Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht: Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht [1 ed.] 9783428509683, 9783428109685

Das europäische Gesellschaftsrecht hat in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die Rechtsprechung im Fall Centros eine

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Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht: Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht [1 ed.]
 9783428509683, 9783428109685

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KLAUS HEINE

Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz Grossekettler, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, Hamburg . Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, FrankfurtlMain

Band 48

Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht Zur Funktionsfähigkeit eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen im europäischen Gesellschaftsrecht

Von

Klaus Reine

Duncker & Humblot . Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 200112002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-10968-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 €I

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum beziehungsweise am Fachbereich für Wirtschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg in den Jahren 1997 bis 2001. In dieser Zeit wurde mein Dissertationsprojekt von meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Wolfgang Kerber betreut. Dabei beschränkte sich die Betreuung keineswegs auf den Gegenstand der Dissertation im engeren Sinne, sondern es handelte sich vielmehr um eine Anleitung zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten. Insofern bin ich ihm weit über die Betreuung der Dissertation hinaus für viele Gespräche dankbar, die mir geholfen haben, meine wissenschaftlichen Überlegungen zu strukturieren und immer wieder kritisch zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang bin ich auch den zahlreichen Teilnehmern eines Workshops zur ökonomischen Analyse des Gesellschaftsrechts dankbar, der im Herbst 2000 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg stattfand. Auf diesem Workshop konnte ich zentrale Argumentationen meiner Dissertation nochmals einer kritischen Überprüfung unterziehen. Ebenfalls zu großem Dank bin ich Herrn Professor Dr. Erich Schanze verpflichtet, der mich von rechts wissenschaftlicher Seite aus dazu ermutigt hat, den interdisziplinären Ansatz der ökonomischen Analyse des Rechts zu verfolgen. Ich bin ihm zudem dankbar, einen Teil meiner Dissertation auf einem Seminar zum Internationalen Privatrecht in Riezlern (Kleinwalsertal) vorstellen und diskutieren zu können. In der Endphase der Erstellung der Dissertation war er mir darüber hinaus behilflich, einen Forschungsaufenthalt an der "Law School" der University of Chicago zu organisieren - hierfür sei ihm an dieser Stelle nochmals ganz herzlich gedankt. "Last but not least" gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Ulrich Fehl. Er übernahm freundlicherweise die Aufgabe, das Zweitgutachten anzufertigen. Dank gebührt ihm aber vor allem, mich während meines Studiums an der Philipps-Universität Marburg an volkswirtschaftliche Fragestellungen herangeführt zu haben und mich über das Studium hinaus für Ökonomik zu begeistern. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn, sei schließlich für die großzügige Übernahme der Druckkosten gedankt. Marburg, im Oktober 2002

Klaus Reine

Inhaltsverzeichnis A. Einführung in die Problemstellung .................................. I. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften in der Theorie der Wirtschaftspolitik - Wettbewerbsföderalismus .......................... 1. Staat als Monopol - Staat als Wettbewerber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die vertikale Zuordnung von Regulierungskompetenzen .......... H. Gesellschaftsrecht und das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa........................................................ 1. Probleme des Internationalen Gesellschaftsrechts ................ 2. Der lange Weg zur Niederlassungsfreiheit ................. . ..... a) Kollisionsrechtliche Optionen in Europa ..................... b) Die Daily-Mail Entscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die Centros-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Europarechtliche Perspektiven und offene Fragen ............. III. Weiteres Vorgehen .............................................. B. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem I. Der Beitrag der Konstitutionenökonomik zur Gestaltung von Wirtschaftsordnungen ............................................... H. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften als Problemlösungsmechanismus institutioneller Probleme? .............................. 1. Mögliche Vorteile eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften ......................................................... a) Anpassung an lokale Präferenzen ........................... b) Verringerung von Rent-Seeking ............................. c) Lösung des Wissensproblems durch Innovation und Imitation "race to the top" .......................................... 2. Mögliche Probleme eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Externe Effekte ........................................... b) Informationsasymmetrien .................................. c) "Race to the bottom" im Bereich der Besteuerung ............ III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Entry/Exit-Regeln als Bestandteil der Metaordnung .............. 2. Kollisionsrecht als Bestandteil der Metaordnung ................. a) Kollisionsrechtliche Regime vom Typ I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Kollisionsrechtliche Regime vom Typ H ..................... 3. Zwischenfazit ...............................................

13 13 13 17 23 23 26 26 28 30 32 34 36 36 40 42 42 42 43 44 44 46 49 50 53 55 56 58 61

Inhaltsverzeichnis

8 C. Die der I. 11.

Bedeutung des Gesellschaftsrechts aus der Perspektive der Theorie Firma ......................................................... Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Finna ................. 1. Infonnationsasymmetrien als Ausgangspunkt der Betrachtung ..... a) Principal-Agent Ansatz .................................... b ) Team-Theorie ............................................ 2. Unternehmen als Koordinationsmechanismus: Transaktionskostenökonomik und Property Rights-Theorie ......................... a) Transaktionskostentheorie .................................. b) Property Rights-Theorie ................................... 3. Die Rekonstruktion des Gesellschaftsvertrages durch Gesellschaftsrecht und das Problem der Rechtswahl ......................... III. Zusammenfassende Begrondung für eine staatliche Regulierung des Gesellschaftsrechts .............................................. IV. Zum Regelungsgehalt des Gesellschaftsrechts ...................... 1. Dimensionen des Gesellschaftsrechts ........................... a) Innenverhältnis ........................................... b) Außenverhältnis .......................................... 2. Gesellschaftsrechtliche Grundtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

D. Die empirische Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs und die Unterscheidung verschiedener Regulierungswettbewerbstypen ...................................................... I. Zur empirischen Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Erfahrungen der amerikanischen Bundesstaaten .................. 2. Das gesellschaftsrechtliche Angebot am Beispiel Delawares ....... 3. Zur Bedeutung der Besteuerung ............................... 4. Inkorporationsort und Finnenwert .............................. 11. Regulierungswettbewerbstypen ................................... 1. Typ I: Yardstick-Competition ................................. 2. Typ 11: Wettbewerb auf internationalen Gütennärkten ............ 3. Typ III: Faktonnobilität und Standortwettbewerb ................ a) Sitzverlegung mit Fonnwechsel: Sitztheorie .................. b) Exkurs: Eine Beurteilung der Faktonnobilität aus Sicht der Konstitutionenökonomik ...................................... . 4. Typ IV: Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb (Grondungstheorie) ................................................ 5. Typ V: Vertragsfreiheit, Deregulierung und "private regulation" ... a) Eine Beurteilung der vollständigen Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht .............................................. b) Eine Beurteilung von freiwillig vereinbarten Verhaltenskodices ..

64 64 65 66 66 68 69 70 73 76 78 80 81 81 82 83

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Inhaltsverzeichnis

E. Zur Funktionsrähigkeit des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten I. Normative Grundhypothesen zur Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die "race to the bottom"-Hypothese ............................ 2. Die "race to the top"-Hypothese ............................... II. Markttheoretische Erklärungsansätze .............................. 1. Zwischen vollkommener Konkurrenz und Monopol: Preis- und Qualitätswettbewerb auf dem Markt für Gesellschaftsrechte ....... a) Unvollkommener Wettbewerb .............................. aa) Wettbewerb und Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen: Eine Annäherung an die Wettbewerbsprozesse im Gesellschaftsrecht .................................. (1) Das Anreizproblem ................................ (2) Die Diffusion gesellschaftsrechtlicher Regeln ......... bb) "Raising rivals' cost" durch "Unbestimmtheit" als Wettbewerbsstrategie ........................................ b) Differenzierungsstrategien .................................. aa) Produktdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) (Steuer-) Preisdifferenzierung ........................... 2. Reputationsmechanismen ..................................... a) Die Selbstbindung durch die Rechtsnachfrager . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Selbstbindung durch die Rechtsanbieter .................. 3. Die Rolle von Wissen und Lernen in der Gesellschaftsrechtsentwicklung .................................................... a) Lernprozeß I: Intrajurisdiktionelle Wissensakkumulation ....... aa) Die Rolle von Regeln .................................. bb) Die Rolle des Gerichtssystems .......................... cc) Die Rolle von Richtern ................................ dd) Die Rolle von Anwälten ............................... b) Lernprozeß II: Interjurisdiktioneller Wettbewerb als Innovationsund Imitationsprozeß ...................................... III. Politökonomische Erklärungsansätze .............................. 1. Rent-Seeking und Manageralismus ............................. a) Sind kleine Jurisdiktionen weniger anfällig für Interessengruppen? b) Externe Kosten als Problem des Regulierungswettbewerbs? .... 2. Der Einfluß ausgewählter Interessengruppen .................... a) Die Zielfunktion der Politiker .............................. b) Die Zielfunktion der Gesellschafter ......................... c) Die Zielfunktion der Manager .................... . ........ . d) Die Zielfunktion der Anwälte .............................. e) Die Zielfunktion der Richter ............................... 3. Empirische Erfahrungen - eine Bewertung ...................... a) Wettbewerb als Problemverstärker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wettbewerb als Problemlöser? ..............................

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Inhaltsverzeichnis IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster ............................ 1. Gibt es eine Konvergenz im Gesellschaftsrecht? ................. 2. Die Bedeutung von institutionellen Pfadabhängigkeiten ........... 3. O.W. Holmes zur Bedeutung der historischen Zeit in der Rechtsentwicklung ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Das Konzept des technologischen Paradigmas ................... a) Grundlagen ............................................... b) Stabilisierende Faktoren ................................... aa) Versunkene Kosten ................................... . bb) Unsicherheit .......................................... cc) Dynamische Skalenvorteile ............................ . (1) Lemeffekte ....................................... (2) Netzwerkextemalitäten ............................ . dd) Komplementaritäten und technologische Schnittstellen .... . 5. Gesellschaftsrechtliche Paradigmen ............................. a) Definition ............................................... . b) Beispiele ................................................ . c) Stabilisierende Faktoren ................................... aa) Versunkene Kosten .................................... bb) Unsicherheit .......................................... cc) Dynamische Skalenvorteile ............................. (1) Lemeffekte ....................................... (2) Netzwerkextemalitäten ............................ . dd) Komplementaritäten ................................... (1) Das Phänomen der Komplementarität im Gesellschaftsrecht ............................................. (2) Die Folgen von Komplementarität ................... d) ParadigmenwechseI im Gesellschaftsrecht ................... . 6. Wettbewerb zwischen und innerhalb gesellschaftsrechtlicher Paradigmen ..................................................... a) Wettbewerb zwischen gesellschaftsrechtlichen Paradigmen: Das Beispiel Europäische Union ................................ aa) Die Ausgangssituation ................................. bb) Normative Folgerungen ................................ cc) Folgerungen zu den Funktionsbedingungen des Regulierungswettbewerbs ..................................... b) Wettbewerb innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas: Das Beispiel Vereinigte Staaten ............................ . V. Zusammenfassung und Würdigung ................................ 1. Eine Beurteilung der Ansätze zur Analyse der Funktionsfähigkeit des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs ....................... 2. Ein Ausblick auf das Problem der Schaffung einer Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten ..................

194 194 197 198 200 200 203 203 204 204 205 205 206 208 208 209 212 213 214 215 215 217 219 219 221 223 224 225 225 226 228 229 232 232 239

Inhaltsverzeichnis

11

F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb im Gesellschaftsrecht ................................................. . 241 1. I1.

III. IV.

V. VI.

VII.

Das Wissensproblem beim Design einer geeigneten Metaordnung ..... Lösung des Anreizproblems durch Einführung einer "franchise tax" .. Gewährung von Freizügigkeit für Richter und Anwälte ............. . Kollisionsrecht als Metaordnung für den gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb ............................................. 1. Grundelemente einer kollisionsrechtlichen Lösung ........... . ... a) Freiheit der Rechtswahl ................................... . b) Freiheit der Forumwahl .................................... c) Interlokale Rechtsdurchsetzung ............................. 2. Das Problem externer Effekte und die föderale Zuordnung von Property Rights ................................................ . a) Spontane private Lösungen: Neue Internalisierungsmechanismen b) Elemente einer prozeduralen Lösung innerhalb des Kollisionsrechts .................................................... c) Materielle Harmonisierung ................................ . Residuale Kontrollrechte und Rechtsföderalismus ................... Die Bedeutung von Metaregeln zur Lösung des Problems institutioneller Komplementaritäten ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Module und Schnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Verhältnis von Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht ..... Zwischenfazit ..................................................

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G. Niederlassungsfreiheit juristischer Personen in der Europäischen Union ein Ausblick ....................................................... 274 I. H.

Eine Prüfliste für die Ingangsetzung eines Regulierungswettbewerbs .. Ausgewählte Einzelaspekte der Niederlassungsfreiheit ............... 1. Eine abschließende Interpretation der Centros-Entscheidung ....... 2. Die Überlagerungstheorie als Schritt hin zu mehr Wettbewerb .... . 3. Beseitigung steuerlicher Mobilitätshindernisse ...................

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H. Fazit .......................................... . .................. . 283 Literaturverzeichnis ................................................... 287 Sachverzeichnis ....................................................... 310

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1: Inkorporationsgebühren in Delaware ........................... 92 Tabelle 2: Aufkommen der "franchise tax" in den Jahren 1981-1990 als Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen in Delaware ................ 93 Tabelle 3: Einnahmen aus der "franchise tax" in Prozent des Gesamtsteueraufkommens in den Jahren 1960 bis 1990 in ausgewählten US-Bundesstaaten. ..................................................

94

Tabelle 4: Sponsoren von managementfreundlichen Übernahmegesetzen ..... 181

Abbildung I:

Das Nexus-Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

Abbildung 2:

Konsensfindungskosten in Abhängigkeit des Mobilitätsgrades . . 110

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Abbildung 3:

Regulierungswettbewerbstyp und Mobilitätsgrad ............. 119

Abbildung 4a: Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen, die nicht im Model Act erwähnt werden ............................ . 132 Abbildung 4b: Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen, die im Model Act erwähnt werden ............................... . 133 Abbildung 5:

Technologische Trajektorie ................................ 203

Abbildung 6:

Adoption und Wechsel von gesellschaftsrechtlichen Regulierungen .................................................. 216

Abbildung 7:

Der Wechsel von gesellschaftsrechtlichen Paradigmen ........ 224

Competition requires an institutional infrastructure that includes both property rights and regulation of competition. The structure of these property rights, and of regulation, cannot simply be assumed. Given a specified set of property rights, competition may maximize wealth. However, society may decide that other values are important and consequently may restrain competition. (Joel P. Trachtman, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, in: Journal of International Economic Law, Vol. 3, 2000, S. 332)

A. Einführung in die Problemstellung I. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften in der Theorie der Wirtschaftspolitik Wettbewerbsföderalismus 1. Staat als Monopol - Staat als Wettbewerber

In der Theorie der Wirtschaftspolitik ist bislang der Nationalstaat das dominierende Untersuchungsobjekt.! Dies gilt sowohl für die positive Analyse wirtschaftspolitischer Prozesse wie für die Generierung normativer Handlungsempfehlungen. Dabei ist die Heuristik, an der die normativen Probleme und die positive Analyse abgearbeitet werden, das Monopol? In normativer Perspektive erhält der Staat über den Verfassungsvertrag, den die Bürger miteinander abschließen, das Machtmonopol. Damit soll der Rechtsschutzstaat geschaffen werden, der die unproduktive Dilemmasituation des Naturzustands überwinden helfen soll? Die sich hieran anschließende Frage ist dann, wie das Monopol des Staates im Verhältnis zu den Bürgern zu I Siehe beispielsweise Epstein, Exit Rights under Federalism, in: Law and Contemporary Problems, Val. 55, 1992, S. 147 ff.; Easterbrook, The State of Madison's Vision of the State: A Public Choice Perspective, in: Harvard Law Review, Val. 107, 1994, S. 1328; Kerber, Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel in der Theorie der Wirtschaftspolitik?, in: Ordo, Bd. 49, 1998, S. 254; Wolfgang Schäfer, Globalisierung: Entmonopolisierung des Nationalen?, in: Berg (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft: Ursachen - Formen - Konsequenzen, 1999, Berlin, S. 9 ff.; einen empirisch angelegten Überblick gibt Panic, The End of the Nation State?, in: Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 8, 1997, S. 29 ff. 2 Dies gilt auch für die meisten Außenhandelstheorien, in denen häufig angenommen wird, daß Produktionsfaktoren zwar national völlig mobil, aber international vollkommen immobil sind. 3 Buchanan, The Limits of Liberty: Between Anarchy and Leviathan, 1975, Chicago.

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A. Einführung in die Problemstellung

gestalten sei, um die Bürger vor der Ausnutzung der MonopolsteIlung durch die staatlichen Amtsträger und organisierten Interessengruppen zu schützen. 4 Hierbei sind zwei komplementäre Lösungswege unterscheidbar. Zum einen die Sicherstellung der Partizipation der Bürger im politischen Prozeß durch Wahlen und Referenden und zum anderen durch konstitutionelle Regeln, die den Staat in der Ausübung seines Machtmonopols auf das von den Bürgern gewünschte Ausmaß beschränken. Um eine Verknüpfung des Ziels der Machtbegrenzung mit hierfür geeigneten politischen Mitteln herzustellen, ist es jedoch neben der normativen Analyse auch nötig, den Staat als Monopol positiv zu analysieren. Das heißt, es sind empirisch gehaltvolle Hypothesen darüber zu bilden und zu testen, wie sich ein Staat als Monopolist beziehungsweise dessen Amtsträger unter einem bestimmten Regelrahmen tatsächlich verhalten. Dieser Analyse widmet sich insbesondere die Neue Politische Ökonomik (Public Choice), die untersucht, welche allokativen und distributiven Folgen von bestimmten Ausgestaltungen des politischen Prozesses und der konstitutionellen Regeln ausgehen. Dabei wird prinzipiell vom eigeninteressierten Verhalten staatlicher Akteure ausgegangen, die das staatliche Monopol im Bereich der Gewaltausübung und in der Bereitstellung öffentlicher Leistungen dazu benutzen können, Renten umzuverteilen. 5 Denkt man den Staat in dieser Weise paradigmatisch als Monopolisten, könnte man auch sagen, daß den Bürgern nur die Voice-Option bleibt, um den Staat an den Bürgerwillen zu koppeln. 6 Entsprechend steht der Verfassungsvertrag und der politische Prozeß im Mittelpunkt der politökonomischen Betrachtung des Staates. Der Staat muß jedoch in der Theorie der Wirtschaftspolitik nicht notwendig nur im Paradigma des Monopols gedacht werden. Es ist ebenso möglich, den Staat im Wettbewerbsparadigma zu denken. 7 Aus dieser Sicht ent4 Epstein, Exit Rights ... ; Josselin/Marciano, The Paradox of Leviathan: How to Develop and Contain the Future European State?, in: European Journal of Law and Economics, Vol. 4, 1997, S. 5 ff. 5 Siehe beispielsweise Mueller, Public Choice 11, 1997, Cambridge; oder Frey/ Kirchgässner, Demokratische Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., 1994, München. Mit besonderem Bezug zur Regulierungstheorie siehe Stigler, The Theory of Economic Regulation, in: Bell Journal of Economics and Management Science, Vol. 2, 1971, S. 3 ff.; sowie Peltzman, Toward a More General Theory of Regulation, in: Journal of Law and Economics, Vol. 19, 1976, S. 11 ff. 6 Zur Unterscheidung von "Exit" und "Voice" siehe grundsätzlich Hirschman, Abwanderung und Widerspruch, 1974, Tübingen. Zur Rolle von "Exit" und "Voice" Mechanismen in der Konstitutionenökonomik siehe zum Beispiel Van den Hauwe, Constitutional Economics, in: Backhaus (Hrsg.), The Eigar Companion to Law and Economics, 1999, Cheltenham, S. 100 ff. 7 Easterbrook, The State of Madison's Vision of the State ... ; Kerber, Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel ... ; derselbe, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb, in: Jahrbuch

I. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften

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scheidet der Bürger durch die Entry- und Exit-Entscheidungen 8 seiner Produktionsfaktoren in oder aus Gebietskörperschaften über die Vorteilhaftigkeit der von Gebietskörperschaften angebotenen Steuer-Leistungspakete. So mag ein in Deutschland wohnhafter Bürger in Frankreich arbeiten und sein Kapital in Italien anlegen und damit zum Ausdruck bringen, daß sein Humankapital in Frankreich in die aus seiner Sicht beste Verwendung gelangt, während er sein Finanzkapital in Italien am besten angelegt vermutet und er seine Freizeit am liebsten in Deutschland unter den dortigen Umweltschutzregulierungen verbringt. Es bedarf nur wenig Vorstellungskraft, daß von einer solchen Faktormobilität Wettbewerbsprozesse ausgelöst werden können, die Staaten dazu bringen, den mobilen Faktoren Leistungsangebote an ihren Standorten zu unterbreiten, die die mobilen Faktoren anlocken sollen. Mit der Vermutung, daß Standorte in einen Wettbewerb mit Steuer-Leistungsbündeln treten, wenn Faktoren eine hohe Mobilität besitzen, ist natürlich noch keine Aussage darüber getroffen, ob der vermutete Wettbewerbsprozeß zu Ergebnissen führt, die auch gesellschaftlich gewünscht sind. Hierüber wird vielmehr in jüngster Zeit eine heftige Debatte geführt, die am Beispiel des Wettbewerbs zwischen gesellschaftsrechtlichen Regulierungen und der Ordnung dieses Wettbewerbs noch beispielhaft nachgezeichnet werden sol1.9 An dieser Stelle sei bereits auf eine wichtige Differenzierung hingewiesen, die das Bild "Staat als Monopolist - Staat als Wettbewerber" noch konturenreicher macht. Man kann bei der Untersuchung des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften nämlich zwischen verschiedenen Mobilitätsgraden der Faktoren unterscheiden, die ein Maß dafür sind, wie stark der Monopolcharakter eines Staates beim Angebot seiner Leistungen ist. Neben den beiden Extremen der vollständig exklusiven Bereitstellung der Leistungen durch den Staat ohne jegliche Wahlmöglichkeiten und der Privatisierung staatlicher Leistungen sind vor allem die Zwischenstufen des interjurisdiktionellen Wettbewerbs interessant. Grundsätzlich kann man dabei zwischen Standortwettbewerb und Regulierungswettbewerb unterscheiden. Beim Standortwettbewerb werden die Faktoren als mobil betrachtet, während die von den Jurisdiktionen angebotenen Steuer-Leistungsbündel für Neue Politische Ökonomie, Bd. 17, 1998, 199 ff.; sowie Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs, 2000, Tübingen. 8 Die Bedeutung einer Entry/Exit-Ordnung zur Grundlegung eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften wird insbesondere betont von Epstein, Exit Rights ... 9 Zur Bedeutung einer Wettbewerbsordnung für den Systemwettbewerb siehe überblicksartig Kerber, Erfordern G1oba1isierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel ... ; derselbe, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... ; und Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework for Regulatory Competition in Europe, in: Kyklos, Vol. 53, 2000, S. 435 ff.

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A. Einführung in die Problemstellung

ein lokal gebundenes Angebot darstellen. Das bedeutet, daß die Faktoren bei ihrer Standortentscheidung immer zwischen gesamten Steuer-Leistungsbündeln auswählen müssen. Jurisdiktionen haben im Standortwettbewerb ein Interesse an der Erhöhung der Attraktivität ihres Steuer-Leistungsbündels, weil beispielsweise besteuerbares Kapital in eine Jurisdiktion über Investitionen einfließt oder Arbeitsplätze geschaffen werden. Im Regulierungswettbewerb wird es hingegen anders als im Standortwettbewerb möglich, die Steuer-Leistungsbündel aufzubrechen - einzelne Regulierungen werden also auch unabhängig vom lokalen Standort des Regulierungsnachfragers wählbar. 1O Dadurch kann einerseits der interjurisdiktionelle Wettbewerb schärfer werden, weil die Qualität von Regulierungen nun einzeln bewertbar wird, andererseits müssen in einem solchen Regulierungswettbewerb aber für Jurisdiktionen auch Anreize bestehen, die Regulierungen zu verbessern. Dafür müssen sie beispielsweise das Recht und die Möglichkeit haben, die Regulierungen, die sie anbieten (exportieren), auch zu bepreisen. Das Konzept "Staat als Wettbewerber" stellt jedoch nicht nur einen wichtigen analytischen Schritt in der Theorie der Wirtschaftspolitik dar, sondern die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Konzept hat auch höchst praktische Bedeutung. Dies liegt daran, daß in den letzten Jahren eine immer stärkere wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Staaten, insbesondere zwischen den hochindustrialisierten Staaten, stattgefunden hat. Dieser Tatbestand ist vor allem unter dem Stichwort Globalisierung bekannt geworden. Unter Globalisierung wird eine verstärkte weltwirtschaftliche Integration verstanden, die von einer zunehmenden internationalen Faktormobilität von Finanzkapital, Realkapital (Direktinvestitionen) und Arbeitskräften begleitet wird. 11 Damit verbunden ist ebenfalls eine Zunahme des inteIjurisdiktionellen Wettbewerbs um mobile Faktoren, dem sich Jurisdiktionen nur schwerlich entziehen können, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, eine mittel- bis langfristige Verschlechterung ihres Standorts mit der Ausstattung an mobilen Faktoren hinzunehmen. Dies wirft für Jurisdiktionen einerseits die ganz praktische Frage auf, wie sie sich diesem Wettbewerb stellen wollen, zum Beispiel mittels besonders preisgünstiger oder innovativer SteuerLeistungsbündel, andererseits stellt sich für Jurisdiktionen aber auch die 10 Eine genauere Analyse des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften in Abhängigkeit der Mobilität von Produktionsfaktoren und der Möglichkeit der selektiven Wahl von Regulierungen findet sich in Abschnitt D.II. 11 Einen empirischen Überblick zu den Wirkungen der Globalisierung gibt Klodt, Globalisierung: Phänomen und empirische Relevanz, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 17, 1998, S. 7 ff. Aus einer soziologischen Perspektive beschäftigt sich Beck mit dem Phänomen der Globalisierung (Reck, Die Subpolitik der Giobalisierung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, Bd. 47, 1996, S. 673 ff.; derselbe, Was ist Globalisierung, 3. Aufl., 1997, Frankfurt).

I. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften

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Frage, unter welchen Bedingungen ein solcher interjurisdiktioneller Wettbewerb für sie zu sozial wünschenswerten Ergebnissen führt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß das Paradigma "Staat als Wettbewerber" die Perspektive der Theorie der Wirtschaftspolitik um eine ganze Reihe von Punkten erweitert, die nur schwer mit dem Paradigma "Staat als Monopol" abgearbeitet werden können. Aus der Wettbewerbsperspektive ergeben sich vor allem neue Überlegungen zur Kontrolle staatlichen HandeIns und der systematischen Einbeziehung von (institutionellen) Innovationen in die staatliche Leistungserstellung.

2. Die vertikale Zuordnung von Regulierungskompetenzen Neben der einleitend aufgeworfenen Frage, mit welchem Staatsverständnis in der Theorie der Wirtschaftspolitik gearbeitet wird, kann die Frage gestellt werden, welche möglichen Vor- und Nachteile von der Zentralisierung oder Dezentralisierung von Regulierungs- und Besteuerungskompetenzen ausgehen. Man befindet sich damit im Gegenstandsbereich der ökonomischen Föderalismustheorie. 12 Das Denken in föderalen Kategorien ist nicht mit der Entscheidung für eines der beiden paradigmatischen Staatsverständnisse verbunden. In der Föderalismustheorie sind vielmehr zwei Traditionen unterscheidbar, die jeweils dem Paradigma "Staat als Monopol" und "Staat als Wettbewerber" nicht immer ganz trennscharf zugeordnet werden können. Die ältere und elaboriertere Tradition geht zunächst vom Staat als Monopolisten aus und fragt, wie von oben nach unten (top-down Ansatz) Kompetenzen verlagert werden sollten, um eine allokativ effiziente öffentliche Leistungserstellung zu realisieren. Ein bekanntes Kriterium ist in dieser Hinsicht die Herstellung fiskalischer Äquivalenz,13 das die Einheit von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen in einer Gebietskörperschaft verlangt, um die allokativ effiziente Bereitstellung einer öffentlichen Leistung zu gewährleisten. Aus dieser 12 Stellvertretend für eine Vielzahl von Beiträgen zur Föderalismustheorie siehe die Übersichtsartikel von Oates (Oates, An Essay on Fiscal Federalism, in: Journal of Economic Literature, Vol. 37, 1999, S. 1120 ff.; derselbe, Fiscal Competition and European Union: Contrasting Perspectives, in: Regional Science and Urban Economies, Vol. 31, 2001, S. 133 ff.). Mit besonderem Bezug zum fiskalischen Wettbewerb stellt Oates zum gegenwärtigen wissenschaftlichen Stand der Föderalismusforschung fest: "Indeed, fiscal competition in certain circumstances is welfare-enhancing; in others, it results in distortions. And we, in fact, know very little about how this actually plays out in the real world ... [I)t seems to me that we would be weil served if some of the analytical ingenuity that has been directed to the theory of fiscal competition were turned to systematic empirical work" (Oates, Theory of Public Finance in a Federal State - Book Review, in: Journal of Economics, Vol. 73, 200 I, S. 110 ff.). 2 Heine

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A. Einführung in die Problemstellung

Sicht wird versucht, eine optimale Dezentralisierung von Leistungserstellungs- und Steuerkompetenzen zu realisieren. Dieser Strang der Föderalismustheorie ist also dadurch geprägt, daß die Kompetenz-Kompetenz auf der "höchsten" föderalen Ebene liegt, die darüber entscheidet, welche Kompetenzen zentral oder dezentral wahrzunehmen sind. Implizit wird dabei unterstellt, daß es einen allwissenden und weisen Diktator gibt, der in der Lage ist, eine effiziente Kompetenzverteilung im föderalen Staatsautbau vorzunehmen. 14 Der Übergang der wohlfahrtsökonomisch ausgerichteten Föderalismustheorie zur Theorie des Wettbewerbsföderalismus kann durch drei Entwicklungen markiert werden, die zusammengenommen den harten Kern der traditionellen Föderalismustheorie zunehmend in Frage stellen. Dogmenhistorisch ist das bekannte Tiebout-Modell 15 der erste rigorose Nachweis, daß Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften zu einer optimalen Allokation der Steuer-Leistungsbündel von Jurisdiktionen führen kann. Das TieboutModell orientiert sich bei diesem Nachweis unter einer Reihe restriktiver Annahmen an der Marktform der vollkommenen Konkurrenz auf Gütermärkten und es kann daher noch als streng neoklassisch bezeichnet werden. 16 In Anlehnung an Demsetz d7 grundsätzliche Überlegungen zum Status des Modells der vollkommenen Konkurrenz in der neoklassischen Wohlfahrtsökonomik könnte man sagen, daß Tiebout den Nachweis erbringt, daß unter bestimmten Annahmen eine optimale Dezentralisierung von Staatsaufgaben möglich ist, die sich direkt aus den individuellen Wahlhandlungen (voting by feet) der Bürger ableitet, ohne daß es eines zentralen Planers bedarf, der beispielsweise über Abstimmungen die Präferenzen der Bürger für öffentliche Güter erfassen muß. l8 13 Olson, The Principle of Fiscal Equivalence: The Division of Responsibilities Among Different Levels of Government, in: American Economic Review, Vol. 59, 1969, S. 479 ff. 14 Breton, Competitive Govemments, 1996, Cambridge, S. 185; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... , S. 210. 15 Tiebout, A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal of Political Economy, Vol. 64, 1956, S. 416 ff. 16 Eine kritische Würdigung des neoklassischen Wettbewerbsverständnisses in der Föderalismustheorie im Gegensatz zu einem evolutorischen Verständnis, das auf den Ansätzen von Schumpeter, Hayek und Kirzner beruht, findet sich bei Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism ... ; siehe hierzu auch Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... 17 Demsetz, The Theory of the Firm Revisited, in: Journal of Law, Economies, and Organization, Vol. 4, 1988, S. 141 ff. 18 Eine umfassende Würdigung des Tiebout-Modells als Grundlage der Theorie des Wettbewerbsföderalismus findet sich bei Bratton/McCahery, The New Economies of Jurisdictional Competition: Devolutionary Federalism in a Second-Best World, in: Georgetown Law Journal, Vol. 86, 1997, S. 201 ff.

I. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften

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Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Entwicklung des Wettbewerbsföderalismus ist von der Public Choice geleistet worden. Insbesondere Brennan und Buchanan 19 bezweifeln, daß es sich bei den politischen Entscheidungsträgern um Personen handelt, die sich nur dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen. Vielmehr handele es sich bei den im politischen Prozeß tätigen Entscheidern um eigeninteressierte Individuen, die ihren persönlichen Nutzen zu maximieren versuchen. Die Folge ist, daß keineswegs damit gerechnet werden darf, daß der föderale Staatsaufbau entlang wohlfahrtsökonomischer Rationalität erfolgt. Unter diesen Umständen sei es sinnvoll, auf mögliche statische Effizienzgewinne bei der Besteuerung und bei der Bereitstellung öffentlicher Güter zu verzichten und nach konstitutionellen Regeln zu suchen, die die politischen Entscheidungsträger langfristig an den Wählerwillen binden. Interjurisdiktioneller Wettbewerb könne dabei ein wichtiges Regulativ darstellen?O Während die Public Choice mit der Vorstellung des weisen Diktators bricht und die Bedeutung konstitutioneller Regeln hervorhebt,21 stellt sie jedoch nicht das wohlfahrtsökonomische Referenzmodell des Föderalismus grundSätzlich in Frage. Es ist lediglich aufgrund des eigennutzorientierten Handeins aller im politischen Prozeß involvierten Personen nicht erreichbar. Mit anderen Worten, das Wissensproblem, 22 das sich auch für die Fähigkeit der optimalen Dezentralisierung von Steuer-Leistungsbündeln stellt, wird nicht thematisiert. Diese Frage wird erst in jüngster Zeit aufgegriffen und in die traditionelle Föderalismustheorie zu integrieren versucht. Die wichtigsten Beiträge zum föderalen Staats aufbau unter unvollständigem Wissen stammen von Stiglitz und Sah,23 die auch explizit an Überlegungen von Hayek und Popper anknüpfen. Sie gehen davon aus, daß ex ante nicht klar sein könne, welche staatlichen Steuer-Leistungsbündel die Wohlfahrt der Bürger am meisten fördern. Daher könne es sinnvoll sein, zunächst ein Brennan/Buchanan, The Power to Tax, 1980, Cambridge. Brennan/Buchanan, The Power to Tax ... ; Stefan Sinn, The Taming of Leviathan: Competition among Governments, in: Constitutional Political Economy, Vol. 2, 1992, S. 177 ff. 21 Meier/Mettler, Auf der Suche nach einem neuen Paradigma der Wirtschaftspolitik, in: Kyklos, Vol. 38, 1985, S. 171 ff.; Van den Hauwe, Constitutional Economics ... 22 Hayek, The Use of Knowledge in Society, in: American Economic Review, Vol. 35, 1945, S. 519 ff.; Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, Kiel. 23 Stiglitz, The Economic Role of the State: Efficiency and Effectiveness, in: Heertje (Hrsg.), The Economic Role of the State, 1989, London, S. 9 ff.; Sah/ Stiglitz, Human Fallibility and Economic Organization, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 75, S. 292 ff.; Sah, Fallibility in Human Organizations and Political Systems, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 5, 1991, S. 67 ff. 19

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2*

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A. Einführung in die Problemstellung

Steuer-Leistungsbündel dezentral zu testen und erst dann gegebenenfalls auf eine höhere föderale Ebene zu heben. Allerdings müsse bei einer solchen Vorgehensweise in Rechnung gestellt werden, daß bei einer Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen im Falle des Erfolgs in einer Jurisdiktion, den anderen Jurisdiktionen in einer Föderation Opportunitätskosten entstehen könnten in Form entgangener Wohlfahrtsgewinne, da das erfolgreiche Steuer-Leistungsbündel ja nur in einer Jurisdiktion getestet wurde. Einfach gesagt, das föderale Optimierungs problem bei Entscheidungen unter Unsicherheit besteht darin, daß bei Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen das Verlustrisiko für die gesamte Föderation gesenkt wird, weil sich die Auswirkungen einer Entscheidung auf einen kleineren Personenkreis beziehen, und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit steigt, daß eine überlegene Problemlösung gefunden wird. Andererseits können aber mögliche Wohlfahrtsgewinne bei Dezentralität zunächst nur begrenzt realisiert werden. 24 Elemente, die den Innovations- und Imitationsprozeß von Jurisdiktionen im Wettbewerb hervorheben, spielen in dieser Theorierichtung, die ihren Ursprung in der entscheidungslogischen Theorie der Unternehmensorganisation hat, jedoch bislang keine systematische Rolle. Neben diesen drei wichtigen Theoriebeiträgen zur Fortentwicklung der traditionellen Föderalismustheorie gibt es zunehmend Beiträge, die das Wettbewerbsparadigma von vornherein in ihren Theoriekern einschließen?5 24 "Limited infonnation implies that mi stakes will be made. The mistakes that are made with concentrated power may be far more disastrous than those which arise in a society with decentralized decision making. The more important the decisi on - the more significant the consequences of a wrong decision or the easier it is to make a wrong decision - the more limited will be the powers assigned to any individual; ... " (Stiglitz, The Economic Role of the State ... ; S. 55). 25 Stellvertretend für eine Vielzahl von Autoren siehe mit zum Teil besonderem Bezug zur europäischen Integration und zum Regulierungswettbewerb: Kerber, Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel ... ; derselbe, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... ; derselbe, Die EU-Beihilfenkontrolle als Wettbewerbsordnung: Probleme aus der Perspektive des Wettbewerbs zwischen Jurisdiktionen, in: Cassel (Hrsg.), Europäische Integration als ordnungspolitische Gestaltungsaufgabe, 1998, Berlin, S. 37 ff.; derselbe, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt aus ökonomischer Sicht, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, Tübingen, S. 67 ff.; derselbe, Interjurisdictional Competition within the European Union, in: Fordham International Law Journal, Vol. 23, 2000, S. S2l7 ff.; Streit, Systemwettbewerb im europäischen Integrationsprozeß, in: Immenga/Möschel/Reuter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, Baden-Baden, S. 521 ff.; Streit/ Mussler, Wettbewerb der Systeme und das Binnenmarktprogramm der Europäischen Union, in: Gerken (Hrsg.), Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Hannonisierung, 1995, Berlin, S. 75 ff.; Vihanto, Competition Between Local Governments as a Discovery Procedure, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 148, 1992, S. 411 ff.; Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism,

1. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften

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Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß sie das Wissensproblem betonen, Probleme des politischen Prozesses berücksichtigen, nonnativ dynamische Effizienzziele verfolgen und den Wettbewerb als zentralen Problemlösungsmechanismus begreifen. Diese Sichtweise des Föderalismus ist freilich der Rechtswissenschaft nicht ganz neu, weshalb die ökonomische Föderalismustheorie fruchtbar auf Erkenntnisse der Rechtswissenschaft zurückgreifen kann. Dies macht ein Zitat von 1932 des einflußreichen amerikanischen Bundesrichters Brandeis besonders eindrucksvoll deutlich: "To stay experimentation in things social and economic is a grave responsibility. Denial of the right to experiment may be fraught with serious consequences to the Nation. It is one of the happy incidents of the federal system that a single courageous State may, if its citizens choose, serve as a laboratory; and try novel social and economic experiments without risk to the rest of the country." 26

in: European Journal of Political Economy, Vol. 3, 1987, S. 263 ff.; derselbe, Competitive Governments ... ; derselbe, FederaIism and Decentralization: Ownership Rights and the Superiority of Federalism, in: Publius, Vol. 30, 2000, S. 1 ff.; BernholzlFaber, Überlegungen zu einer normativen ökonomischen Theorie der Rechtsvereinheitlichung, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd. 50, 1986, S. 35 ff.; KenyonlKincaid (Hrsg.), Competition Among States and Local Governments. Efficiency and Equity in American Federalism, 1991, Washington; SunlPelkmans, Regulatory Competition in the Single Market, in: Journal of Common Market Studies, Vol. 33, 1995, S. 67 ff.; SiebertlKoop, Institutional Competition. A Concept for Europe?, in: Aussenwirtschaft, Vol. 45, 1990, S. 439 ff.; Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs ... ; Straubhaar, Ein Europa des funktionalen Föderalismus: Mehr als ein Denkmodell?, in: Ordo, Bd. 46, 1995, S. 185 ff.; HauserlHösli, Harmonization or Regulatory Competition in the EC (and the EEA)?, in: Aussenwirtschaft, Bd. 46, 1991, S. 497 ff.; Weingast, The Economic Role of Political Institutions: Market-Preserving FederaIism and Economic Development, in: Journal of Law, Economics and Organization, Vol. 11, 1995, S. 1 ff.; Petersmann, A "Trade Law Approach" for Linking Trade and Competition Rules in the WTO, in: Chicago-Kent Law Review, Vol. 72, 1996, S. 545 ff.; FreylEichenberger, The New Democratic Federalism for Europe, Cheltenham; Reich, Competition Between Legal Orders: A New Paradigm of EC Law?, in: Common Market Law Review, Vol. 29, 1992, S. 861 ff.; GatsioslHolmes, Regulatory Competition, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law, Vol. 3, 1998, London; Trachtman, International Regulatory Competition, Externalization, and Jurisdiction, in: Harvard International Law Journal, Vol. 34, 1993, S. 47 ff.; derselbe, Regulatory Competition and Regulatory Jurisdiction, in: Journal of International Economic Law, Vol. 3, 2000, S. 331 ff.; Van den Bergh, Towards an Institutional Legal Framework ... ; Cooter, The Strategie Constitution, 2000, New Jersey, S. 127 ff.; aus einer stärker unternehmens strategischen Perspektive siehe Porter, Nationale Wettbewerbsvorteile, 1991, München, insbesondere S. 635 ff. 26 New State !ce Co. v. Liebmann, 285 V.S. 262, 311 (1932), Brandeis dissenting. Zum "laboratory view" siehe auch Amar, Five Views of Federalism: "Converse-1983" in Context, in: Vanderbilt Law Review, Vol. 47, 1994, S. 1229 ff. Für einen explizit evolutorischen Ansatz in der Regionalökonomik, der deutliche Parallelen zum "laboratory view" des Föderalismus aufweist, siehe LambooylBoschma,

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A. Einführung in die Problemstellung

Da Elemente dieser neueren ökonomischen Föderalismustheorie im folgenden noch genauer auf ihre wirtschaftspolitische Problemlösungskapazität hin untersucht werden, wenden wir uns an dieser Stelle direkt dem Gesellschaftsrecht als Anwendungsfall der Analyse des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften zu. Am Gesellschaftsrecht soll im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden, wie Wettbewerbsprozesse im Bereich rechtlicher Regulierungen ablaufen und welche Ordnungsbedingungen für einen wohlfahrtssteigernden Regulierungswettbewerb in diesem Bereich des Untemehmensrechts erforderlich sind. Der Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten kann somit als ein Mikrokosmos zur Analyse des Wettbewerbsföderalismus verstanden werden. 27 Mit der Betrachtung des Regulierungswettbewerbs im Bereich des Gesellschaftsrechts und der Anwendung dieser Erkenntnisse auf den Prozeß der europäischen Integration wird eine Qualifizierung der allgemeinen Fragestellung nach der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften in zwei Hinsichten vorgenommen: Mit der Fokussierung auf den Regulierungswettbewerb wird aus dem Leistungsbündel, mit dem Gebietskörperschaften in Wettbewerb miteinander treten können, eine spezielle Leistungskategorie herausgegriffen, die nur eine Teilmenge aus dem gesamten Steuer-Leistungsbündel darstellt. Zum anderen wird der Gegenstandsbereich konkret auf den Bereich der gesellschaftsrechtlich relevanten Regeln im Unternehmensrecht beschränkt. Die Einnahme dieser Perspektive in der Untersuchung hat beispielsweise zur Folge, daß keine Diskussion geführt wird, ob Steuerwettbewerb zwischen Gebietskörperschaften prinzipiell "funktioniert" oder wünschenswert wäre. Wenn hier Fragen der Besteuerung aufgegriffen werden, so geschieht dies nur in Hinblick auf die Analyse der Funktionsfähigkeit und Funktionsbedingungen des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs. Die gleiche Einschränkung der Perspektive gilt beispielsweise, wenn von Kapitalmarktregulierungen die Rede ist. Es wird also nicht nach einer allgemeinen Bedeutung von Kapitalmarktregulierungen in einer sich immer stärker globalisierenden Ökonomie gesucht. Hier wird viel enger gefragt, welcher Einfluß von Kapitalmarktregeln auf den Wettbewerb von Gesellschaftsrechten ausgeht.

Evolutionary Economics and Regional Policy, in: The Annals of Regional Science, Vol. 35, 2001, S. 113 ff. 27 Romano, Law as a Product: Some Pieces of the Incorporation Puzzle, in: Journal of Law, Economics, and Organization, 1985, Vol. 1, S. 225 ff.; dieselbe, The Genius of American Corporate Law, 1993, Washington, S. 6; mit einer ähnlichen Einschätzung siehe Kitch, Business Organization Law: State or Federal?, in: Buxbaum u.a. (Hrsg.), European Business Law, 1991, Berlin, S. 35 ff.

II. Das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa

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11. Gesellschaftsrecht und das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa Am 30. März 2000 faßte der VII. Zivil senat des Bundesgerichtshofes den Entschluß (VII ZR 370/98), dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, die die im EG-Vertrag (Art. 43 und Art. 48) garantierte Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften betreffen. 28 Dabei ging es um die Frage, ob Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig gegründet wurden, ohne Formwechsel ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können und dort parteifähig sind. Konkret: Kann eine in den Niederlanden gegründete "BV", die ihren Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt hat, aber nicht im deutschen Handelsregister eingetragen ist, den Status einer juristischen Person in Deutschland beanspruchen, wie beispielsweise eine deutsche GmbH? Es ist klar, daß eine Bejahung dieser Frage weitreichende Folgen hätte. Gesellschafter könnten sich in letzter Konsequenz dasjenige Gesellschaftsrecht in der Europäischen Union aussuchen, das ihren unternehmerischen Bedürfnissen am besten entspricht, unabhängig davon wo der eigentliche Ort der betrieblichen Tätigkeit ist oder wo sich der Verwaltungssitz der Gesellschaft befindet. Im folgenden soll die europarechtliche Debatte rund um die Niederlassungsfreiheit in in groben Zügen nachgezeichnet werden. Dabei soll insbesondere für die möglichen seismischen Auswirkungen auf das europäische Gesellschaftsrecht durch das Centros-Urteil29 sensibilisiert werden. Am Ende des Abschnittes folgt eine kurze Prognose darüber, mit welchen politischen beziehungsweise rechtlichen Reaktionen auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes gerechnet werden kann und welche grundsätzlichen Fragen mit einer Neuordnung des europäischen Gesellschaftsrechts verbunden sind. 1. Probleme des Internationalen Gesellschaftsrechts

Aus juristischer Sicht steht beim Gesellschaftsrecht nicht die Frage im Vordergrund, ob es sich beim Gesellschaftsrecht um einen aus ökonomischer Sicht unvollständigen Vertrag handelt, dessen Effizienz beispielsweise an seinen Transaktionskosten im Vergleich zu anderen denkbaren institutionellen Arrangements gemessen werden kann. Die juristische Idee des Ge28 Neben dem VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat ebenfalls das Amtsgericht Heidelberg Fragen betreffend die Niederlassungsfreiheit juristischer Personen dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Zu einer Kommentierung der vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren siehe Wulf-H. Roth, Die Sitzverlegung vor dem EuGH, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Bd. 21, 2000, S. 1597 ff. 29 EuGH, Rs. C-212/97.

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A. Einführung in die Problemstellung

sellschaftsrechts ist es vielmehr, Vennögens- und Haftungsmassen rechtlich von natürlichen Personen zu trennen. Diese Logik liegt allen nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen zugrunde. 3o Sieht man von dieser Grundlogik aber einmal ab, zeigen sich in den einzelnen Ländern ganz erhebliche Unterschiede im rechtlichen Detail. 31 Das ist so lange kein Problem, wie Gesellschaften nur innerhalb einer Rechtsordnung wirtschaftlich aktiv sind. Da alle Gesellschaften eines Staates unter der gleichen Rechtsordnung aktiv sind, kommt es zu keinen Rechtsirritationen. Das ändert sich in dem Moment, in dem grenzüberschreitende Transaktionen unternommen werden sollen, die sich auch auf den Sitz der Gesellschaft beziehen. Zu nennen sind hier insbesondere: Sitzverlegung, Kooperation oder Fusion. Von solchen Systemwechseln sind vor allem Anleger, Gläubiger und Arbeitnehmer betroffen, die das Risiko von Systemwechseln häufig nur unvollkommen überblicken können. Grundsätzlich gibt es für Staaten zwei Möglichkeiten, solche kollisionsrechtlichen 32 Probleme im Gesellschaftsrecht zu lösen. Die sogenannte Sitztheorie 33 verlangt von Gesellschaften, die ihren Finnensitz ins Ausland verlegen, daß die Gesellschaft aufgelöst wird und sich erst dann im Ausland neugründen kann. Dasselbe gilt umgekehrt für Gesellschaften, die sich aus dem Ausland in einen Sitztheoriestaat inkorporieren wollen und am neuen Sitz in einer spezifischen Rechtsfonn tätig werden wollen. 34 Verlegt bei30 Neßler, Wettbewerb der Rechtsordnungen oder Europäisierung? - Stand und Perspektiven des Europäischen Gesellschaftsrechts, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Bd. 41, 2000, S. 1 ff. 31 Berglöf, Reforming Corporate Governance: Redirecting the European Agenda, in: Economic Policy, Vol. 12, 1997, S. 92 ff.; Gerum, Organisation der Unternehmensführung im internationalen Vergleich - insbesondere Deutschland, USA und Japan, in: Glaser, u.a. (Hrsg.), Organisation im Wandel der Märkte, 1998, Wiesbaden, S. 136 ff. 32 Unter Kollisionsrecht wird dasjenige Recht verstanden, das darüber entscheidet, welches Recht in einer Transaktion mit internationalem Bezug Anwendung findet. Man kann es deswegen auch als Rechtsanwendungsrecht bezeichnen, das auf diejenige Rechtsordnung verweist, die in einer Transaktion mit internationalem Anknüpfungspunkt Geltung beanspruchen darf (Kroppholler, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., Tübingen, S. 1). 33 Der Sitztheorie folgen in Europa beispielsweise Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien. 34 Hier geht es genau genommen um die primäre Niederlassungsfreiheit, also die Verlegung des Verwaltungssitzes. Davon zu unterscheiden ist die sekundäre Niederlassungsfreiheit, das heißt, das Tätigwerden von wirtschaftlichen Einheiten (Zweigstellen, Agenturen oder Tochterunternehmen) im Ausland, die jedoch vom Hauptverwaltungssitz abhängig sind. Zu diesem Problemkreis mit seinen zum Teil heiklen Abgrenzungen siehe mit besonderem Bezug zum europäischen Recht Troberg, Das Niederlassungsrecht, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU/-EG-Vertrag, Bd. 1,5. Aufl., 1997, Baden-Baden, S. 1313 ff. sowie S. 1427 ff.

11. Das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa

25

spiels weise eine private limited company englischen Rechts den Verwaltungssitz nach Deutschland, wird diese Gesellschaft entsprechend der Sitztheorie als deutsche Gesellschaft behandelt. 35 Da aber die Gründungsvoraussetzungen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts nicht erfüllt sind, wird die Gesellschaft als Personengesellschaft (OHG oder GbR) behandelt, mit den entsprechenden Haftungsfolgen für die Gesellschafter. 36 Durch die Sitztheorie wird Freizügigkeit also nicht per se ausgeschlossen, aber doch erheblich erschwert. Dies mag gerechtfertigt erscheinen, wenn der Durchsetzung der eigenen Gesellschaftsrechtsordnung höhere Bedeutung beigemessen wird als der Freizügigkeit von Gesellschaften. Die kollisionsrechtliche Alternative zur Sitztheorie ist die sogenannte Gründungstheorie. 37 Nach dieser Theorie sind Sitzverlegungen zwischen Staaten ohne Formwechsel möglich. Eine Gesellschaft, die es für sinnvoll erachtet, ihren Firmensitz ins Ausland zu verlegen, kann dies unter Beibehaltung ihres ursprünglichen Gesellschaftsrechts tun. Im Extremfall bedeutet die Gründungstheorie als kollisionsrechtliche Regel, daß ein inländisches Unternehmen sich frei zwischen dem nationalen und den ausländischen Gesellschaftsrechten entscheiden kann und sich in dasjenige Gesellschaftsrecht inkorporiert, das seinen Bedürfnissen am besten entspricht. Die Gründungstheorie erhöht somit im Gegensatz zur Sitztheorie die Mobilität von Unternehmen, allerdings auf Kosten der Wahrung und Durchsetzung der nationalen Gesellschaftsrechtsordnung mit ihren spezifischen Schutzinteressen. In Zusammenhang mit dem Integrationsziel des europäischen Binnenmarktes (Art. 2 Abs. 14 EGV) ergibt sich die Schwierigkeit, daß die Sitztheorie möglicherweise gegen das Integrationsziel der Europäischen Union verstößt, weil sie die Niederlassungsfreiheit behindert. Es stellt sich damit die Frage, welches politische Ziel höher zu gewichten ist. Das IntegrationsZur aktuellen Diskussion der vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungen siehe Wulf-H. Roth, Die Sitzverlegung ... ; und Waiden, Niederlassungsfreiheit, Sitztheorie und der Vorlagebeschluß des VII. Zivilsenats des BGH vom 30.3.2000, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerrecht, Bd. 12, 2001, S. 256 ff. 35 Einen umfassenden Überblick zum Problem der Sitzverlegung in Europa aus deutscher kollisionsrechtlicher Perspektive gibt Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EG, Köln; sowie neuerdings mit einer kritischen Diskussion Halbhuber, Limited Company statt GmbH?, 2001, Baden-Baden. Siehe auch den nachwievor informativen Beitrag von Knobbe-Keuk, Umzug von Gesellschaften in Europa, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Bd. 154, 1990, S. 325 ff. 36 Zimmer, Mysterium "Centros", in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Bd. 164,2000, S. 25. 37 Der Gründungstheorie folgen in Europa beispielsweise Großbritannien, Irland, Niederlande und - zumindest im Prinzip - Dänemark.

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A. Einführung in die Problemstellung

ziel und die Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit oder die nationalen Schutzinteressen, die Anleger, Gläubiger und Mitarbeiter betreffen? Um diese Abwägung drehen sich die "Daily-Mail" Entscheidung, die "Centros" Entscheidung und der vom Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Fall. 2. Der lange Weg zur Niederlassungsfreiheit

a) Kollisionsrechtliche Optionen in Europa Eine einfache Lösung des Problems der Niederlassungsfreiheit von Unternehmen in Europa bestünde darin, ein einheitliches Gesellschaftsrecht in Europa zu schaffen. Als Stichwort hierfür wird immer wieder die "EuropaAG" genannt. Die Vorteile einer solchen Harmonisierungslösung scheinen auf der Hand zu liegen. Erstens, Niederlassungsfreiheit ist gewährleistet, weil Unternehmen mit ein und demselben Statut in der Europäischen Union wirtschaftlich aktiv werden können und ihren Verwaltungssitz beliebig verlegen können. Zweitens, die Harmonisierung schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Mitgliedstaaten. Das heißt, es ist ausgeschlossen, daß ein Mitgliedstaat mit Hilfe der Gestaltung seines Gesellschaftsrechts seinen Standort für Unternehmensansiedlungen attraktiver macht und dabei die Schutzinteressen Dritter verletzt. An dieser Stelle soll jedoch nicht diskutiert werden, ob die Harmonisierungslösung aus wirtschaftspolitischer Sicht eher Vorteile oder Nachteile mit sich bringt, festzustellen ist hier lediglich, daß es bislang eine solche Harmonisierung nicht gibt. Zwar werden bereits seit Jahrzehnten Anstrengungen unternommen, ein einheitliches GeseIlschaftsrecht oder zumindest ein einheitliches Kollisionsrecht für Gesellschaften in Europa zu schaffen,38 bislang scheiterten diese Versuche aber spätestens bei unüberbrückbaren nationalen Verschiedenheiten im Bereich der Unternehmensmitbestimmung?9 Dabei stellt insbesondere das deutsche Modell der Mitbestimmung einen Hemmschuh zur Einigung dar, da das deutsche Modell von Seiten Deutschlands aus aufgrund des Druckes der Gewerkschaften als nicht verhandelbar erscheint. Umgekehrt ist vor allem Großbritannien nicht bereit, seine stark eigentümergeprägte Unternehmensverfassung dem deutschen Modell zu öffnen. 4o 38 Mittlerweile gibt es dazu einen weiteren Versuch der Kommission in der vorgeschlagenen 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie. 39 Di Marco, Der Vorschlag der Kommission für eine 14. Richtlinie, in: Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 3 ff. 40 Blaurock, Europäisches und deutsches Gesellschaftsrecht - Bilanz und Perspektiven eines Anpassungsprozesses, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, Bd. 6, 1998, S. 478.

H. Das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa

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Parallel zum Versuch der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in Europa durch einheitliche Rechtsformen gab es relativ frühzeitig den Versuch, ausgehend von der Gründungstheorie eine Gesellschaftsrechtsordnung für Europa zu entwickeln. Das EG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.2.1968, das in Ausführung von Art. 220 EGV (a.F.) geschlossen wurde, scheiterte jedoch an der Nichtratifizierung durch die Niederlande. 41 Damit kann festgestellt werden, daß es bislang auf legislativem Wege nicht gelungen ist, in der Europäischen Union auf supranationaler Ebene die Ordnungsbedingungen für eine Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit zu schaffen. Es hat sich weder das Ordnungsmodell durchgesetzt, das eine materielle Harmonisierung des Gesellschaftsrechts anstrebt, noch hat sich das Ordnungsmodell durchgesetzt, das auf Dezentralität und möglicherweise den Wettbewerb von Rechtsordnungen setzt. In das Ordnungs vakuum der Niederlassungsfreiheit für juristische Personen stieß allerdings wiederholt der Europäische Gerichtshof, der Fälle zu behandeln hatte, in denen Unternehmen von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen wollten. Von den verschiedenen Urteilen des Europäischen Gerichtshofes, die die Niederlassungsfreiheit betreffen42 , sollen hier die Daily-Mail Entscheidung und die Centros-Entscheidung herausgegriffen werden, da an ihnen besonders deutlich wird, daß auf der supranationalen Ebene der Europäischen Union ein Ordnungsdefizit im Bereich der Niederlassungsfreiheit besteht. Aus konstitutionenökonomischer Perspektive könnte man auch sagen, daß es an der Gestaltung geeigneter Metaregeln in diesem wirtschaftspolitischen Bereich fehlt. Genauer gesagt, es fehlt nicht an Metaregeln, sondern es herrscht Unklarheit darüber, welche der potentiellen Metaregeln die Niederlassungsfreiheit steuern sollte. Zudem herrscht Uneinigkeit darüber, mit welcher Theorie oder juristischen Interpretation diese Frage am besten zu lösen sei. 43

Kroppholler, Internationales Privatrecht ... , S. 488. Zur Fearon-Entscheidung von 1984 und zur Entscheidung Segers von 1986 siehe Ebenroth/Eyles, Die innereuropäische Verlegung des Gesellschaftssitzes als Ausfluß der Niederlassungsfreiheit (Teil I und H), in: Der Betrieb, Bd. 42, 1989, S. 369 ff.; sowie Wulf-H. Roth, "Centros": Viel Lärm um Nichts?, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29,2000, S. 311. 43 Flessner, Schiffbruch der Interpreten und Statuten, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht, Bd. 8, 2000, S. 1 ff. Zum Theorieauswahlproblem aus Sicht der Konstitutionenäkonomik siehe Vanberg/Buchanan, Interests and Theories in Constitutional Choice, in: Journal of Theoretical Politics, Vol. 1, 1989, S. 49 ff. 41

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A. Einführung in die Problemstellung

b) Die Daily-Mail Entscheidung

In dieser Entscheidung von 1988 ging es darum, daß die als englische public limited company gegründete Investmentholdinggesellschaft "DailyMaii" beabsichtigte, große Teile ihres Investmentvermögens zu veräußern. Um der englischen Kapitalertragsteuer zu entgehen, beschloß Daily-Mail, ihren Verwaltungssitz, der damals alleiniger Anknüpfungspunkt für die Besteuerung in Großbritannien war, in die niederländische Niederlassung zu verlegen. Sowohl in Großbritannien als auch den Niederlanden gilt die Gründungstheorie, so daß eine Sitzverlegung ohne Formwechsel prinzipiell möglich ist. Als Problem für die Sitzverlegung von Daily-Mail stellte sich jedoch der britische Fiskus heraus. Nach der seinerzeit gültigen Seetion 482 (1) ades Income and Corporation Taxes Act benötigte Daily-Mail nämlich eine Genehmigung der Finanzverwaltung, um die Sitzverlegung vorzunehmen. Diese Genehmigung wurde aber nicht erteilt, weil der Fiskus die Sitzverlegung in die Niederlande als Steuerflucht klassifizierte. Diese Wegzugsbeschränkung sah Daily-Mail in Konflikt mit der Niederlassungsfreiheit der Art. 43 und 48 EGV. Der Europäische Gerichtshof entschied allerdings, daß die steuerliche Wegzugsbeschränkung kein unzumutbares Hindernis für Daily-Mail darstelle. 44 Für uns ist jedoch weniger das Urteilsergebnis interessant, sondern wie der Europäische Gerichtshof das Problem der Niederlassungsfreiheit auf der Ebene des Kollisionsrechts klärt. Der Europäische Gerichtshof stellt nämlich fest, daß zwischen den nationalen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede bestünden bezüglich der Anknüpfungskriterien für das anwendbare Gesellschaftsrecht. Die daraus resultierenden Probleme seien durch die europäischen Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit bislang nicht gelöst. 45 Daraus folge, daß bis auf weiteres die Probleme gesellschaftlicher Sitzverlegung in der Europäischen Union im nationalen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten zu lösen seien. Als Regel für die Niederlassungsfreiheit in den Mitgliedstaaten gilt demnach, daß jeder Staat dezentral darüber entscheiden kann, wie er das Problem internationaler Sitz verlegungen gestalten möchte. Entsprechend kann die Daily-Mail Entscheidung als Teilsieg der Sitztheorie gegenüber anderen Regelungen des Problems gedeutet werden, was vor allem von deutscher Seite aus auch getan wurde. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß die Lösung des Europäischen Gerichtshofes nicht so klar ist, wie auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Der Europäische Gerichtshof nimmt nämlich eine Qualifizierung seines Urteils vor. Die europäischen Gesetzgeber werden aufgefordert, eine HarmonisierungsrichtEbenrothlEyles, Die innereuropäische Verlegung .. . EbenrothlEyles, Die innereuropäische Verlegung ... , S. 372 und S. 413 ff.; Wulf-H. Roth, "Centros" ... , S. 321 ff. 44

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11. Das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa

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linie oder ein Übereinkommen gemäß Art. 220 EGV (a. F.) auf den Weg zu bringen und damit einen supranationalen Rechtsrahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Sitzverlegung von Gesellschaften ermöglicht wird. 46 Beim Zustandekommen von Richtlinie oder Übereinkommen hätte man es also mit einer Harmonisierungslösung insoweit zu tun, als die kollisionsrechtliche Kompetenz von der Ebene der Mitgliedstaaten auf die Ebene der Europäischen Union wandert und dort einheitliche Spielregeln für die Niederlassungsfreiheit verankert werden. 47 Dabei mag die zentrale Lösung von der Idee der Europa-AG bis zur umfassenden Implementation der Gründungstheorie reichen. 48 Neben der Eröffnung der politischen Option, eine zentrale Lösung herbeizuführen, gibt es aber noch einen weiteren Umstand, der die im Daily-Mail Urteil vorgegebene Dezentralisierunglösung, daß bis auf weiteres sowohl Sitz- als auch Gründungstheorie in der Europäischen Union Anwendung finden könnten, als unsicher erscheinen läßt. Dies liegt daran, daß es sich bei der im Urteil gefundenen Lösung um eine Interpretation des EG-Vertrages durch den Europäischen Gerichtshof handelt. Damit kann der Europäische Gerichtshof jedoch im Prinzip jederzeit eine andere Interpretation der im EG-Vertrag verankerten Niederlassungsfreiheit vornehmen und die kollisionsrechtliche Regel ändern. Da die europäischen Gesetzgeber seit der Daily-Mail Entscheidung nicht aktiv geworden sind, eine einheitliche Lösung zum Problem der Niederlassungsfreiheit zu finden,49 war es daher nur eine Frage der Zeit, bis der Europäische Gerichtshof in einem weiteren Urteil zur Niederlassungsfreiheit Stellung beziehen würde und damit den EG-Vertrag neu auslegen würde.

Troberg, Das Niederlassungsrecht ... , S. 1430. Sandrock, Centros: ein Etappensieg für die Überlagerungstheorie, in: BetriebsBerater, Bd. 54, 1999, S. 1337 ff.; Wymeersch, Centros: ALandmark Decision in European Company Law, in: Financial Law Institute, Working Paper 15, 1999, Universiteit Gent; derselbe, Company Law in the 21st Century, in: Financial Law Institute, Working Paper 15, 1999, Universiteit Gent. 48 Bei dieser Lesart des Urteils wird deutlich, daß es nicht unbedingt eindeutig ist, daß die am Ursprungslandprinzip orientierte Grtindungstheorie in jedem Fall die dezentrale Lösung ist. Sie ist es nur in der Dimension der Rechtswahlfreiheit der Rechtsnachfrager, nicht jedoch in der Dimension der Gesellschaftsrecht anbietenden Jurisdiktionen, denen die Kompetenz-Kompetenz entzogen ist, auf ihrem Staatsgebiet ihr präferiertes Recht durchzusetzen (siehe zu diesen Fragen ausführlich Kapitel G.). 49 Sandrock, Centros ... , S. 1339. 46 47

30

A. Einführung in die Problemstellung

c) Die Centros-Entscheidung

Dieser Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 9. März 1999 lag folgender Fall zugrunde. Das dänische Ehepaar Bryde gründete 1992 in Großbritannien eine private limited company, die eine Haftungsbeschränkung gewährt vergleichbar der deutschen GmbH. Dabei besteht jedoch anders als in Dänemark oder Deutschland keine gesetzliche Mindestkapitalvorschrift. Die Eheleute ließen die Gesellschaft am Satzungs sitz London unter der Adresse eines Freundes registrieren und Frau Bryde wurde zur Direktorin bestellt. Wenige Monate später beantragte Frau Bryde beim dänischen Registergericht die Eintragung einer dänischen Zweigniederlassung der Gesellschaft. Das Registergericht verweigerte jedoch die Eintragung der Zweigniederlassung mit der Begründung, daß es sich in Wirklichkeit um keine Zweig-, sondern um eine Hauptniederlassung handele, da seit Gründung der Gesellschaft in Großbritannien keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet worden sei. Für die Eintragung als Hauptniederlassung sei jedoch ein Mindestgesellschaftskapital von 200.000 Kronen erforderlich. Centros sah darin einen Verstoß gegen Artikel 43 und 48 EGV. Der Fall wurde daraufhin dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt. 50 Dieser entschied, daß die Niederlassungsfreiheit in der Weise auszulegen sei, daß das dänische Gesellschaftsrecht die Freizügigkeit von Gesellschaften nicht behindern dürfe, Centros somit seine Geschäftstätigkeit in Dänemark aufnehmen könne. 51 Hier soll nicht die komplexe und äußerst kontrovers geführte juristische Diskussion um das Centros-Urteil nachgezeichnet werden,52 sondern es soll 50 Eine genaue Darstellung des Falles findet sich zum Beispiel bei Zimmer, Mysterium "Centros" ... 51 EuGH, Rs. C-212/97. 52 Wichtige Beiträge zur Kommentierung des Urteils stammen beispielsweise von: Buxbaum, Back to the Future? From "Centros" to the "Überlagerungstheorie", in: Berger (Hrsg.), Festschrift für Otto Sandrock, 2000, Heidelberg, S. 149 ff.; CarrutherslVilliers, Company Law in Europe - Condoning the Continental Drift?, in: European Business Law Review, Vol. 11, 2000, S. 91 ff.; Zimmer, Mysterium "Centros" ... ; Merkt, Das Centros-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Bd. 2, 2000, Köln, S. 111 ff.; Wulf-H. Roth, "Centros" ... ; Wouters, European Company Law: Quo Vadis?, in: Common Market Law Review, Vol. 37, S. 257 ff.; Wymeerseh, Centros: ALandmark Decision ... ; derselbe, Company Law ... ; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Rechtsfreiheit, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 28, 1999, S. 724 ff.; Ebke, Das Centros-Urteil des EuGH und seine Relevanz für das deutsche Internationale Gesellschaftsrecht, in: Juristenzeitung, Bd. 54, 1999, S. 656 ff.; derselbe, Centros - Some Realities and Some Mysteries, in: American Journal of Comparative Law, Vol. 48, S. 623 ff.; Lange, Rechtsprechung EGV Art. 52, 56, 58, in: Deutsche Notar-Zeitschrift, Jg. 1999, S. 593 ff.; Kindler, Niederlassungsfreiheit für Scheinauslandsgesellschaften?, in:

Ir. Das Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa

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etwas grundsätzlicher gefragt werden, wie sich das Wirtschaftsordnungsregime im Bereich der Niederlassungsfreiheit juristischer Personen durch das Urteil möglicherweise verändert hat. Aus Centros könnte nämlich der Schluß gezogen werden, daß in der Auslegung des EG-Vertrages bezüglich der Niederlassungsfreiheit ein fundamentaler Wechsel stattgefunden hat. 53 Während noch in Daily-Mail die Kompetenz über die Niederlassungsfreiheit entsprechend dem Bestimmungslandprinzip dezentral den nationalen Kollisionsrechten überlassen worden war, wird mit Centros das nationale Kollisionsrecht "entmachtet. ,,54 So heißt es im Urteil, daß "das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, ... unmittelbar aus der vorn EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit,,55 folge. Das Recht zur Niederlassungsfreiheit wird nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes demnach nun zentral vorn EG-Vertrag aus gewährleistet, ohne Zwischenschaltung der nationalen Kollisionsrechte. 56 Damit tritt die Bedingungkonstellation ein, daß verfahrensmäßig eine Zentralisierung des Niederlassungsrechts auf der Ebene der Europäischen Union stattfindet. In Ermangelung einer zentralen materiellrechtIichen Regelung, die durch eine Harrnonisierungsrichtlinie oder ein Übereinkommen zustande kommen könnte, wird der EG-Vertrag vorn Europäischen Gerichtshof in der Weise interpretiert, daß die Mitgliedstaaten gegenseitig die Sitzverlegung von Gesellschaften nicht behindern dürften. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Centros wirklich schon den Übergang zur Verankerung der GründungstheoNeue Juristische Wochenschrift, Bd. 52, S. 1993 ff.; Steindorff, Centros und das Recht auf die günstigste Rechtsordnung, in: Juristenzeitung, Bd. 54, 1999, S. 1140; Bungert, Konsequenzen der Centros-Entscheidung des EuGH für die Sitzanknüpfung des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts, in: Der Betrieb, Bd. 52, 1999, S. 1841 ff.; Sedemund/Hausmann, Niederlassungsfreiheit contra Sitztheorie Abschied von Daily Mail?, in: Betriebs-Berater, Bd. 54, 1999, S. 809 ff.; Freitag, Der Wettbewerb der Rechtsordnungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Bd. 9, 1999, S. 267 ff.; Werlauf!, Ausländische Gesellschaft für inländische Aktivität, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Bd. 20, 1999, S. 867 ff.; Günther H. Roth, Gründungstheorie: Ist der Damm gebrochen?, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Bd. 20, 1999, S. 861 ff.; Sandrock, Centros ... ; Behrens, Das Internationale Gesellschaftsrecht nach dem Centros-Urteil des EuGH, in: Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, Heft 5, 1999, S. 323 ff. Eine umfassende kritische Aufarbeitung der deutschen Literatur zum Centros-Urteil im besonderen sowie zum Problem der Niederlassungsfreiheit in Europa im allgemeinen gibt Halbhuber, Limited Company ... 53 Sandrock, Centros ... , S. 1340 ff.; Wymeersch, Centros: ALandmark Decision ... ; derselbe, Company Law ... 54 Sandrock, Centros ... , S. 1340. 55 EuGH, Rs. C-212/97 56 Sandrock, Centros ... , S. 1343 ff.; Wymeersch, Centros: ALandmark Decisi on ... ; derselbe, Company Law ...

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A. Einführung in die Problemstellung

rie 57 in der Europäischen Union darstellt, oder ob es sich nicht möglicherweise in erster Linie um eine verfahrensmäßige Kompetenzverlagerung im Bereich der Niederlassungsfreiheit auf die Ebene der Europäischen Union handelt. Diese Lesart des Urteils bleibt auch bestehen, wenn man die Argumentation des Generalanwalts La Pergola zur Interpretation des Urteils heranzieht, der in seiner Stellungnahme vom 16. Juli 1998 von "competition among rules" spricht. Andersen und Sorensen kommentieren beispielsweise in Hinblick auf die Möglichkeit der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts: "In the absence of harmonization, ,competition among rules' of company law must be unrestricted, according to Advocate General La Pergola. ,,58 Die Gründungstheorie erscheint danach nur als eine Zwischenlösung, so lange die Mitgliedstaaten sich noch auf kein harmonisiertes Gesellschaftsrecht einigen können. Als ein Indiz dafür, daß Centros noch nicht den eindeutigen Übergang zur Gründungstheorie markiert, könnten auch die vielfältigen juristischen Deutungsversuche sprechen, die schon kurz nach der Entscheidung entstanden sind. Damit wird deutlich, daß ein Hauptproblern bei der Lösung der Fragen des internationalen Gesellschaftsrechts der Mangel eines konzeptionellen Rahmens ist, in dem gesellschaftsrechtliche Problemfelder verortet werden können und potentielle Lösungsmechanismen zugeordnet werden. d) Europarechtliche Perspektiven und offene Fragen

Ohne hier in rechtliche Details zu gehen, erscheinen als prinzipielle Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsrechts in Europa folgende Optionen: (1) Eine zentrale materiellrechtliche Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, zum Beispiel die Einführung der Europa-AG, (2) die Durchsetzung der Gründungstheorie und damit möglicherweise die Eröffnung eines Wettbewerbsprozesses zwischen den einzelnen Gesellschaftsrechten in der Europäischen Union oder (3) es wird zwar die Niederlassungsfreiheit mit Hilfe der Gründungstheorie durchgesetzt, gleichzeitig werden aber Tatbestände, die bislang in nationalen Gesellschaftsrechten geregelt werden, von einzelnen Staaten aus dem Gesellschaftsrecht herausgenommen und in sogenannten Sonderanknüpfungen geregelt. Das heißt beispielsweise für die deutsche Unternehmens mitbestimmung, daß sie nicht mehr im deutschen Aktiengesetz geregelt wird, sondern in einem speziellen Gesetz, das für alle Kapitalgesellschaften auf deutschem Staatsgebiet dann gleichermaßen gilt. 59 57 So ist im gesamten Centros-Urteil kein einziges Mal explizit von der Gründungstheorie als in der Europäischen Union zu verwendende Kollisionsnorm die Rede. 58 Andersen/Sorensen, Free Movement of Companies from a Nordic Perspectives, in: Maastricht Journal of European and Comparative Right, Vol. 6, 1999, S. 63.

II. Das Problem der Niederiassungsfreiheit in Europa

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Obwohl die drei grundsätzlichen Ordnungsmodelle für das europäische Gesellschaftsrecht auf den ersten Blick klare alternative Optionen darstellen, sind mit ihnen zwei Arten von theoretischen Problemen verbunden, für die es bisher höchstens Lösungen in Ansätzen gibt. Das erste theoretische Problem besteht darin, daß kaum Wissen darüber besteht, wie die ein oder andere Ordnungsalternative auf die von ihr betroffenen Akteure wirkt. Wie wird sich zum Beispiel das Investitionsverhalten von Anlegern und Gläubigem als "Rechtsnachfragern" verändern? Wie werden sich Politiker, Bürokratie und Gerichte als Anbieter des Gesellschaftsrechts bei der Gesetzgebung verhalten?6o Oder wie verlaufen Anpassungsprozesse zwischen Gesellschaftsrechten, die in Wettbewerb miteinander stehen? Das zweite theoretische Problem ist normativer Natur. Welches der gesellschaftsrechtlichen Ordnungsmodelle ist aus der Perspektive der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt überhaupt wünschenswert? Eine Antwort auf diese Frage hängt sowohl davon ab, welche Erkenntnisse man zur Beantwortung der ersten Frage gewinnen kann und welchen Maßstab man zur Messung der Wohlfahrt anlegt. Beide Probleme stehen im Mittelpunkt der folgenden Kapitel.

59 Eine allgemeine Diskussion des Vorschlags der Kommission der Europäischen Union zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie gibt es von Di Marco, Der Vorschlag der Kommission ... ; Neye, Die Vorstellung der Bundesregierung zum Vorschlag einer 14. Richtlinie, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 13; Schmidt, Sitzverlegungsrichtlinie, Freizügigkeit und GeseIlschaftsrechtspraxis, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 20 ff.; Priester, EU-Sitzverlegung - Verfahrensablauf, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 36 ff.; und Heinze, Arbeitsrechtliche Probleme bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung in der Europäischen Gemeinschaft, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 54 ff. In dieser Diskussion werden verschiedenste Möglichkeiten eruiert, wie die Mobilität von Gesellschaften in Europa erhöht werden könnte, ohne die Rechte Dritter zu verletzen. Eine Diskussion des Vorschlags unter steuerlichen Gesichtspunkten erfolgt von Hügel, Steuerrechtliche Hindernisse bei der internationalen Sitzverlegung, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 29, 1999, S. 70 ff. 60 Mit Bezug zum kanadischen Gesellschaftsrecht wird von Cumming und MacIntosh die Frage des empirischen Verhaltens von Rechtsanbietern und Rechtsnachfragern zum Beispiel mit Hilfe des Begriffspaares "passiv" und "proaktiv" zu strukturieren versucht. Die Autoren können empirisch zeigen, daß zumindest in Kanada von sehr differenzierten Hypothesen über Rechtsnachfrager und -anbieter ausgegangen werden muß (Cumming/MacIntosh, The Role of Interjurisdictional Competition in Shaping Canadian Corporate Law, in: International Review of Law and Economics, Vol. 20, 2000, S. 141 ff.).

3 Heine

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A. Einführung in die Problemstellung

III. Weiteres Vorgehen In diesem Kapitel erfolgte zunächst eine Einordnung der Thematik in die allgemeinere Fragestellung der Föderalismustheorie. Von dieser generellen Problembeschreibung wurde dann der Blick auf das konkrete Problem der Regulierung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union gelenkt. Sowohl die sehr weite als auch die sehr enge Perspektive des Problems lassen es notwendig erscheinen, daß die Funktionsweise und -bedingungen des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs noch genauer untersucht werden. Hierzu werden in einem ersten Schritt mögliche Vor- und Nachteile eines Regulierungswettbewerbs skizziert und auf die Notwendigkeit einer Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb aufmerksam gemacht. Dabei wird insbesondere auf die mögliche Funktion des Kollisionsrechts aufmerksam gemacht, das im Internationalen Privatrecht (IPR) eine bedeutende Rolle spielt [Kapitel B.]. Das nächste Kapitel widmet sich dann mit Hilfe der Theorie der Firma der Frage, wie überhaupt die Institution des Gesellschaftsrechts als Intervention des Staates in die Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden kann. Denn Regulierungswettbewerb ist nur dann eine Ordnungsoption, wenn sich zeigen läßt, daß die rein privaten Tauschund Vertragsbeziehungen systematisch zu unerwünschten Ergebnissen führen [Kapitel C.]. Nachdem der Regulierungsbedarf des Gesellschaftsrechts dargelegt wurde, geht es darum, sowohl ein kontextuelleres Verständnis des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht anband eines Blickes auf den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb in den Vereinigten Staaten zu bekommen, als auch eine Taxonomie des Regulierungswettbewerbs entlang verschiedener Grade der Faktormobilität aufzustellen, in der verschiedene Regulierungswettbewerbstypen des Gesellschaftsrechts verortet werden können. Diese Taxonomie von Regulierungswettbewerbstypen stellt eine systematische Verbindung zwischen der Intensität von Regulierungswettbewerbsprozessen und der Wettbewerbsordnung her, unter der die Regulierungwettbewerbsprozesse ablaufen [Kapitel D.]. Überwiegend am Beispiel der Vereinigten Staaten werden dann die konkreten Wettbewerbsprozesse im Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten analysiert. Diese Untersuchung erfolgt sowohl aus einer industrieökonomischen Perspektive als auch aus dem Blickwinkel der Neuen Politischen Ökonomik. Evolutorische Aspekte, wie das Hayekianische Wissensproblem und institutionelle Pfadabhängigkeiten, finden ebenfalls Berücksichtigung [Kapitel E.]. Im Anschluß daran wird normativ gefragt, in welcher Weise die Wettbewerbsordnung für den gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb gestaltet werden sollte, um einen nachhaltigen Regulierungswettbewerb zu erzeugen, der die Wohlfahrt der an ihm beteiligten lurisdiktionen steigert [Kapitel F.]. Das abschließende Kapitel versucht ausblicksartig, die aktuelle Situation des internationalen Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union zu beur-

III. Weiteres Vorgehen

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teilen. Es werden dabei pragmatische Vorschläge unterbreitet, die langfristig einen Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht in der Europäischen Union hervorbringen könnten [Kapitel G.]. Es ist nicht die Absicht dieser Arbeit, einen juristisch detaillierten Vorschlag zur Regulierung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union zu unterbreiten oder einen ökonomischen Aspekt ganz in den Vordergrund zu rücken, sondern vielmehr eine Bestandsaufnahme der vielfältigen Theorien zur Wirkungsweise des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht vorzunehmen und die einzelnen meist kontroversen Auffassungen zu strukturieren. Es ergibt sich damit ein Mosaik der Funktionsweise und Funktionsbedingungen des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht, das den Problernhaushalt darstellt, der berücksichtigt werden sollte, wenn in der Europäischen Union Regulierungswettbewerb als ein föderales Konzept zukünftig stärker verankert werden sollte.

B. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem Das Gesellschaftsrecht ist ein Teil der Regulierungen des Unternehmensrechts, durch dessen Gestaltung Jurisdiktionen versuchen können, im interjurisdiktionellen Wettbewerb mit anderen Jurisdiktionen, einen Vorteil zu erlangen. Um einen Analyserahmen für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten zu bekommen, ist es sinnvoll, in einem ersten Schritt die möglichen Vor- und Nachteile eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften allgemein zu diskutieren und nach den konstitutionellen Voraussetzungen zu fragen, die erfüllt sein müssen, damit der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften zu den von den Bürgern gewünschten Ergebnissen führt. Das heißt, es wird zum einen die Funktionsweise des interjurisdiktionellen Wettbewerbs in seinen Grundzügen skizziert, zum anderen wird der normative Status des interjurisdiktionellen Wettbewerbs etwas genauer dargelegt werden. Es geht somit darum, grundSätzliche Argumente dafür zu finden, warum es einen Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften geben sollte. Ist diese Frage geklärt, kann es in einem nächsten Schritt um die konkreteren Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Wettbewerbsordnung im Gesellschaftsrecht gehen.

I. Der Beitrag der Konstitutionenökonomik zur Gestaltung von Wirtschaftsordnungen In der Konstitutionenökonomik liegt der Untersuchungsschwerpunkt auf der Erklärung der Funktionsweise und -bedingungen derjenigen Regeln, unter denen Akteure in Politik und Wirtschaft handeln. Dabei interessiert weniger der Prozeß des "choice within rules" als vielmehr der Prozeß des "choice of rules", in dem die Regeln festgelegt werden, die die Handlungen der Akteure beschränken. Insofern hat die Konstitutionenökonomik eine starke Affinität zur traditionellen deutschen Ordnungs theorie. 1 Zentral für die Konstitutionenökonomik ist der methodologische Individualismus,2 also die Erklärung aller Handlungsergebnisse aus den subjektiI Vanberg, "Ordnungstheorie" as Constitutional Economics - The German Conception of a "Social Market Economy", in: Ordo, Bd. 39, 1988, S. 17 ff. 2 Buchanan, The Constitution of Economic Policy, in: American Economic Review, Vol. 77, 1987, S. 243 ff.

I. Der Beitrag der Konstitutionenökonomik

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ven Präferenzen und Motiven einzelner Individuen heraus. Daran schließt sich für die Rekonstruktion konstitutioneller Regeln die normative Frage an, unter welchen Bedingungen konstitutionelle Regeln für Individuen zustimmungsfähig sind und damit nutzenstiftend für die einzelnen Individuen, die unter ihnen handeln müssen. 3 Die scheinbar einfache Antwort der Konstitutionenökonomik auf die gestellte Frage ist, daß alle diejenigen Regeln als wohlfahrtsoptimale Handlungsbeschränkungen gelten können, die durch Einstimmigkeit zustande gekommen sind, da in diesem Falle kein Individuum durch die Regel seine gesellschaftliche Position verschlechtert, aber möglicherweise verbessern kann. 4 Das Einstimmigkeitsprinzip kann zwar auf beliebige Regeln Anwendung finden, besondere Bedeutung erhält es aber, wenn man zwischen einer konstitutionellen Ebene und einer postkonstitutionellen Ebene unterscheidet. Auf der konstitutionellen Ebene werden mittels Einstimmigkeit die Verfahrensabläufe beziehungsweise Abstimmungsregeln für die postkonstitutionelle Ebene bestimmt. Damit können dann auf der postkonstitutionellen Ebene auch unterhalb des Erfordernisses der Einstimmigkeit gesellschaftlich-politische Entscheidungen getroffen werden, die noch über den Grundkonsens legitimiert sind. Die Probleme des skizzierten konstitutionenökonomischen Ansatzes, der letztlich die Einstimmigkeit aller Bürger einfordert, können und sollen hier nicht im Detail referiert werden, 5 die Hauptschwierigkeit liegt aber darin begründet, den faktischen Konsens aller Bürger aktuell herzustellen. Es müssen sowohl mögliche Erpressungsversuche, die aus einer bestimmten Verteilungsposition von Individuen herrühren können, ausgeschaltet werden, als auch zukünftige Generationen die Möglichkeit erhalten, ihre konstitutionellen Interessen einzubringen. Für beide Probleme gibt es unseres Wissens bislang keine überzeugenden Lösungsmöglichkeiten, so daß unseres Erachtens der skizzierte Ansatz seine Bedeutung weniger als faktisches Instrument zur Gestaltung von Wirtschaftsordnungen entfaltet, sondern vielmehr als ein Instrument, um mögliche konstitutionelle und postkonstitutionelle Reformvorschläge zu generieren, von denen angenommen wird, daß sie auf eine breite Unterstützung der Bürger treffen könnten. Der Ansatz wäre damit aber nicht mehr als faktisch zu verstehen, sondern als hypothetisch. Da3 Für einen Überblick über die Konstitutionenökonomik siehe die Beiträge in Vanberg, Rules and Choice in Economics, 1994, London; sowie mit einer kritischen Würdigung Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, 1996, Darmstadt. 4 Buchanan, The Limits of Liberty ... ; derselbe, The Constitution ... 5 Siehe hierzu ausführlich Christian Müller, Das vertragstheoretische Argument in der Ökonomik, 2000, Berlin. Ein knapper Überblick findet sich bei Machan, The normative basis of economic science, in: Economic Affairs, Vol. 18, 1998, S. 43 ff.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

mit büßt er allerdings seine unmittelbare Bindung an die Bürgerpräferenzen ein und ist nicht mehr normativ im Sinne des methodologischen Individualismus legitimiert,6 woraus sich eine Reihe schwer lösbarer Legitimationsprobleme des Ansatzes ergeben. Eine Möglichkeit, die faktische Zustimmung zu Konstitutionen einzuholen, besteht jedoch darin, daß Individuen die Möglichkeit zur freien Ordnungswahl erhalten? In diesem Fall legitimiert sich ein aktuelles konstitutionelles Angebot durch die faktischen Exit- und Entry-Entscheidungen der Bürger aus oder in eine Jurisdiktion. Von dieser Idee, die Zustimmung zu einer Verfassung dem "voting by feet" der Bürger zu überlassen, ist es nicht mehr weit zu der Überlegung, mit Hilfe des interjurisdiktionellen Wettbewerbs die Jurisdiktionen und ihr Leistungsangebot an die Bürgerpräferenzen zu binden. Unter Wettbewerb ist dabei ein Prozeß der Auswahl von Objekten zwischen Alternativen zu verstehen, wobei das Auswahlkriterium die Eignung des Objekts für die jeweilige Umgebung ist. 8 Neben einer solcherart verstandenen Selektion im Austauschprozeß spielt natürlich ebenfalls die im Parallelprozeß erzeugte Varietät eine Rolle, die dadurch zustande kommt, daß sich Anbieter durch Innovation und Imitation gegenüber der Nachfrageseite zu überbieten versuchen. Wettbewerb ist nach dieser Definition also einerseits durch eine Wahlmöglichkeit und ein Auswahlkriterium gekennzeichnet sowie andererseits durch das Vorstoßen und Nachziehen von Akteuren mit Innovation und Imitation. Aus dem Zusammenwirken von Austauschprozeß und Parallelprozeß resultiert schließlich eine marktIiche Interaktion, die man als (dynamischen) Wettbewerbsprozeß bezeichnen kann. Warum ist ein solcher dynamischer Wettbewerbsprozeß für die Konstitutionenökonomik aus normativer Sicht überhaupt von besonderer Bedeutung? Eine mögliche Antwort besteht darin, daß Wettbewerb als Operationalisierung des individuellen ZustimmungserJordemisses zu Konstitutionen verstanden werden kann. Das Einstimmigkeitskriterium wird also durch Wettbewerb nicht in Zweifel gezogen, sondern sein normativer Gehalt gestärkt. Denn durch Wettbewerb wird die Wahl zwischen Alternativen entlang individueller Präferenzen ermöglicht und gefördert. Die Wahl einer bestimmten konstitutionellen Alternative durch den "Entry" in eine Jurisdik6 An dieser Stelle sei nochmals auf die Arbeit von Christian Müller, Das vertragstheoretische Argument ... verwiesen, die sich eingehend mit den methodischen Problemen der Konstitutionenökonomik beschäftigt. 7 Vanberg, Systemtransformation, Ordnungsevolution und Protektion: Zum Problem der Anpassung von Wirtschaftssystemen an ihre Umwelt, in: Cassel (Hrsg.), Institutionelle Probleme der Systemtransformation, 1997, Berlin, S. 11 ff. 8 Weizsäcker, Wettbewerbspolitik, in: Tietz (Hrsg.), Handwörterbuch des Marketing, 2. Aufl., 1995, Stuttgart, Sp. 2729.

