Regieren in der Sozialen Stadt: Lokale Sozial- und Arbeitspolitik zwischen Aktivierung und Disziplinierung [2., überarbeitete Auflage 2014] 9783839423509

Knapp zehn Jahre nach den Hartz-IV-Reformen stellt sich mehr denn je die Frage, mit welchen Regierungsweisen die neue Ar

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Regieren in der Sozialen Stadt: Lokale Sozial- und Arbeitspolitik zwischen Aktivierung und Disziplinierung [2., überarbeitete Auflage 2014]
 9783839423509

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
1.1 Aktuelle Tendenzen in der Arbeits- und Sozialpolitik
1.2 Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Probleme des Regierens
1.3 Fragestellung
2. Neue Regierungstechnologien in der Politikwissenschaft
2.1 Der Governance-Ansatz
2.2 Informalisierung von Politik und Staat bei Altvater/Mahnkopf
3. Macht und Regierung bei Foucault
3.1 Diskurs und Biomacht
3.2 Foucaults Konzept der Gouvernementalität
3.3 Sicherheit und Freiheit in Foucaults Gouvernementalitätsanalyse
3.4 Foucaults Analysen zum Liberalismus: Ordoliberalismus und Neoliberalismus
4. Subjektivierung von Arbeit als Feld neuer Regierungsrationalitäten: Zwischen Disziplinar- und Selbsttechniken
4.1 Die Neuerfindung des Sozialen und die Subjektivierung von Arbeit
4.2 Neue Arbeitsformen zwischen indirekter Kontrolle und Selbstdisziplin in der Sicht der Arbeitssoziologie
4.3 Zur Kritik und zur begrenzten Reichweite des Unternehmerischen Selbst
4.4 Zum Verhältnis Arbeitssoziologie und Gouvernementalitätsstudien
4.5 Arbeit und Prekarität
4.6 Arbeit und Informalität
4.7 Zur Kritik und den Grenzen der Gouvernementalitätsstudien
5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik und die Regierung von lokalen Räumen
5.1 Raumkonzepte bei Foucault
5.2 Raumkonzepte in der Kritischen Geographie
5.3. Die Regierung von lokalen Räumen zwischen Sozialkapital und aktivierender Sozialpolitik
6. Die Regierung von lokalen Räumen zwischen Sicherheitspolitik und aktivierender Sozial-und Arbeitspolitik
6.1 Das Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt«
6.2 Das Quartiersmanagement in Berlin
6.3 Das QM Schillerpromenade
6.4 Zusammenfassung der QM-Befragung
6.5 Regierung von lokalen Räumen zwischen Sicherheitspolitik und Empowerment
7. Resümee
7.1 Zusammenführung der Theorieperspektiven
7.2 Das Programm »Soziale Stadt« zwischen sozialdemokratischer und neoliberaler Politik
7.3 Das Programm »Soziale Stadt« aus Sicht der GS im Vergleich zu marxistischen Ansätzen
7.4 Das QM als Objekt genealogischer Methodik im Vergleich zu den GS
7.5 Foucaults ›Geschichte der Gouvernementalität‹ als integrale Sichtweise für eine differenzierte Analytik des Regierens sozialer Räume und Quartiere
7.6 Zusammenfassung
8. Literatur
Internet
Zeitungsartikel
Danksagung

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Daniel Nitsch Regieren in der Sozialen Stadt

Urban Studies

Daniel Nitsch (Dr. phil.) arbeitet als Politik- und Sozialwissenschaftler in Berlin.

Daniel Nitsch

Regieren in der Sozialen Stadt Lokale Sozial- und Arbeitspolitik zwischen Aktivierung und Disziplinierung

Zugelassene Dissertation an der FU Berlin 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: mathias the dread / photocase.com Lektorat: Daniel Nitsch Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2350-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einleitung | 7 1.1 Aktuelle Tendenzen in der Arbeits- und Sozialpolitik | 7 1.2 Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Probleme des Regierens | 11 1.3 Fragestellung | 13 2. Neue Regierungstechnologien in der Politikwissenschaft | 17 2.1 Der Governance-Ansatz | 17 2.2 Informalisierung von Politik und Staat bei Altvater/Mahnkopf | 25 3. Macht und Regierung bei Foucault | 31 3.1 3.2 3.3 3.4

Diskurs und Biomacht | 31 Foucaults Konzept der Gouvernementalität | 54 Sicherheit und Freiheit in Foucaults Gouvernementalitätsanalyse | 67 Foucaults Analysen zum Liberalismus: Ordoliberalismus und Neoliberalismus | 75

4. Subjektivierung von Arbeit als Feld neuer Regierungsrationalitäten: Zwischen Disziplinar- und Selbsttechniken | 87 4.1 Die Neuerfindung des Sozialen und die Subjektivierung von Arbeit | 87 4.2 Neue Arbeitsformen zwischen indirekter Kontrolle und Selbstdisziplin in der Sicht der Arbeitssoziologie | 92 4.3 Zur Kritik und zur begrenzten Reichweite des Unternehmerischen Selbst | 116 4.4 Zum Verhältnis Arbeitssoziologie und Gouvernementalitätsstudien | 119 4.5 Arbeit und Prekarität | 122 4.6 Arbeit und Informalität | 128 4.7 Zur Kritik und den Grenzen der Gouvernementalitätsstudien | 131

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik und die Regierung von lokalen Räumen | 137 5.1 Raumkonzepte bei Foucault | 137 5.2 Raumkonzepte in der Kritischen Geographie | 143 5.3. Die Regierung von lokalen Räumen zwischen Sozialkapital und aktivierender Sozialpolitik | 161

6. Die Regierung von lokalen Räumen zwischen Sicherheitspolitik und aktivierender Sozial-und Arbeitspolitik | 183 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5

Das Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« | 184 Das Quartiersmanagement in Berlin | 201 Das QM Schillerpromenade | 213 Zusammenfassung der QM-Befragung | 223 Regierung von lokalen Räumen zwischen Sicherheitspolitik und Empowerment | 227

7. Resümee | 259 7.1 Zusammenführung der Theorieperspektiven | 259 7.2 Das Programm »Soziale Stadt« zwischen sozialdemokratischer und neoliberaler Politik | 260 7.3 Das Programm »Soziale Stadt« aus Sicht der GS im Vergleich zu marxistischen Ansätzen | 262 7.4 Das QM als Objekt genealogischer Methodik im Vergleich zu den GS | 265 7.5 Foucaults ›Geschichte der Gouvernementalität‹ als integrale Sichtweise für eine differenzierte Analytik des Regierens sozialer Räume und Quartiere | 268 7.6 Zusammenfassung | 271 8. Literatur | 273 Internet | 295 Zeitungsartikel | 295

Danksagung | 297

1. Einleitung

Schwerpunkt dieser Arbeit ist die Analyse der Transformation der Regierungsweisen im Feld der Arbeits- und Sozialpolitik der Gegenwart hin zu ökonomischen Steuerungsweisen und einem neuen Stellenwert des Subjekts aus einer an Foucault orientierten Perspektive. Die an Foucaults Machtanalytik und seiner Analyse moderner liberaler Regierungstechniken orientierten Gouvernementalitätsstudien werden in Beziehung gesetzt zu neomarxistischen kritischen Forschungen aus der Arbeitssoziologie und den Forschungen zur Informalisierung von Arbeitsweisen und Politikformen. Sie werden auf die GovernanceAnsätze in der Politikwissenschaft bezogen sowie in einem weiteren Schritt um die Raumtheorien einer kritischen Geographie im Anschluss an Harvey erweitert. In einer lokalen Fallstudie werden die verschiedenen Theorieperspektiven schließlich aufeinander bezogen.

1.1 A K TUELLE TENDENZEN IN DER A RBEITS - UND S OZIALPOLITIK Mit der Krise der Arbeitsgesellschaft und dem Aufkommen von Massenarbeitslosigkeit seit den 70er Jahren sind die Erosion des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses und die neuen Regulierungsweisen in der Arbeits- und Sozialpolitik in den Blickpunkt der politologischen und soziologischen Forschung gerückt. Dabei ist in den letzten Jahren auch eine Vielfalt von nicht normierten Formen der Arbeit, von sozial ungesicherten, prekären Arbeitsformen, von Schwarzarbeit und Subsistenzarbeit zum Gegenstand von Forschung geworden. Ein anderer Ausgangspunkt war die Beschreibung eines informellen Sektors in Entwicklungsländern, der nicht mit den westlichen Normalitätsvorstellungen von Arbeit übereinstimmte. Aber auch neue Arbeitsformen in den Industrieländern werden mit dem Begriff Informalität charakterisiert. Mit der Informalisierung gehen die Individualisierung von Risiken und die Erosion von kollektiven Arbeitnehmerrechten einher. Techniken der Führung und Technologien der Selbststeuerung propagieren die Freiheit und Selbstverantwortung der Individuen. Diese Tendenzen zu neuen Formen von indirekter Kontrolle und

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Regieren in der Sozialen Stadt

Selbstführungstechniken in der Arbeit sind Teil einer generellen Programmatik, die mehr Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und Flexibilität von den Individuen verlangt. Begriffe wie Selbstmanagement, Arbeitskraftunternehmer und Ich-AG zeigen, wie eine ökonomistische Sichtweise des Individuums dominant wird. Mit diesen individualisierenden und flexiblen Arbeitsformen gehen auch neue Regulierungsweisen und Regierungsformen im Feld der Arbeits- und Sozialpolitik einher. Der Staat sieht sich vermeintlich nicht mehr in der Lage, ein adäquates Maß an sozialer Sicherheit bereit zu stellen und sucht nach neuen Strategien der Steuerung, die einerseits den Individuen mehr Risiken und Einkommensverluste zumuten, andererseits neue Kooperationsformen und Mischformen zwischen öffentlicher und privatwirtschaftlicher Seite erproben. Dafür stehen in Deutschland beispielhaft die Reformen in der Arbeitsmarktpolitik mit der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe durch die Einführung von Hartz IV, die sog. Ich-AGs, der Umbau der Arbeitsämter zu Arbeitsagenturen, die Einführung von Personalserviceagenturen als private Arbeitsvermittler oder die Delegierung der Politik vom Parlament an Kommissionen (wie bei der Hartz-Kommission und der Rürup-Kommission zur Reform des Gesundheitswesens). Dies ist jedoch auch Teil einer generellen Entwicklung, mit der von verschiedenen Seiten der traditionelle Regierungsbegriff in Frage gestellt wird und die nach neuen Analysemöglichkeiten verlangt. Diese Krise des Regierungsbegriffs ist Thema des zweiten Kapitels, bevor dann die neuen Regierungsweisen wieder auf die neuen Arbeitsformen bezogen werden sollen. Daraus wird dann eine Fragestellung entwickelt, die die Konzepte der Informalität und Foucaults Konzept der Gouvernementalität am Beispiel der Arbeitspolitik zusammenführt. Mehrere Jahre nach Beginn der Hartz IV-Reformen und nach der schwersten weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise (2008/2009) seit Jahrzehnten hat sich das politische Gesamtbild gewandelt. Wenn man das proklamierte Ziel der Reform, die verstärkte und beschleunigte Arbeitsaufnahme von Arbeitslosen durch »Fordern und Fördern« und das Motto ›jede Arbeit ist besser als keine Arbeit‹ zunächst als gegeben hinnimmt, wirken die Hartz-Reformen durchaus. Einerseits ist die hohe Arbeitslosigkeit (von offiziell 5 Mio. Erwerbslosen 2005), die doch vermeintlich der Auslöser für die Reformen war, signifikant gesunken, auf ca. 3 Mio. Erwerbslose Anfang 2011, und auch den tiefen Wachstumseinbruch durch die Finanzkrise scheint die deutsche Wirtschaft gut verkraftet zu haben. Die Statistiken zeigen aber nur einen Teil der Wahrheit. Der Aufschwung und die sinkenden Arbeitslosenzahlen wurden mit der Spaltung des Arbeitsmarktes in einen verfestigten Niedriglohnsektor und ein Segment für gut qualifizierte und bezahlte Arbeit erkauft. Dies ging einher mit einem faktischen Reallohnverlust für die Mehrzahl der deutschen Beschäftigten im Vergleich der

1. Einleitung

letzten zehn Jahre.1 Auch wenn sogar die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt, bleiben dennoch die Tendenzen zur Prekarisierung und zur Herausbildung eines Niedriglohnsektors erhalten.2 Der Aufschwung und die hohen Wachstumsraten relativieren sich zudem stark, wenn man die Tiefe des Wachstumseinbruchs berücksichtigt: So ist die deutsche Wirtschaftsleistung in Form des BIP 2009 um 5 % geschrumpft und hat nun im letzten Jahr wieder ein Plus von 3,6 % erreicht, d.h. es ist noch nicht einmal das Niveau von vor der Krise 2008 erreicht.3 Zudem beruht der Aufschwung auf einem einseitig exportgetriebenen Wachstumsmodell, das durch die enormen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Krise vieler EU-Länder, die doch zu den wichtigsten Absatzmärkten zählen, sehr anfällig ist.4

1 | Zwar ist die deutsche Wirtschaft 2010 um 3,6 % gewachsen und es sind mit über 40 Mio. Erwerbstätigen so viele Menschen in Arbeit wie noch nie, aber die Löhne sind nur um 2 % gewachsen und von den neuen Arbeitsplätzen sind 40 % in der Zeitarbeit entstanden (nach Rudolf Hickel im Presseclub der ARD, 23.1.2011, vgl. ARD-Mediathek). 2 | Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten stieg 2010 immerhin um 240.000, aber davon waren viele in Teilzeit und Leiharbeit beschäftigt (ein Vollzeitleiharbeiter bekommt 50 % weniger als ein normaler Arbeiter). So bestand 35 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung insgesamt aus Teilzeitarbeit. Zu der Zahl der Erwerbstätigen zählen 7 Millionen Minijobber und 700.000 sog. Aufstocker (die also Lohnzuschüsse vom Staat bekommen, weil ihre Löhne sonst unter Hartz IV-Niveau liegen) (Rudolf Hickel im Presseclub, ARD 23.1.2011). Vgl. auch Tagesspiegel v. 4.5.2011. 3 | Darin berücksichtigt sind noch nicht die enormen Einkommens- und Vermögensungleichgewichte: Die Unternehmensgewinne stiegen 2010 wieder um 70 Mrd. Euro, die Löhne insgesamt aber nur um 30 Mrd. Die deutsche Wirtschaft ist insgesamt wieder sehr wettbewerbsfähig und die Lohnnebenkosten, die oft als Belastung für die Arbeitgeberseite dargestellt wurden, sind mittlerweile niedriger als im EU-Durchschnitt (vgl. Presseclub ARD, 23.1.2011). Die Realeinkommen sind zwischen 2003 und 2006 zurückgegangen. Die Mittelschicht ist zwischen 2000 und 2006 von 62 % auf 54 % geschrumpft (Friedrichs, Jürgen: »Ethnische und soziale Segregation in deutschen Großstädten«, in: Hanesch, Walter (Hg.): Die Zukunft der »Sozialen Stadt«, Wiesbaden 2011, S. 49-63, hier S. 49). Den obersten 10 % der Vermögensbesitzer gehörten 2007 61.1 % des Vermögens in Deutschland, damit hat die soziale Ungleicheit zwischen 2002 und 2007 zugenommen (ebd., S. 49). 4 | Hinzu kommt die ganz auf Haushaltskonsolidierung und Stabilität setzende Finanzpolitik, die insbesondere den südlichen EU-Ländern wie Griechenland eine rigide Sparpolitik verordnet und so die Handelsbilanz- und Wirtschaftsungleichgewichte innerhalb der EU verschärft und so die Absatzmärkte der deutschen Exportwirtschaft gefährdet. Auf die genauen Implikationen und Details der EU-Krise kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

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Regieren in der Sozialen Stadt

Angesichts der staatlichen Rettungsmaßnahmen für die Banken im Zuge der Finanzkrise und der – allenfalls halbherzigen – Regulierungsversuche für die Finanzmärkte, wurde oft von einer Rückkehr des Staates und einer teilweisen Abkehr vom Neoliberalismus gesprochen. Aber dieser Eindruck täuscht, denn die Banken und Finanzinvestoren wurden nur marginal an den Risiken für die Bürgschaften beteiligt und damit setzte sich wiederum das neoliberale Modell der Sozialisierung der Verluste und Risiken und der Privatisierung der Gewinne durch, zumal die Gewinne der meisten international orientierten Banken mittlerweile wieder kräftig steigen. Entgegen manch einer verkürzten Sichtweise des Neoliberalismus gehörte eine je nach aktuellen Erfordernissen wechselnde regulative und aktive Funktion des Staates durchaus immer zum Handlungsrepertoire des Neoliberalismus.5 Daher ist es auch heute angesichts der genannten aktuellen und widersprüchlichen Tendenzen noch angebracht, den Neoliberalismus – und hier beispielhaft die neoliberale Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – zu untersuchen. Eine an Foucault orientierte Analyse kann hier neue Aspekte in die Interpretation des Neoliberalismus einbringen: Denn Foucaults Analysen des liberalen und neoliberalen politischen Denkens und ihrer Diskurse in den Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität (2004) unterlaufen die bequeme Gegenüberstellung eines entfesselten, hemmungslosen angloamerikanischen Neoliberalismus und einer vermeintlich guten regulierten deutschen Sozialen Marktwirtschaft und zeigen, dass beide dennoch zu – wenn auch partiell unterschiedlichen – historischen Strömungen des Neoliberalismus gehören. Mit der nur marginalen Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze, der Kürzung des Elterngeldes für Hartz IV-Empfänger6 und dem Ausbleiben einer grundlegenden Finanzmarktregulierung zeigt sich, dass die konservativ-liberale Bundesregierung an ihrer auf neoliberale Workfare-Konzepte zur Deregulierung und Prekarisierung setzenden Strategie festhält. Daher kann man auch heute nicht von einem Ende des Neoliberalismus sprechen. Die Hartz IV-Reformen haben zwar mehr Menschen in Arbeit gebracht, aber um den Preis einer Herausbildung eines verfestigten Niedriglohnsektors und sie wirken vor allem disziplinierend gegenüber den noch Arbeitsplatzbesitzenden, zumal man nicht genau sagen kann, ob der Beschäftigungszuwachs den Arbeitsmarktreformen oder nicht vor allem der boomenden deutschen Exportwirtschaft und dem Boom der Weltwirtschaft zu verdanken ist.

5 | So kann man die stützenden Maßnahmen der Bush-Regierung für die amerikanische Wirtschaft nach 9/11 als Teil einer kurzfristigen keynesianischen Strategie oder eines ›Rüstungskeynesianismus‹ innerhalb des Neoliberalismus sehen. 6 | Mit Nennung der männlichen Bezeichnung ist in diesem Buch immer auch die weibliche Form mitgemeint.

1. Einleitung

1.2 S OZIALWISSENSCHAF TLICHE P ERSPEK TIVEN AUF P ROBLEME DES R EGIERENS Die genannten Veränderungen müssen aber in Bezug gesetzt werden zu den Anforderungen an die Individuen und zu deren verändertem Selbstverständnis, das mit diesen neuen Regierungsformen korrespondieren soll. Zum Verhältnis von Regierung und Individuum bietet sich ein Rückgriff auf die Konzepte von Foucault aus seinen späten Vorlesungen an. Foucaults Begriff der Regierung und sein Konzept der ›Gouvernementalität‹ können bei der Suche nach neuen Kategorien ein spezifisches Analyse-Instrumentarium für das Verhältnis von staatlicher Regierung, Selbstführung und Kontrolle liefern.7 Unter Gouvernementalität versteht Foucault eine Verbindung von Regierungstechniken (Gouvernement), Regierungsrationalitäten und individuellen Selbsttechniken, welche die Menschen zu regierbaren Individuen machen, die so ihre Lebensführung nach gesellschaftlich erwarteten und vorgefertigten Mustern ausrichten.8 Ausgehend von diesem Konzept Foucaults hat sich seit den 80er Jahren die Forschungsrichtung der ›Gouvernementalitätsstudien‹ (GS) entwickelt. Sie verwenden Foucaults theoretische Konzeption für die Analyse neoliberaler Regierungstechnologien, die flexibles Selbstmanagement und Eigenvorsorge fordern und so traditionelle Vorstellungen des Sozialen in Frage stellen. Sie untersuchen das spezifische Verhältnis von Regierungstechniken und den Tendenzen zur Privatisierung und zur Eigenverantwortung der Individuen, die Gleichzeitigkeit von Regierungstechniken und Individualisierungstechniken bzw. Selbsttechniken.9 Für Erscheinungen der Informalisierung der Arbeit, der Herausbildung neuer Arbeitsformen, der Subjektivierung von Arbeit ist wiederum ein anderer theo7 | Vgl. Lemke, Thomas: Eine Kritik der politischen Vernunft, Hamburg 1997/Lemke, Thomas: »Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die ›governmentality studies‹«, in: Politische Vierteljahresschrift, 41. Jg., H.1(2000), S. 31-47. 8 | Vgl. Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität 1: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Frankfurt/M 2004a, S. 162/163. 9 | Vgl. Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart, Frankfurt/M 2000, Pieper, Marianne/Gutierrez Rodriguez, Encarnacion (Hg.): Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Foucault, Frankfurt/M/New York 2003, Anhorn, Roland/Bettinger, Frank/Stehr, Johannes (Hg.): Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit, Wiesbaden 2007, für den englischsprachigen Raum: Burchell, Graham/Gordon, Colin/Miller, Peter (Hg.): The Foucault Effect. Studies in Governmentality, Hemel Hampstead 1991, Rose, Nicolas: Powers of Freedom. Reframing Political Thought, Cambridge 2003.

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retischer Rahmen nötig, wobei die oben genannten Ansätze durchaus als analytische Kategorien zur Untersuchung von Akteurskonstellationen im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik relevant sind. Hier ist eine Gegenüberstellung zwischen den Gouvernementalitätsstudien und kritischen politisch-ökonomischen und arbeitssoziologischen Forschungsansätzen erkenntnisfördernd.10 In der Darstellung Foucaults wird im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus das Disziplinarsubjekt abgelöst durch neue Formen autonomer, aktiver und eigenverantwortlicher Subjektivität. Diese Autonomie muss aber im Sinne von unternehmerischer Rationalität genutzt werden, was durch subtile Kontrolltechniken überwacht werden muss. Im Zuge der Durchsetzung des Neoliberalismus werden die Arbeitnehmer zunehmend als autonome Unternehmer gesehen, die eigenverantwortlich Entscheidungen fällen sollen. Der individuelle Produzent und Konsument wird als ein ›Unternehmer seiner selbst‹ aufgefasst, der wie ein Unternehmer rational in seine Fähigkeiten und Begabungen investieren soll. Die »Sorge um sich« soll an die Stelle von kollektiven Verpflichtungen und Solidarität treten. Trainings- und Managementmethoden als »Techniken des Selbst« sollen Selbstbewusstsein und Selbstpräsentation fördern. Mit der Kapitalisierung vieler Bereiche des Lebens soll ein Management der persönlichen Identität und der persönlichen Beziehungen einhergehen. Damit verbunden ist eine veränderte Bedeutung sozialer Risiken, indem die individuelle Verpflichtung betont wird, die Last der Risiken stärker selbst zu übernehmen. Hinzu kommt die Dominanz von neuen Managementtechniken, sowohl auf individueller Ebene als auch auf der Ebene der Unternehmen. Wie das neue Paradigma des Managements und das Leitbild unternehmerischer Subjektivität aufeinander bezogen und miteinander verschränkt sind, zeigen z.B. die Analysen von Forscherinnen der Gouvernementalitätsstudien über Managementratgeber und individuelle Vermarktungsstrategien.11 Für die Untersuchung dieser neuen Arbeitsformen und der Informalisierung von Arbeit ist jedoch auch ein Bezug auf die Forschungen der neueren gesellschaftskritischen Arbeits- und Industriesoziologie, sowie der Forschungen zur Reichweite einer »Subjektivierung von Arbeit« sinnvoll.12 10 | Vgl. Gerst, Detlef: »Wandel betrieblicher Kontrollpraktiken im Lichte einer poststrukturalistischen Machtanalytik«, in: SOFI-Mitteilungen, Nr. 30, Göttingen 2003, S. 91-108, Glißmann, Wilfried/Peters, Klaus (Hg.): Mehr Druck durch mehr Freiheit, Hamburg 2001, Voß, Günther/Pongratz, Hans: Der Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen, Berlin 2003. 11 | Vgl. Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst, Frankfurt/M 2007. 12 | Vgl. Glißmann/Peters 2001, Moldaschl, Manfred/Voß, G. Günther (Hg.): Subjektivierung von Arbeit, München 2002, Voß/Pongratz 2003, Sauer, Dieter: Arbeit im Übergang. Zeitdiagnosen, Hamburg 2005.

1. Einleitung

1.3 F R AGESTELLUNG Aus dem inhaltlichen Problemaufriss lässt sich nun eine enger umgrenzte Fragestellung bezogen auf das Feld der Arbeits- und Sozialpolitik ableiten: Im Mittelpunkt meiner theoretischen Analyse steht die Problemstellung, wie sich das Politikfeld Arbeits- und Sozialpolitik in Deutschland unter den neuen Herausforderungen postfordistischer Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse transformiert. Daher werden Ergebnisse aus der empirischen Arbeitsforschung, im Hinblick auf Zusammenhänge zwischen neuen Arbeitsformen und der Arbeitspolitik mit unterschiedlichen Theorieperspektiven analysiert. In einem zweiten Schritt, nach der Konfrontation der theoretischen Analysemodelle mit exemplarischen Ergebnissen empirischer Arbeits- und Arbeitspolitikforschung, werden auch mit einer lokalen Fallstudie Erklärungskraft, Reichweite und Vereinbarkeit der Theorieperspektiven überprüft. Ferner werden Lücken und Probleme in der Theoriebildung sowie empirische Forschungsdesiderate aufgezeigt. Die Originalität der Studie liegt in der Zusammenführung von Theorieansätzen und empirischen Analysen im Überschneidungsbereich zwischen der Neugestaltung von Arbeitsformen und der Neugestaltung von Sozialräumen durch das Regieren über soziale Nahräume. Analysen von bestimmten Arbeitsbranchen werden zusammengeführt mit Lokalraumanalysen bezogen auf Sozial- und Gemeinwesenarbeit und lokale Sicherheitsdienstleister. Insbesondere in der Sozialfigur des Quartiersmanagers verdichtet sich in kontingenter Weise staatlich finanziertes Sozialunternehmertum, lokale Verwaltung und prekäre Tätigkeit, deren historische Vorläufer genealogisch aufzuarbeiten eine eigene Studie wert wäre. Außerdem überlagern sich in dieser Figur die Politikfelder Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Sozialraumpolitik und Wohnungsbau/Städtebaupolitik und bilden insofern ein Beispiel für eine neue lokale Governance-Konstellation. Mit der Einbeziehung von Analysen zur Subjektivierung von Arbeit kann die praktische Umsetzung von lokaler Steuerung gezeigt werden und wie diese Subjektivierungsweisen wiederum die Arbeit der Sozialarbeiter und Quartiersmanager vor Ort prägen. Es überschneiden sich darin lokale Erscheinungen von Workfare-Politiken, indirekte lokale Steuerung und die subjektivierten Arbeitsformen der Quartiersmanager selber. In dieser Arbeit werden drei miteinander verflochtene, aber analytisch trennbare sozio-ökonomisch strukturelle Veränderungstendenzen im gesellschaftlichen Problemfeld der Sozial- Arbeits- und Stadtpolitik anhand lokaler Verhältnisse beschrieben und z.T. als Kontexte vorausgesetzt: (1) Die Transformation wohlfahrtsstaatlicher, sozialräumlicher Ausgleichs- und Integrationsprogram-

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me aus der fordistischen Ära (2) das QM-Programm als Indiz für Politik- und Verwaltungsreformen im Spannungsverhältnis zwischen der Programmatik des New Public Management und öffentlicher und privater Governance-Formen einerseits und zivilgesellschaftlichen Partizipationsformen andererseits, (3) unterschiedlich radikale neoliberale Strategien von Workfare in der Sozialpolitik, von Arbeitskraftunternehmertum in der Arbeitspolitik und von Aktivierung lokaler sozialer Communities in der Stadtpolitik. Hierzu werden drei übergreifende Theorieströmungen und Analyseformen herangezogen und vergleichend daraufhin reflektiert, wie und mit welcher Relevanz und Plausibilität sie zur Aufklärung und zum Verständnis dieser drei o.g. Tendenzen etwas beitragen. Außerdem wird gezeigt, inwieweit ihre Denkansätze und Methodologien miteinander vereinbar sind oder nicht und welche Übereinstimmungen, Anschlussmöglichkeiten oder Lücken und offenen Probleme sich dabei ergeben. Die drei Theorieströmungen – Foucault und die GS, marxistische Theoriebeiträge und die politologischen Governance-Ansätze – sind jeweils in unterschiedlicher Weise relevant für die Haupttendenzen im Politikfeld lokale Arbeits- und Sozialpolitik und können jeweils unterschiedliche Phänomene beleuchten: Als primäre Analyseperspektive werden die poststrukturalistische Analytik Foucaults zu dem Wandel von Regierungsrationalitäten in seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität und z.T. seine Analysen zu den sogenannten Heterotopien herangezogen sowie vor allem die sich an Foucault anschliessenden Governmentality Studies. Als zweite Analyseperspektive werden drei verschiedene, von ihrem Selbstverständnis her kritisch-materialistische oder undogmatisch-marxistische Theorieprogramme herangezogen: die kritische Geographie von Harvey und Lefebvre, die politisch-ökonomische Theoriebildung zur Informalisierung von Wirtschaft, Arbeit und Politik (Altvater/Mahnkopf), sowie die kritische Arbeitssoziologie (Voß/Pongratz, Peters, Dörre). Als dritte Analyse-Perspektive werden zwei teils normative, teils phänomenologische politologische Forschungsprogramme einbezogen: das Theorie- und Analyseprogramm des Governance-Ansatzes und das z.T. kommunitaristische Theorieprogramm zur Gemeinschafts- und Sozialkapitalbildung. Diese Analyseperspektiven werden auf eine lokale Fallstudie bezogen. In dieser explorativen Fall-Studie wird ein Tätigkeits- und Politikfeld aus der Sozial- und Gemeinwesenarbeit als Beispiel neuer (lokal)staatlicher Steuerungsformen durch Dokumentenanalysen untersucht: der arbeits-, sozial- und kommunalpolitische Kontext und die neuartige Arbeitsgestaltung der Tätigkeit von Quartiersmanagement-Büros (QM) in Berlin (im Rahmen des Bund-LänderProgramms »Soziale Stadt« und seiner flankierenden Programme). Bei diesem Programm geht es um einen integrierten Ansatz sozialer Stadtteilarbeit, der die

1. Einleitung

Förderung lokaler Ökonomie, Bürgerbeteiligung und Beschäftigungsförderung verbindet. In ihm bilden sich neue Akteurskonstellationen zwischen lokalem Staat und Non-Profit-Trägern von Sozialarbeit und Arbeitsförderung heraus, die als Informalisierung von politischer Regulation oder als neues lokales Governance-Regime charakterisiert werden können. Außerdem sind die QM-Büros eine symptomatische Schnittstelle zwischen (a) einer politisch informalisierten aktivierenden Förderung unterschiedlicher neuer und alter Erwerbsarbeitsformen und ehrenamtlicher Arbeit und (b) einer ihrerseits subjektivierten, quasiunternehmerischen Form professioneller Sozial- und Gemeinwesenarbeit. Das QM-Programm soll jedoch vorrangig unter dem Aspekt der lokalen Arbeitspolitik und Arbeitsförderung analysiert werden.

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2. Neue Regierungstechnologien in der Politikwissenschaft

2.1 D ER G OVERNANCE -A NSAT Z Während in der Foucault-Rezeption lange sein Diskursbegriff und der Zusammenhang von Macht, Wissen und Diskursen im Mittelpunkt stand, oder es lange üblich war, den Machtbegriff bei Foucault ins Zentrum zu stellen, ist inzwischen seine Analyse von Regierungstechnologien und modernen Regierungsweisen stärker in den Fokus gerückt. Dies macht Foucault anschlussfähiger an die Debatten über veränderte Regierungsweisen in der Politikwissenschaft.1 Daher soll hier zunächst der Regierungs- und Governancebegriff in der Politikwissenschaft dargestellt werden, um diesen dann auf den Foucaultschen Regierungsbegriff zu beziehen. Das Regieren generell gehört zu den klassischen Themen der Politikwissenschaft, auch wenn eine eigenständige Regierungslehre umstritten war. Die Politikwissenschaft konzentrierte sich lange auf Fragen des Regierungssystems im Sinne der Staats- und Verfassungsform und auf Fragen der demokratischen Willensbildung. Die Praktiken und die Tätigkeit des Regierens wurden aber vernachlässigt, wie schon Wilhelm Hennis in seinem klassischen Aufsatz »Aufgaben einer modernen Regierungslehre« (1965) kritisierte. Die Politikwissenschaft solle sich für das Regieren als Praxis, als »Inbegriff von Tätigkeit«, für die konkreten Vorgänge des Regierens interessieren, für das »Was und Wie des Regierens«.2 Schon dort heißt es: »Regierung bezeichne das Geschäft der 1 | Vgl. Kerchner, Brigitte: »Wirklich Gegendenken. Politik analysieren mit Michel Foucault«, in: dies./Schneider, Silke (Hg.): Foucault: Diskursanalyse der Politik, Wiesbaden 2006, S. 145-167/Kerchner, Brigitte: »Regieren in einer komplexer werdenden Demokratie«, in: Femina Politica 2010, Lemke, Thomas: »Neoliberalismus, Staat und Selbsttechnologien. Ein kritischer Überblick über die ›governmentality studies‹«, in: Politische Vierteljahresschrift, 41. Jg., H.1(2000), S. 31-47. 2 | Hennis, Wilhelm: »Aufgaben einer modernen Regierungslehre«, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS) 12/1965, (6. Jg., H. 4) S. 426. zit. n. Opitz, Sven: Gouvernementalität im Postfordismus, Hamburg 2004, S. 14.

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Führung und Koordination, […] heiße lenken, steuern, Richtung geben, […] koordinieren«.3 Aber noch viel später, in einem Einführungsband »Regieren in der Bundesrepublik« von 1990 heißt es, »Regieren sei immer noch eine vernachlässigte Fragestellung der Politikwissenschaft«.4 Während der Text von Hennis die Regierungstätigkeit noch stark mit dem Staat und Staatsaufgaben identifizierte, ist mit dem Governance-Begriff seit längerem ein breiteres Verständnis von Regieren in der Diskussion. Unter Regierung (›Government‹) im engeren Sinne werden meist die Verfassungsorgane der Exekutive (Minister, Regierungschef) und auch die Tätigkeiten des Regierens (Steuern, Leiten, Entscheiden) verstanden. Im weiteren Sinne gehört dazu die Verwaltung (Ministerialbürokratie und Behörden), ›Gutes Regieren‹ wird meist gleichgesetzt mit effektiver Steuerung sowie einer Stabilisierung des politischen Systems. Vielen Einführungen in das politische System der BRD liegen oft systemtheoretische Erklärungsansätze zugrunde.5 Mit diesem systemtheoretischen Paradigmenwechsel hat die deutsche Politikwissenschaft auf einen komplexer werdenden Staatsapparat seit den 70er Jahren reagiert. In den 80er und 90er Jahren sind neben den formalen Institutionen (Regierung, Verwaltung), die informelle Kommunikation in Netzwerken, die weicheren Verfahren der Kompromissbildung und Techniken des Politikmanagements als neue Formen des Regierens thematisiert worden.6 Es wurde ein Bedeutungsverlust für klassische Institutionen wie das Parlament und ein partieller Souveränitätsverlust für das nationale politische System registriert. Unter dem Stichwort Governance werden daher seit den 90er Jahren auch neue Muster der Interaktion zwischen Regierung und Gesellschaft in den Blick genommen, mehrere Ebenen übergreifende Netzwerke, in denen staatliche und gesellschaftliche Akteure zusammenwirken. Nicht mehr Regieren über Verbot und Zwang und in klaren Hierarchien ist für diese neuen Regierungsformen charakteristisch, sondern das Management von gesellschaftlicher Interdependenz.7 3 | Hennis 1965, S. 433, zit. n. Opitz 2004, S. 14/15. 4 | Hartwich, Hans-Hermann: »›Regierungsforschung‹- Aufriß der Problemstellungen.« In: Ders/Göttrik Wewer (Hg.): Regieren in der Bundesrespublik Opladen 1990, S. 10, zit. n. Opitz 2004. 5 | Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland Opladen 2000, Hesse, Jens-Joachim/Ellwein, Thomas: Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland 2004. 6 | Vgl. Kerchner 2010, S. 25. 7 | Vgl. Mayntz, Renate: »Politische Steuerung. Aufstieg, Niedergang und Transformation einer Theorie«, in: von Beyme, Klaus/Offe, Claus (Hg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation, Opladen 1996, S. 148-168.

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Der Begriff Governance steht für Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen. Die Eignung des Begriffs Governance liege in einer bestimmten Perspektive auf die Realität, er liefere einen Rahmen, dem sich verschiedene Begriffe zuordnen lassen.8 Es lassen sich zwei disziplinäre Ursprünge der Governance-Perspektive unterscheiden: Die wirtschaftswissenschaftliche Institutionenökonomik und die Politikwissenschaft.9 Im Zentrum der Institutionenökonomik steht das Konzept der Transaktionskosten und die Rolle interorganisatorischer Netzwerke, die demnach effizientere Formen der Koordination sein können als der Markt. Während in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion mit dem Akzent auf Governance die Bedeutung der Hierarchie gegenüber dem Markt betont wird, bezeichnet in der Politikwissenschaft Governance den Gegensatz zu Government im Sinne von etatistisch-hierarchischer Steuerung. Eine weitere Entwicklungslinie von Governance liegt in der Analyse der Internationalen Beziehungen, in denen ein »Governance without Government« entstehe.10 In den 60er und 70er Jahren entstand mit der Analyse staatlicher Planung die Vorstellung einer hierarchisch-etatistischen Gestaltung gesellschaftlicher Felder durch Politik und Bürokratie. Im Zuge der Implementationsforschung (sowohl in den USA wie in der BRD) traten aber bald Ernüchterung und Skepsis gegenüber dieser ersten Planungseuphorie ein. Zu dem Schwenk zur Steuerungstheorie und zu systemtheoretischen Überlegungen, die auf die Resistenz von Teilsystemen gegen politische Interventionen verwiesen, trugen empirische politikwissenschaftliche Studien bei, die das Scheitern von Planung aufzeigten.11 Der Hierarchie wurden allmählich andere Governance-Mechanismen wie Politiknetzwerke, professionelle Gemeinschaften und Gruppen der Zivilgesellschaft gegenübergestellt. Statt nun Hierarchie ganz zu vernachlässigen, schlagen Benz u.a. vor, »Governance als Oberbegriff für sämtliche Muster der Interdependenzbewältigung zwischen Staaten und zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren« zu sehen und Hierarchie als ein Muster neben anderen zu betrachten. Neben Markt und Staat kommen also andere Formen der Interdependenzbewälti8 | Vgl. Benz, Arthur u.a.(Hg.): Handbuch Governance, Wiesbaden 2007, S. 10/11. 9 | Vgl. Coase, Ronald: »The Nature of the Firm«, in Williamson, O. u.a.: The Nature of the Firm.Origins, Evolutions and Development, New York 1937 (1991), S. 18-33. 10 | Rosenau, James/Czempiel, Ernst: (Hg.): Governance without Government. Order and Change in World Politics, Cambridge 1992. 11 | Vgl. Mayntz, Renate: »Politische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme«, in: Ellwein, Thomas/Hesse, Jens-Joachim (Hg.): Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Bd.1 Baden-Baden 1987, S. 89-110, Scharpf, Fritz, W: Politische Durchsetzbarkeit innerer Reformen, Göttingen 1975.

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gung in den Blick. Der Governance-Begriff könne »ein erweitertes Spektrum von Möglichkeiten des koordinierten kollektiven Handelns in den Blick nehmen«12 und unterschiedliche Formen (im Sinne von Interaktionsstrukturen) und Mechanismen (im Sinne von kausalen Prozessverläufen) der Koordination untersuchen. Der Governance-Ansatz sei aber mehr als eine Beschreibung der Koordination kollektiven Handelns, denn er beansprucht auch, Mechanismen und ihre strukturelle Verankerung zu erfassen.13 Daher verwenden Benz u.a. Governance als einen analytischen Begriff, was eine spezifische Sicht auf die Wirklichkeit, auf die Interdependenzen zwischen Akteuren und die verschiedenen Formen des Umgangs mit Interdependenz im Kontext von Institutionen und gesellschaftlichen Subsystemen impliziert. Aber das Governance-Konzept stellt keine Theorie dar, auch wenn es den Anspruch hat, verallgemeinerbare Aussagen über Formen der Koordination zu treffen. Der Ansatz postuliert einen systematischen Zusammenhang von Strukturen und Handlungen, Institutionen und Interaktionen, was auch mit dem Entstehungskontext in interaktionszentrierten und institutionalistischen Ansätzen zu tun hat. Innerhalb der Politikwissenschaft legt die Governance-Perspektive den Schwerpunkt auf die wachsende Bedeutung nicht-hierarchischer Formen der Koordination der Politik und deren Effektivität und Legitimität. Innerhalb des Nationalstaates wächst die Skepsis gegenüber zielgerichteter staatlicher Einflussnahme, bzw. scheitert diese immer öfter. Es wird nach dezentralen Steuerungsarrangements gesucht, z.B. bei regionalen Planungs- und Entwicklungsnetzwerken und Formen von public-private-partnerships.14 In den 90er Jahren wurden mit dem programmatischen Forschungsfeld Global Governance die neue globale Vernetzung, die Beziehungen zwischen Nationalstaaten (also intergouvernementale Beziehungen) und die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen, daran thematisiert. Damit war oft die Erwartung verbunden, dass Global Governance informelle Beziehungen schaffen könnte, die von sich aus demokratischer sind und es wurde gefragt, wie sich Staatlichkeit durch die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) verändert. Innerhalb der Governance-Forschung kann man einen weiten und einen engen Begriff von Governance unterscheiden. Governance wird einerseits verstanden als Steuerung und Koordinierung in horizontalen Netzwerken mit dem Ziel des Managements von Interdependenzen zwischen kollektiven Akteuren. Steuerung und Koordinierung beruhen hier auf institutionalisierten Regelsystemen, auf Kombinationen unterschiedlicher Regelsysteme (z.B. Markt, Hierarchie, Mehrheitsregel, Verhandlungsregeln). 12 | Benz u.a. 2007, S. 13/14. 13 | Vgl. ebd., S. 14. 14 | Vgl. ebd., S. 16.

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Auf der anderen Seite zählen dazu Interaktionsmuster und Modi kollektiven Handelns im Rahmen von Institutionen und Prozesse des Steuerns, die Organisationsgrenzen überschreiten und bei denen staatliche und gesellschaftliche Akteure zusammenwirken. Die verfassungsrechtlich definierten Institutionen und Verfahren der Regierung (›Government‹) treten eher in den Hintergrund, aber auch die neuen Formen des Regierens werden nicht mehr in juridische Begriffe gefasst. Der Modus der Interaktion und Kommunikation wird zentrales Kriterium. Benz unterscheidet insgesamt vier Modi der Interaktion:15 Von dem traditionellen Modus der Hierarchie (1) grenzt Benz den Modus von »Markt und Wettbewerb« (2) ab, der informelle Formen freiwilligen Entscheidens und flache, horizontale Ebenen bevorzugt; dann nennt er (3) Argumentation (arguing) und Verhandlung (bargaining) als unterschiedliche Strategien der Kommunikation und schließlich (4) Kooperation. Schwächen und Grenzen des Konzepts liegen vor allem darin, dass Fragen von Macht und Herrschaft bei solchen steuerungstheoretischen Ansätzen oft unterbelichtet bleiben. Längst nicht alle Akteure handeln wirklich lösungsorientiert, der Fokus auf Lösungsbedingungen heißt nicht, dass Lösungen wirklich zustande kommen. Zwar werden Fragen nach dem Problem Steuerungsversagen oder nach asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnissen wie Machtfragen durchaus einbezogen, dennoch wird den Akteuren meistens die Absicht kollektiver Regelung unterstellt. Insofern ist die Kritik von Mayntz an der »Machtblindheit« durchaus berechtigt.16 Zwar ist Governance schon partizipativer angelegt als hierarchische Regierungsformen, andererseits werden Macht und Herrschaft darin eher verschleiert. Beteiligung und Partizipation werden zwar oft gleichgesetzt mit mehr Demokratie, aber dennoch bleibt die Frage nach der Legitimität von einbezogenen Akteuren wie NGOs mit unterschiedlichen Interessen. Weitere Kritikpunkte, so Benz, sind, dass die Frage nach Werten und Deutungsmustern der Akteure zu wenig beachtet werde, die historische Entstehung und der Wandel von Governance-Konstellationen vernachlässigt wird und es an der Verknüpfung mit Gesellschaftstheorien mangele. Das Konzept sei zu stark auf die Effektivität von Problemlösungen fokussiert und zu wenig auf die Seite der Inputlegitimation. Die Frage nach breiterer Partizipation komme zu kurz.17 Governance sei ein ahistorisches Konzept, welches zwar das ›Wie‹ ge15 | Vgl. Benz, Arthur: Governance-Regieren in komplexen Regelsystemen, Wiesbaden 2004, S. 25. 16 | Vgl. Mayntz, Renate: »Governance im modernen Staat«, in: Benz (Hg) 2004, S. 65-75. 17 | Vgl. Benz 2004, S. 26, Mayntz 2004, Papadopoulos, Yannis: »Governance und Demokratie«, in: Benz (Hg.) 2004, S. 215-237.

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sellschaftlicher Koordination beleuchten könne, aber nicht so sehr das ›Warum‹ und es sei auch keine Gesellschaftstheorie, die die Genese von Koordinationsmodi diskutiert oder historische Bedingungen für Wandel untersucht. Der Governance-Ansatz würde von einer Verknüpfung mit gesellschaftstheoretischen Konzepten sicher profitieren, wie ich es in meiner Arbeit versuche. Umgekehrt könnten diese den Governance-Ansatz nutzen, um Strukturen und Mechanismen kollektiven Handelns zu beleuchten. Die Stärke des Ansatzes liegt in seiner Offenheit für theoretische Anschlüsse.18 In der Politikwissenschaft wird aber durchaus die Frage nach der Legitimität von Governance gestellt, auch wenn sich Governance durch seine Funktionsfähigkeit, durch das Erbringen kollektiver Leistungen rechtfertigt. Dennoch wird die Frage nach der Legitimität im Sinne von Beteiligungsrechten und Machtverteilung intensiv diskutiert.19 Neben diesem analytischem Schwerpunkt des Begriffs Governance auf Interdependenz-bewältigung und unterschiedlichen Formen der Koordination lassen sich grob drei Verwendungsweisen unterscheiden:20 • Ein deskriptiver Begriff, der darauf zurückgeht, dass kollektive Entscheidungen in modernen Gesellschaften zunehmend in nicht-hierarchischen Formen der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Akteuren zustande kommen und der netzwerkförmige, kooperative Politik beschreiben will; • Ein normativer Begriff, der zur Beschreibung »guten Regierens« (good governance) dient und Normen wie demokratische Verantwortlichkeit, Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, Unabhängigkeit von Politik und Verwaltung, Anti-Korruptions-Standards meint; • Ein praktisches Konzept als Regierungstechnik für das Management von Interdependenzen, Netzwerken oder Verhandlungssystemen. Der Begriff Multi-Level-Governance wiederum beschreibt nicht nur die Struktur einer Mehrebenenorganisation, sondern auch die daraus resultierenden Interaktionsmuster und Koordinationsmechanismen. Der Begriff bezieht sich auf die Probleme der Politikverflechtung und der Bewältigung von Interdependenz und wurde vor allem für die Beschreibung der europäischen und internationalen Ebene, oder für die Koordinationsmechanismen zwischen Bundesländern und Bundesregierung verwandt. In bestimmten Ebenen sind auch bestimmte Strukturen von Politik (Verband, Netzwerk, Staatenverbindung) und damit zusammenhängende Interaktionsmodi vorzufinden, die die Interaktion 18 | Vgl. Benz u.a. (Hg.) 2007, S. 20. 19 | Vgl. Papadopoulos 2004  20 | Vgl. Benz u.a. (Hg.) 2007, S. 14/15.

