Reif für die Ewigkeit: Kierkegaard und das Lachen der Götter 9783495825037, 9783495491652

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Reif für die Ewigkeit: Kierkegaard und das Lachen der Götter
 9783495825037, 9783495491652

Table of contents :
Inhalt
Prolog: Er oder Ich
Bis zur Unsichtbarkeit entfernt
Nicht Schuldig. Schuldig
Das still Erhebende
Ein Zeichen von Liebe
Um alles zu richten
Für den Erwerb von Schwierigkeiten
Selig vergewissert
Ein einzelner Schatten
Alles beim Alten
In Ferne und Verborgenheit
Ein unbekanntes Leiden
Manch ein Lächeln
Epilog: Der verwantwortliche Leiter
Ausgewählte Bibliographie
Werkausgaben
Biographien und Einführungen
Sekundärliteratur
Anmerkungen

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Otto A. Böhmer

Reif für die Ewigkeit Kierkegaard und das Lachen der Götter

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495825037

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B

Otto A. Böhmer Reif für die Ewigkeit Vom Nutzen und Nachteil der Selbstfindung

Philosophie_erzählt

A

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Otto A. Böhmer

Reif für die Ewigkeit Vom Nutzen und Nachteil der Selbstfindung

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Otto A. Böhmer Ripe for Eternity On the benefits and drawbacks of self-discovery Otto A. Böhmer tells of the life and work of Sören Kierkegaard (1813–1855), who, as Ernst Bloch once remarked, was »one of the greatest joke-makers in high style that there has been«. Those who today, for whatever reason, no longer want to engage with Kierkegaard’s basic Christian conviction, can still learn from him – the art of self-discovery, for example, which he helped to raise to a level that is hardly reached by today’s seekers of meaning. Kierkegaard brought self-awareness to a level of knowledge that knows quiet despair as well as indescribable joy. »For the great thing is not to be this or that, but to be oneself; and every man can be that if he will.«

The Author: Otto A. Böhmer, born in 1949, holds a doctorate in philosophy and worked as an lector for several publishing houses (including Suhrkamp, Insel and Brockhaus). He is the author of very successful philosophical non-fiction books (including Sternstunden der Philosophie, Sofies Lexikon) and several novels (including Wenn die Eintracht spielt, Nächster Halt Himmelreich). Most recently, Alber published the philosophical novel Frei nach Schopenhauer and the book Brüder im Geiste. Heidegger meets Hölderlin.

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Otto A. Böhmer Reif für die Ewigkeit Vom Nutzen und Nachteil der Selbstfindung Otto A. Böhmer erzählt von Leben und Werk des Sören Kierkegaard (1813–1855), der, wie Ernst Bloch einmal anmerkte, einer »der größten Witzemacher im hohen Stil war, die es gegeben hat«. Wer sich heute, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr auf Kierkegaards christliche Grundüberzeugung einlassen möchte, kann dennoch von ihm lernen – die Kunst der Selbstfindung beispielsweise, der er auf ein Niveau verholfen hat, das von heutigen Sinnsuchern kaum mehr erreicht wird. Kierkegaard hat die Selbsterfahrung auf einen Erkenntnisstand gebracht, der die stille Verzweiflung ebenso kennt wie die unbeschreibliche Freude. »Denn das Große ist nicht, dieser oder jener zu sein, sondern man selbst zu sein; und das kann jeder Mensch sein, wenn er will.«

Der Autor: Otto A. Böhmer, Jahrgang 1949, ist promovierter Philosoph und war von 1977 bis 1986 als Lektor für mehrere Verlage (u. a. Suhrkamp, Insel und Brockhaus) tätig. Er ist Autor sehr erfolgreicher philosophischer Sachbücher (u. a. Sternstunden der Philosophie, Sofies Lexikon) und mehrerer Romane (u. a. Wenn die Eintracht spielt, Nächster Halt Himmelreich). Zuletzt erschienen bei Alber der philosophische Roman Frei nach Schopenhauer und das Buch Brüder im Geiste. Heidegger trifft Hölderlin.

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2021 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Umschlagmotiv: Karikatur aus dem dänischen Satireblatt Corsaren (1847) mit dem Titel »Alles dreht sich um S.K.« (wikipedia commons) Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49165-2 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82503-7

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Für Christel und Mareike

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Inhalt

Prolog Er oder Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bis zur Unsichtbarkeit entfernt . . . . . . . . . . . . . .

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Nicht schuldig. Schuldig . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Das still Erhebende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Ein Zeichen von Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Um alles zu richten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Für den Erwerb von Schwierigkeiten . . . . . . . . . .

53

Selig vergewissert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Ein einzelner Schatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Alles beim Alten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

In Ferne und Verborgenheit

. . . . . . . . . . . . . . .

85

Ein unbekanntes Leiden . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Manch ein Lächeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Epilog Der verantwortliche Leiter . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Ausgewählte Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . 121

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»Indem es es selbst sein will, gründet das Selbst durchsichtig in der Macht, die es gesetzt hat« Kierkegaard

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Prolog Er oder Ich

Was uns umtreibt, ist nicht die bloße Ruhelosigkeit, ist nicht nur das Ungenügen, das wir an der Welt empfinden, sondern das Wissen von uns selbst. Es spricht uns zu, unaufhörlich; auch im Schlaf gibt es keine Ruhe und durchzieht uns mit Träumen, die manchmal den Tag über noch anhalten. Wir leben, und wir wissen, daß wir leben. Das ist das Problem, das wir haben, und die Zumutung, mit der wir umzugehen lernen, ohne sie in ihrem Grund begreifen zu können. Das Bewusstsein macht jeden Einzelnen von uns, macht jedes kleine Ich zu einem Problemfall, an dem Selbsttherapie zu üben ist. Man kann dabei fündig werden, für überraschende, glückliche Momente; eine Beschäftigung, die auf Solidität und auf Dauer angelegt ist, läßt sich daraus nicht gewinnen. Das Bewußtsein, das uns als Begleiter gegeben wurde, werden wir nicht los, was auch bedeutet, daß wir von unserem Dasein wie aus einer Geschichte erfahren, die wir uns ständig neu erzählen müssen – selbstredende Mutmaßungen über eine Existenz, die sich vermutlich nur abstellen läßt, wenn das kleine Ich jenen großen Schritt wagt, der als Ausweg gilt, ohne daß mit ihm eine Resultats- oder gar Erlösungsgarantie gegeben werden könnte: Die eigenmächtige Beförderung vom Leben zum Tode. Das Ich, mit dem wir umgehen, mag Bedeutendes leisten – gemessen an seiner natürlichen Ausstattung ist und bleibt es kleinlich bis klein. Das Wissen, das es erwirbt, hält sich am Leben durch den produktiven Gegensatz von Subjekt und Objekt, den es auszuhalten gilt, will man der zulässigen Wahrheit nicht mehr auferlegen, als sie zu leisten imstande ist. Für den Menschen erweist sich sein Bewußtsein als ein Überraschungen aufbietendes Geschenk, das zwiespältige Gefühle hinterläßt: Zum einen eröffnet es ihm den Zugang zur Welt, zum andern macht es ihm deutlich, daß er von den Gegenständen seines Wissens 13 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Prolog

getrennt bleiben wird. Das Ich arbeitet sich an einem lebenslangen Suchspiel ab, das einer Identität gilt, die nicht herzustellen ist. So erweist sich das wackere und durchaus berechtigte Bestreben, zu sich selbst zu finden, letztlich als zweifelhaftes Vergnügen, mit dem man die Zeit hinbringen kann; am Ende hat die Selbsterfahrung jedoch ihre Bestimmung nicht im Gelingen, sondern im Ungenügen: Das kleine Ich trägt dem Rechnung, es ergeht sich in der fortwährenden Arbeit seines Bewußtseins und nimmt dafür existentielle Erschöpfung in Kauf. Wirkliche Selbstfindung, das heißt Ankunft und Heimkehr in sich selbst, wird dem Ich nur selten gewährt; eher schon Glücksmomente, Ahnungen, Einsichten, welche eine wunderbar-trügerische Besinnung erlauben, die uns wichtig sein sollte – läßt sie doch im bedachten Augenblick aufscheinen, was, unter dem unendlichen Himmel, das Gewährende und das Menschenmögliche ist. Obwohl sich Selbstfindung als ein nicht ganz unproblematischer Zeitvertreib erweist und keine Garantien bietet, erfreut sie sich nach wie vor großer Beliebtheit. Sich selbst zu finden gilt als erstrebenswert, wobei der Weg dahin interessanter ist als die Ankunft am Zielort. Dort nämlich geht es eher langweilig zu; ein Mensch, der sich gefunden zu haben glaubt, hat nicht mehr viel zu erzählen und ruht lieber in sich selbst. Zudem erliegt er dem produktiven Irrtum, dass mit geglückter Selbstfindung seine Sache entschieden ist. In Wahrheit jedoch wird sie an die nächsthöhere Instanz überwiesen, die sich über alle Befangenheitsanträge erhaben zeigt. In ihrem Tagesgeschäft erweist sich Selbstfindung als eher freudlose Veranstaltung; sie muß mit Wiederholungen auskommen und wirtschaftet in fremdem Auftrag. Das Ich nämlich, um das es geht, ist nicht von sich aus da; es steht im Dienst einer Macht, die sich am liebsten bedeckt hält. Man kann diese Macht, wie es der Philosoph Kierkegaard getan hat, von dem in unserem Buch die Rede ist, Gott nennen, man kann sie aber auch einfach nur als Geheimnis nehmen, das unser Leben trägt, ohne sich wirklich offenbaren zu müssen. Das ist gut so, denn wüssten wir alles, vor allem den Grund unseres Daseins, hinter dem letztlich ein Anderer steht, der nicht erkannt werden will, wäre unser Weltbild-Apparat, der auf Be14 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Prolog

rechenbarkeit setzt, heillos überfordert und müsste den Geist aufgeben. Es gibt demnach zwei Arten der Selbstfindung. Die eine ist weitverbreitet und dient der Therapie am unglücklichen Bewusstsein, das in so vielen Köpfen lagert. Das Ich, das dabei befragt wird, ist auskunftsfreudig, hat aber wenig zu sagen, denn es neigt dazu, sich zu überschätzen und den eigentlichen Grund, warum es überhaupt da ist, außer acht zu lassen. Die andere Art der Selbstfindung scheint eher ein Minderheitenvergnügen zu sein; sie setzt tiefer an und fragt, wer das Selbst, das da sucht und findet, überhaupt erst ermöglicht hat. Für Kierkegaard gibt es darauf nur eine Antwort: Es ist Gott, der hinter allem steht; er kommt zum Vorschein, wenn das Ich sich durchschaut hat und begreift, dass es im Normalbetrieb zwar ganz bei sich selbst sein kann, in Erst- und Letztbegründung jedoch an einer Urheberschaft hängt, die sich der Einsichtnahme entzieht. Selbstfindung verlangt eine Entscheidung: Genügt mir mein Ich, oder öffne ich mich für das Umgreifende (Karl Jaspers), das von weit her kommt und keinen Namen braucht, um anwesend zu sein: »Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der Ich-bin-da.« (Exodus 3, 13) Der Weg der Selbstfindung, den Kierkegaard einschlägt, lässt sich nur »auf die beschwerliche Weise« gehen; er ist von Zweifeln nicht frei, kennt auch die Verzweiflung, hat aber die Gewissheit für sich, dass es einen Gott gibt, der am Anfang und Ende unserer Erkenntnisbemühungen steht. Für uns ist diese Gewissheit nicht mehr zustimmungspflichtig; es geht anscheinend auch ohne Gott, der allerdings schon so viel ausgestanden hat, dass er sich um die Argumente seiner Verächter nicht mehr kümmern muß. Ob mit oder ohne Gott: Selbstfindung kann allen Einreden zum Trotz noch immer lohnend sein, besonders dann, wenn sie sich in ihren Ursprung zurückwendet und eine Ahnung davon bekommt, dass für das kleine Ich eine Pflegschaft übernommen wurde, die bis auf weiteres anonym bleibt und nicht aufkündbar ist.

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Prolog

Die folgende Zeittafel zu Kierkegaards Leben 1 zeugt von seiner ungeheuren Schreibkraft und bietet die Möglichkeit, sich beim Lesen an Kierkegaards Lebenslauf auszurichten. Zudem sind nach der Zeittafel wie auch nach jedem Kapitel ausgewählte Zitate Kierkegaards zu lesen. Sie illustrieren seine emotionalen Berg- und Talfahrten wie auch seine philosophischen Überlegungen und Kämpfe. 1756 Michael Pedersen Kierkegaard, der Vater des Philosophen, in Saeding in Jütland geboren. 1768 Kierkegaards Mutter geboren. 1797 Heirat der Eltern Kierkegaards. 1813 5. Mai. Sören Aabye Kierkegaard als jüngstes von sieben Kindern in Kopenhagen geboren. 1830 Der junge Kierkegaard als Student an der Universität immatrikuliert. 1834 Tod der Mutter. 1837 Er lernt Regine Olsen kennen. 1838 Tod des Vaters. 1840 3. Juli. Kierkegaard legt seine theologische Staatsprüfung ab. 10 September. Er verlobt sich mit Regine Olsen. 1841 Doktorarbeit: Der Begriff der Ironie mit ständiger Beziehung auf Sokrates. 11. Oktober. Kierkegaard löst seine Verlobung mit Regine Olsen. 25. Oktober. Kierkegaard verlässt Dänemark und reist nach Berlin, wo er den Winter verbringt. 1842 6. März. Rückkehr nach Dänemark. 1843 Im Laufe der nächsten zwölf Jahre erscheinen in ununterbrochener Folge die Bücher Kierkegaards. In diesem Jahr werden veröffentlicht: Entweder – Oder (von Victor Eremita); Furcht und Beben (von Johannes de Silentio); Die Wiederholung (von Constantin Constantius). 1844 Philosophische Brocken oder ein Bröckchen Philosophie (von Johannes Climacus); Der Begriff der Angst (von Vigilius Haufniensis).

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Prolog

1845 Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten; Stadien auf dem Weg des Lebens (von Hilarius Buchbinder); Achtzehn erbauliche Reden. 1846 Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken; Eine literarische Anzeige. Fehde mit dem »Corsar«. 1847 Buch über Adler (postum ediert); Erbauliche Reden in verschiedenem Geist; Taten der Liebe. Regine Olsen heiratet Fritz Schlegel. 1848 Christliche Reden. 1849 Zwei kleine ethisch-religiöse Abhandlungen (von H. H.); Die Krankheit zum Tode (von Anti-Climacus); Reden; Der Gesichtspunkt für meine schriftstellerische Tätigkeit (postum veröffentlicht.). 1850 Einübung in Christentum (von Anti-Climacus). 1851 Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen. 1852 Urteilt selbst! (postum erschienen). 1854 30. Januar. Tod des Bischofs Mynster. 18. Dezember. Kierkegaards Angriff: War Bischof Mynster ein Wahrheitszeuge? 1855 Der Kampf gegen die dänische Kirche wird fortgeführt. Mai bis September. Das Flugblatt Der Augenblick erscheint. 2. Oktober. Kierkegaard ins Frederik-Hospital eingeliefert. 11. November. Sören Kierkegaards Tod.

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Prolog

»Onkel Sören verkehrte in seinen Knabenjahren regelmäßig im Hause Agerskov; er war von zartem, schmächtigen Aussehen, lief in einem rotkohlfarbenen Rock herum und wurde von seinem Vater gewöhnlich mit ›Gabel‹ betitelt auf Grund der früh entwickelten Neigung zu satirischen Bemerkungen. Dort geschah es auch, daß er von einem Baum herunterfiel und einen solchen Stoß in den Rücken bekam, daß er diesem zum mindesten selber große Bedeutung beilegte für sein späteres Befinden und damit im Grunde für sein ganzes Leben, als erstes Glied vielleicht in der Kette von Schmerzen, die ihn zu seinen einsamen Wegen führen sollten. Er hat mir selber einmal erzählt, wie die alte Madame Agerskov bei der Gelegenheit ihm imponiert hatte, indem sie in ihrer besonnenen Art innerlich betrübt gesagt hatte: ›Liebes Kind, wirst du mir je im Leben eine so große Freude machen, wie du mir heute Sorge gemacht hast?‹« Henriette Lund 2

»Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es gleichfalls bereuen; heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen; entweder du heiratest oder du heiratest nicht, du bereust beides. Lache über die Narrheit der Welt, du wirst es bereuen; wein über sie, du wirst es gleichfalls bereuen; lach über die Narrheit der Welt oder wein über sie, du wirst beides bereuen; entweder du lachst über die Narrheit der Welt oder du weinst über sie, du bereust beides. Trau einem Mädchen, du wirst es bereuen; trau ihr nicht, du wirst es gleichfalls bereuen; trau einem Mädchen oder trau ihm nicht, du wirst beides bereuen; entweder du traust einem Mädchen oder du traust ihr nicht, du wirst beides bereuen. Hänge dich auf, du wirst es bereuen; hänge dich nicht auf, du wirst es gleichfalls bereuen; hänge dich auf oder hänge dich nicht auf, du wirst beides bereuen; entweder du hängst dich auf oder du hängst dich nicht auf, du wirst beides bereuen. Dies, meine Herren, ist aller Lebensweisheit Inbegriff«. Kierkegaard 3

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Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

Was der dänische Philosoph, Dichter und Theologe Sören Kierkegaard, der am 5. Mai 1813 in Kopenhagen geboren wird und dort am 11. November 1855 stirbt, seinen Zeitgenossen sagen will, von denen er sich zu Lebzeiten durchweg missverstanden fühlt, ist ein Glaubensbekenntnis der eigenen Art. Es ruft zu einer Scharfsinnigkeit auf, die das Komplizierte einfach macht und das Einfache einschneidend vertrackt. Es mißtraut der gewohnten Sichtbarkeit der Dinge, der vordergründigen Welt der Erscheinungen und Symbole. In der ist Gott nicht zu entdecken – besonders dann nicht, wenn man mit trübe spähendem Blick nur auf das Gewöhnliche stiert, auf jene von Menschen zugerichtete Welt, die inzwischen einem künstlichen Produkt gleicht. Nicht im stumpfen, auf alle Köpfe gelegten Gewohnheitsrecht kann man Gott für sich entdecken, sondern in der ergreifenden Einsamkeit der Existenz – dort, wo der Mensch nur noch sich selbst hat und die Frage stellen muß nach dem wahren Grund des ihn angehenden Seins. Daß diese Frage erschütternd ist und ein ganzes Leben bestimmen kann, war für Kierkegaard unmittelbar einsichtig. »Ist Gott«, fragt er, »nicht so unbemerkbar, so verborgen in seinem Werk vorhanden, daß ein Mensch wohl sehr gut so dahinleben, heiraten, geachtet und angesehen sein könnte als Mann, Vater und Schützenkönig, ohne Gott in seinem Werk zu entdecken, ohne ein einziges Mal so recht einen Eindruck von der Unendlichkeit des Ethischen zu bekommen, weil er sich mit einer Analogie zu der spekulativen Verwechslung des Ethischen und des Weltgeschichtlichen half, indem er sich mit Sitte und Brauch in der Stadt half, in der er lebte? Wie eine Mutter ihr Kind ermahnt, wenn es zu einer Gesellschaft gehen soll: ›Schick dich gut und benimm dich so, wie du es von anderen artigen Kindern siehst‹, so könnte auch er dahinleben und sich benehmen, wie er es von den anderen sieht«. Um zu 19 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

Gott zu finden, muß man etwas riskieren, es hilft nicht, auf andere zu schielen: »Bei außerordentlichen Gelegenheiten würde er sich so benehmen wie einer, der, wenn in einer Gesellschaft ein Gericht aufgetragen wird, nicht weiß, wie gegessen werden muß, und nun umherspäht, bis er es den anderen absieht. So einer könnte vielleicht viel, vielleicht könnte er auch das ganze System auswendig wissen, vielleicht könnte er in einem christlichen Lande leben, könnte wissen, wie man sich bei Nennung von Gottes Namen verbeugt, […] und trotzdem wäre er um das unmittelbare Verhältnis zur Wahrheit, zum Ethischen und zu Gott betrogen […] Könnte Gott« nämlich »ein unmittelbares Verhältnis zulassen, so wäre der Gesellschafter auf Gott gewiß aufmerksam geworden.« Wer den unsichtbaren Gott sehen will, darf nicht mit einer pompösen Ankunft rechnen oder nach Auffälligkeiten Ausschau halten, die zur schlagenden Einsicht werden. »Wenn Gott also die Gestalt eines seltenen, ungeheuer großen Vogels mit rotem Schnabel annähme, auf der städtischen Umwallung oben auf einem Baum säße und vielleicht auf ungewöhnlicher Weise pfiffe, so würde der Gesellschafter gewiß die Augen aufmachen; dann wäre er zum ersten Mal in seinem Leben imstande, der erste zu sein. Hierin liegt ganzes Heidentum, daß Gott sich zu dem Menschen unmittelbar verhält wie das Auffallende zu dem verwunderten Menschen.« Gott aber ist nicht auffällig, sondern in geradezu listiger Weise unauffällig: Er drängt sich nicht auf, sondern will entdeckt werden. Dann lässt er sich von seinen äußeren Lagerplätzen, die, steht zu vermuten, überall und nirgends sind, ins Innere des Menschen hereinbitten, wo er sich, wenn er die ihm angemessene Befragung erfährt, sogar auskunftsfreudig zeigt: »[…] das wahre geistige Verhältnis zu Gott, also die Innerlichkeit ist gerade in erster Linie durch den Durchbruch der Verinnerlichung bedingt, was der göttlichen Hinterlist entspricht, – ja, daß er vom Auffallendsten bis zur Unsichtbarkeit entfernt ist, so daß einem seine Anwesenheit gar nicht zu Bewußtsein kommt, während seine Unsichtbarkeit wiederum seine Allgegenwärtigkeit ist.« 4 Auch Kierkegaards eigene, äußerlich nicht gerade ereig20 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

nisreiche Biographie war von dieser Erkenntnis geprägt; sie führte vor, daß die Begegnung mit Gott kein sonntäglicher Pflichtbesuch ist, sondern ein immerwährender, schmerzhafteinsichtiger Wahrnehmungsprozeß, der den Einzelnen überwältigt und ohne Rücksicht auf Verluste an sich bindet. Die Einsamkeit der Existenz, für die man nicht alt werden muß, um sie in ganzen Härte zu spüren, bringt es mit sich, daß man beizeiten das Interesse an Ausreden und Entschuldigungen verliert. Die Existenz des Einzelnen hängt nicht an seinem Wohlbefinden, auch nicht an äußeren Erfolgen und den Meinungen der anderen; ihr Resonanzboden ist der Weltinnenraum (Rilke), in dem er seine Wahrheit suchen und finden muß. Daß eine solche Wahrheitssuche mehr sein sollte als das generöse Bemühen, die eigene Person zu verstehen, hatte Kierkegaard sich bereits als junger Mann klarzumachen versucht. Selbsterkenntnis, so glaubte er, funktioniert nicht um ihrer selbst willen, sondern sie findet ihren Grund nur, wenn sie auf den Beistand Gottes setzt. Ohne den Zuspruch Gottes betreibt der Einzelne, so klug er sich auch anstellen mag, bloße Bewußtseinsgymnastik; er kann sich zwar finden, wird aber an sich selbst keinen Halt haben, so daß ihm sein Ich immer wieder entgleitet. In einer Aufzeichnung des 22jährigen Studenten Sören Kierkegaard heißt es: »Das, was mir eigentlich fehlt, ist mit mir selbst ins reine zu kommen darüber, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll, außer, soweit ein Erkennen jedem Handeln vorausgehen muß. Was mir fehlt, war: Ein vollkommen menschliches Leben zu führen und nicht bloß eins der Erkenntnis, so daß ich dadurch dahin komme, meine Gedankenentwicklung nicht zu gründen auf etwas, das man objektiv nennt […], sondern auf etwas, das mit der tiefsten Wurzel meiner Existenz zusammenhängt, wodurch ich sozusagen in das Göttliche eingewachsen bin, fest darin hange, wenn auch die ganze Welt einstürzt […]. Auf dieses innere Handeln des Menschen, diese Gottesseite des Menschen, kommt es gerade an, nicht auf eine Masse von Erkenntnissen, denn die werden schon folgen«. 5 Drei Jahre später, am 11. August 1838, stirbt Michael Pedersen Kierkegaard, wohlhabender Handelsmann und Vater des 21 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

Theologiestudenten Sören Kierkegaard, im Alter von 81 Jahren. Der Sohn sieht sich nun leibhaftig mit einem Leid konfrontiert, über das er zuvor nur intensiv nachgedacht hat. Leid, so muß er feststellen, wird erst einschneidend, wenn es sich aus seiner Anonymität an den einzelnen Menschen verschenkt, der allein bleibt mit seinem Schmerz. Kein tröstenden Worte, keine gutgemeinten Ratschläge können da helfen, denn das Leid ist notwendig – es führt das Sterben als Exempel, als Gewinn- und Verlust-Rechnung vor, die auf Erden nicht aufgehen kann. In seinem Tagebuch notiert Kierkegaard: »Mein Vater starb Mittwoch nachts um zwei Uhr. Ich hatte den innigen Wunsch gehabt, daß er noch ein paar Jahre leben würde, und ich betrachte seinen Tod als das letzte Opfer, das er seiner Liebe zu mir gebracht hat. Denn er ist nicht von mir gegangen, sondern für mich dahingegangen, damit, wenn möglich, noch etwas aus mir werden könnte.« 6 Kierkegaard fühlt sich verpflichtet, dem Vater in einem Akt nacheilenden Gehorsams dessen innigsten Wunsch zu erfüllen, der darin bestand, den jüngsten Sohn mit einem theologischen Examen bekränzt zu sehen. Er konstruiert daraus eine Verpflichtung, der unbedingt nachzugehen war: Kierkegaard wird vorübergehend fleißig, wirft sich auf sein Studium und bringt es in vergleichsweise kurzer Zeit zum erfolgreichen Ende. Seinem Vater, zu dem er zeitlebens ein zwiespältiges, von abgründiger Zuneigung, aber auch von Distanziertheit geprägtes Verhältnis gepflegt hatte, ist damit postum ein letzter Liebesdienst erwiesen. Von nun an wird der Vater zum Übervater: Kierkegaard befördert ihn zur literarischen Figur, an der er unter anderem auch die weltanschaulichen Muster vorführen konnte, die den Sohn – im Verlauf einer Erziehung, die ihm als Etüde heiteren Ernstnehmens in Erinnerung bleibt – entscheidend prägen sollten. In einer Schrift mit dem Titel Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est (Alles darf bezweifelt werden) beschreibt der damals dreißigjährige Sören Kierkegaard, der hinter dem Pseudonym Johannes Climacus Deckung bezieht, eine Kindheit, in der das Spiel der Worte und Gedanken zum Vorspiel für eine Wahrheitssuche wird, die nur intern, 22 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

nicht auf dem von der Wissenschaft überwachten Erkenntnisterrain fündig wird: »Mit einer allmächtigen Phantasie verband der Vater eine unwiderstehliche Dialektik. Wenn er bei irgendeiner Gelegenheit […] sich auf ein Wortgefecht mit einem anderen einließ, dann war Johannes ganz Ohr, und dies um so mehr, als alles in einer beinahe festlichen Ordnung vor sich ging. Der Vater ließ den Gegner erst ganz ausreden, fragte ihn vorsichtshalber, ob er noch mehr zu sagen habe, bevor er mit seiner Entgegnung begann […]. Die Pause trat ein, die Aussage des Vaters folgte, und siehe! im Handumdrehen war alles anders.« Der alte Kierkegaard, ein erfolgreicher Handelsmann, kein beleser Akademiker, erweist sich als versierter Hausphilosoph, der seinen Spaß daran hat, eine Argumentation aus Widersprüchen zu errichten, in der die Wahrheit erst unscheinbar wird, dann vorübergehend sogar verschwindet, um auf nächsthöherer Bestimmungsebene frisch gestärkt und neu errichtet wieder zum Vorschein zu kommen: »Wie das zuging, blieb Johannes ein Rätsel, aber seine Seele ergötzte sich an diesem Schauspiel. Der Gegner sprach von neuem, Johannes war noch aufmerksamer, um alles richtig zu behalten […]. Im Nu war wieder alles umgekehrt, das Erklärliche unerklärlich gemacht, das Gewisse zweifelhaft, das Gegenteil einleuchtend«. Die Wahrheit erweist sich als Sekundenvergnügen, hinterlässt jedoch tiefgreifende Wirkung, die solange auf Wiedervorlage bleibt, bis sie in verändertem Situationszusammenhang erneut aufgerufen wird. Für Kierkegaard junior bleibt von den frühen Disputationen, in denen seinen Vater unaufdringlich-freundlich den Ton angab, ein nachhaltiges, insgesamt wohliges Erinnern, das stärker war als jedes zwischenzeitliche Vergessen: »Johannes vergaß das Gesagte wieder, sowohl was der Vater, wie das, was der Gegner gesagt hatte, aber diesen Schauer in der Seele vergaß er nicht […]. Je älter er wurde, je mehr der Vater sich mit ihm einließ, um so mehr achtete er auf jenes Unbegreifliche; es war, als stehe der Vater in einem geheimen Einvernehmen mit dem, was Johannes sagen wollte, und könne ihm daher mit einem einzigen Wort alles verwirren«. Kierkegaard lernt von seinem Vater, so sieht er es im Nachhinein und sicher nicht ohne Idealisierung, eine 23 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