I. Der Beitrag der Konstitutionenökonomik

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tion oder das freiwillige Verbleiben in einer Jurisdiktion kann nämlich als freiwillige Zustimmung zu einem bestimmten konstitutionellen Angebot verstanden werden. 9 Die Bepreisung der konstitutionellen Angebote beim "Entry" erfordert dabei eine Präferenzoffenbarung der Nachfrager, ohne daß das Konstrukt des Schleiers der Ungewißheit und das Konstrukt der hypothetischen Zustimmung bemüht werden müßten. Die "Exit"-Option bindet umgekehrt die Anbieter von Konstitutionen an ihre Leistungsversprechen gegenüber den Nachfragern, wodurch Principal-Agent-Probleme zwischen den Anbietem und Nachfragern von konstitutionellen Regeln tendentiell vermieden werden. In Abschnitt D.II.3.b) wird diese Anreizproblematik noch genauer darzulegen versucht. Es ist nicht Ziel dieser Arbeit, einen dogmenhistorischen Überblick über die normativen Begründungsmöglichkeiten eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften zu geben, unseres Erachtens ist die Grundidee aber bereits in Lockes "Second Treatise of Govemment" von 1690 angelegt. Bei Locke erscheint der Staat als ein sozialtechnologisches Instrument, das die Bürger errichtet haben, um ihnen bei der Verfolgung ihrer privaten Ziele zu helfen. Mißbraucht der Staat die ihm übertragenen Rechte zur Organisation einer Bürgergesellschaft, hat der Bürger das Recht, dem Staat die übertragenen Rechte wieder zu entziehen. ,,[Y]et the legislative being only a fiduciary power to act for certain ends, there remains still in the people a supreme power to remove or alter the legislative, when they find the legislative act contrary to the trust reposed in them ... [Hervorhebung im Original, K. H.]"IO Die Frage, ob es nicht auch Fälle geben könne, in denen Zweifel darüber bestünden, ob der Staat seine Rechte mißbrauche und wer dann Richter zwischen Individuum und Staat sein solle, löst Locke mit der (bottom-up) Zuordnung des Letztentscheidungsrechts bei den Individuen (§§ 240-243)Y Man könnte auch sagen, die Präferenzen der Individuen sind am Ende maßgeblich bei der Leistungsbeurteilung eines Staates. 9 Vanberg, Systemtransformation ... ; Vanberg/Buchanan, Constitutional Choice, Rational Ignorance and the Limits of Reason, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 10, 1991, S. 61. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß sich bereits bei Rawls die Idee findet, daß ein Staat (beziehungsweise seine Institutionen) von seinen Bürgern am ehesten "akzeptiert" wird, wenn er sich in Wettbewerb mit anderen Staaten befindet (Rawls, A Theory of Justice, 1971, Oxford; siehe hierzu auch Cooter, The Strategie Constitution ... , S. 127). Mit anderen Worten, ein Staat ist gerecht, wenn er seinen Bürgern die Wahl zwischen Alternativen eröffnet. Darüber hinaus modelliert Rawls den institutionellen Wettbewerbsprozeß bereits evolutorisch als eine Abfolge von Mutation und Selektion in Analogie zu biologischen Evolutionsprozessen, wobei er allerdings davon ausgeht, daß die von ihm vertretenen Gerechtigkeitsprinzipien sich als langfristig überlegene Institutionen durchsetzen würden (Rawls, A Theory of Justice ... , S. 502). 10 Locke, The Second Treatise on Civil Government, Nachdruck 1986 der Ausgabe von 1764, Amherst, § 149, siehe auch § 222 und § 225.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Freilich, Locke sieht als Ausweg bei Unzufriedenheit der Bürger mit ihrem Staat regelmäßig das Recht auf Revolution. Ein geordneter Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften könnte jedoch ganz im Sinne Lockes ein Instrument vernunftbegabter Individuen sein, um ihre Eigentumsrechte in einer Gesellschaft freier Bürger zu schützen. Eine Jurisdiktion, die sich in Wettbewerb mit anderen Jurisdiktionen um die beste Bereitstellung von Steuer-Leistungsbündeln befindet, kann von ihren Bürgern nämlich sanktioniert werden, ohne daß es dazu einer Revolution bedarf. 12

11. Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften als Problemlösungsmechanismus institutioneller Probleme? Nachdem dargelegt wurde, daß interjurisdiktioneller Wettbewerb aus normativer Sicht grundsätzlich als ein Mechanismus zur Konkretisierung der freiwilligen Zustimmung zu einer Konstitution und damit zu einem SteuerLeistungsbündel verstanden werden kann, besteht der nächste Untersuchungsschritt darin, die Vor- und Nachteile eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften in seinen Grundmustern zu skizzieren. Zum Verständnis der Funktionsweise des interjurisdiktionellen Wettbewerbs ist es dabei hilfreich, wenn man sich die Analogie zwischen Produktmärkten und Märkten für Steuer-Leistungsbündel klar macht. Die wichtigsten Kategorien der Analogie sind: 13 • Gebietskörperschaften werden mit Unternehmen gleichgesetzt. 14 Gebietskörperschaften sind demnach diejenigen Organisationen, die das LeiII Siehe zur Verbindung des bottom-up Ansatzes mit der Verfassungskonzeption Lockes auch Kirchner, Ethische Aspekte innerstaatlicher Institutionalisierung wirtschaftlicher Prozesse, in: Korjf(Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 2, 1999, Gütersloh, S. 138. 12 Interessante Hinweise auf eine frühe Konzeption des Wettbewerbsföderalismus, die ungewöhnlich modem wirkt, finden sich auch bei Proudhon (1809-1865), der ausgehend von einem Zustand der Anarchie zu einem politischen System föderaler Staaten als gesellschaftlichem Ordnungsentwurf kommt, in dem quasi private Vertragsbeziehungen zwischen Staaten und zwischen Staaten und Bürgern zur effizienten Bereitstellung von Steuer-Leistungbündeln führen sollen (George, Proudhon and Economic Federalism, in: Journal of Political Economy, Vol. 30, 1922, S. 531 ff.). ",What is government? Government is public economy, the supreme administration of the works and the goods of the nation' [Proudhon, K. H.]. And the nation is like a great society or company in which all the citizens are stockholders" (George, Proudhon ... , S. 539). 13 Zur Analogiebildung siehe OstromlTieboutlWarren, The Organization of Government in Metropolitan Areas: A Theoretical Inquiry, in: American Political Science Review, Vol. 55, 1961, S. 832; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... , S. 201; Romano, The Genius ... , S. 6; Kitch, Discussion: Introductory

II. Wettbewerb als Problemlösungsmechanismus

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stungsangebot den Bürgern unterbreiten. Wie Unternehmen haben sie ihre spezifischen Entscheidungsregeln und ihren spezifischen organisatorischen Aufbau. • Regierungen werden mit der Geschäftsleitung gleichgesetzt. Die Regierung einer Gebietskörperschaft wird als Agent seiner Bürger begriffen. Diese Principal-Agent-Beziehung weist im Prinzip die gleiche Problemstruktur (siehe Public Choice - Ansatz) auf wie diejenige in Unternehmen (siehe Manageralismustheorien). • Öffentliche Güter und Regulierungen werden als die von Gebietskörperschaften angebotenen Produkte angesehen, für die entsprechende Steuerpreise zu entrichten sind. • Bürger werden als Konsumenten der jurisdiktionellen Leistungen und als Eigentümer der Jurisdiktion begriffen. Während auf Gütermärkten die Relation Konsument oder Inputeigner von Faktoren in der Regel eindeutig ist, kann hier diese Relation verschwimmen und es resultiert teilweise eine hybride Struktur, die an genossenschaftliche Strukturen erinnert. Ausgehend von der eben skizzierten Analogie zwischen Gütermärkten und der Bereitstellung von Leistungen durch Gebietskörperschaften lassen sich nun sowohl Vor- als auch Nachteile identifizieren, die aus dem Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften erwachsen können und die in spezifischer Form ebenfalls beim Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten auf der Ebene des Regulierungswettbewerbs zu beobachten sind. Damit ist dann auch schon der übernächste Schritt vorgezeichnet, der darin besteht, eine Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb zwischen Gebietskörperschaften zu entwickeln, die die Vorteile eines interjurisdiktionellen nutzbar macht, ohne daß die möglichen Nachteile in Kauf genommen werden müssen. 1S Remarks, in: Buxbaum (Hrsg.), European Business Law, 1991, Berlin, S. 89; sowie umfassend Auster/Si/ver, The State as a Firm, 1979, Boston. Kritisch zur Analogiebildung siehe van Suntum, Internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Ein sinnvolles wirtschaftspolitisches Ziel?, in: Zeitschrift für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften, Bd. 106, 1986, S. 495 ff. Tirole sieht die Probleme der Analogiebildung vor allem im Bereich der "incentives"; das heißt, unter der organisatorischen Oberfläche von Unternehmen und lurisdiktionen sind nach seiner Auffassung zum Teil ganz unterschiedliche Anreizmechanismen zu kreieren, um zu effizienten Ergebnissen zu gelangen (Tirole, The Intemal Organization of Government, in: Oxford Economic Papers, 1994, Vol. 46, S. 1 ff.). 14 "By analogy, the formal units of government in a metropolitan area might be viewed as organizations similar to individual firms in an industry" (Ostrom/Tiebout/ Warren, The Organization of Government ... , S. 832). 15 In dieser Arbeit soll schwerpunktmäßig nur das Ordnungsproblem betrachtet werden, das zwischen den Gesellschaftsrecht produzierenden lurisdiktionen besteht. Man kann jedoch prinzipiell die Fragestellung dahingehend erweitern, daß nach

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

1. Mögliche Vorteile eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften

a) Anpassung an lokale Präferenzen

Aus der hier verwendeten Definition von Wettbewerb ergibt sich, daß Wettbewerb immer die Wahlmöglichkeit wenigstens eines anderen SteuerLeistungsbündels voraussetzt. Dabei kann die Wahl auch eher indirekt darin bestehen, daß - wie beim Yardstick-Competition - erst über einen Wahlmechanismus das gewünschte Steuer-Leistungsbündel in einer Jurisdiktion implementiert wird. 16 Wettbewerb ermöglicht über die Implikation der Wahlmöglichkeit, daß eine weitestgehend präferenzengerechte Zuordnung von Steuer-Leistungsbündeln auf die Nachfrager staatlicher Leistungen erfolgtY Man könnte auch sagen, daß es durch die Eröffnung des Austauschprozesses im interjurisdiktionellen Wettbewerb dazu kommt, daß ein Druck zur Anpassung des jurisdiktionellen Angebots an lokale Präferenzen entsteht. Damit wird die Allokationseffizienz des jurisdiktionellen Angebots an öffentlichen Leistungen insgesamt erhöht oder, wie im Tiebout-Modell gezeigt, sogar pareto-optimal. Umgekehrt kann man sagen, daß eine Einschränkung der Wahlmöglichkeiten nicht nur die Allokationseffizienz senkt, sondern tendentiell auch der interjurisdiktionelle Wettbewerb mit seiner Anreizwirkung auf Innovation und Imitation beschränkt wird. b) Verringerung von Rent-Seeking

Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften kann das Problem des RentSeekings lösen helfen. 18 Sind Jurisdiktionen nämlich mit der Abwandeeiner integrienen Wettbewerbsordnung für Unternehmen und Jurisdiktionen gefragt wird (Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... ; S. 217 ff.; Remien, Denationalisierung des Privatrechts in der Europäischen Union? - Legislative und gerichtliche Wege, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Bd. 36, 1995, S. 116 ff.). Diese Frage stellt sich, wenn man bedenkt, daß die Regulierungen einer Jurisdiktion direkt Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nehmen können. Remien wirft diese Frage konkret an Fällen des Europäischen Gerichtshofes auf, der zum Beispiel zu entscheiden hatte, ob Mitgliedstaaten möglicherweise gegen Art. 85 EGV (a.F.) verstoßen, wenn sie ihren Unternehmen mit Hilfe nationaler Regulierungen einen Wettbewerbsvorteil vor Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten verschaffen. Dahinter steckt letztlich die brisante Frage, ob der Grundsatz unverfälschten Wettbewerbs (Art. 3g EGV) ebenfalls für nationale Privatrechtsnormen gilt, weil sie einen Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen im Binnenmarkt nehmen können (Remien, Denationalisierung ... ). 16 Zur Einordnung und Bedeutung dieser Form des Wettbewerbs beim Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten siehe Abschnitt D.II.I. 17 Holcombe, Public Finance, 1996, Minneapolis, S. 469 ff.

H. Wettbewerb als Problemlösungsmechanismus

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rungsdrohung von Faktoren konfrontiert, werden Politiker und Bürokraten weniger anfällig für die Erfüllung von Sonderwünschen für Interessengruppen sein. Dabei erscheinen zwei Punkte besonders beachtenswert. Da Wettbewerb mit der Wahlmöglichkeit verschiedener Steuer-Leistungsbündel verbunden ist, sind bei Wettbewerb die angebotenen Steuer-Leistungsbündel tendentiell kleiner als im Falle nur eines monopolistischen Anbieters. Damit erhöht sich bei Wettbewerb die Wahrnehmung der Interaktion von Anbietern und Nachfragern. Nachfrager können leichter erkennen, wenn sich Interessengruppen Sondervorteile verschaffen und können darauf schneller mit "Exit" reagieren. Durch interjurisdiktionellen Wettbewerb sinkt somit tendentiell die rationale Ignoranz von Nachfragern jurisdiktioneller Leistungen, womit wiederum der Wettbewerb verschärft wird. 19 Die Anbieter spüren rascher, wenn Nachfrager abwandern und können dies gegebenenfalls mit der Gewährung von Sondervorteilen in Verbindung bringen. Mit anderen Worten, Wettbewerb erhöht die Merklichkeit staatlichen Handeins, wodurch Rent-Seeking-Aktivitäten transparenter werden. Transparenz ist wiederum eine Voraussetzung für plan volles Handeln gegen Rent-Seeking. Ein weiterer Grund, wieso Rent-Seeking durch Wettbewerb eingedämmt werden kann, ist schließlich, daß die Wahl zwischen Alternativen voraussetzt, daß mehr oder weniger autonome Jurisdiktionen mit unterschiedlichen Leistungsangeboten bestehen. Damit bleiben Rent-Seeking-Aktivitäten zunächst auf eine Jurisdiktion beschränkt. Oder anders ausgedrückt, die Verschiedenartigkeit von Jurisdiktionen verringert tendentiell die Diffusionsgeschwindigkeit von Rent-Seeking durch eine Population von Jurisdiktionen. c) Lösung des Wissensproblems durch Innovation

und Imitation - "race to the top"

Ein bedeutender Vorteil eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften kann in der möglichen Lösung von Wissensproblemen bei der staatlichen Leistungserstellung gesehen werden. Es kann nämlich davon ausgegangen werden, daß Politiker und Bürokraten oftmals nur unvollkommen die konkreten Präferenzen der Bürger kennen oder sich ergriffene Maßnahmen als im Nachhinein schlecht gewählt herausstellen. Insofern könnte man die angebotenen Steuer-Leistungsbündel auch als Problemlösungshypothesen bezeichnen, die auf ihre Geeignetheit hin getestet werden müssen. 20 18 Zur Lösung von Rent-Seeking-Problemen durch Systemwettbewerb siehe insbesondere Stefan Sinn, The Taming of Leviathan ... ; Bratton/McCahery, The New Economics of lurisdictional Competition ... ; sowie mit weiteren Literaturhinweisen Hafner, Systemwettbewerb versus Harmonisierung in Europa, 1998, Frankfurt, S. 30 ff. 19 Siehe hierzu auch Vanberg/Buchanan, Constitutional Choice ...

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften ist ein Verfahren, das ein solches Testen ennöglicht, denn Bürger erhalten die Möglichkeit, durch freiwillige Zustimmung ein bestimmtes Steuer-Leistungsbündel zu selektieren. Gebietskörperschaften, deren Steuer-Leistungsbünde1 nicht in ausreichendem Maße selektiert werden, erhalten auf diese Weise die Infonnation, ihre Leistungen zu verändern. Sie können daraufhin versuchen, fremde SteuerLeistungsbündel zu imitieren oder mit Hilfe neuartiger Angebote zu innovieren. Idealerweise führt ein solcher Wettbewerbsprozeß zu einer pennanenten Adaption der Steuer-Leistungs bündel an die Präferenzen und insgesamt zu Verbesserungen der Steuer-Leistungsbündel. In diesem Sinne kann Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften ein "race to the top" auslösen?! 2. Mögliche Probleme eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften a) Externe Effekte

Ein möglicher Nachteil eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften ist das Auftreten externer Effekte. Die Grundlogik des Arguments lautet, daß Gebietskörperschaften Teile der Kosten und Nutzen aus SteuerLeistungsbündeln nicht internalisieren können oder wollen, wodurch die abgesetzte Menge einer öffentlichen Leistung einer Gebietskörperschaft entweder zu groß oder zu klein ausfällt, gemessen an der optimalen Situation, in der alle Kosten und Nutzen im Entscheidungskalkül Berücksichtigung finden. Eine Gebietskörperschaft mag beispielsweise für luftverunreinigende Industrien keinerlei Umweltschutzauflagen erlassen oder Umweltsteuern erheben, um die Produktionskosten dieser Industrien niedrig zu halten und damit einen Standortvorteil vor anderen Gebietskörperschaften zu erhalten. 20 Siehe hierzu bereits New State /ce Co. v. Liebmann, 285 V.S. 262, 311 (1932), Brandeis dissenting; Vihanto, Competition Between Local Governments ... ; Amar. Five Views of Federalism ... ; sowie Vanberg/Kerber. Institutional Competition among lurisdictions: An Evolutionary Approach, in: Constitutional Political Economy, Vol. 5, 1994, S. 193. 21 "Race to the top" wird hier in dem Sinne verstanden, daß es sich um einen anhaltenden Prozeß der Verbesserung von jurisdiktionellen Leistungen handelt. Dies entspricht der Verwendung des Begriffs, wie er auch in der Literatur zum Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften häufig gebraucht wird (siehe zum Beispiel Bratton/McCahery. The New Economics of lurisdictional Competition ... ). "Race to the top" kann hingegen auch die strategische Festlegung von Regulierungsniveaus über dem optimalen Niveau bezeichnen. Es dient dann dazu, Wettbewerber mit niedrigerem Regulierungsniveau zu behindern oder dazu zu zwingen, das höhere Regulierungsniveau durch erhöhten Kosteneinsatz zu erreichen, wodurch sich das gesamte Steuer-Leistungspaket dieser Wettbewerber verschlechtert.

II. Wettbewerb als Problemlösungsmechanismus

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Von der Luftverunreinigung ist aber nicht nur die Gebietskörperschaft mit der laxen Umweltpolitik selbst betroffen, sondern im Extremfall müssen alle Gebietskörperschaften die Kosten tragen. Es wäre daher besser, den Wettbewerb mit dem Aktionsparameter Umweltgesetzgebung zu verhindern und nach einheitlichen, jurisdiktionsübergreifenden Lösungen zu suchen, die alle entstehenden Kosten im Entscheidungskalkül berücksichtigen. Das Beispiel der negativen Umweltexternalitäten läßt sich auch auf den Bereich des Unternehmensrechts übertragen,22 wenn beispielsweise lurisdiktionen im Wettbewerb um die Ansiedlung oder Inkorporation von Unternehmen segmentspezifisch Kosten und Risiken auf bestimmte Gruppen überwälzen, die sich nur schwer oder gar nicht durch eigene vertragliche Maßnahmen gegen eine solche Externalisierung schützen können. Ein prominentes Beispiel ist hierfür im Bereich von Übernahmen (Stichwort "tender offers") gegeben, wenn das Management eines Unternehmens über "rechtliche Werkzeuge" verfügt, die ihm ermöglichen, daß für Anleger oder bestimmte Gruppen von Anlegern rentierliche Übernahmeangebote ausgeschlagen werden können, so daß die Anleger einen Vermögensschaden erleiden. 23 Ein Wort der Vorsicht scheint an dieser Stelle jedoch angebracht. So einleuchtend und berechtigt die Argumentation mit externen Effekten im Einzelfall nämlich auch sein mag, so schwierig ist die Argumentation im allgemeinen, wenn sie als generelles Argument gegen Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften vorgebracht wird. Denn auch im Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften ist zwischen technologischen und pekuniären externen Effekten zu unterscheiden. Während technologische externe Effekte, wie sie im Umweltbereich auftreten, eindeutig einen Marktversagenstatbestand markieren, gilt dies nicht für pekuniäre externe Effekte. Ihr Auftreten ist geradezu eine Eigenschaft wettbewerblicher Systeme. Dies wird für den Wettbewerb auf Gütermärkten auch allgemein anerkannt. 24 Schwieriger stellt sich die Situation auf der Ebene von Gebietskörperschaften dar. Beispielsweise ist beim Thema internationaler Steuerwettbewerb und dessen Regulierung nicht immer klar, ob es sich bei den zu "bekämpfenden" steuerlichen Externalitäten nicht lediglich um die "normale" Eigenschaft eines

22 ,,[Es] können auch in diesen Bereichen vom Unternehmen negative externe Effekte auf Dritte ausgehen, ähnlich wie bei Umweltbelastungen" (Schäfer/Ou, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 3. Aufl., 2000, Berlin, S. 605). 23 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1996, Cambridge, S. 170 ff.; für einige weitere Beispiele siehe auch Schäfer/Ou, Lehrbuch ... , S. 605 ff.; sowie Tirole, Corporate Governance, in: Econometrica, 2001, Vol. 69, S. 1 ff. 24 Siehe zum Beispiel Vaubel, Coordination or Competition among National Macro-economic Policies, in: Machlup u. a. (Hrsg.), Reflections on a Troubled World Economy: Essays in Honor of Herbert Giersch, 1983, London, S. 10 ff.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Wettbewerbsprozesses handelt,25 in dem trivialerweise temporär auch statische Effizienzverluste auftreten können. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß externe Effekte eine Einschränkung des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften rechtfertigen können. Noch mehr als auf Gütermärkten ist hier jedoch eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, da externe Effekte immer auch Ausdruck eines funktionsfähigen Wettbewerbs sein können?6 b) lnformationsasymmetrien Während das Problem externer Effekte meist darauf beruht, daß Gebietskörperschaften, jeweils verstanden als ganzes Aggregat von Bürgern, Kosten und Nutzen auf eine andere Gebietskörperschaft externalisieren, stellt das Problem der Informationsasymmetrien auf die Beziehung zwischen Bürger und Gebietskörperschaft ab. Dabei wird angenommen, daß der Bürger, der vor der Wahl eines Steuer-Leistungsbündels steht, meist nicht die vollständige Information über die Qualität des Steuer-Leistungsbündels besitzt. Dadurch kann es zur Auswahl der falschen Steuer-Leistungspakete kommen. Ausgehend von diesem Befund ergeben sich zwei Argumentationslinien, die gegen das wettbewerbliche Angebot von Steuer-Leistungsbündeln vorgebracht werden können. Das erste Argument könnte als paternalistisch bezeichnet werden, es findet sich beispielsweise auch im deutschen Verbraucherschutzrecht und lautet allgemein formuliert: Wenn Bürger Schwierigkeiten bei der für sie richtigen Wahl von Leistungen haben, dann sei der Staat aufgefordert, sie bei der für sie richtigen Wahl zu unterstützen. Bezogen auf den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften heißt dies, daß die Wahlmöglichkeiten für Bürger und damit der Wettbewerb eingeschränkt werden können?7 25 Walter Müller, Was ist ..fairer" Steuerwettbewerb und welche Regeln braucht er?, in: Konjunkturpolitik, Bd. 44, S. 313 ff. 26 Eine allgemeine Einordnung des Extemalitätenproblems in die ökonomische Analyse des Rechts findet sich bei Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, Tübingen, S. 85 ff.; mit Bezug zum Systemwettbewerb siehe Hafner, Systemwettbewerb ... , S. 50 ff. Zu einer kritischen Reflexion des Extemalitätsproblems in der Ökonomik siehe insbesondere Dahlman, The Problem of Externality, in: Journal of Law and Economics, Vol. 22, 1979, S. 141 ff. 27 An dieser Stelle muß dahingestellt bleiben, ob sich Paternalismus konstitutionenökonomisch rekonstruieren läßt (siehe hierzu Kennedy, Distributive and Paternalist Motives in Contract and Tort Law, with Special Reference to Compulsory Terms and Unequal Bargaining Power, in: Maryland Law Review, 1982, Vol. 41, S. 563 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, Tübingen, S. 375 ff.; sowie New, Paternalism and Public Policy, in: Economics and Philosophy, Vol. 15,

11. Wettbewerb als Problemlösungsmechanismus

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Die andere Argumentationslinie betont die strategische Ausnutzung von Informationsasymmetrien durch Gebietskörperschaften. Danach könnten Gebietskörperschaften die Strategie verfolgen, an einer Ansiedlung interessierten Faktoren zunächst attraktive Leistungen anzubieten, nachdem durch spezifische Investitionen in den neuen Standort die Mobilität der "Neusiedler" aber abgenommen hat, wird das Steuer-Leistungsbündel verschlechtert (moral hazard). Dieses strategische Verhalten der Gebietskörperschaften, das sich ex post manifestiert, muß natürlich im Wettbewerbsprozeß nicht unentdeckt bleiben, die Aufhebung der Informationsasymmetrie führt aber nicht schon automatisch zu effizienten Standortentscheidungen. So ist bekannt, daß Unternehmen die Spezifität ihrer Standortinvestitionen verringern, wenn sie mit nachvertraglichem Opportunismus ihrer Gebietskörperschaft rechnen. Idealerweise werden sie daher versuchen, die Amortisationsdauer ihrer spezifischen Investitionen an die glaubwürdig gesicherte Frist des versprochenen Steuer-Leistungsbündels anzupassen. 28 Ein weiteres Problem kann durch adverse Selektion der Steuer-Leistungsbündel gegeben sein. Die Grundlogik dieses Arguments besteht darin, daß staatliche Regulierungen ihre ökonomische Begründung im Marktversagenstatbestand der Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Nachfragern im Sinne des Akerlofschen "lemons problem" haben können. 29 Wird nun Wettbewerb zwischen denjenigen Regulierungen eingeführt, die eigentlich das Problem der adversen Selektion lösen sollen, so wird befürchtet, daß das Problem adverser Selektion quasi durch die Hintertür wieder auftauche. 3D Im einzelnen wird argumentiert, daß Nachfrager bei bestimmten 1999, S. 63 ff.) und sich damit möglicherweise eine wettbewerbskonforme Eingriffsmöglichkeit in den interjurisdiktionellen Wettbewerb ergibt. Die Originalität dieses Ansatzes sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, daß es im praktischen Einzelfall nahezu unmöglich sein dürfte, einen legitimierten (Selbst-)Paternalismus von einem beispielsweise durch Rent-Seeking verursachten zu trennen (siehe hierzu die Diskussionsbeiträge von Calcott, New on Paternalism, in: Economics and Philosophy, Vol. 16, 2000, S. 315 ff.; sowie Leonard/Goldjarb/Suranovic, New on Paternalism and Public Policy, in: Economics and Philosophy, Vol. 16, 2000, S. 323 ff.). 28 Einen empirischen Überblick zum Investitionsverhalten von Industrien im Zusammenhang mit sogenannten "tax holidays", also der Gewährung von befristeten Steuernachlässen für die Ansiedlung von Industrien, gibt Bond, Tax Holidays and Industry Behavior, in: The Review of Economics and Statistics, Vol. 63, 2000, S. 88 ff. Aus stärker rechts wissenschaftlicher Sicht siehe hierzu Avi-Yonah, Globalization, Tax Competition, and the Fiscal Crisis of the Welfare State, in: Harvard Law Review, Vol. 113, 2000, S. 1573 ff. 29 Akerlof, The Market for "Lemons": Qualitative Uncertainty and the Market Mechanism, in: Quarterly Journal of Economics, Vol. 84, 1970, S. 488 ff. 30 Hans- Wemer Sinn, The Limits to Competition Between Economic Regimes, in: Empirica, Vol. 17, 1990, S. 31 ff.; derselbe, The Selection Principle and Market Failure in Systems Competition, in: Journal of Public Economics, Vol. 88, 1997, S. 247 ff.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Produkten die Qualität nicht vor dem Kauf feststellen könnten und deshalb zu einer Durchschnittsbewertung eines Produkts über verschiedene Anbieter hinweg übergingen. Die Folge davon sei, daß Anbieter überdurchschnittlicher Qualitäten ihr Produkt zu dem von den Nachfragern gebotenen Durchschnittspreis nicht mehr anböten, während Anbieter unterdurchschnittlicher Qualitäten zum Durchschnittspreis ihre Produkte selbstverständlich absetzen würden. Bezogen auf einen Regulierungswettbewerb, in dem für Jurisdiktionen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung der Regulierungsstandards gilt (zum Beispiel Cassis-de-Dijon Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes), bedeutet das, daß Jurisdiktionen durch eine Lockerung der Regulierungsstandards für die nach ihren Regulierungen tätigen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erlangen könnten, weil die uninformierten Verbraucher im gesamten Gebiet der gegenseitigen Anerkennung nur einen Durchschnittspreis zu bezahlen bereit sind und damit genau diejenigen Unternehmen einen Gewinn erzielen können, die einem Regulierungsstandard folgen, der für Unternehmen eine Reduktion der Produktionskosten bedeutet. Eine solche Produktionskostensenkung muß zwar nicht in jedem Falle durch eine Verringerung der Qualitätsstandards induziert sein, sie ist aber sicherlich eine bequeme Option für Jurisdiktionen. Da Nachfrager freilich feststellen werden, daß die zum Durchschnittspreis erworbenen Produkte keineswegs der durchschnittlich antizipierten Qualität entsprechen, werden sie beim nächsten Kauf ihr durchschnittliches Anspruchsniveau an die zu erwerbenden Produkte senken bei gleichzeitiger Reduktion der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft. Will eine Jurisdiktion nach dieser Anpassung des Informationsstandes der Nachfrager ein erfolgreicher Anbieter von Regulierungen an Unternehmen bleiben, wird sie überlegen müssen, ob sie nicht die Regulierungsstandards weiter lockert, um den Unternehmen, die nach ihren Regulierungsstandards produzieren, auf dem mit den anderen Jurisdiktionen integrierten Markt einen Vorteil zu verschaffen. Spinnt man diesen Vorgang nun weiter in die Zukunft, wird leicht vorstellbar, daß die Gefahr besteht, daß die sich im Regulierungswettbewerb befindlichen Jurisdiktionen mit der Zeit ihr Regulierungsniveau immer weiter unter das eigentlich erforderliche absenken. 3 ) Auch wenn es empirisch unwahrscheinlich sein mag, daß am Ende eines solchen Regulierungswettbewerbsprozesses die Null-Regulierung steht, würde dennoch zu befürchten stehen, daß ein insgesamt suboptimales Regulierungsniveau resultiert. Die Eröffnung von Regulierungswettbewerb würde somit nicht zu einem Anreiz zur Verbesserung von Regulierungen beitragen, sondern im Gegenteil zu deren Verschlechterung. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, daß es zur Lösung des Problems von Informationsasymmetrien eine Reihe von Lösungsmechanismen 31

Hans- Wemer Sinn, The Selection Principle ... , S. 264 ff.

11. Wettbewerb als Problemlösungsmechanismus

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jenseits der Harrnonisierung von Regulierungen gibt. Zum Beispiel spielt die glaubwürdige Selbstbindung von Gebietskörperschaften an ihre Leistungsversprechen eine bedeutsame Rolle. Indem nämlich lurisdiktionen glaubwürdig signalisieren können, daß sie Regulierungen einer bestimmten Qualität anbieten, können sie einen Unterbietungswettlauf ("race to the bottom") verhindern. Diese Selbstbindung von lurisdiktionen an ihre Leistungsversprechen kann, wie wir noch sehen werden, selbst Teil des angebotenen Steuer-Leistungsbündels sein und einen entsprechenden Steuerpreis erzeugen. c) "Race to the bottom" im Bereich der Besteuerung

Ein weiteres Problem, das im Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften auftreten kann, ist das Problem eines Unterbietungswettlaufs im Bereich der Besteuerung. Es beschreibt einen Wettbewerbsprozeß, bei dem Gebietskörperschaften beim Versuch der Ansiedlung mobiler Produktionsfaktoren in einen Unterbietungswettlauf geraten, indem sie immer weiter die Steuern für mobile Faktoren senken. Am Ende dieses Prozesses könnte, so wird befürchtet, eine verzerrte Steuerstruktur stehen, in der nur noch immobile Produktionsfaktoren besteuert würden. 32 Auslöser dieses Wettbewerbs nach unten ist eine Gefangenendilemma-Situation, in der sich die Gebietskörperschaften befinden können. Eine marginale Senkung der Steuersätze für mobile Faktoren unter das Niveau der Wettbewerber erlaubt nämlich die Anziehung eines Großteils der mobilen Faktoren. Da dies von allen Gebietskörperschaften gleichermaßen perzipiert wird, besteht die Gefahr, daß sie sich letztlich auf eine Null-Steuer für mobile Faktoren herunterkonkurrieren. Diese Verzerrung der Steuerstruktur stellt letztlich alle Faktoren schlechter, weil nicht mehr die Menge und Struktur an Steuer-Leistungsbündeln angeboten werden kann, die von den mobilen und immobilen Faktoren eigentlich gewünscht wird. Häufig wird die Problematik des steuerlichen Unterbietungswettlaufs auch mit dem Zusammenbrechen des (optimal) umverteilenden Wohlfahrtsstaates in Zusammenhang gebracht. 33 Ob es sich jedoch tatsächlich um ei32 Eine ausführliche Darstellung des möglichen Problems eines Steuerwettlaufs "nach unten" am Beispiel der Frage der Steuerharmonisierung in der Europäischen Union geben BrattonlMcCahery, Tax Coordination and Tax Competition in the European Union: Evaluating the Code of Conduct on Business Taxation, in: Common Market Law Review, Vol. 38, S. 677 ff. Bei ihnen findet sich auch eine Vielzahl weiterer Literaturhinweise. Siehe auch Feld, Steuerwettbewerb und seine Auswirkungen auf Allokation und Distribution, 2000, Tübingen, der die Problematik des Steuerwettbewerbs anhand des Beispiels der Schweiz analysiert. 33 Hans- Werner Sinn, The Limits to Competition ... ; derselbe, The Selection Principle ... , S. 263.

4 Heine

B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

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nen Zusammenbruch des Wohlfahrtsstaates handelt oder vielmehr um eine Begrenzung des Wohlfahrtsstaates auf ein von den Bürgern gewünschtes Niveau ist letztlich eine Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Deshalb soll hier nur kurz Vaubels Einschätzung des Problems wiedergegeben werden, die unseres Erachtens aber die Problematik recht gut zusammenfaßt: "Wenn die staatliche Umverteilung - vom Status quo ausgehend stärker dezentralisiert wird, etwa um den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Länder besser Rechnung zu tragen, dann engt der schärfere institutionelle Wettbewerb ceteris paribus Umverteilungsspielräume ein. Ob man diesen Effekt positiv oder negativ bewertet, hängt davon ab, ob man das derzeitige Maß der staatlichen Umverteilung für unzureichend, gerade richtig oder überzogen hält. ,,34 Insgesamt macht die "race to the bottom"-Problematik im Bereich der Besteuerung nochmals auf den nicht ausschließbaren Fall aufmerksam, daß zwar ein Wettbewerbsprozeß zwischen Gebietskörperschaften in Gang kommen kann, in diesem Prozeß aber keineswegs nur systematische Verbesserungen der Steuer-Leistungspakete stattfinden müssen, sondern ebenfalls systematische Verschlechterungen möglich sind.

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften Ziel der vorangegangenen Punkte war nicht, alle möglichen Vor- und Nachteile eines Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften aufzuzählen, sondern überhaupt zu zeigen, daß ein interjurisdiktioneller Wettbewerb ein Instrument sein kann, staatliches Handeln an den Bürgerwillen zu binden und die Entwicklung innovativer Steuer-Leistungsbündel zu befördern. Allerdings wurde auch deutlich, daß es zu ernst zu nehmenden Problemen in diesem Wettbewerbsprozeß kommen kann, weswegen ein Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften nicht voraussetzungslos funktioniert. Vielmehr bedarf auch der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften einer Wettbewerbsordnung analog einer Wettbewerbsordnung auf Gütermärkten. 35 Wie ein solches Wettbewerbsordnungsregime für den Systemwettbewerb im einzelnen zu gestalten wäre, ist jedoch eine Frage, die bislang höchstens ansatzweise geklärt ist. 36 Ein Beispiel soll dies noch etwas deutlicher machen. 34

Vaubel, Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, in: Ordo,

Bd. 51, S. 488 ff.

Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... Ein weiteres Problem, das ebenfalls bislang höchstens in Ansätzen geklärt ist, ist das Implementationsproblem einer supranationalen Weubewerbsordnung, also das Problem, daß Institutionen und Regeln gefunden werden müssen, die sicherstellen, daß die Regeln der Wettbewerbsordnung auch eingehalten werden. Im Zusammen35

36

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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Mit Bezug auf eine Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften kann gefragt werden, ob die Gewährung von staatlichen Beihilfen für Industrieansiedlungen ein wettbewerbsverzerrendes Instrument ist und deshalb, wie im EG-Vertrag geschehen, verboten werden sollte. 37 Staatliche Beihilfen könnten aber auch als eine besondere Form der Steuerpreisdifferenzierung begriffen werden, durch die es zu einer industriellen Kapazitätsausweitung und einer Erschließung von zusätzlicher Produzenten- und Konsumentenrente kommt und deshalb im wesentlichen zuzulassen seien. 38 Freilich wird es ebenso Tatbestände und Handlungsweisen geben, die den interjurisdiktionellen Wettbewerb behindern und die Wohlfahrt der lurisdiktionen insgesamt schmälern können. Das Beispiel macht deshalb deutlich, daß so einleuchtend der Gedanke einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb von Gebietskörperschaften auch ist, bislang kaum gesicherte Erkenntnisse vorliegen, welche Handlungen im interjurisdiktionellen Wettbewerb eher die Wohlfahrt erhöhen und welche nicht. Aufgrund des Mangels an gesicherten Erkenntnissen über interjurisdiktionelle Wettbewerbsprozesse und deren zweckmäßigste Ordnung ist es für die noch folgenden Überlegungen daher sinnvoll, an dieser Stelle nur eine Strukturierung des Problems einer interjurisdiktionellen Wettbewerbsordnung VOrZUnehmen. Strukturiert man den inteIjurisdiktionellen Wettbewerbsprozeß in einer ersten Annäherung mit Hilfe des Begriffspaares "Parallelprozeß" und "Austauschprozeß" und abstrahiert man von spezifischen Einzelproblemen, kann man zwei ordnungsbedürftige Problemkategorien unterscheiden. 39 Im Aushang mit der Untersuchung der Entry/Exit-Ordnung und des Kollisionsrechts werden wir auf dieses Problem zurückkommen. 37 Kerber, Die EU-Beihilfenkontrolle ... 38 Zu einer globalen Perspektive dieser Thematik siehe den umfassenden Beitrag von Avi-Yonah, Globalization ... 39 Eine Strukturierung der Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb in die Kategorien Austausch- und Parallelprozeß findet sich auch bei Mussler, Die Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, 1998, Baden-Baden, S. 74 ff. Mussler fokussiert dabei auf die Freiheitssicherung von Individuen gegenüber einem Leviathan-Staat. Um diesen zu zähmen, fordert er eine supranationale Agentur, die die freiheitssichernden Wettbewerbsregeln gegen die Staaten durchsetzen soll. Unseres Erachtens sind die Überlegungen von Mussler zweifellos richtig, aber zu voraussetzungsvoll. Er geht nämlich davon aus, daß es einen objektiv "richtigen", Zeit und Raum unabhängigen Regelsatz für die Meta-Wettbewerbsordnung gibt, der dann nur noch gegen das Rent-Seeking von lurisdiktionen verteidigt werden müßte. Tatsächlich mag es aber ganz unterschiedliche theoretische Auffassungen darüber geben, was eine Wettbewerbsbeschränkung ist, wie zum Beispiel die Auseinandersetzung zwischen der Harvard- und der Chicago-Schule in den Vereinigten Staaten zeigt oder die Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse in Deutschland. Es spricht daher viel dafür, Metaordnungen zunächst möglichst "inhaltsleer" zu konzipieren und nur behutsam inhaltlich aufzuladen (siehe zum Theorieauswahl4"

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

tauschprozeß, der sich auf das Verhältnis von Bürger (Nachfrager) und Staat (Anbieter) bezieht, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Bürger, beziehungsweise unter deren Kontrolle stehende Produktionsfaktoren, ihre Jurisdiktion wechseln können, ohne daß es zu Beeinträchtigungen des Wettbewerbs kommt. Das ist im Standortwettbewerb im wesentlichen die Frage nach der Gestaltung einer geeigneten Entry/Exit-Ordnung für Produktionsfaktoren. Ganz plastisch wäre es beispielsweise vorstellbar, daß ein Markt für Staatbürgerschaften geschaffen wird, auf dem Bürger ihre Staatsbürgerschaften handeln können und damit in einem bestimmten Staat ein Niederlassungsrecht erwerben, mit dem der Anschluß an das jeweilige lokale Steuer-Leistungsbündel verbunden ist. 4o Wird nicht nur die Mobilität von Faktoren im Standortwettbewerb ermöglicht, sondern werden auch Regulierungen wechselseitig anerkannt, dann bedarf es im Regulierungswettbewerb zusätzlich noch einer Ordnung für die Rechtswahl, in der festgelegt wird, in welchem Ausmaß fremdes Recht im Inland gewählt werden darf. Die Notwendigkeit einer solchen Ordnung leuchtet unmittelbar ein, wenn man bedenkt, daß zwischen den "fremden" und den nationalen Regulierungen Kompatibilität hergestellt werden muß, um Störungen in den parallel benutzten Rechtssystemen zu vermeiden. Im Parallelprozeß, also dem wettbewerb lichen Verhältnis der Anbieter untereinander, wird die Frage aufgeworfen, welche Aktionsparameter in welchem Ausmaße von den Jurisdiktionen eingesetzt werden dürfen. Denn jede Veränderung des Regulierungsangebots kann zu Kompatibilitätsproblemen zwischen parallel benutzten Rechtssystemen führen. Mit anderen Worten, welche wettbewerblich induzierten Rechtsänderungen und Änderungen im Leistungsangebot durch einzelne Jurisdiktionen sind gesamtwohlfahrtsfördernd und welche nicht? Über die passende Antwort für diese Frage herrscht allerdings weitgehende Uneinigkeit, da über die wettbewerblichen Wirkungen einzelner Aktionsparameter ganz unterschiedliche theoretische Meinungen existieren, wie das obige Beispiel staatlicher Beihilfen bereits anzudeuten versuchte. Bislang gibt es auch nur wenige empirische Untersuchungen über konkrete Wettbewerbsprozesse zwischen Gebietskörperschaften, die dieses theoretische Problem lösen helfen könnten. 41 Um im folgenden die kategorialen Einordnungen nicht ausufern zu lassen, sondern problembezogen handhabbar zu belassen, soll an dieser Stelle problem aus konstitutionenökonomischer Sicht Vanberg/Buchanan, Interests and Theories ... ). 40 Tullock, Trading Citizenship, in: Kyklos, Vol. 50, 1997, S. 251 ff. 41 Wegner, Systemwettbewerb als politisches Kommunikations- und Wahlhandlungsproblem, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 17, 1998, S. 281 ff.; Taylor, The Evidence on Govemment Competition, in: Federal Reserve Bank of Dallas Economic and Financial Review, Quarter 2, 2000, S. 2 ff.

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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eine Vertiefung der angesprochenen Fragen nur in zwei Richtungen vorgenommen werden: Mit besonderem Blick auf die Entry/Exit-Entscheidungen VOn Produktionsfaktoren im Standortwettbewerb soll zunächst kurz die Notwendigkeit einer Entry/Exit-Ordnung thematisiert werden. Schwerpunktmäßig und mit besonderem Blick auf den Regulierungswettbewerb soll dann das Kollisionsrecht mit seiner komplexen Problemlösungsstruktur als mögliche Metaordnung angesprochen werden. Da es sich hierbei um Forschungsfelder handelt, die in der ökonomischen Analyse des Rechts zu den schwierigsten überhaupt zählen, sollten die folgenden Ausführungen eher als Aufforderung zu weiterer Forschung auf diesen Gebieten verstanden werden anstatt bereits als eine Lösung der Ordnungsprobleme des interjurisdiktionellen Wettbewerbs. 1. Entry/Exit-Regeln als Bestandteil der Metaordnung

Die Entry/Exit-Ordnung einer Gebietskörperschaft bestimmt, unter welchen Bedingungen ein Faktor an das Steuer-Leistungsbündel einer Jurisdiktion angeschlossen wird oder den Anschluß beenden kann. 42 Die Entryl Exit-Ordnung legt damit fest, unter welchen Bedingungen welche Handlungsrechte wanderungswilligen Faktoren zugeordnet werden. Beispielsweise schränken Kapitalmarktkontrollen das Eigentumsrecht an Finanzkapital ein, was zu einer Verringerung der Allokationseffizienz des Finanzkapitals führen kann. Andererseits kann das Recht auf Freizügigkeit VOn Personen, die von der öffentlichen Schuldaufnahme eines Staates durch ein erhöhtes Leistungsspektrum profitiert haben, zu ernsten Problemen im Staatshaushalt führen, wenn diese Personen ohne entsprechende Gegenleistungen erbracht zu haben, in eine andere Jurisdiktion überwechseln können. 43 In der Entry/Exit-Ordnung einer Gebietskörperschaft müssen also die Property Rights ideal erweise derart spezifiziert werden, daß bei einem 42 Epstein, Exit Rights ... Der erste systematische Versuch, die öffentliche LeistungsersteIIung mit der Entry/Exit-Problematik zu verbinden, findet sich in der Clubtheorie (Buchanan, An Economic Theory of Clubs, in: Economica, Vol. 32, 1965, S. 1 ff.). Buchanan vergleicht in dieser Theorie die Partizipation an öffentlichen Leistungen und das Entrichten von Steuern hierfür mit einer Clubmitgliedschaft. Aus einer Clubmitgliedschaft folgt die Zustimmung zur Clubsatzung und daraus der Empfang von Leistungen und das Entrichten von Clubbeiträgen. Zur Entwicklung der Clubtheorie siehe insbesondere SandlerlTschirhart, The Economic Theory of Clubs: An Evaluative Survey, in: Journal of Economic Literature, Vol. 18, 1980, S. 1481 ff.; sowie McNutt, Public Goods and Club Goods, in: De GeestlBoukkaert (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Economics, Vol. 1, 2000, Cheltenham, S. 927 ff. 43 VanberglBuchanan, Organization Theory and Fiscal Economics: Society, State, and Public Debt, in: Journal of Law, Economics, and Organization, Vol. 2, 1986, S. 215 ff.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Jurisdiktionswechsel von Faktoren ein ausgeglichenes Konto von Beiträgen und Leistungen realisiert wird. Dabei ist jedoch nicht auszuschließen, daß es zu Konflikten zwischen Gebietskörperschaften kommt, weil die Zuordnung von Handlungsrechten auf Faktoren von Jurisdiktionen unterschiedlich vorgenommen werden kann. Für Konfliktfälle im Bereich der Entry/Exit-Ordnungen von Jurisdiktionen mag es daher sinnvoll sein, eine Metaordnung zu schaffen, die prozedurale Mechanismen bereitstellt, um Property Rights einzelnen Faktoren eindeutig zuzuordnen. Ein mögliches prozedurales Merkmal der Metaordnung tritt dabei besonders in den Vordergrund. Zur effektiven Durchsetzung der Handlungsrechte und der Bindung der Gebietskörperschaften an die Regeln der Metaordnung ist es nämlich entscheidend, ob Bürger die Möglichkeit haben, die Durchsetzung der Metaregeln einzuklagen. 44 Auf diese Weise erhalten Bürger das Recht auf Erfüllung und Einhaltung der supranational vereinbarten Regeln zur Zuordnung von Property Rights. Eine nicht nur theoretisch interessante Frage ist in diesem Zusammenhang, welches Forum45 von den Bürgern zur Einklagung ihrer Rechte gewählt werden darf. Zunächst ist hierbei sicherlich daran zu denken, daß in Fällen der Behinderung des "Exit" die aktuelle Jurisdiktion das geeignete Forum ist, während bei einer Behinderung des "Entry" die prospektive Jurisdiktion als das geeignete Forum erscheint. Ein weiterer Fall, der es notwendig machen könnte, ein anderes Forum als die eigene Jurisdiktion zu wählen, sind negative externe Effekte, deren Verursachung in einer anderen Jurisdiktion liegt. In diesem Fall ist man nämlich ungewollt "Zwangsmitglied" einer Jurisdiktion, die die Eigentumsrechte in anderen Jurisdiktionen entwertet. 46

44 Turnlir, International Economic Order and Democratic Constitutionalism, in: Ordo, Bd. 34, 1983, S. 71 ff.; derselbe, Strong and Weak Elements in the Concept of European Integration, in: Machlup u. a. (Hrsg.), Reflections on a Troubled World Economy: Essays in Honor of Herbert Giersch, 1983, London, S. 29 ff.; Hauser! Moser!Schrnid, Stärkung wirtschaftlicher Grundrechte über internationale Handeisregeln, in: Buhofer (Hrsg.), Liberalismus als Verjüngungskur, 1987, Zürich, S. 173 ff. 45 Unter Forum wird allgemein der Ort verstanden, an dem Personen prozessieren. So ist es beispielsweise möglich, daß zwei Transaktionspartner aus unterschiedlichen Jurisdiktionen eine dritte Jurisdiktion als Ort wählen für den Fall, daß nachvertragliche Probleme auftauchen. Eine Forumwahl besteht beispielsweise auch, wenn die Anrufung eines bestimmten Schiedsgerichts zur Streitbeilegung vereinbart wird. 46 Siehe ausführlich zur Entry/Exit-Problematik Epstein, Exit Rights ...

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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2. Kollisionsrecht als Bestandteil der Metaordnung

In einem zunächst ganz allgemeinen Sinne, ohne Bezug auf eine bestimmte juristische Definition, kann man unter Kollisionsrecht diejenigen Regeln verstehen, die darüber entscheiden, welches Recht bei einer Transaktion mit interjurisdiktionellern Bezug Anwendung finden sollte. 47 Kollisionsrechtliche Probleme können immer dann auftauchen, wenn einzelne Personen oder Unternehmen, die eine gemeinsame Transaktion durchführen, unterschiedlichen Jurisdiktionen angehören. Ein typisches Beispiel sind internationale Kaufverträge, bei denen Käufer und Verkäufer aus unterschiedlichen Jurisdiktionen stammen. Soll nun bei Leistungsstörungen das Recht der Jurisdiktion des Verkäufers oder Käufers zum Einsatz gelangen? Normativ-prozedural geht es also um die Frage, welche Gebietskörperschaft bei interjurisdiktionellen Transaktionen ihr Recht durchsetzen dürfen sollte. Kollisionsnormen bestimmen insofern die rechtlichen Grenzen einer Jurisdiktion unabhängig vom Staatsgebiet. 48 Man könnte auch sagen, daß Kollisionsnormen den Rahmen abstecken, innerhalb dessen Rechtswahlfreiheit gewährt wird. Damit wird klar, daß Kollisionsnormen ein hervorragendes Instrument zur Schaffung einer Metaordnung im Regulierungswettbewerb im allgemeinen und im Gesellschaftsrecht im besonderen darstellen können. Im folgenden werden zwei Herangehensweisen skizziert, die die Komplexität dieser Thematik an der Schnittstelle von Recht und Ökonomie etwas grundsätzlicher verdeutlichen sollen. Ziel der beiden folgenden Abschnitte ist es, deutlich zu machen, daß Kollisionsrecht eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung einer Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen spielen kann. 49 Das Verhältnis der beiden zu skizzierenden kollisionsrechtlichen Herangehensweisen sollte dabei nicht als konkurrierend interpretiert werden, sondern vielmehr als komplementär, weil unterschiedliche Aspekte kollisionsrechtlicher Probleme in den Ansätzen verschieden gewichtet werden.

47 Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze und Doktrinen im Kollisionsrecht geben die Beiträge in Martin, Perspectives on Conflict of Laws: Choice of Law, 1980, Boston. Einen ersten Eindruck zur Bedeutung des Kollisionsrechts in Hinblick auf den Regulierungswettbewerb vermittelt Garcimartin, Regulatory Competition: A Private International Law Approach, in: European Journal of Law and Economics, Vol. 8, 1999, S. 251 ff. 48 Kramer, On the Need for a Uniform Choice of Law Code, in: Michigan Law Review, Vol. 89, 1991, S. 2136. 49 Siehe hierzu auch Schmidt-Trenz, Außenhandel und Territorialität des Rechts, 1990, Baden-Baden, insbesondere S. 288 ff., der das Kollisionsrecht im Rahmen des Außenhandels aus einer transaktionskostentheoretischen Perspektive betrachtet.

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Mit der Diskussion der kollisionsrechtlichen Regime vom Typ I und 11 wird jedoch nicht nur der Zweck verfolgt, die Bedeutung des Kollisionsrechts als Ordnungsinstrument herauszustellen, sondern auch bewußt zu machen, daß es hier wohl kaum den Ansatz zur Lösung kollisionsrechtlicher Probleme gibt, sondern daß sehr behutsam vor dem Hintergrund eines spezifischen Problems argumentiert werden muß. 50 a) Kollisionsrechtliche Regime vom Typ I

Aus konstitutionenökonomischer Sicht gibt es auf den ersten Blick einen einfachen Lösungsvorschlag für kollisionsrechtliche Probleme: Die Aufgabe ist es, ein supranationales Regelwerk zu schaffen, das für bestimmte Konfliktfälle verbindliche rechtliche Lösungsroutinen bereithält. Rechtliche Legitimation und Übereinstimmung mit dem wohlfahrtsökonomischen ParetoKriterium erhält dieses Regelwerk, wenn es von Jurisdiktionen einstimmig akzeptiert wird, weil dann sichergestellt ist, daß sich Jurisdiktionen bei der Exekution der gemeinsamen Kollisionsnormen "verbessern" oder zumindest nicht schlechter gestellt werden. Ob dieser auf dem Konsenskriterium aufbauende vertragstheoretische Ansatz empirisch zu verstehen ist oder als hypothetisches Konstrukt einen Leitfaden für politische Reformvorhaben abgeben kann,51 ist unseres Erachtens für kollisionsrechtliche Fragestellungen nur von untergeordneter Bedeutung. Interessanter ist es, sich die Struktur eines solcherart generierten Kollisionsrechts unter dem Aspekt des Tausches genauer anzusehen. 52 50 Guzman beschreibt die gegenwärtige wissenschaftliche Situation im Bereich des Kollisionsrechts folgendermaßen: "Choice of law scholarship has reaped very little benefit from the insights of law and economics, and has a great deal to learn from the regulatory competition literature. Scholars interested in regulatory competition, in turn, can benefit from a more contextual understanding of the questions that arise in international transactions - questions that have long been present in the choice of law literature" (Guzman, Choice of Law Lessons: With Implications for Regulatory Competition, Working Paper, 1999, University of California at Berke1ey School of Law, S. 2). Fast etwas entmutigend äußert sich Thiel: "The choice of law problem has received little attention from law-and-economics scholars. The difficulty is that there is little that can be said at the level of generality at which theoreticians are most familiar, without a hypothetical structure that renders the result intensely case-specific" (Thiel, Choice of Law and the Horne-Court Advantage: Evidence, in: American Law and Economics Review, Vol. 2, 2000, S. 296). Einen Überblick über die Theorie und die Probleme des Kollisionsrechts geben auch O'HaraIRibstein, Conflict of Laws and Choice of Law, in: De GeestlBouckaert (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Economics, Vol. 1,2000, Cheltenham, S. 631 ff.; dieselben, From Politics to Efficiency in Choice of Law, in: Chicago Law Review, Vol. 67, 2000, S. 1151 ff. 51 HomannlSuchanek, Ökonomik: Eine Einführung, 2000, Tübingen; Kirchner, Ethische Aspekte ... ; Christian Müller, Das vertragstheoretische Argument ...

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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Die Einwilligung in ein supranationales Kollisionsrecht kann als Tausch "gleicher Rechte" gedeutet werden. Das heißt, Jurisdiktionen nehmen für bestimmte Bedingungskonstellationen eine Einschränkung ihrer nationalen Rechtsdurchsetzung hin, wenn bei reziproken Fällen die anderen Jurisdiktionen ebenfalls ihre Rechtsdurchsetzung einschränken. Es werden also prozedurale Regeln aufgestellt, die in Konfliktfällen auf das anwendbare Recht in einer Transaktion verweisen. Damit findet eine Einigung auf eine supranationale kollisionsrechtliche Regel immer gen au dann statt, wenn Jurisdiktionen damit rechnen, zukünftig sowohl einmal "Rechtsdurchsetzer" als auch "Rechtsempfänger" zu sein und damit langfristig die eigene Wohlfahrt zu erhöhen. Die Frage ist nun nicht, ob sich auf diese Weise theoretisch ein supranationales Kollisionsrecht rekonstruieren ließe, die Frage ist unseres Erachtens vielmehr, welche Reichweite dieser Ansatz hat, um konkrete kollisionsrechtliche Probleme einzufangen. 53 Ein Merkmal dieses Ansatzes ist, daß für das Zustandekommen einer supranationalen Vereinbarung wenigstens zwei Jurisdiktionen benötigt werden, die reziproke Vorteile aus einer bestimmten Konfliktlösung erwarten. Aus dieser Kongruenzbedingung folgt, daß eine Einigung auf ein vollständiges, alle denkbaren kollisionsrechtlichen Probleme umfassendes, supranationales Kollisionsrecht dann zustande käme, wenn sich alle Jurisdiktionen einstimmig darauf einigten. Wird diese Annahme hingegen gelockert, ergibt sich als Konsequenz eine Föderalisierung des Kollisionsrechts. Auf einheitliche zentrale Regeln wird man sich nämlich bei heterogenen Präferenzen, unterschiedlichen Theorien zur Wirkung rechtlicher Regeln und unterschiedlicher Ausgangsverteilung nur in wenigen sehr allgemein gehaltenen Problemfeldem einigen können. Je spezifischer die Vereinbarungen werden, desto mehr nimmt daher der mögliche Zentralisierungsgrad von Kollisionsnormen ab. 54 Im Extremfall werden bilaterale kollisionsrechtliche Regeln erforderlich. Während sich hiermit ein starkes Argument für die Föderalisierung von Recht ergibt, können kollisionsrechtliche Probleme damit aber nicht mehr vollständig aufgelöst wer52 Zur Verbindung von ökonomischer Verfassungstheorie und internationalen Handelsregeln siehe den Beitrag von Hauser u. a., Der Beitrag von Jan Tumlir zur Entwicklung einer ökonomischen Verfassungstheorie internationaler Handelsregeln, in: Ordo, Bd. 39, S. 219 ff., der gewisse Parallein zu unserer Diskussion aufweist, auch wenn er nicht auf Regulierungswettbewerb im engeren Sinne abstellt. 53 Zur Idee eines solchen "Constitutional ,superlaw'" und seiner Kritik siehe ScoleslHay, Conflict of Laws, 2. Aufl., 1992, St. Paul, S. 20. 54 Siehe hierzu mit Beispielen zum Völkerrecht und Staatsverträgen mit Bezug zum Internationalen Privatrecht Kroppholler, Internationales Privatrecht ... , S. 49 ff.); zur Theorie der Föderalisierung des Rechts siehe allgemein Brattonl McCahery, The New Economics of Jurisdictional Cornpetition ... ; Kübler, Rechtsbildung durch Gesetzgebungswettbewerb, in: Kritische Vierte\jahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Bd. 77, 1994, S. 79 ff.; und Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ...

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

den. Denn durch die Fragmentierung des Kollisionsrechts entstehen Systemlücken für die Fälle, in denen Transaktionen durchgeführt werden, die nicht föderalisiert sind. Mit anderen Worten, es kann von einzelnen Wirtschaftssubjekten gewünschte Transaktionen geben, die auf kollektiver Ebene supranational nicht kollisionsrechtlich erfaßt sind, weil dies jurisdiktionsintern in einer der beteiligten Jurisdiktionen nicht konsensfähig ist. Damit bleibt festzuhalten, daß mit Hilfe des hier skizzierten Ansatzes gute Argumente für die Föderalisierung von Recht gegeben werden können, dabei können jedoch systematische Lücken in der supranationalen Kollisionsordnung für den Fall auftreten, daß Transaktionen außerhalb der Grenzen der supranationalen Kollisionsrechtsordnung durchgeführt werden sollen. b) Kollisionsrechtliche Regime vom Typ II

Mit Hilfe einheitlicher prozeduraler Regeln des Kollisionsrechts kann zweifellos ein Teil des Rechts föderalisiert werden und Regulierungswettbewerb in Gang gesetzt werden. Systemlücken werden aber bestehen bleiben, und es mag außerdem immer wieder der Fall eintreten, daß Konflikte zwischen Jurisdiktionen hinsichtlich der Interpretation, Anerkennung und Durchsetzung fremden Rechts auftreten. "In some commercial contexts, the parties include choice of law or choice of forum clauses. This alternative is unavailable in nonconsensual transactions, however, and even in contract cases it helps only if courts enforce the clauses - a choice of law question on which states differ.,,55 Eine naheliegende Regel, die das von Kramer beschriebene Problem lösen könnte, ist bei der Untersuchung der kollisionsrechtlichen Regime vom Typ I nicht betrachtet worden. Dies liegt daran, daß sie unseres Erachtens den Übergang zu einer nicht prozeduralen Lösung von Kollisionsproblemen darstellt. Die nicht betrachtete Regel ist der Verweis auf eine höhere Lösungsroutine zur Konfliktauflösung. Für unvorhergesehene Konfliktfälle könnte die Rechtsetzungskompetenz den Jurisdiktionen in einer bestimmten Art und Weise zugewiesen werden. Allerdings besteht hier das praktische Problem, daß es zweifelhaft ist, ob sich ein derart lückenloses prozedurales Kollisionsrecht auf der Metaebene überhaupt verankern ließe, wenn man realistischerweise davon ausgeht, daß die Zukunft mit ihren möglichen Problemen offen ist und Jurisdiktionen kaum die Katze im Sack kaufen wollen. Hinzu kommt das theoretische Problem, daß echte Konflikte gar nicht mehr auftreten könnten, weil die kollisionsrechtliche Lösung immer schon im vorhinein programmiert wäre. Gerade darauf werden sich aber Jurisdiktionen nicht einlassen, wenn sie ihre nationale Rechtsdurchsetzung in be55

Kramer, On the Need ... , S. 2137.

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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stimmten Fällen zukünftig wahren wollen. Kramer, einer der führenden amerikanischen Kollisionsrechtier, faßt das kollisionsrechtliche Problem daher folgendermaßen zusammen: "True conflicts present competing but equally legitimate vers ions of what is just in a particular case, and each state - by definition - has an equal claim to have its law applied, its policy implemented, and its version of the just result vindicated ...56 Denkbar wäre allerdings für "true conflicts" der Verweis auf ein Schiedsgericht, das in Konfliktfällen eine Einzelfallentscheidung trifft, an die sich die von dem Urteil betroffenen lurisdiktionen halten. Damit ist aber die viel grundsätzlichere Frage verbunden, ob kollisionsrechtliche Probleme nicht generell als spezifische Einzelfälle behandelt werden sollten. 57 Die Metaregel zur Lösung von kollisionsrechtlichen Problemen in der Wettbewerbsordnung für Gebietskörperschaften wäre dann einfach, daß ein Schiedsgericht angerufen wird. Nach welchen Prinzipien sollte ein solches Schiedsgericht jedoch urteilen? Oder allgemeiner, wenn man die Legitimationsprobleme von Schiedsgerichten im Kollisionsrecht vermeiden wi11: 58 56 Kramer, On the Need ... , S. 2143. Auch im kontinentaleuropäischen Recht stößt die rein prozedurale Lösung kollisionsrechtlicher Probleme zumindest auf Bedenken. So schreibt Kroppholler: "Auch in Kontinentaleuropa ist diese Auffassung [gemeint ist die Abkehr von allgemeinen Regeln, K. H.] vereinzelt mit der Begründung verfochten worden, die Schwierigkeiten des IPR seien , so verwickelt und so umfassend, daß es ganz unmöglich ist, im voraus allgemeine Regeln über die Entscheidung derselben aufstellen zu wollen.' (Cohn, Existenzialismus und Rechtswissenschaft, 1955, Basel, S. 119)" (Kroppholler, Internationales Privatrecht ... , S. 97). In die gleiche Richtung weisen die Überlegungen von Collins zu einer einheitlichen europäischen Verfahrensordnung bei internationalen Handelsverträgen (Collins, Formalism and Efficiency: Designing European Commercial Contract Law, in: European Review of Private Law, Vol. 1, 2000, S. 211 ff.). Aufbauend auf Erkenntnissen der Institutionenanalyse (siehe insbesondere Williamson, Markets and Hierarchies, 1975, New York; derselbe, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, New York; Granovetter, Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness, in: American Journal of Sociology, Vol. 91, 1985, S. 481 ff.) hebt er zwar die Bedeutung der Erwartungsstabilisiemng bei internationalen Transaktionen hervor. Ein einheitliches supranationales Prozeßrecht hält er aber für diesen Zweck für ungeeignet, da die supranationalen Prozeßregeln in Konflikt mit den nationalen Rechtstraditionen und Wertesystemen stünden. 57 "Rules advocates emphasize the importance of consistency and uniformity and argue that these values are best achieved with a shared system of mIes. Advocates of case-specific analysis counter that judges should be concerned primarily with implementing substantive policies and that this is best done by approaching each case on its own terms" (Kramer, On the Need ... , S. 2137). 58 Bei dem Verweis eines kollisionsrechtlichen Problems an ein Schiedsgericht, das autorisiert ist, einen Konflikt in der Weise aufzulösen, wie es es für richtig hält, taucht das ernste Problem auf, daß gefragt werden muß, inwiefern dieses Gericht noch entsprechend der Präferenzen der Bürger handelt und damit legitimiert ist. ,,[A]ssesment of the respective values of the competing legitimate interests of two sovereign states, in order to determine which is to prevail, is a political function of

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

Nach welchen Prinzipien sollten Jurisdiktionen ihr eigenes oder das fremde Recht durchsetzen, wenn keine eindeutige supranationale Kollisionsregel verfügbar ist, die auf eine bestimmte Rechtsordnung verweist? Auf diese Frage gibt es verschiedene Lösungsvorschläge,59 von denen nur einer skizziert werden soll, weil er unseres Erachtens für die Gestaltung einer Ordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften im Zusammenspiel mit dem kollisionsrechtlichen Regime I das größte Potential aufzuweisen scheint. Ausgangspunkt der Überlegung des von Kramer in Anschluß an Curries "Governmental Interest Analysis,,60 vorgeschlagenen Ansatzes ist, daß Gebietskörperschaften unterschiedliche komplexe Rechtssysteme ausgeformt haben. 61 Aufgrund dieser grundSätzlichen Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme könne es nur einen Kern an rein prozeduralen supranationale Regeln zur Lösung von Kollisionsproblemen geben, auf die sich Jurisdiktionen ex ante zur Konfliktlösung einigen könnten. Anstelle des Tauschs "gleicher Rechte", also der reziproken Vereinbarung in bestimmten Bedingungskonstellationen automatisch eine kollisionsrechtliche Lösung zu exekutieren, wird daher ein Tausch "ungleicher Rechte" vorgeschlagen. Dahinter steckt die Idee, daß Gebietskörperschaften in konkreten Fällen ein unterschiedliches Interesse an der Durchsetzung einzelner Rechtspositionen hätten. Damit liegt die Überlegung nahe, daß die Wohlfahrt insgesamt gesteigert werden könnte, wenn jeweils diejenige Jurisdiktion ihr Recht durchsetzte, die an der Durchsetzung das größte Interesse hat. "Choice of law is thus a variable-sum game in which some solutions may leave states better off than others by calling for the application of their laws in more of the cases they care about.,,62 Dies entspricht ganz dem Vorgehen der Auktions-Entscheidungsregel wie sie von Posner im Rahmen der Operationalisierung des Kaldor-Hicks-Kriteriums vorgeschlagen wird. 63 Danach soll derjenige einen Rechtstitel erhalten, der dafür hypothetisch am meisten in einer Auktion a very high order. This is a function which should not be committed to courts in a democracy" (Currie, Notes on Methods and Objectives in the Contlicts of Laws, in: Martin (Hrsg.), Perspectives on Contlict of Laws: Choice of Law, 1980, Boston, S. 81). Dieses Problem wird ebenfalls betont von O'HaraIRibstein, From Politics to Efficiency ... , S. 1177. 59 Unterschiedliche Lösungsansätze werden angeboten von: Ehrenzweig, Conflict of Laws, 1962, St. Paul; Baxter, Choice of Law and the Federal System, in: Martin (Hrsg.), Perspectives on Conflict of Laws: Choice of Law, 1980, Boston, S. 153 ff.; MehrenlTrautman, The Law of Multistate Problems, 1965, Boston; eine Zusammenstellung verschiedener Ansätze findet sich bei Guzman, Choice of Law Lessons ... 60 Currie, Notes ... 61 Kramer, Rethinking Choice of Law, in: Columbia Law Review, Vol. 90, 1990, S. 277; derselbe, On the Need ... 62 Kramer, On the Need ... , S. 2144. 63 Posner, Economic Analysis of Law, 5. Aufl., 1998, New York, S. 12 ff.

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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bieten würde und deshalb auch den größten Nutzenzuwachs aus der Zuteilung des Rechts hätte. Das zentrale Problem dieses Ansatzes ist allerdings, daß Jurisdiktionen miteinander dauerhaft kooperieren und Erfahrungen sammeln müssen, wann sie ihr Recht oder das einer anderen Jurisdiktion in einem konkreten Konfliktfall durchsetzen wollen. Das Durchsetzungsproblem ließe sich vermutlich durch reziprokes Verhalten und den Aufbau von Reputation im Sinne einer Tit-for-Tat Strategie in einem iterativen Gefangenendilemma lösen. 64 Schwieriger ist es, die geeignete Institution zu finden, die die Stärke des Interesses an der Durchsetzung einer Regel feststellt. Eine Möglichkeit bestünde dafür darin, dies dezentral Gerichten zu überlassen, die in einem trial-and-error Lernprozeß die geeigneten kollisionsrechtlichen Regeln mit der Zeit herausfinden müßten. Das Kollisionsrecht würde sich insofern spontan aus der Bewältigung aktueller Fälle heraus entwickeln. 65 Auch wenn sich eine Gruppe von Staaten auf einen Grundstock gemeinsamer kollisionsrechtlicher Regeln einigen sollte und eine Agentur mit der Untersuchung des Gewichts der unterschiedlichen rechtlichen Interessen der Staaten beauftragt würde, macht das kollisionsrechtliche Regime 11 klar, daß es ein langwieriger historischer Prozeß ist, ein elaboriertes gemeinsames Kollisionsrecht zu entwickeln, das den Regulierungswettbewerb zwischen Jurisdiktionen effektiv steuern kann.

3. Zwischenfazit Ziel dieses Abschnittes war es, in groben Zügen die Bedeutung einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften herauszuarbeiten und dabei auf einige grundlegende Probleme hinzuweisen, die bei der Schaffung einer solchen Ordnung Berücksichtigung finden sollten. Insbesondere scheint es vielversprechend zu sein, nach geeigneten Regeln im Kollisionsrecht zu suchen. Diesem Ordnungsinstrument wird unseres Erachtens in seiner Bedeutung noch zu wenig Beachtung geschenkt auch wenn es zu den kompliziertesten Instrumenten der Rechtsordnung überhaupt gehört. 66 Die mögliche Bedeutung, die das Kollisionsrecht für den Regulierungswettbewerb haben könnte, wird auch von Ribstein mit be64 Kramer, On the Need ... , S. 2147; O'Hara/Ribstein, From Politics to Efficiency ... , S. 1177. 65 Garcimartin bezweifelt das Zustandekommen spontaner Lösungen im Kollisionsrecht (Garcimartin, Regulatory Competition ... , S. 256 mit Verweis auf Endnote 19). Er scheint sich jedoch nicht ganz sicher zu sein, da er die Überflüssigkeit spontaner Lösungen mit dem unseres Erachtens bislang unbewiesenen und aller Erfahrung widersprechenden Argument unterstützt, daß " .. .in most cases, the efficient conflict-of-laws rule is easy to design."

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B. Gebietskörperschaften und das Ordnungsproblem

sonderem Bezug zum Gesellschaftsrecht angemerkt: "The analysis has uncovered several issues arising out of the legal context of corporate rules, such as choice of law questions, that so far have received little scholarly attention but that may and should become prominent in the corporate legal literature. ,,67 Gleichwohl sollte nicht der Fehler gemacht werden vom KolIisionsrecht einfache und rasche Lösungen zu erwarten. Daß dies sowohl aus logischen Gründen als auch aus Gründen der Praktikabilität nicht zu erwarten ist, läßt allein schon die lang anhaltende kontroverse Debatte um den "richtigen" Ansatz im KolIisionsrecht vermuten, die hier holzschnittartig nachgezeichnet wurde. Jenseits der hier präsentierten Überlegungen gibt es aber noch einen weiteren Grund, warum eine Wettbewerbsordnung für Gebietskörperschaften aufgestellt werden sollte, selbst wenn diese den hier skizzierten Überlegungen in der Realität nur ungenügend entsprechen sollte. Goldsmith und E. Posner machen darauf aufmerksam, daß Staatsverträge nicht nur dazu dienen, Konflikte möglichst optimal zu lösen, sondern daß sie, unabhängig von ihrer Optimalität und Durchsetzbarkeit, ein Kommunikationsmedium darstellen, das Jurisdiktionen hilft, eine gemeinsame Problemsicht für einen Konflikt zu entwickeln und damit Mißverständnisse und Dilemma-Situationen zu vermeiden. Ausgehend von dieser gemeinsamen Problemsicht (Fokalpunkt) ist es dann über die Zeit möglich, gemeinsame Regeln und Durchsetzungsmechanismen zu entwickeln, die den ordnungs politischen Referenzmaßstäben genügen. 68 Wichtig zur Beurteilung kolIisionsrechtlicher Vorschläge ist es letztlich, in einer komparativen Institutionenanalyse zu fragen, weIches kollisionsrechtliche Regime vor dem Hintergrund eines ganz realen lösungsbedürftigen Problems die geringeren Implementationskosten und den größeren Nut66 Mehren, Choice of Law and the Problem of Justice, in: Martin (Hrsg.), Perspectives on Conflict of Laws: Choice of Law, 1980, Boston, S. 235. 67 Ribstein, Efficiency, Regulation and Competition: A Comment on Easterbrook and Fischel's Economic Structure of Corporate Law, in: Northwestern University Law Review, Vol. 87, 1992, S. 286. 68 GoldsmithlE. Posner, A Theory of Customary International Law, in: The University of Chicago Law School, John M. Olin Law and Economics Working Paper, 1999, No. 63 (2D Series), S. 89 ff. In Abschnitt E.II.3.a)aa) wird die Orientierungsfunktion von Regeln zur Lösung gesellschaftsrechtlicher Probleme nochmals systematischer betrachtet. Siehe hierzu auch Breton, The Existence and Stability of Interjurisdictional Competition, in: KenyonlKincaid (Hrsg.), Competition Among States and Local Governments. Efficiency and Equity in American Federalism, 1991, Washington, S. 37 ff.; sowie Trachtman, Regulatory Competition ... , S. 339. Breton und Trachtman sehen die Vereinbarung gemeinsamer Regulierungsregime nicht nur unter dem Aspekt des Auffindens der effizienten Lösung, sondern auch unter dem der Adressierung eines lösungsbedürftigen Tatbestandes - auf welcher Ebene und auf welche Weise er dann auch immer im einzelnen reguliert werden mag.

III. Zur Notwendigkeit einer Ordnung

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zen verspricht. Dabei mag es auch sinnvoll sein, Mischungen aus verschiedenen kollisionsrechtlichen Vorgehensweisen zur Problemlösung zu verwenden. Beispielsweise könnte die Verankerung eines Grundstockes an kollisionsrechtlichen Regeln gemäß dem kollisionsrechtlichen Regime I als Fundament einer Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb erfolgen und gemäß dem kollisionsrechtlichen Regime 11 könnte dann der Ausbau des Kollisionsrechts stattfinden, damit praktische Fälle lösbar werden und der Heterogenität kollisionsrechtlicher Probleme Rechnung getragen wird.

c. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts aus der Perspektive der Theorie der Firma J. Einleitung Im ersten Kapitel wurde eine allgemeine Begründung dafür zu geben versucht, daß durch die Einführung von Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften ein neues Staatsverständnis in der Theorie der Wirtschaftspolitik erforderlich wird. Davon ausgehend ist die konkrete Frage nach der Ordnung des Gesellschaftsrechts in Europa gestellt worden, wobei deutlich wurde, daß eine Beantwortung dieser Frage grundsätzlichere Überlegungen zur Funktionsweise des Wettbewerbs zwischen Gebietskörperschaften erforderlich macht. Dabei scheinen drei Punkte besonders hervorhebenswert: (1) Prinzipiell scheint Wettbewerb auf der kollektiven Ebene normativ rechtfertigbar, die Herstellung von Wettbewerb kann sogar als Konkretisierung der freiwilligen Zustimmung zu einer Konstitution verstanden werden. (2) Wettbewerbsprozesse zwischen Gebietskörperschaften bedürfen der Ordnung analog den Wettbewerbsprozessen auf Gütermarkten. (3) Die Wettbewerbsordnung für den interjurisdiktionellen Wettbewerb kann analytisch in zwei - sicherlich nicht immer trennscharfe - Problembereiche unterteilt werden. Zum einen die Entry/Exit-Odnung, die das Verhältnis von Faktoren zu lurisdiktionen bestimmt, und zum anderen die Kollisionsordnung, die die Reichweite des gegenseitigen rechtlichen Einflusses von lurisdiktionen bestimmt. Allerdings erscheint es als nicht leicht, aus dieser allgemeinen Betrachtung und Problemstrukturierung bereits fundierte Rückschlüsse auf die konkrete Ordnung des Gesellschaftsrechts in Europa zu ziehen. Daher ist es notwendig in einem weiteren Schritt, das Gesellschaftsrecht in seinen Funktionen noch näher zu untersuchen. Dafür ist zunächst das Unternehmen als organisatorische Einheit zu rekonstruieren (Theorie der Firma), und zu analysieren, welche Aufgaben das Gesellschaftsrecht in der Unternehmung übernimmt. Da dieser Punkt ein eigenständiges Forschungsprogramm darstellt, kann er hier nur so weit skizzenhaft verdeutlicht werden, wie er für das Verständnis von Wettbewerbsprozessen zwischen Gesellschaftsrechten nötig erscheint.

11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma

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11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma In den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschungsrichtung der Theorie der Firma stark ausdifferenziert. 1 Trotz der Heterogenität in den einzelnen Ansätzen ist der gemeinsame Fokus, die "black box", als die sich die neoklassische Firma in Form einer Produktionsfunktion darstellt, aufzubrechen. Von diesen Ansätzen werden hier die sogenannten vertragstheoretischen Ansätze der Firma herausgegriffen, da sie nicht nur eine große Beachtung in der Forschung zur Theorie der Firma gefunden haben, sondern weil sie auch die Bedeutung von rechtlichen Regeln besonders hervorheben. Bei der Erklärung von Unternehmen als organisatorischen Einheiten betonen vertrags theoretische Ansätze in unterschiedlicher Deutlichkeit zwei Aspekte. Zum einen werden langfristige Verträge zwischen Eigentümern von Inputfaktoren zur Güterproduktion geschlossen, zum Beispiel Arbeitsverträge und die Bereitstellung von Kapital; dabei ersetzt das Unternehmen Produktmärkte durch Faktormärkte. 2 Zum anderen wird marktlicher Tausch durch Hierarchie verdrängt beziehungsweise der kurzfristige Koordinationsmechanismus von Preisen auf Märkten zugunsten anderer Koordinationsmechanismen mehr oder weniger eingeschränkt. 3 Durch eine knappe Darstellung verschiedener vertragstheoretischer Ansätze in bezug auf das Gesellschaftsrecht, die hier bewußt keinem dogmenhistorischen Schema folgt,4 wird deutlicher werden, welche Aufgabe dem von Jurisdiktionen angebotenen Gesellschaftsrecht zukommen kann. 5 Dabei repräsentiert jeder Ansatz einen bestimmten Aspekt der Erklärung von GeI Einen Überblick geben FosslLandolThomsen, The Theory of the Firm, in: De GeestlBouckaert (Hrsg.), Encyclopedia of Law and Economics, Vol. 3, 2000, Cheltenham, S. 631 ff.; KrajftlRavix, Theories of the Firm, in: ArenalLonghi (Hrsg.), Markets and Organization, 1998, Berlin, S. 237 ff.; sowie EberslGotsch, Institutionenökonomische Theorien der Organisation, in: Kieser (Hrsg.), Organisationstheorien, 2. Aufl., 1995, Stuttgart, S. 185 ff. Mit besonderem Bezug zum Gesellschaftsrecht siehe Cheffins, Company Law, 1997, Oxford, S. 3 ff. Eine umfassende Würdigung der neo-institutionalistischen Ansätze, die auch in der Theorie der Firma Anwendung finden, gibt Terberger, Neo-institutionalistische Ansätze, 1994, Wiesbaden. 2 Cheung, The Contractual Nature of the Firm, in: Journal of Law and Eonomics, Vol. 26, 1983, S. 1 ff. 3 Eggertson, Economic Behavior and Institutions, 1990, Cambridge, S. 159; FosslLandolThomsen, The Theory of the Firm ... 4 Siehe beispielsweise RichterlFurubotn, Neue Institutionenökonomik, 1996, Tübingen, und die dort angegebene Literatur. 5 Siehe ausführlich zur Theorie der Firma in bezug auf das Gesellschaftsrecht die Beiträge in PosnerlScott, Economics of Corporation Law and Securities Regulation, 1980, Boston, S. 10 ff.

5 Heine

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

sellschaftsrecht, ohne daß einem Ansatz ein eindeutiger Vorzug gegeben werden könnte. 6 1. Informationsasymmetrien als Ausgangspunkt der Betrachtung

Eine erste Gruppe von Vertragstheorien der Firma zeichnet sich dadurch aus, daß sie in keinerlei Widerspruch zu dem steht, was man allgemein als neoklassische Methode bezeichnen könnte. In der Principal-Agent Theorie und der Team-Theorie wird streng individualistisch nach Optimierungslösungen für Organisationsprobleme in einer marktlichen Umwelt, die sich über Preissignale selbststeuert, gesucht. 7 Gesellschaftsrecht erscheint dabei als ein Instrument, um unvollständige Verträge auf die Vertragserfüllung hin zu optimieren. a) Principal-Agent Ansatz

In diesem Ansatz wird von zwei Parteien ausgegangen, die eine Tauschbeziehung miteinander eingehen. Dabei wird zwischen den Parteien eine Informationsasymmetrie angenommen, so daß die Akteure bei der Abwicklung des Tausches verschiedene eigeninteressierte Ziele verfolgen können, die den Erfolg der Tauschbeziehung gefährden können. Die möglichen Probleme in der Tauschbeziehung sind unter "moral hazard" und "adverse selection" hinlänglich bekannt. Für die Theorie der Firma resultieren aus diesem Ansatz im wesentlichen drei Punkte: Die Firma wird als Quasimarkt rekonstruiert, auf dem Inputfaktoren gehandelt werden. Die Tauschbeziehungen sind dabei als bilateral zu betrachten. Aus der Vielzahl der bilateralen Tauschbeziehungen, die zur Erstellung eines Produkts nötig sind, ergibt sich so ein ganzes Geflecht von Tauschbeziehungen, mit der Folge, daß es nicht mehr eindeutig ist, wo sich die eigentliche Grenze zwischen Markt und Firma (Hierarchie) beziehungsweise zwischen Produkt- und Faktormarkt befindet. Die angenommene Informationsasymmetrie erlaubt es den Akteuren, unterschiedliche eigeninteressierte Ziele in einer Tauschbeziehung zu verfolgen. Dadurch bekommen Instrumente, die das Verhalten der Akteure ex ante und ex post an den vereinbarten Tausch binden, besondere Bedeutung. Das wichtigste Instrument ist in dieser Hinsicht der Vertrag, genauer gesagt der unvollständige Vertrag, der die optimalen Anreize zur Vertragserfüllung setzen soll. 6 Veasey, An Economic Rationale for ludicial Decisionmaking in Corporate Law, in: The Business Lawyer, 1998, Vol. 53, S. 684. 7 Krafjt/Ravix, Theories ... , S. 244.

11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma

67

Versicherungen (private, staatliche)

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Output Quelle: Modifiziert nach Schanze, E., Potential and Limits of Economic Analysis: The Constitution of the Firm, in: Daintith. T.lTeubner. G. (Hrsg.), Contract and Organisation. Berlin, 1986, S. 214.

Abbildung 1: Das Nexus-Modell

Durch das Instrument des Vertrages, auf das die Tauschbeziehungen abgebildet werden, und die Rekonstruktion der Firma als Geflecht bilateraler Verträge erscheint die Firma schließlich als ein "Nexus of Contracts" und gleichzeitig als eine "legal fiction".8 Das heißt nichts anderes, als daß die Grenzen der Firma beziehungsweise die Definition der Firma letztlich als rein rechtliche soziale Konstruktion vorgenommen wird. 9 Das Gesellschaftsrecht erscheint dabei als ein Instrument zur Strukturierung des Vertragsnexus, der über institutionelle Schnittstellen die Inputs und Outputs verschiedenster Stakeholder organisiert. In Abbildung 1 ist das Nexus-Modell zur Veranschaulichung grafisch wiedergegeben. Das Gesellschaftsrecht bestimmt somit als rechtliches Konstrukt die Modalitäten des Tauschs von Inputfaktoren und damit die Grenzen der Firma. 8 Jensen/Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Vol. 3, 1976, S. 305 ff. 9 "What legitimately can be expected of corporations depends upon what one believes them to be" (Stith, Federalism and Company Law: A "Race to the Bottom" in the European Comrnunity, in: Georgetown Law Journal, Vol. 79, 1991, S. 1612). Dies mag mit ein Grund dafür zu sein, daß die verschiedenen Theorien der Firma bisweilen wie Glaubensbekenntnisse anmuten. 5*

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

Dabei sollte aus nonnativer Sicht das Gesellschaftsrecht in der Weise gestaltet sein, daß es die unvollständigen Vertragsbeziehungen zwischen den Eigentümern von Inputfaktoren pareto-optimal steuert. Zwar wäre es auch möglich, für jedes Unternehmen einen spezifischen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln, da jedoch Unternehmen häufig ähnliche Vertragsprobleme zu bewältigen haben, ist es in der Regel günstiger, bestimmte staatlich angebotene Rechtsfonnen als "standard fonn contract" zu wählen. Damit ist zwar eine Erklärung dafür gegeben, warum es ein staatliches Gesellschaftsrecht gibt, offen bleibt hingegen die wichtige Frage, warum die Rechtsfonnen gerade ihre typische Gestalt, wie zum Beispiel die Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder Kommanditgesellschaft, angenommen haben 10 und von Land zu Land erheblich differieren können. Hart kommt daher zu dem Schluß: ,,[T]he nexus of contracts approach does less to resolve the questions of what a finn is than to shift the tenns of the debate." 11

b) Team-Theorie Während im Principal-Agent Ansatz der bilaterale unvollständige Vertrag im Vordergrund des Optimierungsproblems steht, wird in der Team-Theorie nach Marschak und Radner l2 beziehungsweise Aoki 13 der Gruppencharakter von Finnen stärker betont. 14 Danach besteht eine Finna aus einer Gruppe von Inputeigentümern, die jedoch anders als in der Principal-Agent IO Hart, An Economist's Perspective on the Theory of the Firm, in: Columbia Law Review, Vol. 89, 1989, S. 1764. II Hart, An Economist's Perspective ... , S. 1764. 12 MarschaklRadner, The Economic Theory of Teams, 1972, New Haven. 13 Aoki, Horizontal versus Vertical Information Structure of the Firm, in: American Economic Review, Vol. 76, 1986, S. 971 ff.; derselbe, Information, Incentives and Bargaining in the Japanese Economy, 1988, Cambridge. 14 Die hier dargestellte Team-Theorie darf nicht mit der Theorie der Teamproduktion von AlchianlDemsetz, Production, Information Costs, and Economic Organization, in: American Economic Review, Vol. 62, 1972, S. 777 ff. gleichgesetzt werden. Zwar geht es in beiden Theorien um eine Interpretation der Firma als Kollektiv, die Prämissen über die Einbindung des Individuums in die Gruppe ist jedoch jeweils eine andere. So gilt für die Team-Theorie: "In the team analyses, the organizational relations are perceived as ,unitary places' in that the different entities have the same objectives, the same interests." (KrafftIRavix, Theories ... , S. 247 ff.). Demgegenüber betont Demsetz: "Alchian and Demsetz (1972) turn away from explanations of the firm's wage/management system based on risk or transaction cost, and emphasize instead the need for a firm to tailor its organization to cope with problems created by conflicts of interest between members of the team we call a firm" (Demsetz, The Economics of the Business Firm, 1995, Cambridge, S. 16). Den Beitrag von Alchian und Demsetz kann man daher eher dem Principal-Agent Ansatz oder dem Property Rights Ansatz zuordnen (RichterIFurubotn, Neue Institutionenökonomik ... , S. 170; Currie/Messorie, New Institutional and New Keynesian

11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma

69

Theorie durch ein gemeinsames Ziel verbunden sind, so daß ein Inputeigentümer nur die Möglichkeit hat, durch Akzeptanz der Vertragsziele der Gruppe beizutreten oder ihr fernzubleiben, aber nicht die Gruppenziele selbst zu verhandeln. Ausgehend von dieser Grundstruktur wird dann der Frage nachgegangen, wie die Firma als Gruppe Informationen erwirbt, teilt und schließlich Entscheidungen trifft. Dabei wird die Teamstruktur nicht in erster Linie gewählt, um Opportunismus zu verhindern, sondern um Unsicherheiten, die aus der marktlichen Umwelt resultieren, für die Teammitglieder abzuarbeiten. 15 Nach der Team-Theorie ist eine Aufgabe des Gesellschaftsrechts als formaler Organisations struktur, die vertikalen und horizontalen Koordinationsmechanismen in einer Unternehmung in der Weise festzulegen, daß Anreize zur optimalen Informationsweitergabe gegeben werden. Gesellschaftsrecht gibt demnach einen mehr oder weniger verbindlichen Rahmen zur Gestaltung des Informations- und Motivationssystems einer Unternehmung, zum Beispiel welche Informations- und Kontrollrechte hat der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand oder welche Mitbestimmungsrechte und Entlohnungssysteme eignen sich besonders zur Motivation der Mitarbeiter. Da die Ziele, die mit Hilfe einer Unternehmung maximiert werden sollen, durchaus unterschiedlich sein können, kann die Team-Theorie besser als der Principal-Agent Ansatz erklären helfen, warum es im Gesellschaftsrecht unterschiedliche diskrete Rechtsformen gibt. Krafft und Ravix beurteilen die Team-Theorie abschließend folgendermaßen: "It seems to be an extension instead of an alternative to the theory of agency ... The agents are still optimizing: they obtain information with a time delay, make their decision based on an imperfect information, but the decision making process does not have any flaws ... They [team models, K. H.] only take into account additional elements of the firm informational functioning at the internal or external level.'d6 2. Unternehmen als Koordinationsmechanismus: Transaktionskostenökonomik und Property Rights-Theorie

Eine zweite Gruppe von Vertragstheorien kann man in der Tradition des Coase'schen Ansatzes von 1937 sehen. Dazu zählt die Transaktionskostentheorie und die Property Rights-Theorie. I7 Auch diese bei den Theorien der Economics, in: ArenalLonghi (Hrsg.), Markets and Organization, 1998, Berlin, S. 179). 15 KrafftlRavix, Theories ... , S. 248 ff. 16 KrafftlRavix, Theories ... , S. 251. 17 Zur Verbindung von Property Rights-Theorie und Transaktionkostentheorie siehe Douglas W. Allen, Transaction Costs, in: De GeestlBouckaert (Hrsg.), Ency-

70

C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

Firma sind mittlerweile höchst ausdifferenziert, sie haben jedoch als verbindendes Merkmal, daß das Unternehmen als alternativer Koordinationsmechanismus zum Koordinationsmechanismus Markt gesehen wird. Damit stellt sich vor allem die Frage nach den Grenzen der Unternehmung, oder präziser, nach dem effizienten Grenzverlauf zwischen unterschiedlichen Koordinationsmechanismen. 18 Gesellschaftsrecht kommt aus dieser Perspektive nicht nur die Aufgabe zu, Opportunismus aufgrund von Informationsasymmetrien in bilateralen Tauschbeziehungen zu reduzieren, sondern die Koordinationsprozesse innerhalb der Unternehmung möglichst transaktionskostengünstig abzuwickeln, zu einer effizienten Grenzziehung zwischen den Koordinationsmechanismen Markt und Hierarchie beizutragen sowie die Zuordnung von (residualen) Rechten auf die Inputfaktoren unter dem Gesichtspunkt der Anreizkompatibilität auf die Unternehmensziele vorzunehmen. a) Transaktionskostentheorie

Die Transaktionskostentheorie der Firma ist eng mit zwei Namen verbunden: Coase und Williamson. Während Coase die prinzipielle Frage nach der Begründung für die Existenz von Unternehmen und der Grenzziehung zwischen marktlicher und hierarchischer Koordination stellt,19 macht es sich Williamson zur Aufgabe, Coase' Ansatz zu operationalisieren, indem er der Frage nachgeht, den optimalen Grad der vertikalen Integration von Transaktionen zu bestimmen. 2o Williamson setzt sich somit zum Ziel, die Situationen genauer zu bestimmen, in denen es vorteilhaft ist, eine Marktbeziehung durch eine hierarchische Beziehung zu ersetzen. Beide Ansätze werden hier nur so weit knapp skizziert, wie es zur Begründung von Gesellschaftsrecht als nötig erscheint. Coase' Ausgangsfrage ist, wie ökonomisch erklärt werden kann, daß es neben dem Koordinationsmechanismus Markt den Koordinationsmechanismus Hierarchie gibt. Seine Grundüberlegung ist, daß Koordination nicht kostenlos ist, sondern mit Informations- und Kontrollkosten verbunden ist. Diese Kosten der Nutzung von Markt und Hierarchie nennt Coase Transaktionskosten. Die Wahl eines bestimmten Koordinationsmechanismusses erfolgt danach, ob er zur Koordination einer bestimmten wirtschaftlichen clopedia of Law and Economies, Vol. 1, 2000, Cheltenham, S. 893 ff. mit weiteren Literaturhinweisen. 18 Williamson, Markets and Hierarchies ... ; derselbe, The Economic Institutions ... ; KrafftlRavix, Theories ... , S. 252. 19 Coase, The Nature of the Firm, in: Economica, Vol. 4, 1937, S. 386 ff. 20 Williamson, Markets and Hierarchies ... ; derselbe, The Economic Institutions ...

11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma

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Transaktion die im Vergleich geringsten Transaktionskosten aufweist. Die Auswahl des Koordinationsmechanismusses Hierarchie beziehungsweise von Unternehmen, um wirtschaftliche Transaktionen abzuwickeln, erfolgt also immer genau dann, wenn das Betreiben von Unternehmen den transaktionskostengünstigeren Koordinationsmechanismus gegenüber dem Markt darstellt. 21 Der Ansatz von Coase wurde später insbesondere von Williamson aufgegriffen und weiter operationalisiert, so daß die Transaktionskostentheorie auch für praktische Fragen der Unternehmensorganisation nutzbar gemacht werden kann. 22 Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage des optimalen Grades an vertikaler Integration eines Unternehmens. Dabei versucht er, diejenigen Faktoren und Bedingungskonstellationen herauszuarbeiten, die kritisch sind für die adäquate Wahl des Integrationsgrades. Von besonderer Relevanz ist hierbei die Spezifität von Investitionen. Je höher die Spezifität beziehungsweise je höher die versenkten Kosten für eine bestimmte Investition für einen Transaktionspartner sind, um eine vertikale Tauschbeziehung durchführen können, desto eher bietet es sich an, diese marktliche Beziehung gegen eine hierarchische Beziehung auszuwechseln, also die vor- oder nachgelagerte Produktions- oder Handelsstufe vertikal zu integrieren. Ziel der vertikalen Integration ist es, mögliche Erpressungsversuche (Hold-up) in der Nachinvestitionsphase auszuschließen, denen der Träger der spezifischen Investition durch seinen Vertragspartner potentiell ausgesetzt ist. Für uns sind nun nicht die vielfältigen Verästelungen der Transaktionkostentheorie von Interesse und welche möglichen Alternativen es im Einzelfall anstelle der vertikalen Integration geben mag. 23 Für uns reicht die Erkenntnis aus, daß die Organisation von vertikalen und horizontalen Vertragsbeziehungen mit erheblichen Transaktionskosten verbunden sein kann. Wird die Koordination innerhalb eines integrierten Unternehmens gewählt, kann als nächstes gefragt werden, welche Möglichkeiten es gibt, die dabei entstehenden vertraglichen Transaktionskosten zu senken. An dieser Stelle kommt nun das Gesellschaftsrecht als Transaktionskosten senkender Standardvertrag ins Spiel. Diese Aufgabe des Gesellschaftsrechts soll noch etwas näher erläutert werden.