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zwischen den Ebenen beeinflussen. »Die Mehrebenenkoordination findet mit Konfigurationen statt, die aus einer Verbindung von Governance-Modi innerhalb von Ebenen (›intragouvernemental‹) und zwischen Ebenen (›intergouvernemental‹) gebildet sind.«21 Governance-Forschern geht es unter anderem um die Prozesse der Erzeugung von Staatlichkeit. Der Staat wird nicht als etwas Existierendes vorausgesetzt oder als reiner Verwaltungsapparat verstanden, sondern erst verschiedene Governance-Akteure erzeugen den Staat. So nimmt die Governance-Forschung die Ko-Produktion von Staatlichkeit in den Blick und zeigt, wie staatliche Leistungen auch von privaten Dienstleistungserbringern übernommen oder gesichert werden. Selbst Kernaufgaben des Staates wie die Garantierung von Sicherheit und Ordnung und die Gewährleistung des Gewaltmonopols können von ›Staatlichkeitsunternehmern‹ übernommen werden. Historische Beispiele waren bereits die Handelscompagnien der frühen Neuzeit wie die East India Company oder die Condottieri in den Stadtrepubliken der Renaissance.22 Aber auch heute werden viele staatliche Funktionen an private Akteure ausgelagert, auch Private können im Prinzip einen Staat mit aufbauen, so lange man allein das Kriterium von kollektiv verbindlichen Ordnungsleistungen, von Gewährung von Sicherheit und Ordnung anlegt. Dies geschieht bei privaten Sicherheitsunternehmen in Bürgerkriegsländern oder bei der Auslagerung von Armeeaufgaben an private Security-Companies wie Blackwater. Fragen nach Legitimität, Repräsentation und Demokratie bleiben dabei jedoch außen vor. Insofern könnte Governance auch ein Rückfall hinter bestimmte historisch entstandene Formen von stabiler staatlicher Souveränität sein. Auch in der Tradition der marxistischen Staatstheorie (wie bei Gramsci und Poulantzas) ist der Staat nichts an sich Gegebenes, immer schon vorhandenes, sondern leitet sich aus der Notwendigkeit ab, die Reproduktion des Kapitals sicherzustellen. Der Staat ist das Terrain, auf dem die sozialen Kämpfe ausgetragen werden, auf dem die Kämpfe um Hegemonie stattfinden. Im Sinne von Poulantzas ist der Staat eine materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen und die Staatsapparate sind von den gesellschaftlichen Kämpfen durchzogen.23 Der Staat muss also immer wieder neu erzeugt werden. Gramsci wiederum sieht den Staat als komplexes soziales Verhältnis, als strategisch-relationales, welches den Staat entlang verschiedener Institutionen

21 | Benz 2007, S. 298. 22 | Vgl. Schuppert, Gunnar Folke: Von Ko-Produktion von Staatlichkeit zur Co-Performance of Governance SFB Governance Working Papers Series No. 12, Berlin 2008. 23 | Vgl. Poulantzas, Nicos: Staatstheorie, Hamburg 2002, Bretthauer, Lars u.a. (Hg.): Poulantzas lesen, Hamburg 2006.

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und Praktiken organisiert.24 Die Entwicklung von Staatlichkeit unterliegt historischen Konjunkturen, das Auftreten von Governance-Diskursen kann als Indiz für eine veränderte Produktion von Staatlichkeit gesehen werden. Im Sinne eines an Foucault orientierten Ansatzes, der die spezifischen Praktiken und Technologien des Regierens in den Blick nimmt, kann Governance als neue Regierungstechnologie zum Umbau des Verhältnisses von Staat, Bürokratie und Bürger gesehen werden. Damit werden neue Beteiligungsformen, von Partizipation innerhalb eines neuen Musters von Herrschaftstechnologien angesprochen. Aus staatstheoretischer Sicht kann von einer Gouvernementalisierung des Staates gesprochen werden, die Frage ist dann, wie der Staat durch Regierungstechnologien geschaffen wird, die quer liegen zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. Auch Demokratie und Partizipation sind dann eine Form von Regierungstechnologien unter anderen. Solche Technologien und Praktiken nimmt ein an Foucault und dem Gouvernementalitätskonzept orientierter Ansatz in den Blick, dem es um Fragen von Macht und Wissen, Problemdefinitionen und soziale Praktiken geht. Vertreter des Foucaultschen Ansatzes lösen Macht in politische Rationalitäten, Regierungsprogramme, Technologien und Regierungstechniken auf. Kerchner hebt die Besonderheit eines Foucaultschen Ansatzes hervor und zeigt auf, dass ein an Foucault orientierter Ansatz in Abgrenzung zu den drei großen Strömungen innerhalb der etablierten Politikwissenschaft ein Umdenken und Gegen-Denken darstellt:25 nämlich eine Verschiebung der Perspektive von der Frage der normativ guten Ordnung (normativ-ontologischer Ansatz) zur Genealogie der Normativität, von einem ›realistischen‹ Politikverständnis (wie in der realistischen Schule in den Internationalen Beziehungen) zu einer historisch-konstruktivistischen Analyse des Regierens und vom politischen Konflikt zur Dekonstruktion binär strukturierter Oppositionen.26 Der Foucaultschen Genealogie geht es nicht darum, das Wesen oder den Ursprung der Dinge zu ergründen, sondern statt der Herkunft im Sinne von festen Zugehörigkeiten disparate Prozesse der Identitätsbildung zu untersuchen und statt der bruchlosen Kontinuität das zufällige Spiel von Kräfteverhältnissen und Herrschaftsbeziehungen ins Auge zu fassen. Die Genealogie soll an die Gewordenheit allen Seins und Denkens erinnern, die Aspektbefangenheit der eigenen Kultur überwinden und den gewohnten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der Gegenwart ihre Selbstverständlichkeit nehmen. Die genealogische Recherche soll eine »freigeräumte Fläche« eröffnen, von der aus selbstverständlich 24 | Vgl. Buckel, Sonja/Fischer-Lescano, Andreas (Hg.): Hegemonie gepanzert mit Zwang, Baden-Baden 2007. 25 | Vgl. Kerchner 2006. 26 | Vgl. ebd, S. 146.

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erscheinende Normen dezentriert und Wertfragen neu aufgeworfen werden können.27 In der Perspektive einer historisch-konstruktivistischen Analyse geht es nicht mehr darum, nach dem Wesen der Macht zu fragen, als vielmehr nach der Form zu forschen, in der Macht und Widerstand ausgeübt werden. Denken und Wissen werden als wirklichkeits-konstituierende Ordnungssysteme verstanden, zu denen mit einer historisch operierenden ›Archäologie‹ quer gedacht werden kann. Es werde dann in einer genealogisch-historischen Perspektive z.B. nach den lokalen Machtbeziehungen gefragt, die in einer bestimmten historischen Form der Wahrheitsherstellung am Werk sind und wie sich diese Machtbeziehungen zur Logik einer globalen Strategie verbinden.28 So werde nach Foucault seit dem 17. Jahrhundert die Souveränitätsmacht des Absolutismus, die primär im System des Rechts operiert habe, von einer Disziplinarmacht überlagert, die mit ›unscheinbaren Techniken‹ auf die Körper einwirke, um die Individuen in die bürgerliche Gesellschaft einzupassen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts komme dazu eine auf den »Gattungskörper« sich konzentrierende Biomacht, die Geburt, Sterblichkeit und Gesundheit der als neue Kategorie konstituierten Bevölkerung zu kontrollieren beginnt.29 Der Gouvernementalitätsansatz fokussiert auf Formen der Macht ohne Zentrum oder mit mehreren Zentren und auf die Macht von Bedeutungsproduktionen. Government wird nicht mit dem Staat gleichgesetzt (im Sinne einer zentralen Regelungsinstanz) sondern konzentriert sich darauf, wie Programme und Praktiken in Mikrosettings und auf der Ebene der Individuen angewandt werden.30

2.2 I NFORMALISIERUNG VON P OLITIK UND S TA AT BEI A LT VATER /M AHNKOPF Eine andere Perspektive auf Probleme des Regierens haben Altvater/Mahnkopf mit ihrem Forschungsprogramm zur Informalisierung von Politik, Geld und Arbeit eröffnet. Mit dem Begriff der Informalisierung beschreiben sie im Grunde aus einer anderen und breiteren Perspektive manches, was in der Governance-Forschung unter kooperativen Steuerungsformen und informellen Netzwer27 | Vgl. ebd., S. 148, vgl. auch Owen, David: »Kritik und Gefamgemschaft. Genealogie und Kritische Theorie«, in: Honneth, Axel/Saar, Martin (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption, Frankfurt/M 2003, S. 122-145. 28 | Vgl. Kerchner 2006, S. 151. 29 | Vgl. Kerchner 2006. 30 | Vgl. Jessop, Bob: Governance and Government in the Shadow of Hierarchy, Ms. 2010.

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ken gefasst wird. Dennoch wurden viele ihrer Überlegungen meinem Eindruck nach zu wenig aufgegriffen oder nicht auf die Governance-Forschung bezogen. Altvater/Mahnkopf unterscheiden im Rahmen ihres Forschungsprogramms »Globalisierung der Unsicherheit« verschiedene Dimensionen von Informalisierung des Regierens.31 Sie gehen zunächst von einem grundlegenden systemverändernden hegemonialen neoliberalen Projekt der Informalisierung des Staates, der Geldformen und der Politik aus. Dabei werden die der Herrschaftssicherung dienenden Funktionen des Staates gestärkt und tendenziell entdemokratisiert und viele der sozialstaatlichen Daseinsvorsorge dienenden Funktionen abgebaut und dereguliert. Auf dieser Basis differenzieren sie dann zwischen (a) systemfunktionalen und komplementären, in der Regel legitimen informellen politischen Prozessen, die eine ständige notwendige Dimension des Politischen sind und (b) zusätzlicher oder substitutiver Informalisierung von Staat und Politik im engeren Sinne, als Kern des hegemonialen neoliberalen Programms. Innerhalb desselben unterscheiden sie ferner analytisch zwischen (a) der Informalisierung des Staates, d.h. einer Informalisierung politischer Legitimation und Zerstörung normativer politischer Kohärenz durch eine partielle Entrechtlichung (Abbau rechtsstaatlicher Verfahren und verfassungsrechtlicher Garantien) und durch die entdemokratisierende Umdeutung von Verfassungsnormen (z.B. von materieller sozialer Gerechtigkeit in formale Chancengerechtigkeit) und (b) einer Informalisierung der Politik als Prozess und Praxis. Innerhalb der Informalisierung der Politik unterscheiden sie dann weiter: (1) ordentliche (legale und funktionale) oder (2) unordentliche (illegale, korrumpierende) Informalisierung von (2.1) politischen Prozessen (z.B. in publicprivate partnerships), (2.2) von politischen Akteuren und Gremien (Verlagerung von Regierungshandeln in halbstaatliche Kommissionen und Foren und Personalfluktuation zwischen Wirtschaft und Politik) und (2.3) der resultierenden inhaltlichen Programme und Problemlösungen (sog. »soft laws«, freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen). Diese Informalisierungstendenzen wirken faktisch zusammen im Sinne einer partiellen oder vollständigen Privatisierung staatlicher Aufgabenerfüllung, einer Deregulierung von Märkten zur Durchsetzung multinationaler ökonomischer Machtkomplexe und einer Tendenz zur Intransparenz, Instabilität und Willkür politischer Machtausübung. Die Informalisierungstendenzen der Politik beziehen sich auf mehrere Ebenen, auf das politische System innerhalb des Nationalstaats, auf den einzelnen Staat und auf das internationale System. Sie unterscheiden also die Informali-

31 | Vgl. Altvater, Elmar/Mahnkopf, Brigitte: Globalisierung der Unsicherheit, Münster 2002.

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sierung (a) der Form Politik, (b) der Form Staat, (c) der Form des internationalen Systems. Informelle Politik kann wiederum verschiedene Funktionen haben:32 1. Die informelle Politik kann als eine Ergänzung zur formellen Politik dienen (hinsichtlich der Akteure, Institutionen und Tatbestände) und deren Effizienz steigern, was noch keine Verletzung der Normen darstellen muß. 2. Sie kann als Residuum oder Relikt aus vormodernen Zeiten auftreten (in Form von traditionalem Recht oder außerstaatlicher Selbstjustiz), die neben formellen Politikmustern und -Akteuren parallel erhalten geblieben ist. 3. Sie kann formelle Politik korrumpieren und delegitimieren. 4. Sie kann die formelle Politik zerstören und zur Regellosigkeit des Politischen führen (»Usurpation der formellen Politik durch informelle Mächte«). 5. Sie kann zu Staatszerfall führen. 6. Die informelle Politik kann formelle Politik auch erweitern, hinsichtlich der Akteure, der Institutionen und der Problemlösung, z.B. durch spontane Regelsysteme mit privaten Akteuren jenseits der förmlichen Regulierung, die von nationalem Recht nicht mehr geleistet werden kann (meist handelt es sich dabei um ›weiche‹ Regeln). 7. Sie kann zur Informalisierung des internationalen politischen Systems beitragen. Hinsichtlich des sehr weit gefassten Themenkomplexes der Informalisierung von Arbeit treffen Altvater/Mahnkopf folgende Unterscheidungen und Definitionen: Juristisch zählen sie zur Informalisierung von Arbeit kriminelle, illegale, halb-legale Tätigkeiten/Aktivitäten, außerdem solche Aktivitäten, die nur Gesetzeslücken ausnutzen, oder avantgardistisch neues Recht schaffen. Sozioökonomisch betrachtet gehören zur informellen Sphäre die Schattenwirtschaft und die Schwarzarbeit, irreguläre Arbeiten und Korruption.33 Der von ihnen sehr weit gefasste Begriff des Informellen in der Wirtschaft umfasst (1) nicht-gemeldete und nicht-dokumentierte ökonomische Aktivitäten (die nicht in den offiziellen Statistiken auftauchen), (2) die Vermeidung oder Hinterziehung von Steuern, (3) Arbeitsverhältnisse, die hinsichtlich der Beschäftigungsdauer, der Arbeitsbedingungen und des Einkommens, der Schutzund Beteiligungsrechte nicht der Normalität arbeitsrechtlicher Gestaltung entsprechen, (4) die Produktion und Verbreitung von illegalen oder kriminellen Gütern und Dienstleistungen.34 32 | Vgl. ebd., S. 286/287. 33 | Ebd., S. 84. 34 | Ebd., S. 86.

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Bei den rein marktbezogenen informellen Aktivitäten schließlich (unter Ausklammerung von Selbstversorgungsaktivitäten) treffen sie folgende Charakterisierungen: Die Schranken für den Eintritt in den informellen Sektor sind niedriger. Die informellen Aktivitäten sind weniger oder gar nicht durch gesellschaftlich legitimierte Regeln geschützt. Den informellen Transaktionen fehlt der Schutz rechtlich normierter Rahmenbedingungen. Da informelle Unternehmen meistens klein sind, müssen sie die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit durch Überausbeutung ihrer Arbeitskraft kompensieren. Eine andere Variante ist, dass große Unternehmen auf informelle Subunternehmer zurückgreifen. Da Informelle ohnehin ein Nischendasein führen, fehlt ihnen gesellschaftliche Anerkennung, sei es in monetärer oder in ideeller Form. Informelle umgehen oder brechen rechtliche Normen und bewegen sich auf rechtlich diffusem Terrain, in einer Grauzone des Übergangs zur Kriminalität. Wo die Grenze jeweils gezogen wird, ist eine Frage politischer Regulierung und ein diskursiv umkämpftes Terrain.35 Was in den entwickelten Industrieländern meistens als Erosion des Normalarbeitsverhältnisses debattiert wird, könnte jedoch auch als eine Variante der Informalisierung von Arbeit diskutiert werden. Trotz aller Differenzen zwischen den Beschäftigten des informellen Sektors in Entwicklungsländern, den von Outsourcing und Subcontracting betroffenen Beschäftigten und den prekären Beschäftigungsverhältnissen in westlichen Industrieländern gebe es strukturelle Ähnlichkeiten: »Die Informalisierung findet durch Flexibilisierung auch innerhalb der formellen Arbeitsverhältnisse statt und nicht erst durch einen ›informellen Sektor‹.«36 In den Forschungen zur Informalität ist umstritten, ob man die Beziehungen zwischen dem informellen Sektor und dem Rest der Gesellschaft als ein unabhängiges Nebeneinander, als Dualität auffassen sollte. Einige Forscher gehen von einer wechselseitigen Ergänzung, einer Beziehung der Komplementarität aus. Neben den vielfältigen Formen der Informalisierung von Arbeit als eigenständiger Kategorie unterscheiden Altvater/Mahnkopf noch eine »Deformalisierung im Sinne einer Rücknahme des Formalisierungsgrades von Arbeit«, oder eine »formelle Informalisierung«, d.h. eine Informalisierung, die sich innerhalb noch bestehender formeller Strukturen von Arbeitsmarktregulierungen vollzieht, innerhalb von noch institutionalisierten Formen von Interessenvertretung und die z.B. in der schleichenden Aushöhlung von sozialen Sicherungssystemen besteht.37 Damit sind Phänomene wie neue nicht-normierte Arbeitsverhältnisse und die veränderte Nutzung von Arbeitskräften angesprochen. Merkmale einer solchen intensivierten Nutzung sind, dass diese Arbeits35 | Ebd., S. 92. 36 | Ebd., S. 115/116. 37 | Vgl. ebd., S. 135.

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kräfte vermehrt nach den Flexibilitätserfordernissen der Betriebe eingesetzt werden, die Beziehungen zwischen Unternehmen und Beschäftigten immer mehr marktförmig gestaltet werden und der Arbeitskraftunternehmer nur konkrete Arbeitsleistungen statt sein primäres Arbeitsvermögen verkauft. Diese Formen informalisierter Arbeit innerhalb einer formellen Ökonomie respektieren zudem nicht mehr die bisherigen Normen von Zeit und Raum, indem Arbeitszeiten entgrenzt werden und die örtliche Bindung an einen Arbeitsplatz und einen Arbeitgeber abnimmt. Da es in meiner Arbeit nicht um Phänomene von Informalisierung in Entwicklungsländern geht, sondern um eine ergänzende Anwendung unterschiedlicher Theorieperspektiven auf eine lokale Fallstudie in einem OECD-Land, ist für meine Arbeit überwiegend diese letzte Kategorisierung von Informalisierung innerhalb formeller Strukturen relevant. Die ganze Bandbreite der Kategorien und Aspekte des Forschungsprogramms von Altvater/Mahnkopf hinsichtlich der verschiedenen Informalisierungsarten von Politik und Arbeit kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht aufgegriffen werden, zumal viele der von ihnen untersuchten Phänomene sich auf Entwicklungsländer oder sogar Bürgerkriegsländer und auf extreme Formen von Kriminalität (wie Geldwäsche) oder extreme Armutsökonomien beziehen. Dennoch können manche ihrer Kategorien als anregende Ergänzungen bzw. als eine andere (materialistisch und politisch-ökonomisch unterlegte) Perspektive auf einen Wandel der Regierungsformen wie ihn die an Foucault orientierten Governmentality Studies oder die Governance-Perspektive untersuchen, gesehen werden. Für das Themenfeld dieser Arbeit, den lokalen Sozialstaat und die soziale Stadtpolitik sind am ehesten die Punkte (1), (2) und (6) aus der Liste informeller Politikformen relevant. So werden neue Beteiligungsformen erprobt und das Feld der Akteure über die verschiedenen Verwaltunsgsebenen hinaus um lokale Akteure wie Vereine, NGOs usw. ergänzt. Eine andere Erweiterung der formellen Politik sind hier kommunale Foren und Netzwerke oder Public-Private-Partnerships (z.B. in der Kommunalverwaltung und bei der Erbringung von öffentlichen Sicherheitsaufgaben). Ein anderes Beispiel sind Kooperationsformen beim New Public Management, wenn z.B. die Bertelsmannsstiftung bei der Reform der Kommunalverwaltung mit ›best practice‹-Beispielen ein Leitbild für moderne Verwaltung erstellt. Manche der Gebiete des Bund-Länder-Förderprogramms »Soziale Stadt« sind neben sozialen Brennpunkten auch Schwerpunkte der (teils ethnisch segmentierten) Kriminalität. Wenn traditional orientierte Migrantengruppen wie manche türkische oder arabische Großclans sich also z.B. Revierkämpfe liefern oder sich informelle, halblegale oder kriminelle Segmente des lokalen Marktes aufteilen, ist das zwar noch kein Beispiel für das Fortwirken traditionalen infor-

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mellen Rechts.38 Andererseits provoziert ein administrative Willkür förderndes Asylrecht mit verschiedenen Abstufungen von Aufenthaltsgewährungen, Duldungen, Aufenthalts- und Arbeitsverboten auch entsprechende halb-legale oder illegale Aktivitäten von Migranten. Dabei stellen lokale Sozialstaatsprogramme auch den Versuch dar, solche Communities mit einer Mischung aus Sozialarbeit und Kriminalitätsbekämpfung zu erreichen. Hier liegt dann wieder ein Schnittpunkt zwischen der Informalisierung der Sicherheit und der Informalisierung von Arbeit. In manchen der Gebiete mit Quartiersmanagement sind auch informelle Arbeitsformen wie Schwarzarbeit usw. schwerpunktmäßig zu finden. Ein Teil der lokalen Sicherheitsdienstleistungen wird wiederum informalisiert, indem sie von kommunalen Hilfsdiensten, privaten Sicherheitsdiensten, Nonprofit-Trägern im Bereich der lokalen Ökonomie, durch Ein-Euro-Jobber oder Langzeitarbeitslose, die für öffentliche Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum sorgen sollen, erbracht werden (vgl. 6. Kapitel). Informelle Arbeitsformen innerhalb unserer formellen Ökonomie werden also eingesetzt, um innerhalb eines komplementären, informellen Politikarrangements illegale oder halblegale Informalisierungstendenzen zu bekämpfen.

38 | Ein extremes Beispiel für Informalisierung ist es wiederum, wenn manche Angehörige solcher libanesisch-kurdischen Clans aus der staatlichen Regulierung quasi herausfallen, weil sie staatenlos sind und die Türkei oder Libanon sie nach einer Abschiebung nicht wieder aufnehmen wollen, vgl. Heisig, Kirsten: Das Ende der Geduld, Freiburg 2010 und Tagesspiegel v. 15.11.2010: »Vernetzt gegen die Clans«.

3. Macht und Regierung bei Foucault 3.1 D ISKURS UND B IOMACHT 3.1.1 Foucaults Diskursbegriff Anders als manche Vertreter der Gouvernementalitätsstudien (GS), die sich aus Foucaults Werk vor allem das Konzept der Gouvernementalität und das Wechselverhältnis von Regierungstechniken und Selbsttechnologien herausgreifen, bekommt man meines Erachtens die Besonderheit von Foucaults Ansatz nur in den Blick, wenn man auch andere, frühere Phasen seines Werkes berücksichtigt. Denn in seinen Vorlesungen zur »Geschichte der Gouvernementalität« (um die es in Kapitel 3.2 geht) greift Foucault manche Aspekte aus früheren Phasen, z.B. zur Rolle des Souveräns, zur Disziplinar- und Biomacht wieder auf und setzt sie neu ins Verhältnis. Auch wenn ich in dieser Arbeit keine Diskursanalyse und auch keine ausführliche historisch-genealogische Untersuchung betreibe, sondern allenfalls punktuell auf diese Konzepte zurückgreife, ist es doch wichtig, diese Methoden Foucaults zunächst angemessen und ausführlicher darzustellen, weil sie teils in die Konzeption seines Gouvernementalitätskonzepts eingehen und weil man mit ihnen das ganze Potenzial der Foucaultschen Machtanalytik besser ausschöpfen kann. Michel Foucault gilt oft als einer der Denker im Umfeld von Poststrukturalismus und Postmoderne. Auch wenn er sich gegen zu eindeutige Zuordnungen aussprach, hat er diesen Denkweisen doch wichtige Anregungen gegeben. Mit Poststrukturalismus und Postmoderne gemeinsam hat Foucault den Anspruch, historische Prozesse und soziale Zusammenhänge nicht mehr ausgehend von vernunftphilosophischen, kontinuitätstheoretischen und subjektphilosophischen Prämissen zu beschreiben. Er erteilt dem vernunftphilosophischen Paradigma, d.h. der Reflexion auf das Allgemeine und Notwendige eine Absage. An die Stelle universaler Strukturen und zeitloser Wahrheiten tritt die historische Analyse zufälliger, willkürlicher Ereignisse und Wissensfor-

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men.1 Foucault wendet sich gegen das Projekt einer globalen, kontinuierlichen oder teleologischen Geschichtsschreibung, die eine Historie von einem Zentrum, einem Prinzip, einer Idee oder einem Ziel her deutet. Sein Projekt geht von einer Geschichtsauffassung aus, die das diskontinuierliche Auftauchen und Verschwinden kontingenter Formationen und Ereignisse betont.2 Er erklärt auch die neuzeitliche Vorstellung des einheitsstiftenden, ahistorischen, autonomen Subjekts zu einer Illusion. Dafür steht der Satz am Ende von »Die Ordnung der Dinge«, dass »der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand«.3 Damit will er jedoch nicht die Existenz des Individuums generell leugnen, sondern ihm geht es um eine Dezentrierung und Historisierung des Subjekts. Das Individuum sei eingebettet in ein Netz vorgängiger Praktiken und Strukturen, durch die es geformt und konstituiert wird. Veränderungen, Diskontinuitäten und Brüche sind immer wieder Thema und methodisches Prinzip von Foucaults Schriften. Wie der Mensch überhaupt zum Gegenstand der modernen Wissenschaften wurde, wird zentral in Foucaults Studie »Die Ordnung der Dinge« behandelt, in der es um eine »Archäologie der Humanwissenschaften« geht. Im Übergang von der Renaissance zur Klassik ändern sich laut Foucault die diskursiven Ordnungen der Wissenschaft. Anhand von drei Wissenschaftsdisziplinen, der Naturgeschichte, der Theorie der Reichtümer und der Allgemeinen Grammatik zeigt Foucault, wie sich das bis dahin gültige Modell zur Wahrnehmung der Wirklichkeit ändert. Die drei Diskurse dieser Wissenschaften funktionierten in der klassischen Zeit auf ähnliche Weise: Die Ordnung des Wissens ist eine Ordnung der Repräsentation.4 Dieses Ideal findet sich in den Darstellungstechniken in Form von Übersichten, Tabellen, Bildern. Ein möglichst vollständiges Tableau aller Zeichen soll ein umfassendes Bild der Dinge liefern. Die Dinge sollen auf das schematisch Darstellbare reduziert werden und mit einer geregelten Bezeichnungsordnung übereinstimmen. Um 1800 stürzt dieses klassische Denksystem dann um und die Beziehung zwischen Ding und Zeichen wird neu gefasst. In allen klassischen Disziplinen verändert sich der Diskurs. An Stelle der klassifikatorischen Wissensbildung 1 | Vgl. Foucault, Michel: »Was ist Aufklärung?« in: Erdmann¸Eva/Honneth, Axel (Hg.): Ethos der Moderne, Frankfurt/M/New York 1990, S. 35-55., Kneer, Georg: »Die Analytik der Macht bei Michel Foucault«, in: Imbusch, Peter (Hg.): Macht und Herrschaft, Opladen 1998, S. 239-255. 2 | Vgl. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt/M 1973, Kneer 1998 und Foucault, Michel: »Nietzsche, die Genealogie, die Historie« (1971), in: Dits et Ecrits 2 (DE2) Schriften in vier Bänden Bd. 2, hg. von Defert, Daniel/Ewald, Francois Frankfurt/M 2002, S. 166-191. 3 | Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M 1974, S. 462. 4 | Vgl. Gehring, Petra: Foucault. Die Philosophie im Archiv, Frankfurt/M 2004, S. 48.

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tritt eine suchende Form, die die verborgenen Mechanismen z.B. der Pflanzen erforscht, statt auf der Oberfläche der Dinge zu bleiben. Man suchte nach neuen Modellen, die Lebewesen zu klassifizieren, es kommt zu einer neuen Benennung des Sichtbaren. Durch ein systematisch reduziertes Sehen ließ sich jedes natürliche Wesen mit Hilfe von vier sichtbaren Merkmalen eindeutig bestimmen: der Anzahl der Elemente, der Form der Elemente, der relativen Größe, der Beziehung der Elemente zueinander. Diese vier Bestimmungsmerkmale nannten die Botaniker nun »Struktur«, die Lebewesen liessen sich nun in ein übergreifendes System einreihen, das System der Natur.5 Aus der Naturgeschichte wird die moderne Biologie, aus der klassischen Theorie der Reichtümer die moderne Ökonomie, aus der allgemeinen Grammatik entsteht die moderne Sprachwissenschaft. Ab 1800 tritt eine neue Gruppe von Wissenschaften auf, die Humanwissenschaften, die ihren methodischen Halt im Diskurs der »Anthropologie« findet. Gemeint sind solche Disziplinen wie Soziologie, Völkerkunde, Psychologie, das Gebiet der Sitten- und Moralstatistik. Diesen Prozess zeichnet Foucault in der »Ordnung der Dinge« nach. Wie in der Soziologie der Mensch als empirisch erfassbares Objekt erscheint, als statistisch erfassbare Population, wird dann später für die neue Regierungsform der Gouvernementalität interessant, wenn mit der Sozialstatistik neue Beschreibungsebenen auftauchen und die Idee der Norm, die soziale Normalität von Phänomenen eine dazu gehörige Logik der Intervention hervorbringt.6 In den frühen Schriften von Foucault bis zu »Wahnsinn und Gesellschaft« (1961) spielt der Begriff des Diskurses noch keine Rolle. Erst mit den Reflexionen über methodische Probleme in »Die Archäologie des Wissens« (1969) und »Die Ordnung des Diskurses« (1971) wird der Diskursbegriff ausgeweitet und zum zentralen methodischen Ausgangspunkt seiner Analysen. Dennoch kann man bei Foucault nicht von einem kohärenten Begriff des Diskurses sprechen, ist er doch im Laufe des Werks Veränderungen unterworfen. Hat es in »Wahnsinn und Gesellschaft« noch ein »allgemeines Subjekt der Geschichte« gegeben, tritt nun an die Stelle eines ahistorischen Subjekts und historischer Totalitäten die historische Diskontinuität von Ereignissen. In der »Archäologie des Wissens« versteht Foucault »Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Praktiken«.7 Als diskursive Praktiken unterscheiden sie sich von den nicht-diskursiven (technischen, institutionellen, ökonomischen, sozialen, politischen) Praktiken, aber sie beziehen sich auch auf sie in

5 | Vgl. Kerchner, Brigitte: »Vielfalt, Komplexität oder Intersektionalität? Zum Einsatz der Diskurstheorie in der neueren Geschlechterforschung«, in: Genderpolitik online Februar 2011, S. 11/12. 6 | Vgl. Foucault 1974, S. 418ff. und Gehring 2004, S. 69. 7 | Foucault 1973, S. 198.

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bestimmender, »bildender« Weise. Die Praktiken sind von den Diskursen abhängig.8 Seine neue Forschungsweise behandelt »den Diskurs nicht als Dokument, als Zeichen für etwas anderes«, sie nimmt den Diskurs als gegeben, sie sucht nicht einen »anderen Diskurs und sucht nicht nach dem Verborgenen dahinter«.9 Damit grenzt sich Foucault von hermeneutischen Fragestellungen ab. Er nennt seine Methodik nun »Archäologie«. Ihren Gegenstand bezeichnet er mal als »diskursive Formation, Positivität, historisches Apriori, Archiv«.10 Diskursive Formationen sind Wissensordnungen oder Redeordnungen, die durch Rückschlüsse auf eine innere Regelmäßigkeit als Großgebilde identifizierbar sind.11 Historisches Apriori wird definiert als die Gesamtheit der Regeln, die eine diskursive Praxis charakterisieren. Das Archiv ist »das allgemeine System der Formation der Aussagen«.12 Bei der Archäologie geht es um das Freilegen von historischen Bedingungen von Aussagen und um das Sichtbarmachen von historisch-diskursiven Praktiken und um die Dinge, die über den Diskurs in Institutionen wie Schule, Gefängnis, Gesetze, eingegangen sind. Dadurch sollen diskursive Regelmäßigkeiten und Brüche sichtbar gemacht werden. »Die Archäologie wäre die spezifische Methode der Analyse der lokalen Diskursivitäten und die Genealogie die Taktik, die die daraus auftauchenden und aus der Unterwerfung befreiten Wissensarten spielen lässt«, so grenzt Foucault später seine beiden methodischen Prinzipien ab.13 Die Archäologie kann man als Ausgraben der historisch entstandenen Systeme des »Denkens/Wissens« beschreiben. Ein Denksystem ist dann eine Menge von Äußerungen und Aussagen, deren Beziehungen zueinander analysierbar sind. Die Problematik des Zusammenhangs von Diskurs, Wissen und Macht greift Foucault erst später auf, auch wenn er schon in der »Archäologie des Wissens« den Diskurs »als Frage nach der Macht und als Gegenstand eines Kampfes, eines politischen Kampfes« anspricht.14 Der Diskurs wird in der Archäologie des Wissens definiert als »Menge einer Beziehung zwischen Äußerungen und Aussagen, die dem gleichen Formationssystem angehören«.15 Ein Formationssystem besteht aus je spezifischen Regeln, 8 | Vgl. ebd., S. 100, Fink-Eitel, Hinrich: Michel Foucault zur Einführung, Hamburg 1997, S. 57. 9 | Foucault 1973, S. 198. 10 | Ebd., S. 182ff. 11 | Vgl. Gehring 2004, S. 54. 12 | Foucault 1973, S. 188, vgl. Taureck, Bernhard F.: Michel Foucault, Reinbek 1997, S. 81. 13 | Foucault, Michel: Dispositive der Macht, Berlin 1978, S. 65. 14 | Foucault 1973, S. 175. 15 | Kerchner 2011, S. 9.

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Prozeduren und Institutionen der Wahrheitsproduktion, die die Dinge zum wissenschaftlichen Gegenstand erheben. Merkmale eines Funktionssystems sind: (a) das Auftauchen einer Aussage an einem Ort und einem Zeitpunkt, (b) die Position des sprechenden Subjekts, (c) die Beziehungen zwischen Äußerungen und Aussagen (in einer Zeit), (d) die Wiederholung und Beständigkeit, die den Aussagen ihre materielle Existenz verleihen. Die Archäologie ist die Methode, die es ermöglicht, die innere Struktur von Denk- und Wissenssystemen wahrnehmbar und sichtbar zu machen und heutige, eigene, als wahr angesehene Gewissheiten als historisch entstanden zu erkennen. Aussageregeln sind dann Prozeduren der Kontrolle und regulative Prinzipien. Die Beziehung zwischen Macht und Wissen stellte Foucault erst in den 70er Jahren unter dem Begriff des »Macht-Wissen« (›pouvoir-savoir‹) her. Damit formulierte Foucault seine neue Arbeitsrichtung: »Die Machtbezüge (mit den Kämpfen, die sie durchziehen und den Institutionen, die sie erhalten) spielen hinsichtlich des Wissens nicht bloß die Rolle einer Erleichterung oder eines Hindernisses […] Macht und Wissen sind nicht nur durch ein Interessenspiel oder durch Ideologeme aneinander gebunden, es gibt fundamentale Formen des ›Macht-Wissens‹«.16

In seiner Antrittsvorlesung am Collége de France im Jahr 1970, »Die Ordnung des Diskurses«, kommt Foucault stärker auf diese Problematik zu sprechen und vertritt die These, dass der Diskurs, bzw. die diskursiven Praktiken nicht-diskursiven Bedingungen unterstehen: der Macht und dem Begehren.17 Er fragt jetzt nach den äußeren Bedingungen und Beschränkungen des Diskurses und greift mit dem »Willen zur Wahrheit« ein Thema Nietzsches auf. Foucault stellt die Hypothese auf, »dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird- und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen«. Denn der Diskurs »ist dasjenige, worum und womit man kämpft, er ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht«.18 Als Instrumente für diese Kontrolle der Diskurse führt die Antrittsvorlesung die Prozeduren der Ausschließung an, wie die Entgegensetzung von Vernunft und 16 | Foucault: Résumé des cours 1970-1982, Paris 1989, S. 19, zit.nach Taureck, S. 87. 17 | Vgl. Fink-Eitel 1997, S. 64. 18 | Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/M 1998(1972), S. 11.

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Wahnsinn und von wahr und falsch. Der »Wille zur Wahrheit«, der für Foucault eng verknüpft ist mit dem »Willen zum Wissen«, stütze sich auf eine institutionelle Basis, er werde zugleich verstärkt und ständig erneuert von einem Geflecht von Praktiken (wie der Pädagogik, dem System der Verlage und Bibliotheken). Abgesichert werde er durch »die Art und Weise, in der das Wissen in einer Gesellschaft eingesetzt wird, in der es gewertet und sortiert, verteilt und zugewiesen wird«.19 Zu den Prozeduren der Kontrolle und Einschränkung des Diskurses gehören als externe Regulation drei äußere Ausschließungssysteme, die den Diskurs in seinem Zusammenspiel mit der Macht und dem Begehren betreffen. Dazu gehört als das offensichtlichste Ausschließungssystem das Verbot, unterteilt in drei Typen: die Tabuisierung des Gegenstandes bzw. bestimmter Themen, die Ritualisierung des Diskurses und die Rechtsposition des sprechenden Subjekts. In zwei Bereichen seien die Verbote besonders stark und restriktiv, in den Bereichen der Sexualität und der Politik. Neben dem Verbot betont er noch das Prinzip der Grenzziehung, z.B. die Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn. Als drittes Ausschließungssystem nennt Foucault den Gegensatz zwischen dem Wahren und dem Falschen (»Wille zur Wahrheit«). Diese Grenzziehung habe sich historisch konstituiert und so eine Teilung durchgesetzt, welche den wahren und den falschen Diskurs trennte. Diese historische Grenzziehung habe dem Willen zum Wissen seine allgemeine Form gegeben, die Entwicklung der Wissenschaften sei eine dieser neuen Formen. Ein Beispiel ist der Empirismus im 16./17. Jahrhundert, mit dem ein Wille zum Wissen aufgetreten ist, »der Ebenen von möglichen beobachtbaren, meßbaren, klassifizierbaren Gegenständen entwarf« und der dem erkennenden Subjekt eine bestimmte Position (zu beobachten, zu verifizieren) zuwies.20 Diese Grenzziehungen werden durch Institutionen und Praktiken (wie die Pädagogik, Bibliotheken und Labore) gestützt. Neben diesen äußeren Ausschließungsmechanismen gibt es die interne Regulation, interne Prozeduren des Diskurses, die wie »Klassifikations-, Anordnungs- und Verteilungsprinzipien« wirken und die Dimensionen des Ereignisses und des Zufalls regulieren. Dazu zählt der Kommentar, als Prinzip der Abstufung von Primärtext und Sekundärtext, die zwei einander ergänzende Rollen spielen. Es werde so möglich, endlos neue Diskurse zu konstruieren. Andererseits spreche der Kommentar immer nur das aus, was im Primärtext schon implizit enthalten war. Als Prinzip der Gruppierung von Diskursen (ergänzend zum »Prinzip der Verknappung des Diskurses«) fungiere der Autor, »als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen, als Mittelpunkt ihres Zusammenhalts«.21 19 | Ebd., S. 15. 20 | Ebd., S. 15. 21 | Ebd., S. 20.

3. Macht und Regierung bei Foucault

Ein weiteres Prinzip der Einschränkung der Diskurse sind die Disziplinen, die definiert sind durch einen Gegenstandsbereich, »ein Bündel von Methoden, ein Korpus von als wahr angesehenen Sätzen«, durch Regeln und Definitionen, durch begriffliche oder technische Instrumente.22 Ein Satz, der zu einer Disziplin (z.B. der Botanik oder der Medizin) gehören soll, muss sich auf eine bestimmte Gegenstandsebene beziehen, er muss begriffliche oder technische Instrumente verwenden, die einem genau definierten Typ angehören. Ein solcher Satz muß sich zudem in einen »bestimmten theoretischen Horizont« einfügen, er muß ›im Wahren‹ einer bestimmten Disziplin sein, muss also komplexen und schwierigen Erfordernissen entsprechen. »Die Disziplin ist (also) ein Kontrollprinzip der Produktion des Diskurses. Sie setzt ihr Grenzen durch das Spiel einer Identität, welche die Form einer permanenten Reaktualisierung der Regeln hat.«23 Eine dritte Gruppe von Prozeduren sei die Regulation (des Diskurses) durch die Verknappung der sprechenden Subjekte, d.h. die Auswahl der Subjekte, die zum Diskurs zugelassen werden. Dazu dienen Einschränkungssysteme, wie das Ritual, das die Qualifikation der Individuen am Diskurs teilnehmen zu können definiert und die Verhaltensweisen, die den Diskurs begleiten müssen (z.B. in der Prüfung, in religiösen, gerichtlichen, therapeutischen Diskursen). Die Doktrinen definieren Regeln der Übereinstimmung mit den für gültig erklärten Diskursen, die Doktrin fungiert als Zeichen, Manifestation und Instrument einer Zugehörigkeit zum Diskurs (z.B. Klassenzugehörigkeit, Nationalität, eine Interessengemeinschaft). Sie bindet die Individuen an bestimmte Aussagetypen und verbiete alle anderen. Die Doktrin führe eine zweifache Unterwerfung herbei: »Eine Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und eine Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen.«24 Darüberhinaus gebe es tiefe Spaltungen in der gesellschaftlichen Aneignung der Diskurse. Das Erziehungssystem sei eine politische Methode, die Aneignung der Diskurse zu verändern oder aufrechtzuerhalten. Das Ziel der Macht ist also, die bedrohlichen Kräfte und Gefahren des Diskurses unter Kontrolle zu halten. Entgegen der These vom hohen Stellenwert des Wortes in der abendländischen Zivilisation, behauptet Foucault im Gegenteil, der abendländische Geist sei von einer tiefen »Logophobie« beherrscht, von »einer stummen Angst vor jenen Ereignissen, vor jener Masse von gesagten Dingen, vor dem Auftauchen all jener Aussagen, vor allem, was es da Gewalttätiges, Plötzliches, Kämpferisches, Ordnungsloses und Gefährliches gibt, vor jenem großen unaufhörlichen und ordnungslosen Rauschen des Diskurses.« 25 22 23 24 25

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Vgl. ebd., S. 22/23. Ebd., S. 25. Ebd., S. 29. Ebd., S. 33.

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Dieser Einschränkung des Diskurses dienen die Praktiken der Diskurskontrolle, die oben genannt wurden. Mit seiner diskursanalytischen Perspektive zielt Foucault darauf ab, die diskursiven Herstellungsweisen geltender Wahrheiten herauszuarbeiten. So erweisen sich die Diskurspraktiken immer zugleich als historisch spezifische Machtpraktiken. So müssten z.B. historische Dokumente daraufhin analysiert werden, was, wer, wie von dem Diskurs ausgeschlossen wurde, den sie dokumentieren und dessen Kontext sie verbergen.

3.1.2 Foucaults Methode der Genealogie Die Praktiken der Diskurskontrolle fasst Foucault allgemeiner unter vier methodischen Grundsätzen und formuliert die Gegenprinzipien seiner eigenen Philosophie und damit Grundsätze seiner Methodik der Genealogie, die später für die Machtanalytik wichtig werden. In der Genealogie geht es um die Machtverhältnisse innerhalb der Diskurse, um die Interaktionen von Macht und Diskurs: 1. Das Prinzip der Umkehrung wird dem Prinzip der Schöpfung entgegengesetzt: An die Stelle schöpferischer Instanzen, wie der positiven Figur des Autors, der Wille zur Wahrheit, müsse man die Verknappung und Ausschließung von Diskursen als Problem sehen. 2. Das Prinzip der Diskontinuität besagt, die Diskurse seien diskontinuierliche Praktiken, die sich überschneiden, berühren oder ausschließen. Es tritt an die Stelle der »evolutionären Einheit« (verschiedener Zeiträume), die historischen Ereignisse vernetzen sich vielmehr zu vielfältigen kontingenten und diskontinuierlichen Serien. 3. Das Prinzip der Spezifizität wird der Idee einer Ursprünglichkeit gegenübergestellt. Die Diskurse seien nicht mit vorgängigen Bedeutungen zu verbinden. »Man muß den Diskurs als eine Gewalt begreifen, die wir den Dingen antun, als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen.«26 Diese Gewalt unterwirft die Dinge einer Regelhaftigkeit. 4. Das Prinzip der Äußerlichkeit wird dem Prinzip der Bedeutung entgegengesetzt. Man solle nicht die diskursimmanenten Bedeutungen suchen, sondern die äußeren Möglichkeitsbedingungen der Diskurse, das was der Zufälligkeit der Ereignisse Raum gibt. Diese Begriffe des Ereignisses, der Serie, der aufgezwungenen Regelhaftigkeit, der Möglichkeitsbedingung sollen als regulative Prinzipien der Analyse dienen. Ihnen werden die Begriffe der Bedeutung, der Ursprünglichkeit, der Einheit, der Schöpfung entgegengesetzt, die die traditionelle Ideengeschichte beherrschten und gegen deren Vorherrschaft sich Foucault damit abgrenzt. 26 | Ebd., S. 34/35.

3. Macht und Regierung bei Foucault

Das erste Gegenprinzip bezeichnet das Verfahren der Kritik, für die anderen drei Gegenprinzipien verwendet Foucault den Methodenbegriff der Genealogie.27 Die Kritik soll das Prinzip der Umkehrung zur Geltung bringen; die Formen der Ausschließung, der Einschränkung, der Aneignung sollen erfasst werden. Unter diesem Punkt skizziert Foucault verschiedene spätere Forschungsvorhaben. Die kritischen Analysen sollen die Ausschließungsfunktionen behandeln. Das System eines Sprechverbots soll analysiert werden, insbesondere das, welches vom 16. bis 19. Jahrhundert die Sexualität betraf (und das Foucault dann später in »Der Wille zum Wissen« analysierte). Als weiteres Ausschließungssystem nennt er das Problem der Entscheidung zur Wahrheit und andererseits die Wirkung eines wissenschaftlichen Diskurses auf die Praktiken der Strafjustiz.28 In seinen Schriften zur Genealogie geht Foucault von der Annahme eines veränderlichen und »offenen Spiels vielfältiger und kontingenter Ereignisse« aus. Den Begriff und das Verfahren der Genealogie entwickelt Foucault in der Auseinandersetzung mit Nietzsche (u.a. in »Nietzsche, die Genealogie, die Historie« 1971) und seiner Genealogie der Herkünfte (in Abgrenzung zur metaphysischen Theorie idealer Ursprünge).29 Der Genealoge geht von einer gegenwärtigen Problemlage aus und fragt nach der wirklichen Herkunft der historischen Ereignisse, die er ohne finale oder teleologische (Vor-)Annahmen analysiert. »Ich gehe von einem Problem aus, wie es sich in heutigen Ausdrücken stellt und versuche davon eine Genealogie zu machen. Genealogie heißt, dass ich eine Analyse ausgehend von einer gegenwärtigen Frage betreibe.«30 Statt vertrauter historischer Zusammenhänge wird die Vielfalt kontingenter Herkunftsbereiche und sich kreuzender Entwicklungslinien in den Blick genommen.31 Statt von der »Herkunft« im Sinne fester Zugehörigkeiten zu einer Gruppe auszugehen, soll »das komplizierte Netz der Herkunft aufgedröselt« werden32, sollen die Prozesse der Identitätsbildung untersucht werden, in denen Subjekte geformt, zersetzt und zu Gruppen geordnet werden. »Statt die Entstehung von Gegenständen und Ereignissen in eine kontinuierliche Linie zu stellen, müsse das zufällige Spiel von Kräfte- und Herrschaftsverhältnissen erfasst und der unablässige Bruch in der Geschichte betont werden.«33 Die Genealogie wird so zu einem kritisch-analytischen Instrument, mit dem man die »Aspektbefan27 | Vgl. ebd., S. 38/39. 28 | Vgl. ebd., S. 40. 29 | Vgl. Foucault 2002 (1971), S. 166-191. 30 | Foucault, Michel: »Geschichte der Sexualität«,Gespräch mit Francois Ewald, in: Ästhetik und Kommunikation 57/58; S. 157-164, 1984a, S. 161. 31 | Vgl. Fink-Eitel 1997, S. 67. 32 | Foucault 2002 (1971), S. 172f. 33 | Vgl. Kerchner 2011, S. 9.

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genheit« der eigenen Kultur überwinden kann34 und den gewohnten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der Gegenwart ihre Selbstverständlichkeit nehmen kann.35 Die Genealogie soll untersuchen, wie sich durch Zwangssysteme hindurch »Diskursserien« gebildet haben und »welche spezifischen Normen, Wachstums- und Veränderungsbedingungen eine Rolle gespielt haben«.36 Der genealogische Aspekt betreffe die Entstehung der Diskurse entlang von Kontrollgrenzen. Die zerstreute, diskontinuierliche und zugleich geregelte Entstehung der Diskurse wird untersucht. Foucault versteht Genealogie als »Geschichte der Gegenwart« und als Kritik der Gegenwart. Die Genealogie eröffnet eine Perspektive auf den historischen Prozess, in dem sich Menschen als »Subjekte« konstituieren und zu Gruppen (z.B. entlang von Kategorien wie gender, class, race, sexuality) zusammengefasst und klassifiziert werden. Von Nietzsche übernimmt Foucault die Annahme, dass alle Fähigkeiten und Leistungen des Menschen Äußerungen seines Machtwillens sind, auch seine ›diskursiven‹ und geistigen Leistungen. Die Diskurse seien dem Machtwillen unterworfen, der sie kontrollierend durchdringt. »Der Wille zum Wissen ist ein Wille zur Macht«.37 Als Genealogie bezeichnete Foucault auch die »Verbindung zwischen gelehrten Kenntnissen und lokalen Erinnerungen, die die Konstituierung eines historischen Wissens der Kämpfe ermöglicht, sowie die Verwendung dieses Wissens in den gegenwärtigen Kämpfen und Taktiken«.38 Die Genealogien sind nicht positivistische Rückgriffe auf gewissenhafte und exakte Formen der Wissenschaft: »Die Genealogien sind Anti-Wissenschaften«.39 Es soll gerade um den »Aufstand der einzelnen Wissensarten« […] »gegen die zentralisierenden Machtwirkungen, die mit der Institution und dem Funktionieren eines wissenschaftlichen Diskurses verbunden sind«, gehen.40 Sie soll eine »Taktik sein, mit der wir die untergegangenen, disqualifizierten Wissen zurückholen und neben

34 | Vgl. Owen, David: »Kritik und Gefangenschaft. Genealogie und Kritische Theorie«, in: Honneth, Axel/Saar, Martin (Hg.): Michel Foucault. Zwischenbilanz einer Rezeption, Frankfurt/M 2003, S. 122-145, hier S. 129. 35 | Vgl. Kerchner 2011, S. 9. 36 | Foucault 1998 (1972), S. 39. 37 | Vgl. Fink-Eitel 1997, S. 67. 38 | Foucault 1978, S. 62 u. Foucault, Michel: In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/M 1999, S. 23. 39 | Foucault 1999, S. 23. 40 | Foucault 1978, S. 63.