Grundschulung im zugespitzten Denken, das ihm gerade auch in der Rückschau verführererischer erscheint als alle Spiele und die damit einhergehende Bekämpfung der Langeweile: »Was andere Kinder im Zauber der Poesie und der Überraschung des Märchens besitzen, das besaß Johannes in der Ruhe der Intuition und den Changements der Dialektik. Es erfreute das Kind, es wurde das Spiel des Knaben, es wurde die Lust des Jünglings. Auf diese Weise hatte sein Leben eine einzigartige Kontinuität; es kannte nicht die verschiedenen Übergänge, die sonst die einzelnen Zeitabschnitte zu bezeichnen pflegen.« Kierkegaards Kindheit scheint somit eine unangestrengte Einübung in die Ernsthaftigkeit gewesen zu sein. Ist sie erreicht, gibt es nicht viel zurückzuholen; der Sprung ins oft verbissen anmutende Erwachsenendasein erfolgt übergangslos, von nun an gibt es kein Nachlassen und Nachgeben mehr: »Als Johannes älter wurde, hatte er kein Spielzeug fortzulegen; denn er hatte gelernt, mit dem zu spielen, was die ernsthafte Beschäftigung seines Lebens werden sollte und dennoch dadurch keineswegs das Verlockende eingebüßt hatte. Ein Mädchen spielt so lange mit der Puppe, bis diese sich zuletzt in den Geliebten verwandelt; denn das ganze Leben der Frau ist Liebe. Eine ähnliche Kontinuität hatte sein Leben; denn sein ganzes Leben war Denken.« 7 Ein von der dänischen Staatskirche überwachtes Theologiestudium zu absolvieren und erfolgreich abzuschließen, fiel Kierkegaard nicht leicht. Schon früh war er von einem tiefen Widerwillen gegen das offizielle Christentum erfaßt worden, in dem er freche Routine am Werk sah, Dienst nach Vorschrift, ein Sich-Fügen in die Gottesbotschaft, das mehr auf Bequemlichkeit und Absicherung aus war als auf ein wirkliches Annehmen der Bodenlosigkeit, in der sich das Leben jedes einzelnen Menschen entfaltet. Kierkegaard steigert sich stetig; seine Kritik an den Gottesbeamten der Staatskirche beginnt mit harmlosen Unfreundlichkeiten und breitet schließlich ein ganzes Kaleidoskop von Bosheiten aus, die wohl ein Ziel, aber kein Maß mehr kennen. In seiner Kampfschrift Der Augenblick, die Kierkegaard 1855, ein halbes Jahr vor seinem Tod, herausgibt, straft er seine liebsten Feinde ab, die ihn allerdings ärgerlicherweise gar nicht 24 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Bis zur Unsichtbarkeit entfernt

recht zur Kenntnis nehmen: »Hüte dich vor den Pfarrern! Zum Christsein gehört es, für die Lehre gelitten zu haben. Und glaube mir, so wahr ich Sören Kierkegaard heiße, Du kriegst keinen beamteten Pfarrer dazu, das zu sagen, und das ist nur natürlich, denn es hieße für ihn, sich selber umbringen; im gleichen Augenblick, wo gesagt würde, es werde sogar vom gewöhnlichen Christen verlangt, für die Lehre gelitten zu haben, im gleichen Augenblick wäre die ganze Maschinerie mit den 1000 Pfründen und Beamten durcheinandergebracht, wären all diese 1000 Pfründe bloßgestellt. Deshalb kriegst du keinen beamteten Pfarrer dazu, das zu sagen«. Dem ist an sich nichts hinzufügen; da aber eine Reaktion ausbleibt, legt Kierkegaard nach und fährt noch stärkeres Geschütz auf. Er wagt sich an einen Vergleich, der jeden Berufschristen, dem Heidnisches schon mit Blick in die offiziell festgelegten Glaubenssatzungen zuwider ist, auf rechtschaffene Weise empören muß: »Der Kannibale macht es kurz: Wild springt er auf, bemächtigt sich seines Feindes, schlägt ihn tot, ißt ein wenig von ihm. Dann ist es vorbei. Er lebt dann wieder von seinen gewöhnlichen Nahrungsmitteln, bis wieder die Wildheit gegen seine Feinde über ihn kommt. Anders mit dem ›Pfarrer als Menschenfresser‹. Seine Menschenfresserei ist wohlbedacht, schlau angelegt, darauf berechnet, das ganze Leben mit nichts anderem zu bestreiten, und zwar so, daß dieser Lebensunterhalt einen Mann mit Familie dergestalt ernähren soll, daß es Jahr für Jahr mehr abwirft.« Was den Berufsstand angeht, der eigentlich dem gleichen Dienstherrn verpflichtet ist wie er selbst, urteilt Kierkegaard ausgesprochen ungnädig. Er sieht nur gut bezahlte Gemütsmenschen, die es sich bequem gemacht haben und keine Existenzkrisen in ihrem Hausstand dulden wollen: »Behaglich hat sich der Pfarrer auf seinem Landsitz eingerichtet, auch winkt die Aussicht auf Beförderung, seine Gattin ist die Behäbigkeit selber, und seine Kinder sind es nicht weniger. Und all das verdankt er: den Leiden der Herrlichen, dem Erlöser, dem Apostel, dem Wahrheitszeugen, davon lebt dieser Pfarrer, sie frißt er, mit ihnen füttert er in frohem Lebensgenuß sein Weib und seine Kinder. Er hat diese Herrlichen in der Pökeltonne.« 8 25 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Zur Lauheit eines so beschriebenen Christentums paßt der dazugehörige Zeitgeist, der sich in Selbstgefälligkeit ergeht: Die Menschen, meint Kierkegaard, zeigen sich fasziniert von ihrer eigenen Tüchtigkeit; überall herrscht Verständigkeit vor, die über Gott und die Welt nach den Maßstäben von Nutzen und Zweckmäßigkeit befindet. Die dazugehörige Leistungsbilanz, an welcher der Mensch geradezu besessen fortschreibt, mag eindrucksvoll sein, ist jedoch himmelweit entfernt von der Wahrheit: »Mit der wachsenden Verständigkeit nimmt eine gewisse Art von Menschenkenntnis zu, nämlich die Kenntnis, wie wir Menschen nun einmal sind oder wie wir es in diesen Zeiten sind, – ein naturwissenschaftlich-statistisches Wissen vom Zustand der menschlichen Sittlichkeit als Naturerzeugnis, erklärt aus der geographischen Lage, aus dem Klima, dem Wind, der Regenmenge, dem Wasserstand usw.« Dieses Wissen hat sich bis heute kontinuierlich vermehrt, es expandiert weiter, betreibt unzählige Dependancen und kennt kaum noch Alternativen. Wer dagegen aufbegehrt, gilt als weltfremd und verschroben. Dabei sind die Ergebnisse, die ein solches Wissen anzubieten hat, gar nicht mal sonderlich eindrucksvoll: »Ob wir Menschen von Geschlecht zu Geschlecht entarten, kümmert diese Menschenkenntnis überhaupt nicht. Sie gibt bloß genau an, wie wir sind, – sie gibt den Kurs und Marktpreis an, – um aus Klüglichkeit imstande zu sein, sich vorzusehen und die Menschen auszunutzen, ihr Glück zu machen und Vorteile in dieser Welt zu erringen oder um ihre eigene Erbärmlichkeit und Mittelmäßigkeit verteidigen und beschönigen zu können oder um mit einer Art guten Gewissens wissenschaftlich beargwöhnen zu dürfen, wenn zuweilen etwas Besseres zum Vorschein kommen sollte. Aber danach, wie wir Menschen sein sollten, und nach der Gottesforderung und nach den Idealen wird immer weniger gefragt, je mehr die Verständigkeit zunimmt.« 9

»Man muß sich begrenzen, dies ist eine Hauptbedingung alles Genusses. Es scheint nicht, als sollte ich gar so bald Aufklärung erhalten über das Mädchen, das meine Seele und all mein Den-

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ken dermaßen erfüllt, daß das Vermissen genährt wird. Ich will mich nun ganz ruhig verhalten; denn auch dieser Zustand, die dunkle unbestimmte, jedoch starke Rührung, hat seine Süße. Ich habe immer gern in einer mondklaren Nacht draußen auf dem einen oder andern unserer lieblichen Binnenseen in einem Boot gelegen. Ich ziehe dann die Segel ein, die Ruder ebenso, nehme das Steuer heraus, strecke mich, so lang ich bin, und schaue empor in des Himmels Wölbung. Wenn die Wellen das Boot wiegen an ihrer Brust, wenn die Wolken schnell vor dem Winde treiben, so daß der Mond einen Augenblick entschwindet und dann wieder sich zeigt, so finde ich Ruhe in dieser Unruhe; der Wellen Gewoge lullt mich ein, ihr Plätschern gegen die Bootswand ist ein eintöniger Wiegensang, der Wolken eiliges Fliehen im Wechselspiel von Schatten und Licht berauscht mich, entführt mich in wache Träume. Ebenso strecke ich mich jetzt auch hin, ziehe die Segel ein, nehme das Steuer heraus, Sehnen und ungeduldiges Erwarten schaukeln mich in ihren Armen; Sehnen und Erwarten werden stiller und stiller, seliger und seliger; sie hätscheln mich wie ein Kind, über mir wölbt sich der Hoffnung Himmel, des Mädchens Bild schwebt an mir vorüber dem des Mondes gleich, unbestimmt, bald bin von seinem Licht ich blind und bald von seinem Schatten. Welch ein Genuß, so hinzuschaukeln auf bewegtem Wasser – welch ein Genuß, bewegt zu sein ganz in sich selbst.« Kierkegaard 10

»Wenn kein ewiges Bewußtsein wäre im Menschen, wenn allem nichts als eine wild gärende Macht zugrunde läge, die, in dunklen Leidenschaften sich windend, alles hervorbrächte, was groß ist und was gering ist, wenn eine abgründliche Leerheit, nimmer zu sättigen, sich unter allem verbärge, was wäre dann das Leben anderes als Verzweiflung? Wenn es so wäre, wenn es kein heiliges Band gäbe, welches die Menschheit verknüpfte, wenn ein Geschlecht nach dem andern entstünde wie die Blätter im Walde, wenn das eine Geschlecht das andere ablöste wie Sang der Vögel im Walde, wenn das Menschengeschlecht über die Erde ginge wie

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das Schiff über das Meer geht, wie der Sturm über die Einöde, ein gedankenloses und unfruchtbares Tun und Treiben, wenn ein ewiges Vergessen allezeit hungrig auf seine Beute lauerte, und es keine Macht gäbe, stark genug, sie ihm zu entreißen – wie leer wäre dann das Leben, wie trostlos!« Kierkegaard 11

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Mit dem Magisterexamen, das Kierkegaard ablegte, war dem Wunsch des Vaters Genüge getan; der Sohn hatte über das Grab hinaus ein äußeres Zeichen der Gewissenhaftigkeit gesetzt. Dieser Beweis späten Gehorsams berührte das innere Verhältnis von Vater und Sohn, das im Leben auf verschlungenen Pfaden begonnen hatte und vom Tod nicht aufgehoben wurde, allerdings nur am Rande. Michael Pedersen Kierkegaard nämlich hatte Sören, vermutlich ohne es wirklich zu wollen, in das Wissen um seine Lebensschuld mit einbezogen, so daß der Sohn, belastet zudem mit einer entsprechenden psychischen Disposition, gar nicht anders konnte, als den vergeblichen Kampf des Vaters gegen eine zum Weltprinzip erhobene und als Erbmacht deklarierte Sündhaftigkeit weiterzuführen. Als Sören erfahren zu haben glaubte, was den Vater umtrieb, kam es, nur wenige Monate vor dessen Tod, zu jenem Ereignis, das für ihn zum Schlüsselerlebnis wurde: »Da geschah es, daß das große Erdbeben stattfand, die furchtbare Umwälzung, die mir plötzlich ein neues, unfehlbares Deutungsgesetz für sämtliche Phänomene aufnötigte. Da ahnte mir, daß meines Vaters hohes Alter nicht ein göttlicher Segen war, sondern eher ein Fluch; daß die ausgezeichneten Geistesgaben unserer Familie nur dazu da waren, damit wir uns gegenseitig aufreiben sollten; da fühlte ich, wie die Stille des Todes um mich her zunahm, wenn ich in meinem Vater einen Unglücklichen erblickte, der uns alle überleben sollte, ein Friedhofskreuz auf dem Grab aller seiner eigenen Hoffnungen.« Das klingt düster, ist aber zunächst nicht mehr als eine böse Ahnung, die atmosphärisch einschüchternd wirkt. Ihre Beglaubigung indes folgt auf dem Fuße, der Befund ist eindeutig: »Eine Schuld mußte auf der ganzen Familie lasten, eine Strafe Gottes mußte über ihr hängen; sie sollte verschwinden, ausgestrichen werden von Gottes gewaltiger Hand, ausgelöscht 29 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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als ein mißlungener Versuch; und nur zuweilen fand ich ein wenig Ruhe in dem Gedanken, daß meinem Vater die schwere Pflicht auferlegt worden war, uns durch den Trost der Religion zu beruhigen, uns allen zu erzählen, daß dennoch eine bessere Welt uns offenstehen sollte, wenn wir auch alles in dieser verloren, wenn auch die Strafe uns treffen würde, die die Juden immer auf ihre Feinde herabwünschten; daß unser Andenken vollständig ausgelöscht sein sollte, daß man uns nicht finden sollte.« 12 Kierkegaards Deutung, daß dem Vater von Gott auferlegt worden sei, alle seine Kinder zu überleben, scheint durch den Tod des Vaters erst einmal widerlegt zu sein. Dennoch wird die Einsicht, die »das große Erdbeben« aufwirft, nicht hinfällig; sie besagt vielmehr, daß die Existenz des Menschen ein letztlich undurchsichtiges Gottesgeschenk ist, welches man wie eine »Krankheit zum Tode« anzunehmen und abzuleben hat. Die Verfehlungen, in die der Mensch sich auf seinem Lebensweg notwendig verstricken muß, dienen der Aufrechnung in höherem Sinn: Alles nämlich, was der Mensch tut, kann gegen ihn verwendet werden; seine Freiheit bleibt unlösbar verbunden mit einer Erbsünde. Diese wird nicht von Gott verhängt, sondern vom Menschen begangen; seine Sündhaftigkeit ist die Voraussetzung göttlicher Gnade: »Weil Gott absolut verschieden vom Menschen ist, ist der Mensch auch absolut verschieden von Gott. Wie kann aber der Verstand das begreifen? Hier stehen wir vor einem Paradox. Schon um festzustellen, daß Gott der Unterschied ist, benötigt der Mensch den Gott, und ihm wird darauf klargemacht, daß Gott von ihm absolut verschieden ist. Das kann nicht auf etwas beruhen, das der Mensch dem Gott schuldet […], sondern auf etwas, für das der Mensch selbst schuldig ist oder das er verschuldet hat […]. Was ist dieser Unterschied, – was außer der Sünde, da der absolute Unterschied vom Menschen verursacht sein muß.« 13 Die Sündhaftigkeit des Menschen macht den Grund aus für den Gnadenbeweis Gottes; in dieser Spannung, die unaufhebbar ist und das Leben des Menschen trägt, liegt auch die einschneidende Botschaft des Christentums – seine alles einfordernde Besonderheit: »Wenn 30 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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das Christentum in der Welt eine Selbstverständlichkeit werden würde, brauchten keine Kinder getauft zu werden, weil ein Kind, geboren von christlichen Eltern, bei seiner Geburt ein Christ wäre. Das Bewußtsein der Sündhaftigkeit ist und bleibt die conditio sine qua non des Christentums, und falls jemand davon verschont bleiben könnte, würde er kein Christ sein. Das ist der wahre Beweis, daß das Christentum die höchste Religion ist und keine andere einen so tiefgründigen und erhabenen Ausdruck für die Bedeutung des Menschen gefunden hat, daß er ein Sünder sei. Es ist dieses Bewußtsein, das dem Heidentum fehlt.« 14 Aus Andeutungen hatte Kierkegaard erfahren, daß sein Vater glaubte, zweimal auf nicht wiedergutzumachende Weise gesündigt zu haben. Zum einen hatte er seine erste Ehefrau, die 1796 kinderlos gestorben war, noch zu ihren Lebzeiten mit einer Dienstmagd betrogen – ein Fehltritt, der nicht ohne Folgen blieb. Als ein Kind unterwegs war, machte er die Dienstmagd, eher widerwillig, zu seiner zweiten Frau, die ihm noch drei Mädchen und vier Knaben gebar. Kierkegaards Vater, ein zutiefst religiöser Mann, hat unter dieser Verfehlung, die aus heutiger Sicht wohl eher läppisch denn schwerwiegend anmutet, sehr gelitten; noch mehr zu schaffen machte ihm jedoch ein Vorfall, der in seiner frühen Jugend lag und ihn ein Leben lang quälend verfolgte: Damals, als Kind, hatte er sich in einem Augenblick zorniger Unbedachtheit hinreißen lassen und es gewagt, Gott zu verfluchen. In seinem Tagebuch notierte Sören Kierkegaard: »Das Entsetzliche mit dem Manne, der einstmals als kleiner Junge, da er auf der jütischen Heide die Schafe hütete, viel Schlimmes erduldete, hungerte und elend war, sich auf einen Hügel stellte und Gott verfluchte – und dieser Mann war nicht imstande, es zu vergessen, als er zweiundachtzig Jahre alt war.« 15 Ausführlicher ist Peter Christian Kierkegaard, Sörens sieben Jahre älterer Bruder, der es bis zum Bischof von Aalborg brachte, auf die väterliche Jugendsünde und ihre Folgen eingegangen: »Der alte […] Kierkegaard hütete in seinen Kinderjahren auf der jütischen Heide die Schafe und fühlte sich nicht selten grenzenlos unglücklich. Er litt Hunger und Kälte, war zu andern Zeiten den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetzt, 31 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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war sich selber überlassen und den Tieren, allein und unglücklich. In einer solchen Stimmung muß den Knaben […] seine entsetzliche Verlassenheit einmal übermannt haben, und er kletterte auf einen Stein […], hob Augen und Stimme zum Himmel auf und verfluchte Gott den Herrn, der, wenn es ihn gebe, es über sich bringe, ein hilfloses, unglückliches Kind so leiden zu lassen, ohne ihm zu Hilfe zu kommen.« Gott jedoch reagiert ausgesprochen gelassen, er ist nicht nachtragend und kann sich noch nicht mal zu einer Abmahnung aufraffen. Das erscheint den Kierkegaard-Brüdern rätselhaft; sie lernen daraus, dass Kinder, auch im metaphysischen Sinn, nicht strafmündig sind und Gott ein Geheimnisträger bleibt, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Der alte Kierkegaard hingegen, der anders als ebendieser Gott nicht vergessen konnte, wurde seine frühe Erfahrung nicht mehr los, er gab sich ihr hin und verfeinerte sie zur Fertigkeit, des Lebens Last anzunehmen und daraus noch Gewinn zu ziehen: »[…] die Erinnerung an den Fluch dieses Kindes wurde in der Seele des Knaben, des Mannes, des Greises nie ausgelöscht – und da die Gnade Gottes gerade von jenem Augenblick an die Güter der Zeitlichkeit über ihn ausstreute, so daß er, anstatt Gottes Zorn zu fühlen, mit Reichtum überschüttet wurde, mit wunderbar begabten Kindern, allgemeiner Achtung – da packte ihn Angst auf das tiefste. Gott war, und Gott war ihm zu Hilfe gekommen, aber er hatte diesen Gott verflucht; war das nicht die Sünde wider den Heiligen Geist, die niemals Vergebung finden konnte? Darum war die Seele des Alten voller Angst, darum sah er im Geiste seine Kinder der stillen Verzweiflung anheimfallen; daher lud er in ihren Kinderjahren die strenge Forderung des Christentums auf ihre Schultern – daher war er jahrelang eine Beute der Anfechtungen und Seelenkämpfe.« 16 Die strenge Forderung des Christentums, von der Peter Christian Kierkegaard spricht, dessen Karriere in der dänischen Amtskirche seinen Bruder übrigens nicht sonderlich beeindruckte, sondern eher zu spöttischen Ausfällen reizte, wähnte der jüngere Kierkegaard mehr von sich selbst als von anderen Christen befolgt. Sein Bruder, »der Herr Bischof«, wie er ihn 32 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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gerne nannte, machte da keine Ausnahme, im Gegenteil: Er lebte seine biedere Frömmigkeit als Amts- und Würdenträger aus, bestens besoldet und überversorgt mit allem, was er brauchte und oder wohl eher nicht brauchte. Überhaupt führte Gott in der Amtskirche nur noch ein Schattendasein; man pries ihn an den dafür vorgesehenen Tagen und ließ ihn ansonsten einen guten Mann sein. Ein solches, auf Halbherzigkeiten und Gewohnheitsglauben reduziertes Christentum machte Kierkegaard zornig; er sah sich persönlich herausgefordert und wurde nicht müde, an die Unbedingtheit, das Entweder-Oder des wahren Christseins zu erinnern: »Entweder-Oder ist das Wort, vor dem die Flügeltüren aufspringen und sich die Ideale zeigen […]. Entweder-Oder ist das Zeichen, das uns den Zugang zum Unbedingten erschließt: – Gott sei gelobt! Ja, Entweder-Oder ist der Schlüssel zum Himmel! Was ist, was war und was bleibt dagegen das Unglück des Menschen? Dieses ›bis zu einem gewissen Grade‹, das vom Satan, von der Erbärmlichkeit oder der feigen Klugheit stammt und – auf das Christentum angewandt – dieses zu einem Geschwätz verwandelt!« An der Halbherzigkeit seiner eingeschriebenen Mitglieder nimmt der christliche Glaube Schaden, nicht an der Verachtung seiner Gegner oder den Argumentationsversuchen versierter Atheisten, die ihr Gottesbild ohnehin nicht mehr missen möchten, da es sich längst als unverzichtbar erwiesen hat. Christliche Wahrheit, wie der Wahrheitsbeauftragte Kierkegaard sie erkannt hat, darf keine Ruhe geben, sie muß sich, gefragt oder ungefragt, bekennen und einmischen, ihr Alleinstellungsmerkmal sollte nicht in Frage stehen: »Nein: Entweder-Oder!! Wie herzlich sich Schauspieler und Schauspielerin auf den Brettern auch umarmen und herzen mögen, so bleibt es doch nur ein theatralisches Einvernehmen, eine Theaterehe: – ebenso ist das ›nur bis zu einem gewissen Grade‹ etwas Theatralisches gegenüber dem Unbedingten und greift nach der Einbildung. Nur EntwederOder ist die Umarmung, mit der du das Unbedingte umschließt.« 17 Wer als Christ die ganze Wahrheit, die unbedingte Hinwendung zu Gott will, kann sich kein Aufschieben und keine 33 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Gleichgültigkeit leisten – er muß sich entscheiden, immer wieder und ohne Nachgiebigkeit gegen sich selbst. Die Beschwernisse des Daseins, ja die ganze Haltlosigkeit der irdischen Existenz ableugnen darf das Christentum nicht; es ist zu einer Härte verpflichtet, die davon ausgeht, daß man die Seligkeit nicht auf dem Markt kaufen kann, sondern nur in der Gnade Gottes erfährt: »Das Christentum muß […] den Menschen hart anfassen; denn das Christentum ist nicht das, wozu wir Menschen – du so gut wie ich – es allzu gerne machen wollen, – es ist kein Quacksalber. Ein Quacksalber steht sofort zu Diensten, bringt sofort die Arznei an und verpfuscht alles.« Was nicht erforderlich ist, sind vorschnelle Behandlungsversuche; man darf sich auch eine gewisse Abhärtung zutrauen, und insgesamt auf jene Selbstheilungskräfte setzen, die der Gesundung im Großen und Ganzen dienen: »Das Christentum […] wartet, bevor es die Medizin anwendet, – nicht jede armselige kleine Unpäßlichkeit heilt es mit der Ewigkeit, und das ist doch wohl auch eine Unmöglichkeit, wie es auch sich selber widerspricht! Mit der Ewigkeit und für die Ewigkeit heilt es nur dann, wenn die Krankheit derartig ist, daß die Ewigkeit am Platze sein kann, – und das heißt: du mußt absterben.« 18 Absterben bei lebendigem Leibe bedeutet, genauer besehen, eine seelische Läuterung. Es meint die allmähliche Verabschiedung von der Welt, ihre heitere Geringschätzung, das bewußte, sehnsuchtsvolle Eingehen in eine nur vordergründig unbegreifliche Ewigkeit, die Gottes ureigene Wirklichkeit ausmacht. So gedankensprengend die Ewigkeit zunächst anmutet, so kann der Mensch doch Zugang zu ihr finden, wenn er sich beizeiten für sie entscheidet – im einzig möglichen, allein seligmachenden Sprung des Glaubens. Hat man diesen vollzogen, wird die Ewigkeit zugänglich und erscheint auf einmal als alte Heimat, die in neuem Glanz erstrahlt: »Das Ewige erlangt man nur auf eine einzige Weise, und gerade darin ist das Ewige von allem anderen verschieden, daß es eben nur auf eine einzige Weise zu erwerben ist. Was nur auf eine einzige Weise zu bekommen ist, ist das Ewige, – nur auf eine einzige Weise, nur auf die beschwerliche Weise der Ewigkeit, die Christus mit den 34 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Worten angibt: ›Der Weg ist schmal, und eng ist die Pforte, die zum Leben führt, und ihrer sind nur wenige, die sie finden.‹« 19 Für eine Existenz, die sich vom bloßen Dahinleben abhebt und zur Ewigkeit hin öffnet, hat Kierkegaard einen schönen Vergleich gewählt: »Wenn man einem Fuhrmann, der anders nicht in Leidenschaft zu bringen ist, einen Pegasus und zugleich eine Schindmähre vor den Wagen spannte und ihm dann sagte: ›Fahr nun los!‹, – dann, meine ich, sollte es doch glücken.« Es glückt aber nur, wenn man sich klar darüber wird, dass die Ewigkeit nicht nur das ganz Andere ist, sondern auch im unsichtbaren Verbund mit dem Hier und Jetzt steht, das beides bietet: Verbleib im Gewöhnlichen und Aufstieg zum Höheren. »So verhält es sich nämlich mit dem Existieren, wenn man sich dessen bewußt werden soll. Die Ewigkeit ist unendlich geschwind gleich jenem beschwingten Renner; aber die Zeitlichkeit ist ein alter Klepper, und der Existierende ist der Fuhrmann, – sofern Existieren nicht das ist, was man sonst auch ein Dahinleben nennt. Der Dahinlebende ist kein Fuhrmann, sondern ein betrunkener Bauer, der im Wagen liegt und schläft und die Pferde sich selber überläßt. Gewiß, auch so einer fährt, auch er ist ein Kutscher, und so gibt es vielleicht manchen, der – auch existiert […].« 20

»Nun ist es Winter, eben darum aber gerade die Zeit, des Sommers zu gedenken. Das Pferd schnaubt, die Zügel liegen lose in meiner Hand, die Natur erwacht, jeder Baum neigt sich ins erste Morgenlicht, um zu sehen, ob sein Nebenmann noch an der gleichen Stelle ist, ein einsamer Vogel fliegt auf, stolz läßt er seine Stimme widerhallen im raunenden Walde, erschrocken springt ein Hirsch auf, äugt um sich her und verschwindet in des Waldes Geheimnis […]. Hab Dank von mir, du wundersame Natur. Hab Dank, du unser aller Mutter, deren reicher Schoß mehr birgt, weit mehr, denn deiner Kinder unersättliche Augen verschlingen können – das Pferd schäumt, es rührt fast nicht mehr den Boden – unruhig bewegen sich die Bäume, ein Sehnen durchbebt sie, sie neigen wehmütig ihre Wipfel, um noch einen Augenblick länger gesehen zu werden […]. So will denn auch ich meine Laubhütte

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errichten. Ich sitze stille in ihr, über sie ist eine Feierlichkeit gebreitet, die der Natur nicht eigen ist, denn Erinnerung heiligt sie, die Natur ist jedoch ohne Vergangenheit, ein Kind, das nicht des Lebens Schmerzen kennt, auch nicht seine Freuden, ein Kind, das unschuldig lächelt, aber nichts zu erzählen hat«. Kierkegaard 21

»In dieser Zeit sah ich S. K. auch gelegentlich zu Pferd. Er hatte gelernt zu reiten, um sich auf diese Art Bewegung zu machen sowie kleine Touren unabhängig von Kutschern und dergleichen unternehmen zu können. Er machte keine besonders gute Figur auf dem Pferd. Man sah an seiner Haltung, daß er sich keine großen Gaben zutraute, es zu lenken, wenn es ihm in den Sinn kommen sollte zu rebellieren. Er saß steif auf dem Pferd, und man bekam den Eindruck, daß er ständig an die Instruktionen des Reitlehrers dachte. Die nötige Muße, um auf dem Pferderükken seine Gedanken und Phantasien zu verfolgen, kann er kaum gehabt haben. Er gab diesen Sport auch bald wieder auf und fuhr dann lieber, wenn er seine Lieblingsorte in den Wäldern der Kopenhagener Umgebung besuchen wollte. In den Jahren, als seine Tätigkeit als Schriftsteller am intensivsten war, waren diese Torturen eines der Mittel, die er anwandte, um sich frisch zu halten und in die Stimmung zu bringen, die die Produktion erforderte.« Hans Bröchner 22