Coase, The Nature of the Firm ... , S. 386. Williamson, Markets and Hierarchies ... ; derselbe, The Economic Institutions ... Die Transaktionskostentheorie läßt sich beispielsweise bei der Fertigungstiefenoptimierung von Unternehmen anwenden (Picot, Ein neuer Ansatz zur Gestaltung der Leistungstiefe, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliehe Forschung, 43. Jg., 1991, S. 336 ff.). 23 Siehe beispielsweise die Beiträge in WilliamsonlWinter (Hrsg.), The Nature of the Firm, 1993, New York. 21

22

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

Aus ökonomischer Sicht kann die grundsätzliche Frage gestellt werden, wieso es überhaupt sinnvoll ist, ein staatlich reguliertes Gesellschaftsrecht für das Betreiben von Unternehmen vorzusehen. Ein wichtiges Argument für ein staatliches Formerfordernis von Gesellschaften läßt sich mit Hilfe der Transaktionskostentheorie ableiten. 24 Anstelle der Aushandlung eines privaten Vertrages zwischen Gesellschaftern, die versuchen müßten, Regelungen für alle möglichen zukünftigen Entscheidungs- und Agency-Probleme in der Gesellschaft zu finden, tritt das staatliche Gesellschaftsrecht, das in seinen Teilbereichen mehr oder weniger bindend ist und mögliche Vertragslücken ergänzt. Natürlich ist der staatlich angebotene Gesellschaftsvertrag ebenfalls ein unvollständiger Vertrag, der erst im Zusammenspiel mit der richterlichen Vertragsauslegung ex post vervollständigt werden kann, er bietet den Gesellschaftern neben der rascheren Aushandlungsmöglichkeit der gesellschaftsrechtlichen Modalitäten aber noch weitere Vorteile. Gerichte und Anwälte können sich auf bestimmte immer wiederkehrende Probleme spezialisieren und das Gesellschaftsrecht auf diese Weise fortentwickeln, zudem können potentielle Anleger und Gläubiger bereits ex ante an der Rechtsform der Gesellschaft die Rechte und Pflichten erkennen, die sie als Transaktionspartner besitzen. Auch wenn es im Einzelfall strittig sein mag, welche Teile des Gesellschaftsrechts staatlich normiert sein sollten, läßt sich damit allgemein begründen, warum es ökonomisch sinnvoll ist, Gesellschaftsrecht als Formerfodernis der unternehmerischen Betätigung vorzusehen. Mit Hilfe von Überlegungen der allgemeinen Transaktionskostenökonomik kann auch eine Erklärung gegeben werden für die historische Entwicklung des Gesellschaftsrechts von hoheitlich, für spezielle kaufmännische Zwecke verliehenen Rechtsformen (sogenannte "special charters") hin zu standardisierten Rechtsformen (sogenannte "general charters"). Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts war es nämlich in allen Staaten üblich, daß juristische Personen nur auf speziellen Antrag hoheitlich für einen eng umrissenen Geschäftszweck genehmigt werden konnten, beispielsweise für eine Exploration in den Kolonien eines Staates.zs Damit sicherte sich der Staat den direkten regulierenden Zugriff auf die Wirtschaftstätigkeit seiner 24 Siehe BrinkmannlKübler, Überlegungen zur ökonomischen Analyse von Unternehmensrecht, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 137, 1981, S. 681 ff.; EasterbrooklFischel, The Economic Structure ... , S. 34; Eggertsson, Economic Behavior ... , S. 157; sowie Chamy, Competition Among Jurisdictions in Formulating Corporate Law Rules: An American Perspective on the "Race to the Bottom" in the European Communities, in: Harvard International Law Journal, Vol. 32, 1991, S. 436. 25 Solche "special charters" finden sich auch teilweise heute noch im Bereich von Rohstoffverträgen, die insbesondere zwischen Unternehmen und Entwicklungsländern abgeschlossen werden. Dabei verdient der selbstdurchsetzende Charakter

Il. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Firma

73

Bürger. Solange nur verhältnismäßig wenige juristische Personen gegründet werden, kann diese Vorgehensweise als durchaus effizient betrachtet werden. Denn schließlich sanktioniert der Staat hochspezifische Rechtsformen, die auf einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck zugeschnitten sind. Diese Einschätzung ändert sich allerdings, wenn eine Vielzahl unterschiedlicher Geschäfte von einer großen Masse an juristischen Personen betrieben werden soll. In diesem Fall wird es für den Staat transaktionskostengünstiger, seine Regulierungsinteressen nicht mehr durch den einzelnen Erlaß von spezifischen Rechtsformen zu wahren, sondern einen Satz von standardisierten Rechtsformen anzubieten, die gegebenenfalls an die spezifischen Bedürfnisse von Gesellschaftern angepaßt werden können?6 Historisch war der Übergang vom "special chartering" zum "general chartering" und vom hoheitlichen Lizensierungsverfahren zum Recht auf Inkorporation, sofern die Formerfordernisse erfüllt sind, natürlich ein langer und graduell verlaufender Prozeß. So führte der US-Bundesstaat Connecticut bereits 1837 em "general chartering" ein, während Vermont erst 1913 dazu überging. 27 b) Property Rights-Theorie

Innerhalb der Property Rights-Theorie lassen sich zur Rekonstruktion der Firma zwar keine getrennten Ansätze unterscheiden, wie dies beispielsweise für den Principal-Agent Ansatz meist mit der Unterscheidung einer normativen und positiven Ausrichtung getan wird,28 es können aber zwei Schritte in der Theorieentwicklung beobachtet werden. In der "traditionellen" Ausrichtung wird als Grundüberlegung von Demsetz und Alchian und Demsetz angenommen,29 daß in der Güterproduktion erhebliche economies of sc ale erzielt werden können und es daher für Produktionsfaktoren vorteilhaft ist, sich zu einer Teamproduktion zusammenzuschließen. Da es aber häufig nicht möglich ist, die Grenzprodukte der einzelnen Faktoren zu erfassen und individuell zuzurechnen, kann ein Trittbrettfahrerproblem (Shirking) entstehen. Einzelne Produktionsfaktoren werden nämlich versuchen, ihre Leistung zurückzuhalten bei gleichzeitiger dieser Verträge besondere Beachtung (siehe hierzu ausführlich Schanze, Investitionsverträge im internationalen Wirtschaftsrecht, 1986, Frankfurt). 26 ShughartlTollison, Corporate Chartering: An Exploration in the Economics of Legal Change, in: Economic Inquiry, Vol. 23, 1985, S. 585 ff. 27 ShughartlTollison, Corporate Chartering ... , S. 589. Ein knapper historischen Überblick über die "Entstehung" des Gesellschaftsrechts findet sich auch bei Kübler, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1989, Heidelberg, S. 6 ff. 28 RichterlFurubotn, Neue Institutionenökonomik ... , S. 165 ff. 29 Demsetz, Toward a Theory of Property Rights, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 57, 1967, S. 358 ff.; AlchianlDemsetz, Production ...

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

Partizipation an den Erträgen des Teamprodukts. Es ist daher sinnvoll, einen Monitor einzurichten, der die Verfügungsrechte über den Einsatz der Produktionsfaktoren erhält, um Trittbrettfahrerverhalten zu verhindern. Damit kann die hierarchische Struktur von Unternehmen allgemein erklärt werden. Mit Bezug auf das Gesellschaftsrecht kann die Verfügungsrechtsanalyse besonders auf Großunternehmen angewendet werden, da sie der Ort der Erzielung der größten economies of scale sind. Um Großunternehmen zu betreiben, bedarf es einer entsprechend großen Kapitalmenge. Diese kann über die Gründung einer (Publikums-) Aktiengesellschaft beschafft werden. Dabei stellt sich jedoch das Problem, daß die Vielzahl der Eigentümer die Produktionsvorteile rasch durch Verhandlungskosten aufgezehrt haben wird, wenn die Eigentümer für jede unternehmenspolitische Entscheidung zur Abstimmung zusammenkommen müssen. Es erscheint daher sinnvoll, eine Veränderung der Property Rights vorzunehmen und das Recht zur Leitung der Unternehmung Managern zu übertragen, während das Eigentumsrecht an der Gesellschaft und die Gewinne weiterhin den Aktionären zustehen. Jetzt ergibt sich hingegen die Schwierigkeit, daß zwar die Leitung des Unternehmens in den Händen der Manager liegt, die Aktionäre aber für die Handlungen des Managements mit ihrem Vermögen haften müssen. Wäre die Haftung unbegrenzt, würden sich wohl kaum Aktionäre finden, die einem Unternehmer das nötige Eigenkapital zur Aufnahme der Produktion gäben. Eine weitere Modifikation der Property Rights wird somit nötig. Die Haftung muß beschränkt werden, zum Beispiel auf den Wert der Aktien. Können aber die Aktionäre sicher sein, daß das Management in ihrem Sinne die Unternehmung führt und nicht opportunistisch das eigene Einkommen und den eigenen Nutzen maximiert, wie beispielsweise Berle und Means postulieren?3o Um dieses Problem zu entschärfen, wird noch eine weitere Änderung der Property Rights erforderlich. Anders als bei PersonengeseIlschaften können Aktionäre ihre Anteile ohne Zustimmung der anderen Aktionäre verkaufen. Schätzt man die Leistung eines Managements als zu gering ein, braucht man lediglich die Aktien zu verkaufen. Manager werden in diesem Fall über den Kapitalmarkt diszipliniert, weil sinkende Aktienkurse den diskretionären Spielraum von Managern einschränken. Das Gesellschaftsrecht dient somit dazu, Verfügungsrechte in Unternehmen so zuzuordnen, daß bestimmte unerwünschte Verhaltensmuster von Produktionsfaktoren sanktioniert werden und andere erwünschte Handlungsweisen angereizt werden, mit dem Ziel, economies of scale zu nutzen. Allerdings bleibt als wichtige Frage in dieser Variante der Property RightsTheorie offen, warum die durch Teamproduktion erzielbaren economies of 30

Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1933, New York.

II. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Finna

75

scale gerade durch Gründung einer Firma realisiert werden 3 ) und die Steuerung der Anreize speziell durch Gesellschaftsrecht erfolgen sollte. Es wäre ebenso denkbar, daß eine effiziente Teamproduktion durch bilaterale Verträge von Inputeigentümern organisiert wird, ohne Einschaltung eines zentralen Monitors, wie ihn Alchian und Demsetz vorsehen. 32 Es ist eben nicht eindeutig, daß der zentrale vertrag schließende Monitor in einem Produktionsprozeß die Lösung zum sogenannten Alchian-Demsetz-Problem ist. 33 An dieser Stelle setzt die "neue" Property Rights-Theorie mit ihrer Analyse residualer Kontrollrechte an, wie sie insbesondere von Grossman, Moore, Holmström und Hart entwickelt worden ist. In Bezug auf das AIchian-Demsetz-Problem weist Moore die Richtung, in die dieser Ansatz analytisch führt. ,,[W]hen a customer ,fires' Alchian and Demsetz's grocer, the grocer (being aseparate contractor) gets to keep the store; whereas if the grocer were an employee of the customer, the customer (the boss) could deny the grocer (the worker) access to the store; and could hire another grocer on the spot labor market. ,,34 Es ist somit die Zuordnung von residualen Entscheidungsrechten über physische Aktiva, zum Beispiel Gebäude und Maschinen, die im Zentrum dieses Ansatzes steht. Die Logik dabei ist, daß in einer Welt ohne Transaktionskosten verschiedene vertragliche Arrangements zur Güterproduktion, wie Kauf oder Miete einer Maschine oder der Abschluß eines Arbeitsvertrages gleich effizient gestaltet werden können. In einer Welt mit Transaktionskosten bleiben aber diese Verträge unvollständig, und es stellt sich die Frage, wie diese Verträge im Konfliktfall geeignet sind, das Verhalten der Transaktionspartner effizient zu steuern. Dabei kommt den residualen Verfügungsrechten entscheidende Bedeutung zu. Immer dann, wenn der Vertrag zwischen Transaktionspartnern schweigt, ordnen sie Kontrollrechte ZU?5 Zerbricht zum Beispiel eine Arbeitsbeziehung, kann der Angestellte eben nicht die Maschine als Abfindung mitnehmen, an der er gearbeitet hat. Oder ein Aktionär kann zwar Hart, An Economist's Perspective ... , S. 1762. Hart, An Economist's Perspective ... , S. 1762. In eine ähnliche Richtung weisen die Überlegungen von Blair und Stout, die selbst aufbauend auf der Theorie der Teamproduktion bezweifeln, daß der Hauptzweck des Gesellschaftsrecht darin bestehe, einen zentralen Monitor einzurichten, der nur der Umsetzung der Kapitaleignerinteressen zu dienen habe (BlairIStout, A Team Production Theory of Corporate Law, in: Virginia Law Review, Vol. 85, 1999, S. 247 ff.). 33 Das Alchian-Demsetz-Problem lautet (AlchianIDemsetz, Production ... , S. 777 ff.): "Wherein then is the relationship between a grocer and his employee different from that between a grocer and his customers?" 34 Moore, The Finn as a Collection of Assets, in: European Economic Review, Vol. 36, 1992, S. 497. 35 Hart, An Economist's Perspective ... ; derselbe, Residual Rights of Control, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 3, 1998, London, S. 330 ff. 31

32

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

seine Aktien verkaufen, er kann aber nicht aus der Unternehmung physische Aktiva im Wert der Aktien entfernen. Gesellschaftsrecht kommt nach dieser Variante der Verfügungsrechtsanalyse also die Aufgabe zu, die Anreize von Transaktionspartnern bei der Teamproduktion für die Fälle optimal zu steuern, wenn aufgrund ihrer Unvollständigkeit Verträge schweigen. Entscheidend für die Steuerung der Anreize der Transaktionspartner ist dabei die Zuordnung der letztentscheidendenden Verfügungsgewalt über die physischen beziehungsweise nicht-menschlichen Aktiva. 3. Die Rekonstruktion des Gesellschaftsvertrages durch Gesellschaftsrecht und das Problem der Rechtswahl In den verschiedenen vertragstheoretischen Erklärungen der Firma stellt der unvollständige Vertrag eine zentrale Kategorie dar. Auch wenn die einzelnen Theorien unterschiedliche Aspekte des Problems der vertraglichen Unvollständigkeit betonen und zu teilweise verschiedenen Schlußfolgerungen gelangen, kommt dem Gesellschaftsrecht regelmäßig die Aufgabe zu, das Problem der vertraglichen Unvollständigkeit überwinden zu helfen. 36 Das Gesellschaftsrecht soll dabei zusammen mit der Rechtsprechung zu einer Rekonstruktion des hypothetischen VertragswiIlens der am Vertragsnexus der Gesellschaft beteiligten Parteien führen. Das heißt, es wird versucht, sich in Konfliktfällen in die initiale Vertragsphase zurückzuversetzen und zu überlegen, welche vertragliche Vereinbarung von den Parteien zur Konfliktlösung getroffen worden wäre. Tatsächlich ist in der initialen Vertragsphase das Scheitern eines bestimmten Vertrages noch nicht bekannt, jedoch kann das Risiko des vertraglichen Scheiterns in bestimmten Punkten antizipiert werden,37 und genau für diese kritischen Punkte kann Gesellschaftsrecht als staatliches Formerfordernis wirtschaftlicher Betätigung Problemlösungen als sogenannte "default rules,,38 anbieten, wobei die Erkenntnisse der Theorie der Firma in die "default rules" einfließen können. Aus vertragstheoretischer Sicht wird hierbei meist folgende Konstruktion vorgeschlagen: Es gelten die Regeln des Gesellschaftsrechts, sofern von den Vertragsparteien keine anderen Regelungen für potentielle Konfliktfelder ge36 Ayres/Gertner, Filling Gaps in Incomplete Contracts: An Economic Theory of Default Rules, in: Yale Law Journal, Vol. 99, 1989, S. 87 ff.; Macey, Corporate Law and Corporate Governance, A Contractual Perspective, in: Journal of Corporation Law, Vol. 18, 1993, S. 187; Schäfer/Du, Lehrbuch ... , S. 375 ff. 37 Cheffins, Company Law, S. 265. 38 Der Begriff "default rule" ist keineswegs eindeutig, wie Ayres und Gertner zeigen: "Default rules have alternatively been termed background, backstop, enabling, fallback, gap-filling, off-the-rack, opt-in, opt-out, preformulated, preset, presumptive, standby, standard-form and suppletory rules" (Ayres/Gertner, Filling Gaps ... , S. 91).

11. Vertragstheoretische Ansätze der Theorie der Finna

77

wählt wurden. Beispielsweise, "most corporate statutes require that stockholders elect directors annually but allow the articles of incorporation to contract around the default rule of straight voting. ,,39 Damit, daß die Parteien prinzipiell im Gesellschaftsvertrag das staatliche Gesellschaftsrecht abbedingen können, ist aber noch nicht sichergestellt, daß eine effiziente Implementation von Gesellschaftsrecht in den Vertragsnexus von Unternehmen erfolgt. Dies aus zwei Gründen: (1) Im Falle der Wahl einer "default rule" bleibt die Frage offen, ob die vorgeschriebene "default rule" selbst effizient ist, eine Frage die sich aus der Theorie der Firma heraus nicht immer eindeutig beantworten läßt. (2) Es ist nicht klar, ob allein das Kriterium der freien Verhandlungsmöglichkeit von Gesellschaftsverträgen schon automatisch zu eiher effizienten Mischung aus "default rules" und individuellen Vereinbarungen führt. Dies dürfte zumindest strittig sein, wenn man die Vertragsparteien als mit unterschiedlicher strategischer Verhandlungsmacht ausgestattet betrachtet. 4o Beide angeführten Bedenken eröffnen eine interessante Perspektive auf das Problem der Rechtswahl im Gesellschaftsrecht, die jedoch als eine vorsichtige Hypothese verstanden werden sollte. Solange nicht der rigorose Nachweis erbracht werden kann, daß Vertragsfreiheit bei Abwesenheit von externen Effekten automatisch zu effizienten Ergebnissen führt, mag es neben den "default rules" auch effiziente unabdingbare Regelungen im Gesellschaftsrecht geben, die die Rechtswahl innerhalb eines Gesellschaftsrechts einschränken. Allerdings ist strittig, welche Regelungen abdingbar und welche unabdingbar sein sollten, und wenn eine Regel (un-)abdingbar ist, bleibt die Frage, warum für ein bestimmtes Problem gerade diese Gestaltung als "default rule" oder "mandatory rule" gewählt wurde. 41 An dieser Stelle kann jedoch Rechtswahlfreiheit zwischen Gesellschaftsrechten möglicherweise weiterhelfen. Durch freie Rechtswahl zwischen Gesellschaftsrechten wird nämlich der Möglichkeitsraum der Vertragsfreiheit durch freie Auswahl eines Regulierungsregimes erweitert. Gleichzeitig wird dem Umstand Rechnung getragen, daß es gesellschaftsrechtliche Konfliktpotentiale geben kann, die nicht der Vertragsfreiheit durch eine pauschale opt-out Option preisgegeben werden sollen. Wo die genaue Grenze des opt-outs liegt, ist nämlich wiederum eine Frage, für die es unterschiedliche vertragstheoretische Hypothesen geben mag. 42 Damit ergibt sich, daß viel für die Ayres/Gertner, Filling Gaps ... , S. 87 ff. Siehe überblicksartig zum Problem der effizienten Gestaltung von "default rules" Ayres, Default Rules for Incomplete Contracts, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 1, 1998, London, S. 585 ff.; sowie Schwartz, Incomplete Contracts, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economies and the Law, Vol. 2, 1998, London, S. 277 ff. 41 Ayres/Gertner, Filling Gaps ... , S. 90 ff. 39

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78

C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

Rechtswahlfreiheit zwischen Gesellschaftsrechten spricht bei gleichzeitiger Beschränkung der Rechtswahlfreiheit innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Regimes.

111. Zusammenfassende Begründung für eine staatliche Regulierung des Gesellschaftsrechts Läßt man die verschiedenen Begründungen für ein staatliches Formerfordernis im Gesellschaftsrecht, die mit Hilfe der Theorie der Firma rekonstruiert werden können, Revue passieren, können letztlich drei Begründungsstränge für ein staatliches Gesellschaftsrecht identifiziert werden. Die erste Begründung resultiert aus einer Marktversagensargumentation, die darauf abstellt, daß bestimmte Vertragsprobleme von dem am Nexus einer Firma beteiligten Akteuren nicht selbständig gelöst werden können. Freilich mag es eine umstrittene Frage sein, welche Bereiche dies im einzelnen sind, die mögliche Existenz ernsthafter Agenturprobleme im vertraglichen Nexus einer Unternehmung wird jedoch kaum bestritten werden können. 43 Zur Lösung solcher Agenturprobleme ist es sinnvoll, unabdingbare staatliche Regeln (mandatory rules) zu erlassen. Erst die Existenz solcher gesellschaftsrechtlicher Regulierungen ermöglicht es, daß bestimmte gesellschaftsrechtliche Verträge problemlos zustande kommen können. Der zweite Begründungsstrang rührt von transaktionskostenökonomischen Überlegungen her. Staatliches Gesellschaftsrecht dient in diesem Fall nicht dazu, ein mögliches Marktversagen beim gesellschaftlichen Vertragsschluß zu verhindern, sondern das Gesellschaftsrecht stellt Standardvertragsklauseln bereit, so daß die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag nicht in jedem Detail selbst aushandeln müssen, was mit erheblichen Transaktionskosten verbunden sein kann. Die Gesellschafter können also auf das staatliche Gesellschaftsrecht zur Lösung von Vertragsproblemen zurückgreifen, ohne selbst die erheblichen Kosten der Vertrags gestaltung tragen zu müssen. Da es sich bei dem staatlich angebotenen Gesellschaftsrecht in diesem Fall nicht um Marktversagenstatbestände handelt, die Vertragsparteien somit prinzipiell in der Lage sind, das gesellschaftliche Vertragsproblem selbst zu lösen, ist es nicht erforderlich, die gesellschaftsrechtlichen Regulierungen 42 Diese Frage hat offenbar auch Romano mit vor Augen, wenn sie schreibt: "The mandatory-enabling debate can be recast to fit the theme of this monograph: does state competition produce too few mandatory corporate laws?" (Romano, The Genius ... , S. 85). 43 Auch ein Autor wie Posner, der sicherlich nicht im Verdacht steht, bevorzugt staatliche Lösungsmöglichkeiten zu empfehlen, anerkennt, daß es im Bereich des Gesellschaftsrechts Vertragsprobleme gibt, die durch unabdingbare staatliche Regulierungen gelöst werden müssen (Posner, Economic Analysis ... , S. 435).

III. Begründung für eine staatliche Regulierung

79

unabdingbar gelten zu lassen. Sondern es ist aus vertragstheoretischer Sicht effizienter, diese Regulierungen abdingbar als "enabling rules" beziehungsweise "default rules" zu belassen, so daß Parteien individuelle gesellschaftsrechtliche Vertragsgestaltungen vornehmen können, wenn sie dies wünschen und den Nutzen dieser individuellen Regelung höher einschätzen als die Kosten, die mit der Aushandlung der individuellen Regelung verbunden sind. Der dritte Bergründungsstrang läßt sich schließlich verteilungspolitisch verorten. Von dieser Möglichkeit der Begründung von Gesellschaftsrecht war bislang noch nicht die Rede und sie soll auch an dieser Stelle nur in ihren Grundzügen diskutiert werden. Staatliches Gesellschaftsrecht legitimiert sich danach über bestimmte verteilungspolitische Ziele. 44 Denn geseIlschaftsrechtliche Regulierungen können als Instrument dazu benutzt werden, bestimmte Stakeholder eines Unternehmens mit Rechten auszustatten, die es ihnen erlauben, Teile der erwirtschafteten Unternehmensrente von den Shareholdern an sich umzuleiten. Zu den verteilungspolitisch begünstigbaren Stakeholdern können nicht nur Arbeitnehmer zählen, sondern ebenfalls Manager, Kunden, Lieferanten oder Gläubiger. 45 Regulierungen des Gesellschaftsrechts, die bestimmte Stakeholder begünstigen, sind typischerweise unabdingbar. Dies liegt daran, daß die Gesellschafter im engeren Sinne, also die Shareholder, ansonsten einen Gesellschaftsvertrag abschließen könnten, der eine Umverteilung der Renten an die Stakeholder ausschließt. Eine normative Schwierigkeit im Zusammenhang mit den verteilungspolitisch motivierten Regeln des Gesellschaftsrechts ist allerdings, daß es nicht immer leicht sein dürfte, eine Regulierung, die durch das RentSeeking einzelner Gruppen von Stakeholdern zustande gekommen ist, von einer Regulierung zu unterscheiden, die auf dem Konsens der Bürger einer Jurisdiktion beruht und damit legitimiert ist. Im Zusammenhang mit der Debatte um die "soziale Verantwortung" von Unternehmen schreibt beispielsweise Engel: "Insofar as the profit-maximization proxy fails at any time to direct corporate energies down routes supported by social consensus, the legislature has the power, at least in theory, to modify the profit consequences of any given corporate action, so as to nudge corporate behavior in the direction society prefers." Posner und Scott fragen jedoch: "If 44 Zur Frage der "sozialen Verantwortung" von Unternehmen siehe die Beiträge in Posner/Scott (Hrsg.), Economics of Corporation Law ... , S. 67 ff.; sowie mit besonderem Bezug zur "volkswirtschaftlichen Verantwortung der Banken" siehe Hellwig, Banken zwischen Politik und Markt: Worin besteht die volkswirtschaftliche Verantwortung der Banken?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bd. I, 2000, S. 337 ff. 45 Tirole, Corporate Governance ... , S. 23 ff.

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

corporate managers do not maximize corporate profits does it follow that they embrace social goals?,,46 Allen drei Begründungen eines staatlichen Gesellschaftsrechts ist gemeinsam, daß sie mit einem Wissensproblem behaftet sind. Das Wissensproblem besteht darin, daß nicht klar ist, wo jeweils die Grenzziehung zwischen staatlichem, unabdingbarem Gesellschaftsrecht und individuell privatvertraglichem beziehungsweise abbedingbarem Gesellschaftsrecht verlaufen sollte. Tirole bringt dieses Problem prägnant auf den Punkt, wenn er schreibt: "As in other areas of contract law, a hard question is, why does one need a law in the first place? Couldn't the parties reach efficient agreements by themselves, in which case the role of courts and of the government is to enforce private contracts and not to reduce welfare by constraining feasible agreements?"47 Eine Möglichkeit, mit diesem Problem umzugehen, ist bereits angesprochen worden: institutioneller Wettbewerb. Indem nämlich verschiedene Gesellschaftsrechte miteinander konkurrieren, kann Wissen darüber geschaffen werden, welches die tragfahigsten gesellschaftsrechtlichen Regulierungen sind. "Tragfahigkeit" bedeutet dabei zweierlei. Zum einen die Selektion derjenigen gesellschaftsrechtlichen Regeln, die ein Problem am besten lösen, dies könnte man auch als die allokative Komponente des institutionellen Wettbewerbs bezeichnen, und zum zweiten kann durch institutionellen Wettbewerb innerhalb der verteilungspolitisch motivierten Regulierungen besser zwischen den Regulierungen unterschieden werden, die durch den Konsens der Bürger einer Jurisdiktion zustande gekommen sind und denjenigen, die auf dem Rent-Seeking einzelner Stakeholder beruhen.

IV. Zum Regelungsgehalt des Gesellschaftsrechts Mit der kurzen Analyse der vertragstheoretischen Ansätze der Finna ist nicht bezweckt worden, ein nonnatives Referenzsystem für das Gesellschaftsrecht abzuleiten, eine Frage, hinsichtlich der die verschiedenen Ansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Sondern es sollte ein Eindruck davon vennittelt werden, welche grundSätzlichen Probleme in einer Unternehmung aus vertragstheoretischer Sicht bestehen und welche Problernkategorien durch Gesellschaftsrecht in einer Unternehmung zu lösen sind. Und es ist gerade auch die theoretische Unsicherheit und Unterschiedlichkeit in den Vertragstheorien, die dem Wettbewerb zwischen Gesell46 Engel, An Approach to Corporate Social Responsibility, in: PosnerlScott (Hrsg.), Economics of Corporation Law ... , S. 69; siehe auch PosnerlScott, Economies of Corporation Law ... , S. 88. Zum Problem des Rent-Seekings siehe ausführlicher Abschnitt E.I1l. 47 Tirole, Corporate Govemance ... , S. 25.

IV. Zum Regelungsgehalt des Gesellschaftsrechts

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schaftsrechten auch eine "wissenschaftliche" Funktion gibt. Wenn es nämlich bislang nicht möglich ist, mit Hilfe der Theorie der Firma deduktiv das effiziente Design des Gesellschaftsrechts eindeutig zu bestimmen, kann ein Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten möglicherweise Aufschluß über das effiziente Gesellschaftsrecht geben und damit auch zur Klärung der Frage beitragen, welche Hypothesen der Vertragstheorien zutreffen. Da die verschiedenen Vertragstheorien nur einen sehr abstrakten Eindruck über die Gestaltung gesellschaftsrechtlicher Regeln vermitteln, der institutionelle Wettbewerb aber zwischen hochkomplexen gesellschaftsrechtlichen Regelsystemen stattfindet, ist es sinnvoll, den typischen Regelungsgehalt von Gesellschaftsrecht noch etwas näher zu kennzeichnen.

1. Dimensionen des Gesellschaftsrechts a) Innenverhältnis Das Gesellschaftsrecht läßt sich in zwei Dimensionen unterscheiden. In seiner Außenbeziehung sorgt das Gesellschaftsrecht dafür, daß das Unternehmen als eigenständige Person in der Welt in Erscheinung tritt. Im Innenverhältnis geht es hingegen um die rechtliche Organisation der Zusammenarbeit von Leitung, Aufsichtsgremien, Mitarbeitern, Anteilseignern und gegebenenfalls Kreditgebern. 48 Die gesellschaftsrechtlichen Probleme im Innenverhältnis lassen sich auf das Problem der Verhandlung des Gesellschaftsvertrages verdichten. Dabei sind zwei Problemkategorien zu unterscheiden. Die erste Kategorie bezieht sich darauf, daß der Aushandlungprozeß ohne Zwang, Betrug und Ausnutzung der Unerfahrenheit einer vertragschließenden Partei stattfinden muß. Diese Kategorie ist zweifellos von großer praktischer Bedeutung, aus systematischer Sicht ist hingegen die zweite Problemkategorie von noch größerer Bedeutung. Sie bezieht sich auf das Problem der Nachverhandlung der Vertragsziele der zum Vertragsnexus der Gesellschaft zugehörigen Parteien. Das Problem der Nachverhandlung tritt auf, weil der gesellschaftsrechtliche Vertrag unvollständig ist. Denn die Parteien können zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht alle zukünftigen regelungsbedürftigen Probleme vorhersehen oder sie verzichten auf deren ex ante Lösung wegen zu hoher Transaktionskosten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung. Auch die Vereinbarung von Nachverhandlungsklauseln kann dieses Problem nicht völlig lösen, weil die Ableitung einer optimalen Nachverhandlungsregel die Kenntnis der zukünftigen Probleme voraussetzen würde. 48 Epstein, Simple Rules for a Complex World, 1995, Cambridge, S. 246; Schäfer/ Oft, Lehrbuch ... , S. 601 ff.

6 Heine

C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

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Es gibt zwei Strategien, um die nachvertragIichen Probleme im Innenverhältnis einer Lösung näher zu bringen. Die erste Strategie besagt einfach, daß bei nachträglichen Anpassungen des Gesellschaftsvertrages die einstimmige Zustimmung aller an der Gesellschaft beteiligten Parteien erforderlich ist. Zwar ist mit dieser Regel sichergestellt, daß nur pareto-superiore Veränderungen des Gesellschaftsrechts erfolgen, die Transaktionskosten der Exekution dieser Regel steigen aber enorm mit Zunahme der an einer Gesellschaft beteiligten Parteien. Zudem ist nicht auszuschließen, daß sich einzelne Parteien strategisch verhalten und ihre Zustimmung an den Empfang von Seitenzahlungen knüpfen (sog. greenmailing). Aus diesen Gründen hat sich das Gesellschaftsrecht zur Steuerung des Innenverhältnisses in eine andere Richtung entwickelt. Danach ist es bestimmten Gruppen, zum Beispiel der einfachen Mehrheit der Aktionäre oder der Gesellschafter erlaubt, den ursprünglichen Vertrag einseitig mit den anderen Parteien zu brechen, solange die Schäden der unterlegenen Parteien kompensiert werden. Dies macht auf das durch Gesellschaftsrecht zu lösende Problem aufmerksam, passende Abstimmungsregeln für die Nachgründungsphase eines Unternehmens bereitzuhalten. Damit eng verbunden ist auch die Zuteilung von Entscheidungskompetenzen in der Unternehmung, wie die Festlegung, welche Entscheidungen der Vorstand oder ein Geschäftsführer in eigener Verantwortung treffen kann, um rasch auf eine marktliche Datenänderung reagieren zu können. 49 Mit der Frage der Zuordnung von Entscheidungskompetenzen durch Gesellschaftsrecht auf bestimmte Funktionsträger ist bereits die nächste vom Gesellschaftsrecht im Innenverhältnis zu lösende Problemkategorie angesprochen: Die Haftung der Geschäftsführung. Wäre die Geschäftsführung für jede Entscheidung, die das Vermögen einer zur Gesellschaft gehörenden Vertragspartei schädigt, haftbar, würde sich wohl niemand bereit erklären, das Management einer Unternehmung im Auftrag zu übernehmen. Umgekehrt würde jedoch die Freistellung des Managements von jeder persönlichen Verantwortung die Gefahr fahrlässiger Entscheidungen zum Nachteil der am Vertragsnexus der Gesellschaft beteiligten Parteien stark erhöhen. 50 Trotz der Tatsache, daß es bislang keine eindeutige Lösung dieses Problems gibt, muß Gesellschaftsrecht hierauf eine Antwort geben. b) Außenverhältnis Im Außenverhältnis des Gesellschaftsrechts geht es im wesentlichen um das Verhältnis des Unternehmens zu seinen Gläubigern und potentiellen Eigenkapitalgebern. 51 Die Aufgabe des Gesellschaftsrechts ist es in diesem 49

50

Epstein, Simple Rules ... , S. 251. Epstein, Simple Rules ... , S. 252.

IV. Zum Regelungsgehalt des Gesellschaftsrechts

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Zusammenhang, potentiellen Kapitalgebern Transparenz über das Unternehmen zu verschaffen. Sofern Transparenz hergestellt ist, kann jeder Kapitalgeber darüber entscheiden, ob er an den Vertragsnexus der Unternehmung angeschlossen werden möchte. Wie umfassend die gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Herstellung von Transparenz, zum Beispiel durch Aufklärungs- und Publizitätsvorschriften, sein sollten, ist umstritten. So kann ausgehend von der Hypothese der Effizienz der Kapitalmärkte gezeigt werden, daß auf Kapitalmärkten alle relevanten Informationen vorhanden sind und damit alle freiwillig eingegangenen Verträge auf Kapitalmärkten effiziente Verträge sind. Umgekehrt bedeutet dies aber, daß beim Nichtvorliegen von Kapitalmarkteffizienz zusätzliche Regeln durch das Gesellschaftsrecht oder Kapitalmarktrecht erforderlich werden, die die Transparenz auf Kapitalmärkten erhöhen. In Bezug auf Gläubiger kommt dem Gesellschaftsrecht durch die Herausbildung von Rechtsformen die Aufgabe zu, potentiellen Fremdkapitalgebern die Art der Sicherung des entliehenen Kapitals anzuzeigen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung in Kapitalgesellschaften auf das Vermögen der Gesellschaft zu. Nur hingewiesen werden kann in diesem Zusammenhang auf das Problem der Durchgriffshaftung im Konzern. Die Verankerung des Prinzips des Haftungsdurchgriffs auf Obergesellschaften im Konzern soll verhindern, daß Vermögens- und Haftungsmassen im Konzern zuungunsten der Gläubiger nachvertraglich verschoben werden. Im Bereich des Gläubigerschutzes spricht demnach viel dafür, daß die gesellschaftsrechtlichen Regeln nicht von den Gesellschaftern nachträglich verändert werden können. Damit soll verhindert werden, daß die Gläubigerposition rückwirkend geschwächt wird und dem Gläubiger zusätzliche Kosten entstehen, um sich abzusichern. 2. Gesellschaftsrechtliche Grundtypen

Nachdem mit Hilfe verschiedener vertragstheoretischer Ansätze der Theorie der Firma die vertragstheoretische Natur von Unternehmen skizziert wurde und die grundsätzlichen Dimensionen aufgezeigt wurden, in denen Gesellschaftsrecht die vertraglichen Beziehungen in der Unternehmung ordnet, ist nun nur noch eine kurze Bemerkung zu den im Gesellschaftsrecht angebotenen Rechtsformen anzubringen. Die verschiedenen Rechtsformen, die in unterschiedlichen Ländern angeboten werden, können in zwei Kategorien unterteilt werden: Personen- und Kapitalgesellschaften. Jenseits dieser grundsätzlichen Unterscheidung, die man auch am Unterschied zwischen Selbst- und Fremdorganschaft einer Gesellschaft festmachen kann, 51

6*

Schäfer/Oft, Lehrbuch ... , S. 605 ff.; Epstein, Simple Rules ... , S. 263 ff.

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C. Die Bedeutung des Gesellschaftsrechts

und die vor allem einen haftungsrechtlichen Unterschied im Außenverhältnis der Gesellschaft ausmacht, ist es aus einer vertragstheoretischen Perspektive der Unternehmung wissenschaftlich wenig "ergiebig", ausgehend von länderspezifischen Rechtsfonnen, wie beispielsweise der Societe Anonyme, der Private Limited Company, der Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder der Offenen Handelsgesellschaft zu argumentieren. Das heißt nicht, daß im weiteren Verlauf der Arbeit nicht auch entlang der Regeln konkreter nationaler Rechtsfonnen argumentiert wird, dabei werden die Rechtsfonnen aber eher als stilisierte Fakten benutzt, um Prozesse des Regulierungswettbewerbs zwischen Gersellschaftsrechten herauszuarbeiten. Wenn hier über Rechtsfonnen gesprochen wird, ist also ihre spezifische Funktion als institutionelle Problemlösung zur Koordination arbeitsteiliger Prozesse in einer spezifischen Bedingungskonstellation von Produkt, Technologie und Markt gemeint. Je nach Bedingungskonstellation können dabei unterschiedliche Rechtsfonnen komparative institutionelle Kostenvorteile besitzen. 52 Die funktional verstandenen Rechtsfonnen müssen also nicht unbedingt mit den juristisch definierten Rechtsfonnen in einer Jurisdiktion übereinstimmen. "Two corporations often function very differently even though they operate under identical legal fonns.,,53 Diese Vorgehensweise entspricht ganz dem methodischen Grundprinzip der Funktionalität, das in der Rechtsvergleichung Anwendung findet. 54

52 Einen Überblick gibt Eggertson, Economic Behavior ... , S. 178; mit besonderem Bezug zur Finanzierungsproblematik siehe Schmidt, Grundformen der Finanzierung. Eine Anwendung des neo-institutionalistischen Ansatzes der Finanzierungstheorie, in: Kredit und Kapital, Bd. 14, 1981, S. 186 ff. 53 Epstein. Simple Rules ... , S. 246 ff. 54 ZweigertlKötz. Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., 1996, Tübingen, S. 33. Eine für unsere Zwecke brauchbare Definition von Gesellschaftsrecht liefert auch Black: "I define ,corporate law' to include laws - whether made by legislators, judges, or regulators - that primarily govem the relationship between a company's managers and investors" (Black. Shareholder Passivity Reexamined, in: Michigan Law Review, Vol. 89, 1990, S. 546).

D. Die empirische Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs und die Unterscheidung verschiedener Regulierungswettbewerbstypen Während in den vorangegangenen Abschnitten eine allgemeine Einführung in die Problemdimensionen des interjurisdiktionellen Wettbewerbs zu geben versucht wurde und mit Hilfe des vertragstheoretischen Ansatzes der Theorie der Firma das Gesellschaftsrecht als staatliches Formerfordernis unternehmerischer Betätigung begründet wurde, wenden wir uns nun dem Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten noch direkter zu. Dazu wird in zwei Schritten vorgegangen, um das Problem der Ordnung von Wettbewerbsprozessen zwischen den von Gebietskörperschaften angebotenen gesellschaftsrechtlichen Regeln weiter zu entfalten. Die erste Frage, die gestellt werden kann, ist, welche Bedeutung der Wahl von Gesellschaftsrecht von Unternehmen überhaupt beigemessen wird. Dies kann anhand der historischen Entwicklung des Gesellschaftsrechts des amerikanischen Bundesstaates Delaware gut nachgezeichnet werden. Am Beispiel Delawares soll in diesem Zusammenhang ebenfalls ein Eindruck davon gegeben werden, welche konkreten gesellschaftsrechtlichen Regulierungen von Jurisdiktionen typischerweise angeboten werden und welche Gebühren dafür von Unternehmen im Gegenzug zu entrichten sind. Es entsteht damit ein erster plastischer Eindruck der dynamischen Wettbewerbsprozesse zwischen Gesellschaftsrechten. Ein solches Vorverständnis der empirischen Situation erscheint uns als höchst hilfreich, um die sich unmittelbar anschließenden und im weiteren Verlauf der Arbeit herauszuarbeitenden kategorialen Problemeinordnungen besser verstehen und nachvollziehen zu können. Nachdem ein Grundstock an empirischen Fakten zur Entwicklung und des Ausmaßes an gesellschaftsrechtlichem Wettbewerb in den Vereinigten Staaten gegeben wurde, lautet die nächste Frage dann, welche grundsätzlichen rechtlichen Ebenen es gibt, auf denen sich der Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten abspielen kann. Je nachdem welche Ebene dem Regulierungswettbewerb geöffnet wird, ergibt sich ein anderer Typ von Wettbewerb. Mit Hilfe einer solchen Typologie können allgemeine Aussagen über die potentielle Intensität des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht abgeleitet werden in Abhängigkeit zur Metaordnung, unter der dieser Wettbewerb abläuft.

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

Es wird in diesem Kapitel deutlich werden, daß die Analyse des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht sehr differenziert durchgeführt werden muß und es keine einfachen Antworten zur Ordnung institutioneller Wettbewerbsprozesse gibt. Diese Einschätzung gilt sowohl in phänomenologischer Hinsicht auf die empirische Bedingungskonstellation, die sich am Beispiel des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht in den Vereinigten Staaten dem Betrachter darbietet, als auch hinsichtlich der unterschiedlichen Regulierungswettbewerbstypen, die zur Lösung des Ordnungsproblems zur Verfügung stehen.

I. Zur empirischen Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs 1. Erfahrungen der amerikanischen Bundesstaaten

Einen guten Eindruck vom Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht kann man sich verschaffen, wenn man sich fallstudienartig den im Norden der Ostküste gelegenen kleinen US-amerikanischen Bundesstaat Delaware näher betrachtet, der sich in den letzten 80 Jahren zum führenden Anbieter von Gesellschaftsrecht unter den Bundesstaaten entwickelt hat. Heute ist ungefähr die Hälfte der großen US-amerikanischen Unternehmen in Delaware inkorporiert, die überwiegende Zahl an US-amerikanischen Börsen notierten Gesellschaften haben das Gesellschaftsrecht Delawares gewählt und circa 80 Prozent der Gesellschaften, die ihr Gesellschaftsrecht verändern (Reinkorporation), wechseln nach Delaware. I Der Erfolg Delawares hängt von zwei Faktoren ab, die im folgenden noch genauer untersucht werden, an dieser Stelle aber zum besseren Verständnis bereits benannt werden sollen: Einer Wettbewerbsordnung für den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb auf der konstitutionellen Regelebene, deren Hauptelement die gegenseitige Anerkennung der Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten im Sinne der Gründungstheorie ist, was durch die Verfassung der Vereinigten Staaten gewährleistet ist (Art. I sec. 8 in Verbindung mit der paradigmatischen "doctrine of reserved powers" sowie der "commerce clause"), und die permanente innovative Anpassung des Gesellschaftsrechts an die Bedürfnisse der inkorporierenden Unternehmen auf der Handlungsebene der Bundesstaaten. Daß die Wahl des geeigneten Gesellschaftrechts für Unternehmen unter diesen Bedingungen keine nachrangige 1 DoddlLeftwich, The Market for Corporate Charters: "Unhealthy Competition" versus Federal Regulation, in: Journal of Business, Vol. 53, 1980, S. 259 ff.; Romano, Law as a Product ... ; dieselbe, The Genius ... , S. 6; dieselbe, Corporate Law and Corporate Governance, in: CarrolllTeece (Hrsg.), Firms, Markets, and Hierarchies: The Transaction Cost Economics Perspective, 1999, New York, S. 365 ff.

I. Der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb

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Entscheidung ist, wird besonders deutlich, wenn man wichtige Ereignisse aus der gesellschaftsrechtlichen Geschichte Delawares herausgreift. Das Ende des 19. Jahrhunderts war in den Vereinigten Staaten einerseits durch einen enormen Wirtschaftsaufschwung geprägt, andererseits jedoch auch durch einen hohen industriellen Konzentrationsgrad und die Monopolisierung der Wirtschaft in wenigen Händen, wofür beispielsweise die Rockefeller- und DuPont-Familie als Synonyme stehen. Eine Reaktion auf diese Monopolisierung der Wirtschaft, die zunehmend die Konsumentensouveränität bedrohte, war die Antitrustgesetzgebung einzelner Bundesstaaten und schließlich der Sherman Act von 1890, der auf der Bundesebene gegen Monopole und Kartelle vorging? In dieser Situation kam 1896 die Regierung des durch die Rückzahlungsverpflichtung von Bürgerkriegsanleihen in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Staates von New Jersey auf die Idee, ein liberales Gesellschaftsrecht gegen Bezahlung einer Gebühr ("franchise tax") anzubieten, das kartellrechtlich in Schwierigkeiten geratenen Unternehmen durch die gesellschaftsrechtliche Ermöglichung von Holding-Konstruktionen Schutz bot? So gab es im Jahre 1896 in New Jersey 834 sich inkorporierende Unternehmen, die zu jährlichen Einnahmen von $ 857.655 aus der "franchise tax" führten. Bis 1901 stiegen die jährlichen Inkorporationen auf 2347 und die Einnahmen aus der "franchise tax" beliefen sich auf $ 2.315.592. 1905 betrugen die Einnahmen schließlich $2.940.918 und der Gouverneur konnte erfolgreich verkünden: "Of the entire income of the government, not a penny was contributed directly by the people ... ,,4 Das zwang die anderen Bundesstaaten zur Anpassung ihrer Gesellschaftsrechte, wollten sie nicht alle Gesellschaften an New Jersey verlieren. Dieser rechtliche Imitationsprozeß führte allerdings bereits 1904 zu einer programmatischen Feststellung des Committee on Uniform Incorporation Law mit dem Titel "State Laws - Survival of the Unfit,,5, in der die Auswüchse des Gesellschaftsrechts unter dem Aspekt des Manageralismus und des Rent-Seekings beklagt wurden. Der Erfolg New Jerseys nahm in den Jahren 1910 bis 1913 ein Ende, als der spätere Präsident der Vereinigten Staaten Woodrow Wi1son in sieben gesellschaftsrechtlichen Reformen (Seven Si sters Acts) die liberale gesell2 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd. 42, 1978, S. 235. 3 Einen ausführlichen wirtschaftshistorischen Überblick über Aufstieg und Niedergang New Jerseys auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte gibt Grandy, New Jersey Corporate Chartermongering, 1875-1929, in: The Econornic Journal of History, Vol. 49, 1989, S. 677 ff. 4 Zitiert nach Sandrock, Ein arnerikanisches Lehrstück ... , S. 236. 5 Zitiert nach Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück ... , S. 236.

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

schaftsrechtliche Gesetzgebung zurücknahm. 6 Mit dieser Rücknahme der liberalen gesellschaftsrechtlichen Gesetzgebung ist nun auch das über das Anekdotische hinausgehende Ereignis verbunden, das die eigentliche Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Rechtswahl über die krisenhafte Umgehung der restriktiver werdenden Kartellgesetzgebung markiert. Denn der geographische Nachbar New Jerseys, Delaware, der ebenfalls ein liberales Gesellschaftsrecht bereithielt, kopierte das präreformatorische Gesellschaftsrecht New Jerseys, woraufhin sich die überwiegende Zahl an New JerseyGesellschaften nach Delaware reinkorporierte. Dies kann ereignisanalytisch als ein erster Hinweis dafür gewertet werden, daß Gesellschaftsrecht einen nicht zu vernachlässigenden Faktor für Unternehmen spielt, jenseits der kurzfristigen politischen Bedeutung, wie es zunächst im Zuge der amerikanischen Entwicklung des Kartellrechts der Fall war. Ein weiterer Hinweis auf die Relevanz des Gesellschaftsrechts für die unternehmerische Betätigung findet sich wiederum in Delaware in der Zeit zwischen 1963 und 1969. 1963 beabsichtigten New Jersey und Maryland durch eine besonders liberale gesellschaftsrechtliche Gesetzgebung gegenüber Fusionen, dem in dieser Zeit starken unternehmerischen Interesse nach Zusammenschlüssen nachzukommen, mit der Absicht "to ,out Delaware' Delaware". Bereits 1967 trat jedoch in Delaware ein überarbeitetes und vorher angekündigtes Gesellschaftsrecht in Kraft, das den Ansprüchen der Unternehmen so gut entsprach, daß die monatlichen Inkorporationen in Delaware von circa 300 auf 800 anstiegen. 7 Dies macht nochmals deutlich, wie sensitiv Unternehmen auf das ihnen angebotene Gesellschaftsrecht reagieren. Während sich die Erfolgsgeschichte von Delaware besonders auf Großunternehmen in Form öffentlich an Börsen gehandelter Aktiengesellschaften bezieht, kann man die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Rechtswahl durch Unternehmen aber noch an einer weiteren Entwicklung der letzten Jahre in den Vereinigten Staaten festmachen; nämlich das zunehmende Angebot und die Fortentwicklung der Limited Liability Company (LLC), die verglichen mit deutschen Rechtsformen am ehesten mit einer Mischung von Personengesellschaft und GmbH zu vergleichen ist. Die Rechtsform der LLC wird definiert als ,,[A] form of c10sely held business which combines the benefits of limited liability with the tax advantages of partnership ... 8 6 Cary, Federalism and Corporate Law: Reflections upon Delaware, in: Yale Law Journal, Vol. 83, 1974, S. 664. 7 Sandrock, Ein amerikanisches Lehrstück ... , S. 237; DoddlLeftwich, The Market for Corporate Charters ... ; Romano, Law as a Product ... 8 KobayashilRibstein, Evolution and Spontaneous Uniformity: Evidence from the Evolution of the Limited Liability Company, in: Economic Inquiry, Vol. 34, 1996, S.465.

I. Der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb

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Die amerikanischen Bundesstaaten bieten ihren kleinen und mittleren Unternehmen vermehrt diese Rechtsform an, wie insbesondere Kobayashi und Ribstein empirisch zeigen können. 9 Dieses empirische Phänomen steht im Widerspruch zu theoretischen Überlegungen, die aufgrund der vergleichsweise geringen Mobilität von Personengesellschaften vorhersagen, daß sich Staaten kaum um deren Fortentwicklung kümmern würden. lo Dennoch scheint die Nachfrage nach der Fortentwicklung dieser Statuten durch Unternehmen sehr stark zu sein. Dieses Phänomen ist bislang noch nicht völlig aufgeklärt, es spricht allerdings viel dafür, daß es sich hier um einen sogenannten Yardstick-Competition handelt, in dem die Rechtswahl den Unternehmen über den Umweg einer beschleunigten Gesetzgebung der Jurisdiktionen eröffnet wird. I I

2. Das gesellschaftsrechtliche Angebot am Beispiel Delawares Um einen noch genaueren Eindruck des Gesellschaftsrechts zu bekommen, wie es sich in den Vereinigten Staaten über die Eröffnung von Rechtswahl und Regulierungswettbewerb herausgebildet hat, ist es lohnend, einen Blick auf die aktuelle Gestaltung des Gesellschaftsrechts von Delaware zu werfen. Dabei werden die Punkte herausgegriffen, mit denen das Gesellschaftsrecht aktuell von auf Inkorporationen spezialisierten "Law-Firms" (hier: CorpAmerica, Inc.) beworben wird. Damit wird auch ein Eindruck davon vermittelt, welche konkreten gesellschaftsrechtlichen Regulierungen in den Vereinigten Staaten in Wettbewerb miteinander stehen. Unter dem Titel "Advantages of Delaware Corporation Law" findet sich beispielsweise: 12 • DeIaware now allows for conversion of corporate entities - LLCs can convert into corporations and corporations can convert into LLCs! • Delaware state income tax is not levied on corporations which are not doing business in Delaware. • Annual franchi~e tax is low (minimum is $ 30 tax plus $ 20 filing fee, total $50). Kobayashi/Ribstein, Evolution ... , S. 471. Ayres, Judging Close Corporations in the Age of Statutes, in: Washington University Law Quarterly, Vol. 70, 1992, S. 365 ff. 11 Siehe für diese Vennutung insbesondere die Ausführungen von Ribstein, Choosing Law by Contract, in: Journal of Corporation Law, Vol. 18, 1993, S. 250; zur Funktionsweise des Yardstick-Competition siehe Abschnitt 0.11.1. 12 Eine ausführliche Synopse der gesellschaftsrechtlichen Regeln, die sich in den einzelnen US-Bundesstaaten finden, gibt Camey, The Production of Corporate Law, in: Southern California Law Review, Vol. 71, 1998, S. 760 ff. 9

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

• One person can be the only Officer, Director, and Shareholder. • Officers and Directors can be indemnified, limiting their personaliiability. • Corporate books and records may be kept anywhere in the world. • No minimum amount of capital is required. • Non-resident shareholders pay no Delaware tax on shares. • Shareholders are protected by takeover statute, which limits abusive hostile takeover tactics. • Directors need not be shareholders. • Service from the State of Delaware is fast and efficient. • Incorporation costs are low. • Most Delaware corporations can be formed within minutes and documents are available within 24 to 48 hours. • Delaware corporation law has well-established legal precedent. The Delaware Court of Chancery is a court of corporate and business expertise and excellence admired around the world. • Delaware courts are respected nationwide for their expertise in corporate matters. • Voting provisions requiring greater-than-majority approval may be enacted. • Liberal choice of corporate name provisions and ease of reserving corporate name. • Corporation may pay dividends from profits and surplus. • Shareholders, directors and/or comrnittee members may act by unanimous written consent in place of formal meetings. • Directors may be given the power to make and alter by-Iaws. • Corporation may hold stocks, bonds or securities of other corporations, real and personal property, within or outside the state, with no limitation as to amount. • Different kinds of business may be carried on in combination. • Corporation may fix quorum of board of directors - not less than onethird of the whole board; two if only two shareholders; one if only one shareholder. • Voting trusts and voting agreements may be created. • Generally, stockholder liability is limited to stock held in the corporation. • Delaware law includes Close Corporation provisions. • Classes of stock may be issued in series.

I. Der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb

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3. Zur Bedeutung der Besteuerung Geht man davon aus, daß Unternehmen Gesellschaftsrecht als "rechtliche Vorprodukte" für den eigentlichen Leistungserstellungsprozeß nachfragen und dabei anscheinend auf die Qualität dieser rechtlichen Produkte sehr wohl wert legen, stellt sich natürlich die Frage, was Unternehmen den staatlichen Rechtsproduzenten als Gegenleistung bieten müssen. Es ist naheliegend, daß die Gegenleistung in Form einer Steuer erbracht werden muß. In den Vereinigten Staaten trägt die Steuer für die Nutzung einer Rechtsform den Namen "franchise tax". Für Aktiengesellschaften, die sich in Delaware inkorporieren, beträgt beispielsweise bei bis zu 3.000 Stammaktien 13 die "franchise tax" $ 30, der Betrag erhöht sich gestaffelt bis zu 10.000 Stammaktien auf $ 90, jede weiteren 10.000 Stammaktien kosten $ 50. Die maximale "franchise tax", die zu entrichten ist, ist jedoch auf $150.000 beschränkt. Darüber hinaus verlangt das Registergericht bei jeder Eintragung oder Veränderung gesellschaftsrechtlicher Tatbestände weitere Gebühren. Hiervon gibt nachstehende Tabelle (Tab. 1) einen Eindruck. Die Einnahmen aus der "franchise tax" spielen eine große Rolle bei der Finanzierung des Staatshaushalts Delawares. Wie Tabelle 2 zeigt, machen die Einnahmen aus der "franchise tax" regelmäßig ca. 15 % bis 20% des Budgets aus. Dieser hohe Anteil ist jedoch nicht nur für sich allein genommen interessant, sondern vor allem im Vergleich zu den anderen Bundesstaaten, die nur einen Bruchteil der Einnahmen Delawares aus ihrer "franchise tax" zur Deckung des Staatsbudgets erzielen können (Tabelle 3). Diese Struktur der Staatseinnahmen wird noch theoretisch genauer zu analysieren sein. An dieser Stelle ist folgendes festzuhalten: Die "franchise tax" spielt aufgrund ihres Volumens eine bedeutende Rolle für Delaware und ist daher ein Anreiz zur Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts. Sie scheint jedoch keine besonders herausragende Rolle als aktiver Aktionsparameter beim Wettbewerb um Inkorporationen zu spielen. Das bedeutet, die "franchise tax" wird von Delaware nicht aktiv benutzt, um in einem steuerlichen Unterbietungswettlauf, Gesellschaften zur Reinkorporation in Delaware zu bewegen. So ist die "franchise tax" in Delaware durchaus höher als in einer Reihe anderer Bundesstaaten,14 beispielsweise hat Nevada die "franchise tax" und die Einkommensteuer für Gesellschaften mit Betriebsstätte außerhalb des Staates mittlerweile ganz abgeschafft. 15 Die "franchise tax" kann deshalb als Steuerpreis für das von Delaware angebotene Gesellschaftsrecht 13 Die Stammaktien werden zur Berechnung der "franchise tax" normiert, so daß es keinen Unterschied macht, ob die Aktien einen Wert von 1 $ oder 5 $ haben. 14 Romano, Law as a Product ... , S. 255; Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 492.

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungsweubewerbs Tabelle 1 Inkorporationsgebühren in Delaware Corporations-Domestic Priority I (2-Hour) Service is also available a cost of $500

Certificate Type Incorporation Domestication and Incorporation Correction to: Cerrtificate of Incorporation Certificate of Amendment/Restated/Retire Certificate of Designation/Change of Agent Certificate of Merger/Ownership Certificate of Dissolution Termination or Amendment to: Certificate of Incorporation Certificate of Amendment/Restated/Retire Certificate of Designation/Change of Agent Certificate of Merger/Ownership Certificate of Dissolution Change of Agent/Office Change of Agent/Office (non-stock) Blanket Change of Office/Name Resignation of Agent w/appointment Resignation of Agent w/o appointment Certification of Designation Certificate of Amendment Certificate of Retirement Restated Certificate of Incorporation Merger (plus taxes if DE merging out) Dissolution: 274 - Before Beginning Business 275 - Stock (plus taxes to dissolve) 276 - Non-stock 391 - Short Form (plus taxes to dissolve) Revocation Renewal (plus taxes to renew) Transfer and Continuance of Domestic Corp.

State Tax & Filing Fee

Certified Copy (each)

$ 50.00 $ 110.00 $ 50.00

$20.00 $20.00 $20.00

$ 85.00 $ 100.00 $ 75.00 $ 145.00 $ 110.00

$20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00

$ $ $ $ $ $ $ $ $ +$ 2 $ $ $ $ $ $

85.00 100.00 75.00 145.00 110.00 75.00 5.00 120.00 70.00 per corp. 2.50 75.00 100.00 100.00 100.00 145.00

$ 110.00 $ 110.00 $ 110.00 $ 10.00 $ 80.00 $ 75.00 $1000.00

$20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00 $20.00

Quelle: Auszug aus dem "Delaware Division of Corporations Fee Schedule", Stand 31. Juli 1997.

1. Der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb

93

Tabelle 2 Aufkommen der "franchise tax" in den Jahren 1981-1990 als Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen in Delaware Jahr

Anteil der franchise tax am gesamten Steueraufkommen (%)

Jahr

Anteil der franchise tax am gesamten Steueraufkommen (%)

1981

12,9

1986

15,0

1982

12,9

1987

15,4

1983

12,5

1988

17,7

1984

12,9

1989

17,3

1985

14,8

1990

17,7

Quelle: Romano, R., The Genius of American Corporate Law, Washington, 1993, S. 7 ff.

angesehen werden, den Delaware auf dem Markt für Gesellschaftsrechte gegen seine Konkurrenten bei Unternehmen durchsetzen kann. Diese Behauptung kann durch die empirisch getestete "Cost-Avoidance Hypothesis" von Dodd und Leftwich weiter gestützt werden. 16 Unternehmen wählen den Standort für ihre Inkorporation danach aus, der ihnen insgesamt die kostengünstigsten Bedingungen zum Betrieb eines Unternehmens bietet. Ein wichtiger Teil der Kosten entsteht dabei aus der rechtlichen Organisation des Unternehmens. Diese Kosten übertreffen die "franchise tax" bei weitem, so daß Unternehmen bereit sind, eine höhere "franchise tax" für ein Gesell15 RobertslPivnick, Tale of the Corporate Tape: Delaware, Nevada and Texas, in: Baylor Law Review, Vol. 52, 2000, S. 79. Steuersystematisch hat die in Nevada noch erhobene Steuer auf Gesellschaften nichts mehr mit dem zu tun, was man sich finanzwissenschaftlich unter einer Rechtsformsteuer üblicherweise vorstellen könnte. Erhoben wird die Steuer nämlich in Abhängigkeit von der Anzahl der Beschäftigten eines in Nevada produzierenden Unternehmens. Korrekterweise handelt es sich daher um eine Steuer auf den Faktor Arbeit, wobei beschäftigungsintensive Unternehmen offensichtlich eine höhere Steuerlast tragen müssen als kapitalintensive Unternehmen. Interessant ist das Beispiel Nevada, weil es auf den zweiten Blick die These untermauert, daß im interjurisdiktionellen Wettbewerb Jurisdiktionen systematisch ihre Standortvorteile entwickeln. So bietet Nevada ein liberales Recht für Glücksspiele an, mit der Folge, daß sich am Standort Nevada eine florierende Glücksspiel- und Tourismusindustrie entwickelt hat. Diese Industrie ist sehr beschäftigungsintensiv und weist nur wenige Substitutionsmöglichkeiten durch Kapital auf. Für Nevada ist es deshalb rational, als Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Gesellschaften am Ort die Beschäftigtenzahl zu wählen, um die Steuereinnahmen zu maximieren. Dies erscheint um so rationaler, weil Nevada neben der Glücksspielindustrie kaum über andere entwickelte Industriezweige in nennenswertem Umfange verfügt. 16 DoddlLejtwich, The Market for Corporate Charters ... , S. 267.

94

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungsweubewerbs Tabelle 3

Einnahmen aus der "franchise tax" in Prozent des Gesamtsteueraufkommens in den Jahren 1960 bis 1990 in ausgewählten US-Bundesstaaten

~

1960

1970

1980

1990

Alabama

3,1

2,3

2,4

2,7

Delaware

12,9

17,7

Staat

13,7

22,5

Kalifornien

0,1

0,1

Louisiana

3,2

Nevada

1,1

New Jersey

8,7

k.A

New York

0,2

0,1

0,1

0,1

Pennsylvania

5,4

4,5

3,9

4,6

0,02

0,1

3,1

2,8

6,3

0,6

0,5

0,4

3,7

1,3

Tennessee

2,7

2,6

2,4

4,6

Texas

7,6

5,7

5,2

4,1

Wyoming

0,4

0,3

0,2

0,3

Quelle: Romano, R., The Genius of Arnerican Corporate Law, Washington, 1993, S. 10 ff.

schaftsrecht zu zahlen, wenn dadurch die Kosten der rechtlichen Organisation des Unternehmens erheblich gesenkt werden können. Unternehmen scheinen daher in den Vereinigten Staaten das spezifische gesellschaftsrechtliche Produkt aus Delaware zu bevorzugen und dafür einen entsprechenden Preis zu entrichten bereit zu sein. Damit wird deutlich, daß die relevanten Aktionsparameter im Regulierungswettbewerb des Gesellschaftsrechts weniger im Bereich der Besteuerung zu suchen sind, als in der Innovations- und Anpassungsfahigkeit des von Gebietskörperschaften angebotenen Gesellschaftsrechts.

4. Inkorporationsort und Firmenwert Ein Indiz dafür, welchen Stellenwert das Gesellschaftsrecht als "rechtliches Vorprodukt" für Unternehmen spielt, läßt sich auch anhand der Entwicklung des Firmenwertes von Unternehmen ablesen. Kurz gesagt: Ist der Firmenwert von in Delaware inkorporierten Unternehmen systematisch höher als derjenige von Unternehmen, die in anderen Bundesstaaten inkorporiert sind? Hierbei handelt es sich zweifellos um eine höchst komplexe Frage, die sowohl grundsätzliche Fragen der Unternehmensbewertung tangiert als auch mit schwierigen meßtechnischen Problemen behaftet iSt. 17

I. Der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb

95

Dennoch kann eine Beantwortung gerade dieser Frage Aufschluß über die produktive Wirkung von Gesellschaftsrecht geben und zwar nicht nur in einzelwirtschaftlicher Hinsicht, sondern es wird auch der Bogen zu den makroökonomischen Wirkungen der Institution Gesellschaftsrecht geschlagen. Wenn nämlich die kompetitive Bereitstellung von Gesellschaftsrecht zu einer systematischen Steigerung des Firmenwertes führen sollte, bedeutet dies auch, daß das investierte Kapital in einer Unternehmung besonders produktiv genutzt wird und damit einen entsprechend höheren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet. 18 Die Frage, ob ein dem Regulierungswettbewerb ausgesetztes Gesellschaftsrecht den Firmenwert erhöht und sich damit eine kausale Verbindung zwischen institutionellem Wettbewerb und Wirtschaftswachstum herstellen läßt, ist - wie gesagt - eine meßtechnisch schwer zu beantwortende Frage. 19 Neuere Untersuchungen20 scheinen jedoch zu belegen, daß zumindest tendentiell eine solche positive Wirkung vom Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten auszugehen scheint. Gezeigt wird, daß der Firmenwert 17 Eine grundsätzliche Frage ist beispielsweise, welche Aussagekraft dem Finnenwert noch zukommt, wenn man von einem monistischen Shareholder value-Ansatz, wie er in den Vereinigten Staaten herrscht, zu einem pluralistischen Stakeholder-Ansatz übergeht, wie er in Europa vorherrscht. Im Stakeholder-Ansatz würde sich nämlich die durch gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb induzierte Effizienzsteigerung nicht allein in der Steigerung des Finnenwertes niederschlagen, sondern ebenfalls in Vorteilen für andere Stakeholder, so daß es bei alleiniger Betrachtung des Finnenwertes zu Fehleinschätzungen der produktiven Wirkung des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs kommen kann (Skeel, What's So Bad About Delaware?, in: Vanderbilt Law Review, Vol. 54, 2001, S. 314; siehe auch Tirole, Corporate Governance ... ). 18 Natürlich ist es eine sehr schwierige Frage, den Einfluß einzelner Institutionen auf das Wirtschaftswachstum von Jurisdiktionen zu messen. Klar dürfte allerdings sein, daß gewisse institutionelle Mindeststandards erfüllt sein müssen, damit ein Wirtschaftssystem funktionieren kann. Mit Bezug zum Gesellschaftsrecht widmen sich dieser Frage Romano, The Genius ... , S. 140 ff.; La Porta u.a., Law and Finance, in: Journal of Political Economy, Vol. 106, 1998, S. 1113 ff.; und Beine! Stieglitz, Zur Konvergenz von Corporate Governance Systemen: eine innovationsökonomische Analyse, in: GerumiKraglLingenfelder (Hrsg.), Betriebswirtschaftliche Studien zu Marketing, Organisation und Rechungslegung, Nr. 18, 2001, Marburg. Ein Ergebnis dieser Untersuchungen ist, daß "schlechte" Institutionen zusätzliche Transaktionskosten der Regulierungsumgehung erzeugen, die dann die Wachstumsraten einer Jurisdiktion "belasten". 19 Siehe hierzu zusammenfassend für eine Reihe von Studien Romano, The State Competition Debate in Corporate Law, in: Cardozo Law Review, Vol. 8, 1987, S. 709 ff.; dieselbe, Corporate Law and Corporate Governance ... , S. 410 ff. Zum Problem. des Zusammenhangs zwischen Institutionen und Wirtschaftswachstum siehe auch die konzeptionelle Untersuchung von NelsonlSampat, Making Sense of Institutions as a Factor Shaping Economic Perfonnance, in: Journal of Economic Behavior and Organization, Vol. 44, 2001, S. 31 ff. 20 Daines, Does Delaware Law Improve Finn Value?, Discussion-Paper Columbia University, Center for Law and Business, 1999, New York.

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

von Unternehmen, die sich nach Delaware (re-)inkorporieren, signifikant höher ist, als von Unternehmen, die das Gesellschaftsrecht eines anderen US-amerikanischen Bundesstaates angenommen haben. Und Romano kommt nach Auswertung verschiedener Studien zur Entwicklung des Firmenwertes unter einem Regime der Gründungstheorie zu dem Schluß, daß die Möglichkeit sich zu (re-)inkorporieren zumindest nicht den Firmenwert signifikant senkt, sondern eher steigert oder zumindest nicht beeinflußt,21 Damit wird nicht nur empirisch gezeigt, daß "Governance matters", sondern auch, daß Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten tendentiell in Richtung einer Verbesserung des Gesellschaftsrechts wirkt.

11. Regulierungswettbewerbstypen Um besser verstehen zu können, wie Regulierungswettbewerbsprozesse zwischen Gesellschaftsrechten mit der rechtlichen Rabmenordnung, innerhalb derer sie ablaufen, verknüpft sind, ist es sinnvoll, von einem rechtlichen Mehrebenenmodell auszugehen. In diesem Modell kann man zeigen, wie von der Gestaltung des supranationalen Rechts im allgemeinen und dem Kollisionsrecht als Metaordnung des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs im besonderen die Wettbewerbsprozesse zwischen gesellschaftsrechtlichen Regulierungen kanalisiert werden. Es geht somit um die grundsätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Selektionsumgebung für Innovationsund Adaptionsprozesse im Gesellschaftsrecht. Das Mehrebenenmodell kann geordnet werden nach Mobilitätsgraden, die der Wabl gesellschaftsrechtlicher Regelungen zwischenstaatlich eingeräumt werden. Genau genommen handelt es sich bei dieser Strukturierung um die Abbildung eines Kontinuums von sogenannten "äußeren Institutionen",22 verstanden als kollektive Problemlösungen, hin zur "inneren Institution" des frei verhandelten privatrechtlichen Vertrages. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die "qualitativen Sprünge", die bei Einführung der Faktormobilität (Regulierungswettbewerbstyp III) und beim Übergang zur Vertragsfreiheit (Regulierungswettbewerbstyp V) entstehen. Die Reihenfolge der hier präsentierten Regulierungsmodi ist zwar nach Mobilitätsgraden geordnet, daraus sollte jedoch nicht unmittelbar auf eine Wertung der Regulierungswettbewerbstypen geschlossen werden, zumal jeder Regulierungswettbewerbstyp unter geeigneten Bedingungen einen dynamischen Wettbewerb auszulösen in der Lage ist, der zu einer Anpassung des Gesellschaftsrechts an die Präferenzen der Regulierungsnachfrager führt. Romano, Corporate Law and Corporate Govemance ... , S. 411. Zur Unterscheidung von "äußeren" und "inneren" Institutionen siehe Lachmann, Wirtschaftsordnung und wirtschaftliche Institutionen, in: Ordo, Bd. 14, 1963, S. 63 ff. 21

22

H. Regulierungsweubewerbstypen

97

1. Typ I: Yardstick-Competition

Der sogenannte Yardstick-Competition23 hebt in besonderem Maße die Rolle von Informationen für die Erklärung und Funktionsfähigkeit von interjurisdiktionellen Wettbewerbsprozessen hervor. Als Ausgangspunkt der Überlegungen zum Yardstick-Competition kann man sich einen vollkommen isolierten Staat vorstellen, der seinen Bürgern ein Steuer-LeistungsbündeI anbietet. 24 Metaphorisch könnte man von einem Robinson-Crusoe Staat sprechen. Das heißt, die Bürger empfangen alle privaten und kollektiven Problemlösungen, das sind alle vom Staat seinen Bürgern bereitgestellten Leistungen, exklusiv von ihrer Jurisdiktion. Die Bereitstellung des Gesellschaftsrechts als nachgefragte kollektive Problemlösung kommt in diesem Falle dadurch zustande, daß die gewählten Politiker ein Gesellschaftsrecht in Kraft setzen, unter dem die Gesellschaften fortan operieren müssen. Dieses Gesellschaftsrecht mag durch Gerichte modifiziert werden, prinzipiell ist eine Änderung des Gesellschaftsrechts aber erst möglich, wenn Politiker in Wahlen und Abstimmungen den Auftrag zur Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts erhalten. Daraus folgt, daß Gesellschaftsrecht nur in einem sequentiellen zeitlichen Prozeß fortentwickelt werden kann. Zwei Arten von Problemen sind in diesem Ein-Staaten-Modell von besonderer Relevanz in bezug auf die Rechtsentwicklung. Das erste Problem ist ein Wissensproblem. Es besteht darin, daß rechtliche Regeln, zum Beispiel wie sollten die Treuepflichten des Managements zur optimalen nachvertraglichen Vertragsergänzung im Gesellschaftsrecht geregelt sein, zwar durch Lernen angepaßt werden können, dies aber nur in einem sequentiellen trial-and-error Prozeß der Legislative stattfinden kann. Das zweite Problem besteht in den möglichen Unvollkommenheiten des politischen Prozesses. Vielfältige Probleme des Rent-Seekings können nämlich auftreten, wenn die Anpassung und Fortenwicklung des Rechts exklusiv über die Legislative erfolgt. 25 Im Ein-Staaten-Modell sind die bei den Problemkreise darüber hinaus in der Weise verknüpft, daß den Bürgern bei der Wahl der von Politikern im politischen Wettbewerb angebotenen kollektiven Problemlösungen ein Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der Güte der angebotenen Problemlösungen fehlt,26 was den Selektionsprozeß von Problemlösungen durch Rechtsnachfrager zusätzlich erschwert. 23 Der Begriff Yardstick-Cornpetition wurde geprägt von Shleifer, A Theory of Yardstick Cornpetition, in: The Rand Journal of Econornics, Vol. 16, 1985, S. 319. 24 Salmon, Decentralization as an Incentive Scherne, in: Oxford Review of Econornic Policy, Vol. 3, 1987, S. 24 ff.; Trachtman, Regulatory Cornpetition S. 335; Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 71 ff. 25 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 72. 26 Salmon, Decentralization ... 7 Heine

98

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungsweubewerbs

Yards tick -Competition bezieht sich nun darauf, daß die zuletzt angesprochene restriktive Informationsannahme des fehlenden Vergleichsmaßstabs der Bürger aufgehoben wird. Es wird angenommen, daß zwar weiterhin keinerlei wirtschaftliche Verflechtung zwischen Staaten besteht, horizontal können sich aber Bürger über die Funktionsweise kollektiver Problemlösungen in anderen Jurisdiktionen informieren und diese mit dem Regime vergleichen, unter dem sie selbst handeln müssen. Welche Auswirkungen hat das auf den sequentiellen legislativen Experimentierungsprozeß? Die generelle Antwort auf diese Frage ist, daß der kollektive Lernprozeß beschleunigt wird, da es möglich ist, erfolgreiche Vorbilder zu kopieren und verschiedene Vorbilder miteinander zu vergleichen. Das Wissensproblem um die adäquate Gestaltung der Steuer-Leistungspakete kann dadurch besser gelöst werden?? Das Wissensproblem ist jedoch nur das eine Problem, das andere Problem ist die Unvollkommenheit des politischen Prozesses. Daher werden in der Theorie des Yardstick-Competition auch die Bedingungen für einen funktionsfähigen Yardstick-Competition herausgearbeitet, unter denen das Problem des Rent-Seekings verringert werden kann. Die zu erfüllende (kritische) Voraussetzung ist hierbei, daß Bürger das staatliche Leistungsangebot anderer Jurisdiktionen adäquat beobachten können müssen. Ist diese Voraussetzung erfüllt, wird der politische Prozeß einer Jurisdiktion als Turniermodell in Analogie zu den bekannten Turniermodellen 28 begriffen und modelliert,29 wie sie zum Beispiel in der Arbeitsmarktökonomik Verwendung finden. Demnach gibt es für Politiker bestimmte Karrierepfade, wobei zur Spitze des politischen Systems hin immer weniger Posten zu besetzen sind. Um diese Posten werden Turniere ausgetragen, wobei der Sieger den Posten erhält und die Möglichkeit, am nächst ranghöheren Turnier teilzunehmen. Diese Turniere werden typischerweise direkt auf Wählerstimmenmärkten ausgetragen oder in den Gremien der politischen Parteien. Die Schiedsrichterfunktion wird damit im Prinzip von den Wählern ausgeübt, die auf diese Weise ihre Präferenzen zur Geltung bringen können. 27 Kerber macht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Dosi (Dosi, Sources, Procedures, and Microeconomic Effects of Innovation, in: Journal of Econornic Literature, Vol. 26, 1988, S. 1120 ff.) darauf aufmerksam, daß keineswegs davon ausgegangen werden könne, daß institutionelle Imitationsprozesse problemlos stattfinden (Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 75). Aus evolutorischer Sicht sind diese Kopierfehler allerdings differenziert zu bewerten. Einerseits sind sie eine Restriktion zur Adaption überlegener rechtlicher Problemlösungen, andererseits sind sie eine Quelle von Mutationen, die zu nichtintendierten Rechtsinnovationen führen, die der zu kopierenden Regel weit überlegen sein können (Elliot, Holmes and Evolution: Legal Process as Artificial Intelligence, in: Journal of Legal Studies, Vol. 13, 1984, S. 113 ff.). 28 Lazear/Rosen, Rank-order Tournaments as Optimum Labor Contracts, in: Journal of Po1itical Economy, Vol. 89, 1981, S. 841 ff. 29 Salmon, Decentralization ... , S. 30 ff.

11. Regulierungsweubewerbstypen

99

Fragt man nach der Reichweite dieses Ansatzes zur Lösung kollektiver Probleme im allgemeinen und der Anpassung spezifischer Regulierungen, wie dem Gesellschaftsrecht, im besonderen, können also zwei Voraussetzungen benannt werden, die unter der genannten Mobilitätsbedingung zur Entfaltung von Wettbewerb erfüllt sein müssen. Als erstes muß interjurisdiktionelle Beobachtbarkeit der Steuer-Leistungspakete gegeben sein. Zum anderen müssen in den Jurisdiktionen demokratische Wahlverfahren institutionalisiert sein. Sofern diese Bedingungen erfüllt sind, ist ein horizontaler Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen möglich. Das heißt, die Leistung der Politiker bezüglich der Bereitstellung kollektiver Problemlösungen wird vergleichbar und kann über den politischen Prozeß selektiert werden. Ein offensichtlicher Nachteil des Yardstick-Competition liegt allerdings in seiner mangelnden Differenzierungsmöglichkeit bezüglich einzelner kollektiver Problemlösungen. So wird normalerweise in Wahlen nicht über einzelne Regulierungen und Steuern abgestimmt, sondern Parteien und Politiker werden aufgrund eines komplexen Parteiprogramms gewählt. Dies geschieht zudem meist unter den Bedingungen der einfachen Mehrheitswahl. Die Folge davon ist, daß einzelne Regulierungen nur selten wahlentscheidend sind und im Extrem 49,9% der Wähler gar nicht ihr gewünschtes Steuer-Leistungsbündel erhalten. Unter den Bedingungen des YardstickCompetition ist es deshalb nur theoretisch denkbar, daß es zu einem effektiven Wettbewerb zwischen gesellschaftsrechtlichen Regimen kommt. Auch wenn die Bedingungskonstellation des Yardstick-Competition zunächst wenig Bedeutung für den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht zu haben scheint, ist er jedoch insofern interessant als diese Form des Wettbewerbs auch unter sehr restriktiven Bedingungen greift. Diese Form des interjurisdiktionellen Wettbewerbs kommt nämlich bereits in Gang, wenn zwischenstaatlich keinerlei Austausch von Produkten und Faktoren besteht und keinerlei Ordnungsrahmen auf der Metaebene vereinbart ist, der bilaterale Beziehungen zwischen Jurisdiktionen regelt. Die vertikale Verteilung von Kompetenzen im Sinne einer Systemwettbewerbsordnung ist also keine Voraussetzung des Yardstick-Competition. Allein die gegenseitige Beobachtbarkeit von Steuer-Leistungspaketen führt schon zur Auslösung von Wettbewerbsprozessen. Diese Form des Wettbewerbs dürfte beispielsweise eine erhebliche Rolle beim Niedergang der sozialistischen Planwirtschaften durch den Druck der Bevölkerung Ende der 80er Jahre gespielt haben. 3o Zusammenfassend läßt sich zur Bedeutung des Yardstick-Competition sagen, daß die Informiertheit der Nachfrager kollektiver Leistungen eine wichtige systematische Voraussetzung für die Funktionstüchtigkeit von interjurisdiktionellen Wettbewerbsprozessen ist. "In particular, the ,voting 30 7*

Breton, Competitive Govemments ... ; S. 234 ff.

100

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

with the feet mechanism' implies that voters know what is happening in other jurisdictions, in terms of taxes and other policy-outputs.,,31 2. Typ 11: Wettbewerb auf internationalen Gütermärkten

Dieser Regulierungswettbewerbstyp erweitert die Mobilität über die Diffusion VOn Informationen hinaus auf den internationalen Austausch von Produkten. Es handelt sich somit um die Bedingungskonstellation des Freihandels der traditionellen Außenhandelstheorie mit ungehindertem internationalen Güterhandel, aber immobilen Produktionsfaktoren und lokalen Regulierungen. Auf dieser Mobilitätsstufe wird es erforderlich, daß vertikal auf supranationaler Ebene zwischen Staaten ein Abkommen geschlossen wird, das Freihandel vereinbart. Diese Abkommen spielen in der Theorie und Politik der Außenwirtschaft eine bedeutende Rolle und werden seit langem kontrovers diskutiert. Hier interessiert jedoch die engere Frage, welche grundsätzlichen Wirkungen vom Wettbewerb auf internationalen Gütermärkten auf das nationale Gesellschaftsrecht ausgehen. Zunächst kann das nationale Gesellschaftsrecht vergleichbar einem Rohstoff als Vorprodukt für die eigentliche Güterproduktion eines Landes verstanden werden. 32 Je besser das nationale Gesellschaftsrecht in der Lage ist, die Kosten der rechtlichen Unternehmensorganisation zu senken, desto ausgeprägter sind die Kostenvorteile, die die Unternehmen auf den internationalen Gütermärkten erzielen können. Ein Gesellschaftsrecht, das den Anleger- und Gläubigerschutz effizient regelt, erlaubt Unternehmen, sich günstig zu finanzieren und damit die Produktionskosten zu senken. Über den Umweg der Wettbewerbsfähigkeit nationaler Produkte auf internationalen Märkten wird auf diese Weise indirekt ein Wettbewerbsdruck auf den Inputfaktor Gesellschaftsrecht ausgeübt. Beispielsweise werden Unternehmensverbände Politiker drängen, bestimmte Änderungen des nationalen Gesellschaftsrechts vorzunehmen, um Verbesserungen der Kostensituation gegenüber der ausländischen Konkurrenz zu realisieren. 33 Je besser also eine Jurisdiktion ihren institutionellen Rahmen für wirtschaftliche Aktivitäten im Salmon, Decentralization ... , S. 33. Romano, Law as a Product ... ; Camey, The Production ... 33 Es ist klar, daß an dieser Stelle implizite Annahmen über die Verhaltensweisen von Interessengruppen im Rahmen eines außenwirtschaftlichen Kontextes gemacht werden müssen. Siehe hierzu überblicksartig Gandolfo, International Economics I, 1994, Berlin, S. 158 ff.; TrebilcockiHowse, The Regulation of International Trade, 2. Aufl., 1999, London, S. 15 ff.; sowie umfassend Frey, International Political Economics, 1984, Oxford. 31

32

11. Regulierungswettbewerbstypen

101

Inland ausgestaltet, desto größer sind die volkswirtschaftlichen Vorteile der Jurisdiktion im Außenhandel. Der Wettbewerb auf internationalen Gütermärkten ist zweifellos ein kraftvoller Mechanismus, der neben seiner unmittelbaren Wirkung auf die Unternehmen auch auf den institutionellen Rahmen wirkt, unter dem Unternehmen handeln. Bei der Beurteilung des Wettbewerbsdruckes, den internationale Gütermärkte auf das Gesellschaftsrecht auszuüben in der Lage sind, sind jedoch zwei Problembereiche zu identifizieren, die man als das Problem des "Selektionsdruckes" und das Problem der "Selektionsgenauigkeit" bezeichnen könnte. Das Problem des Selektionsdruckes taucht auf, wenn man genauer danach fragt, was mit dem Begriff Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Gütermärkten im Kontext der Fragestellung des interjurisdiktionellen Wettbewerbs gemeint ist. Gemeint ist offensichtlich die Wettbewerbsfahigkeit von Volkswirtschaften auf Gütermärkten in Abhängigkeit ihrer qualitativen Ausstattung mit Regeln, wobei implizit die Analogiebildung gemacht wird, daß man sich gesamte Volkswirtschaften beziehungsweise Jurisdiktionen wie Unternehmen vorstellt, die miteinander in Wettbewerb treten. So fruchtbar diese Analogiebildung für die Theorie des Systemwettbewerbs insgesamt auch sein mag,34 ist sie doch im Einzelfall kritisch zu hinterfragen. Hier besteht das Problem in der Analogie darin, daß Unternehmen im Marktprozeß durch Konkurs ausselektiert werden können, dies aber nicht für Volkswirtschaften gilt. Der Grund dafür ist, daß " ... [e]ine Volkswirtschaft nicht wettbewerbsunfahig werden [kann] in dem Sinne, daß sie aufhören müßte, wirtschaftlich zu existieren, da ihre Produktionsfaktoren weitgehend immobil sind und sich mit den gegebenen Möglichkeiten wohl oder übel arrangieren müssen".35 Eine Jurisdiktion ist somit durch internationalen Wettbewerb auf Gütermärkten keineswegs gezwungen, das Gesellschaftsrecht bei sinkender internationaler Wettbewerbsfahigkeit der Volkswirtschaft anzupassen. Hinzu kommt, daß Unternehmen ihre Produkte nicht nur ins Ausland verkaufen, sondern auch und gerade auf dem Binnenmarkt. Ist der Binnenmarktanteil von Unternehmen hinreichend groß, wird der Selektionsdruck internationaler Gütermärkte entsprechend gemindert, und Unternehmen werden weniger Anreize haben, auf Veränderungen des nationalen Gesellschaftsrechts hinzuwirken. Ein weiterer Grund dafür, daß der Selektionsdruck durch internationalen Wettbewerb nicht so kraftvoll auf den institutionellen Rahmen einer JurisKerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung .. . van Suntum. Internationale Wettbewerbsflihigkeit ... , S. 502. In der Mobilitätsstufe vom Typ 11 wird sogar vollkommene Immobilität von Produktionsfaktoren angenommen. 34 35

102

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

diktion durchschlägt, wie man zunächst meinen könnte, liegt schließlich im Wechselkursmechanismus begründet. ,,[D]er Wechselkursmechanismus wird notfalls auch den letzten ,Ladenhüter' zu einem Exportschlager werden lassen, wenn nur die Importbedürfnisse dringlich genug sind. ,,36 Mit anderen Worten, eine Volkswirtschaft kann unter dem hier angenommenen Typ 11 der Mobilität insgesamt nicht wettbewerbsunfähig und ausselektiert werden, wie dies für Unternehmen gilt. Neben dem Problem des Selektionsdruckes besteht das Problem der Selektionsgenauigkeit. Bei diesem zweiten Problemkreis handelt es sich darum, daß selbst bei einem hohen Wettbewerbsdruck, der von internationalen Gütermärkten auf Unternehmen ausgeht, dieser Druck aufgrund der Heterogenität der Unternehmen und der Unterschiedlichkeit der nachgefragten gesellschaftsrechtlichen Problemlösungen (kleine Unternehmen vs. große Unternehmen, Schwerindustrie vs. Dienstleister usw.) keineswegs unterschiedslos auf das Gesellschaftsrecht weitergeleitet wird. Es mag zum Beispiel in Deutschland die Montanindustrie mit der im deutschen Aktienrecht verankerten Unternehmensmitbestimmung recht zufrieden sein, während Unternehmen aus der Dienstleistungsbranche damit große Probleme haben. Das heißt, die Wünsche von Unternehmen an Veränderungen des Gesellschaftsrechts, die an die Politik einer Jurisdiktion gerichtet werden, können höchst unterschiedlich oder widersprüchlich sein. Zwar ist es möglich, daß sich in einer Jurisdiktion unterschiedliche Rechtsformen herausbilden. Diese Rechtsformen reichen jedoch kaum aus, um den vielfältigen gesellschaftsrechtlichen Bedürfnissen von Unternehmen gerecht zu werden. Ein einzelnes Unternehmen oder eine einzelne Branche werden daher nur in den seltensten Fällen ein Gesellschaftsrecht in ihrer Jurisdiktion durchsetzen können, das ihren Bedürfnissen genau entspricht, da sich das Bündel an gesellschaftsrechtlichen Regeln nur bis zu einem gewissen Grad aufschnüren und an individuelle Bedürfnisse anpassen läßt. 37 Die abschließende Frage, ob Wettbewerb auf internationalen Gütermärkten in einem Ordnungsregime des Freihandels ausreicht, um einen Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten in Gang zu setzen, muß zwar nicht verneint werden, es kann jedoch bezweifelt werden, daß seine Adaptionsfähigkeit an die Bedürfnisse der Nutzer des Gesellschaftsrechts van Suntum, Internationale Wettbewerbsfähigkeit ... , S. 500. Daß Unternehmen äußerst heterogene gesellschaftsrechtliche Bedürfnisse haben können, darauf weisen Easterbrook und Fischel hin, wenn sie schreiben, daß selbst die durch die fünfzig Bundesstaaten der Vereinigten Staaten eröffnete Rechtswahl zwischen Rechtsformen noch keineswegs ausreiche, die vielfältigen gesellschaftsrechtlichen Probleme von Unternehmen zu lösen. "There are only fifty states, perhaps too few to offer the complete menu of terms needed far the thousands of different corporate ventures" (EasterbrookIFischel, The Economic Structure ... , S. 216). 36

37

II. Regulierungswettbewerbstypen

103

besonders hoch ist. Genauer gesagt, der Regulierungswettbewerbstyp 11 ist ein Ordnungsregime, das die Selektion von Unternehmen durch Nachfrager von Gütern im Sinne der Konsumentensouveränität unterstützt, es zielt jedoch nicht auf die Ermöglichung der Selektion von Regulierungen durch Rechtsnachfrager. 38

3. Typ III: Faktormobilität und Standortwettbewerb a) Sitzverlegung mit Formwechsel: Sitztheorie

Auf dieser Mobilitätsstufe ist zusätzlich zum Freihandel der Wechsel mobiler Faktoren zwischen Jurisdiktionen möglich?9 Auf das Gesellschaftsrecht bezogen heißt das, daß ein Investor aus Jurisdiktion A sein Kapital in ein Unternehmen aus Jurisdiktion B investieren kann, wenn er das Gesellschaftsrecht aus Jurisdiktion B für seine unternehmerischen Zwecke als besonders vorteilhaft betrachtet. Ebenfalls kann eine natürliche Person, die ein Unternehmen gründen möchte, in diejenige Jurisdiktion wandern, in der sie das für ihre unternehmerischen Zwecke beste Gesellschaftsrecht findet. Für Unternehmen gilt hingegen, daß sie an das territoriale Gesellschaftsrecht gebunden sind. Das hat zur Folge, daß ein abwanderungswilliges Unternehmen sich zunächst nach dem Recht der aktuellen Jurisdiktion auflösen muß, bevor es sich nach dem Recht der Zieljurisdiktion neugründen kann (Formwechsel).4o Gesellschaftsrecht ist in dieser Mobilitätsstufe somit wie der Faktor Boden immobil beziehungsweise ist das Gesellschaftsrecht mit dem Faktor Boden verkoppelt, wodurch eine eindeutige Relation zwischen Standort und Rechtsordnung begründet wird. Ist der Boden (Staatsgebiet) bereits von einem Gesellschaftsrecht besetzt, kann es nicht gleichzeitig von einem anderen Gesellschaftsrecht besetzt sein. Rechtsirritationen sind in einem solchen kollisionsrechtlichen Regime der sogenannten "Sitztheorie" also ausgeschlossen. Zwischenstaatlich erfordert ein Mobilitätsregime vom Typ III bereits ein ausdifferenziertes Regelwerk auf der Metaebene in der Dimension der Entry/Exit-Ordnung, also der supranationalen Regeln, die das Austauschverhältnis zwischen Faktoren und Jurisdiktionen regeln. Eine Ausdifferenzierung des Kollisionsrechts auf supranationaler Ebene ist hingegen nicht 38 Ein weiteres Indiz für diese Einschätzung ist, daß in der traditionellen Außenwirtschaftstheorie Institutionen nur insoweit eine Rolle spielen, wie sie als nichttarifflires Handelshemmnis in Erscheinung treten. 39 Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 76 ff. 40 Diese Mobilitätsstufe markiert somit einen systematischen Unterschied zwischen der Niederlassungsfreiheit natürlicher und juristischer Personen.

104

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

nötig, da bei diesem Regulierungswettbewerbstyp das nationale Gesellschaftsrecht für den Verwaltungs sitz der Gesellschaft unabdingbar gilt. Durch die Einführung der Faktormobilität kommt es im Regulierungswettbewerbstyp III zu einem Standortwettbewerb zwischen den lurisdiktionen. lurisdiktionen können nämlich durch Variation ihres jurisdiktionellen Angebots um die Ansiedlung mobiler Faktoren auf ihrem Territorium werben,41 um von ihnen in Form von Steuern oder spill-over Effekten zu profitieren. Die mobilen Faktoren selektieren dabei ihrerseits die von ihnen präferierten kollektiven Problemlösungen der lurisdiktionen. In Bezug auf diesen Standortwettbewerb wird allerdings immer wieder auf das Problem eines Regulierungs- und insbesondere Steuerwettlaufs der lurisdiktionen nach unten verwiesen, an dessen Ende die mobilen Faktoren keine Steuern mehr für die empfangenen öffentlichen Leistungen entrichten würden. Der Standortwettbewerb würde auf diese Weise notwendig zu unerwünschten Ergebnissen führen. 42 Dieses Argument erscheint durchaus plausibel in einer institutionenlosen Modellwelt ohne geeignete Metarechtsordnung. Vor dem Hintergrund einer Welt ohne Metarechtsordnung dürften die Bedenken sogar von einiger empirischer Relevanz sein. Sie verweisen damit aber gleichzeitig auf den derzeitigen Mangel geeigneter supranationaler Metaregeln. Es spricht nämlich nichts dagegen, eine geeignete Metaordnung zu errichten, die lurisdiktionen als Clubs begreift und die die Property Rights der mobilen Faktoren beim Clubeintritt und Clubaustritt regelt. Mit Bezug zum Gesellschaftsrecht ist beispielsweise denkbar, daß wie im amerikanischen Bundesstaat Nevada gar keine Steuer auf die Benutzung einer Rechtsform mehr erhoben wird, sondern jede gesellschaftsrechtliche Dienstleistung des Staates gesondert abgerechnet wird - die Preisliste für Clubleistungen wird quasi per Preisaushang am Clubeingang ausgehängt. Es ist somit kein systematisches Argument gegen die prinzipielle Funktionstüchtigkeit eines direkten interjurisdiktionellen Wettbewerbs um die Ansiedlung mobiler Faktoren zu erkennen. Auch das Argument des natürlichen Monopols beziehungsweise steigender Skalenerträge beim Angebot von SteuerLeistungspaketen kann nur bedingt gegen die Funktionsfähigkeit des Standortwettbewerbs überzeugen. Denn im Mobilitätsregime vom Typ III, in dem territoriale Clubs um die Ansiedlung mobiler Faktoren konkurrieren, sind nachfrageseitig heterogene Präferenzen vorhanden, es gibt das Problem der Clubüberfüllung und schließlich handelt es sich nicht um "single-function" Clubs, sondern um "multiproduct" Clubs, da immer ganze Steuer-Leistungsbündel gewählt werden müssen. 43 Diese Aspekte zusammengenomKerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 77. Zu einer solchen Einschätzung siehe beispielsweise Hans- Wemer Sinn, Tax Harmonization and Tax Competition in Europe, in: European Economic Review, Vol. 34, 1990, S. 489 ff. 41

42

11. Regulierungswettbewerbstypen

105

men, lassen es als wenig wahrscheinlich erscheinen, daß der interjurisdiktionelle Wettbewerbsprozeß im Mobilitätsregime vom Typ III zu einer Situation führt, in der es zu einer hegemonialen Jurisdiktion (natürliches Monopol) kommt oder die Clubbeiträge mobiler Faktoren nicht ausreichen, die von der Jurisdiktion erbrachten Leistungen zu entgelten (Trittbrettfahrer Argument).44 Geht man also davon aus, daß im Mobilitätsregime vom Typ III ein direkter interjurisdiktioneller Wettbewerb als prinzipiell möglich erscheint, stellt sich als nächstes die Frage nach der Qualität dieses Wettbewerbs im Vergleich zu den anderen Regulierungswettbewerbstypen. Im Vergleich zum Regulierungswettbewerbstyp 11 ist der Selektionsdruck höher, da Jurisdiktionen den Wettbewerbsschutz durch die Immobilität der Faktoren im Zusammenspiel mit dem Wechselkursmechanismus verlieren. Auch die Selektionsgenauigkeit nimmt zu, da durch die mobilen Faktoren nun unmittelbar Standorte mit ihren Steuer-Leistungsbündeln gewählt werden können. Allerdings ist die Selektionsgenauigkeit noch auf das gesamte Steuer-Leistungsbündel beschränkt. Gesellschaftsrecht kann beispielsweise nicht als einzelne Regulierung gewählt werden, sondern nur im Paket mit allen anderen Regulierungen und öffentlichen Leistungen des Standorts. Insbesondere durch die Zunahme des Selektionsdruckes kann jedoch erwartet werden, daß im Mobilitätsregime vom Typ III ein stärkerer Anreiz zu Innovations- und Imitationsanstrengungen im Steuer-Leistungsbündel von Jurisdiktionen gegeben wird, als dies bei Typ I und Typ 11 der Fall ist. Aus konstitutionenökonomischer Sicht besteht der qualitative Sprung von Typ 11 zu Typ III darin, daß der Monopolcharakter staatlicher Aktivität aufgelöst wird. Während noch im Regulierungswettbewerbstyp 11 lediglich über "Voice" eine Änderung im Steuer-Leistungspaket zu erreichen war, ist nun auch die "Exit"-Möglichkeit gegeben. 45 Dieser qualitative Sprung bedarf noch etwas genauerer Betrachtung. Die hier in einem Exkurs angestellten grundsätzlichen Überlegungen sind hilfreich, um bei der Beantwortung der Frage nach der geeigneten Wettbewerbsordnung im Gesellschaftsrecht eine Zuordnung der Property Rights zur Veränderung des Gesellschaftsrechts konsequent entsprechend dem bottom-up Ansatz begründen zu können.

