlichen Verbotstatbestände dienen.

4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

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10. Hinsichtlich der Einflüsse der aus FFH- und Vogelschutzrichtlinie erwachsenden Handlungsverpflichtungen des Mitgliedstaats auf die behördliche Ermessensausübung bedarf es einer Differenzierung zwischen solchen Maßnahmen, die die Gestattungswirkung einer bestehenden Zulassungsentscheidung aufheben oder nachträglich beschränken, und solchen, die die Gestattungswirkung weitestgehend unberührt lassen. a) Im Rahmen der Entscheidung über die (Teil-)Aufhebung einer Zulassungsentscheidung oder die nachträgliche (faktische) Beschränkung ihres Regelungsgehalts mittels nachträglicher Anordnung kann eine Reduzierung des Entschließungsermessens auf Null nicht ohne Weiteres allein aufgrund des unionsrechtlichen Hintergrundes der §§ 33 Abs. 1 S. 1, 44 Abs. 1 BNatSchG angenommen werden. b) Maßgeblichen Parameter für die im Rahmen des Entschließungsermessens zu treffende Abwägung zwischen den konfligierenden Belangen bietet die nachträgliche Ausnahmemöglichkeit von den Verbotsvorgaben des europäischen Arten- und Habitatschutzrechts nach § 33 Abs. 1 S. 2 i.V. m. § 34 Abs. 3–5 BNatSchG bzw. § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5, S. 2 BNatSchG. Liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ausnahmezulassung vor, erweisen sich bestandsschutzbeschränkende Maßnahmen regelmäßig als ermessensfehlerhaft. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, kann von einer nach nationalem Recht grundsätzlich möglichen bestandsschutzbeschränkenden Maßnahme in der Regel nur abgesehen werden, sofern andere geeignete Vermeidungs- oder Schutzmaßnahmen zur Sicherstellung des unionsrechtlich festgeschriebenen materiellen Schutzstandards bestehen. Berechtigten Vertrauensschutzinteressen des Vorhabenträgers lässt sich auf der Entschädigungsebene Rechnung tragen. c) Stehen vorläufige Maßnahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr oder eine Stilllegungs- und Beseitigungsanordnung infolge der vorherigen Aufhebung der Zulassungsentscheidung in Rede, ist regelmäßig von einer Reduktion des Entschließungsermessens auf Null auszugehen. Unberührt bleibt das behördliche Auswahlermessen hinsichtlich der im konkreten Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen. 11. Die Primär- und Sekundärpflichten des Umweltschadensrechts können Anlagenbetreiber und Vorhabenträger grundsätzlich auch für solche berufliche Tätigkeiten treffen, die sich im Rahmen einer bestandskräftigen Zulassungsentscheidung bewegen. Die Legalisierungswirkung von Anlagengenehmigungen und Planfeststellungsbeschlüssen wird durch die Pflichten nach §§ 4–6 USchadG sowie die behördlichen Anordnungsbefugnisse nach § 7 Abs. 2 USchadG beschränkt.

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4. Teil: Zusammenfassung in Thesen

12. Aus einer wirksamen behördlichen Zulassungsentscheidung können sich in unterschiedlichem Umfang Schutzwirkungen gegenüber dem umweltschadensrechtlichen Haftungsregime ergeben. a) Für Biodiversitätsschäden begründet die Enthaftungsklausel des § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG eine beschränkte Legalisierungswirkung. Eine Freistellung von einer umweltschadensrechtlichen Verantwortlichkeit kommt zumindest für solche Auswirkungen in Betracht, die im Zulassungsverfahren konkret vorhergesehen und von der Behörde „sehenden Auges“ zugelassen wurden, sofern die zugrunde liegende Umweltprüfung an keinen schwerwiegenden Mängeln leidet. Nicht erfasst sind insbesondere Störfälle sowie Umweltschäden, die sich infolge einer späteren Änderung der Sach- oder Rechtslage einstellen. Selbst umfangreiche, über die Zulassungsanforderungen hinausgehende naturschutzfachliche und -rechtliche Untersuchungen im Vorfeld vermögen dem Vorhabenträger die Enthaftung nach § 19 Abs. 1 S. 2 BNatSchG nicht zu garantieren. b) Für sonstige, nicht in der Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz angeführte berufliche Tätigkeiten – und damit der Mehrzahl planfeststellungs- sowie immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Tätigkeiten – bietet das Verschuldenserfordernis in § 3 Abs. 1 Nr. 2 USchadG einen Ansatzpunkt, um dem schutzwürdigen Vertrauen des Verantwortlichen auf den Regelungsgehalt einer Zulassungsentscheidung einzelfallbezogen Rechnung zu tragen. c) Für berufliche Tätigkeiten i. S. d. Anlage 1 zum Umweltschadensgesetz entfaltet eine behördliche Zulassungsentscheidung mit Blick auf die Schutzgüter Boden und Gewässer zumindest faktisch eine Schutzwirkung dadurch, dass eine zulassungskonforme berufliche Tätigkeit in der Regel keine „erheblichen nachteiligen Auswirkungen“ auf das Schutzgut Gewässer i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. b USchadG i.V. m. § 90 WHG oder Beeinträchtigungen der Bodenfunktionen, die „Gefahren für die menschliche Gesundheit“ i. S. d. § 2 Nr. 1 lit. c USchadG begründen, verursachen wird. 13. Das Bestehen von Vermeidungs- und Sanierungspflichten nach dem Umweltschadensrecht hat nicht die unmittelbare Unwirksamkeit der Gestattungswirkung einer behördlichen Zulassungsentscheidung zur Folge. Ihre Durchsetzung bedarf einer vorherigen Aufhebung bzw. Abänderung eines seinem Regelungsgehalt nach konfligierenden Zulassungsaktes. Eingriffe in den Kernbereich einer Zulassungsentscheidung sind auf Grundlage des § 7 Abs. 2 USchadG unzulässig.