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Das still Erhebende

Später, als es ihm in vergleichsweise jungen Jahren schon schlecht ging und er eine Ahnung hatte, dass sein Ende früher kam als erwartet, widmete sich Kierkegaard gern seinen Erinnerungen, von denen er die eine oder andere aussuchte und sich zurechtmachte. So fiel ihm – da hatte man ihn schon als Patient dem Königlichen Frederiks Hospital überstellt –, auch eine Kutschfahrt wieder ein, die harmlos begann und zu entgleisen drohte, bis sich dann doch wieder jene prekäre Beruhigung einstellte, die für das Leben insgesamt gilt. An diesem Tag hatte der Himmel eine Überraschung zu bieten: In Sekundenschnelle riß er auf und überzog sich mit unwirklichem Blau; wo kam das nur her, nach all den grauen und kraftlosen Tagen, wo man doch Wirkliches und Unwirkliches nur finden kann, wenn sie bereits da sind, und auch die schöne, die Ansichtsseite des Himmels glänzt immer schon durch Anwesenheit, bevor sie sich blicken läßt. Für einen Moment war Kierkegaard, gegen seine bisherigen Gewohnheiten, volkstümlich geworden; mit den Leuten starrte er offenen Mundes und für seine Verhältnisse fast ungläubig zu ebendiesem Himmel empor, der die Wolken vom Hof gejagt hatte und sich so durchsichtig und frei schwebend zeigte, daß einem der Kopf brummte in vorausahnender Leere. Neben ihm standen Menschen, die bis gerade eben noch ihre schlechte Laune gepflegt hatten und sich nun anlächelten, als probten sie für eine Woche der Brüderlichkeit. Die Schönheit der Welt priesen sie, die sich zeigt, solange es Licht wird und es noch Lebende gibt, die das Licht wahrnehmen. »Nimm das, was ist«, sagte ein alter Mann, »nimm es aus seinem Grau-in-Grau und gib es hin an die Sonne. Es verändert sich nicht, und doch stimmt es dich plötzlich froh. Der Mensch ist ein Stimmungstier, sein Dompteur das von Gott gegebene Licht. Am farbigen Abglanz haben wir das Leben«. Der letzte Satz kam Kierkegaard 37 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Das still Erhebende

bekannt vor, und war er nicht auch dem Alten schon mal begegnet; auf dänischer Heide, beispielsweise, oder im benachbarten Ausland, es würde ihm noch einfallen. Aber da war der Mann schon wieder verschwunden. Kierkegaard riß sich los, erklärte seine Verbrüderung mit den Menschen für beendet. Er fand eine Kutsche, die ihn aufs Land hinausfuhr. Der Kutscher hockte auf seinem Bock wie zusammengefaltet, er hielt sich an einer Flasche fest, aus der er sich Stärkung zusprach, wenn ihm danach war. Und ihm war oft danach, die Zeiten sind schwer, keine Einnahmen mehr, es droht eine gewaltige Verarmung. Ja, wenn doch erst Sommer wäre, ein herrlicher, großer Sommer, der nicht enden will; da hätte man wieder gut zu tun: Vor zwanzig Jahren sei ein solcher Sommer gewesen, sagte der Kutscher, stierte in seine Flasche, war sie halbvoll oder halbleer, er erinnere sich noch gut; pausenlos sei er mit seiner Kutsche unterwegs gewesen, damals, alle Welt wollte gefahren werden, durch weiche, seidige Luft, und die Sonne hielt aus bis in die Nacht. Der Himmel, noch wundersamer damals, sein Blau wie eine einzige Blendung. Damals habe er vor Kraft nicht schlafen können, sagte der Kutscher, jedenfalls nicht allein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er drehte sich zu ihm um, lachte, ein Wiehern, abgelauscht seinen Pferden. Wir werden nicht jünger, sagte der Kutscher. Man schläft zwar weniger, wenn man alt ist, dafür jedoch in allen Lebenslagen. Sollte ich einnicken während der Fahrt, übernehmen die Pferde, sie kennen den Weg. Nein, wenn er sich’s recht überlege, habe er jetzt sogar Angst vor dem Sommer, der da kommen soll. Die augenblickliche, unbenennbare Jahreszeit, jener merkwürdige Übergang zwischen einem noch nicht abgestorbenen Winter und zögerlichem Frühling, sei im Grunde nicht schlecht. Für einen wie ihn. Sie waren aus der Stadt heraus, vom Wasser wehte ein salziger Wind. Kierkegaard sah eine Landschaft, die sich anschmiegte. Sie hatte versammelt, was der dankbare Sonntagsgast sehen sollte: Spalierwälder, Felder und Wiesen, trockene Moore, Gräben und einen Dornbusch, wie ihn Gott früher einmal als Versteck genommen hatte; an steinernen Wegkreuzen schossen Schwalben vorbei. Die Pferde liefen im Takt, die Peitsche des Kutschers war aufgesteckt, sie wurde 38 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Das still Erhebende

nicht gebraucht. Ein Summen war in der Luft, das erste Anstimmen heller Tage und Nächte. Kierkegaard schloß die Augen, er war Gottes freier Landschaftsgärtner, den es nicht mehr an seinem Platz hielt. So hätte es weitergehen können für immer, aber dann gab es ein unschönes Geräusch, Glas splitterte, der Kutscher hatte seine Flasche aus dem Wagen geworfen. Sie zerschellte auf der Straße, die Pferde bäumten sich auf. »Mann!« rief Kierkegaard. »Sind Sie verrückt? Mich so zu erschrecken!« Der Kutscher lachte. Man konnte sehen, daß er besoffen war. Er riß die Peitsche aus der Halterung und hieb aus schierem Übermut in die Luft. »Da!« rief er. »Und da! Was sind wir doch für ein wehrhaftes Völkchen. Keiner soll uns Dänen unterschätzen!« – »Guter Mann«, sagte Kierkegaard, »halten Sie an. Sofort.« Mit einiger Mühe brachte der Kutscher sein Gefährt zum Stehen. Er hatte wässrige, hervorquellende Auge und eine Nase wie aus Kartoffeln geschnitzt. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Kierkegaard. »Sie legen sich auf meinen Platz, schlafen Ihren Rausch aus und lassen mich fahren.« »Das kann ich nicht machen«, sagte der Kutscher. »Gegen die Vorschriften.« Er sprach wie eine Landqualle. Kierkegaard zeigte ihm einen Geldschein. »Ist der auch gegen die Vorschriften?« »Der nicht«, sagte der Kutscher. Sie tauschten die Plätze. Eines der Pferde schüttelte den Kopf. »Ich kann das, keine Angst«, sagte Kierkegaard. Da war der Kutscher schon eingeschlafen. Er sah nun gar nicht mehr blöde aus, sondern hatte ein seliges Lächeln im Gesicht. Sein Fahrgast versuchte derweil, die Pferde zu überzeugen, daß es weitergehen mußte, aber sie stellten sich stur, stemmten die Hufe in den Boden. Er rief, was ihm so einfiel, knappe Kommandos, die ihm unwiderstehlich vorkamen, Befehle, gegen die es kein Einspruchsrecht gab, vergeblich. Erst als er in gespielter Verzweiflung begann, aus seinen eigenen Schriften zu zitieren, und das in einer Lautstärke tat, die jedem Militärausbilder zur Ehre gereicht hätte, gaben sie nach. Langsam setzten sich die Pferde in Bewegung, wurden schneller und schneller. Das Ziel, das sie hatten, kannte er nicht, es war ihm egal – in diesem Moment, den er sich später, in wohlmeinender Erinnerung, wie gesagt, zu einer verwunschenen Fahrt ins 39 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Das still Erhebende

Grüne schön schrieb, aus der man alles, fast alles ablesen konnte, vor allem aber die Konturen eines vorbeiziehenden Glücks, das Wert darauf legt, unerkannt zu bleiben.

»Das still Erhebende, in die anfangende Abenddämmerung zu fahren und einen Stern zu sehen, bis das Dunkel mehr und mehr herabfällt und man immer neue sieht […]. Wenn der reiche Mann mit Lichtern an seinem Wagen in die dunkle Nacht fährt, sieht er um ein kleines Stück besser als der Arme, der im Dunkeln fährt – aber er sieht auch nicht die Sterne, daran hindern ihn gerade seine Lichter. So mit aller weltlichen Verständigkeit, sie sieht gut in der Nähe, aber raubt die unendliche Aussicht. – Daß die Zeit […] des Menschen schlimmster Feind ist oder doch sein kann, ist auch bemerkenswert genug ausgedrückt in den vielen bezeichnenden Sprachwendungen: die Zeit töten, die Zeit totschlagen – und umgekehrt, daß die Zeit einem tödlich lange wird. Es könnte eine psychologisch richtige Replik eines Selbstmörders sein im letzten Augenblick, ehe er sich erschösse: mit diesem Schuß […] schlage ich die Zeit tot.« Kierkegaard 23

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Ein Zeichen von Liebe

Christentum, wie es Kierkegaard versteht, kann gar nicht streng genug sein; es scheint den Menschen zu überfordern, lässt ihn an seine Grenzen und darüber hinaus gehen. Es treibt ihn an, zwingt ihn zu einem Glück, das ganz anders ist als das Glück, von dem er zuvor gehört und gekostet hat. Am Ende, wenn er die Quälerei, die ein solches Christsein bedeutet, ausgestanden hat, ist er froh und dankbar für das, was ihm zugemutet wurde: »Wie richtig das ist, hast du selber doch gewiß schon in kleineren Dingen erfahren. Hast du nicht gleich mir die Erfahrung gemacht, daß, wenn du vielleicht schon zu jammern anfingst und sagtest: ›Ich kann nicht mehr!‹, und dann am nächsten Tag noch strenger angefaßt wurdest, daß dann – ja, was dann? – daß du dann konntest?« Auch dafür hat Kierkegaard ein Beispiel parat, das aus einem Bereich stammt, in dem er sich inzwischen auszukennen meint: Das Leben ist eine Kutschfahrt, und dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Kutsche stabil ist und fahrtüchtig, sondern man muß auch einen Kutscher haben, der sein Handwerk versteht. Gelegentlich hatte sich Kierkegaard zwar selbst als Wagenlenker versucht, aber lieber betraute er damit einen Fachmann, auf dessen Kompetenz und Überblick man bauen konnte; auch das sinnbildlich für die Reise des Lebens, die man mitmacht, nicht aber in Eigenregie zu Ende bringt. »Wenn die Pferde vor Erschöpfung stöhnen und keuchen und ihnen eine Handvoll Hafer nottut, aber andererseits der schwerbeladene Wagen rückwärts den steilen Hang hinablaufen und vielleicht Pferde und Fuhrmann und alles mit sich in den Abgrund reißen würde, wenn man einen Augenblick rasten wollte, – ist es da grausam von dem Fuhrmann, wenn die Schläge fürchterlich fallen, – so fürchterlich, wie er es gegen das Paar Pferde, die ihm so teuer sind wie sein Augapfel, sonst nie übers Herz gebracht hätte? Ist das grausam, oder ist das nicht etwa ein Zeichen von 41 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein Zeichen von Liebe

Liebe? Ist diese Grausamkeit grausam zu nennen, wenn sie unbedingt das einzige ist, was vor dem Untergang retten und hindurch helfen kann?« 24 Kierkegaard sah in dem, was seinem Vater widerfahren war, ein existentielles Gleichnis für sein eigenes Leben. So wie der Vater Gott verflucht hatte und dafür auf subtile Weise leiden mußte, indem ihm nämlich Gott zu einem reichen Mann machte und ihm ein langes Leben schenkte, das viel Zeit ließ, über die eigenen Verfehlungen nachzudenken, so hatte sich sein Sohn zunächst geweigert, den einzig wahren Glaubenssprung zu vollziehen, der aus dem Verhandlungsraum des vernünftigen Denkens in die Zimmerfluchten des Unendlichen führt, in denen Gott anwesend ist, ohne sich sehen zu lassen. Auch Kierkegaard würde für sein Gleichgültigkeit Gott gegenüber büßen müssen; zumindest war das seine Überzeugung, nachdem ihm »das große Erdbeben« die Augen geöffnet hatte und er sich an einen Gott verwiesen sah, der von der Amtskirche mit blasser Traditionspflege und Dienst nach Vorschrift geehrt wurde. Wie es sich mit Christen verhält, die zu Gewohnheitstieren werden, hat Kierkegaard in einer Geschichte mit dem Titel Die zahme Gans erzählt: »Man stelle sich vor, daß Gänse sprechen könnten. Dann hätten sie auch ihren Gottesdienst, ihre Anbetung des Herrn. Jeden Sonntag würden sie sich versammeln, und ein Gänserich würde predigen. Der wesentliche Inhalt dieser Predigt wäre, zu welch hohem Zweck der Schöpfer – und jedesmal, wenn dieses Wort erwähnt würde, machten alle Gänse einen Knicks, und alle Gänseriche senkten den Kopf – die Gänse bestimmt habe. Mit Hilfe ihrer Flügel könnten sie zu fernen Ländern fliegen, gelobten Ländern, wo sie eigentlich hingehörten, denn hier seien sie doch nur Fremde. So jeden Sonntag.« Danach können sie sich wieder dem Alltag widmen, in dem weder Andächtigkeit noch Ehrfurcht verlangt werden, es geht seinen Gang, der im Fall der Gänse ein Watschelgang ist und auf ein unfrohes Ende hinausläuft: »[…] jeder watschelte heim – so ginge es weiter, und sie würden beleibt und fett, würden saftig und zart – und am Martinstag verspeist.« An sich ist das eherne Regel, aber es gibt einen Ausweg, der jedoch kaum genutzt wird: 42 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein Zeichen von Liebe

Würden die Gänse nachdenken und ihre Flügel nutzen, die ja eigentlich zu ihrer Grundausstattung gehören, könnten sie auf und davon, abheben vom Gewohnheitsterrain und die Flucht ergreifen. Kierkegaards christliche Gänse sehen sich dazu nicht in der Lage, sie leben ihr eingefahrenes Leben weiter und watscheln dem jüngsten Gericht entgegen, das an einem Schlachttag stattfindet und vermeidbar wäre. Die gewöhnlichen Christen, denen man doch, in Maßen, Verstand und Vernunft zutraut, sind zwar keine Gänse, machen es aber nicht viel besser: »So auch mit dem christlichen Gottesdienst. Auch der Mensch hat Flügel, er hat Phantasie. Ihr Zweck ist es daß er mit ihrer Hilfe imstande ist, sich zu erheben – wir aber spielen und lassen unsere Phantasie in einer stillen sonntäglichen Stunde sich an der Inbrunst ergötzen, und sonst verbleiben wir, wo wir sind, und am Montag werden wir wohlbeleibt, fett und saftig […], wir erwerben Geld, befördern eine Karriere, zeugen Kinder, haben Erfolg usw., alles, was wir als Beweise der Gnade des Herrn ansehen. Aber jene, die wirklich Gott dienen und deshalb – anders kann es gar nicht sein, und anders ist es auch nicht nach dem Neuen Testament – elend und in Kummer leben, gequält und beladen sind – von denen sagen wir, daß sie […] nicht in der Gnade des Herrn sein können«. 25 Die Vorstellung, daß alles begreifbar ist und in ein Weltbild paßt, dem wir im evolutionären Entwicklungsgang zur Gültigkeit verholfen haben, hat sich längst durchgesetzt. Insgeheim stellt man sich auch Gott nach diesem Muster vor; er wird zum Übermenschen, der erst alle denkbaren Zaubereigenschaften zugesprochen bekam und anschließend in die entferntesten Himmelsregionen fortgelobt wurde, wo er nun sitzt und sitzt – und sich das irdische Treiben teilnahmslos aus der Ferne anschaut. Gelegentlich greift er vielleicht noch einmal ein, in ebendieses irdische Geschehen, aber er tut es, wie man glaubt, eher beiläufig und wie einer, der nicht einrosten will und sich noch ab und zu etwas Bewegung verschafft. Selbstgefällige Vermutungen, daß Gott nach hiesigen Maßstäben schalten und walten könnte, daß er belohnt, wen auch wir für belohnungswürdig halten, und daß er vor allem diejenigen abstraft, die es verdie43 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein Zeichen von Liebe

nen, haben Kierkegaard immer wieder zu heftigem Widerspruch gereizt: »Das ist doch ein sehr kümmerlicher Begriff von Gottes Erhabenheit, wenn man denkt, seine Gerechtigkeit sei unmittelbar daran kenntlich, daß er sogleich zuschlägt und straft, wenn einer nicht will, wie er will. – Nein, nein, – genau das Umgekehrte ist der Fall, wie ja überhaupt im Verhältnis zu Gott alle Kenntlichkeit Umgekehrtheit ist. Sein Strafen, seine Ungnade in dieser Welt besteht darin, daß er die Gottlosen nicht beachtet, – o du, der du eine Vorstellung von Gott hast, fasse diese Strafe!« Das ist eine gewagte Theorie: Die Nichtbeachtung Gottes beruht auf absoluter Gegenseitigkeit, er kümmert sich nicht um seine Verächter, und die Gleichgültigen lässt er links liegen. Wer so etwas glaubt, hat eine Antwort auf Fragen, die nicht gestellt werden, und überhöht das Vordergründige. Der gängigen Meinungsmache entspricht ein solcher Glaube nie und nimmer; ist es doch gerade die vermutete Untätigkeit Gottes, seine vornehme Zurückhaltung, die man nicht einfach so hinnehmen kann. Warum lässt Gott die Seinen leiden, fragt man sich, während es sich die Gottlosen, unbehelligt von höchstrichterlichen Eingriffen, gut gehen lassen? Gerecht ist das nicht, zumindest nicht nach unseren herkömmlichen Maßstäben. Kierkegaard will davon jedoch nichts wissen: »Für Gott sind die Gottlosen gewissermaßen gar nicht vorhanden. Darum geht es ihnen in dieser sündigen Welt gut. – Nur denen, die Gott liebt und die Gott lieben, – nur denen schickt Gott Leiden. Aus Liebe bringt er es nicht übers Herz, daß sie ihr Leben wie schlaftrunken führen und nicht darauf aufmerksam werden, daß Gott Geist ist und daß für ihn diese Welt im Bösen liegt. Darum ruft er sie mit Hilfe von Leiden […], er ruft sie, er will für sie da sein, und sie sollen für ihn da sein, während er die Gottlosen in der Ungnade seiner unendlichen Erhabenheit nicht beachtet und eben durch solche Nichtbeachtung straft.« 26 Christentum, von Kierkegaard angerichtet, ist eine scharf gewürzte Speise. Man kann sie mögen oder nicht; wer sich indes übersättigt oder vom chronischen Wohlleben aufgebläht an ihren Verzehr macht, sollte es besser lassen. Bekanntlich kommt der Appetit aber auch manchmal beim Essen: Das Christentum, 44 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein Zeichen von Liebe

das der Gourmetkritiker Kierkegaard schätzt, wird auf keiner Speisekarte aufgeführt; um in seinen Genuß zu kommen, muß man ausgehungert sein, ergeben und willig wie ein Kleinkind, das, ohne zu wissen, wie ihm geschieht, in die Kunst der geregelten Nahrungsaufnahme eingeführt wird. Obwohl es auf unbedingte Qualität setzt, ist Kierkegaards Christentum jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben, im Gegenteil; der Zweifel, einmal über den Menschen gebracht, erweist sich als andere Seite der Gewißheit, als dunkler Grund der ihm zugemuteten frohen Botschaft. An ihr, der kaum glaublichen Botschaft zu zweifeln, in wiederkehrendem Anflug, in fiebrigen Schüben, erweist sich als Bestätigung eigener Art; der Zweifel ist die Bedarfswürze einer Speise, bei deren Herstellung man keine Kompromisse eingehen sollte: »Man kann in unwahrer Weise das Christentum so streng machen, daß sich das Menschliche dagegen empören muß, um es abzuschütteln oder von sich zu stoßen. Aber man kann das Christentum auch so milde machen oder es so sehr zuckern, daß alle Versuche mit Beweisen und Gründen doch nicht dazu verhelfen, den Appetit zu reizen und den Menschen Geschmack an ihm zu verleihen, vielmehr damit enden, daß die Menschen sich ekeln.« Kierkegaards Christentum ist nur echt, wenn es nach der von ihm lizensierten Originalrezeptur angerichtet wird; Varianten, die der schnellen Beköstigung dienen, sind nicht vorgesehen, auch nicht zusätzlich verabreichte Sättigungsbeilagen. Letztlich geht es nur um ein einziges scharfes Gericht, das keinen schnellen Genuß verspricht, wohl aber so lange ausgehalten werden muß, bis seine segensreiche Wirkung einsetzt: »[…] was in die Speise hineingehört, ist Salz! Fürwahr, – dafür hat das Neue Testament gesorgt. Die frohe Botschaft soll den Menschen nicht mit ›Gründen‹ und ›Beweisen‹ aufgeschwatzt werden. Das ist ebenso unwürdig, wie wenn eine Mutter sich zu dem Kinde hinsetzen und betteln muß, daß es die gesunde, vortreffliche Speise nimmt, über die es doch die Nase rümpft und die es nicht recht essen mag. Nein, – der Appetit muß auf andere Weise geweckt werden, und dann soll man die frohe Botschaft schon schmackhaft finden.« 27

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Ein Zeichen von Liebe

»Du mein unvergeßliches Kindermädchen, du flüchtige Nymphe, die du in dem Bache wohntest, der an meines Vaters Hof vorüberfloß, die du jederzeit hilfreich teilnahmst an des Kindes Spiel, obwohl du dich allein um dich selbst kümmertest! Du meine treue Trösterin, die du im Laufe der Jahre deine unschuldige Reinheit bewahrt hast; die du nicht älter geworden bist, derweil ich alt ward; du stille Nymphe, zu der ich […] meine Zuflucht nahm, müde der Menschen, müde meiner selbst, so daß ich eine Ewigkeit brauchte, um auszuruhn, traurigen Sinnes, so daß ich eine Ewigkeit brauchte, um zu vergessen«. Kierkegaard 28

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Um alles zu richten

Dann soll man die frohe Botschaft schon schmackhaft finden: Das war gut gesagt, zweifellos, er war ja, erwiesenermaßen und auch jetzt im Königlichen Frederiks Hospital, wo er im Liegen nicht viel mehr tun konnte, als sich zu erinnern, Dichter und Philosoph, war der Mann Gottes, dem es um das treffende Bild ging, das Gleichnis für Ungleiche, die sich keineswegs darum drängten, verstehen zu wollen, einzudringen in die Welt des Ewigen Wortes. Um sich den Dummköpfen verständlich zu machen, die, jeder für sich und allein gegen alle, an verlorener Liebesmüh’ zu Grunde gehen würden, tat er, was zu tun war – es wurde ihm nicht gelohnt, nicht mal mit Achtungserfolgen. Mit der Zeit war er so vom Prediger ohne Anhang zum Selbstläufer geworden, er freute sich an den gelungenen Schriftstücken, die er noch zustande brachte, aber das Rumoren der Leute, die er nicht mehr überzeugen wollte, wurde zum fernen Klang. Einst war dieser Klang noch bis an sein Haus gebrandet, jetzt verebbte er schon vorher, draußen in den Sperrbezirken, wo frierende Mädchen sich anboten und von der verlorenen Heimat träumten. Im Königlichen Frederiks Hospital wusste Kierkegaard längst, daß sein Ende bevorstand; der Tod hatte sich aber auch vorher schon angeschlichen, er umkreiste das Haus des Vaters am Nytorv, er belagerte seine Stadtwohnung in Klaedeboderne, manchmal hätte man meinen können, dass es gar nicht der Tod war, sondern ein argwöhnischer Sicherheitsbeamter, abgestellt zu seinem persönlichen Schutz, aber wenn es dann wirklich soweit war, würde er eintreten, grußlos, und ihm blieb nicht mal mehr Zeit, sich zu verabschieden. Aber von wem sollte er sich verabschieden, dachte er im Königlichen Frederiks Hospital, sie hatten sich doch vorher schon alle von ihm abgewandt. Der Tod nimmt keine Verhaftung vor, er führt die Geschäfte des Lebensregulierungswerks, für das keine Spenden gesammelt werden, 47 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Um alles zu richten

da es zwar gemeinnützig, aber nicht förderungswürdig ist; es sorgt dafür, daß sich die Reihen lichten und die Bäume nicht in den Himmel wachsen. – Kierkegaard erinnerte sich an einen Dämmerabend, für den sich kein genaues Datum mehr angeben ließ: An den Fenstern seiner Wohnung, in der nur ein einziges Licht, vor ihm auf dem Tisch, brannte, strömte der Regen herunter; vorbei wieder, vorbei die Tage des blauen Himmels und der blitzblanken Sonne. Auf der Ofenbank schlief sein Diener Westergard im Dunkeln. Er war bei Errichtung der überraschend aufkommenden Schönwetterfront plötzlich krank geworden, eine massive Erkältung setzte dem Diener zu, der dank schonender Dienstwahrnehmung zuvor noch nie krank gewesen war. Westergard nieste seinem Herrn ins Gesicht, der ihn daraufhin mit einem alten jütländischen Hausmittel traktierte: Er bekam heißes Bier mit Zucker zu trinken; die Hauptmahlzeiten, die ein Kranker nicht braucht, weil er ja krank ist, wurden gestrichen. Daraufhin entschloß sich Westergard, wieder gesund zu werden. Mit dickem Kopf, gedunsenen Wangen und verklebtem Haupthaar trat er vor seinen Dienstherrn und erklärte, den Dienst wieder aufnehmen zu wollen. Umgehend. Er sei gesundet, wundersam schnell, von alten Hausmitteln bitte er aber fürderhin verschont zu bleiben, viel lieber wolle er sich in die Arbeit stürzen, wenn er zuvor nur, um zu Kräften zu kommen, ein ausgedehnte Mahlzeit zu sich nehmen dürfe. Welche Arbeit?, hatte Kierkegaard gesagt, ich kann mich nicht entsinnen, daß du je für mich gearbeitet hast! Aber es sei dir gewährt. Nimm Platz auf der Bank deines Lebens. Da saß er denn wieder, der Westergard, nachdem ihm sein gutmütiger Herr erst eine heiße Suppe und danach noch einen Schweinsbraten zubereiten ließ; er saß, und weil ihm das Sitzen zu anstrengend war, verfiel er in jene Haltung, in der er gelernt hatte, sein insgesamt nicht sehr sinnvolles Leben zu ertragen: er legte sich auf den Rücken, streckte die Beine aus, äugte zum Zimmerhimmel, wurde müde. Der Schlaf kam, sein Schlaf, und befreite ihn von sämtlichen unguten Überlegungen. Kurz darauf war es mit dem vorgezogenen Sommer vorbei gewesen; erst zogen feine Schleierwolken auf, umhüllten die Sonne, die nur noch ein vornehmes altes 48 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Um alles zu richten

Licht zeigte, dann wurde es düsterer, langsam, es war, als ob ein betagter, schon ein wenig zittriger Malermeister die Himmelswände dunkel streichen sollte, Bahn für Bahn, auf Wunsch eines Auftraggebers, der sich auf seinen zahllosen Baustellen noch nie hatte blicken lassen. Schließlich war das Werk getan, eine flächendeckende Düsternis hing aus, gar nicht mal ungemütlich, wie Kierkegaard fand, und zur Mittagszeit, die, von den bescheidenen Lichtverhältnissen her, auch als Mitternacht durchgehen konnte, fing es an zu regnen. Es regnete ununterbrochen, sintflutartig, sagten die Leute bei dieser Gelegenheit, sie konnten sich ja allesamt noch an das Urbild erinnern, an die Sintflut, die Gott einst geschickt hatte, um –. Ja, warum eigentlich? Man muß sich vor Mutmaßungen hüten, wenn es um Gottes Willen geht; er ist unergründlich, das macht seinen eigentlichen Grund aus. Kierkegaard erinnerte sich während des Regens an ein Kindermädchen, das er sich ausgedacht hatte, als er zum Mann werden sollte, aber noch ein Junge war. Im Hause seines Vaters dachte er sich dieses Mädchen aus, zu einer Zeit, da es ihm, dem Vater besonders schwerfiel, mit seiner eingebildeten Schuld umzugehen, und er murmelnd und seufzend durch seine Räume schlich, während der Sohn oben die Konturen einer Vertrauensperson ersann, die ihm alles in einem sein sollte: Verführerin, Geliebte, Mutter, Hexe und Fee. Auf die seelischen Werte, die angeblich das Fundament jeder länger währenden Liebe bilden, kam es dem Sohn nicht an; er stellte sich vielmehr eine hübsche, junge, abgerundete Person vor, dunkelhaarig, mit weichem Teint, die, in einem Haus, in dem naturbelassene Aromen und das Schattenhafte überwogen, vor dem Einsatz von Parfum nicht zurückschreckte. In Gedanken versuchte er, sich das Mädchen hörig zu machen, aber es führte eine eigene, sehr verhuschte Existenz, ließ sich nicht halten, verflüchtigte sich, wenn es ihr in den Sinn kam, obwohl es, in seinem Sinn erdacht, eigentlich keine Eigenständigkeit vorzuführen hatte. Ihr Kommen und Gehen, das wußte er heute, konnte es damals nicht wissen, gehörte dem geheimen Auf- und Abtriebsgesetz des Bewußtseins an, das sich in seinen real existierenden Gedankenfiguren studieren, aber nicht dechiffrieren läßt. Das Mädchen, 49 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Um alles zu richten

das er Rebekka nannte, teilte mit ihm Tisch und Bett, dafür reichte seine Vorstellungskraft aus, die sich ansonsten schwer damit tat, Einzelheiten auszumalen; keine Details bitte, dafür war er noch zu jung. An einem dunklen Tag wie dem heutigen, erinnerte er sich, hatte ihn Rebekka angesehen, zum ersten und letzten Mal hielt sie seinem Blick stand, der sie zu ihm heranholte; klar sah er, wie nie zuvor, und er bemerkte, daß sein Mädchen unendlich traurig war, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Was ist denn?, wollte er sagen, brachte keinen Ton hervor. Bin ich dir so zuwider? Aber das war es natürlich nicht; was sie ihm vorführen wollte, war die Einübung des Abschieds, sie mußte gehen, und er blieb. Das passiert den Liebenden ständig, überall auf der Welt: Abschied und Tränen sind der Nachspann der Liebe, er brennt sich ein, ist herzergreifend schön, kann aber auch den Hass schüren und die finsteren Phantasien; im säuselnden Einklang, in ergebener Einverständigkeit verkümmert jede Liebe, was er sich damals aber nicht eingestehen mochte. Dennoch gab er sie frei, versteht sich, er löste das Gedankenversprechen, durch das sie verbunden waren, und sie entfernte sich, gleichsam auf Zehenspitzen gehend, aus seinem Kopf, der nach der Trennung brummte und schmerzte und feuerrot anlief, so daß sogar der alte Kierkegaard aufmerksam wurde, sein bewegtes Lamento unterbrach und sich hinauf bemühte in das Zimmer des Sohnes, der im Bett lag und nicht wußte, wie ihm geschah. Wie er den Vater so sah, mit seiner namenlosen Trauer, schämte er sich, grundlos, gewiß; er hatte gesündigt, wozu allerdings kaum mehr gehört, als einfach nur dazusein, schon das läßt sich nicht entschuldigen, und er zog die Decke über den Kopf, während der Vater ihn von oben herab anredete; er verstand ihn nicht, fühlte sich jedoch aus der Distanz getröstet.