43 Zur Theorie von "multiproduct" Clubs siehe zum Beispiel SandlerlTschirhart, The Economic Theory of Clubs ... 44 Zur prinzipiellen Funktionstüchtigkeit des interjurisdiktionellen Wettbewerbs aus Sicht der Clubtheorie siehe Siebert, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs ... ,

S.34. 45

Kerber, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 77.

106

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

b) Exkurs: Eine Beurteilung der Faktormobilität aus Sicht der Konstitutionenäkonomik Der Perspektivenwechsel von "Staat als Monopol" zu "Staat als Wettbewerber" ist bereits als Phänomen in der Theorie des Systemwettbewerbs beschrieben worden46 , welchen systematischen Status die Konstitutionenökonomik innerhalb des Wettbewerbsparadigmas einnehmen kann, ist jedoch bislang weitgehend ungeklärt. 47 Eine Klärung dieser Frage könnte weiteren Aufschluß darüber geben, wie das wettbewerbliche Angebot von gesellschaftsrechtlichen Regulierungen normativ einzuordnen und zu legitimieren ist. Es versteht sich, daß die folgenden Überlegungen nur einen ersten Schritt in diese Richtung darstellen. Wie wir bereits in Kapitel B sahen, erhalten im Paradigma "Staat als Monopol" staatliche Aktivitäten über den Verfassungskonsens der Bürger letztlich ihre Legitimation. 48 Die Zustimmung zu einer Konstitution, in der die Property Rights und Verfahrensregeln für die post-konstitutionelle Phase festgelegt werden, wird somit über "Voice" eingeholt, wobei erhebliche Konsensfindungskosten entstehen können. In einer Welt, in der die Bürger an ihre Jurisdiktion gebunden sind, erscheint das Konsenskriterium als geeignetes Kriterium der Legitimation staatlichen Handeins. Das ändert sich in dem Moment, in dem man sich mehrere parallele Jurisdiktionen mit unterschiedlichen Konstitutionen vorstellt und Faktoren, die die freie Wahl haben, zwischen den Jurisdiktionen zu wählen. Der freiwillige Beitritt zu einer Jurisdiktion kann dann ebenfalls als Zustimmung zur Konstitution dieser Jurisdiktion verstanden werden, mit der Folge, daß sich in einer Jurisdiktion diejenigen Faktoren versammeln, die der betreffenden Konstitution auch konsensual zugestimmt hätten. Man kann deshalb Jurisdiktionen als 46 Siehe insbesondere Easterbrook, The State of Madison's Vision of the State ... ; Kerber, Erfordern Globalisierung und Standortwettbewerb einen Paradigmenwechsel ... ; Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... 47 Als Klärungsversuch in diese Richtung sind einige Beiträge von Vanberg zu betrachten (Vanberg, Rules and Choice ... ). Von Vanberg und Buchanan wird der Wettbewerb zwischen lurisdiktionen als Lösungsmechanismus zu dem Problem beschrieben, daß nur unvollständiges Wissen bezüglich des Designs optimaler Verfassungen bestehe. Dieses Wissen würde aber im inteIjurisdiktionelien Wettbewerb um mobile Faktoren generiert werden können, wenn eine geeignete Wettbewerbsordnung für den inteIjurisdiktionelien Wettbewerb vereinbart würde (VanbergIBuchanan, Constitutional Choice .... ). Vanberg und Buchanan bedienen sich bei ihrer Argumentation ausdrücklich der Analogie zwischen Unternehmen und lurisdiktionen. Sie betrachten auch kategorial die Anreizproblematik, die bei der Generierung konstitutionellen Wissens besteht. Ihre Vorschläge zur Lösung der Anreizproblematik bleiben jedoch sehr grundSätzlich und gehen über die allgemeine Forderung nach ..konstitutionellem Wettbewerb" kaum hinaus. 48 BuchananlTullock, The Calculus of Consent, 1962, Ann Arbor.

11. Regulierungswettbewerbstypen

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Clubs 49 auffassen und die (wiederholte) Auswahl von Jurisdiktionen anhand ihres Steuer-Leistungsbündels durch mobile Faktoren mit dem interjurisdiktionellen Wettbewerbsmodell von Tiebout Verbindung bringen. 50 Sowohl das Clubmodell als auch das Tieboutmodell sind jedoch aus konstitutionenökonomischer Sicht nicht zufriedenstellend. Das Problem des Clubmodells ist, daß es keinerlei explizite Aussage darüber macht, durch welchen konstitutionellen Entscheidungsmechanismus das Club angebot zustande kommt. 51 Das Tieboutmodell scheint demgegenüber nur auf der postkonstitutionellen Ebene abzulaufen - es werden lediglich Steuersätze und klassische öffentliche Güter als Steuer-Leistungspakete im interjurisdiktionellen Wettbewerb angeboten. Konstitutionelle Regeln, die die Rechte des Individuums gegenüber dem Staat festlegen, spielen keine systematische Rolle, da das vollständig mobile Individuum bei Unzufriedenheit jederzeit in eine andere Jurisdiktion abwandern kann. 52 Die konstitutionellen Interessen mobiler Faktoren werden vollständig durch die Exit-Option und die freie Wahl der Jurisdiktion gewahrt. Damit stellt sich aber die Frage, wie die Konstitution eines Clubs entscheidungslogisch zu rekonstruieren wäre, wenn angenommen wird, daß Bürger oder unter deren Kontrolle stehende Faktoren nicht vollständig mobil sind beziehungsweise eine Gruppe mobiler und immobiler Faktoren koexistiert. Einen Lösungsvorschlag für das geschilderte Problem machen Boudreaux und Holcombe. 53 Sie gehen von einer privatvertraglichen Perspektive aus an das Problem heran, indem sie den Eintritt in eine Jurisdiktion als Tausch begreifen. Beim freiwilligen kostenpflichtigen Eintritt erwerben Faktoren konstitutionelle Rechte für die Phase, in der sie in der Jurisdiktion ansässig sind. Aus Sicht der Konstitutionenökonomik könnte nun daran gedacht werden, daß das konstitutionelle Angebot durch Konsens aller aktuell in der Jurisdiktion ansässigen Bürger beziehungsweise Eigentümer von Produktionsfaktoren, die sich in der Jurisdiktion befinden, hergestellt wird. Unter Buchanan, An Economic Theory of Clubs ... Siehe zum Beispiel VanberglKerber, Institutional Competition ... ; sowie Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... 51 BoudreauxlHolcombe, Govemment by Contract, in: Public Finance Quarterly, Vol. 17, 1989, S. 275; Hutter, Die Produktion von Recht, 1989, Tübingen, S. 95. 52 BoudreauxlHolcombe, Government by Contract ... , S. 273. Auf die Abkoppelung des Tieboutmodells von seiner institutionellen Umgebung wird beispielsweise auch hingewiesen von Sykes, Regulatory Competition or Regulatory Harmonization? A Silly Question?, in: Journal of International Economic Law, Vol. 3, 2000, S. 258. Er zählt das Modell zur Klasse der Modelle des "pure regulatory competition", in denen Institutionen keine Rolle spielen. Ein weiteres bekanntes Modell dieser Klasse ist das von OateslSchwab, Economic Competition among Jurisdictions: Efficiency Enhancing or Distortion Inducing?, in: Journal of Public Economics, Vol. 35, 1988, S. 333 ff. 53 BoudreauxlHolcombe, Government by Contract ... 49

50

108

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

den Tiebout-Bedingungen sahen wir jedoch, daß mobile Faktoren gar keine konstitutionellen Interessen haben, die sie durch Voice zum Ausdruck bringen müssen. 54 Es sind daher die immobilen Faktoren, an denen die konstitutionellen Interessen hängen. Mit Bezug zum interjurisdiktionellen Wettbewerb ließe sich somit ableiten, daß die immobilen Faktoren einer Jurisdiktion das residuale Recht zum Angebot von Verfassungen haben sollten, denn sie sind diejenigen, die von den Verfassungsregeln unmittelbar betroffen sind und damit einen starken Anreiz zu deren effizienter Fortentwicklung haben. Knüpft man die konstitutionellen Interessen solcherart an die immobilen Faktoren, hat das eine Reihe interessanter Konsequenzen. Auf dem Grundkonsens der immobilen Faktoren aufbauend, werden konstitutionelle Angebote an mobile Faktoren gemacht, die für den Clubeintritt einen Preis zahlen müssen. Bei den Preisen muß es sich keineswegs um Grenzsteuerpreise handeln, sondern der Preis ist Ergebnis von Angebot und Nachfrage, so daß die immobilen Faktoren als konstitutionelle Unternehmer Gewinne aus dem rechtlichen Angebot ziehen können. "In this way, the constitution is the product of a profit-seeking entrepreneurial act.,,55 Und der Wettbewerb zwischen Jurisdiktionen um die Reallokation mobiler Faktoren kann als Feedback-Mechanismus verstanden werden, in dem die konstitutionellen Unternehmer Informationen über die Präferenzen der mobilen Faktoren sammeln. 56 Da nicht jede Facette des rechtlichen Angebots an mobile Faktoren, wie beispielsweise das Gesellschaftsrecht, auf der Ebene des einstimmigen Grundkonsenses verhandelt werden kann, stellt sich natürlich die Frage, ob nicht innerhalb der Gruppe der immobilen Faktoren das Problem des RentSeekings beziehungsweise des strategischen Handeins zum gegenseitigen Nachteil auftreten kann, indem rechtliche Angebote kreiert werden, die nur selektiv für einige immobile Faktoren gewinnbringend sind. Auch wenn dieses Problem systematisch besteht, gibt es einen wichtigen Grund, der die Relevanz dieses Problems deutlich entschärft. Das gesellschaftsrechtliche Angebot richtet sich nämlich an mobile Faktoren, deren genaue Identität unbekannt ist. Gesellschaftsrecht kann zwar sicherlich auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten werden, zum Beispiel kapitalintensive Großunternehmen, darüber hinaus besteht jedoch ein mehr oder weniger dichter Schleier des Nichtwissens57 über die Identität der Rechtsnachfrager beim Abfassen der Konstitution. Erfolgreiche gesellschaftsrechtliche Angebote 54 In einer Tiebout-Welt sind deshalb auch keine politischen Abstimmungsmechanismen in den Jurisdiktionen nötig (Epple/Zelenitz, The Implications of Competition among Jurisdictions: Does Tiebout Need Politics, in: Journal of Political Economy, Vol. 89, 1981, S. 1197 ff.). 55 BoudreauxlHolcombe, Government by Contract ... , S. 268. 56 BoudreauxlHolcombe, Government by Contract ... , S. 273.

11. Regulierungswettbewerbstypen

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werden sich daher nicht nur an bestehende Unternehmen wenden müssen, sondern auch die Gründung neuer Unternehmen mit neuen gesellschaftsrechtlichen Bedürfnissen zu berücksichtigen haben. Die gezielte strategische Beeinflussung von Rechten zu Lasten bestimmter immobiler Faktoren wird damit erheblich erschwert, zumal der interjurisdiktionelle Wettbewerb ein zusätzlicher Sanktionsmechanismus ist, der dem Rent-Seeking auf konstitutioneller Ebene entgegenwirkt. 58 Ein weiterer interessanter Aspekt kann mit Hilfe clubtheoretischer Überlegungen herausgearbeitet werden. Je größer die Anzahl abstimmungsberechtigter Personen beziehungsweise Faktoren auf konstitutioneller Ebene in einem Club ist, desto höher sind die Konsensfindungskosten für ein konstitutionelles Angebot, das sich an mobile Faktoren richtet. Das hat zur Folge, daß bestimmte konstitutionelle Angebote deswegen nicht zustande kommen, weil die Konsensfindungskosten die möglichen Erträge des Angebots übersteigen. Wird das residuale Recht, konstitutionelle Regeln anzubieten, hingegen auf immobile Faktoren beschränkt, können die Konsensfindungskosten erheblich sinken, so daß weitere konstitutionelle Regeln als lohnendes Angebot im interjurisdiktionellen Wettbewerb erscheinen. Die Produktion institutioneller Vielfalt im interjurisdiktionellen Wettbewerbsprozeß hängt damit nicht nur von der Anzahl der Jurisdiktionen ab, sondern auch vom konstitutionellen Entscheidungsmechanismus der Jurisdiktionen. In Abbildung 2 ist dieser Zusammenhang grafisch wiedergegeben für den Fall einer Regulierung mit konstantem Ertrag. Im Punkt A können sowohl immobile als auch mobile Faktoren an der Abstimmung über eine Regel mitwirken. In diesem Fall kommt die Verabschiedung der konstitutionellen Regel nicht zustande, weil die Konsensfindungskosten den möglichen Ertrag aus der Regel übersteigen. Im Punkt B können hingegen nur die immobilen Faktoren konstitutionell abstimmen. Die Konsensfindungskosten sind in diesem Fall geringer als der Ertrag der Regel, so daß die Regel verabschiedet wird. Aus diesen einfachen Überlegungen heraus kann nun die wettbewerbliche Produktion kollektiver Problemlösungen systematisch mit der Konstitutionenökonomik verbunden und normativ zu begründen versucht werden. Immobile Faktoren sollten das residuale Recht für Regeländerungen auf der konstitutionellen Ebene erhalten, da "Voice" ihr einziges Mittel zur Wahrung ihrer konstitutionellen Interessen ist. Die Möglichkeit, im Wettbe57 Zur Bedeutung des Rawls'schen Schleiers des Nichtwissens im Rahmen wettbewerblicher konstitutioneller Angebote siehe BoudreauxlHolcombe, Government by Contract ... , S. 275. 58 Stefan Sinn, The Taming of Leviathan ... ; BrattonlMcCahery, The New Economics of lurisdictional Competition ... , S. 213 ff.

110

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs Kosten,

Konsensfindungskosten

Erträge

I-----.,.----~-+---- Ertrag der Regulierung

L-_=~_+-

B

________+

Immobile

A

abstimmungsberechtigte Faktoren

Immobile+Mobile

Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 2: Konsensfindungskosten in Abhängigkeit des Mobilitätsgrades

werb mit anderen Jurisdiktionen, um die Attrahierung mobiler Faktoren zu konkurrieren, bewirkt dabei zweierlei: Zum einen gehen von den Gewinnen, die aus dem Angebot konstitutioneller Regeln erzielt werden können, starke Anreize zu deren innovativer Fortentwicklung aus. Zum anderen bewirkt der interjurisdiktionelle Wettbewerb, daß die Gefahr des RentSeekings zwischen verschiedenen Gruppen von immobilen Faktoren in den Jurisdiktionen entschärft wird. Die mobilen Faktoren können ihre konstitutionellen Interessen hingegen durch die Exit-Option wahren. Sie sind somit nicht notwendigerweise am Grundkonsens einer Jurisdiktion zu beteiligen. Es ist sogar zu vermuten, daß sie gar keinen Anreiz dazu haben, am Grundkonsens konstruktiv mitzuwirken und Konsensfindungskosten zu tragen, sondern, da ihre konstitutionellen Interessen bereits durch die Exit-Option gesichert sind, kann das Problem strategischen Handeins auftreten. Mobile Faktoren könnten verstärkt bestrebt sein, sich ihre konstitutionelle Zustimmung von den immobilen Faktoren abkaufen zu lassen und damit die Renten der immobilen Faktoren abzuschöpfen. 59 Konstitutionelle Interessen kommen bei den mobilen Faktoren erst ins Spiel, wenn die realistische Annahme gemacht wird, daß Faktoren nicht unbeschränkt mobil sind. Finanzkapital ist beispielsweise hoch mobil, sobald es jedoch spezifisch investiert wird, ist es für die Amortisationsdauer immo59 Eine Handlungsmöglichkeit kann in dieser Hinsicht auch sein, daß mobile Faktoren aufgrund ihrer nur vorübergehenden Bindung an die Jurisdiktion, Politikoptionen unterstützen, die das Clubkapital aufzehren, da das Clubkapital in der Regel beim Austritt nicht transferierbar ist (Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung ... , S. 214 ff.; Vanberg/Buchanan, Organization Theory ... , S. 215).

Ir. Regulierungswettbewerbstypen

111

bi1. 60 Für diese Phasen der Immobilität gibt es auch eine Nachfrage nach konstitutionellen Regeln, die die Property Rights für die Phase der Immobilität definieren. Die Zustimmung zu den konstitutionellen Regeln wird aber nicht dadurch eingeholt, daß von den mobilen Faktoren am Grundkonsens mitgewirkt werden kann, sondern durch die freie Ordnungswahl beim Eintritt in die Jurisdiktion. Für die Phase der Immobilität erwerben mobile Faktoren damit die konstitutionellen Rechte einer Jurisdiktion, jedoch mit der Einschränkung des residualen konstitutionellen Rechts zur Verfassungsänderung. Ähnlich wie in der Theorie der Firma geht es hier bei der Zuordnung konstitutioneller Rechte also nicht nur darum, effiziente Lösungen zu generieren. Normativ ist sowohl ein jurisdiktionelles Angebot, das durch Konsens (Voice) zustande kommt, legitimierbar, als auch ein Regime freiwilliger Zustimmung in einer Tiebout-Welt (Exit). Sondern es geht ebenfalls darum, Kompetenzen auf konstitutioneller Ebene anreizkompatibel zuzuordnen. 61 Entscheidend dürfte in dieser Hinsicht sein, daß das residuale Recht zur Veränderung konstitutioneller Regeln bei den immobilen Faktoren liegt. Dieses Argument läßt sich noch evolutorisch verstärken, wenn man in Betracht zieht, daß die Gruppe der immobilen Faktoren über die Zeit einen gemeinsamen Lernprozeß durchmacht, der ein organisationales Wissen hervorbringt, über das die Gruppe nur gemeinsam verfügt und das sie nur gemeinsam nutzen kann. Aufgrund des kollektiven Lernprozesses sind die immobilen Faktoren daher auch Spezialisten beim Angebot konstitutioneller Regeln oder haben darin zumindest einen komparativen Vorteil gegenüber den mobilen Faktoren. 62

Sieben, Zum Paradigma des Standortwettbewerbs ... , S. 10. Für einen solchen Ansatz siehe bereits Tirale, The Interna1 Organization ... ; sowie Cremer/Estache/Seabright, Decentralizig Public Services: What Can We Leam from the Theory of the Firm?, in: Revue d'Economie Po1itique, Vol. 106, 1996, S. 37 ff. Sie bemerken allerdings, daß so fruchtbar die Analyse des Staates mit Hilfe der Theorie der Allokation von Kontrollrechten auch sein mag, ein Problem gegenwärtig sicherlich noch darin besteht, daß man bislang nur über eine in Ansätzen ausformulierte Theorie unvollkommener Verträge verfügt, die sich auf Fragen des Föderalismus anwenden läßt. 62 Langlois schreibt hierzu: "In Hart's story, the criterion for allocating ownership boils down to a matter of incentives ... But there are, it seems to me, other reasons why reallocating residual control rights can improve efficiency. One is simply differential knowledge, something never considered seriously in the formal models" (Langlais, Modularity in Technology, Organization, and Society, Working Paper, University of Connecticut, College of Liberal Arts and Sciences, 1999, S. 24). 60

61

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

4. Typ IV: Rechtswahlfreiheit und Regulierungswettbewerb (Gründungstheorie ) In diesem Regulierungswettbewerbstyp wird das Gesellschaftsrecht vom Staatsgebiet entkoppelt. Eine Gesellschaft kann das Gesellschaftsrecht einer Jurisdiktion wählen, ohne daß sich dort der Schwerpunkt der betrieblichen Betätigung oder die Hauptverwaltung befinden muß. Eine Gesellschaft mit Hauptverwaltung in Jurisdiktion A kann somit die Rechtsform der Jurisdiktion B annehmen und volle Parteifahigkeit in dieser Rechtsform in Jurisdiktion A genießen. Damit wird das Steuer-Leistungspaket, das von Jurisdiktionen angeboten wird, bezüglich rechtlicher Regulierungen aufgeschnürt und Unternehmen können dasjenige Gesellschaftsrecht wählen, das sie zur rechtlichen Organisation ihres unternehmerischen Zweckes als am besten geeignet betrachten, unabhängig von den restlichen Leistungen, die von Jurisdiktionen angeboten werden. Dieses Mobilitätsregime trägt für den Bereich des Gesellschaftsrechts die Bezeichnung "Gründungstheorie" und ist insbesondere für die Entwicklung des Gesellschaftsrechts in den Vereinigten Staaten prägend. Die Aufschnürung des Steuer-Leistungsbündels ist generell mit einer Zunahme des Selektionsdruckes und der Selektionsgenauigkeit verbunden. Der Wettbewerbsdruck steigt, weil es Unternehmen möglich ist, das Regulierungsregime zu wechseln, ohne daß physische Aktiva mobilisiert werden müßten. Die Transaktionskosten des Rechtsformwechsels sinken also erheblich. Ebenso nimmt die Selektionsgenauigkeit zu, da es nun möglich ist, Gesellschaftsrecht unabhängig vom übrigen Steuer-Leistungsbündel zu wählen. Unter der Bedingung, daß Jurisdiktionen ihr gesellschaftsrechtliches Angebot bepreisen können, steigt der Anreiz zur Rechtsfortbildung des GeseIlschaftsrechts durch Jurisdiktionen damit im Grundsatz stark an. Man könnte auch sagen, daß durch den Übergang zur Gründungstheorie eine weitere institutionelle Voraussetzung geschaffen wird, die den Charakter des Staates vom Monopol hin zum Wettbewerber transformiert. Da im Regulierungsregime vom Typ IV Rechtsraum und Staatsgebiet auseinanderfallen können, wird es nötig, auf supranationaler Ebene Metaregeln zu generieren, die Rechtsirritationen 63 beim Aufeinandertreffen verschiedener Rechtsordnungen vermeiden helfen. Die plurilaterale Vereinbarung der gegenseitigen Anerkennung gesellschaftsrechtlicher Regime als 63 Zum Begriff der "Rechtsirritation" siehe beispielsweise Teubner, Rechtsirritationen: Der Transfer von Rechtsnormen in rechtssoziologischer Sicht, in: Brand/ Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts, 1998, Baden-Baden, S. 233 ff. Rechtsirritationen können entstehen, wenn Teile eines Rechtskörpers in einen fremden Rechtskörper "transplantiert" werden und die transplantierten Teile nicht "anschlußfähig" sind.

11. Regulierungswettbewerbstypen

113

Metaregel gibt dabei jedoch nur die Leitidee dieses Regulierungswettbewerbstyps wieder, so daß man sagen könnte, daß um die Gründungstheorie herum weitere Metaregeln als kollisionsrechtlicher Schutzgürtel gelegt werden müssen. Denn in der Realität kann es trotz der plurilateralen Vereinbarung der Gründungstheorie im gesellschaftsrechtlichen Detail zu erheblichen Rechtsirritationen kommen. Die Probleme bei der gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaftsrecht und deren mögliche Lösungswege auf der Metaebene sind Kern der folgenden Kapitel. Es läßt sich deshalb an dieser Stelle knapp festhalten, daß durch den Übergang zum Regulierungswettbewerbstyp IV und die damit verbundene Schaffung von "rechtlichen Teilmärkten", der Wettbewerbsdruck und die Selektionsgenauigkeit im Gesellschaftsrecht zunehmen.

5. Typ V: Vertragsfreiheit, Deregulierung und "private regulation" Abschließend soll der Regulierungswettbewerbstyp der Vertragsfreiheit betrachtet werden, der sich ergibt, wenn der Staat auf eine explizite Regulierung des Gesellschaftsrechts verzichtet oder sich Gesellschaften parallel zum staatlichen Gesellschaftsrecht privaten Regulierungsregimen unterwerfen. Das heißt, daß die Ausarbeitung des gesellschaftsrechtlichen Statuts den an der Gesellschaft beteiligten Parteien ganz oder teilweise überlassen wird (Parteiautonomie). Der Regulierungswettbewerbstyp der Vertragsfreiheit begreift Gesellschaftsrecht als innere Institution. 64 Äußere Institutionen sind in dem Fall die Regeln des allgemeinen nationalen Privatvertragsrechts oder bei internationalen Anknüpfungspunkten gegebenenfalls die des Internationalen Privatrechts. Jedes Unternehmen kann sich damit dasjenige gesellschaftsrechtliche Statut geben, das es für seine wirtschaftlichen Zwecke am geeignetsten hält. Zwar ist es nun denkbar, daß jede Gesellschaft via Vertragsfreiheit ein individuelles gesellschaftsrechtliches Statut ausarbeitet, allein die enormen Transaktionskosten, die mit der Ausarbeitung eines individuell maßgeschneiderten Gesellschaftsrechts verbunden sind, lassen es jedoch höchst wahrscheinlich sein, daß zumindest von mittelgroßen und kleinen Unternehmen eine große Nachfrage nach "vorgeformtem" Gesellschaftsrecht bestehen bleibt. Der distinkte Vertragstyp des Gesellschaftsrechts wird deshalb nicht einfach verschwinden, sondern lediglich der Produzent des Gesellschaftsrechts wechselt. An die Stelle der staatlichen Produktion tritt die Fer64 Zur Unterscheidung "äußerer Institutionen", die den verbindlichen Regelrahmen bilden, unter dem die Marktprozesse stattfinden, und "innerer Institutionen", die im Marktprozeß zwischen Transaktionspartnern frei verhandelte Regulierungen (private Verträge) darstellen, siehe Lachmann, Wirtschaftsordnung ... 8 Heine

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungsweubewerbs

tigung durch Anwälte oder "Law Firms", die ihren Klienten gesellschaftsrechtliche Statuten quasi von der Stange verkaufen. Die Reichweite des staatlichen Monopols bei der Regelsetzung hat damit nochmals abgenommen. Die prinzipielle Freiheit der Vertragschließenden bedeutet auch im Internationalen Privatrecht natürlich nicht die Befugnis, beliebige Abreden im Gesellschaftsrecht zu treffen, sondern lediglich die freie Bestimmung der für die Transaktion maßgeblichen Rechtsordnung,65 innerhalb derer die privaten Verträge abgewickelt werden. Insofern könnte man den Regulierungswettbewerbstyp V aus einer allgemeineren Perspektive auch als eine spezielle Variante des Typs IV betrachten, weil schließlich auch im Regulierungswettbewerbstyp V auf eine Rechtsordnung Bezug genommen werden muß. Noch grundsätzlicher betrachtet könnte man den Regulierungswettbewerbstyp V sogar als einen Regulierungswettbewerbstypen begreifen, der in jedem der vorangegangenen Regulierungswettbewerbstypen bei der Aufgabe der staatlichen Produktion von Gesellschaftsrecht auftreten würde. So wäre es konzeptionell ohne weiteres vorstellbar, daß in einem Regime des Regulierungswettbewerbstyp I das Gesellschaftsrecht der Parteiautonomie überlassen wird und damit der Regulierungswettbewerbstyp V als Klassifikation zum Tragen kommt. Der Regulierungswettbewerbstyp V liegt insofern "quer" zu den hier bislang in ihrer Mobilität aufsteigend dargestellten Regulierungswettbewerbstypen (siehe Abbildung 3). Aus der engeren Perspektive des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht ist es allerdings sinnvoll, die zusätzliche Mobilität, die sich durch Aufgabe des zwingenden Gesellschaftsrechts ergibt, als speziellen Typus zu kennzeichnen und auch hierarchisch als höchste Mobilitätsstufe zu verorten. a) Eine Beurteilung der vollständigen Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht

Sollte es gelingen, einen funktionsfähigen Wettbewerb privater Regulierungsregime durch Schaffung geeigneter Metaregeln im Regulierungswettbewerbstyp der Vertragsfreiheit in Gang zu setzen, könnte erwartet werden, daß die Wettbewerbsintensität gegenüber den vorhergehenden Regulierungswettbewerbstypen nochmals gesteigert wird. 66 Ein fundamentales Problem dieses Regulierungswettbewerbstyps ist jedoch, daß die Produktion von Recht durch Anwälte und Law Firms die Kroppholler, Internationales Privatrecht ... , S. 134. Zu dieser Sichtweise siehe zum Beispiel Ribstein, Efficiency ... ; sowie Kirchner, Ein Regelungsrahmen für Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in der Gemeinschaft, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, Tübingen, S. 99 ff. 65

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11. Regulierungswettbewerbstypen

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Charakteristika eines Öffentlichen Gutes aufweist. 67 Jeder kann ohne weiteres den von einer Law Finn entwickelten Gesellschaftsvertrag kopieren und für die eigene Gesellschaft nutzen. Um dieses Trittbrettfahrerproblem zu lösen, müßte deshalb eine Art Urheberrechtschutz für privat entwickeltes Gesellschaftsrecht geschaffen werden. Es ist durchaus vorstellbar, daß ein solcher Urheberrechtschutz zur Lösung des Trittbrettfahrerproblems führt, zum Beispiel in Fonn eines Zwangslizenzsystems oder mit Hilfe eines Rechteverwerters wie der GEMA oder VG-Wort. Es reicht jedoch nicht aus, daß diese Problemlösungen nur national vereinbart werden, sondern Ansprüche der Anwälte und Law Finns müssen auch international bedient werden. Hierbei ist an Regelungen und Organisationen wie im Bereich des internationalen Patentschutzes zu denken. Darüber hinaus ist denkbar, daß ein Teil der positiven externen Effekte bei der Bereitstellung gesellschaftsrechtlicher Regeln indirekt internalisiert werden kann, wenn Anwälte und Law Finns Gesellschaften bei der Anwendung des gewählten gesellschaftsrechtlichen Statuts individuell beraten. Denn der kostenlose Erwerb von GeseIlschaftsrecht impliziert noch nicht, daß das zweckmäßigste Statut gewählt wird oder daß die rechtlichen Regeln richtig beziehungsweise produktiv genutzt werden können. Ein weiteres Problem, das gelöst werden muß, betrifft die Konflikte, die sich beim Aufeinandertreffen von parteiautonomem Gesellschaftsrecht mit staatlich angebotenem Gesellschaftsrecht ergeben können, wenn beispielsweise der Regulierungswettbewerbstyp V mit Regulierungswettbewerbstypen niedrigerer Mobilitätsstufen koexistiert. Auch hier erscheint es nicht unmöglich, daß Lösungen für solche Probleme gefunden werden. Die Komplexität der benötigten Regelungen zur Venneidung von gesellschaftsrechtlichen Kollisionen dürfte jedoch stark zunehmen. 68 Wie bereits angedeutet, stellt die vollständige Deregulierung des Gesellschaftsrechts kategorial einen Schlußpunkt dar. Man kann sich dies klar machen, wenn man sich vorstellt, daß unter der Gründungstheorie ein derart heftiger Regulierungswettbewerb der Jurisdiktionen mit gesellschaftsrechtlichen Regimen stattfindet (Regulierungswettbewerbstyp IV), so daß die Möglichkeit zu einem immer umfassenderen opting-out von Gesellschaften aus gesellschaftsrechtlichen Regulierungen gewährt wird. 69 Diese Möglichkeit eines umfassenden opting-outs kommt der Gewährung von Vertrags67 EasterbrooklFischel, The Economic Structure ... , S. 34; allgemein Kirchner, Ethische Aspekte ... , S. 173. 68 Siehe ausführlich zur Problematik von Mischsystemen staatlich gesetzten (im Sinne zwingenden Rechts) und privat gesetzten Rechts (im Sinne von dispositivem Recht und sich selbstdurchsetzender Verträge) Kirchner, Ethische Aspekte ... , S. 174 ff. 69 Black, Shareholder Passivity ...

8*

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D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

freiheit bereits sehr nahe, weil lurisdiktionen Unternehmen nahezu völlige Freiheit darin lassen, ihr Gesellschaftsrecht nach ihren Wünschen zu gestalten. Im Extrem ist es sogar vorstellbar, daß in einem Regime des Regulierungswettbewerbstyps IV de facto Vertragsfreiheit realisiert wird, weil durch das Angebot eines umfassenden opting-outs praktisch jede Regulierungsnachfrage bedient wird. 7o Die gegenseitige Vereinbarung von Staaten zur Anerkennung privater geseIlschaftsrechtlicher Lösungen fixiert also gleichsam das Resultat eines möglichen Regulierungswettbewerbsprozesses. Unseres Erachtens ist jedoch mit der rechtlichen Fixierung der Deregulierungslösung durch Überführung des Gesellschaftsrechts in die Partei autonomie ein ernstes Wissensproblem verbunden. Es besteht darin, daß mit der Vereinbarung der umfassenden Vertragsfreiheit bei gleichzeitiger (inter)nationaler Durchsetzung der Verträge zentral bestimmt wird, was die "richtige" Lösung zur Regulierung des Gesellschaftsrechts sei (nämlich die private Lösung). Damit ist dann aber auch der interjurisdiktionelle Regulierungswettbewerb im Bereich des GeseIlschaftsrechts abgeschafft worden, den man gerade zur Entdeckung und Anpassung der staatlichen Regulierungen an die Präferenzen der Rechtsnachfrager eingesetzt hatte. Allerdings könnte dem entgegnet werden, daß die Gewährung von weitgehender Vertragsfreiheit im Rahmen des Internationalen Privatrechts über das Angebot von Gesellschaftsrecht durch Anwälte und Law Firms tatsächlich zu einer starken Zunahme des Experimentierens mit privaten gesellschaftsrechtlichen Regulierungen führen würde. 71 Dies ist jedoch eine empirische Frage über den Verlauf des Wettbewerbsund Lernprozesses zwischen Anwälten und Law Firms bei deren Produktion von Gesellschaftsrecht. Es gibt gute Gründe dafür, anzunehmen, daß ein gesellschaftsrechtlicher Wettbewerbsprozeß zwischen lurisdiktionen zu besseren Ergebnissen führt als dies zwischen Law Firms der Fall ist. Die Argumentation soll wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung an dieser Stelle kurz skizziert werden. Interes70 In einem solchen Grenzfall stellt sich natürlich die Frage, ob man überhaupt noch von "Regulierungsnachfrage" sprechen kann, da ja der "Regulierungsnachfrager" durch die opt-out Möglichkeit seine Regulierungsnachfrage selbst bedienen kann. 71 Siehe hierzu explizit Ribstein, Efficiency ... , S. 267. Diese Vermutung scheint ebenfalls Kirchner zu haben, wenn er schreibt: ,,[D]ie private Normsetzung [stellt sich] als ein Wettbewerbsprozess dar, in dem die Anbieter erfolgreich sind, die eine Produktinnovation betreiben, deren Gewinne höher liegen als die Verluste durch Trittbrettfahren anderer Wettbewerber. Dadurch wird sichergestellt, dass der Prozess der privaten Normsetzung sehr schnell auf Änderungen der Rahmenbedingungen und Änderungen des Wissenstandes der beteiligten Akteure reagiert" (Kirchner, Ethische Aspekte ... , S. 173). Ähnlich optimistisch äußert er sich in Kirchner, Ein Regelungsrahmen ... , insbesondere S. 111 ff.

11. Regulierungswettbewerbstypen

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sant ist dabei, daß das Argument für eine staatliche Bereitstellung von Gesellschaftsrecht von Vertretern der sogenannten Chicago-Schule vorgebracht wird, die üblicherweise als unverdächtig gelten, staatliche Problemlösungen bevorzugt zu empfehlen. Easterbrook und Fischel stellen zunächst klar die Frage: '" why law?' Why don't law firms or corporate service bureaus or investment banks compile sets of terms on which corporations may be constructed?"n Die Antwort von ihnen darauf ist eine Marktversagensargumentation, die das Problem steigender Skalenerträge bei der Produktion von Gesellschaftsrecht mit dem Trittbrettfahrerproblem kombiniert. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß die Vertragsprobleme, die im Gesellschaftsrecht ex ante und ex post zu lösen sind, höchst speziell sind und große Kosten bei der Vertragsschließung erzeugen. Diese Kosten sind umsonst aufgewendet, wenn das Problem nach Vertragsschluß nicht auftaucht oder, wenn ganz andersartige Probleme entstehen, an die bei Vertragsabschluß niemand gedacht hat. Diese Probleme, die aus der Unvollständigkeit von Verträgen resultieren, müssen bei Gericht gelöst werden. Wird nun standardisiertes staatliches Gesellschaftsrecht verwendet, werden vor Gericht für diesen rechtlichen Standard Präzedenzfalle geschaffen, die auch Antworten auf seltene (marginale) Problemkonstellationen geben. Gleichzeitig wird das Trittbrettfahrerproblem durch die exklusive staatliche Bereitstellung gelöst. Wird hingegen die Produktion von Gesellschaftsrecht Law Firms überlassen, entsteht das Problem mangelnder Präzedenzfalle, auf die gemeinsam zurückgegriffen werden kann. Eine Lösung des Problems bestünde zwar darin, die Unvollständigkeit von Gesellschaftsverträgen durch die zusätzliche Einführung von spezifischen Vertragsklauseln ex ante weiter zu reduzieren, wegen der dabei stark steigenden Transaktionskosten und des Trittbrettfahrerproblems ist jedoch zu erwarten, daß die private Bereitstellung einen erheblichen komparativen Nachteil gegenüber der staatlichen Produktion von Gesellschaftsrecht hat. Kurz gesagt: Bei der Deregulierung von Gesellschaftsrecht wird sich eine Law Firm als natürlicher Monopolist herausbilden, die jedoch das Problem potentieller trittbrettfahrender Konkurrenten hat. Um das daraus resultierende Anreizproblem zu lösen, erscheint die staatliche Bereitstellung von Gesellschaftsrecht als die vergleichsweise überlegene institutionelle Lösung. Insofern könnte man den vorläufigen Schluß ziehen, daß aus einer evolutorischen Perspektive heraus der Regulierungswettbewerbstyp V dem vorangehenden Typ IV hinsichtlich der Fähigkeit, rechtliche Innovations- und vor allem Lernprozesse im Gesellschaftsrecht anzustoßen, systematisch unterlegen sein dürfte. Der Regulierungsweubewerbstyp V ist deshalb aus ökonomischer Sicht differenziert zu beurteilen und sollte nicht pauschal als Leitbild der Schaffung rechtlicher Wettbewerbsprozesse herangezogen werden. 72

EasterbrooklFischel, The Economic Structure ... , S. 35.

118

D. Die empirische Bedeutung des Regulierungswettbewerbs

b) Eine Beurteilung von freiwillig vereinbarten Verhaltenskodices Vor dem Hintergrund des Trittbrettfahrerproblems und der Erzielung von economies of scale können also gute Gründe dafür angegeben werden, daß im Institutionenvergleich die staatliche Produktion von Gesellschaftsrecht Vorteile gegenüber der rein privaten Lösung aufweist. Jenseits der Überführung des Gesellschaftsrechts in das allgemeine Privatrecht kann der Regulierungswettbewerbstyp V jedoch auch dahingehend interpretiert werden, daß zur Lösung von Problemen der Unternehmensgovernance auch private Regulierungsregime zum Einsatz gelangen, die parallel zur staatlichen Rechtsordnung etabliert werden. Dadurch erhöht sich die Mobilität der Rechtsnachfrager, indem die Rechtswahl um "governance-structures" erweitert wird, die sich jenseits der vom staatlichen Recht ausgefüllten Rechtssetzung befinden. Bei diesen "private regulations" handelt es sich im wesentlichen um sogenannte "Codes of Corporate Governance" oder "Codes of Best Practice", die von Law Firms, Unternehmen oder verbandsähnlichen Organisationen angeboten werden. 73 Die Codes sind Verhaltenskataloge für Unternehmen, bei deren Einhaltung Governance-Probleme vermieden werden sollen. Wie kann jedoch ein Unternehmen glaubwürdig seinen Anlegern, Gläubigem und anderen Stakeholdem signalisieren, daß es die privaten Regulierungsstandards wirklich einzuhalten bereit ist? Und wieso gibt es Unternehmen und Organisationen, die private Regulierungen anbieten, wenn doch auch für sie das Trittbrettfahrerproblem gilt? Die Lösung der Probleme besteht darin, daß es für den Anwender eines Codes gerade nicht ausreicht, den Code von einem anderen Unternehmen einfach zu kopieren, sondern die Einhaltung der Regeln muß auch glaubwürdig sein. Dieses "Signalling" gelingt, wenn sich Unternehmen von speziellen Code-Anbietern gegen Gebühr zertifizieren lassen?4 Dabei liegt es im Interesse der Code-Anbieter, die Zertifizierungsstandards rigide einzuhalten und zu überwachen, da hiervon der Erfolg des angebotenen Codes auf dem Markt für "private regulations" abhängt. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von der Variante eines Franchisesystems sprechen, in dem Codegeber und Codenehmer quasi symbiotisch den Erfolg des privaten Regulierungsstandards erzeugen und nutznießen. 75 Wichtig ist also, daß die hier beschriebenen privaten Governance Codes staatliches Gesellschaftsrecht nicht ersetzen, wohl 73 Siehe hierzu überblicksartig BemhardtlWerder, Der German Code of Corporate Governance (GCCG): Konzeption und Kernaussagen, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Bd. 70, 2000, S. 1269 ff.; sowie Charkham, Keeping Good Company, 1994, Oxford. 74 In Deutschland macht dies beispielsweise die DVFA (Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management), die ein markenrechtlich geschütztes Qualitätssiegel vergibt.

11. Regulierungswettbewerbstypen

119

Mobilitätsgrad

V

IV III

11 I Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 3: Regulierungswettbewerbstyp und Mobilitätsgrad

aber einen über die staatliche Lösung hinausgehenden Regulierungsbedarf decken können,76 der je nach Branche oder Unternehmen verschieden sein kann und daher auch verschieden angepaßt werden sollte. In Abbildung 3 sind die fünf unterschiedlichen Regulierungswettbewerbstypen nochmals entsprechend ihrem Mobilitätsgrad wiedergegeben. Der Regulierungswettbewerbstyp V nimmt dabei eine Sonderstellung ein, indem er sowohl als Endstufe hinsichtlich des erzielbaren Mobilitätsgrades interpretiert werden kann, andererseits aber auch parallel zu den vier vorhergehenden Mobilitätsstufen auftreten kann.

75 Es wäre reizvoll, die Theorie symbiotischer Verträge einmal konsequent auf die private Produktion von Unternehmensrecht anzuwenden. Gerade an dem Beispiel der Corporate Govemance könnte sich vermutlich zeigen lassen, daß der symbiotische Vertrag eine distinkte "govemance structure" neben Parteiautonomie und Gesellschaftsrecht ist. Siehe grundsätzlich zu symbiotischen Verträgen mit weiterführender Literatur Schanze, Symbiotic Arrangements, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economies and the Law, Vol. 3, 1998, London, S. 554 ff.. 76 Lutter, Vergleichende Corporate Govemance - Die deutsche Sicht, in: Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 30, 2001, S. 227.

E. Zur Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten In den Kapiteln A. bis D. wurde versucht, die Institution des Gesellschaftsrechts in den weiteren Rahmen der Fragestellung einzuordnen, welche Elemente eine Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb zwischen GeseIlschaftsrechten grundsätzlich zu berücksichtigen hätte. Dabei wurden insbesondere die heiklen kollisionsrechtlichen Probleme zu strukturieren versucht. Man könnte auch sagen, daß bislang allgemeine Fragen der Selektionsumgebung von gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsprozessen im Vordergrund der Betrachtung standen. Keine besondere Rolle spielten hingegen die eigentlichen Wettbewerbsprozesse, die innerhalb eines kollisionsrechtlichen Regimes zwischen einzelnen Gesellschaftsrechten ablaufen. Bei den gesellschaftsrechtlichen Anpassungs- und Veränderungsprozessen wurde lediglich angenommen, daß es zu einem "race to the top" oder einem "race to the bottom" kommen könne. Die genauere Kenntnis der gesellschaftsrechtlichen Veränderungsprozesse ist jedoch von größter Bedeutung, um letztlich einen rationalen Vorschlag für die Gestaltung einer Wettbewerbsordnung im europäischen Gesellschaftsrecht machen zu können. Denn es ist höchst umstritten, ob es zu einem eindeutigen Regulierungswettbewerb "nach oben" oder "nach unten" kommt. Das heißt, es ist unwahrscheinlich, daß der gesamte Wettbewerbsprozeß einseitig in die ein oder andere Richtung verläuft. Vielmehr dürfte die Vermutung zutreffen, daß der Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten in beide Richtungen verlaufen kann. Es kommt daher darauf an, die problematischen Bedingungskonstellationen von gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsprozessen zu erkennen und differenziert auf der Ebene der Wettbewerbsordnung zu steuern. Hierzu ist jedoch eine detaillierte Kenntnis einzelner gesellschaftsrechtlicher Anpassungs- und Veränderungsprozesse unerläßlich, weswegen im folgenden die Funktionsweise der Wettbewerbsprozesse im Gesellschaftsrecht noch genauer herausgearbeitet werden muß. Dabei können drei Schwerpunkte der Analyse gebildet werden: (1) Erklärungsansätze, die insbesondere die Marktprozesse auf dem Markt für Gesellschaftsrechte untersuchen. Diese Ansätze bilden üblicherweise den Kern der Analyse des Gesellschaftsrechts. (2) Politökonomische Ansätze, die vor allem die Rolle verschiedener eigeninteressierter Akteure mit politischem Einfluß auf das Gesellschaftsrecht untersuchen. (3) Ansätze, die die Pfadabhängigkeit der gesellschaftsrechtlichen Rechtsentwicklung besonders betonen. Diese Einteilung ist natürlich

I. Normative Grundhypothesen zur Funktionsfähigkeit

121

nicht starr in dem Sinne zu interpretieren, daß es sich um konkurrierende Ansätze handelt, vielmehr betonen sie lediglich mit unterschiedlicher Deutlichkeit bestimmte Aspekte von Regulierungswettbewerbsprozessen. 1 Die Darstellung dieser unterschiedlichen Aspekte steht im folgenden im Vordergrund der Untersuchung, während die Kritik und Reflektion einzelner Ansätze am Ende dieses Kapitels erfolgt. Mit dieser Vorgehensweise soll verhindert werden, daß eine zu rasche Qualifizierung oder Abqualifizierung einzelner Ansätze erfolgt. Bevor jedoch die einzelnen Ansätze zur Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten ausführlich diskutiert werden, erscheint es sinnvoll, die "race to the bottom"- und die "race to the top"-Hypothese noch etwas expliziter zu kennzeichnen. Dies erscheint vor allem deswegen angebracht, weil die einzelnen noch zu besprechenden Ansätze letztlich immer versuchen, die eine oder andere Hypothese abzustützen und damit immer auch mehr oder weniger eindeutig für die eine oder andere Ordnungskonzeption des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten Partei ergreifen.

I. Normative Grundhypothesen zur Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht In Abschnitt D.l1. wurden die grundsätzlich möglichen Regulierungswettbewerbstypen des Gesellschaftsrechts dargestellt, wobei versucht wurde, entlang verschiedener Mobilitätsgrade von Faktoren, den Zusammenhang zwischen Metaordnung, Regulierungswettbewerb und gesellschaftsrechtlicher Evolution in seinen prinzipiellen Dimensionen aufzuzeigen. Die dargestellten Regulierungswettbewerbstypen sind natürlich idealtypisch, daher ist es in einem nächsten Schritt nötig, diejenigen Regulierungswettbewerbstypen herauszugreifen und noch genauer zu untersuchen, die in der Diskussion zur Regulierung des Gesellschaftsrechts die größte Bedeutung erlangt haben. Das sind zweifellos - trotz aller möglichen Abweichungen vom skizzierten Idealtyp - der Regulierungswettbewerbstyp III und IV. Um die Frage der Vorzugswürdigkeit des einen oder anderen dieser Regulierungswettbewerbstypen haben sich zwei Lager gebildet, die eine heftige Diskussion darüber führen, welcher Regulierungswettbewerbstyp und welche damit verbundene gesellschaftsrechtliche Kollisionsnorm zu einem wohlfahrtsoptimalen Regulierungsniveau führt. Die eine normative Grundhypothese lautet, daß es zu einem Regulierungswettbewerb "nach unten" komme (race I Es wäre sicherlich auch möglich, eine andere Strukturierung zur Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten vorzunehmen. Die gewählte Strukturierung ist jedoch eine durchaus typische für die Analyse des Gesellschaftsrechts (siehe beispielsweise Gordon, Corporations, Markets, and Courts, in: Columbia Law Review, Vol. 91, 1991, S. 1931 ff.).

122

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

to the bottom), die andere, daß es zu einer permanenten Verbesserung der gesellschaftsrechtlichen Regelungen komme (race to the top). Beide Thesen sollen vor dem Hintergrund der bei den kollisionsrechtlichen Normstrategien (Sitz- und Gründungstheorie) in ihren Grundmustern entfaltet werden. Die Grundmuster sind der Ausgangspunkt zum Verständnis der komplexeren gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsprozesse und den Möglichkeiten, sie durch Metaregeln zu kanalisieren, die über die Normstrategien hinausgehen. 1. Die "race to the bottom"-Hypothese

Die "race to the bottom"-Hypothese besagt, daß es unter einem kollisionsrechtlichen Regime der Gründungstheorie (Regulierungswettbewerbstyp IV) zu einem Regulierungswettbewerb "nach unten" zwischen lurisdiktionen komme. 2 Das heißt, es wird angenommen, daß sich lurisdiktionen unter einem Regime der Gründungstheorie letztlich in einer Dilemma-Situation befanden. Konfrontiert mit der Abwanderungsdrohung der Unternehmen durch Reinkorporation in ein ausländisches Gesesellschaftsrecht würden nämlich die lurisdiktionen ihre gesellschaftsrechtlichen Schutzbestimmungen immer weiter lockern, um die Einnahmen aus der "franchise tax" zu sichern. Die Folge dieses Unterbietungswettlaufs sei schließlich ein suboptimales Regulierungsniveau, das Anleger und Gläubiger so schlecht schütze, daß diese entweder gar nicht investierten oder derart hohe Risikozuschläge verlangten, daß viele an sich lohnende Investitionen nicht realisiert würden. Mit anderen Worten, die Regulierungswettbewerbsprozesse, die unter einem Regime der Gründungstheorie ausgelöst werden, werden aus dem Blickwinkel der "race to the bottom"-Hypothese als wohlfahrtsmindernd eingeschätzt. 3 Folgt man der Kausalität, daß die Gründungstheorie zu einem Regulierungwettbewerb mit wohlfahrtsökonomisch unerwünschten Ergebnissen führe, dann können daraus zwei politische Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Die erste ist, daß anstelle der Gründungstheorie als Kollisions2 Vertreter dieser These sind beispielsweise Cary, Federalism and Corporate Law ... ; und Eisenberg, The Modernization of Corporate Law: An Essay for Bill Cary, in: Miami Law Review, Vol. 37, 1983, S. 187 ff. Von der Analyse der geeigneten Regeln zur Aufrechterhaltung des Wettbewerbs auf Gütennärkten kommend, wendet sich auch Edwards bereits 1964 explizit gegen den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten unter einem Regime der Gründungstheorie. Er befürchtet vom Regulierungswettbewerb eine systematische Aushöhlung der Wettbewerbspolitik gegen steigende Unternehmenskonzentration aufgrund geschickter Unternehmensverflechtungen, die die Maßnahmen der Wettbewerbspolitik systematisch unterlaufen können (Edwards, Maintaining Competition, 1964, New York, S. 133 ff.). 3 Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, in: Harvard Law Review, Vol. 105, 1992, S. 1444.

I. Normative Grundhypothesen zur Funktionsfähigkeit

123

norm die Sitztheorie (Regulierungswettbewerbstyp III) Anwendung finden sollte. Damit kann eine Gebietskörperschaft sicherstellen, daß ihr präferiertes Schutzniveau auf ihrem Staatsgebiet Anwendung findet. Will man diese Desintegration des Rechtsraumes zwischen lurisdiktionen nicht, bleibt als zweite Lösung die Harmonisierung des Rechts der einzelnen Gebietskörperschaften; zum Beispiel in Form der Europa-AG. Auf diese Weise ist die Mobilität und Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften bezüglich des Gesellschaftsrechts garantiert, allerdings auf Kosten der möglicherweise heterogenen Präferenzen von Rechtsanbietern und Rechtsnachfragern. Gebietskörperschaften können beispielsweise kein spezifisches lokales Schutzniveau mehr für Anleger und Gläubiger anbieten und durchsetzen.

2. Die "race to the top"-Hypothese Die "race to the top"-Hypothese stellt die "race to the bottom"-Hypothese auf den Kopf. Nun wird angenommen, daß es unter einem kollisionsrechtlichen Regime der Gründungstheorie zu einer Produktion von Gesellschaftsrecht komme, die nicht nur in statischer Hinsicht ein optimales Regulierungsniveau erzeuge, sondern auch dynamisch effizient sei, indem der Regulierungswettbewerb einen permanenten Anreiz für die Gebietskörperschaften schaffe, das Gesellschaftsrecht an die Präferenzen der Rechtsnachfrager anzupassen und innovativ fortzuentwickeln. 4 Im Gegensatz zur "race to the bottom"-Hypothese funktioniere der Transmissionsmechanismus zwischen den Präferenzen von Anlegern und Gläubigern einerseits und dem gesellschaftsrechtlichen Angebot der Gebietskörperschaften andererseits nämlich sehr wohl. Ein empirisch beobachtbarer Prozeß der gesellschaftsrechtlichen Deregulierung sei deshalb nicht als Verschlechterung der Wohlfahrt zu interpretieren, sondern Ausdruck einer gesellschaftsrechtlichen Anpassung an die Präferenzen der Rechtsnachfrager. 5 Mit der "race to the top"-Hypothese wird über die Anpassung an Präferenzen hinausgehend auch gelegentlich die wissen schaffende Funktion des Wettbewerbs verbunden. 6 Danach bestehe nachwievor große Unwissenheit über die Wirkungen rechtlicher Regeln, selbst wenn Ökonomen und Rechts4 Vertreter dieser These sind unter anderem Winter, State Law, Shareholder Proteetion, and the Theory of the Corporation, in: Journal of Legal Studies, Vol. 6, 1977, S. 251; DoddlLejtwich, The Market for Corporate Charters ... ; Easterbrookl Fischei, The Economic Structure ... ; Romano, Law as a Product ... ; dieselbe, The Genius ... ; dieselbe, The State Competition ... 5 Bebchuk, Federalism ... , S. 1445. 6 Cooter; Structural Adjudication and the New Law Merchant: A Model of Decentralized Law, in: International Review of Law and Economics, Vol. 14, 1994, S. 215 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

wissenschaftler ausgefeilte Hypothesen über einzelne Wirkungen von rechtlichen Regeln postulierten. Deshalb sei es sinnvoll, den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren auch bei rechtlichen Regeln anzuwenden. "Instead of relying on a rhetorical equilibrium to produce laws, we can employ the forces of competition ... ,,7 Betrachtet man aus diesem optimistischen Blickwinkel die Wirkung von Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten, erscheinen Sitztheorie oder Harmonisierung als schlechte kollisionsrechtliche Ordungsalternativen zur Gründungstheorie. Die Sitztheorie schränkt die Mobilität der Unternehmen bei der Gesellschaftsrechtswahl ein, mit der Folge, daß Wettbewerbsdruck und Selektionsgenauigkeit bei der Rechtswahl durch die Unternehmen sinken. Die Harmonisierung des Gesellschaftsrechts erkauft die Mobilität der Unternehmen hingegen mit der vollkommenen Ausschaltung des Aktionsparameters "Gesellschaftsrecht" im interjurisdiktionellen Wettbewerb. Dadurch gibt es zum einen nur noch einen sequentiellen Experimentierungsprozeß im Bereich des Gesellschaftsrechts und zum anderen führt die Homogenisierung des Gesellschaftsrechts zu einer schlechteren Befriedigung der Regulierungsbedürfnisse der Regulierungsnachfrager, wenn man davon ausgeht, daß unterschiedliche Regulierungsbedürfnisse bestehen. Zusammengefaßt bestehen die beiden gegensätzlichen Hypothesen des "race to the bottom" und des "race to the top" aus zwei einfachen postulierten Mechanismen, die zunächst sehr überzeugend wirken. 8 Die "race to the bottom" Hypothese baut auf dem politischen Verhaltensmodell auf, daß die Politiker die Steuereinnahmen maximieren würden, wobei dies direkt von der Anzahl der Inkorporationen abhängig gemacht wird, über die die eigeninteressierten Manager entschieden. Bei der "race to the top" Hypothese wird hingegen als Mechanismus hoch mobiles Kapital unterstellt, das in diejenige Gebietskörperschafte fließe, die das für den Anleger geeignetste Gesellschaftsrecht bereithalte. Einmal sind es also die Manager, die illegitimer Weise die Inkorporationsentscheidung treffen, und einmal sind es die Anleger, die legitimer Weise die Inkorporationsentscheidung treffen. Das Problem bei der Hypothesen und ihrer Grundmechanismen ist allerdings, daß sie implizit eine Vielzahl von situativen Annahmen und Verhaltenshypothesen voraussetzen, über deren Gültigkeit große Meinungsunterschiede bestehen. Man denke nur an die strengen Rationalitätsanforderungen der Akteure in neoklassischen Modellen und Modellen der Public 7 Easterbrook, Federalism and European Business Law, in: International Review of Law and Economics, Vol. 14, 1994, S. 128. 8 Romano, Law as a Product ... , S. 228; Merkt, Das Europäische Gesellschaftsrecht und die Idee des "Wettbewerbs der Gesetzgeber", in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Bd. 62, 1995, S. 555.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

125

Choice. 9 Um die Wirkungsweise kollisionsrechtlicher Regime im Gesellschaftsrecht besser abschätzen zu können, sind daher noch genauere Untersuchungen über die Prozesse der Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht anzustellen. Erst nachdem dies geschehen ist, kann versucht werden, die Frage zu klären, wie das geeignete kollisionsrechtliche Regime im Bereich des Gesellschaftsrechts tatsächlich aussehen könnte. Dabei geht es dann um die Frage, die in jeder Föderation beantwortet werden muß: Auf welcher Gebietskörperschaftsebene sollte die staatliche Intervention in die privaten Transaktionen stattfinden? 10

11. Markttheoretische Erklärungsansätze Unter markttheoretischen Erklärungsansätzen des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten sollen hier diejenigen Ansätze verstanden werden, die Erkenntnisse der Markt- und Wettbewerbstheorie auf Gütermärkten zur Analyse des Wettbewerbs zwischen gesellschaftsrechtlichen Regeln verwenden. Dahinter steckt die Ansicht, daß es analog zu Gütermärkten auch Märkte für gesellschaftsrechtliche Regeln gibt. Diese Märkte für "rechtliche Produkte" würden im Prinzip den gleichen wettbewerblichen Gesetzmäßigkeiten wie normale Gütermärkte unterliegen. Diese Analogiebildung zwischen Gütermärkten und Märkten für Rechtsprodukte kommt auch in programmatischen Aufsatztiteln zum gesellschaftsrechlichen Regulierungswettbewerb zum Ausdruck, wie "Lawas a Product" I I oder "The Production of Corporate Law.,,12 Markttheoretische Erklärungsansätze stellen insbesondere auf Fragen ab, wie die Preisbildung für das Produkt "Gesellschaftsrecht", besondere Gutseigenschaften des Gesellschaftsrechts, oligopolistische Interdependenz der jurisdiktionellen Anbieter, Innovations- und Imitatitionsprozesse, Diffusions- und Lernprozesse sowie Reputationsmechanismen. Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie letztlich versuchen, empirisch gehaltvolle und differenzierte Erklärungen für die "race to the top"- oder "race to the bottom"-Hypothese im Gesellschaftsrecht zu geben. Ein weiteres verbindendes Merkmal der markttheoretischen Erklärungsansätze und der noch zu besprechenden politökonomischen Ansätze ist, daß als Untersuchungsobjekt fast immer der US-Bundesstaat Delaware beziehungsweise die Vereinigten Staaten gewählt werden, in denen die Gründungstheorie als Kollisionsnorm gilt. Da auch der europäische Fall fast ausSiehe überblicksartig Meier/Mettler, Auf der Suche ... Easterbrook, Federalism and European Business Law ... , S. 125. 11 Romano, Law as a Product ... 12 Camey, The Production ...

9

10

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

nahmslos vor dem Hintergrund der amerikanischen Erfahrungen diskutiert wird, I3 sollen hier ebenfalls die markttheoretischen Erklärungsansätze vor allem im Lichte der US-amerikanischen Erfahrungen diskutiert werden. 1. Zwischen vollkommener Konkurrenz und Monopol: Preis- und Qualitätswettbewerb auf dem Markt für Gesellschaftsrechte

In diesem Abschnitt wird eine Auswahl an Modellen präsentiert, die mit Hilfe markttheoretischer Überlegungen die Preis- und Qualitätspolitik der Bundesstaaten auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte unter dem Kollisionsrecht der Gründungstheorie untersuchen. Die hier getroffene Auswahl an Modellen greift die wichtigsten dieser Überlegungen auf. a) Unvollkommener Wettbewerb

"Unvollkommener Wettbewerb" steht hier als Sammelbegriff für alle diejenigen neoklassischen Modelle des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten, die von der extremen Sichtweise des gesellschaftsrechtlichen Angebots durch einen monopolistischen Staat oder einem Markt vollkommener Konkurrenz abweichen. Es wird vielmehr von einem mehr oder weniger unvollkommenen Markt für gesellschaftsrechtliche Regulierungen ausgegangen, auf dem die Anbieter gesellschaftsrechtlicher Regulierungen eine oligopolistische Reaktionsverbundenheit aufweisen. 14 An dieser Stelle sollen exemplarisch zwei Ansätze herausgegriffen werden, die auch im weiteren Rahmen einer allgemeinen Analyse des Regulierungswettbewerbs von Interesse sind. Der erste Ansatz geht auf Romano 15 zurück und untersucht das Anreizproblem und die Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen im Kontext der Marktführerschaft Delawares auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte. Der zweite Ansatz stammt von Kamar, der die von Delaware (intuitiv) gewählte Wett13 Siehe zum Beispiel Chamy, Competition Among Jurisdictions ... , S. 423; Romano, The Genius ... ; Camey, The Political Economy of Competition for Corporate Charters, in: Journal of Legal Studies, Vol. 26, 1997, S. 303. 14 Die oligopolistische Reaktionsverbundenheit von Regulierungen im Regulierungswettbewerb wird besonders deutlich von Sinn herausgearbeitet (Hans- Wemer Sinn, The Competition Between Competition Rules, in: CESifo Working Paper Series, No. 192, 1999, München). Zwar wählt er nicht das Gesellschaftsrecht als Beispiel aus, sondern die Wettbewerbspolitik von Jurisdiktionen, er kann aber zeigen, wie im Rahmen eines Stackelbergschen Oligopolmodells regulative Anpassungsprozesse vor sich gehen können. 15 Romano, Law as a Product ...

II. Markttheoretische Erklärungsansätze

127

bewerbsstrategie des "raising rivals' cost" näher analysiert. 16 Während der erste Ansatz eher einer positiven Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten zuzuordnen ist, ist der zweite Ansatz vorwiegend präskriptiv angelegt. Beide Ansätze vermitteln einen guten Eindruck von der Komplexität der realen Wettbewerbsprozesse im Gesellschaftsrecht. aa) Wettbewerb und Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen: Eine Annäherung an die Wettbewerbsprozesse im Gesellschaftsrecht (1) Das Anreizproblem Die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Inkorporationen und die damit verbundenen Einnahmen aus der "franchise tax" für Delaware sind bereits beschrieben worden. Dabei wurde festgestellt, daß der geographisch und von der Einwohnerzahl her gesehen kleine Bundesstaat Delaware bis zu 20% seines Staatsbudgets aus der "franchise tax" speist, während die restlichen Bundesstaaten höchstens um die 5 % ihres Staatshaushalts aus den Einnahmen der "franchise tax" decken können. Vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung der "franchise tax" für Delaware und der relativen Bedeutungslosigkeit dieser Steuer für die anderen Bundesstaaten liegt die "ad hoc"-Vermutung nahe, daß Delaware einen besonders hohen Anreiz hat, sein Gesellschaftsrecht den Bedürfnissen der Unternehmen anzupassen, während die übrigen Bundesstaaten hierfür eher geringe Anreize haben. Sollte nämlich Delaware sein Gesellschaftsrecht nicht weiter fortentwickeln und einen negativen Inkorporationssaldo realisieren, müßte es die Steuerausfälle durch die Erschließung neuer Steuerquellen kompensieren, indem es andere Standortfaktoren attraktiver macht, um mobile Faktoren anzuziehen. 17 Eine solche steuerliche Substitutionsstrategie ist jedoch mit erheblichen Investitionskosten in die Verbesserung der Standortbedingungen verbunden, wobei der Erfolg einer solchen Strategie ungewiß ist. Umgekehrt spielt in den anderen Bundesstaaten das Gesellschaftsrecht im angebotenen Steuer-Leistungsbündel nur eine untergeordnete Rolle. Da die Entwicklung eines Gesellschaftsrechts, das zu einer signifikanten Verbesserung der Wettbewerbsposition auf dem Markt für Gesellschaftsrechte führen würde, mit erheblichen Kosten für die gesellschaftsrechtliche Rechtsfortbildung verbunden wäre, bietet es sich für die übrigen Bundesstaaten daher 16 Kamar, A Regu1atory Competition Theory of Indetenninacy in Corporate Law, in: Co1umbia Law Review, Vol. 98, 1998, S. 1908 ff. 17 Eisenberg, The Modemization ... , S. 188; Romano, Law as a Product ... , S.235.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

eher an - quasi spiegelbildlich zu Delaware -, eine defensive Strategie zu wählen. Sie besteht darin, gesellschaftsrechtliche Entwicklungen nur nachzuvollziehen, um einen allzu großen Exodus an Unternehmen in fremdes Gesellschaftsrecht zu vermeiden. Diese Argumentation entspricht gängigen Argumentationen zum Innovationsverhalten von großen und kleinen Unternehmen auf Gütermärkten. 18 Bei der Anreizanalyse der Produktion von Gesellschaftsrecht stellt sich aber nicht nur die Frage nach der Verteidigung von Marktanteilen, sondern auch die Frage des Schutzes des neu in den Marktprozeß eingespeisten Wissens. Denn es ist schwer vorstellbar, wie der Innovationsanreiz Delawares nachhaltig bestehen soll, wenn die Gefahr besteht, daß Rechtsinnovationen von den übrigen Bundesstaaten im Prinzip sofort imitiert werden können, indem die Rechtsinnovationen unmittelbar in die anderen Gesellschaftsrechte hineinkopiert werden. Daß dies eine tatsächliche empirische Bedrohung ist, hatten wir bereits daran gesehen, daß Delawares Grundstein für die Marktführerschaft dadurch gelegt wurde, daß es New Jerseys Gesellschaftsrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts eins zu eins kopierte und damit gewissemaßen einen ,,full entry" auf dem Markt für Gesellschaftrechte hatte, als New Jersey seine unternehmensfreundliche Gesetzgebung im Gesellschaftsrecht zurücknahm. Dieses Trittbrettfahrerproblem ist für Delaware ein ernsthaftes Problem, ohne dessen Lösung die Innovationsanreize zusammenbrechen. Auf welche Weise schafft es Delaware, das Trittbrettfahrerproblem zu lösen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile auf dem USamerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte zu generieren? Die Antwort zu dieser Frage liegt in der Strukturierung des rechtlichen Innovations- und Lernprozesses von Delaware, der in den nächsten Abschnitten noch genauer zu betrachten sein wird. An dieser Stelle genügt der Hinweis darauf, daß Delawares Wettbewerbsvorteil nicht nur in den kreierten gesellschaftsrechtlichen Regeln liegt, sondern auch in den rechtlichen Administrationsprozessen der Legislative und Gerichte, die mit der Generierung und Exekution der Regeln verbunden sind. Durch die geschickte Verkoppelung von materiellem Gesellschaftsrecht und Administration des Gesellschaftsrechts schafft es Delaware, einen einzigartigen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Nach Romano l9 besteht dieser entscheidende Wettbewerbsvorteil Delawares in der Vorhersagbarkeit und Stabilität seines Gesellschaftsrechts für die sich inkorporierenden Unternehmen. Diese Eigenschaft, die durch die Legislative und das lokale Gerichtswesen zu den gesellschaftsrechtlichen Regeln hinzugegeben wird (und die 18 Siehe zum Beispiel Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Perfonnance, 3. Aufl., 1990, Boston, S. 630 ff. 19 Romano, Law as a Product ... , S. 274.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

129

von den anderen Bundesstaaten nicht ohne weiteres imitierbar ist), sagt freilich noch nichts darüber aus, ob die materiellen Regelungen des Gesellschaftsrechts aus Delaware für Unternehmen effizienzerhöhend sind und ob gesellschaftsrechtlicher Wettbewerb insgesamt zu einer Verbesserung des Gesellschaftsrechts führt?O Romanos Beobachtung macht aber darauf aufmerksam, daß zur Lösung des Trittbrettfahrerproblems und der Ingangsetzung des Regulierungswettbewerbs zusätzliche Eigenschaften der Produktion von Gesellschaftsrecht beachtet werden müssen. Am Beispiel der Lösung des Trittbrettfahrerproblems durch die Verkoppelung von materiellem Gesellschaftsrecht mit den Vollzugsorganen des Rechts zeigt sich zudem, daß auch in institutionellen Wettbewerbsprozessen spontane Lösungen für mögliche Marktversagenstatbestände erzeugt werden können. Das heißt nicht, daß der Regulierungswettbewerb aus seinen rechtlichen Anpassungs- und Veränderungsprozessen heraus sich seine Wettbewerbsbedingungen problemlos selbst schaffen könnte. Es heißt vor allem nicht, daß diese spontanen Lösungen immer die besten Lösungen sind, denn ein Institutionenvergleich könnte beispielsweise zeigen, daß die gleiche Problemlösungskapazität durch nicht-spontane zentrale staatliche Intervention zu geringeren Transaktionskosten erreicht werden könnte. 21 Die spontane Lösung des Trittbrettfahrerproblems bei der Generierung gesellschaftsrechtlicher Regeln macht jedoch deutlich, daß unter einer geeigneten Wettbewerbsordnung für den institutionellen Wettbewerb damit gerechnet werden darf, daß sich mögliche strukturelle Unvollkommenheiten des Wettbewerbsprozesses spontan lösen lassen. Das Ordnungsproblem löst sich somit aus den Wettbewerbsprozessen heraus zum Teil selbst in dem Sinne, daß institutionelle Problemlösungen generiert werden, die als Ergänzung oder in Konkurrenz zu bewußt konstruierten Problemlösungen treten. In einer komparativen Institutionenanalyse kann dann darüber entschieden werden, ob die durch "spontane Regelbildung" herausgebildete Rechtsordnung beibehalten werden soll oder eher eine stärker "konstruierte Ordnung" Vorteile bietet. Damit kann vorläufig folgendes Ergebnis festgehalten werden: Delaware ist Marktführer auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte, wodurch es in die Lage versetzt wird, einen beträchtlichen Teil seiner Staatseinnahmen aus der "franchise tax" zu decken. Aus dieser großen Bedeutung der "franchise tax" resultiert Delawares Anreiz, das Gesellschaftsrecht entsprechend anzupassen und fortzuentwickeln. Dieser Anreiz kann jedoch nur zum Tragen kommen, wenn Delaware das Problem trittbrettfahrender Bundesstaaten löst. Dies ist Delaware insofern gelungen, als es in 20 21

Bebchuk, Federalism ... , S. 1447. Bebchuk, Federalism ... , S. 1447 ff.

9 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

die Rechtsproduktion Elemente einbaut, die den Ausschluß der anderen Bundesstaaten von der Nutzung seines produzierten Gesellschaftsrechts ermöglichen. Der selektive Vorteil, den Delaware entwickelt hat, liegt in der Vorhersagbarkeit und Stabilität seines Gesellschaftsrechts im Bereich der Gesetzgebung und der Gerichtsentscheidungen. Durch die Lösung des Ausschlußproblems ist eine wichtige Vorbedingung für das Entstehen von institutionellem Wettbewerb geschaffen worden, gleichwohl sagt dies noch nichts darüber aus, ob die Wettbewerbsprozesse zu einem "race to the top" oder "race to the bottom" führen. (2) Die Diffusion gesellschaftsrechtlicher Regeln

Aus dem Grundmuster, daß Delaware einen hohen Anreiz zur Fortentwicklung seines Gesellschaftsrechts hat, um seine Einnahmen aus der "franchise tax" zu sichern, aber gleichzeitig sein Gesellschaftsrecht gegen zu rasche Imitation durch andere Bundesstaaten schützen muß, lassen sich nun zwei empirisch testbare Hypothesen zum Wettbewerbsprozeß auf dem Markt für Gesellschaftsrechte ableiten. Zum einen müßte gezeigt werden können, daß Delawares Rechtsinnovationen tatsächlich nicht ohne weiteres von anderen Bundesstaaten adoptiert werden können, zum anderen müßte sich zeigen lassen, daß Delaware seinerseits erfolgreiche fremde Rechtsinnovationen rasch in sein Gesellschaftsrecht einbaut. Die beobachtbare Heterogenität im Gesellschaftsrecht der Vereinigten Staaten wäre dann als eine Folge des Diffusionsprozesses zu interpretieren, in dem es den Bundesstaaten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit gelingt, überlegene gesellschaftsrechtliche Regeln zu adoptieren. Roman0 22 formuliert diese Vermutung explizit: ,,[M]uch of the apparent diversity in corporation codes may be better explained as a function of the timing of the implementation of innovations. " Beide eben aufgestellten Hypothesen zum Diffusionsprozeß können unseres Erachtens bestätigt werden. Es ist aber offensichtlich, daß hinter diesen Diffusionshypothesen komplexe institutionelle Lernprozesse stehen, deren Mechanik in den folgenden Kapiteln noch weitaus genauer untersucht werden muß. Deshalb sollen an dieser Stelle zur Stützung der Hypothesen zunächst nur die wichtigsten empirischen Ergebnisse der Forschungen zum Diffusionsprozeß von gesellschaftsrechtlichen Regeln in den Vereinigten Staaten wiedergegeben werden. Als Bestätigung für die Hypothese, daß Delaware keinerlei Interesse an der Förderung der Diffusion seines Gesellschaftsrechts hat, läßt sich anführen, daß Delaware vergleichsweise wenig Bezug nimmt auf die vorgeschla22

Romano, Law as a Product ... , S. 238.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

131

genen Gesellschaftsrechtsänderungen im Model Business Corporation Act, der vom Committee on Corporate Laws 23 in regelmäßigen Abständen aufgestellt wird. Die übrigen Bundesstaaten lehnen sich hingegen in ihrer Gesetzgebung recht stark an den Model Act an, wodurch eine erhebliche Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts zwischen den übrigen Bundesstaaten erreicht wird. An der regen Adoption des Model Acts durch die Bundesstaaten zeigt sich nochmals deutlich das Trittbrettfahrerverhalten der Bundesstaaten bei der Produktion von Gesellschaftsrecht. 24 Während nämlich der Diffusionsprozeß neuer gesellschaftsrechtlicher Regeln, ohne Erwähnung und Ausarbeitung im Model Act, zum Teil Jahrzehnte benötigt (siehe Abbildung 4a), führt die Erwähnung und Ausarbeitung im Model Act tendentiell zu einer erheblichen Beschleunigung des Diffusionsprozesses (siehe Abbildung 4b). Es dürfte deshalb die Vermutung zutreffen, daß die Bundesstaaten auf dem Model Act trittbrettfahren, Delaware hingegen kaum ein Interesse an einer Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts hat, die von einem Kommittee betrieben wird, das auf Bundesebene angesiedelt ist und zu einer Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts in den Vereinigten Staaten beiträgt. 25 Die zweite Hypothese, daß Delaware seinerseits sehr genau den Markt für Gesellschaftsrechte beobachtet und auf Rechtsinnovationen anderer Bundesstaaten rasch reagiert, läßt sich beispielsweise damit belegen, daß Delaware Mitte der sechziger Jahre sein Gesellschaftsrecht in einer Reihe von Punkten stark überarbeitete,z6 nachdem New Jersey und andere Staaten angekündigt hatten "to ,out delaware' Delaware". In der Folge dieser Überarbeitung schaffte es Delaware, seine Inkorporationen noch erheblich zu erhöhen. So inkorporierten sich zwischen 1966 und 1969 60 Unternehmen einer Kohorte von 140 Unternehmen, die an der New York Stock Exchange gelistet waren, in Delaware. Bis 1977 waren es sogar 126 Unternehmen. 27 Romano folgert daraus: "We can comfortably conclude that if Delaware has not always been the leader in corporate law innovation, it is, with extraordinary consistency, the most sensitive to new ideas." 28 23 Beim "Committee on Corporate Laws" handelt es sich um eine Sektion der "American Bar Association", die man als eine Art Rechtsanwaltskammer der Vereinigten Staaten bezeichnen könnte. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, Modellgesetze zu entwickeln, die der Legislative zur gesetzlichen Verabschiedung empfohlen werden. 24 Camey, Explaining the Shape of Corporate Law: The Role of Competition, in: Managerial and Decision Economics, Vol. 18, 1997, S. 611 ff.; derselbe, The Production ... 25 Camey, The Production ... , S. 742 sowie S. 747 ff. 26 Mit einer Übersicht siehe Romano, Law as a Product ... , S. 233. 27 DoddlLeftwich, The Market for Corporate Charters ... , S. 268. 28 Romano, Law as a Product ... , S. 240.

9*

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

132

Anzahl der einfiihrenden Staaten 50 45

Electronic Proxies

40

Certificates of Merger

35

Shareholder Limits on Board Power

30 25 20

,

/

I

15

10 I

I

I

5 I

I

0 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

Jahre seit der erstmaligen Einführung Quelle: Modifiziert nach Camey, W. J., The Production of Corporate Law, in: Southem

Califomia Law Review, Vol. 71, 1998, S. 746.

Abbildung 4a: Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen, die nicht im Model Act erwähnt werden

In einer ersten Annäherung an die genauere Analyse der einzelnen Elemente und Aktionsparameter des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht kann der Schluß gezogen werden, daß es anscheinend zwei wichtige Elemente sind, die den Wettbewerbsprozeß im Gesellschaftsrecht vorantreiben: Erstens, die Verteidigung eines großen Marktanteils, mit dem entsprechende Einnahmen aus der "franchise tax" verbunden sind. Zweitens, die potentielle Bedrohung der Marktposition durch den Diffusionsprozeß, der aufgrund der Eigenschaft von rechtlichen Regeln als öffentliches Gut hoch beschleunigt sein kann. Das heißt, auch im Falle, daß Bundesstaaten nur mäßig Rechtsinnovationen imitieren oder zu imitieren in der Lage sind, kann eine führende Marktposition erodieren, wenn nicht permanent das Gesellschaftsrecht vom Marktführer verbessert oder an die Bedürfnisse der Rechtsnachfrager angepaßt wird. Es dürfte somit die potentielle Konkurrenz, die sich schon alleine aus dem Diffusionsprozeß heraus aufbaut, eine erhebliche Rolle im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb spielen. Dies

II. Markttheoretische Erklärungsansätze

133

Anzahl der einführenden Staaten 50 45

Share Exchanges 40

Elimination of Legal Capital Rules

35

Plurality Voting for Shareholders

30

Exclusivity of Dissenters' Rights

25

20 15

10 5 OL---~--~----~--~--~--~

o

5

10

15

20

25

____~__~__~__~

30

35

40

45

50

Jahre seit der erstmaligen Einführung Quelle: Modifiziert nach Camey, W. J., Tbe Production of Corporate Law, in: Southem Califomia Law Review, Vol. 71, 1998, S. 747.

Abbildung 4b: Diffusion von gesellschaftsrechtlichen Innovationen, die im Model Act erwähnt werden

könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum eine deutliche Asymmetrie der Anzahl an Rechtsinnovationen und der Imitationsgeschwindigkeit zwischen Delaware und den anderen Bundesstaaten zu beobachten ist. Während nämlich Delaware unter dem Druck potentieller Konkurrenz permanent Rechtsinnovationen hervorbringen muß, um seine Marktführerposition zu verteidigen, können sich die anderen Staaten im wesentlichen darauf beschränken, Rechtsinnovationen nur nachzuvollziehen, wobei der Model Act häufig als "bequeme" Vorlage bei den Rechtsanpassungen dient. Fragt man entsprechend den hier angestellten Überlegungen, welche Staaten wohl am ehesten danach streben, eine Marktführerposition einzunehmen, kann festgestellt werden, daß hierfür vor allem kleine Staaten in Betracht kommen, die ein entsprechend kleines Staatsbudget aufweisen, in dem die Einnahmen aus der "franchise tax" besonders merklich sind. Bei einem konsequenten Übergang zur Gründungstheorie und der Ermöglichung

134

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

der Erhebung einer "franchise tax" in der Europäischen Union könnte daraus gefolgert werden, daß sich langfristig am ehesten ein kleines Mitgliedsland zum Delaware Europas entwickelt, wenn keine zusätzlichen Anreize zur gesellschaftsrechtlichen Entwicklung in den größeren Mitgliedstaaten gegeben werden. bb) "Raising rivals' cost" durch "Unbestimmtheit" als Wettbewerbsstrategie Die sich nun anschließende Frage ist, wie Delaware mit dem Diffusionsproblem im einzelnen wettbewerbsstrategisch umgeht. Wir hatten bereits darauf hingewiesen, daß Delaware seine Wettbewerbsvorteile vor Imitation schützt, indem es in die Produktion VOn Gesellschaftsrecht Elemente einbaut, die nicht ohne weiteres imitierbar sind. Die wettbewerbsstrategische Absicht, einen Kopierschutz zu installieren, leuchtet unmittelbar ein. Es muß jedoch noch genauer untersucht werden, was denn überhaupt im einzelnen die relevanten Wettbewerbsvorteile sind, die Delaware hat, mit welchem Instrumentarium ein Kopierschutz im Bereich gesellschaftsrechtlicher Regeln erreicht werden kann und schließlich stellt sich noch die Frage der optimalen Dosierung eines Kopierschutzes in Abhängigkeit der Maximierung der Einnahmen aus der "franchise tax". Denn es darf nicht übersehen werden, daß exklusive Wettbewerbsvorteile nur bis zu einer gewissen preislichen Grenze der "franchise tax" ausbeutbar sind. Ebenso kann die Exklusivität von Recht möglicherweise in einen Nachteil umschlagen, wenn Unternehmen bei einer Inkorporation in Delaware befürchten müssen, daß durch die Exklusivität des Gesellschaftsrechts die "Anschlußfähigkeit" an das restliche Unternehmensrecht eingeschränkt wird?9 Nachdem im folgenden kurz die selektiven Wettbewerbsvorteile Delawares benannt und das VOn Delaware verwendete Instrument zum Schutz der Wettbewerbsvorteile skizziert worden sind, soll hier vor allem der dritten Frage nachgegangen werden, und zwar der Frage nach dem gewinnmaximalen Exklusivitätsgrad des Gesellschaftsrechts Delawares. Damit wird ein genauerer Blick auf das strategische Verhalten VOn lurisdiktionen im Regulierungswettbewerb geworfen. Es soll deutlich werden, daß sich lurisdiktionen auch wettbewerbsverzerrender Mittel im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb bedienen können. Der Einsatz solcher Mittel ist aber gleichwohl differenziert zu bewerten. Er kann nämlich nicht nur zu einer Wohlfahrtsschädigung führen, sondern er ist möglicherweise sogar notwendig, um Wettbe29 Siehe hierzu Kamar, A Regulatory Competition Theory ... ; sowie Fisch, The Peculiar Role of the Delaware Courts in the Competition for Corporate Charters, in: Fordham University School of Law, Research Paper 00-02, 2000.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

135

werbsprozesse überhaupt in Gang zu setzen und damit langfristige Wohlfahrtsvorteile zu realisieren (dynamische Effizienz).3o Was sind Delawares Wettbewerbsvorteile? Delaware hat einen ersten Wettbewerbsvorteil durch ausgeprägte Netz- und Lerneffekte bei der Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts, ein zweiter Wettbewerbsvorteil besteht im hochspezialisierten Rechtssystem und ein dritter Wettbewerbsvorteil besteht schließlich in der Glaubwürdigkeit Delawares hinsichtlich der Stabilität und Vorhersagbarkeit seines Gesellschaftsrechts?1 Die ersten beiden Wettbewerbsvorteile kann man dem Bereich der Wettbewerbsvorteile durch Wissensakkumulation zurechnen, den dritten Wettbewerbsvorteil kann man dem Bereich glaubwürdiger Reputationsmechanismen zuordnen. Beide Bereiche werden später noch genauer betrachtet. Das Instrument, mit dem Delaware seine Wettbewerbsvorteile zu schützen versucht, ist "Unbestimmtheit,,?2 Unbestimmtheit bezieht sich darauf, daß andere Bundesstaaten die Wettbewerbsvorteile Delawares nur mangelhaft imitieren können, weil die gesellschaftsrechtlichen Regelungen und die gefällten Urteile zwar öffentlich sind, die dahinter liegenden Mechanismen in Legislative und Gerichtssystem aber so strukturiert sind, daß die anderen Staaten nicht bestimmen können, in welche Richtung Delaware sein Gesellschaftsrecht weiterentwickeln wird. Sie können somit zwar Rechtsentwicklungen Delawares nachzuvollziehen versuchen, indem sie alle gesellschaftsrechtlichen Regulierungen Delawares "abschreiben", wie dies beispielsweise der Bundesstaat Indiana seit einigen Jahren tut, sie können aber nicht den Mechanismus kopieren, der dieses Gesellschaftsrecht erzeugt. Das führt dazu, daß Unternehmen das Gesellschaftsrecht von Delaware wählen, weil sie in den Genuß eines aktuell attraktiven Gesellschaftsrechts kommen wollen und weil sie erwarten, daß das Gesellschaftsrecht Delawares auch in Zukunft attraktiv und stabil sein wird, auch wenn sie nicht abschätzen können, wohin sich das Gesellschaftsrecht genau entwickeln wird. Natürlich würden es Unternehmen bevorzugen, wenn sie auch die Rechtsentwicklung im Gesellschaftsrecht Delawares voraussehen könnten und damit noch größere Rechtssicherheit im Gesellschaftsrecht hätten?3 30 Diese Ambivalenz mancher wettbewerblicher Strategien läuft auf eine empirische Frage hinaus, die im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse geklärt werden müßte (Glais, Competition Policy, in: Arena/Longhi (Hrsg.), Markets and Organization, 1998, Berlin, S. 547). 31 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1923 ff. 32 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1927 ff. 33 Diese Hypothese wird von einer ökonometrischen Studie von Weiss und White gestützt. In dieser Studie kommen Weiss und White für den US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte zu der Schlußfolgerung: "In this sense, investors evidently appreciate the strength of the corporate govemance system, which lies in its stability. The system's weakness is that its complexity and uncertainty increase

136

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Andere Staaten können Unternehmen also nicht dieselbe Erwartungsstabilisierung wie Delaware signalisieren, weil sie zwar versuchen können, das Recht Delawares zu kopieren, aber nicht in dem gleichem Maße wie Delaware eine effizienzsteigernde Rechtsentwicklung für die Zukunft garantieren können. 34 An dieser Stelle soll nun aber keine weitere Erklärung für die einzelnen Mechanismen gegeben werden, die Delaware besitzt, um sein Gesellschaftsrecht durch "Unbestimmtheit" vor Imitation zu schützen. Dies soll ausführlicher im Zusammenhang mit den rechtlichen Lernprozessen diskutiert werden (Abschnitt E.II.3.). Es soll vielmehr nun anhand der Strategie des "raising rivals' cost" gezeigt werden, wie Gebietskörperschaften im Regulierungswettbewerb ihre rechtlichen Produkte hinsichtlich Preis und Qualität gestalten, um Marktführer zu werden beziehungsweise zu bleiben. Die Strategie des "raising rivals' cost" besteht darin, daß ein Wettbewerber sich selbst und seine Wettbewerber schädigt, allerdings die Selbstschädigung geringer ist als der den anderen zugefügte Schaden, so daß für den Selbstschädiger ein relativer Vorteil erwächst. Diese Strategie kann sich sowohl auf die Kosten als auch auf die Produktqualität beziehen. 35 Delaware bedient sich der Strategie des "raising rivals' cost", um seinen Marktanteil und seine Einnahmen aus der "franchise tax" zu maximieren. Im einzelnen liegen dieser Vorgehensweise folgende Überlegungen zugrunde: 36 Wenn Delawares Gesellschaftsrecht hinsichtlich seiner aktuellen Interpretation durch Gerichte und hinsichtlich seiner zukünftigen Entwicklung durch Gerichte und Legislative von anderen Bundesstaaten leicht betransaction costs" (Weiss/White, Of Econometrics and Indeterminacy: A Study of Investors' Reactions to "Changes" in Corporate Law, in: Califomia Law Review, Vol. 75, 1987, S. 607). 34 Diese Überlegung wird auch von Daines in einer Studie zur Entwicklung des Firmenwertes von in Delaware inkorporierten Unternehmen gestützt. "Second, Delaware's expert and specialized judiciary may improve share value. Delaware courts and precedent are specialized, sophisticated and may more effectively deter opportunism. Other states, able to copy Delaware statutes and free-ride on its precedent, have been unable to replicate Delaware's Chancery Court and dependence on incorporation. The difficulty of replicating these institutional features may explain why other states have been unable to imitate Delaware law and reduce the observed premium" (Daines, Does Delaware Law Improve Firm Value? ... , S. 34). 35 SaloplScheffman, Raising Rivals' Cost, in: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 73, 1983, S. 267 ff.; dieselben, Cost-raising Strategies, in: Journal of Industrial Economics, Vol. 36, 1987, S. 19 ff. 36 Zum Folgenden siehe Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1930 ff. Ein formales Modell, das die hier präsentierten Überlegungen stützt, findet sich ebenfalls bei Kamar (Kamar, A Regulatory Competition Theory .... , S. 1956 ff.). Mit Hilfe des formalen Modells kann auch die gewinnmaximale Höhe der "franchise tax" bestimmt werden.

II. Markttheoretische Erklärungsansätze

137

stimmbar ist, ist sein Wert für die Rechtsnachfrager am höchsten. Das liegt daran, daß im Fall der Bestimmtheit des Gesellschaftsrechts Delawares die anderen Staaten ihr Gesellschaftsrecht durch Gesetzgebung und Gerichtsentscheide problemlos anpassen können und umgekehrt Delaware von der Rechtsentwicklung der anderen Staaten profitieren kann. Mit anderen Worten, je größer die Netzwerkexternalität eines Gesellschaftsrechts ist, desto größer ist der Wert eines Gesellschaftsrechts aus Sicht der Rechtsnachfrager. Aus der Sicht Delawares ist es unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der Inkorporationen aber keineswegs vorteilhaft, eine möglichst große Netzwerkexternalität durch ein hoch bestimmtes Gesellschaftsrecht zu erzeugen, weil sich dann Unternehmen häufiger in fremdes Gesellschaftsrecht inkorporieren werden. Unternehmen könnten nämlich von den Netzwerkexternalitäten in der Produktion von Gesellschaftsrecht profitieren, ohne in Delaware inkorporiert zu sein. Der Nutzen des Gesellschaftsrechts wäre in allen Bundesstaaten ähnlich hoch, so daß andere Faktoren als die Qualität des Gesellschaftsrechts den Ausschlag für eine Inkorporation geben würden. Delaware wird daher versuchen, durch für andere Staaten "unbestimmtes" Gesellschaftsrecht, exklusive Netzwerkvorteile aufgrund seiner bereits hohen Anzahl von Inkorporationen zu generieren?7 Die auf diese Weise geschaffenen Netzwerkvorteile bleiben gleichwohl hinter denen zurück, die entstehen würden, wenn Delawares Gesellschaftsrecht problemlos von anderen Staaten imitierbar wäre. Die Strategie des "raising rivals' cost" besteht hier also darin, daß Delaware durch Nichtanschluß der anderen Staaten an sein Gesellschaftsrecht auf die Nutzung potentieller Netzwerkvorteile zur Verbesserung seines Gesellschaftsrechts verzichtet, dadurch aber die anderen Staaten von der Nutzung möglicher Netzwerkvorteile durch ihre jeweils nur geringen eigenen Inkorporationszahlen fast gänzlich ausgeschlossen bleiben. Damit entsteht die Situation, daß das Gesellschaftsrecht Delawares absolut gesehen nicht seinen höchsten möglichen Wert beziehungsweise höchste mögliche Qualität für die Rechtsnachfrager erreicht, relativ betrachtet ist es aber für ein inkorporierendes Unternehmen das attraktivste Gesellschaftsrecht. Durch diese vergleichsweise Vorteilhaftigkeit gelingt es Delaware, daß sich ein Großteil der Unternehmen in Delaware inkorporiert und dort entsprechend die "franchise tax" bezahlt. Die anderen Staaten stehen hingegen vor dem Problem, entweder das unbestimmte Gesellschaftsrecht Delawares so gut wie möglich zu kopieren, um damit wenigstens zum Teil von den gesellschaftsrechtlichen Netzwerkvorteilen Delawares zu profitieren, oder sie bieten selbst ein bestimmteres Gesellschafts37 Romano spricht in diesem Zusammenhang auch von einem "first-mover advantage", den Delaware durch seine initial hohe Zahl an Inkorporationen besitzt (Romano. Law as a Product ... ; dieselbe. The Genius ... ).