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dem bekannten Wissen als Voraussetzungen unserer gegenwärtigen politischen Ordnung sichtbar machen kann«.41 Die Genealogie ist gegenüber »der beabsichtigten Einschreibung der einzelnen Wissensarten in die Hierarchie der Wissenschaften eine Art Versuch, die historischen Wissensarten aus der Unterwerfung zu befreien, d.h. sie fähig zum Widerstand und zum Kampf gegen den Zwang eines theoretischen, »einheitlichen, formalen und wissenschaftlichen Diskurses zu machen«. 42

Die Absicht der Genealogien sei die Aktivierung der lokalen Wissensarten, der lokalen Kritik und der lokalen Kämpfe, um die autonome, nicht zentralisierte theoretische Produktion von Wissen zu ermöglichen. Mit der Wirkung dieser diskontinuierlichen, partikularen und lokalen Kritiken soll gleichzeitig eine hemmende Wirkung gegenüber den globalen, ganzheitlichen Theorien verbunden sein. Instrumente der Kritik könnten die lokalen Kämpfe nur sein, wenn die theoretische Einheit des Diskurses unterbrochen würde.43 Genealogie ist eine politische Taktik, mit der wir gegen die Voraussetzungen und Prämissen unserer eigenen politischen Ordnung andenken können. Die Taktik der Genealogie ermöglicht eine Machtanalyse auf der Ebene der Denkund Wissenssysteme. Sie zeigt die widersprüchlichen Bedingungen auf, unter denen im historischen Prozess spezifischen Äußerungen wahre Geltungen zugeschrieben werden. Der Ort, an dem sich diese Transformationen von spontanen Äußerungen in eine Aussage (mit dem Anspruch wahrer Geltung) vollziehen, ist der zu untersuchende Ort der Machtausübung. Ein Merkmal der lokalen Kritik und der Kämpfe soll »die Wiederkehr von Wissen«, von »unterworfenen Wissensarten« sein, d.h. solcher historischen Inhalte, die verschüttet wurden und innerhalb formaler Systematisierungen untergingen; oder der »Blöcke historischen Wissens, die im Innern der funktionalen und methodischen Ensembles präsent und verschleiert waren«.44 Dazu gehörten eine Reihe von Wissensarten, die als nicht sachgerecht oder unzureichend disqualifiziert wurden, sog. »naive Wissensarten«, besonderes, lokales, regionales Wissen, das Wissen der einfachen Leute, das Wissen der Kranken und Psychiatrisierten, der Armen und Entbehrlichen. Die Verbindung zwischen den verschütteten Wissensarten und den von der Hierarchie des Wissens und der Gelehrsamkeit disqualifizierten Wissensarten habe die Kritik in Gang gebracht.

41 | Vgl. ebd., S. 55-74 und Foucault 2002 (1971) 42 | Vgl. Foucault 1978, S. 65. 43 | Vgl. ebd., S. 58. 44 | Vgl. ebd., S. 60.

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In dieser Phase verstand Foucault Macht vor allem als Kampf und Konflikt. Mit der Frage, unter welchen historischen Bedingungen man begann, sich das Politische in den Kategorien von Krieg und Frieden, Strategie und Taktik vorzustellen, beschäftigte sich Foucault in der Vorlesung »In Verteidigung der Gesellschaft« (1975/76). Statt sich staatliche Herrschaft und Souveränität in Form einer hierarchischen Pyramide vorzustellen, begann man die Analyse ihrer Institutionen und Machtmechanismen in binären Termini zu vollziehen.45 In Folge der Religionskriege tauchte im England des frühen 17. Jahrhunderts bei Autoren wie Coke ein »Diskurstyp« auf, der sich vom juridischen Diskurs absetzt, indem er den Krieg zur »dauerhaften Grundlage aller Machtinstitutionen« deklariert. Reale Kriege und Schlachten werden laut Foucault zum »geheimen Motor der Institutionen, der Gesetze und der Ordnungen«. Es entstehe ein neuer historisch-politischer Diskurs, der den Frieden als »Chiffre« des Krieges lese46 und politische Auseinandersetzungen in Termini von Krieg und Konflikt interpretiert. Daher rührt auch Foucaults provokante Umkehrung des Ausspruchs von Clausewitz, indem er nun sagt, »die Politik sei die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln«.47 Das Subjekt, das sich in diesen historischen Texten äußert, sei ein parteiliches, für seine Rechte kämpfendes Subjekt und nimmt nicht mehr den Standpunkt eines universellen Subjekts ein. Es formuliere seine Forderungen »von unten« und sei Teil eines neuen Diskurses, der in einer Art »Gegen-Geschichte« eine »vergessene Vergangenheit« der »Siege und versteckten Niederlagen« ans Licht bringe.48 Der historisch-politische Diskurs tendiere dazu, Gruppen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Religion zu unterscheiden, das Eigene und Fremde unterschiedlich zu bewerten und den Gesellschaftskörper im Laufe von zwei Jahrhunderten dauerhaft zu »zerteilen«.49 Im 19. Jahrhundert habe der Marxismus mit einer »von unten« sich artikulierenden Subjektposition Elemente des historisch-politischen Diskurses fortgesetzt, andererseits sei er mit der Betonung der Klassendifferenz ein »Neuansatz« im oppositionellen Denken. Da der historisch-politische Diskurs so sehr mit einem binären Code operiere, habe er das Feld eröffnet, auf dem später der moderne Rassismus habe auftreten können.50 Im 19. Jahrhundert habe sich eine »Theorie der Rassen« herausgebildet, die historisch-politische Oppositionen (Nation, Stand/Klasse) zu45 | Foucault 1999, S. 25-30, vgl. auch Kerchner 2011, S. 12. 46 | Foucault 1999, S. 67. 47 | Vgl. ebd., S. 32, S. 63. 48 | Vgl. ebd., S. 308-311. 49 | Vgl. ebd., S. 72-73, 88-90, 130, 308, vgl. auch Kerchner 2011, S. 12. 50 | Vgl. Foucault 1999, S. 73-74, 86-90, 119/120.

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nehmend auf biologisch definierte Wesensmerkmale zurückgeführt habe. Die europäische Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts habe dann auf eine Disqualifizierung der »kolonisierten Unterrassen« gezielt. Im Zuge einer erneuten Transformation hätten sich dann im 20. Jahrhundert mit dem Nationalsozialismus, aber auch dem Stalinismus extreme Formen eines »Staatsrassismus« gebildet.51 Dieser kontroverse Rassismus-Begriff Foucaults wäre sicher einer ausführlicheren Debatte wert, an dieser Stelle sollen die Darstellungen Foucaults aber nur als Beispiel für das Aufkommen binärer Codes zur Regierung von Gesellschaft dienen, als eine weitere Logik zur Regierung von Bevölkerung. Mit dieser Perspektive lässt sich dann eine Historie der Entstehung von Trennungslinien und binären Aufteilungen für die Differenzierung von Gesellschaften aufzeigen.52

3.1.3 Biomacht und Bevölkerungspolitik In »Überwachen und Strafen« hatte Foucault mit dem Konzept der Disziplinarmacht den Zugriff auf und die Abrichtung der einzelnen Körper der Individuen und die Ausschließungsmechanismen der Macht analysiert. In »Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum Wissen« (1976) wendete sich Foucault den Regulierungen der Bevölkerung zu und betont die Produktivität der Macht im Gegensatz zur sog. »Repressionshypothese«, die er nun einer grundlegenden Kritik unterzieht. Vor diesem Hintergrund entwickelt Foucault eine neue Interpretation der Beziehungen zwischen Sex, Wahrheit, Macht, dem Körper und dem Individuum. Die Repressionshypothese besagt nach Foucault auch, dass der tolerante Umgang mit der Sexualität abgelöst wurde von einer Orientierung auf die Kleinfamilie und die Fortpflanzung. Entgegen dieser verallgemeinerten Repressionshypothese sieht er nun die Macht nicht nur negativ, nicht nur beschränkend. Die Macht des absolutistischen Souveräns, die Souveränitätsmacht, werde abgelöst von einer produktiven Macht, für die das Leben der beherrschten Bevölkerung als Ressource zunehmend wichtiger werde. Für diesen neuen Machttyp, der sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts herausbildete, prägt Foucault den Begriff der »Biomacht«. Der Souverän zeigte seine Macht über das Leben der Untertanen durch seine Berechtigung, über Leben und Tod zu entscheiden: »Das sog. Recht über Leben und Tod ist in Wirklichkeit das Recht, sterben zu machen und leben zu 51 | Vgl. ebd., S. 76-101, 293-305, vgl. Kerchner 2011, S. 13. Dieser RassismusBegriff Foucaults war Teil einer breiten und kontroversen Debatte, die hier aber nicht weiter ausgeführt werden soll, vgl. jedoch Magiros, Angelika: »Foucaults Werkzeuge für eine Analyse der Fremdenfeindlichkeit«, in: Kerchner/Schneider 2006, S. 331-345. 52 | Wie diese Perspektive Foucaults für die Regierung von Vielfalt und Komplexität in der neueren Genderforschung verwendet werden kann, vgl. Kerchner 2011.

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lassen.«53 Beispiele hierfür sind die Marterpraktiken wie sie zur Bestrafung von Kriminellen üblich waren, oder die Gnadenakte des Königs, wie sie von Foucault in »Überwachen und Strafen« beschrieben wurden. Die Macht war vor allem ein Zugriffsrecht auf die Dinge, die Zeiten, die Körper und das Leben, ein Vorrecht, das Leben auszulöschen. Die neue Art der Macht dagegen solle bestimmte erwünschte und zu fördernde »Kräfte hervorbringen, wachsen lassen und ordnen, statt sie zu hemmen und zu vernichten«.54 Das Recht über den Tod ordne sich den Erfordernissen einer Macht unter, die das Leben verwaltet und bewirtschaftet. Die Macht über den Tod sei komplementär zu einer positiven »Lebensmacht«, die das Leben steigern und vervielfältigen will. Foucault interpretiert die Entwicklung des bürgerlichen Staates seit der Aufklärung und die Entwicklung des neuzeitlichen Staates als einen zunehmenden Zugriff der Macht auf die Verwaltung des Lebens und seines Ablaufs, die sich in zwei Hauptformen und um zwei Pole herum vollzog: 1. Die Machtprozeduren der Disziplinen waren um den Körper als Maschine zentriert: Ziel war die Dressur und Ausnutzung aller körperlichen Fähigkeiten. Die Geschichte dieser Disziplinen hatte Foucault in »Überwachen und Strafen« behandelt. 2. Der zweite Pol um die Mitte des 18. Jahrhunderts zentrierte sich um den gesamten Gattungskörper und um seine biologischen Prozesse. Das Verhalten der Bevölkerung und ihr Wohlergehen wurden problematisiert, denn sie war nun als produktive Ressource wichtig: Die Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrolle. Die »Biopolitik« der Bevölkerung entstand, die sich um die Disziplinen des Körpers und die Regulierung der Bevölkerung herum bildete und eine »Macht zum Leben« war. Diese »individualisierende und spezifizierende, auf Körperleistungen und Lebensprozesse bezogene Technologie charakterisiert eine Macht, deren höchste Funktion die vollständige Durchsetzung des Lebens ist«.55 Die Disziplinarinstitutionen entwickeln sich – die Schulen, Internate, Kasernen, Fabriken – um die sorgfältige Verwaltung der Körper und die rechnerische Planung des Lebens zu gewährleisten. Neue Probleme wie die der Geburtenrate, der Lebensdauer, der öffentlichen Gesundheit, der Bevölkerungswanderung 53 | Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/M 1998 (1976), S. 162. 54 | Ebd., S. 163. 55 | Ebd., S. 166.

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stellen sich und lassen verschiedene Techniken zur Unterwerfung und Kontrolle der Körper entstehen und eröffnen damit die Ära der Biomacht.56 Neben den Disziplinarinstitutionen entwickelt sich mit der Notwendigkeit der Bevölkerungsregulierung die Demographie, es geht um die Abschätzung des Verhältnisses zwischen Ressourcen und Einwohnern, um die Tabellierung der Reichtümer und ihrer Zirkulation. Die Verknüpfung der beiden Machttechniken, der Disziplinarmacht und der Biomacht, vollzieht sich durch konkrete Dispositionen, große Technologien der Macht, von denen eines der wichtigsten das Sexualitätsdispositiv ist, als Art der Bestimmung und Regulierung der Sexualität. Die Biomacht sieht Foucault auch als ein wichtiges Element für die Entwicklung des Kapitalismus, weil sie die Körper in die Produktionsapparate integrierte und die Bevölkerungsphänomene an die ökonomischen Prozesse anpasste. Der Kapitalismus brauchte Machtmethoden, die die Fähigkeiten des Lebens steigerten und deren Unterwerfung ermöglichten. »Die Abstimmung der Menschenakkumulation mit der Kapitalakkumulation, die Anpassung des Bevölkerungs wachstums an die Expansion der Produktivkräfte wurden durch die Ausübung der Biomacht in ihren vielfältigen Formen und Verfahren ermöglicht. Die Besetzung und Bewertung des lebenden Körpers, die Verwaltung und Verteilung seiner Kräfte waren unentbehrliche Voraussetzungen.« 57

Die Entwicklung der Kenntnisse über das Leben (z.B. in der Medizin und den landwirtschaftlichen Techniken) ermöglichten eine Herrschaft über das Leben und eine Zurückdrängung des Todes. Dieser neue Spielraum wurde von den Macht- und Wissensverfahren genutzt, um die Prozesse des Lebens zu kontrollieren und zu modifizieren. »Das Biologische reflektiert sich zum ersten Mal im Politischen.«58 Die »Bio-Politik« markiere den Eintritt des Lebens und seiner Mechanismen in den Bereich der bewußten Kalküle und den Zugriff des MachtWissens auf das menschliche Leben.59 Eine Folge der Entwicklung der Biomacht sei die wachsende Bedeutung, die das Funktionieren der Norm gegenüber dem juridischen System des Gesetzes gewinne. Während hinter dem Gesetz in letzter Konsequenz die Waffen und der Tod stehen, müsse eine Macht, die das Leben zu sichern hat, auf fortlaufende, regulierende und korrigierende Mechanismen setzen. Sie müsse eher qualifizieren, messen, abschätzen, abstufen. »Statt eine Grenzlinie zu ziehen, richtet sie die Subjekte an der Norm aus, indem sie sie um diese herum anordnet.«60 56 | Vgl. ebd., S. 167. 57 | Foucault 1998 (1976), S. 168. 58 | Ebd., S. 170. 59 | Vgl. ebd., S. 170. 60 | Ebd., S. 172.

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Das Gesetz verschwinde nicht, sondern funktioniere immer mehr als Norm, die Justiz integriere sich in ein Kontinuum von Apparaten (Gesundheits- und Verwaltungsapparate), die hauptsächlich regulierend wirken. Als der historische Effekt einer auf das Leben gerichteten Machttechnologie entstehe eine Normalisierungsgesellschaft. Die Gesetzgebungstätigkeit mache eine normalisierende Macht annehmbar. In dem Maße, wie das Leben zum Gegenstand der Macht und politischer Kämpfe wurde, wachse auch die Bedeutung, die die Sexualität in den politischen Auseinandersetzungen habe. So sieht Foucault in ihr das Scharnier zwischen den beiden politischen Technologien des Lebens. Einerseits gehört der Sex zu den Disziplinen des Körpers (im Sinne von Dressur, Intensivierung und Verteilung der Kräfte), andererseits hängt er mit den Bevölkerungsregulierungen zusammen. Der Sex biete den Anlaß zu detaillierten Überwachungen, zu einer »Mikro-Macht über den Körper«, er eröffne den Zugang zum Leben des einzelnen Körpers der Individuen, wie zum Leben der Gattung.61 Seine Verortung am Schnittpunkt von Ökonomie und Biologie lenkte die Aufmerksamkeit der Macht auf den Sex. Die bevölkerungspolitisch-administrativen Maßnahmen der Biomacht mit ihrem Interesse an Gesundheit, Ernährung, Lebensdauer und Fruchtbarkeit der Bevölkerung rückten die Sexualität in den Mittelpunkt des Interesses der Macht. Am Beispiel des historischen Umgangs mit Sexualität konnte Foucault die Verschränkung von Macht- und Wissens-Komplexen zeigen und eine umfassende Machttheorie entwickeln. Macht sei etwas Produktives, Konstruktives, das allgemein integrierende Auswirkungen habe und die soziale Wirklichkeit sogar erst schaffe. Auch die Sexualität sei nicht so sehr unterdrückt worden, sondern einem »produktiven Geständniszwang« ausgesetzt worden und in allen ihren Details ans Licht gezerrt worden (beginnend in den mittelalterlichen Beichtpraktiken).62 In den Institutionen der Pädagogik, der Medizin und der Psychiatrie wurde die Sexualität einem Prozeß zunehmender »Diskursivierung« unterworfen, die Kategorie Sexualität tauche sogar erst im 19. Jahrhundert auf und sei ein Produkt oder Konstrukt dieser »Diskursivierung«, so Foucaults These, die sich scharf vom gängigen Verständnis einer unterdrückten Sexualität abhebt. Die Sexualität werde fortwährend hervorgerufen, statt nur unterdrückt. Die Sexualität sei gegenüber der Macht kein äußerer, von ihr erst zu bezwingender Bereich, sie sei vielmehr Effekt und Instrument der Macht. Die Sexualität sei Inbegriff eines umfassenden Dispositivs, indem sich Diskurse und Praktiken verbinden. Der abendländische Mensch sei seit drei Jahrhunderten an den Imperativ gebunden, alles über seinen Sex zu sagen, es sei zu einer Erweiterung und höheren Bewertung des Diskurses über den Sex gekommen. Man habe 61 | Vgl. ebd., S. 174. 62 | Vgl. Fink-Eitel 1997, S. 82.

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»den Diskurs an den Sex angeschlossen, vermöge eines komplexen und vielfältig wirkenden Dispositivs, das sich nicht in einem einzigen verbietenden Gesetz erschöpft«.63 Man habe einen Apparat zur Produktion von Diskursen über den Sex installiert. Dagegen hatten die Vertreter der Repressionshypothese behauptet, man habe versucht, den Sex aus den Diskursen auszuschließen. Dagegen breiteten sich die Diskurse über den Sex »explosionsartig« aus und verschafften der Macht vielfältigste Stützpunkte, um das Innere der Individuen zu kontrollieren. Foucault denkt sich das Sexualitätsdispositiv als ein Netz, das den gesamten »Gesellschaftskörper« umfaßt und aus vielfältigen, heterogenen Punkten und sich überkreuzenden Linien besteht, aus diskursiven und nichtdiskursiven institutionellen Praktiken (der Eltern, Erzieher, Ärzte, Psychologen, Psychiater, Gesundheitspolizei).64 Es sind vor allem vier große strategische Komplexe, die sich zu einem umfassenden Dispositiv der Sexualität zusammenschließen: Die Pädagogisierung der kindlichen Sexualität, die Hysterisierung des weiblichen Körpers, die Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens und die Psychiatrisierung der perversen Lust. Diese vier Figuren – die hysterische Frau, das masturbierende Kind, das familien-planende Paar und der perverse Erwachsene- werden herausgehobene Wissensgegenstände, Zielscheiben und Verankerungspunkte für die Macht, »die um den Sex spezifische Wissens- und Machtdispositive entfalten« und so ›Sexualität‹ überhaupt erst produzieren.65 Diese vier Kraftfelder des Sexualitätsdispositivs gruppieren sich wiederum um die zwei Kraftzentren der Disziplinen und der Regulierungen und bilden zusammen den Komplex der sog. Biomacht.

3.1.4 Macht als Netzwerk und Kräfteverhältnis In seinen Analysen zum Verhältnis von Sexualität, Wissen und Macht liefert Foucault aber auch eine methodische Reflexion zum Machtbegriff, eine Metatheorie der Macht. Macht ist nach Foucault kein souveränes Herrschaftszentrum, kein gesetzliches Verfahren von oben nach unten. Sie sei »kein Eigentum und keine bloße Potenz, kein Vermögen oder Mittel, das irgendwelche Zwecke durchsetze«.66 Foucault versteht unter Macht »nicht die Regierungsmacht, als Gesamtheit der Institutionen und Apparate, oder eine Unterwerfungsart«.67 Er sieht Macht als einen »Gesamtzusammenhang ereignishafter und augenblicks-

63 | Dispositiv bezeichne die (materiellen) Vorkehrungen, die eine strategische Operation durchzuführen erlauben, vgl. Anmerkung in Foucault 1998, S. 35. 64 | Vgl. Fink-Eitel 1997, S. 83/84. 65 | Foucault 1998, S. 125-127. 66 | Ebd., S. 88. 67 | Ebd., S. 113.

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hafter Konfrontationen von Körper zu Körper, das komplexe, dezentrierte Netzwerk einzelner, lokaler, antagonistischer Kraftverhältnisse«.68 Die Macht ist bei Foucault eine »Vielfalt von Kraftverhältnissen […], ein Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt«.69 Daher bleiben die Diskurse aber auch immer umkämpft und es bleiben Ansatzpunkte für Widerstand. Diese Widerstandspunkte, -knoten und -herde sind unregelmäßig gestreut und können sich in Gruppen oder Individuen kristallisieren, aber meist handelt es sich um mobile und transitorische Widerstandspunkte.70 Andererseits hebt Foucault hervor, dass sich Machtverhältnisse auch stabilisieren können: Unter Macht versteht Foucault »die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; […] die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen, und die sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern«.71

Aber die Möglichkeitsbedingung der Macht liegt für Foucault nicht in einem bestimmten Mittelpunkt, sondern in der Instabilität der Kraftverhältnisse, die »durch ihre Ungleichheit unablässig Machtzustände erzeugen.« Die Macht ist allgegenwärtig, weil sie sich in jedem Augenblick und an jedem Punkt erzeugt. »Nicht weil sie alles umfaßt, sondern weil sie von überall kommt, ist die Macht überall.«72 Der Gesamteffekt all dieser Bewegungen und Verkettungen bildet die Macht. Allerdings ist die Macht nicht allein an Institutionen, Strukturen oder individuellen Machthabern festzumachen. Die Macht stellt kein Privileg einer Person, Gruppe, Klasse oder Institution dar. Macht ist keine Substanz, die ein Subjekt oder eine Gruppe besitzt, anhäuft oder weitergibt. Macht wird nicht angeeignet oder abgetreten, sie bildet kein Gebiet, das man erobern oder vertraglich veräußern könnte. Macht ist für Foucault vielmehr ein »vielschichtiges, multidimensionales Kräfteverhältnis mit einer Pluralität von Manövern, Techniken, Verfahrensweisen und Taktiken«.73 »Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt.«74 Die Machtbeziehungen sind anderen Typen von 68 | Fink-Eitel 1997, S. 88. 69 | Foucault 1998, S. 113. 70 | Vgl. ebd., S. 117. 71 | Ebd., S. 113/114, Hervorhebung D.N. 72 | Ebd., S. 114. 73 | Kneer 1998, S. 241. 74 | Foucault 1998, S. 114.

3. Macht und Regierung bei Foucault

Verhältnissen (ökonomischen, sozialen, Erkenntnisrelationen) immanent. »Die Macht kommt von unten« und beruht nicht auf einer globalen Zweiteilung (z.B. einer simplen Entgegensetzung von Herrscher und Beherrschten). Vielmehr dienen die vielfältigen Kraftverhältnisse innerhalb von einzelnen Gruppen und Institutionen als Basis für weitreichende und den gesamten Gesellschaftskörper durchlaufende Spaltungen. »Diese bilden dann eine große Kraftlinie, die die lokalen Konfrontationen durchkreuzt und verbindet […]. Die Herrschaftssysteme sind dann Hegemonie-Effekte, die auf der Intensität all jener Konfrontationen aufruhen.«75 »Die Machtbeziehungen sind gleichzeitig intentional und nicht-subjektiv«, d.h. es gibt zwar nicht immer im kausalen Sinn eine sie bewirkende Instanz, aber es gibt eine Art Kalkül: »Keine Macht, die sich ohne eine Reihe von Absichten und Zielsetzungen entfaltet. Doch heißt das nicht, dass sie aus der Wahl oder Entscheidung eines individuellen Subjekts resultiert«.76 Auch die regierenden Eliten, die staatlichen Apparate oder die ökonomischen Entscheidungsträger haben nicht das gesamte Machtnetz einer Gesellschaft in der Hand. Die Machtbeziehungen sind nicht-subjektiv, weil sie weder Eigentum von individuellen Akteuren sind, noch in Intentionen eines Subjekts aufgehen. Aber die Machtbeziehungen sind intentional, weil sie vielschichtige Felder von Strategien, Kalkülen, Plänen bilden. »Die Rationalität der Macht ist die Rationalität von Taktiken«, die in ihrem kleinen Bereich klar erkennbar sind und die sich dann »miteinander verketten, einander gegenseitig hervorrufen und ausbreiten, anderswo ihre Stütze und Bedingung finden und schließlich zu Gesamtdispositiven führen«.77 Trotz dieser umfassenden Präsenz von Macht glaubt Foucault weiter an die Möglichkeit von Widerstand: »Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr gerade deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.«78 Der Grund dafür liegt im »relationalen Charakter der Machtverhältnisse« in Foucaults Konzeption. Die Macht kann nur durch eine »Vielfalt von Widerstandspunkten existieren, die in den Machtbeziehungen die Rolle von Gegnern, Zielscheiben, Stützpunkten, Einfallstoren spielen. Diese Widerstands punkte sind überall im Machtnetz präsent […] Die Wider-

75 | Ebd., S. 116. 76 | Ebd., S. 116. 77 | Ebd., S. 116. Dispositive ergeben sich für ihn also aus mehreren Kraftverhältnissen, die sich verketten und so eine umfassende Strategie, eine umfassende Machtkonstellation, Machtapparate aus vielen Faktoren bilden. 78 | Ebd., S. 116.

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stände sind in den Machtbeziehungen die andere Seite, das nicht wegzudenkende Gegenüber«.79

»Wie das Netz der Machtbeziehungen ein dichtes Gewebe bildet, dass die Apparate und Institutionen durchzieht, ohne an sie gebunden zu sein, so streut sich die Aussaat der Widerstandspunkte quer durch die gesellschaftlichen Schichtungen und die individuellen Einheiten.«80 Daher soll man als Ausgangspunkt der Analyse Formen des Widerstands nehmen, insbesondere lokale, unmittelbare Kämpfe und Kämpfe gegen die Privilegien des Wissens. Denn in der Methode der Genealogie geht es um den »Aufstand der einzelnen Wissensarten« gegen zentralisierende Machtwirkungen als ein Merkmal der lokalen Kritik, um historische Inhalte, die verschüttet wurden. Foucault grenzt sich durch eine solche Art der Analyse von Machttheorien ab, die den Schwerpunkt vor allem auf den Souverän, das Gesetz und die Staatsapparate legen. Man müsse vielmehr »die Machtmechanismen von einer den Kraftverhältnissen immanenten Strategie her entschlüsseln«.81

3.1.5 Kritik an Foucaults Machtbegriff Diese umfassende Sichtweise von Macht löste scharfe Kontroversen und teils heftige Kritik aus. Foucaults Theorie sei ein »Monismus der Macht«, wenn auch auf der Basis eines Pluralismus lokaler, ungleicher und instabiler Kräfteverhältnisse. Ein Schwerpunkt der Kritik, insbesondere von Habermas und Honneth bezog sich vor allem auf die Einseitigkeit der Zeitdiagnostik Foucaults.82 Der machttheoretische Blickwinkel Foucaults berücksichtige nicht die Ambivalenzen des gesellschaftlichen Modernisierungs-prozesses und reduziere die Komplexität moderner Lebenszusammenhänge auf Macht-steigerung und sehe nicht genug die positiven Entwicklungen der Modernisierungsprozesse seit der Aufklärung und den bürgerlichen Revolutionen und Reformen, obwohl er andererseits der Macht produktive Aspekte zubilligt. Hingegen wurde von Kammler einschränkend angemerkt, dass Foucault keine universalistische Theorie des Sozialen oder eine systematische holistische Theorie der modernen Gesellschaft formulieren wollte83 und daher der an 79 | Ebd., S. 117. 80 | Ebd., S. 118. 81 | Ebd., S. 118. 82 | Vgl. dazu z.B. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/M 1985, S. 313f, Honneth, Axel: Kritik der Macht, Frankfurt/M 1989. 83 | Vgl. Kammler, Clemens: Michel Foucault. Eine kritische Analyse seines Werks, Bonn 1986.

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ihn herangetragene Anspruch zu hoch oder falsch sei. Aber Modernisierung bedeutete für Foucault primär Ausweitung und Intensivierung der (Disziplinar-)Macht. Wenn aber alles, was geschieht, ein Vorgang oder eine Wirkung der Macht ist, schliesse eine solche Theoriegrundlage eines monistischen Machtprinzips schon auf begrifflicher Ebene jegliche Multidimensionalität aus.84 Ein zweiter Schwerpunkt der Kritik richtet sich gegen Foucaults genealogisches Projekt einer Kritik der modernen Disziplinar- und Normalisierungsmacht und fragt nach dem normativen Ort, von dem aus er eine solche Kritik üben kann.85 Ein Beispiel ist das Problem der machtgestützten Subjektkonstitution: Die Formierung des modernen Individuums begreift Foucault als Doppelbewegung, als Produktion und Unterwerfung zugleich. Die moderne Disziplinarmacht produziere das beseelte Subjekt, indem sie zugleich den menschlichen Körper unterwirft. Wenn Foucault von der Unterdrückung und Unterwerfung, der »Bewirtschaftung« des menschlichen Körpers ausgeht, bleibt er letztlich doch bei der repressiven Wirkung der Macht stehen, obwohl er dies gerade überwinden wollte. Am Ende von »Sexualität und Wahrheit 1« grenzt er die »Körper und die Lüste« gegen die Macht des »Sexualitätsdispositivs« ab, ohne jedoch zu erklären, was er darunter versteht. Denn was können sie sein, wenn nicht ein Teil von Begehren und Sexualität, die jedoch von der Macht konstituiert sind. »Gegen das Sexualitätsdispositiv kann der Stützpunkt des Gegenangriffs nicht das SexBegehren sein, sondern die Körper und die Lüste«.86 Das »Außen« der Macht, das Prä-Diskursive, Prä-Subjektive und Prä-Individuelle, der Punkt für Widerstand gegen die totale Macht der Disziplinen soll also in den »Körpern und Lüsten« liegen. Damit gibt es aber doch das »Andere«, was erst unterdrückt wird.87 Der Begriff der Unterdrückung setzt eine Instanz voraus, die unterdrückt wird. Wenn diese Instanz der Körper sein soll, wie Foucault nahe legt, basiert das auf der Annahme einer (ursprünglichen) Freiheit des menschlichen Körpers, denn nur was (ursprünglich) frei ist, kann auch unterdrückt werden. »Foucaults Projekt einer Kritik der Disziplin macht implizit Anleihen bei einer ursprungs- und wesensmetaphorischen Begrifflichkeit, von der er sich eigentlich frei machen wollte«.88

84 | Vgl. Kneer 1998, S. 249. 85 | Vgl. Habermas 1985, S. 328f. 86 | Foucault 1998, S. 187. 87 | Daher wirft Fink-Eitel Foucault auch vor, er sei im Grunde bei seiner Repressionstheorie stehen geblieben, »die prä-diskursiv-anarchische Welt ›der Körper und der Lüste‹ sei die verschwiegene Voraussetzung des angeblichen Monismus der Macht«, FinkEitel 1997, S. 93/94. 88 | Kneer 1998, S. 250.

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Mit der Hinwendung zum Subjekt und einer Ethik geht auch eine Veränderung von Foucaults Machttheorie einher. Macht ist nun kein monistisches Prinzip mehr, sie durchdringt die Subjekte nicht mehr total und konstituiert sie nicht vorgängig, sondern sie ist eine soziale Beziehung. Die Macht wird nicht mehr als Kräfteverhältnis gefaßt, sondern als Verhältnis von Handlungen, handlungstheoretisch, als »Handeln auf Handlungen«, als Wirkungsweise gewisser Handlungen, die andere verändern. »Als Strukturierung von Handlungs-möglichkeiten habe die Macht auch eine Gegen-Macht, nämlich die Freiheit des handelnden Subjekts.«89 Foucault geht es nun um eine Macht, die Verhältnisse zwischen Individuen oder Gruppen ins Spiel bringt, im Gegensatz zu einer Macht, die man über die Dinge ausübt und Macht, die auf Fertigkeiten beruht. Der Begriff Macht soll nun auch Verhältnisse zwischen »Partnern« bezeichnen: ein Ensemble von Handlungen, die sich gegenseitig hervorrufen. Er unterscheidet ferner zwischen Machtverhältnissen, Kommunikationsbeziehungen und sachlichen Fähigkeiten zur Macht.90 Dies seien drei Typen von Verhältnissen, die immer in einander verschachtelt sind, sich gegenseitig stützen und als Werkzeug benutzen. Die Koordination zwischen diesen drei Arten von Verhältnissen sei weder einheitlich noch konstant. Die Anpassung der Fähigkeiten, die Kommunikationsnetze und die Macht-verhältnisse können aber geregelte und aufeinander abgestimmte Systeme bilden. Gegen die Kritik am omnipräsenten, umfassenden Machtbegriff Foucaults, der eine Unentrinnbarkeit der Macht nahe legt, wird oft seine Aussage vom Widerstand, der immer mit der Macht einhergeht (»Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand«) als Ausweg gesehen. Aber diese Aussage mache nur Sinn, wenn sich dabei zwei verschiedene Formen der Macht gegenüberstehen, wenn es um eine Gegen-Macht anderer Art gehe. Aus einem Anspruch wird implizit ein Postulat der Möglichkeit oder Notwendigkeit von Widerstand.91 Ähnlich wie Nietzsche denkt Foucault die Macht nicht nur relational, sondern dynamisch. Dies richtet sich vor allem gegen verfestigte, asymmetrische Machtformen, gegen die man sich wenden solle und die den Spielraum der Freiheit einschränken Diese Machtform nennt Foucault später Herrschaft. Daher richtet sich das Postulat vom Widerstand der mit der Macht einhergehe, 89 | Foucault, Michel: »Das Subjekt und die Macht«, in: Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim 1994 (1982)., S. 254ff. 90 | Vgl. ebd., S. 252. 91 | Wie Klass (2008) in seinen Anmerkungen zum Verhältnis von Foucault und Widerstand hervorhebt. Klass, Tobias: »Foucault und der Widerstand. Anmerkung zu einem Missverständnis«, in: Hechler, Daniel/Philipps, Axel (Hg.): Widerstand denken. Bielefeld 2008, S. 149-169.

3. Macht und Regierung bei Foucault

eigentlich gegen verfestigte Herrschaftszustände, die nicht mehr beweglich sind. In seinen späten Schriften zum Verhältnis von Politik und Ethik hatte Foucault nun drei Ebenen seiner Machtanalyse unterschieden: Die strategischen Beziehungen, die Regierungstechniken und Herrschaftszustände.92 Die Ebene der Gouvernementalität spielt eine intermediäre Rolle zwischen den Machtbeziehungen als strategischen Freiheitsspielen und Herrschaftszuständen, die die relationale Machtspiele blockieren. Statt um Befreiung geht es Foucault um die Idee einer »Praxis der Freiheit«, d.h. eine Reihe von Praktiken und Verhaltensweisen, die eine Verfestigung von Macht zu Herrschaftszuständen verhindern. Er ist skeptisch in Bezug auf die Befreiung, weil damit suggeriert werde, »dass es ein Wesen, eine Natur des Menschen gäbe, die […] durch Repressionsmechanismen entfremdet und eingesperrt wird« und es genügen würde, diese aufzusprengen. »Die Praxis der Befreiung reiche nicht aus, um die Praktiken der Freiheit zu definieren, die in der Folge nötig sind,damit dieses Volk, diese Gesellschaft akzeptable Formen der Existenz definieren könne.«93 In Foucaults Aufsatz »Was ist Kritik« taucht dann später die Frage auf »Wie nicht regiert werden«, bzw., wie man sich »nicht dermaßen regiert werden« lassen kann, womit eine generelle Haltung, ein Ethos des Widerstands gemeint ist. Es geht Foucault um die Suche nach etwas, was »in der Macht, was jenseits der Macht liegt, nicht ein Außerhalb, […] sondern ein Moment der Machtferne in der Macht selbst«.94 Die Vorstellung von eindeutig fassbaren, entgegengesetzten Entitäten wird verworfen zugunsten eines »Denkens der Grenzen und Grauzonen«, so wie es Foucault unter dem Stichwort »Überschreitung« in Anschluss an Bataille vorschwebte. Es geht ihm um ein Ethos als eine »Grenzhaltung«, »man müsse der Alternative des Drinnen und Draußen entkommen, man muß an den Grenzen sein«.95

92 | Foucault, Michel: »Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit« (2005b) (1984) S. 900, in: DE 4, Hg. von Defert/Ewald, Frankfurt/M 2005, S. 875-901. 93 | Foucault 2005b, S. 877. 94 | Klass 2008, S. 166. 95 | Foucault, Michel: »Was ist Aufklärung?«, in: DE 4, Frankfurt/M 2005c, S. 702.

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3.2 F OUCAULTS K ONZEP T DER G OUVERNEMENTALITÄT 3.2.1 Gouvernementalität, Staatsräson und Liberalismus Während sich ein Großteil der an Foucault orientierten Gouvernementalitätsstudien vor allem auf die Verschränkung von Regierungstechniken und Selbsttechnologien konzentriert und dabei wichtige Aspekte für die Internalisierung von Herrschaft herausarbeitet, erscheint diese Lesart des Foucaultschen Konzepts als zu kurz gegriffen, wenn man die Anlage der beiden Vorlesungsbände als Ganzes betrachtet: Daher sollen Foucaults Darstellungen zur Geschichte des Liberalismus hier auch ausführlich nachvollzogen werden. Die Gouvernementalitätsstudien (GS) knüpfen an die Überlegungen Foucaults in seinen letzten Vorlesungen an und beziehen sich auf seinen Begriff der Regierung. Foucaults Analyseinstrumente werden dabei für historische Forschungen und zur Untersuchung aktueller gesellschaftlicher Transformationsprozesse und der neoliberalen »Gouvernementalität« verwendet. Während die französischen Forscher aus dem Umfeld Foucaults sich eher auf historische Untersuchungen konzentrieren, verwenden die angelsächsischen Autoren der Governmentality Studies Foucaults Konzept vor allem für die Analyse aktueller, neoliberaler Politik. Diese Verschiebung des Interesses vollzog sich ungefähr Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre, als angelsächsische Forscher ein »History of the Present«-Netzwerk gründeten. Erst seit diesem Zeitpunkt läßt sich von Gouvernmentalitätsstudien im eigentlichen Sinne sprechen. Aus diesem Forschungsnetzwerk gingen verschiedene Sammelbände hervor.96 Gouvernementalität bei Foucault meint jedoch eigentlich alle modernen Regierungsformen seit dem 15./16. Jahrhundert, seitdem das Problem des Regierens und des Führens von Menschen und von Bevölkerung auftaucht, in Abgrenzung zur Pastoralmacht und zur Macht des absolutistischen Souveräns, was jedoch nicht heißt, dass die souveräne Macht verschwunden ist. Vielmehr ist von einem Dreieck oder einer immer neuen und sich wandelnden Konstellation von Souveränität, Disziplin und gouvernementaler Verwaltung (mit ihren Mechanismen der Sicherheitsdispositive) auszugehen, die in das Gouvernementalitätskonzept eingehen.97 Mit dem Auftauchen der eigenständigen Kategorie der Bevölkerung wurde eine Blockade der bisherigen souveränen Regierungskunst aufgebrochen. Die Blockade der Regierungskunst war einerseits durch den zu weiten, abstrakten 96 | Gordon, Colin/Burchell, Graham/Miller, Peter (Hg.): The Foucault Effect, Hemel Hampstead 1991, Barry, Andrew/Osborne, Thomas/Rose, Nicolas (Hg.): Foucault and political reason, London 1996. 97 | Vgl. Foucault, Michel: Geschichte der Gouvernementalität I, Frankfurt/M 2004a, S. 161.

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und strengen Rahmen der Souveränität und andererseits das zu enge, schwache und zu wenig konsistente Modell der Familie entstanden.98 Durch eine Verbindung von der neu entstehenden Wissenschaft vom Regieren, der Neuausrichtung der Ökonomie und einem erweiterten Blick auf die Bevölkerung als Ganzes konnte diese Blockade aufgehoben werden. Die Wissenschaft der Statistik, die im Merkantilismus noch im Zusammenhang der Souveränität stand, zeigte, dass die Bevölkerung ihre eigenen Regelmäßigkeiten und ökonomischen Effekte hat. Die Bevölkerung ersetzt die Familie als Modell der Regierung. Die Familie wird zu einem privilegierten Segment der Bevölkerung und wird zugleich von einem Modell zum Instrument.99 Die Bevölkerung tritt nun als Zweck und Instrument der Regierung auf, anstatt als Ausdruck der Macht des Souveräns. Die Bevölkerung tritt als Subjekt von Bedürfnissen und zugleich als Objekt des Regierens auf. Es bildeten sich die Wissenschaft der politischen Ökonomie und damit ein charakteristischer Interventionstyp auf dem Feld der Ökonomie und der Bevölkerung. »Der Übergang von einer Kunst des Regierens zu einer politischen Wissenschaft, der Übergang von einem von Strukturen der Souveränität dominierten Regime zu einem von den Techniken des Regierens dominierten Regime tritt im 18.Jahrhundert im Kontext der Bevölkerung ein und folglich im Kontext der Geburt der politischen Ökonomie.« 100

Gouvernementalität meint a) »die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat«, b) »die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als Regierung bezeichnen kann, gegenüber allen anderen – Souveränität, Disziplin – geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat«, c) das Ergebnis des Vorgangs »durch den der mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit (der Gerechtigkeit), der im 15./16.Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, sich nach und nach gouvernementalisiert hat.«101 98 | Vgl. Foucault 2004a, S. 154/155. 99 | Vgl. ebd., S. 156-158. 100 | Ebd., S. 159. 101 | Ebd., S. 162-163. Hervorhebungen DN.

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In Abgrenzung von theologisch-kosmologischen Vorstellungen der Pastoralmacht und in ihrer säkularen Umformung (was Foucault unter den Stichworten ›Entgouvernementalisierung des Kosmos‹/›Gouvernementalisierung der res publica‹ fasst102) entwickeln sich seit dem 16. Jahrhundert zwei neue Formen des Regierens. D.h. die theologisch-kosmologische Kontinuitätsvorstellung von Gott als Herrscher über die Natur zum Pastor mit seiner Herde und zum Familienvater wird aufgebrochen. Die aufkommenden Naturwissenschaften entmystifizieren die Natur und ersetzten die Vorstellung des pastoralen Regierens in Analogie zu Gott zu Gunsten der Vorstellung einer vernünftigen Regierung. Gott regiert die Welt nicht mehr pastoral, sondern nur mittels allgemeiner, universeller Gesetze, er herrscht souverän über die Welt durch Prinzipien.103 Eine pastoral regierte Welt war noch von einer Ökonomie des Heils (in der der Mensch sein Heil findet), einer Ökonomie des Gehorsams (einer durch Zeichen und Wunderwerke bestimmten Natur) und einer Ökonomie der Wahrheit bestimmt. Diese Welt der Wahrheit, die sich in Form der Ähnlichkeit und Analogie dechiffrierte, diese finalistische, anthropozentrische Welt war die Form einer pastoralen Regierung Gottes über die Welt. Diese Welt verschwindet mit der Stiftung der klassischen Episteme (1580-1650) und ihrer mathematischen oder klassifikatorischen Intelligibilisierung der Natur104 , wie sie von Foucault in »Die Ordnung der Dinge« genauer dargestellt wurde, d.h. eine Interpretation der Welt nach den Prinzipien der Analogien und Ähnlichkeiten und Zeichen wurde abgelöst zugunsten von Taxinomien und Klassifikationen. Damit einher geht eine Suche nach neuen Formen des Regierens, die ohne ein Modell in Bezug auf Gott oder die Natur auskommen müssen. Die Frage nach der Kunst des Regierens taucht auf, die Regierung muss sich ihre Räson suchen. Der Souverän muss mehr tun, als seine von Gott gegebene Souveränität ausüben und er muss etwas anderes tun als Gott im Verhältnis zur Natur und seiner Herde. Diese neue Form der Regierung ohne ein Modell in Bezug auf Gott nennt Foucault die »Gouvernementalisierung der res publica«.105 Diese neue Regierungskunst ist die Staatsräson. Es entstehen die Naturwissenschaften (principae naturae), die nur noch die Herrschaft der Vernunft dulden und die Staatsräson. Mit der Staatsräson entsteht »der Typ von Rationalität, der es erlaubt, den Staat […] in seinem täglichen Funktionieren, in seiner alltäglichen Verwaltung aufrechtzuerhal102 | Vgl. Foucault 2004a, S. 338-345. 103 | Foucault 2004a, S. 341. 104 | Vgl. S. 343 und vgl. zu dieser Charakterisierung des Kosmos des Mittelalters und der Renaissance, Foucault: »Die Ordnung der Dinge«, Kap.2, S. 46-62 und Kap.3, S. 82113, Frankfurt/M 1974 (Orig. 1966). 105 | Foucault 2004a, S. 344.

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ten und zu bewahren« […] »Principae naturae und ratio status, Prinzipien der Natur und Staatsräson, Natur und Staat: Wir haben hier, endlich konstituiert oder endlich geteilt, die beiden großen Bezugssysteme der Wissensformen und Techniken, die dem abendländischen Menschen gegeben sind.«106

Diese zwei neuen großen Rationalitäten des Regierens sind die Staatsräson und der Liberalismus: Die Staatsräson, mit dem Staat als Souverän, als zentralem Ziel und Wert des Regierens (der sein Ziel in sich selbst findet) mit den zwei großen Dispositiven der ›Polizey‹ im Inneren (unbegrenzte Macht nach innen) und des diplomatisch-militärischen Dispositivs nach außen (mit dem Ziel des europäischen Gleichgewichts der Mächte, wobei Europa als System wirtschaftlichen Austauschs nun erstmals als kollektives Wirtschaftssubjekt gedacht wird). Die Staatsräson ist das Auftauchen einer bestimmten (neuen) Art von Rationalität in der Regierungspraxis für einen bestehenden Staat. »Die Staatsräson ist die Rationalisierung einer Praxis, die zwischen dem Staat als Gegebenem und dem Staat als herzustellendem und zu Errichtendem angesiedelt ist.«107 Die Regierungskunst hat als Ziel, das Seinsollen des Staates in ein Sein zu verwandeln, der Staat existiert nur für sich selbst. Die wirtschaftliche Seite der Staatsräson ist der Merkantilismus, als eine Organisation der Produktion und der Handelswege nach den Prinzipien der Akkumulation von Geld für den Staat, der Stärkung des Wachstums der Bevölkerung und der ständigen Konkurrenz.108 Das Ziel der Staatsräson ist die Staatserhaltung und die Entwicklung einer Kräftedynamik, aufgrund der Vorstellung einer Konkurrenz der Staaten untereinander. Nach außen entwickelt sich im 17. Jahrhundert ein diplomatisch-militärisches Sicherheitssystem, mit dem Ziel des europäischen Gleichgewichts. Vom Westfälischen Frieden bis zum Siebenjährigen Krieg (bzw. bis zu den Revolutionskriegen) orientiere sich die Staatsräson mit ihrer diplomatisch-militärischen Politik am Prinzip der äußeren Selbstbeschränkung.109 Während es nach außen um eine Begrenzung der Macht gehe, geht es nach innen um die maximale Kräftesteigerung des Staates durch den Polizeistaat mit seinem Disziplinar- und Verordnungssystem. »Der Gegenstand der Polizei ist ein gleichsam unendlicher Gegenstand«, wie es in Abhandlungen aus dem 17. Jahrhundert über die Polizei heißt.110 Die Konkurrenz zwischen den Staaten ist genau der Angelpunkt zwischen diesen begrenzten und unbegrenzten Zielen, denn der Regierende muss einen bestimmten Gleichgewichtszustand halten 106 | Ebd., S. 346. 107 | Foucault: Geschichte der Gouvernementalität Bd. 2. Frankfurt/M 2004b, S. 16. 108 | Vgl. ebd., S. 18. 109 | Vgl. ebd., S. 20. 110 | Ebd., S. 21.