»Ich weiß den Ort einige Meilen von Kopenhagen, an dem ein junges Mädchen wohnt; ich kenne den großen schattigen Garten mit den vielen Bäumen und Sträuchern. Ich weiß den Hang, der ein kleines Stückchen davon liegt, mit Büschen bewachsen, von dem her man in den Garten herniederschauen kann, selber von

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Um alles zu richten

dem Buschwerk gedeckt. Ich habe es niemandem verraten, nicht einmal mein Kutscher weiß davon; denn ihn täusche ich, indem ich ein Stück weiter ab aussteige, und nach rechts gehe statt nach links. Wenn dann meine Seele den Schlaf nicht findet und der Anblick meines Betts mich mehr ängstigt als ein Folterwerkzeug, mehr als der Kranke das Streckbett fürchtet, so fahre ich die ganze Nacht. Früh am Morgen liege ich hinter den Büschen versteckt. Wenn dann das Leben zu erwachen beginnt, wenn die Sonne ihr Auge aufschlägt, wenn der Vogel seine Flügel regt, wenn der Fuchs aus seinem Loche schleicht, wenn der Bauer in der Tür steht und hinschaut über das Feld, wenn die Melkdirne mit ihrem Eimer hinabgeht zur Wiese, wenn der Schnitter die Sense dengelt und sich dieses Vorklangs erfreut, welcher des Tages und der Arbeit Kehrreim sein wird – so kommt auch das junge Mädchen zum Vorschein […]. Wer da von seinem Lager aufstehn könnte, als hätte niemand darauf sich geruht, so daß das Lager selber kühl wäre und lieblich und erquickend zu sehen, als hätte der Schlafende sich nicht darauf geruht. Sondern sich nur darüber gebeugt, um alles zu richten! Wer da so sterben könnte, daß sogar sein Sterbelager im gleichen Augenblick, da man ihn davon fortnimmt, einladender anzusehen wäre, als wenn eine sorgliche Mutter das Bett aufgeschüttelt und darüber hingehaucht hätte, damit das Kind ruhiger schlafe. So kommt denn das junge Mädchen zum Vorschein, so geht sie staunend umher (wer staunt am meisten, das Mädchen oder die Bäume!), so kauert sie sich nieder und pflückt von den Sträuchern, so springt sie leicht umher, so steht sie gedankenvoll still. Welch eine wundersame Überredung liegt nicht in alledem! So findet meine Seele denn zuletzt Ruhe. Glückliches Mädchen! Wo jemals ein Mann deine Liebe gewinnen sollte, mögest du ihn dann ebenso glücklich machen, indem du für ihn alles bist, wie du mich machst, indem du nichts für mich tust.« Kierkegaard 29

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Für den Erwerb von Schwierigkeiten

Wer mit Zweifeln umzugehen weiß und sich trotzdem sein persönliches Gottvertrauen erarbeitet, nimmt die Widersprüchlichkeit der Existenz an – auf beträchtlichem Niveau. Es ist eine Verbeugung vor den Gegensätzen, die Kierkegaard verlangt: Endlichkeit und Unendlichkeit ragen unmittelbar in unser Dasein hinein und müssen ausgehalten werden. Dabei kann der Mensch, den die Zweifel wie eine heimtückische, nichttherapierbare Krankheit befallen, auch ver-zweifeln – er ist gefangen in einer Einsamkeit, für die es keine Erklärung gibt. Diese Einsamkeit, die sich als stille Verzweiflung begreifen läßt, wird jeder Existenz wie ein Prüfsiegel aufgedrückt, in dem bereits, in geheimer Gravur, das Haltbarkeitsdatum der Persönlichkeit enthalten ist. Der Mensch, zurückgeworfen auf sich selbst, kann seine Einsamkeit mit Verachtung strafen oder verleugnen – entkommen kann er ihr nicht. In einer Tagebuchaufzeichnung aus dem Jahre 1844 hat Kierkegaard die stille Verzweiflung scheinbar amüsiert als ein Gleichnis erzählt, das die wiederkehrende Geschichte von Vater und Sohn erzählt, die nicht mehr aus dem Kreisgang ihres Denkens herauskönnen: »Es waren einmal ein Vater und ein Sohn. Beide geistig sehr begabt, beide witzig, besonders der Vater. Jeder, der ihr Haus kannte und dort verkehrte, fand sicherlich, daß es sehr kurzweilig war. Im allgemeinen disputierten sie und unterhielten sich miteinander nur wie zwei gute Köpfe, und nicht als Vater und Sohn. Ganz selten einmal, wenn der Vater den Sohn betrachtete und sah, daß er sehr kummervoll war, da stand er still vor ihm und sagte: Armes Kind! Du steckst in einer stillen Verzweiflung. (Aber er befragte ihn niemals näher, ach!, das konnte er nicht, denn er steckte selber in einer stillen Verzweiflung.) Sonst wurden niemals zwei Worte über diese Angelegenheit gewechselt.« Eine unausgesprochene Einverständigkeit herrscht zwischen Vater und 53 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Für den Erwerb von Schwierigkeiten

Sohn. Über sie muß, auch aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht groß geredet werden, denn es steht zu befürchten, dass eine beiläufige, scheinbar absichtslos begonnene Rede, in der Verdrängtes und Untergründiges mit schwingt, zur unendlichen Geschichte wird, aus der man so schnell nicht mehr freikommt. Der Gemütszustand, den man damit erreicht, ist ein prekärer, er schwebt zwischen leiser Trauer und unerklärlicher Fröhlichkeit. »[…] der Vater und der Sohn waren vielleicht zwei der schwermütigsten Menschen, die seit Menschengedenken gelebt haben. – Von hier stammt das Wort: die stille Verzweiflung. Es ist sonst niemals angewandt worden; denn man hat im allgemeinen eine andere Vorstellung von Verzweiflung. Sobald der Sohn dies Wort nur bei sich selber erwähnte: ›die stille Verzweiflung‹, brach er immer in Tränen aus, teils, weil es so unerklärlich erschütternd war, teils, weil er sich an die bewegte Stimme des Vaters erinnerte, da er, wie alle Schwermut, lakonisch war, aber auch das Gewichtige der Schwermut besaß.« Vater und Sohn schweigen im Gleichklang; nur nicht rühren am unausgesprochenen Befund, der für beide gilt, also eine Art Erbkrankheit anmahnt: »Und der Vater glaubte, er habe die Schwermut des Sohnes verschuldet, und der Sohn glaubte, er habe die Schwermut des Vaters verschuldet; darum sprachen sie nie miteinander. Und jener Ausruf des Vaters war ein Ausruf seiner eigenen Schwermut, so daß er, als er es sagte, mehr zu sich selber sprach als zu dem Sohne.« 30 Die stille Verzweiflung wird zu Kierkegaards Leitmotiv, sie nistet sich bei ihm ein, übernimmt seine Stimmungen, in denen eine verläßliche Schwermut den Ton angibt, die jedoch, erfreulicherweise, so schwer nicht ist, um ihrem Urheber, der zudem die Deutungshoheit in Sachen ironischer Selbstbetrachtung behält, nicht auch anhaltende Momente begründeter Heiterkeit zuzugestehen. Als Schwermuts- und Verzweiflungskünstler hat Kierkegaard einiges zu bieten: Er bekennt sich zum Wechselbad der Gefühle und durchlebt das ganze Spektrum aufsässiger Melancholie, die jederzeit, erleuchtungsgleich, umschlagen kann und zur unbändigen Freude wird. Auch der Witz resultiert

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Für den Erwerb von Schwierigkeiten

aus der Verzweiflung; der Ernst des Lebens ist ernst genug, um als Groteske durchgehen zu können. Eine Zeitlang versucht sich Kierkegaard zudem in unerschrockener Lebensbejahung. In den Straßen von Kopenhagen tritt er als Flaneur auf, als dänischer Sokrates, dem es weniger um gemeinschaftlich erzielte Einsichten als um die Duftmarken des Spotts geht; er hockt in Cafés, übt den scharfen Blick, bricht in unmotiviertes Gelächter aus, zieht Grimassen, beschriftet Papier, so als müsse er über jeden der Anwesenden ein unfreundliches Psychogramm verfertigen – und scheint bei all dem geflissentlich zu übersehen, daß die Leute ihn längst für eine komische Figur halten, ein Vatersöhnchen aus reichem Hause, das einen theologischen Spleen pflegt, sich auf nutzlose Weise literarisch betätigt und das väterliche Erbe durchbringt. Dabei weiß er nur zu gut, was man über ihn denkt; er beklagt sich darüber, was sich allerdings oft genug anhört, als fühlte er sich geschmeichelt. Mit Ironie geht Kierkegaard professionell um; er bezieht die eigene Person mit ein, kann über sich selbst lachen, was wiederum in versierter Kehrtwendung zurückführt zur stillen Verzweiflung. Wenn andere über ihn lachen, findet er das weniger lustig. Von den Journalisten, im besonderen einem Satireblatt namens Der Corsar, das ihn zum Gegenstand anspruchsloser Karikaturen macht, wähnt er sich regelrecht verfolgt. Er eröffnet einen Kleinkrieg gegen die »Journaille«, den er nicht gewinnen kann; sein Scheitern ist bereits an der Wahl der Waffen abzusehen. Kierkegaard plakatiert die Würde des geistigen Persönlichkeitsrechts; seine Gegner setzen ihm alberne Hüte auf, malen seinen Buckel nach und ziehen ihm eine Nase. In einem Rechenschaftsbericht, der geschrieben wurde, als er noch nicht im Feindesland festsaß, hat Kierkegaard dargestellt, wie er, der Müßiggänger, dazu kam, Schriftsteller zu werden und den Leuten auf die Nerven zu gehen: »Ich muß dem verehrten Publikum berichten, wie ich Autor wurde. Die Geschichte ist ganz einfach, weil ich keineswegs eine Vision hatte, noch einen Traum, noch die Inspiration eines Genies, noch sonst etwas derartiges. Ich hatte einige Jahre als Student mit Nichtstun verbracht, hatte gelesen und etwas nachgedacht […], 55 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Für den Erwerb von Schwierigkeiten

aber meine Faulheit war überwältigend gewesen.« Ein unscheinbares Erlebnis hilft ihm, dieser Faulheit entgegenzutreten und seine bisherige Existenz in Frage zu stellen. Dabei spielt auch die Zeit eine Rolle, von der man in jungen Jahren unendlich viel zu haben meint, während sie später, wenn es enger wird im Erwartungshorizont des Menschen, als kostbares Gut erscheint und nach ökonomischem Umgang verlangt. »So saß ich vor Jahren an einem Sonntagnachmittag in einem Café in Frederiksberg Have, rauchte meine Zigarre und schaute mir die Dienstmädchen an, da kommt mir plötzlich folgender Gedanke: Du vertrödelst deine Zeit, ohne für irgend jemanden nützlich zu sein. Ein Genie nach dem andern taucht auf und erleichtert das Leben, die Weltgeschichte und die Beziehung zur ewigen Seligkeit! – Und was machst du? Könntest du nicht auch eine Idee haben, womit du den Zeiten dienen könntest?« Die dazugehörige Idee, mit der man, zumindest im vorläufigen Planspiel, für Furore sorgen kann, ist schnell gefunden; für Kierkegaard klingt sie einleuchtend, andere haben damit bis heute ihre Schwierigkeiten: »Da kam mir ein Gedanke: Wie wäre es, wenn ich mich hinsetzen und alles so schwer wie möglich machen würde? So sollte man in jeder Hinsicht dienen. Auch wenn die Zeiten keinen Ballast benötigen, würde ich von all jenen geliebt werden, die alles so leicht machen, denn wenn es keinen gibt, der es erschwert, – dann wird alles gar zu leicht. – Von dem Augenblick an habe ich meine Arbeit genossen. Diese Arbeit ist unterhaltsam, denn ich habe kein Geld damit verdient, sondern nur Geld verbraucht. Man kann nicht von den Leuten verlangen, daß sie Geld für den Erwerb von Schwierigkeiten ausgeben sollen […].« 31

»Wer oder was ist dieser Sören Kierkegaard? Das werden sich all die Tausende fragen, die von ihm und seinen dicken Wälzern gehört haben. Verehrte Leser, Magister Sören Kierkegaard ist ein menschliches Wesen auf zwei Beinen, wie wir auch. Wie er ist, als Mensch und als Schriftsteller, das läßt sich am besten mit einem Beispiel erläutern. Kierkegaard geht auf der Gothersgade

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Für den Erwerb von Schwierigkeiten

spazieren, da stürzt ein Mann und bricht sich ein Bein, direkt vor dem Gemüseladen, vor dem erst vor kurzem eine Frau einen Unfall hatte. Unser Magister wird augenblicklich stehenbleiben und folgende Beobachtungen anstellen: 1. daß sich Furcht und Überraschung im Gesicht des Mannes widerspiegeln, als er fiel; 2. daß der Mann es mit der Angst zu tun bekommt, als er aufstehen will und merkt, daß ein Bein ihm nicht gehorcht, weil es gebrochen ist; 3. daß er Schmerz in seinem Bein verspürt und daß der Schmerz alle anderen Ausdrücke, die sich in seinem Gesicht widerspiegelten, verjagt. Jetzt aber wäre es an der Zeit, dem Mann zu helfen. Doch da setzt die zweite Phase der Beobachtungen ein: 1. daß die Leute zur Unfallstelle drängen und verwirrt sind; 2. daß sie Fragen an den Verunglückten richten und ihm Vorschläge machen, wie man ihn am besten vom Unfallort hinwegschaffen kann; 3. daß man auf die Stadt flucht, die es versäumt habe, Asche auf den Gehweg zu streuen, und daß man auf die Nachbarn flucht, weil sie es ebenfalls vergessen haben. Sobald alle Beobachtungen zu einem Ende gekommen sind, geht unser Magister nach Hause, um dort alle Beobachtungen aufzuschreiben. Lieber Leser, du hältst den Magister in Ehren und erwartest nun, daß er etwas zum Nutzen aller tun, sich hinsetzen und einen Artikel über glatte Gehsteige schreiben wird, oder daß er uns zum Lachen bringen will und eine Geschichte über den Unfall, über Leiden, Tod und Wiederauferstehung schreiben wird. Nein, weit gefehlt; er geht nach Hause und schreibt folgende Sätze: ›Wenn der Hegelianer das Paradox dadurch erklärt, daß er es aufhebt, und jetzt bewußt weiß, daß es aufgehoben ist, daß also das Paradox nicht das wesentliche Verhältnis der ewigen Wahrheit zu einer Person ist, die an der äußersten Grenze ihrer Existenz existiert, sondern nur ein zufälliges Verhältnis zu den einfältigen Köpfen, dann gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Hegelianer und dem Einfältigen, wodurch aber in die Existenz als ganzes Verwirrung kommt.‹ Lieber Leser, so sprach er in seinem letzten Buch über schwache Köpfe, aber du wirst sicherlich sofort einsehen, daß dies auch auf schwache Beine zutrifft.« Der Corsar 32

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»Was ist Freude, was ist Fröhlichsein? Es ist, daß man in Wahrheit sich selbst gegenwärtig ist; aber daß man sich selbst in Wahrheit gegenwärtig ist, es ist dies ›Heute‹, dies, daß man heute ist, daß man in Wahrheit heute ist. Und in eben dem Maße, in dem es wahrer wird, daß du heute bist, in eben dem Maße, in dem du im heute Sein dir selbst immer mehr ganz gegenwärtig bist, in eben diesem Maße ist des Unheils Tag, der morgende Tag, für dich nicht da. Die Freude ist die Zeit, die eben jetzt ist, wobei der ganze Nachdruck auf der eben jetzt seienden, der gegenwärtigen Zeit liegt. Deshalb ist Gott selig, er, der da ewig spricht: heute, er, der da ewig und unendlich sich gegenwärtig ist, in dem er heute ist […]. Mithin, daß du ins Dasein getreten bist, daß du da bist, daß du ›heute‹ das zum Dasein Nötige empfängst; daß du ins Dasein getreten bist, daß du Mensch geworden bist; daß du sehen kannst, bedenke es, daß du sehen kannst, daß du hören, daß du riechen kannst, daß du schmecken kannst, daß du fühlen kannst; daß die Sonne scheint für dich – und deinetwegen, daß, wenn sie müde wird, dann der Mond aufgeht, und daß dann die Sterne angezündet werden; daß es Winter wird, daß die ganze Natur verkleidet, fremd tut – und das zu deiner Unterhaltung; daß es Frühling wird, daß die Vögel kommen in ungezählten Scharen – und dir zur Freude, daß das junge Grün aufsprießt, daß der Wald schön ausschlägt und Hochzeit hält – und das, um dich zu erfreuen; daß Herbst wird, daß die Vögel von dannen ziehn, nicht, um sich kostbar zu machen, o nein, sondern damit du ihrer nicht leid wirst, daß der Wald seinen Schmuck in die Truhe tut bis aufs nächste Mal, will heißen, damit du das nächste Mal dich freuen mögest«. Kierkegaard 33

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Auch das gehört zur Selbstfindung: die schönen Dinge annehmen und sich klar darüber sein, dass sie uns erfreuen, obwohl oder gerade weil sie von sich aus da sind und nicht dem Machbarkeitswahn entstammen, der über die Menschen kam und ihr Denken besetzt hält. Von sich aus da ist auch die Liebe, die Kierkegaard jedoch wenig Freude bereitete: Am 10. September 1840 verlobte er sich mit der jungen Regine Olsen; am 11. Oktober des Jahres 1841 löste er nach gut einem Jahr nahezu unerklärlicher Qualen die Verlobung wieder auf. Es schien so, als ob seine bewährte Schwermut es nicht zulassen wollte, daß seine Gefühle anderweitig verbraucht wurden. Kierkegaard kam sich mehr denn je belastet vor; die vom Vater übernommene Schuld, meinte er, würde nicht nur einen Schatten auf sein Glück werfen, sondern es auch zerstören. So gab er sich großmütig und kleinlaut zugleich, leistete einen Verzicht, den nur die Stimme seines Gewissens von ihm einfordern konnte. Damit war allerdings niemandem wirklich geholfen. Immer wieder hat Kierkegaard sich über seinen Schritt Rechenschaft abzulegen versucht, ohne daß es ihm gelang, Klarheit über seine Motive zu gewinnen: »Wäre ich nicht ein Büßender gewesen, hätte ich nicht meine vita ante acta gehabt, wäre ich nicht schwermütig gewesen – die Verbindung mit ihr (Regine Olsen) würde mich so glücklich gemacht haben, wie ich’s mir nie hätte träumen lassen […]. Aber da war ein göttlicher Einspruch, so faßte ich es auf«. Ziemlich schnell muß Kierkegaard klar geworden sein, dass für einen wie ihn nur ein Ende mit Schrecken in Frage kam. Dabei wäre die Alternative, nämlich ein Schrecken ohne Ende, gar nicht mal ausgemacht gewesen, denn Regine war nach allem, was wir wissen, ein freundliches, zur Anschmiegsamkeit bereites Mädchen, das erst später zu erweitertem Selbstbewusstsein und einer gewissen Eigenständigkeit fand. Kierkegaard wurde nicht müde, 59 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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seine Beweggründe zu loben, die ihm selbst allerdings nur bedingt einleuchteten: »Aus dem Verhältnis als ein Schurke, wenn möglich als ein Erzschurke hinauszugehen, war das einzige, was zu tun war […]. So trennten wir uns […]. Ich verbrachte die Nächte weinend in meinem Bett […]. Hätte ich alles erklären sollen, dann hätte ich sie in entsetzliche Dinge einweihen müssen, in mein Verhältnis zu Vater, seine Schwermut; die ewige Nacht, die im tiefsten Innern brütet, meine Lüste und Ausschweifungen, die vielleicht in Gottes Augen doch nicht so himmelschreiend sind; denn es war doch Angst, die mich dazu trieb, zu fehlen, und wo sollte ich einen Halt suchen.« 34 Kierkegaard wich vor der Liebe zurück, weil er die Frau seiner Wahl nicht mit der ihm auferlegten Schwermut strafen wollte; das war die erste, einfachste und edelste Erklärung, die er seinem Verhalten zugestehen mochte. Damit durfte er sich aber auf Dauer nicht zufriedengeben; weitere Reflexionen zum Thema folgten. Ab und zu, in den wohlgefälligeren Stunden, kam auch die Hoffnung zurück, der er mit seiner Verlobung den kühnsten Ausdruck verliehen hatte. Für Momente, manche von ihnen hielten sogar länger an, überkamen ihn anrührende Visionen vom trauten Familienglück und einer undramatischen Befriedung seiner gesamten Lebensumstände. Dann aber rief er sich wieder zur Ordnung, klagte über sein Schicksal und rief es, nicht ohne ironische Zwischentöne, zum Geschenk einer eisigen Freiheit aus, in der, letztendlich, nichts anderes vorbereitet werden könne als die eine, zu Gott hinführende oder ihn verleugnende Entscheidung. Kierkegaard kam nicht mehr davon los, die Welt als Schuldiger zu sehen. Die Annahme seiner Existenz bedeutete mit Blick auf Gott eine Entscheidung für den Stachel im Fleisch, der tief saß und sich nicht entfernen ließ. Er ist die Lebenswunde, die einmal geschlagen alle Heilkünste des Menschen nicht mehr zu schließen vermögen. Nur Gott vermag zu helfen; wer sich ihm anvertraut, bedingungs- und vorurteilslos, muß mit der Welt, wie sie von uns zugerichtet wird, brechen. Ein solcher Bruch heißt jedoch nicht, in eine überspannte, die Sinne ableugnende Askese zu verfallen: »Da Gott selbst diese Welt erschaffen hat und erhält, soll man sich vor dem asketi60 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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schen Fanatismus wohl hüten, der sie ohne weiteres haßt und zunichte macht. Nein, – in christlich mildester Auffassung könnte ich das Verhältnis folgendermaßen darstellen: diese Welt ist wie Spiel und Spielzeug für das Kind; der Vater kann das Spielzeug sogar schön finden und kindlichen Herzens darauf eingehen; aber gleichwohl fordert er, daß sich das Kind es langsam abgewöhnen soll. – So steht es auch mit der Erziehung für das Reich Gottes und für das Christentum.« Kierkegaards Version des Christentums darf froh und vertrauensselig sein, aber nur auf Zeit, dann hört der Spaß auf, und es geht wieder ums Große und Ganze. Das sieht auch Gott so, den Kierkegaard zu kennen meint wie kein anderer; dennoch sollte man daraus keine falschen Schlüsse ziehen: »Gott ist kein ungeduldiger und grausamer Mann, der dem Menschen schaden will, indem er ihn überrascht, – nein, Gott ist der Gott der Geduld. Dennoch will Gott den Menschen verstehen lehren, er müsse mit diesem Irdischen ein für allemal so sehr brechen, daß ernstlich der Geist zum Vorschein kommt, und so will er ferner, daß man es sich langsam abgewöhnen soll. Aber kein fleischlicher Fanatismus soll es sein […]. Du sollst von Gott glauben, daß er väterliche Gesinnung genug besitzt, um sich kindlich mit dir freuen zu wollen, wenn du in deiner menschlichen Vorstellung froh bist. Aber du sollst dich daran erinnern, daß du streben […] sollst, auf daß der Sinn aus dem Irdischen heraus umgewandelt werden kann.« 35 Kierkegaard glaubte zu wissen, was Lebensgenuß bedeuten kann. Lange genug hatte er sich nun als Flaneur betätigt und die Kopenhagener Spießbürger aufs Korn genommen; in der Liebe trat er als Auszubildender an, der es verschmerzen konnte, daß man ihn nicht in die Festanstellung nahm. Sein Blick für die Lächerlichkeiten des Lebens war ungetrübt und wurde mit der Zeit nur noch schärfer. Die Menschen, wie er sie wahrnahm, formierten sich zu einem Kabinett unglücklicher Komiker; je genauer man allerdings hinsah, desto mehr verging einem das Lachen. Der Mensch breitet sich in der ihm überantworteten irdischen Existenz als gefräßiger Allesverwerter aus; er gibt sich versiert in der Bewältigung gewöhnlicher Problem61 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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lagen und führt das bedenkenlos große Wort. Sogar die Natur, altehrwürdig einst und demütig gedacht als das »von sich aus Seiende«, hat er in Bearbeitungs- und Veränderungsvorbehalt genommen. Kierkegaard sah sich veranlaßt, die Schöpfung gegen ihr überheblichstes Geschöpf, den Menschen, in Schutz zu nehmen: »Wie kann ein Mensch darauf verfallen, dieses Dasein zu preisen! Ich meine nicht das Dasein der Natur, sondern die Gesellschaft der Menschen. Vogelgesang ist herrlich, Spatzen sind vergnüglich, Lilien schön und das Heer der Sterne unvergeßlich – aber der Mensch, das Wunder der Schöpfung, ihr Schmuck, wie die geistlichen Herren gegen Bezahlung sagen, er ist das einzig Entstellende.« Der Mensch nimmt sich zu wichtig, das wissen wir Heutigen womöglich noch besser als Kierkegaard. Allerdings ist der löbliche Aufruf zur Bescheidenheit nicht ganz unproblematisch: mit ihm kann man es übertreiben, sich kleiner machen, als man ist, und einen friedvollen und höchst ausgewogenen Urzustand anpeilen, den keiner je wirklich kennengelernt hat. Es kommt also einmal mehr auf das richtige Maß an: »In diesem Dasein muß man entweder jedes im großen Sinne ideale Streben und alle Möglichkeit wahrer Idealität abscheulich zurückdrängen (ein Verbrechen, schlimmer als das Abtreiben der Leibesfrucht) oder sie doch empörend halbieren, um dann im widerlichen Fett der weltlichen Ehre und des Ansehens aufzudunsen und aufzuschwellen. – Oder, will man anders, ist man eo ipso Märtyrer.« Für Kierkegaard gibt es nur eine Weltanschauung, die nicht beliebig und austauschbar ist; wer sich zu ihr bekennt, kann nicht mehr zurück: »[…] das Christentum ist doch die einzige Erklärung des Daseins, die Stich hält. Das irdische Leben ist Leiden, wovon jeder Mensch sein Quantum hat. Sein letztes Wort ist daher: Gott sei Dank, das ist überstanden! – Das irdische Dasein ist Prüfungszeit, Examen. All das Geschwätz, etwas auszurichten, zu wirken, das ist auch Erfindung der Geistlichen gegen Geld; eine Art Ernst, der Gott abschafft.« Zweifellos gibt es einfachere Sichtweisen auf Gott und die Welt, als sie in Kierkegaards Christentum angeboten wird, das alles in allem nicht viel Verheißungsvolles bereithält, zumindest nicht, was den irdischen Geschäftsbetrieb an62 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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geht: »Nein, weder Du noch ich können Vorsehung spielen oder etwas ausrichten. Wir sind zeitlebens da, um geprüft zu werden. Daraus folgt, daß Du immer ganz anders arbeiten mußt als die, die etwas ›erreichen‹, aber du bist frei von jeder Einbildung. Zu sagen, die Welt schreite vorwärts, ist daher auch Unsinn und wiederum eine Betrachtungsweise, die Gott verneint. Diejenigen, welche geschäftig etwas ausrichten wollen, meinen nämlich: sie würden sich gleichsam dem Geschlecht vorspannen und es vorwärtsschleppen. Oh, spar Dir die Mühe! […] Du sollst die Welt nicht umschaffen, – Du, der Du geprüft werden sollst, während Du in ihr lebst«. 36 Die Kehrseite der stillen Verzweiflung, die Kierkegaard in sein Leben nahm, war eine »unbeschreibliche« Freude. Sie findet nur selten Erwähnung, wenn von Kierkegaards Philosophie und ihren Schwermutskünsten die Rede ist. Freude scheint mit der konturlosen Trauer, die über dem Dasein hängt, nicht zusammenzugehen; dabei gehört sie zum Leben wie eine alles vereinnahmende Angst, die keinen Anlaß braucht, keinen Auslöser, um zur grundlegenden Angst, zur Existenz-Angst zu werden. Kierkegaard hat die namenlose Freude angenommen und sich ihr, soweit ihm dies von seiner psychischen Disposition her möglich war, bedenkenlos hingegeben. Die Lebensfreude wurde ihm, bezogen auf sein Schlüsselerlebnis, »das große Erdbeben«, zu einem wiederkehrenden Nachbeben, das sich ein ums andere Mal als enthusiasmierend erwies: »Es gibt eine unbeschreibliche Freude, die uns ebenso unerklärlich durchglüht, wie der Ausbruch des Apostels unmotiviert hervortritt: ›Freut euch, und abermals sage ich, freuet euch‹ – nicht eine Freude über dieses und jenes, sondern der Seele voller Ausruf ›mit Zung und Mund und von Herzensgrund‹.« Wenn diese Freude über einen kommt, muß man sie annehmen; alle Fluchtwege sind, dankenswerterweise, verstellt, es bleibt nur ebendiese Freude, die zwar zeitlich begrenzt ist, dafür jedoch wunderbar unbändig werden kann: »Ich freue mich an meiner Freude, von, in, bei, auf und zu meiner Freude, ein himmlischer Kehrreim, der plötzlich unser übriges Singen abschneidet: eine Freude, die einem Windhauch

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gleich kühlt und erfrischt, ein Stoß des Passats, der vom Haine Mamre weht zu den ewigen Wohnungen«. 37 Aus der Freude, die kam und ging, wie sie wollte, und sich gern als Schwermut verkleidete, bezog Kierkegaard seinen Witz. Er, ein Vielflieger Gottes, dem die existentielle Beschwernis zu Herzensangelegenheit geworden war, ohne daß er es sich wie sein Philosophenkollege Schopenhauer, den er las und schätzte, gestattet hätte, ihr die Lämpchen der Behaglichkeit aufzustekken, verschaffte sich Erleichterung über eine mal aktenkundige, mal verhaltensunauffällige Komik, die inzwischen zur Füll- und Manövriermasse des Alltags geworden ist. Auf seinen Phantasie- und Gedankenflügen war sie das Handgepäck, das er nicht aufgeben durfte. Kierkegaard, »einer der witzigsten Schriftsteller« und »Witzemacher in hohem Stil, die je gelebt haben« (Ernst Bloch), führt das Leben als Staatsschauspiel vor, das keiner großen Bühne bedarf, sondern in jedem besseren Glashaus gegeben werden kann, wo man sich noch aufs Steinewerfen versteht.