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

recht als das von Delaware an, damit verlieren sie aber die Anschlußfähigkeit an zukünftige, noch unbestimmte Rechtsentwicklungen in Delaware. Welche Strategie von den anderen Staaten auch gewählt wird, in Folge der "raising rivals' cost"-Strategie hat Delaware einen relativen Wettbewerbsvorteil und damit auch einen Vorsprung bei den Inkorporationen vor den anderen Staaten. 38 b) DifJerenzierungsstrategien

Weitere Merkmale des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbsprozesses können unter dem Aspekt der Differenzierung des gesellschaftsrechtlichen Angebots herausgearbeitet werden. Dabei geht es sowohl um die Frage der qualitativen Differenzierung des Produkts als auch um die Frage der preislichen Gestaltung des angebotenen Gesellschaftsrechts. Mit der Betrachtung von Differenzierungsstrategien können vor allem zwei Aspekte des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs näher betrachtet werden. Zum einen kann eine weitere Begründung dafür gegeben werden, warum das Gesellschaftsrecht zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten zwar im großen und ganzen keine fundamentalen Unterschiede aufweist, aber doch zum Teil einige Unterschiede insbesondere zwischen Delaware und den restlichen Staaten bestehen. Zum anderen kann genauer erklärt werden, wie die Preissetzung bei der "franchise tax" vorgenommen wird, um die Staatseinnahmen zu maximieren. Mit der Betrachtung von Differenzierungsstrategien werden also zwei Fragenkomplexe des Regulierungswettbewerbs aufgegriffen: Die Frage der Erklärung von persistenten Heterogenitäten im interjurisdiktionellen Wettbewerb und die Frage der Marktmacht, das heißt, das Durchsetzen einer über den Grenzkosten der Produktion von Gesellschaftsrecht liegenden "franchise tax". aa) Produktdifferenzierung Findet auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte eine Produktdifferenzierung statt? Diese Frage wurde erstmals von Posner und Scott gestelle9 und wurde in der Folge wiederholt aufgegriffen, um Unterschiede zwischen Gesellschaftsrechten in den Vereinigten Staaten aus den unterschiedlichen Präferenzen der Nachfrager heraus zu erklären. Zum Teil hat die These von Posner und Scott auch als Ausgangspunkt dazu gedient, nach anderen Erklärungen als gesellschaftsrechtlichen Präferenzunterschieden von Rechtsnachfragern zu suchen, um Heterogenitäten auf dem Markt 38 39

Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1932. Posner/Scott, Economics of Corporation Law ... , S. 11l.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

139

für Gesellschaftsrechte zu erklären. Zwei dieser Erklärungen haben wir bereits kennengelernt. Romano 40 begreift Heterogenitäten des Gesellschaftsrechts als Resultate von Zeitverzögerungen im gesellschaftsrechtlichen Diffusionsprozeß, und Kamar begründet Heterogenitäten aus der Existenz von Netzwerkvorteilen heraus in Verbindung mit der wettbewerbsbeschränkenden Strategie des "raising rivals' cost".41 Posners und Scotts Hypothese42 mag mittlerweile empirisch nicht mehr in ihrer ursprünglichen Schärfe zutreffen,43 die Grundaussage kann jedoch nachwievor Gültigkeit beanspruchen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß Delaware unangefochten bei den Reinkorporationen führt, die initialen Inkorporationen bei Unternehmensgründungen in Delaware hingegen vergleichsweise niedrig sind. Eine mögliche Erklärung für diesen Tatbestand ist, daß sich Delaware auf das Angebot von Gesellschaftsrecht für Publikumsgesellschaften ab einer gewissen Größe spezialisiert hat. Für diese Unternehmen lohnt es sich erst ab einer bestimmten Größe, nach einem Gesellschaftsrecht mit bestimmten Eigenschaften Ausschau zu halten, während es für kleinere Unternehmen recht kostspielig sein kann, ein vom Hauptsitz der Gesellschaft verschiedenes Gesellschaftsrecht zu wählen (steuerliche Nachteile, hohe Kosten der Rechtsberatung usw.), ohne daß dem entsprechende Vorteile gegenüberstehen. Die "Cost-Avoidance-Hypothese" von Dodd und Leftwich, nach der die relativ hohen Inkorporationskosten in Delaware durch das vorteilhafte Gesellschaftsrecht bei weitem übertroffen würden,44 würde sich demnach nur auf Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung beziehen. Auf seinen Kern reduziert, bedeutet die Beobachtung von Posner und Scott also nichts anderes, als daß Gebietskörperschaften analog zu Unternehmen versuchen können, Rechtsprodukte auf die Bedürfnisse bestimmter Käuferschichten zuzuschneiden. Dies schließt nicht aus, daß sich im Laufe der Zeit die Bedeutung von Käuferschichten verschiebt und Anbieter sich diesen veränderten Präferenzen anpassen. Insofern ist es keine Widerlegung der Produktdifferenzierungshypothese von Posner und Scott, wenn sich mittlerweile die US-Bundesstaaten vermehrt um ein attraktives Angebot von Gesellschaftsrecht für kleine Unternehmen bemühen, wie sich am zur Zeit stark beschleunigten Ausbau des Gesellschaftsrechts im Bereich der Limited Liability Companies (LLCs) zeigt. Der Anstoß zum Ausbau dieser Statuten kam dabei nicht aus Delaware, sondern aus Wyoming, einem ansonsten nicht besonders aktiven Staat in Romano, Law as a Product ... Kamar, A Regulatory Competition Theory ... ; derselbe, Shareholder Litigation Under Indeterminate Corporate Law, in: Chicago Law Review, Vol. 66, 1999, S. 887 ff. 42 Posner/Scott, Econornics of Corporation Law ... , S. 111. 43 Kobayashi/Ribstein, Evolution ... 44 Dodd/Lejtwich. The Market for Corporate Charters ... 40

41

140

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

bezug auf die Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts. 45 Man kann deshalb vermuten, daß gesellschaftsrechtliche Produktdifferenzierung ein normales Element des Regulierungswettbewerbsprozesses ist, in dem ein komplexes Zusammenspiel von gesellschaftsrechtlich angebotenen Problemlösungshypothesen für die Bedürfnisse von Rechtsnachfragern stattfindet. Betrachtet man Produktdifferenzierung als Element innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Problemlösungsprozesses, ist natürlich auch nach den gesellschaftsrechtlichen Problemen der Rechtsnachfrager zu fragen. Die nachfrageseitigen Aspekte der Produktdifferenzierung werden in einer empirischen Studie von Baysinger und Butler näher herausgearbeitet. 46 Sie fragen zunächst, was die Motive der Gesellschafter und der Geschäftsführung bei der Auswahl eines bestimmten Gesellschaftsrechts sind. Das vermutete Kalkül, das die Gesellschafter anstellen, ist, daß sie zwar Kontrolle über das Management wünschen, aber diese darf nicht übertrieben sein, weil zum einen die Überwachungskosten mit der Kontrolldichte erheblich ansteigen und zum anderen einzelne Gesellschafter damit auch vermehrt die Möglichkeit zu Erpressungsversuchen der anderen Gesellschafter erhalten würden. Hier sei nur an das bereits erwähnte Kriterium der Einstimmigkeit zur nachträglichen Änderung des Gesellschaftervertrags erinnert. Manager wünschen sich ihrerseits natürlich unternehmerische Freiheiten, die sie auch zum eigenen Vorteil nutzen können. Dieser Wunsch nach Vermeidung von Kontrolle ist jedoch begrenzt, da sich sonst keine Gesellschafter mehr finden, die die wirtschaftlichen Ressourcen zum Betrieb des Unternehmens bereitstellen.47 Es mag sich daher je nach Gesellschaftern, Managern und Geschäftszweck ein spezifisches Bedürfnis nach Gesellschaftsrecht ergeben, das sich auf einem Kontinuum von "liberaler" bis zu "strikter" Kontrolle befindet. Dieses Kontinuum an Gesellschaftsrecht wird von den Bundesstaaten angeboten, so daß Rechtsnachfrager einem differenzierten gesellschaftsrechtlichen Angebot gegenüberstehen. "State corporate laws vary along a continuum from strict to liberal. Strict laws provide a relatively greater scope for the involvement for shareholders in managing the firm; liberal laws reduce direct controls by shareholders and emphasize the anonymous mechanism of the stock market".48 Während man Delaware auf dem Kontinuum eher den "liberalen" Gesellschaftsrechten zurechnen kann, ist das Gesellschaftsrecht New Yorks und Kaliforniens eher "strikt". Vor diesem Hintergrund kann der Schluß gezogen werden, daß das zum Teil differenzierte Angebot an Gesellschaftsrecht auf unterschiedlichen gesellschaftsrechtKobayashi/Ribstein, Evolution ... Baysinger/Butler, The Role of Corporate Law in the Theory of the Firm, in: Journal of Law and Economics, Vol. 38, 1985, S. 179 ff. 47 Baysinger/Butler, The Role of Corporate Law ... , S. 180. 48 Baysinger/Butler, The Role of Corporate Law ... , S. 181. 45

46

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

141

lichen Bedürfnissen der Rechtnachfrager beruht. Baysinger und Butler fassen das Ergebnis ihrer empirischen Untersuchung folgendermaßen zusammen: ,,[J]urisdictional competition in the market for corporate privileges is desirable because it produces a variety of standard-form contracts from which firms can select the appropriate role for legal ruIes in their governance structure ...49 Gesellschaftsrechtliche Produktdifferenzierung wird somit von den Rechtsnachfragern gewünscht und sie wird anscheinend auch von den US-amerikanischen Bundesstaaten in gewissen Grenzen betrieben. Aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive legt dies den Schluß nahe, daß Rechtswahlfreiheit in Verbindung mit gesellschaftsrechtlicher Produktdifferenzierung zu prinzipiellen Paretoverbesserungen gegenüber einer Situation führt, in der keine Rechtswahlfreiheit bezüglich des Gesellschaftsrechts besteht. 50 bb) (Steuer-) Preisdifferenzierung An die Frage der gesellschaftsrechtlichen Produktdifferenzierung schließt sich fast automatisch die Frage an, welche (Steuer-) Preispolitik von den Bundesstaaten betrieben wird, um die Einnahmen aus der "franchise tax" zu maximieren. 51 Ein Überblick über die Höhe der "franchise tax" und die sonstigen Gebühren, die bei der Inkorporation in Delaware anfallen, wurde bereits in Abschnitt D.I.3. gegeben. Hier soll nun am Beispiel Delawares genauer gezeigt werden, wie dieser Bundesstaat seine Preispolitik für das von ihm angebotene Gesellschaftsrecht betreibt. Ausgangspunkt der Fragestellung ist, ob es empirische Hinweise darauf gibt, ob Delaware überhaupt über Preissetzungsspielräume verfügt, die eine Anhebung der "franchise tax" über die Grenzkosten der Produktion von Gesellschaftsrecht erlauben. 52 Für die Vermutung, daß Delaware Marktmacht zur Nutzung von Preissetzungsspielräumen besitzt, spricht die Einnahmen/ Ausgaben-Rechnung des Inkorporationsgeschäfts. 1996 betrugen die Einnahmen aus der "franchise tax" $ 340 Millionen, während die Ausgaben für die Organisation und den Betrieb des Inkorporationsgeschäftes unter $ 10 Millionen lagen. Für die vorangegangenen Jahre ergeben sich ähnliche ZahBaysinger/Butler, The Role of Corporate Law ... , S. 191. Baysinger/Butler, The Role of Corporate Law ... , S. 191. 51 Hier soll nicht behauptet werden, daß Delaware eine bewußte Optimierung seiner Einnahmen aus der "franchise tax" durch Preisdifferenzierung betreibt, wie dies Unternehmen auf Gütermärkten tun. Es kann aber vermutet werden, daß Delaware intuitiv seine Marktrnacht zur Preisdifferenzierung nutzt, indem es über die Jahre immer ausgefeiltere "franchise tax"-Schemata entwickelt hat, die die Einnahmen aus der "franchise tax" maximieren. 52 Kahan/Kamar, Price Discrimination in the Market for Corporate Law, 2000, Mimeo, S. 8. 49

50

142

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

len, so daß Delaware regelmäßig Renditen von mehreren tausend Prozent im Inkorporationsgeschäft erwirtschaftet. 53 Diese Marktrnacht beruht auf den Wettbewerbsvorteilen, die Delaware in der Lage ist, zu generieren. Die These ist nun, daß Unternehmen in unterschiedlicher Weise von den Leistungen des von Delaware angebotenen Gesellschaftsrechts profitieren und Delaware entsprechend dieser Leistungsinanspruchnahme die Steuerpreise differenziert. 54 Delaware bedient sich dabei der Preisdifferenzierung dritten Grades, das heißt, es werden Gruppen von Rechtsnachfragern gebildet, die über eine ähnliche Zahlungsbereitschaft für das Gesellschaftsrecht verfügen. Die Gruppenbildung findet hierbei mittels eines exogenen Kriteriums statt, das eine praktikable distinkte Gruppenbildung zuläßt. 55 Voraussetzung für das Gelingen dieser Preisdifferenzierungsstrategie ist allerdings, daß Arbitrage zwischen den Gruppen ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzung ist auf dem Markt für Gesellschaftsrechte in jedem Fall erfüllt, weil Delaware darüber bestimmt, welches Unternehmen welches gesellschaftsrechtliche Statut erhält und ein Weiterverkauf eines gesellschaftsrechtlichen Statuts von einem Unternehmen an ein anderes nicht möglich ist. Interessant ist, wie die Bildung von Gruppen gleicher Zahlungsbereitschaft vorgenommen wird und welche Steuertechnik zur Abschöpfung der höheren Zahlungsbereitschaft Anwendung findet. Bei der Gruppenbildung geht es darum, ein Kriterium zu finden, das als Stellvertretergröße (Proxy) dafür steht, wie hoch die Zahlungsbereitschaft der Unternehmen hinsichtlich der "franchise tax" und gegebenenfalls anderer Kosten der Inkorporation ist. Als Kriterium dafür wird in Delaware die Unterscheidung in Publikumsgesellschaften und Nichtpublikumsgesellschaften getroffen. Mit dieser Unterscheidung korrespondiert in hohem Maße die Größe von Unternehmen und damit wiederum die Wahrscheinlichkeit, daß die Unternehmen in rechtliche Streitigkeiten verwickelt werden. Bei Publikumsgesellschaften wird also angenommen, daß sie aufgrund ihrer Größe häufiger Gerichte in Anspruch nehmen als Nichtpublikumsgesellschaften. Je häufiger rechtliche Auseinandersetzungen für ein Unternehmen zu erwarten sind, desto wertvoller ist es für ein Unternehmen, wenn es auf ein Gesellschaftsrecht und ein Rechtssystem von Richtern und Anwälten zurückgreifen kann, das zu einer raschen und fairen Konfliktlösung gelangt. Für ein solches Gesellschaftsrecht, das die Kosten der rechtlichen Organisation eines UnternehKahan/Kamar, Price Discrimination ... , S. 5. Kahan/Kamar, Price Discrimination .. . 55 Zur Preisdifferenzierung siehe allgemein Fehl, Preisdifferenzierung (Preisdiskriminierung), in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 6, 1981, Stuttgart, S. 160 ff.; sowie Fehl/Oberender, Grundlagen der Mikroökonomie, 7. Aufl., 1999, München, S. 398 ff. 53

54

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

143

mens erheblich senken kann, sind Unternehmen bereit, auch eine vergleichsweise hohe "franchise tax" zu bezahlen. Bei den großen Publikumsgesellschaften besteht aber nicht nur nachfrageseitig eine besonders hohe Wertschätzung des Gesellschaftsrechts aus Delaware, sondern die Vorteile, die das Gesellschaftsrecht Delawares bietet, richten sich auch von der Angebotsseite her in aller erster Linie an große Publikumsgesellschaften. Dies liegt daran, daß durch die häufigeren Rechtsstreitigkeiten, in die Publikumsgesellschaften verwickelt sind, auch die meisten Präzedenzfälle aus dem Bereich der rechtlichen Probleme von Publikumsgesellschaften stammen, was zudem zur Folge hat, daß in diesem Bereich eine besonders hohe Problemlösungskompetenz bei Richtern und Anwälten vorhanden ist. 56 Diese Problemlösungskompetenz wird, wie in Abschnitt E.ll.l.a)bb) beschrieben, durch "Unbestimmtheit" der Rechtsanwendung vor Kopie durch andere Bundesstaaten geschützt. Ohne hier auf die Details der Steuerpreisdifferenzierung eingehen zu wollen,57 ist hinzuzufügen, daß innerhalb der Gruppe der Publikumsgesellschaften und Nichtpublikumsgesellschaften nochmals eine Steuerpreisdifferenzierung über verschiedene Merkmale der Bemessungsgrundlage zur Errechnung der "franchise tax" stattfindet. Daraus resultiert schließlich eine Preisspanne für eine Inkorporation in Delaware von 30 Dollar, für die kleinste Nichtpublikumsgesellschaft, bis zu 150.000 Dollar, für eine große Publikumsgesellschaft. Die Preisdifferenzierung der "franchise tax" ist zweifellos eine wettbewerbliche Handlungsweise, die, wenn auch nicht bewußt als Preisdifferenzierungsstrategie nach "oben" und "unten" von Delaware konzipiert, die Zahl der Inkorporationen in Delaware erhöht. Dies hat zwei Effekte zur Folge: Zum einen werden die Einnahmen aus der "franchise tax" maximiert, weil die Konsumentenrente der sich inkorporierenden Unternehmen abgeschöpft wird. Zum anderen bewirkt die Steuerpreisdifferenzierung nach "unten", daß durch den Anstieg der Inkorporationen auch tendentiell mehr Gerichtsentscheidungen im Bereich des Gesellschaftsrechts getroffen werden. Dies hat wiederum durch mehr Präzedenfälle und Lerneffekte bei Richtern und Anwälten einen positiven Einfluß auf die Kompetenz des Rechtssystems in Delaware. An dieser Stelle kann nicht die Frage abschließend beantwortet werden, ob das Gesellschaftsrecht Delawares aus einer wohlfahrtsökonomischen Perspektive heraus insgesamt effizient ist, es kann aber gefragt werden, ob Steuerpreisdifferenzierung ein Aktionsparameter im Regulierungswettbewerb ist, dessen aktive Nutzungsmöglichkeit durch Jurisdiktionen die Wohl56 57

Kahan/Kamar, Price Discrimination ... , S. 18 ff. Siehe dazu ausführlich Kahan/Kamar, Price Discrimination ...

144

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

fahrt tendentiell erhöht. Diese Frage kann im großen und ganzen bejaht werden. Der Grund hierfür ist, daß in Delaware sowohl innerhalb der Gruppe der Publikumsgesellschaften als auch der Nichtpublikumsgesellschaften eine Preisdifferenzierung nicht nur nach oben, sondern ebenfalls nach unten stattfindet. Die Preisdifferenzierung nach unten hat zur Folge, daß sich mehr Unternehmen bei ihrem individuellen Reservationspreis der "franchise tax" für das Gesellschaftsrecht Delawares entscheiden können. Es findet somit mittels Preisdifferenzierung nach unten eine bessere Präferenzerfüllung statt als dies ohne Preisdifferenzierung der Fall wäre. Man könnte auch sagen, daß ein möglicher Dead-Weight-Loss, der bei einem "Einheitspreis" der "franchise tax" über den Grenzkosten der Produktion von Gesellschaftsrecht entstehen würde, aufgelöst wird. Die Preisdifferenzierung nach unten bei der "franchise tax" kann daher im Ergebnis als wohlfahrtserhöhender Tatbestand eingeschätzt werden. 58

Im Falle der Preisdifferenzierung nach oben hat man es vor allem mit einem Vorgang auf distributiver Ebene zu tun. Da bei der Preisdifferenzierung nach oben jedes Unternehmen zu seiner individuellen Zahlungsbereitschaft das Gesellschaftsrecht Delawares erhält, kommt es zu keinem Wohlfahrtsvedust, sondern lediglich zu einem Transfer der Konsumentenrente von den inkorporierenden Unternehmen an den das Gesellschaftsrecht produzierenden Staat Delaware. Diese Verteilungswirkung sollte jedoch nicht isoliert davon betrachtet werden, daß die gesellschaftsrechtlichen Regulierungen Delawares für die inkorporierten Unternehmen besonders produktiv sind und entsprechende Renten auf den Gütermärkten erwirtschaften, die um ein Vielfaches höher sein können als der Transfer durch die "franchise tax" an den Staat. Insgesamt gesehen führt die Zulässigkeit des Aktionsparameters Steuerpreisdifferenzierung zu einer gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtserhöhung. Diese Aussage könnte ein bedenkswerter Punkt sein, wenn im Kontext der europäischen Integration ein allgemeines Diskriminierungsverbot durchgesetzt werden soll, in dessen Folge auch eine Harmonisierung der Besteuerung in den Mitgliedssaaten angestrebt wird. Hinter der einen oder anderen Gestaltung einer Regulierung, die Rechtsnachfrager in unterschiedlicher Weise belastet (zum Beispiel Unternehmen mit unterschiedlichen Rechtsformen), mag nämlich nichts anderes stehen als eine Produkt- und Preisdifferenzierung, die bei genauerer Betrachtung die Gesamtwohlfahrt erhöht.

58

Kahan/Kamar, Price Discrimination ... , S. 35 ff.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

145

2. Reputationsmechanismen Auf einen wichtigen Aktionsparameter und Erfolgsfaktor im Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten hat Romano59 aufmerksam gemacht. Sie wies erstmals daraufhin, daß Reputationsmechanismen im Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten eine große Bedeutung zukommt. Der Grundgedanke des Arguments ist dabei sehr einfach. Unter einem Regime der Gründungstheorie kann zwar im Vergleich zur Sitztheorie verhältnismäßig leicht das Gesellschaftsrecht gewechselt werden, dennoch sind mit der Inkorporation und dem Wechsel des Gesellschaftsrechts nicht unerhebliche Kosten für Unternehmen verbunden, die versunken sind. 6o Außerdem hat ein Unternehmen ein hohes Interesse daran, auch in Zukunft ein leistungsfähiges Gesellschaftsrecht zu besitzen, das mit der Entrichtung einer angemessenen und planbaren "franchise tax" verbunden ist. Es ist anzunehmen, daß ein Gesellschaftsrecht, das eine solche Vorhersagbarkeit und Stabilität aufweist, besonders attraktiv für Unternehmen ist. Es ist natürlich schwer zu sagen, welcher Eigenwert der Stabilität von Recht letztlich zukommt. Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Erwartungsstabilisierung für Transaktionen und der damit verbundenen Möglichkeit, mehr Tauschgelegenheiten wahrzunehmen, sollte der Eigenwert von Rechtsstabilität aber nicht zu gering veranschlagt werden. 61 Dies zeigt sich beispielsweise auch in der Spruchpraxis des Richters Brandeis, der erklärte: "Stare decisis is usually the wise policy, because in most matters it is more important that the applicable rule of law be settled than that it be settled right. ,,62 59 Romano, Law as a Product ... ; dieselbe, The Genius ... ; dieselbe, Corporate Law and Corporate Governance .. . 60 Diese Annahme ist für Romanos Argumentation zentral. Wird die Annahme aufgehoben, bricht die Argumentation zusammen, da es sich bei geringen Transaktionskosten der Reinkorporation weder für Unternehmen noch für Delaware lohnen würde, Reputationskapital aufzubauen. In diese Richtung argumentiert beispielsweise Black gegen Romano (Black, Shareholder Passivity ... ), ohne daß sich jedoch bislang klären ließ, wie hoch die versunkenen Kosten von Unternehmen bei der Inkorporation tatsächlich sind und ob diese aus Sicht der Unternehmen als eher hoch oder niedrig einzuschätzen sind. In der Literatur findet man zu dieser Frage meist vage Tendenzaussagen, zum Beispiel ,,[Clhanging a corporate domicile is a relatively costly process, ... " (Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory of Delaware Corporate Law, in: Texas Law Review, Vol. 65, 1987, S. 488). 61 Schwartzstein, An Austrian Economic View of Legal Process, in: Ohio State Law Journal, Vol. 55, 1994, S. 1072 ff. So heißt es beispielsweise in einem Proxy Statement (22-24, 1998) der Hewlett Packard Co., die sich von Kalifornien nach Delaware inkorporieren wollte und schließlich auch tat: "The prominence and predictability of Delaware corporate law provide a reliable foundation on which the Company's [corporate] governance decisions can be based ... [S]hareholders will benefit from the weil established principles of corporate governance ... " 10 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Eine 1urisdiktion, die ein solches verläßliches Gesellschaftsrecht nicht anbieten kann, wird entsprechende Abschläge bei der "franchise tax" als Risikoprämie für die Unternehmen hinnehmen müssen. Es leuchtet daher ein, daß 1urisdiktionen im Regulierungswettbewerb Vorhersagbarkeit und Stabilität von Regeln als Bestandteil ihres Regulierungsangebots mitanbieten wollen. Die 1urisdiktionen stehen dabei jedoch vor dem Problem, daß sie ihr Verhalten bezüglich des zukünftigen Angebots von Gesellschaftsrecht glaubwürdig signalisieren müssen. Eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, besteht im Aufbau von Reputation. Während sich die 1urisdiktionen angebotsseitig um den Aufbau von Reputation als Teil ihres gesellschaftsrechtlichen Angebots bemühen müssen, besteht von der Nachfrageseite aus ebenfalls ein Glaubwürdigkeitsproblem. 63 So lohnt es sich für Delaware nur, in sein Gesellschaftsrecht zu investieren, wenn es damit rechnen kann, daß die Unternehmen als Rechtsnachfrager wenigstens so lange inkorporiert bleiben, bis die gesellschaftsrechtlichen Investitionskosten über die Besteuerung amortisiert sind. Die glaubwürdige Dauer der Inkorporation ist durch die versunkenen Kosten auf Seiten des Unternehmens bei der Inkorporation gegeben. Man könnte daher den Schluß ziehen, daß ausgehend von den versunkenen Inkorporationskosten der Unternehmen sich die - ebenfalls versunkenen - Investitionen Delawares in das Gesellschaftsrecht bemessen. Ein solches Gleichgewicht zwischen versunkenen Kosten auf Seiten der Rechtsnachfrager einerseits und den Rechtsanbietern andererseits ist aber sicherlich nur ein Teil der Geschichte. Denn beide Seiten können versuchen, durch eine Erhöhung ihrer versunkenen Kosten die jeweils andere Seite zu beeinflussen. Die Unternehmen auf der Nachfrageseite können versuchen, ihre versunkenen Kosten am Ort der Inkorporation zu erhöhen und damit signalisieren, daß sich für den Rechtsanbieter eine weitere Vertiefung des gesellschaftsrechtlichen Kapitalstocks lohnt. Umgekehrt kann ein Rechtsanbieter in Vorlage treten und sein gesellschaftsrechtliches Kapital vertiefen, um damit Rechtsnachfragern glaubwürdig die hohe Qualität des angebotenen Rechts zu signalisieren. Beide Vorgehensweisen sollen noch etwas genauer untersucht werden.

a) Die Selbstbindung durch die Rechtsnachfrager Daß von der glaubwürdigen Selbstbindung der Rechtsnachfrager ein positiver Effekt auf die Verbesserung des Gesellschaftsrechts durch die 1urisdik62 Bumet v. Coronado Oil & Gas Co., 285 D.S. 393, 406, Brandeis dissenting. "Stare decisis" bedeutet in der richterlichen Spruchpraxis "keep to what has been decided previously" (Kornhauser, Stare Decisis, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 3, 1998, London, S. 509). 63 Romano, The Genius ... , S. 43 ff.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

147

tionen ausgehen kann, scheint plausibel. An dieser Stelle ist deshalb weniger interessant, weitere Begründungen für die potentielle Nützlichkeit einer gewissen Selbstbindung der Rechtsnachfrager zu geben, sondern am Beispiel Delawares den Mechanismus aufzuzeigen, über den die glaubwürdige Selbstbindung der Rechtsnachfrager gelingt. Für das Verständnis des Selbstbindungsmechanismusses der Nachfrageseite ist es wichtig, sich die gesellschaftsrechtlichen Rechtsnachfrager genauer anzuschauen. Zweifellos sind die Unternehmen diejenigen, die das Gesellschaftsrecht als Produkt letztlich nutzen und die Selektion zwischen den Gesellschaftsrechten treffen. Dabei versenken Unternehmen glaubwürdig Kosten in die rechtliche Organisation des Unternehmens, wobei zugegebenermaßen strittig ist, welches Gewicht diesen Kosten bei Reinkorporationsentscheidungen letztlich zukommt. 64 Unternehmen sind jedoch nicht die einzigen gesellschaftsrechtlichen Rechtsnachfrager. Genauso bedeutend wie die Unternehmen als Rechtsnachfrager dürften vermutlich die Anwälte sein. Für die Amortisation von Investitionen in das Gesellschaftsrecht ist es für Delaware nämlich nicht wichtig, daß jedes einzelne Unternehmen sich an Delaware für eine bestimmte Zeit bindet, sondern daß insgesamt so viele Unternehmen inkorporiert sind, daß sich die Investitionen des Staates in das Gesellschaftsrecht rentieren. Es läßt sich daher folgern, daß die Zahl der Inkorporationen in einer Jurisdiktion sicherlich in erster Linie von der Qualität des angebotenen Gesellschaftsrechts abhängt. Eine wichtige intermediäre Rolle bei der Vermittlung des Gesellschaftsrechts an Unternehmen spielen aber auch Anwälte und Law Firms. Sie fragen das Gesellschaftsrecht Delawares ebenfalls nach, um es an ihre Klienten weiterzuvermitteln. Wie kann dieses Verhalten der Anwälte erklärt werden? Anwälte und Law Firms tätigen erhebliche irreversible Humankapitalinvestitionen in das Verständnis und den Umgang mit dem Gesellschaftsrecht Delawares, um anschließend über die Beratung von Unternehmen Einkommen zu erzielen. Dazu gehört unter anderem, daß das Gesellschaftsrecht Delawares von ihnen entsprechend beworben wird und bereits inkorporierten Unternehmen von einer Reinkorporation in ein anderes Gesellschaftsrecht abgeraten wird. 65 Man kann daher die Schlußfolgerung treffen, daß das versunkene Humankapital auf Seiten der rechtsberatenden Berufe wohl eine glaubwürdige Geisel ist, auf deren Existenz hin der Staat Delaware bereit ist, in die Ausgestaltung seines Gesellschaftsrechts zu investieren. 66 Auf diese Rolle der Anwälte macht Romano aufmerksam,67 wenn sie in

64 65 66

67 10*

Black, Shareholder Passivity ... Romano, The Genius ... , S. 44. Romano, The State Competition ... , S. 723. Romano, The Genius ... , S. 43.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

ihrer Analyse der Reputationsmechanismen schreibt: "Some [analogous] factors involving human capital also tie firms to Delaware, creating a reciprocal hostagelike asset on the corporations' side." Überlegt man abschließend, in welchen Situationen die Selbstbindung der Rechtsnachfrager entscheidende Bedeutung erlangt, kann man vermuten, daß die Bedeutung wohl am höchsten sein dürfte, wenn der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb in Gang gesetzt beziehungsweise verschärft wird. Ein solcher Fall ist beispielsweise gegeben, wenn im Kollisionsrecht von der Sitztheorie zur Gründungstheorie übergegangen wird. Dann stehen nämlich die Jurisdiktionen vor der Frage, in welcher Höhe sie Investitionen in ihr Gesellschaftsrecht vornehmen wollen, um ein attraktives Angebot für Inkorporationen abgeben zu können. Signalisieren in dieser Phase die Anwälte glaubwürdig einer Jurisdiktion, daß sie das angebotene Gesellschaftsrecht (für Unternehmen) nachfragen werden, wird die Jurisdiktion tendentiell größere Investitionen in die Rechtsentwicklung des Gesellschaftsrechts vornehmen und dadurch für Unternehmen als Ort der Inkorporation attraktiver. Dieses Verhalten der Anwälte ist plausibel, denn je größer der zukünftige Marktanteil des Gesellschaftsrechts ist, zu dem sie Beratungsleistungen erbringen können, desto größer ist auch ihr prospektives Einkommen. 68 Neben den intermediären Anwälten können Unternehmen über den Reputationsmechanismus ebenfalls Jurisdiktionen direkt dazu bringen, ihre Investitionen in das Gesellschaftsrecht zu erhöhen. Die Glaubwürdigkeit von Inkorporationen kann gesichert sein, wenn Unternehmen beispielsweise unter einem Regime der Sitztheorie ein relativ hohes Maß an Mitbestimmung aufweisen beziehungsweise sich die Unternehmensordnung einer Jurisdiktion zu einer stärkeren Berücksichtigung des Faktors Arbeit hin entwickelt hat. Wird nun zu einem Regime der Gründungstheorie mit der Möglichkeit zu Reinkorporationen gewechselt, mag es sein, daß Unternehmen einen Wechsel in ein Gesellschaftsrecht mit geringerer Mitbestimmung scheuen, weil sie erhebliche Proteste der Mitarbeiter fürchten müssen. Gleichzeitig wird sich kaum eine Jurisdiktion finden, die bisher nur wenig Mitbestimmungsrechte in ihrem Gesellschaftsrecht aufwies, diese zu erhöhen, um die Unternehmen aus Ländern mit hohen Mitbestimmungsstandards zur Reinkorporation zu veranlassen, da sie sonst mit Protesten und Reinkorporationen der heimischen Gesellschaften rechnen müßte. In einer solchen Situation kann die Jurisdiktion mit hohen Mitbestimmungsstandards weitere Investitionen in ihr Gesellschaftsrecht vornehmen, weil sie kaum damit rechnen muß, daß sich bei einem Übergang zur Gründungstheorie viele Unternehmen exkorporieren werden. 69 Es mag also durchaus Bedingungskon68

Kobayashi/Ribstein. Evolution ... , S. 470.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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stellationen geben, in denen glaubwürdig von den Rechtsnachfragern signalisiert wird, daß sie über einen längeren Zeitraum in einem Gesellschaftsrecht inkorporiert bleiben. b) Die Selbstbindung durch die Rechtsanbieter Die Selbstbindung der Rechtsanbieter bezieht sich darauf, daß der Wert einer gesellschaftsrechtlichen Regulierung neben ihrer materiellen Ausgestaltung auch durch ihre Stabilität und Vorhersagbarkeit bestimmt wird. 7o Vorhersagbarkeit bedeutet dabei allerdings nicht, daß die gesamte Rechtsentwicklung im einzelnen vorhersehbar sein müßte, sondern vor allem, daß die Rechtsnachfrager darauf vertrauen können, daß sie in gesellschaftsrechtlichen Streitfällen ein rasches, faires und kompetentes Urteil erwarten können. Dieses Ziel erreicht Delaware über eine Art der richterlichen Interpretation, die man als "standard-based" bezeichnet. Das heißt, die Fairness einer Regulierung wird in einem Streitfall ex post durch eine Interpretation rechtlicher Standards geklärt. 7 ! Die Gerichtsinstanz, die dies in Delaware im wesentlichen übernimmt, ist der Court of Chancery, der insbesondere unter Aspekten der Fairness urteilt und sich entsprechend seiner Tradition weniger streng an die enge Auslegung von Präzedenzfällen gebunden fühlt, wie es ansonsten im Common Law der Fall ist. 72 69 Dieses Beispiel verweist bereits darauf, daß es von einer Argumentation, die versenkte Kosten als Erklärungselement beinhaltet, nicht mehr weit ist zu einer Argumentation, die Pfadabhängigkeiten zu ihrem Erklärungsmuster der Rechtsentwicklung erhebt. Siehe hierzu genauer Abschnitt E. IV. 70 Romano, Law as a Product ... 71 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1914; Kahan/Kamar, Price Discrimination ... , S. 24). Die jeweiligen Vor- und Nachteile eines ex post-orientierten "standard-based" Ansatzes und seines Gegenstückes, dem ex ante-orientierten "rule-based" Ansatzes, werden beispielsweise von Posner erläutert (Posner, Economic Analysis ... , S. 590 ff.). Welchem der beiden Ansätze der Vorzug gegeben werden sollte, läßt sich kaum sagen. Im Falle Delawares ist jedoch klar, daß der "standard-based" Ansatz sich besonders gut dazu eignet, die Imitation von Recht zu verhindern und eine "raising rivals' cost"-Strategie durchzusetzen (siehe auch Fisch, The Peculiar Role ... ). 72 Der erste Satz des Artikel VI, Abschnitt 14 der zweiten Verfassung von Delaware von 1792 lautet: "The equity jurisdiction heretofore exercised by the Judges of the Court of Common Pleas, shall be separated from the common law jurisdiction, and vested in a Chancellor, who shall hold Courts of Chancery in the several counties of this State." Chancery Courts sind Gerichte, die in besonderem Maße die Herstellung individueller Gerechtigkeit (equity) im Auge haben, während Common Law Courts durch ihre starke Bezugnahme auf Präzedenzfälle eher allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen folgen (Duggan, Equity, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 2, 1998, London, S. 70). In unserem Zusammenhang ist vor allem bedeutsam, daß Chancery Courts in der Lage sind, durch die

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Seine Reputation, ein verläßliches und stabiles Gesellschaftsrecht anzubieten, bezieht Delaware aus drei Quellen. Diese Quellen können sowohl im Bereich des Gerichtswesens als auch im Bereich der Legislative verortet werden. Die erste Quelle liegt in den versunkenen Kosten des Gerichtswesens. Es gibt in Delaware nicht nur außergewöhnlich viele gesellschaftsrechtliche Präzedenzfälle, sondern auch ein hochspezifisches Humankapital der Richter und eine Administration, die sowohl die Richter unterstützt als auch die Rechtsanwälte permanent über die neueste Rechtsprechung informiert. 73 Der zweite Faktor, durch den Delaware Reputation aufbaut, ist die Bedeutung der "franchise tax" im Staatsbudget. Delaware ist dadurch der Gefangene seiner eigenen erfolgreichen Inkorporationsstrategie geworden. Das heißt, aus der fiskalischen Bedeutung der "franchise tax" heraus ist es glaubwürdig, daß sich Delaware auch in Zukunft um eine effiziente Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts bemühen wird. 74 Die dritte Quelle, aus der Delaware seine Reputation bezieht, ist schließlich das legislative Verfahren, in dem Delaware sein Gesellschaftsrecht neben der richterlichen Rechtsfortbildung fortentwickelt und über die Höhe und Gestaltung der "franchise tax" entscheidet. Gemäß der Verfassung von Delaware können Änderungen des Gesellschaftsrechts nur mit Zweidrittelmehrheit in bei den Kammern beschlossen werden. Das erschwert die kurzfristige Änderung der gesellschaftsrechtlichen Politik durch die Legislative erheblich und signalisiert Unternehmen, daß in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit eine kontinuierliche Rechtspolitik zu erwarten ist. 75 Damit schließt Delaware gleichzeitig eine Situation weitgehend aus, wie sie unter Woodrow Wilson 1913 in New Jersey entstanden war, als innerhalb kürzester Zeit durch gesellschaftsrechtliche Reformen das Gesellschaftsrecht seine Unternehmensfreundlichkeit verlor und sich Unternehmen in das benachbarte Delaware reinkorporierten. 76 Daß eine solche Gefahr auch heute für Delaware nicht Schaffung von Rechtsinnovationen inadäquate Urteile der Common Law Courts zu überstimmen (Duggan, Equity ... , S. 71). Auch wenn es heute keine ganz scharfe Trennung zwischen Chancery Courts und Common Law Courts mehr gibt, wirkt die unterschiedliche Rechtsphilosophie der Courts noch nach. "The Delaware chancery courts, which are the trial level courts on corporate issues, are courts of equity. Delaware adheres closely to traditional English principles of equity and is one of only three states to retain the equity/law distinction. The nature of equity jurisprudence contributes to the flexibility in Delaware corporate law and, because chancery courts sit without a jury, they are able to resolve corporate issues rapidly" (Fisch, The Peculiar Role ... , S. 26 ff.). 73 Romano, Corporate Law and Corporate Governance ... , S. 403. 74 Romano, Law as a Product ... ; dieselbe, The Genius ... ; ,,[Delaware] is a hostage to its own success, ... " (Romano, Corporate Law and Corporate Governance ... , S.403). 75 Romano, The Genius ... , S. 41 ff.; dieselbe, Corporate Law and Corporate Governance ... , S. 405.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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ganz auszuschließen ist, wird deutlich, wenn man daran erinnert, daß ein Großteil der US-Bundesstaaten die gesellschaftsrechtliche Entwicklung in Delaware mehr oder weniger rasch nachvollzieht, so daß Delaware permanent seine Führungsrolle durch rechtliche Innovationen verteidigen muß. Abschließend sei noch auf eine Variante des hier präsentierten Ansatzes durch Easterbrook aufmerksam gemacht. Danach bestimme sich für Unternehmen der Wert des Gesellschaftsrechts Delawares nicht so sehr aus seiner glaubwürdigen Vorhersagbarkeit in dem hier beschriebenen Sinne, sondern aus der Tatsache, daß Delaware glaubwürdig machen könne, daß es Unterschiede zwischen Unternehmen und die damit verbundenen Unterschiede bei der Gestaltung der rechtlichen Organisation anerkenne und durchsetze. 77 Das bedeutet, daß Delaware eine Reputation dafür hätte, daß es auf die speziellen gesellschaftsrechtlichen Bedürfnisse der Unternehmen durch Gewährung großzügiger "default rules" eingehe. Mit anderen Worten, Delaware hätte eine Reputation für seine umfangreiche Deregulierung des Gesellschaftsrechts, wobei offenbar implizit unterstellt wird, daß die Deregulierung zu einer Effizienzverbesserung des Gesellschaftsrechts führt. 78 Insgesamt kann man sagen, daß Delaware eine hohe Spezifität seines "legal capitals" in Hinblick auf das Gesellschaftsrecht hat, was als ein glaubwürdiges Signal von den Unternehmen interpretiert wird, daß Delaware sein Gesellschaftsrecht in der bisher gewohnten Weise fortentwickeln wird. 79 Diese hohe Spezifität erlaubt Delaware im Zusammenspiel mit der ihrerseits langfristigen Bindung der Unternehmen und Anwälte an Delaware, eine erhebliche Quasirente zu erwirtschaften. 8o Romano, The Genius ... , S. 42. Veasey, An Economic Rationale ... , S. 695. 78 Durch diese Interpretation des Reputationsmechanismus durch Easterbrook (Veasey, An Economic Rationale ... , S. 695) bekommt das Reputationsargument eine normative Wendung. Während Bebchuk zur Einschätzung des Ansatzes von Romano schreibt ,,[E]ven if the predictability and stability characterizing Delaware's corporate law are attractive features, this does not tell us whether state competition is desirable." (Bebchuk, Federalism ... , S. 1447), wird bei Easterbrook der Reputationsmechanismus mit einer "race to the top" Argumentation verknüpft. Denn Reputation wird für die angeblich effizienzsteigemde Deregulierung des GeseIlschaftsrechts gewonnen. Die Problematik einer solchen Sichtweise wird allerdings von Black hervorgehoben: "If states compete by offering efficient legal rules, that does not mean that they should offer only enabling rules" (Black, Shareholder Passivity ... , S. 550). 79 Romano, The Genius ... , S. 40. 80 Daß die Quasirente erheblich sein muß, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß 1996 Delaware knapp 10 Millionen Dollar direkt für den Chancery Court aufwendete, während es im gleichen Jahr Einnahmen aus der "franchise tax" in Höhe von 340 Millionen Dollar realisierte (Kahan/Kamar, Price Discrimination ... , S. 5). Selbst wenn man die im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsrecht entstehenden 76 77

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

3. Die Rolle von Wissen und Lernen in der Gesellschaftsrechtsentwicklung In den letzten Abschnitten war bereits immer wieder die Rede davon, daß der Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten zu einem wissenschaffenden und wissenverwertenden Prozeß führt, der eine Verbesserung der Institution des Gesellschaftsrechts zur Folge hat. Ebenso wurde bereits angesprochen, daß das Wissen, das in ein Gesellschaftsrecht inkorporiert ist, und das Wissen, das die Rechtsanbieter und -nachfrager im Umgang mit einem Gesellschaftsrecht gesammelt haben, die Wettbewerbsfähigkeit eines Gesellschaftsrechts entscheidend beeinflußt. Die besondere Bedeutung des Wissens in der institutionellen Evolution rührt daher, daß das für optimale Entscheidungen bezüglich der Auswahl und Gestaltung von Institutionen notwendige Wissen in aller Regel nicht vorliegt. Dieses Wissensproblem kann man als umfassend oder mehrdimensional bezeichnen, da es sich aus unterschiedlichen Quellen speist. Dazu gehören Probleme, die im Bereich der menschlichen Kognition liegen, beispielsweise in Form beschränkter Rationalität, die Dezentralität von Wissen, wie sie von Hayek beschrieben wird, und das Theorieauswahlproblem, das besagt, daß es zur Lösung von Problemen meist unterschiedliche Hypothesen gibt, bei denen ex ante häufig unklar ist, welche diejenige mit dem höchsten Zielerreichungsgrad ist. Hier kann und soll nicht eine Synopse aller möglichen Wissensprobleme gegeben werden oder eine Generalkritik an den neoklassischen Informationsannahmen formuliert werden oder sogar versucht werden, eine allgemeine Theorie menschlicher Entscheidungen zu präsentieren. BI Es soll jedoch im Zusammenhang mit der Institution des Gesellschaftsrechts auf einige Probleme und deren Lösung aufmerksam gemacht werden, die aus dem mangelnden Wissen der mit der Adoption und Gestaltung von Gesellschaftsrecht beschäftigten Akteure stammen. Dabei kann insbesondere auf die Erkenntnisse der sogenannten Österreichischen Schule zurückgegriffen werden. Geht man vom begrenzten Wissen der Akteure aus, dann spielen offenbar die Lernprozesse eine wichtige Rolle, die das für Entscheidungen im Kosten höher ansetzt, indem man weitere kostenverursachende Tatbestände einbezieht, ist die Quasirente aus dem Angebot von Gesellschaftsrecht immer noch erheblich. 81 Siehe hierzu Langlois, Rule-following, Expertise, and Rationality: a New Behavioral Economics, in: Dennis (Hrsg.), Rationality in Economics: Alternative Perspectives, 1998, Dordrecht, S. 57 ff.; Vanberg, Rules and Choice ... ; mit besonderem Bezug zur ökonomischen Analyse des Rechts siehe Rizzo, Uncertainty, Subjectivity, and the Economic Analysis of Law, in: Rizzo (Hrsg.), Time, Uncertainty, and Disequilibrium, 1979, Lexington, S. 71 ff.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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Bereich der Auswahl und Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts benötigte Wissen über die Zeit generieren. Dies kann man auch als die Frage nach der intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation bezeichnen, die sich bereits im Zusammenhang mit dem Aufbau des "legal capitals" in Delaware stellte. Davon zu unterscheiden ist die Frage, in welchem institutionellen Rahmen die Lernprozesse besonders befördert werden. Hier ist eine Hypothese, daß institutioneller Wettbewerb eine Meta-Institution ist, die die Lernprozesse besonders anreizt. 82 Die Institution des Wettbewerbs beschreibt allerdings in erster Linie einen Koordinationsmechanismus, 83 weswegen es zusätzlich nötig ist, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu analysieren, innerhalb derer der Koordinationsmechanismus Wettbewerb zur Entfaltung gelangt. Mittels der Rahmenbedingungen kann den Wettbewerbsprozessen auch die Richtung gegeben werden, die von den Nutzern des Gesellschaftsrechts gewünscht wird. Lachmann vergleicht dies mit einem Gärtner, der Pflanzen kultiviert. 84 Im folgenden wird zunächst den Fragen im Zusammenhang mit der intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation nachgegangen. Dem schließt sich dann eine Betrachtung der interjurisdiktionellen Lernprozesse an, wobei insbesondere dem Koordinationsaspekt des Wettbewerbs nachgegangen wird. a) Lemprozeß I: Intrajurisdiktionelle Wissensakkumulation Unter intrajurisdiktioneller Wissensakkumulation kann man den Teil des Lernprozesses in bezug auf das Gesellschaftsrecht verstehen, in dem einzelne Akteure und ganze Institutionen einer Jurisdiktion sequentiell ihr Wissen über die geeignete Gestaltung des Gesellschaftsrechts verbessern. Je umfassender dieses Wissen ist und je anpassungsfähiger es an Datenänderungen ist, desto größer ist der Wettbewerbsvorteil einer Jurisdiktion beim Angebot von Gesellschaftsrecht. Es ist also zu vermuten, daß die Wissensbasis (knowledge base) einer Jurisdiktion im Bereich des Gesellschaftsrechts einen erheblichen Anteil am Erfolg eines Gesellschaftsrechts hat. Daher soll die Struktur der Wissensbasis im Bereich des Gesellschaftsrechts noch etwas genauer betrachtet werden. Dabei wird sich noch deutlicher zei82 Wichtig ist, daß das Instrument "institutioneller Wettbewerb" selbst nur eine Hypothese ist, um das Wissensproblem bei der Rechtsentwicklung zu lösen. Es ist nämlich keineswegs ausgeschlossen, daß es je nach zu lösendem Problem andere Verfahren als den Wettbewerb gibt, die geeigneter sind, ein spezifische Wissensproblem zu lösen (Lachmann, Capital, Expectations, and the Market Process, 1977, Kansas City, S. 335). 83 Der Koordinationsaspekt des Wettbewerbs wird insbesondere von Menger, Mises, Hayek, Kirzner, Rothbard und Lachmann betont. 84 Lachmann, Capital ... , S. 325.

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gen, daß das Wissensproblem ein integraler Bestandteil zum Verständnis des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht ist. Die Wissensbasis einer Jurisdiktion kann in bezug auf das Gesellschaftsrecht unterteilt werden in das (1) Wissen, das in die gesellschaftsrechtlichen Regeln inkorporiert ist, das (2) Wissen, das in der Organisation des Gerichtssystems verankert ist, das (3) Wissen, das im Humankapital der Richter gebunden ist, und das (4) Wissen, das die Anwälte in ihrem Humankapital gebunden haben. Im Wettbewerbsprozeß spielen die einzelnen Bausteine der Wissens basis natürlich zusammen und generieren gemeinsam den wissensbasierten Wettbewerbsvorteil. Zur klareren Herausarbeitung von Einzelaspekten werden die relevanten Aspekte der Wisssensbasis jedoch einzeln behandelt. Das Beispiel, an dem entlang die Diskussion geführt wird, ist wiederum Delaware, da im Zusammenhang mit diesem Staat die meisten Erfahrungen für unsere Fragestellung vorliegen. aa) Die Rolle von Regeln Betrachtet man die Rolle von gesellschaftsrechtlichen Regeln unter dem Aspekt des Wissensproblems, kann in zwei Analyseschritten vorgegangen werden. Zunächst kann positiv gefragt werden, welche Bedeutung der Kodifikation von Regeln im Lernprozeß allgemein zukommt. Besteht hierüber einige Klarheit, kann weiter gefragt werden, welche Ausgestaltung der Kodifikation die größte Verarbeitung von Wissen aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts ermöglicht und damit die größten Wettbewerbsvorteile für eine Jurisdiktion generiert. Zum Verständnis der ersten Fragestellung ist es hilfreich, sich kurz in Erinnerung zu rufen, wie Hayek die Bedeutung von Regeln in einer Gesellschaft begründet. 85 Ausgangspunkt ist ein fundamentales Wissensproblem, mit dem Menschen konfrontiert sind. Bezogen auf das Gesellschaftsrecht lautet es ungefähr, daß Vertragspartner weder in der Lage sind, vollkommene Verträge noch unvollkommene Verträge optimal abzuschließen, da ihnen relevante objektive Daten fehlen, kognitive Begrenzungen bei der Datenverarbeitung bestehen oder weil unterschiedliche Problemwahmehmungen der Transaktionspartner existieren, die sich dazu ständig verändern können. Eine Optimierung von Verträgen wie sie beispielsweise in Teilen der neoklassisch orientierten Vertragstheorie angestrebt wird, erscheint daher aus der Sicht Hayeks in der Realität kaum möglich zu sein. Das heißt jedoch nicht, daß das Wissen über gesellschaftsrechtliche Verträge nicht verbessert werden könnte. So wäre es für die Gründer einer Gesellschaft 85

don.

Hayek, Law, Legislation and Liberty: The Mirage of Social Justice, 1976, Lon-

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

155

sicherlich nützlich, zu wissen, was die typischen regelungsbedürftigen Tatbestände in einer Gesellschaft sind oder in welchen Bereichen mit potentiellen nachvertraglichen Konflikten zu rechnen ist. Solchermaßen "fokussiert", ist anzunehmen, daß es Gesellschafter leichter haben werden, einen Gesellschaftsvertrag zu schließen, der wechselseitige Vorteile bietet. Die Orientierungsleistung auf problematische Tatbestände in Gesellschaftsverträgen erbringen im wesentlichen rechtliche Regeln. Sie sind ein wichtiges Instrument, um das Wissensproblem lösen zu helfen. "Rules are a device for coping with our constitutional ignorance. ,,86 Man könnte auch sagen, daß in den aktuellen gesellschaftsrechtlichen Regeln die Erfahrungen vergangener Bemühungen stecken, Gesellschaften möglichst vorteilhaft für alle Beteiligten zu betreiben. Regeln sind deshalb aus Hayekianischer Sicht auch als historische Artefakte zu interpretieren, die sich nicht beliebig verändern lassen, sondern einer graduellen Entwicklung unterliegen, in der immer weiteres Wissen akkumuliert wird. Geht man nach dem Gesagten davon aus, daß den gesellschaftsrechtlichen Regeln eine Orientierungsfunktion zukommt, die das Wissensproblem der Gesellschafter reduziert, stellt sich natürlich die Frage, wann man von "guten" und wann man von "schlechten" gesellschaftsrechtlichen "Wegweisem" zu sprechen hat. Da das wissensbasierte Konzept nicht ohne weiteres mit der Wohlfahrtsökonomik in Einklang gebracht werden kann, weil das normative Ideal der Wohlfahrtsökonomik als eine Anmaßung von Wissen erscheint,87 muß anstelle von absoluten Vergleichen nach relativen Vergleichen in einer komparativen Institutionenanalyse gesucht werden. So mag eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Regelung für ein spezifisches Problem eine höhere Orientierungsleistung erbringen als eine andere Regelung und dadurch mehr erfolgreiche Gesellschaftsverträge hervorbringen. Je mehr erfolgreiche Gesellschaftsverträge geschlossen werden können, desto größer ist letztlich auch der Wohlstand einer Jurisdiktion. Regeln sind demnach effizient, wenn sie in letzter Konsequenz zu möglichst hohen Wachstumsraten führen. Damit rücken die Mechanismen in den Vordergrund, die gewährleisten, daß sich gesellschaftsrechtliche Regeln mit höherer Orientierungsleistung systematisch gegen solche niedrigerer Orientierungsleistung durchsetzen. Wettbewerb zwischen Regulierungsregimen ist ein solcher Selektionsmechanismus. Im Gesellschaftsrecht liegt aber zunächst noch eine andere Verfahrensweise nahe, die zwar institutionellen Wettbewerb nicht ausschließt, die jedoch in erster Linie auf intrajurisdiktionelle Lernprozesse setzt.

86 87

Hayek, Law ... , S. 8. Schwartzstein, An Austrian Economic View ...

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Da die Qualität der gesellschaftsrechtlichen Regeln maßgeblich auf das in sie verankerte Wissen zurückgeführt wird, und der Erfolg des Wirtschaftens zu einem großen Teil auf der Mobilisierung dezentralen Wissens beruht, müßte es vorteilhaft sein, alle gesellschaftsrechtlichen Regeln als "default rules,,88 zu konzipieren. Immer wenn Gesellschafter über spezifisches Wissen zur Regulierung ihres Gesellschaftsvertrages verfügen, könnten sie dieses Wissen anstelle desjenigen in Regeln gebundenen verwenden. Private Regulierungen würden quasi in Konkurrenz zu staatlichem Recht treten, wobei auf diese Weise auch Wissen zur Fortentwicklung der "default rules" gesammelt würde. 89 Unter dem Aspekt der Mobilisierung dezentralen Wissens sollte dieser Gestaltungsvorschlag nicht zu gering geschätzt werden, wenngleich zugegeben werden muß, daß wohl nicht alle gesellschaftsrechtlichen Regeln problemlos als "default rule" konzipiert werden können. Denn es mag Fälle geben, zum Beispiel im Bereich des Gläubigerschutzes, in denen die Gesellschafter versuchen könnten, Kosten auf Dritte abzuwälzen. In einem solchen Fall würden die Gesellschafter zwar ihr dezentrales Wissen nutzen, aber nicht auf eine gesamtgesellschaftlich nützliche Art. 90 Für solche Externalitäten-Fälle, die je nachdem wie weit oder eng externe Effekte begriffen werden, verschieden häufig sind, wird deshalb ein Grundstock an "mandatory rules" unumgänglich bleiben. Es bleibt festzuhalten, daß gesellschaftsrechtlichen Regelungen neben ihren anderen Funktionen eine Orientierungsfunktion zukommt. Gesellschaftsrecht entlastet Gesellschafter von der Bewertung und Lösung vielfältiger komplexer Vertragsprobleme, indem es die Aufmerksamkeit der Gesellschafter auf die bedeutsamsten Vertragsprobleme lenkt und gleichzeitig bewährte Lösungsmöglichkeiten anbietet. Bei einem solchen Grundverständnis der Rolle von Regeln rücken die Mechanismen in den Vordergrund, die die Innovations- und Anpassungsfähigkeit der Regelsysteme besonders betonen. bb) Die Rolle des Gerichtssystems Das Gerichtssystem einer Jurisdiktion ist diejenige Institution, die mit der Anwendung des Gesellschaftsrechts betraut ist. Unter dem Gerichtssystem Zur Konstruktion von "default rules" siehe Abschnitt C.I1.3. Dieser Gedanke findet sich in ähnlicher Fonn auch bei Ribstein, Efficiency ... , S. 267, der sich von der "privaten Alternative" eine Verstärkung des rechtlichen Experimentierungsprozesses verspricht. 90 Zu den Selektionsproblemen auf Gütennärkten beim Auftritt externer Effekte siehe Kerber, Zur Entstehung von Wissen: Grundsätzliche Bemerkungen zu Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Förderung der Wissensproduktion aus der Sicht der Theorie evolutionärer Marktprozesse, in: OberenderiStreit (Hrsg.), Marktwirtschaft und Innovation, 1991, Baden-Baden, S. 9 ff. 88

89

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kann zunächst ganz allgemein die Administration einer Jurisdiktion verstanden werden, die mit der Lösung gesellschaftsrechtlicher Prozesse befaßt ist. Neben der Administration im allgemeinen Sinne kann unter dem Gerichtssystem aber auch verstanden werden, auf welche Art und Weise in gesellschaftsrechtlichen Konfliktfällen Recht gesprochen wird. Am Beispiel Delawares heißt das, daß Recht im wesentlichen aufgrund von Präzedenzfällen gesprochen wird. Anders als in den übrigen Bundesstaaten werden die Urteile aber nicht in einem "normalen" Common Law-Court gesprochen, sondern wie bereits erwähnt ganz überwiegend im Court of Chancery. Wie das Gerichtssystem auf die Wissensakkumulation im Bereich des Gesellschaftsrechts Einfluß nimmt, kann anhand von Delaware noch weiter verdeutlicht werden. Der Aufbau der Rechtsprechung auf Präzedenzfällen hat zur Folge, daß das Gesellschaftsrecht um so attraktiver wird, je mehr Unternehmen inkorporiert sind. Von der Anzahl der Inkorporationen ist nämlich die Anzahl der geführten Gerichtsprozesse direkt abhängig, was wiederum zu einer Ausdifferenzierung der Präzedenzfälle führt und damit zu einer höheren Vorhersagbarkeit von richterlichen Entscheidungen bei zukünftigen gesellschaftsrechtlichen Konfliktfällen. Man kann daher die fundierte Hypothese aufstellen, daß in einem Gerichtssystem, das auf der Rechtsfortbildung durch Präzedenzfälle beruht, um so mehr Wissen akkumuliert wird, je mehr Präzedenzfälle existieren. In etwas schwächerer Form dürfte diese Hypothese auch für Rechtssysteme gelten, die ihre Rechtsfortbildung im wesentlichen über legislative Rechtsänderungen bewirken. 91 Denn auch hier gilt, daß mit steigender Zahl an Inkorporationen vermehrt Wünsche rechtlicher Ausdifferenzierung über Gerichtsprozesse an das Rechtssystem herangetragen werden, mit der Folge, daß das Gesellschaftsrecht auch für kompliziertere Transaktionen eine verläßliche Basis schafft. Mit dem Verweis auf Präzedenzfälle oder legislative Rechtsfortbildung ist aber nur ein Teil des Einflusses von Gerichtssystemen auf die intrajurisdiktionelle Wissensakkumulation beschrieben worden. Ein weiterer wichtiger Punkt liegt in den prozessualen Regeln der Gerichte. In Deleware ist die bedeutsamste dieser Regeln, daß gesellschaftsrechtliche Fälle vor dem Court of Chancery verhandelt werden. Wie bereits im Zusammenhang mit der Strategie des "raising a rival's cost" und der Selbstbindung durch die Rechtsanbieter angesprochen, erlaubt die Verhandlung vor dem Court of Chancery Delaware eine Strategie, die darin besteht, verläßlich faire Urteile 91 Daß ein auf Präzedenzfällen beruhendes Rechtssystem sich in seiner Innovationsfähigkeit nicht allzu sehr von einem Rechtssystem unterscheiden dürfte, das auf legislativer Rechtsfortbildung beruht, vermutet zum Beispiel Eckardt. Technischer Wandel und Rechtsevolution. Ein Beitrag zur ökonomischen Theorie der Rechtsentwicklung am Beispiel des deutschen Unfallschadensrechts im 19. Jahrhundert, 2001, Tübingen, S. 150 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

zu fällen, gleichzeitig aber die Rechtsprechung so offen zu belassen, daß andere Staaten nicht ohne weiteres von den Erfahrungen (Präzedenzfällen) Delawares lernen können. Die Verhandlungen vor dem Court of Chancery hat in bezug auf den intrajurisdiktionellen Lernprozeß als wichtigste Konsequenz, daß die Überwindung der Problematik des Angebots öffentlicher Güter überhaupt erst den Anreiz schafft, in die Entwicklung des Gesellschaftsrechts zu investieren und Wissen zu akkumulieren. Ein letzter Punkt im Zusammenhang mit dem Gerichtssystem betrifft schließlich die Anwälte. Wir sahen bereits im Zusammenhang mit dem Reputationsaufbau der Rechtsnachfrager, daß die Anwälte eine wichtige intermediäre Rolle für den erfolgreichen Verkauf von Gesellschaftsrecht an Unternehmen spielen. Einen Teil seiner Attraktivität für Anwälte bezieht Delaware daraus, daß die Administration des Gerichtssystems die Anwälte rasch und umfassend mit den neuesten Rechtsentwicklungen versorgt,92 so daß die Anwälte in ihrer Funktion als kompetente Berater gestärkt werden, wodurch mittelbar die Attraktivität des Gesellschaftsrechts Delawares für Unternehmen steigt. Hier liegt die Bedeutung des Gerichtssystems offenbar nicht in erster Linie darin, daß es die Akkumulation neuen Wissens über gesellschaftsrechtliche Probleme befördert, sondern daß das vorhandene Wissen möglichst weit verbreitet und nutzbar gemacht wird. Natürlich geht von dieser gezielten Informationsweitergabe mittelbar auch eine Stimulation auf die Generierung neuen gesellschaftsrechtlichen Wissens im Gerichtssystem aus. Je kompetenter die Anwälte sind, desto eher dürften nämlich neue Präzedenzfälle geschaffen werden, die wiederum eine Inkorporation in Delaware attraktiv werden lassen. cc) Die Rolle von Richtern Während in den beiden vorangegangenen Punkten mit der Betrachtung der Rolle von Regeln und des Gerichtssystems zwei Komponenten des intrajurisdiktionellen Lernprozesses untersucht wurden, in denen Institutionen im Vordergrund der Betrachtung standen, widmen sich dieser und der nächste Abschnitt der Frage der intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation aus einer eher akteurszentrierten Perspektive. Auch in diesen beiden Abschnitten geht es nicht darum, rein deduktiv die Rolle von Richtern oder die Rolle von Anwälten bei der Akkumulation von Wissen über gesellschaftsrechtliche Regulierungen zu postulieren, sondern vor dem Hintergrund des realen Beispiels von Delaware auf einige wichtige Punkte aufmerksam zu machen, die im Regulierungswettbewerb eine Bedeutung haben können.

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Romano, Corporate Law and Corporate Governance ...

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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Die Richter sind Akteure mit erheblichem Einfluß auf die Rechtsfortbildung im Gesellschaftsrecht. Diese Aussage gilt im Prinzip für alle Rechtssysteme. Der Unterschied in der Bedeutung des Richters ist in den unterschiedlichen Rechtssystemen daher letztlich ein gradueller. Natürlich spielt die legislative Rechtsetzung im Gesellschaftsrecht ebenfalls in allen Rechtssysternen eine bedeutende Rolle. Man kann daher auch sagen, daß diese bei den Arten der Rechtsfortbildung in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen. 93 Hier soll jedoch zunächst die Perspektive verengt werden auf die Untersuchung der Rolle, die die Richter im gesellschaftsrechtlichen Angebot von Delaware spielen. Ein erster wichtiger Punkt ist die plausible Hypothese, daß die gesellschaftsrechtlichen Regulierungen um so attraktiver sein werden, desto bessere Richter mit der Rechtsprechung betraut sind. In dieser Hinsicht hat sich Delaware über die Jahre einen Standortvorteil erarbeitet. Dieser Standortvorteil hat verschiedene Ursachen. Die erste und durchaus nächstliegende wird in der Literatur als "soziologisch" bezeichnet,94 obwohl es sicherlich auch möglich wäre, sie zu ökonomisieren. 95 Sie besteht einfach darin, daß Delaware für Richter attraktiv ist. Es ist für Richter nämlich eine Auszeichnung, wenn sie als so kompetent angesehen werden, daß sie in Delaware ein Richteramt übernehmen können. Deswegen bewerben sich in Delaware überdurchschnittlich kompetente Richter um ein Amt. 96 Neben dem hohen Ansehen, das mit der Bekleidung eines Richteramtes in Delaware verbunden ist, spielt freilich auch die überdurchschnittlich gute Bezahlung von Richtern in Delaware eine Rolle. 97 Der Wettbewerb um die Richterämter in Delaware macht auf einen wichtigen Aspekt bei der Analyse des interjurisdiktionellen Wettbewerbs aufmerksam, der unseres Erachtens bislang weitgehend übersehen worden ist. Es muß nämlich auch an die personalpolitischen Handlungsmöglichkeiten von Jurisdiktionen gedacht werden. Im Falle Delawares ist es zum Beispiel möglich, daß Richter aus den gesamten Vereinigten Staaten als Kandidaten Siehe zu dieser Frage beispielsweise Eckardt, Technischer Wandel ... , S. 182. William T. Allen, The Pride and the Hope of Delaware Corporate Law, in: Delaware Journal of Corporate Law, Vol. 25, 2000, S. 72. 95 Eine radikale Ökonomisierung des richterlichen Verhaltens findet sich beispielsweise bei Posner, What Do Judges and Justices Maximize? (The Same Thing Everybody Else Does), in: Supreme Court Economic Review, Vol. 3, 1993, S. 1 ff. 96 William T. Allen, The Pride ... , S. 73. 97 Daß Delaware bemüht ist, seine Richter im Wettbewerb mit anderen Staaten überdurchschnittlich zu entlohnen, macht folgendes Zitat aus einer Verbandsschrift der Delaware State Bar Association deutlich: "The question is not how much New Jersey pays its judges, the question is how do we ensure that we have the highest quality judiciary?" (Jenkins, Perspective, in: In Re: (Delaware State Bar Association), Vol. 21, 1998, keine Seitenangabe). 93

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

für ein Richteramt in Frage kommen. Man könnte auch sagen, daß in der Metaordnung des Gesellschaftsrechts der Vereinigten Staaten das Recht zur freien Arbeitsplatzwahl für Richter festgeschrieben ist. Verallgemeinert heißt das, daß in einer Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften auch über die Freizügigkeit professioneller Regulierer nachzudenken ist. 98 Mit der Feststellung, daß Delaware für die Berufsausübung von Richtern attraktiv ist und der Folgerung daraus, daß die Kompetenz der Richter zur Attraktivität Delawares für Inkorporationen beiträgt, ist allerdings noch nichts darüber gesagt, wie nachhaltig dieser Wettbewerbsvorteil Delawares ist. Die Beantwortung dieser Frage ist eng mit den intrajurisdiktionellen Lernprozessen im Bereich der Richterschaft verbunden. Die Nachhaltigkeit des durch die hohe Kompetenz der Richter erzeugten Wettbewerbsvorteils beruht darauf, daß die Richter in Delaware im Vergleich zu Richtern in anderen Staaten viele gesellschaftsrechtliche Fälle verhandeln. Im Court of Chancery stammen 70 % aller verhandelten Fälle aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts. Die Richter sammeln dadurch überdurchschnittlich viel Erfahrung im Umgang mit Gesellschaftsrecht, die sie auch untereinander weitergeben und als Gruppe besitzen, so daß es andere Staaten schwer haben, die gleiche Expertise zu erlangen. 99 Durch die hauptsächliche Verhandlung von gesellschaftsrechtlichen Fällen sammeln die Richter aber nicht nur viel Erfahrung, sondern sind auch permament mit den neuesten Rechtsentwicklungen vertraut. Würde es einem Staat gelingen, die Richter aus Delaware abzuwerben, was in der Metaordnung der Vereinigten Staaten als wettbewerbliche Handlungsweise durchaus zulässig ist, wäre deshalb für diesen Staat noch nicht viel gewonnen. Denn das richterliche Humankapital würde durch zu wenig "Leaming by Doing" rasch veralten, wenn nicht gleichzeitig mit der Anwerbung der Richter auch eine erhebliche Anzahl von Reinkorporationen stattfinden würde, die ein entsprechendes Aufkommen an gesellschaftsrechtlichen Prozessen garantiert. Die Gleichzeitigkeit der Anwerbung der Richter und einer hohen Anzahl an Reinkorporationen ist jedoch unwahrscheinlich. Das liegt daran, daß das Gerichtssystem und die Richterschaft in Delaware eine besondere Reputation aufgebaut haben. Diese kann nicht einfach auf einen anderen Staat 98 Konkret hieße das beispielsweise, daß deutsche Behörden französische Beamte mit besonderen Regulierungskenntnissen abwerben könnten, um den deutschen Standort attraktiver zu machen. Noch weiter getrieben führt dieser Gedanke zu der Überlegung, ob es nicht möglich sein sollte, ganze Regierungen aus dem Ausland abzuwerben, um einen Standort zu entwickeln. Erste Überlegungen in dieser Hinsicht finden sich bei Eichenberger, Dereguliert, liberalisiert und globalisiert die Politik! Ein politisch-ökonomischer Reformvorschlag, in: Studia Philosophica, Vol. 58, 1999, S. 99 ff. 99 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1925.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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übertragen werden, da sie erst über die Zeit von einer Jurisdiktion durch ihre tatsächlichen Handlungen aufgebaut werden kann. Das bewirkt, daß Reinkorporationen in den Delaware herausfordernden Staat aufgrund der mangelnden Reputation wohl nur langsam in Gang kämen, mit den entsprechend negativen Folgen für die Aufrechterhaltung der Qualität des richterlichen Humankapitals. 1oo Man kann deshalb den Schluß ziehen, daß der richterliche Lernprozeß nicht nur für die Attraktivität gesellschaftsrechtlicher Regulierungen einer Jurisdiktion von Bedeutung ist, sondern daß in diesem Lernprozeß gleichzeitig Schutzmechanismen gegen eine zu rasche Imitation angelegt sind, so daß ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil entsteht. Daß es sich bei den gemachten Ausführungen nicht nur um theoretische Reflexionen über die Bedeutung richterlicher Kompetenz im Regulierungswettbewerb handelt, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß gesellschaftsrechtliche Steitfälle, in denen Delaware Recht zur Anwendung kommt, nicht unbedingt vor Gerichten in Delaware verhandelt werden müssen. Gerichte in anderen Staaten können ebenfalls nach Delaware Recht urteilen und als Forum gewählt werden. Es wird aber ganz überwiegend der Court of Chancery von Delaware als Gericht von den Parteien gewählt. 101 Eine Erklärung hierfür ist, daß die Parteien anscheinend das Fachwissen der Richter zur ex post Vertragsergänzung in Delaware besonders schätzen. 102 Damit taucht in der Analyse des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs nochmals der Gesichtspunkt auf, daß die Attraktivität gesellschaftsrechtlicher Regulierungen nicht nur aus ihrem materiellen Gehalt, sondern auch ganz wesentlich aus der Administration der Regulierungen resultiert, die zu dem materiellen Regelungsgehalt mit angeboten wird. "In other words, venue, and not choice-of-Iaw, could be the more determinative factor in litigation outcomes".103 Als letzter Aspekt bei der Betrachtung der Rolle, die Richter bei der intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation spielen, soll das Verhältnis zwischen richterlicher und legislativer Rechtsfortbildung kurz angesprochen werden. Wenn hier von einem richterlichen Lernprozeß gesprochen wird, dann impliziert dies, daß Richter bei ihren Entscheidungen auch irren können und effizienzverringernde Präzedenfälle schaffen. Die Möglichkeit zu irren wird vor allem von den (wenigen) österreichisch orientierten Forschern im Bereich der ökonomischen Analyse des Rechts hervorgehoben. 104 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1926. Romano, The Genius ... , S. 41. 102 Kamar, A Regulatory Competition Theory ... , S. 1926 ff. Dies schließt nicht aus, daß es für dieses Verhalten nicht noch weitere Erklärungsmöglichkeiten gibt. In Abschnitt III. wird die Diskussion um Argumente der Public Choice erweitert, die ebenfalls eine mögliche Erklärung liefern. 103 Romano, The Genius ... , S. 41. 100 101

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Ein anderer Grund für ineffiziente Rechtsprechung ist eigeninteressiertes Verhalten der Richter. 105 In bei den Fällen ist es für eine Jurisdiktion entscheidend, wenn sie über einen Korrekturmechanismus verfügt, der einen offensichtlich falsch eingeschlagenen Pfad richterlicher Interpretation korrigiert. Delaware gelang diese Korrektur bislang mittels seiner legislativen Gesetzgebung. Das berühmteste Beispiel ist in dieser Hinsicht der Präzedenzfall Smith v. Van Gorkom von 1985, in dem entschieden wurde, daß ein Management seine Treuepflicht verletzt habe, weil es ein Übernahmeangebot nicht hinreichend überprüft hätte. Im Ergebnis bedeutete der Fall eine erhebliche Verschärfung der persönlichen Haftung von Managern. Da eine solche Verschärfung der Treuepflichten eine große Minderung der Attraktivität von Delaware als Inkorporationsort bedeutete,I06 wurde die Legislative schon bald aktiv und ermöglichte den weitgehenden Haftungsausschluß des Managements durch Gesellschafterbeschluß. 107 Es läßt sich festhalten, daß die richterliche Kompetenz und deren intrajurisdiktionelle Verbesserung durch einen fortgesetzten Lernprozeß von erheblicher Bedeutung zum Verständnis der Triebkräfte des interjurisdiktionellen Wettbewerbs ist. Wichtig ist auch, daß am Beispiel der Richter besonders deutlich wird, welche große Bedeutung das Humankapital der mit der Regulierung beschäftigten Personen im Regulierungswettbewerb spielt. Es scheint deshalb lohnenswert, auch über die geeigneten Metaregeln für den Wettbewerb der Jurisdiktionen um diese personellen Ressourcen nachzudenken. dd) Die Rolle von Anwälten Neben den Richtern sind die Anwälte die weitere wichtige Gruppe an Akteuren, die den intrajurisdiktionellen Lernprozeß vorantreibt. Ihre Rolle besteht im wesentlichen darin, einen Änderungsbedarf im Gesellschaftsrecht Schwartzstein, An Austrian Economic View ... , S. 1060. Siehe hierzu ausführlich Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... ; sowie Coffee, The Future of Corporate Federalism: State Competition and the New 104 105

Trend Toward De Facto Federal Minimum Standards, in: Cardozo Law Review, Vol. 8, 1987, S. 759 ff. 106 Aufgrund der Verschärfung der Haftung des Managements stiegen die Versicherungsprämien für Manager (Berufshaftpflicht) enorm an und manche Manager erhielten gar keinen Versicherungsschutz mehr (Camey, Explaining the Shape ... , S.620). 107 Black, Shareholder Passivity ... , S. 559; Smith v. Van Gorkom hat eine schier

unübersehbare Anzahl von Interpretationen erfahren. Diese sind für unsere Aussage hier jedoch nicht von Relevanz. Von Bedeutung ist, daß Delaware durch die rasche Korrektur des Präzedenzfalles seine Reputation als in Fragen des Gesellschaftsrechts verläßlicher Transaktionspartner unter Beweis stellte.

11. Markttheoretische Erklärungsansätze

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zu reklamieren. Denn Präzedenzfälle und in Gesetzen festgehaltene Regeln gelten in der Regel zeitlos. Die Umwelt, in der Unternehmen agieren, ist jedoch ständigen Änderungen unterworfen, so daß Regulierungen mit der Zeit dysfunktional werden können oder ihre konservative Interpretation zumindest Unsicherheit erzeugt. Richter werden in einem solchen Fall nicht selbständig aktiv, sondern es sind die Anwälte, die nach neuen Interpretationen suchen und auf Regulierungslücken aufmerksam machen und auf diese Weise die Qualität der Regulierungen verbessern helfen. 108 Auch hierbei gilt, daß je kompetenter die Anwälte sind, sie diese Aufgabe um so besser erfüllen können. Ebenso gilt, daß je mehr solcher kompetenter Anwälte in einer Jurisdiktion vorhanden sind, die Jurisdiktion um so attraktiver für Inkorporationen wird. Delaware verfügt wegen der vielen geführten gesellschaftsrechtlichen Prozesse und der damit verbundenen guten Verdienstmöglichkeiten für Anwälte über eine hohe Attraktivität für Anwälte. 109 Die Folge ist, daß die Erzeugung neuer und die Anpassung alter gesellschaftsrechtlicher Regulierungen in Delaware besonders hoch ist. Die Rolle, die Anwälte bei der intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation spielen, kann aus österreichischer Sicht aber noch etwas genauer gefaßt werden, wodurch noch deutlicher wird, worin der Wettbewerbs vorteil für eine Jurisdiktion besteht, die kompetente Anwälte anzuziehen in der Lage ist. Aus österreichischer Sicht sind Anwälte Unternehmer im Kirznerschen Sinne. 110 Sie sehen für ihre Klienten bisher ungenutzte rechtliche Möglichkeiten, deren Ausbeutung zu Arbitragegewinnen führt. 111 Der Erfolg der Anwälte, und damit verbunden die Qualität der rechtlichen Regeln einer Jurisdiktion, hängt hier also unmittelbar vom Wissen beziehungsweise der Findigkeit der Anwälte ab. Diese Argumentation scheint für den unvoreingenommen Betrachter plausibel und schließt sich problemlos an die kontextuellen Beschreibungen an, die bislang zur intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation gegeben wurden. Tatsächlich ist eine solche Argumentation aber eher ungewöhnlich und steht im Kontrast zur "neoklassischen" Theorie der Rechtsentwicklung. Danach kommt es nicht auf die Kompetenz von Anwälten in der Rechtsentwicklung an, sondern allein darauf, daß möglichst viele Prozesse geführt werden, in denen dann durch den Richter die effizienz steigernden Regeln über die Zeit selektiert werden. 112 Hier wird Schwartzstein, An Austrian Economic View ... , S. 1069. William T. Allen, The Pride ... , S. 73. 110 Kirzner, Competition and Entrepreneurship, 1973, Chicago. 111 Schwartzstein, An Austrian Economic View ... , S. 1071. 112 Für diese neoklassische Theorie der Rechtsentwicklung siehe insbesondere Rubin, Why is the Common Law Efficient?, in: Journal of Legal Studies, Vol. 6, 1977, S. 51 ff.; sowie Priest, The Common Law Process and the Selection of Efficient Rules, in: Journal of Legal Studies, Vol. 6, 1977, S. 65 ff. Siehe hierzu kritisch Schwartzstein, An Austrian Economic View ... 108

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

der österreichischen Interpretation der Rolle von Anwälten der Vorzug gegeben, weil sie unseres Erachtens empirisch gehaltvoller ist. 113 Sie ist aus zwei Gründen empirisch gehaltvoller. Zum einen ist die unterschiedliche Kompetenz von Anwälten - die in der Realität zweifellos vorhanden ist ein zentraler Bestandteil der Modellierung, zum anderen wird die Funktion des Richters entlastet, das heißt, er ist nicht der alleinige Akteur, der die Effizienz von Regeln erhöht, sondern eher ein Regulativ für die juristischen Vorstöße der Anwälte. "Just as the marketplace disciplines entrepreneurs, rewarding or rejecting their innovations, the courts discipline entrepreneurial lawyers.''' 14 Kurz zusammengefaßt ergibt sich, daß die Qualität und Anzahl von Anwälten, die eine Jurisdiktion zu attrahieren in der Lage ist, einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil bei der Entwicklung von Regulierungen des Gesellschaftsrechts erzeugen kann. Möglicherweise ist die Größe dieses Wettbewerbsvorteils aber zu relativieren, wenn man Anwälte aus der Perspektive der Public Choice auch als eine rentensuchende Interessengruppe begreift [siehe hierzu genauer Abschnitt E.III.2.d)]. b) Lemprozeß /I: Interjurisdiktioneller Wettbewerb als Innovations- und Imitationsprozeß

Nachdem verschiedene Elemente des intrajurisdiktionellen Lernprozesses beschrieben worden sind und herauszuarbeiten versucht wurde, wie eng die Akkumulation von Wissen mit dem Erfolg von Jurisdiktionen bei der Erhöhung der Anzahl der Inkorporationen zusammenhängt, wird nun die Fragestellung dahin verschoben, daß gefragt wird, inwieweit interjurisdiktioneller Wettbewerb ein Instrument sein kann, das Wissen über die Wirkung und Geeignetheit gesellschaftsrechtlicher Regulierungen insgesamt zu erhöhen. Da diese Frage aus verschiedenen Perspektiven die gesamte Arbeit durchzieht, widmet sich dieser Abschnitt der Frage aus einer etwas grundsätzlicheren Sicht, in der der Koordinationsaspekt des Wettbewerbs hinsichtlich des Regulierungswissens betont wird. Das hat zum Beispiel zur Konsequenz, daß das Problem der geeigneten Meta-Institutionen, unter denen dieser wissenschaffende und wissenverwertende Wettbewerb stattfindet, an dieser Stelle weitgehend ausgeblendet wird. 113 Die Bedeutung der österreichischen Schule liegt insbesondere darin, daß sie den "Unternehmer" als zentrale Figur berücksichtigt, der kreativ Daten schafft und Wissen nutzt. Eine solche Unternehmerfunktion ist der neoklassischen Analyse bislang weitgehend fremd geblieben. Zu den Bereichen innerhalb der Ökonomie, in denen der Ansatz der österreichischen Schule heute noch befruchtend wirken könnte, siehe Rosen, Austrian and Neoclassical Economics: Any Gains From Trade?, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 11, 1997, S. 139 ff. 114 Schwartzstein, An Austrian Economic View ... , S. 1072.

II. Markttheoretische Erklärungsansätze

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Knüpft man an die Überlegungen zur intrajurisdiktionellen Wissensakkumulation an, ist eine logische Konsequenz der Existenz von Lernprozessen, daß das Wissen um die Regulierung des Gesellschaftsrechts stets als unvollkommen und fallibel angesehen werden muß. Hinzu kommt, daß das Wissen über gesellschaftsrechtliche Regulierungen in den lurisdiktionen durchaus ein unterschiedliches sein kann und es sich ex ante kaum feststellen läßt, welche verwendete gesellschaftsrechtliche Regulierung für ein bestimmtes Problem objektiv die beste ist. Verallgemeinert kann man diese Situation auch so beschreiben, daß lokal unterschiedliches Wissen über geseIlschaftsrechtliche Regulierungen existieren kann und daß ebenso lokal unterschiedliche Präferenzen für gesellschafsrechtliche Regulierungen vorliegen können. Hayek l15 stellt am Beispiel des Gütermarktes, das sich aber auch auf Regulierungen übertragen läßt, die Frage, durch welchen Mechanismus sichergestellt werden kann, daß das dezentral vorhandene Wissen möglichst gut genutzt wird und die Präferenzen der Nachfrager möglichst gut erfüllt werden. Hayeks Überzeugung ist, daß Wettbewerb dasjenige Verfahren ist, das diese Koordinationsaufgabe am besten erfüllen kann. Dabei ist es wichtig, daran zu erinnern, daß hier nicht gemeint ist, daß Wettbewerb diese Aufgabe perfekt erfüllt, sondern lediglich besser als andere Verfahren zur Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten beiträgt. 116 Es heißt auch nicht, daß Wettbewerb diese Aufgabe voraussetzungslos erfüllt - die Voraussetzungen müssen in einer geeigneten Wettbewerbsordnung niedergelegt werden oder, daß Wettbewerb immer das geeignetste Verfahren zur Koordination von Wissen ist. 117 Bezogen auf Regulierungen bedeutet interjurisdiktioneller Wettbewerb, daß Regulierungsnachfrager zwischen unterschiedlichen Regulierungsangeboten beziehungsweise Regulierungshypothesen wählen können. Durch ihre Auswahl geben die Regulierungsnachfrager zu erkennen, welche Regulierungen aus ihrer Sicht am besten dazu geeignet sind, ihre wirtschaftliche Aktivität zu steuern. Ein spezifisches Regulierungswissen wandert somit an den Ort seiner besten Verwendung, wobei jedoch nicht ausgeschlossen ist, daß sich Nachfrager auch täuschen können. Ein solcher Fall kann zwar für den Regulierungsnachfrager mit erheblichen negativen Konsequenzen ver115 Hayek, The Use of Knowledge ... ; Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ... 116 Das ist der Kern der Wirtschaftsrechnungsdebatte, in der Hayek die nicht mögliche Zentralisierbarkeit von Wissen als empirisches Argument gegen die Funktionsfahigkeit einer Zentralverwaltungswirtschaft anführte (Hayek, Econornics and Knowledge, in: Economica, Vol. 4, 1937, S. 33 ff.; derselbe, The Use of Knowledge ... ). 117 Lachmann, Capital ... , S. 335.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

bunden sein, vom Standpunkt des Lernprozesses aus wird jedoch nur ein weiteres Element an Erfahrung gesammelt. Wechselt man in der Perspektive auf die Angebotsseite, dann wirkt Wettbewerb als ein informativer Rückkopplungsmechanismus. Anbieter von Regulierungen erhalten über die Anzahl der Adoptionen der Regulierungen eine Einschätzung darüber, welchen aktuellen Wert ihr in die Regulierungen inkorporiertes Wissen hat. "Wert" ist hierbei nicht nur umgangssprachlich zu verstehen, sondern der Rückkopplungsmechanismus funktioniert um so besser, je genauer dem Gebrauch einer Regulierung eine Nutzungsgebühr beziehungsweise ein Preis zugeordnet ist. Preise sind nämlich nach dem Verständnis Hayeks 1l8 ein hoch abstraktes Informationsmedium, das Wettbewerber mit dem Wissen versorgt, wo nach Verbesserungen der eigenen Wissens basis zu suchen ist. Ist es beispielsweise Delaware möglich, bei einer relativ hohen "franchise tax" die meisten Inkorporationen zu realisieren, dann drückt die hohe "franchise tax" aus, daß Delaware über irgendeine besondere Qualität in seinem Gesellschaftsrecht verfügen muß, die die Unternehmen besonders nachfragen. Den Wettbewerbern Delawares wird also angezeigt, sich das Gesellschaftsrecht Delawares und nicht irgendeines anderen Staates genauer anzuschauen und nach den möglichen Erfolgsfaktoren zu suchen (Imitation) oder gesellschaftsrechtliche Verbesserungen zu kreieren, die in der Lage sein könnten, Unternehmen zu Reinkorporationen zu veranlassen (Innovation). Ein Beispiel kann diesen Punkt noch weiter verdeutlichen. In dem bereits oben angesprochenen Urteil Smith v. Van Gorkom wurde neues Wissen zur Regulierung von gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten geschaffen. Doch es wurde schon bald deutlich, daß dieses neue Wissen von den in Delaware inkorporierten Unternehmen keineswegs geschätzt wurde und insbesondere neue Inkorporationen behindern würde. Delaware sah daher seine Position im Wettbewerb mit anderen Staaten, die keine solche Interpretation der Treuepflichten hatten, als ernsthaft bedroht an (Kontrollaspekt des Wettbewerbs). In der Legislative wurde daraufhin nach einer neuen Regulierung der Treuepflichten gesucht (Innovationsaspekt des Wettbewerbs). Diese neue Regulierung war für Unternehmen derart vorteilhaft, daß schon bald die Mehrzahl der Staaten die neue Regelung übernahm (Imitationsaspekt des Wettbewerbs). Die hier grundsätzlich angestellten Überlegungen zur Schaffung von Wissen mittels des Instrumentes des Wettbewerbs haben im Bereich der Forschungen zum Unternehmensrecht bereits ihren Eingang gefunden,119 wenn auch eher als Kennzeichnung eines zukünftigen Forschungsfeldes als bereits eine eigentliche Analyse des Gegenstandes. "We know so little about the Hayek, The Use of Knowledge .. . Cooter, Structural Adjudication ... ; Easterbrook, Federalism and European Business Law ... ; Sykes, Regulatory Competition ... , S. 259. 118

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III. Politökonornische Erklärungsansätze

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effects of law ... , that it is important to employ market forces to assemble knowledge, just as we use competition to assemble information into prices. Setting prices through a centralized mechanism, without using the information thrown off by markets, has been tried and has failed. Why should law be different?,,12o Und aus einer dezidiert österreichischen Perspektive schreibt Schwartzstein: "Just as Austrian economics emphasizes the market as a discovery process, this Article will show that law is also a discovery process. The Article concludes that legal process and legal institutions should work to diffuse knowledge throughout society, to make it possible for people to engage in their daily lives with an economy of knowledge, and to make it easier for market participants to coordinate their plans with those of others.,,121

111. Politökonomische Erklärungsansätze Bislang wurde der Wettbewerb zwischen gesellschaftsrechtlichen Regulierungen aus einer Perspektive betrachtet, die zwar durchaus einzelne Akteure identifizierte, die Tatsache, daß Akteure in diesem Wettbewerbsprozeß ihre eigene Nutzenfunktion maximieren und daß diese Maximierung keineswegs gesamtwohlfahrtserhöhend sein muß, spielte jedoch nur am Rande eine Rolle. Diesem Aspekt, der in der Theorie der Wirtschaftspolitik von der Neuen Politischen Ökonomie (Public Choice) und in der Theorie der Firma von den Manageralismustheorien untersucht wird, wird nun stärkere Beachtung geschenkt. Es gibt im wesentlichen drei Gründe, warum eine Beschäftigung mit politökonomischen Erklärungsansätzen im Rahmen der Untersuchung des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht lohnend ist. Der erste Grund ist einfach, daß die Berücksichtigung von individuellen Nutzenfunktionen ein realitätsnäheres Bild der Funktionsweise des Regulierungswettbewerbs vermitteln kann. Der zweite Grund ist stärker normativ motiviert. Wie wir bereits bei der Betrachtung der "franchise tax" gesehen haben, können im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb beachtliche Renten erzielt werden. Neben der offensichtlichen Monopolrente aus der "franchise tax", die in Delaware für den Staat und seine Politiker anfällt, eröffnet Regulierungswettbewerb aber noch weitere Möglichkeiten für Interessengruppen, sich Renten anzueignen. Die Frage ist somit, ob die im Regulierungswettbewerb erzielbaren Renten auf der besonderen Leistung beruhen, die die Rechtsanbieter für die Rechtsnachfrager erbringen, oder ob sie lediglich das Resultat erfolgreicher Arbeit von Interessengruppen sind, die sich Sondervorteile auf 120 121

Easterbrook, Federalisrn and European Business Law ... , S. 128. Schwartzstein, An Austrian Econornic View ... , S. 1050.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Kosten anderer Interessengruppen verschaffen. Folgt man dieser Überlegung, dann könnte die Eröffnung von Regulierungswettbewerb durchaus negative Folgen für die Gesamtwohlfahrt haben. Der dritte Grund zur Beschäftigung mit politökonomischen Ansätzen ist schließlich, daß sie in der Debatte um den Wettbewerb im amerikanischen Gesellschaftsrecht eine bedeutende Rolle spielen. Man kann sogar sagen, daß sie die Forscher in zwei Lager spalten, in diejenigen, die diese Ansätze als den eigentlichen Zugang zur Erklärung des Wettbewerbs im amerikanischen Gesellschaftsrecht sehen (zum Beispiel Coffee, Macey, Tollison und Carney), und diejenigen, die diesen Ansätzen eher am Rande Beachtung schenken (zum Beispiel Easterbrook und Fischei). 1. Rent-Seeking und Manageralismus

Bevor auf einzelne Interessengruppen und deren spezifische Verhaltensweise im Regulierungswettbewerb eingegangen wird, erscheint es sinnvoll, mit zwei allgemeineren Thesen zur Wirkung von Interessengruppen im geseIlschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb die Diskussion zu eröffnen. Diese Diskussion soll einen ersten Eindruck davon vermitteln, daß die Einbeziehung politökonomischer Überlegungen zwar zu genaueren Erklärungen der Funktionsabläufe im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb beitragen kann, gleichzeitig aber das Bild, das vom Regulierungswettbewerb gezeichnet wird, noch komplexer wird und die Gefahr von ad hoc Erklärungen für beobachtete Situationen zunimmt. 122 a) Sind kleine lurisdiktionen weniger anfällig für Interessengruppen? Die erste These ist, daß kleine lurisdiktionen weniger anfällig für den Einfluß von Interessengruppen seien als große und daher im Regulierungswettbewerb durch das Angebot effizienteren Gesellschaftsrechts einen Vorteil hätten. 123 Intuitiv überrascht diese Überlegung, weil man zunächst vermuten könnte, daß kleine lurisdiktionen sich gerade durch Nachgiebigkeit gegenüber Interessengruppen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen versuchen könnten. Nicht überraschend ist deswegen, daß es für diese zweite Überlegung ebenfalls Argumente gibt. 124 122 Zu den Möglichkeiten und Grenzen, mit Hilfe der Public Choice ein besseres Verständnis für die Ordnungsfragen des internationalen Gesellschaftsrechts zu bekommen, siehe Buxbaum/Hopt, Legal Harmonization and the Business Enterprise, 1988, Berlin, S. 8 ff. 123 Camey, The Political Economy ... 124 Coffee, The Future ...