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und deswegen müsse im Inneren eines Staates alles reglementiert werden. »Die Begrenzung in den internationalen Beziehungen hat die Unbegrenztheit in der Ausübung des Polizeistaats zur Entsprechung.«111 Merkantilismus, Polizeistaat und europäisches Gleichgewicht nach außen waren die neuen Formen der Regierungskunst der Staatsräson. Der Staat ist »kein seelenloses Ungeheuer sondern das Korrelat einer bestimmten Weise, zu regieren«.112 Die Rolle des Rechts wandelt sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts vom »Multiplikatoren königlicher Macht« zu einem Mittel zur Beschränkung königlicher Macht113 . Es wird zum Ausgangspunkt dafür, die Staatsräson zu begrenzen, wie in einer Reihe von Polemiken und politischen Kämpfen um die Grundgesetze des Königreichs deutlich wird114 , sowie in den aufkommenden Theorien über die Vertragstheorien. Die juristische Vernunft wird zum Prinzip der externen Begrenzung der Staatsräson.115 Der Liberalismus stellt nun dagegen auch die Frage nach der Begrenzung des Regierens, aber führt das Prinzip einer internen Begrenzung ein und führt mit den Mechanismen von Freiheit und Sicherheit ein unablässig neu herzustellendes Verhältnis zwischen Regierten und Regierenden ein.116 Die Sicherheit wird als konstitutiv für Freiheit gedacht. Freiheit muss unablässig neu, künstlich hergestellt werden und erscheint als permanent bedroht. Das Leben der Bevölkerung wird nun zur ›Zielscheibe‹ des Regierens. Die politische Ökonomie wird zum Prinzip der internen Begrenzung der gouvernementalen Vernunft: Einmal im Sinne einer faktischen Begrenzung (eine Regierung, die dies missachtet, gilt als unpassend, ungenügend im Sinne ihrer eigenen Prinzipien), einer allgemeinen Begrenzung und einer Begrenzung, die in den Zielen der Regierung, in der Regierungspraxis selbst liegt. Diese Begrenzung vollzieht eine Aufteilung zwischen Gebotenem und Verbotenem, »zwischen den ›Agenda‹ und ›Nonagenda‹, den Dingen, bzw. ökonomischen Tätigkeiten, die getan werden sollen und den Dingen, die nicht getan werden sollen«, wie Bentham das nannte.117 Während das Prinzip des Rechts ein externes Prinzip und Gegengewicht zur Staatsräson war, geht es nun um eine interne Kritik der gouvernementalen Vernunft, um eine interne Beschränkung. Das Problem stellt sich also nicht auf der Ebene der Grundrechte, der Grundfreiheiten.

111 | Ebd., S. 21. 112 | Ebd., S. 19. 113 | Ebd., S. 22. 114 | Ebd., S. 22. 115 | Vgl. ebd., S. 24. 116 | Vgl. Foucault 2004a, S. 94-99. 117 | Foucault 2004b, S. 27/28.

3. Macht und Regierung bei Foucault

»Das ganze Problem […] wird sich um die Frage drehen, wie man es anstellt, nicht zu viel zu regieren. Man wendet sich nicht mehr gegen den Missbrauch der Souveränität, sondern gegen ein Übermaß von Regierungstätigkeit. Und am Übermaß der Regierungstätigkeit […], wird man die Rationalität der Regierungspraxis messen können.« 118

Die politische Ökonomie hat sich jedoch nicht gegen die Staatsräson entwickelt, sondern übernimmt gewissermaßen die Ziele der Staatsräson, denn sie setzt sich das Wachstum der Bevölkerung, die Steigerung des Wohlstands des Staates und die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Staaten zum Ziel.119 Sie betrachtet die Regierungspraktiken vom Gesichtspunkt ihrer Wirkungen, nicht von ihrer Legitimität her und entdeckt bestimmte Natürlichkeiten, die der Regierungspraxis eigentümlich sind. Die Frage der Legitimität wird durch die des Erfolgs ersetzt. Über den Umweg der politischen Ökonomie werden in die gouvernementale Vernunft so die Möglichkeit der Begrenzung der Regierung und die Frage nach der Wahrheit eingeführt. Das Prinzip der politischen Ökonomie ist: »Eine Regierung weiß nie genug, so dass sie Gefahr läuft, stets zuviel zu regieren« und außerdem: »Eine Regierung weiß nie gut genug, wie man gerade ausreichend regieren soll.«120 An die Stelle der Vorstellung eines Gleichgewichts tritt »das Prinzip des Maximums und Minimums in der Regierungskunst«121 (d.h. man soll gerade ausreichend regieren). Dies sei ein entscheidender Moment in der Geschichte des politischen Denkens, wo sich eine bestimmte Herrschaft der Wahrheit durchsetzte. Diese Herrschaft der Wahrheit wird zum Prinzip der Selbstbeschränkung. Während zuvor gefragt wurde, ob im Einklang mit moralischen, natürlichen, göttlichen Gesetzen regiert werde, fragt man sich nun: »Regiere ich auf der Grenze dieses Zuviel und Zuwenig, zwischen diesem Maximum und Minimum, die mir durch die Natur der Dinge gegeben sind, […] durch die inneren Notwendigkeiten des Regierungshandelns? Hier taucht diese Herrschaft der Wahrheit als Prinzip der Selbstbeschränkung der Regierung auf«, die Foucault im Laufe dieser Vorlesungen behandeln will.122

Es geht Foucault bei all seinen Untersuchungen zum Wahnsinn, zur Krankheit, zur Delinquenz, zur Sexualität darum, »wie die Kopplung einer Reihe von Praktiken mit der Herrschaft der Wahrheit ein Dispositiv des Wissens und der

118 | Ebd., S. 29. 119 | Vgl. ebd., S. 31. 120 | Ebd., S. 36. 121 | Ebd., S. 36. 122 | Ebd., S. 38.

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Macht bildet […] und es auf legitime Weise der Unterscheidung zwischen dem Wahren und dem Falschen unterwirft«.123 Der Markt ist nicht mehr nur Ort des Tauschs – wie noch zu Zeiten der Staatsräson – sondern der Ort der »Veridiktion, des Wahrspruchs« (also die Instanz für wahr und falsch), der Wahrheitsfindung (und wird später im Neoliberalismus sogar zu einem permanenten ökonomischen Tribunal). Bis ins 17. Jahrhundert war der Markt ein Ort der Rechtsprechung des Souveräns und ein Ort der Gerechtigkeit (durch die Reglementierung der Preise, die Bestrafung des Betrugs usw.), ein privilegierter Ort der Verteilungsgerechtigkeit, weil die Abwesenheit von Betrug sichergestellt werden sollte. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wird der Markt zu etwas, »das natürlichen Mechanismen gehorcht«. Der freie Markt bildet den normalen Preis, der »das angemessene Verhältnis zwischen den Produktionskosten und der Höhe der Nachfrage ausdrücken wird«.124 Die Preise als natürliche Mechanismen des Marktes bilden einen Wahrheitsstandard, der es ermöglicht, die richtigen von den falschen Regierungspraktiken zu unterscheiden. »Der Markt wird zu einem Ort der Verifikation und Falsifikation der Regierungspraxis.«125[…] »Der Markt soll die Wahrheit im Hinblick auf die Regierungspraxis sagen. Seine Rolle der Veridiktion wird die juristischen Mechanismen, zu denen der Markt Stellung beziehen soll, anordnen, diktieren, vorschreiben, oder die Abwesenheit dieser Mechanismen […] bestimmen.«126

Die neue Rolle des Marktes wird auch in der Konzeption »der unsichtbaren Hand« von Adam Smith deutlich, wie Foucault erläutert:127 Die Idee der unsichtbaren Hand umfasst vor allem zwei Elemente: Damit der Kollektivgewinn sicher ist, ist es absolut notwendig, dass jeder Akteur der Gesamtheit gegenüber blind ist, das kollektive Wohl dürfe nicht anvisiert werden. Die Unsichtbarkeit ist unverzichtbar, weil sie »bewirkt, dass kein ökonomischer Akteur (und auch kein politischer Akteur) das Kollektivwohl suchen soll und kann«.128 Die Unsichtbarkeit ist gerade eine notwendige und unerlässliche Bedingung für die Herstellung des öffentlichen Wohls. Die Regierung darf die Interessen der Menschen nicht behindern und dem Souverän ist es unmöglich, eine umfassende, alle Elemente erfassende Perspektive auf den Wirtschaftsmechanismus zu ha123 | Ebd., S. 39. 124 | Ebd., S. 55. 125 | Ebd., S. 55. 126 | Ebd., S. 56. 127 | Vgl. Foucault 2004b, S. 382-388. 128 | Ebd., S. 384.

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ben. Die unsichtbare Hand verbietet jede Form der Intervention, jede Form des übergeordneten Blicks. Der Souverän muss unwissend sein. Die ökonomische Rationalität gründet sich auf die Unerkennbarkeit der Gesamtheit des Prozesses. Die unsichtbare Hand kann ihre Ziele nur in dem Maße erreichen, wie sie unsichtbar ist, dies ist die Bedingung ihres Erfolgs. Das öffentliche Wohl stellt sich nur dann ein, wenn die individuellen Akteure allein ihren egoistischen Partikularinteressen folgen. Der Homo oeconomicus ist die einzige Insel der Rationalität innerhalb eines undurchschaubaren Wirtschaftsprozesses. Smith hebt also die Unfähigkeit des Staates hervor, die in der Unmöglichkeit begründet ist, die Gesamtheit der ökonomischen Prozesse erfassen zu können. Smiths These ist eine radikale Kritik einer Verbindung von ökonomischer Freiheit und despotischer Souveränität und zeigt in einer Kritik an den Physiokraten die Unmöglichkeit einer »ökonomischen Souveränität« auf. Die Ökonomie ist demnach eine Disziplin, die »die Unmöglichkeit einer souveränen Perspektive manifestiert«. »Die Ökonomie entwendet der juristischen Form des Souveräns […] die Wirtschaftsprozesse.«129 Die Aufgabe des Staates ist nicht die Steuerung und Überwachung des ökonomischen Raums, sondern eine Regierung gemäß ökonomischer Regeln. »Die Politisch-juristische und die ökonomische Welt erscheinen seit dem 18. Jahrhundert als heterogene und unverträgliche Welten.«130 Dies wird auch am unterschiedlichen Verhältnis des ökonomischen Menschenbildes und des des juridischen Subjekts zum Souverän deutlich: Der juridische Mensch würde dem Souverän sagen: Du darfst nicht, weil ich Rechte habe! Der Homo oeconomicus sagt: »Du darfst nicht, weil du nicht kannst. Du kannst nicht, weil du nicht weißt und nicht wissen kannst!«131 Seitdem stellt sich die politische Ökonomie als Kritik der gouvernementalen Vernunft dar. Dieses Problem der Abwesenheit oder der Unmöglichkeit eines ökonomischen Souveräns wird in ganz Europa und der modernen Welt gestellt werden (durch die Regierungspraktiken, die Wirtschaftsprobleme, den Sozialismus, die Planwirtschaft, die Wohlfahrtsökonomie, so die Beispiele bei Foucault) und in jeder Wiederkehr des liberalen und neoliberalen Denkens im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts stellt sich dieses Problem der Unmöglichkeit der Existenz eines ökonomischen Souveräns.132 Die politische Ökonomie von Adam Smith richtet sich nicht nur gegen den ›Polizeystaat‹ und den Merkantilismus der Souveränitätsmacht des 17./18. Jahrhunderts, sondern ist eine Ablehnung des gesamten politischen Projekts, eine 129 | Ebd., S. 387. 130 | Ebd., S. 388. 131 | Ebd., S. 388. 132 | Vgl. ebd., S. 389.

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Ablehnung der politischen Vernunft, die sich am Staat und seiner Souveränität orientiert. Die Ökonomie könne nicht eine Wissenschaft des Regierens sein, die Ökonomie sei eine Hilfswissenschaft im Verhältnis zur Regierungskunst.133 Das andere Merkmal des Liberalismus ist das Problem der Begrenzung der öffentlichen Gewalt. Es wird nicht mehr danach gefragt, wie sich die Souveränität begründen lässt, sondern wie sich der Ausübung öffentlicher Macht juristische Grenzen setzen lassen. Seit dem 18. Jahrhundert und zu Beginn des 19. Jahrhundert habe es dafür zwei Formen gegeben, so Foucault:134 (a) den axiomatischen, juridisch-deduktiven Weg oder den Rousseauschen Weg, der vom Recht in seiner klassischen Form ausgeht. Dieser Ansatz geht von den Menschenrechten aus und fragt nach den Zuständigkeitsgrenzen der Regierung über die Konstitution des Souveräns bis zur Begrenzung der Gouvernementalität (dies war laut Foucault der revolutionäre Weg der bis zur Französischen Revolution führt). (b) Der andere, utilitaristische Weg geht von der Regierungspraxis selbst aus und von der Analyse ihrer faktischen und erwünschten Grenzen. Er stellt die Frage nach der Nützlichkeit des Regierungshandelns.135 Davon ausgehend gibt es zwei heterogene Vorstellungen von Freiheit, die eine ausgehend von den Menschenrechten, die andere von der Unabhängigkeit der Regierten.136 Diese Ambiguität charakterisiert den europäischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts und noch den des 20. Jahrhunderts. Aber es gibt zwischen dem System der revolutionären Axiomatik des öffentlichen Rechts und der Menschenrechte und dem empirischen, an Nützlichkeit orientierten Weg durchaus Verbindungen. Aber das Problem der individuellen und kollektiven Nützlichkeit werde das zentrale Kriterium für die Ausarbeitung der Grenzen der öffentlichen Macht und für das Verwaltungsrecht sein. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts decke das Problem der Nützlichkeit alle traditionellen Probleme des Rechts ab.137 Die allgemeinste Kategorie sei das Interesse, »denn das Interesse ist das Prinzip des Tauschs und Kriterium der Nützlichkeit. Die gouvernementale Ver-

133 | Vgl. ebd., S. 393. 134 | Vgl. Foucault 2004b, S. 65. 135 | Vgl. ebd., S. 66/67. 136 | Ebd., S. 69. 137 | Ebd., S. 72, vgl. zu dieser »Neigungslinie der modernen gouvernementalen Vernunft« die in einer Dominanz des ›radikalen« ökonomischen Wegs ende und eine Reduktion auf rein negative Freiheitsrechte bedeute: Heiter, Bernd: »›…nicht dermaßen regiert zu werden. Über juridische Formen, Hartz IV und Widerstandspraktiken«, in: Hechler/ Philipps (Hg.) 2008, S. 57-75.

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nunft in ihrer modernen Form […] ist eine Vernunft, die aufgrund des Interesses funktioniert«.138 Aber es geht nicht mehr um das Interesse des Staates, [sondern um] »ein komplexes Spiel zwischen individuellen und kollektiven Interessen, zwischen dem sozialen Nutzen und dem ökonomischen Profit, zwischen dem Gleichgewicht des Marktes und der Herrschaft der öffentlichen Gewalt […], zwischen Grundrechten und der Unabhängigkeit der Regierten«.139

Wie sich diese Kategorie des Interesses der Subjekte im politischen Denken entwickelte und was das für das Problem des Spannungsverhältnisses zwischen Rechtssubjekt und ökonomschem Subjekt bedeutete, bzw. wie dieses im Konzept der bürgerlichen Gesellschaft gelöst wurde, verfolgt Foucault anhand der Schriften von David Hume und Adam Ferguson. Die Theorie des Subjekts des englischen Empirismus des 18. Jahrhunderts stellt nach Foucault eine der »wichtigsten theoretischen Wandlungen des abendländischen Denkens seit dem Mittelalter dar«.140 Denn in den Arbeiten von Hume erscheint das Subjekt erstmals als Träger individueller Entscheidungen, die nicht weiter zurückführbar und unübertragbar sind, als ein Träger von Interessen und von individuellen Präferenzen.141 Das Fundamentale dieser empiristischen englischen Philosophie besteht im Auftauchen der Idee eines Subjekts, das vorher nicht existierte. Das Subjekt erscheint nun als die Form eines Willens, der zugleich unmittelbar und absolut subjektiv ist und sich nicht vom juridischen Willen ableiten lässt. Zum Verhältnis von Interessensubjekt und Vertrag ist die Überlegung laut Foucault nun folgende: Der Vertrag werde geachtet, weil das Subjekt ein Interesse daran hat. Das Interessensubjekt reiche über das bloße Rechtssubjekt hinaus.142 Aber das Rechtssubjekt und das Interessenssubjekt gehorchen nicht derselben Logik, vom Individuum wird niemals verlangt, auf sein Interesse zu verzichten. Jeder kann und soll seinen eigenen Vorteil verfolgen, denn dadurch werde auch der Vorteil der anderen erhöht.143 »Der Markt und der Vertrag funktionieren demnach auf genau entgegengesetzte Weise«, sie bilden zwei heterogene Strukturen.144 Zwischen dem Rechtssubjekt und dem ökonomischen Subjekt gibt es einen wesentlichen Unterschied in der Beziehung zur politischen 138 | Foucault 2004b, S. 73. 139 | Ebd., S. 73. 140 | Foucault 2004b, S. 373. 141 | Vgl. ebd., S. 374. 142 | Ebd., S. 377. 143 | Ebd., S. 378. 144 | Ebd., S. 379.

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Macht: Der ökonomische Mensch stellt gegenüber dem Problem der Begründung der Regierung eine ganz andere Art von Frage als es die Gestalt des juridischen Menschen tun konnte (als Beispiel dient Foucault ein Text von Condorcet). Das Interesse des Subjekts hängt von vielen Dingen ab, die Anstrengungen des Individuums dienen dem Wohl aller, alles was für das eigene Interesse von Vorteil ist, wird auch für andere von Vorteil sein. Der Homo oeconomicus befindet sich in einem ungewollten Zwiespalt zwischen den ungewollten Zufällen und ungewollten Vorteilen, die er für andere produziert.145 Das Problem des Verhältnisses von Rechtssubjekt und Homo oeconomicus machte einen neuen Bezugsrahmen für die Regierungskunst nötig, die sowohl die Rechtssubjekte als auch die Wirtschaftsakteure umfasst: Für die liberale Regierungskunst ergibt sich das Problem, wie sich angesichts der Heterogenität von Rechtssubjekt und ökonomischem Subjekt ein politischer Raum der Souveränität definieren lässt. Es tauchte nun die Frage auf: Wie soll man nach Rechtsregeln einen Raum der Souveränität regieren, der von Wirtschaftssubjekten bevölkert ist? Dieser neue Bezugsrahmen für die Regierungskunst wird im 18. Jahrhundert die bürgerliche Gesellschaft. »Die bürgerliche Gesellschaft ist […] das Korrelat einer Regierungstechnik, deren rationales Maß sich juristisch an einer Wirtschaft ausrichten soll, die als Produktions- und Tauschprozess aufgefasst wird. Die juristische Ökonomie einer Gouvernementalität, die sich an der ökonomischen Ökonomie ausrichtet: Das ist das Problem der bürgerlichen Gesellschaft.«146

Der Homo oeconomicus und die bürgerliche Gesellschaft sind »zwei unzertrennliche Elemente«.147 Der Homo oeconomicus ist der abstrakte, ideale ökonomische Punkt, der die Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft bevölkert. Die bürgerliche Gesellschaft ist das konkrete Ganze, innerhalb dessen man die idealen Punkte anordnen muss, um sie angemessen leiten zu können. Beide zusammen gehören zur Technik der liberalen Gouvernementalität.148 Bis zum Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bezeichnete die bürgerliche Gesellschaft eine juristisch-politische Struktur (wie bei Locke): Die Gesamtheit der Individuen, die durch ein juridisch-politisches Band verbunden sind, d.h. die bürgerliche Gesellschaft war bis dahin nicht wirklich von der politischen Gesellschaft unterscheidbar. Diese Identifikation von bürgerlicher Gesellschaft mit der politischen Gesellschaft zerbricht nun.149 145 | Vgl. ebd., S. 381. 146 | Foucault 2004b, S. 405. 147 | Ebd., S. 406. 148 | Ebd., S. 406. 149 | Vgl. ebd., S. 407.

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Der Text von Ferguson (»Essay über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft«, 1767) markiert diesen Bruch und ist ein politisches Korrelat zu dem was Adam Smith in rein ökonomischen Begriffen untersuchte. Die bürgerliche Gesellschaft bei Ferguson ist das konkrete Ganze innerhalb dessen sich die ökonomischen Menschen verhalten.150 Ferguson ist nur ein Beispiel unter zahlreichen Analysen zur bürgerlichen Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhunderts. Hier liegt ein wichtiger Überschneidungspunkt: Die sozialen Beziehungen, die über rein ökonomische Bindungen hinaus kollektive und politische Einheiten bilden, ohne dass es sich um rein juristische oder rein wirtschaftliche Bindungen handelt, kennzeichnen die bürgerliche Gesellschaft. Sie geht auf die frühliberale Auseinandersetzung mit einem allmächtigen Staat zurück. Im Spannungsverhältnis zwischen ökonomischen Interessen und souveränen Rechten eröffnete die bürgerliche Gesellschaft einen autonomen Raum spontaner Regulation. Das juristische Problem der Machtausübung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stellt sich in gewissem Sinn für die Liberalen auch auf umgekehrte Weise, so Foucault: Wie kann man die Macht innerhalb einer Gesellschaft begrenzen, in der es schon Unterordnung gibt? Die Beziehungen zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat sind ein Thema, dass das ganze politische Denken seit dem Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigt, je nach Land mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, wie Foucault betont:151 In Deutschland werde die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft eher in Begriffen der Gegenüberstellung von bürgerlicher Gesellschaft und Staat, in Abhängigkeit von ihrer Fähigkeit, den Staat zu unterstützen, gemacht, oder der Staat erscheint als die verwirklichte Wahrheit, als Selbstbewusstsein und ethische Verwirklichung der bürgerlichen Gesellschaft (Hegel). In England vollzieht sich die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft unter dem Aspekt der Regierung, denn der Staat war in England nie ein Problem. Wenn die bürgerliche Gesellschaft völlig gegeben ist, warum braucht man dann noch eine Regierung? Dies war die Frage die Paine am Ende des 18. Jahrhunderts stellt, für den die Regierung bestenfalls ein notwendiges Übel ist.152 In Frankreich steht dagegen mehr die Frage des Dritten Standes als politisches Problem im Mittelpunkt (z.B. bei Abbé Sieyès). Sie wurde rückübersetzt in die Debatte über die Notwendigkeit einer Menschenrechtserklärung. Diese 150 | Ebd., S. 408. 151 | Vgl. Foucault 2004b, S. 423-425. 152 | Vgl. ebd., S. 425. Die Schrift von Thomas Paine: Common Sense, Philadelphia 1776, ist eigentlich schon nach seiner Übersiedlung nach Amerika geschrieben und bringt auch die Bestrebungen der amerikanischen Siedler zu Beginn des Unabhängigkeitskriegs zum Ausdruck.

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Debatte setzte sich fort bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in Form »der Idee der Bourgeoisie als Trägerelement der Geschichte Frankreichs«.153 Sowohl bei deutschen Philosophen, politischen Analytikern in England oder Historikern in Frankreich gehe es um dasselbe Problem der bürgerlichen Gesellschaft, um das Verhältnis der Regierung und der Macht zur bürgerlichen Gesellschaft. Mit der Idee der bürgerlichen Gesellschaft komme es zu einer Art Neuverteilung oder Rezentrierung bzw. Dezentrierung der gouvernementalen Vernunft. Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt von Foucaults Vorlesungen: Das allgemeine Problem seit dem 16. Jahrhundert war die Frage, wie sich die Ausübung der Macht bei den Regierenden regulieren und messen lässt. Beim Souverän war die Lösung, dass die Regierung in der Weisheit des Souveräns liege und nach Maßgabe der Wahrheit geregelt werden soll, als deren Träger der absolutistische Souverän galt. Diese Wahrheit fand sich in religiösen Schriften, als Wahrheit der Offenbarung, denn die Macht des Souveräns galt als gottgegeben.154 Ab dem 16./17. Jahrhundert galt dann, dass die Machtausübung und die Regelung der Regierung nach der »Berechnung von Kräften, von Beziehungen, von Reichtümern, von Machtfaktoren« nach Maßgabe der Rationalität erfolgen solle.155 Die Macht folgt nun nicht mehr der Rationalität des Souveräns, sondern der Rationalität der Regierten, die nun als Wirtschaftssubjekte und allgemeiner als Interessenssubjekte betrachtet werden. Die Rationalität der Regierten soll als Regelungsprinzip für die Rationalität der Regierung dienen. Dies charakterisiert die liberale Rationalität, die fragt: Wie soll man die Regierungskunst auf das rationale Verhalten der Regierten gründen? Das ist der Scheidepunkt, darin liegt der Wandel, den Foucault in seiner Vorlesung lokalisieren wollte. In der modernen Welt seit dem 18. Jahrhundert überschneiden sich aber eine Reihe von Regierungsrationalitäten: Die Regierungsrationalität des souveränen Staates, die Regierungs-rationalität der Wirtschaftsakteure usw. Alle diese verschiedenen Regierungskünste bilden den Gegenstand der politischen Debatte seit dem 19. Jahrhundert. Die Politik ist das Spiel dieser verschiedenen Regierungskünste, hier liegt der Geburtsort der Politik. So beschließt Foucault seine Vorlesungsreihe zur Geschichte des Liberalismus, was auch den Titel des Vorlesungsbandes »Geburt der Biopolitik« verständlicher macht. Die Grundfrage des Liberalismus lautet daher: Was ist der Nutzwert der Regierung und aller Regierungshandlungen in einer Gesellschaft, in der der Tausch den wahren Wert der Dinge bestimmt? Die Grundzüge des Liberalismus sind also die Veridiktion des Marktes und die Begrenzung der Regierung 153 | Foucault 2004b, S. 426. 154 | Vgl. ebd., S. 427. 155 | Vgl. ebd., S. 427/428.

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durch das Kalkül der Nützlichkeit. Insofern müsse man bei der neuen Regierungskunst eher von einem Naturalismus als von Liberalismus sprechen, so Foucault, denn die Freiheit, von der bei den Physiokraten und bei Adam Smith die Rede ist, beziehe »sich vielmehr (auf) die Spontaneität, die innere und intrinsische Mechanik der Wirtschaftsprozesse, als auf eine juridische Freiheit, die als solche den Individuen zuerkannt wird«156. Die Regierung des Liberalismus soll sich vielmehr selbst begrenzen durch die Gewissheiten der Regeln der Wirtschaftsmechanismen, die sie beachten soll. Sie begrenzt sich nicht durch die Freiheit der Individuen.157 Die liberale Regierungspraxis begnüge sich nicht damit, diese oder jene Freiheit zu respektieren oder zu garantieren. »In einem tieferen Sinne vollzieht sie die Freiheit« […] sie braucht Freiheit und »stellt sich als Manager der Freiheit dar«, sie vollzieht die Freiheit, da sie nur möglich ist, indem es tatsächlich nur eine spezifische und bestimmte Art Freiheiten gibt: Freiheit des Marktes, Freiheit des Verkäufers und Käufers, freie Ausübung des Eigentumsrechts, Diskussionsfreiheit usw.158 . Im Zentrum der liberalen Praxis wird ein problematisches, ständig wechselndes Verhältnis zwischen der Produktion der Freiheit und ihrer Begrenzung eingeführt. »Der Liberalismus […] enthält in seinem Zentrum ein Verhältnis der Herstellung und Zerstörung zur Freiheit, ein Verhältnis des Vollzugs und der Aufhebung der Freiheit. Mit einer Hand muss die Freiheit hergestellt werden, aber dieselbe Handlung impliziert, dass man mit der anderen Einschränkungen, Kontrollen, Zwänge, auf Drohungen gestützte Verpflichtungen usw. einführt.«159

3.3 S ICHERHEIT UND F REIHEIT IN F OUCAULTS G OUVERNEMENTALITÄTSANALYSE Mit seiner Geschichte der Gouvernementalität geht es Foucault gleichzeitig auch um eine Geschichte der Sicherheitstechnologie und ihrer Rolle in der Ökonomie der Macht, wie auch schon im Untertitel des ersten Bandes »Sicherheit, Territorium, Bevölkerung« deutlich wird. Die Gouvernementalität hat die Bevölkerung als neu auftauchende Kategorie zur Hauptzielscheibe und die Sicherheitsdispositive sind eines ihrer wesentlichen Mechanismen. Die Sicherheit wird von Foucault als weitere Machttechnologie neben die Souveränitäts- und die Disziplinarmacht gestellt und so aus dem Kontext einer rein juridischen 156 | Ebd., S. 94. 157 | Ebd., S. 94/95. 158 | Ebd., S. 97. 159 | Ebd., S. 98.

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Macht, dem Gesetz, dem Zwang (gegen die Foucault sie absetzt) herausgelöst. Das Gesetz operiert auf der Grundlage des Verbots, der binären Aufteilung zwischen Erlaubtem und Verbotenen.160 Der rechtlich kodierte Zwang stellt ein Konditionalprogramm dar (d.h. bei einem bestimmtem Tatbestand greift eine bestimmte Sanktion). Die Freiheit der Individuen wird negativ abgegrenzt. Aber eine solche Vorstellung der Macht greife zu kurz und bleibe in der Logik von Souveränität und Monarchie befangen. Demgegenüber ist die Disziplin von Techniken der Normalisierung bestimmt. Dazu gehören Techniken wie die Einteilung und Strukturierung von Räumen, die Rhythmisierung der Zeit, die Kontrolle und Lenkung der Individuen, die Dressur der Körper. Die Disziplin wirkt normend, normierend und normalisierend, sei es über ein Mindestmaß, einen Durchschnitt oder eine Annäherung. Die Normalisierung ist eine umfassende Machttechnologie, die in vielen gesellschaftlichen Bereichen, wie Schulen, Krankenhäusern, Fabriken Anwendung findet. Das Individuum wird so als beschreibbarer und analysierbarer Gegenstand erzeugt. Es wird eine Individualisierung und eine homogene Vielfalt geschaffen. Aber die Disziplinarmacht hinterlässt offene Probleme, die von der Sicherheitstechnologie bearbeitet werden müssen. Denn die Disziplinarmacht ist zu starr und spröde, Abweichungen und Misserfolge bleiben bestehen. Neben der Verbotsnorm und der präskriptiven Norm disziplinierender Normalisierung entwickelt sich ein dritter Normtyp, der auf aggregierte Gruppen von Menschen zielt, auf beobachtbare Regelmäßigkeiten innerhalb der Bevölkerung. Für die disziplinarische Normalisierung war die Norm das Grundlegende, von der her das Normale und das Anormale bestimmt wurden. Am Beispiel des Umgangs mit Krankheiten wird das von Foucault erläutert. Am unterschiedlichen Umgang mit Leprakranken einerseits (die interniert und ausgeschlossen wurden) und Pockenerkrankten andererseits (die statistisch erfasst, behandelt und deren Gefährlichkeit an einer durchschnittlichen Normalverteilung gemessen wurde), zeigt Foucault den Übergang von einer souveränen, repressiven, ausschliessenden Macht zu einer normalisierenden, disziplinierenden, produktiven BioMacht, die sich auch räumlich manifestiert, und den Sicherheitsdispositiven, die stattdessen auf die Verteilung von Risikofällen in einer Gesamtheit der Bevölkerung achten, die die Gesamtheit und nicht das einzelne zu disziplinierende Individuum in den Blick nehmen.161 Nach den Sicherheitsdispositiven wird die Krankheit nicht so sehr gefürchtet, sondern als Verteilung von Fällen in einer Bevölkerung betrachtet, wie sich 160 | Vgl. Foucault 2004a, S. 19. 161 | Vgl. die ersten drei Vorlesungen in Foucault 2004a »Sicherheit, Territorium, Bevölkerung«, Bd.1 der »Geschichte der Gouvernementalität«, vgl. auch Lorey, Isabell: »Der Traum von der regierbaren Stadt«, www.transform.net, 2008.

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am Beispiel des Umgangs mit Pocken zeigen lässt. Die Sicherheitstechnologie rechnet mit der Streuung der Ereignisse, mit den Abweichungen und zielt auf eine günstige Normalverteilung, wie beim Umgang mit Krankheiten, so auch bei anderen Phänomenen: Eine bestimmte Zahl von Unfällen, Straftaten, rechtsradikalen Überfällen usw. wird hingenommen, erst eine ungewöhnliche Verteilung oder eine zu starke Schwankung der Werte ist Anlass für Sorge und ein Eingreifen. Dem Sicherheitsdispositiv geht es nicht um das totale Unterbinden von Phänomenen, sondern es nimmt sie als notwendige und unvermeidliche Vorgänge hin, mit denen die Gesellschaft umgehen muss. Es geht darum, den Ereignischarakter der Dinge zu erfassen, um reale Abläufe zu steuern. Am Beispiel des Umgangs mit städtischem Raum zeigt Foucault die Unterschiede der Dispositive bzw. Machtformen Souveränität, Disziplin und Sicherheit, die den Raum auf jeweils andere Weise gliedern und regieren. Wie Foucault im ersten Band seiner Geschichte der Gouvernementalität zeigt, waren gerade die Städte einerseits von vielen Zonen des Ausschlusses durchzogen und von Grenzziehungen markiert z.B. durch Befestigungswälle und Nachtwächter, die ihre Runden gingen. Die entstehenden Zonen des Handels machten jedoch den Fall der Stadtmauern nötig, eine Öffnung zum Umland, die neue Gruppen von Menschen in die Stadt ›schleuste‹ und die Zirkulierung von unterschiedlichen Milieus ermöglichte, andererseits gab es jedoch weiter Zonen, in denen Kranke und Aussätzige interniert wurden und die Notwendigkeit, die verschiedenen Gruppen zu kontrollieren. Für die Souveränitätsmacht ist die Stadt noch in erster Linie das repräsentative Zentrum, oft als Hauptstadt der Mittelpunkt eines geordneten Territoriums und der absolutistischen Machtentfaltung. Es gibt quasi ein geometrisches Verhältnis der Hauptstadt zum Rest des Territoriums, und im Verhältnis zu den drei Ständen, »müsse der Staat wie ein Gebäude sein«162 , wie es bei Le Maitre heißt, d.h. indem z.B. alle Straßen des Reiches auf sie zulaufen, oder von ihrem Zentrum her das Reich organisiert wird. In ihr konzentrieren sich verschiedene zentrale Funktionen und es müsse eine ästhetische und symbolische Beziehung geben, wie Foucault an Le Maitres Utopie der Metropoliteé aus der Mitte des 17. Jahrhundert erläutert.163 Noch im 17. Jahrhundert war die Stadt oft durch das Prinzip der Einschließung, durch einen ummauerten und befestigten Raum innerhalb von Stadtmauern geprägt. Aber die Entwicklung des Handels und des ökonomischen Austauschs machte dieses Eingeschlossensein zu einem Problem. Es stellten sich neue Probleme für die Stadtplanung. Die Öffnung der Stadtmauern wurde nötig. Die Stadt musste in einem »Zirkulationsraum« neu platziert werden.164 162 | Foucault 2004a, S. 30. 163 | Ebd., S. 30/31. 164 | Ebd., S. 29.

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Das Problem der Zirkulation stellte sich in verschiedener Weise, in Bezug auf die Zirkulation von Gütern, Menschen, oder sogar Krankheitserregern. Denn mit dieser Öffnung und dem Wegfall der Festungsmauern stieg die Unsicherheit in den Städten. Die Zirkulation, die Bewegung von »ziehendem Volk, von Bettlern, Vagabunden, Delinquenten, Kriminellen, die in die Stadt drängen«, musste nun reguliert werden. Es ging nun darum, »die Zirkulation zu organisieren, das was daran gefährlich war, zu eliminieren, eine Aufteilung zwischen guter und schlechter Zirkulation vorzunehmen […] und die gute zu maximieren«.165 Die Disziplin dagegen erschloß die Stadt nach innen und gestaltete einen »leeren, künstlichen Raum«166 durch die Anlage von Häusern und Straßen, oft in Feldlagerform, oder ausgehend von einem Karree, einem Rechteck und einer militärischen, hierarchischen Logik folgend, wie Foucault anhand von künstlich entstandenen Städten wie Kristiania (heute Oslo), Göteborg und der Festungsstadt Richelieu zeigt. »Die Disziplin gehört zur Ordnung des Bauwerks, des Bauwerks im weiteren Sinne.«167 Die Raumanlagen folgen einem Schema, in dem man »genau die Disziplinarbehandlung der Multiplizitäten im Raum wieder findet, […] einen leeren und geschlossenen Raum, in dessen Innerem künstliche Multiplizitäten errichtet werden, die nach dem dreifachen Prinzip der Hierarchisierung, der exakten Verbindung der Machtverhältnisse und der für diese Verteilung spezifischen funktionalen Einflüsse organisiert sind z.B. (zur) Sicherstellung des Handels und des Wohnens«.168

Die Logik der Sicherheit organisiert dagegen das neue Problem der Zirkulation, der Offenheit der Stadt für den Handel in anderer Weise und stützt sich dabei auf die vorhandenen materiellen Gegebenheiten. Es geht nun darum, die vorher geschlossene Stadt zu öffnen, Achsen durch die Stadt zu schlagen, es galt, die Hygiene zu sichern, den Binnenhandel mit der Stadt sicherzustellen, das Straßennetz mit der Umgebung zu verbinden und die Überwachung des Handels zu ermöglichen (z.B. zur Zollkontrolle). Es sollten also die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt berücksichtigt und gefördert werden.169 Das Sicherheitsdispositiv rechnet mit dem Problem des Ereignisses, also mit Wahrscheinlichkeiten und mit unbegrenzten Serien von Ereignissen und Einheiten. Dazu zählen die Häuser mit ihren Einwohnern und deren Zuzügen und Wegzügen, mit ihren möglichen und wahrscheinlichen Krankheiten und 165 | 166 | 167 | 168 | 169 |

Ebd., S. 37. Ebd., S. 38. Ebd., S. 35. Ebd., S. 35. Vgl. ebd., S. 36/37.

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deren Ausbreitung. »Der Sicherheitsraum verweist auf eine Serie möglicher Ereignisse, er verweist auf das Zeitliche und das Aleatorische«, die in einen Raum eingeschrieben werden und in einem transformierbaren Rahmen reguliert werden müssen.170 Die Sicherheitsdispositive bearbeiten den Raum und das Milieu, in dem sich Serien von aleatorischen Elementen ereignen. Sie bearbeiten ein Milieu, in dem die Zirkulation zustande kommt, ein Ensemble von natürlichen Gegebenheiten, eine Ansammlung von Individuen und Häusern. Sie sollen also eine Bevölkerung erreichen, eine Vielheit von Individuen, die nur als Teil der biologischen Art existieren.171 Foucault diskutiert das Verhältnis der Regierung zum Problem des kontingenten Ereignisses am Beispiel des Nahrungsmangels. Das was es im juridischdisziplinarischen System zu vermeiden galt (eine Hungersnot) wird nun nicht mehr als Übel betrachtet, sondern einfach als ein Phänomen, das weder als gut noch schlecht bewertet werden muss, sondern mit dem umgegangen werden muss.172 Der Heimsuchungscharakter von Hungersnöten löst sich auf, sie werden einfach als Tatsache gesehen. Die Knappheit, die Individuen sterben lässt, verschwindet nicht und darf nicht verschwinden. Die Schwankungen müssen ausgeglichen werden, aber der Nahrungsmangel muss nicht komplett verhindert werden. Im Übergang vom merkantilistischen System der ökonomischen Wirtschaftsführung, wie es vom Beginn des 17. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts vorherrschend war, zu den Physiokraten vollzieht sich dieser Wandel im Umgang mit Nahrungsknappheiten. Im juridischen und disziplinarischen System des Merkantilismus ging es um ein Verordnungssystem, um Nahrungsmangel zu verhindern: Maßnahmen wie Preisbeschränkung, Beschränkung der Lagerung, Verbot des Hortens, Verpflichtung, Getreide anzubauen, konnten aber unerwünschte Effekte nicht verhindern, denn die Tendenz zu niedrigen Preisen und geringe Profite führten zu geringeren Aussaaten und wieder zu Verknappungen.173 Demgegenüber plädierten die Physiokraten für die Freiheit des Handels und insbesondere die Freiheit des Kornumlaufs, der eine bessere Profitquelle und ein besserer Sicherheitsmechanismus gegen Nahrungsmangel sei, wobei sie sich am englischen Modell von 1689 orientierten, das die Freiheit des Kornhandels vorschrieb und durch Exportfreiheit und den Erlaß von Importsteuern, den Getreidepreis regulierte. In Folge von langen Diskussionen

170 | Ebd., S. 40. 171 | Vgl. ebd., S. 41. 172 | Vgl. Demirovic, Alex: »Liberale Freiheit und das Sicherheitsdispositiv«, in: Meyer, Katrin/Purtschert, Patricia/Winter, Yves (Hg.): Gouvernementalität und Sicherheit, Frankfurt/M 2008, S. 241, und Foucault 2004a, S. 58. 173 | Vgl. Foucault 2004a, S. 55/56.

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zwischen Physiokraten und Vertretern des alten juridisch-disziplinarischen Systems wird 1764 in Frankreich die Freiheit des Kornumlaufs eingeführt. Für Foucault liegt in diesem Ereignis »eine Art Scharnierstelle im ökonomischen Denken jener Zeit«.174 Es wird nun an der Freiheit des Handels und an der Produktion angesetzt. Die Einheit der Analyse ist nicht nur der Markt, sondern »die Realität des Korns«, wie Foucault sagt, die »›Geschichte des Korns […]‹ mit all dem was ihm geschehen kann, den Schwankungen von Knappheit und Überfluss und unvorhergesehenen Ereignissen wie Missernten«.175 Es wird nun von den Physiokraten und den Theoretikern der Ökonomie des 18.Jahrhunderts ein neues Dispositiv durchgesetzt, das an den Wirklichkeiten dieser Schwankungen ansetzt, sie ausgleicht, bremst und einschränkt: »Anders gesagt, es ist ein Arbeiten im Element dieser Wirklichkeit selbst, welche die Schwankung (zwischen) Überfluß-Knappheit ausmacht, […] dass ein Dispositiv installiert wird, dass vor allem ein Sicherheitsdispositiv ist.«176 Man versucht den Phänomenen nicht länger Normen aufzuzwingen, oder den Nahrungsmangel ganz zu verhindern, denn die Knappheit kann auf ökonomische Kreisläufe auch anregend wirken. Es werden nun zwei Ebenen unterschieden: die Ebene des Regierungshandelns und der Bevölkerung und die Multiziplität der Individuen. Die Regierung zielt auf das Objekt der Bevölkerung, die Bevölkerung wird als neues kollektives Subjekt konstituiert, aber die Vielheit der Individuen, die Serien von Individuen sind nicht als Zielobjekt relevant, sondern als Instrument, um auf der Ebene der Bevölkerung etwas durchzusetzen.177 Die Sicherheitsdispositive sind also für Foucault eine weitere Machttechnologie. Das Sicherheitsdispositiv rechnet mit dem Ereignis, wie z.B. der Straftat, berechnet die Wahrscheinlichkeiten ihres Eintretens und ihre mittlere Rate. Die Kosten der Kriminalität werden mit den Kosten der Strafverfolgung abgewogen. Die Macht orientiert sich an statistischen Normalitätserwartungen, die die Grenzen des Akzeptablen festlegen und stützt sich auf ein Kalkül, das die Kosten der Machtanwendung einbezieht.178 Die Sicherheitstechnologie ist also nicht gleichzusetzen mit einer Law-and-Order-Orientierung oder dem autoritären Staat, sondern ist mit einem allgemeinen Laisser-faire verbunden. Die Sicherheit operiert mit der Freiheit, schliesst sie nicht aus, sie kann sich nur vollziehen, in dem sie sich auf die Freiheit eines jeden stützt. »Auf eine bestimmte Weise ist die Freiheit nur das Korrelat der Einsetzung von Sicherheitsdispositiven. Ein Sicherheitsdispositiv […] kann nur unter der 174 | Ebd., S. 61. 175 | Ebd., S. 62. 176 | Ebd., S. 63. 177 | Vgl. ebd., S. 68-70. 178 | Vgl. ebd., S. 18.

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Bedingung gut funktionieren, dass man ihm etwas verleiht, nämlich die Freiheit im modernen Sinn«179 (im Sinne von Zirkulationsfreiheit von Menschen und Dingen). Die Freiheit ist also nicht »das Andere der Sicherheit, die Freiheit wird aber auch nicht auf Sicherheit reduziert, sondern als ›Widerlager‹ betrachtet«.180 Freiheit ist eine der Dimensionen der Einsetzung von Sicherheitsdispositiven, deren Wahrscheinlichkeiten berechnet werden können. Aus der Sicht der Machttechnologie geht es um die Streuung und Normalverteilung von Ereignissen, um die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten und nicht um normative Aspekte der Freiheit. Auch im weiteren Verlauf der Vorlesungen von Foucault über Liberalismus und Neoliberalismus geht es um das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit, in dem sich die liberale Gouvernementalität bewegt. Freiheit sei immer ein aktuelles Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten, Freiheit sei immer konkret und keine Universalie, die sich fortschreitend verwirkliche.181 Freiheit sei im Liberalismus nichts Gegebenes, sondern müsse in jedem Augenblick hergestellt werden. Aber die Herstellung der Freiheit hat einen Preis, dieser Preis ist die Sicherheit. Das kollektive Interesse muss vor den individuellen Interessen geschützt werden, umgekehrt muss das individuelle Interesse vor kollektiven Beeinträchtigungen geschützt werden. Sicherheitsstrategien sind die Kehrseite und Bedingung des Liberalismus. »Das Wechselspiel der Freiheit und der Sicherheit stehen im Zentrum jener neuen gouvernementalen Vernunft, deren allgemeine Merkmale ich ihnen genannt habe. Freiheit und Sicherheit werden gewissermaßen von innen die Probleme dessen antreiben, was ich die Ökonomie der Macht nennen werde, die dem Liberalismus eigentümlich ist.«182

In die Bedingungen der Freiheit müssen Mechanismen der Sicherheit eingebaut werden. Damit geht eine Kultur der Angst einher, welche die ständige Gefahr beschwört und Anlass für Sicherheitsmaßnahmen gibt. »Überall sieht man diese Aufstachelung der Angst vor der Gefahr, die gewissermaßen die Bedingung, das psychologische und innere kulturelle Korrelat des Liberalismus ist.«183 Neben die Freiheit tritt die Ausweitung der Verfahren der Kontrolle und des Zwangs. Freiheit und Disziplinartechniken sind oft miteinander verknüpft. Mechanismen der Kontrolle sollen ein Mehr an Freiheit durch ein Mehr an Kontrolle und Intervention einführen. Freiheit und Sicherheit sind Elemente der liberalen Regierung, die ständig von neuem angereizt, erzeugt und ausbalan179 | Ebd., S. 78. 180 | So erläutert es Demirovic 2008, S. 243. 181 | Vgl. Foucault 2004b, S. 96/97. 182 | Ebd., S. 100. 183 | Ebd., S. 102.

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ciert werden müssen. Beide schreiben sich in eine Normalitätskurve ein, die die liberale Regierung der Gesellschaft erzeugen, stabilisieren und erhalten will. Daher sind Lesarten und Interpretationen des Neoliberalismus (auch von Seiten der Gouvernementalitätsstudien) als bloßer Rückzug des Staates, als ein bloßes mehr an Marktfreiheit, ein mehr an Individualisierung, oder der Gegensatz von repressivem Sicherheitsstaat oder neoliberal geschrumpften Staat viel zu verkürzt gedacht: Beides, ein spezifisches Mischungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit macht den Liberalismus aus. Die Freiheit des liberalen Bürgers erscheint in der Tradition der liberalen Gouvernementalität immer schon als bedroht und prekär und muss gegen die Gefahren der Kriminalität und gegen als ›gefährlich‹ angesehene Klassen verteidigt werden. Dies wird unter anderem in den historischen Darstellungen der Diskurse um Armut, soziale Ausgrenzung und Gefahr bei Foucault und bei Foucault-Schülern wie Castel, Pasquino und Donzelot deutlich herausgearbeitet.184 Betrachtet man nun das Feld der lokalen Sozial- und Arbeitspolitik der Gegenwart aus dem Blickwinkel der Foucault’schen Machtanalytik, zeigen sich ebenfalls widersprüchliche Tendenzen und Logiken. Wenn die moderne liberale Gouvernementalität seit dem 18. Jahrhundert, wie sie Foucault beschreibt, immer von einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit durchzogen ist, das immer wieder neu austariert und erst hergestellt werden muss, so zeigt sich dieses Verhältnis auch im umkämpften Feld der Regulierung des Sozialen und der Arbeitspolitik auf lokaler, städtischer Ebene. An einem Pol finden sich an einer Logik liberaler Regierungsrationalität orientierte Elemente, wie das Ziel der Aktivierung der Bewohner zur Eigenverantwortung und Empowermentprogramme, die dies fördern sollen und in die das individualistische und rationale Bild des homo oeconomicus einerseits und das des liberalen Citoyen andererseits einfließen. Am anderen Pol des Spektrums finden sich eher noch einer Souveränitäts-Logik folgende, autoritär-repressive oder zumindest disziplinierende Regierungstechnologien, die zur Ausgrenzung von marginalisierten oder als zu ›gefährliche Gruppen‹ konstruierten Subjekten wie soziale Randgruppen, Obdachlose usw. verwendet werden oder als Zwangsmaßnahmen für Arbeitslose und Ein-Euro-Jobber wirksam werden. Diese Technologien und konkreten Praktiken bewegen sich also in einem Spektrum zwischen liberaler ökonomischer Rationalität und Sicherheitsdispositiven einerseits und Disziplinar-Technologien andererseits. 184 | Vgl. z.B. die Aufsätze der genannten Autoren in den Sammelbänden von Gordon 1991 und Barry/Osborne u.a. 1996. Da es hier aber mehr um eine Anwendung der Gouvernementalitätsansatzes auf aktuelle politische Probleme geht und nicht so sehr um eine Genealogie, wird auf deren Darstellungen nicht ausführlicher eingegangen.