»Kierkegaard war ein dänischer Kleinbürger, der sein väterliches Erbe verzehrte […]. Es finden sich bei ihm, was den Reiz dieses seltsamen Mannes zum Teil erhöht, schwer pathologische Züge, vor allem die echt romantisch-pathologischen Züge des Ausweichens vor der Verwirklichung. Er heiratete seine Braut Regine Olsen nicht – nicht aus Furcht vor der Ehe, sondern aus Furcht, daß sie durch ihn die Verwirklichung kennenlernen würde. Sie heiratete einen anderen, und er sagte: Heute sah ich meine Braut mit ihrem Mann. Keiner kann ihr treuer sein als ich, und ich hoffe, sie hat es begriffen. Solche Dinge, aus der Romantik stammend, kommen in skuriller und nicht in dieser ernsten und erfahrenen Form auch bei E. T. A. Hoffmann vor […], und sie kommen vor in der ›Komödie der Liebe‹ des jungen Ibsen, wo ein Mädchen, das nicht mit Unrecht Schwanhild heißt, und ein junger, sangesfroher Bursche sich nicht heiraten, damit sie nicht den Herbst ihrer Liebe erleben müssen. So heiratet sie einen glatzköpfigen, stiernackigen, dickbäuchigen Großkaufmann mit

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vollkommenem Bewußtsein, daß dieser das richtige Objekt für die Ehe ist – und der sangesfrohe Dichter zieht mit den Seinen Guitarre schlagend in die Weite. Der Frühling der Liebe ist ungeschändet und ewig geblieben zwischen beiden (…).« Ernst Bloch 38

»Mein Leben hat begonnen ohne Unmittelbarkeit, mit einer entsetzlichen Schwermut, in der frühesten Kindheit schon verstört in seinem tiefsten Grund, einer Schwermut, die mich eine Zeitlang in Sünde und Ausschweifung stürzte, und doch menschlich gesprochen nahezu mehr wahnsinnig als schuldig. So hielt meines Vaters Tod wesentlich mich an. Daß jenes Grundelend meines Wesens gehoben werden könnte, durfte ich nicht glauben; so ergriff ich das Ewige, selig vergewissert, daß Gott doch die Liebe ist, wenn ich auch mein ganzes Leben so leiden sollte; ja selig vergewissert. So sah ich mein Leben an. Da werde ich noch einmal, und systematisch, in den Abgrund meiner Schwermut hinabgestoßen, dadurch, daß ich meine Verlobung lösen mußte, und warum, just, weil ich nicht glauben durfte, daß Gott meines Wesens Grundschaden heben wollte, meine fast wahnsinnige Schwermut wegnehmen, was ich nun wünschte mit der ganzen Leidenschaft meiner Seele um ihret- und so wiederum um meinetwillen. Es war so schwer wie möglich, mein eigenes Elend reproduzieren zu müssen. Ich resignierte zum zweitenmal […]. Und nun, da ich auf mancherlei Weise zum Äußersten gekommen bin, nun […] ist da eine Hoffnung in meiner Seele erwacht, daß Gott doch meines Wesens Grundschaden werde heben können und wollen. Das heißt: nun bin ich bei dem Glauben im tiefsten Sinn. Der Glaube ist die Unmittelbarkeit nach der Reflexion. Als Dichter und Denker habe ich alles im Phantasiemedium dargestellt, selber in der Resignation lebend. Nun kommt das Leben mir näher, oder ich komme mir selber näher, komme zu mir selbst. – Für Gott ist alles möglich, dieser Gedanke ist nun im tiefsten Sinn meine Losung, hat eine Bedeutung für mich gewonnen, wie ich es niemals gedacht hätte. Daß ich in keinem Augenblick mich vermessen dürfte, weil ich keinen Ausweg

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sehe, zu sagen, daß deshalb auch für Gott keiner da sein sollte. Denn dies ist die Verzweiflung und das Vermessene, sein bißchen Phantasie und ähnliches […] mit der Möglichkeit zu verwechseln, über die Gott verfügt.« Kierkegaard 39

»Wie oft ist mir doch geschehen, was mir nun wieder geschehen ist. So versinke ich im Leiden der tiefsten Schwermut, der eine oder andere Gedanke knotet sich so für mich, daß ich ihn nicht lösen kann, und da er in Beziehung steht zu meiner eigenen Existenz, so leide ich unbeschreiblich. Und dann, wenn etwas Zeit vergangen ist, platzt gleichsam die Eiterbeule, und darunter liegt dann die anmutigste und reichste Produktivität – und just die, die ich im Augenblick gebrauchen soll. – Aber solange das Leiden dauert, ist es oft ungeheuer qualvoll. Doch nach und nach lernt man mit Gottes Hilfe glaubend bei Gott zu bleiben, selbst im Augenblick des Leidens, oder doch so hurtig wie möglich wieder zu Gott hinzukommen, wenn es gewesen ist, als hätte er einen kleinen Augenblick einen losgelassen, während man litt. So muß es ja sein, denn könnte man Gott ganz gegenwärtig bei sich haben, so würde man ja gar nicht leiden.« Kierkegaard 40

»Ich wußte nicht, daß Onkel Sören die Verlobung gelöst hatte, als da kurz nach unserer Herbstübersiedlung in die Stadt die Mitteilung kam, wir möchten zu ihm hinüberkommen. Er wohnte damals in dem alten Haus auf Nytorv zusammen mit Onkel Peter, der kurz vorher mit Henriette Glahn sich verlobt hatte […]. Als wir Kinder […] an jenem Abend hinaufkamen, empfing diese uns recht freundlich, erfreut darüber, daß wir so von selber sie besuchten; aber sie wurde bald aus ihrem Irrtum herausgerissen, als in dem Augenblick Onkel Sören kam, um uns zu sich zu holen. Er sah stark bewegt aus, und anstelle des gewöhnlichen Scherzes küßte er mich sanft aufs Haar, daß es mir ganz weich ums Herz wurde. Einen Augenblick danach wollte er

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mit uns sprechen, aber brach statt dessen heftig in Tränen aus und, ohne recht zu wissen, was da zu weinen war – zum mindesten ging mir es so – bloß ergriffen von seinem Schmerz heulten wir bald alle mit wie unter der Last eines tiefen Leides. Onkel Sören nahm sich indessen rasch zusammen und erzählte, daß er einen dieser Tage nach Berlin reisen wolle, vielleicht um längere Zeit fortzubleiben; wir mußten deshalb versprechen, fleißig zu schreiben, da er Sehnsucht haben werde zu hören, wie es jedem von uns gehe. Unter vielen Tränen gaben wir unser Versprechen«. Henriette Lund 41

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Ein einzelner Schatten

Die beiden einzigen Auslandsaufenthalte, die der bodenständige Kierkegaard sich gönnte, führten ihn nach Deutschland: Im Winter 1841 und im Frühjahr 1843 lebte und arbeitete er in Berlin. Die Stadt gefiel ihm, sie präsentierte sich weltoffen, war nicht so provinziell wie sein Kopenhagen; dennoch gab es genügend Rückzugsmöglichkeiten, um seine literarischen Pläne zu verfolgen und dem Zuspruch der eigenen Gedanken zu lauschen. Seine Berliner Wohnung in der Jägerstraße hatte es Kierkegaard besonders angetan; sie war ein verwunschener, der Nacht zugewandter Ort, wie geschaffen, um empfänglich zu sein und gewagte Einsichten neu aufleben zu lassen: »Alles verwandelt sich in eine Theaterdekoration. Eine träumerische Wirklichkeit dämmert im Hintergrund der Seele. Man empfindet Lust, den Mantel um sich zu werfen, sich langsam, mit spähenden Blicken, an der Mauer entlang zu schleichen, auf jedes Geräusch achtend. Man tut es nicht, man sieht nur sich selber, in jungen Jahren, es tun. Man hat seine Zigarre geraucht; man zieht sich in das innere Zimmer zurück, man beginnt zu arbeiten.« Kierkegaard liebt diese Berliner Nachtstunden, in denen er auf dem Papier ungeheuer gesellig ist und doch nur sich selbst als Gesprächspartner braucht. Es ist eine Variante der namenlosen Freude, die über ihn kommt; die Menschen sind noch da, aber weit weg. Wenn sie benötigt werden, bittet der Schriftsteller Kierkegaard, der in Berlin außerordentlich produktiv ist, sie kurz zu sich herein, lässt sie in seine spezielle Nachtatmosphäre mit eintauchen, um sie dann wieder hinauszukomplimentieren. Wieder allein, kann er im heiteren Gespräch mit sich selbst dann noch einmal zulegen; die Nächte haben nun endgültig etwas Magisches: »[…] man zündet einen kleinen Nachtleuchter an. Die Mondbeleuchtung siegt. Ein einzelner Schatten zeigt sich noch dunkler, ein einzelner Fußtritt braucht so lange, 69 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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um zu verschwinden. Das wolkenlose Gewölbe des Himmels sieht so wehmütig und gedankenvoll träumerisch aus, als sei der Untergang der Welt vorüber und der Himmel ungestört mit sich selber beschäftigt. Man geht wieder ins Vorzimmer im Entree hinaus, in jenes kleine Kabinett, man schläft – wenn man zu den Glücklichen gehört, die schlafen können. – Ach! aber hier waren keine Wiederholungen möglich!« Kierkegaards Vermieter ist ein Berliner Original; er hat inzwischen das getan, was sein Mieter vor einiger Zeit auch tun wollte, um dann, fast panikartig, doch davon Abstand zu nehmen: »Mein Wirt […] hatte […] geheiratet. Ich wollte ihm gratulieren, aber da ich der deutschen Sprache nicht so mächtig bin, daß ich mich im Handumdrehen drehen kann, auch nicht die bei solchen Gelegenheiten gebräuchlichen Redensarten parat hatte, beschränkte ich mich auf eine pantomimische Gebärde. Ich legte die Hand aufs Herz und sah ihn an, während zarte Teilnahme auf meinem Gesicht zu lesen stand. Er drückte mir die Hand. Nachdem wir uns in dieser Weise verständigt hatten, ging er dazu über, die ästhetische Geltung der Ehe zu beweisen. Es gelang ihm außerordentlich, ganz genau so gut, wie das vorige Mal die Vollkommenheit der Junggesellen zu beweisen. Wenn ich deutsch spreche, bin ich der nachgiebigste Mensch von der Welt«. 42 In Berlin freute sich Kierkegaard an Dingen, die er daheim nur noch mißmutig zur Kenntnis genommen hätte. Eine vornehme Unbekanntheit zeichnete ihn hier aus; man nahm ihn nicht wahr. Der Kopenhagener Literat, der sich in Fehden mit anderen Literaten verstrickte, war in Berlin ein nahezu unbeschriebenes Blatt, so daß er darauf verzichten konnte, als wandelndes schlechtes Gewissen aufzutreten, das die Leute mit nachdrücklichen Reflexionen über Leiden und Sterben, Sündhaftigkeit und Werteverfall traktierte. Statt dessen gönnte er sich Ablenkung: Er ging an die Universität, um Vorlesungen zu hören, und er besuchte, was ihm deutlich mehr Spaß bereitete, die Theater der Stadt. Kierkegaard besaß ein Faible für theatralische Missionen; seine eigenes Auftreten wirkte einstudiert, er hatte sich an ein Publikum gewöhnt, das ihn als Hauptakteur 70 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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eines experimentellen, im Prinzip gänzlich unverständlichen Bühnenstücks interessierte. In Berlin schrieb er auf, wie man das Leben als Lustspiel mit bedenklichen Elementen inszenieren kann: »Es müssen zwei, höchstens drei ganz entschiedene Talente darunter sein, oder, richtiger, produktive Genies. Diese müssen die Kinder des Humors sein, berauscht durch Lachen, Tänzer des Humors, die, wenn sie auch zu anderen Zeiten, ja sogar im Augenblick davor, genau wie andere Menschen sind, im selben Augenblick, da sie die Glocke des Inspizienten hören, sich verwandeln, indem sie, dem edlen arabischen Pferde gleich, zu stöhnen und zu schnaufen beginnen, während ihre geblähten Nasenflügel von dem Schnauben des Geistes Zeugnis ablegen, der in ihnen ist, weil sie vorwärts wollen, sich in Wildheit tummeln wollen.« Die Komödie des Lebens, auf dem Theater gegeben, verlangt wie das Leben selbst vollen Einsatz; Halbherzigkeiten sind nicht erwünscht. Das Publikum verzeiht kleinere Unachtsamkeiten, möchte aber so unterhalten werden, dass es lachen kann und zumindest zeitweilig vergißt, was ihm ansonsten so zugemutet wird. Von den Schauspielern darf man daher einiges erwarten: »Sie sind nicht so sehr reflektierende Künstler, die das Gelächter studiert haben, als Lyriker, die sich in den Abgrund des Lachens stürzen und nun durch dessen vulkanische Gewalt sich auf die Bühne hinauswerfen lassen. […] sie lassen den Augenblick und die Naturkraft des Lachens alles besorgen; sie haben den Mut zu wagen, wessen sich der einzelne nur erkühnt, wenn er mit sich allein ist; was Wahnsinnige in aller Gegenwart tun; was das Genie mit der Sicherheit des Genies zu tun weiß […]. Sie wissen, daß sie imstande sind, den ganzen Abend das Lachen auf der Höhe zu halten, ohne daß es sie mehr Anstrengung kostete, als es mich kostet, dies aufs Papier zu schmieren«. 43 Daß das Leben eine Posse ist, die gut gespielt werden muß, wenn sie einigermaßen ansehnlich sein soll, sah Kierkegaard an seiner eigenen Person vorgeführt. Als er in Berlin überraschend krank wurde und ein Bekannter aus Kopenhagen sich teilnahmsvoll nach seinem Befinden erkundigte, bekam er folgendes Bulletin übermittelt: »Ja, zu Anfang war ich krank, jetzt bin 71 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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ich gewissermaßen gesund, das heißt, mein Geist quillt über und tötet wahrscheinlich meinen Leib. Ich habe nie so stark gearbeitet wie jetzt. Morgens gehe ich ein wenig hinaus. Dann komme ich wieder zurück, sitze bis etwa drei Uhr ununterbrochen in meinem Zimmer. Ich kann kaum aus den Augen sehen. Dann schleiche ich am Stock ins Restaurant, bin aber so schwach, daß ich glaube, wenn einer meinen Namen laut riefe, würde ich umfallen und sterben.« Kierkegaards Schaffenskraft hat nur kurz gelitten; dennoch gestaltet sich die Wiederaufnahme seines Berliner Schreibprogramms schwieriger als gedacht. Dabei hilft ihm eine Werkschau des bisher Erreichten, das sich sehen lassen kann: »In den vergangenen Monaten hatte ich voll Indolenz ein gehöriges Brausebad hochgepumpt, jetzt habe ich an der Schnur gezogen, und die Ideen stürzen auf mich nieder, gesunde, fröhliche, wohlgeratene, muntere, gesegnete Kinder, leicht zur Welt gebracht, jedoch alle mit dem Muttermal der Persönlichkeit. Im übrigen bin ich, wie gesagt, schwach, meine Beine zittern, es zwackt in den Knien, usw., es ist zu wenig, ich wähle einen Ausdruck von meinem Lieblingsschauspieler, Herrn Grobecker, den er bei jedem vierten Satz vortrefflich einflicht: ›Ich falle um und bin hin‹ oder in einer wirklich guten Abwandlung: ›Ich falle hin und bin um.‹« 44 In Berlin hatte Kierkegaard Gelegenheit, Schelling zu hören, den großen alten Mann der deutschen Philosophie, der im August 1840 von Friedrich Wilhelm IV. berufen worden war, um, wie es hieß, »die Drachensaat des Hegelschen Pantheismus auzurotten«. Hegel, der Jugendfreund Schellings, war 1831 als der Deutschen einflußreichster Philosoph gestorben und hatte eine Reihe von Schülern hinterlassen, die, allesamt ein wenig ratlos, die Philosophie des Meisters weiterzuführen suchten. Dennoch war nicht zu übersehen, daß der deutsche Idealismus, festgemacht an den Namen Fichte, Hegel und Schelling, bedenkliche Schwächesymptome zeigte. Die Realität machte deutlich, daß sie sich nicht mehr in idealistische Gedankenkonstruktionen pressen ließ; das leibhaftige Individuum, dem die Philosophie, einmal im Steigflug begriffen, die geschichtsträchtige Eigenständigkeit absprach, forderte seine Rechte ein. Schellings Vor72 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein einzelner Schatten

lesungen hat Kierkegaard anfangs mit gemäßigter Zustimmung verfolgt, die jedoch nicht anhielt; am Ende überwog die Enttäuschung. Der Philosophie des deutschen Idealismus, der er, wie im übrigen auch einigen deutschen Dichtern, zunächst beträchtlichen Respekt entgegengebracht hatte, sprach er schließlich das generelle Mißtrauen aus; sie wurde für ihn zum Synonym für eine prätentiös kreiselnde Vernünftigkeit, die mit dem wirklichen Leben nichts mehr zu tun hat. Die Existenz des einzelnen, jene von Kierkegaard so oft bedachte Liebes- und Leidensgeschichte, war für das Begriffsdenken des Idealismus kein Thema, sie wurde randständig und zur entbehrlichen Fußnote im Gang des Weltgeschehens: »In der Sprache der Abstraktion kommt eigentlich nie das vor, was die Schwierigkeit der Existenz und des Existierenden ausmacht, geschweige daß die Schwierigkeit erklärt wird. Weil das abstrakte Denken eben sub specie aeterni ist, sieht es von dem Konkreten, von der Zeitlichkeit ab, vom Werden der Existenz, von der Not des Existierenden, daß er durch Zusammenfügung des Ewigen und Zeitlichen in die Existenz gesetzt ist. Will man nun annehmen, daß das abstrakte Denken das Höchste sei, so folgt daraus, daß die Wissenschaft und die Denker stolz aus der Existenz gehen und uns anderen Menschen das Schlimmste überlassen«. Was für Kierkegaard zählt, ist der Einzelne, der nicht nur genug mit sich selbst zu hat, sondern auch noch unter überirdischer Beobachtung steht. Gott hat ein Auge auf ihn, was für den gewöhnlichen Sterblichen eine zusätzliche Belastung bedeutet, dem Gläubigen jedoch eine Heilsbotschaft ist, an der er sich auch und gerade in schwächeren Stunden wieder aufrichten kann. Die unlösbare Verbindung zu Gott macht das Wesen des Menschen aus, was aber eigentlich auch nur abstrakt gedacht werden kann. Kierkegaards Abstraktionsmodell versteht sich jedoch als personenbezogen: Jede Selbstbefragung, auch solche, die zu Höherem drängt, beginnt und endet mit einer Privataudienz, die sich das Ich gewährt; das Menschliche, Allzumenschliche ist kein Makel, sondern welteröffnende Voraussetzung für alles Philosophieren: »hinausgreifen. […] nach Wirklichkeit fragen […] und darauf antworten ist lange nicht so schwer wie danach 73 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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fragen und darauf antworten, was es heißt, daß dieses bestimmte Etwas eine Wirklichkeit ist. Die Abstraktion sieht nämlich von diesem bestimmten Etwas ab, aber die Schwierigkeit liegt gerade darin, dieses bestimmte Etwas und die Idealität des Denkens dadurch zusammenzusetzen, daß man es denken will. Um einen solchen Widerspruch kann sich die Abstraktion nicht einmal kümmern, denn die Abstraktion verhindert ihn eben«. Kierkegaard plädiert für eine realistische Abstraktion, die sich, einmal auf den Weg gebracht, ihres Ursprungs bewusst bleibt. Wirkliches Leben und Denken müssen nicht unvereinbar sein, sondern können zusammenfinden; dafür zuständig ist das Individuum, nicht ein verselbständigtes System ambitionierter Begriffe, das sich für zu vornehm hält, um dem Einzelnen noch Beachtung zu schenken. »Während ein wirklicher Mensch, aus Unendlichkeit und Endlichkeit zusammengesetzt, eben seine Wirklichkeit darin hat, diese zusammenzuhalten, unendlich fürs Existieren interessiert ist, ist ein solcher abstrakter Denker ein Doppelwesen: ein phantastisches Wesen, das im reinen Sein der Abstraktion lebt, und eine zuweilen traurige Professorengestalt, welche von jenem abstrakten Wesen beiseite gestellt wird, wie man einen Stock wegstellt«. Mit den Professoren hat es Kierkegaard ohnehin nicht so, darin ähnelt er seinem Kollegen Schopenhauer, von dem auch manche fein formulierte Professorenschelte überliefert ist. Systematisches Denken, wie es etwa Hegel auftürmte und damit das Hauptquartier des deutschen Idealismus errichtete, kommt für Kierkegaard nicht in Frage, es ist für ihn nutzloser Zeitvertreib, der anfangs vielleicht einige bestaunenswerte Ergebnisse zeitigt, letztlich aber zu leerer Gelehrsamkeit führt. »Es geht den meisten Systematikern in ihrem Verhältnis zu den Systemen wie einem Mann, der ein ungeheures Schloß baut und selbst daneben in einer Scheune wohnt; sie leben nicht selber in dem ungeheuren systematischen Gebäude. Aber in geistigen Verhältnissen ist und bleibt dies ein entscheidender Einwand. Geistig verstanden, müssen die Gedanken eines Mannes das Gebäude sein, in dem er wohnt – sonst ist es verkehrt.« 45 Den Zusammenbruch der idealistischen Systeme sah Kier74 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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kegaard mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits war ihm bewußt, daß eine besondere, durchaus respektable Geistesepoche an ihr Ende kam; andererseits mußte er feststellen, daß ein solches Ende nicht unverdient war, denn der Idealismus scheiterte auch an seiner Großspurigkeit und den grundlegenden Fehlern, die er gemacht hatte. Daß er den Existenzproblemen des einzelnen Menschen keine Aufmerksamkeit schenkte, gehörte zu diesen Fehlern; allerdings mußte es Kierkegaard so vorkommen, als würde dies nur von ihm selbst und einigen wenigen Auserwählten bemerkt, die Masse blieb davon ungerührt, was indes für alle schönen Künste gilt, die auf großen Zuspruch hoffen, am Ende aber froh sein müssen, wenn ihr Fachpersonal sich rührig zeigt und die eine oder andere interne Debatte anzettelt. War der definitive Niedergang des Idealismus auch vorhersehbar, so verdiente er doch einen wehmütigen Nachruf: »Ach, die Zeit der Denker scheint vorüber zu sein! Die stille Geduld, die demütige und gehorsame Bedächtigkeit, der hochgemute Verzicht auf augenblickliches Wirken, der Abstand der Unendlichkeit vom Augenblick und die ihrem Denken und Gott hingegebene Liebe, ohne die kein einziger Gedanke gedacht werden kann: all das scheint zu verschwinden und scheint im Begriffe, den Menschen lächerlich zu werden.« Wohl wahr. Besser geworden ist es seither nicht, dafür geht es spezieller zu. Die Experten haben das Sagen, auch wenn sie nichts zu sagen haben. So gesehen kann man Kierkegaards Nachruf auf eine leichtfertig hergegebene Zeit der Denker noch immer unterschreiben, auch wenn man sich hüten sollte, den »versunknen schönen Tagen« (Eichendorff) allzu willfährig nachzusinnen; die guten alten Zeiten waren nicht immer gut, sondern manchmal nur alt. Es kommt auf die Bewertung an, damals wie heute, wobei der Mensch das zweifelhafte Vergnügen hat, über alles und jeden urteilen zu dürfen, ihm scheinen da immer weniger Grenzen aufgezeigt zu sein. Was ihm zu schaffen macht, ist, dass das zu Bewertende seinen Horizont oft genug übersteigt; demensprechend muß er danach trachten, viel zu wissen und sein Wissen zugleich in handlichen Portionen verabreicht zu bekommen, so dass es auch für schlichtere Gemüter begreif75 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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bar erscheint. »Wieder ist der Mensch das Maß aller Dinge geworden, ganz im Sinne des Augenblicks. Alle Mitteilung soll so eingerichtet sein, daß sie bequem in eine leichte Flugschrift eingehen kann, oder sie soll von Unwahrheit über Unwahrheit unterstützt werden. Ja, es ist so, als müßte zuletzt alle Mitteilung so eingerichtet sein, daß sie in höchstens einer Stunde in einer Versammlung vorgetragen werden kann, – einer Versammlung, die wiederum eine halbe Stunde mit dem Lärm des Beifalls oder Mißfallens vertut und in der zweiten halben Stunde zu benommen ist, um ihre Gedanken sammeln zu können.« Nach diesem Muster wird nicht nur der immer unübersichtlicher werdende Faktenwust zurecht gemacht, sondern man geht damit auch an die uralten Menschheitsfragen heran, die zur Vereinfachung freigegeben sind. Was zählt, ist der Augenblick schlagender Gewissheit, den man registrieren und gleich wieder loswerden kann. Eine Wissensbeschleunigung hat eingesetzt, die sich kaum mehr entschleunigen lässt, so dass auch keine Zeit mehr bleibt für in Ruhe vorgenommene Qualitätskontrollen: »Trotzdem trachtet man nach dem Augenblick als dem Höchsten. Die Kinder erzieht man dazu, als das Höchste dies zu betrachten: in einer Stunde gehört und bewundert zu werden. Auf solche Weise setzt man den Kurswert des Menschen herab.« 46

»Wie der Kranke sich sehnt, den Verband abzuwerfen, so sehnt sich mein gesunder Geist, diesen durchgeschwitzten schwülen Breiumschlag abzuwerfen, der der Leib ist, und des Leibes Müdigkeit, wie der siegreiche General, indem das Pferd unter ihm weggeschossen wird, ruft: ein neues Pferd, einen neuen Leib, denn nur der Leib ist ausgedient; wie der, welcher in Lebensgefahr auf hoher See, wenn ein anderer Ertrinkender nach seinem Bein greifen will, ihn mit aller Anstrengung von sich stößt, so hängt mein Leib wie ein ziehendes Gewicht fest an meinem Geist, so daß ihm Untergang und Tod wird; wie ein Dampfschiff, in welchem die Maschine zu stark ist im Verhältnis zum Bau des Schiffes: so leide ich.« Kierkegaard 47

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Ein einzelner Schatten

»Ich bin eine im tiefsten Sinne unglückliche Individualität, die von frühester Zeit an das eine oder andere bis an den Wahnsinn grenzende Leiden festgenagelt gewesen war, das seinen tieferen Grund in einem Mißverhältnis zwischen meiner Seele und meinem Leib haben muß; denn (und das ist das Merkwürdige) es steht in keiner Beziehung zu meinem Geist, der im Gegenteil vielleicht durch das gespannte Verhältnis zwischen Leib und Seele eine Spannkraft bekommen hat, wie sie selten ist […]. Ich habe deshalb mit meinem Arzt gesprochen, ob er glaube, daß jenes Mißverhältnis […] sich heben ließe, so daß ich das Allgemeine realisieren könnte. Das hat er bezweifelt; ich habe ihn gefragt, ob er glaube, daß der Geist imstande wäre, durch den Willen ein solches Grundverhältnis umzuschaffen […]; er bezweifelte es; er wollte mir nicht einmal zuraten, meine ganze Willenskraft in Bewegung zu setzen, von der er eine Vorstellung hat, da ich das Ganze sprengen könnte. – Von dem Augenblick ab habe ich mich gewählt«. Kierkegaard 48