III. Politökonomische Erklärungsansätze

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Beginnen wir mit der ersten These. 125 Begründet wird sie damit, daß in großen Jurisdiktionen mit hoher Bevölkerungszahl mehr Interessengruppen aktiv seien als in kleinen und bevölkerungsärmeren Jurisdiktionen. In großen Jurisdiktionen sind nämlich mehr Personen vom Gesellschaftsrecht direkt betroffen, zum Beispiel lokale Kreditgeber, Konsumenten oder Arbeitnehmer. Diese Interessengruppen werden versuchen, die Legislative zu Veränderungen des Gesellschaftsrechts in ihrem Sinne zu bewegen. Da die lokalen Interessengruppen für die Wiederwahl der Politiker von Bedeutung sind, ist die Folge des Interessengruppenwettbewerbs, daß das Gesellschaftsrecht mit Regulierungen aufgeladen wird, die zwar den Interessengruppen dienen, es aber nicht für Gesellschafter und deren Inkorporationsentscheidung attraktiv macht. Ein weiterer Grund für die stärkere Anfälligkeit großer Jurisdiktionen für den Einfluß von Interessengruppen ist, daß die Einnahmen aus der "franchise tax" keine bedeutende Rolle in ihrem Budget spielen. Politiker großer Jurisdiktionen spüren kaum den fiskalischen Druck, das Gesellschaftsrecht effizient zu gestalten, und sie können sich insofern "nachgiebig" gegenüber Interessengruppen zeigen. Anders sieht es in kleinen Jurisdiktionen aus. Hier spielen nicht nur die Einnahmen aus der "franchise tax" eine bedeutende Rolle, sondern der Einfluß von Interessengruppen ist auch sehr viel geringer. Das liegt daran, daß die inkorporierten Unternehmen einen Großteil ihrer eigentlichen Betätigung außerhalb der kleinen Jurisdiktion haben, wie Produktion, Kreditgeber oder Konsumenten. Diese potentiellen Interessengruppen haben keinen direkten Einfluß auf die Legislative der kleinen Inkorporationsjurisdiktion, weil sie keinen direkten Einfluß auf die Wiederwahl der lokalen Politiker haben. Die hier aufgestellte These wird von Camey auch empirisch zu untermauern versucht. 126 Er bezieht sich dabei auf den Wettbewerb im Gesellschaftsrecht in den Vereinigten Staaten, aber auch auf den europäischen Fall. Als kleine und vergleichsweise wenig interessengebundene Jurisdiktion wird von ihm in den Vereinigten Staaten Delaware identifiziert. Für Europa werden Liechtenstein, Monaco, Luxemburg und die Schweiz als wenig interessengruppengeleitete Staaten genannt, die für Anleger attraktiv seien. 127 Schon jetzt befände sich in Liechtenstein und der Schweiz eine bedeutende Anzahl an europäischen Holdinggesellschaften. 128

125 Siehe zum Folgenden insbesondere Camey, The Political Economy ... ; derselbe, Explaining the Shape ... 126 Camey, The Political Economy .. . 127 Camey, The Political Economy ... , S. 308. 128 Camey, The Political Economy ... , S. 327.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Wie macht sich der Einfluß von Interessengruppen in größeren Jurisdiktionen konkret empirisch bemerkbar? In Europa zielt die Einflußnahme vor allem auf die Regulierung der zulässigen Mobilität von Produktionsfak:toren und gesellschaftsrechtlichen Regulierungen. Die Gewerkschaften in Deutschland sind zum Beispiel sehr daran interessiert, daß ein Regulierungswettbewerbstyp IIIIII beziehungsweise die Sitztheorie als Kollisionsrecht erhalten bleibt mit gleichzeitigen Interventionen in die Kapitalmärkte (Erschwerung grenzüberschreitender Übernahmen), da dies die Mitbestimmung und damit den Einfluß der Gewerkschaften absichert. Aber nicht nur Gewerkschaften können an einer Absicherung der Sitztheorie und der Erschwerung von Übernahmen interessiert sein, sondern ebenso die Geschäftsleitungen (Manager) von Unternehmen. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Mitbestimmung auch Schutz für Manager bietet. Es ist vergleichsweise schwer, mitbestimmte Unternehmen gegen den Willen einer Koalition von Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertreter zu übernehmen. 129 Darüber hinaus sind mitbestimmte Unternehmen auch nur schwer zu liquidieren, um sie in einer anderen Jurisdiktion neu zu gründen 130 - eine Option, die im Regulierungswettbewerbstyp III ja durchaus gegeben wäre. Im Zuge der Herstellung der europäischen Integration verfolgen Interessengruppen neben der Aufrechterhaltung des nationalen Status Quo zusätzlich Ziele auf europäischer Ebene. Zur Absicherung ihrer Interessen können einzelne Gruppen nämlich zu erreichen versuchen, daß ihre Regulierungsinteressen zentral auf europäischer Ebene verankert werden. l3I So versuchte beispielsweise Deutschland mit Hilfe des Vorschlags der fünften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie von 1983, das deutsche MitbestimmungsrnodelI für die gesamte Europäische Union verbindlich zu erklären und damit auch im zukünftigen europäischen Binnenmarkt abzusichern. Allerdings scheiterte dieser Versuch an den heftigen Widerständen der anderen Mitgliedstaaten und deren Interessengruppen. Während sich in Europa die Arbeit der Interessengruppen großer Jurisdiktionen vornehmlich auf die Beeinflussung der EU-weiten materiellen Harmonisierung gesellschaftsrechtlich relevanter Regulierungen bezieht, ist der Einfluß der Interessengruppen in den Vereinigten Staaten auf die lokale Durchsetzung spezifischer Interessen unter einem kollisionsrechtlichen Regime der Gründungstheorie gerichtet. Die Unterschiedlichkeit der Stoßrichtungen der Interessengruppen in den Vereinigten Staaten und Europa, um auf den Regulierungswettbewerb Einfluß zu nehmen, läßt sich damit erklä129 Vor allem aufgrund des massiven deutschen Einflusses ist erst jüngst (Juli 200 1) die Verabschiedung eines europäischen Übernahmerechts im Europäischen Parlament gescheitert. 130 Camey, The Political Economy ... , S. 327. l3l Camey, Explaining the Shape ... , S. 622.

III. Politökonomische Erklärungsansätze

171

ren, daß in den Vereinigten Staaten bereits eine konstitutionell fest verankerte Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftrecht existiert, die die Gründungstheorie als kollisionsrechtliche Regel vorschreibt. Deshalb müssen die Interessengruppen quasi "unterhalb" der konstitutionellen Ebene aktiv werden. In der Europäischen Union ist die konstitutionelle Ebene hingegen noch im Aufbau begriffen. 132 Das heißt, es gibt bislang weder festgefügte Regeln für den Regulierungswettbewerb noch für die Harmonisierung von Gesellschaftsrechten, noch gibt es konstitutionelle Verfahrensregeln, die die post-konstitutionelle Regelebene in der Europäischen Union steuern würde. Daher können Interessengruppen in Europa versuchen, auf den Prozeß der Gestaltung oder Blockierung einer Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb direkt auf der konstitutionellen Ebene Einfluß zu nehmen. In den Vereinigten Staaten macht sich im Gegensatz zu Europa das Wirken von Interessengruppen in großen lurisdiktionen dadurch bemerkbar, 133 daß beispielsweise Kalifornien und New York, die beiden größten lurisdiktionen, alle Gesellschaften, die auf ihrem Staatsgebiet tätig werden und bestimmte Größenmerkmale aufweisen, mit Sonderanknüpfungen und der Verbindlichmachung von Teilen des eigenen Gesellschaftsrechts überziehen. Interessant ist dabei aus Sicht der Interessengruppenansätze, daß es Ausnahmen von der Durchsetzung dieser Sonderinteressen gibt. So sind sowohl in Kalifornien als auch in New York an amerikanischen Börsen gehandelte Gesellschaften von den Interventionen dieser Staaten ausgenommen. Damit sind die großen börsennotierten Publikumsgesellschaften, die ihre Betriebsstätte in Kalifornien oder New York haben, einem erheblich geringerem Einfluß der lokalen Interessengruppen ausgesetzt als kleine und mittelständische Gesellschaften, die nicht börsennotiert sind. Eine Erklärung für diese asymmetrische Durchsetzung von gruppenspezifischen Interessen in Kalifornien und New York ist, daß große Gesellschaften eher als kleine über die Möglichkeit zur Desinvestition in einen Standort verfügen und die Abwanderung eines großen Unternehmens für einen Standort eine erhebliche Bedeutung haben kann. Der Standortwettbewerb, wie wir ihn als Regulierungswettbewerbstyp III kennengelernt haben, kann also die Durchsetzung des Regulierungswettbewerbs sichern helfen, wenn zwar auf der Metaebene der Regulierungswettbewerb entsprechend dem Regulierungswettbewerbs-

132 Zur These, daß die Europäische Union noch in der Verhandlungsphase zur Schaffung ihrer Verfassung stecke, siehe den nachwievor aktuellen verfassungsökonomischen Beitrag von Faber/Breyer, Eine ökonomische Analyse konstitutioneller Aspekte der europäischen Integration, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 31, 1980, S. 213 ff. 133 Camey, The Political Economy ... , S. 314 ff.

172

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

typ IV verankert ist, unterhalb dieser Ebene aber Interessengruppen versuchen, den Regulierungswettbewerb zu verhindern. Abschließend sei auf die Gegenthese hingewiesen, daß kleine Staaten besonders anfällig für die Durchsetzung von Sonderinteressen seien. Da diese These starke Bezüge zum nächsten Abschnitt aufweist, sei die Argumentation nur kurz präsentiert. Die Grundüberlegung ist, daß kleine Jurisdiktionen gerade anfällig für eine dominante Interessengruppe, wie zum Beispiel die der Anwälte, seien, weil die Bürger der Jurisdiktion kaum von den Wirkungen des angebotenen Gesellschaftsrechts direkt betroffen seien. 134 Die Präferenzen der einheimischen Bürger kämen bei der Gestaltung des Gesellschaftsrechts somit kaum zur Geltung beziehungsweise würden nicht in der Weise offenbart, wie es der Fall wäre, wenn sie von der Gestaltung des Gesellschaftsrechts direkt betroffen wären, beispielsweise als Arbeitnehmer oder Gläubiger einer Gesellschaft. b) Externe Kosten als Problem des Regulierungswettbewerbs?

Die zweite etwas allgemeinere These, die die Komplexität politökonomischer Analysen in bezug auf den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht deutlich werden lassen soll, ist, daß Regulierungswettbewerb unter dem Kollisionsrecht der Gründungstheorie nur bestimmten Interessengruppen diene. Dadurch würden Dritten externe Kosten auferlegt, so daß die Gesamtwohlfahrt durch Regulierungswettbewerb nicht maximiert werde. 135 Im einzelnen wird am Beispiel der Vereinigten Staaten argumentiert, daß in ein die Gesamtwohlfahrt maximierendes Gesellschaftsrecht die Präferenzen aller vom Gesellschaftsrecht Betroffenen eingehen müßten. 136 Bei Regulierungswettbewerb sei dies aber systematisch nicht der Fall, denn bei Regulierungswettbewerb würden Staaten, die die Einnahmen aus der "franchise tax" maximieren wollten, nur die Interessen derjenigen berücksichtigen, die die Inkorporationsentscheidung träfen. Dies seien die Aktionärsinteressen oder die Interessen der Manager bei Publikumsgesellschaften und die Interessen der Unternehmer, beim Angebot von speziellen Rechtsformen an kleinere Unternehmen. Die Interessen Dritter, wie Arbeitnehmer, Konsumenten Coffee, The Future ... , S. 762 ff. Bebchuk, Federalism .. . 136 Unter der Überschrift "A broader view: the stakeholder society" (Tirole, Corporate Govemance ... , S. 23 ff.) bekommt neuerdings die Frage, wie möglichst umfassend externe Effekte, die von bestimmten Regulierungen der Corporate Governance ausgehen können, internalisiert werden können, wieder stärkeres Gewicht. Damit zeichnet sich in der Corporate Governance-Forschung möglicherweise eine Akzentverschiebung von der Favorisierung monistischer Shareholder value-Konzeptionen hin zu puralistischen Stakeholder-Ansätzen ab. 134

135

III. Politökonomische Erklärungsansätze

173

oder Gläubiger, würden hingegen nicht berücksichtigt oder sogar zugunsten von Aktionären oder Managern bewußt verletzt. 137 Dieses strukturelle Problem der asymmetrischen Berücksichtigung von Interessen im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte ließe sich jedoch lösen, wenn das Gesellschaftsrecht zentral von der Bundesebene angeboten würde. Das heißt nicht, daß damit die Einflußnahme von Interessengruppen auf das Gesellschaftsrecht gestoppt würde, die Interessengruppen hätten jedoch symmetrischere Chancen, daß ihre Anliegen bei Politikern Gehör finden und im Gesellschaftsrecht berücksichtigt würden. Das Problem der Abwälzung von Kosten auf Dritte würde also vermindert. So einleuchtend die Argumentation Bebchuks mit der strukturellen Benachteiligung bestimmter Interessengruppen im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte auf den ersten Blick auch sein mag, wirft sie auf den zweiten Blick doch einige Fragen aufYs Zunächst ist festzuhalten, daß es sich hier um ein normatives Problem handelt, das durch Interessengruppen verursacht gesehen wird, wenn Regulierungswettbewerb zugelassen wird. Es kommt nämlich zu persistenten negativen externen Effekten (Marktversagen). Die Frage ist jedoch, ob die Lösung des beschriebenen strukturellen Problems einfach darin liegt, daß man den Regulierungswettbewerb komplett ausschaltet. Warum sollten zum Beispiel Interessengruppen, die sich durch das Gesellschaftsrecht mit negativen externen Effekten konfrontiert sehen, nicht auf der Bundesebene eine spezielle Regulierung (Sonderanknüpfung) erwirken können, die die Externalisierung von Kosten beendet, ohne daß der gesamte Regulierungswettbewerb ausgeschaltet werden müßte? Der Anlegerschutz wird im Kapitalmarktrecht der Vereinigten Staaten schließlich auch auf Bundesebene wahrgenommen. Eine weitere Frage, die aus politökonomischer Sicht gestellt werden muß, ist, ob das Problem externer Effekte überhaupt durch Ausschaltung des Regulierungswettbewerbs gelöst wird? Zwar mag es sein, daß das strukturelle Problem, wie es von Bebchuk beschrieben wird, tatsächlich verschwindet. Bestimmte Interessengruppen können aber nachwievor schwach bleiben, weil die Organisationskosten dieser Gruppen sehr hoch sind, umgekehrt werden die Interessengruppen der Gesellschafter und der Manager vermutMit Beispielen siehe Bebchuk. Federalism ... , S. 1486 ff. In einer früheren Arbeit schreibt Bebchuk, noch deutlich trennend zwischen theoretischem Argument und empirischer Signifikanz des Problems: "But, although the theoretical structure of the externalities argument is dear and noncontroversial, its applicability and persuasiveness depend on showing that certain definite and substantial externalities are present in the corporate context." (Bebchuk. The Debate on Contractual Freedom in Corporate Law, in: Columbia Law Review, Vol. 89, 1989, S. S. 1405). 137 138

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

lieh weiter stark bleiben und Einfluß auf das Gesellschaftsrecht ausüben. 139 Es mag sogar sein, daß der Einfluß dieser Gruppen auf zentraler Ebene noch anwachsen wird, weil die Gruppen geschlossen bei einer Rechtsetzungsinstanz ihre Interessen artikulieren können. Daher bleibt fraglich, ob die möglichen Effizienzeinbußen des Regulierungswettbewerbs durch die asymmetrische Berücksichtigung der Ziele von Interessengruppen in den einzelnen Gesellschaftsrechten nicht letztendlich geringer sind als die Effizienzeinbußen, die aus dem Lobbying von Interessengruppen gegenüber einem zentralen politischen Akteur entstehen. Das ist aber keine normative Frage mehr, sondern eine empirische.

2. Der Einfluß ausgewählter Interessengruppen Die Aufgabe der beiden vorangegangenen Abschnitte war eine doppelte. Zum einen sollten zwei wichtige Thesen zur Funktionsfähigkeit des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht aus politökonomischer Sicht präsentiert werden. Die andere Aufgabe war, für den Umgang mit politökonomischen Argumentationen im Rahmen der Diskussion zum Regulierungswettbewerb zu sensibilisieren. Politökonomische Analysen sind häufig stark an den spezifischen Kontext gebunden, den der jeweilige Forscher aussucht. Viele Argumente haben auch den Charakter von ad hoc Rationalisierungen einer beobachteten Bedingungskonstellation. Und oft läuft eine Argumentation auf eine rein empirische Frage hinaus, wobei es in der Mehrzahl der Fälle Schwierigkeiten geben dürfte, die Daten zu erheben und in einem adäquaten Modell zu testen. Die Stärke der politökonomischen Argumente liegt jedoch darin, daß sie den Kontext eines Problems in hohem Maße berücksichtigen. Politökonomisehe Analysen tragen insofern dazu bei, daß die Probleme, die im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit des Regulierungswettbewerbs gelöst werden müssen, plastischer werden. Diese Fähigkeit des Ansatzes sollte nicht gering geschätzt werden, wenn ein Ziel der Institutionenökonomie ist, daß Handlungsempfehlungen zur Lösung realer Probleme gegeben werden. In den folgenden Abschnitten ist es deshalb vor allem eine Aufgabe, das kontextuelle Verständnis für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten zu fördern. Die Aussagen werden zwar weitestgehend auf keine bestimmte Jurisdiktion bezogen, das Untersuchungsobjekt, das für viele der Aussagen Pate steht, ist jedoch wiederum Delaware, das unter einem Kollisionsrecht der Gründungstheorie im Regulierungswettbewerb mit den anderen Staaten der Vereinigten Staaten steht. 139 Zur Organisationsflihigkeit von Gruppen siehe allgemein Olson, The Logic of Collective Action, 1965, Cambridge.

III. Politökonomische Erklärungsansätze

175

a) Die Zielfunktion der Politiker Die Untersuchung der einzelnen Interessengruppen mit ihren spezifischen Zielfunktionen wird mit der Gruppe der Politiker begonnen. Dies ist nicht ganz willkürlich, da auf dem Verständnis für das Handeln der Politiker das Verständnis der Zielfunktionen der anderen Interessengruppen beruht. Die Zielfunktion der Politiker besteht darin, die Einnahmen aus der "franchise tax" zu maximieren. 140 Dieses Ziel bekommt bei Politikern ein um so größeres Gewicht, je stärker der Staatshaushalt von den Einnahmen aus der "franchise tax" abhängig ist. In Delaware hatten wir gesehen, daß regelmäßig 15 % bis 20% des Staatshaushalts durch die Einnahmen aus der "franchise tax" gedeckt werden. Hinzu kommen noch steuerähnliche Abgaben, die bei der Anmeldung oder Veränderungen von Gesellschaften anfallen. Diese Einnahmen fließen entweder ebenfalls in den Staatshaushalt oder in Nebenhaushalte, die der Bürokratie zur Verfügung stehen. Die Maximierung der Einnahmen aus der "franchise tax" ist für die Politiker genau genommen aber nur ein Zwischenziel. Ihr eigentliches Ziel ist, ihre Wiederwahl zu sichern, wozu die Einnahmen aus der "franchise tax" beitragen. Denn mit den Einnahmen können zum einen Wahlgeschenke an potentielle Wähler gemacht werden, zum anderen können Steuern vermieden werden, die andernfalls von den Wählern getragen werden müßten. 141 Nachdem klar ist, was das Maximierungsziel der Politiker ist, stellt sich die Frage, welches die Variablen sind, die der Politiker zur Verfügung hat, dieses Ziel zu erreichen, und welches die potentiellen Einflußgrößen sind, die die Erreichung dieses Ziels verhindern. Generell ist es die Gestaltung des Gesellschaftsrechts, die der Politiker zur Verfügung hat, um Gesellschaften zur Inkorporation zu bewegen, wobei neben der materiellen Gestaltung ebenfalls die Glaubwürdigkeit des Regulierungsangebots eine wichtige Rolle spielt. Im Kontext des Interessengruppenansatzes heißt das für den Politiker, daß er die für Inkorporationen maßgebliche Gruppe in Unternehmen identifizieren und ihr ein gesellschaftsrechtliches Regulierungsangebot unterbreiten muß, das diese Gruppe veranlaßt, sich entsprechend zu inkorporieren. Ein Kandidat für die relevante Gruppe, der die Politiker Regulierungsangebote machen könnte, sind die Gesellschafter. Dieser Auffassung sind letztlich alle Autoren, die vom gesellschaftsrechtlichen WettbeZum Beispiel Cary, Federalism and Corporate Law ... , S. 684. Zu dieser Aussage der Public Choice siehe beispielsweise Mueller, Public Choice 11 ... ; Easterbrook und Fischel machen auf die weitere Möglichkeit aufmerksam, daß Politiker auch für direkte Wahlkampfhilfe in Form von Partei spenden durch Gesellschaften empflinglich seien. Im Gegenzug seien sie dann bereit, nach erfolgreicher Wiederwahl das Gesellschaftsrecht nach den Wünschen der Gesellschaften zu gestalten (Easterbrook/Fischel, The Economic Structure ... , S. 217). 140 141

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

werb ein "race to the top" erwarten. 142 Denn mit der Gruppe der Gesellschafter als entscheidendem Regulierungsnachfrager übt genau diejenige Gruppe Einfluß auf den Politiker aus, die hierzu auch unter wohlfahrtsökonomischen Aspekten berechtigt sein sollte. 143 So würden potentielle Investoren nur in ein Unternehmen mit einem Gesellschaftsrecht investieren, das den Firmenwert maximiert und damit das investierte Kapital am produktivsten nutzt. Da die Gesellschafter die letztendlich Entscheidungsbefugten in einer Gesellschaft sind und sie zudem die Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen in ihrem Portfolio treffen, würden daher die Politiker genau den Wünschen dieser Gruppe entsprechende Regulierungsangebote machen. Es ist jedoch keineswegs unumstritten, daß die Politiker die Gesellschafter als relevante Gruppe für Inkorporationsentscheidungen identifizieren. Aufbauend auf der Manageralismustheorie,l44 die behauptet, daß mit der Trennung von Entscheidung und Kontrolle in der kapitalistischen Großunternehmung ein Principal-Agent Problem zwischen Managern und Eigentümern entsteht, rückt das Management als entscheidende Gruppe für Inkorporationen ins Blickfeld. Die Manager könnten ebenfalls Kandidaten sein, für die die Politiker Regulierungsangebote unterbreiten, weil Manager die eigentliche Inkorporationsentscheidung treffen würden. 145 Die gesellschaftsrechtlichen Angebote für Manager können sich von denen für Gesellschafter erheblich unterscheiden. So suchen Manager vor allem nach Schutz vor persönlicher Haftung (Durchgriffshaftung im Rahmen der Verletzung von Treuepflichten) und Arbeitsplatzsicherheit durch Verhinderung von Unternehmensübernahmen. 146 Beide Ziele können die Effizienz von Unterneh142 Siehe zum Beispiel Winter, State Law ... ; Romano, The Genius ... ; oder EasterbrooklFischel, The Economic Structure ... , S. 212 ff. 143 Diese Aussage gilt natürlich nur, wenn man von dem Externalitätenproblem absieht, das in Abschnitt E.III.1.b) diskutiert wurde. Da üblicherweise nicht von diesem sehr breit verstandenen Externalitätenproblem Bebchuks ausgegangen wird, kann die Aussage, daß ein Gesellschaftsrecht, das den Wünschen der Gesellschafter entspricht, zumindest die Wohlfahrt erhöht, wohl gehalten werden. Daß hier nicht die Erreichung eines globalen Wohlfahrtsoptimums behauptet wird, machen deutlich Winter, The "Race for the Top Revisited": A Comment on Eisenberg, in: Columbia Law Review, Vol. 89, 1989, S. 1526 ff.; sowie EasterbrookiFischel, The Economic Structure ... , S. 218. 144 Frühe Vertreter dieses Ansatzes sind Berle/Means, The Modern Corporation ... Es ist heute keine Frage mehr, daß ein Principal-Agent Problem zwischen Managern und Eigentümern besteht. Die Frage ist aber, wie ernst es im allgemeinen ist und wie ernst es im besonderen ist, wenn man es im institutionellen Kontext von Kapitalmärkten, Optionsplänen für Manager oder dem Arbeitsmarkt für Manager sieht (siehe stellvertretend für andere LazearlRosen, Rank-order Tournaments ... ). 145 Siehe zum Beispiel Cary, Federalism and Corporate Law ... ; MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... ; Coffee, The Future ... ; sowie Bebchuk, Federalism ...

III. Politökonomische Erklärungsansätze

177

men verringern und damit den Unternehmenswert senken. Da dadurch die Gesellschafter geschädigt werden, ist bei einer politischen Zielfunktion, die den Manager im Auge hat, Regulierungswettbewerb offensichtlich schädlich, wie eine Reihe von Autoren folgert. 147 An dieser Stelle kann der vorläufige Schluß gezogen werden, daß aus politökonomischer Sicht es sowohl Gründe dafür gibt, anzunehmen, daß Politiker gesellschaftsrechtliche Angebote sowohl an Gesellschafter machen als auch an Manager. Die Frage, welche Gruppe tatsächlich den "Zuschlag" erhält, ist jedoch eine empirische. Wir wenden uns deshalb noch kurz zwei weiteren Interessengruppen zu, deren Berücksichtigung für den Politiker bei der Verfolgung seines Ziels der Maximierung der Einnahmen aus der "franchise tax" nicht ganz unwichtig ist. Anwälte können versuchen, auf das Ziel der Politiker, die Einnahmen aus der "franchise tax" zu maximieren, Einfluß zu nehmen. 148 Der Grund hierfür ist, daß die Anwälte an der Erhöhung der Anzahl der Inkorporationen interessiert sind, um möglichst viel anwaltliche Tätigkeit zu möglichst hohen Gebühren entfalten zu können. Aus diesem Ziel resultiert der Wunsch nach möglichst niedrigen Rechtsformsteuern, da sich dadurch die Anzahl der Inkorporationen erhöhen läßt bei gleichzeitig hohen Anwaltsgebühren. Die andere wichtige Interessengruppe, die von den Politikern mit ins Kalkül gezogen werden muß, sind die Richter. Die Begründung dafür liegt im Glaubwürdigkeitsproblem, das die Politiker haben, wenn sie ihr Regulierungsangebot abgeben. Einige Möglichkeiten zur Selbstbindung haben wir bereits in Abschnitt E.l1.2.b) kennengelernt. Eine weitere Möglichkeit, Glaubwürdigkeit für ihr gesellschaftsrechtliches Angebot zu signalisieren, besteht für Politiker in der Instrumentalisierung der Interessengruppe der Richter. 149 Politiker können nämlich die Glaubwürdigkeit ihres Regulierungsangebotes erhöhen, wenn sie die Richter mit der Unabhängigkeit und der Macht ausstatten, Gesetze zu exekutieren. Dadurch ist sichergestellt, daß Politiker nicht ohne weiteres von ihrem Regulierungsangebot zurücktreten können. 150 Natürlich eröffnet eine solche Unabhängigkeitsposition den Richtern auch Möglichkeiten, eigene Interessen zu verfolgen, die in Konflikt mit den Zielen der Politiker geraten können [siehe hierzu genauer Abschnitt E.III.2.e)]. Camey, The Production ... , S. 721. Siehe beispielsweise Cary, Federalism and Corporate Law ... ; Coffee, The Future ... ; Eisenberg, The Structure of Corporation Law, in: Columbia Law Review, Vol. 89, 1989, S. 1461 ff.; sowie Bebchuk, Federalism ... 148 MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 503. 149 MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 499. 150 LandeslPosner, The Independent Judiciary in an Interest-Group Perspective, in: Journal of Law and Economies, Vol. 18, 1975, S. 875 ff. 146 147

12 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

b) Die Zielfunktion der Gesellschafter Das Ziel, das die Interessengruppe der Gesellschafter verfolgt, ist die Maximierung der Rendite des eingesetzten Kapitals, wobei dieses Ziel in empirischen Untersuchungen häufig durch die Maximierung des Firmenwertes operationalisiert wird. 151 Daß dieses Ziel von Gesellschaftern zumindest langfristig verfolgt wird, dürfte wohl unstreitig sein. Wie äußert es sich aber bei der Nachfrage nach gesellschaftsrechtlichen Regulierungen, welche Regulierungen erhöhen den Firmenwert? Allgemein kann darauf geantwortet werden, daß Gesellschafter ein Gesellschaftsrecht nachfragen werden, das ihren Einfluß hinsichtlich unternehmensstrategischer Entscheidungen der Gesellschaft sichert. Auch wenn die Zielfunktion der Gesellschafter im Prinzip eindeutig ist, werden trotzdem nicht alle Gesellschafter gleichmäßig stark ein Einfluß sicherndes Gesellschaftsrecht nachfragen. Das liegt daran, daß zur Wahrung der Interessen der Investoren nicht nur das Gesellschaftsrecht beiträgt, sondern daß weitere Substitutionsmöglichkeiten in der Unternehmensgovernance jenseits des Gesellschaftsrechts bestehen. Die wichtigste Substitutionsmöglichkeit ist in dieser Hinsicht, den Anteilsbesitz zu konzentrieren. 152 Konzentriert sich nämlich das Gesellschaftskapital in wenigen Händen, dann bedarf es kaum noch eines elaborierten Gesellschaftsrechts zur Wahrung der Interessen der Gesellschafter, da der oder die Mehrheitsgesellschafter jederzeit ihre Unternehmenspolitik durchsetzen können. "A legal regime may be of less significance to a controlling shareholder, compared with dispersed owners, for the former can implement policies (he has the votes) and will not need legal mechanisms to aid in monitoring firm performance (he runs the firm and can oust poorly performing managers).,,153 Umgekehrt werden Gesellschafter, die über keinen entscheidenden Anteil an einem Unternehmen verfügen, sehr wohl nach einem Gesellschaftsrecht nachfragen, das ihren Einfluß schützt. Geht man also einmal von einer Situation aus, in der überwiegend Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen bestehen, wie es in Europa der Fall ist, und einmal von einer Situation, in der der Anteilsbesitz relativ stark gestreut ist, wie in den Vereinigten Staaten,154 dann erhält man für den Fall hoher anteilsmäßiger Konzentration eine geringere Nachfrage nach Gesellschaftsrecht als im Fall niedrigerer Konzentration. Bei einer hohen Konzentration des Anteilsbesitzes kann man weiterhin vermuten, daß sich die 151 DoddlLeftwich, The Market for Corporate Charters ... ; Daines, Does Delaware Law Improve Firm Value? ... 152 La Porta u. a., Law and Finance ... 153 Romano, The Genius ... , S. 149 ff. 154 Romano, The Genius ... , S. 150; La Porta u. a., Law and Finance ...

III. Politökonomische Erklärungsansätze

179

"Spielstruktur" der Interessengruppe der Gesellschafter verändert. So werden Mehrheitsgesellschafter, wie beispielsweise Banken und Versicherungen, nicht nur vergleichsweise wenig Nachfrage nach Gesellschaftsrecht artikulieren, sondern an einer Stärkung der Gesellschafterposition gar kein Interesse haben, da dies lediglich für die Minderheitsgesellschafter von Nutzen iSt. 155 "Public Choice Stories,,156 sind jedoch meist komplex und ihre Thesen haben in der Regel Gegenthesen. So auch in diesem Fall. Gegen eine allzu starke Dominanz der Zielfunktion der Mehrheitsgesellschafter im Regulierungswettbewerb spricht nämlich, daß Jurisdiktionen, die ihr Angebot zu stark auf die Interessen der Mehrheitsgesellschafter ausrichten, Gefahr laufen, daß die Minderheitsgesellschafter Fälle der Benachteiligung zu häufig vor Gericht bringen. Die Folge könnte dann sein, daß bestimmte gesellschaftsrechtliche Regulierungen der Kompetenz der einzelnen Jurisdiktionen entzogen werden und auf zentraler Ebene einheitlich gelöst werden. 157 ,,[I]n Singer v. Magnavox Co., a case that was argued and submitted just before Santa Fe was decided, the Delaware Supreme Court announced a regime that sought to heighten minority shareholder protection in a particular transaction - a freezeout merger - fraught with risks of self-dealing. The decision, which demonstrated that Delaware could tighten fiduciary standards where appropriate, took some of the steam out of the national incorporation movement. It is easy to understand why the court responded so readily. A federal incorporation statute would have dramatically diminished the Delaware Supreme Court's importance.,,158 c) Die Zielfunktion der Manager

Als die wichtigsten Ziele der Manager einer Gesellschaft werden in der Regel Arbeitsplatzsicherheit und der Schutz vor persönlicher Haftung bei einer Verletzung der Treuepflichten genannt. 159 Mögliche andere Ziele kommen hinzu, wie die fortgesetzte Ausdehnung der Unternehmung (empire building), um an persönlichem Einfluß und Prestige zu gewinnen, oder die Maximierung des Einkommens. 16o Das dominante Ziel ist aber ganz klar die Arbeitsplatzsicherheit, da sie die Voraussetzung für die Erfüllung der anderen Ziele ist. 161 Das mitunter verfolgte Ziel der Diversifikation der Bebchuk, Federalism ... , S. 1476 ff. Gordon, Corporations ... , S. 1957. 157 Diese Vermutung wird auch angedeutet von Coffee, The Future ... , S. 766. 158 Gordon, Corporations ... , S. 1971. 159 Camey, The Production ... , S. 721; Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 485. 160 Eisenberg, The Structure of Corporation Law ... , S. 1472. 161 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 485. 155

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180

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Geschäftsfelder und der Bildung von Konglomeraten kann man beispielsweise aus dem Wunsch nach Arbeitsplatzsicherheit ableiten, da das Risiko der Investitionen der Gesellschaft durch Diversifikation reduziert wird und damit auch das Risiko des Managements, falsche Investitionsentscheidungen zu treffen, für die sie von den Gesellschaftern ZUr Verantwortung gezogen werden könnten. 162 Für Anleger ist eine vom Management verfolgte Diversifikationsstrategie jedoch schädlich oder zumindest nutzlos, da Gesellschafter ihr Anlagerisiko durch die Zusammenstellung ihres Portfolios selbst bestimmen können und auch sollten. 163 Noch direkter als die Diversifizierung des Unternehmens wirken auf die Arbeitsplatzsicherheit von Managern natürlich gesellschaftsrechtliche Regelungen, die die Übernahmen von Unternehmen erschweren. Daß Manager einen hohen Anreiz haben können, solche Regulierungen nachzufragen, macht folgendes Zitat von Romano bezüglich der Situation in den Vereinigten Staaten deutlich. "While target shareholders experience abnormal returns ranging between 20 and 40 percent in takeovers, managers are frequently replaced; ... ,,164 Während also Gesellschafter von den hohen Prämien auf ihre Anteile bei Übernahmen in aller Regel profitieren, werden die Manager von Arbeitslosigkeit bedroht. Ein weiteres Ziel der Manager ist das aus den originären Zielen abgeleitete Ziel der Absicherung des erzielten Schutzes VOr Übernahmen und persönlicher Haftung. Das abgeleitete Ziel der Regulierungsabsicherung läßt sich operationalisieren als Wunsch nach Stabilität des Gesellschaftsrechts. Die Bedeutung dieses Ziels für Manager wird klar, wenn man bedenkt, daß Reinkorporationen mit einem nicht unerheblichen Kostenaufwand verbunden sind, die der Manager vor den Gesellschaftern zusammen mit einer Begründung für den Wechsel des Gesellschaftsrechts zu rechtfertigen hat. Er hat somit ein starkes Interesse daran, daß Reinkorporationen ein seltenes Ereignis bleiben. Zudem möchten Manager einmal erworbene Verteilungspositionen auch zukünftig genießen können, ohne befürchten zu müssen, daß eine Jurisdiktion ihr Gesellschaftsrecht zuungunsten des Managements verschärft. 165 Bezüglich der Signalisierung von Stabilität des Gesellschaftsrechts gegenüber Managern gelten alle bereits gemachten Ausführungen zur Bedeutung und Funktionsweise von Reputationsmechanismen im Angebot von Gesellschaftsrecht, so daß es an dieser Stelle keiner weiteren Erklärungen bedarf. Der einzige Unterschied ist, daß die Reputationsmechanismen hier der Ma162 Shleijer/Vishny, Value Maximization and the Aquisition Process, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 2, 1988, S. 7 ff. 163 Eisenberg, The Structure of Corporation Law ... , S. 1472. 164 Romano, The Genius ... , S. 52. 165 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 488.

III. Politökonomische Erklärungsansätze

181

Tabelle 4

Sponsoren von managementfreundlichen Übernahmegesetzen Bundesstaat

Gesellschaft

Bundesstaat

Gesellschaft

Arizona

Greyhound

Massachusetts

Gillette

Connecticut

Aetna Life & Cas. Ins. Co.

Minnesota

Dayton Hudson

Missouri

TWA

Florida

Harcourt, Brace, Jovanovich

New Jersey

Owens Corning

Georgia

C&S National Bank

New York

CBS

Illinois

Illinois Retail Merchants' Association (Abbot Laboratories, Sears, Roebuck and Walgreen)

North Carolina

Burlington Industries

Ohio

Goodyear

Oklahoma

Kerr-McGee

Pennsylvania

Gulf Oil

Washington

Boeing

Wisconsin

G. Heilman Brewing Co.

Indiana

Arvin Industries

Kentucky

Ashland Oil

Maryland

Martin Marietta

Quelle: Camey, W. J., Explaining the Shape of Corporate Law: The Role of Competition, in: Managerial and Decision Economics, Vol. 18, 1997, S. 620.

ximierung der Zielfunktion der Manager dienen und nicht der der Gesellschafter. Eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Ziele der Manager spielen in den Vereinigten Staaten schließlich die Handelskammern. Sie sind quasi der Katalysator, um die Interessen des Managements an die Politik heranzutragen. Im Falle einer drohenden feindlichen Übernahme eines Unternehmens wendet sich häufig die zuständige Handelskammer des inkorporierten Unternehmens an die Politik, damit rasch Regulierungen erlassen werden, die die Übernahme abwenden. Die Legislative verabschiedet solche Regulierungen oftmals sogar in sogenannten "emergency sessions", die ohne öffentliche Anhörung stattfinden. 166 Tabelle 4 illustriert die Einflußnahme des Managements auf das Gesellschaftsrecht nochmals anhand der Identifikation derjenigen Gesellschaft, die in einem amerikanischen Bundesstaat die Verabschiedung eines managementfreundlichen Übernahmegesetzes wesentlich unterstützt hat. 166

Romano, The State Competition ... , S. 727; dieselbe, The Genius ... , S. 53.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Nachdem die Ziele der Manager und ihre Interessenvertretung durch Handelskammern hinreichend beschrieben worden sind, stellt sich die Frage, wie Wettbewerb im Gesellschaftsrecht auf die Maximierung der Zielfunktion der Manager wirkt. Die Beantwortung dieser Frage hängt im wesentlichen davon ab, wie groß der diskretionäre Spielraum ist, den die Manager gegenüber den Gesellschaftern besitzen. Je geringer dieser Spielraum angenommen wird, desto mehr muß das beobachtete Verhalten der Manager als im Sinne der Gesellschafter betrachtet werden und damit tendentiell als wohlfahrtssteigernd. Das ist genau die Position der Vertreter der "race to the top"-Hypothese in den Vereinigten Staaten, die gar nicht bestreiten wollen, daß in den letzten Jahrzehnten eine Deregulierung des Gesellschaftsrechts stattgefunden hat, in der auch Regulierungsangebote an Manager gemacht wurden. Bestritten wird allerdings, daß diese Entwicklung gegen die Interessen der Gesellschafter laufe. 167 Letztlich ist es eine empirische Frage, inwieweit Manager im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb diskretionäre Spielräume gegenüber Gesellschaftern besitzen, die sie auch zum eigenen Vorteil nutzen können. Deswegen soll hier nur kurz die Grundstruktur aufgezeichnet werden, in der sich die Interessengruppe der Gesellschafter und diejenige der Manager gegenüberstehen, wenn es um Inkorporationsentscheidungen geht. Da Inkorporationsentscheidungen einen Beschluß der Gesellschafter erfordern, könnte angenommen werden, daß Gesellschafter jede Inkorporation in eine Jurisdiktion ablehnen werden, die den Wert ihres Gesellschaftsanteils verringert. Dies ist zunächst einmal ein starkes Argument für die Annahme, daß Jurisdiktionen keine Angebote an Manager machen werden, sondern an die Gesellschafter. 168 Die Manager würden sich somit in einer schlechten Position befinden, wenn Wettbewerb im Gesellschaftsrecht herrscht. Um die Hypothese eines "race to the bottom" abzuleiten, muß daher gezeigt werden, daß die Gesellschafter ihr Veto gegenüber den Managern systematisch nicht wahrnehmen beziehungsweise nicht wahrnehmen können. Sie können es beispielsweise dann nicht wahrnehmen, wenn die Gesellschaft bereits in einer Jurisdiktion mit managementfreundlichem Gesellschaftsrecht inkorporiert ist und die Manager keinen Vorschlag zur Reinkorporation den Gesellschaftern unterbreiten. ,,[A] company cannot move to another state if its managers do not bring a reincorporation proposal to a shareholder vote" .169 167 Bebchuk, Federalism ... , S. 1445; EasterbrooklFischel, The Economic Structure ... , S. 212 ff. 168 Bebchuk, Federalism ... , S. 1470. 169 Bebchuk, Federalism ... , S. 1460. Jüngst nehmen Bebchuk und FeITel systematisch die Frage auf, welche prozessualen Regeln auf Bundesebene sicherstellen könnten, daß sich die Interessen der Gesellschafter besser gegen die der Manager durchsetzen. Sie verfolgen dabei einen Ansatz der Desaggregation des Gesellschaftsrechts. Das heißt, sie schlagen vor, daß es Gesellschaftern zum Beispiel möglich

III. Politökonomische Erklärungsansätze

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Es wird jedoch bezweifelt, daß Gesellschafter bei Reinkorporationsentscheidungen überhaupt die daraus resultierenden Konsequenzen auf den Firmenwert evaluieren. Gesellschafter mit nur wenigen Anteilen an der Gesellschaft werden nämlich die hohen Transaktionskosten scheuen, die mit der Informationsbeschaffung und Partizipation an den Entscheidungsprozessen zur Inkorporation verbunden sind - sie bleiben rationale Ignoranten. Manager amerikanischer Publikumsgesellschaften, die sich in Streubesitz befinden, haben deshalb entsprechende diskretionäre Spielräume für eine eigeninteressierte Unternehmenspolitik. Ein weiterer Grund für die Durchsetzbarkeit der Managerinteressen kann sein, daß Manager die Inkorporationsentscheidung in eine Paketlösung einflechten, die mit einer weit schlechteren unternehmenspolitischen Alternative zur Abstimmung gestellt wird. 170 Abschließend stellt sich die Frage, wie sich das Verhalten der Manager ändert, wenn sie einem Mehrheitsgesellschafter gegenüberstehen. In diesem Fall sind die Manager praktisch ohne diskretionären Handlungsspielraum und an den Willen des Mehrheitsgesellschafters gebunden, der typischerweise das Management bestellt und entläßt. Je eher der Manager den Zielen des Mehrheitsgesellschafters folgt, desto eher wird er sein Ziel der Arbeitsplatzsicherheit verwirklichen können. 171 Das Verhalten der Manager ist durch die Bindung an die Entscheidungen der Mehrheitsgesellschafter aber nicht automatisch effizient. Denn wie wir bereits sahen, besteht bei Existenz eines Mehrheitsgesellschafters das Problem der Ausbeutung der Minderheitsgesellschafter. d) Die Zielfunktion der Anwälte

Das Ziel der Anwälte besteht darin, das anwaltliche Einkommen zu maximieren. Eine Möglichkeit dazu besteht darin, sich fachlich auf Gesellschaftsrecht zu spezialisieren, zumal dies innerhalb der anwaltlichen Beratungstätigkeit eines der lukrativsten Felder ist.

sein sollte, aus einem gewählten Gesellschaftsrecht die Regulierungen für Übernahmen herauszubrechen und gegen eine Regulierung der Bundesebene auszutauschen. Damit soll die Anfälligkeit von Bundesstaaten, managementfreundliche Regulierungen, insbesondere im Bereich von Übernahmen, zu kreieren, verringert werden (Bebchuk/Ferrell, A New Approach ... ). Der Ansatz von Bebchuk und FeITeIl ist zweifellos sehr innovativ, muß jedoch sicherlich noch weiter ausgebaut und kritisch reflektiert werden. Er soll deshalb in dieser Arbeit trotz seines möglichen zukünftigen Potentials nicht als eigener Punkt herausgearbeitet werden. 170 Bebchuk, Federalism ... , S. 1472 ff. 171 Bebchuk, Federalism ... , S. 1476.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Wenn sich Anwälte auf Gesellschaftsrecht spezialisieren, dann hängt ihr Einkommen hauptsächlich von vier Faktoren ab. Erstens, von der Anzahl der Inkorporationen in das Gesellschaftsrecht, auf das sie sich spezialisiert haben, da von der Anzahl der Inkorporationen ebenfalls die Nachfrage nach anwaltlicher Beratung abhängt. Zweitens, von der Gebührenordnung, die für anwaltliche Beratung in derjenigen Jurisdiktion gilt, in der die Beratung stattfindet oder prozessiert wird. Drittens, von der Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Regeln, die die Häufigkeit und Intensität der anwaltlichen Beratung beeinflußt. Und viertens, von der Regulierung des anwaltlichen Arbeitsangebots (Anzahl der zugelassenen Anwälte) in einer Jurisdiktion. Am Beispiel Delawares läßt sich zeigen, daß Anwälte versuchen, alle vier Faktoren zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Der Katalysator, dessen sich die Anwälte dabei zur Interessenvertretung bedienen, ist die Anwaltskammer (Bar Association), die mögliche Anreizprobleme löst, die aus dem Kollektivgutcharakter des Lobbyings entstehen könnenY2 In Delaware ist der Bar eine gut organisierte kleine Gruppe, die über ausreichende Ressourcen verfügt. Zudem sind einige Bar-Mitglieder auch gleichzeitig Mitglieder der Legislative. 173 Beim ersten Ziel, der Maximierung der Inkorporationszahlen, gehen anwaltliche Interessen und Politikerinteressen insofern parallel, daß beide Gruppen daran interessiert sind, daß ein attraktives GeselIschaftsrecht der für die Inkorporationsentscheidung maßgeblichen Interessengruppe angeboten wird. 174 Einen Zielkonflikt gibt es jedoch hinsichtlich der Höhe der "franchise tax" und der Höhe der anwaltlichen GebÜhren. 175 Dies wird klar, wenn man die Perspektive desjenigen einnimmt, der die Inkorporationsentscheidung trifft. Er kalkuliert nicht nur die "franchise tax", sondern ebenfalls die weiteren Kosten der Inkorporation, zu denen insbesondere die mutmaßlichen Anwaltskosten gehören. Der Preis der Inkorporation setzt sich somit aus der "franchise tax" und den Anwaltskosten zusammen. Damit entsteht der Trade-off, daß die Interessengruppe der Politiker und der Anwälte wechselseitig von einander profitieren, wenn die jeweils andere Interessengruppe ihren Preisbestandteil am Gesamtpreis der Inkorporation senkt. Anwälte wünschen also eine möglichst niedrige "franchise tax", während Politiker maßvolle Anwaltsgebühren fordern. Dieser Konflikt ist zwar nicht Camey, The Production ... , S. 723 ff. Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 506. 174 Für dieses Interesse der Anwälte siehe z. B. Camey, The Production ... , S. 723; sowie Ogus, Competition Between National Legal Systems: A Contribution of Economic Analysis to Comparative Law, in: International and Comparative Law Quarterly, Vol. 48, 1999, S. 405 ff. m Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 492 ff. und 503 ff. 172

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III. Politökonomische Erklärungsansätze

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auflösbar, jedoch scheint in Delaware ein Konflikt zwischen Politikern und Anwälten um die Verteilung der Renten nicht offen auszubrechen. Die Gründe dafür sind komplex und können nur skizziert werden. Ein Grund dürfte sein, daß durch die vielfaltigen Verflechtungen von Politik und Anwaltschaft in Delaware erst gar keine offene Konfrontation der Interessengruppen gesucht wird. Ein weiterer Grund besteht schlicht darin, daß das Regulierungsangebot Delawares von den Nachfragern als dermaßen gut betrachtet wird, daß hohe Inkorporationskosten, die sowohl hohe Steuereinnahmen garantieren als auch hohe Einkommen für die Anwälte, auf dem Markt für Gesellschaftsrechte durchsetzbar sind. Es werden aber auch zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die den Trade-off zumindest teilweise überwinden helfen. Dabei ist zum einen an die Strategie der Steuerpreisdifferenzierung zu erinnern, die sowohl die Steuereinnahmen aus der "franchise tax" maximiert als auch kleineren Unternehmen das Gesellschaftsrecht Delawares erschwinglich macht. Zum anderen erlaubt Delaware, im Gegensatz zu anderen Staaten, die Prozeßführung ohne die Hinterlegung von Sicherheiten für die Prozeßkosten, was die Wahl Delawares als Forum für Ankläger einer in Delaware inkorporierten Gesellschaft verbilligt und besonders attraktiv macht. Dies ist wiederum vorteilhaft für Anwälte, die dadurch mehr gesellschaftsrechtliche Prozesse führen können. 176 Im letzten Punkt ist die Gebührenordnung für Prozesse mit der Nichtnotwendigkeit der Hinterlegung von Sicherheiten zur Deckung der Prozeßkosten bereits angesprochen worden. Die Gebührenordnung für Anwälte ist darüber hinaus in Delaware eine der liberalsten überhaupt in den Vereinigten Staaten. l77 Ein wesentliches Kennzeichen von ihr ist, daß die Anwälte nicht auf Basis der in einem Fall geleisteten Arbeitsstunden entlohnt werden, sondern das Gericht weitgehend frei darin ist, am Prozeßende den Anwälten eine angemessene Entlohnung zu gewährenYs Diese Form der Entlohnung ist in der Regel höher als eine auf Stundenbasis. 179 Ein weiterer interessanter Punkt dieser Entlohnungsform könnte sein, daß sie eine Diskriminierung in doppelter Hinsicht ermöglicht. Denn Anwälte werden ihren Klienten raten, Delaware als Forum zu wählen, anstelle einer anderen Juris176 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 504; Coffee, The Future ... , S. 763. 177 Coffee, The Future ... , S. 763. 178 Einen Eindruck von der großen Freiheit der Gerichte in Delaware, die Anwaltsgebühren festzusetzen, gibt folgende Passage aus einem Urteil: ,,[T]he first inquiry has traditionally been into the nature and extent of the results obtained ... although ... other tests ... , namely the amount of time and effort applied to a case by counsel ... as weH as any contingency factor and the standing and ability of petitioning counsel are, of course, considered in the award of fees in an appropriate case" (Thomas v. Kempner, 398 A.2d 320, 327 [Dei. 1979]). 179 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 497.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

diktion, die für den Prozeß die gleichen Erfolgsaussichten böte und billiger wäre. 180 Darüber hinaus können Richter in Delaware den ortsansässigen Anwälten die Vereinnahmung höherer Prozeßgebühren ermöglichen als Anwälten aus anderen Jurisdiktionen und damit anwaltliche "Outsider" hinsichtlich ihrer Einkommen benachteiligen. Ein zusätzliches Ziel, das die Anwälte verfolgen können, ist die Erhöhung der Komplexität des Gesellschaftsrechts, damit die Wahrscheinlichkeit von Gerichtsprozessen ansteigt, weil es für potentielle Kläger ex ante schwieriger wird, die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Prozesses zu beurteilen. 181 Ihren nötigen Einfluß dazu auf den Rechtsetzungsprozeß bekommen die Anwälte nicht nur über ihre persönlichen Verflechtungen mit der Politik, sondern ebenso aufgrund der Tatsache, daß es ziemlich aufwendig und teuer ist, ein Gesellschaftsrecht fortzuentwickeln. Die Bar Association verfügt sowohl über die fachlichen Ressourcen als auch über die Geldmittel, das Gesellschaftsrecht für Inkorporationen attraktiv weiterzuentwickeln. Die Politiker nehmen deshalb häufig die Vorschläge der Bar Association zur Vorlage bei legislativen Anpassungen des Gesellschaftsrechts. 182 Schließlich können Anwälte ihr Einkommen vergrößern, wenn es ihnen gelingt, Rivalen aus anderen Jurisdiktionen von der Berufsausübung abzuhalten. Am Beispiel Delawares hatten wir bereits gesehen, daß gesellschaftsrechtliche Prozesse von in Delaware inkorporierten Gesellschaften vorzugsweise in Delaware selbst vor Gericht gebracht werden. Die Gründe dafür sind die vorteilhafte Gebührenordnung für die Anwälte, aber auch die Erwartung der Prozeßparteien, daß ihr Fall in Delaware besonders kompetent verhandelt wird. Aus der Existenz der überdurchschnittlich hohen Einkommen der Anwälte in Delaware könnte nun der Schluß gezogen werden - und von Easterbrook und Fischel wird er gezogen l83 -, daß dies Anwälte aus anderen Staaten anziehen müßte, die entweder Fälle in Delaware übernehmen oder sich in Delaware ganz niederlassen. Diese Migration der Anwälte müßte so lange anhalten, bis die anwaltlichen Einkommen ein Gleichgewichtsniveau in den Vereinigten Staaten erreicht haben. Sind die Einkommen nach der Arbeitskräftewanderung in Delaware immer noch höher als in den anderen Staaten, dann liegt das offenbar an der überdurchschnittlichen Kompetenz der Anwälte in Delaware und nicht an deren Rentensuche. 184 Diese Sichtweise wird jedoch nicht uneingeschränkt geteilt. So wird MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 497. KobayashilRibstein, Evolution ... , S. 470; Camey, The Production ... , S. 727. 182 Camey, The Production ... , S. 725. 183 EasterbrookiFischel, The Economic Structure ... , S. 217. 184 Zu beachten ist, daß logische Voraussetzung dieses disziplinierenden Wettbewerbsmechanismus die Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen ist sowie die Dienstleistungsfreiheit, die beide in den Vereinigten Staaten garantiert sind. Diese 180 181

III. Politökonomische Erklärungsansätze

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argumentiert, daß in Delaware die Beziehungen zwischen Gericht, Gerichtsverwaltung und lokalen Anwälten dermaßen eng seien, daß Anwälte von außen es äußerst schwer hätten, erfolgreich in Delaware zu praktizieren. 185 Weitere Hürden für "Outsider" bestünden darin, daß die Ordnungsmäßigkeit der Bücher einer Gesellschaft jedes Jahr von einem in Delaware ansässigen Anwalt bestätigt werden muß und daß bei Prozessen ein Anwalt aus Delaware vor Gericht mit anwesend sein muß. Beide Auflagen werden zwar nicht strikt gehandhabt, eine Umgehung ist aber mit entsprechenden Zahlungen an einen Anwalt in Delaware verbunden, der seine Unterschrift bei der Delegation an einen Anwalt von außerhalb geben muß. 186 Es gibt somit gute Gründe für die Annahme, daß es einer lokalen Interessengruppe von Anwälten gelingen kann, Kollegen vom heimischen Markt fernzuhalten.

e) Die Zielfunktion der Richter Als letzte Interessengruppe sollen die Richter betrachtet werden. Ein besonderes Kennzeichen dieser Interessengruppe ist ihre große Unabhängigkeit im Vergleich zu den anderen Interessengruppen. 187 Ist ein Richter erst einmal bestellt, kann er in den meisten Staaten nur schwer wieder von seinem Amt entfernt werden. Aus der Perspektive der Interessengruppenansätze dient diese Unabhängigkeit zur Herstellung der Glaubwürdigkeit eines Regulierungsangebots durch die Legislative. 188 Was fangen Richter mit dieser persönlichen Unabhängigkeit im Regulierungswettbewerb an? Die allgemeine Antwort auf die Frage "What do judges and justices maximize?" ist "The same thing everyone else does.,,189 Dahinter verbirgt sich die Ansicht, daß die Unabhängigkeit des Richteramtes dem Richter in großem Umfange

zwei Grundfreiheiten sind zwar im EG-Vertrag genauso verbrieft, zumindest für Anwälte ist jedoch eine freie Berufsausübung in Europa bislang kaum möglich. Hieran wird nochmals deutlich, daß in Europa das "Angriffsziel" der Interessengruppen vor allem die noch ungefestigten konstitutionellen Regeln sind, die über die Intensität des Wettbewerbs entscheiden, während in den Vereinigten Staaten Interessengruppen eher innerhalb des etablierten Regelrahmens ihre Rentensuche betreiben. 185 Ribstein, Efficiency ... , S. 262. 186 MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 493. 187 Macey und Miller betrachten die Richter als eine unabhängige Variable im Spiel der Interessengruppen im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb (MaceylMiller, Toward an Interest Group Theory ... , S. SOl). 188 LandeslPosner, The Independent Judiciary ... 189 Die Frage und die Antwort sind der Titel eines provokanten Aufsatzes, den Posner 1993 publiziert hat, als er bereits langjähriger Richter am V.S. Court of Appeals for the Seventh Circuit war. Er unterscheidet darin vier Typen von Richtern: "the manager of a nonprofit enterprise, the voter, ... the theatrical expectator ... land] the player of games for fun, ... " (Posner, What Do Judges ... , S. 3).

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

erlaube, seine ganz persönlichen Ziele bei der Ausübung des Amtes zu verfolgen. 190 Hier kann nicht die große Bedeutung dieses Ansatzes bei der "ökonomischen Domestizierung,,191 des Richters dargestellt werden, es sollte jedoch klar sein, daß er eine ganz entscheidende Bedeutung hat zur Rekonstruktion einer allgemeinen Theorie der Rechtsentwicklung (ein Aspekt, der gewöhnlich bei Analysen zur Rechtsentwicklung übersehen wird). Da hier nicht der Versuch unternommen wird, eine solche Theorie zu präsentieren, soll im folgenden nur die Rolle skizziert werden, die die Richter im Regulierungswettbewerb des Gesellschaftsrechts spielen. Das Verhalten der Richter wird dabei verständlicher, wenn man sie als eigeninteressierte rationale Nutzenmaximierer interpretiert, wie alle anderen bisher betrachteten Akteure auch. Die Interessengruppe der Richter verfolgt in Delaware vornehmlich zwei Ziele in bezug auf das Gesellschaftsrecht. Das erste Ziel resultiert aus den starken persönlichen Verflechtungen zwischen Richtern und Anwälten. Die Richterschaft rekrutiert sich nämlich für gewöhnlich aus den Anwälten Delawares, und Richter können versuchen, ihren ehemaligen Kollegen und Freunden systematisch Vorteile zu verschaffen. l92 Dabei mögen die Richter subjektiv durchaus lautere Gründe für dieses Verhalten haben, beispielsweise weil sie der Meinung sind, daß Anwälte aus Delaware besonders kompetent in der Bearbeitung gesellschaftsrechtlicher Fälle sind. 193 Zusätzlich unterstützt die anwaltliche Gebührenordnung ein solches diskriminierendes Verhalten der Richter, weil die Richter in hohem Maße frei darin sind, das Honorar der Anwälte festzulegen. Als weiteres Ziel von Richtern kann deren Suche nach Ruhe im Amt identifiziert werden. Da Richter praktisch unkündbar sind, neigen sie dazu, ein sogenannter "hanging judge,,194 zu werden, der seine Urteile mit der Zeit immer weniger sorgfältig und mit größerer Willkür fällt. Auf das GeseIlschaftsrecht kann diese richterliche Willkür einen erheblichen destabilisierenden Einfluß ausüben und damit auch auf dessen Attraktivität. Als Beleg für diesen vermuteten Einfluß der Richter auf das Gesellschaftsrecht lassen sich zum Beispiel die Urteile Smith v. Van Gorkom, 195 Unoeal [ne. v. Mesa Petroleum l96 oder Zapata Corp. v. Maldonado l97 anführen. 198 190 Posner, What Do Judges ... ; siehe auch EasterbrookiFischel, The Economic Structure ... , S. 217. 191 Posner, What Do Judges ... , S. 40. 192 Cary, Federalism and Corporate Law ... 193 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... , S. 502. 194 Coffee, The Future ... , S. 766. 195 488 A.2d 858 (DeI. 1985). 196 493 A.2d 946 (DeI. 1985). 197 430 A.2d 779 (DeI. 1981).

III. Politökonomische Erklärungsansätze

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3. Empirische Erfahrungen - eine Bewertung

Nachdem die wichtigsten Interessengruppen im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte dargestellt worden sind, stellt sich die Frage, wie deren Einfluß zu bewerten ist. Führt die Existenz von Interessengruppen dazu, daß gesellschaftsrechtlicher Regulierungswettbewerb eher wünschenswert ist, weil Interessengruppen im Zaum gehalten werden, oder eröffnet Regulierungswettbewerb den Interessengruppen erst ihre die Effizienz verringernden Spielräume? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, die exakt der einen oder anderen Auffassung folgen würde. Es scheint jedoch gute Gründe dafür zu geben, daß beim Herrschen von Regulierungswettbewerb die Probleme des Interessengruppenwettbewerbs eher gelöst werden als bei einer institutionellen Lösung, die den Regulierungswettbewerb ausschaltet. 199 Hierzu sollen in den beiden folgenden Abschnitten einige empirische Anhaltspunkte gegeben werden. a) Wettbewerb als Problemverstärker?

Regulierungswettbewerb ist ein Problemverstärker des Einflusses von Interessengruppen, wenn er dazu führt, daß schutzwürdige Interessen systematisch ausgehöhlt werden (siehe Bebchuks Fall negativer Externalitäten). In einem solchen Fall des Marktversagens könnte eine Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, zum Beispiel mittels Mindeststandards, zu einer Erhöhung der Effizienz des Gesellschaftsrechts beitragen. 200 Ein Bereich des amerikanischen Gesellschaftsrechts, in dem immer wieder eine Harmonisierung gefordert wird, ist der Bereich von Unternehmensübernahmen (Takeovers, Mergers and Acquisitions), die mit Hilfe sogenannter Antitakeover-Statutes 201 der Bundesstaaten erschwert werden und die die Allokationsfunktion der Kapitalmärkte behindern. Der Interessengegensatz zwischen Managern und Gesellschaftern besteht dabei darin, daß Gesellschafter bei einer Übernahme ihre Anteile in der Regel mit einem Aufschlag von 20 bis 40 Prozent auf den Kurswert verkaufen können, wähCoffee, The Future ... , S. 765. Allgemein zur Vermutung, daß inteIjurisdiktioneller Wettbewerb das Problem des Rent-seekings von Interessengruppen lösen hilft, siehe Stefan Sinn, The Taming of Leviathan ... ; sowie Bratton/McCahery, The New Economics of lurisdictional Competition .. . 200 Bebchuk, The Debate ... ; derselbe, Federalism ... ; Coffee, The Future ... 201 Zu den möglichen Übernahmemöglichkeiten einer Gesellschaft und den Abwehrinstrumenten, die ein Unternehmen durch das Gesellschaftsrecht gewährt bekommen kann, siehe ausführlich Rogan/Bejgrowicz, Corporate Takeovers: How They Are Done and Fought Against, in: Practising Law Institute (Hrsg.), Corporate Law and Practice Course Handbook Series, PLI Order No. B4-7177, 1997. 198

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

rend die Manager der übernommenen Gesellschaft mit ihrer Entlassung rechnen müssen. 202 Manager sind daher stark daran interessiert, ein Instrumentarium zur Abwehr von Übernahmen zu haben, und wir hatten bereits gesehen, daß Manager über den Katalysator der Handelskammern bei der Legislative eine starke Nachfrage nach Übernahmen verhindernden Gesetzen artikulieren. Anhand der Entwicklung dieser Gesetze in den Vereinigten Staaten läßt sich zeigen, daß es seit den sechziger Jahren einen mit den Übernahmewellen korrelierenden Trend gibt, in dem immer umfassendere Antitakeover-Statutes von den Bundesstaaten angeboten werden. 203 Eine Möglichkeit, das "race to the bottom" im Bereich der AntitakeoverStatutes zu beenden, wäre die Regulierung dieses Bereichs auf Bundesebene, beispielsweise in der Zuständigkeit der Securities and Exchange Commission. Dabei ist hinzuzufügen, daß es bereits Regulierungen auf Bundesebene gibt, die gegebenenfalls nur entsprechend gestärkt werden müßten. Das ist einmal der Williams Act204 von 1968, der in den Bereich der bundesstaatlichen Kapitalmarktkontrolle einzuordnen ist und die Offenlegungspflichten und Vorgehensweisen bei Übernahmen festlegt, zum anderen könnte daran gedacht werden, die Commerce Clause (Art. I, Sec. 8, cl. 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten), die die innerstaatliche Warenverkehrsfreiheit verbürgt, möglichst weit auszuiegen 205 und damit Antitakeover-Statutes der Bundesstaaten außer Kraft zu setzen,z°6 Die erste Möglichkeit fällt in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, in die zweite sind zusätzlich die Bundesrichter involviert. 207

202 Romano, The Genius ... , S. 52. Gesellschafter können ebenfalls an Antitakeover-Statutes interessiert sein, wenn es als ein Instrument eingesetzt werden kann, die Übemahmeangebote in die Höhe zu treiben. Dieser Fall ist unseres Erachtens aber an die Bedingung geknüpft, daß ein Mehrheitsgesellschafter existiert, der das Management kontrolliert, oder daß es sich um hoch spekulative Gesellschafter handelt. 203 Romano, The Genius ... , S. 67. 204 Der Williams Act ist keineswegs eine Regulierung, die Übernahmen erleichtert (EasterbrookiFischel, The Economic Structure ... , S. 224). Es ist jedoch eine Regulierung auf Bundesebene, die weiter aus- beziehungsweise umgebaut werden könnte. 205 Dieser Weg wurde bereits im Fall Edgar v. MITE (457 V.S. 624 (1982)) zur Beseitigung einer ersten Generation von Antitakeover-Statutes gewählt. 206 Siehe hierzu auch Coffee, The Future ... , S. 775. 207 Siehe neuerdings auch den "Desaggregations"-Ansatz von Bebchuk und Ferrell, der insbesondere zur Lösung der Übernahmeproblematik gedacht ist (Bebchuk/ Ferrell, A New Approach ... ).

UI. Politökonomische Erklärungsansätze

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b) Wettbewerb als Problemlöser?

Während es keine Frage ist, daß im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte Probleme auftauchen können, wie das Beispiel der Antitakeover-Statutes zeigt, ist es jedoch eine Frage, ob das Interessengruppenproblem bei Ausschaltung des Regulierungswettbewerbs wirklich geringer ist als im Falle von Regulierungswettbewerb. Es darf jedenfalls nicht der Fehler gemacht werden, eine unvollkommene Wettbewerbssituation mit einer perfekten Harmonisierungslösung zu vergleichen, vielmehr muß in Rechnung gestellt werden, daß auch die Harmonisierung beziehungsweise Ausschaltung des Wettbewerbs Unvollkommenheiten und Probleme aufweisen kann?08 Zwei Beispiele können diese Sichtweise verdeutlichen helfen: Eine Reinterpretation des Problems der Antitakeover-Statutes und ein Blick auf die Situation in Europa. Mit Blick auf die Antitakeover-Statutes kann gefragt werden, ob eine Regulierung dieses Problems auf Bundesebene wirklich die regulativen Beschränkungen des Kapitalmarktes bei geplanten Übernahmen beseitigen würde. So wäre es denkbar, daß die Interessengruppe der Manager, auch wenn sie einem zentralen Regulierer gegenüberstünde, ihre Interessen durchsetzen könnte. 209 Diese Aussage ist natürlich rein hypothetisch, sie wird aber in Zusammenhang mit der Betrachtung Europas an Gewicht gewinnen. Ein weiterer Gesichtspunkt, der für die Beibehaltung von Regulierungswettbewerb spricht, ergibt sich, wenn man sich die Antitakeover-Instrumente Delawares genauer anschaut. Dann fällt auf, daß Delaware zwar auch erhebliche Möglichkeiten zur Abwehr von Übernahmen zuläßt, diese Regulierungen aber mit einer ziemlichen Zeitverzögerung gegenüber den anderen Staaten eingeführt wurden,210 zudem sind die Regulierungen als "default rule" ausgestaltet und können somit abbedungen werden zugunsten von Regelungen in der Satzung einer Gesellschaft, die Übernahmen erleichtern. Die Frage, die gestellt werden kann, ist, warum Delaware erst mit Verzögerung Antitakeover-Statutes einführte. Als Grund dafür wird aus interessengruppenspezifischer Sicht genannt, daß in Delaware dermaßen viele Gesellschaften inkorporiert sind, die sowohl eine übernahmefreundliche als auch eine übernahmefeindliche Gesetzgebung wünschen, daß lange Zeit keine einheitliche Strategie der Interessengruppen für die Legislative auszumachen war und die Legislative deswegen zunächst initiativlos blieb. Hinzu kamen die Finanzintermediäre, wie Investmentgesellschaften, die ein Interesse an regen Übernahmeaktivitäten haben und die ihre Lobby tätigkeit auf Delaware wegen der hohen Inkorporationszahlen konzentrierten, um rigide 208 209

210

EasterbrooklFischel. The Economic Structure ... , S. 223. Romano. The Genius ... , S. 83. Romano. The Genius ... , S. 59.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Antitakeover-Statutes zu verhindern?!! Des weiteren läßt sich zeigen, daß Staaten, die besonders scharfe Antitakeover-Statutes erließen und die auch nicht abbedingbar waren, zum Teil einen scharfen Rückgang der Inkorporationszahlen aufwiesen, dies war beispielsweise in Pennsylvania 1990 der Fall. Dies zeigt, daß die Interessengruppe der Manager offensichtlich nicht so dominant ist, wie man vermuten könnte und daß Regulierungswettbewerb ein Instrument ist, um den Gesetzgeber zumindest mittel- bis langfristig an den Willen der Regulierungsnachfrager zu binden. Schließlich ist einer der Vorteile des Wettbewerbs, auch aus der Perspektive der Public Choice, daß er Vielfalt voraussetzt und erzeugt und damit in der Lage ist, unterschiedliche Regulierungspräferenzen zu befriedigen. Dieser Aspekt kommt besonders anschaulich in einer Publikation einer Law Firm heraus, die ihren Mandanten eine Entscheidungshilfe zwischen der Wahl des Gesellschaftsrechts aus Delaware und desjenigen aus Georgia geben will?!2 "One question of great importance to public companies as to whether to select Delaware as the state of incorporation is the scope of anti-takeover defenses available for Delaware corporations to hostile takeovers. The great debate about the business justification for anti-takeover defenses generally is the argument that it permits the incumbent board the power to extract a greater premium from the ho stile tender. If one is of this opinion, then the ability to resist ho stile takeovers in a public setting is a desirable result. Although Delaware is not unfavorable to the incumbent board, the dear obligation of the Board to maximize shareholder value imposed by Delaware law, and the trilogy of the Unocal, Time-Warner and Revlon decisions impose a heavy burden on the incumbent Board seeking to resist the hostile tender or an ensuing auction of the company. So if implementation of the strongest possible anti-takeover defenses is a paramount concern, it seems reasonably dear that Georgia is the superior jurisdiction ... In summary, if a primary consideration in the choice of state of incorporation is the ability to strengthen the hand of incumbent management to defend against a hostile takeover (and arguably, negotiate a higher premium on sale), it seems reasonably dear that Georgia is at a substantial advantage over Delaware."

Ein anderes Beispiel, in dem man aus Sicht des Interessengruppenansatzes vermuten kann, daß der Mangel an Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht eher schadet als nutzt, ist die Europäische Union. In der Europäischen Union ist bislang Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, wie er in den Vereinigten Staaten durch die Gründungstheorie garantiert ist, durch die unterschiedliche Verwendung der Sitz- und Gründungstheorie der Mitgliedstaaten nicht möglich. Die Ausschaltung von Wettbewerb geht aber auf Ebene des Unternehmensrechts noch tiefer, denn es gab und gibt nur Romano, The State Competition ... , S. 731. Beaudrot, Georgia vs. Delaware - Choice of State of Incorporation, Informationsmaterial der Law Firm Morris, Manning & Martin, L.L.P., 1600 Atlanta Financial Center, 3343 Peachtree Road, N.E., Atlanta, Georgia 30326. 211

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III. Politäkonomische Erklärungsansätze

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unzureichende oder hoch interventionistische nationalstaatliche Regulierungen zur grenzüberschreitenden Übernahme von Unternehmen,z13 Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten steht es europäischen Unternehmen nicht nur nicht frei, zwischen Gesellschaftsrechten zu wählen, sondern die Kapitalverkehrsfreiheit, die ein wichtiges Element des Standortwettbewerbs ist, wird ebenfalls behindert. So gab es in Frankreich bis 1966 kein Gesetz zur Regelung von grenzüberschreitenden Übernahmen, was eine Übernahme gänzlich von der Willkür der Staatsbürokratie abhängig machte, oder in den Niederlanden war bis 1977 die Zustimmung der Nationalbank bei internationalen Übernahmen nötig. In den anderen europäischen Ländern existieren zum Teil bis heute Beschränkungen transnationaler Übernahmen. Und auch in Deutschland ist ein Gesetz für grenzüberschreitende Übernahmen bislang nicht vorhanden,z14 Die Nutznießer dieser "Nichtregulierung,,215 beziehungsweise hoch interventionistischen nationalstaatlichen Regulierungen sind zweifellos die Manager europäischer Gesellschaften, die dadurch in den achtziger Jahren einer im Vergleich zu den Vereinigten Staaten sehr viel moderateren Übernahmewelle ausgesetzt waren. 216 Der Mangel an adäquaten Metaregeln zur Ingangsetzung von gesellschaftsrechtlichem Wettbewerb in Europa hat zur Folge, daß die einzelnen Staaten besonders anfällig für die Implementation von gesellschafts rechtlichen Regulierungen sind, die einzelnen Interessengruppen dienen. Neben den Interessen von Managern sind dies meist Gewerkschaftsinteressen, Interessen von Mehrheitsgesellschaftern oder die Interessen von Gläubigem, die von Banken oder einflußreichen Familien vertreten werden. Das Fehlen geeigneter Metaregeln birgt zudem die Gefahr in sich, daß im Zuge der europäischen Integrationsbemühungen die Gesetzgebung der 213 Carney, The Political Economy ... , S. 318 ff.; Blackburn, The Unification of Corporate Laws: The United States, the European Community and the Race to Laxity, in: George Mason Independant Law Review. Vol. 3, 1994, S. 1 ff. 214 Zu den Schwierigkeiten, die die Nichtexistenz eines transnationalen Übernahmegesetzes deutschen Unternehmen bereitet, siehe Baums, Corporate Contracting around Defective Regulations: The Daimler-Chrysler Case, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 115, 1999, S. 119 ff. Mit .. Übernahme" sind hier ..legal merger" gemeint, das heißt die Verschmelzung von zwei juristischen Personen zu einer. Davon zu unterscheiden sind .. share merger", in denen eine juristische Person über den Anteilserwerb Kontrolle erlangt. Zur einheitlichen unternehmerischen Steuerung der "share merger" wird in der Regel eine Holding gegründet. Die Fusionskontrolle der Europäischen Kommission macht zwischen bei den Formen der Fusion keinen Unterschied (Stith, Federalism ... , S. 1607 ff.). 215 Allerdings sei darauf hingewiesen, daß in dem Vorschlag zu einer 13. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie von 1990, die nicht umgesetzt wurde, sich Vorschläge zu einer Harmonisierung des Übernahmerechts in der Europäischen Union befanden. 216 Carney, The Political Economy ... , S. 326. 13 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Europäischen Union von Mitgliedstaaten als Hebel benutzt wird, um die national gewährten Privilegien für Interessengruppen europaweit zu konservieren. Es handelt sich dann bei den europäischen Regulierungen weniger um Regulierungen, die aufgrund eines tatsächlichen Marktversagens harmonisiert werden sollten, sondern um eine politische Kartellierung des Gesellschaftsrechts zur Aufrechterhaltung von Sonderprivilegien. 217 Dies zeigt erneut, daß die Abwesenheit einer Wettbewerbsordnung für den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb in der Europäischen Union die politische Ebene der Europäischen Union besonders anfällig für die Durchsetzung von Interessengruppenzielen macht. Man kann daher den Schluß ziehen, daß es gute Gründe für die Annahme gibt, daß eine Harmonisierung des Gesellschaftsrechts den Einfluß von Interessengruppen eher verstärkt als dies bei Regulierungswettbewerb der Fall wäre.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster 1. Gibt es eine Konvergenz im Gesellschaftsrecht?

Wir haben gesehen, daß in den Vereinigten Staaten ein Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht vom Regulierungswettbewerbstyp IV herrscht, in der Europäischen Union im großen und ganzen ein Regulierungswettbewerbstyp III existiert und weltweit ein Regulierungswettbewerbstyp 11 vorherrscht, der Elemente des Typs III aufweist. Damit gibt es weltweit sicherlich kein ideales Regime für den Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten. Weltweit und insbesondere in der Europäischen Union ist jedoch durchaus ein Wettbewerb auf Gütermärkten und ein Standortwettbewerb der Jurisdiktionen vorhanden, der Druck auf nationale Institutionen ausübt und damit auch Druck auf die Gesellschaftsrechte. Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob nicht weltweit Tendenzen zu einer Konvergenz des Gesellschaftsrechts beobachtet werden können müßten?18 Diese Frage stellt sich vor allem für die Staaten der Europäischen Union, die eine hohe wirtschaftliche und politische Verflechtung aufweisen. Dabei ist nicht gemeint, daß fundamentale Änderungen innerhalb eines kurzen Zeitraumes in den Gesellschaftsrechten auf ein einheitliches Gesellschaftsrecht zu beobachten sein müssen, dagegen spricht schon die Existenz der Sitztheorie als KolliCamey, The Political Economy ... , S. 311. Dieser Auffassung sind beispielsweise Hansmann und Kraakman, die den weltweiten Siegeszug des anglo-amerikanischen "shareholder value" orientierten Gesellschaftsrechts unmittelbar bevorstehen sehen (Hansmann/Kraakman, The End of History for Corporate Law, in: Georgetown Law Journal, Vol. 89, 2001, S. 439 ff.). 217

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IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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sionsrecht in vielen Staaten und die Existenz unterschiedlicher Regulierungspräferenzen. Gemeint ist die Tendenz, daß Wettbewerb systematisch dazu führen müßte, daß sich überlegene gesellschaftsrechtliche Regulierungen durchsetzen und von Jurisdiktionen überdurchschnittlich häufig adoptiert werden. Konkret stellt sich also die Frage, ob und in welchem Umfang der weltweite interjurisdiktionelle Wettbewerb im Gesellschaftsrecht seine Selektionsfunktion ausübt. Nochmals: es ist klar, daß das Fehlen geeigneter Metaregeln die Selektionsfunktion des Wettbewerbs einschränkt und daß unterschiedliche Präferenzen in Jurisdiktionen persistente Regulierungsunterschiede konservieren mögen. Die Frage ist aber, ob es Tatbestände im Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten gibt, die endogen die Selektionsfunktion des Regulierungswettbewerbs beeinträchtigen können. Diese "Konvergenzfrage" leitet zur Frage nach der Existenz von Pfadabhängigkeiten im Gesellschaftsrecht über. Ob es durch interjurisdiktionellen Wettbewerb zu einer Konvergenz auf das "beste Gesellschaftsrecht" kommt, läßt sich schwer allgemein beantworten und wird deshalb im nächsten Kapitel noch genauer untersucht werden müssen. Ein oberflächlicher Blick auf das Gesellschaftsrecht der Wirtschaftszentren Vereinigte Staaten, Japan und Europa zeigt aber ein uneinheitliches Bild. Während in den Vereinigten Staaten davon gesprochen werden kann, daß das Gesellschaftsrecht auf ein mehr oder weniger einheitliches Gesellschaftsrecht konvergiert, in dem Delaware eine dominante Rolle spielt, ist innerhalb Europas keine bedeutende Konvergenz der Gesellschaftsrechte erkennbar und zwischen Japan, Europa und den Vereinigten Staaten scheint gar keine signifikante Konvergenz beobachtbar zu sein. Jedoch wird bei einer solchen Betrachtung nur die formale Konvergenz sichtbar, also die Konvergenz, die sich in schriftlich fixierten Regulierungen widerspiegelt. Es gibt jedoch auch eine funktionale Ebene der Konvergenz,z19 Das heißt, Governancesysteme passen sich funktional an, ohne daß dies in den formalen Institutionen sichtbar werden müßte. Der Grund für diese Form der Anpassung ist, daß sie meist transaktionskostengünstiger ist als die Erwirkung einer formalen Rechtsänderung. "Functional convergence is likely the first response to competitive pressure because changing the form of existing institutions is costly. New institutions require new investment, and existing institutions will have developed related interest groups that render more difficult any necessary political action. ,.220 Ein Beispiel wird 219 Gilson, The Globalization of Corporate Govemance: Convergence of Form or Function, in: Columbia Law School, Center for Law and Economic Studies, Working Paper No. 174, 2000, New York. Zu den "pitfalls" der vergleichenden Governance-Analyse siehe Roe, Comparative Corporate Govemance, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Econornics and the Law, Vol. 1, 1998, London, S. 339 ff. 220 Gilson, The Globalization ... , S. 13.

13"

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

die Wirkung des Regulierungswettbewerbs auf die funktionale Konvergenz noch deutlicher werden lassen. 221 Jedes Governancesystem muß mit dem Problem umgehen, leistungsschwache Manager zu entdecken und ersetzen zu können. Unternehmen, die diese Möglichkeit nicht besitzen, haben auf sich immer stärker globalisierenden Produktmärkten erhebliche Schwierigkeiten, ihre Existenz ohne staatlicher Hilfe (zum Beispiel Zölle oder nichttariffäre Handelshemnisse) zu sichern. Japan, Deutschland und die Vereinigten Staaten haben Kontrollsysteme für das Management, die formal-rechtlich völlig unterschiedlich sind. In der Kontrolleistung sind die drei Länder jedoch gleich effektiv. In den Vereinigten Staaten wird die Leistung eines Managers an den vierteljährlichen Unternehmensergebnissen und am Börsenkurs des Unternehmens gemessen, in Japan ist es die Hauptbank in den Firmenkonglomeraten, die die Leistung der Manager beobachtet, und in Deutschland sind es die Hausbanken, die über den Aufsichtsrat und die Bilanzierung das Management kontrollieren. Die Gleichwertigkeit der drei Kontrollinstrumente konnte daran erkannt werden, daß bei Annahme der ungefähr selben Kompetenz von Top-Managern in allen drei Ländern die im Durchschnitt gleiche Entlassungsrate von Top-Managern in Abhängigkeit ihrer erbrachten Leistung festgestellt werden konnte. Unfähige Manager wurden also in allen drei Systemen mit der fast gleichen Häufigkeit entdeckt und entlassen?22 Diesen empirischen Tatbestand greift auch Gerum auf, der von einer "Konvergenz trotz Varianz" von Governance-Sytemen im internationalen Vergleich spricht. 223 Fast noch deutlicher als bei Gilson wird bei ihm die Möglichkeit funktionaler Äquivalente in der Führungsorganisation hervorgehoben. Die funktionale Anpassung von Governancesystemen durch Wettbewerbsdruck hat natürlich ihre Grenzen. 224 Die Möglichkeit der funktionalen Anpassung sollte jedoch als eine Möglichkeit der wettbewerblichen Anpassung im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb nicht außer Acht gelassen werden, wenn es um die Frage geht, ob Gesellschaftsrechte im interjurisdiktionellen Wettbewerb konvergieren. Gilson, The Globalization ... , S. 12 ff. Zu den empirischen Untersuchungen siehe Kaplan, Top Executive Rewards and Firm Performance: A Comparison of Japan and the U.S., in: Journal of Political Economy, Vol. 102, 1994, S. 510 ff.; derselbe, Top Executive, Turnover and Firm Performance in Germany, in: Journal of Law, Economics and Organization, Vol. 10, 1994, S. 142 ff.; sowie Kang/Shivdasani, Firm Performance, Corporate Governance, and Top Executi\"e Turnover in Japan, in: Journal of Financial Economics, Vol. 38, 1995, S. 29 ff. 2", Gerum, Organisatton der Unternehmensführung ... , S. 147 ff. 2?4 Siehe Gilson, The G1obalization ... , S. 16 ff. mit dem Beispiel des VentureKapital Marktes. 221

222

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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2. Die Bedeutung von institutionellen Pfadabhängigkeiten Pfadabhängigkeiten sind ein Erklärungsmuster, um zu verstehen, warum Technologien und Institutionen über einen längeren Zeitraum stabil bleiben können, obwohl sie vom Standpunkt eines objektiven Betrachters aus als vergleichsweise ineffizient erscheinen und längst angepaßt oder ausgetauscht hätten werden müssen. Dies ist natürlich keine exakte Definition des Phänomens der Pfadabhängigkeit,225 beschreibt aber das Problem, das hier in bezug auf den Regulierungswettbewerb untersucht werden soll, recht gut. Was sind mögliche Gründe dafür, daß Standort- und Regulierungswettbewerb nicht zu den Anpassungen in den nationalen Gesellschaftsrechten führen, die man eigentlich erwarten müßte, wenn Wettbewerbsdruck vorhanden ist?226 Warum gibt es in Frankreich noch den Generaldirektor in Gesellschaften, der praktisch unkontrolliert seine Macht ausüben kann, warum hält sich in Deutschland die Unternehmensmitbestimmung oder warum ist das Gesellschaftsrecht Delawares seit achtzig Jahren Marktführer auf dem US-amerikanischen Markt für Gesellschaftsrechte? 225 Mit Pfadabhängigkeiten als theoretischem Konzept beschäftigen sich beispielsweise: Arthur, Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-In by Historical Events. in: Economic Journal, Vol. 99, 1989, S. 116 ff.; David, Clio and the Economics of QWERTY. In: American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 75, 1985, S. 332 ff.; derselbe, Why are Institutions the "Carriers of History"?: Path Dependence and the Evolution of Conventions, Organizations and Institutions, in: Structural Change and Economic Dynamics, Vol. 5, 1994, S. 205 ff.; North, Institutions, Institutional Change and Economic Performance, 1990, Cambridge; Olson, The Rise and Decline of Nations, 1982, New Haven; LiebowitziMargolis, The Fable of The Keys, in: Journal of Law and Economics, Vol. 33, 1990, S. 1 ff.; sowie mit weiteren Nachweisen Ackermann, Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform, 2001, Tübingen. Einen ausgezeichneten dogmenhistorischen Überblick über das Konzept der Pfadabhängigkeit gibt Arrow, Increasing Returns: Historiographie Issues and Path Dependence, in: The European Journal of the History of Economic Thought, Vol. 7, 2000, S. 171 ff. Eine kritische Aufbereitung der Diskussion um Pfadabhängigkeiten gibt Lewin, The Market Process and the Economics of QWERTY: Two Views, in: The Review of Austrian Economics, Vol. 14, 2001, S. 65 ff. Und einen Ausblick auf die Konsequenzen für die Theorie der Wirtschaftspolitik durch das Konzept der Pfadabhängigkeit gibt Eggertson, The Old Theory of Economic Policy and the New Institutionalism, in: World Development, Vol. 25, 1997, S. 1187 ff. 226 Bebchuk und Roe stellen die Frage folgendermaßen: "In any event, it does not matter for our purposes whether the overall variance among countries in ownership structures has been recently narrowing somewhat, remaining the same, or increasing - a question which the data is insufficient to resolve. What is clear is that, notwithstanding the forces of globalization and efficiency, some key differences in corporate structures among countries have persisted. This observation raises important questions for researchers: Why have such differences persisted? And will they persist in the future?" (BebchukIRoe, A Theory of Path Dependence in Corporate Ownership and Governance, in: Stanford Law Review, Vol. 52, 1999, S. 137).

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Die Beschäftigung mit dem Problem der Pfadabhängigkeit im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte hat zwei Dimensionen. Zum einen gibt es eine positive Dimension, das heißt, das Konzept der Pfadabhängigkeit trägt zu einem besseren Verständnis der Evolution des Gesellschaftsrechts in den einzelnen lurisdiktionen bei. Zum anderen ist mit dem Konzept eine normative Dimension verbunden. Wenn nämlich Pfadabhängigkeiten die Funktionsfähigkeit des Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht behindern, ist zu fragen, welche institutionellen Gestaltungen in der Wettbewerbsordnung für den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb möglicherweise geeignet sind, diese Ineffizienzen zu beseitigen. Nach einer kurzen Einleitung in die Problemstellung aus rechtswissenschaftlicher Sicht wird das Problem der Pfadabhängigkeit im Gesellschaftsrecht entlang der Konzeption "rechtlicher Paradigmen" entwickelt. 227 Dazu wird in einem ersten Schritt die Konzeption des "technologischen Paradigmas" dargestellt, die ein bekanntes Konzept innerhalb der Innovationsökonomik ist, um Pfadabhängigkeiten zu analysieren. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden dann zur Entwicklung der Idee rechtlicher Paradigmen benutzt. Das Konzept rechtlicher Paradigmen stellt gewissermaßen einen Raster dar, um die vielfältigen Aspekte von Pfadabhängigkeiten im Gesellschaftsrecht verbunden abarbeiten zu können?28

3. O. W. Holmes zur Bedeutung der historischen Zeit in der Rechtsentwicklung Für die weiteren Überlegungen ist ein Beitrag von 1899 von O.W. Holmes 229 zum Prozeß der Rechtsentwicklung von besonderer Bedeutung. Holmes entwickelt in diesem Beitrag Gedanken, die schon einiges der Idee rechtlicher Paradigmen vorwegnehmen und deshalb - nicht nur als Überleitung - Beachtung verdienen. In "Law in Science and Science in Law" ver227 Erste allgemeine Überlegungen zur Konzeption rechtlicher Paradigmen finden sich bei Eckardt, Technischer Wandel ... , S. 197 ff.; sowie Schreiter, Wettbewerb und Evolution von ürganisationsstrukturen, 1994, Göttingen. 228 Die folgenden Ausführungen beruhen zum Teil auf den Arbeiten von Kerber/ Heine, Institutional Evolution, Regulatory Competition and Path Dependency, in: Pelikan/Wegner (Hrsg.), Evolutionary Thinking on Economic Policy, 2003, Cheltenham; HeineiKerber, European Corporate Laws, Regulatory Competition and Path Dependence, in: European Journal of Law and Economics, Vol. 13, 2002, S. 47 ff.; sowie HeineiStieglitz, Zur Konvergenz ... Dort finden sich auch Vertiefungen zu einzelnen der hier angesprochenen Aspekte. 229 Holmes, Law in Science and Science in Law, in: Harvard Law Review, Vol. 12, 1899, S. 443 ff. Oliver WendelI Holmes (1841-1935) ist einer der einflußreichsten Rechtsgelehrten der Vereinigten Staaten gewesen. Von 1902 bis 1932 war er Richter am Supreme Court der Vereinigten Staaten.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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tritt Holmes die Auffassung, daß Recht einer graduellen Entwicklung unterliege. Das heutige Verständnis des Vertragsrechts habe sich beispielsweise nicht durch einen initialen rechtstheoretischen Diskurs gebildet, sondern die heutige Vorstellung habe sich erst allmählich als theoretisches Paradigma ("generalization") zwischen "competing ideas" herausgebildet. 23o Der Wettbewerb zwischen verschiedenen rechtlichen Lösungshypothesen wird von ihm in Anlehnung an Darwin und Spencer als Variations-Selektions-Prozeß modelliert, aus dem nach anfänglicher Vielfalt eine rechtliche Betrachtungsweise hervorgeht, die sich in der Folgezeit immer weiter verfestigt und ausgebaut wird. Dabei ist nicht ausgeschlossen, daß ein Paradigma mit der Zeit an Einfluß verliert, und anfangs unterlegene Lösungshypothesen wieder an Einfluß gewinnen und sich schließlich ein neues Paradigma durchsetzt. 231 Interessanterweise geht Holmes auch auf Mechanismen ein, die ein Paradigma stabilisieren. Ein wichtiger solcher Faktor ist, daß ein Paradigma den mit der Anwendung von Recht beschäftigten Personen eine gemeinsame Problemsicht gibt und ihnen routinisiertes Verhalten erlaubt, was bei diesen Personen zu einer erheblichen kognitiven Entlastung führt und eine gleichzeitige Erwartungsstabilisierung in Transaktionen zur Folge hat, da die Routinen von den Personen in einem Rechtsraum geteilt werden?32 Die gemeinsame Problemsicht und die gemeinsame Verwendung von Routinen können Pfadabhängigkeiten auslösen, die ein rechtliches Paradigma auf einem Entwicklungspfad stabilisieren. "But I have no doubt that the generalizing principle will prevail, as generalization so often prevails, even in advance of evidence, because of the ease of mind and comfort which it brings. ,,233 Auch wenn an dieser Stelle Holmes Überlegungen zur Evolution von Recht nicht ausführlicher diskutiert werden können,234 geben die Überlegungen von Holmes bereits erste Anhaltspunkte zu den pfadabhängigen Entwicklungsprozessen im Gesellschaftsrecht. Erstens, die Entwicklung des Gesellschaftsrechts erfolgt nicht ungerichtet, sondern nach vorgezeichneten Mustern, die man als paradigmatisch bezeichnen könnte. Zweitens, der Holmes, Law in Science ... , S. 448 ff. Holmes, Law in Science ... , S. 449 ff. 232 Holmes, Law in Science ... , S. 451; derselbe, The Path of the Law, in: Harvard Law Review, Vol. 10, 1897, S. 468. 233 Holmes, Law in Science ... , S. 45l. 234 Siehe hierzu Elliot, Holmes and Evolution ... ; Gillette, Lock-in Effects in Law and Norms, in: Boston University Law Review, Vol. 78, 1998, S. 813 ff.; sowie Alschuler, Dunwody Distinguished Lecture in Law: The Descending Trail: Holmes' Path of the Law One Hundred Years Later, in: Florida Law Review, Vol. 49, 2000, S. 353 ff. 230

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Wettbewerb zwischen gesellschaftsrechtlichen Regimen muß keineswegs zur Selektion des effizientesten Regimes führen, die Durchsetzung eines gesellschaftsrechtlichen Standards wird vielmehr von den Pfadabhängigkeiten bestimmt, die ein Paradigma auszulösen in der Lage ist. Sollten sich für Holmes Ansatz weitere Begründungen finden lassen, hat dies nicht unerhebliche Konsequenzen für die ökonomische Analyse des Gesellschaftsrechts und der Ableitung einer Wettbewerbsordnung für den Regulierungswettbewerb in diesem Bereich. Der Fokus der Analyse ist dann nämlich zu erweitern. Neben die Herausarbeitung möglicher Optimalitätsbedingungen von hypothetischen Vertragsnetzwerken ("atomistic corporate contracting,,)235 und dem daraus abgeleiteten Ordnungsrahmen muß vermehrt die positive Analyse der Evolution von Regeln und Standards treten, um eine rationale Rechtspolitik betreiben zu können. 236

4. Das Konzept des technologischen Paradigmas a) Grundlagen

Das Konzept des technologischen Paradigmas stammt aus der evolutorischen Innovationsforschung und dient dazu, die Technologieentwicklung von Industrien zu erklären und - soweit möglich - zu prognostizieren. 237 Als Analyseebenen kann dabei zum einen der Innovationswettbewerb von Unternehmen zur Etablierung eines Paradigmas identifiziert werden und zum anderen der Wettbewerb zwischen Unternehmen innerhalb eines Paradigmas. Beispielsweise gab es zu Beginn des Jahrhunderts bei der Entwicklung des Automobils verschiedene konkurrierende Paradigmen für den Antrieb: Elektromotor, Dampfkraft und Benzinverbrennungsmotor. Nachdem 235 KahanlKlausner, Standardization and Innovation in Corporate Contracting (or "The Economics of Boilerplate"), in: Virginia Law Review, Vol. 83, 1997, S. 716. 236 LemleylMcGowan, Legal Implications of Network Economic Effects, in: California Law Review, Vol. 86, 1998, S. 567; Klausner, Corporations, Corporate Law, and Networks of Contracts, in: Virginia Law Review, Vol. 81, 1995, S. 757 ff.; siehe hierzu grundsätzlich auch Schanze, Die Entwicklung von Institutionen, in: Korff, W. (Hrsg.), Handbuch der Wirtschaftsethik, Bd. 2, 1999, Gütersloh, S. 95. 237 ELßer, Innovationswettbewerb, 1993, Frankfurt, S. 111 ff.; Dosi, Sources ... ; Sahal, Technological Guide-Posts and Innovation Avenues, in: Research Policy, Vol. 14, 1985, S. 61 ff. Russe! gibt einen kritischen Überblick zum Konzept technologischer Paradigmen anhand des Beispiels der Biotechnologie. Er kommt zu der Schlußfolgerung, daß das Konzept an Schärfe gewinnt, wenn es aus dem rein technologischen Kontext gelöst wird und zusätzlich institutionelle Tatbestände, wie staatliche Regulierungen von Industrien, stärker mit in die Betrachtung einbezogen werden (Russe!, Biotechnology as a Technological Paradigm in the Global Knowledge Structure, in: Technology Analysis and Strategie Management, Vol. 11, 1999, S. 235.).