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Stichwortverzeichnis Absicht 65, 186 f., 201 ff., 214, 376 Abwägung 31, 58, 83, 91, 119, 138 ff., 167, 168 ff., 173 ff., 178, 182, 190, 216, 218, 225, 227, 229, 234, 237, 250, 255 ff., 261, 278, 281 ff., 301, 315, 351 f., 379 Allgemeines Verschlechterungsverbot aus Art. 6 Abs. 2 FFH-RL 69 ff., 122 ff., 134 ff., 154, 158 ff., 182, 187, 231, 255 f., 300, 309, 375 f. Altfälle 25, 72 ff. Artenschutzrechtliche Schutzmaßnahmen 200 ff., 213 ff., 251, 255, 257, 302, 310, 317, 376 f., 379 Artenschutzrechtliche Verbotstatbestände – Prüfungsmaßstab im Zulassungsverfahren 67 – Signifikanzansatz 194 f., 198, 297 – Zurechnung 193 ff. Ausnahme – Alternativenprüfung 64, 67, 83, 91 f., 167, 171 ff., 225 f., 256, 337 – Artenschutzrecht 58, 64, 66, 67, 183, 188 f., 207 f., 217 ff., 247, 249, 253, 256 ff., 301, 305 f., 315, 317 f., 341 f., 345, 352, 376, 377, 379 – Habitatschutzrecht 58, 59, 63 f., 79 ff., 85, 89, 105, 106 f., 110, 121, 133, 150, 151 f., 161 ff., 183, 247, 249, 253, 256 ff., 301, 305 f., 315, 317 f., 341 f., 345, 375 f., 377, 379 – Trägerverfahren 180 f., 228 – Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses 64, 67, 83, 164 ff., 181 f., 217 ff., 219 ff., 229, 345, 337

Befreiung 58, 182 ff., 342 Behördenzuständigkeit 151 f., 180 f., 228 f., 242 f., 258, 268, 276 f., 278 f., 281 ff., 371 Beseitigung 45, 174 f., 308 ff., 378 f. Bestandskraft 24 f., 38 f., 46, 49, 53 f., 108 ff., 117 ff., 132, 138 ff., 142 ff., 153, 166 ff., 169 f., 175 f., 181 f., 185 ff., 218 f., 225 f., 229 f., 233 ff., 241, 256 f., 262 f., 269 f., 277, 279, 282, 294 f., 300, 306, 314 f., 316, 332, 338, 373, 375 ff. Bindungswirkung – der Rspr. des EuGH 71 f. – wirksamer Verwaltungsakte 31, 32 ff., 40, 52 f., 152, 155, 287, 294 Biodiversitätsschaden 325, 335 ff., 346, 354, 361 f., 368, 373, 380 Dynamische Betreiberpflichten 43, 125, 231, 289 Effektivitätsgrundsatz 53 f., 56, 160, 255, 273, 296, 301 Eigentumsschutz 29 f., 31, 182 f. Enthaftungsklausel 323, 328, 335 ff., 373, 380 Entschädigung 157, 183, 251, 257 f., 258 f., 263, 291, 302, 315, 317, 371, 379 Ermessensentscheidung 86 f., 115 ff., 129, 131 ff., 150, 158 ff., 178, 213 ff., 226 f., 230, 251, 254 ff., 260, 262, 274, 297 ff., 307, 309 f., 313 f., 315, 317, 360, 372, 376, 379 – Auswahlermessen 260, 297, 302, 309 f., 314, 315, 372, 379 – Entschließungsermessen 254, 260, 297 ff., 309, 313, 372