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Alles beim Alten

Die Berliner Genesung, erinnerte er sich im Königlichen Frederiks Hospital in Kopenhagen, kam über Nacht, eine Injektion geheimer Gesundungskräfte, die im Kopf kreisten und sich dann, wie es ihnen anempfohlen wurde, über den Körper verteilten, seinen alles in allem schwachen Körper, der, als ihn die Tage zuvor das Fieber besetzt hielt, nur noch einem glühenden Gerippe glich; er fror und er schwitzte, und die Glocken von Berlin läuteten schon, um ihn auf sein Sterben einzustimmen. Wenn er im Halbdunkel den Blick verengte und lange genug auf das grau gepunktete Areal vor seinem Gesichtsfeld richtete, sah er seine Nase, wie sie, noch länger und dünner geworden, in die Schattenwelt ragte, die nun sein Zimmer beherrschte. Sobald sich etwas bewegte, war es nicht echt, es gab nur noch Abbilder, Spiegelwerk, blasse Konturen. Er hatte schwere Gardinen vorgezogen, die Fenster geschlossen, die Türen verriegelt. Die Luft war zum Schneiden gut. Im Bett wälzte er sich, zog die Decke über den Kopf, strampelte sich frei, ächzte, stöhnte; das Bild, das er bot, war erbärmlich, er hatte die Hauptrolle in einem Einpersonenstück übernommen, einer Komödie für mitleidige Herzen, aber es gab ja keine mitleidigen Herzen mehr, die Welt war längst bereit für die Einübung der Gleichgültigkeit. Irgendwann hatte ihn wohl doch noch der Schlaf überrascht, er brachte die Rotation zum Erliegen, die er in seinem Berliner Bett veranstaltete. Da lag er dann auf dem Rücken, hochnäsig, ein Bein abgewinkelt, das rechte blutleere Ärmchen aus dem Bett hängend, und hinter zuckenden Augenlidern, in einem Kopf, der die verbliebenen Gedanken wie eine geschlagene, aber keineswegs entwaffnete Truppe versammelte, bereitete sich seine Genesung vor, die, als sie ihn anrührte und weckte, das befleckte Gewand der Krankheit trug. Das war überraschend, zweifellos, aber er verstand sofort: Es ging darum, sich hinzugeben und auszu79 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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setzen, so kann ein vorläufiges Ende umstandslos zum gloriosen Neuanfang werden. Bewegungslos lag er, spürte, wie seine Adern sich mit Lebensspurenelementen füllten und zu pulsieren begannen, zuerst das blutleere Ärmchen, das anschwoll unter dem Zustrom der Vitalkräfte, so daß es schon wehtat. Zugleich ging der Brand in ihm zurück, das Fieber wich, seine Stirn wurde kühl und feucht. Es war, als ob kalter Sternenhauch in seine Wohnung geweht würde, sanft und fürsorglich, aber auch fordernd, denn in seiner Hingabe an den Krankenstand hatte er kostbare Zeit verloren, die nun aufgeholt werden mußte. Das Halbdunkel löste sich auf, obwohl noch immer die schweren Vorhänge über den Fenstern hingen. Schon war der eine oder andere Lichtstrahl zu sehen, der suchend durch den Raum glitt. Kierkegaard dachte für einen Moment, daß ihm nun heimgeleuchtet würde, er lächelte, das war das Zeichen, aufzustehen. Vorsichtig setzte er einen Fuß aus dem Bett, ließ den zweiten folgen, erhob sich, indem er sich vorsichtig vom Bett hochstemmte, seine armen, strapazierten Knochen knackten. Dann stand er im Raum, ein Denkmal seiner selbst, notdürftig umhüllt vom Nachthemd; man hätte ihn, so wie er war, von Berlin zurück nach Dänemark verfrachten und an einem passenden Ort aufstellen können, im Garten der Königlichen Bibliothek etwa oder unweit des Tivoli, wo es noch kein Denkmal gab, an dem sich die Betrunkenen im Stehen erleichtern konnten. Er ging zum Fenster, riß die Vorhänge zur Seite, öffnete das Fenster. Das Licht, das von draußen hereinschlug, war grell und scharf; da half auch nicht, daß ihm gedämpfter Glockenklang beigegeben wurde, irgendwo in Berlin wird immer geläutet und immer gefeiert. Er weinte ein wenig, nur so, kein Grund zur Sorge, denn eigentlich war er glücklich wie ein Friedensstifter, den man davon in Kenntnis gesetzt hatte, daß er sich um seinen Arbeitsplatz keine Sorgen machen muß; für einen Friedensstifter, erklärtermaßen ein langweiliger Beruf, gibt es immer etwas zu tun. Am Ende bleibt aber wohl doch alles beim Alten. Nach seiner Genesung, seinem vorsichtigen Wiedereintreten in das gewöhnliche Leben, das nicht das Wahre ist, kam er zurück ans 80 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Normalmaß. Der Himmel öffnete seine Schleusen, es regnete, und Berlin sah aus wie Kopenhagen. Er hatte als Rekonvaleszent einen ersten Spaziergang unternommen, ohne Schirm und Umhang, denn zuvor, vom Fenster seiner Wohnung aus, meinte er noch die städtische Sonne gesehen zu haben, da mußte man nichts befürchten. Kaum war er jedoch vor der Tür, verfinsterte sich die Welt. Der Himmel lief schwarz an, pumpte sich auf. Was für eine Wichtigtuerei, dachte Kierkegaard, dessen gute Laune verflog wie das fiktive Licht. Er schlug den Kragen hoch, hielt den Kopf gesenkt; noch hätte er umkehren können. Aber er wollte ja gehen, wollte an die frische Luft, von einem Genesenden erwartet man unerbittlichen Bewegungsdrang. Die ersten Tropfen fielen, sie waren schwer und kamen herunter wie tückisch gesetzte Geschosse. Er beschleunigte den Schritt, und da legte auch der Regen zu, wurde stärker und stärker, an den Straßenrändern schossen monströse Bäche dahin. Kierkegaard ging seines Weges, er wußte nicht, welche Straßen er querte und an welchen Häuserfassaden er sich gerade entlangdrückte. Als es ihm zuviel wurde, stand er vor einem Café. Er schaute auf, schüttelte sich wie ein nasser Hund. Eine Tür ging auf, er trat ein. Die meisten Tische im Café waren besetzt; feindselige Blikke musterten ihn. Eine Beängstigung befiel ihn: Nicht nur, daß Berlin im Regen aussah wie Kopenhagen, nein, auch die Leute hatten sich anverwandelt. Er spürte ihre Mißgunst, ihre Häme und Wut; sie suchten ein Opfer, und siehe da, er war gekommen. Die Bedienung, eine ältliche Frau mit zusammengekniffenen Lippen, brachte ihm einen Kaffee. Als er die Tasse zum Mund führte, zitterte seine Hand. Noch ehe sich das feindliche Lager formieren konnte und zum Angriff blies, machte er sich auf und davon. Sein Abgang war nicht rühmlich, dafür erhielt die Bedienung ein Trinkgeld, das sie zum ersten Mal seit fünfzig Jahren wieder lächeln ließ, sie zeigte eine Reihe gelber Zähne und wünschte ihm alles erdenklich Gute. Der Fluch der guten Tat gab sich wenig später zu erkennen: Der Regen ließ nach, hatte sich verausgabt, eine blasse Fadensonne kam durch die Wolken. Die Sturzbäche verliefen sich, was zu ihm paßte, denn er hatte sich ebenfalls verlaufen. Aufs Geratewohl war er aus dem Café ge81 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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stürmt, hatte nicht nach links und nach rechts geschaut, seine Wahrnehmung, gesenkten Hauptes vorgenommen, verblieb in Bodennähe. Dort aber, am Boden, sieht alles erst recht gleich aus; Kopenhagen ist Berlin und Berlin Kopenhagen, und alle Wege führen nach Rom. Nein. Seine Füße taten ihm weh, er hatte zu enge Schuhe an, Komödiantenschuhe, in denen er Blasen schlug. Bevor er sich dazu entschließen konnte, einen Berliner Bürger zu fragen, wie er möglichst schnell zurück in die Jägerstraße kommen konnte, stand er vor einer Kirche. Es war eine kleine, graue Stadtkirche, in der jede Tröstung, die auszusprechen war, nur beunruhigend, wie eine Bestätigung befürchteten Unheils ausfallen konnte. Er trat ein, die Tür knarrte. Innen war es hoch und leer und kalt. Eine Kerze brannte, sie stand für das Lebenslicht des Einzelnen, den Hegel und Konsorten verschmäht, ja: Verraten hatten. Einem gewissen Herrn Kierkegaard war es gelungen, den Einzelnen zu rehabilitieren; ging es ihm deshalb besser? Kierkegaard setzte sich in die erste Bankreihe unter dem Kreuz. Er schaute auf zum Erlöser, der nicht gnädiger oder ungnädiger war als sonst auch. Gott forciert die Gleichzeitigkeit, das macht seine Anwesenheit zu einem gewinnenden, lautlosen Akt. Man bekommt aber nicht immer mit, wenn Gott da ist; eigentlich bekommt man es gar nicht mit, und Gott wird dadurch nur noch gewinnender. Kierkegaard fröstelte, er schloß die Augen. Da glühten dann wieder, wie jetzt Jahre danach auch im König Frederiks Hospital, die aberwitzig schönen Bilder in ihm, die mal kargen, mal prächtig ausstaffierten Erinnerungen, es sprachen die oft gehörten Stimmen zu ihm und solche, die noch kommen sollten. Als ihn jener Teil seines Ich, der für das Haushälterische, das sparsame Verwalten seiner Selbst und das umsichtige Bewahren des Realitätsprinzips zuständig war, ermahnen wollte, sich nicht schon wieder gehen zu lassen, spürte er einen Hauch. Jemand rührte ihn an. In der grauen Stadtkirche, in ihrem hohen und kalten und leeren Raum war er da und verschwand wieder, bevor er wahrgenommen werden konnte. Die Tür fiel zu. Kierkegaard, im Bann der Berührung, blieb sitzen; von der Empore sah er aus wie ein altes Mütterchen, das den Kirchentrost in- und auswendig kennt und 82 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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auf Abhilfe sinnt; erst deutlich später dann fand er zurück nach Hause.

»Die Hegelianer blasen ins Feuer. Schelling sieht so grimmig drein wie ein Essigbrauer. Man braucht ihn bloß sagen zu hören: ich werden morgen (er spricht im Gegensatz zu den Berlinern, die das g ganz weich sprechen, ganz hart wie K: morken) fortfahren, um eine Vorstellung von seiner persönlichen Verbitterung zu bekommen. – Kürzlich kam er eine halbe Stunde zu spät. Jakob von Thyboe kann bei der Belagerung vom Amsterdam kein schrecklicheres Gesicht gemacht als das, mit dem Schelling seinem Zorn Luft machte in Angriffen auf die Berliner Einrichtung, daß es keine öffentlichen Uhren gibt. Um es wieder gut zu machen, wollte er etwas über die Zeit lesen; so etwas wird in Berlin nicht geduldet, man scharrte und zischte, Schelling wurde rasend und brach aus: behagt es meinen Herren Hörern nicht, daß ich lese, so kann ich ja aufhören: ich werde morken fortfahren […]. Schelling faselt ganz unerträglich […]. Meine Zeit erlaubt mir nicht, tropfenweise einzunehmen, was auf einmal zu verschlukken ich kaum den Mund auftun würde. Ich bin zu alt, um Vorlesungen zu hören, gleichwie Schelling zu alt ist, um sie zu halten. Seine ganze Lehre von Potenzen verrät die höchste Impotenz. – Ich reise also so bald wie möglich von Berlin ab. Ich komme nach Kopenhagen. Mein Aufenthalt dort ist nötig, um mich wieder etwas in Ordnung zu bringen. Niemals in meinem Leben habe ich Lust gehabt zu reisen, so wie ich sie jetzt bekommen habe. Das schulde ich Schelling. Hätte Schelling nicht in Berlin gelesen, wäre ich nicht weggegangen, hätte Schelling nicht gefaselt, wäre ich vermutlich nie mehr gereist«. Kierkegaard 49

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Kierkegaards Diagnose mutet merkwürdig modern an. Die Hektik, die Schnellebigkeit, die er erkannte, hat sich noch gesteigert; sie nimmt globale Ausmaße an und besetzt mit den virtuellen Welten zusätzliches Terrain, das so faszinierend anmutet wie die Hochglanzfotos in den Katalogen der Reiseveranstalter. All das, anscheinend doch Leistungsbeweise für eine ungebremste Kreativität des Menschen, geht mit dem Verlust elementarer menschlicher Eigenschaften einher: der Fähigkeit, innezuhalten, ruhig zu werden, nachzudenken und zuzuhören; der Fähigkeit auch, über das eigene Dasein zu staunen und dessen Rätselhaftigkeit anzunehmen. Wo solche Eigenschaften verlorenzugehen drohen oder schlicht nicht mehr gefragt sind, da trifft Kierkegaards Diktum vom herabgesetzten Kurswert des Menschen, ausgesprochen vor mehr als einhundertfünfzig Jahren, noch immer zu. Der Mensch gleicht mittlerweile einer Kunstfigur, die dabei ist, sich an ihren eigenen Möglichkeiten zu überheben; sie kann vor Kraft kaum laufen, glaubt aber, mit mal dreister, mal rührender Treuherzigkeit, alles im Griff zu haben. Daß einst nach einer höheren Einlösung des irdischen Daseinsauftrags gesucht wurde, interessiert nicht mehr; der Himmel hat seine fliehenden Sterne und den Weltraummüll, einen Ort für Gott aber, von dem sich manche trotz des einst ausgesprochenen Bilderverbots noch immer ihr Bild machen wollen, hat er anscheinend nicht: »Bei alledem aber sitzt Gott gleichsam im Himmel und wartet. Keiner sehnt sich aus diesem Lärmen und Toben des Augenblicks fort, um jene Stille zu finden, in der Gott wohnt. Während der Mensch den Menschen bewundert, weil der ganz wie die anderen ist, sehnt sich keiner nach der Einsamkeit, in der man zu Gott betet. Keiner verschmäht diese wohlfeile Befreiung vom ›Höchsten‹ aus Sehnsucht nach dem Maßstab der Ewigkeit. So wichtig ist der Augenblick sich selbst geworden!« 50 85 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Kierkegaard hat die moderne Umtriebigkeit schon zu seiner Zeit verwirklicht gesehen; daß sie zum Prozeß wurde, der mittlerweile naturgesetzlich mit den Menschen umspringt, hätte ihn nicht überrascht. Allerdings vermag die Hektik inzwischen auch gegenteilige Tendenzen zu erzeugen – den Wunsch nach Stille etwa, nach unvoreingenommener Selbstbefragung, nach einem Bedenken über Tag und Anlaß hinaus. Kierkegaard ersuchte unentwegt um Ruhe; dafür nahm er sogar wohlmeinende Zwangsmaßnahmen in Kauf: »Das erste, was getan werden muß, und die unbedingte Voraussetzung dazu, daß überhaupt etwas getan werden kann, ist: Schaffe Schweigen, gebiete Schweigen! […] Ach, alles lärmt, und wie heißes Getränk das Blut bekanntlich in Wallung bringt, so ist in unserer Zeit jedes einzelne, selbst das unbedeutendste Unternehmen und jede einzelne, selbst die nichtssagendste Mitteilung bloß darauf berechnet, die Sinne zu reizen oder die Masse, die Menge, das Publikum und den Lärm zu erregen!« Den Verführungen der Lautstärke kann man kaum mehr entkommen, was sich auch in den Varianten des Wissens bemerkbar macht, die in Umlauf sind: Auch sie wirken dröhnend, sind einschüchternd und besitzergreifend, zumal sie dem Bewusstsein in einem Tempo zugespielt werden, das ebenso verdächtig wie bestaunenswert ist. Was aus den Tiefen und Untiefen der weltweiten Netze aufsteigt, kommt zunächst lautlos daher, entwickelt aber einmal aufgerufen und zur Überflutung der Köpfe freigegeben seinen eigenen Lärm, der eine zentrale Botschaft mit sich führt: Mach mit oder lass es, es ist eh egal. Ob wir das alles so gewollt haben? »Der Mensch, dieser gewitzigte Kopf, sinnt fast Tag und Nacht darüber nach, wie er zur Verstärkung des Lärms immer neue Mittel erfinden und mit größtmöglicher Hast das Geräusch und das leere Gerede möglichst überallhin verbreiten kann. Ja, was man auf solche Weise erreicht, ist wohl bald das Umgekehrte: die Mitteilung ist an Bedeutungsfülle wohl bald auf den niedrigsten Stand gebracht, und gleichzeitig haben umgekehrt die Mittel der Mitteilung in Richtung auf eilige und alles überflutende Ausbreitung wohl das Höchstmaß erreicht; denn was wird wohl hastiger in Umlauf gebracht als das Geschwätz?!« Andererseits 86 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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bekommen wir nur, was wir verdienen, denn jeder von uns hat sich, meist ohne es zu wollen, schon mal als Geschwätzführer betätigt, was an einer berechenbaren Reaktion liegt: Wer redet und nichts zu sagen hat, darf dennoch darauf hoffen, dass man ihm zuhört. »Und andererseits –: was findet willigere Aufnahme als das Geschwätz?!« »O, schaffet Schweigen!!« 51 Wer für sich in die Stille zurückfindet, zieht seine eigenen Konsequenzen aus dem wuchernden Wahn des Sekundären – er verweigert sich einer Welt des Lärms und der Anmaßung. Der Welt ganz verweigern sollte er sich nicht; der Mensch gehört zur Welt, er gehört auch zu seinesgleichen, er ist und bleibt ein Gemeinschaftswesen. Die Wiedergewinnung der Stille sollte daher als Präsent genutzt werden, das man sich selbst überreicht; man wählt die Stille, in der Gott und die Welt so eindringlich und schemenhaft werden wie man selbst. Die neue Religiosität, die man dann vielleicht in sich spürt, kann wie eine Offenbarung wirken, aus der Kraft zu beziehen ist für das Leben in Gemeinschaft, dem Kierkegaard ungeachtet seiner Verachtung der Masse größere Bedeutung zugemessen hat als einer am undurchschauten Einsamsein krankenden Existenz: »Denke dir einen Violinspieler. Wollte er, ohne von der Musik das mindeste gelernt zu haben, sich sofort ins Orchester setzen und mitspielen, so würde er selber gestört und andere stören. Nein, – lange Zeit hindurch braucht er stille Stunden zum Üben. Dort stört ihn, soweit wie möglich, fast nichts«. Auch der versierteste Solist braucht die Gemeinschaft, das scheint in des Menschen Natur angelegt zu sein. Das Leben ist ein Mannschaftssport und fordert Einzelkämpferqualitäten; nicht nur Kierkegaards Violinspieler hat das zu bedenken: »Doch soll er ja im Orchester mitspielen, das Brausen der verschiedenen Instrumente und Töne soll er aushalten können, und dennoch soll er seine Geige bedienen und ganz ruhig und sicher mitspielen, als wäre er daheim allein in seinem Zimmer. Eine lange Zeit hindurch muß er also stille Stunden zu Hilfe nehmen, um das Geigenspiel zu lernen; aber das Ziel ist unablässig das gleiche: im Orchester mitspielen zu können. – So geht es auch mit dem Religiösen.« 52 Das Gemeinschaftsgefühl, das den Menschen immer dann 87 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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harmonisch stimmt, wenn er sich mit seinesgleichen im Einklang wähnt, gehört zu den Notwendigkeiten gesellschaftlichen Zusammenlebens, dessen Ordnung ein Regelwerk ist, an das sich der Einzelne halten muß. Nur so wird das Funktionieren der Institutionen gewährleistet, in die sich die Menschen einbegeben haben, um Ansprüche und Pflichten, Freiheit und Zwänge nach Maßgabe gewisser Gerechtigkeitsvorstellungen aufeinander abstimmen zu können. Kierkegaard, der sich für Politik nicht interessierte, hat eine gesellschaftliche Ordnung für unbedingt notwendig gehalten; ein starker Staat war ihm lieber als ein schwacher, weil in einem schwachen Staat blanker Eigennutz herrscht und chaotische Verhältnisse die Folge sind. In der Masse geht das Individuum unter und wird zu einem Muster ohne Wert. Dem Einzelnen kann Kierkegaard nur empfehlen, sich nicht von wechselnden Mehrheiten vereinnahmen zu lassen; er muß sich in wiederkehrender Vergegenwärtigung vor Augen halten, daß er auf sich gestellt bleibt. Der Mensch kommt allein, und er geht allein; daß er zwischenzeitlich wahrgenommen wird, gilt nicht als ausgemacht – er ist ungeschützt, bleibt verletzlich, firmiert als »Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Freiheit und Notwendigkeit«. Sofern er sich einmal für Gott entschieden hat, lebt er in immerwährender Gleichzeitigkeit mit ihm: »Im Verhältnis zu dem Unbedingten gibt es nur eine einzige Zeit: die Gegenwart. Wer mit dem Unbedingten nicht gleichzeitig ist, für den ist es gar nicht da. Weil nun Christus das Unbedingte ist, sieht man leicht ein, daß es im Verhältnis zu ihm nur eine einzige Lage gibt, – die Gleichzeitigkeit. Die 300, die 700, die 1500, die 1700 und die 1800 Jahre sind etwas, was weder davon noch dazu tut: sie verändern ihn nicht, machen es vielmehr offenbar, wer er war; denn wer er war, ist nur für den Glauben offenbar.« Gott ist Gott, keine legendenumwobene Figur, zu der sich im Verlauf von Jahrtausenden viele Geschichten angesammelt haben. Wenn es ihn gibt, was für Kierkegaard ja außer Frage steht, kann er tatsächlich nur im ewigen Modus der Gleichzeitigkeit existieren, anders geht es nicht. Gott meint es ernst, davon müssen wir ausgehen, und er hat das an die entscheidende Person seines Vertrauens weitergegeben: »Christus 88 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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ist – um es ganz ernsthaft zu sagen – kein Komödiant, auch keine bloß geschichtliche Person, da er als das Paradox eine höchst ungeschichtliche Person ist. Aber gerade dies ist der Unterschied zwischen Poesie und Wirklichkeit: die Gleichzeitigkeit. Allerdings besteht der Unterschied zwischen Poesie und Geschichte darin, daß die Geschichte das wirklich Geschehene darstellt, während die Dichtung das Mögliche, das Gedachte, das Erdichtete ist.« Dichtung und Wahrheit kommen im Menschen zusammen; an ihm ist es, eine Unterscheidung zu treffen, die ihn, situationsübergreifend, weiterbringt. Dass die Zeiten dabei verschmelzen und sich letztlich nur in der jeweils entscheidenden Gegenwart wiederfinden, mag verwirrend erscheinen, ist aber ein Sachverhalt, um den man nicht herumkommt: »Das, was als Vergangenheit wirklich geschehen ist, ist doch nur in gewissem Sinne das Wirkliche, nämlich im Gegensatz zum Erdichteten. Was fehlt, ist jene Bestimmung, die der Wahrheit, der Innerlichkeit und der Religiosität eigen ist, – das für dich. Das Vergangene ist nicht Wirklichkeit ›für mich‹ ; nur das Gleichzeitige ist Wirklichkeit für mich.« 53 Die Gegenwart, in der ein Mensch lebt, ist entscheidend für ihn. In ihr werden die Anforderungen errichtet, an denen er sich bewähren muß. Die Gegenwart ist die Zeit, die ihn prägt. Von der Vergangenheit, sofern sie über die Gruppierung persönlicher, aus Familie und Herkunft abgeleiteter Daten hinausreichen soll, erfährt er spielerisch: Die große Vergangenheit als kontinuierliche Menschheitsgeschichte wird wie eine Erzählung präsentiert, die sich als erheiterndes Kaleidoskop von Herrschern und Beherrschten, von Schlachten und Friedensschlüssen, von Aufstieg und Fall bedeutender und unbedeutender Reiche entfaltet. Mit dieser Vergangenheit steht der Mensch über ein loses Band überlieferten Wissens in Verbindung, an dem er seine Zweifel anmelden darf. Auch Gott läßt sich als eine Gestalt der Vergangenheit ausdeuten: Einmal in Erscheinung getreten, hat er sich aus dem hiesigen Geschäftsverkehr zurückgezogen und die Menschen ihrem Schicksal überlassen. Daraus sollte man aber keine falschen Schlüsse ziehen: Die Zeitabgewandtheit Gottes hat mit dem irdischen Betrieb nichts zu schaffen, fordert 89 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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jedoch gerade deswegen von jedem Einzelnen eine Entscheidung ein: »So kann jeder Mensch nur mit der Zeit, in der er lebt, gleichzeitig werden, – und auch mit dem Einen: mit Christi Leben auf Erden; denn Christi Leben auf Erden, die heilige Geschichte, steht allein für sich und außerhalb der Geschichte. – Von der Geschichte kannst Du wie vom Vergangenen hören und lesen, und wenn es Dir behagt, kannst Du hierbei nach dem Ausgang urteilen. Aber Christi Leben auf Erden ist nichts Vergangenes«. Geschichtliche Nachbereitung des Christentums, seine Relativierung und Entzauberung, von Schriftgelehrten vorgenommen, die sich für klüger halten als die Schrift, ist Kierkegaard ein Greuel. Außerdem widerspricht es der einmal festgestellten Gleichzeitigkeit: »Ein geschichtliches Christentum ist Kauderwelsch und unchristliche Geisteswirrnis; denn was von wahren Christen in jedem Menschenalter gleichzeitig mit Christus ist, hat mit den Christen der vorhergehenden Generation nichts zu schaffen, sondern nur und ganz mit dem gleichzeitigen Christus. Sein Leben auf Erden folgt dem Menschengeschlecht und folgt als ewige Geschichte jedem einzelnen Menschenalter, sein Leben auf Erden hat die ewige Gleichzeitigkeit.« 54 Kierkegaards Analysen der menschlichen Grundbefindlichkeit haben eine Zeitlang den modernen Existentialismus geprägt. Heute ist der Existentialismus nicht mehr modern, seine anhängige Gedankenfigur, ein ins Dasein geworfener Partisan, der der Bodenlosigkeit menschlicher Existenz von seinem Privatgrundstück aus nachsinnt, hat das Verfallsdatum überschritten. Andererseits könnte der Existentialismus wiederkommen, in geläuterter, dem Zeitgenössischen angepasster Form, wofür es durchaus Hinweise gibt; der Aufstand des Einzelnen, zwischenzeitlich für obsolet erklärt, hat möglicherweise gerade erst begonnen. Mit Kierkegaard jedoch können die meisten nicht mehr viel anfangen. Dennoch wird er an Jubel- Fest- und Gedenktagen wieder gelobt; man preist seinen Scharfsinn, seinen durchdringenden Blick, der sich so unnachgiebig auf die Menschen, ihre Schwächen und Selbstgefälligkeiten richtete. Von seiner christlichen Überzeugung, die ja mit einem heute wie damals unerhörten Wahrheitsanspruch auftrat, will man indes 90 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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nichts mehr wissen. Die Postmodernität, die Kierkegaard zugestanden wird, ist Bestandteil eines umfassenden Profanierungsvorgangs, der sich damit abgefunden hat, daß für das Heilige schon deswegen kein Platz mehr sein kann, weil sich ein Meinungsbild breitgemacht hat, das dem täglichen Wahrheitsbedarf Genüge tut, ohne daß es zu Versorgungsengpässen gekommen wäre. Daß es jedoch so gekommen ist, muß man nicht als Notwendigkeit ansehen – es hätte unter Umständen auch anders kommen können. Obwohl Kierkegaard seinerzeit bereits düstere Ahnungen im Hinblick auf eine zur Wachablösung anstehende Moderne plagten, hat er zu hoffen gewagt, daß die Menschen sich doch noch eines Besseren besinnen könnten. Davon erzählt er in einer Geschichte, die mehr anklingen läßt als die Erinnerung an alte Zeiten: »Es war einmal ein reicher Mann. Der ließ im Ausland für teures Geld ein Paar ganz fehlerfreie, ausgezeichnete Pferde kaufen, die er zu seinem eigenen Vergnügen haben wollte, und auch machte es ihm Freude, selber zu fahren. So gingen wohl ungefähr ein oder zwei Jahre dahin. Wenn einer, der diese Pferde früher gekannt hatte, sie jetzt hätte fahren sehen, würde er sie nicht wiedererkannt haben: das Auge war matt und schläfrig geworden, ihr Gang besaß keine Haltung und nichts Straffes mehr; nichts konnten sie aushalten und nichts ertragen […]; außerdem hatten sie allerhand Launen und Unarten angenommen, und obwohl sie Futter natürlich sehr reichlich bekamen, magerten sie von Tag zu Tag mehr ab.« Der reiche Mann, dem sein Reichtum in diesem Fall nichts nützt, ist ratlos, er braucht Hilfe. Ein Fachmann soll her, der den Dingen auf den Grund geht und zu einem Befund kommt, der unmittelbar einleuchtet. Gesagt, getan: »Da ließ der reiche Mann den Kutscher des Königs rufen. Dieser fuhr sie einen Monat, und da gab es in der ganzen Gegend kein Paar Pferde, die den Kopf so stolz trugen, deren Blick so feurig und deren Haltung so schön war; kein Paar Pferde gab es, die, wenn es darauf ankam, sieben Meilen in einem Zuge mühelos laufen konnten, ohne einzukehren. Woran lag das?« Kierkegaard kennt die Antwort, sie hat, einmal mehr, mit jener Strenge und Unnachgiebigkeit zu tun, der er schon länger das Wort redet: »Das ist leicht zu 91 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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sehen: der Eigentümer, der, ohne Kutscher zu sein, sich mit dem Kutschieren abgab, fuhr die Pferde so, wie die Pferde das Fahren verstanden; aber der königliche Kutscher fuhr sie so, wie der Kutscher das Fahren verstand.« 55 Wenn sich der Mensch, dem es nicht verboten ist, bei passender Gelegenheit über sich selbst in Begeisterung zu geraten, zu sehr auf seine eigenen Leistungen kapriziert, verengt sich sein Weltbild, das ohnehin nur über beschränkte Apparaturen bezogen wird, auf das Menschenmögliche. Das aber ist zu wenig; der Kutscher des Königs, der für das Wissen um Gottes weitsichtige Strenge steht, will mehr: die Durchschnittsleistung, das bloß Machbare genügt ihm nicht, voller Stolz duckt er sich ein unter dem Anspruch des Unbedingten. In einer Zeit, als die Menschen noch um die Wahrheit wußten, ließen sie sich freudig lenken – zu ihrem Besten und unter Abforderung all ihrer großartigen Möglichkeiten: »So ist es eben auch mit uns […]. Jedesmal, wenn ich an mich selber und an die Unzähligen dachte, die ich kennengelernt habe, habe ich mir mit Wehmut gesagt: Gaben, Kräfte und Voraussetzungen sind zur Genüge vorhanden, aber was fehlt, ist der Kutscher. Längere Zeit hindurch sind wir Menschen von Geschlecht zu Geschlecht sozusagen so gefahren worden, wie – um im Bilde zu bleiben – die Pferde das Fahren verstehen; wir wurden gelenkt, wurden gebildet und erzogen nach dem menschlichen Begriff vom Menschsein.« Wenn zur Menschlichkeit aufgerufen wird, ist das wünschenswert und in Ordnung; dabei sollte es aber, so Kierkegaard, nicht zu menschlich zugehen, denn dann wird es matt und mittelmäßig, der Mensch bleibt unter seinen Möglichkeiten: »Siehe, daher kommt, was uns fehlt –: Erhebung! Daraus folgt wiederum, daß wir so wenig aushalten können, voller Ungeduld sofort die Mittel des Augenblicks anwenden und voller Ungeduld augenblicklich den Lohn für unsere Arbeit sehen wollen, die deswegen auch dementsprechend ausfällt.« Kierkegaard hat eine Zeit im Sinn, in der es eine Ordnung gab, die eingehalten wurde, weil ihr jedermann Respekt entgegengebrachte. Wann genau das gewesen sein könnte, ist eine geschichtliche Frage, tut also in diesem Zusammenhang nichts zur Sache. Auf jeden 92 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Fall gilt: »Einst war das anders. Das war zu jener Zeit, als es der Gottheit selber gefiel, gewissermaßen der Kutscher zu sein, und sie fuhr die Pferde so, wie der Kutscher das Fahren versteht. O, was vermochte der Mensch damals nicht alles!« 56 Man würde Kierkegaard, aus heutiger Sicht, mißverstehen, wenn man aus seinen Schriften nur den oft variierten Aufruf zu einem rigiden, insgeheim jedoch nostalgisch verbrämten Christentum herauslesen wollte. Kierkegaards Gedanke der Gleichzeitigkeit verbietet jede gemütvolle Rückschau; nicht über die Zeitläufte sollte man lamentieren, sondern den Zugang zu Gott suchen, die Erhebung, die es dem Menschen ermöglicht, sich von den irdischen Gemeinplätze abzusetzen und eine Herkunft zu denken, die im Unvordenklichen ruht. Auch wer nicht gläubig ist, kann sich von der Erhebung zu einem solchen Gottesglauben ansprechen lassen, der das grenzenlos Schwierige, das eigentlich Unglaubliche einbringt. In ihm, im Unbedingten und Unbekannten, hat der radikale Christ Kierkegaard auch den Ort ausgemacht, an dem die Liebe zu Hause ist; ihr mutet er mehr zu, als es das irdische Aufklärungswerk für möglich hält. Die Liebe ist Gottes Geschenk an den Menschen, er kann es annehmen oder ablehnen – ergründen kann er es nicht: »Es ist eine Stätte im Innersten des Menschen. Von dieser Stätte geht das Leben der Liebe aus […]. Diese Stätte kannst du nicht sehen. Wie weit du auch eindringen magst –: der Ursprung entzieht sich dir in Ferne und Verborgenheit; selbst wenn du so weit, wie es dir möglich ist, eindringst, ist der Ursprung beständig gleichsam ein Stück tiefer drinnen, – genau wie der Ursprung eines Quells, der, wenn du ihm am nächsten bist, immer noch ein Stück weiter fort liegt.« Es ist ein verwunschener Ort, den Kierkegaard für die Liebe vorsieht, er kann überall und nirgends sein. Das hat er mit Gott gemein, von dem es heißt, dass er ebenfalls überall und nirgends ist. Geheimnisvoll ist der Ort, ein träumerischer, in Schwebe gehaltener Ruhe- und Gewißheitspunkt im Menschen, Heimat des Ich, das aufbricht, um zu sich selbst zurückzukehren. Bei der Ankunft steht man in einem besonderen Licht, das alles sagt – das Herz öffnet sich und die Seele. »Von dieser Stätte 93 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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geht die Liebe aus, und sie geht über mannigfaltige Wege; aber auf keinem dieser Wege kannst du in ihr verborgenes Werden eindringen. – Wie Gott in einem Licht wohnt, von dem jeglicher Strahl ausgeht, mit dem die Welt erhellt wird, und wie dennoch auf diesen Lichtwegen keiner eindringen kann, um Gott zu sehen (denn die Wege des Lichts verwandeln sich in Finsternis, wenn man sich dem Lichte zuwendet) –: ebenso wohnt die Liebe im Verborgenen oder ist im Innersten verborgen.« Wollte man sich den Ort der Liebe aus Anschaulichkeitsgründen in einer Art Außenansicht vorstellen, läge er vielleicht in einem verborgenen Waldstück, das sich rund um einen kleinen See erstreckt, in dem eine Quelle sprudelt. Anziehend und verführerisch ist diese Quelle, aber man sollte ihr nicht zu nahe kommen: »Wie das Hervorsprudeln des Quells mit dem bezaubernden Geplauder seines Rieselns den Menschen lockt und geradezu bittet, den Weg einzuhalten und nicht neugierig einzudringen, um seinen Ursprung zu finden und sein Geheimnis offenbar zu machen, – wie der Strahl der Sonne den Menschen einlädt, durch ihn die Herrlichkeit der Welt zu betrachten, aber warnend den Vermessenen mit Blindheit schlägt, wenn er sich umwenden und neugierig und keck den Ursprung des Lichts entdecken will, – wie sich der Glaube freundlich dem Menschen als Begleiter auf dem Lebenswege anbietet, aber den Kecken versteinert, der sich umwendet und vorwitzig begreifen will –: ebenso ist es der Wunsch und die Bitte der Liebe, ihren verborgenen Ursprung und ihr verborgenes Leben im Innersten ein Geheimnis bleiben zu lassen«. 57 Das Geheimnis der Liebe hat den gleichen, nicht einsehbaren Grund wie das Geheimnis des Lebens, für das Gott steht. Er ist, ob als gedachter oder realer Grund, nicht zu überbieten; er erschließt sich, wenn er sich denn erschließt, im Verborgenen, ohne daß er sich zu erkennen geben müßte. Wer in diesen Glauben einsteigt und ihn annimmt, schaut die Wahrheit in einem ergreifenden, wahrheitsähnlichen Bild, er findet an ihm Genüge – obwohl ein Bild nur ein Bild bleibt und mit der Wahrheit nicht eins werden kann: »Das verborgene Leben der Liebe […] steht in unergründlichem Zusammenhange mit dem ganzen Dasein. 94 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Wie der stille See tief im verborgenen, von keinem Auge geschauten Quellbereich seinen Grund hat, so hat die Liebe des Menschen einen noch tieferen Grund: sie gründet in Gottes Liebe. Wäre in der Tiefe kein Quell und wäre Gott nicht die Liebe, so gäbe es weder den kleinen See noch auch die Liebe des Menschen.« Der Mensch muß begreifen, dass er nicht alles begreift; das Geheimnis des Seins kann er annehmen und verehren, verstehen kann er es nicht. Dabei hat er es zu belassen, denn es gibt gute Gründe dafür, dass uns das Wesentliche entzogen bleibt. Wagt sich der Mensch aber doch einmal zu weit voran, verschwimmt ihm auch das Bild der Wahrheit wieder, das er eben noch zu schauen meinte: »Wie der stille See im tiefen Quellboden seinen Grund hat, so gründet die Liebe des Menschen rätselvoll in Gottes Liebe. Wie der stille See zum Betrachten einlädt, aber durch das Spiegelbild des Dunkels dir das Hindurchblicken verwehrt, so versagt es dir der rätselvolle Ursprung der Liebe in Gottes Liebe, seinen Grund zu sehen. Wenn du ihn zu sehen vermeinst, trügt dich ein Spiegelbild, als wäre es der Grund, und doch verdeckt es den tieferen Grund.« 58 Wer sich heute nicht mehr auf Kierkegaards christliche Grundüberzeugung einlassen möchte, kann dennoch von ihm lernen – die hohe Kunst der Selbstfindung beispielsweise, der er auf ein Niveau verholfen hat, das von heutigen Sinnsuchern kaum noch erreicht wird. Kierkegaard hat seine Selbstfindung als ein ebenso ernstes wie heiteres Erkenntnisspiel betrieben, das in Reichweite existentieller Rahmenbedingungen bleibt. Es rechnet die Menschenwürde zu dem einen Daseinsgeschenk hinzu, das dem Menschen übergeben wurde; mit ihm muß er umgehen lernen, ohne sich allzu wichtig zu nehmen – aus der Selbsterfahrung des Menschen darf keine Selbstüberschätzung werden. Wer sich finden will, muß eine behutsame Seelenerkundung betreiben, die für Einspruch und Widerruf offen bleibt und als vertrauenbildende Maßnahme dient. Das Ich, das aus dieser Selbsterfahrung hervorgeht, ist demütig und stolz zugleich; es schaut zum Himmel auf und steht mit beiden Beinen auf der Erde. Von der Großartigkeit, vom Wunder der Schöpfung sieht es den Glanz, der seinen Abglanz hat in ihm selbst; 95 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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mehr kann ein Ich, das sich sucht, nicht finden: »Wenn alles stille geworden ist um den Menschen, feierlich wie eine sternenklare Nacht, wenn die Seele in der ganzen Welt allein mit sich selbst ist, da tritt ihr nicht ein ausgezeichneter Mensch gegenüber, sondern die ewige Macht selbst; es ist, als ob der Himmel sich öffnete, und das Ich wählt sich selbst, oder vielmehr, es nimmt sich selbst in Empfang. Da hat die Seele das Höchste gesehen, was kein sterbliches Auge sehen kann und was nie vergessen werden kann, da empfängt die Persönlichkeit den Ritterschlag, der sie für die Ewigkeit adelt.« In einem solchen Moment verschwinden alle Zweifel und Unwägbarkeiten im Menschen, er ist ganz bei sich selbst. Nun erst wird seine Wahrheit ganz Wahrheit, sie streift das Bild ab, in dem sie war, und zeigt sich so, wie sie ist. Mag ein solcher Augenblick auch etwas Überwältigendes haben: es lohnt sich, auf ihn zu warten und bereit zu sein. »Der Mensch wird nicht ein anderer, als er zuvor war, aber er wird er selbst. Wie ein Erbe – und wäre er auch Erbe aller Schätze der Welt – doch nichts davon besitzt, solange er nicht mündig ist, solange ist selbst die reichste Persönlichkeit nichts, bevor sie sich selbst gewählt hat, während andererseits die ärmste Persönlichkeit alles ist, wenn sie sich selbst gewählt hat. Denn das Große ist nicht, dieser oder jener zu sein, sondern man selbst zu sein; und das kann jeder Mensch sein, wenn er will.« 59