3. Macht und Regierung bei Foucault

Auf der einen Seite das Freiheitsversprechen einer liberalen kapitalistischen Ökonomie und Gesellschaft, die am Integrationsversprechen in den Arbeitsmarkt festhält, wenn sich die Menschen nur genügend anstrengen, sich als aktives und eigenverantwortliches Subjekt zu bewähren. Auf der anderen Seite die Herstellung von Sicherheit durch repressive Regierungstechnologien, für solche Gruppen, die als nicht mehr integrierbar gelten, weil der Grad ihres anormalen Verhaltens bestimmte Grenzwerte überschreitet. Hierin zeigt sich die an einer ›normalisierenden‹ Biomacht orientierte liberale Rationalität, die einen ökonomisch produktiven Bevölkerungskörper anstrebt und daher eine soziale Mischung in einem bestimmten räumlich konstruierten Gebiet erhalten oder herstellen will, um dieses Gebiet und seine Bevölkerung noch als nützlich in die liberale Gesellschaft integrieren zu können.

3.4 F OUCAULTS A NALYSEN ZUM L IBER ALISMUS : O RDOLIBER ALISMUS UND N EOLIBER ALISMUS Neben der Geschichte des Frühliberalismus im 18. Jahrhundert behandelte Foucault in seinen Vorlesungen auch schon die verschiedenen neoliberalen Strömungen im 20. Jahrhundert, so in Westdeutschland, den USA und Frankreich und erschließt damit Analysekategorien und Themen, an die die Govermentality Studies anknüpfen. Demnach war für die westdeutsche Schule des sog. Ordoliberalismus der Markt nicht ein quasi-natürlicher Zustand. Aus ihrer Sicht müsse die Regierung ihn durch ihre Politik erst fördern, bzw. ermöglichen. Die Exzesse totalitärer Politik im 20. Jahrhundert seien nicht so sehr durch die Widersprüche des Kapitalismus beeinflußt als durch ein Fehlen von Marktwirtschaft bedingt. Die Ordoliberalen sind die Vertreter des westdeutschen Nachkriegsliberalismus, die schon Ende der 20er Jahre der sog. »Freiburger Schule« angehörten und in der Zeitschrift »Ordo« publizierten. Zu ihnen zählten Wilhelm Röpke, Walter Eucken, Alexander Rüstow, Alfred Müller-Armack und andere. Diese Ordoliberalen wirkten nach dem 2.Weltkrieg an der Gestaltung der ›Sozialen Marktwirtschaft‹ in der Bundesrepublik mit.185 Die Ordoliberalen wollten die ökonomische Rationalität neu definieren, um die soziale Irrationalität im Kapitalismus zu verhindern. Der Markt ist im ordoliberalen Denken keine natürliche Realität, sondern kann nur durch politische Interventionen geschaffen und erhalten werden. Marktmechanismen müssen von Regierungspraktiken produziert werden. Für die Ordoliberalen war die Hauptaufgabe in der Sozialpolitik nicht so sehr, wie man durch sie die Aus185 | Vgl. Foucault 2004b, Vorlesung 4 -7 und Gordon 1991 S. 41, Lemke 1997, S. 242-246.

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wirkungen der Marktwirtschaft mildern könne, sondern wie man dabei AntiWettbewerbseffekte vermeiden könne. Um Wettbewerb zu ermöglichen, sei eine entsprechende institutionelle und rechtliche Struktur nötig, die von der Regierung geschaffen werden müsse. Man müsse von der Marktwirtschaft fordern, so die Ordoliberalen, »dass sie nicht das Prinzip der Begrenzung des Staats sein soll, sondern das Prinzip der inneren Regelung seiner ganzen Existenz und seines ganzen Handelns«.[…] »Mit anderen Worten, anstatt eine Freiheit des Marktes zu akzeptieren, die durch den Staat definiert und in gewisser Weise unter staatlicher Aufsicht aufrechterhalten wird […] muss man die Formel umdrehen und die Freiheit des Marktes als Organisations- und Regulationsprinzip einrichten.«186

Damit verabschieden sie sich von einem Grundprinzip des klassischen Liberalismus, dem Laissez-faire. Der Wettbewerb, der nun anstelle des Tausches die Vorstellung vom Markt bestimmt und dominiert, stellt sich keineswegs spontan ein, wenn der Staat den Marktmechanismen nur freien Lauf lässt. Eine institutionalistische Konzeption von Ökonomie tritt an die Stelle einer naturalistischen.187 »Der reine Wettbewerb soll und kann nur ein Ziel sein, das folglich eine äußerst aktive Politik verlangt.«188 Der Markt schafft aus sich heraus gerade keine prästabilierte Harmonie, sondern bedarf selbst fortwährender Stabilisierung, er fungiert nicht aus sich heraus als jene »moralische Korrektionsanstalt«, als die ihn die Vertreter des klassischen Liberalismus sahen, sondern muss laufend selbst korrigiert werden.189 »Die Regierung muß die Marktwirtschaft von vorne bis hinten begleiten […]. Man soll für den Markt regieren, anstatt auf Veranlassung des Marktes regieren.«190 Dieser Interventionismus soll nicht antisoziale Effekte des Wettbewerbs kompensieren, sondern die diesen störenden Mechanismen beseitigen, er soll die gesellschaftliche Bedingung der Möglichkeit von Markt-wirtschaft darstellen: »Handeln wir so, dass die Institutionen eine solche Form annehmen, dass die Gesetze des Marktes und sie allein, das Prinzip der allgemeinen wirtschaftlichen Regulation darstellen und folglich das Prinzip der gesellschaftlichen Regulation«, lautet der Imperativ dieses Interventionismus.191 Die öffentliche Gewalt dürfe keinesfalls die Kontrolle über den Wirtschaftsprozess anstreben, sie hat vielmehr ausschließlich einen formalen Rahmen bereitzustellen, in dem die 186 | Foucault 2004b, S. 168. 187 | Lemke 1997, S. 245. 188 | Foucault 2004b, S. 173. 189 | Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst, Frankfurt/M 2007, S. 82. 190 | Foucault 2004b, S. 174. 191 | Ebd., S. 235.

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ökonomischen Akteure ihre individuellen Ziele möglichst umfassend verfolgen können. Die ordoliberale Wirtschaftspolitik definiert sich als das Gegenteil von Planwirtschaft: Nicht Steuerung der gesellschaftlichen Ressourcen im Hinblick auf welches Ziel auch immer, sondern Festlegung von Spielregeln, unter denen sich die Wettbewerbsordnung optimal entfalten kann. Gesichert werden soll diese vor allem gegen die Ausnutzung von Monopolpositionen: »Die erste und wesentlichste jener institutionellen Bedingungen, denen das Wirken des Marktmechanismus unterliegt, ist die Ausschaltung jeder Behinderungskonkurrenz und die strenge Beschränkung der Marktfreiheit auf reine Leistungskonkurrenz«, heißt es bei von Rüstow.192 Das Recht dient in dieser Konzeption nicht mehr nur der Beschränkung des Staates, sondern der Förderung des Wettbewerbs der Unternehmen, mit der Unternehmensform als generellem Funktionsprinzip, das sich in der Gesellschaft ausweiten soll.193 Dem Neoliberalismus in seiner deutschen Variante schwebt nicht so sehr eine Gesellschaft des Warentauschs vor als vielmehr eine der Konkurrenz, »eine Unternehmensgesellschaft«. Nicht so sehr Kommodifizierung aller Lebensbereiche, sondern die Ausweitung des Wettbewerbs lautet das Ziel. Statt als Tauschpartner sollen sich die Wirtschaftssubjekte als konkurrierende Unternehmer gegenübertreten. Die ordoliberalen Regulationsanstrengungen zielten darauf, »die Unternehmensformen, die gerade nicht […] in Form von Großunternehmen etc. […] konzentriert sein sollen, zu verallgemeinern, indem man sie so weit wie möglich verbreitet und vervielfacht«.194 Ein Vertreter der Ordoliberalen, Alexander von Rüstow, schlug sogar vor, dass das gesamte individuelle Leben nach den Prinzipien eines Unternehmens strukturiert sein sollte: Die Beziehung einer Person zu sich selbst, die Familie, der Beruf, das persönliche Eigentum. Die Individuen sollen sich eingebettet finden in eine »Vielheit verschiedener verschachtelter und miteinander verschränkter Unternehmungen […] von Unternehmungen, die für das Individuum gewissermaßen in Reichweite sind, damit die Handlungen des Individuums […] bedeutsame und wahrnehmbare Wirkungen haben können«.195 Es handele sich darum, »den Schwerpunkt des Regierungshandelns nach unten zu verlegen«.196 Die meisten Ordoliberalen aber sehen zwar im Wettbewerb das bestmögliche Ordnungsprinzip für die Sphäre der Ökonomie, aber eben nur für diese. Es brauche kompensatorische Ordnungen in anderen Bereichen des Sozialen.

192 193 194 195 196

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Vgl. ebd., S. 241ff. Vgl. Gordon 1991, S. 42. Foucault 2004b, S. 210. Ebd., S. 333f. Ebd., S. 210.

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»Wir denken nicht daran, von der Konkurrenz mehr zu verlangen, als sie leisten kann«, so Röpke. »Sie ist ein Ordnungs- und Steuerungsprinzip im engeren Bereich der arbeitsteiligen Marktwirtschaft, aber kein Prinzip, auf dem man eine Gesellschaft als Ganze aufbauen könnte. Wenn die Konkurrenz nicht als soziales Sprengmittel wirken und zugleich nicht selbst entarten soll, setzt sie eine umso stärkere Integration außerhalb der Wirtschaft voraus.«197

Die Konkurrenz setzt für die Ordoliberalen also noch einen »um so kräftigeren politisch-moralischen Rahmen« voraus.198 Diese politisch-moralischen Hemmungen werden die US-amerikanischen Neoliberalen bald ablegen. Während die deutschen Ordoliberalen noch von der Idee einer ›Sozialen Marktwirtschaft‹ ausgingen, einem Markt, der von politischen Regulierungen und sozialen Interventionen eingerahmt wird, geht die amerikanische ChicagoSchool des Neoliberalismus noch weiter und fordert eine Umschreibung des Sozialen zu einer Form des Ökonomischen. In Foucaults Sicht besteht der Ansatz der Chicagoer Schule in der konsequenten Ausweitung der ökonomischen Form auf das Soziale. Die Differenz zwischen Ökonomie und Sozialem wird eliminiert und das Soziale als eine Form des Ökonomischen neu definiert. Die Ökonomie ist jetzt nicht mehr ein gesellschaftlicher Bereich unter mehreren, sondern umfaßt die Gesamtheit menschlichen Verhaltens. Die Generalisierung der ökonomischen Form ist nach Foucault einerseits ein Analyseprinzip des neoliberalen Denkens und besitzt zweitens programmatischen Charakter, indem es das Regierungshandeln anhand von Marktbegriffen beurteilt. Der Markt ist nicht mehr ein Prinzip der Selbstbegrenzung der Regierung, sondern »eine Art permanentes ökonomisches Tribunal« vor dem sich alles Handeln zu verantworten hat.199 Drei große Felder und Aspekte bilden nach Foucault die Zielscheibe der Kritik für die Vertreter des amerikanischen Neoliberalismus und bestimmen das Umfeld und das Feld der Gegnerschaft, gegen die sie sich abgrenzen: (1) Die keynesianische Politik des New Deal, (2) der Beveridge-Plan in Großbritannien (beides Projekte eines wirtschaftlichen und sozialen Interventionismus während des Zweiten Weltkriegs, die Foucault als eine Art »sozialen Kriegspakt« bezeichnet, mit dem die Zustimmung zum Krieg mit einem Sozial- und Sicherheitspakt erkauft wurde). (3) Außerdem nennt er als Beispiel das Wachstum der Bundesverwaltung durch die Wirtschafts- und Sozialprogramme

197 | Röpke, Wilhelm: Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart, Erlenbach/Zürich 1945 zit. bei Foucault 2004b, S. 362. 198 | Ebd., S. 362. 199 | Lemke 1997, S. 249, Foucault 2004b, S. 342.

3. Macht und Regierung bei Foucault

unter den Präsidenten Truman und Johnson in den USA während der 50er und 60er Jahre.200 Neben ähnlichen Ausgangspunkten gebe es jedoch auch massive Unterschiede zwischen dem Neoliberalismus amerikanischer Art und europäischer Art: Der amerikanische Liberalismus war historisch nicht ein mäßigendes Prinzip gegenüber einer schon bestehenden Staatsräson, sondern war ein staatsgründendes und legitimierendes Prinzip. »Das Erfordernis des Liberalismus begründet den Staat.«201 Der US-amerikanische Liberalismus stand über 200 Jahre immer im Zentrum politischer Debatten, sei es in der Wirtschaftspolitik, bei der Frage des Protektionismus oder der Sklaverei. Die Zweideutigkeit des amerikanischen Liberalismus liege darin, dass er vom rechten Lager wie von links (als Kritik an einem imperialistischen Staat) umgesetzt wurde. Der Liberalismus Amerikas werde nicht nur von Regierenden umgesetzt, sondern sei eine ganze Seins- und Denkweise, er sei eher eine Art der Beziehung zwischen Regierenden und Regierten als eine Technik der Regierenden gegenüber den Regierten. Diesen Liberalismus kennzeichnet Foucault als eine Denkmethode, die ein ökonomisches und soziologisches Analyseraster beinhaltet.202

3.4.1 Das Humankapital Foucault betrachtet vor allem zwei Elemente, zwei Analysemethoden des Neoliberalismus, die die radikale Ausweitung des ökonomischen Prinzips deutlich machen: • Die Theorie des Humankapitals • Die Analyse der Kriminalität, bzw. der Delinquenz Beim Konzept des Humankapitals geht es um den Vorstoß der ökonomischen Analyse auf ein bisher unerforschtes Gebiet und um die Ausweitung der ökonomischen Interpretation auf einen ganzen Bereich, der bisher als nicht-ökonomisch galt. Die Ökonomen der Chicago-School dehnen die Wettbewerbslogik weiter aus und radikalisieren sie zu einem allgemeinen Beschreibungsmodell menschlichen Handelns. Die Humankapitaltheorie tritt mit dem Anspruch universeller Gültigkeit auf, ihre Erklärungen sollen das gesamte Handeln der Menschen beschreiben können.

200 | Vgl. Foucault 2004b, S. 301/302. 201 | Ebd., S. 303. 202 | Ebd., S. 304.

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Die erkenntnistheoretische Veränderung der neoliberalen Analysen liegt in dem erweiterten Gegenstandsbereich, dem erweiterten Bezugsrahmen der ökonomischen Analysen. Bisher, z.B. bei Adam Smith, ging es um die Untersuchung der Produktionsmechanismen, der Tauschmechanismen und des Konsums innerhalb einer bestehenden Sozialstruktur und um die Wechselwirkungen dieser Mechanismen. Die neoliberalen Ökonomen wie Gary Becker äußern nun den Vorwurf an die klassische Ökonomie, sie habe nie wirklich den Faktor Arbeit analysiert, sondern nur Kapital und Zeit und fordern eine Ausweitung auf den Faktor Arbeit. Die Neoliberalen sagen nun, die ökonomische Analyse solle generell die Untersuchung der Natur sein, der Art und Weise wie knappe Ressourcen auf konkurrierende Zwecke verteilt werden. Die Ökonomie gilt ihnen als Wissenschaft und Analyse menschlichen Verhaltens (unter Bedingungen knapper Ressourcen) und der inneren Rationalität dieses Verhaltens und der strategischen Planung der Handlung von Individuen.203 Die veränderte Frage bezüglich der Rolle des Arbeiters lautet nun: Wie setzt der Arbeiter die Ressourcen ein, über die er verfügt? Die Arbeit wird als ökonomisches Verhalten behandelt, der Arbeiter nicht mehr als Objekt, sondern als reines und aktives Wirtschaftssubjekt. Das Arbeitseinkommen erscheint nun als Ertrag eines Kapitals, dieses ist definiert als »die Gesamtheit aller physischen und psychologischen Faktoren, die jemanden in die Lage versetzen, einen Lohn zu verdienen«.204 Das Kapital wird untrennbar von der Person, die es besitzt, es wird zum Humankapital und der Arbeiter erscheint als eine Art von Unternehmen, denn »das Grundelement der Analyse der Gesellschaft soll die Unternehmenseinheit sein«.205 Der Neoliberalismus erscheint als Rückkehr zum Prinzip des homo oeconomicus, aber dieser Typus wird nicht mehr nur als Tauschpartner verstanden, wie im klassischen Liberalismus, sondern wird jetzt homo oeconomicus im Sinne eines Unternehmers seiner selbst, »der für sich selbst sein eigenes Kapital, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle ist«.206 Eine weitere theoretische Innovation liegt darin, dass die Humankapitaltheorie auch den Konsum als unternehmerische Aktivität auffasst. Sie sieht im Konsumenten nicht nur einen passiven Verbraucher, sondern auch einen aktiven Produzenten. Diese Ökonomisierung nicht nur der Arbeits- sondern auch der Konsumzeit ist der entscheidende Hebel, mit dem es der Humankapitaltheorie gelingt, das gesamte Spektrum menschlicher Aktivitäten in ihre Analysen einzubeziehen. Das Individuum erscheint hier als ökonomische Institution, deren Bestand wie 203 204 205 206

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Vgl. ebd., S. 309/310. Ebd., S. 312. Ebd., S. 313. Ebd., S. 314.

3. Macht und Regierung bei Foucault

bei einem Unternehmen von einer Vielzahl von Wahlhandlungen abhängt. Der Mensch der Humankapitaltheorie ist vor allem ein Mensch, der sich unentwegt entscheidet. Der Mensch erscheint hier als Rational-Choice-Akteur, der ständig mit der Allokation knapper Mittel zur Verfolgung konkurrierender Ziele beschäftigt ist. »Alles Handeln stellt demnach eine Wahl zwischen mehr oder weniger attraktiv empfundenen Alternativen dar«, so Becker. Becker geht von der Existenz von Märkten aus, »die mit wechselnder Effizienz die Handlungen der verschiedenen Beteiligten […] so koordinieren, dass sie miteinander in Einklang gebracht werden«.207 Die Humankapitaltheorie fasst den Menschen als Homo oeconomicus und fasst ihn nur insofern, als er sich entsprechend verhält. »Die Annahme, Menschen verhielten sich so, als ob sie rational seien, enthält keine Aussage über die Realität, sondern formuliert ein Analyseschema, das die Generierung von Aussagen über die Realität anleitet.«208 Dieses Rationalitätsschema ermöglicht zugleich den gouvernementalen Zugriff. Als Mensch, der sich unentwegt entscheidet, ist der Homo oeconomicus deshalb auch ein Mensch, »der in eminenter Weise regierbar ist«.209 »Der ökonomische Ansatz identifiziert die Menschen immer schon als jene nutzenmaximierende Marktsubjekte, zu denen sie erst gemacht werden und sich selbst machen sollen.«210 Das Humankapital bestehe aus angeborenen und erworbenen Elementen. Als Beispiel dient Foucault die Rolle der Genetik. Auch das politische Problem der Genetik stellt sich in Begriffen der Verbesserung des Humankapitals.211 Zum erworbenen Humankapital zählen Bildungsinvestitionen und selbst die Eltern-Kind-Beziehung gilt als Investition in Humankapital. Die Zeit, die Eltern der Zuwendung des Kindes widmen, wird als Investition in dessen Humankapital gesehen: »Man weiß genau, dass die Zahl von Stunden, die eine Mutter mit ihrem Kind verbringt, sehr wichtig für die Bildung einer Kompetenzmaschine sein wird […] und dass das Kind viel besser angepasst sein wird, wenn seine Eltern ihm viele Stunden gewidmet haben, als wenn sie ihm viel weniger gewidmet hätten. Das bedeutet, dass die bloße Zeit der Fütterung, die bloße Zeit der Zuwendung der Eltern zu ihren Kindern als Investition betrachtet werden muß, die in der Lage ist, ein Humankapital zu bilden.« 212

207 | Becker, Gary: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Tübingen 1982, S. 3-5, zit.nach Bröckling 2007, S. 89. 208 | Bröckling 2007, S. 90. 209 | Foucault 2004b, S. 372. 210 | Bröckling 2007, S. 90. 211 | Vgl. Foucault 2004b, S. 317/318. 212 | Vgl. ebd., S. 319.

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Die Individuen sind in dieser Sicht »Kompetenzmaschinen«, resümiert Foucault Beckers Vorstellungen von Bildung als Humankapitalinvestition und diese Maschinen wollen umsichtig entwickelt und kontinuierlich auf die Marktanforderungen hin adjustiert werden, womit gar nicht früh genug begonnen werden kann. Auch die biopolitische Dimension der neoliberalen Gouvernementalität wird an dieser Stelle sichtbar, denn Foucault verweist auch schon auf die Probleme der Kopplung von Gendiagnostik und Ökonomisierung des Individuums. »Sobald eine Gesellschaft sich selbst die Frage nach der Verbesserung ihres Humankapitals stellt, ist es unmöglich, dass das Problem der Kontrolle, der Auswahl, der Verbesserung des Humankapitals der Individuen in Abhängigkeit von der Fortpflanzung nicht aufgeworfen oder zumindest nicht gefordert wird. Das politische Problem der Verwendung der Genetik stellt sich also in Begriffen der Konstitution, des Wachstums, der Akkumulation und der Verbesserung des Humankapitals.« 213

Die Humankapitaltheorie mit ihrem verallgemeinerten Prinzip der Nutzenmaximierung radikalisiert die politische Ökonomie gewissermaßen zu einer biopolitischen Ökonomie. Kennzeichnend für die Neoliberalen ist auch ein neuer Blick auf das Problem der Innovation: Schumpeter argumentierte noch, der tendenzielle Fall der Profitrate werde durch Innovation in Form der Investition in physisches Kapital ausgeglichen (Das Prinzip der »schöpferischen Zerstörung«, der Unternehmer gilt als Innovationsakteur). Für die Neoliberalen ist Innovation »der Ertrag eines bestimmten Kapitals nämlich des Humankapitals, d.h. die Gesamtheit der Investitionen, die man auf Ebene des Menschen gemacht hat«, Prinzipien der Wachstumspolitik sind nicht mehr nur an materieller Investition in physisches Kapital orientiert, sondern an Humankapital.214 Im weiteren Verlauf der Vorlesungsreihe stellt Foucault dar, wie es schon den deutschen Ordoliberalen um eine Verallgemeinerung der Unternehmensform auf das gesellschaftliche Gebiet ging und um die Anwendung des ökonomischen Rasters auf die Deutung von sozialen Phänomenen. Beim deutschen Ordoliberalismus wurde der Markt als Prinzip der ökonomischen Regelung beschrieben, der für die Preisbildung und den Ablauf des Wirtschaftsprozesses unverzichtbar ist. Die Aufgabe der Regierung bestand in der Einrichtung einer Gesellschaftspolitik, die sich an der Verfassung des Marktes orientierte, damit sich die Mechanismen des Marktes und des Wettbewerbs frei entfalten könnten. Diese Politik sollte die sozialen Prozesse berücksichtigen, um innerhalb dieser Prozesse Raum für den Marktmechanismus zu schaffen. Dies bedeute eine ten213 | Ebd., S. 318. 214 | Ebd., S. 322/323.

3. Macht und Regierung bei Foucault

denzielle »Verallgemeinerung der Unternehmensform innerhalb des sozialen Körpers«.215 Bei dieser Neuformierung der Gesellschaft nach dem Modell des Unternehmens, der Verallgemeinerung der Form des Unternehmens, wird das ökonomische Modell zum Modell für tendenziell »alle sozialen Beziehungen, zur Form der Beziehung des Individuums zu sich selbst«.216 Andererseits diente dies als Anlass für eine Revitalisierung moralischer und kultureller Werte als Gegengewicht zum »kalten« Markt, dies nannte Rüstow eine ›Vitalpolitik‹ als Ausgleich für das ›kalte‹, gefühllose Funktionieren des Marktes.217 Der Wettbewerb sei zwar ein Ordnungsprinzip für die Marktwirtschaft, »aber kein Prinzip, auf dem man die ganze Gesellschaft aufbauen könnte. In moralischer und gesellschaftlicher Hinsicht ist der Wettbewerb eher ein auflösendes als ein vereinendes Prinzip«, so später auch Röpke.218 Sie (die Konkurrenz) setze vielmehr »einen um so kräftigeren moralischen und politischen Rahmen voraus«, der einen Staat umfasse, der in der Lage sein müsse, sich gegenüber konkurrierenden Gruppen und Unternehmen durchzusetzen und der den »Zusammenhalt der Gemeinschaft« gewährleisten könne, so Röpke.219 Im US-amerikanischen Neoliberalismus dagegen gehe es darum, die ökonomische Form des Marktes noch weiter zu verallgemeinern, im ganzen Gesellschaftskörper, und zwar unter zwei Aspekten: a. Die Verallgemeinerung der ökonomischen Form dient als Prinzip der Deutung sozialer Beziehungen und individueller Verhaltensweisen. Die Begriffe von Angebot und Nachfrage dienen als Schema, das man auf bisher nichtökonomische Bereiche anwendet.220 b. Das Ökonomische Raster soll eine Prüfung des Regierungshandelns und Bemessung seiner Gültigkeit ermöglichen. Eine ständige Kritik des politischen Handelns soll verankert werden, jede Handlung der öffentlichen Gewalt soll in Begriffen von Angebot und Nachfrage überprüfbar gemacht werden. Es geht nicht mehr um eine politische oder juridische Kritik, sondern eine ökonomische Kritik ist das Ziel. Ein Beispiel ist das American Enterprise Institute, an dem die Verbindung von neoliberaler und neokonservativer Ideologie in der Bush-Ära deutlich wird. Der Markt wird als 215 | Ebd., S. 333. 216 | Ebd., S. 334. 217 | Ebd., S. 335. 218 | Ebd., S. 335. 219 | Röpke 1945, S. 292, zit. n.: Foucault 2004b, S. 336. 220 | Vgl. Foucault 2004b, S. 336-340.

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Begründung zur Beschränkung der Regierung verwendet, das Marktgesetz ermögliche jede Regierungshandlung einzuschätzen. Die Form des Marktes wird zu einem Instrument, zu einem Werkzeug der Unterscheidung in der Debatte mit der Administration. Im klassischen Liberalismus verlangte man von der Regierung nur die Form des Marktes zu achten und die Marktteilnehmer handeln zu lassen. Nun werde das Laissez-faire umgekehrt und der Markt zu einem Prinzip, das man gegen die Regierung wendet. Der Markt wird als »ständiges ökonomisches Tribunal gegenüber der Regierung« installiert, um das Handeln der Regierung in streng ökonomischen Begriffen zu beurteilen.221 Diese Analyse anhand des ökonomischen Rasters wird nun sogar auf die Kriminalität bezogen, vor allem und am radikalsten von Becker.222 Während bei Bentham das Nutzenkalkül noch innerhalb einer juristischen Struktur verortet war, wird jetzt der Standpunkt verschoben, indem man sich auf den Standpunkt des Verbrechers stellt und ihn als individualistisch und rational-nutzenmaximierend ansieht. Ein Verbrechen ist demnach jede Handlung, die ein Individuum Gefahr laufen lässt, zu einer Strafe verurteilt zu werden, d.h. »man stellt sich auf den Standpunkt dessen, der ein Verbrechen begeht«.223 In dieser Definition sind Verbrechen Handlungen, von denen Handelnde einen Gewinn erwarten und die aber mit besonderem Risiko der Strafe behaftet sind, d.h. das Strafsystem muss auf ein Angebot von Verbrechen reagieren. Die Durchsetzung des Gesetzes erscheint in dieser Perspektive als »die Gesamtheit von Handlungsinstrumenten auf dem Markt des Verbrechens, die dem Angebot an Verbrechen eine negative Nachfrage entgegensetzt«.224 Diese Durchsetzung hat einen Preis (z.B. Investitionen in den Strafapparat), das völlige Verschwinden des Verbrechens kann daher anders als bei den Reformatoren des 18. Jahrhunderts nicht mehr das Ziel der Strafpolitik sein. »Die Strafpolitik hat als regulatives Prinzip die bloße Intervention auf dem Markt des Verbrechens und im Hinblick auf das Angebot an Verbrechen«.225 Die Gesellschaft wird so als Konsumentin von konformen Verhaltensweisen gesehen, aber sie hat kein unbegrenztes Bedürfnis nach Konformität, deswegen ist ein bestimmtes Maß an Verbrechen tolerierbar, die Frage ist dann, welches Maß an Verbrechen soll man dulden? Als Beispiel diente Becker der Drogenmarkt, wo die Nachfrage nach Drogen insofern unflexibel ist, weil süchtige Drogenkonsumenten jeden Preis zahlen. Bis in die 70er Jahre ging es in der Drogenpolitik darum, das Drogenangebot 221 | Vgl. ebd., S. 342. 222 | Vgl. ebd., S. 343-359. 223 | Vgl. ebd., S. 348. 224 | Vgl. ebd., S. 352. 225 | Ebd., S. 354.

3. Macht und Regierung bei Foucault

durch Verbote und Zerstörung der Netzwerke zu verringern und zu bekämpfen, aber der Preis der Drogen erhöhte sich trotzdem und begünstigte sogar ein Oligopol von Drogenhändlern. Außerdem stellte man fest, dass der Drogenkonsum und die Nachfrage der Drogenabhängigen unflexibel ist, denn der wirklich Drogenabhängige zahlt anders als der Gelegenheitskonsument jeden Preis, was zur Steigerung der Beschaffungskriminalität führt. Daher folgert die neoliberale Theorie aus diesem Misserfolg nun: man müsse die Drogen einerseits zugänglicher und billiger machen, aber gerade die Einstiegspreise so hoch wie möglich machen und so den Preis für NeukonsumentInnen von Drogen abschreckend wirken lassen (man trifft eine Unterscheidung zwischen Einstiegsdrogen und harten Drogen). Diejenigen dagegen, deren Konsum unflexibel ist, weil sie abhängig sind und ohnehin jeden Preis zahlen würden, sollten einen möglichst niedrigen Preis zahlen und so deren Beschaffungskriminalität minimiert werden. Die Nicht-Abhängigen sollen Drogen dagegen nur zu einem hohen Preis bekommen, Das Ziel ist nun also nicht mehr die generelle Abschaffung des Drogenkonsums, sondern der Drogenkonsum soll nur noch so wenig wie möglich zu Verbrechen führen.226 Die klassische Frage der neoliberalen Diskussion in den USA in den Jahren 1960-1970 ist: Inwieweit kann das Raster, das Modell und Schema des Homo oeconomicus allgemein auf jeden sozialen Akteur angewendet werden?227 Der Gegenstand der ökonomischen Analyse soll nicht nur jedes rationale Verhalten sein, das eine optimale Verteilung von beschränkten Ressourcen auf alternative Zwecke beinhaltet, sondern durchaus auch nicht-rationale Verhaltensweisen umfassen, »wenn das Verhalten in Bezug auf die Wirklichkeit nicht zufällig ist« (so meint Becker): »Jedes Verhalten, das auf systematische Weise den Veränderungen in den Variablen der Umgebung entspricht, soll der Zuständigkeit einer ökonomischen Analyse unterliegen können«, jedes Verhalten, »dass die Wirklichkeit akzeptiert«.228 Der Homo oeconomicus ist der Mensch, der seinen Interessen gehorcht. Vom Standpunkt der Regierung ist der Homo oeconomicus »der Mensch, den man nicht anrühren soll«, d.h. man lässt ihn handeln, er ist das Subjekt oder das Objekt des Laissez-faire. »Er ist der Partner einer Regierung, deren Regel das Laissez-faire ist.«229 Aber der Homo oeconomicus ist auch der Mensch, der regierbar ist. »Von einem unberührbaren Partner des laissez-faire ausgehend, erscheint der Homo oeconomicus nun als

226 | Vgl. ebd., S. 356/357. 227 | Vgl. Foucault 2004b, S. 368. Foucault nennt für diese Diskussion beispielsweise Ludwig von Mises Buch »Human action« (1971). 228 | Becker, Gary: The Economic Approach to Human Behavior, Chicago/London 1976, S. 167, zit. n. Foucault 2004b, S. 370. 229 | Ebd., S. 371.

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Korrelat einer Gouvernementalität, die auf die Umgebung Einfluss nehmen und systematisch die Variablen der Umgebung verändern wird.«230 Diese Geschichte des Homo oeconomicus als Partner, als ein Gegenüber, als Basiselement der neuen gouvernementalen Vernunft, wie sie sich im 18. Jahrhundert ausbildet, wird nun von Foucault nochmals bis zu den Anfängen zurückverfolgt. Diese ausführliche, nachvollziehende Darstellung der Gouvernementalitätsvorlesungen Foucaults diente dazu, die Besonderheiten der Foucaultschen Lesart des Neoliberalismus deutlich zu machen, die z.B. den häufig unterstellten scharfen Gegensatz zwischen angloamerikanischen Neoliberalismus und sozialer Marktwirtschaft dekonstruiert oder zumindest in Frage stellt. Außerdem sollte deutlich werden, dass im Konzept oder in der Perspektive der Gouvernementalität nicht nur das Ineinandergreifen der Regierungstechniken der Selbstführung und der Fremdführung angelegt ist, wie es manche GS-Forscher nahe legen, sondern vielmehr von einem Dreieck aus Souveränität, Disziplin (Kontrolle) und Sicherheitsdispositiven auszugehen ist, was als ein Ensemble strategischer Formationen die Regierung und Inklusion bzw. Exklusion von Bevölkerung reguliert. Dabei stehen die Machttypen nicht in einer linearen Abfolge, sondern es kann jeweils variable Arrangements zwischen den Machtformen der Souveränität, der Disziplin und der Sicherheitsdispositive geben. Schon in seinen historischen Darstellungen zur Herausbildung der liberalen Gouvernementalität bezieht sich Foucault zudem auf den städtischen Raum, in welchem sich die unterschiedlichen Regierungstechniken der Disziplinierung und Normierung einerseits und der Sicherheitsdispositive andererseits am unterschiedlichen Umgang mit Lepra und Pest zeigten. Daher bieten die Gouvernementalitätsvorlesungen auch ein Instrumentarium zur Analyse des Regierens städtischer Räume und unterschiedlicher räumlicher Einschliessungs- und Ausschliessungsmechanismen, wie ich im späteren Verlauf, im letzten Teil dieser Arbeit deutlich machen werde. Wie das Leitbild des Homo oeconomicus und das Konzept des Humankapitals dann von den Governmentality Studies kritisch aufgegriffen und für eine Analyse des neoliberalen Umbaus des Sozialstaats und der neuen Subjektivierungsweisen in der Arbeitswelt nutzbar gemacht wird, ist dann zunächst Thema des vierten Kapitels dieser Arbeit.

230 | Ebd., S. 371/372.

4. Subjektivierung von Arbeit als Feld neuer Regierungsrationalitäten: Zwischen Disziplinar- und Selbsttechniken 4.1 D IE N EUERFINDUNG DES S OZIALEN UND DIE S UBJEK TIVIERUNG VON A RBEIT Bevor der theoretische Ansatz der Gouvernementalität und der Gouvernementalitätsstudien und die Analysen der Arbeitssoziologie miteinander in Beziehung gesetzt werden, sollen einige allgemeine Merkmale der neuen Regierung des Sozialen aufgezeigt werden. »Im Zentrum des neuen Regierungsmodus, der neuen Gouvernementalität des Sozialen steht der tendenzielle Übergang von der öffentlichen zur privaten Sicherheit, vom kollektiven zum individuellen Risikomanagement […] und von der Staatsversorgung zur Selbstsorge.«1 Diese, einer ökonomischen und sozialen Rationalität zugleich verpflichtete Selbstführung, bedarf jedoch der politischen Führung. »Auf diesem Prinzip beruht ein Regierungsprogramm, das seinen […] Bezugspunkt in der Subjektivierungsfigur des ›unternehmerischen Selbst‹ (hat), eine Gouvernementalität, die eine neue (autonome) Subjektivität ›erfindet‹ und darauf zielt, diese Subjektivität mit politischen Imperativen auszustatten«2 , ein sozialpolitisches Arrangement, das die Menschen zur Eigenaktivität im Sinne einer rein ökonomischen Rationalität drängt. Prinzipien wie Selbsthilfe, private Vorsorge und Prävention sind demnach vor allem Varianten der Aktivierung und Eigenverantwortung und zugleich Zeichen persönlicher Autonomie und sozialer Verantwortung. Sie folgen sowohl einer individuellen und einer gesellschaftlichen Logik, einer subjektiven und sozialen Rationalität.3 Im Idealfall sei diese Gouvernementalität der Gegenwart gerade »dadurch gekennzeichnet, dass die Macht gerade nicht als physischer Zwang, als […] 1 | Lessenich, Stephan: Die Neuerfindung des Sozialen, Bielefeld 2008, S. 82. 2 | Ebd., S. 82/83. 3 | Vgl. ebd., S. 83.

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Unterwerfung oder […] Disziplinierung auftritt, sondern ›weiche‹ produktive Formen annimmt«4 . Aber der neoliberale Sozialstaat ist keineswegs als Rückzug von Staatstätigkeit zu sehen, vielmehr ist er aktiv mit der Produktion sozialverantwortlicher Subjekte beschäftigt. Am spürbarsten wird die neue Regierung des Sozialen auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik, in einem neuen arbeitsmarktpolitischen Aktivierungsdiskurs, der sich immer mehr ausbreitet. Aktivierung sei dabei sowohl die Programmatik der Reorientierung öffentlichen Handelns und der Reorganisation öffentlicher Verwaltung und der Umorientierung der Sozial- und Gesellschaftspolitik und Ausdruck der »Herstellung eines veränderten Beziehungsverhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft«5 . Der Übergang zur ›Aktivgesellschaft‹ ist Ausdruck einer neuen Regierungsrationalität.6 Die Aktivierungsformel von »Fördern und Fordern« wurde seit den 90er Jahren populär und bezog sich im engeren Sinne auf die Neuausrichtung des Arbeitsförderungsrechts. Es wird gewissermaßen »ein neuer Sozialkontrakt, ein neues Gleichgewicht gesellschaftlichen Gebens und Nehmens« erwartet7. Die Inklusion der arbeitsfähigen Bedürftigen durch staatliche Einkommenstransfers soll abgelöst werden durch eine Inklusion, die nur noch über Erwerbsbeteiligung erfolgt, zu welchen schlechten Bedingungen auch immer. Eine Hilfeleistung des Gemeinwesens soll nur noch bei Bereitschaft zur eigenverantwortlichen Aktivität auf Seiten der Empfänger erfolgen und die Herstellung von Arbeitsbereitschaft, Arbeitsfähigkeit und Arbeitsgelegenheit der Leistungsempfänger soll im Vordergrund stehen. Die Umsetzung dieses programmatischen Ziels erfolgte in den vier »Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (Hartz I-IV) in den Jahren 2002-2005 (Hartz-Gesetze), die über den ursprünglichen Auftrag der sog. Hartz-Kommission (nach dem Vorsitzenden und VW-Manager Peter Hartz) einer Reform der Arbeitsverwaltung hinausgingen. Die im vierten Gesetz (Hartz IV) enthaltene Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Form des Arbeitslosengeldes II (ALG II) bedeutete »die größte Kürzung von Sozialleistungen seit 1949«8 und bestätigte den Wandel der arbeitsmarktpolitischen Regulierungsphilosophie. Der arbeitsmarktpolitische Grundsatz des weniger Förderns und mehr Forderns signalisiert nun eine neue Erwartungshaltung der Gemeinschaft gegenüber den Versicherten. Es geht um Förderung von Aktivität auf Seiten der Arbeitslosen und um produktives Verhalten aller Versicherten im Interesse 4 5 6 7 8

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Ebd., S. 83. Ebd., S. 86/87. Vgl. ebd., S. 87. Ebd., S. 88. FAZ, v. 30. 6. 2004, S. 3, zit. n. Lessenich 2008, S. 89.

4. Subjektivierung von Arbeit als Feld neuer Regierungsrationalitäten

der Vermeidung des versicherungswirtschaftlichen Schadensfalls. Die arbeitsmarktpolitische Programmatik des Förderns und Forderns ist aber von weitergehender gesellschaftspolitischer Bedeutung, weil sie tendenziell alle Bereiche der Regierung des Sozialen erfasst. Der Hilfeempfänger wird zum »formbaren Stoff staatlicher Fürsorge«, aber nicht mehr um der Armen willen, sondern um der Gesellschaft willen. Es gibt eine Verschiebung in der Logik sozialer Hilfen, vom sozialen Verpflichtungscharakter hin zum gesellschaftspolitischen Gesichtspunkt, aber unter einer ökonomischen Logik.9 Auch die Bedeutung des Gemeinwohlbegriffs wandelt sich. Es wird mit einer Logik des »punitiven Paternalismus« über das Gemeinwohl gesprochen. Der Begriff werde zum »effektiven Instrument der Verbreitung von Ressentiments und Diskriminierungen«, so Lessenich10. Dies reiche von der moralischen Infragestellung bestehender Rechtsansprüche bis zur formellen Widerrufung solcher Ansprüche. Das Prinzip der herrschenden Gemeinwohldeutung ist dabei die regulative Diskriminierung und normative Diskreditierung von Nicht-Erwerbstätigkeit. »Wo öffentlicher Schutz des Individuums gegen soziale Risiken war, […] soll nun individuelle Risikovorsorge im gesellschaftlichen Interesse werden.«11 Die Regierung und zunehmend ein Teil der Gesellschaft klagt gemeinwohlkompatibles und ökonomisch verwertbares Handeln der Subjekte ein. »Arbeitsunwillige, risikopräventionsverweigernde, aktivierungsresistente Subjekte erscheinen in diesem Kontext als eine Bedrohung des Sozialen, […] als Normabweichler und Solidaritätsgewinnler.«12 Eine moralische Infragestellung nicht-erwerbstätiger Lebensformen wird mehr und mehr zum gesellschaftspolitischen Programm. Soziale Hilfen für arbeitsfähige Bedürftige sollen zu individuellen Hilfen zur Erwerbstätigkeit werden. Aber auch jenseits des Arbeitslebens werden individuelles Selbstmanagement und Ökonomisierung der Lebensführung, eigentätige Prävention und aktives Altern, lebenslanges Lernen und permanente Bewegung verlangt. Werte wie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung werden in den Dienst ökonomisch verwertbarer Ansprüche an das Individuum genommen, deren Nichterfüllung sozial geächtet wird. Konzepte aktivierender Sozialpolitik finden sich aber auch in anderen Bereichen, z.B. in der Familienpolitik, mit dem Konzept der Sozialinvestition. Der Wandel vom nachfrage-orientierten versorgenden zum angebotsorientierten aktivierenden Sozialstaat und zu einem investiven Verständnis von Sozial9 | Vgl. Lessenich 2008, S. 92/93. 10 | Ebd., S. 94. 11 | Ebd., S. 95. 12 | Ebd., S. 95.

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politik spiegelt sich im Werk des dänischen Wohlfahrtsstaatsforschers Gösta Esping-Andersen, der zu einem der prominentesten Politikberater für den Umbau des europäischen Sozialstaats geworden ist und dabei den Vorzug habe, sozialdemokratische Traditionen und -Rhetorik mit Reformeifer zu verbinden, so Lessenich.13 Der von ihm propagierte Sozialinvestitionsstaat soll gleich mehrere Probleme lösen: Die Weitergabe von familiärem Bildungskapital, soziale Mobilitätschancen für Kinder und politisch beschleunigter Zugang der Individuen zum Arbeitsmarkt. Es geht ihm immer um die arbeitende Familie, um gegenwärtig erwerbstätige Frauen und zukünftig erwerbstätige Kinder, um die Familie nur als produktiven Teil der Gesellschaft. Aber die so fortschrittlich daherkommende Frauenförderung ist bei ihm rein produktivistisch motiviert, Frauen interessieren ihn nur wegen der ökonomischen und sozialen Erträge ihrer potentiellen Erwerbstätigkeit. Es geht Esping-Andersen um Frauen und Kinder vor allem als soziale Investitionsgüter. Es gehört zum paradoxen Charakter der gegenwärtigen Aktivierungspolitik, dass sie ihre Programmatik tendenziell selbst unterläuft, indem sie eben jene subjektiven Ressourcen sozialer Produktivität bedroht, die sie politisch mobilisieren will14 . Das bedeutet aber auch, dass die Tendenzen zur Subjektivierung der Arbeit und die Figur des Unternehmerischen Selbst nur für bestimmte Gruppen von Menschen gelten, während andere mit repressiv-disziplinierenden Maßnahmen konfrontiert werden. Damit ist die Reichweite von solchen theoretischen Konzepten und Leitfiguren zumindest eingeschränkt. Eine genealogische Kritik will die sozialen Bedeutungsverschiebungen bei der Herkunft und Ausbreitung der Aktivierungs-Idee dokumentieren. Foucault zeigt auf, »wie ökonomische Nützlichkeit und politische Fügsamkeit als Effekt dieser Technologien in den Menschen zusammenfließen und koexistieren«, wie also durch politische bzw. staatliche Führung und Regierung das moderne neoliberale Subjekt produziert und formiert wird. Es geht Foucault »um die Dialektik von Freiheit und Zwang, Befreiung und Gefangennahme«15 . Das »aktive Selbst« ist eine widersprüchliche Sozialfigur: Einerseits soll diese Figur durch politische Intervention erst hergestellt werden, andererseits werden Menschen schon zu beweglichen, ökonomisch und sozial rationalen Subjekten stilisiert. »Die Aktivierungsprogrammatik ist prinzipiell unabschliessbar und auch uneinlösbar.«16 Die permanente politische »Überhöhung der Aktivität«, die permanente diskursive Betonung des Flexiblen als Norm wirkt gesell13 | Vgl. ebd., S. 98-108. 14 | Vgl. Lessenich, Stephan: »Mobilität und Kontrolle. Zur Dialektik der Aktivgesellschaft«, in: Dörre, Klaus/Lessenich, Stephan/Rosa, Hartmut: Soziologie-KapitalismusKritik. Eine Debatte, Frankfurt/M 2010, S. 126-180, hier S. 131. 15 | Ebd., S. 139. 16 | Ebd., S. 168.

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schaftlich spaltend. Sie produziert beständig die soziale Anormalität der nicht hinreichend Mobilen, als die Subjekte, die den Anforderungen nicht gerecht werden können oder wollen17. Aber der aktivierende Staat bedarf gesellschaftlicher Mitwirkung. Um aus dem Leitbild der Aktivgesellschaft soziale Realität werden zu lassen, bedarf es sozialpolitischer Flankierung und der Mitwirkung vieler Subjekte. Das heißt aber, dass es immer auch gewisse Spielräume für die Individuen gibt, dass die ökonomistisch verkürzten Aktivitätsleitbilder auch anders umgesetzt werden könnten. Die Aktivierung ist kein bloßes Gewaltdispositiv, sondern muss auf Mitwirkung der Individuen setzen. Subjektivität wird zum Einsatz kontrollierter Mobilisierung gemacht. Mobilisierung und Kontrolle werden in die Subjekte selbst verlagert, es handelt sich um eine Doppelbewegung von Mobilisierung und Selbstkontrolle.18 »Diskurse sind ›Umschlagplätze‹ gesellschaftlichen Wissens und das in Diskursen sedimentierte Wissen der Subjekte über die Gesellschaft und ihr in Diskursen materialisiertes Selbstverständnis ist Basis für die Herstellung eines Handlungs- und Sinnzusammenhangs.«19 Die »Wissensordnung der Aktivgesellschaft ist ihr größtes Kapital« und daher auch Einfallstor für Formen der Kritik. Denn es bleibt zweifelhaft, inwieweit sich diese neuen Leitbilder wirklich konkret umsetzen, und es bleibt unklar, wie die Subjekte damit umgehen. »Was in den Leitbildern des marktbasierten […] Regimes […] als neu vorausgesetzt wird, erscheint als ganze Realität des flexiblen Kapitalismus« und ist doch nur ein Teilausschnitt.20 So hat z.B. die subjektorientierte Prekarisierungsforschung gezeigt, dass die Integrationsleistung und Anpassungsbereitschaft nur bei bestimmten Gruppen mit hohen Qualifikationen und Ressourcen auf die Internalisierung von Freiheitsversprechen zurückgeht.21 Bei größeren Teilen der Bevölkerung dominiert jedoch eher der Zwang von Marktrisiken und disziplinierenden Workfare-Regimen. Bei der Überbetonung des Aktivierungsleitbildes vernachlässige man (wie z.B. Vertreter der GS oder der Arbeitssoziologie) den vollzogenen Übergang von einem sozialintegrativen Kompromiss in der Arbeits- und Sozialpolitik hin zu einem Disziplinarregime eines mit Zwängen gepanzerten Marktes. Phänomene wie die überdurchschnittliche Expansion

17 | Vgl. ebd., S. 170. 18 | Vgl. ebd., S. 173. 19 | Ebd., S. 173/174. 20 | Vgl. Dörre, Klaus: »Kapitalismus, Beschleunigung, Aktivierung- eine Kritik«, in: Dörre/Lessenich/Rosa 2010, S. 181-205, hier S. 199/200. 21 | Vgl. dazu: Dörre, Klaus/Castel, Robert (Hg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung, Frankfurt/M/New York 2009.