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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sich der Verbrennungsmotor durchgesetzt hatte, erfolgte der Innovationswettbewerb im wesentlichen nur noch im Rahmen dieses Antriebskonzepts, wie Viertaktmotor, Kompressor, Wasserkühlung oder Turbolader. Das Konzept versucht, Erkenntnisse des Wissenschaftstheoretikers Kuhn für die Analyse von Innovationsprozessen nutzbar zu machen?38 Kuhn geht davon aus, daß der wissenschaftliche Fortschritt von wissenschaftlichen Paradigmen bestimmt werde. Unter wissenschaftlichen Paradigmen sind grundsätzliche wissenschaftliche Leistungen zu verstehen, die " ... für (die) konkrete wissenschaftliche Praxis - Beispiele, die Gesetz, Theorie, Anwendung und Hilfsmittel einschließen - Vorbilder abgeben, aus denen bestimmte fest gefügte Traditionen wissenschaftlicher Forschung erwachsen.,,239 Paradigmen bestimmen für eine bestimmte Zeit Richtung und Intensität des wissenschaftlichen Fortschritts. Die Forschung innerhalb eines Paradigmas wird als "Normalwissenschaft" bezeichnet. Zu einem Paradigmenwechsel kommt es, wenn das herrschende Paradigma selbst bei großen Anstrengungen keine Problemlösungen mehr für neu auftretende Probleme liefert. Das geozentrische Weltbild konnte beispielsweise keine befriedigenden Antworten mehr auf die Entdeckung Galileis geben, daß sich die Planeten Venus und Jupiter um die Sonne bewegen, und eine exakte Berechnung der Planetenbahnen nur möglich ist, wenn ebenfalls angenommen wird, daß sich die Erde um die Sonne bewegt. Die Normalwissenschaft gerät durch solche empirischen Beobachtungen in eine Krise, in der die herrschenden Regeln des Paradigmas zunehmend angezweifelt werden. Schließlich kommt es zu einer wissenschaftlichen Revolution und zur Etablierung eines neuen Paradigmas. Während die Normalwissenschaft kumulative Wissensfortschritte innerhalb eines Paradigmas erlaubt, führt ein Paradigmenwechsel zu einer radikalen Neuinterpretation der empirischen Ergebnisse und zu einer Entwertung des bisherigen Wissens. Dosi überträgt die Erkenntnisse Kuhns auf die technologische Entwicklung folgendermaßen: ,,(A)s modem philosophy of science suggests the existence of scientific paradigms ... , so there are technological paradigms. Both scientific and technological 238 Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 5. Aufl., 1981, Frankfurt. Eine umfassende Anlyse des Zusammenhangs zwischen Kuhns Idee wissenschaftlicher Paradigmen, Wettbewerb und Pfadabhängigkeit von Organisationsstrukturen geben StennanlWittenberg, Path Dependence, Competition, and Succession in the Dynamics of Scientific Revolution, in: Organization Science, Vol. 10, 1999, S. 322 ff. Auf sehr grundsätzliche Art und Weise setzt sich auch Schlicht mit der Frage von Evolution und Pfadabhängigkeit sozialer Strukturen auseinander (Schlicht, On Custom in the Economy, 1998, Oxford). 239 Kuhn, Die Struktur ... , S. 25.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

paradigms embody an outlook, a definition of the relevant problems, a pattern of enquiry. A ,technological paradigm' defines contextually the scientific principles utilized for the task, the material technology to be used. In other words, a technological paradigm can be defined as a ,pattern' of solution of selected technoeconomic problems ... A technological paradigm is both an exemplar - an artifact that is to be developed and improved ... - and a set of heuristics (e. g., Where do we go from here? Where should we search? What sort of knowledge should we draw on?).,,240

Ein technologisches Paradigma selektiert somit sowohl den Bereich, in dem eine Industrie innovativ tätig wird, als auch die Herangehensweise, mit der nach Innovationen gesucht wird. Damit wird auch die Richtung und Intensität des technischen Fortschritts in einem Korridor vorgegeben, den man als Basisdesign bezeichnen kann?41 Die Fortentwicklung des Basisdesigns kann anhand der Veränderung der wichtigsten technoökonomischen Charakteristika beobachtet werden. Aus diesen Beobachtungen kann dann der technologische Entwicklungspfad des Basisdesigns (technologische Trajektorie) abgeleitet werden. Solche technoökonomischen Charakteristika sind produktspezifische Merkmale, die für den Erfolg des Produktes kritisch sind. Im Flugzeugbau sind dies unter anderem Reichweite, Geschwindigkeit, Transportkapazität oder Treibstoffverbrauch. Unterhalb des Basisdesigns gibt es noch sogenannte Designkonfigurationen. Sie stellen innovative Teillösungen im Rahmen der Verbesserung des Basisdesigns dar, die sich im Zeitablauf ablösen. Dabei ist zu beobachten, daß sich Verbesserungen häufig entlang von Trade-Offs ergeben. Ein neues Triebwerk kann die Geschwindigkeit eines Flugzeugs erheblich steigern, aber gleichzeitig den Treibstoffverbrauch derart erhöhen, daß häufigere Zwischenlandungen nötig werden. Die Reisezeit läßt sich durch das neue Triebwerk also nur verkürzen, wenn der Trade-Off zum Treibstoffverbrauch gelöst wird, indem vielleicht durch eine weitere Designkonfiguration die Aerodynamik verbessert wird oder ein neuer Treibstoff entwickelt wird. Grafisch werden die angestellten Überlegungen in Abbildung 5 dargestellt. Das Konzept des technologischen Paradigmas hat zweifellos einen positiven Erklärungsgehalt. Daneben besteht aber auch eine normative Problemdimension, die man als die Frage formulieren könnte, ob die Existenz technologischer Paradigmen eine effiziente Technikwahl verhindert (lock-ins). Oder mit anderen Worten, führen technologische Paradigmen zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Selektionsfunktion des Technologiewettbewerbs, von dem üblicherweise angenommen wird, daß er dafür sorgt, daß sich überlegene Technologien durchsetzen? Damit ist die Frage der Stabilität von technologischen Paradigmen angesprochen. 240 241

Dosi, Sources ... , S. 1127. Elßer, Innovationswettbewerb ... , S. 114 ff.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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Technoökonomisches Charakteristikum ,i...............

Zeit Quelle: Modifiziert nach Georghiou, L. u. a., Post-Innovation Performance: Technological Development and Competition, London, 1986, S. 42.

Abildung. 5: Technologische Trajektorie

b) Stabilisierende Faktoren

In Zusammenhang mit dem "revolutionären" Wechsel von Paradigmen stellt sich die Frage nach dem zeitlichen Verlauf von Paradigmenwechseln. Genauer: Es wäre sowohl vorstellbar, daß sich Paradigmen sehr rasch ablösen als auch, daß Paradigmen, einmal etabliert, kaum mehr destabilisiert werden und für lange Zeit Geltung beanspruchen. Der zeitliche Prozeß des Paradigmenwechsels ist im Einzelfall sicherlich ein empirisch zu klärender Tatbestand. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß in aller Regel Paradigmen über längere Zeiträume stabil bleiben. Es muß demnach bestimmte Faktoren geben, die Paradigmen stabilisieren. Diese Faktoren können hinsichtlich technologischer Paradigmen in vier Gruppen eingeteilt werden: 242 (1) Versunkene Kosten, (2) Unsicherheit, (3) dynamische Skalenerträge und (4) Komplementaritäten. aa) Versunkene Kosten Bei versunkenen Kosten handelt es sich um die Kosten spezifischer Investitionen. Da spezifische Investitionen nicht mehr ohne weiteres kapitalisierbar sind, folgt daraus, daß versunkene Kosten auch keine Opportunitätskosten gegenüber alternativen wirtschaftlichen Verwendungen mehr erzeugen. 242 Siehe ausführlich EIßer, Innovationswettbewerb ... , S. 118 ff.; Schilling, Winning the Standards Race: Building Installed Base and the Availability of Complementary Goods, in: European Management Journal, Vol. 17, 1999, S. 265 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Ein Unternehmen, das spezifisch für die Produktion eines Gutes investiert hat, wird einen Markt daher erst zu einem niedrigeren Produktpreis belassen, als ein Unternehmen, das nicht spezifisch investiert hat. Bezogen auf das technologische Paradigma ergibt sich, daß technologiespezifische Investitionen ein Paradigma stabilisieren, da ein Paradigmenwechsel vor der Amortisation der Investitionen die getätigten Investitionen entwerten würde. Zudem können bei einem Paradigmenwechsel erhebliche Umstellungskosten für ein Unternehmen anfallen. Umgekehrt gilt, daß ein Paradigmenwechsel um so wahrscheinlicher erscheint, je geringer die spezifischen Investitionen eines Unternehmens sind und um so weiter fortgeschritten die Amortisation der Investitionen ist. bb) Unsicherheit Innovationsentscheidungen sind meist durch hohe Unsicherheit geprägt. Gründe können in der mangelnden Verfügbarkeit von Informationen liegen oder auf die begrenzten kognitiven Ressourcen des Menschen zurückgeführt werden, alle relevanten Informationen adäquat zu verarbeiten. Eine Möglichkeit von Personen, mit dieser Problematik umzugehen, ist die Verwendung von Routinen und Urteilsheuristiken?43 An die Stelle von Einzelanalysen bei der Urteilsfindung treten Verhaltensmuster, mit denen in der Vergangenheit durchschnittlich gute Erfahrungen gemacht wurden. Ein technologisches Paradigma führt zu der vom Entscheider bevorzugten Komplexitätsreduktion, indem es vorstrukturiert, in welchen Bereichen nach Verbesserungen zu suchen ist und welches hierfür die entsprechende Herangehensweise ist. Ein technologisches Paradigma gibt somit die Lösungsstruktur bei Problemen vor, die mit Unsicherheit behaftet sind. Es wird dadurch stabilisiert, daß bei Entscheidungen immer wieder die dieselben Lösungsroutinen zur Vermeidung von Unsicherheit verwendet werden. cc) Dynamische Skalenvorteile Unter dynamische Skalenvorteile können alle Effekte gefaßt werden, bei denen der Nutzen einer Anwendung von der Anzahl der getägtigten Anwendungen oder der Anzahl der Anwender abhängt. Zu den wichtigsten Auslösern von dynamischen Skalenvorteilen zählen Lerneffekte und Netzwerkexternalitäten.

243 Heiner, The Origin of Predictab1e Behavior, in: American Economic Review, Vol. 73, 1983, S. 560; Lang/ais, Rule-following ...

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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( 1) Lerneffekte

Bei Lerneffekten können zwei Arten unterschieden werden. Der Lernkurveneffekt tritt dadurch auf, daß mit der Zunahme der Häufigkeit der ausgeübten Tätigkeit die Fertigkeit steigt und damit die Kosten je produzierter Einheit sinken. Davon unterschieden werden kann der Verbesserungseffekt. Er entsteht, wenn bei der Wiederholung von Tätigkeiten durch die steigende Erfahrung Verbesserungen in den Leistungserstellungsprozeß eingebaut werden können. Beide Effekte stabilisieren ein Paradigma, denn Lerneffekte sind technologiespezifisch. Das neue Wissen, das bei der Benutzung der Technologie gesammelt wird, ist nämlich meist nur in Zusammenhang mit der jeweiligen Technologie von Nutzen. Verbesserungen werden zudem um so häufiger auftreten, je mehr Nutzer eine Technologie hat. Ein Entscheider, der vor der Wabl steht, ein etabliertes technologisches Paradigma zu wählen oder eine neue Technologie zu adoptieren, wird sich in der Regel für das etablierte technologische Paradigma entscheiden. Der Grund hierfür ist, daß bei Wahl des etablierten technologischen Paradigmas der Nutzer von den Erfahrungen der früheren Nutzer profitiert (temporaler positiver externer Effekt) und er davon ausgehen kann, daß mögliche Probleme ("Kinderkrankheiten") des technologischen Paradigmas bereits weitgehend ausgeschaltet wurden. Bei einem neuen technologischen Paradigma ist dies nicht der Fall, selbst wenn die technischen Potentiale des neuen technologischen Paradigmas die des alten bei weitem übertreffen mögen. Durch die Entscheidung für das etablierte technologische Paradigma werden weitere kumulative Lemfortschritte gemacht, die die Entscheidung für das neue technologische Paradigma bei folgenden Entscheidungssituationen noch unattraktiver machen. (2) Netzwerkexternalitäten

Ein technologisches Paradigma wird auch durch Netzwerkextemalitäten stabilisiert, die im Zusammenhang mit seiner Nutzung entstehen. Netzwerkexternalitäten treten beispielsweise regelmäßig bei leitungs gebunden Technologien auf, wie Wasser, Strom, Gas und Telefon. Bei diesen Technologien sinken mit zunehmender Größe des Netzes die Anschlußkosten für einen weiteren Nutzer. Daneben entstehen Netzwerkexternalitäten bei Technologien, bei denen der Nutzen eines Anwenders von der gleichzeitigen Nutzung durch andere Anwender abhängt (Videokassetten, Mehrwegsysteme, Computerbetriebssysteme, Englisch oder Latein als Wissenschaftssprachen). 244

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Die Stabilisierung eines technologischen Paradigmas durch Netzwerkexternalitäten tritt immer auf, wenn durch die sukzessive Zunahme an Nutzern der Wert einer Technologie für jeden einzelnen Nutzer gesteigert werden kann (zum Beispiel VHS-Videokassette) und konkurrierende Technologien ebenfalls Netzwerkexternalitäten aufweisen (Beta-System Videokassette). Konkurrenten sind dann gezwungen, ihre Teilnehmerzahl zu steigern, um konkurrenzfähig zu werden. Newcomern fällt dies aber wegen des hohen Kapitalbedarfs und der Umstellungskosten der Nutzer außerordentlich schwer, so daß es beim lock-in im etablierten technologischen Paradigma bleibt. dd) Komplementaritäten und technologische Schnittstellen Das Problem der Komplementarität bezieht sich darauf, daß die Leistungsfähigkeit einer Technologie von der Verbundenheit mit anderen Technologien beeinflußt wird. Die Erzielung einer guten Fotografie hängt beispielsweise nicht nur von der Optik der Linsen ab, sondern auch von der Mechanik des Fotoapparats und der chemischen Zusammensetzung des Films. Es ergeben sich somit Schnittstellen zwischen Technologien, von deren "Management" die Gesamtleistung einer Anwendung abhängt. Desto verzahnter Technologien miteinander sind, um so schwieriger wird es, eine einzelne Technologie aus der technologischen Gesamtleistung herauszulösen. Die Gesamtleistung kann in einem solchen Fall nur durch die Koevolution aller beteiligten Technologien nachhaltig gesteigert werden. Anders verhält es sich, wenn einzelne Technologien modular in bezug auf die technologische Gesamtleistung sind?45 Das heißt, einzelne Technologien greifen in bestimmter Weise über vordefinierte Schnittstellen ineinander. Solange die Schnittstelle nicht verändert wird, kann das Modul autonom fortentwickelt werden. Die Modularisierung erlaubt dem Produzenten eines Moduls, sich auf die Entwicklung einer Teilleistung zu spezialisieren und das Modul nicht nur in bezug auf ein Leistungspaket zu produzieren, sondern auf eine ganze Reihe von Gesamtleistungen, in denen das Modul eingesetzt werden kann. Der Nachfrager hat umgekehrt die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Anbietern von Modulen zu wählen. Die Folge ist, daß der Markt für Module breiter ist, und durch das Auftreten dynamischer Skalenvorteile Vorteile gegenüber einer nicht modularen Technologie realisiert werden können. Ein Nachteil der Modularisierung ist hingegen, daß die vorabdefinierte Schnittstelle zwischen Technologien zu einem Engpaß244 FritschlWeinlEwers, Marktversagen und Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., 1996, München, S. 187 ff.; David, Clio ... 245 Schilling, Winning the Standards Race ... , S. 269 ff.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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faktor (bottleneck) bezüglich der Leistung des Gesamtsystems werden kann, wenn die Schnittstellen verhindern, daß die volle Leistungskraft der Module ausgenutzt wird. 246 Werden im Falle von Komplementaritäten keine Schnittstellen zwischen den Teiltechnologien definiert, resultiert eine starke gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Technologien in bezug auf die Erbringung der technologischen Gesamtleistung. Da keine Teiltechnologie ohne Berücksichtigung der anderen Teiltechnologien verändert werden kann, kommt es zu einer nachhaltigen Persistenz des Gesamtsystems und damit zu einer Stabilisierung des technologischen Paradigmas. Das technologische Paradigma gewinnt seine Stabilität somit durch die Kompaktheit von aufeinander verweisenden Technologien. Diesem Nachteil der Limitationalität der technologischen Architektur steht allerdings der mögliche Vorteil gegenüber, daß die simultane Fortentwicklung von Teiltechnologien zu einer besonders guten gegenseitigen Abstimmung der einzelnen Technologien führt, mit der Folge, daß die Leistung des Gesamtsystems besonders hoch ist. Eine Möglichkeit zur Lösung des Problems der Komplementarität ist, wie wir mehrfach betont haben, die Definition von Schnittstellen, was den Einsatz von modularen Teiltechnologien ermöglicht. Die Definition von Schittstellen muß dabei aber keineswegs zur Destabilisierung oder Auflösung eines technologischen Paradigmas führen. Denn die Definition der Schnittstellen erhält selbst paradigmatischen Charakter. Eine Veränderung der Schnittstelle ohne gleichzeitige Anpassung der Module bedeutet nämlich häufig, daß Module ihre Anschlußfahigkeit verlieren und damit auch ihren Wert für den Nutzer. Bedenkt man zusätzlich, daß durch Schnittstellen modulare Teiltechnologien zu einer technologischen Gesamtleistung verbunden werden, die Teiltechnologien somit weitgehend autonom entwickelt werden, dann bedarf es eines hochspezifischen Wissens über die Verbindungsmöglichkeiten von Technologien durch Schnittstellen. Dieses Schnittstellenwissen weist wiederum paradigmatische Charakteristika auf, wodurch die Schnittstellen hochgradig stabilisiert werden und in dessen Folge auch die Entwicklungsmöglichkeiten der modularen Teiltechnologien begrenzt werden. Ein Paradigmenwechsel in der Gesamttechnologie kommt deshalb nur zustande, wenn auch die Schnittstellentechnologie radikal verändert wird. 247 Damit kann sich die Situation ergeben, daß durch Modularisierung der Wettbewerb innerhalb eines technologischen Paradigmas gesteigert werden kann, jedoch das technologische Paradigma insgesamt sehr stabil bleibt. 246 Schilling, Winning the Standards Race ... , S. 270; Langlois/Robertson, Networks and Innovation in a Modular System: Lessons from the Microcomputer and Stereo Component Industries, in: Research Policy, Vol. 21, 1992, S. 301 ff. 247 Andersen, Evolutionary Economics. Post-Schumpeterian Contributions, 1994, London, S. 44 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

5. GesellschaftsrechtIiche Paradigmen a) Definition

Unter einem gesellschaftsrechtlichen Paradigma kann allgemein das Bündel an Regeln verstanden werden, das die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern, die Beziehung zwischen Gesellschaftern und Unternehmensleitung sowie Gesellschaft und Dritten ordnet. Eine scharfe Trennung zwischen Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht soll dabei an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, da die Übergänge zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht zum Teil fließend sind. 248 Nach Dosi 249 gilt für ein technologisches Paradigma: "A technological paradigm is both an exemplar - an artifact that is to be developed and improved ... - and a set of heuristics (e. g., Where do we go from here? Where should we search? What sort of knowledge should we draw on?)." Diese Aussage läßt sich problemlos auf das Bündel von Regeln übertragen, das hier als Gesellschaftsrecht bezeichnet wird. Auch das Gesellschaftsrecht ist ein Artefakt, das sich entwickelt und immer wieder an neue Bedingungskonstellationen angepaßt werden muß. Daß sich hierbei Entwicklungen pfadabhängig vollziehen, wird besonders deutlich, wenn man vom einzelstaatlichen Recht auf die Ebene der Rechtskreise (Common Law, Code CiviI, Bürgerliches Gesetzbuch oder nordischer Rechtskreis) blickt. 25o Dann erkennt man, daß Rechtskreise mit ihren spezifischen Traditionen (zum Beispiel Römisches Recht oder Case Law als Rechtsmethoden) und ihrer Rechtsphilosphie bestimmte Pfade der Rechtsentwicklung vorgeben, die dann auf die Ebene der Einzelstaaten heruntergebrochen werden können. Auf dieser Ebene können Ländergruppen gebildet werden, die man jeweils einem gesellschaftsrechtlichen Paradigma zugehörig ansehen kann, beispielsweise (1) Frankreich, Belgien, Italien und Spanien, (2) Deutschland und Österreich oder (3) Großbritannien und Irland. Das Gesellschaftsrecht einiger Länder ist auch aus einer Mischung verschiedener gesellschaftsrechtlicher Paradigmen zusammengesetzt, so weist das Gesellschaftsrecht der Niederlande sowohl Bezüge zum deutschen, britischen wie zum französischen Gesellschaftsrecht auf. Ein gesellschaftsrechtliches Paradigma muß somit nicht unbedingt mit den Staatsgrenzen identisch sein, in der Regel kann man aber Jurisdiktionen einem gesellschaftsrechtlichen Paradigma zuordnen, das die Rechtsentwicklung einer Jurisdiktion beeinflußt. 248 Heiser, Can Capital Market Law Approaches be Harrnonised with Essential Principles of Company Law?, in: European Business Law Review, Vol. 11, 2000, S.60. 249 Dosi, Sources ... , S. 1127. 250 Zu einem Überblick siehe ZweigertlKötz, Einführung ...

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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Ein gesellschaftsrechtliches Paradigma strukturiert Problemlösungen für alle gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen. Konkret heißt das, daß Antworten zu folgenden Problembereichen gegeben werden: Modalitäten der Gründung und Auflösung von Gesellschaften, Organe der Gesellschaft und deren Stellung zueinander (Leitung und Kontrolle), Rechnungslegung, Kapitalbeschaffung und verbundene Unternehmen (Konzern). Diese generellen Fragen können natürlich weiter differenziert werden. Wichtig ist jedoch, daß es sich aus Sicht des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas um eine ganzheitliche Betrachtung handelt. Es können zwar partialanalytisch Designkonfigurationen betrachtet werden, der Entwicklungspfad eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas ergibt sich aber erst aus der simultanen Berücksichtigung aller relevanten gesellschaftsrechtlichen Charakteristika. b) Beispiele

Betrachtet man die Organe einer Gesellschaft, dann kann deren jeweilige Funktion und Stellung zueinander als paradigmatische Ausprägung eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas thematisiert werden. So findet man beispielsweise im Bereich der Leitung und Kontrolle von Unternehmen in Deutschland das sogenannte "Trennsystem" vor, während in den Vereinigten Staaten das sogenannte "Vereinigungssystem" Anwendung findet. 251 In den Vereinigten Staaten ist der Board of Directors die originäre Verwaltungsinstanz, er übt die Management- und Treuhänderfunktion in Personalunion aus (Vereinigungsmodell). Gleichzeitig sind ihm umfassende Informationspflichten gegenüber den Anlegern auferlegt, die im wesentlichen von der bundesstaatlichen Securities and Exchange Commission überwacht werden. 252 Das US-amerikanische Überwachungssystem hängt zudem stark von der Funktionstüchtigkeit der Kapitalmärkte ab, es wurden daher in der Vergangenheit immer wieder institutionelle Verbesserungen vorgenommen, die vor allem die Mobilität der Anleger auf den Kapitalmärkten erhöhen. Diese rechtliche Trajektorie des Anlegerschutzes beginnt mit dem Securities Exchange Act (1934), mit dem im Zuge der Großen Depression die Selbstregulierung der Kapitalmärkte zugunsten der staatlichen Regulierung auf Bundesebene aufgegeben wurde. Es folgten unter anderem der Investor 251 Zu einer Taxonomie von Governancesystemen siehe Weimer/Pape, A Taxonomy of Systems of Corporate Governance, in: Corporate Governance, Vol. 7, 1999, S. 152 ff. Einen ausgezeichneten Überblick und eine Analyse der verschiedenen Governancephilosophien in Europa gibt Berglöf, Reforming Corporate Governance ... 252 Schneider-Lennee, Das anglo-amerikanische Board-System, in: Scheffler (Hrsg.), Corporate Governance, Wiesbaden, S. 35 ff.; Gerum, Organisation der Unternehmensführung ... , S. 141. 14 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Protection Act (1970), der Insider Trading Sanctions Act (1984) und der Private Securities Litigation Act (1995), die alle den externen Kapitalmarkt stärken und damit die Kontrolle der Geschäftsleitung durch den Kapitalmarkt erhöhen sollen. 253 Darüber hinaus unterstützt das Trennbankensystem, das die Fremdfinanzierung mit gleichzeitiger Absicherung über Unternehmensbeteiligungen bis 1999 verbot, die Finanzierung über den Aktienmarkt. Entsprechend gut hat sich der gesamte Anlegerschutz in den Vereinigten Staaten seit den dreißiger Jahren ausgeprägt, während der Gläubigerschutz im Vergleich zu anderen Ländern höchstens ein mittleres Qualitätsni veau erreicht. 254 Das deutsche Governancesystem zeichnet sich durch das Trennmodell von Vorstand und Aufsichtsrat aus. Die Logik ist dabei, daß die Geschäftspolitik des Vorstands durch den Aufsichtsrat überwacht werden soll. Im Aufsichtsrat sind sowohl die Kapital- als auch via Unternehmensmitbestimmung die Arbeitnehmerinteressen vertreten. Das Aufsichtsgremium setzt sich damit interessenpluralistisch aus den Kapitalinteressen und den Interessen des Faktors Arbeit zusammen. Das deutsche Governancesystem wird darüber hinaus stark durch das Universalbankensystem geprägt, das zu einer starken personellen Verflechtung von Banken und Industrie einerseits geführt hat (Interlocking Directors) und andererseits die Unternehmensfinanzierung über Kredite beförderte. Im Gegensatz dazu fokussiert das amerikanische Modell interessenmonistisch auf den Anleger und damit ausschließlich auf den Faktor Kapital. Betrachtet man die Trajektorie, die das deutsche gesellschaftsrechtliche Paradigma ausgeformt hat, findet man ihre Ursprünge schon in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. 255 Die Tendenz zur Unternehmensverflechtung und ex ante Koordination der Unernehmenspolitik ist bereits in der deutschen Kartelltradition angelegt, ebenso zeigt sich der Interessenpluralismus schon frühzeitig in der Bildung von Arbeiterräten,256 eine Tradition, 253 Zum Inhalt und zur Entwicklung der "securities regulation" in den Vereinigten Staaten siehe beispielsweise Loss, Fundamentals of Securities Regulation, 1988, Boston. 254 La Porta u. a., Law and Finance ... ; dieselben, Investor Protection and Corporate Governance, in: Journal of Financial Econornics, Vol. 58, 2000, S. 3 ff. 255 Genaugenommen beginnt die dreiteilige Organstruktur des deutschen Aktienrechts bereits mit den Aktienrechtsreformen von 187011884, in der die Dreiteilung von Generalversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat festgelegt wurde (Steinmann/ Gerum, Unternehmensordnung, in: Bea/Dichtl/Schweitzer (Hrsg.), Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd.l Grundfragen, 1992, Stuttgart, S. 225). Allerdings gab es in dieser Konzeption noch keine systematische Beteiligung der Arbeitnehmerinteressen. 256 Nutzinger, Codetermination in West Germany: Institutions and Experiences, in: Nutzinger/Backhaus (Hrsg.), Codetermination, 1989, Berlin, S. 163 ff.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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die sich über die Montanmitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg über das Mitbestimmungsgesetz von 1976 bis heute hinzieht. Eine Folge der starken Unternehmensverflechtungen und des Universalbankensystems ist, daß die Börsenkapitalisierung beziehungsweise der externe Kapitalmarkt nach wie vor verhältnismäßig schwach ausgeprägt ist, während die Eigenfinanzierung (zum Beispiel durch stille Reserven) und der Kreditmarkt eine bedeutende Rolle spielen. Die Versuche feindlicher Übernahmen sind ebenfalls ein ausgesprochen seltenes Ereignis. So verwundert es auch nicht, daß der Anlegerschutz in Deutschland als vergleichsweise schlecht ausgeprägt gilt (Bestimmungen zum Insider-Handel gibt es erst seit kurzem und auch nur aufgrund einer entsprechenden Richtlinie der Europäischen Union), während der Gläubigerschutz als überdurchschnittlich gut eingeschätzt wird?57 Wie bereits angesprochen, ist eine Folge der paradigmatischen Entwicklung von Governancesystemen, daß bei Anpassungsnotwendigkeiten in der Governance nach Lösungsmöglichkeiten innerhalb der Struktur des herrschenden Paradigmas gesucht wird. Dies kann am deutschen GovernanceModell anhand von zwei Beispielen verdeutlicht werden: Bei Fragen der Verbesserung der Kontrollsysteme steht häufig der Aufsichtsrat im Mittelpunkt des Interesses. Der letzte Schritt in dieser "deutschen Trajektorie" ist im Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das 1998 in Kraft getreten ist, zu sehen. In diesem Gesetz geht es vor allem um die Reformierung der in Deutschland bestehenden Regelungen zum Aufsichtsrat. Daß diese Reform paradigmatisch beeinflußt ist, macht das folgende Zitat deutlich: "Mit der grundsätzlichen Beibehaltung des Aufsichtsrats als eigenständigem Überwachungsorgan in der Aktiengesellschaft ... hat der Gesetzgeber des KonTraG einen spezifisch deutschen Beitrag zur weltweiten Diskussion um Corporate Governance geleistet. Und ganz auf dieser Linie liegen noch zwei weitere Neuerungen des KonTraG: das Controlling-System, dessen Einrichtung dem Vorstand zwingend aufgegeben wird (§ 91 Abs. 2 AktG n. F.), einerseits und die Tätigkeit des Abschlußprüfers andererseits (§§ 316 ff. HGB n. F.): Sie wird in ihrer ersten Zielrichtung klar auf den Aufsichtsrat und seine Unterstützung focussiert. ,,258

257 258

La Porta u. a., Law and Finance ... HommelhofflMattheus, Corporate Governance nach dem KontraG, in: Die Ak-

tiengesellschaft, Bd. 43, 1998, S. 251. Weitere Eigenheiten des deutschen Gesellschaftsrechts, die man als paradigmatisch deuten kann, finden sich bei Kohl, Path Dependence and German Corporate Law: Some Skeptical Remarks from the Side!ine, in: Columbia Journal of European Law, Vol. 5, 1999, S. 189 ff. 14'

212

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

c) Stabilisierende Faktoren

Mit der Feststellung, daß unterschiedliche gesellschaftsrechtliche Paradigmen bestehen, und sie maßgeblichen Einfluß auf den Entwicklungsprozeß innerhalb eines Gesellschaftsrechts haben, ist noch nichts über deren Stabilität gesagt. So könnte behauptet werden, daß ein ineffizientes gesellschaftsrechtliches Paradigma bei zunehmender Schärfe des globalen Wettbewerbs rasch gegen ein anderes, überlegenes Paradigma ausgetauscht würde oder sich einzelne rechtliche Designkonfigurationen rasch veränderten. Im folgenden ist deshalb entlang der stabilisierenden Faktoren des technologischen Paradigmas noch etwas genauer nach den stabilisierenden Faktoren eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas zu fragen. Stabilisierende Faktoren können erklären helfen, warum es weltweit teilweise so verschiedene, persistente Gestaltungen des Gesellschaftsrechts gibt. Sie liefern gleichzeitig eine Einschätzung über die Funktionsfähigkeit institutioneller Wettbewerbsprozesse. Die Existenz stabilisierender Faktoren läßt vermuten, daß für bestimmte gesellschaftsrechtliche Probleme persistente parallele Problemlösungen bestehen bleiben, selbst wenn es zu einer weitgehenden Rechtswahlfreiheit im Gesellschaftsrecht kommen sollte. 259 Bei jedem der stabilisierenden Faktoren handelt es sich um einen Pfadabhängigkeit auslösenden Tatbestand. Diese Faktoren werden in den neueren Forschungen zur ökonomischen Analyse des Gesellschaftsrechts auch berücksichtigt, jedoch werden meist die Faktoren isoliert analysiert und einzeln für die beschränkte Wirkung des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht verantwortlich gemacht. 26o Die Idee des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas hat den Vorteil, die vielen Ursachen für Pfadabhängigkeiten im Gesellschaftsrecht integriert betrachten zu können. Dabei soll nicht der Versuch unternommen werden, jeden Faktor im Detail zu analysieren, sondern einen 259 Bebchuk/Roe, A Theory of Path Dependence ... ; Schmidt/Spindler, Path Dependence, Corporate Governance and Comp1ementarity - A Comment on Bebchuk and Roe, Working Paper Series: Finance & Accounting, No. 27, 1999, Universität Frankfurt. 260 Zur Pfadabhängigkeit des Gesellschaftsrechts siehe mit weiteren Nachweisen beispielsweise: Gilson, The Globalization ... ; Bebchuk/Roe, A Theory of Path Dependence ... ; Schmidt/Spindler, Path Dependence ... ; Roe, Chaos and Evolution in Law and Economics, in: Harvard Law Review, Vol. 109, 1996, S. 641 ff.; Lemley/ McGowan, Legal Implications ... ; Klausner, Corporations ... ; Kahan/Klausner, Path Dependence in Corporate Contracting: Increasing Returns, Herd Behavior and Cognitive Biases, in: Washington University Law Quarterly, Vol. 74, 1996, S. 347 ff; dieselben, Standardization and Innovation ... ; Black/Kraakman, A Se1fEnforcing Model of Corporate Law, in: Harvard Law Review, Vol. 109, 1996, S. 1974 ff.; Kohl, Path Dependence ... ; Ribstein, Efficiency, Politics and Evolution in Corporate Law, Working Paper, 1996, George Mason University Schoo1 of Law; sowie Hansmann/Kraakman, The End ...

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gesamthaften Eindruck von der pfadabhängigen Evolution des Gesellschaftsrechts zu geben, die eine weitere zu beachtende Einflußgröße im Wettbewerb der Gesellschaftsrechte darstellt, neben den hier bereits behandelten "ökonomischen" und "polit-ökonomischen" Einflußgrößen. aa) Versunkene Kosten Ein gesellschaftsrechtliches Paradigma wird stabilisiert, wenn Kosten mit der Etablierung eines neuen gesellschaftsrechtlichen Paradigmas verbunden sind, die bei Beibehaltung des alten gesellschaftsrechtlichen Paradigmas nicht anfallen. Solche versunkenen Kosten entstehen insbesondere bei dem mit der Rechtsanwendung betrauten Humankapital. Angebotsseitig treten versunkene Kosten bei der Kreierung von Gesellschaftsrecht auf, wenn Fachleute konsultiert werden, Ministerien Gesetzentwürfe erstellen und das Gesetz den politischen Prozeß durchläuft. Dabei wird nicht nur Humankapital gebunden, das für andere Aktivitäten nicht mehr zur Verfügung steht, sondern das Humankapital erwirbt dabei auch besondere Qualifikationen, die nur im Rahmen des spezifischen Paradigmas ihren Wert besitzen. Ein Ministerialbeamter, der Spezialist für das deutsche Aufsichtsratssystem ist, wird das amerikanische Board-System nicht mit der gleichen Perfektion kennen und daher ähnlich gute Verbesserungsvorschläge zum Board-System nur nach erheblichen Anstrengungen in seiner Fortbildung machen können. Bei der Lösung eines Problems im Bereich der Kontrolle der Geschäftsleitung wird er deshalb auf sein bereits gesammeltes Wissen zurückgreifen, statt eine neuartige Konstruktion vorzuschlagen, selbst wenn diese langfristig die überlegenere sein sollte. Als jüngstes Beispiel ist in diesem Sinne das KonTraG in Deutschland zu sehen. Von der Nachfrageseite aus gibt es ebenfalls Humankapital, das mit dem Problem versunkener Kosten konfrontiert ist. Dabei handelt es sich in erster Linie um Anwälte, die auf die Lösung gesellschaftsrechtlicher Probleme innerhalb eines bestimmten Gesellschaftsrechts spezialisiert sind. Eine grundlegende Änderung des Gesellschaftsrechts hätte zur Folge, daß sie Beratungsleistung nicht mehr in der bisherigen Qualität erbringen könnten oder erhebliche Kosten zur Weiterqualifikation aufwenden müßten. Die Interessengruppe der Anwälte hat daher ein großes Interesse daran, daß ein möglichst einheitliches und stabiles Gesellschaftsrecht in einer Jurisdiktion herrscht. 261

261 Klausner, Corporations ... ; KobayashilRibstein, Evolution ... ; Coffee, The Future ...

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

bb) Unsicherheit Unsicherheit stabilisiert ein gesellschaftsrechliches Paradigma dadurch, daß bei gesellschaftsrechtlichen Problemlösungen auf bewährte Routinen zurückgegriffen wird, die eine Leitbildfunktion ausüben und Komplexität reduzieren. 262 Neue Lösungsstrategien werden hingegen meist als zu komplex und mit ungewissem Ausgang betrachtet, selbst wenn die neue Lösung langfristig erhebliche Vorteile bieten würde. Ein Beispiel dafür ist die Wahl der Rechtsform als "stand-alone corporation" bei Neugründungen im Silicon Valley. Die Wahl dieser Rechtsform hat insbesondere steuerliche Nachteile, die bei der Rechtsform der "partnership" nicht auftreten würden. Hintergrund der inferioren Rechtswahl ist, daß bei der Gründung riskanter Hochtechnologie-Unternehmen das benötigte spezifische Humankapital üblicherweise mit Aktienoptionen attrahiert wird. Diese routinisierte Form der Entlohnung ("plain vanilla") auf Seiten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist aber keineswegs die einzige Lösung, die zur Entlohnung hochspezifischen Humankapitals bei riskanten Investitionen zur Verfügung steht. Es könnten äquivalente Optionspläne auch in der Rechtsform der "partnership" aufgestellt werden, allerdings müßten die Arbeitskräfte davon in einer vertrauensvollen Atmosphäre von den Unternehmensgründern erst überzeugt werden. 263 Die Herstellung einer solchen Atmosphäre und das Führen von Gesprächen mit potentiellen Mitarbeitern ist mit hohen Transaktionskosten verbunden. Daher wird in der Regel der Routine gefolgt und StandardgeseIlschaftsrecht gewählt. Es gibt noch weitere Gründe, warum bei der Rechtswahl auf Routinen zurückgegriffen wird. Ein Grund ist, daß die Verwendung eines andersartigen Gesellschaftsrechts die potentiellen Anleger verunsichert, da sie nicht mehr ohne weiteres abschätzen können, über welche rechtlichen Einflußmöglichkeiten sie in den Unternehmen verfügen. Die Verunsicherung der Anleger und Analysten hat zur Folge, daß der Firmenwert sinkt und damit die Finanzierungsspielräume für das Management eingeschränkt werden. 264 Die Geschäftsleitung hat daher ein Interesse daran, daß bei der Rechtswahl ein gängiges Gesellschaftsrecht gewählt wird. Ein weiterer Grund für die Stabilisierung des herrschenden gesellschaftsrechlichen Paradigmas sind wiederum Anwälte. Sie sind zwar Spezialisten in Fragen gesellschaftsrechtlichen Designs und könnten ihren Auftraggebern innovative Problemlösungen erarbeiten, in vielen Fällen empfehlen sie jedoch rechtliche Standardlösungen im Rahmen eines gesellschaftsrechtHeiner, The Origin ... ; Langlois, Rule-following ... Klausner, Corporations ... , S. 821. 264 Klausner, Corporations ... , S. 785; Daines, Does Delaware Law Improve Firm Value? ... 262 263

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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lichen Paradigmas. Dies liegt an der Unsicherheit, die mit Rechtsinnovationen verbunden ist. Sollte nämlich ein Unternehmen, das die Rechtsinnovation adoptiert hat, in Schwierigkeiten geraten, wird dies unter anderem dem Rechtsberater zugerechnet, der dadurch einen Reputationsverlust auf dem Markt anwaltlicher Beratungsleistungen erleidet. Empfiehlt er hingegen eine rechtliche Standardlösung, können ihm die Schwierigkeiten eines Unternehmens nicht mehr eindeutig zugerechnet werden, weil er darauf verweisen kann, daß andere Unternehmen mit der gleichen gesellschaftsrechtlichen Gestaltung gut zurechtkommen. 265 cc) Dynamische Skalenvorteile (1) Lerneffekte

Lerneffekte treten innerhalb eines gesellschaftsrechlichen Paradigmas auf, wenn Unternehmen Erfahrungen mit einem Gesellschaftsrecht machen und diese Erfahrungen an andere Unternehmen weitergeben. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise eine unscharfe gesellschaftsrechtliche Bestimmung durch Gerichtsprozesse mit der Zeit immer eindeutiger wird. Unternehmen, die nicht als erste vor der Rechtswahl stehen, können dadurch eine Entscheidung unter geringerer Unsicherheit treffen. Das gleiche gilt für Anwälte, die bei der Bearbeitung ähnlicher Fälle immer kompetenter werden. 266 Frühe Anwender einer gesellschaftsrechtlichen Regel erzeugen somit positive externe Effekte, wodurch die Kosten der Implementation einer alten gegenüber einer neuen Regel für späte Anwender sinken. Beim Lerneffekt kommt es somit nicht auf die Gleichzeitigkeit der Regelbefolgung an, sondern auf die temporale Kumulation von Erfahrungen mit einer Regel. 267 Der durch Lerneffekte erzeugte komparative Vorteil alter gegenüber neuen Regeln hat zur Folge, daß die Regeln eines etablierten Paradigmas immer weiter adoptiert werden, selbst wenn die Wahl eines neuen Paradigmas zukünftig ertragreicher wäre. Ein grafisches Beispiel soll den Lerneffekt noch etwas verdeutlichen (Abb. 6). Zum Zeitpunkt Ta stehen Unternehmen vor der Wahl, die gesellschaftsrechtliche Regel Al oder B zu wählen. Al hat zu diesem Zeitpunkt einen Wert von annähernd 50 und B von 30. Mit zunehmender Zahl an Unterneh265 Klausner, Corporations ... ; Kahan/Klausner, Path Dependence in Corporate Contracting ... Eine formale Ableitung und Verallgemeinerung dieses Ergebnisses findet sich bei Zwiebel, Corporate Conservatism and Relative Compensation, in: Journal of Political Economy, Vol. 103, 1995, S. 1 ff. 266 Klausner, Corporations ... , S. 786 ff. 267 Lemley/McGowan, Legal Implications ... , S. 669.

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

216 Wert der Regel

50

30

To

ISO Zeit I Anzahl Unternehmen

Quelle: Modifiziert nach Klausner, M., Corporations, Corporate Law, and Networks ofContracts, in: Virginia Law Review, Vol. 81,1995, S. 799.

Abbildung 6: Adoption und Wechsel von gesellschaftsrechtlichen Regulierungen

men, die eine Regel adoptieren, ändern sich diese Werte aber aufgrund von Lerneffekten, so daß ab einer Zahl von 150 Unternehmen B die überlegene Rechtswahl darstellt, weil bei B größere Lern- und Verbesserungspotentiale vorhanden sind, Auf lange Frist gesehen wäre es daher effizient, B zu wählen, Dennoch wird AI gewählt, weil die frühen Anwender vor einem Gefangenendilemma stehen. 268 Wählt nämlich ein Teil der Anwender B und ein anderer Teil AI. haben diejenigen, die B gewählt haben, wegen der geringeren anfänglichen Auszahlung einen Wettbewerbsnachteil. Damit B die gleiche Attraktivität wie AI erlangt, müßten 150 Unternehmen nacheinander die Regel annehmen und zumindest anfängliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen. Lerneffekte sind natürlich nicht nur durch einen trial-and-error Prozeß charakterisiert, in dem der anfänglich adoptierte Standard die größten Lernfortschritte macht. Lerneffekte haben immer auch eine prägende Wirkung, indem ein Lernfortschritt den nächsten präformiert. Das heißt, im Lernprozeß wird immer auch Orientierungs wissen generiert, das die Richtung für die nächsten Lernfortschritte vorgibt und kanalisiert. Dieses Orientierungswissen muß keineswegs unverzerrt oder objektiv sein. Das Gegenteil dürfte eher der Fall sein. Erklärt werden kann dieser Aspekt von Lernprozessen mit Hilfe verschiedener kognitiver Effekte?69 Zu nennen sind hier: 1. Der "Status Quo Bias", der zu einer systematischen Bevorzugung der aktuellen 268 Adams, Nonnen, Standards, Rechte, in: Juristenzeitung, Bd. 46, 1991, S. 948 ff. 269 Kahan/Klausner, Path Dependence in Corporate Contracting ...

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

217

gesellschaftsrechtlichen Lösung führt, auch wenn diese Bewertung objektiv betrachtet falsch ist. 2. Der "Anchoring Bias" beschreibt den Effekt, daß Bewertungen vor dem Hintergrund eines Referenzpunktes gemacht werden. Das heißt, neue Regeln werden an den bereits existierenden Regelungen gemessen, wobei den existierenden Regeln zum Teil ein unangemessen hohes Vertrauen attributiert wird. 3. Der "Conformity Bias" stellt schließlich auf das Phänomen ab, daß derjenigen Regel am ehesten vertraut wird, der scheinbar die Mehrheit vertraut. Eine bestimmte Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts kann also allein deshalb bevorzugt werden, weil eine Mehrzahl diese Gestaltung bevorzugt, obwohl eine genauere Analyse ergeben würde, daß für einen selbst diese Regelwahl eher Nachteile mit sich bringt. Die drei beschriebenen Effekte gehören in die Klasse der "Confirmation Biases", die zu einer kognitiven Verzerrung der Art führen, daß dem Bekannten und Vertrauten ein unverhältnismäßiges Vertrauen attributiert wird, mit der Folge, daß einmal getroffene Einschätzungen und Urteile persistent werden. 27o Durch die Berücksichtigung kognitiver Effekte im Lernprozeß wird der paradigmatische Charakter rechtlicher Lösungen für Probleme des Gesellschaftsrechts nochmals unterstrichen. In der obigen Abbildung kann man sich diese Effekte bildlich in der Weise vorstellen, daß objektiver und subjektiver Wert einer Regel auseinanderfallen. Objektiv wird der Wert der Regel in Abhängigkeit des Lernprozesses in Al abgebildet. Subjektiv wird jedoch der Wert der Regel von A2 wahrgenommen, was einen Wechsel auf die Regel B zusätzlich erschwert. (2) Netzwerkexternalitäten

Im Gegensatz zu den dynamischen Skalenvorteilen, die durch Lerneffekte ausgelöst werden, entstehen Netzwerkexternalitäten durch die gleichzeitige Nutzung einer gesellschaftsrechtlichen Regelung. 271 Der Wert einer gesellschaftsrechtlichen Regelung steigt, wenn (1) durch zukünftige Gerichtsprozesse die Regel verbessert und angepaßt wird, (2) die Regelung aufnahmefähig ist für gängige Wirtschaftspraktiken und (3) eine spezialisierte Rechtsberatung für die Regelung vorhanden ist. 272 Alle drei Gründe führen zur Stabilisierung und Pfadabhängigkeit eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas. 270 Ross/Anderson, Shortcomings in the Attribution Process: On the Origins and Maintenance of Erroneous Social Assesments, in: Kahnemann/Slovic/Tversky (Hrsg.), Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, 1982, Cambridge, S. 149 ff. 271 Klausner, Corporations ... ; Lemley/McGowan, Legal Implications ... , S. 569. 272 Klausner, Corporations ... , S. 774.

218

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

(1) Es gibt gesellschaftsrechtliche Regelungen, die unmißverständlich sind,

zum Beispiel daß ein Aufsichtsrat bei einer Aktiengesellschaft einzurichten ist. Es gibt aber auch Vorschriften, die für einzelne Fälle höchst auslegungsbedürftig sind, dies gilt insbesondere für die Treuepflichten des Managements. Je mehr Unternehmen eine solche "offene" Regelung implementieren, desto wahrscheinlicher wird es, daß Gerichtsprozesse geführt werden, in denen sich eine Auslegungspraxis herausbildet, die die Rechtssicherheit erhöht. Die gleichzeitige Adoption einer Regelung erzeugt einen positiven externen Effekt, der darin besteht, daß in Zukunft mit einer erheblichen Verbesserung der Regel gerechnet werden kann. Anders gewendet: Wenn ein Unternehmen in Zukunft in den Genuß eines permanent verbesserten Gesellschaftsrechts kommen möchte, muß es das Gesellschaftsrecht annehmen, das die Mehrheit der Unternehmen wählt. Während also der Lerneffekt auf den positiven externen Effekt des in der Vergangenheit kumulierten Wissens abstellt, entsteht die Netzwerkexternalität aus der Gleichzeitigkeit der Implementation einer Regel, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß in der Zukunft das Wissen über die Regel verbessert wird. (2) Sind gesellschafsrechtliche Regelungen offen für die Implementation von Wirtschaftspraktiken, also die rechtliche Anerkennung bestimmter weitverbreiteter Handlungsmuster, entsteht ebenfalls ein positiver externer Effekt. Auch in diesem Fall lohnt es sich für Unternehmen, die offene gesellschaftsrechtliche Regel mit den anderen Unternehmen gleichzeitig zu adoptieren, weil dann von der rechtlich anerkannten Wirtschaftspraxis mitprofitiert wird. (3) Netzwerkexternalitäten bestehen auch von Seiten der Rechtsberatung aus. Je mehr Berater sich auf ein Gesellschaftsrecht spezialisieren, desto größer ist das Potential zukünftiger Verbesserungen und die Qualität der Rechtsberatung. Die praktische Bedeutung von Netzwerkexternalitäten und Lerneffekten als dynamischen Skalenvorteilen macht der Anwalt einer Law Firm273 nochmals plastisch deutlich: "It has often been said that a clear bad rule is better than an unclear good rule because a clear bad rule pennits parties to plan their affairs with certainty and predictability, whereas an unclear good rule does not. This is often articulated as a compelling argument in favor of Delaware. Specifically, the plethora of precedent on significant issues in Delaware, distinguished from the relative lack of precedential authority in Georgia and other jurisdictions coupled with the Chancery Court system, arguably creates a much more predictable body of law within which to operate. As one of my partners remarked, ,Georgia simply has too many cases of first impression.' Stated differently and pragmatically, even if Delaware 273

Beaudrot, Georgia vs. Delaware ...

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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law is not superior, it is sometimes clearer, or at least it is easier to obtain more definitive advice on a course of conduct from sophisticated counsel with a relatively higher degree of confidence as to the ultimate outcome."

dd) Komplementaritäten Einen weiteren wichtigen stabilisierenden Faktor stellen institutionelle Komplementaritäten dar. Daß Komplementaritäten Pfadabhängigkeiten im Gesellschaftsrecht auslösen können, wird bereits von Bebchuk und Roe274 sowie Gilson275 diskutiert und von Schmidt und Spindler nochmals besonders betont. 276 Der Unterschied, der hier zu den genannten Autoren gemacht wird, liegt nicht im Detail, sondern in der konzeptionellen Verortung des Phänomens der Komplementarität als Teil des Konzepts des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas, wodurch eine explizit innovationsökonomische Perspektive eingenommen wird. Dadurch läßt sich eine Reihe von Beobachtungen, die im Zusammenhang mit dem Phänomen der Komplementarität gemacht werden können, in einen konsistenten Zusammenhang bringen. (1) Das Phänomen der Komplementarität im Gesellschaftsrecht

Komplementarität im Gesellschaftsrecht bedeutet, daß die Institution "Gesellschaftsrecht" ihren Wert nicht nur aus der Addition der in ihr vereinten gesellschaftsrechtlich relevanten Regeln bezieht, sondern auch aus der spezifischen Mischung der einzelnen Regeln und ihrer gegenseitigen Vernetzung. Anders ausgedrückt kann man sagen, daß Komplementaritäten dazu führen, daß das Regelsystem "Gesellschaftsrecht" mehr wert ist als die Summe seiner Teilregeln. Ein solches System kann man als konsistent bezeichnen. Eine instruktive Darstellung konsistenter Systeme geben Schmidt und Spindler. 277 Ein Regelsystem S bestehe aus den vier Elementen a, b, c und d. Jedes Element kann zwei Werte annehmen, die durch den Index I und 2 BebchukiRoe, A Theory of Path Dependence ... , S. 140. Gilson, The Globalization ... 276 Schmidt/Spindler, Path Dependence ... Siehe allgemein zur Bedeutung des Phänomens der Komplementarität für die Analyse von Institutionen Amable, Institutional Complementarity and Diversity of Social Systems of Innovation and Production, in: Review of International Political Economy, Vol. 7, 2000, S. 645 ff. 277 Schmidt/Spindler, Path Dependence ... , S. 9 ff. Eine andere formale Darstellung des Phänomens der Komplementarität findet sich bei MilgromiRoberts, Complementarities and Fit. Strategy, Structure, and Organizational Change in Manufacturing, in: Journal of Accounting and Economics, Vol. 19, 1995, S. 179 ff.; eine allgemeine Darstellung mit besonderem Bezug zur ökonomischen Analyse des Rechts 274 215

220

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

markiert werden. Beim paarweisen Vergleich der Elemente habe ein Element des Index I einen höheren Wert als ein Element des Index 2, so daß beispielsweise al>a2 ist. Es lassen sich nun die Systeme SI(aJ, bJ, CJ, d l ) und S2(a2, b2, C2, d2) bilden sowie die Systeme SI*(a2, bJ, CJ, d\) und S2*(a\, b2, C2, d2), in denen jeweils das Element a vertauscht ist. Die Elemente a, b, c, und d sind komplementär zueinander, wenn folgende Beziehung gilt:

trotz der Annahme, daß a,>a2 ist und unabhängig davon, ob 3. S\(aJ, b), c), dd > S2(a2, b2, C2, d2) ist.

SI und S2 sind bei obiger Beziehung konsistente Systeme, während S\* und S2* inkonsistent sind. Betrachtet man, mit welchen komplexen Govemancestrukturen in Deutschland und den Vereinigten Staaten die Kontrolle des Managements stattfindet, wird intuitiv deutlich, daß Systemelemente von gesellschaftsrechtlichen Paradigmen nicht beliebig zu Mischsystemen rekombiniert werden können. Das deutsche gesellschaftsrechtliche Paradigma besteht beispielsweise aus den Elementen Trennsystem (Vorstand/Aufsichtsrat), Interessenpluralismus (Mitbestimmung), ausgeprägter Gläubigerschutz und Universalbankensystem, die zusammen ein konsistentes System bilden. Genauso bildet das US-amerikanische gesellschaftsrechtliche Paradigma ein konsistentes System, das unter anderem aus den Elementen Vereinigunssystern (Board), Interessenmonismus (Kapitalinteresse), ausgeprägter Anlegerschutz und Trennbankensystem besteht. Hinzu kommt, daß beide Systeme unter verschiedenen Kollisionsnormen arbeiten. Der Austausch nur einzelner Elemente kann daher die Systemleistung im Ganzen erheblich reduzieren, wenn nicht beim Austausch die Schnittstellen beachtet werden, die zwischen rechtlichen Regeln bestehen. Ein besonders anschauliches Beispiel für den Verlust von Effizienz durch mangelnde institutionelle Konsistenz bietet Frankreich. 278 Das französische gesellschaftsrechtliche Paradigma zeichnet sich insbesondere durch eine gibt Adams, Nonns, Standards, Rights, in: European Journal of Political Economy, Vol. 12, 1996, S. 363 ff. 278 SchmidtlGrohs, Angleichung der Unternehmensverfassung in Europa aus ökonomischer Perspektive, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, Tübingen, S. 175 ff.; Groenewegen, European Integration and Changing Corporate Governance Structures: The Case of France, in: Journal of Economic Issues, Vol. 34, 2000, S. 471 ff.

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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starke Stellung des PDG (president directeur general) aus, der die Unternehmenspolitik fast autokratisch bestimmen kann. Er wird weder durch ein Kontrollgremium noch durch den Kapitalmarkt hinreichend kontrolliert. 279 Diese Aufgabe wurde in der Vergangenheit von der bürokratischen Elite wahrgenommen, die über ein dichtes Netz von komplexen gegenseitigen Abhängigkeiten ein allzu offensichtliches Ausnutzen der Stellung als PDG verhinderte. So konnten Staatsaufträge entzogen, Kredite durch die größtenteils staatlichen Banken verweigert oder die Verstaatlichung angedroht werden. 28o Über dies hinaus ist die französische Elite durch eine gemeinsame Problemsicht vereint: Alles wirtschaftliche Handeln dient dem Zweck, die Position Frankreichs in der Welt zu stärken. Im Zuge der europäischen Integration nahm der Staatseinfluß aufgrund von Deregulierung und Liberalisierung bei gleichzeitiger Zentralisierung auf europäischer Ebene allerdings erheblich ab. Das hat zur Folge, daß die Einflußpotentiale der Bürokratie zur Kontrolle des Managements wesentlich geringer geworden sind. Dadurch ist ein Kontrollvakuum entstanden, weil die europäischen Regelungen (zum Beispiel Kapitalmarktrecht und Bilanzierung) in großen Teilen inkompatibel mit dem restlichen Govemancesystem in Frankreich sind. Etwas spekulativ, aber durchaus ins Bild des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas passend, ist daher der Versuch der französischen Bürokratie, über den Umweg der europäischen Kommission und der Bürokratie der Europäischen Union, Einflußpotentiale zurückzugewinnen und auf diese Weise wieder institutionelle Konsistenz herzustellen. (2) Die Folgen von Komplementarität

Wie sich bereits abzeichnete, ist die Folge komplementärer rechtlicher Regelungen Pfadabhängigkeit in der Rechtsentwicklung, die zu einer Stabilisierung des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas führt. Einzelne Elemente eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas können nur unter Berücksichtigung der Interdependenzen zu anderen Elementen des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas verändert werden, wenn es zu keinen Systemstörungen kommen soll. Das Problem institutioneller Komplementaritäten liefert damit eine weitere Begründung dafür, warum es nicht zu einer Konvergenz von gesellschaftsrechtlichen Paradigmen im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb 279 Für Details siehe Charkham, Keeping Good Company ... ; einen Überblick geben La Porta u. a., Law and Finance ... 280 Einen informativen Überblick über die informell-kooperative Regulierung in Frankreich geben Alcouffe, Judges and CEOs: French Aspects of Corporate Governance, in: Eurapean Journal of Law and Economics, Vol. 9, 2000, S. 127 ff.; sowie ColasselStandish, State versus Market: Contending Interests in the Struggle to Contral French Accounting Standardisation, in: Journal of Management and Governance, Vol. 2, 1998, S. 107 ff.

222

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

kommen muß. 281 Denn wie beim technologischen Paradigma hängt die Systemleistung nicht nur von der Leistung einzelner Komponenten ab, sondern insbesondere von deren gegenseitiger Verzahnung. Das Austauschen einer einzelnen Systernkomponente, zum Beispiel der Übergang vom Vereinigungssystem zum Trennsystem bei der Kontrolle des Managements, bewirkt - wie im Falle Frankreichs - bestenfalls gar nichts. So ist es seit 1966 für französische Kapitalgesellschaften möglich, anstelle des einstufigen Verwaltungsratssystems das deutsche Trennsystem zu wählen. Bislang hat davon aber nur eine verschwindend kleine Zahl von Gesellschaften Gebrauch gemacht (1990: 7,6%). Umgekehrt wählen deutsche Unternehmen gerne das Trennsystem für ihre französischen Tochterfirmen. 282 Ein anderes Beispiel kann anhand der englischen private limited company gegeben werden. Für diese Rechtsform ist eine Eigenkapitalausstattung nicht vorgesehen, und insofern mag das Problem des Gläubigerschutzes auftreten. Dem Problem des Gläubigerschutzes wird jedoch durch eine ganze Reihe öffentlich-rechtlicher Aufsichts- und Eingriffsrechte begegnet. 283 Damit stellt sich für die Leistungsfahigkeit dieser Rechtsform ein Zusammenwirken von privatrechtlichem Gesellschaftsrecht und öffentlichrechtlichen Regulierungen heraus, wobei die öffentlich-rechtlichen Regulierungen nach Voraussetzung hoheitlich verankert sind. In Großbritannien ergibt sich durch diese funktionale Differenzierung keinerlei Problem, weil auf dem Territorium (Staatsgebiet) Großbritanniens das Zusammenwirken von privatem Gesellschaftsrecht und öffentlich-rechtlichen Regulierungen gewährleistet ist. Anders sieht jedoch die Sache aus, wenn entsprechend der Gründungstheorie das privatrechtliche Gesellschaftsrecht mobil wird, das öffentliche Recht aber aufgrund seines hoheitlichen Charakters weiterhin territorial gebunden bleibt. In diesem Fall mag das Problem auftreten, daß außerhalb Großbritanniens die Rechtsform der private limited company gewählt wird und dabei gleichzeitig eine Entkopplung von den komplementären öffentlich-rechtlichen Regulierungen erfolgt, da diese nur territorial auf dem britischen Hoheitsgebiet Anwendung finden können. Das solcherart "verkürzte" englische Gesellschaftsrecht der private limited company mag bei Eröffnung von Regulierungswettbewerb erhebliche Inkonsistenzen in den einzelnen Rechtsordnungen hervorrufen, die sich in Wettbewerb miteinander befinden. Gilson, The Globalization ... "German parent companies Iike to have the directoire two-tier system in their French subsidiaries because it reminds them of horne and they are used to it" (Charkham, Keeping Good Company ... , S. 136). Dieses Verhalten entspricht ganz der Idee des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas. 283 Knobbe-Keuk, Umzug von Gesellschaften ... , S. 347; kritisch mit weiteren Literaturangaben Halbhuber, Limited Company ... , S. 192 ff. 281

282

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

223

Komplementaritäten können somit auf der Ebene einzelner Regeln verhindern, daß ein effektiver Regulierungswettbewerb stattfindet und sich ein Gesellschaftsrecht herausbildet, das in sich aus allen konkurrierenden Gesellschaftsrechten die besten Regulierungen vereint. Mit anderen Worten, durch interjurisdiktionellen Wettbewerb ist noch nicht automatisch gewährleistet, daß durch die Addition lokal optimaler Regeln ein allgemeines Optimum erreicht wird.

d) Paradigmenwechsel im Gesellschaftsrecht Die vorherigen Abschnitte haben gezeigt, daß es rechtliche Paradigmen im Gesellschaftsrecht gibt, die von verschiedenen Faktoren stabilisiert werden. Diese Pfadabhängigkeit in der Gesellschaftsrechtsentwicklung verhindert, daß ein interjurisdiktioneller Wettbewerb um die beste gesellschaftsrechtliche Regulierung problemlos stattfindet. Allgemein kommt es zu einem Paradigmenwechsel im Gesellschaftsrecht, wenn ein neues gesellschaftsrechtliches Paradigma eine bessere Problemlösung verspricht als das alte. Die Wahrscheinlichkeit des Auftritts einer solchen Situation erhöht sich, je mehr Freiheit bei der Rechtswahl für ein Unternehmen besteht. Zu einem Wechsel kommt es deshalb genau dann, wenn dem Möglichkeitsraum der Rechtswahl eine Alternative hinzugefügt wird, die zum Zeitpunkt ihres Auftretens einen höheren Wert hat als die herrschende gesellschaftsrechtliche Regulierung. Dies läßt sich wiederum grafisch verdeutlichen (Abb. 7). Zum Zeitpunkt T0 wird das gesellschaftsrechtliche Paradigma A gewählt, weil dies beispielsweise die kollisionsrechtliche Regel der Sitztheorie in einem Land vorschreibt. Zum Zeitpunkt Tl werde als weiteres Gesellschaftsrecht C in den Raum der Rechtswahlmöglichkeiten aufgenommen oder kollisionsrechtlich zur Gründungstheorie gewechselt, so daß C wählbar wird. C hat zu diesem Zeitpunkt einen höheren Wert als A, wodurch die Unternehmen veranlaßt werden, auf das Gesellschaftsrecht vom Typ C zu wechseln. Mit diesem Wechsel ist gleichzeitig auch eine langfristige Verbesserung der Effizienz des Gesellschaftsrechts verbunden, da C auch in Zukunft ein überlegenes Entwicklungspotential besitzt. Gäbe es im institutionellen Wettbewerb nur Erweiterungen des institutionellen Möglichkeitsraumes durch Institutionen vom Typ C, würde es trotz des Problems von Pfadabhängigkeiten zu einer permanenten Verbesserung von Problemlösungen kommen. Neben dem Typ C können jedoch auch gesellschaftsrechtliche Paradigmen vom Typ B auftreten. Sie sind im Zeitpunkt Tl ebenfalls dem etablierten gesellschaftsrechtlichen Paradigma überlegen mit der Folge, daß die Unternehmen auf das gesellschaftsrechtliche Paradigma vom Typ B wechseln und dort der Entwicklungspfad fortgesetzt wird. Das Entwicklungspotential

224

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

C

Wert der Regel

..·A

:.--J.,,..::::::..----B

To

Zeit

Quelle: Modifiziert nach Klausner, M., Corporations, Corporate Law, and Networks of Contracts, in: Virginia Law Review, Vol. 81, 1995, S. 810 ff.

Abbildung 7: Der Wechsel von gesellschaftsrechtlichen Paradigmen

dieses Pfades stellt allerdings eine Verschlechterung zum alten gesellschaftsrechtlichen Paradigma A dar. Aus normativer Sicht wäre es daher langfristig besser gewesen, wenn die Situation ohne Wettbewerb gesellschaftsrechtlicher Regime beibehalten worden wäre. Schließlich kann noch der Fall auftreten, daß in TI ein neues gesellschaftsrechtliches Paradigma D in den institutionellen Möglichkeitsraum aufgenommen wird, das ein erhebliches Entwicklungspotential hat, in TI aber dem etablierten gesellschaftsrechtlichen Paradigma unterlegen ist. Aus den oben genannten Gründen findet bei Freiheit der Rechtswahl kein Wechsel auf D statt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß gesellschaftsrechtliche Paradigmenwechsel und - etwas weniger spektakulär - der Wechsel gesellschaftsrechtlicher Designkonfigurationen durch eine Erweiterung des institutionellen Möglichkeitsraumes begünstigt werden. Aus einer Erweiterung der Rechtswahlfreiheit kann aber keineswegs geschlossen werden, daß damit auch automatisch eine Effizienzsteigerung im Gesellschaftsrecht eingeleitet wird. 6. Wettbewerb zwischen und innerhalb gesellschaftsrechtlicher Paradigmen

Die Erkenntnisse des gesellschaftsrechtlichen Paradigmas können dazu benutzt werden, um die Bedingungskonstellation in der Europäischen Union daraufhin zu analysieren, zu welchen Ergebnissen der Regulierungswettbe-

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

225

werb durch einen Übergang zur Gründungstheorie führen könnte. Hierzu wird zunächst eine positive Beschreibung der gesellschaftsrechtlichen Ausgangssituation in der Europäischen Union gegeben, der dann eine normative Einschätzung über die möglichen Wirkungen eines kollisionsrechtlichen Wechsels zur Gründungstheorie folgt. Daraus können wiederum systematische Aussagen über die Funktionsbedingungen eines Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht gemacht werden. In einem weiteren Schritt kann dann am Beispiel der Vereinigten Staaten überprüft werden, ob diese Funktionsbedingungen dort gegeben sind, wenn man davon ausgeht, daß der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb in den Vereinigten Staaten im wesentlichen funktionsfähig ist. a) Wettbewerb zwischen gesellschaftsrechtlichen Paradigmen: Das Beispiel Europäische Union

aa) Die Ausgangssituation Durch die Anwendung der Sitztheorie als dominanter Kollisionsnorm in Europa haben sich die Gesellschaftsrechte in Europa bislang weitgehend autonom entwickelt. Durch die Wirkung der oben beschriebenen stabilisierenden Faktoren werden die Gesellschaftsrechte zusätzlich stabilisiert, so daß auch die zunehmend größere Verflechtung der europäischen Staaten auf den Güter- und Faktormärkten und die Steigerung des Wettbewerbsdruckes auf diesen Märkten zu keinen größeren Anpassungen im Gesellschaftsrecht geführt haben, die man auf den Wettbewerb der Mitgliedstaaten zurückführen könnte. Von den stabilisierenden Faktoren scheint uns im europäischen Zusammenhang der der Komplementarität am bedeutsamsten zu sein. Die Begründung hierfür ist, daß die lange Systemabschottung durch die Sitztheorie es den europäischen Staaten erlaubte, Gesellschaftsrechte zu entwickeln, die eine starke Einbettung in den übrigen institutionellen Kontext der Staaten haben. 284 Gesellschaftsrecht und Teile des Gesellschaftsrechts sind somit nicht ohne weiteres zwischen den Staaten austauschbar - sie sind quasi paradigmatisch für einen Staat. So ist beispielsweise die Breite des Gegenstandsbereichs der europäischen Gesellschaftsrechte eine unterschiedliche. Im Zusammenhang mit der Corporate Govemance - Debatte konstatiert Pellens für Deutschland: "Da das deutsche Kapitalmarktrecht im Vergleich zum Gesellschaftsrecht eine - noch - vergleichsweise untergeordnete Bedeutung hat, werden dem deutschen Corporate Govemance-System auf in284 Zur Einbettung von gesellschaftsrechtlichen Regeln in ihren lokalen Regulierungskontext siehe Chamy, Competition Among lurisdictions ... , S. 440 ff.

15 Heine

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

ternationaler Ebene gelegentlich Lücken unterstellt. Während vergleichbare Empfehlungskataloge in anderen Ländern bereits seit längerem existieren, wurde der Bedarf in Deutschland in der Vergangenheit nicht in dem Maße gesehen. Grund hierfür ist das deutsche Rechtssystem, das im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht bereits viele Corporate Governance-Elemente regelt, die in anderen Ländern etwa durch Börsenzulassungsregelungen oder Codes (selbst-)reguliert werden.,,285 Man kann also den Schluß ziehen, daß sich in Europa unter dem Schutz der Sitztheorie verschiedene konsistente gesellschaftsrechtliche Paradigmen entwickelt haben. bb) Normative Folgerungen Es fragt sich nun, was passiert, wenn in Europa das kollisionsrechtliche Regime zur Gründungstheorie wechselt und die Rechtswahlfreiheit für die Unternehmen erhöht wird. Folgende idealtypischen Szenarien sind bei einem Wechsel zur Gründungstheorie vorstellbar. 286 Dabei wird angenommen, daß sowohl das Recht zur Inkorporation als auch zur Reinkorporation gewährleistet ist und daß finanzielle Anreize für die Staaten bestehen, die Zahl der inkorporierten Gesellschaften zu erhöhen: 287 Die erste Möglichkeit ist, daß die stabilisierenden Faktoren der nationalen Gesellschaftsrechte so stark sind, daß sich der Wechsel des kollisionsrechtlichen Regimes nicht oder kaum auf die Intensität des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht auswirkt. Unternehmen wählen oder behalten weiterhin das Gesellschaftsrecht desjenigen Staates, in dem sie ihre Hauptverwaltung oder den Schwerpunkt ihrer betrieblichen Betätigung haben, weil das heimische Gesellschaftsrecht die gesellschaftsrechtlichen Probleme hinreichend gut löst und ein Wechsel zu hohe Umstellungskosten erzeugen würde. Die Staaten sehen sich ihrerseits nicht veraniaßt, durch den fehlenden Wettbewerbsdruck Anpassungen des Gesellschaftsrechts vorzunehmen. Man kann diesen Zustand auch als ein durch Pfadabhängigkeiten ausgelöstes multiples Gleichgewicht des Gesellschaftsrechts in Europa bezeichnen, das trotz der 285 Pellens, Corporate Govemance - Ein Schlagwort oder bewegt sich tatsächlich etwas?, in: Die Betriebswirtschaft, Bd. 61, 2001, S. l. 286 Die Szenarien beruhen im wesentlichen auf den Überlegungen von Heine/ Kerber, European Corporate Laws ... ; BebchuklRoe, A Theory ofPath Dependence ... ; Schmidt/Spindler, Path Dependence ... ; sowie HackethallSchmidt, Finanzsystem und Komplementarität, Working Paper Series: Finance & Accounting, No. 50, 2000, Universität Frankfurt. 287 Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union erheben zur Zeit keine Rechtsformsteuer. Es fallen jedoch bei der Gründung von Gesellschaften nicht unerhebliche Gebühren an, zudem könnten Staaten die Rechtsformsteuer einführen, mit der Absicht, ein im Wettbewerb überlegenes Gesellschaftsrecht anzubieten (Romano, The Genius ... , S. 133 ff.).

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

227

Ermöglichung des Wettbewerbs durch den Übergang zur Gründungstheorie fortbesteht. 288 Im zweiten Fall kommt der Regulierungswettbewerb zwar in Gang, seine Ergebnisse stellen jedoch eine Verschlechterung zur Situation ohne Wettbewerb dar. Dabei haben wir es nicht mit den bereits bekannten Ursachen für ein "race to the bottom" zu tun, sondern mit dem möglichen Problem der Inkonsistenz von Regulierungsregimen, wenn Elemente verschiedener geseIlschaftsrechtlicher Systeme rekombiniert werden. Dieses Problem kann sowohl angebotsseitig durch lurisdiktionen verursacht sein als auch nachfrageseitig durch Unternehmen. Nachfrageseitig kann das Problem entstehen, wenn Unternehmen das GeseIlschaftsrecht wechseln, das neu adoptierte Gesellschaftsrecht aber nicht zu der sonstigen Regulierungsumwelt paßt, in der das Unternehmen tätig ist. Wechselt beispielsweise ein deutsches Unternehmen zu einem Gesellschaftsrecht anglo-amerikanischen Zuschnitts, das darauf ausgelegt ist, in einer rechtlichen Umwelt mit weiten und tiefen Kapitalmärkten zu funktionieren, so mag es zu Dysfunktionalitäten kommen, weil der deutsche und der europäische Kapitalmarkt sehr viel enger ist. Aufgrund des geringeren Gläubigerschutzes, der in den anglo-amerikanischen Gesellschaftsrechten angelegt ist, wird dieses Unternehmen ebenfalls Schwierigkeiten bei der Kreditfinanzierung bekommen. Weitere Probleme mögen sich dadurch ergeben, daß die Gewerkschaften auch im Falle eines fremden Gesellschaftsrechts, das keine Unternehmensmitbestimmung vorsieht, ihren Einfluß geltend zu machen versuchen werden. Ein Großteil der Unternehmen wird diese Art von Problemen sicherlich antizipieren und daher erst gar nicht eine Reinkorporation ins Auge fassen. Einige Unternehmen, die den Wechsel wagen, müssen jedoch mit den geschilderten Problemen auf die eine oder andere Art und Weise rechnen. Während nachfrageseitig das Inkonsistenzproblem gesellschaftsrechtlicher Regulierungen durch Unternehmen dadurch vermieden werden kann, daß sie das Gesellschaftsrecht nicht wechseln, stellt sich das angebotsseitige Inkonsistenzproblem als gravierender heraus. So mögen sich Mitgliedstaaten einer Rechtsföderation durch den Wechsel zur Gründungstheorie herausgefordert fühlen, Regulierungselemente aus anderen Gesellschaftsrechten in ihr Gesellschaftsrecht aufzunehmen, um einen vermuteten Exodus heimischer Unternehmen zu verhindern. Dies könnte man auch als potentielle 288 Zur Möglichkeit multipler Gleichgewichte im Gesellschaftsrecht siehe insbesondere BebchuklRoe, A Theory of Path Dependence ... ; sowie HackethallSchmidt, Finanzsystem und Komplementarität ... Zum Auftritt multipler Gleichgewichte in der Rechtsentwicklung siehe ebenfalls mit weiteren Nachweisen Hathaway, Path Dependence in the Law: The Course and Pattern of Legal Change in a Common Law System, in: Iowa Law Review, Vol. 86, 2001, S. 601 ff.

15'

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Regulierungskonkurrenz bezeichnen, die durch den Übergang zur Gründungstheorie erhöht wird. Durch die Aufnahme der fremden gesellschaftsrechtlichen Elemente kann es nun zu Inkonsistenzen kommen, denen alle in ein Gesellschaftsrecht inkorporierten Unternehmen ausgesetzt sind. Wechseln sie daraufhin das Gesellschaftsrecht, ist der Regulierungswettbewerb nicht mehr nur ein potentieller und die Mitgliedstaaten werden möglicherweise weitere Elemente ihrer Gesellschaftsrechte austauschen, die zwar, partiell betrachtet, die Effizienz eines regulierungsbedürftigen Tatbestandes zu erhöhen versprechen, vom gesamten Regulierungskontext aus gesehen ergibt sich jedoch eine Verschlechterung. Es ist also vorstellbar, daß ein Wettbewerb zwischen für sich allein genommen effizienzsteigemden Regulierungen stattfindet, das Resultat dieses Regulierungswettbewerbsprozesses aber insgesamt in einer Verschlechterung der institutionellen Umgebung endet, in der Unternehmen ihren Leistungserstellungsprozeß durchführen müssen. Am Ende eines solchen Regulierungswettbewerbsprozesses, so wird vermutet,289 könnte eine ex post Harmonisierung des europäischen Gesellschaftsrechts stehen, deren Effizienz weit geringer ist, als die der durch die Anwendung der Sitztheorie dem Regulierungswettbewerb entzogenen Gesellschaftsrechte. Das dritte Szenario ist schließlich, daß sich ein gesellschaftsrechtliches Paradigma gegen alle anderen durchsetzt und eine hegemoniale Dominanz ausübt. Dieser Fall kann eintreten, wenn in der Ausgangsbedingung des Regulierungswettbewerbs, also bei Einführung der Gründungstheorie, ein Gesellschaftsrecht bereits über derart starke dynamische Skalenvorteile verfügt, daß Unternehmen nahezu ausschließlich zu diesem Gesellschaftsrecht überwechseln. Nach einer gewissen Zeit von Anpassungsprozessen bleibt nur dieses eine Gesellschaftsrecht auf dem Markt für Gesellschaftsrechte in Europa übrig. Normativ kann über dieses hegemoniale Gesellschaftsrecht kaum mehr ein Urteil gefällt werden, weil es sich nicht aufgrund seiner überlegenen qualitativen Leistung durchgesetzt hat, sondern allein aufgrund seiner initialen Skalenvorteile. Es wäre jedoch ein Zufall, wenn sich gerade das effizienteste Gesellschaftsrecht als Hegemon durchsetzte, das zudem auch in Zukunft jeweils die denkbar effizientesten Regulierungen bereithält. cc) Folgerungen zu den Funktionsbedingungen des Regulierungswettbewerbs Nimmt man die Ergebnisse der drei Szenarien ernst, dann ist festzustellen, daß die Gründungstheorie als Kollisionsrecht wohl eine notwendige Be289 Siehe allgemein SchmidtlSpindler. Path Dependence ... ; sowie Hackethall Schmidt. Finanzsystem und Komplementarität ...

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

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dingung für einen funktionsfähigen Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht ist, aber keineswegs eine hinreichende Bedingung. Wie das zweite Szenario zeigt, mag der Fall eintreten, daß ein Regulierungswettbewerb mit partiell effizienten Regulierungen stattfindet, der jedoch im Ergebnis eine Verschlechterung für den Regulierungsnachfrager bedeutet, da Inkonsistenzen in seiner Regulierungsumwelt entstehen. Das Problem der Inkonsistenz und die Konvergenz auf ein inferiores GeseIlschaftsrecht ist aber nur ein Problem. Das andere Problem ist die Konvergenz des Gesellschaftsrechts auf einen hegemonialen gesellschaftsrechtlichen Standard oder daß der Regulierungswettbewerb erst gar nicht in Gang kommt, wenn die Kosten des Wechsels des Gesellschaftsrechts prohibitiv sind. Diese am europäischen Fall angestellten Überlegungen weisen nochmals daraufhin, daß es neben der bereits hinlänglich bekannten Problemkategorie des "race to the bottom" die Problemkategorie gesellschaftsrechtlicher Pfadabhängigkeit gibt, die das reibungslose Funktionieren gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs behindern kann. Das heißt allerdings nicht, daß der Schluß gezogen werden müßte, daß die positiven Wirkungen eines Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht als gering eingeschätzt werden müßten. Es heißt vielmehr, daß die Problemkategorie der Pfadabhängigkeit ein auf der Ebene der Metaordnung zu lösender Tatbestand ist, damit ein Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten seine dynamischen Effizienzwirkungen entfalten kann. b) Wettbewerb innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas: Das Beispiel Vereinigte Staaten

Nachdem die europäische Bedingungskonstellation aufgezeigt hat, daß in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union mehr oder weniger eigenständige gesellschaftsrechtliche Paradigmen koexistieren, die starke Komplementaritäten zu ihrer weiteren rechtlichen Umgebung aufweisen, besteht der nächste Schritt darin, eine vergleichende Betrachtung mit den Vereinigten Staaten anzustellen. Unsere Hypothese ist, daß das Problem der Komplementarität im Gesellschaftsrecht der Vereinigten Staaten weitaus geringer als in Europa ist, da es sich beim Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in den Vereinigten Staaten um einen Regulierungswettbewerb innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas handelt. Da in den vorangegangen Kapiteln das Gesellschaftsrecht der Vereinigten Staaten bereits ausführlich dargestellt worden ist, genügen an dieser Stelle einige Hinweise, um die Hypothese zu stützen. Zunächst ist zu sagen, daß alle Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten in dieselbe Regulierungsumgebung eingebettet sind. Die Gesellschaftsrechte,

230

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

die in Wettbewerb miteinander treten, müssen nämlich in bestimmten Eigenschaften anschlußfahig sein an die Bundesgesetzgebung. Zudem gibt es überformende Einflüsse, die auf eine grundsätzliche Ähnlichkeit der USamerikanischen Gesellschaftsrechte hinwirken. 290 Dies bewirkt mittelbar im Zusammenspiel mit Pfadabhängigkeiten, daß auch eine paradigmatische Ähnlichkeit in Regelungsbereichen erzeugt wird, in denen größere Abweichungen zwischen Gesellschaftsrechten an sich möglich wären. Zu den grundlegenden Einflüssen zählt vor allem, daß alle Gesellschaftsrechte der Vereinigten Staaten zum Rechtskreis des Common Law gehören und mit Englisch als Amtssprache ein einheitlicher Sprachraum für Regulierungen existiert. Etwas weiter ausgeholt, könnte man auch die gemeinsame Kultur und Geschichte der Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten hinzu zählen. 291 Nahezu zwingend anschlußfähig müssen die einzelnen Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten an die Regulierungen auf Bundesebene sein, die einen starken gesellschaftsrechtlichen Bezug aufweisen. Dazu zählen namentlich das Kapitalmarktrecht (securities regulation), das Insolvenzrecht (bankruptcy law) und das Kartellrecht (antitrust law). Daneben gibt es noch Bereiche im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht, in denen eine Ähnlichkeit herrscht, die durch Pfadabhängigkeiten der Regulierung erzeugt wird. So stünde es den Staaten frei, zum Beispiel die Unternehmensmitbestimmung einzuführen oder zum Vorstands- Aufsichtsratssystem anstelle des Boardsystems überzugehen. Ein solches Experimentieren mit Elementen der Governance findet jedoch nicht statt. Man kann den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb in den Vereinigten Staaten daher eher als einen Regulierungswettbewerb von gesellschaftsrechtlichen Designkonfigurationen innerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Paradigmas verstehen, in dem sich das Problem rechtlicher Komplementaritäten als sehr viel geringer erweist als es in der Europäischen Union der Fall ist. Die Komplementaritäten sind geringer, weil die Gesellschaftsrechte in das Korsett einer Bundesgesetzgebung eingepaßt sind, die ebenfalls gesellschaftsrechtliche Bezüge aufweist. 292 290 Zur Frage der Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt in den Vereinigten Staaten siehe Reimann, Amerikanisches Privatrecht und europäische Rechtseinheit Können die USA als Vorbild dienen?, in: Zimmermann (Hrsg.), Amerikanische Rechtskultur und europäisches Privatrecht, 1995, Tübingen, S. 132 ff. 291 Chamy, Competition Among lurisdictions ... , S. 455. 292 Hier kann nur auf eine gewisse Verbindung unserer positiven Analyse zu den jüngsten Vorschlägen Bebchuks und Ferrells aufmerksam gemacht werden (Bebchuk/Ferrell, A New Approach to Takeover Law and Regulatory Competition, in: Virginia Law Review, Vol. 87, 2000, S. III ff.). Ihr Vorschlag, daß Gesellschafter anstelle der Wahl ganzer Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten auch die Wahlmöglichkeit erhalten sollten, partiell eine bundesrechtliche Regulierung zu wählen (zum Beispiel im Bereich der Regelungen bei Übernahmen), setzt unseres Erachtens vor-

IV. Pfadabhängigkeit als Erklärungsmuster

231

Zwei Schlußfolgerungen können aus dem Vergleich der Vereinigten Staaten mit der Europäischen Union gezogen werden. Als erstes erscheint es nicht wahrscheinlich, daß bei einer Einführung der Gründungstheorie als verbindlicher Kollisionsnorm in der Europäischen Union ein in den Vereinigten Staaten vergleichbarer gesellschaftsrechtlicher Wettbewerb stattfinden wird. Zum zweiten kann auf wirtschafts- und rechtspolitischer Ebene gefolgert werden, daß zur Ingangsetzung des gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbs neben der Einführung der Gründungstheorie weitere rechtsföderale Bedingungen erfüllt sein müssen, die dem Komplementaritätsproblem Rechnung tragen. So mag beispielsweise eine vorläufige Hypothese lauten, daß ein einheitliches Kapitalmarktrecht Voraussetzung in einer Föderation ist, damit der horizontale gesellschaftsrechtliche Wettbewerb auf niedrigeren Ebenen der Föderation funktionieren kann. Ähnliches mag für den Bereich der Insolvenzordnung gelten, deren Harmonisierung ebenfalls Voraussetzung für die Freigabe eines Wettbewerbsföderalismus im Bereich des Gesellschaftsrechts sein könnte. Dabei ist hinzuzufügen, daß die Zentral isierung einzelner Regulierungsbereiche zur Ingangsetzung eines horizontalen Wettbewerbs anderer Regulierungsbereiche keineswegs bedeuten muß, daß die zentralisierten Bereiche dem Regulierungswettbewerb völlig entzogen werden. Ein vertikaler Regulierungswettbewerb ist durchaus vorstellbar. In den Vereinigten Staaten gibt es sehr wohl einzelstaatliche Kapitalmarktregelungen, die allerdings von den Bundesregeln überlagert werden. Es ist dann eine Frage der sehr komplizierten Spezialdisziplin des vertikalen Kollisionsrechts, zu entscheiden, wann das Kapitalmarktrecht der Staaten und wann das des Bundes zur Anwendung gelangt. 293 Man könnte dies auch als ein rechtliches Schnittstellenmanagement bezeichnen, das die gegenseitige Anschlußfähigkeit von Regulierungen in einer sich entwickelnden und verändernden Umwelt sicherstellt. Ein Zitat von Loss, der als der Erfinder des Begriffs "securities regulation" gilt und die wissenschaftliche Durchdringung des Kapitalmarktrechts in den Vereinigten Staaten prägte, macht diese Idee noch deutlicher: "Corporations may keep their state charters, but various SEC provisions ... apply on top 0/ [Hervorhebung im Original, K. H.] the state corporation law if corporations want to distribute securities to the public or engage in the brokerage or investment company business or various other activities. This is not federal licensing in the broad sense in which that technique is currently being advanced as an ansaus, daß eine gewisse Isomorphie zwischen den Gesellschaftsrechten der Bundesstaaten besteht. Ist eine solche Strukturähnlichkeit nicht gegeben, wird es unseres Erachtens nötig, zu einer Modularisierung von Gesellschaftsrecht überzugehen und ein Schnittstellenmanagement von der Metaebene aus zu betreiben [siehe hierzu Abschnitt F.Vl.l.]. 293 Reimann, Amerikanisches Privatrecht ... , S. 153 ff.; Scoles/Hay, Conflict of Laws ... , S. 110 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

wer to the states' charter-mongering. But it is certainly licensing in the generic sense. ,,294

v.

Zusammenfassung und Würdigung

1. Eine Beurteilung der Ansätze zur Analyse der Funktionsfähigkeit des gesellschafts rechtlichen Wettbewerbs

In diesem Kapitel wurde der gesellschaftsrechtliche Regulierungswettbewerb vertieft analysiert. Dabei konnten natürlich nicht alle Überlegungen präsentiert werden, die zu diesem Thema bereits angestellt wurden. Trotz dieser Beschränkung sollte klar geworden sein, daß es zur Analyse des geseIlschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs sinnvoll ist, sowohl markttheoretische Ansätze, den Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie als auch Ansätze, die das Phänomen der Pfadabhängigkeit in den Mittelpunkt stellen, zu verwenden. Die drei Erklärungsansätze besitzen jeweils ihre Stärken und Schwächen, die an dieser Stelle einer vergleichenden Reflektion unterzogen werden sollen. Eine solche abschließende Reflektion scheint auch im Hinblick darauf sinnvoll, um etwas besser einschätzen zu können, wie hoch der relative Erklärungsgehalt der einzelnen präsentierten Modelle innerhalb der drei Ansätze zu veranschlagen ist. Beispielsweise hatten wir gesehen [Abschnitt E.l1.2.], daß der Reputationsaufbau von lurisdiktionen, Unternehmen und Anwälten eine bedeutende Rolle im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb spielt. Das von lurisdiktionen angebotsseitig aufgebaute Reputationskapital scheint uns jedoch für die Erklärung der Wettbewerbsprozesse im Gesellschaftsrecht sehr viel bedeutsamer zu sein als das nachfrageseitig aufgebaute Reputationskapital von Unternehmen und Anwälten in Form von versenktem Real- und Humankapital. Diese Einschätzung kann an dieser Stelle nicht in aller theoretischen Rigorosität zu belegen und empirisch zu testen versucht werden. 295 Das Beispiel macht aber durch unsere GeLoss, Fundamentals ... , S. 28. Eine Möglichkeit, den Reputationsaufbau als Aktionsparameter im Regulierungswettbewerb noch genauer zu analysieren, könnte zum Beispiel darin bestehen, die bekannten Signalling-Modelle aus der Finanzierungstheorie heranzuziehen (siehe grundlegend LelandlPyle, Informational Asymmetries, Financial Structure and Financial Intermediation, in: Journal of Finance, Vol. 32, 1977, S. 371 ff.). Mit Hilfe dieser Modelle kann beispielsweise gezeigt werden, wie hoch der optimale Anteil eines Unternehmers am Eigenkapital eines von ihm gegründeten Unternehmens sein müßte, damit die restliche Unternehmensfinanzierung möglichst günstig zu beschaffen ist. Setzt man Jurisdiktionen gleich dem nach "externen" Investoren suchenden Unternehmer und inkorporierende Unternehmen gleich den "externen" Investoren in Jurisdiktionen, dann wird deutlich, daß die Informationsasymmetrie, die durch den Aufbau von Reputationskapital überwunden werden soll, systematisch von den "besser informierten" Jurisdiktionen zu den "schlechter informierten" Unternehmen 294

295

v.

Zusammenfassung und Würdigung

233

wichtung von angebots- und nachfrageseitigen Einflußgrößen deutlich, daß es einer der nächsten wichtigen Forschungsschritte in der Analyse des Regulierungswettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten sein müßte, noch viel stärker als es bislang der Fall ist, empirisch testbare Hypothesen aufzustellen, die die Bedeutung einzelner wettbewerblicher Aktionsparameter innerhalb von Regulierungswettbewerbsprozessen genauer abschätzen helfen. 296 Es wäre somit anzustreben, nicht nur weitere Kenntnisse über einzelne Aktionsparameter oder Elemente im Regulierungswettbewerb zu gewinnen, sondern auch über deren relatives Gewicht und Zusammenwirken im Wettbewerbsprozeß. Da hier unmöglich jedes einzelne Modell einer abschließenden Beurteilung im Detail unterzogen werden kann, soll hier schwerpunktmäßig auf die generellen Stärken und Schwächen der einzelnen Ansätze eingegangen werden, die zur Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten Anwendung finden. So läßt sich ganz allgemein fragen, welche Bedeutung den industrieökonomischen Modellen in der Analyse zukommt, welche Aussagen über die Funktionsfähigkeit des Regulierungswettbewerbs diejenigen Ansätze zulassen, die die Rolle von Lernen und Wissen betonen, oder welchen Erkenntnisgewinn die Einbeziehung von institutionellen Pfadabhängigkeiten bringt. Natürlich sind die folgenden Ausführungen keine umfassende und vor allem nicht abschließende Beurteilung einzelner Forschungsansätze, einige grundlegendere Bemerkungen scheinen uns aber durchaus möglich zu sein. Betrachten wir zunächst kurz die neo klassischen, industrieökonomischen Modelle [Abschnitt E.ll.l. und E.l1.2.]. Bei ihnen fällt auf, daß eine ihrer Stärken wohl darin besteht, Sachverhalte des Regulierungswettbewerbs in starker Analogie zum Wettbewerb auf Gütermärkten zu strukturieren. Mit dieser starken Strukturierungsleistung geht jedoch gleichzeitig die Frage einher, inwiefern es sich bei den postulierten Strukturen um adäquate Abbildungen und Erklärungen der Wirklichkeit handelt, die dazu dienen können, normative Handlungsempfehlungen auf der Ordnungsebene des Regulierungswettbewerbs zu geben, die einen funktionsfähigen Regulierungswettbewerb in der Wirklichkeit in Gang zu setzen in der Lage sind. Am Beispiel der Steuerpreisdifferenzierung der "franchise tax" durch Delaware verläuft. Mit anderen Worten, es gibt gute Gründe dafür, anzunehmen, daß im interjurisdiktionellen Wettbewerb das angebotsseitig aufgebaute Reputationskapital eine wesentlich wichtigere Rolle spielt als das nachfrageseitige, selbst wenn die nachfrageseitig versenkten Kosten durchaus erheblich sein können. Natürlich müßte eine solche ModelIierung in einem weiteren Schritt auch durch empirische Tests zu belegen versucht werden. 296 Zu dieser Einschätzung mit besonderem Blick auf den "fiscal competition" siehe insbesondere auch Oates, Theory of Public Finance ... , S. 108 ff.