396

Stichwortverzeichnis

Ex-ante-Verträglichkeitsprüfung siehe Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung Ex-post-Verträglichkeitsprüfung siehe Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung Fahrlässigkeit siehe Verschulden Feststellungswirkung 41 ff., 48 f., 55, 57, 58, 151 f., 155, 181, 286 ff., 307 f., 316, 374 FFH-Verträglichkeitsprüfung siehe Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung Genehmigungswirkung siehe Gestattungswirkung Gestattungswirkung 41 f., 47 f., 55, 154 ff., 178 ff., 199 f., 227, 248, 277, 286, 289, 290 ff., 299 ff., 302 ff., 314 f., 317, 369 f., 373, 375, 378 f., 380

Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung 59, 60 ff., 64, 67, 70, 75, 77 f., 82 f., 84 ff., 128 ff., 163, 169 f., 191, 219, 244, 247, 253, 260, 296, 298, 316, 341 ff., 346, 348 ff., 374 ff. – im Zulassungsverfahren/ex-ante 60 ff., 67, 70, 77 f., 103 ff. – nachträgliche/ex-post 59, 86 ff., 128 ff., 154 ff., 247, 253, 296 – Prüfungsmaßstab 67, 88, 95 ff. – Prüfungszeitpunkt 89, 94 f., 244 – Trägerverfahren 148 ff., 247 Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung 345 ff. Planänderung 49, 180 f., 228 f., 282 f., 306 f. Prognoseentscheidung 192, 244 f., 265 ff., 271

Hoheitsträger 32, 182, 238 ff., 284 f. Kohärenzsicherungsmaßnahmen 105, 107, 157, 243, 348 ff. Konzentrationswirkung 42 f., 47 f., 58, 152, 179, 180, 227 ff., 258, 268, 276, 278 f., 283, 305, 342, 365 Kostentragungspflicht 327 f., 330, 332 f. Kumulative Auswirkungen 98 ff., 146 Legalisierungswirkung 36, 151, 286 ff., 300, 307, 313, 317, 328, 329, 336 ff., 359, 364 ff., 367 ff., 370, 373, 375, 378, 379 f. Loyalitätsgebot 52 f., 118 f. Nachträgliche Veränderung – der Rechtslage 28, 152, 155, 179, 200, 243, 246, 253, 262, 266, 289, 290 f., 308, 314, 316 f., 337, 374 f., 378, 380 – der Sachlage 28, 152, 155, 179, 191, 198, 200, 243 f., 245 f., 250, 253, 262, 266, 289, 290 f., 308, 314, 316 f., 337 ff., 374 f., 378, 380

Rechtmäßigkeit 36, 53, 119, 138 f., 155, 188, 243 ff., 259, 287, 359, 363 Rechtssicherheit 31 f., 53 f., 73, 75, 108 f., 113, 117 ff., 138 f., 141, 156, 160, 166 ff., 169 f., 175, 182, 189 f., 216, 218 f., 221, 224 f., 229, 239, 251, 256 ff., 262, 299 f., 303, 315 ff., 335, 341, 375, 377 Sanierungspflicht/-maßnahmen 320 f., 326 f., 328 ff., 332 f., 334, 335, 344, 350, 360, 368, 369, 371 f., 380 Stilllegung 45, 127, 159, 174, 230, 299, 308 ff. Tatbestandswirkung 35 ff., 37, 41, 55, 58, 151 f., 286 Unanfechtbarkeit siehe Bestandskraft Unmittelbar zulassungsmodifizierende Wirkung 155 f. Unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung 51, 149

Stichwortverzeichnis Unwirksamkeit 154 ff., 159, 179, 199 f., 215, 239, 261, 291, 313, 317, 353, 369, 375, 380 Verhältnismäßigkeit/Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 103, 114, 133, 142, 156, 168, 173, 183 f., 216, 221, 224, 235, 240, 248, 254, 256, 260, 295, 302 f., 309, 338, 372 Vermeidungsmaßnahmen – habitatschutzrechtlich 78 ff., 115 ff., 129 f., 135 ff., 251, 255 ff., 302, 310, 317, 375, 379 – Naturschutzrechtlicher Eingriff 348 f.

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– Umweltschadensrecht 320, 326 f., 329 f., 333, 335, 342 ff., 368, 369 ff., 373, 380 Verschulden 354 ff. Vertrauensschutz 31 f., 53 f., 73, 75 f., 109, 113, 117 f., 120 f., 138 ff., 142, 153, 155 f., 160, 166 f., 168 ff., 175 f., 182, 189 f., 214, 216, 218 f., 221, 224 f., 229, 239, 250 f., 256 ff., 262 f., 299 f., 303, 315, 317 f., 335, 338, 341, 360, 375 ff., 379 Vorsatz siehe Verschulden Wesentliche Änderung einer Anlage 181, 282, 304 ff., 371