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eines Niedriglohnsektors und der Abbau von Tarif- und Sicherheitsstandards würden so unterschätzt.22 Die Gouvernementalitätsstudien wiederum überschätzen systematisch das Freiheitsversprechen des neuen Regimes, auch wenn sie über die Rekonstruktion von Leitbildern wie des »Unternehmerischen Selbst«, die Konsensbildung im Marktregime und dessen diskursive Bruchstellen beleuchten. Allerdings bleiben die GS bei der Analyse von Subjektivierungsweisen unterkomplex, weil sie oft auf die empirische Überprüfung verzichten. Ebenso ist die kritische arbeitssoziologische Rekonstruktion des Leitbildes des Arbeitskraftunternehmers sicher erhellend, aber dessen reale empirische Umsetzung und Durchsetzung bleibt bisher begrenzt.23

4.2 N EUE A RBEITSFORMEN Z WISCHEN INDIREK TER K ONTROLLE UND S ELBSTDISZIPLIN IN DER S ICHT DER A RBEITSSOZIOLOGIE 4.2.1 Die Indirekte Steuerung Bei den Analysen der Arbeitssoziologie zu den Trends und Umbrüchen in der Arbeitswelt kann man verschiedene Phasen unterscheiden: Während in den 70er Jahren Reformprojekte und Humanisierungsprogramme im Vordergrund standen und in den 80er Jahren neue Produktionskonzepte, kam es in den 90er Jahren zur Abkehr von tayloristischen Arbeitsmethoden, es wurden neue Managementkonzepte eingeführt, neue Steuerungsformen wie flexible und selbst bestimmte Arbeitszeiten, Gruppenarbeit, Enthierarchisierung, Selbstorganisation und Mitarbeiterbeteiligung. Seit Mitte der 90er Jahre wurden die Umbrüche in der Arbeitswelt als Ausdruck eines tiefergehenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesses interpretiert und es wurde von der Durchsetzung einer marktzentrierten Produktionsweise gesprochen.24 Mit der Indirekten Steuerung wurde in den Unternehmen ein neuer Steuerungsmodus implementiert, mit dem die Individuen direkter mit dem Markt konfrontiert werden. Dabei beschränkt sich das Management darauf, den Rahmen festzulegen, spezifische Ziele vorzugeben (z.B. Umsatzziele, Erträge, Termine). Die konkrete Bearbeitung wird dezentralen Einheiten überlassen, die

22 | Vgl. Dörre 2010, S. 200/201. 23 | Vgl. Aulenbacher, Brigitte: »Subjektivierung von Arbeit«, in: Lohr, Karin (Hg.): Subjektivierung von Arbeit-riskante Chancen, Münster 2005, S. 34-64, Dörre 2010, S. 200. 24 | Vgl. Sauer, Dieter: Arbeit im Übergang, Hamburg 2005.

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sich wiederum tendenziell selbst organisieren müssen.25 Andererseits werden die Arbeitnehmer unmittelbarer mit den Rahmenbedingungen eigenen Handelns konfrontiert, es gibt eine organisierte Flexibilisierung des Arbeitseinsatzes: Dazu zählen eine ergebnisorientierte Leistungs- und Entgeltpolitik, z.B. mit Hilfe von Zielvereinbarungen, der Abbau von Hierarchiestufen und die Implementierung von Arbeitsformen, die offener und flexibler gegenüber variablen Anforderungen sind und Selbstorganisation ermöglichen, wie z.B. Gruppenarbeit und Projektarbeit und neue Arbeitszeitmodelle.26 Der Grundgedanke beim Konzept der Indirekten Steuerung ist, dass die Form der Abhängigkeit, die ein freier Unternehmer gegenüber seinen Rahmenbedingungen hat, auch zur Steuerung unselbständig Beschäftigter verwendet wird: Die Marktbedingungen werden unmittelbarer auf den einzelnen Arbeitsplatz »durchgereicht.«27 Wie Sauer und Peters gezeigt haben, führt dies zu einer Eigendynamik bei der Steigerung des Leistungsdrucks und zu einer Erosion der Formen, mit denen sich abhängig Beschäftigte gegen die Verschlechterung ihrer Lage wehren könnten. Durch Indirekte Steuerung verschärfen sich die Konkurrenzverhältnisse unter Arbeitnehmern, die Kontrollfunktionen verlagern sich auf Teams und Projektgruppen. Beschäftigte verzichten teils freiwillig auf ihnen zustehende Rechte, z.B. durch Betriebsvereinbarungen in Bezug auf Tarifverträge und geregelte Arbeitszeiten. Das alte Kommandosystem tritt nur versteckter auf, die Autonomie der Arbeitnehmer wird vereinnahmt, indem begrenzte Handlungs- und Entscheidungsspielräume gewährt werden.28 Bei der Gewährung neuer Formen von Autonomie in der Arbeit müsse man zwei Arten von Autonomie unterscheiden; die Autonomie gegenüber jeder Art von Gehorsam und die Autonomie im Sinne von Selbstverantwortung.29 In der Gewährung von Spielräumen für das Erzielen von bestimmten ökonomisch erwünschten Ergebnissen liegt nun eine Art von fremdbestimmter Selbstbestimmung, eine heteronom bedingte Autonomie vor. Reiner Gehorsam in der Unternehmensund Mitarbeitersteuerung schadet nur der Motivation und in vielen kreativen, hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen lässt sich das Prinzip von Befehl und Gehorsam nur schwer anwenden. Das Kommandosystem im Unternehmen gewährt nun neue Spielräume und belohnt die Befehlsempfänger mit seiner 25 | Vgl. Sauer, Dieter: »Vermarktlichung und Politik- Arbeitspolitik unter den Bedingungen indirekter Steuerung«, in: Peter, Gerd (Hg.): Grenzkonflikte der Arbeit, Hamburg 2007, S. 202-217, hier S. 207. 26 | Vgl. ebd., S. 207. 27 | Vgl. ebd., S. 208. 28 | Vgl. Peters, Klaus: »Freiheit und Selbsttäuschung«, in: Glißmann/Peters (Hg.) 2001, S. 25. 29 | Vgl. ebd., S. 22/23.

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(scheinbaren) Unsichtbarkeit für ihr reibungsloses Funktionieren.30 Es handelt nach dem Prinzip: »Solange ihr von selbst tut, was ich von euch erwarte, brauche ich keine Befehle und Drohungen auszusprechen.«31 Die Weisungsgebundenen antizipieren nun die Absichten der Weisungsbefugten, sie verinnerlichen gewissermaßen die befehlende Instanz und können dadurch ein Gefühl von Selbständigkeit entwickeln, dass sich bis zu der Selbsttäuschung steigern kann, dass man gar nicht in einem Kommandosystem arbeitet. Aber mit dieser Selbsttäuschung der Beschäftigten erreicht das Kommandosystem in wirtschaftlichen Unternehmen gerade den Punkt höchster Perfektion.32 Aber die neuen Managementformen gehen über dieses Kommandosystem hinaus und wollen es ersetzen. Der Unternehmer werde nun zum Modell für den Arbeitnehmer, die neuen Organisationsformen zielten auf eine Verwandlung von Unselbständigen in Selbständige, aber in unselbständige Selbständige.33 Auch wenn der Unternehmer autonom erscheine, sei er in Bezug auf die Marktbedingungen wiederum abhängig, heteronom. Die Autonomie des Unternehmers gehe mit Heteronomie gegenüber den ökonomischen Rahmenbedingungen des Marktes einher. Die Selbständigkeit des Unternehmers wird dadurch eingeschränkt, dass er unmittelbarer mit den Folgen und Misserfolgen seines Handelns konfrontiert wird. Diese unmittelbarere Konfrontation mit den Folgen des Handelns und den Rahmenbedingungen des Marktes werde nun in den neuen Managementkonzepten auf die sog. unselbständigen Selbständigen, auf die Beschäftigten übertragen.34 Um diese neue Indirekte Steuerung durchzusetzen, tritt das Unternehmensmanagement zur Seite und verwandelt sich aus einer befehlenden Instanz in eine Rahmenbedingung für unternehmerisch handelnde Beschäftigte im Unternehmen. Das Unternehmensmanagement will also seine Macht gerade durch Verzicht auf unmittelbare Kontrolle ausbauen. Für die Beschäftigten soll mehr Druck durch Beseitigung von unmittelbaren Zwang erreicht werden, für die Unternehmensführung mehr Macht durch Verzicht auf Kontrolle.35 Die Selbstorganisationstheorien nennen solche Konzepte Indirekte Steuerung und fragen z.B. danach, wie man die Rahmenbedingungen einer teilautonomen Einheit eines Unternehmens arrangieren muss, damit diese Einheit mit Höchstleistungen reagiert. Bei der Wirkmächtigkeit solcher Konzepte muss

30 | Vgl. ebd., S. 25. 31 | Ebd., S. 26. 32 | Vgl. ebd., S. 26. 33 | Vgl. ebd., S. 29. 34 | Vgl. ebd., S. 34. 35 | Vgl. ebd., S. 36/37.

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man allerdings berücksichtigen, dass sich die Indirekte Steuerung empirisch nur sehr langsam und sehr unterschiedlich durchsetzt.36 Subjektivierung von Arbeit stellt vieles auf den Kopf, was eine am Fordismus und Taylorismus geschulte Arbeitsforschung voraussetzte und untersuchte. Vieles was nun die Unternehmen fordern, waren früher Forderungen einer kritischen Arbeitsforschung. Subjektivierung hat eine doppelte Perspektive als betriebliches Rationalisierungsprojekt und als Veränderung individueller Arbeitsund Lebensbedingungen.37 Subjektivierung ist immer auch widersprüchlich: Die Selbstorganisation verbleibt im Rahmen fremdbestimmter Unternehmensstrukturen, die Autonomie bleibt in Herrschaft eingebunden und durch scheinbar mehr Freiräume wird mehr Druck ausgeübt. Das Schlagwort der Subjektivierung der Arbeit meint jedoch unterschiedliche Entwicklungstendenzen, z.B. auch eine zunehmende Bedeutung des Subjekts für den Rationalisierungsprozess und Arbeitsprozess. Die Unternehmensführung muss deshalb den Beschäftigten mehr Spielräume für eigene Entscheidungen und Autonomie einräumen. Die veränderte Logik der Arbeitskraftnutzung liege nach einer These von Moldaschl darin, dass es im Taylorismus und Fordismus ein »Ausschalten« der Subjektivität gegeben habe, jetzt werde Subjektivität dagegen einbezogen.38 Neue Managementstrategien würden versuchen, Kontrollsysteme durch Selbstkontrolle zu ersetzen, Herrschaft durch Selbstbeherrschung zu verschleiern und nichtökonomische Steuerung durch ökonomische zu ersetzen. Widersprüche zwischen Wettbewerb und Kooperation müssten die Subjekte selbst ausbalancieren. Aber die verschiedenen Phänomene vorwiegend unter einem graduellen Zuwachs von Subjektivität zu subsumieren ist problematisch. Auch im Taylorismus war die Subjektivität der Arbeitenden nie völlig irrelevant. Vom Standpunkt der Betriebsführung war die Subjektivität der Beschäftigten noch nie eine völlig zu vernachlässigende Größe. Der Unterschied zu früher liege nicht im Auf- und Abwerten oder ›Aus- und Einschalten‹ von Subjektivität, so Langemeyer, denn auch bei der Anpassung an die Erfordernisse der Fließbandarbeit wurde Subjektivität geformt, sondern in einer anderen Einbeziehung von Subjektivität. Arbeits- und Lebensweise, Handlungs- und Denkweisen bildeten immer einen Zusammenhang.39 Bei der IT-Arbeit z.B. trat unerwartet der Effekt ein, 36 | Vgl. Sauer 2007, S. 214. 37 | Vgl. Sauer 2005, S. 61. 38 | Vgl. Langemeyer, Ines: »Für eine historisch-strukturelle Analyse des Zusammenhangs von Subjekt, Produktion und Macht«, in: Scholz, Dieter (Hg.): Turnaround? Strategien für eine neue Politik-Herausforderungen an Gewerkschaften und Wissenschaft, Münster 2006, S. 153-164, hier S. 155. 39 | Vgl. Langemeyer 2006, S. 153-164, insbes. S. 157.

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dass mit zunehmender Rationalisierung die Arbeitssubjekte nicht zu einem Anhängsel der Technik wurden, sondern in einem relativ freien und flexiblen Gestaltungsraum technologischer Handlungsmöglichkeiten eingebunden waren.40 Es entstehen horizontale und netzwerkartige Kooperationsverhältnisse und damit Praxisformen, in denen die Subjekte ihre Arbeitstätigkeit gemeinschaftlich kooperativ organisieren. Der Stellenwert des Subjekts im Arbeitsprozess verschiebt sich, es geht nicht mehr so sehr um die Unterordnung des Arbeitsvermögens unter maschinell vorgegebene Arbeitsvorgänge, sondern um die Einbindung der Subjekte in einen technologisch komplexen Arbeitsprozess. Ein Großteil der Beschäftigten in der IT-Branche nahm in der ersten Phase des New-Economy-Booms kaum einen Gegensatz zwischen eigenen und Arbeitgeberinteressen wahr, denn sie identifizierten sich angesichts der neuen Spielräume stark mit ihrer Arbeit. Erst mit wirtschaftlichen Krisen veränderte sich diese Sichtweise, so dass sie »nach neuen Formen der kollektiven Interessenswahrnehmung suchten«.41 Die These der Indirekten Steuerung fasst das neue Paradigma als Aufhebung der fordistischen Herrschafts-, Kontroll- und Steuerungsform auf, in deren Zentrum die Organisationsform Betrieb stand. Mit dem neuen Steuerungsinstrument werde der Markt in abstrakte Zielvorgaben übersetzt und unmittelbarer zur Kontextbedingung von Arbeit. Selbstbestimmung und Autonomie der Individuen werden so instrumentalisiert, dass auf explizite Anweisungen und auf die Androhung von Sanktionen verzichtet werden kann und sie so in ihr eigenes Gegenteil, in eine neue Form von Fremdbestimmung umschlagen. Aber die Analyse der Indirekten Steuerung verfahre idealtypisch und erfasse so nicht, inwieweit die neuen Strategien brüchig bleiben, weil sie sich nicht reibungslos umsetzen, so Peters/Sauer.42 Die konkrete Praxis bestehe oft im Austarieren verschiedener Anforderungen und in Kompromissbildungen zwischen alten und neuen Steuerungsformen. Auch wird kaum unterschieden zwischen der empirischen Fremdbestimmung von Quasi-Unternehmern im Großunternehmen: (a) durch die direkte Konfrontation mit Marktlagen und (b) durch die intransparenten Interventionen des Unternehmensmanagements in diese partiell direkte Beziehung auf den Markt. Auch die These, dass die fordistische Befehls- und Gehorsam-Struktur nur auf Zwang basiert hätte, während heute auf Druckausübung weitgehend verzichtet würde43 , sei zumindest überzeichnet und reduktionistisch. Denn auch die fordistische Betriebsführung habe nicht 40 | Vgl. Langemeyer 2005, S. 258 und Baukrowitz, Andreas u.a.(Hg.): Informatisierung der Arbeit- Gesellschaft im Umbruch, Berlin 2006. 41 | Boes, Andreas: »Die wundersame Neubelebung eines Auslaufmodells«, 2004, S. 4, zit. n.: Langemeyer 2005, S. 259. 42 | Vgl. Peters/Sauer 2005, S. 24. 43 | Peters 2001, S. 22

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allein mit Zwang gearbeitet, sondern musste die Denk- und Lebensweisen der Menschen erst anpassen (Gramsci nannte dies einen ›tayloristischen Arbeiterund Menschentypus‹ schaffen)44 . Angesichts neuer Formen der Betriebsführung verschwinde auch das Führungsproblem nicht einfach, in dem man Anforderungen des Managements, der Organisation und der Kontrolle in Formen des Selbstmanagements und der Selbstkontrolle überführe. Die Theorie der Indirekten Steuerung beschreibe zwar eingängig die Folgen dieser Veränderungen, aber erfasse das Führungsproblem bei der Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Veränderungen nur verkürzt.45

4.2.2 Der Arbeitskraftunternehmer Bei den Untersuchungen von kritischen Arbeitssoziologen wie Voß und Pongratz zum sogenannten Arbeitskraftunternehmer (AKU), die in der Subjektivierung eine neue Form der Produktivkraftentwicklung und eine intensivere Nutzung subjektiver Potenziale sehen, wird auch eine bestimmte Tendenz der Entwicklung zu sehr verallgemeinert. Empirisch würde sich überwiegend eine Haltung der Leistungsoptimierung, aber auch eine Absicherungsmentalität feststellen lassen.46 Durch den Subjektivierungsprozess werde ein Schub in Richtung eines postfordistischen Regulationsmodus entstehen, auch wenn eine »tiefgreifende Verankerung fordistischer Institutionen der Erwerbsarbeit und […] die Widersprüche des Prozesses […] dem entgegenstehen«.47 Aber sie sehen die Realisierung der Subjektivierungsanforderung eher als objektive Tendenz. Wie die Subjekte mit den widersprüchlichen Anforderungen und Bedingungen umgehen, welche Handlungsmöglichkeiten sie ausprobieren und welche Widersprüche entstehen, werde von Voß/Pongratz nicht genauer analysiert, so auch Langemeyer.48 Nach Voß und Pongratz wird der Typus des »verberuflichten Arbeitnehmers«, den sie als typisch für den Fordismus ansehen (das idealtypische Normalarbeitsverhältnis in Form des – meist männlichen – Vollzeitarbeitnehmers, der sein ganzes Leben einen Beruf ausübt), in vielen Bereichen vom Typus des Arbeitskraftunternehmers (AKU) abgelöst, der durch eine erweiterte Selbstkontrolle der Arbeitszeiten, den Zwang zur verstärkten Ökonomisierung der

44 | Vgl. Langemeyer 2006. 45 | Vgl. ebd., S. 160. 46 | Vgl. Voß, Günther G./Pongratz, Hans: Der Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen, Berlin 2003, S. 220. 47 | Voß/Pongratz 2003, S. 224. 48 | Vgl. Langemeyer 2006, S. 161/162.

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eigenen Arbeitsfähigkeit und die »Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung« gekennzeichnet ist.49 Die neuen Strategien der betrieblichen Nutzung von Arbeitsfähigkeit führen generell zu einem grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft. Das damit verbundene Leitbild des »Unternehmers seiner selbst«, bzw. des Arbeitskraftunternehmers bietet Chancen und Gefahren, denn trotz neuer Gestaltungsspielräume für die Arbeitnehmer bleiben auch restriktive Arbeitsbedingungen bestehen und zugleich treten neue Risiken hinzu, denn der Arbeitskraftunternehmer ist jetzt viel direkter den Marktbedingungen ausgesetzt. Das Prinzip der Selbstorganisation verbreitet sich auch innerhalb von Betrieben, das bedeutet einerseits Autonomiegewinn, andererseits verstärkten Leistungsdruck, so dass Voß/Pongratz scheinbar paradox von einer ambivalenten betrieblich »fremdorganisierten Selbstorganisation« sprechen, oder von einem Wandel vom »Arbeitnehmer« zum »Auftragnehmer«.50 Ungeachtet dieses generellen Trends zu mehr Eigenverantwortung und erhöhten Anforderungen an die Selbstorganisation unterscheiden die Autoren verschiedene Arbeitsformen, in denen diese Tendenzen stark variieren: a) Lohn- und weisungsabhängige Formen von Arbeit mit mehr oder weniger erweiterter Autonomie (gruppenbezogene Arbeitsformen, Projektorganisation, Teleheimarbeit, Mobil-arbeit, Profit-Center), mit dem Leitbild des »Unternehmers im Unternehmen«. b) Formell selbständige Formen selbstorganisierter Arbeit mit scheinbar weitgehender Autonomie, die dennoch in starker Abhängigkeit vom auftraggebenden Unternehmen stehen, wie Outsourcing von Arbeitnehmern und Scheinselbständigkeit. Die Schätzungen zur Scheinselbständigkeit gehen für Deutschland von 1 Mio. Erwerbstätigen aus.51 Bei der erweiterten Externalisierung formeller betrieblicher Kontrolle werden direkte Kontrollmechanismen zugunsten von verfeinerten, effektiveren, indirekten Steuerungen zurückgedrängt, z.B. durch Gruppendruck oder starke Abhängigkeit eines Subunternehmers. Der Typus des Arbeitskraftunternehmers schließlich stellt erweiterte Anforderungen an die Beschäftigten, die sie selbst internalisieren müssen, um die aktive Selbststeuerung und Selbst-überwachung der eigenen Arbeit leisten zu können. »Der Arbeitskraftunternehmer ist die gesellschaftliche Form der Ware Arbeitskraft, bei der Arbeitende nicht mehr primär ihr latentes Arbeitsvermögen verkaufen, sondern als 49 | Voß, Günther G./Pongratz, Hans: »Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?« in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50. Jg./H.1 (1998), S. 131-158. 50 | Vgl. ebd., S. 134. 51 | Vgl. ebd., S. 137.

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Auftragnehmer für eine Arbeitsleistung handeln – d.h. ihre Arbeitskraft weitgehend selbstorganisiert und selbstkontrolliert in konkrete Beiträge zum betrieblichen Ablauf überführen.« 52

Diese Verschiebung von der passiven Reproduktion zur aktiven Produktion bedeutet eine erweiterte Ökonomisierung der Arbeitskraft. Diese neue Stufe individueller Ökonomisierung ergreift die ganze Person und ihr ganzes Leben. Eine effizienzorientierte Produktions-ökonomie des eigenen Handelns müsse entwickelt und die eigene Arbeit aktiv vermarktet werden. Innerhalb des Betriebes entstehen damit neue »Märkte« für Arbeitskraft und Arbeit in Form von Zielvereinbarungen, Auftragnehmerverhältnissen und Projektorganisation. Andererseits werden immer mehr Arbeitskräfte auf offenere, betriebsexterne Märkte gedrängt und damit stärker dem Wettbewerb ausgesetzt, während früher viele Arbeitnehmer das ganze Erwerbsleben in einem Betrieb verbrachten und sich intern hocharbeiten konnten. Daher kann von einer »doppelten Selbstökonomisierung von Arbeitskraft« gesprochen werden. Die Verbetrieblichung der Lebensführung als Merkmal des Arbeitskraftunternehmers bedeutet, dass eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche und die systematische, effizienzorientierte Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs nötig wird. Der Arbeitskraftunternehmer lebt primär von der Vermarktung seiner eigenen Arbeitskraft und arbeitet häufig als Dienstleister und Zulieferer. Seine Selbständigkeit kann die Form persönlicher Verantwortung für ein Arbeitsergebnis bei weitgehender Freiheit der Arbeitsausführung haben oder sie kann mit neuen Formen indirekter Kontrolle verbunden sein. Voß/Pongratz unterscheiden drei idealtypische historische Grundformen von Arbeitskraft, die heute koexistierten:53 • Für den proletarisierten Lohnarbeiter seit der Frühindustrialisierung, der seine Arbeitskraft noch als »Rohstoff« verkauft, ist sein physisches Arbeitsvermögen entscheidend. Er ist im Betrieb disziplinierender, repressiver Kontrolle ausgesetzt, mit enger Anbindung an Maschinen. • Der verberuflichte Massenarbeitnehmer des Fordismus verkauft seine Arbeitskraft als »Massenware«, in standardisierter Berufsform. Im Betrieb sind strukturelle Kontrollen oder indirekte psychosoziale Kontrollen bestimmend. Der Beruf ist eine fixe, identitätsstiftende Form und langfristig angelegt, man wechselte selten den Beruf oder den Betrieb. Die Lebensführung ist durch genormte Arrangements zwischen Arbeit, Familie und Freizeit geprägt, sinkende Arbeitszeiten und steigende Löhne ermöglichen eine klar abgegrenzte Freizeit. 52 | Ebd., S. 139. 53 | Vgl. ebd., S. 150.

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• Der Arbeitskraftunternehmer des Postfordismus verkauft seine Arbeitskraft als »individualisiertes, hochwertiges Halb-Fertigprodukt« und muss seine fachlichen Fähigkeiten permanent weiterentwickeln. Die individuelle Selbstkontrolle der Arbeitskraft überwiegt gegenüber direkten Kontrollformen. Die Arbeitsbeziehungen sind durch einen permanenten Aushandlungsprozess zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geprägt. Die Zeitorientierung wird von der Notwendigkeit der kontinuierlichen, aktiven Produktion und Vermarktung der Arbeitskraft, durch zeitlich befristete Aufträge bestimmt. Dies hat einen kontingenten Lebenslauf voller Brüche, mit wechselnden sozialen Auf- und Abstiegen zur Folge, sowie eine »individualisierte Patchwork-Identität« mit der Notwendigkeit der ständigen Anpassung an wechselnde Arbeits- und Lebensanforderungen. Alle drei Arbeits- und Lebensformen koexistieren jedoch auch heute noch, wenn auch in veränderten quantitativen Anteilen. Die Arbeitskraftunternehmer werden unterschiedliche Niveaus von sozialer Sicherheit und Konsummöglichkeiten durchlaufen. Ihr Kennzeichen ist gerade, dass sie sich auf variierende Einkommens- und Sozialniveaus einrichten können und müssen. Auf dem hochqualifizierten Level finden sich z.B. solche »Unternehmer im Unternehmen« oder »Intrapreneurs«, die sich teilweise durch Aktien bezahlen lassen, Anteilseigner am Unternehmen werden oder aus dem Unternehmen aussteigen, wenn woanders lukrativere Aktienpakete geboten werden. Mit der Dominanz der Kapitalmarktorientierung und des Risikokapitals verändert sich das Verhältnis zwischen Unternehmen und Angestellten. Hochqualifizierte, spezialisierte Mitarbeiter interessieren sich mehr für attraktive Aktienpakete ihres Unternehmens als für die reine Bezahlung. Die klassische Logik des Verkaufsmodells »Arbeitskraft gegen Lohn« unterscheidet sich von der Logik des Anlegers, der durch seine Arbeitsleistungen Anteile am Unternehmen erwerben kann. Die ›Exit-Strategie‹ von solchen Mitarbeitern oder Managern besteht darin, entweder verbesserte Bedingungen von ihrem Unternehmen zu verlangen, zum meistbietenden Konkurrenten zu wechseln, oder sich gleich mit einem eigenen Projekt an Risikokapitalgeber zu wenden. Besonders ausgeprägt sind solche Wechsel bei Führungskräften in kapitalmarktorientierten Unternehmen. Selbst die Gründer risikokapitalfinanzierter Unternehmen planen den eigenen Ausstieg aus dem Unternehmen schon ein und auch hochqualifizierte Mitarbeiter oder Entwicklerteams (z.B. Programmierer) planen während ihrer Tätigkeit in einem Unternehmen schon ein eigenes Projekt. In solchen Bereichen der Dienstleistungsbranche und der New Economy werden Konturen eines »Exit-Kapitalismus« sichtbar, in dem alle zum geeigneten, gewinnbringenden Zeitpunkt »aussteigen« wollen: d.h. ihre Aktien verkaufen, aus einem Unternehmen aussteigen oder eines gründen, eine neue Geschäfts-

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idee verwirklichen. Als Modell dient der »serielle Unternehmer«, der im Laufe seines Lebens mehrmals neue Unternehmen gründet und alte verlässt oder gewinnbringend verkauft und als Beispiel für eine neue Gründerkultur gelobt wird. Damit verschwimmen auf dieser Ebene die Grenzen zwischen Kapitaleigner und Arbeitnehmer, zwischen Arbeitskraftunternehmer und Risikokapitalist, auch das eine Facette des »Unternehmers seiner selbst«.54 Auf der unteren Ebene der verschiedenen Formen des Arbeitskraftunternehmers finden sich dagegen Scheinselbständige, in subtiler Abhängigkeit vom Unternehmen gehaltene Ausgebeutete und informalisierte Formen von Arbeit. Wenn dabei die direkte Kontrolle durch Selbstkontrolle abgelöst wird, schlägt betriebliche Fremdherrschaft in Selbstbeherrschung als intensivierte Selbstausbeutung um. Der Arbeitskraftunternehmer muss hier eine immer umfassendere Nutzung seiner Potentiale anstreben, ohne jemals ganz fertig zu werden und seine Arbeitskraft systematisch selbst ausbeuten, was bis zur Arbeitssucht führen kann.55 Der Arbeitskraftunternehmer übernimmt so weitgehend betriebliche Kontroll- und Führungsfunktionen, dass seine »objektive« Interessenlage als abhängige Arbeitskraft kaum noch erkennbar ist und der Interessenkonflikt in der eigenen Person stattfindet, oder verschwindet als innerer Konflikt zwischen abhängigem Kleinunternehmer und intensiviert ausgebeutetem ›informellen‹ Workaholic mit Gefahren des Burn-out. Daran zeigt sich, dass die Prinzipien des unternehmerischen Selbst für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedlich stark wirksam sind und jeweils andere Auswirkungen haben können: Bei hochqualifizierten Gruppen eröffnen sich neue Möglichkeiten für situativ autonomes Handeln, vom selbstbestimmten Ausstieg aus dem Unternehmen bis hin zu einer Neugründung. Bei selbstorganisierten, aber fest angestellten Arbeitsformen mit Anbindung an ein Unternehmen können sich immerhin noch Spielräume für relative Autonomie und Selbstbestimmung in der Intensivierung von Selbst-Ökonomisierung eröffnen. Beim Typus des abhängigen Arbeitskraftunternehmers schließlich wird die direkte Kontrolle durch ein Unternehmen fast ganz externalisiert, bzw. vom Individuum internalisiert und es treten neue indirekte mehrfache Abhängigkeiten an ihre Stelle: vom Auftrag-vergebenden übergeordneten Unterneh-

54 | Vgl. Kühl, Stefan: »Konturen des Exit-Kapitalismus«, in: Leviathan H.2 (2002), S. 195-220. 55 | Vgl. die Analysen zu neuen Arbeitsformen und zunehmender Arbeitssucht in: Heide,Holger (Hg.): Massenphänomen Arbeitssucht, Bremen 2003. Zum Verhältnis von neuer Selbständigkeit in der Arbeit und sozialen Ausgrenzungsmechanismen vgl. auch: Glißmann, Wilfried: »Die neue Selbständigkeit in der Arbeit und Mechanismen sozialer Ausgrenzung«, in: Herkommer, Sebastian (Hg.): Soziale Ausgrenzungen, Hamburg 1999, S. 150-171.

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men, von der Marktdynamik und von informellen Partnern, teils auf Schwarzarbeitsmärkten oder auch von mithelfenden Familienangehörigen. Inzwischen haben Voß und Pongratz ihre Thesen vom Wandel der gesellschaftlich dominanten Arbeitskrafttypen empirisch überprüft. Sie gehen nun nicht mehr von einer Ablösung des älteren Typus durch den Arbeitskraftunternehmer aus, sondern von einer Koexistenz und Parallelität der beiden Arbeitskrafttypen, wobei sich noch zeigen müsse, für welche Aufgaben und in welchen Erwerbsbereichen sich welcher Typus durchsetzt: »Die Entgrenzung des Normalarbeitsstandards des verberuflichten Arbeitnehmers wirkt in zwei entgegengesetzte Richtungen: zum einen als dialektische Weiterentwicklung zum Typus des Arbeitskraftunternehmers und zum anderen als strategischer Rückgriff auf Elemente des Nutzungsmodells proletarisierter Arbeitskraft.« 56

Die Tendenz zu gesteigerter Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung die den Arbeitskraftunternehmer kennzeichnet, lässt sich insbesondere in Erwerbsfeldern wie der Informations- und Kommunikationstechnologie, im Weiterbildungs- und Beratungssektor und den Unternehmen der New Economy nachweisen, während in anderen Segmenten des Arbeitsmarktes weiterhin der Typus des verberuflichten Arbeitnehmers vorherrscht. Ihre These der Pluralität der Arbeitskrafttypen stellt eine Erweiterung, keine Revision der Arbeitskraftunternehmer-These dar. Nun schätzen sie die Möglichkeit der dauerhaften Gleichzeitigkeit der Typen höher und die Entwicklung hin zum Arbeitskraftunternehmer niedriger ein. In ihren empirischen Untersuchungen finden Voß/Pongratz sowohl Anhaltspunkte für Wandlungstendenzen in Richtung Arbeitskraftunternehmer als auch Hinweise auf ein beträchtliches Beharrungsvermögen. Es gebe bei den Erwerbs-orientierungen der Befragten insbesondere eine Diskrepanz zwischen Leistungsoptimierung und Absicherungsmentalität. Während die Leistungsorientierungen mehrheitlich dem Typus des Arbeitskraftunternehmers zuzurechnen sind, entsprechen die z.T. kritischen Orientierungen im Hinblick auf Selbst-Ökonomisierung und Selbst-Rationalisierung ganz überwiegend noch dem Typus des verberuflichten Arbeitnehmers.57 Die Unterschiede zwischen Leistungsoptimierung und Absicherungsmentalität treten bei Arbeitern wie bei Angestellten auf, fallen aber jeweils unterschiedlich aus. In ihrer Untersuchungsgruppe finden sich dem Arbeitskraftunternehmer entsprechende Orientierungen überwiegend bei den Angestellten. Dagegen seien mehr als die Hälfte der befragten Arbeiter in ihren Orientierungen immer noch als verberuflichte Arbeitnehmer zu sehen.58 56 | Voß/Pongratz 2003, S. 242. 57 | Vgl. ebd., S. 158. 58 | Vgl. ebd., S. 194.

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Andererseits rechneten sich auch ein Drittel der Angestellten noch dem Typus des verberuflichten Arbeitnehmers zu. Arbeiter dagegen hätten oft Schwierigkeiten, mit den höheren Ansprüchen der Tertiarisierung mitzuhalten und es gebe einen relativen Bedeutungsverlust der Facharbeit gegenüber qualifizierten Angestelltentätigkeiten.59 Deswegen entspreche diese Form der Entgrenzung von Arbeit kaum einer Weiterentwicklung der Arbeitskraftnutzung wie sie in der AKU-These angelegt ist.60 Unterschiede gebe es auch in Bezug auf Projektarbeit (die eher Angestellte ausüben) und Gruppenarbeit. Die Gruppenarbeit in der industriellen Fertigung strebte eine Verbindung betrieblicher Effizienzansprüche mit erweiterter Selbstbestimmung für die Arbeitenden an. Aber bei der Umsetzungspraxis erfüllten sich weder die betrieblichen Leistungsansprüche noch die Hoffnungen auf selbstbestimmtes Arbeiten. Die Bedingungen von Gruppenarbeit für Arbeiter unterschieden sich grundlegend von den Projektarbeitsformen für Angestellte.61 Die Forschung zur Gruppenarbeit nennt als Gründe für die mangelhafte Realisierung den Widerspruch zwischen Autonomieanspruch und Leistungsdruck, Konflikte mit der etablierten Hierarchie oder den proletarischen Arbeitshabitus. Bei Projektarbeit gebe es offenbar andere Bedingungen für innovative Teamarbeit und sie wird von den Angestellten als Möglichkeit gesehen, an organisatorischen und wirtschaftlichen Neuerungen teilzuhaben. Bei ihren Untersuchungen stellten Voß/Pongratz ein Nebeneinander inkongruenter Orientierungsmuster fest, insbesondere in der Koexistenz von Leistungsoptimierung und Absicherungsmentalität. Darin komme eine gespaltene Entwicklungsdynamik bezüglich des neuen Arbeitskrafttypus zum Ausdruck und die unterstellte Kongruenz der Dimensionen der Selbst-Kontrolle und der Selbst-Ökonomisierung werde damit in Frage gestellt. Sie stellen weiterhin eine weit verbreitete Mentalität berufsbezogener Absicherung bezogen auf das etablierte Institutionengefüge der fordistischen Erwerbsarbeit fest, trotz der betrieblichen und gesellschaftlichen Krisen bleibe die subjektive Bindung daran ungebrochen. Die Kategorie der Leistungsoptimierung bezieht sich offenbar auf die Optimierung des kurzfristigen Outputs der jeweils stärkeren auftraggebenden Unternehmen. Während diese Leistungsoptimierung kaum für den lebenslänglich aktiven Arbeitskraftunternehmer optimal ist, sondern ihn vorzeitig verschleißt, erscheint umgekehrt die ›Absicherungsmentalität‹ als durchaus optimale Leistungsform für diesen lebenslänglich aktiven Arbeitskraftunternehmer in wechselnden Unternehmen. Die Subjektivierung von Arbeit und die damit einhergehende Haltung der Leistungsoptimierung sei Ausdruck der systematischen Weiterentwicklung 59 | Vgl. ebd., S. 203. 60 | Vgl. ebd., S. 197. 61 | Vgl. ebd., S. 202.

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der subjektiven Produktivkraft.62 Dies sei dann das dynamische Moment der Produktivkraftentwicklung und die Absicherungsmentalität mit der Bindung an Institutionen der Stabilitätsfaktor der Produktionsverhältnisse und so erkläre sich der Widerspruch dieser beiden Orientierungen als Ausdruck eines Spannungsverhältnisses divergierender Bewegungskräfte. Damit soll der dialektische Charakter dieses Verhältnisses deutlich werden in Analogie zu den Produktionsverhältnissen als »Entwicklungsformen der Produktivkräfte« bei Marx. Normalarbeitsverhältnis und fordistische Institutionen waren die Voraussetzung für die Entfaltung von Subjektivierung und erweiterter Leistungsoptimierung, die diesen Rahmen nun in Frage stellten. Eine solche dialektische Betrachtungsweise wie hier von Voß/Pongratz ist natürlich eine andere Herangehensweise als die in Foucaults Analysen zur Subjektivierung als neue Form von Macht, die das Subjekt erst hervorbringt. Sie sehen eine Stärke darin, »die Entwicklung der Produktivkraft und den Modus ihrer Verwertung analytisch zu trennen und zugleich in ihrer Wechselwirkung zu betrachten«.63 Eine solche Herangehensweise könnte auch die Frage nach den unterschiedlichen und widersprüchlichen Umgangsweisen der Subjekte mit den an sie herangetragenen ›unternehmerischen‹ und ökonomischen Anrufungen offener lassen, bzw. das Spannungsverhältnis zwischen Erwartungen/Anrufungen und affirmativem oder widerständigen Umgang damit aufzeigen. Dagegen sehen manche Analysen der Gouvernementalitätsstudien diese Leitfiguren und Anrufungen als so umfassend und wirkmächtig an, dass solche Widersprüche nicht mehr in den Blick kommen. Während Voß/Pongratz bisher von einer Polarisierung in zwei Gruppen ausgegangen waren und zwischen »Erfolgsunternehmern ihrer Arbeitskraft«, »Arbeitskraft-Kleingewerbe-treibenden« und »Arbeitskraft-Tagelöhnern« unterschieden, sei jetzt sogar zu prüfen, ob in prekären und informalisierten Erwerbssituationen nicht mit Re-Proletarisierungstendenzen zu rechnen sei.64 Zu rechnen ist aber m.E. auch mit ›Geschäftsmodellen‹ und unterschiedlichen ›Verkettungen‹ in denen alle drei AKU-Figuren zusammenwirken müssen. Eine solche Konfiguration wird in der lokalen Fall-Studie analysiert: das Zusammenwirken von fest angestellten Verwaltungsmitarbeitern, teils dauerhaft beschäftigten Mitarbeitern im Sozialdienst, befristet beauftragten, teils ›quasiunternehmerischen‹ Quartiersmanagern, prekär-freiberuflich Selbständigen, Kultur- und Sozialprojektemachern, abhängigen Niedriglohn-Arbeitnehmern, Sicherheitsfirmen und zugewiesenen Ein-Euro-Jobbern.

62 | Vgl. Voß/Pongratz 2003, S. 217-220. 63 | Vgl. ebd., S. 222-225. 64 | Vgl. ebd., S. 243.

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4.2.3 Das Unternehmerische Selbst als Konstrukt der Gouvernementalitätsstudien Die Figur des Unternehmerischen Selbst soll sowohl ein normatives Menschenbild wie eine Vielzahl gegenwärtiger Selbst- und Sozialtechnologien umfassen, deren gemeinsamer Fluchtpunkt die Ausrichtung der gesamten Lebensführung am Modell des Unternehmens bildet. Insbesondere Ulrich Bröckling befasst sich in seinen Forschungen mit der Sozialfigur, bzw. dem Leitbild des Unternehmerischen Selbst. Das Unternehmerische Selbst bezeichne laut Bröckling die Weise, in der Personen adressiert werden und zugleich die Richtung, in der sie verändert werden sollen. Es sei demnach gerade nicht der resultierende neueste Sozialisationstyp, der sich aus Fallstudien destillieren ließe, ja bezeichne gerade keine empirisch beobachtbare Realität, sondern es handle sich um eine Realfiktion. Es sei ein wirkmächtiges Als-ob, das einen Prozess kontinuierlicher Modifikation in Gang setzen soll, »ein Subjekt im Gerundivum – nicht vorfindbar, sondern hervorzubringend«.65 Auch wenn das Unternehmerische Selbst einige Gemeinsamkeiten mit der Figur des Arbeitskraftunternehmers aufweist, so soll letzterer doch ein Idealtypus sein, während das Unternehmerische Selbst die mikropolitische Ratio benennt, auf welche die zeitgenössischen Selbsttechnologien zulaufen. Bröckling will, anders als Voß/Pongratz, darauf verzichten, zu fragen, welche empirische Reichweite diese Sozialfigur hat, sondern die Rationalität dieser Subjektivierungsfigur sowie einige der Schlüsseltechnologien aufzeigen, in denen sie sich konkretisierten.66 In der Analyse von Unternehmens- und Selbstmanagementratgebern will er dann aber doch die Wirkmächtigkeit dieser Figur aufzeigen. In der von solchen Ratgebern propagierten Selbstmobilisierung verschmelzen Simulation und Stimulation und sich als handlungsmächtiges Subjekt zu imaginieren werde gleichbedeutend damit, sich konsequent als Marktsubjekt zu verhalten.67 Unter dem Stichwort ›neue Selbständige‹ untersucht wiederum beispielsweise Bologna die neuen unternehmerischen Arbeits- und Existenzformen die sich gegen den Typus der fordistischen Massenarbeiters absetzten. Arbeits- und Privatsphäre, Wohnraum und Arbeitsplatz verschwimmen bei diesen Selbständigen oft.68 Das Mehr an Selbstbestimmung erkaufen sie mit einem weniger an sozialer Absicherung. Diese neue Selbständigkeit habe ihre Wurzeln teils in den gegenkulturellen Strömungen der 68er Bewegung, deren 65 | Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst, Frankfurt/M 2007, S. 46/47. 66 | Vgl. ebd., S. 49. 67 | Vgl. ebd., S. 56. 68 | Vgl. Bologna, Sergio: Die Zerstörung der Mittelschichten. Thesen zur neuen Selbständigkeit, Graz/Wien 2006.

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Forderungen nach Autonomie, Selbstverwirklichung und selbst bestimmter Arbeit nun anders gewendet wiederkehrten. »Die Versöhnung von Leben und Arbeiten, welche die Alternativbewegung proklamierte, bedeutet für die neuen Selbständigen das Ausgreifen der Arbeit in alle Lebensbereiche.«69 Die Subjektivierungsform des Unternehmerischen Selbst bedeute auch eine Wiederkehr, wie eine Umkehrung des Homo oeconomicus, so Gordon im Anschluss an die Vorlesungen von Foucault. »Die Reaktivierung dieser Gestalt besteht darin, menschliches ´Handeln grundsätzlich als Wahlhandeln zu bestimmen und das Prinzip der Nutzenmaximierung als anthropologische Gegebenheit zu unterstellen.«70 Während klassische Liberale wie Smith, Hume, Ferguson meinten, dass die Individuen von selbst ihrer Natur als rationale Wirtschaftssubjekte folgen würden, müsse das unternehmerische Selbst hingegen durch permanentes Regierungshandeln geschaffen und aktiviert werden. Vertreter der Gouvernementalitätsstudien zeigen wiederum auf, wie sich unternehmerische Anforderungen und Selbstdeutungen in andere Sphären, auch jenseits der Arbeitswelt ausbreiten. Unternehmerisches Handeln meint hier einen bestimmten Aktivitätsmodus, der sich auf alle Lebenslagen beziehen kann (Miller/Rose).71 In der Anrufung des Unternehmerischen Selbst würden ökonomischer Erfolg, bzw. Risiko und Selbstverwirklichung keinen Widerspruch bilden, sondern einander bedingen und verstärken, beide folgen dem Imperativ eines unabschließbaren Wachstums. Die Vertreter der GS betonen die politische Ratio der Selbsttechnologien und die Bedeutung psychologischer Beratung und Expertise. »Der performativ wirksamen Selbstmodellierung entsprechen eine Vielzahl normativer Deutungsangebote und institutioneller Praktiken«, an denen sich die Individuen ausrichten sollen.72 Im Genre der Managementliteratur wie in den Bestsellern von Peters und Waterman vollzieht sich der Übergang vom Leitbild des ›organization man‹ (der eher der bürokratischen Organisationsform des Fordismus entsprach) zum unternehmerischen Selbst.73 Wie das neue Paradigma des Managements und das Leitbild unternehmerischer Subjektivität aufeinander bezogen und verschränkt sind, zeigen die Analysen von Forschern der Gouvernementalitätsstudien über das Instrument des Total Quality Managements (TQM) auf Unternehmensebene und in der Interaktion zwischen Unternehmen. Bröckling will anhand solcher Analysen die Prin69 | Bröckling 2007, S. 58. 70 | Ebd., S. 59. 71 | Vgl. Miller, Peter/Rose, Nicolas: »Das ökonomische Leben regieren«, in: Schwarz, Richard (Hg.): Zur Genealogie der Regulation. Anschlüsse an Michel Foucault, Mainz 1994, S. 54-109. 72 | Bröckling 2007, S. 62. 73 | Peters, Tom/Waterman, Robert: In Search of Excellence-Lessons from America’s best run companies, New York 1982/dt. 1993, nach Bröckling 2007, S. 62.

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zipien der Menschenführung im Neoliberalismus aufzeigen. In seiner Sicht ist das neue Prinzip des Managements ein spezifischer Rationalitätstyp und stellt ein Ensemble von Techniken für den Wettbewerb im post-fordistischen Kapitalismus bereit.74 Managementprogramme, Seminare, Beratungsfirmen lieferten ein Arsenal von Instrumenten, mit denen öffentliche Verwaltungen, Unternehmen, Verbände, Bildungseinrichtungen u.a. ihre Tätigkeiten reorganisieren sollen. Zu solchen Methoden und Instrumentarien zählen das Total Quality Management oder das »Neue Steuerungsmodell«, das im Zuge der Verwaltungsreform aus bürokratischen Apparaten kundenorientierte Dienstleister machen soll. In allen diesen Bereichen liefern die neuen Managementprogramme ein »übergreifendes Dispositiv zeitgenössischer Menschenführung«.75 Die Managementliteratur fordert die konsequente Übertragung des Marktmodells auf alle sozialen Beziehungen. Dabei wird »das Geforderte gleichzeitig schon als gegeben vorausgesetzt«76: Ein omnipräsentes Marktprinzip lasse keine andere Alternative zu, als sich dem Wettbewerb zu stellen. Die neuen Managementtechniken umfassen demnach sowohl Sozialtechnologien wie Technologien des Selbst im Sinne Foucaults und stellen für beide analoge Regeln auf. Was Foucault anhand antiker Tugendlehren über das Verhältnis von Regierungs- und Selbsttechniken feststellte, soll auch für die heutige Managementliteratur gelten: »Die Rationalität der Regierung über andere ist dieselbe, wie die Rationalität der Regierung über sich selbst.«77 Bröckling beansprucht mit seiner Untersuchung dieser programmatischen Literatur zwar nur eine Analyse dieser Programme zu liefern, will jedoch nicht die Effekte und Friktionen ihrer Implementierung aufzeigen. Mit dem Total Quality Management (TQM) untersucht er eine Methode zur Qualitätssicherung und -prüfung, die sich nicht mehr auf abgrenzbare Kontroll- und Prüfmaßnahmen beschränkt, sondern ein umfassendes Instrumentarium der permanenten Qualitätssteuerung für alle Unternehmensaktivitäten bereitstellt. Es handelt sich um die »Führungsmethode einer Organisation, bei der die Qualität in den Mittelpunkt gestellt wird, welche auf der Mitwirkung aller ihrer Mitglieder beruht«.78 Entscheidend ist dabei die Kundenorientierung, der umfassende Dienst am Kunden. Die Kundenwünsche sollen im Voraus erkannt und vorweggenommen werden können. Verhaltensregeln zur Kundenorientierung lösen

74 | Vgl. Bröckling, Ulrich: »Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement«, in: Bröckling u.a. 2000, S. 131-168. 75 | Ebd., S. 133. 76 | Ebd., S. 133. 77 | Foucault, Michel: Die Sorge um sich (Sexualität und Wahrheit 3), Frankfurt/M 1984b, S. 121, zit. n. Bröckling 2000, S. 135. 78 | Bröckling 2000, S. 136.