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E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

[Abschnitt E.II.l.b)bb)] kann diese Einschätzung noch etwas weiter verdeutlicht werden. So orientiert sich das präsentierte Modell an der Marktform der vollkommenen Konkurrenz, um die Wohlfahrtseffekte der Steuerpreisdifferenzierung abzuschätzen. Dabei stellt sich aber nicht nur die Frage, ob das Modell der vollkommenen Konkurrenz das adäquate Modell ist, um ein besseres Verständnis des Regulierungswettbewerbs als dynamischem Phänomen zu bekommen,297 sondern es stellt sich auch ganz praktisch die Frage, wie mögliche Wohlfahrtsgewinne oder -verluste sowie Verteilungswirkungen gemessen werden sollen, um konkrete politische Maßnahmen möglicherweise hinreichend exakt bemessen zu können. Andererseits besteht ein Verdienst der neoklassischen Modelle zur Analyse des Regulierungswettbewerbs sicherlich darin, daß sie in Analogie zum Wettbewerb auf Gütermärkten auf eine Vielzahl an einzelnen Effekten und Verhaltensweisen im Regulierungswettbewerb aufmerksam machen. Neben der Steuerpreisdifferenzierung ist dies beispielsweise die Strategie des "raising rivals' cost" [Abschnitt E.ll.l.a)bb)]. Wenn es also auch hin und wieder zweifelhaft sein mag, ob neoklassische Marktmodelle eine adäquate Abbildung von Regulierungswettbewerbsprozessen liefern, sind sie jedoch in jedem Fall eine Quelle zum Aufspüren einzelner Facetten von Regulierungswettbewerbsprozessen?98 Fast als methodischen Gegenentwurf zu den neoklassischen Marktmodellen kann man die markttheoretischen Überlegungen verstehen, die die Bedeutung von Wissen und Lernen im Wettbewerbsprozeß zwischen Regulierungen hervorheben [Abschnitt E.l1.3.]. Innerhalb der Ansätze, die die Rolle von Wissen und Lernen betonen, nimmt die Österreichische Schule eine prominente Stellung ein. Da sie sich durchaus als wirtschaftstheoretische Alternative zum neoklassischen Ansatz versteht, eignet sie sich besonders gut, um hier die Bedeutung von Wissen und Lernen im Regulierungswettbewerbsprozeß pointiert abschließend zu reflektieren. Allerdings soll der Versuchung widerstanden werden, die Erkenntnisse "der" Österreichischen Schule als allgemeine Kritik an "der" Neoklassik zu präsentieren?99 297 Breton hat schon früh in der Diskussion um die Konzeption des Wettbewerbsföderalismus darauf aufmerksam gemacht, daß "neoklassischer" Wettbewerb in erster Linie Preiswettbewerb bedeutet, der wichtige weitere Elemente des Wettbewerbs ausblendet. Er weist in diesem Zusammenhang bereits daraufhin, daß die Berücksichtigung der Erkenntnisse von Schumpeter, Hayek und Kirzner zu einem reichhaltigeren Verständnis des Wettbewerbsföderalismusses führen könnte (Breton, Towards a Theory of Competitive Federalism ... , S. 269 ff.). 298 Zu einer solchen Einschätzung siehe auch Röpke, der in seiner kritischen Reflektion des Modells der vollkommenen Konkurrenz einleitend schreibt: "Die Zahl der Seinsbereiche, die erklärend wie normativ durch das Modell der vollkommenen Konkurrenz neu erschlossen werden, ist erstaunlich." (Röpke, Die Strategie der Innovation, Tübingen, S. 259 ff.).

V. Zusammenfassung und Würdigung

235

Ein Vorteil des Ansatzes der Österreichischen Schule liegt sicherlich darin begründet, daß sie ihre Theoriebildung auf einem realistischeren Handlungsmodell aufbaut, als dies die Neoklassik tut. Für die Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten heißt das, daß von einem umfassenden Wissensproblem auszugehen ist: Das Wissen über "gute" und "schlechte" gesellschaftsrechtliche Regulierungen ist verstreut, mit der Rechtsanwendung betraute Akteure haben kognitive Beschränkungen, gesellschaftsrechtliches Wissen anzuwenden, und schließlich mag es ganz unterschiedliche Hypothesen darüber geben, welches die beste Lösung für ein gesellschaftsrechtliches Problem ist, was nichts anderes bedeutet, als daß der wissenschaftliche Beobachter endogener "Bestandteil" des Wissensproblems ist. 300 Geht man von diesem empirischen Tatbestand aus, dann werden die derivativen Aussagen der Österreichischen Schule relativ leicht verständlich und ihr Erklärungswert zum Verständnis von gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsprozessen kann abgeschätzt werden. Aus dem empirischen Wissensproblem folgt, daß dem Lernprozeß über die Lösung gesellschaftsrechtlicher Probleme eine besondere Bedeutung zukommt, womit wiederum Fragen über die Kreation von Wissen (Unternehmertum) und die Speicherung von Wissen (Regeln) verbunden sind. Und aus der (angenommenen) Permanenz des Lernprozesses leitet sich wiederum ab, daß es keinen Gleichgewichtszustand geben kann, in dem einzelne Akteure einen gewinn- oder nutzenmaximalen Zustand auf Dauer konservieren können. Mit diesem empirisch begründeten Abschied von der Möglichkeit des "mechanischen" Maximierens wird dann schließlich auch der Bruch mit dem normativen Fundament der Neoklassik - dem Pareto-Kriterium - vollzogen. Das Ordnungsproblem einer Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten stellt sich damit für den österreichischen Ansatz anders als für den neoklassischen. Während es aus neoklassischem Blickwinkel in erster Linie darum geht, Marktversagenstatbestände aufzuspüren und unter transaktionskostenökonomischen Gesichtspunkten die Frage von Zentralität und Dezentralität zu beantworten, liegt das Augenmerk des 299 Für ein tieferes epistemologisches und dogmenhistorisches Verständnis der Österreichischen Schule siehe die Ausführungen in Boland, Critical Economic Methodology, 1997, London; zu einer Deutung des Österreichischen Wettbewerbsverständnisses siehe Kerber, Evolutorischer Wettbewerb - Zu den theoretischen und institutionellen Grundlagen der Wettbewerbsordnung, unveröffentlichte Habilitationsschrift, 1994, Marburg; Vanberg, Austrian School of Econornics and the Evolution of Institutions, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 1, 1998, London, S. 134 ff.; sowie überblicksartig Rosen, Austrian and Neoc1assical Economics ... 300 Eine differenzierte Darstellung des Wissensproblems für die Wirtschaftspolitik gibt Wegner, Econornic Policy from an Evolutionary Perspective - A New Approach, in: Journal of Institutional and Theoretical Econornics, Vol. 153, 1997, S. 485 ff.

236

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

österreichischen Ansatzes auf den Ordnungsbedingungen, um das dezentral generierte Wissen über regulierungsbedürftige Tatbestände im Gesellschaftsrecht zu koordinieren und für einzelne Akteure in einem dynamischen Kontext nutzbar zu machen. Die österreichischen Ansätze bieten damit von vornherein eine evolutionäre Perspektive auf den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten, wobei uns insbesondere der durch Innovation und Imitation angetriebene Lernprozeß im Bereich gesellschaftsrechtlicher Regeln als von größter Bedeutung erscheint. So wichtig die von der Österreichischen Schule gestellte Frage nach den Bedingungen, unter denen es zu einer möglichst hohen Koordination von Regulierungswissen kommt, auch ist, so unbefriedigend bleiben die Antworten des österreichischen Ansatzes jedoch im Detail, wenn es um konkrete Politikempfehlungen geht, wie eine entsprechende Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten gestaltet werden sollte. Diese wirtschaftspolitische Sterilität hat viel damit zu tun, daß jegliches Wissen, also auch das wirtschaftswissenschaftliche Wissen über die Wirkungsweise gesellschaftsrechtlicher Regulierungen, als höchst subjektiv angesehen wird. Das hat zur Folge, daß wirtschaftspolitische Empfehlungen häufig als "Anmaßung von Wissen" betrachtet werden, ohne daß selbst konstruktive politische Gestaltungsvorschläge unterbreitet würden. 301 Damit kann festgehalten werden, daß die Erkenntnisse der Österreichischen Schule zwar in hohem Maße zu einem besseren Verständnis gesellschaftsrechtlicher Wettbewerbsprozesse beitragen können und eine Reihe wichtiger Fragen auf die "research agenda" schreiben, die Vorschläge, wie eine Wissensökonomie durch Institutionen errichtet werden könnte, bleiben unseres Erachtens aber höchst vage. Und deshalb bleibt es oftmals beim Appell, die Erkenntnisse der Österreichischen Schule wirtschaftspolitisch nutzbar zu machen. "An Austrian approach to the study of institutions that complements, in the manner suggested, its evolutionary perspective, with the insight into the need to constrain competitive and evolutionary processes by ,appropriate' rules of the game, can add an important dimension to its outlook on economic policy.,,302 Für die politökonomischen Erklärungsansätze [Abschnitt E.III.] ist konstitutiv, daß sie die gesellschaftsrechtliche Rechtsfortbildung als einen Prozeß begreifen, der von den individuellen Kosten-Nutzen-Kalkülen einzelner Gruppen angetrieben wird, die in der Lage sind, politischen Einfluß geltend zu machen?03 Im Prinzip handelt es sich beim Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie darum, die Logik von Angebot und Nachfrage auf GüterWegner. Economic Policy .. . Vanberg. Austrian School ... , S. 140. 303 Macey/Miller, Toward an Interest Group Theory ... ; überblicksartig Macey. Public Choice and the Law, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 3, 1998, London, S. 171. 301

302

v.

Zusammenfassung und Würdigung

237

märkten auf den politischen Willensbildungsprozeß zu übertragen. Üblicherweise findet diese Endogenisierung des politischen Prozesses in die Ökonomik mit Hilfe und im Rahmen des neoklassischen Paradigmas statt. 304 In bezug auf die Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten resultieren aus den Stärken des Ansatzes der Neuen Politischen Ökonomie gleichzeitig seine Schwächen. Eine offensichtliche Stärke ist, daß eine Desaggregation von Regulierungsnachfragern und -anbietern stattfindet, mit der Folge, daß eine genauere Erklärung des Verhaltens einzelner Akteure und Gruppen, zum Beispiel Gesellschafter, Manager, Gläubiger oder Politiker, im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb möglich wird. Der Ansatz der Neuen Politischen Ökonomie trägt damit zu einem besseren kontextuellen Verständnis der Abläufe im gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb bei, wobei sich in der Regel aus der angestellten positiven Analyse des Verhaltens von Interessengruppen auch eine wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung ableiten läßt. Die erzählten "Public Choice Stories,,305 haben unseres Erachtens allerdings einen gravierenden Nachteil. Systematisch könnte man diesen Nachteil im Bereich des schon mehrmals erwähnten Theorieauswahlproblems verorten. Die Ergebnisse, die in Modellen der Neuen Politischen Ökonomie gewonnen werden, "reagieren" nämlich höchst sensibel auf bereits kleinste Veränderungen in den Verhaltensannahmen oder im institutionellen Setting. So erscheint es sowohl plausibel, daß kleine Jurisdiktionen weniger anfällig für das Rent-Seeking von Interessengruppen sind, als auch das gen aue Gegenteil, nämlich, daß kleine Jurisdiktionen besonders anfällig für Rentseekingaktivitäten sind. Diese vergleichsweise geringe Robustheit von Modellen der Neuen Politischen Ökonomie im Bereich der Analyse des Gesellschaftsrecht hat zur Folge, daß unseres Erachtens die wirtschaftspolitische Aussagekraft einzelner Modelle als durchaus kritisch angesehen werden muß. Es dürfte deshalb zutreffend sein, wie Gordon den Erklärungswert der Neuen Politischen Ökonomie im Bereich der Analyse des Gesellschaftsrechts einschätzt. "The public choice explanation may carry some weight, but in my opinion, the ultimate ans wer lies beyond. ,,306 Ein relativ neuer Ansatz, um die Analyse des Gesellschaftsrechts zu betreiben, ist der der Pfadabhängigkeit [Abschnitt E.lV.], der hier mittels des Konzepts (gesellschafts-) rechtlicher Paradigmen Eingang in die Untersuchung fand. Fragt man auch bei dieser Konzeption nach ihren Stärken und Schwächen, ist an erster Stelle zu vermerken, daß es sich bei Pfadabhängigkeiten zwar um ein mittlerweile wissenschaftlich anerkanntes Phänomen 304

305 306

Meier/Mettler, Auf der Suche ... Gordon, Corporations ... , S. 1957. Gordon, Corporations ... , S. 1971.

238

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

handelt, die Erforschung von Pfadabhängigkeiten, insbesondere institutioneller Pfadabhängikeiten, jedoch sicherlich noch an ihrem Anfang steht. Insofern ist eine Schwäche des Ansatzes ganz allgemein, daß noch auf keinen größeren Bestand an Aussagen und Erkenntnissen zurückgegriffen werden kann, der als weitgehend gesichert gelten könnte. Die im Zusammenhang mit dem gesellschaftsrechtlichen Paradigma gemachten Überlegungen stehen daher unter dem Vorbehalt, daß in Zukunft noch eine systematische Vertiefung der Analyse von Einzelaspekten stattfinden muß. Sieht man von dieser "natürlichen" Schwäche des Ansatzes ab, scheint er unseres Erachtens vor allem zwei Eigenschaften zu besitzen, die ihn als sinnvolle zusätzliche Forschungsstrategie zur Analyse des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten qualifizieren. Die erste Eigenschaft ist, daß die gesellschaftsrechtlichen Wettbewerbsprozesse als historisch kontingent begriffen werden, wodurch eine explizit evolutorische Perspektive eingenommen wird. Die zweite Eigenschaft ist, daß der Ansatz eine inhaltliche Offenheit in dem Sinne aufweist, daß die Pfadabhängigkeit auslösenden Gründe sehr vielfältig sein können. Das Konzept der Pfadabhängigkeit folgt daher keinem bestimmten ökonomischen Paradigma, sondern nutzt die Erkenntnisse verschiedener ökonomischer Ansätze und ökonomischer Nachbardisziplinen zur Erklärung der historischen Kontingenz wirtschaftlicher und institutioneller Entwicklung. 307 Damit ist ein gewisser Eklektizismus mit dem Konzept verbunden, der sich unseres Erachtens aber im Hinblick auf die Analyse des Gesellschaftsrechts produktiv nutzen läßt, wenn das Konzept gesellschaftsrechtlicher Paradigmen Anwendung findet, das die verschiedenen, Pfadabhängigkeit auslösenden Faktoren strukturiert. Fragt man schließlich danach, welche Schlußfolgerungen aus der Analyse der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zwischen Gesellschaftsrechten gezogen werden können, sind dies unseres Erachtens zwei Aspekte. Zum einen erscheinen institutionelle Pfadabhängigkeiten als ein bedeutsames Phänomen empirischer Regulierungswettbewerbsprozesse, dem zukünftig noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Zum anderen scheint ein wichtiger Punkt zu sein, der freilich ebenfalls noch genauerer Analyse bedarf, daß einzelne Verhaltensweisen von lurisdiktionen bezüglich der Frage, ob sie eine wettbewerbsfördernde oder wettbewerbsverhindernde Verhaltensweise darstellen, höchst differenziert betrachtet werden müssen. Wir hatten beispielsweise gesehen, daß die von Delaware praktizierte Strategie des "raising rivals' cost" [Abschnitt E.II.1.a)bb)] sowohl dazu führt, daß die gesellschaftsrechtlichen Nachfrager ein mit der Situation ohne "raising ri307 Zu einer grundsätzlichen Einschätzung des Konzepts der Pfadabhängigkeit im Rahmen der ökonomischen Analyse des Rechts siehe Hathaway. Path Dependence in the Law ... ; zu einer Reflektion des Konzepts mit Bezug zu einzelnen rechtlichen Problemen siehe LemleylMcGowan. Legal Implications ...

v.

Zusammenfassung und Würdigung

239

vals' cost" verglichen schlechteres Gesellschaftsrecht erhalten, als auch, daß die gesellschaftsrechtlichen Produktionskosten für die Iurisdiktionen erhöht werden. Insofern könnte man zu der Einschätzung gelangen, daß Delawares Wettbewerbs strategie wettbewerbsbeschränkend wirkt und folglich daran gedacht werden könnte, Schritte auf der Metaebene einzuleiten, um Delawares Verhaltensweise zu verhindern. Bei genauerer Betrachtung der Bedingungskonstellation fällt jedoch auf, daß die Strategie des "raising rivals' cost" beim Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten nicht nur wettbewerbsbeschränkend wirkt, sondern Wettbewerb überhaupt erst ermöglicht, da im Zuge der Durchsetzung der Wettbewerbs strategie das Problem gelöst wird, daß die Wettbewerber Delawares gesellschaftsrechtliche Innovationen problemlos imitieren können. Erst durch die Lösung des Ausschlußproblems erhält Delaware nämlich die nötigen Anreize zur Fortentwicklung seines Gesellschaftsrechts. Neben einem tieferen Einblick in die Funktionsabläufe des Regulierungswettbewerbs am Beispiel des Gesellschaftsrechts hat dieses Kapitel ebenfalls aufgezeigt, daß das "amerikanische Modell" nicht ohne weiteres auf die Europäische Union übertragbar ist. Zwar scheint die Gründungstheorie als Kollisionsnorm in beiden Rechtsräumen eine notwendige Bedingung zur Ingangsetzung des Regulierungswettbewerbs zu sein, weitere institutionelle Voraussetzungen scheinen jedoch in der Europäischen Union erfüllt werden zu müssen, damit im Regulierungswettbewerb ein "race to the top" stattfinden kann. Vor allem das Problem institutioneller Komplementaritäten verdient im europäischen Kontext besondere Beachtung. Damit wenden wir uns nun stärker den Ordnungsbedingungen zu, unter denen ein gesellschaftsrechtlicher Wettbewerb stattfinden kann.

2. Ein Ausblick auf das Problem der Schaffung einer Metaordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten An dieser Stelle der Analyse scheint für die Ordnung des Gesellschaftsrechts in Europa die Einführung von Regulierungswettbewerb durch den Übergang zur Gründungstheorie wenig attraktiv zu sein. Denn Regulierungswettbewerb wird möglicherweise zur Adoption eines inferioren gesellschaftsrechtlichen Standards führen oder Regulierungswettbewerb kommt erst gar nicht in Gang. Wäre es in einer solchen Situation nicht besser, auf die Einführung von gesellschaftsrechtlichem Regulierungswettbewerb durch den Übergang zur Gründungstheorie zu verzichten? Wäre nicht eine Beibehaltung der Sitztheorie für die bisherigen Sitztheorie-Staaten besser? Oder sollte die Niederlassungsfreiheit nicht am besten durch ein harmonisiertes Gesellschaftsrecht in der Europäischen Union gewährleistet werden?

240

E. Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten

Unseres Erachtens sind die Beibehaltung des Status-Quo oder die Hannonisierungslösung jedoch langfristig mit größeren Risiken verbunden als der "kontrollierte" Übergang zum Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht. Der Grund für diese Einschätzung liegt darin, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union letztlich nicht frei darin sind, ob sie Wettbewerb im Gesellschaftsrecht wünschen oder nicht. Wir sahen in Kapitel D., daß in den Regulierungswettbewerbstypen I bis III ein Standortwettbewerb stattfindet, der auch auf das Gesellschaftsrecht durchschlägt. Bei Beibehaltung des kollisionsrechtlichen Status-Quo in der Europäischen Union tritt damit bei der hohen wirtschaftlichen Verflechtung und dem forcierten Standortwettbewerb vennutlich der Fall ein, daß die Gesellschaftsrechte von den Mitgliedstaaten gegenseitig angepaßt werden, ohne daß diese Anpassungsvorgänge von einer Institution gesteuert würden, die das Komplementaritätsproblem mildern würde. Die Beibehaltung des Status-Quo weist somit wahrscheinlich mittelfristig von allen Ordnungsalternativen die größten Risiken auf. Die Hannonisierung des europäischen Gesellschaftsrechts erscheint hingegen als eine Lösung, die die Niederlassungsfreiheit garantiert und das Problem der Komplementarität umgehen kann, wenn das zentrale Gesellschaftsrecht entsprechend anschlußfähig gemacht wird an die national verbleibenden Regulierungen. Doch auch mit dieser Ordnungsalternative sind nicht unerhebliche mittel- bis langfristige Risiken verbunden. Zum einen sei daran erinnert, daß das rechtliche Innovationspotential, das mit Regulierungswettbewerb verbunden ist, ausgeschaltet wird und der Einfluß von Interessengruppen die Qualität des harmonisierten Gesellschaftsrechts nachhaltig verschlechtern kann. Zum anderen verlagert die Harmonisierungslösung das Komplementaritätenproblem nur auf eine größere Entität, nämlich die gesamte Europäische Union. Denn ein Standortwettbewerb um mobile Produktionsfaktoren findet nicht nur in der Europäischen Union statt, sondern weltweit und übt einen immer stärkeren Druck auf nationale Regulierungen aus. Für die Regulierung des Gesellschaftsrechts ist also wenig gewonnen, wenn in der Europäischen Union der Wettbewerb im Gesellschaftsrecht ausgeschaltet wird, Unternehmen aber zunehmend weltweit ihre Investitionsentscheidungen treffen, wobei sie die Vorteilhaftigkeit gesellschaftsrechtlicher Regeln mitkalkulieren. Daher scheint es vorteilhaft, durch einen Übergang zur Gründungstheorie und der Einführung von Wettbewerb im Gesellschaftsrecht nicht nur die Anpassungsfahigkeit der nationalen Gesellschaftsrechte in der Europäischen Union zu erhöhen, sondern die Europäische Union insgesamt im Bereich des Gesellschaftsrechts an die Bedingungen eines globalen Standortwettbewerbs anzupassen.

F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb im Gesellschaftsrecht Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln zunächst auf einer allgemeinen Argumentationsebene das Thema des interjurisdiktionellen Wettbewerbs behandelt wurde und die Notwendigkeit einer Wettbewerbsordnung für den interjurisdiktionellen Wettbewerb unter besonderer Berücksichtigung des Kollisionsrechts aufgezeigt wurde, wurde der Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten als Teil des interjurisdiktionellen Wettbewerbs in einer Taxonomie von Regulierungswettbewerbstypen verortet, die die Mobilität von Faktoren und Regulierungen zwischen lurisdiktionen zum Gegenstand haben. Der nächste Untersuchungsschritt bestand dann in der ausführlichen Erörterung der Funktionsweise des gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerbs und der Ableitung möglicher Ergebnisse, die dieser Wettbewerb hervorbringen kann. Nun soll der Bogen wieder zurückgeschlagen werden zu der Frage, welche Elemente einer Wettbewerbsordnung für die Funktionsfähigkeit eines Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht besonders wichtig sein könnten. Das normative Ziel ist demnach, Regeln auf der Metaebene zu benennen, die die Wettbewerbsprozesse im Sinne eines "race to the top" ablaufen lassen. Die Frage der normativen Begründung einer solchen Metaordnung soll hingegen nicht erneut aufgerollt werden. Die Vorgehensweise in diesem Abschnitt ist, daß zunächst nochmals auf das Wissensproblem aufmerksam gemacht wird. Diesmal jedoch nicht in bezug auf die Auswahl der geeigneten gesellschaftsrechtlichen Regeln, sondern in Hinblick auf das adäquate Design der Metaordnung, das den Wettbewerb im Gesellschaftsrecht kanalisieren soll. Anschließend erfolgt eine ausführliche Diskussion der möglichen Ausgestaltung des Kollisionsrechts als Regelrahmen für den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb.

I. Das Wissensproblem beim Design einer geeigneten Metaordnung Die Aufgabe einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb im Gesellschaftsrecht ist, einen Innovations- und Imitationsprozeß im Gesellschaftsrecht zu ermöglichen, der zu einem "race to the top" führt. Die geeigneten Regeln einer solchen Metaordnung zu bestimmen, ist jedoch nicht einfach, weil - wie wir gesehen haben - ganz unterschiedliche Hypothesen zur Wir16 Heine

242

F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

kungs- und Funktionsweise des Wettbewerbs im Gesellschaftsrecht bestehen. Daher erscheint es uns vorschnell, wenn mit Hilfe einer einfachen Anwendung der Marktversagenstheorie und der Transaktionskostenökonomik über die Frage entschieden wird, welche Bereiche des Gesellschaftsrechts zentralisiert werden sollten und in welchen ein Experimentierungsprozeß stattfinden kann. Eine solche Vorgehensweise erinnert stark an die traditionelle Föderalismustheorie, die "top-down" den geeigneten Zentralisierungsgrad von Jurisdiktionen hinsichtlich ihrer angebotenen Steuer-Leistungsbündel festzulegen versucht. 1 Ein Beispiel für die top-down Philosophie bei der Konstruktion einer Ordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten ist der Ansatz von Chamy.z Nachdem er das US-amerikanische und das europäische GeseIlschaftsrecht vergleichend dargestellt und darauf hingewiesen hat, daß mit Zentralisierung und Dezentralisierung jeweils Vor- und Nachteile verbunden sein können, stellt er zu recht fest, daß es einer Rahmenordnung bedarf, um die Vorteile von den Nachteilen der Zentralisierung und Dezentralisierung zu trennen. Was er im folgenden entwickelt, ist jedoch keine Wettbewerbsordnung für den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb im eigentlichen Sinne, sondern er geht einzelne Teile des Gesellschaftsrechts durch und bestimmt mittels Marktversagenstheorie, ob Wettbewerb in diesem Bereich möglich sei oder nicht. Ergänzend stellt er mittels Überlegungen der Transaktionskostenökonomik fest, ob in einem bestimmten Bereich Regulierungswettbewerb im Vergleich zur Hannonisierung eine Verschwendung von Ressourcen sei. Bei diesem Vorgehen kommt er in einern Großteil der untersuchten Felder zu der Schlußfolgerung, daß die Hannonisierung dem Wettbewerb vorzuziehen sei. 3 Doch auch in den Feldern, in denen er dezentrales Experimentieren für möglich hält, schätzt er die Bedeutung des Experimentierens als eher gering ein und sieht vor allem erhebliche Transaktionskosten damit verbunden. "But as the evidence accumulates, the experimental value of jurisdictional diversity wanes, and the costs from promanagement lawmaking increase. Centralized rulemaking is then in order. ,,4 Romano 5 zählt daher den Ansatz Chamys auch zu denjenigen der Befürworter einer weitreichenden Hannonisierung des Gesellschaftsrechts. Uns erscheint die Aufgabe einer Wettbewerbsordnung für den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten hingegen nicht zu sein, binär zwischen 1 Zu einer knappen Skizzierung des top-down Ansatzes im Gegensatz zu einern bottom-up Ansatzes siehe Kerber, Zum Problem einer Wettbewerbsordnung S. 208 ff.; sowie derselbe, Rechtseinheitlichkeit und Rechtsvielfalt ... , S. 86. 2 Chamy, Competition Among Jurisdictions .. . 3 Chamy, Competition Among Jurisdictions ... , S. 441 ff. 4 Chamy, Competition Among Jurisdictions ... , S. 449. 5 Romano, The Genius ... , S. 129.

11. Lösung des Anreizproblems durch eine "franchise tax"

243

Hannonisierung und Wettbewerb zu unterscheiden, sondern eine Metaordnung eher unter dem Aspekt ihrer Ermöglichungsfunktion von Wettbewerb zu betrachten. Damit ist auch die Vorstellung verbunden, daß rechtliche Innovationen nicht nur auf der Ebene der einzelnen Gesellschaftsrechte, sondern auch auf Ebene der Metaordnung selbst stattfinden können. So mag sich im Laufe der Zeit herausstellen, daß gesellschaftsrechtliche Bereiche, die bislang hannonisiert waren, unter bestimmten Bedingungen dem Regulierungswettbewerb doch zugänglich sind. Umgekehrt mögen Bereiche harmonisiert werden, wenn sich herausstellt, daß Wettbewerb systematisch zu unerwünschten Ergebnissen führt. Diese Offenheit bezüglich der adäquaten Gestaltung der Metaordnung soll kein pessimistisches Bild über die Möglichkeiten des Auffindens geeigneter Metaregeln vermitteln, es soll aber deutlich machen, daß es bislang kein wissenschaftliches Verfahren gibt, mit dem binär festgestellt werden könnte, in welchen Bereichen Regulierungswettbewerb möglich ist und in welchen nicht. Daher erscheint es als sinnvoll, bei der Aufstellung einer geeigneten Metaordnung vor allem die Ermöglichungsfunktion der Metaordnung für Regulierungswettbewerb im Auge zu behalten. 6

11. Lösung des Anreizproblems durch Einführung einer "franchise tax" Ein Problem, das im interjurisdiktionellen Wettbewerb gelöst werden muß, ist das Anreizproblem. 1urisdiktionen müssen ein Interesse daran haben, Regulierungen fortzuentwickeln. Im Rahmen eines Standortwettbewerbs ist der Anreiz offensichtlich: Mobile Faktoren sollen attrahiert werden, weil sie neue Steuerquellen für eine Jurisdiktion darstellen und darüber hinaus das Wirtschaftspotential einer 1urisdiktion steigern, beispielsweise verbunden mit einer Erhöhung der vorhandenen Arbeitsplätze. Im Regulierungswettbewerb können jedoch nicht nur die Produktionsfaktoren mobil werden, sondern auch die Regulierungen. Deswegen wird es bei einem Regulierungswettbewerb, wie man ihn bei einem Regulierungswettbewerbstyp IV vorfindet, nötig, 1urisdiktionen die Möglichkeit zu geben, die angebotenen Regulierungen zu bepreisen. Am Beispiel der Vereinigten Staaten hatten wir gesehen, daß die "franchise tax" auf die Benutzung eines Gesellschaftsrechts einen Anreiz für Staaten darstellt, ihr Gesellschaftsrecht fortzuentwickeln. Ein wichtiges Recht, das auf der Metaebene zu garantieren ist, wäre deshalb, daß 1urisdiktionen die Benutzung ihrer Regulierungen mit Steuerpreisen versehen können. 7 Die weitergehende Frage ist in diesem Zusammen6 16*

Van den Bergh. Towards an Institutional Legal Framework ...

244

F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

hang, ob die Steuerpreisgestaltung von einer Wettbewerbsaufsicht überwacht werden sollte, die versucht, eine faire Preisgestaltung der Steuern durchzusetzen. Solche Überlegungen werden im Bereich der Finanzwissenschaft zum Thema Steuerwettbewerb regelmäßig angestellt. 8 Unseres Erachtens ist eine Übertragung der finanzwissenschaftlichen Diskussion zum Steuerwettbewerb jedoch nicht problemlos auf die Finanzierungsaspekte des Regulierungswettbewerbs im allgemeinen und den gesellschaftsrechtlichen Wettbewerb im besonderen möglich. Denn es ist zu bedenken, daß eine Intervention in die Preisbildung immer adverse Effekte haben kann, sei es, daß Steuerhöchstpreise den Anreiz zur Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts beeinträchtigen können oder sei es, daß die Steuerpreisaufsicht von den Jurisdiktionen zur Stabilisierung eines Steuerpreiskartells instrumentalisiert wird. Neben diesen realen Gefahren der Steuerpreisaufsicht fragt sich aber noch viel grundsätzlicher, welchen Nutzen eine Preisaufsicht in diesem Bereich überhaupt haben sollte. Ein Argument für eine Steuerpreisaufsicht könnte sein, daß durch einen steuerlichen Unterbietungswettlauf die Staatseinnahmen aus der "franchise tax" derart gering werden, daß der Anreiz zur Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts verloren ginge. Wir haben aber am Beispiel Delawares gesehen, daß in der Realität ein solcher Steuersenkungswettlauf nicht stattfindet. Daneben ließ sich zeigen, daß die Anwälte einer Jurisdiktion ein hohes Interesse daran haben, daß das Gesellschaftsrecht einer Jurisdiktion attraktiv ist, weil sie über die anwaltliche Beratung von den Inkorporationen profitieren. Die Bereitstellung des Gutes "Gesellschaftsrecht" würde somit vermutlich auch unabhängig von der Besteuerung durch das Engagement von Anwälten und insbesondere Anwaltskammern stattfinden. 9 Schließlich könnte behauptet werden, daß Jurisdiktionen eine Strategie des steuerlichen "predatory pricings" verfolgen könnten, indem sie jetzt ihr Gesellschaftsrecht nicht kostendeckend anbieten, um dann nach erfolgreicher Verdrängung der Konkurrenten als Monopolist die steuerliche Monopolrente zu maximieren. Die erfolgreiche Durchführung einer solchen Steuerpreisstrategie scheint jedoch höchst fraglich. Sollte der siegreiche Monopolist nämlich versuchen, seine "franchise tax" deutlich anzuheben, um die Verluste aus der Preiskampfphase wieder einzuholen, hat er das Problem, daß andere Jurisdiktionen sein Gesellschaftsrecht kopieren und zu einem günstigeren Preis anbieten können, außer es gelingt ihm, hinreichend starke gesellschaftsrechtliche "lock-ins" bei den inkorporierten Unternehmen auszulösen. 1O Diese potentielle Konkurrenz der Nachpreiskampfphase Van den Bergh. Towards an Institutional Legal Framework ... , S. 458. Walter Müller. Was ist "fairer" Steuerwettbewerb ... 9 Diese Vermutung findet sich ebenfalls bei Van den Bergh. Towards an Institutional Legal Framework ... , S. 458. 7

8

1I. Lösung des Anreizproblems durch eine "franchise tax"

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läßt das Ausbrechen eines Steuerpreiskampfes letztlich als wenig rationale Strategie im Wettbewerb der Jurisdiktionen um Inkorporationen erscheinen. Eine weitere Schwierigkeit bei der Steuerpreisaufsicht ist, wie wir gesehen haben, daß Jurisdiktionen verschiedene Strategien haben können, um sich ihr Angebot von Gesellschaftsrecht entgelten zu lassen. In Delaware gibt es das Phänomen der Steuerpreisdifferenzierung sowie die Inkorporationsindustrie, die neben Anwälten zum Beispiel auch Gastronomie und Hotelkapazitäten zur Unterbringung von Klienten umfaßt, Nevada verlangt wiederum gar keine "franchise tax", hat aber eine ausgefeilte Gebührenordnung für die registermäßigen Eintragungen von Veränderungen einer Gesellschaft. Eine Steuerpreisaufsicht dürfte demnach große Schwierigkeiten haben, den konkreten Preis zu erfassen, den Gesellschaften für eine Inkorporation letztlich an eine Jurisdiktion zu entrichten haben. Neben der Sicherung des Rechts, eine "franchise tax" zu erheben, erscheint es ebenfalls sinnvoll, das Recht der Jurisdiktionen zu sichern, steuerähnliche Abgaben zu erheben, wie Inkorporationsgebühren, die ganz oder teilweise einer Behörde (zum Beispiel dem Registergericht) zufließen. Die direkte oder indirekte Teilhabe einer Behörde an den Einnahmen aus Inkorporationen kann nämlich ein Anreiz für sie sein, an der Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts mitzuwirken. Dieser Anreiz ist um so wichtiger, je größer eine Jurisdiktion ist und um so geringer damit die Staatseinnahmen aus der "franchise tax" im Verhältnis zu den gesamten Staatseinnahmen sind. Der möglicherweise mangelnde Anreiz einer Jurisdiktion an der Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts könnte somit durch den Anreiz der Behörde teilweise kompensiert werden. 1 1 10 Delaware ist eine lurisdiktion von der behauptet wird, daß sie einen solchen gesellschaftsrechtlichen "lock-in" der inkorporierten Unternehmen erzeugt habe, den es zur Maximierung der Einnahmen aus der "franchise tax" strategisch nutze (Kamar, A Regulatory Competition Theory ... ; Fisch, The Peculiar Role ... ). Allerdings ist unseres Erachtens die Frage völlig offen, inwieweit sich der Aufbau eines solchen strategischen Potentials bewußt steuern läßt. Es sei nur daran erinnert, daß eine Ursache für De1awares Dominanz vermutlich sein Gerichtssystem ist, das mit seinem Court of Chancery (equity court) eine starke englische Rechtstradition aufweist. Die Adoption dieser Rechtstradition ist eine historische Kontingenz, die den evolutiven Charakter von Regulierungswettbewerbsprozessen unterstreicht, aber unseres Erachtens wohl kaum in der Lage dazu sein dürfte, um gesicherte normative Strategieempfehlungen für lurisdiktionen abzuleiten. 11 An dieser Stelle wird nochmals deutlich, daß die Analyse der Innovationsanreize zur Fortentwicklung des Gesellschaftsrechts ein Forschungsfeld ist, das zukünftig noch genauerer Betrachtung bedarf. So wäre zum Beispiel einmal genauer empirisch zu überprüfen, wie robust die Aussage ist, daß "kleine" lurisdiktionen einen größeren Anreiz hätten, ihr Gesellschaftsrecht fortzuentwickeln als "große" lurisdiktionen. Eine solche Untersuchung könnte vielleicht ergeben, daß von einer modifizierten Anreizhypothese ausgegangen werden muß, die davon ausgeht, daß

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F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

Es bleibt damit festzuhalten, daß ein wichtiger Aspekt auf der Ebene der Metawettbewerbsordnung für einen funktionsfähigen Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht die Möglichkeit zur Bepreisung der angebotenen Regulierungen ist. Regulierungen dieses Rechts von der Metaebene aus in Form einer Wettbewerbsaufsicht, die den Aktionsparameter Steuerpreis einschränkt oder die zu einer Beschränkung der Erhebung von Inkorporationsgebühren führt, erscheinen dabei in Hinblick auf ihre Anreizwirkungen als höchst dysfunktional.

111. Gewährung von Freizügigkeit für Richter und Anwälte Bevor im nächsten Abschnitt auf die Frage der freien Rechtswahl im GeseIlschaftsrecht eingegangen wird, soll hier der Frage nach der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit der mit der Rechtsanwendung beschäftigten Personen kurz nachgegangen werden. Am Beispiel Delawares hatten wir gesehen, daß Delaware nicht nur ein begehrter Inkorporationsort ist, sondern daß ebenfalls Anwälte und Richter dort gerne ihrer Beschäftigung nachgehen. Man kann deshalb sagen, daß die weitgehend gesicherte Berufsfreiheit für Richter und Anwälte zwischen den einzelnen Staaten es den Staaten erlaubt, über den Aktionsparameter "Personalpolitik" in Wettbewerb miteinander zu treten. Eine Jurisdiktion kann also versuchen, über die Anziehung geeigneten Humankapitals an gesellschaftsrechtlicher Expertise zu gewinnen, um als Inkorporationsort attraktiver zu werden. Das Recht auf Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit für natürliche Personen ist ein Recht, das auf der Metaebene verankert werden sollte, damit dieser Aktionsparameter nicht von Interessengruppen, wie den ortsansässigen Anwälten einer Jurisdiktion, die sich ein Gebietsmonopol schaffen möchten, lahmgelegt werden kann. Im Prinzip stellt die Sicherung der Freizügigkeit des Humankapitals von Richtern und Anwälten nichts anderes dar als die Eröffnung eines Standortwettbewerbs zwischen Jurisdiktionen um diese speziellen mobilen Humanressourcen. Das angezogene Humankapital von Anwälten und Richtern kann gleichsam als Investition von Jurisdiktionen in ihre Standortqualität für Gesellschaften interpretiert werden, die die Anzahl der Inkorporationen steigert.

lurisdiktionen tendentiell die Ertragsinzidenz jeder Investition in die institutionelle Infrastruktur im Sinne eines "Return on Investment" kalkulieren. Ausgehend von diesem Investitionskalkül ließe sich dann zwar keine Gegenthese zum erhöhten Innovationsanreiz kleiner lurisdiktionen aufstellen, aber beispielsweise besser begründen, warum in großen lurisdiktionen das Gesellschaftsrecht stärker fortentwickelt wird, als es zu erwarten wäre.

IV. Kollisionsrecht als Metaordnung

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IV. Kollisionsrecht als Metaordnung für den gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb Versteht man unter Kollisionsrecht dasjenige Bündel an rechtlichen Regelungen, das darüber entscheidet, wie weit der Rechtsraum einer Jurisdiktion unabhängig vom Staatsgebiet der Jurisdiktion reicht, dann hat man es offenbar genau mit den Regeln zu tun, die den Möglichkeitsraum der Rechtswahl für natürliche und juristische Personen bestimmen. Dem Kollisionsrecht kommt somit die Ermöglichungsfunktion für einen Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht zu. Je nachdem, welche kollisionsrechtliche Regel gewählt wird, ergibt sich ein anderer Regulierungswettbewerbstyp. An dieser Stelle soll nicht erneut über die - wenn auch wichtigen komplizierten dogmatischen Begründungen einzelner Ansätze des Kollisionsrechts nachgedacht werden. Es soll deshalb die Annahme getroffen werden, daß Jurisdiktionen in kollisionsrechtliche Regime vom Typ I und 11 freiwillig einwilligen, um mit weiteren assoziierten Jurisdiktionen Tauschgewinne zu realisieren. Diese Annahme ist keineswegs heroisch. 1972 fällte entsprechend dem kollisionsrechtlichen Regime 11 der U.S. Supreme Court eine "landmark decision" im Fall M/S Bremen v. Zapata Off-Shore CO.,12 in der der Supreme Court es ablehnte, gegen eine von den Parteien vereinbarte Forumklausel (Gerichts ort London Court of Justice) zu verstoßen und den Fall an ein Bundesgericht nach Florida zu holen. Der Supreme Court argumentierte: ,,[T]he expansion of American business and industry will hardly be encouraged if, notwithstanding solemn contracts, we insist on a parochial concept that all disputes must be resolved under our laws and in our courts ... We cannot have trade and commerce in world markets and international waters exclusively on our terms, governed by our laws, and resolved in our courts.,,13 Die Begründungsprobleme des Kollisionsrechts und das Implementationsproblem werden daher im folgenden als lösbar betrachtet, so daß über eine Metaordnung für den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht abstrakt, aber nicht als Utopie nachgedacht werden kann. Die Untersuchungs schritte zur Konzipierung eines Kollisionsrechts im Gesellschaftsrecht als Metawettbewerbsordnung sehen folgendermaßen aus. Zunächst wird das Basisdesign des vorgeschlagenen Kollisionsrechts dargestellt. Dann erfolgt die Berücksichtigung des Problems externer Effekte im Regulierungswettbewerb. Hieran schließt sich eine Diskussion möglicher Lösungen zur Handhabung des Problems institutioneller Komplementaritäten an. Abschließend wird reflektiert, wie mit dem Problem grundsätzlicher 12 13

407 V.S. at 1,92 S.o. at 1907, 32 L.Ed.2d 513 (1972). 407 V.S. at 9,92 S.Ct. at 1912.

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F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

Präferenzunterschiede bezüglich gesellschaftsrechtlicher Regulierungen zwischen Iurisdiktionen umgegangen werden könnte. 1. Grundelemente einer koIIisionsrechtlichen Lösung

a) Freiheit der Rechtswahl

Konstitutiv für den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht ist ein kollisionsrechtliches Regime der Gründungstheorie. Die Festschreibung der Gründungstheorie als grundsätzlichem Einverständnis von Iurisdiktionen, das Gesellschaftsrecht anderer Iurisdiktionen anzuerkennen und nicht zu diskriminieren, ist ein Kernelement der Metawettbewerbsordnung, das die gesellschaftsrechtliche Rechtswahl für Unternehmen eröffnet. 14 Mit der gegenseitigen Anerkennung von Gesellschaftsrechten ist aber das Thema Rechtswahlfreiheit im Gesellschaftsrecht noch nicht erledigt. Die Metaordnung muß nämlich auch zu der Frage Stellung beziehen, inwiefern und in welchem Ausmaß private Problemlösungen zur Lösung gesellschaftsrechtlicher Probleme Anerkennung finden sollen. So wird zwischen Gesellschaftsrechtstheoretikern eine heftige Debatte über nahezu jeden Regelungsbereich geführt, ob er nicht als "default rule" gestaltet werden sollte oder vielleicht sogar völlig in die Vertragsfreiheit der Parteien entlassen werden sollte. 15 Die Forschungen zur Theorie der Firma haben diese Frage bislang ebenfalls nicht lösen können. Wie kann die Metaordnung mit diesem rechtswissenwissenschaftlichen Wissensproblem umgehen, wenn klar ist, daß gesellschaftsrechtliche Problemlösungen privatvertraglich generiert werden sollten, wann immer es möglich ist und es der Wunsch der Vertragsparteien ist? Eine erste Möglichkeit (Alternative 1) zur Ordnung dieses Problems auf der Metaebene ist die Harmonisierung von Tatbeständen, über die Uneinigkeit herrscht, ob sie durch Partei willen abdingbar sein sollten oder nicht. Es könnte dabei sowohl eine allgemeine opt-out Möglichkeit solcher Regelungsbereiche für Unternehmen vereinbart werden (enabling) als auch eine Regulierung, die unabdingbar gilt (mandatory). An die Stelle der gegenseitigen Anerkennung von verschiedenen Lösungshypothesen für ein gesellschaftsrechtliches Problem tritt also eine zentrale Lösungshypothese darüber, wie das Problem am besten zu lösen sei. Das zentralistische Moment besteht dabei darin, daß zentral darüber entschieden wird, ob für ein gesell14 Zur Notwendigkeit der Verankerung der Gründungstheorie auf der Metaebene zur Ingangsetzung eines Regulierungswettbewerbs im Gesellschaftsrecht siehe auch Garcimartin, Regulatory Competition ... 15 Romano, The Genius ... , S. 85 ff. mit weiterführender Literatur.

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schaftsrechtliches Problem eine abdingbare oder unabdingbare Regelung adäquat ist. Es handelt sich somit bei der Harmonisierungslösung um das Aufgeben der Kompetenz von lurisdiktionen, autonom darüber entscheiden zu können, ob sie eine Regulierungsnotwendigkeit erkennen oder nicht. Ein Beispiel kann diesen Punkt noch etwas deutlicher und plastischer werden lassen. Ein ökonomisch und rechtswissenschaftlich strittiges Problem ist, ob die Möglichkeit zum Insiderhandel nicht in das Ermessen von Gesellschaften gestellt werden sollte. 16 Man könnte nun auf der Metaebene zentral vereinbaren, den Insiderhandel generell zu verbieten, zu erlauben oder es könnte zwar ein generelles Verbot zwischen den lurisdiktionen vereinbart werden, das jedoch durch Partei willen abbedingbar ist und Gesellschaften erlauben würde, in der Satzung individuell zu vereinbaren, wie sie mit dem Problem umgehen wollen. Während die zentrale Feststellung einer Vorschrift, zum Beispiel in Form eines Ge- oder Verbots, eindeutig das Ende eines parallelen rechtlichen Experimentierungsprozesses markiert, verhält es sich mit der zentralen Deregulierung eines Tatbestandes oder der zentralen Festlegung einer "default rule" komplizierter. So hat die zuletzt aufgezeigte Möglichkeit der Wahl einer zentralen "default rule" vor dem Hintergrund des beschriebenen Wissensproblems eine zweischneidige Wirkung. Einerseits wird der Experimentierungsprozeß mit gesellschaftsrechtlichen Regulierungen eingeschränkt, weil lurisdiktionen nicht mehr frei darin sind, eine bestimmte Regulierung nach ihren Regulierungspräferenzen bindend zu gestalten. Andererseits wird der rechtliche Experimentierungsprozeß insofern beschleunigt, daß in dem durch die "default rule" kanalisierten Bereich, Unternehmen selbständig nach adäquaten Lösungsmöglichkeiten suchen können. In diese Richtung weisen beispielsweise auch die Überlegungen Ribsteins,17 der den Wettbewerbs- und Experimentierungsprozeß im Gesellschaftsrecht dadurch noch weiter beschleunigen möchte, indem er die Ermöglichung und gegenseitige Anerkennung von gesellschaftsrechtlichen Regulierungen fordert, die sich jenseits der staatlich kreierten Regeln aus rein privatvertraglichen Verhandlungen von Parteien herausbilden. 18 Romano, The Genius ... , S. 101 ff. Ribstein, Efficiency ... , S. 267 ff. 18 "At least some of the inefficincies resulting from the state competition for chartering business could be eliminated if states and firms were free to experiment with noncorporate rules" (Ribstein, Efficiency ... , S. 267). Daß die Ermöglichung reiner Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht noch eine andere Qualität hat als "default rules", darauf weisen zum Beispiel auch Grundmann und Mülbert hin: "Werden verschiedene Regelungsebenen unterschieden, so geht die Hauptfrage dahin, ob der Staat durch Unterlassen einer Regelung oder durch Wahl einer nur dispositiven Regelung die Ordnung oder die Möglichkeit einer Ordnung in private Hände legt oder nicht. Im ersten Fall ist weiter zu fragen, an wen die Regulierungsmacht über16

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Ob die Gleichstellung staatlich generierten Gesellschaftsrechts (inklusive des über "default rules" erzeugten) mit privat erzeugtem Gesellschaftsrecht auf der Metaebene positiv zu beurteilen ist, ist natürlich eine schwer zu beantwortende Frage. Sie läßt sich letztlich nur empirisch klären. Dabei ist zwischen den Nutzen der Erweiterung der Rechtswahlmöglichkeiten für die Rechtsnachfrager und möglichen externen Effekten, die vermehrt auftreten könnten, abzuwägen. Wichtig ist auf jeden Fall, daß Ribstein auf die hier immer mit zu bedenkende Ordnungsalternative der privaten Lösung aufmerksam macht. Eine andere Regulierungsoption (Alternative 2) auf der Metaebene ist, daß Regulierungsbereiche des Gesellschaftsrechts, in denen es strittig ist, welches die adäquate Aufteilung zwischen unabdingbaren und abdingbaren Regulierungen ist, es den Jurisdiktionen freigestellt wird, ihrerseits ein optout aus der gegenseitigen Anerkennung des Gesellschaftsrechts zu unternehmen und Sonderanknüpfungen vorzunehmen. Das könnte man auch als eine partielle Vereinbarung zur Geltung der Sitztheorie verstehen. Am Beispiel des Insiderhandels hieße das, daß es für diesen Bereich den Jurisdiktionen freigestellt wird, ob sie Insiderhandel erlauben wollen oder nicht. Die Metaordnung bekäme bei Wahl dieser Regulierungsoption den Charakter, daß zunächst entsprechend der Gründungstheorie die allgemeine gegenseitige Anerkennung der Gesellschaftsrechte erklärt wird, dann aber ein jurisdiktionsspezifischer Katalog von Ausnahmebereichen folgen würde, in denen die Sitztheorie Anwendung findet. Eine dritte Möglichkeit zur Regulierung der Rechtswahlfreiheit und der Grenzziehung zwischen unabdingbaren und abdingbaren Regulierungen besteht schließlich auf der Metaebene (Alternative 3) darin, eine strikte gegenseitige Anerkennung der Gesellschaftsrechte durchzustzen. Das soll heißen, daß die Gründungstheorie so lange durchgesetzt wird, wie von dem Gesellschaftsrecht einer Jurisdiktion keine erheblichen Kosten auf dritte Parteien einer anderen Jurisdiktion überwälzt werden. Eine Jurisdiktion wäre damit weitgehend frei, ihr Gesellschaftsrecht nach ihren Vorstellungen zu konzipieren und auf dem Markt für Gesellschaftsrechte zu testen. Damit kommt dem Regulierungswettbewerb nicht nur eine effizienzfördernde Funktion zu, sondern insbesondere auch eine wissenschaftliche, indem der Wettbewerbsprozeß stärker als in den vorangegangenen Ordnungsalternativen dazu benutzt wird, Wissen darüber zu schaffen, welche kausalen Hypothesen, die mit einer Regulierung verbunden werden, zutreffend sind. Wenn es zum Beispiel wissenschaftlich unklar ist, ob die Möglichkeit zum Insiderhandel den Wert eines Gesellschaftsrechts erhöht und Insiderhandel antwortet wurde." (Grundrrumn/Mülbert, Corporate Governance - Europäische Perspektiven, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Bd. 30, 2001, S. 219).

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den Präferenzen der Gesellschafter entspricht, dann kann über diese Frage der Regulierungswettbewerb Wissen schaffen durch das Adoptionsverhalten von Gesellschaften gegenüber verschiedenen Gesellschaftsrechten, die unterschiedliche Regulierungen des Insiderhandels beinhalten. Auch die Frage, ob mit einer bestimmten Regulierung externe Effekte verbunden sind, läßt sich durch das Experimentieren mit verschiedenen Regulierungen eines Tatbestandes rationaler klären. Wie Richter Brandeis nämlich bereits 1932 feststellte [siehe hierzu auch Abschnitt A.1.2.], eröffnet Wettbewerbsföderalismus die Chance, wie in einem Labor, kontrolliert mit Regulierungen zu experimentieren, um am Ende die beste Regulierung herauszufiltern. Neben der Grundsatzentscheidung für die Gründungstheorie konnten hier drei Ordnungsalternativen identifiziert werden, die das Verhältnis der Parteiautonomie zum "Vertragstypus" Gesellschaftsrecht steuern können. Die Gründungstheorie bestimmt dabei im Zusammenspiel mit der jeweils gewährten Parteiautonomie das Ausmaß an Rechtswahlfreiheit, das insgesamt zur Verfügung steht. Welche dieser drei Ordnungsalternativen sollte jedoch auf der Metaebene ausgewählt werden? Diese Frage kann zwar nicht pauschal beantwortet werden, unseres Erachtens scheint es aber bestimmte Bedingungskonstellationen zu geben, wann die eine Ordnungsaiternative den anderen potentiell überlegen ist. Ordnungsaiternative 1 ist besonders geeignet, wenn bereits die Wirkungsweise einzelner Regulierungen des Gesellschaftsrechts hinreichend bekannt ist. Ist beispielsweise bekannt, daß eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Regelung nicht abbedungen werden sollte, weil erhebliche Kosten auf Dritte überwälzt werden (z. B. Zwangsgläubiger), und lurisdiktionen in diesem Bereich zu einem "race to the bottom" neigen, so ist es vernünftig, diesen Regelungsbereich auf der Metaebene zu harmonisieren. Die Einführung gesellschaftsrechtlicher Mindeststandards für den Bereich könnten ein adäquates Mittel dazu sein. Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall, daß sich ein Regelungsbereich als unbedenklich im Rahmen der Vertragsfreiheit herausgestellt hat. Dann sollte dieser Bereich zentral als abbedingbar auf der Ebene der Metaordnung verankert werden oder gänzlich der Vertragsfreiheit der Parteien überlassen werden. Die vollständig private Lösung eignet sich insbesondere dann, wenn bereits ein grundlegendes Wissen über die Wirkung gesellschaftsrechtlicher Regulierungen vorliegt und feststeht, daß von der privatautonomen Rechtsetzung parallel zum staatlichen Gesellschaftsrecht zur Errichtung einer Gesellschaft keine untragbaren externen Effekte auf Dritte ausgehen. In einer solchen Bedingungskonstellation kann die private Aushandlung von Verträgen zu einer erheblichen Verbesserung der Effizienz von Gesellschaftsverträgen insbesondere auf Sachgebieten beitragen, die durch eine hohe Heterogenität der gesellschaftsrechtlichen Präferenzen geprägt sind. 19

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Vertragsfreiheit heißt hier natürlich nicht, daß völlig unkontrolliert Gesellschaftsrecht produziert würde. Es heißt vielmehr, daß die Grenze zwischen dem distinkten Vertrags typ "Gesellschaftsrecht" und dem allgemeinen Vertragsrecht zugunsten des letzteren verschoben wird. In diesem Rahmen wäre es beispielsweise auch möglich, mittels eines staatlich überwachten Lizensierungssystems - ähnlich wie bei technischen Überwachungsvereinen - bestimmten Vereinigungen zu erlauben, gesellschaftsrechtliche Kodizes (als sogenanntes "soft law") anzubieten. Die Ordnungsalternative 2 trägt dem Umstand Rechnung, daß es unabhängig vom Wissen über die Wirkungsweise gesellschaftsrechtlicher Regulierungen in Jurisdiktionen starke Präferenzen für eine bestimmte Form der Regulierung in gesellschaftsrechtlichen Regelungsbereichen geben mag, denen alle Gesellschaften, die auf dem Territorium der Jurisdiktion tätig werden wollen, folgen sollen. Sind solche starken Präferenzen für eine bestimmte Gestaltung in Teilen des Gesellschaftsrechts vorhanden, so ist unter normativen Gesichtspunkten eine Sonderanknüpfung gerechtfertigt. Als Beispiel könnte die deutsche Unternehmensmitbestimmung dienen. Besteht in Deutschland eine derart starke Präferenz nach Mitbestimmung, daß der Nutzen aus der Durchsetzung von Mitbestimmung etwaige Verluste an Effizienz von Unternehmen überwiegt, ist eine Sonderanknüpfung für Mitbestimmung legitimiert. Als Problem ist aber zu beachten, daß es sich bei dem Wunsch nach der Durchsetzung einer Sonderanknüpfung auch tatsächlich um die aggregierten lokalen Präferenzen handelt und nicht um die Präferenzen einer Interessengruppe, die sich lediglich Sondervorteile verschaffen will. Regulierungswettbewerb soll ja gerade dazu dienen, das erfolgreiche Rent-Seeking von Interessengruppen zu verhindern. Ein weiterer Punkt, der zu einer Sonderanknüpfung führen kann, ist die Existenz grundsätzlich unterschiedlicher Hypothesen über die Wirkung einzelner gesellschaftsrechtlicher Regulierungen. Regulierungswettbewerb ist ein Instrument, um mit diesem Problem umzugehen, was jedoch nicht ausschließt, daß auf einigen gesellschaftsrechtlichen Gebieten das wettbewerbliche Experimentieren von einzelnen Jurisdiktionen im Rahmen der auf der Metaebene vereinbarten Gründungstheorie als zu gefährlich angesehen wird. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Romanos Vorschlag,20 analog zum Wettbewerb im Gesellschaftsrecht den Wettbewerb mit Kapitalmarktregulie19 Dies ist ein Ergebnis der Theorie unvollständiger Verträge, die sich auch mit der Frage der Effizienz von "default rules" beschäftigt. Vereinfachend gesagt, wird die Wahl einer "default rule" als Regulierungsinstrument um so ineffizienter, je heterogener die vertragsspezifischen Präferenzen von Vertragsparteien sind (Schwartz, Incomplete Contracts ... ). 20 Romano, Empowering Investors: A Market Approach to Securities Regulation, in: Hopt u. a. (Hrsg.), Comparative Corporate Govemance, 1998, Oxford, S. 141.

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rungen in den Vereinigten Staaten einzuführen, den man aufgrund der Erfahrungen in der Großen Depression 1933 mit dem Securities Act beendet hatte. In einem solchen Fall liegt es nicht an mangelnder Kooperationsbereitschaft der Jurisdiktionen, daß auf der Metaebene keine Lösung gefunden wird, sondern daß Jurisdiktionen den diskontierten Erwartungsnutzen einer durch Regulierungswettbewerb zukünftig verbesserten Regel geringer schätzen als den diskontierten Nutzen bei einer Beibehaltung der bestehenden Regel. Diskontierungsrate und erwarteter Nutzen sind dabei hochgradig kontingent zu den Theorien, die über die Wirkung einzelner Regulierungen und des Wettbewerbs bestehen. Ordnungs alternative 3 erscheint schließlich als besonders geeignet, wenn noch vergleichsweise wenig Wissen über die kausalen Wirkungen einer spezifischen Regulierung im Gesellschaftsrecht vorliegen. In einem solchen Fall führt die gegenseitige Anerkennung mit gleichzeitig großer Autonomie der Jurisdiktionen in der Gestaltung ihres Gesellschaftsrechts zu einem kontrollierten Lernprozeß der Jurisdiktionen hinsichtlich der Geeignetheit einer bestimmten Gestaltung des Gesellschaftsrechts. Jurisdiktionen erwerben auf diese Weise auch das Wissen, ob sie einen gesellschaftsrechtlichen Tatbestand mit anderen Jurisdiktionen harmonisieren sollten oder stärker hin zur Vertragsfreiheit deregulieren können. Die Ermöglichung von Freiheit der Rechtswahl im Gesellschaftsrecht umfaßt somit in ihrem Kern das kollisionsrechtliche Regime der Gründungstheorie. Daneben ist jedoch noch das Verhältnis der einzelnen Gesellschaftsrechte zur allgemeinen Vertragsfreiheit auszutarieren. Damit dies gelingt, reicht eine pauschale Regulierung auf der Metaebene in Form der Auswahl einer der drei Ordnungsalternativen sicherlich nicht aus, sondern für verschiedene Bereiche des Gesellschaftsrechts muß unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungskonstellation und des bereits vorhandenen Wissens zur Wirkung einzelner Regulierungen eine differenzierende Entscheidung auf der Metaebene getroffen werden.

b) Freiheit der Forumwahl In gewisser Parallelität zur Frage der Freiheit der Rechtswahl strukturiert sich die kollisionsrechtliche Frage der Freiheit der Forumwahl auf der Metaebene. Die Frage der Forumwahl bezieht sich darauf, welche Jurisdiktion mit ihren Gerichten bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten von den Parteien zur Konfliktlösung angerufen werden kann. So mögen die Gesellschafter A und B ihre Gesellschaft in der Jurisdiktion R inkorporiert haben, aber die Forumklausel (Zuständigkeitsvereinbarung) vereinbart haben, in Streitfällen nicht in R zu prozessieren, sondern in S, weil dort beispielsweise die Prozeßdauer besonders gering ist, die Richter besonders kompe-

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tent sind oder weil das Forum für seine fairen Urteile bekannt ist. Am Beispiel Delawares sahen wir, daß Delaware bevorzugter Ort zur Konfliktlösung ist, weil die Prozeßparteien von den Gerichten in Delaware eine besonders kompetente und faire gerichtliche Lösung in gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten erwarten?1 Kurz gesagt, das Problem der Forumwahl macht darauf aufmerksam, daß es keineswegs zwingend ist, daß der Inkorporationsort gleichzeitig auch der Ort gerichtlicher Konfliktlösung einer Gesellschaft ist. 22 Es sind vor allem zwei Gründe, die dafür sprechen, daß auf der Metaebene die freie Forumwahl festgeschrieben wird. Der erste Grund liegt darin, daß gerichtliche Dienstleistungen einen wichtigen Aktionsparameter im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb der lurisdiktionen darstellen können. Wettbewerb zwischen gerichtlichen Foren kann zudem verhindern helfen, daß Richter ihre Sonderinteressen zu Lasten der Allgemeinheit verfolgen. Der zweite Grund für eine freie Forumwahl resultiert unseres Erachtens systematisch aus der vertrags theoretischen Struktur des Gesellschaftsrechts. Der Gesellschaftsvertrag ist unvollständig, der ex ante zur Koordination der Transaktionspartner einer Unternehmung geschlossen wird. Die Vertragslücken werden ex post durch richterliche Interpretation des Gesellschaftsvertrages geschlossen. Der Gesellschaftsvertrag besteht somit aus einer ex ante Komponente und einer ex post Komponente. Über die ex ante Komponente entscheidet die Rechtswahlfreiheit und über die 21 Diese Beobachtung läßt sich weiter stützen anhand der Forumwahl im USamerikanischen Konkursrecht (US Bankruptcy Code, Chapter 11). Das Konkursrecht der Vereinigten Staaten ist auf Bundesebene harmonisiert, jedoch besteht die Möglichkeit, das Forum zu wählen, vor dem die Unternehmensreorganisation gerichtlich begleitet wird (anders als in Deutschland, wo meist aufgrund der Dominanz des Gläubigerschutzes die Liquidation angestrebt wird, führt der stärkere Anlegerschutz in den Vereinigten Staaten zur Bevorzugung der Reorganisation). Als beliebtestes Forum für Konkursfälle hat sich in den neunziger Jahren Delaware herauskristallisiert. Delawares Dominanz wird unter anderem darauf zurückgeführt, daß De1aware sowohl über äußerst kompetente Konkursrichter verfügt als auch eine kurze Prozeßdauer bietet, was von ganz besonderer Bedeutung für das Gelingen von Reorganisationen ist (während eines Konkursverfahrens hat ein Unternehmen nämlich kaum die Möglichkeit, sich mit neuer Liquidität zu versorgen). Zu einer Diskussion, ob es sich bei der Forumwahl im Konkursrecht um ein "race to the top" oder ein "race to the bottom" handelt, siehe LoPucki/Kalin, The Failure of Public Company Bankruptcies in Delaware and New York: Empirica1 Evidence of a "Race to the Bottom", in: Vanderbilt Law Review, Vol. 54, 2001, S. 231 ff.; sowie Rasmussen/Thomas, Whither the Race? A Comment on the Effects of the Delawarization of Corporate Reorganizations, in: Vanderbilt Law Review, Vol. 54, 2001, S. 283 ff. 22 Siehe überblicksartig zur Gesamtproblematik der Forumwahl im Kollisionsrecht Parisi/O'Hara, Conflict of Laws, in: Newman (Hrsg.), The New Palgrave of Economics and the Law, Vol. 1, 1998, London, S. 390 ff.

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ex post Komponente die freie Wabl des Forums. Freie Forumwabl garantiert somit, daß die Präferenzen der gesellschaftsrechtlichen Parteien auch hinsichtlich der ex post Vertragsergänzung bestmöglich erfüllt werden können. Die schwierige Frage, welche Partei in einem Konfliktfall das Recht zur Forumwabl hat und unter welchen Umständen eine Jurisdiktion einen Fall ablehnen oder an sich ziehen kann, ist äußerst kompliziert und die Meinungen hierzu sind höchst unterschiedlich?3 Für den Fall, daß von den Parteien eine Forumklausel in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurde, das Forum also ex ante bestimmt wurde, spricht jedoch viel dafür, daß die Forumklausel auch streng exekutiert wird. Ansonsten werden die Parteien, wie die Erfahrungen zeigen,24 in Konfliktfällen versuchen, den Fall vor ein Forum zu bringen, das ihnen vor dem Hintergrund der konkreten Fallsituation die größten Erfolgsaussichten verspricht. Mit anderen Worten, Verträge würden unsicherer für Vertragsparteien und die Transaktionskosten zur Absicherung von Gesellschaftsverträgen stiegen erheblich. 25 Auch bei der Forumwabl stellt sich die Frage des Verhältnisses zwischen staatlichen und privaten Foren. Inwiefern sollte es möglich sein, daß als Forum private Schiedsgerichte gewählt werden? Die Vorteile der Eröffnung der Wablmöglichkeit privater Schiedsgerichte liegen darin, daß einerseits die Wettbewerbsintensität zwischen den Foren nochmals ansteigt,26 zum anderen besteht die Möglichkeit, daß sich private Schiedsgerichte, stärker als dies ordentliche Gerichte können, auf die Klärung bestimmter Sachverhalte konzentrieren. Durch die Vereinbarung der Zulassung von Schiedsgerichten auf der Ebene der Metaordnung wird es also möglich, Spezialisierungsvorteile in der ex post Vervollständigung von Gesellschaftsverträgen zu nutzen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Internationale Handelskammer in Paris, die bereits heute in vielen internationalen Verträgen (z. B. bei internationalen Konsortien zur Rohstoffgewinnung) als zuständiger Gerichtsort bei Streitigkeiten vereinbart wird. 23 Für Vertiefungen dieser Fragen siehe beispielsweise Kroppholler, Internationales Privatrecht ... ; sowie Scoles/Hay, Conflict of Laws ... 24 Siehe z. B. Scoles/Hay, Conflict of Laws ... , S. 361 ff. 25 Jenseits des Gesellschaftsrechts, zum Beispiel im Bereich des Arbeitsrechts oder bei Kaufverträgen, die mit rechtlich unerfahrenen Konsumenten geschlossen werden, kann man allerdings zu der Auffassung gelangen, daß Forumklauseln auch negative Auswirkungen haben können, wenn sie opportunistisch dazu benutzt werden, einen unerfahrenen Transaktionspartner ex post in eine schlechte Verhandlungsposition zu versetzen. Dies gilt insbesondere für Klauseln über Schiedsgerichte (Nader, Corporate Law Firms and the Perversion of lustice: What Public Interest Lawyers Can Do About It, in: Washington University Journal of Law and Policy, Vol. 1, 1999, S. 53 ff.). 26 Ribstein, Efficiency ... , S. 285.

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Es läßt sich festhalten, daß in die Metaordnung für den gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb neben Regelungen, die den Wettbewerb mit unvollständigen gesellschaftsrechtlichen Verträgen steuern (Rechtswahlfreiheit), ebenso Regelungen aufgenommen werden sollten, die zur ex post Vertragsvervollständigung durch Gerichte führen (Freiheit der Forumwahl). Dabei besteht der Regulierungswettbewerb der Vertragsvervollständigung in Form des Wettbewerbs zwischen Foren. In gewisser Analogie zur Abgrenzung zwischen Formerfordernis und Vertragsfreiheit in der gesellschaftsrechtlichen Rechtswahl stellt sich bei der Forumwahl dabei die Frage der Abgrenzung zwischen staatlichem ordentlichen Gericht und privatem Schiedsgericht. c) Interlokale Rechtsdurchsetzung

Die nächste Frage, die auf der Ebene der Metaordnung gelöst werden muß, ist die der Rechtsdurchsetzung. Nur wenn die Rechtsdurchsetzung der Metaregeln zur Rechts- und Forumwahl gesichert ist, kann der Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht auch funktionieren?7 Das Durchsetzungsproblem ergibt sich im internationalen Kontext dadurch, daß mit der Anerkennung fremden Gesellschaftsrechts und der Möglichkeit zur Forumwahl noch nicht automatisch gesichert ist, daß eine gefundene gesellschaftsrechtliche Problemlösung auch mit Hilfe des Gewaltmonopols einer Jurisdiktion durchgesetzt wird, die möglicherweise weder das Gesellschaftsrecht noch das Forum für eine Gesellschaft bereitstellt, aber vielleicht Staatsangehörige hat, die durch die Exekution der Problemlösung schlechter gestellt würden. Eine Jurisdiktion könnte somit versucht sein, die eingegangenen kollisionsrechtlichen Verträge durch Nichtexekution für sie unvorteilhafter Problemlösungen zu unterlaufen. Da Jurisdiktionen wechselseitig die Nichtexekution fremden Rechts perzipieren, kann die Situation eines Gefangenen-Dilemmas entstehen. Das Gefangenen-Dilemma, in dem sich die Jurisdiktionen bei der Rechtsdurchsetzung befinden können, scheint auf den ersten Blick ein Problem zu sein, das nahezu unlösbar ist. Tatsächlich muß man aber das Durchsetzungsproblem höchst differenziert betrachten. Es ist hier nicht möglich, das Durchsetzungsproblem mit all seinen Facetten zu durchleuchten. Einige allgemeine strukturelle Bemerkungen zu dem Problemkreis können jedoch gegeben werden, die hilfreich sind, um das Problem in seiner Relevanz auf den Wettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten besser abschätzen zu können. Zunächst ist zu bemerken, daß es sich beim Durchsetzungsproblem um ein theoretisches Problem handelt, das in der idealisierten Spielstruktur des 27

Garcimartin, Regulatory Competition ... , S. 262.

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Gefangenen-Dilemmas auftaucht. Jurisdiktionen befürchten wechselseitig, daß sich andere Jurisdiktionen nicht an die vereinbarte Metaordnung zur Rechts- und Forumwahl im Gesellschaftsrecht halten und halten sich deswegen selbst auch nicht an die Regeln. Die Realität ist jedoch komplexer: Jurisdiktionen befinden sich nicht in isolierten Zellen, sondern können sich gegenseitig beobachten, sie können auch miteinander kommunizieren, um etwaige Mißverständnisse bezüglich der Interpretation der Metaordnung zu klären und - das scheint uns am wichtigsten zu sein - Jurisdiktionen interagieren miteinander mittels expliziter oder impliziter Verträge 28 nicht nur auf einem Gebiet, sondern parallel in einer Vielzahl von Rechtsgebieten. Jurisdiktionen bauen über ihr Verhalten bezüglich der Rechtsdurchsetzung beziehungsweise Rechtseinhaltung eine allgemeine Reputation auf. Ähnlich wie ein Unternehmen eine Reputation für die Qualität seiner Produktpalette hat, hat eine Jurisdiktion eine Reputation für die Einhaltung ihrer Verträge. Und ähnlich wie ein Unternehmen, das unter seinem Firmennamen verschiedene Markenartikel vertreibt, kann es sich eine Jurisdiktion kaum erlauben, auf einem Rechtsgebiet einen Vertrag mit interjurisdiktionellern Bezug zu brechen, da damit die Reputation auch für die anderen eingegangenen oder prospektiven Verträge in Mitleidenschaft gezogen wird?9 Das Reputationsargument ist ein wichtiges Argument, das insbesondere auf der Ebene internationaler Verträge zwischen Jurisdiktionen eine große Rolle bei der Durchsetzung von Verträgen spielt, nicht in jedem Fall muß jedoch auf den Reputationsmechanismus gesetzt werden, damit eingegangene Verträge zwischen Jurisdiktionen auch eingehalten werden. So ist es in den Vereinigten Staaten letztlich durch die Bundesebene gesichert, daß beispielsweise das Gesellschaftsrecht eines Bundesstaates auch in einem anderen Bundesstaat durchgesetzt wird, wenn es rechtmäßig im Sinne der Verfassung der Vereinigten Staaten ist. Ähnliches gilt für die Europäische Union, auch wenn bislang noch keine solch starke politische und rechtliche 28 Unter expliziten Verträgen werden hier Staatsverträge zwischen Jurisdiktionen verstanden. Implizite Verträge resultieren aus "comity" zwischen Staaten; comity bedeutet, daß eine Jurisdiktion das Recht einer anderen Jurisdiktion in einem bestimmten Bereich als "freundschaftlich" betrachtet, anerkennt und durchsetzt. Comity ist meistens gegeben, wenn Reziprozität im Verhalten des anderen Staates erkannt wird (siehe hierzu grundSätzlicher die Ausführungen zum kollisionsrechtlichen Regime 11 sowie Scoles/Hay, Conflict of Laws ... , S. 960 und S. 998). 29 Natürlich ist das Reputationsargument bei Jurisdiktionen etwas komplexer als bei einem Markenartikelhersteller. So hatte die Sowjetunion eine hohe Reputation dafür, international eingegangene Wirtschaftsverträge, vor allem Kreditverträge, strikt einzuhalten, im Bereich der Rüstungskontrolle unterlief sie hingegen häufig die vereinbarten internationalen Vertragsziele. Es ist also durchaus möglich, daß Jurisdiktionen auch separate Reputationen auf bestimmten Feldern aufbauen (Downs/ iones, Reputation, Compliance and International Law, in: Journal of Legal Studies, Vol. 31,2002, S. 595 ff.).

17 Heine

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Integration wie in den Vereinigten Staaten herrscht. Das Durchsetzungsproblem von Regeln der Metaebene ist somit ein ernstzunehmendes Problem, das sich auf verschiedenen rechtlichen Gebieten sicherlich in unterschiedlicher Schärfe stellt, es hat in der Realität aber wohl nicht die Bedeutung, die ihm aus theoretischer Perspektive häufig attributiert wird. Beim Durchsetzungsproblem stellt sich natürlich die Frage, ob die Metaordnung die Durchsetzung von Urteilen der Schiedsgerichtsbarkeit vorsehen sollte. Die Frage ist insofern rhetorisch, als die Eröffnung der Möglichkeit zur Vereinbarung von Forumklauseln der privaten Schiedsgerichtsbarkeit nur Sinn hat, wenn deren Durchsetzung auch garantiert wird. 3o So klar dies aus ökonomischer Sicht ist, so zweifelhaft mag es allerdings aus juristischer Sicht sein, wenn sich lurisdiktionen dazu verpflichten, fremdes, nicht staatliches Recht durchzusetzen. Andererseits ist die internationale Anerkennung und Durchsetzung von Schiedsgerichtsurteilen gerade ein Beispiel dafür, daß Staaten zu bindenden Übereinkünften auf der Metaebene kommen können, die einen institutionellen Wettbewerb in Gang setzen. So wurde 1958 die "Convention on the recognition and enforcement of foreign arbitral awards" im Rahmen der Vereinten Nationen abgeschlossen (New York Convention), der die meisten Staaten mittlerweile beigetreten sind. 1966 wurde zudem UNCITRAL (United Nations Commission on International Trade Law) geschaffen, eine Organisation innerhalb der Vereinten Nationen, die sich auch um die internationale Anerkennung von Schiedssprüchen bemüht. Diese Anerkennung und Durchsetzung von Schiedssprüchen hat insbesondere zwischen den Schiedsgerichten in Paris, London und New York einen heftigen Wettbewerb entfacht. 31 2. Das Problem externer Effekte und die föderale Zuordnung von Property Rights Bislang sind Rechtswahl, Forumwahl und Rechtsdurchsetzung als Bestandteile der Metaordnung unter der Prämisse betrachtet worden, daß damit der Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten in Gang gesetzt wird, ohne daß dabei größere Wettbewerbsprobleme auftauchen. Als Hauptproblem für das reibungslose Funktionieren des Regulierungswettbewerbs wird jedoch immer wieder die Möglichkeit des Auftritts externer Ef30 Es ist zu beachten, daß für den Fall, daß in einem Bereich des Gesellschaftsrechts von einer Jurisdiktion keine Rechtswahlmöglichkeit (opt-out) und keine Forumwahl gegeben wird, auch keine Schiedsgerichtsbarkeit gewährt werden kann, weil sonst die Wahl von Schiedsgerichten zur Umgehung der verpflichtenden (mandatory) Regulierung mißbraucht werden kann (Guzman, Arbitrator Liability: Reconciling Arbitration and Mandatory Rules, in: Duke Law Journal, Vol. 49, 2000, S. 1284 ff.). 31 Cooter, The Strategie Constitution ... , S. 137.

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fekte genannt, mit der möglichen Folge eines "race to the bottom,,?2 Um dieses Problem auf der Ebene der Metaordnung adäquat lösen zu können, ist jedoch zunächst genau zu kennzeichnen, was unter externen Effekten hier sinnvollerweise verstanden werden kann. Damit soll vermieden werden, daß durch den einfachen Hinweis auf die Existenz externer Effekte im Regulierungswettbewerb zwischen Gesellschaftsrechten quasi "beliebig" das Bestehen eines Marktversagens postuliert werden kann mit der Konsequenz, daß der Regulierungswettbewerb ausgeschaltet wird. Vom Vorliegen eines externen Effektes soll hier gesprochen werden, wenn eine Jurisdiktion strategisch eine gesellschaftsrechtliche Regel in der Weise wählt, daß sich zwar mehr Gesellschaften in diese Jurisdiktion inkorporieren, in anderen Jurisdiktionen aber systematische Vermögensschäden entstehen können, die in der Inkorporationsjurisdiktion systematisch nicht entstehen. Ein Beispiel könnte ein von einer Jurisdiktion angebotener laxer Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht sein. Ein solches Gesellschaftsrecht mag für Gesellschafter und Manager durchaus attraktiv sein und von einer Jurisdiktion angeboten werden, die innerhalb ihres Territoriums kaum über potentielle Gläubiger verfügt, die ein Interesse an der Verhinderung einer solchen Gestaltung des Gesellschaftsrecht haben. Gehen Unternehmen, die in diese Jurisdiktion inkorporiert sind, bankrott, liegen die Vermögensschäden im wesentlichen außerhalb der Jurisdiktion. Es muß hier natürlich dahingestellt bleiben, ob es realistisch ist, daß eine solcherart inkorporierte Gesellschaft überhaupt Kredite erhält und sich bei Freiheit der Rechtswahl Gesellschaften tatsächlich für ein solches Gesellschaftsrecht entscheiden würden, aber subtilere Fälle der Externalisierung von Vermögensschäden, zum Beispiel in Holding- und Konzernstrukturen, sind denkbar. Als externe Effekte zwischen' Jurisdiktionen im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb werden hier also zunächst ausschließlich "strategische Vermögensschäden" betrachtet. Ausgeschlossen ist damit eine weite Interpretation des Begriffs der Externalität, der bereits ein Marktversagen anzeigen würde, wenn unterschiedliche Regulierungspräferenzen zwischen Jurisdiktionen bestehen und die eine Jurisdiktion das Gesellschaftsrecht der anderen als "Störung" der eigenen Regulierungspräferenzen empfindet. Das soll nicht heißen, daß solche "psychologischen Externalitäten" nicht eine ernstzunehmende Kategorie im Regulierungswettbewerb darstellen, sie ist aber eine höchst schwierig zu operationalisierende Kategorie, die nicht leicht zu "erden" ist. 33 Garcimartin, Regulatory Competition ... ; Ogus, Competition ... Zum Problem "psychologischer Extemalitäten" im Zusammenhang mit der Schaffung geeigneter föderaler Strukturen innerhalb und zwischen Jurisdiktionen siehe neuerdings Mueller, Centralism, Federalism, and the Nature of Individual Preferences, in: Constitutional Political Economy, Vol. 12, 2001, S. 168 ff. 32

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F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

Es gibt drei Lösungswege für das geschilderte Externalitätenproblem, die problemspezifisch ihre Vorteile haben, so daß es nicht pauschal möglich ist, eine der drei Lösungen alleine zum Einsatz in der Metaordnung zu empfehlen. Es wird daher wohl eine Mischung der verschiedenen Lösungswege am ehesten zu einer befriedigenden Lösung auf der Metaebene führen. Wichtig ist vor allem in den folgenden Abschnitten, zu erkennen, daß die Harmonisierung von Teilen des Gesellschaftsrechts nicht die einzige Antwort auf die Existenz von Regulierungsexternalitäten ist. Neben der Harmonisierungslösung besteht nämlich auch die Möglichkeit, das Problem kollisionsrechtlich zu lösen34 oder mittels spontaner privater Lösungen. In allen drei Alternativen spielt die Allokation der Handlungsrechte, die lurisdiktionen zur Regulierung ihres Gesellschaftsrechts haben, eine entscheidende Rolle. a) Spontane private Lösungen: Neue Internalisierungsmechanismen

Eine erste Möglichkeit im Umgang mit dem Problem externer Effekte im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb ist die spontane Lösung des Problems durch die Kreation neuartiger Internalisierungsmechanismen durch Private selbst. Potentiell von Vermögens schäden bedrohte Transaktionspartner können Sicherungsinstrumente kreieren, die höchst wirkungsvoll externe Effekte beim Verursacher internalisieren. Selbstdurchsetzende Verträge, Geiseln und Reputation sind nur einige Stichworte. Die eigentliche Frage ist deswegen nicht, ob solche privaten Instrumente beim Vorliegen externer Effekte zum Einsatz gelangen oder nicht - sie werden es -, sondern ob es sich bei dieser Art der Internalisierung um eine im Vergleich zu anderen Formen der Internalisierung transaktionskostengünstige Internalisierungsstrategie handelt. Die weitergehende Frage wäre dann, was die Gründe dafür sind, daß nicht die transaktionskostengünstigste Form der Internalisierung gewählt wird?5 Eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren privater Internalisierungsmechanismen ist, daß keine staatlichen Interventionen in die sich Garcimartin, Regulatory Competition ... Besonders anschaulich ist unsere Argumentation im Zusammenhang mit der Lex Mercatoria. Natürlich haben die Kaufleute im Mittelalter in Ennangelung eines internationalen Kaufrechts nach Wegen gesucht, um eine solche Rechtsordnung zu fingieren. Die spannende Frage ist aber eigentlich, warum kein internationales Kaufrecht geschaffen wurde, sondern über die Jahrhunderte die internationalen Handelsbräuche erst in die nationalen Kaufrechte einsickern mußten (siehe überblicksartig Juenger, Conflict of Laws, Comparative Law and Civil Law: The Lex Mercatoria and Private International Law, in: Louisiana Law Review, Vol. 60, 2000, S. 1133 ff.). 34

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möglicherweise bildenden Internalisierungsmärkte stattfinden, sondern sich die Jurisdiktionen auf die Sicherung der Property Rights beschränken?6 Cooter hat beispielsweise den Vorschlag für das Haftungsrecht gemacht, daß potentielle Opfer ihre Kompensationsansprüche aus dem Schadensrecht verkaufen können sollten. Es würden sich auf diese Weise Märkte für haftungsrechtliche Ansprüche bilden können, auf denen sich potentielle Opfer, Schädiger und Versicherungen mit dem allokativ effizienten Maß an gegenseitigen Haftungsansprüchen ausstatten könnten. Das bisherige Verbot, daß potentielle Opfer ihre Haftungsansprüche veräußern dürfen, und damit die Verdünnung ihrer Property Rights, behindert jedoch bislang die Bildung solcher effizienz steigernden Märkte. 37 Nicht in jedem Fall wird die private Lösung einen externen Effekt im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb effizient lösen können, die Nutzung des Marktmechanismusses zwischen privaten Transaktionspartnern kann jedoch interessante Möglichkeiten zur Internalisierung externer Effekte zwischen Jurisdiktionen eröffnen. b) Elemente einer prozeduralen Lösung innerhalb des Kollisionsrechts Soll das Externalitätenproblem mit Hilfe des auf der Metaebene vereinbarten Kollisionsrechts gelöst werden, so ist nach einer kollisionsrechtlichen Regel zu suchen, die dafür sorgt, daß externe Kosten bei der verursachenden Jurisdiktion angelastet werden. Von Garcimartin wird dazu als Metaregel vorgeschlagen, daß diejenige Jurisdiktion ihr Recht auf Fälle von Externalitäten anwenden sollte, wo der externe Effekt seine Auswirkung hat. 38 Tritt zum Beispiel ein Vermögensschaden in Jurisdiktion A auf, weil Jurisdiktion B einen laxen Gläubigerschutz in ihrem Gesellschaftsrecht verankert hat, so sind die Gesetze und Gerichtsurteile aus A maßgeblich, um Streitfälle der Gläubiger aus A gegen eine in B inkorporierte Gesellschaft zu lösen. Damit wird zwar das Gesellschaftsrecht gegenseitig anerkannt, im Falle externer Effekte kann jedoch eine Jurisdiktion durch den Vorrang ihres Rechts Maßnahmen ergreifen, um den externen Effekt abzustellen. Für Jurisdiktionen entfällt aufgrund dieser Konstruktion der Zuweisung von Rechten durch das Kollisionsrecht auf der Metaebene der Anreiz, ihr GeseIlschaftsrecht strategisch auf die Verursachung von Vermögens schäden in anderen Jurisdiktionen auszurichten. Umgekehrt besteht für Jurisdiktionen 36 Siehe hierzu grundSätzlich Coase, The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics, Vol. 3, 1960, S. 1 ff. 37 Cooter, Towards a Market in Unmatured Tort Claims, in: Virginia Law Review, Vol. 75, 1989, S. 383 ff. 38 Garcimartin, Regulatory Competition ... , S. 263 ff.

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F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

kein Anreiz, ihre Regulierungen opportunistisch in der Art zu verändern, daß sie regelmäßig das Recht zur Re-Regulierung von der Metaebene zugewiesen bekommen, denn von einem solchen ineffizienten "race to the top" würden letztlich die eigenen inkorporierten Gesellschaften geschädigt. Externe Effekte stellen den Prototyp eines Konfliktfalles zwischen Jurisdiktionen im Regulierungsweubewerb dar. Wie sich zeigen läßt, folgt daraus aber nicht automatisch die Harmonisierung eines Regulierungstatbestandes, sondern durch den entsprechenden Verweis der Metaordnung auf das maßgebliche Recht einer Jurisdiktion kann der externe Effekt internalisiert werden. Man könnte auch sagen, daß die Zuordnung von Property Rights auf Jurisdiktionen im Rahmen des Kollisionsrechts externe Effekte internalisieren kann und damit der Regulierungswettbewerb aufrechterhalten werden kann. Sicherlich wird es im Einzelfall nicht leicht sein, die Existenz eines externen Effektes nachzuweisen. Es wird hierzu vielleicht nötig sein, auf der Metaebene einen Gerichtshof einzurichten, der die von Jurisdiktionen vorgebrachten Argumente abwägt. Ebenso mögen verwickelte kollisionsrechtliche Einzelprobleme auftauchen. Wichtig ist jedoch, daß eine kollisionsrechtliche Lösung des Problems prinzipiell als möglich erscheint. c) Materielle Harmonisierung

Schließlich steht als Problemlösung externer Effekte im gesellschaftsrechtlichen Regulierungswettbewerb noch die materielle Harmonisierung von Tatbeständen zur Verfügung. Durch Zentralisierung der Entscheidungskompetenz werden externe Effekte ins Entscheidungskalkül des zentralen Regulierers miteinbezogen und die gesellschaftsrechtliche Regulierung so ausgestaltet, daß das Problem externer Effekte nicht mehr auftaucht. Gleichzeitig ist jedoch mit der Harmonisierung einer Regulierung verbunden, daß die einzelnen Jurisdiktionen nicht länger die Möglichkeit haben, in dem harmonisierten Regelungsbereich gestaltend tätig zu werden und somit auch kein horizontaler Regulierungswettbewerb mehr zwischen ihnen stattfindet. Eine Folge der Harmonisierung ist auch, daß individuelle Regulierungspräferenzen schlechter befriedigt werden. 39 Die Harmonisierungslösung ist ein kraftvolles Instrument, um das Problem externer Effekte im Regulierungswettbewerb zu lösen. Es mag Bedingungskonstellationen geben, in denen diese Problemlösung den bei den vorangegangenen Lösungsvorschlägen überlegen ist, weil zum Beispiel die Transaktionskosten zur Definition und Durchsetzung der Property Rights im Rahmen eines prozeduralen Kollisionsrechts zu hoch sind. Die Exekution der Harmonisierungslösung muß jedoch wohl überlegt sein, denn sie bedeu39

Mueller, Centralism ...

v. Residuale Kontrollrechte und Rechtsföderalismus

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tet eine starke Einschränkung oder sogar das Ende von Rechtswahlmöglichkeit und Regulierungswettbewerb. Da die Harmonisierungslösung einen regulierungstheoretischen und -politischen Endpunkt markiert, soll sie im folgenden Abschnitt den Ausgangspunkt zu einer grundsätzlicheren Diskussion des top-down und des bottom-up Ansatzes bilden beziehungsweise zur Frage, an welche Stelle in einem föderalen Rechtsaufbau die residualen Kontrollrechte am besten zugeordnet werden sollten.

V. Residuale Kontrollrechte und Rechtsföderalismus Kollisionsrechtlich betrachtet bedeutet die Harmonisierung von Recht, daß auf der Metaebene das prozedurale Kollisionsrecht gegen eine materielle Regulierung ausgetauscht wird. Während in den beiden anderen Lösungsaltemativen die Metaordnung der prozedurale Ort der Definition von Property Rights zur Ausgestaltung materiellen Rechts auf untergeordneten Regelebenen ist, stellt sich bei der Harmonisierungslösung die Frage besonders intensiv, wo eigentlich die Property Rights zur materiellen Ausgestaltung der Metaebene liegen. Verallgemeinert kann man auch fragen, wo die residualen Kontrollrechte in einer föderalen Rechtsordnung liegen sollten und welche Bedeutung dies für die Funktionsfähigkeit von Regulierungswettbewerb hat. 40 Die Strukturierung und Zuordnung der residualen Kontrollrechte, also derjenigen Rechte, die die Regulierungskompetenz zuweisen, wenn keine spezifische vertragliche Vereinbarung vorliegt, kann grundsätzlich auf zweierlei Art vorgenommen werden. Die erste kann man als top-down Ansatz oder etwas politökonomischer als "hobbesianisch" bezeichnen. Die zweite läßt sich als bottom-up Ansatz oder "lockeanisch" charakterisieren. Im topdown Ansatz übertragen die Bürger durch Verfassungskonsens der Metaebene einen Teil ihrer Freiheitsrechte. Die Metaebene wird zum Beispiel ennächtigt, die Allokation der Property Rights für den Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht vorzunehmen. Von dieser Strukturierung der Kompetenz-Kompetenz wird vor allem erwartet, daß unproduktive Dilemma-Situationen zwischen lurisdiktionen vennieden werden. Dahinter steckt aber auch die Vennutung, daß die Ansiedlung der residualen Kontrollrechte auf höchster Ebene zur bestmöglichen Allokation der Property 40 Genau diese grundsätzliche Frage wird auch von Buxbaum und Hopt gestellt, wenn sie schreiben: "Opening the door to the dynamic aspects of change and evolution not only adds a new dimension to the harmonization problem, but poses apparent or actual contradictory postulates as to unification or non-unification of member state laws ... the unavoidable question resurfaces: Who is to make the final choice in this balancing process, and on what reasonable econornic grounds?" (Buxbaum/Hopt, Legal Harmonization ... , S. 14).

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F. Mögliche Elemente einer Wettbewerbsordnung

Rights auf nachgeordneten föderalen Ebenen beiträgt. Hobbes Leviathan erscheint dabei als ein wohlwollender und weiser Diktator, der die wohlfahrtsmaximierende Lösung implementiert. Demgegenüber verbleiben im bottom-up Ansatz die residualen Kontrollrechte beim Bürger beziehungsweise für das Gesellschaftsrecht bei den einzelnen Jurisdiktionen. Jurisdiktionen definieren gemeinsam Property Rights auf supranationaler Ebene, weil dies die Erzielung von Tauschgewinnen ermöglicht. Dabei delegieren Jurisdiktionen aber Freiheitsrechte nur für bestimmte fest umrissene Ziele an die Metaordnung, in denen eine gemeinschaftliche Rechtsordnung zum Vorteil der eigenen Jurisdiktion gereicht. Für nicht explizit vertraglich delegierte Rechte an höhere föderale Ebenen liegt die Kompetenz-Kompetenz automatisch bei den untersten jurisdiktionellen Einheiten, zum Beispiel den Mitgliedstaaten in der Europäischen Union. Erfüllt die Metaordnung als Agent der Mitgliedstaaten nicht die ihr übertragenen Aufgaben, ist zudem jederzeit eine Sezession unter geordneten Bedingungen möglich. 41 Wären Politiker und Bürger wohlwollend und allwissend, würden beide Ansätze zu dem gleichen Ergebnis führen. Hobbes Leviathan würde den optimalen Zentralisierungsgrad der föderalen Rechtsordnung implementie4\ Hier kann das Problem der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz in einem föderalen Rechtsraum sicherlich nicht in seiner ganzen Bandbreite diskutiert werden. Hingewiesen werden soll jedoch darauf, daß es in der normativen Diskussion zur Gestaltung eines eur