»Alles Verderben wird zuletzt von den Naturwissenschaften kommen. Mancher Bewunderer […] glaubt, wenn die Untersuchung mikroskopisch angestellt wird, sei es wissenschaftlicher Ernst. Törichter Aberglaube an das Mikroskop, ja mit Hilfe der mikroskopischen Beobachtung wird die Neugier nur noch komischer. Daß ein Mann sowohl einfältig wie tiefsinnig sagt: ich kann nicht sehen, wie ein Bewußtsein wird, mit meinen bloßen Augen – ist ganz in Ordnung. Aber daß ein Mann ein Mikroskop vor seine Augen stellt und dann guckt und guckt […] – und es doch nicht sehen kann: das ist komisch; und […] lächerlich, wenn das ernst sein soll. Wenn man die Entdeckung des Mikroskops

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für ein wenig Unterhaltung ansieht, ein wenig Zeitvertreib, kann das ganz gut sein, aber als Ernst ist es unendlich dumm. Schon die Buchdruckerkunst ist eine nahezu satirische Erfindung, denn Herr Gott, hat es sich denn gezeigt, daß da so viele sind, die eigentlich etwas mitzuteilen haben? Also diese ungeheuere Erfindung hat all dem Geschwätz zur Ausbreitung verholfen, das sonst bei der Geburt starb. […] Daß ein […] Naturforscher Bewußtsein hat, folgt von selbst, er hat Bewußtsein innerhalb des Umfangs seines Talents, einen vielleicht verblüffenden Scharfsinn, Kombinationsgabe, eine nahezu beschwörende Ideenassoziation usw. Aber das Verhältnis wird im höchsten Falle dies sein: ein solches eminentes Talent, einzigartig durch seine Begabung, erklärt die ganze Natur – aber versteht nicht sich selbst.« Kierkegaard 60

»Mein Gedanke ist: Gott ist wie ein Dichter. Daraus erklärt es sich auch, dass er sich findet sowohl in das Böse und all das Gewäsch und die Jämmerlichkeit der Unbedeutendheit und Mittelmäßigkeit usw. So verhält sich ja ein Dichter auch zu seiner Dichterproduktion [die auch seine Schöpfung heißt], er lässt sie hervortreten. Aber wie man ja in hohem Grade irrt, wenn man glaubt, dass, was die einzelne Person in der Dichtung sagt und tut, des Dichters persönliche Meinung sei: so irrt man auch mit der Annahme, dass, was geschieht, dadurch, dass es geschieht, Gottes Beifall hat. O nein, er hat seine Meinung für sich. Aber dichterisch gestattet er, dass alles mögliche hervortrete, selbst ist er überall zur Stelle, sieht zu, dichtet weiter, in einem Sinn dichterisch unpersönlich, gleicherweise aufmerksam auf alles, in einerm andern Sinn persönlich, den fruchtbarsten Unterschied setzend, wie den zwischen Gut und Böse, zwischen Wollen, wie Er will, und Nichtwollen, wie Er will usw.« Kierkegaard 61

»[…] ich selber, religiös nach innen gewendet, sehe mit schärferen Augen als irgendeiner die Lumpigkeit, behandle in meinem

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In Ferne und Verborgenheit

Innern die Sache mit einem Ernst, der weit über den Verstand der Pfarrer hinausgeht – aber sobald ich darüber rede, so verwandle ich mich zu einer potenzierten Witzigkeit – und so lachen alle mit. […] Die Fakta meiner Existenz sind deutlich genug. Von einem Tänzer heißt es, dass man ihm nicht ansehen darf, dass er schnauft. Geistig habe ich diese Regel befolgt. Und da ich nun nicht schnaufe, nicht äußerst ernsthaft aussehe, nicht lamentiere – ja, so ist das Ganze Ulk. Der Schluß ist ebenso dumm wie der: der Tänzer schnauft nicht – ergo ist er überhaupt nicht gesprungen […]. Der Unterschied ist nur, dass das eine als ein sinnliches Faktum von jedem Bierzapfer unmittelbar kontrolliert werden kann; das andere – ja der, der nicht in sich selber Geist ist und Ernst, er sieht es auch nicht. Darin liegt die Examination. Geist negiert immer die Unmittelbarkeit – darum kann nur Geist aufmerksam werden auf Geist.« Kierkegaard 62

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Ein unbekanntes Leiden

Am 25. September 1855 beendet Sören Aabye Kierkegaard seine Tagebuch-Aufzeichnungen. Er tut dies nicht freiwillig, denn im Grunde hat er noch viel zu sagen, auch wenn es Verdachtsmomente gibt, dass der Titel eines seiner Bücher (Die Wiederholung) inzwischen für alle seine Werke gilt. Kierkegaard ist müde, erschöpft vom Kampf gegen seine Verächter, die sich schneller vermehren, als er sie erledigen kann. Und – das lässt sich leider nicht leugnen: Kierkegaard ist krank; seine Freunde, von denen es nicht mehr so ganz viele gibt, machen sich Sorgen. Er hustet, spuckt Blut, hat merkwürdige Gleichgewichtsstörungen, sieht sich beim Gehen zu Richtungsänderungen gezwungen, die er gar nicht will; in den Beinen kribbelt es, manchmal fühlen sie sich wie abgestorben an oder versagen den Dienst. So auch an einem der letzten Septembertage: Auf einem Spaziergang bricht er zusammen und kommt nicht wieder hoch. Man holt Hilfe und bringt ihn nach Hause. Kurzfristig fühlt er sich besser, aber das hält nicht an; schließlich wird er ins Königliche Frederiks Hospital gefahren, wo er selbst den Wunsch äußert, gründlich untersucht zu werden. 63 Die Untersuchung nimmt ein Arzt namens Harald Krabbe vor, der noch vergleichsweise unerfahren ist, aber immerhin schon von Kierkegaard gehört hat, von dem es heißt, er sei ein Vielschreiber mit Hang zum Verfolgungswahn, der sich gern mit Gott und der Welt anlege, vor allem mit der Welt. Da Krabbe nicht so recht weiß, wie er mit Kierkegaard umgehen soll, führt er erst einmal eine Befragung durch und lässt seinen Patienten selber reden, der sich durchaus auskunftsfreudig zeigt und zu einer Diagnose in eigener Sache kommt: »Er kann für seine jetzige Krankheit keinen bestimmten Grund anführen. Doch will er sie mit dem Genuß kalten Selterswassers im Sommer in Verbindung bringen, mit einem dunklen Aufenthaltsort sowie mit 99 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein unbekanntes Leiden

anstrengender Geistesarbeit, die, wie er meint, zuviel im Verhältnis zu seinem schmächtigen Körperbau [gewesen ist]. Er hält die Krankheit für tödlich. Sein Tod ist für die Sache vonnöten; er hat seine ganze Geisteskraft darauf angewandt zu lösen, warum er allein gewirkt hat und wozu, wie er meint, nur er ausersehen war: daher das stringente Denken in Verbindung mit einem so schmächtigen Leib. Will er leben, muß er seinen religiösen Kampf fortsetzen, aber der wird ihn ja ermüden, wohingegen bei seinem Tod seine Stärke erhalten wird«. 64 Kierkegaard ist davon überzeugt, dass ihm keiner mehr helfen kann. Was es auf Erden noch zu verhandeln gilt, muß er mit dem Tod ausmachen, der aber bekanntlich nicht mit sich reden lässt – er arbeitet eine Liste ab, die ihm von einem unbekannten Auftraggeber übergeben wurde. Für Kierkegaard ist dieser Auftraggeber jedoch ein guter alter Bekannter, der ihn schon sein ganzes Leben begleitet hat, das nun zu Ende geht. Mit seiner Abberufung rechnet er stündlich; tatsächlich hat er aber noch einundvierzig Tage zu leben, die allesamt von eher ratlosen ärztlichen Anwendungen bestimmt sind. Die Mediziner wissen nicht so recht, was sie von seiner Krankheit halten sollen; man diagnostiziert erst eine halbseitige Lähmung, dann »Paralysis« des ganzen Körpers, schließlich wird auch eine begleitende Tuberkulose in Erwägung gezogen, da der Patient häufig hustet und spuckt. Obwohl es ihm denkbar schlecht geht, gibt sich Kierkegaard bemüht heiter, er weiß ja, was ihm blüht. Den medizinischen Erkenntnissen hat er ohnehin nie recht über den Weg getraut: »Und wenn es darauf ankommt, […] was weiß dann der Physiologe und was weiß eigentlich der Arzt?« 65 Nichts weiß der Arzt, aber eigentlich geht es ihm damit nicht besser als dem Philosophen, der auch nichts weiß, sich daraus aber eine ebenso wacklige wie tragfähige Gewissheit werden lässt, die zu seiner Arbeitsplatzbeschreibung gehört. Was mehr hilft als das Nichtwissen im Wissen, ist der Glauben, zumindest glauben das die Gläubigen. Kierkegaard hat bis zum Schluß in seinem Glauben nicht nachgegeben, ja, er ist sogar der Meinung, dass eine göttliche Festanstellung erst nach Ableistung des irdischen Wahrheitsdienstes erfolgt. Der Tod kann also kommen, 100 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ein unbekanntes Leiden

aber vorerst lässt er sich noch Zeit und ist anderweitig beschäftigt. Kierkegaard wird ein wenig ungeduldig, wie sein Freund Emil Boesen, der ihn im Krankenhaus besucht, vermerkt: »[…] so bitte ich denn zuerst um die Vergebung der Sünden, dass alles vergeben sein möge; dann bitte ich, dass ich frei bleiben möge von Verzweiflung im Tode […], und dann bitte ich um das, was ich so gerne möchte, dass ich es etwas im voraus wissen möge, wann der Tod kommen soll.« 66 An einem seiner besseren Tage, von denen es aber immer weniger geben wird, zieht Kierkegaard Bilanz, er ist versöhnlich gestimmt: »[…] grüß alle Menschen, ich bin ihnen allen insgesamt sehr zugetan gewesen, und sag ihnen, mein Leben ist ein großes, andern unbekanntes und unverständliches Leiden; alles hat ausgesehen wie Stolz und Eitelkeit, ist es aber nicht gewesen. Ich bin durchaus nicht besser als die andern, ich habe das gesagt und nie etwas anderes gesagt.« 67 Nach dieser Grußadresse an die nicht versammelte Menschheit ist es Kierkegaard wohler, aber es nützt nichts mehr. In seiner letzten Woche auf Erden kann er nicht mehr sprechen, er liegt im Bett, lässt sich drehen und wenden, wie es das Pflegepersonal will, schluckt die Medizin, die man ihm verabreicht. Die Lähmung hat nun auch sein Gesicht erreicht und zwar in einem Moment, als er sich an etwas Schönes zu erinnern meint – er lächelt, was sich nun als irreparabel erweist und als schiefe Momentaufnahme im Gesichtsausdruck stehenbleibt. Überhaupt wird der Erkenntnisund Wissensbetrieb, wie Kierkegaard ja schon früher vermutet hat, maßgeblich von Erinnerungen bestimmt; fallen sie aus, was eine Spezialität von Krankheit und Alter ist, fällt irgendwann der ganze Mensch aus. Schaut man genauer hin, haben die verbliebenen Erinnerungen allerdings auch etwas hartnäckig Vertrautes, es scheint so, als seien sie alle schon einmal da gewesen: »Wiederholung ist ein entscheidender Ausdruck für das, was Erinnerung gewesen ist. Gleich wie diese also gelehrt haben, dass alles Erkennen ein sich Erinnern sei, ebenso wird die neuere Philosophie lehren, dass das ganze Leben eine Wiederholung ist. (…) Wiederholung und Erinnerung sind die gleiche Bewegung, nur in entgegengesetzter Richtung; denn wessen man sich er101 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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innert, das ist gewesen, wird nach rückwärts wiederholt, wohingegen die eigentliche Wiederholung sich vorwärts erinnert.« 68 Kierkegaard stirbt am 11. November 1855. Es ist ein Sonntag; der Tod, der sich zuvor etwas verspätet hatte, bringt seinen Auftrag um neun Uhr abends zu Ende. Danach muß man sich, soweit wir wissen, erst mal an nichts mehr erinnern; wer gestorben ist, hat seine Ruhe. Oder auch nicht. Es gibt Nachrufe, Würdigungen, manchmal sogar subtile Unfreundlichkeiten, die noch am Grab des Toten abgelegt werden. Manchmal können sich auch die Ärzte nicht damit abfinden, dass der Patient es vorgezogen hat, sich ihrer Behandlung zu entziehen und lieber zu sterben. Im Falle von Kierkegaard verweisen die Mediziner auf den ihrer Meinung nach zweifelhaften Lebenswandel, dem der Philosoph und strenge Christ sich ohne erkennbare Not unterworfen hat. Er hat es übertrieben, vor allem mit sich selbst; auf Dauer konnte das nicht gut gehen. »Eine allzu angestrengte Benutzung des Gehirns hat vielleicht das Rükkenmark angegriffen und damit den Unterleib gelähmt«, befindet ein Arzt, und sein Kollege ergänzt: »Er soll an einer Weichheit im Gehirn gelitten haben; war die schuld an seiner Schreiberei oder die Schreiberei schuld an der Weichheit?« 69 Die Vermutung, dass zuviel Nachdenken schadet, besonders wenn die eigene Person das Objekt ist, um das es geht, und überdies noch Gott in die Mühlen der Reflexion mit hineingezogen wird, ist nicht nur mit Blick auf Kierkegaards angestrengtes Leben geäußert worden – sie gilt auch heute noch. Wer sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt, gilt als Gefahrengänger. Eine Betriebsprüfung des Ich, elend lang hingezogen und zu gründlich umgesetzt, ist eher von Nachteil, als dass schnelle Vorteilsnahme von ihr zu erwarten wäre. Die Kunst der Selbstfindung hat das zu bedenken, sie sollte sich nicht übernehmen, braucht Maß und Ziel, was Kierkegaard, der Maß und Ziel für Kategorien der Lauheit hielt, nur dann an sich heranließ, wenn er meist versehentlich den Wonnen des Gewöhnlichen erlag und dabei ausnahmsweise kein schlechtes Gewissen hatte.