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demnach die Fabrikordnungen des Disziplinarzeitalters ab, wobei der fordernde Ton geblieben ist.79 Diese Qualitätsorientierung wird für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter zu einer Überlebensfrage, denn die ständige Verbesserung wird zur Voraussetzung für Konkurrenzfähigkeit erklärt. Mitarbeiter aller Ebenen werden dafür auf eigenes unternehmerisches Handeln verpflichtet. Die Unternehmenskultur verändert sich hin zu einem verschärften internen Wettbewerb. Das Unternehmen wird auch intern nach Marktmechanismen gesteuert. Jede Abteilung und jeder Mitarbeiter sollen Kunde der vorgelagerten Einheiten und Lieferant für weitere Einheiten sein. Die Mitarbeiter sollen sich zu »Unternehmern im Unternehmen« verwandeln, die selber Verantwortung übernehmen und ihre Arbeitsbereiche optimieren sollen. Die Geschäftsleitung übernimmt allerdings in dieser Konzeption die Rolle des »Philosophenkönigs« und legt Leitsätze zur Qualitätspolitik und zur Unternehmensvision fest.80 Bröckling zeigt, wie diesem Konzept ein pastorales Modell der Menschenführung zugrunde liegt: Der Qualitätsmanager fungiert als »guter Hirte«, der weiß, was die ihm Anvertrauten brauchen. Neben dem Vorrang von Empowerment-Strategien vor repressiven Methoden werden bei diesem Führungsmodell auch die Grenzen zwischen Innenund Außenbeziehungen durchlässig. Mitarbeiter- und Kundenorientierung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es vollziehe sich eine Umwertung der Subjektivität der Arbeitenden. Individuelle Selbstentwürfe werden aktiviert und zur Prozeßoptimierung nutzbar gemacht. Die Subjektivität wird zu einer sozialtechnologisch zu erschließenden Ressource.81 Die arbeitenden Individuen müssen sich als autonom agierende Subjekte präsentieren. Selbst ein altes Konzept wie »Arbeiterautonomie« wird zu einem Rationalisierungsinstrument umgebogen, wobei die geforderte Selbstbestimmung aber auf die Verinnerlichung von Marktmechanismen reduziert wird. Im Übergang zum Postfordismus ändert sich der Modus sozialer Steuerung. Statt im Arbeitsprozess Zufälle und ungeplante Ereignisse zu vermeiden, sollen solche Kontingenzen möglichst als kreative Impulse nutzbar gemacht werden. »TQM etabliert eine Regierungstechnologie, die von Kontingenzbegrenzung auf Kontingenzsteigerung und–nutzung umschaltet und den Markterfolg zum kategorischen Imperativ erhebt.«82 An die Stelle kontinuierlich verbesserter Normerfüllung setzt das TQM die Norm der kontinuierlichen Verbesserung. Durch die Kopplung mit standardisierten Verfahren zur Qualitätsplanung, Qualitätslenkung und -Kontrolle wie bspw. der Normenreihe DIN EN ISO 9000f. wird das Qualitätsmanagement zu 79 | Vgl. ebd., S. 137. 80 | Ebd., S. 139. 81 | Vgl. Miller/Rose 1992, 1994. 82 | Bröckling 2000, S. 143.

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einem universell einsetzbaren Dispositiv. Es handelt sich um ein Regelwerk, das ein einheitliches Modell für die Durchführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen vorschreibt und das sowohl in produzierenden Betrieben, in Dienstleistungsunternehmen als auch in öffentlichen Verwaltungen angewendet wird. Auf der Grundlage dieser Maßnahmen erhalten die Organisationen ein Zertifikat, das fast schon obligatorisch geworden ist, um im Wettbewerb mitzuhalten, bzw. um als Vertragspartner überhaupt anerkannt zu werden. »Mit ihrer umfassenden Dokumentationspflicht und ihren Prüfritualen etabliert die Normenreihe DIN EN ISO 9000f ein geradezu panoptisches Modell der Kontrolle, das selbst hochkomplexe Betriebsprozesse einer Ordnung der Sichtbarkeit zu unterwerfen vermag, weil der kontrollierende Blick sich auf Beobachtungen zweiter Ordnung konzentriert.« 83

Bloße Qualitätssicherung reicht aus der Sicht des TQM längst nicht aus, sondern muß eingebettet werden in eine breitere Strategie der Kundenorientierung und stetigen Qualitätsverbesserung. Beim Leistungsvergleich mit anderen Unternehmen wie Partner-Firmen oder bei der Ausschreibung von Qualitätspreisen dienen die jeweils Besten als Maßstab, nicht der statistische Durchschnitt. Das Benchmarking ermittelt die jeweils beste Leistung eines Konkurrenten in einer Disziplin, an der sich alle anderen orientieren und die möglichst übertroffen werden soll. In einer globalisierten »Winner-takes-all-Ökonomie« ist kein Platz für Mittelmaß, sondern Maßstab können nur die Besten sein. In diesem Wettbewerb hört der Zwang zur Leistungssteigerung für Unternehmen oder für ihre Mitarbeiter nie auf. Sowohl das Benchmarking wie auch Qualitätspreise und das TQM fordern kontinuierliche Qualitätsverbesserung und Leistungsmessung. Statistische Kontrollen, Kunden- und Mitarbeiterbefragungen und Monitoring-Instrumente liefern ständig Informationen, wobei das Feedback als kontinuierlicher Prozeß organisiert werden muß, weil sonst die Daten schnell veralten.84 Das System ständiger Beurteilungen erreicht seinen Höhepunkt in Instrumenten wie dem »Panoramic Feedback« oder »360°-Beurteilung«, bei dem durch parallele Befragungen von Kollegen, Untergebenen, Vorgesetzten, von Kunden und Geschäftspartnern für jeden ein individuelles Leistungsprofil erstellt wird und alle durch alle anderen beurteilt werden. Diese Form des Feedback wird von Bröckling als eine Art »demokratisierter Panoptismus« bezeichnet, weil hier an die Stelle eines allsehenden Beobachters und verschiedener Beobachtungsobjekte ein »nicht-hierarchisches Modell reziproker Sichtbarkeit« trete und »jeder zugleich Beobachter aller anderen und der von allen anderen Beobachtete« sei85 . Allerdings idealisiert und überschätzt Bröckling die 83 | Ebd., S. 146. 84 | Vgl. ebd., S. 150. 85 | Vgl. ebd., S. 152.

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demokratischen Anteile dieser Technik, wenn er »die Asymmetrien innerbetrieblicher Machtverhältnisse tendenziell verschwinden« sieht86. Er beachtet zu wenig die Möglichkeiten der Verfestigung oder Herausbildung von Ungleichheiten und Hierarchien und von zusätzlichen zentralen Überwachungsformen. Außerdem widerspricht er damit seiner Einschätzung, dass auch beim TQM in Unternehmen und zwischen starken und abhängigen Unternehmen das Modell der pastoralen Menschenführung zugrunde liege. Ähnlich wie Benthams Kontrollarchitektur leistet die 360°-Beurteilung eine Verkettung von »gesteigerter Tauglichkeit und vertiefter Unterwerfung.«87 Allerdings soll hier eher der Einzelne selbst zu seiner kontinuierlichen Verbesserung beitragen, was eine Dynamik der Selbstoptimierung in Gang setzen soll.88 Neben dem Bezug auf das von Foucault herausgestellte Panopticon bezieht sich Bröckling bei seiner Analyse des Panoramic Feedback auf Foucaults aus der Antike abgeleitete Ethik-Konzeption, als »Art der Beziehung, die man zu sich selbst haben sollte« und nennt die ethische Substanz, den Unterwerfungsmodus, die Selbstformungstätigkeit und die Ziele. Diese bezieht Bröckling in einer gewagten Analogie auf die Techniken des Panoramic Feedback: Die ethische Substanz bleibe darin subjektivierende Oberflächenbearbeitung, die Unterwerfung bestehe in einer umfassenden Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen, die Selbstformung in der Balance zwischen verschiedenen Anforderungen, das Ziel sei bloßes ökonomisches Wachstum. Aber diese Analogie verkennt, dass Foucaults Konzeption der Selbstkonstitution an einen antiken Kontext gebunden war und auf eine kleine Elite bezogen war.89 In den DIN 9000er Normen und dem Panoramic Feedback zeigt sich dagegen meines Erachtens in neuer Weise der hierarchische, zwingende Blick der panoptischen Disziplinar-macht, so dass diese Phase von Foucaults Werk einen plausibleren Anknüpfungspunkt zur Beurteilung des Panoramic Feedback bietet. Die Individuen, die dem Panoramic Feedback ausgesetzt sind, richten ihr Handeln von vornherein an den an sie gestellten Erwartungen aus. Ihr Blick ist immer mit dem Blick der anderen, mit dem ihrer Mitkonkurrenten und ihrer Kontrolleure verschränkt. Daher erbringen sie nur scheinbar aus sich heraus die geforderten Leistungen. Obwohl in den neuen Formen der Arbeitsorganisation die Freiheitsgrade für die Individuen zugenommen haben, lassen sich also Kontinuitäten zum Panoptismus zeigen, als Indienstnahme der Inner-

86 | Ebd., S. 153. 87 | Foucault 1976 (1995), S. 177. 88 | Vgl. zum »Panoramic Feedback« auch Bröckling, Ulrich: »Das demokratisierte Panopticon. Subjektivierung und Kontrolle im 360º-Feedback«,in: Honneth u.a. 2003, S. 77-94. 89 | Vgl. Bröckling 2003, S. 88-91.

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lichkeit zur Kontrolle.90 Die scheinbare Freiheit der Arbeitssubjekte entpuppt sich als kontrollierte Autonomie, die Unternehmensorganisation ist durch eine spezifische Dialektik von erweiterten individuellen Handlungsräumen und Verstärkung von Fremdkontroll-Mechanismen bestimmt. Das »Regime der Sichtbarkeit« verwirklicht sich heute in der allgegenwärtigen Evaluation durch Informationstechnologien, durch Kunden, Mitarbeiter, Vorgesetzte und andere Unternehmen. Der moderne Betrieb kann als ein Wechselspiel von Beobachten und Beobachtet-werden interpretiert werden, in dem jeder zum Träger und Ziel des »zwingenden Blicks« wird. Zum universell-dynamischen Panoptismus der immerwährenden internen Evaluation tritt noch die Blickverschränkung der Kundenorientierung. Das bedeutet eine unmittelbarere Ankopplung der Mitarbeiter an den Markt und eine zunehmende Unmöglichkeit, mit etwas fertig zu werden, denn der Markt ruht nicht.91 Die oben beschriebenen Feedback-Systeme bilden eine neue Schnittstelle zwischen Sozial- und Selbsttechnologien. Um auf den verschiedenen »Aufmerksamkeitsmärkten«, insbesondere aber dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu sein, muß das Individuum seinen gesamten Lebenszusammenhang im Sinne betriebswirtschaftlicher Effizienz rationalisieren. Die Selbstverwaltung des individuellen Humankapitals greift dabei weit über das Berufsleben hinaus und ist auch im Privatleben wirksam, denn das Selbstmanagement soll die Potenziale der ganzen Person aktivieren. Die verschiedenen Selbstmanagement-Ratgeber vermitteln daher als zeitgemäße »Klugheitslehren« und »Manuale methodischer Lebensführung« ein umfassendes Leitbild neoliberaler Subjektivität, das Leitbild des »Unternehmers seiner selbst« und bieten praktische Übungen an, um sich selbst zu »modellieren«.92 Persönlichkeitsentwicklung und Unternehmensorganisation werden in diesen Ratgebern zusammengebracht: »Definieren sie sich eindeutig als ein Produkt, und stellen sie dann eine umfassende Marktforschung an. […] Mit der Identifikation seiner selbst als Ware ist es aber nicht getan, die Parallelisierung von Individuum und Unternehmen reicht weiter. Das unternehmerische Selbst ist nicht nur Produkt und Produzent, Chef und Untergebener, sondern auch Lieferant und Kunde in einer Person. […] Als Kunde seiner selbst ist er sein eigener König, ein Wesen mit Bedürfnissen, die vom Lieferanten seiner selbst erkannt und befriedigt werden wollen.« 93 90 | So Engemann, vgl.: Engemann,Christoph: »›Big Brother‹ ein Arbeitshaus im 21. Jahrhundert. Zur Aktualität des panoptischen Modells«, in: Prokla H.129, 32. Jg. Nr.4 (2002), S. 599-618. 91 | Vgl. Deleuze, Gilles: »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«, in: Ders.: Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt/M 1993, S. 256, Engemann 2002, S. 614. 92 | Vgl. Bröckling 2000, S. 155. 93 | Bröckling 2007, S. 66.

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Diese Persönlichkeitsanteile sollen immer in Einklang gebracht werden, sonst drohen vorzeitige Erschöpfung und Burn-Out. Wie diese Selbstmanagementtechniken auf privater Ebene und im Freizeitbereich wirksam werden und in praktische Übungen umgesetzt werden, zeigt sich auch am Beispiel von Fitness-Ratgebern, die den Körper als Medium der Selbstformung und Selbstdisziplinierung sehen. Diese Ratgeber und Fitness/ Wellness-Magazine lassen sich mit Foucault als Instrumente der Technologien des Selbst verstehen, »die es den Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren eigenen Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, das sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren und einen bestimmten Zustand von Vollkommenheit […] erlangen.« 94

In den Fitnessratgebern finden sich drei verschiedene Weisen des Selbstbezugs, in denen der Körper Medium der Subjektivierung ist: Als Medium der Selbsterfahrung in der Bewusstwerdung der eigenen Körperhaltungen (Body-Consciousness), als Mittel der Selbstformung und Selbstdisziplinierung im Modus der Fitness und als Medium der Selbstsorge in der Wellness.95 Auch in diesen Ratgebern wird demnach die Verschränkung von Subjektivierung und Normierung deutlich, sie leiten zu permanenter Selbstverbesserung, zur Arbeit an sich selbst nach vorgegebenen Normen an. Diese Formung des Körpers nach Maßgabe der Fitness-Ideale basiert auf umfassender Disziplinierung. Die selbstbestimmte Disziplinierung des Körpers erweist sich als Teil einer Machtmaschinerie, die diszipliniert und zugleich produktiv ist, die auch hier, wenn auch in neuer und subtilerer Weise vertiefte Unterwerfung mit gesteigerter Tauglichkeit verbindet.96 Die in den Selbstmanagementratgebern zu findende Beschwörung der Selbstverantwortung eröffnet aber nicht nur neue scheinbare Gestaltungsspielräume für das Individuum, sondern impliziert umgekehrt auch, dass jeder an seinem Unglück selbst schuld ist. Die (Selbst-)Disziplinierung, um sich fit für den Wettbewerb zu machen, erscheint als ein Prozess der Subjektivierung, wobei Disziplin auch hier »die Kunst der Zusammensetzung von Kräften zur Herstellung eines leistungsfähigen Apparates« bedeutet, wie schon Foucault geschrieben hatte.97 94 | Foucault, Michel: Von der Freundschaft, Berlin 1984, S. 35f. 95 | Vgl. Duttweiler, Stefanie: »Body Consciousness-Fitness-Wellness-Körpertechnologien als Technologien des Selbst«, in: Widersprüche, H. 87(2003), S. 31-45, hier S. 34ff. 96 | Vgl. ebd., S. 39 und Foucault 1976, S. 177. 97 | Ebd., S. 212.

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Diese Selbstmanagement-Programme sind ganz auf die Norm der Individualität ausgerichtet. Der Einzelne soll sich als »Marke Ich« nicht nur in der Leistungsquantität sondern auch qualitativ von der Masse unterscheiden und persönlich profilieren. Methodische Grundlage für viele SelbstmanagementProgramme sind auch Methoden aus der Humanistischen Psychologie wie das Neurolinguistische Programmieren (NLP), die mentales Training und innere subjektive Vorstellungen und Assoziationen miteinander koppeln und so individuelle Verhaltensmuster »umprogrammieren« wollen. Wer ein erfolgreicher »Unternehmer seiner selbst« werden will, soll sich zunächst ganz als ein Unternehmen imaginieren und alle seine Persönlichkeitsteile »durchchecken«. Das Ich zerfällt so in optimierbare Einzelteile und Identität soll zur »Corporate Identity« werden, bei der eine starke Mannschaft von vielen wahren Ichs optimal zusammenspielt98. Bröckling sieht den Einfluß dieser Selbstmanagement-Techniken als so weitreichend und verhaltensprägend, dass man nicht einmal von Selbstentfremdung sprechen könne. Hier könnten auch keine Charaktermasken entlarvt werden, denn hinter den Masken sei faktisch nichts.99 Die Ausweitung von Unternehmensprinzipien auf die gesamte Lebensführung der Individuen in der Selbstmanagementliteratur zielt auf Synergieeffekte. Der Einzelne soll seine Verwertungschancen steigern, indem er sich die Verhaltensweisen aneignet, die er als individueller Arbeitskraftunternehmer braucht. Die von Bröckling untersuchten Managementprogramme und Ratgeber arbeiten mit einem Versprechen und mit einer versteckten Drohung: Wer den Anweisungen folgt, wird sich im Wettbewerb behaupten, wer die Empfehlungen ausschlägt, wird in einer prekären Zone verbleiben. Hinter der kooperativen Rhetorik der Ratgeber versteckt sich das Szenario eines gnadenlosen Konkurrenzkampfs. Die TQMHandbücher sprechen den Ehrgeiz wie die Existenzangst gleichermaßen an. Der Markt wird hier zum alleinigen Richter über Erfolg und Mißerfolg erhoben: Wer Erfolg hat, hat ihn verdient, wer keinen hat, hat etwas falsch gemacht und ist selber schuld. »Empowerment und Demütigung gehen Hand in Hand.«100 Die Selbstmanagementprogramme sind aber nicht mehr auf genormte Persönlichkeitsmerkmale ausgerichtet, sondern gerade auf die Herstellung von Individualität. Distinktion und Unangepasstheit sollen gerade kultiviert werden, weil sie Marktvorteile verschaffen können. Die Ratgeber propagieren den Glauben an die nahezu unbegrenzte Fähigkeit des Einzelnen, sein Leben selbst zu gestalten. Der darin enthaltene Konstruktivismus soll eine positive Autosuggestion und den Glauben an die Machbarkeit bewirken. Der Technizismus vieler Vorschläge soll von Wahrheits- und Sinnfragen entlasten. Da die Modelle 98 | Vgl. Bröckling 2000, S. 160. 99 | Vgl. ebd., S. 160. 100 | Ebd., S. 162.

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Als-ob-Annahmen sind, komme es nur darauf an, diejenigen auszuwählen, »die bei der zielorientierten Arbeit nützen und helfen, einen möglichst direkten Weg zu gehen«.101 Um zum Unternehmer seiner selbst zu werden, liege es daher nahe, sich selbst als Unternehmen vorzustellen und den gesamten Betrieb einem Qualitäts-Check zu unterziehen: »Sind alle ihre Persönlichkeitsteile voll im Einsatz? Arbeitet jeder Teil an der Stelle, wo er seinen Fähigkeiten entsprechend optimale Ergebnisse erzielen kann? Arbeiten die Teile alle gut zusammen? Oder müssen sie befürchten, dass einige Teile am Ende gar die ›innere Kündigung‹ vollzogen haben?«102 Um Erfolgsblockaden etwa aufgrund eines Streits zwischen »Karriere- und Lebensfreudeteil« zu beseitigen, empfehle es sich, eine interne Konferenz einzuberufen und den ›kreativen Teil‹ als Moderator hinzuzuziehen. Identität ist in diesem Persönlichkeitsmodell Corporate Identity: »die Gewissheit, eine starke Mannschaft von vielen ›wahren Ichs‹ in sich zu haben.«103 Zu diesen Gegensätzen kommen gegensätzliche Strategien der Mobilisierung: Die Erfolgsratgeber postulierten sowohl eine rationale wie eine charismatische Form der Selbstbeherrschung. Auf der einen Seite Betriebswirt des eigenen Lebens, auf der anderen Seite ein Motivationsgenie, beides soll das unternehmerische Selbst in sich vereinen. Selbstdisziplinierung und Begeisterungsfähigkeit laufen in diesen Ratgebern parallel: Checklisten, Vertragsformulare und Feedbacksysteme für die disziplinierende Kontrolle und Übung, AutoSuggestions-, und Affirmationstechniken für die Emotion. Auch herkömmliche Programme der Selbstdisziplinierung kannten diese Unabschliessbarkeit, aber nun trete ein spezifischer Modus hinzu: Anders als das traditionelle Disziplinarsubjekt, das niemals aufhört anzufangen, wird der Unternehmer seiner selbst nie mit etwas fertig, Beispiele wären Prinzipien wie permanente Weiterbildung, lebenslanges Lernen, persönliche Selbstoptimierung.104 Da »das unternehmerische Selbst nur im Gerundivum existiert«, lasse es sich am besten in den »Bauanleitungen« für seine Herstellung, eben in diesen Selbstmanagementratgebern studieren, so Bröckling.105 Auch wenn Bröckling dieser Ratgeberliteratur hohe Bedeutung zumisst und sie als starkes Indiz für die Wirksamkeit unternehmerischer Anrufungen sieht, konzediert er doch, dass die Figur des unternehmerischen Selbst prekär bleibe, es gebe sie nicht in Reinform, nur »als kontrafaktische Unterstellung mit normativem Anspruch, 101 | Bröckling 2007, S. 69. 102 | Besser-Siegmund, Cora/Siegmund, Harry: Coach Youself. Persönlichkeitskultur für Führungskräfte, Düsseldorf u.a. 1991, S. 130, zit.nach Bröckling 2007, S. 69/70. 103 | Ebd. S. 16, nach Bröckling 2007, S. 70. 104 | Vgl. Deleuze 1993, S. 257. 105 | Bröckling 2007, S. 71-73.

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als Adressierung, als Fluchtpunkt von Selbst- und Sozialtechnologien«.106 Das Modell und die Strategien der Zurichtung »übersetzten sich nie bruchlos in Selbstdeutungen und individuelles Verhalten.«107 Diese »Unschärfen, Fehlschläge und Widerstände setzten der Regierung des unternehmerischen Selbst Grenzen«, gesteht Bröckling zwar ein108, aber solche Widerstände und Fehlschläge untersucht er dann nicht mehr. Aber das Zurückbleiben der Programme hinter den selbst gesetzten Zielen sei nicht unbedingt Zeichen ihrer Schwäche, sondern sogar konstitutives Moment ihres Funktionierens. »Die Programme der unternehmerischen Menschen- und Selbstführung gehorchen nicht dem Prinzip von Regel und Anwendung sondern dem kybernetischen Modell des Prozessmonitorings und nutzen Störungen als Signale, um ihre Interventionen zu regulieren. Nur permanentes Abgleichen von Ist- und Sollzuständen vermag die Risiken […] der Fehlsteuerung zu bewältigen.«109

Die Wirksamkeit der unternehmerischen Anrufung beruhe gerade auf der Differenz zwischen totalitärem Anspruch und der nur partiellen Verwirklichung, dies erzeuge den Sog der Unabschliessbarkeit. Aber diese Lücke schaffe zumindest Raum für Kritik oder zumindest die Möglichkeit, auf Distanz zu gehen. So benennt Bröckling am Ende seines subjektivierungstheoretischen Forschungsprogramms, das den ökonomischen Prinzipien oft einen fast totalen Zugriff auf die Subjekte zuzuschreiben scheint, zumindest doch einige Ansatzpunkte für Kritik, für kleine subversive Widerstandspraktiken, oder für »die Kunst, anders anders zu sein« – auch wenn diese Ansätze aus kritisch-emanzipativer Perspektive noch recht bescheiden sind: Da die Programme ohnehin Distinktion und Anderssein verlangten, stehe die Kritik vor der paradoxen Aufgabe, anders ›anders‹ zu sein. Auf einen festen Standpunkt, von dem aus sie argumentieren könnte, müsse sie jedoch verzichten. Dem Widerspruch einer zur Norm erhobenen Abweichung entkomme man auch nicht mit dem Gestus der Überbietung. Ein von den unternehmerischen Programmen unberührtes Außen gebe es nicht mehr, auch plurale und postmoderne Identitäten würden diesen ›Anrufungen‹ nicht entkommen (›commodify your difference‹). Es müsse der Kritik um den Versuch gehen, Wege jenseits von Eingemeindung oder Ausgrenzung zu finden. Die Kunst des ›Anders-anders-seins‹ setze dem Distinktionszwang ihre Indifferenz entgegen, dem Imperativ der Nutzenmaximierung die Spiele der Nutzlosigkeit. Die Kritik könne kein Gegenprogramm liefern, aber versuchen, sich dem Zugriff gleich welcher 106 | Ebd., S. 283. 107 | Ebd., S. 283. 108 | Ebd., S. 283. 109 | Ebd., S. 284.

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Programme zumindest zeitweise zu entziehen. Es gehe ihr um ein punktuelles »Außerkraftsetzen«, eine Unterbrechung des Energieflusses, eine »permanente Absetzbewegung«.110 Aber als mögliche Gegenströmungen, als exemplarische Haltungen nennt Bröckling am Ende zumindest drei (paradoxe) Figuren: Das ›erschöpfte Selbst‹ der Depression, die Haltung der Ironisierung, der ironischen Distanz, die passive Resistenz, z.B. von Aussteigergrüppchen mit einer Haltung des provokativen Müßiggangs (z.B. die an Methoden der Situationisten orientierte Gruppe der »Glücklichen Arbeitslosen« und ihrer provokativen Manifeste).111 Die Regime des unternehmerischen Selbst produzierten zugleich das unzulängliche, überforderte, depressive Individuum. Mit ironischer Distanzierung wiederum versichert man sich augenzwinkernd, die Rituale zu durchschauen, aus denen man dennoch nicht herauskommt und kompensiert so, dass die Verhältnisse so bleiben. In den provokativen Interventionen einer Gruppe wie den »Glücklichen Arbeitslosen« sieht Bröckling zumindest eine experimentelle Kritik, die sich der unternehmerischen Rationalität entziehe, allerdings ohne große Gegenmodelle zu entwerfen. Aber ein Widerstandsprogramm gegen die Ökonomisierung des Individuums, oder ein komplettes Gegenbild vermögen die Beispiele nicht zu liefern.

4.3 Z UR K RITIK UND ZUR BEGRENZ TEN R EICHWEITE DES U NTERNEHMERISCHEN S ELBST An dieser Stelle muß an die an Foucaults Analytik von Macht und Herrschaft sich anschließende spezifisch begrenzte Erkenntnislogik der GS erinnert werden. Zu prüfen wäre, ob Bröckling und andere GS-Autoren sie im Sinne Foucaults handhaben und ausschöpfen oder verengen und simplifizieren. Die Prinzipien des Selbstmanagements und der Wettbewerbsorientierung sollen so weit reichen, dass Bröckling vom »unternehmerischen Selbst« als Leitbild neoliberaler Subjektivierung spricht. Andererseits soll es aber keine empirische Entität sein, sondern nur die Richtung angeben, in der Individuen verändert werden, bzw. sich verändern sollen. Es existiert nur als etwas »zu produzierendes und zu optimierendes«, ein unternehmerisches Selbst ist man nicht, man soll es werden. Dieser appellhafte, präskriptive Grundzug ähnlich einer sich nur potentiell selbst erfüllenden Prophezeiung soll es auch von dem retrospektiv-analytischen Idealtypus im Sinne Max Webers unterscheiden. Ein solcher sei die Figur des

110 | Vgl. ebd., S. 286. 111 | Vgl. ebd., S. 288-295 und Paoli, Guillaume (Hg.): Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche. Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen, Berlin 2002.

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Arbeitskraftunternehmers als eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft.112 Das unternehmerische Selbst soll auch keine heuristische Kategorie für empirische Analysen darstellen, sondern die mikropolitische Ratio benennen, auf welche die Technologien der Selbst- und Fremdführung hinauslaufen, aber es soll nicht der empirischen Sozialstrukturanalyse dienen. In dieser Leit-Figur verdichten sich eine Vielzahl gegenwärtiger Subjektivierungsprogramme, deren gemeinsames Ziel die Ausrichtung der gesamten Lebensführung auf unternehmerisches Handeln darstellt. Dass dabei zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke bleibt, soll nicht ein Zeichen der Wirkungslosigkeit dieser Programme sein, sondern zu ihren Funktionsprinzipien als quasi simulierte mögliche Realität gehören. Damit wird aber zumindest ungeprüft die breite reale Wirksamkeit dieser Programme als Handlungsdruck unterstellt. Das Zurückbleiben hinter den Erfolgsverheißungen soll den Einzelnen unter Druck setzen, in der Optimierung seiner selbst niemals nachzulassen.113 Die von den Ratgebern propagierten Schlüsselqualifikationen stellen die Adressaten vor fast uneinlösbare Aufgaben und führen zu struktureller Überforderung und fortwährender Anspannung. Die Balance zwischen den z.T. unvereinbaren Anforderungen soll zu einer »Kopräsenz der Extreme« führen.114 Als Lernziel der Selbstmanagementliteratur haben Moldaschl und Sauer eine paradoxe Hybridgestalt ausgemacht: »Der durchsetzungsstarke Teamplayer, bzw. der teamfähige Einzelkämpfer, der kundenorientierte Glattling mit Ecken und Kanten, […] der begnadete Selbstvermarkter, der die Sache in den Vordergrund stellt, der einfühlsame Moderator mit dem feinen Gespür für Situationen, aus denen sich Kapital schlagen lässt; und der zweckrationale Nutzenmaximierer mit Einsicht in die Erfordernisse des Ganzen.«115

Das Subjekt soll sein Leben wie ein Projekt managen, um flexibel und innovativ zu sein und seinen Existenzwert sich selbst gegenüber zu maximieren. Aber Bröckling scheint sich als Umgang der Individuen mit diesen Ratgebern nur vorstellen zu können, dass sie sich immer mehr den propagierten Zielen annähern wollen, auch wenn sie sie nie ganz erreichen. Er berücksichtigt aber nicht, dass auch ein anderer Umgang mit diesen Ratgebern und Programmen möglich sein könnte, z.B. eine Unternehmensgründung unter Zuhilfe112 | Vgl. Bröckling 2007, S. 178/179. 113 | Vgl. ebd., S. 180. 114 | Vgl. ebd., S. 182. 115 | Moldaschl, Manfred/Sauer, Dieter: »Internalisierung des Marktes – Zur neuen Dialektik von Kooperation und Herrschaft, in: Minssen, Heiner (Hg.): Begrenzte Entgrenzungen, Berlin 2000, S. 205-224, hier S. 221.

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nahme dieser Ratgeber, aber mit gemeinnützigen, genossenschaftlichen Zielen, oder eine satirische Überspitzung der propagierten Prinzipien, oder dass die Ratgeber als Anstoß zum Nachdenken und zur Infragestellung einer umfassenden Kapitalisierung aller Lebensbereiche wirken könnten. Das unternehmerische Selbst bilde »den Fluchtpunkt jener Kraftlinien, die in institutionellen Arrangements und administrativen Regelungen, in Arbeits- und Versicherungsverträgen, in Trainingsprogrammen, in Therapiekonzepten, in medialen Inszenierungen und alltäglichen Performanzen wirksam sind. Diese Linien stehen in komplexen Wechselbeziehungen zu anderen« und das Subjekt sei Austragungsort wie Effekt dieser Kräfte.116

»Alltägliche Performanzen« sind aber eine andere eher empirisch-psychologische Ebene als Programme und Institutionen, so dass Bröckling hier unterschiedliche Ebenen vermengt und in Widersprüche gerät. Entweder das unternehmerische Selbst als Dispositiv oder Rationalitätsprinzip ist auf der Ebene von Programmen, als Fluchtpunkt verschiedener Konzepte angesiedelt, oder es ist auch auf einer alltäglichen, praktischen Ebene wirksam, dann ist die Abgrenzung Bröcklings gegen eine empirische Sozialstrukturanalyse aber nicht mehr verständlich. Eine solche müsste er nämlich durchführen, um die Wirksamkeit in »alltäglichen Performanzen« zeigen zu können. Außerdem bleibt es eine offene Frage, wie weit der Einfluß dieser Selbstmanagementratgeber – auch als bloße »Ideologie« – wirklich reicht und ob Bröckling die Wirkung dieser Ratgeber nicht überschätzt. Die große Verbreitung dieser Ratgeberliteratur ist sicher ein Indiz für ihren Einfluß. Trotzdem bleibt es zweifelhaft, ob die von ihnen propagierten Rollenangebote so vollständig umgesetzt werden könnten, und ob nicht trotzdem Raum für eigenständiges und nicht-marktbezogenes Verhalten der Individuen bleibt. Die fast schon totalisierende Sichtweise der Selbstmanagementtechniken bei Bröckling und anderen GS-Forschern (z.B. Miller/Rose) berücksichtigt nur ungenügend Foucaults Konzeption von Macht und Subjektivität, obwohl sie an Foucaults Studien zu Selbsttechniken anknüpfen. Der netzwerkartige Charakter der Macht bei Foucault setzt überall auch Ansatzpunkte für Widerstand voraus, denn »die Widerstandspunkte sind überall im Machtnetz präsent.«117 In Foucaults Hinwendung zum Subjekt in seinem Spätwerk wurde ein Suchen nach einem autonomen Subjekt deutlich, das sich dem Zugriff der Disziplinarund Biomacht gerade entziehen kann. Daher hätte Foucault in den Individuen durchaus noch Wider-standspotentiale gegen den Zugriff der Selbstmanage116 | Bröckling, Ulrich: »Das unternehmerische Selbst und seine Geschlechter«, in: Leviathan 30 (2002), S. 175-194, hier S. 179. 117 | Foucault 1977, S. 117.

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menttechniken gesehen, aber das wird von Bröckling nicht thematisiert. Foucault verstand Macht in seinem Spätwerk auch als »Handeln auf Handlungen«, als Beeinflussung der Handlungen anderer, die nur auf freie Subjekte ausgeübt werde, so dass diese Managementtechniken in Foucaults Sicht daher vermutlich nicht vollständig von den Individuen übernommen würden, sondern Anstoß wären für die Beeinflussung ihrer Handlungen, aber mit tendenziell offenem Ausgang, bzw. mit einem gewissem Spielraum für Veränderungen und Neuaneignungen.118 Ob bei der Umsetzung dieser Ratgeber in eigenes, individuelles Verhalten Raum für Brüche, Veränderungen oder (subversiven) Widerstand, bzw. eigene, subversive Neu-Aneignungen dieser Techniken bleibt, was genau dabei mit den Individuen passiert, kann (und will) Bröckling aber nicht untersuchen, denn seine Untersuchung »richtet sich ausschließlich auf Programme, nicht auf die Effekte und Friktionen ihrer Implementierung«.119 Das wäre aber gerade der spannende Punkt, an dem vermutlich auch Foucault ansetzen würde. Wenn Bröckling von Kraftlinien, von Effekten sich kreuzender Kräfte spricht und auf Wissensformen hinweist, mit denen die Individuen durch diese Ratgeber die Wahrheit über sich erkennen sollen, bewegt er sich durchaus in einem Foucaultschen Begriffsrahmen. Aber bei Foucault war das Erkennen der Wahrheit über sich selbst eingebettet in ein ethisch fundiertes Konzept von Selbsttechniken, das zudem an eine spezifische Phase der griechischen Antike gekoppelt war und war nicht etwas, was den Subjekten als äußerlich gegenübertritt, wie die vorgeschriebenen Regeln in der Ratgeberliteratur und im TQM. Das Verständnis von Macht als dynamisches Kräfteverhältnis soll bei Bröckling offenbar nur bezogen auf die Individuen gelten. Er sieht Kraftlinien, die auf das Individuum einwirken, aber nicht das Wirken unterschiedlicher sozialer Kräfte im gesellschaftlichen Zusammenhang. Er zieht keine Querverbindungen zu anderen Theorien und Programmen. Insbesondere Gouvernementalitäts-Modelle, die sich den Marktkräften nicht total unterordnen, werden nicht berücksichtigt, z.B. soziale Wirtschaftsunternehmen des sog. Dritten Sektors.

4.4 Z UM V ERHÄLTNIS A RBEITSSOZIOLOGIE UND G OUVERNEMENTALITÄTSSTUDIEN Was bedeutet dieser kritische Überblick zu verschiedenen Trends und Leitbildern in der Arbeitssoziologie nun für das Verhältnis zu den GS? Zunächst, dass eine vorschnelle Verallgemeinerung oder die Annahme einer Dominanz eines bestimmten Leitbildes, wie der Arbeitskraftunternehmer oder das unter118 | Vgl. Foucault 1994, S. 254/255. 119 | Vgl. Bröckling 2000, S. 135.

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nehmerische Selbst problematisch und verkürzt wäre. Vielmehr gelten solche Leitbilder oder Figuren jeweils mehr für bestimmte Segmente und Schichten der Arbeitnehmer. Dies beschränkt auch die Reichweite von theoretischen Konzepten der GS. Für unterschiedliche Organisationsformen und Ausprägungen von Arbeit sind jeweils andere Machtformen prägend, sind andere Regierungsrationalitäten und Logiken im Foucaultschen Sinne dominant. Während die Anschlussfähigkeit einer Foucaultschen Analyseperspektive an Diskurse der Arbeitssoziologie von den Gouvernementalitätsstudien (GS) eher in der Subjektivierung von Arbeit und in Figuren wie dem Arbeitskraftunternehmer oder in Leitbildern des Unternehmerischen Selbst als neue Subjektivierungsform gesucht wurde (was teils zu einer Überbetonung der Subjektivierung von Arbeit als neuem Paradigma führte), muss dies vor dem Hintergrund neuerer Forschungen in der Arbeitssoziologie differenzierter gesehen werden. Vielmehr müsste von einer je unterschiedlichen Relevanz bestimmter Foucaultscher Analysekategorien und Rationalitäten je nach Arbeitsorganisationsform und betroffener sozialer Schicht ausgegangen werden. Im Feld der Arbeitssoziologie und Arbeitspolitik wird wie oben schon angesprochen eher von drei großen Trends zur Beschreibung der Umstrukturierungen in den betrieblichen Organisationsformen und der gesellschaftlichen Produktionsweisen gesprochen:120 1. Prekarisierung als Dominanz unsicherer Beschäftigungsverhältnisse mit wenig oder ohne sozialstaatliche Sicherung 2. Re-Taylorisierung, bei der standardisierte Arbeitsvollzüge in gering oder hoch qualifizierter Arbeit wieder dominant werden, noch eher geprägt durch ein sog. »Normalarbeitsverhältnis« (längere Beschäftigungsdauer, eher feste Arbeitszeiten) 3. Subjektivierung, geprägt durch individuelle Selbstorganisation und hohe Flexibilität, betrifft eine sehr heterogene Gruppe und ist eher für höherqualifizierte Dienstleistungsarbeit relevant. Daneben identifizieren Sauer u.a. als Trends die zunehmende Dominanz einer »marktzentrierten Produktionsweise« (Vermarktlichung) die durch eine Ausrichtung an den Finanzmärkten und Renditeorientierung sowie eine neue Art der Kundenorientierung bestimmt ist (im Gegensatz zu einer mehr an internen betrieblichen Abläufen orientierten Produktionsweise). Zwischen diesen drei übergreifenden Formen der Arbeitsorganisation kann es vielfältige Übergangsstufen geben wie eine »Subjektivierte Taylorisierung« im Dienstleistungsbereich, wie Matuschek/Kleemann/Voß mit ihren Untersuchungen zur Arbeit 120 | Im Anschluss an Sauer 2005, S. 214.

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in Call-Centern zeigen oder prekäre Formen der Dienstleistungsarbeit, z.B. in Fast-Food-Ketten und Transport-firmen.121 Diese Aufteilung nach den Trends zur Prekarisierung – Re-Taylorisierung – Subjektivierung, kann nun zur Strukturierung der Ergebnisse der Arbeits- und Industriesoziologie dienlich sein. Während für die Tendenzen der Prekarisierung und Re-Taylorisierung eher disziplinäre, repressive Machttechnologien vorherrschend sein dürften, sind die von den GS stark betonten »Selbsttechnologien« eher nur für einen bestimmten Teil der subjektivierten Arbeit vor allem, aber auch dort nicht nur, im höher qualifizierten Dienstleistungsbereich relevant.122 Für die Ebene der Prekarisierten (oder die Zone der Unsicherheit) dürften dagegen eher Formen der Disziplinarmacht oder einer repressiven Subjektivierung relevant sein. Ebenso ist für Formen der re-taylorisierten, hoch-qualifizierten Industriearbeit eher die disziplinierende Zurichtung der Subjekte dominierend. Damit sind auch die mit der Analyse der Subjektivierung von Arbeit oder mit dem Entstehen und der angenommenen hohen Relevanz von Selbsttechnologien verknüpften latenten Hoffnungen einer Abnahme disziplinierender Regierungstechnologien (wie es bei Bröckling oder Voß/Pongratz anklingt) z.B. im kollektiven Verteidigen einer sozialen Absicherungsstrategie gegen fremdbestimmte intensivierte Leistungsoptimierung, mit Vorsicht zu sehen. Die für die Figur des Unternehmerischen Selbst oder die subjektivierende Arbeit angenommenen Potenziale für Kreativität, Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung werden immer schon in die betrieblichen Abläufe und in eine intensivierte Nutzung der Ware Arbeitskraft integriert und strategisch instrumentalisiert.123 121 | Artus, Ingrid: »Prekäre Vergemeinschaftung und verrückte Kämpfe. Repressive Integration als Herrschaftsmodus im prekären Dienstleistungsbereich«, in: Prokla 150, Nr.1(2008), S. 27-49, Matuschek, Ingo/Kleemann, Frank/Voß, G.Günther: »Subjektivierte Taylorisierung als Beherrschung der Arbeitsperson« ebenfalls in: Prokla 150, Nr. 1(2008), S. 49-65, sowie Kleemann, Frank/Matuschek, Ingo: »Subjektivierung in informatisierter Kommunikationsarbeit«, in: Schönberger, Klaus/Springer, Stefanie (Hg.): Subjektivierte Arbeit. Mensch, Organisation und Technik in einer entgrenzten Arbeitswelt, Frankfurt/M, New York 2003, S. 117-143. 122 | So auch die Stoßrichtung der Kritik an den GS von Langemeyer (2006) in Scholz. u.a. 2006; ähnliches legen auch die Ergebnisse von arbeitssoziologischen Untersuchungen zur IT-Branche nahe, vgl. Boes 2004 und Baukrowitz 2006. Andere Einschätzungen, mit Einschränkungen hinsichtlich der Dominanz von AKU- und US-Orientierungen bei Hochqualifizierten, wiederum bei Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: »Interessenidentität und Konfliktfähigkeit bei Hochqualifizierten«, Vortrag 2011. 123 | So legen es zumindest neuere arbeitssoziologische Untersuchungen nahe Wagner, Hilde (Hg.): Rentier ich mich noch? Neue Steuerungskonzepte im Betrieb, Hamburg

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Wenn hier von Formen einer disziplinierenden Regierungstechnologie oder einer disziplinierenden Subjektivierung bei der Analyse betrieblicher Organisationsformen ausgegangen wird, heißt dies jedoch nicht, einer repressiven Machttheorie verhaftet zu bleiben, oder in einer Orientierung auf fordistische Betriebsorganisation zu verharren, sondern zu sehen, dass auch solche re-taylorisierten Organisationsformen der Arbeit eine Variante ›produktiver‹ oder ›positiver‹ Macht im Sinne einer Foucaultschen Machtanalytik sein können. Diese Unterscheidung von unterschiedlichen Arbeitsorganisationsformen kann nun zur Strukturierung und Gewichtung der Theorien von Arbeitssoziologie und Gouvernementalitätsstudien dienen.

4.5 A RBEIT UND P REK ARITÄT Das Aufkommen sog. prekärer, unsicherer Arbeitsformen kann als Indiz für die zunehmende soziale Spaltung und Exklusion genommen werden. Anders als in der französischen Prekarisierungsforschung tat man sich in Deutschland lange schwer, explizit von Prekarisierung zu sprechen, schien doch die deutsche Sozialstaatstradition gegen eine Herausbildung einer dauerhaft prekären Schicht von Arbeitnehmern zu sprechen. Ähnlich war es hierzulande auch lange unüblich, von ›Exklusion‹ oder ›Unterschicht‹ zu sprechen. Zuerst ging der französische Soziologe Robert Castel von einer Aufspaltung der Lohnarbeits-gesellschaft in Zonen unterschiedlicher sozialer Kohäsion aus und wendete sich mit seiner Prekarisierungsthese gegen einen eng gefassten Exklusionsbegriff. Castel unterschied in seinem Werk »Die Metamorphosen der sozialen Frage«124 eine Achse der Integration durch Arbeit (stabile Beschäftigung, prekäre Beschäftigung, Ausschluss aus Arbeit) und eine Achse der Integration in Beziehungsnetzwerken (solide Verankerung in Beziehungsnetzwerken, Brüchigwerden der Beziehungen, soziale Isolation). Daran anschliessend unterscheidet Castel »Zonen unterschiedlicher Dichte der sozialen Verhältnisse, die Zone der Integration, die Zone der Verwundbarkeit, die Zone der Fürsorge und schliesslich die Zone der Exklusion oder vielmehr der Entkopplung. Es handelt sich dabei jedoch nicht um mechanische

2005, Kratzer, Nick/Menz, Wolfgang u.a.: »Leistungspolitik als Feld ›umkämpfter Arbeit‹«, in: Prokla 150, Nr. 1 (2008), S. 11-27, aber auch Glißmann/Peters 2001 zur Ambivalenz und Instrumentalisierung von Indirekter Steuerung für verstärkten Leistungsdruck auf Beschäftigte. 124 | Castel, Robert: Die Metamorphosen der sozialen Frage, Hamburg 2000.

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Korrelationen, da eine starke Wertigkeit auf der einen Achse eine Schwäche auf der anderen kompensieren kann«.125

Die Arbeitslosigkeit war dabei nur die sichtbarste Manifestation eines grundlegenden Wandels der Beschäftigungssituation, die Prekarisierung der Arbeit ein weiterer bedeutender Aspekt davon. Im Anschluss und in Weiterentwicklung von Castel hat eine deutsche Forschergruppe um Klaus Dörre eine Arbeitsdefinition von prekärer Beschäftigung vorgelegt, die sich einerseits auf die Beschäftigungssituation und andererseits auf die subjektiven Verarbeitungsformen bezieht: »Als prekär kann ein Erwerbsverhältnis bezeichnet werden, wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert. Nach dieser Definition ist Prekarität nicht identisch mit vollständiger Ausgrenzung aus dem Erwerbssystem, absoluter Armut, totaler sozialer Isolation und erzwungener politischer Apathie. Vielmehr handelt es sich um eine relationale Kategorie.« 126

Sie unterscheiden eine Zone der Prekarität, eine Zone der Integration mit geschützten Normalarbeitsplätzen und schliesslich eine Zone der Entkopplung:127 In der Zone der Integration differieren sie zwischen (1) gesicherter Integration, (2) atypischer Integration (»die Unkonventionellen« oder »Selbstmanager«), 3) unsichere Integration (die Verunsicherten), (4) gefährdete Integration (»die Abstiegsbedrohten«) In der Zone der Prekarität unterscheiden sie (5) »die Hoffenden« die temporär integriert sind und prekäre Beschäftigung als Chance für den Einstieg in normale Beschäftigung sehen, (6) »die Realistischen«, für die Prekarität zum dauerhaften Arrangement wird und (7) solche die sich mit ihrer Situation arrangiert haben, »die Zufriedenen«. In der untersten Zone der Entkopplung finden sich einerseits (8) »die Veränderungswilligen«, die die Ausgrenzung noch für überwindbar halten und schliesslich (9) »die Abgehängten«, die zwischen kontrollierter Ausgrenzung und inszenierter Integration stehen.

125 | Ebd., S. 360f. 126 | Castel, Robert/Dörre, Klaus Frankfurt/M, New York 2009, S. 17. 127 | Vgl. ebd., S. 48.

(Hg.):

Prekarität,

Abstieg,

Ausgrenzung,

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Es vollziehe sich ein Übergang von »marginaler« zu »disqualifizierender/ diskriminierender Prekarität«. Prekarität sei kein bloßes Problem sozialer Randschichten. Vielmehr prägten sich drei Strukturformen von Prekarität aus:128 Am unteren Ende der sozialen Hierarchie befinden sich die »Überzähligen« der Arbeitsgesellschaft (dazu zählen in Deutschland ca. 7,4 Mio. Empfänger von Grundsicherung, unter ihnen etwa 2,5 Mio. Erwerbslose und 1,3 Mio. abhängig Beschäftigte (2007). Davon lassen sich wiederum die eigentlich »Prekären« abgrenzen (unsichere, niedrig entlohnte und gesellschaftlich gering angesehene Arbeiten, überwiegend die mehr als eine Million Leiharbeiter), sowie die Menschen in atypischen Erwerbsverhältnissen mit einer Zunahme von 17.5 % (1997) auf 25.5 % aller abhängig Beschäftigten (2007). Diese Zunahme ist dafür nur ein Indikator, weil so weder prekäre Selbständigkeit noch die rasche Ausdehnung niedrig entlohnter Vollzeitbeschäftigter erfasst wird.129 Ca. 6,5 Mio. Menschen verdienen weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns, die höchsten Anteile daran weisen Frauen (30,5  %) und Geringqualifizierte (45,6  %) auf. Aber rund drei Viertel aller Niedriglohnbeschäftigten verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder gar einen akademischen Abschluss. Aber auch innerhalb formal sicherer Beschäftigung grassiert die Angst vor Statusverlust und Reallohneinbußen. Daneben könne man zwei Arten von Integration über Erwerbsarbeit unterscheiden, die reproduktiv-arbeitskraftbezogene und die subjektiv-sinnhafte, tätigkeitsbezogene Integration. Diese subjektiv- sinnhafte Integration kann strukturelle Beschäftigungsunsicherheit zumindest zeitweise kompensieren, aber nur bei entsprechender Ausstattung mit kulturellen und finanziellen Ressourcen. »Befragte Freelancer, Werbefachleute und Führungskräfte mit Zeitverträgen, die wir als Selbstmanager bezeichnet haben, betrachten sich trotz flexibler Beschäftigungsverhältnisse keineswegs als Prekarier.«130 Gerade bei Hochqualifizierten werde das Empfinden sozialer Unsicherheit durch das Interesse an der Tätigkeit und durch den (subjektiv empfundenen) Freiheitsgewinn durch flexible Arbeitsformen kompensiert. »Die Bereitschaft zum Freiheitsgewinn durch Selbstunterwerfung tritt bei Führungskräften der unteren und mittleren Ebene, aber auch bei Spezialisten und mittleren Angestellten häufig in Reinkultur hervor« und mache eine Verinnerlichung des Marktzwangs wahrscheinlicher.131

128 | Vgl. ebd., S. 45. 129 | Vgl. ebd., S. 46. 130 | Ebd., S. 47. 131 | Ebd., S. 48.