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Ein unbekanntes Leiden

»Nach S. Kierkegaards Angabe, die im Journal des Hospitals angeführt ist, war er bereits 14 Tage vor seiner Aufnahme eines Tages von seinem Sofa auf den Fußboden gesunken. Es war kein Schwindel oder Krampf oder Verlust des Bewußtseins, nur ein Gefühl von Kraftlosigkeit, so daß er einige Tage lang nicht auftrat, wie er wollte, und mehrmals umsank«. Henriette Lund 70

»Endlich muß von der Entscheidung des Todes gesagt werden, daß sie unerklärlich ist. Mögen nämlich die Menschen auch eine Erklärung finden: der Tod selbst erklärt nichts. Denn falls du ihn zu Gesicht bekommen könntest, den bleichen unfrohen Schnitter, wie er da müßig stünde, auf seine Sense gestützt, und du gingest zu ihm hin, es sei nun, daß du meintest, dein Lebensüberdruß müsse dir seine Gunst eintragen, oder auch, deine brennende Sehnsucht nach dem Ewigen solle ihn rühren, du legtest deine Hand ihm auf die Schulter und sprächest: ›Erkläre dich, nur ein Wort‹ – glaubst du, er gäbe Antwort? Ich denke, er würde es nicht einmal merken, daß du ihm die Hand auf die Schulter legtest und zu ihm sprächest […]. Ob er kommt als die größte Wohltat oder als das größte Unglück, ob er mit Jubel begrüßt wird oder mit verzweifeltem Widerstand, davon weiß der Tod nichts, denn er ist unerklärlich. Er ist der Übergang; über die Beziehung weiß er nichts, schlechthin nichts«. Kierkegaard 71

»Als das Unerklärliche könnte der Tod das höchste Glück scheinen. Eine solche Erklärung verrät ein Leben in kindischem Wesen, die Erklärung ist als dessen letzte Frucht: Aberglaube. Der Erklärende hatte die Vorstellung des Kindes und Jünglings vom Angenehmen und Unangenehmen, und das Leben ging hin, er sah sich getäuscht, er ward älter an Jahren, nicht an Gemüt, er ergriff nichts Ewiges: da sammelte das kindische Wesen in ihm sich auf eine überspannte Vorstellung davon, dass der Tod kommen und alles in Erfüllung gehen lassen sollte; er wurde nun der

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Ein unbekanntes Leiden

begehrte Freund, der Geliebte, der reiche Wohltäter, der alles zu verschenken habe, dessen Erfüllung der Kindische im Leben vergeblich gesucht. Bisweilen wird leichtfertig und vorwitzig von diesem Glücke geredet, bisweilen wehmütig, bisweilen drängt sich der Erklärende sogar laut vor mit seiner Erklärung und will andern helfen; aber sie verrät lediglich, wie der Erklärende in seinem Innern ist, dass er nicht die Rückwirkung des Ernstes verspürt hat, sondern kindisch vorwärts hastet, kindisch auf den Tod hofft, gleichwie er es getan auf das Leben.« Kierkegaard 72

»Als das Unerklärliche kann der Tod« auch »das größte Unglück scheinen. Aber diese Erklärung zeigt an, dass der Erklärende feige am Leben hängt, vielleicht feige wegen der Lebensgunst, vielleicht feige wegen des Lebensleidens, so dass er das Leben fürchtet, jedoch den Tod noch mehr fürchtet. Rückwirkende Kraft empfängt der Tod nicht, das will heißen, nicht vermöge der Auffassung, denn sonst allerdings ist er rückwirkend, insofern, als er dem einen die Gunst des Glückes freudenlos werden lässt, dem andern irdisches Leiden hoffnungslos macht.« Kierkegaard 73

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Manch ein Lächeln

Bevor er aber starb und sich mit unbekanntem Ziel davonmachte, kam in seiner letzten Woche noch einmal die Erinnerung. Nichts Großes war es, was sie ihm nahelegte, nichts Weltbewegendes, sondern nur das Bild einer Nacht. Er war durch die Straßen gegangen, allesamt menschenleer, erstaunlich für eine Stadt wie Kopenhagen, die, obwohl von provinziellem Geist durchtrieben, wie er meinte, doch immer etwas für Nachtschwärmer zu bieten hatte. Damals indes war niemand unterwegs, seine spitzen Schuhe klopften über das Pflaster wie Huftritte, er hätte singen können. In dieser Nacht. Ein roter Mond stand über den Häusern, eine kalte tröstliche Kugel; wenn man stehenblieb und hinaufschaute, sah man fast alles: zersetzte Mondlandschaften, Felsrinnen, Skulpturen aus Staub, steinerne Herzen. Die reine Verlassenheit. Früher, als Kind, hatte er gedacht: Wie kann Gott sich dort wohlfühlen? Falls es ihn gibt! Später, da es ihm immer nur um die eine Entscheidung ging, kam ihm eine solche Frage kindisch vor, denn er war sich ja sicher: Gott fühlt sich nicht wohl. An keinem Ort, nirgends. Dafür sorgt schon jene harte Gewißheit, die man als Heranwachsender nicht begreifen darf: Gott gibt es, weil er sich unentwegt selber gibt. Wäre Gott Mensch geblieben, über das Einzelkind Jesus Christus hinaus, wäre er der vorzeitigen Erschöpfung anheimgefallen. Kierkegaard dachte an seinen Herrn Gott wie an einen verschwiegenen Freund, mit dem sich bemerkenswerte Einverständigkeit herstellen ließ; manchmal aber zogen ihm damals schon die Gedanken im Stechschritt durch den Kopf, an dem er, stand zu befürchten, Raubbau betrieben hatte. Nun, in jener Nacht, an die er sich im Königlichen Frederiks Hospital erinnerte, erfolgte eine Vorwarnung, die sich im Nachhinein auch als Abmahnung deuten ließ. Der Mond illuminierte den Park wie ein verlassenes Festgelände. Der Philosoph hinkte seit Kindertagen ein wenig; 105 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Manch ein Lächeln

kein wieder aufrufbares Ereignis ließ sich dafür namhaft machen, kein Sturz, keine unglückliche Bewegung, kein Verfahrensfehler, der einem behandelnden Arzt anzulasten gewesen wäre. Zu den Ärzten hatte er wie gesagt ohnehin kein Vertrauen; sie haben sich, dachte er, zu einem Berufsstand formiert, der, nachdem in neuerer Zeit erstaunliche, ja geradezu abwegige Erkenntnisfortschritte erzielt wurden, zur Selbstüberschätzung neigt, das läßt sich nicht vermeiden. Nein, keiner konnte etwas dafür, daß er hinkte, auch nicht für seine eingefallenen Schultern, den unauffälligen Buckel, seine hervorstechende Nase. Der Geist, dem es nicht genügt, Geist zu sein, und deshalb seiner Auslagerung in die Körperwelt zuzustimmen hat, war in Kierkegaards Fall nicht sehr zuvorkommend bedient worden. Damit hatte er sich beizeiten abgefunden; er war nicht schön, aber interessant. Zu einer Liebesgeschichte hatte es dennoch gereicht, sie sollte jedoch nicht wahr werden. Auf Widerspiegelung, auf Bestätigung konnte diese Liebe gut verzichten und wußte doch, daß man nicht unbeschadet durch die verschwitzten Körperwelten kommt. Kierkegaard setzte sich auf eine Parkbank. Der volle Mond stand direkt über ihm, es war, als ob er in diesem verschwenderischen Licht heilig gesprochen werden sollte. Er hatte die Augen geschlossen, fror ein wenig, weil er die Helle wie eine Glaswand spürte. Unter einem stillgestellten Wasserfall lagerte er und war bereit für den Traum vom jüngsten Gericht, das ständige Vorermittlungen führt, mit seiner eigentlichen Verhandlung aber erst beginnt, wenn die Akte der Menschheit geschlossen wird. Als er das Geräusch hörte, glaubte er zunächst an eine Täuschung; sein Kopf, mit dem er Raubbau betrieben hatte, wollte ihn ärgern, die heilige Stille, das versiegelte Licht aufbrechen. Aber es war kein Zweifel möglich, Schritte näherten sich, schwere, tappende Schritte, da ging ein Verfolger, ein Beladener. Die Nacht verlor ihre tadellose Haltung, das Licht, zuvor noch einhellig im Himmel und auf Erden, überzog sich mit bräunlichen Schlieren, auf seinem Bodensatz hinterließ es Lachen wie nach einem Februarregen. Langsam kamen die Schritte näher, sie hatten das Gleichmaß des zu Ende gedachten Wissens, das nichts mehr erschüttern kann. Dann sah er den 106 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Manch ein Lächeln

Mann, der zu den Schritten gehörte, kleiner war er, leichtgewichtiger, als man vermutet hätte; ein ältlicher Mensch mit hervorstehenden Augen und grämlicher Miene, der ihm bekannt vorkam. Er grüßte nicht, ging vorbei; eine Einmannprozession, ein Schausteller, der seine Geschäftsaufgabe als Existenzgründung verstand. Was gewesen war, wußte er nicht, was noch kommen sollte, hatte er in Gesetzestexte gegossen; nun nahm er seinen Weg als lebendiger Toter. Bühnennebel erwartete ihn, hüllte ihn ein, waberte um seine steckendürren Beine, den kantigen Rumpf; schließlich schaute nur noch der grämliche Kopf heraus, und er erkannte ihn: Georg Wilhelm Friedrich Hegel war es, deutschester aller deutschen Philosophen, der die Philosophie wie eine Mautstation betrieb; jeder, der ihm nahe kam, mußte dafür bezahlen. Kierkegaard hatte sich zwischendurch mal als Hegels Bewährungshelfer verstanden, er traute sich zu, ihm Benehmen beizubringen, war aber nachhaltig enttäuscht worden. Seither verweigerte er das Gespräch mit seinem ehemaligen Schützling, der für ihn ein Vorbestrafter war: Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Abusus des Kopfes mußte man ihm vorhalten. Hegel lebte fort über finstere Wiedergänger; er war damals schon seit siebzehn Jahren tot, gestorben an der Cholera, auf die seine Philosophie umfassender Vorratshaltung keine Antwort mehr fand. In seinem Grab schrieb Hegel an einer Logik der Toten, ein Zeitvertreib, nicht mehr; auch die Verstorbenen haben lange Weile. Kein Mensch weiß, wann das Wiedererweckungswerk in Gang kommt, die Reanimationsmaschine; im Zeichen der Gnade, der leeren Räume, des Unendlichen nimmt es seinen Betrieb auf. Kierkegaard wird für die Betriebsprüfung zuständig sein; er ist Gott ergeben, hat sich die marktgängigen Zweifel aus dem Herzen gerissen, entfernt nach Art eines Amputationskünstlers, der nur noch die Lust kennt auf einen unablässigen Phantomschmerz. Jäh endete der Weg in der Nacht, an die er sich noch einmal erinnerte. Am Ende des Weges stand damals ein schwarzes Gebäude. Es sah aus wie ein verlassener Bunker, fensterlos. Nur eine Tür führte hinein, sie war angelehnt. Eine Versuchung: Er könnte durch diese Tür eintreten in Hegels Haus, in das 107 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

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Schattenreich abgetaner Gedanken, aber dann würde er nicht mehr davonkommen. Nie mehr. Hegel hätte ihm die Schrauben des Begriffs angesetzt, ihn in Verwahrung genommen bei Text und Schrift. Die Stimmen des Lebens wären verklungen, für immer, und sogar der Herr Gott hätte sich wenden müssen. Mit Grausen.

»Da, wo Hegel endet, da ungefähr beginnt das Christliche: das Missverständnis ist bloß, dass Hegel meint, dort mit dem Christlichen fertiggeworden zu sein, ja viel weitergegangen zu sein. Mir ist es überhaupt nicht möglich, das Lachen zu lassen, sobald ich an Hegels Begreifen des Christentums denke, das ist etwas sehr Unbegreifliches. Und wahr ist und bleibt doch, was ich immer gesagt habe: Hegel war Professor der Philosophie, nicht Denker; und er muß zugleich eine ziemlich unbedeutende Persönlichkeit gewesen sein, ohne lebendigen Eindruck – aber ein ganz außerordentlicher Professor, ja das leugne ich nicht. Die Zeit wird gewiß einmal kommen, wann dieser Begriff ›Professor‹ für eine komische Figur stehen wird.« Kierkegaard 74

»In jenen Jahren traf ich S. K. häufig, wenn ich am Abend einen Spaziergang machte. In der Regel war der Frederiksberger Park das Ziel meiner Wanderung. So weit ging auch K., aber nur bis zum Eingang des Parks, wo die kleinen Blumenbeete auf beiden Seiten des seinerzeit schmalen Weges sind, der vom Tor zum ersten freien Platz führt. Er atmete dort einige Augenblicke den Duft der Blumen ein und nahm dann die Erinnerung an diesen ›Augenblick‹ mit sich. Auf diese Weise liebte er abzuschließen und zu begrenzen: Seine Wanderung hatte ein bestimmtes Ziel, aber dieses Ziel wurde gleichsam nur berührt; es wurde dabei nicht verweilt, und es wurde gleichsam nur ein Motiv des Genusses genommen, das ideell bearbeitet werden konnte.« Hans Bröchner 75

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»Verlieren Sie vor allem nicht die Lust dazu zu gehen […]. Ich laufe mir jeden Tag das tägliche Wohlbefinden an und entlaufe so jeder Krankheit; ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen Gedanken, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen los würde. […] Bleibt man so am Gehen, so geht es schon.« Kierkegaard 76

»Außer meinem übrigen zahlreichen Umgangskreis habe ich noch eine intime Vertraute – meine Schwermut. Mitten in meiner Freude, mitten in meiner Arbeit winkt sie mir und nimmt mich beiseite, auch wenn ich körperlich dableibe. Meine Schwermut ist die treueste Geliebte, die ich je gekannt habe; was Wunder, dass ich sie wiederliebe.« Kierkegaard 77

»Ins Bett gehen halte ich für eine der herrlichsten Erfindungen […], dass man die ganze Welt ganz und gar mit einem Guten Tag – oder einem Gute Nacht verabschiedet.« Kierkegaard 78

»In einem Theater brach Feuer hinter den Kulissen aus. Bajazzo kam heraus, um das Publikum zu unterrichten. Man glaubte, er wolle einen Witz machen, und applaudierte. Er wiederholte seine Mitteilung, man jubelte noch mehr. So denk ich mir, dass die Welt untergehen wird unter dem allgemeinen Jubel der witzigen Köpfe, die glauben, das sei ein Witz.« Kierkegaard 79

»Etwas Seltsames ist mir passiert. Ich wurde in den siebenten Himmel entrückt. Da saßen alle Götter versammelt. Aus besonderer Gnade wurde mir die Gunst zugestanden, einen Wunsch auszusprechen. ›Willst du‹, sagte Merkur, ›willst du Jugend oder

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Schönheit oder Macht oder ein langes Leben oder das schönste Mädchen oder irgend eine andere von den vielen Herrlichkeiten, die wir in der Kiste da haben, so wähle, aber nur eines.‹ Ich war einen Augenblick unschlüssig; dann wandte ich mich an die Götter und sagte: Hochzuverehrende Zeitgenossen, ich wähle das Eine, dass ich immer die Lacher auf meiner Seite haben möge. Keiner der Götter sagte ein Wort, aber sie fingen alle an zu lachen. Daraus schloß ich, dass meine Bitte erfüllt sei, und ich fand, dass die Götter sich mit Geschmack auszudrücken wussten. Es wäre doch zu dumm gewesen, ernsthaft zu antworten: es sei dir gewährt.« Kierkegaard 80

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Epilog Der verwantwortliche Leiter

Kierkegaards letzte Tagebuch-Aufzeichnung zieht unter der Überschrift Dieses Leben christlich bestimmt ein Fazit, das, auch weil die sich abzeichnende Krankheit seine Stimmungslage eintrübt, nicht sehr hoffnungsfroh ausfällt: »Der Zweck dieses Lebens ist, den größtmöglichen Ekel am Leben zu erregen. – Wer diesen Punkt erreicht hat, kann behaupten, oder der Herr hilft ihm, es zu behaupten, dass es einen Gott gibt. Der ihn aus Liebe an diesen Punkt gebracht: Er besteht sein Examen in einem christlichen Sinn, er ist reif für die Ewigkeit.« Für uns normale Sterbliche, die wir möglicherweise mehr am Leben hängen, als es wünschenswert wäre, klingt diese Botschaft deprimierend: Scheint es nicht eher so, als sei das Gegenteil der Fall: Vom Glück, von unseren Hoffnungen und Träume mögen wir nicht lassen, wir haben noch Freude am Leben, auch wenn die sich mit zunehmendem Alter etwas zugeknöpfter gibt und nicht mehr auf Abruf bereitsteht. Warum sollten wir das kampflos aufgeben wollen? Möglicherweise hat sich Kierkegaard aber auch selbst etwas vorgemacht: Ein Ende, sein Ende war abzusehen, also durfte nicht alles falsch sein, was er sich an harten Wahrheiten zurechtgelegt hatte, an die er noch einmal erinnert: »Durch ein Verbrechen wurde ich gezeugt, gegen den Willen Gottes. Die Schuld, die eigentlich nicht meine ist, wenn sie mich in den Augen des Herrn auch zum Verbrecher macht, ist die, Leben zu verleihen. Der Schuld entspricht die Strafe: aller Lust am Leben beraubt zu werden, zum höchsten Grad des Lebensüberdrusses geführt zu werden. Der Mensch wollte dem Schöpfer ins Handwerk pfuschen, wenn nicht Menschen schaffen, so doch Leben verleihen. ›Ihr werdet schon dafür bezahlen müssen;

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denn die Bestimmung dieses Lebens ist die […], dass ich euch zum höchsten Grad des Lebensüberdrusses führe.‹« 81 Um nachvollziehen zu können, warum Kierkegaard das Leben verabschiedet sehen will, muß man sich daran erinnern, dass er für ein ein überaus strenges Christentum spricht, dessen Leitlinien er in einem einsamen und oft wiederholten Minderheitsvotum selbst festgelegt hat; dass er sich damit keine Freunde gemacht hat, weiß er längst. Einige wenige vermochten ihm zu folgen, hielten es aber nicht für nötig, sich nachhaltig zu ihm zu bekennen. Der todkranke Kierkegaard ist allein, und er war es, blickt er auf die Selbsteinschätzung zurück, die ihn begleitet hat, auch vorher schon. Das ist nicht schlecht, findet er, gibt ihm noch einmal Recht, wofür er sich allerdings nichts mehr kaufen kann. So bleibt ihm nur der schwache und selbstausgedachte Trost, es schon immer etwas besser gewusst zu haben, was nichts daran ändert, dass er sich am Ende seines Lebens wieder unter seinesgleichen einzureihen hat; vor dem Tod sind die Menschen gleich, sie werden abberufen ohne Ansehen der Person. Dennoch: »Die meisten Menschen sind nun so geistlos, so von der Gnade verlassen, dass die Strafe auf sie gar nicht angewandt wird. Verloren in dies Leben hangen sie fest an diesem Leben, aus nichts werden sie nichts, ihr Leben ist Verschwendung.« Gerade das aber sollten wir, Kierkegaards Einrede zum Trotz, nicht geringschätzen: am Leben hängen, das, anders als manche tagespolitische Maßnahme, die so genannt wird, tatsächlich alternativlos ist. Kierkegaards Gottesglauben, von seinem Begründer im beständigen Wechsel zwischen »stiller Verzweiflung« und »unbeschreiblicher Freude« gedacht, erweist sich letztlich, mit Blick auf unsere irdischen Daseinsbemühungen, als wenig ermutigend: Lebenskunst, eine der neueren Varianten im Angebotsspektrum der Philosophie, lässt sich von ihm nicht beziehen, wohl aber Abhärtung im Denken und eine suggestive Erinnerung an jene Erhabenheit, auf die der Mensch zurückkommt, wenn er sich bevorzugt in stillen Stunden darauf besinnt, dass er nicht von sich aus da ist, sondern in ein Dasein gegeben wurde, auf dem der Glanz des Ewigen ruht. Wie gesagt: Das Leben, so aufgefasst, ist ein Geschenk, wobei wir nicht wis112 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Epilog

sen müssen, wer uns da beschenkt hat. Kierkegaard wusste es; das Fazit eines christlich bestimmten Lebens mutet aus seiner Sicht folgerichtig an, ist für weniger fest im Glauben Stehende allerdings eine Zumutung, der man nicht zu folgen braucht. »Diejenigen Menschen, in denen doch mehr Geist ist, und welche die Gnade noch übersieht, werden zu dem Punkt hingeführt, dass das Leben den höchsten Grad des Lebensüberdrusses erreicht. Aber sie können sich damit nicht versöhnen, sie empören sich gegen Gott usw.« Wer genug hat vom Leben, sollte das als ultimative Bereicherung begreifen; danach ist Schluß auf Erden, nur im Himmel geht’s (vielleicht) noch weiter. An dieser Vermutung, die für Kierkegaard existentiell begründet, also persönlich beglaubigte Gewissheit ist, lässt er nicht rütteln, er hat sich das Reifezeugnis für die Ewigkeit ausgestellt und kann abtreten. Mag sein, dass er dabei durchaus zielsicher den kürzesten Weg eingeschlagen hat; für andere, die wie wir immer noch unterwegs sind, könnte sich der Gang in die Ewigkeit als langer Marsch, womöglich sogar als Irrweg erweisen. Das aber muß auszuhalten sein. Die Akte Kierkegaard endet mit einer Beschlussfassung, die schon zu Beginn des Verfahrens feststand: »Nur die Menschen, die gebracht zu diesem Punkt des Lebensüberdrusses, durch den Beistand der Gnade festhalten können, dass der Gott der Liebe dies tut, so dass sich in ihrer Seele, auch nicht im hintersten Winkel, kein Zweifel verbirgt, dass Gott Liebe sei; nur diese sind reif für die Ewigkeit.« 82 Im Zweifelsfall, der uns auch nach Kierkegaards Schlußvotum noch bleibt, läuft es immer wieder auf eine Entscheidung hinaus, die jeder für sich treffen muß. Diese Entscheidung ist eine Wahl, die einem speziell dann nicht abgenommen wird, wenn man sich selbst finden will. In dem einen, mir bestimmten und offen gehaltenen Augenblick, der Klarheit bringt, entscheide ich mich für mich selbst und nehme mich an. Das Ich empfängt sich selbst, wählt sein Entweder-Oder. Meine Selbstfindung verweist mich an jene Macht, die dem Ich immer schon vorausgeht und höher ist als alle Vernunft. Ob wir diese Macht Gott nennen, ist nicht wichtig. Die eingangs gestellte Frage Er oder Ich kann beantwortet werden: Wer sich selbst auf den 113 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Epilog

Grund gehen will, hat eine doppelte Wahl. Wird sie vollzogen, ist das Ich, zur Welt gegeben vom Geheimnis, das uns trägt, ganz bei sich selbst – es hat seine Wahrheit. Was danach kommt, wissen wir nicht, und sind dankbar dafür.

»Und während es in der äußeren Welt so ist, dass man auf kleine Entfernungen kleine Schiffe braucht, muß man in ferne Länder, wagt man sich nur in großen Schiffen heraus: so ist es geistig umgekehrt. Das Schiff, das auf Zeitlichkeits-Fahrt geht […], ist ein ungeheuer großes Schiff. Zur Ewigkeits-Fahrt werden dagegen nur einige ganz kleine Boote gebraucht, für eine Person, Nussschalen. Doch das versteht sich, bevor die Ewigkeit entdeckt und in Besitz genommen wird, ist eine ungeheure Entfernung zu überwinden, und es ist eine fürchterliche Fahrt allein auf einem Meer, das größer als das Weltmeer ist, da es kein Meer dieser Welt in dieser Welt ist, sondern zwei Welten trennt; aber für den, dem die Ewigkeit zuteil wurde, ist es dann wieder die kleinste Entfernung, so dass eine Nussschale mehr als genug ist.« Kierkegaard 83

»Eine jede Blume meines Herzens wird zu einer Eisblume.« Kierkegaard 84

»Was ist der Sinn? Doch wohl, zu bedenken die beiden Fragen: wie bin ich gekommen in dies und das und: wie komme ich da wieder heraus, wie endet es? Was ist Gedankenlosigkeit? Alles aufzutreiben, um dieses vom Ein- und Ausgang zu ertränken in Vergessenheit, alles aufzutreiben, um den Eingang und den Ausgang zwischen dem Schrei der Gebärenden und der Wiederholung des Schreies umzuerklären oder wegzuerklären, wenn der Geborene im Todeskampf ausatmet.« Kierkegaard 85

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Epilog

»Die Polizei visitiert die verdächtigen Personen am Leib – falls so diese Massen von Rednern, Lehrern, Professoren usw. usw. am Leib visitiert werden sollen: das würde noch eine weitläufige Kriminal-Sache. Sie am Leib zu visitieren – ja, sie der Kleidung, Umkleidung, Verkleidung der Sprache zu entkleiden; sie am Leib zu visitieren, indem man ihnen Schweigen gebietet, sagend: halt deinen Mund, und laß uns dann sehen, was dein Leben ausdrückt, laß es einmal das Sprechende sein, das uns sagt, wer du bist.« Kierkegaard 86

»Wo bin ich? Was heißt denn das: die Welt? Was bedeutet dies Wort? Wer hat mich in das Ganze hinein betrogen und lässt mich nun dastehen? Wer bin ich? Wie bin ich in die Welt hineingekommen; warum hat man mich nicht vorher gefragt, warum hat man mich nicht erst bekannt gemacht mit Sitten und Gewohnheiten, sondern mich hineingesteckt in Reih und Glied, als wäre ich gekauft von einem Menschenhändler? Wie bin ich Teilhaber geworden in dem großen Unternehmen, das man Wirklichkeit nennt? Warum soll ich Teilhaber sein? Ist das nicht Sache freien Entschlusses? Und falls ich genötigt sein soll, es zu sein, wer ist denn da der verantwortliche Leiter? An wen soll ich mich wenden mit meiner Klage? Das Dasein ist ja eine Diskussion, darf ich bitten, meine Betrachtung mit zur Verhandlung zu stellen […]. Will da niemand antworten?« Kierkegaard 87

»›Geist‹ zu sein heißt, ›Ich‹ zu sein, Gott will ›Iche‹ haben, denn Gott will geliebt sein.« Kierkegaard 88

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Ausgewählte Bibliographie

Das vorliegende Buch hat manche Anregung erfahren, darunter auch solche, die sich in früheren Arbeiten des Verfassers finden (Sternstunden der Philosophie, 1994 ff., und Das verborgene Heimweh, 2004).

Werkausgaben Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke in 30 Bänden. Herausgegeben von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes. Diederichs Verlag, Köln 1957 ff. Sören Kierkegaard, Auswahl aus dem Gesamtwerk. Unter Mitarbeit von Rose Hersch besorgt von Emanuel Hirsch. Eugen Diederichs Verlag, Köln 1961. Sören Kierkegaard, Geheime Papiere. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Tim Hagemann. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2004. Sören Kierkegaard, Die Tagebücher 1834–1855. Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker. Hegner Verlag, München 1949. Sören Kierkegaard, Ausgewählte Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Hermann Diem. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1956.

Biographien und Einführungen Hans Bröchner, Erinnerungen an Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Tim Hagemann. Philo Verlag, Bodenheim 1997. 117 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Ausgewählte Bibliographie

Patrick Gardiner, Kierkegaard. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2001. Joakim Garff, Kierkegaard. Aus dem Dänischen von Herbert Zeichner und Hermann Schmid. Carl Hanser Verlag, München 2004. Hayo Gerdes, Kierkegaard. De Gruyter Verlag, Berlin 1993. Konrad Paul Liessmann, Sören Kierkegaard zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 1993. Henriette Lund, Erinnerungen (Erndringer fra Hjemmet), Kopenhagen 1909. Harald von Mendelssohn, Kierkegaard. Ein Genie in einer Kleinstadt. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1995. Walter Nigg, Sören Kierkegaard. Dichter, Büßer und Denker. Diogenes Verlag, Zürich 2002. Annemarie Pieper, Sören Kierkegaard. C. H. Beck Verlag, München 2000. Peter P. Rohde, Kierkegaard. Aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 1959. Thilo Wesche, Kierkegaard. Eine philosophische Einführung. Reclam Verlag, Stuttgart 2003.

Sekundärliteratur Theodor W. Adorno, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1974. Ernst Bloch, Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. 4 Bde. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1985. Walter Dietz, Sören Kierkegaard: Existenz und Freiheit. Athenäum Verlag, Frankfurt a. M. 1993. Gisela Dischner, Es wagen, ein Einzelner zu sein. Versuch über Kierkegaard. Philo Verlag, Bodenheim 1997. Günter Figal, Lebensverstricktheit und Abstandnahme. »Verhalten zu sich« im Anschluß an Heidegger, Kierkegaard und Hegel. Attempto Verlag, Tübingen 2002.

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Ausgewählte Bibliographie

Ted Harris/Ann Lagerström, Die Kunst, innerlich zu leben. Existentialismus für moderne Menschen. Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009. Karl Jaspers, Philosophie (3 Bde.). Springer Verlag, Berlin 1973. Friedrich Wilhelm Korff, Der komische Kierkegaard. Frommann-Holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982. André Leverkühn, Das Ethische und das Ästhetische als Kategorien des Handelns. Selbstwerdung bei Sören Aabye Kierkegaard. Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2000. Karl Löwith, Kierkegaard und Nietzsche oder philosophische und theologische Überwindung des Nihilismus. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt a. M. 1933. Walther Rehm, Kierkegaard und der Verführer. Rinn Verlag, München 1949. Walter Schulz, Fichte – Kierkegaard. Neske Verlag, Pfullingen 1977. Michael Theunissen, Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1991.

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Anmerkungen

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Peter P. Rohde, Kierkegaard. Aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 1959, S. 165. Henriette Lund, Erinnerungen, Kopenhagen 1909. Zitiert nach: Sören Kierkegaard, Die Tagebücher 1834–1855. Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker. Hegner Verlag, München 1949, S. 597. Sören Kierkegaard, Auswahl aus dem Gesamtwerk. Unter Mitarbeit von Rose Hersch besorgt von Emanuel Hirsch. Eugen Diederichs Verlag, Köln 1961, S. 221. Kierkegaard, ebd., S. 313 ff. Kierkegaard, Die Tagebücher, a. a. O., S. 37 ff. ebd., S. 95 f. Rohde, Kierkegaard, a. a. O., S. 11 ff. Kierkegaard, Gesammelte Werke in 30 Bänden. Herausgegeben von Emanuel Hirsch und Hayo Gerdes. Diederichs Verlag, Köln 1957 ff., Bd. 27, S. 144 ff. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 230 ff. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 14. ebd., S. 39. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 101 f. ebd., S. 202. ebd., S. 280 f. ebd., S. 180. Zitiert nach: Rohde, Kierkegaard, a. a. O., S. 40 ff. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 119. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 326. ebd., S. 430. ebd., S. 291. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 13.

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Anmerkungen 22

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Hans Bröchner, Erinnerungen an Sören Kierkegaard. Aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Tim Hagemann. Philo Verlag, Bodenheim 1997, S. 34 f. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 178 f. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 342. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 573 f. ebd., S. 342. ebd., S. 221. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 14 f. ebd., S. 15 f. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 163 f. Zitiert nach: Harald von Mendelssohn, Kierkegaard. Ein Genie in einer Kleinstadt. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1995, S. 125. Mendelssohn, a. a. O., S. 257 ff. Zitiert nach: Joakim Garff, Kierkegaard. Aus dem Dänischen von Herbert Zeichner und Hermann Schmid. Carl Hanser Verlag, München 2004, S. 620 f. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 130 f. ebd., S. 261 f. ebd., S. 311. ebd., S. 367. Ernst Bloch, Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. 4 Bände. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1985, Bd. 4, S. 360 f. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 274 f. ebd., S. 293. Henriette Lund, Erinnerungen, a. a. O., S. 599. Rohde, Kierkegaard, a. a. O., S. 92 ff. ebd., S. 96 f. ebd., S. 95. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 188 ff. ebd., S. 504 f. ebd., S. 173. ebd., S. 206 f. ebd., S. 137 ff. ebd., S. 411. 122 https://doi.org/10.5771/9783495825037 .

Anmerkungen 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77

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ebd., S. 388. ebd., S. 414. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 345 ff. a. a. O., S. 346 f. ebd., S. 341. ebd., S. 342. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 370. ebd., S. 393. ebd., S. 428. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 218, 224. ebd., S. 577. ebd., S. 412 f. Joakim Garff, Kierkegaard, a. a. O., S. 875 ff. Garff, ebd., S. 877. ebd., S. 889. ebd., S. 882. ebd., S. 883. ebd., S. 278. ebd., S. 889. Henriette Lund, Erinnerungen, a. a. O., S. 603. Kierkegaard, Auswahl, a. a. O., S. 79 f. ebd., S. 81 f. ebd., S. 82. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 406 f. Bröchner, Erinnerungen, a. a. O., S. 33. Zitiert nach Garff, a. a. O., S. 371. Kierkegaard, Ausgewählte Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Hermann Diem. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1956, S. 27. Zitiert nach Garff, Kierkegaard, a. a. O., S. 350. Kierkegaard, Ausgewählte Schriften, a. a. O., S. 28 f. ebd., S. 29. Zitiert nach Mendelssohn, Kierkegaard, a. a. O., S. 292. ebd. Kierkegaard, Geheime Papiere. Aus dem Dänischen übersetzt, kommentiert und herausgegeben von Tim Hage-

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84 85 86 87 88

mann. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2004, S. 251. Kierkegaard, Tagebücher, a. a. O., S. 76. ebd., S. 583. Kierkegaard, Geheime Papiere, a. a. O., S. 267. Garff, Kierkegaard, a. a. O., S. 285 f. Kierkegaard, Geheime Papiere, a. a. O., S. 253.

https://doi.org/10.5771/9783495825037 .