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Arbeitsweltliche Integration sei inzwischen auch in flexiblen Beschäftigungsformen möglich, so dass ihre Typologie der Integrationspotenziale von Erwerbsarbeit nicht mehr auf einer konservierenden Normalarbeitsvorstellung beruhe. Das Nebeneinander von gesicherter Integration (über unbefristete Vollzeitbeschäftigung) und unkonventioneller Integration (in flexibler Beschäftigung mit hoher Identifikation mit den Inhalten der Tätigkeit) signalisiere das Ende einer unumstrittenen Hegemonie geschützter Lohnarbeit. Die Formen kreativer Prekarität stellten einen Grenzfall dar. Bei der Kombination von kreativer Arbeit und unsicherer Beschäftigung seien vielfältige Übergänge von unkonventioneller Integration zu temporärer Prekarität möglich. Für die Masse der eigentlichen Prekarier sei ihr Zustand jedoch eine dauerhafte Diskriminierung und die Art der Arbeitstätigkeiten lasse für Selbstentfaltung kaum Spielräume. Dennoch orientiere sich die Mehrzahl der hoffenden, realistischen Prekarier nach wie vor am klassischen Normalarbeitsverhältnis.132 Die Schwebelage, oder die Ahnung in eine solche zu geraten, hält zu permanenter Selbstaktvierung an. Unter Bedingungen struktureller Benachteiligung entwickeln Ausgegrenzte aktiv Überlebensstrategien, allerdings erfolge die Einbindung nicht mehr so sehr über primäre, an Erwerbsarbeit gekoppelte Integrationsmodi, sondern über neu erzeugte sekundäre Integrationsformen (z.B. wenn Leiharbeiter ihre Tätigkeit als Übergang in Normalarbeit zu sehen versuchen). Die Prekarität wirkt aber auch auf die Festangestellten in gesicherten Beschäftigungsverhältnissen zurück und hat einen Disziplinierungseffekt, indem sie sich gegen flexible Leiharbeiter abgrenzen und ihre Festanstellung als Privileg verteidigen. Dies trage zu Auseinandersetzungen um Statuserhalt und Verlust von Privilegien zwischen Festangestellten und Prekarisierten bei und verhindere die Konstituierung von Klassenmacht gegen die neue Klasse der Vermögensbesitzer. Allerdings werde mittelfristig die Prekarisierung für das System auch dysfunktional, demographischer Wandel und Fachkräftemangel setzten den Prekarisierungsstrategien auch Grenzen.133 Abschliessend kam die Forschergruppe um Dörre zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Es sei erstens von einer historisch neuen Form von Prekarisierung auszugehen, die sie im Anschluss an Paugam als diskriminierende Prekarität bezeichnen und die nicht allein im sozialen Abstieg befindliche Gruppen erfasst, sondern auch die Normalitätsmaßstäbe von Arbeit insgesamt verschiebt. 2. Prekarität solle in einem weiten Sinne definiert werden, auf die Produktionsformen und auf die Struktur des Finanzmarktkapitalismus bezogen werden. 132 | Vgl. ebd., S. 52/53. 133 | Vgl. ebd., S. 59.

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3. Es müssten unterschiedliche strukturelle Ausprägungen und Verarbeitungsformen von Prekarität untersucht werden. Denn zwischen den Strukturformen von Prekarität und den subjektiven Sicherheitskonstruktionen von Individuen bestehe nach ihren Erkenntnissen nur ein loser Zusammenhang. Das Unsicherheitsempfinden nehme nämlich nicht unbedingt parallel zur strukturellen Unsicherheit der Arbeitssituation zu, denn die Einbindung in soziale Netze bleibe zumindest z.T. erhalten.134 4. Es solle eine für Prekarität charakteristische »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« in den Blick genommen werden, denn es gebe eine Koexistenz unterschiedlicher Ausprägungen von Prekarität und darauf bezogener Ansprüche, die mit einer einfachen Dichotomie (wie prekär-Normalarbeitsverhältnis) nicht erfasst werden könne. 5. Die Integration mittels materieller Teilhabe und gesellschaftlicher Anerkennung von Arbeit werde durch die Disziplin des Marktes und die Ausübung staatlichen Zwangs ersetzt. Die staatliche aktivierende Arbeitsmarktpolitik mit der Sanktionsmacht strenger Zumutbarkeitskriterien verstärke den disziplinierenden Druck der Prekarisierung bei den noch Beschäftigten zusätzlich. Aber die marktzentrierte Kontrolle von Beschäftigten und Arbeitslosen funktioniere keineswegs perfekt. Leitbilder des Unternehmerischen Selbst geraten in Konflikt mit eigensinnigen Praktiken von Individuen und sozialen Gruppen. 6. Die Bestimmung von Prekarität sei als historisch-kritische, zeitdiagnostische Kategorie zu verstehen und begreife Arbeitsverhältnisse als geschichtlich gewordene und veränderbare. Von einem einheitlichen Prekariat könne zwar keine Rede sein, aber der Kampf um Sicherheit gewinne für viele verschiedene prekarisierte Gruppen an Bedeutung. Bei der Untersuchung der Wirkung der Hartz-Reformen und der damit einhergehenden veränderten Einstellung zur Erwerbsarbeit konnte die Forschergruppe die Befragten drei Grundkategorien zuordnen: »den Um-jeden-PreisArbeiter, die ›Als-ob-Arbeiter‹ und die Nicht-Arbeiter«.135 Die Befragten der ersten Gruppe nutzten jede sich bietende Chance, um in das Erwerbssystem hineinzukommen, zu ihnen zählen vor allem »Aufstocker« und Selbständige. Die ›Als-ob-Arbeiter‹ halten normativ an regulärer Erwerbsarbeit fest, akzeptieren jedoch Alternativen wie Ein-Euro-Jobs oder ABM, die für sie eine Gelegenheit sind, die Normalitätsfassade aufrechtzuerhalten. Die Diskrepanz zwischen normativer Orientierung an regulärer Erwerbsarbeit und realen Möglichkeiten wird jedoch für sie zum Problem. Diese Kategorie umfasst unterschiedliche Ty134 | Vgl. ebd., S. 61. 135 | Vgl. Bescherer, Peter/Röbenack, Silke/Schierhorn, Karen: »Eigensinnige Kunden – Wie Hartz IV wirkt und wie nicht«, in: Dörre u.a. 2009, S. 145-156, hier S. 147.

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pen der Verarbeitung von Arbeitslosigkeit von Minijobbern bis ehrenamtlich Engagierten.136 Die Nicht-Arbeiter schließlich richten sich in einem Leben ohne Hoffnung auf Integration in die offizielle Arbeitsgesellschaft ein, aber entwickeln teils Formen »eigensinniger Aktivitäten« zwischen Nachbarschaftskontakten, Selbsthilfe, Aktivitäten in politischen und subkulturellen Milieus. Als zwei Verarbeitungsstrategien kann man die konventionellen Nicht-Arbeiter, die Erwerbsarbeit als gesellschaftliche Norm ansehen, aber sich zu den Ausnahmen zählen, und die Verweigerer sehen, die Alternativen zur Erwerbsarbeit suchen. Die Forschergruppe resümiert, dass »die Anwendung strenger Zumutbarkeitsregeln, gemessen an den damit verfolgten arbeitsmarktpolitischen Intentionen weitgehend wirkungslos bleibt«.137 Wer ohnehin um jeden Preis arbeiten will (die erste Gruppe) akzeptiert nahezu jede Erwerbstätigkeit und erlebe Maßnahmen der Arbeitsverwaltung häufig als sinnlos oder als Drangsalierung. Auch bei der zweiten Gruppe sei der aktivierende Anspruch strenger Zumutbarkeitskriterien verfehlt, denn die ›Als-ob-Arbeitenden‹ würden gerne einer regulären Beschäftigung nachgehen und sehen Ein-Euro-Jobs als Möglichkeit, die Fassade der Normalität für kurze Zeit aufrechtzuerhalten.138 Die Kluft zwischen Norm und Realität zu überbrücken, wird mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit aber immer schwieriger. Ein anderer Effekt der Arbeitsmarktreform sei jedoch, dass Hartz IV zum Symbol des jederzeit möglichen Abstiegs wurde und gerade die eigentlich noch Beschäftigten alles versuchten, dem zu entgehen. »Insofern erreicht der disziplinierende Effekt strenger Zumutbarkeit eher die Noch-Beschäftigten als die Arbeitslosen«, resümieren die Forscher.139 Selbst langjährige Arbeitslose würden oft am Ziel einer regulären, existenzsichernden Erwerbsarbeit festhalten und somit den aktivierenden Anforderungen zu entsprechen versuchen. Aber gerade solche Arbeitslose, die noch eine Erwerbsorientierung haben, würden mit sozial Deklassierten gleichgesetzt, die keine Perspektive mehr haben und in die Nähe eines Unterschichtenhabitus gerückt. So werde eine Homogenität der Betroffenengruppen konstruiert, die sozial und kulturell nicht existiere. Unter den Bedingungen strenger Zumutbarkeit seien die drei aufgezeigten Strategien der Nicht-Arbeit, der Als-ob – und der Um-jeden-PreisArbeitenden aus Sicht der Betroffenen dennoch plausibel.140

136 | Vgl. ebd., S. 149. 137 | Vgl. ebd., S. 155. 138 | Ebd., S. 155. 139 | Ebd., S. 155. 140 | Vgl. ebd., S. 155/156.

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4.6 A RBEIT UND I NFORMALITÄT An dieser Stelle bietet sich ein Rückgriff auf die Forschungen von Altvater/ Mahnkopf zur Informalität von Arbeit an.141 Altvater/Mahnkopf unterscheiden verschiedene Abstufungen des Informellen, von formaler Arbeit (Normalarbeitsverhältnis), halblegaler, informeller Formalität und zur Gänze sich informell vollziehender Arbeit (Schattenökonomie), bis hin zu kriminellen Formen der Informalität (die hier nicht behandelt werden sollen). Castel unterscheidet wiederum eine Zone des Einschlusses, eine Zone der Verwundbarkeit, eine Zone der Prekarität und schliesslich eine Zone des Ausschlusses. Darin liessen sich Parallelen und Bezüge zu den unterschiedlichen Abstufungen der Informalität bei Altvater finden. Aus einer Perspektive der Gouvernementalität wiederum lassen sich Bezüge zu den Machttechnologien der Souveränität, der Disziplin und Kontrolle und der Sicherheitsdispositive ziehen. Die Regierungstechniken der Selbstführung und der Selbsttechniken wiederum sind nur für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern bzw. Selbstständigen die am ehesten den Anrufungen des Unternehmerischen Selbst und des AKU tendenziell genügen können relevant, denn diese diskursiven Leitfiguren haben ihre Begrenzungen wie ich oben in der relativierenden Kritik an Bröckling gezeigt habe (und wie auch neuere Forschungen aus der Arbeits- und Industriesoziologie belegen142). Selbst für den Bereich hochqualifizierte Dienstleistungen gilt der Leittypus des AKU und des Unternehmerischen Selbst nur noch eingeschränkt, wie Boes in seinen Untersuchungen zu »Arbeitsbewusstsein, Interessenidentität und Konfliktfähigkeit bei Hochqualifizierten« am ISF München feststellte.143 Vor dem Hintergrund einer qualitativ neuen, weitgehend ›informatisierten Produk141 | Altvater/Mahnkopf 2004. 142 | Vgl. Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: »Interessenidentität und Konfliktfähigkeit bei Hochqualifizierten«, Vortrag auf der Jahrestagung der Loccumer Initiative. Bremen, 2. April 2011. Selbst bei einer vermeintlichen ›Leitbranche‹ für neue Arbeitsorganisationsformen wie der Internet- und IuK-Dienstleistungsbranche sind ›unternehmerische Subjektivierungsformen‹ nicht ganz so dominant, wie es medial vermittelt manchmal schien. Selbst traditionelle Formen der Mitbestimmung werden nach dem Ende der ›New Economy-Blase‹ durchaus wieder geschätzt.Vgl. Boes 2004, Mayer-Ahuja, Nicole/Wolf, Harald (Hg.): Arbeit und Organisation in Neuen Medien und Kulturindustrie- Modelle für die Zukunft?, Göttingen 2003 und Mayer-Ahuja/Wolf (Hg.): Entfesselte Arbeit- Neue Bindungen. Grenzen der Entgrenzung in der Medien- und Kulturindustrie, Berlin 2005. 143 | Boes/Kämpf 2011: »Interessenidentität und Konfliktfähigkeit bei Hochqualifizierten«. Auf der empirischen Grundlage von 75 Fallstudien mit 730 Interviews in der IuK-Industrie, den FuE-Abteilungen in der Automobilindustrie und der Elektroindustrie untersuchten sie das gewandelte Selbstverständnis von Hochqualifizierten. Boes

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tionsweise‹ und einer »Kopfarbeit in global verteilten Wertschöpfungsketten« in einem neuen globalen Informationsraum, der eine noch weitergehende globale Vernetzung und Fragmentierung von Produktionsstandorten in der IuKBranche ermöglicht, gehen sie von einer ›Zeitenwende‹ im Bewusstsein und dem Selbstverständnis von Hochqualifizierten aus: Selbst diese, an Autonomie gewöhnten Angestellten machen nun neue Lohnarbeitserfahrungen und es steht bei ihnen wieder mehr die Arbeitnehmeridentität im Mittelpunkt. Durch die Standardisierung und Prozessorientierung von Arbeitsinhalten erfahren sie einen Verlust ihrer bisherigen privilegierten Position im Unternehmen und einen Bruch in der Entwicklung ihrer Arbeitssituation: Von einer Erfahrung verantwortlicher Autonomie mit gewissen Spielräumen entwickelt sich ihre Arbeitssituation hin zu einer Standardisierung und von bloß formeller zu reeller Lohnarbeit, denn auch diese Hochqualifizierten werden austauschbarer. Im Zuge der radikalisierten ›Ökonomisierung‹ von Unternehmenskulturen entstehe ein »System permanenter Bewährung« und eine Erhöhung von Stress und Druck, so dass ein neuer Arbeitnehmertypus zwischen Ohnmachtserfahrungen und der Suche nach neuen Formen der Solidarität entstehe. Viele Hochqualifizierte erfuhren Sinn und Bestätigung durch ihren Beitrag zum Erfolg des Unternehmens, also durch eine sog. Beitragsorientierung. Diese Beitragsorientierung erodiert nun und ist nicht mehr hegemonial, sondern wird durch eine neue Qualität der Lohnarbeitserfahrung ersetzt. Die Hochqualifizierten bilden eine Art neue Arbeitnehmeridentität aus: Sie schwanken zwischen einem Selbstverständnis als ›manifeste Arbeitnehmer‹ (die dem ein positives Verhältnis abgewinnen können) und einem als ›Arbeitnehmer wider Willen‹, bei denen der Verlust ihrer relativ privilegierten Sonderstellung im Mittelpunkt steht. Damit prägt eine neue Qualität von Lohnarbeitserfahrung selbst die Hochqualifizierten und die Arbeitsbeziehungen stehen an einem Scheideweg zwischen einer neuen Form der Entwertung und der Suche nach neuen Formen von Solidarität und Mitbestimmung, so Boes. Mit dem Fokus auf Sicherheit als einem zentralen Mechanismus auch der neoliberalen Regierung kann die Bedeutung von Sicherheitsdispositiven bei der Regelung von Inklusion und Exklusion von Subjekten gezeigt werden. Vertreter der GS wie Opitz und Krasmann144 , lenken stärker den Blick auf die Bedeutung von Exklusionsmechanismen bei der neoliberalen Regierung oder sehen gar (2011): Vortrag gehalten auf der 21. Jahrestagung der Loccumer Initiative, Bremen, 2. April 2011. 144 | Krasmann, Susanne/Opitz, Sven: »Regierung und Exklusion. Zur Konzeption des Politischen im Feld der Gouvernementalität«, in: Krasmann, Susanne/Volkmer, Michael (Hg.): Michel Foucaults ›Geschichte der Gouvernementalität‹ in den Sozialwissenschaften, Bielefeld 2007, S. 127-157.

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die Möglichkeit einer Tendenz zur illiberalen Gouvernementalität und haben dabei aber mehr die Terrorismusbekämpfung, Folterdebatten und Debatten um ein exkludierendes, den Rechtsstaat suspendierendes Feindstrafrecht im Blick. Ausgehend von der Konjunktur des Begriffs der Sicherheit in öffentlichen Debatten der letzten Jahre in verschiedenen Kontexten (Außen- und Sicherheitspolitik, Kriminalitätsbekämpfung, Zugang zu öffentlichen Räumen) sehen sie das Foucaultsche gouvernementale Analyseschema aus Souveränität-Disziplin und Sicherheitsdispositiven als eine strategische Formation, um die Inklusion und Exklusion von Bevölkerungsgruppen zu regulieren. Die Produktion von Ein- und Ausschließung vollziehe sich im Register der Gouvernementalität, die verschiedene Adressatengruppen produziere, die auf unterschiedliche Weise Unsicherheit repräsentieren und die entsprechend gehandhabt werden müssen.145 Die Sicherheit »okkupiere« zunehmend das Recht (vor allem in der Kriminalitäts- und Sicherheitspolitik), das Recht wird zum taktischen Instrument. Das strategische Doppel von Sicherheit und Bevölkerung erlaube es, das Recht als taktisches Instrument einzusetzen und neue Formen souveräner Macht hervorzubringen.146 Die Dispositive der Sicherheit greifen auf Technologien der Einschliessung zurück, die die Körper der Individuen nach dem Code von »gefährlich/ungefährlich« sortieren. Auch wenn diese Unterscheidung hier für meine Fragestellung noch nicht relevant erscheint, wird sie doch später bei der Regulierung und Regierung von lokalen Räumen wieder auftauchen. Die analytischen Instrumentarien von Opitz/Krasmann sind auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Feld des Sozialen (und teils auch der Arbeit) zunehmend mit der Chiffre der Exklusion (bzw. Inklusion) thematisiert werde, wie ja auch die Aufteilung von Castel in unterschiedliche Zonen des Einund Ausschlusses zeigt. Statt unterschiedliche soziale Lagen oder soziale Milieus würden eher Formen von Inklusion/Exklusion erforscht und der Begriff Exklusion erlebe eine diskursive Konjunktur.147 Auch räumliche Formen der Ausschliessung werden verstärkt thematisiert, wie im dritten Teil dieser Arbeit deutlich wird. Dieser Code des Regierens über Inklusion/Exklusion kann sich auch räumlich zeigen, wie wir später sehen werden, so bei der Kategorisierung von ›gefährlichhen Orten‹ an denen Bürgerrechte eingeschränkt werden, bei verdachtsunabhängigen Kontrollen oder bei Platzverweisen von als gefährlich eingestuften Gruppen/Personen. 145 | Ebd., S. 140. 146 | Ebd., S. 138. 147 | Vgl. ebd., S. 129 und Kronauer, Martin: Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hochentwickelten Kapitalismus, Frankfurt/M 2002, Bude, Heinz: »Das Phänomen der Exklusion«, in: Mittelweg 36 (4) (2004), S. 3-15, Castel 2000.

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4.7 Z UR K RITIK UND DEN G RENZEN DER G OUVERNEMENTALITÄTSSTUDIEN Bevor die Forschungsperspektive der Governmentality Studies im sechsten Kapitel auf eine konkrete lokale Fallstudie bezogen wird und mit der Perspektive des Regierens über Räume ergänzt wird, sollen hier in einem ersten Zwischenresumee die Probleme und Grenzen des GS-Ansatzes, wie sie sich in Bezug auf das Feld der Arbeitspolitik und die Arbeitssubjektivität der Individuen darstellen, aufgezeigt werden. Die Rolle des Staates wird von den GS tendenziell vernachlässigt. Die Vorstellung, dass die staatlich fixierten Herrschaftsformen nur ein Typus unter verschiedenen Regierungsformen sei, bedeutet eine Nivellierung dieser Unterschiede und läuft auf eine Unterschätzung des Staates hinaus. Andererseits folgen sie damit einem generellen Trend, statt auf die Rolle des Staates im engeren Sinne stärker auf die verschiedenen Governance- und Regierungsweisen zu schauen. »Die Untersuchung neoliberaler Regierungsrationalitäten greife zu kurz, wenn nicht auch die Macht der Ökonomie im Sinne politökonomischer Problemstellungen stärker berücksichtigt werde.«148 Hier bietet sich ein Bezug zur Regulationstheorie oder anderen politökonomischen und globalisierungskritischen Ansätzen an, wie ich es mit einer Einbeziehung der Forschungen Altvaters zur Informalisierung von Ökonomie und Politik in dieser Arbeit versuche. »Das Phänomen des Booms bestimmter Regierungstechnologien könne nicht losgelöst vom Wandel des Akkumulationsregimes und der damit korrespondierenden Regulationsweisen betrachtet werden.«149 Damit kämen die Reorganisation der Sozial- und Klassenverhältnisse im Kontext der Ablösung des fordistischen Akkumulationsregimes durch ein postfordistisches stärker in den Blick. Die GS neigen ferner dazu, die Widersprüche bei der Analyse der Machtmechanismen auszublenden. Sie versäumen es, zu zeigen, wie sich die gesellschaftlichen Widersprüche im Handeln der Subjekte zeigen oder welchen Umgang sie damit finden. Sie unterscheiden auch nicht zwischen Unterwerfung der Subjekte als herrschaftsförmige Zurichtung und Subjekt-werdung im Sinne der Entwicklung eines Denk- und Handlungsvermögens.150 Diese Konzipie148 | Pieper, Marianne: »Regierung der Armen oder Regierung von Armut als Selbstsorge«, in: Dies./Gutierrez Rodriguez (Hg.), 2003, S. 136-161, hier S. 154/156. 149 | Stövesand, Sabine: »Doppelter Einsatz: Gemeinwesenarbeit und Gouvernementalität«, in: Anhorn/Bettinger/Stehr 2007, S. 277-295, hier S. 285. 150 | Vgl. Langemeyer, Ines: »Wo Handlungsfähigkeit ist, ist nicht immer schon Unterwerfung. Fünf Probleme des Gouvernementalitätsansatzes, in: Anhorn/Bettinger/Stehr (Hg.) 2007, S. 227-243, hier S. 231, vgl. auch Kaindl, Christina (Hg.): Subjekte im Neoliberalismus, Marburg 2007.

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rung des Subjekts vernachlässigt die Frage nach Handlungsfähigkeiten, die auf herrschaftsfreie Verhältnisse verweisen könnten. Wenn »Hervorbringung und Unterwerfung des Subjekts, seine gesellschaftliche Zurichtung und Selbstkonstitution in eins gehen«151 und es immer schon ein Effekt von Machtinterventionen ist, bleibt nichts Eigensinniges und Widerständiges oder kein alternativer Umgang mit diesen Zurichtungen. Alle Aktivität, alles Eigensinnige wird auf die Verinnerlichung äußerer Machtverhältnisse zurückgeführt, so dass das Subjekt sich in einem reinen Struktureffekt von Machtbeziehungen auflöst. Aber ein Subjektivierungsprozess verläuft weder geradlinig noch als ein abgeschlossener Effekt, weil das Handeln der Menschen auch kontingent bleibt. Ansätze wie die der Kritischen Psychologie negieren das Subjekt nicht und sehen es als ein gesellschaftliches Wesen. Foucault behandle jedoch Subjektivität ohne Unterschied als »Produkt von Techniken und Effekt von ›Wahrheitsspielen‹.«152 Anknüpfend an Langemeyer lassen sich folgende Probleme der GS aufzeigen: Es müsse darum gehen, nicht nur die Gleichzeitigkeit von Ermächtigung und Unterwerfung aufzudecken, sondern das »Ineinander von freisetzenden Aspekten und Zwangsmomenten« analytisch zu unterscheiden. »Wo Handlungsfähigkeit entsteht, ist nicht immer schon Unterwerfung.«153 Man dürfe die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung nicht vorschnell aufgeben. Handlungsfähig werden könne auch ein Überschreiten von Widersprüchen und Herrschaftsverhältnissen bedeuten. Eine analytische Unterscheidung zwischen Vergesellschaftungsweisen und Formen der Handlungsfähigkeit sei nötig, um das Selbstmanagement als Problem nicht zu verabsolutieren. Ein zweites Problem sieht Langemeyer darin, »dass Foucaults Subjektivierungsbegriff etatistisch untermauert ist und das Konzept der Gouvernementalität zugleich ökonomistisch ausgelegt« werde.154 Er beziehe – anders als die GS – Subjektivierungsmechanismen vor allem auf den Staat, wir hätten es seit dem 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart mit einer »stetigen Etatisierung von Machtverhältnissen zu tun, weil diese fortschreitend gouvernementalisiert, d.h. in der Form oder unter dem Schirm staatlicher Institutionen ausgearbeitet, rationalisiert und zentralisiert worden seien.«155 In Foucaults Vorlesungen zur Gouvernementalität scheint die Etatisierung wiederum mit einer Ökonomisierung der Macht zusammenzufallen. Dies scheint mir jedoch wiederum eine Fehl151 | Bröckling 2002, S. 177, zit. n. Langemeyer 2007, S. 231. 152 | Langemeyer 2007, S. 232. 153 | Ebd., S. 232. 154 | Ebd., S. 233. 155 | Foucault, Michel: »Das Subjekt und die Macht«, in: Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim 1994 (1982), S. 243-265, hier S. 259.

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deutung von Foucaults Konzept zu sein, denn Foucault ging es ja gerade darum, die Fixierung der politischen Theorie auf den (souveränen) Staat zu überwinden und ihn in Form von verschiedenen Regierungstechnologien zu dezentrieren. Er zeigt zudem, wie mit dem Liberalismus eine politische Rationalität der ständigen Kritik am Staat und eine permanente Verdächtigung des ›Zuviel-regierens‹, der zu großen Staatsmacht etabliert wird. Ein drittes Problem sieht Langemeyer in der Annahme, dass die Subjekte die neoliberalen Regulations- und Rationalisierungsanforderungen verinnerlichen und diese vollständig in ihrem Handeln wirksam sind. Wenn Foucault von einer »zugleich individualisierenden und totalisierenden Form von Macht ausgeht«156, könnten in den Selbst- und Weltverhältnissen der Subjekte keine Widersprüche mehr existieren. Die Individualisierungs/Totalisierungsthese lege nahe, dass sich Herrschaftstechniken vollständig in Selbsttechniken übersetzen liessen und äußere Gewalt keine Rolle mehr spielen würde. Den neuen Machtformen werde so eine sich selbst durchsetzende Tendenz unterstellt.157 Verantwortung und Wissen werden einseitig als Subjektivierungsmechanismen gedacht und neoliberale Programme als äußeres, künstlich hergestelltes Arrangement individueller Freiheiten. Wenn Macht und Wissen in einem engen Wechselverhältnis stehen, heiße das noch nicht, dass spezialisiertes Wissen an sich problematisch sei. Man müsste aber z.B. emanzipatorische Wissenschaftsansätze von Expertenwissen generell unterscheiden. Die GS zeigen auf, wie ein technokratischer Expertensachverstand einen einseitigen Zugriff auf Subjekte organisiert und sie in ein statistisches Feld der Normalisierung einbindet. Ein weiteres Problem ist die Verkürzung der Herrschaftskritik auf Mechanismen, auf die bloße Formseite der Herrschaft, auf eine Kritik an Technologien. Aber der mögliche emanzipatorische Nutzen werde übersehen z.B. bei Empowermentprogrammen, die Subjekte ja auch zum Widerstand befähigen können. Die Technologien erscheinen als vorrangiger Schlüssel zu den Subjektivierungsprozessen. Techniken oder Technologien seien aber nicht als solche ein Problem, sondern ihre gesellschaftlichen Zwecke, die mit ihnen realisiert werden. Aber die inhaltliche Seite von Machtverhältnissen sollte nicht von der Formseite getrennt werden. Entscheidend sei, wie im Einzelfall Technologien und ihr Gebrauch institutionalisiert werden und wie sich Herrschaftsverhältnisse darin einschreiben. Mit dem Begriff des Dispositivs macht Foucault deutlich, dass Technologien ein Rahmen, eine Anordnung von Handlungsmöglichkeiten sind. Innerhalb dieser Anordnungen könnte der Umgang damit unterschiedlich sein. Die Schwächen der GS lägen darin, dass sie zwar bestimmte Individualitätsformen beschreiben, aber der Bezug zu den jeweiligen gesellschaftlichen Ver156 | Foucault 1994, S. 248. 157 | Vgl. ebd., S. 236f.

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hältnissen unklar bleibt.158 Wenn man aber die Subjektivierungsmechanismen ohne diesen Zusammenhang beschreibe, unterstelle man implizit, dass sie sich von alleine durchsetzen. Der Ansatz läuft somit Gefahr, die Machtformen zu verabsolutieren, die Mechanismen zu entkontextualisieren und die inhaltliche Dimension von Herrschaft zu vernachlässigen. Der potentielle emanzipatorische Nutzen von Selbsttechniken und Wissen bleibt unbeachtet. Die Widersprüche zwischen Selbstführung und Fremdführung und die Ungleichzeitigkeiten und Unabgeschlossenheit der Selbstverhältnisse werden nicht in den Blick genommen. Bei der Suche nach Auswegen aus der totalisierenden Lesart von Macht bei Foucault und nach möglichen Handlungspotenzialen der Subjekte wird oft auf die kritisch-ethische Haltung Foucaults in seinem Aufsatz zur Frage »Was ist Kritik« verwiesen, der damit die Haltung und die Kunst, »nicht dermaßen regiert zu werden« meinte. Es gebe ein Ethos des Widerstands, das aber historisch zeitgleich mit dem Erscheinen bestimmter Machtformen aufgekommen sei. Unberücksichtigt bleibt dabei aber, dass Foucaults Statements zum Ethos der Kritik und zur »Kunst des so nicht regiert werdens« teils vor dem Hintergrund seiner Hinwendung zur Antike und damit eines umfassenden Ethos der Selbstführung und der Selbstpraktiken entwickelt wurde, die recht voraussetzungsvoll und nicht ohne weiteres übertragbar erscheint. Bei Analysen aus dem Bereich Soziale Arbeit z.B., die diese kritisch als Regierungstechnik beschreiben, wird der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit diese Haltung, des ›Nicht-so- regiert-werden-wollens‹ entgegengesetzt.159 Überhaupt ist es unter vielen GS-Forschern beliebt, sich auf diese Frage nach der Kritik, als Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden, zu beziehen. Denn dies bietet einen scheinbar plausiblen Ausweg aus dem von Foucault-Kritikern seit Habermas beklagten Monismus und der Allgegenwart und Unentrinnbarkeit der Macht.160 Auf der Suche nach Möglichkeiten und Spielräumen für »Gegen-Verhalten im Neoliberalismus« knüpfen andere Forscher an Foucaults Unterscheidung von Macht und Herrschaft im Spätwerk an und entdecken das von Foucault sog. Phänomen der ›Verhaltensrevolten‹ an den Rändern der politischen Institutionen, die das Ziel eines ›Anders-Geführt-werden-wollens‹ hatten und haben

158 | Vgl. Langemeyer 2007, S. 241. 159 | Vgl. Horlacher, Clemens: »Wessen Kunst, wie nicht regiert zu werden?« in: Anhorn/Bettinger/Stehr (Hg.) 2007, S. 245-260, hier S. 250/251, Kessl, Fabian: »Wozu Studien zur Gouvernementalität in der Sozialen Arbeit? Von der Etablierung einer Forschungsperspektive«, in: Anhorn/Bettinger/Stehr (Hg.) 2007, S. 203-225. 160 | Und wird daher als Zitat beinah schon überstrapaziert, wie Horlacher 2007 süffisant anmerkt, S. 248-251.

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(historisch trat es zuerst gegen dominante Formen der Pastoralmacht im Mittelalter auf, z.B. durch religiöse Sekten wie Foucault aufzeigt161). Als Formen des Gegen-Verhaltens kann man kollektives Gegen-Verhalten und subjektives Gegen-Verhalten unterscheiden. Foucault nennt als Formen von Gegen-Verhalten die »Desertion«, Geheimgesellschaften (Klandestinität) und Dissenz.162 Daran anknüpfend werden dann als aktuelle Phänomene kleine alltägliche Verweigerungen, Kämpfe um die Zuweisungen der Positionen legitimen Sprechens, oder kollektive Formen wie ziviler Ungehorsam (wie bei den italienischen Disobedienti) und dissidente Künstlerpraktiken aufgegriffen.163 Um Widerstandsformen gegen die Praktiken neoliberaler Gouvernementalität zu identifizieren, ist eine Möglichkeit, auf die Unterscheidung von strategischen Beziehungen, Regierungstechniken und verfestigten Herrschaftszuständen bei Foucault zurückzugreifen, wobei die Gouvernementalität eine vermittelnde Funktion einnimmt.164 Daran anknüpfend lassen sich teils noch kooperative Widerstandsformen und »agonale Widerstandsformen« (also solche die sich den Spielregeln verweigern) unterscheiden. Kooperative Widerstandsformen (innerhalb des ›Machtspiels‹) wären die Verteidigung individueller Rechte, oder auch die Forderung nach einem Grundeinkommen. Ein agonales, sich verweigerndes Widerstandsspiel wäre, sich der Annahme eines Ein-Euro-Jobs zu entziehen.165 Diese Phänomene zeigen eher Suchbewegungen und artikulieren ein teils diffuses Unbehagen und suchen nach einer möglichen kritischen Haltung, wie sie Foucault mit der Haltung des »so nicht regiert werden wollens« wohl vorschwebte. Während diese Beispiele eher eine individuelle Haltung spiegeln, die durchaus voraussetzungsvoll ist, ging es Foucault ja auch um den Kampf um kollektive Subjektivitäten, um den Aufstand kollektiver Wissensarten.166 Beispiele dafür wären zumindest anfangs die Sozialproteste gegen Hartz IV, auch wenn diese bald abflauten (wie sie im »Schwarzbuch Hartz IV« dokumentiert sind) oder die teils gewalttätigen Proteste in den französischen Banlieues (dokumentiert in Kollektiv Rage (Hg.): »Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei«).167 Hier zeigt sich schon im Titel eine Haltung der Verweigerung. 161 | Vgl. Foucault 2004a, insbes. Vorlesung 8, S. 278-331. 162 | Foucault 2004a, S. 287ff. 163 | Kastner, Jens: »(Was heißt) Gegen-Verhalten im Neoliberalismus?«, in: Hechler, Daniel/Philipps, Axel (Hg.): Widerstand denken, Bielefeld 2008, S. 39-57. 164 | Vgl. Kastner 2008, S. 68/69. 165 | Vgl. Beispiele für Widerstand gegen Hartz IV in: Agenturschluss (Hg.): Schwarzbuch Hartz IV, Berlin, Hamburg (2006). 166 | Vgl. Foucault 1978, S. 60, Foucault 1999, S. 23f. 167 | Kollektiv Rage (Hg.): Banlieues. Die Zeit der Forderungen ist vorbei, Hamburg, Berlin 2009.

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Dennoch können die genannten Aspekte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch mit den genannten Ergänzungen die Spielräume für Widerstandspraktiken und Alternativen aus der Perspektive der GS begrenzt bleiben. Auch wenn dies Defizite der GS hinsichtlich von Widerstandsspielräumen betrifft, sind die Schwächen der GS bezogen auf die Analyse von hier im Zentrum stehenden Regierungsweisen noch nicht genannt. Sie fokussieren teils zu stark auf das Ineinandergreifen von Selbst- und Fremdführung, von Regierungstechniken und Selbsttechniken. Dabei berücksichtigen zumindest die auf die Arbeitssubjektivitäten bezogenen GS-Analysen zuwenig das bei Foucault angelegte Dreieck aus Souveränitätsmacht, Disziplinarmacht und Sicherheitsdispositiven. Anders sieht es bei Forschungen zur Sicherheits- und Kriminalpolitik aus, wo Foucaults Ansätze in vielfacher Weise fruchtbar gemacht werden konnten. Nachdem nun in einem Zwischenresümee die Stärken und Schwächen der GS hinsichtlich des Feldes der Arbeitssubjektivierung und der Arbeits- und Sozialpolitik dargestellt wurden, wird nun im fünften Kapitel das analytische Instrumentarium dieser Arbeit zunächst noch einmal um die Kategorie des Raumes und um die Techniken des Regierens über soziale Nahräume und über das ›governing by communities‹ erweitert. Dies dient einerseits der Klärung und genaueren Analyse dessen, wie und ob sich die dargestellten neuen Arbeitssubjektivitätsformen des Arbeitskraftunternehmers und des Unternehmerischen Selbst auf lokalräumlicher Ebene zeigen und ob bei der (teils neoliberalen) Regierung lokaler Sozialräume eher der Aspekt der Disziplinierung oder der unternehmerischen Selbsttechniken im Vordergrund stehen. Außerdem dient es generell der Klärung der Frage, wie sich die Regierungsweisen des Sozialen und der Arbeit transformieren. In einer lokalen Fallstudie des Berliner Quartiersmanagementprogramms und seiner beschäftigungsfördernden, arbeits- und sozialpolitischen Aspekte werden diese Fragen anhand von vorhandener Forschungsliteratur und den Evaluationsberichten der empirischen Begleitforschung (sowie einer kleinen eigenen Fallstudie) behandelt. Zur besseren Einbettung in den Kontext der lokalen Stadtentwicklung und der Kategorie des Raumes wird zudem auf die Beiträge der Kritischen Geographie und Raumforschung insbesondere von Harvey und Lefebvre eingegangen.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik und die Regierung von lokalen Räumen

5.1 R AUMKONZEP TE BEI F OUCAULT Das Thema des Raums findet sich in Foucaults Werk in verschiedenen Bedeutungen. Im Zusammenhang mit Macht wird der Raum im Sinne einer disziplinierenden Verteilung von Körpern und Individuen im Raum, als Parzellierung des Raums thematisiert. So bildet die Disziplinarmacht verschiedene Raumordnungsverfahren aus, insbesondere das Panopticon mit seiner Architektur der Sichtbarkeit. Das panoptische Prinzip kombiniert die Dressur-, Kontroll- und Überwachungstechniken, intensiviert so die Macht und macht sie gleichzeitig unsichtbar. In Schulen, Klöstern und Fabriken wird durch die Einführung eines seriellen Raumes eine verbesserte Kontrollmöglichkeit über die Individuen durch eine neue Ökonomie der Macht geschaffen. Dazu gehören die Art der Sitzordnungen, die Verteilung der Körper im Raum, die Zerlegung der Arbeitskraft und der Arbeitseinheiten in der Fabrik. Für Foucault ist diese Anlage eine automatisierte und entindividualisierte Macht, sie stellt die Unterschiede fest, so bei der Beobachtung von Gefangenen, Kranken oder Kindern. Das Panopticon ist ein »verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell«, das die Beziehungen der Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert, es ist »das Diagramm eines auf seine ideale Form reduzierten Machtmechanismus«, eine Gestalt »politischer Technologie, die man von ihrer spezifischen Verwendung ablösen kann und muss«.1 Das panoptische Schema kann jeden beliebigen Machtapparat und seine Ökonomie verstärken, jede Funktion annehmen und sich daher in der ganzen Gesellschaft ausbreiten. Daher fand Benthams Modell nicht nur bei Gefängnisbauten, sondern auch in Fabriken, Schulen, Arbeits- und Armenhäusern, Irrenhäusern und Krankenhäusern Anwendung. Darin verbinden sich Isolierung, Organisation und Kontrolle, Transparenz und ständige Selbstüberwachung bei 1 | Vgl. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Frankfurt/M 1976, S. 264.

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Unsichtbarkeit des alles kontrollierenden Machtzentrums zu einer »Utopie der Disziplinarmacht«. Der Aspekt der territorialen Verfügungsgewalt über Menschen steht im Zentrum der historischen Schriften Foucaults. Am Beispiel unterschiedlicher Institutionen beschreibt Foucault die Kunst, Individuen im Raum zu verteilen und darüber die Machtausübung über sie zu perfektionieren. Im städtischen Raum diente das Parzellieren zuerst dem Zweck der lückenlosen Überwachung bei Ausbruch der Pest. Das Panopticon ist für Foucault ein Funktionsmodell des Raums, das die Beziehung der Macht zum Alltagsleben der Menschen definiert und in vielen Variationen existiert: das Gefängnis, die Krankenhäuser, Schulen, die Irrenhäuser. »Es handelt sich jeweils um einen bestimmten Typ der Einpflanzung von Körpern im Raum, es geht dabei um die Verteilung der Individuen in ihrem Verhältnis zueinander, der hierarchischen Organisation, der Anordnung von Machtzentren und -kanälen, der Definition von Instrumenten und Interventionstaktiken der Macht und diesen Typ kann man in den Spitälern, den Werkstätten, den Schulen und Gefängnissen zur Anwendung bringen.« 2

Raum versteht sich in diesem Sinne als Produktivkraft für Einschließungsmilieus, mit ihm lassen sich Individuen konzentrieren, verteilen und anordnen, er zeigt auf wie ins Alltagsleben eingebundene Funktionsräume für die Kontrolle von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen nutzbar gemacht werden. Den Zusammenhang von Raumpraktiken und der Führung von Menschen bringt Foucault besonders in der ersten Vorlesung zur Geschichte der Gouvernementalität zum Ausdruck. Das Sicherheitsdispositiv und seine Disziplinarpraktiken, die Souveränitätsmacht und Subjektivierungstechniken behandeln den Raum in unterschiedlicher Weise. Die Disziplinarmacht nutzt die praktische Ortsgebundenheit, um die Körper von Individuen hierarchisch zu organisieren. Der moderne Sicherheitsraum verwaltet nicht-kontrollierbare, zukünftige Ereignisse in einem veränderbaren Rahmen (das Aleatorische und das Milieu). Am Beispiel der Stadtgestaltung im 18. Jahrhundert zeigt Foucault die neue Verwaltung von Bevölkerung: es werden weite Achsen durch die Stadt geschlagen und weiträumige Straßen angelegt, um vier Funktionen sicherzustellen: Die Hygiene, den Binnenhandel innnerhalb der Stadt; die Verbindung des Straßennetzes mit der Umgebung, so dass Waren hereinkommen, und die Überwachung der Bevölkerung sollen ermöglicht werden. Durch die Öffnung des mittelalterlichen Stadtkerns und den Wegfall der Stadtmauern musste die Überwachung in neuer Weise sichergestellt werden, da man die Städte nicht mehr schliessen konnte. »Es handelte sich darum, die 2 | Ebd., S. 264.

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Zirkulation zu organisieren, das was daran gefährlich war zu eliminieren, eine Aufteilung zwischen guter und schlechter Zirkulation vorzunehmen und, indem man die schlechte Zirkulation verminderte, die gute zu maximieren.«3 Raum interessiert Foucault als soziale Praxis, in seiner Auswirkung auf menschliches Handeln. Für eine an Raumfragen interessierte Sozialwissenschaft oder speziell für die Geographie schließen sich z.B. folgende Fragen an: Welche Funktionen erfüllen Raumproduktionen bei der Steuerung von Bevölkerung? Wie lässt sich durch Territorialisieren und Zonieren menschliches Handeln lenken? Beispiele aus der Stadtforschung sind die öffentliche Stadtplanung und wie darin mit Planungskonzepten eine Idealvorstellung städtischen Zusammenlebens entworfen wird (z.B. im »Planwerk Innenstadt« für Berlin). Diese Praxis sortiert Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen und beeinflusst Zugangschancen zu gesellschaftlicher Teilhabe. Bei der Siedlungsgestaltung unter kriminalpräventiven Aspekten wird über bauliche Elemente normiert, wie bestimmte Bereiche im Wohnquartier genutzt werden dürfen. Durch die Kopplung mit erwünschten Nutzungen wird menschliches Handeln gezielt gelenkt und der Ausschluss unerwünschter Personengruppen legitimiert. Eine wirklich eigenständige Bedeutung erhält der Raum in Foucaults Werk erst, bei der Thematisierung des Verhältnisses von Utopie und Realität als ein ›Gegen-Ort‹, in dem die alltäglichen Funktionen und Routinen des menschlichen Lebens partiell außer Kraft gesetzt sind. Diese sog. ›Heterotopien‹ gehen über Utopien (Nicht-Orte) im herkömmlichen Sinne hinaus. Heterotopien sind reale Räume innerhalb sozialer Räume, die eine andere Funktion als die übrigen Räume und gelegentlich sogar genau entgegengesetzte Funktionen haben.4 Sie sind »Orte, die außerhalb aller (alltäglichen DN) Orte liegen, obwohl sie sich durchaus lokalisieren lassen«.5 Foucault entwickelt auch verschiedene Merkmale einer systematischen Beschreibung solcher Orte, die er vorschlägt, »Heterotopologie« zu nennen: Heterotopien stehen in einem besonderen Verhältnis zur übrigen Gesellschaft und finden sich nach Foucault in allen Gesellschaften.und können ganz unterschiedliche Formen annehmen. Sie können Orte der Kontrolle und Disziplinierung des Anormalen sein (von Foucault »Abweichungsheterotopien« genannt, wie Sanatorien oder psychiatrische Anstalten), oder Orte der außerordentlichen Erfahrungen, der Illusion einer anderen Realität oder der Kompensation für die Realität. Dabei kann es sich um Orte der Übergangsriten (z.B. 3 | Foucault 2004a, S. 36f. 4 | Foucault, Michel: »Von anderen Räumen«, in: Dits et Ecrits (DE4), Schriften in vier Bänden, Bd.4, hg. von Defert, Daniel/Ewald, Francois, Frankfurt/M 2005a, S. 931-942, hier S. 935. 5 | Ebd., S. 935.

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heilige oder verbotene Orte in traditionalen, sog ›primitiven‹ Gesellschaften), um Klöster, Friedhöfe, Kolonien oder Gefängnisse handeln. Heterotopien setzen verschiedene »unvereinbare« Räume nebeneinander und funktionieren entweder, um einen illusionären Raum zu schaffen (wie Kino und Theater), der die realen Räume des Alltagslebens als noch größere Illusion entlarvt, oder sie schaffen einen anderen realen Raum, der eine vollkommene Ordnung aufweist. Das erste sei demnach die illusorische Heterotopie, das letztere die kompensatorische Heterotopie.6 Heterotopien stehen zudem in Zusammenhang zu zeitlichen Brüchen, ja sie funktionieren erst, wenn die Menschen einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit vollzogen haben. Als Beispiel dient Foucault die veränderte Rolle und Funktionsweise des Friedhofs. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts lag der Friedhof mitten in der Stadt und es gab nur wenige Einzelgräber. Mit der Entstehung des Bürgertums wurde der Tod quasi individualisiert, statt Gemeinschaftsgräbern hatte jeder ein Einzelgrab. Gleichzeitig kam die Befürchtung auf, dass der Tod den Lebenden ansteckende Krankheiten brächte, das ist ein Thema bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Im Laufe des 19. Jahrhunderts begann man daher, die Friedhöfe an den Stadtrand zu verlegen. Dies stand wiederum im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Krankheiten wie Pest oder Lepra. Den unterschiedlichen Umgang mit diesen Krankheiten hatte Foucault im ersten Band seiner Geschichte der Gouvernementalität thematisiert. Als »Heterotopien der Zeit, die sich endloser Akkumulation hingeben, in denen die Zeit angesammelt und aufgestapelt wird« bezeichnet Foucault Museen und Bibliotheken. Es sei gerade ein Merkmal der westlichen Moderne, »alles zu sammeln, ein allgemeines Archiv aufzubauen, alle Zeiten und Formen an einem Ort einzuschließen«.7 Heterotopien setzten ein System der Öffnung und Abschließung voraus, das sie isoliert und zugleich den Zugang zu ihnen ermöglicht. Als historische Beispiele für kompensatorische Heterotopien nennt Foucault auch die Kolonien, z.B. die von den puritanischen Siedlern gegründeten ersten Kolonien in Amerika (die ja als mythisch überhöhtes ›New Jerusalem‹ eine vollkommene Ordnung darstellen sollten), oder er nennt das Beispiel von Jesuitenkolonien in Südamerika, in denen das Leben bis in alle Einzelheiten geregelt war und die Siedlungen nach einem strengen Grundriss um die Kirche herum angelegt wurden.8 Zuletzt nennt Foucault noch das Beispiel des Schiffes, als »ein Stück schwimmenden Raums«, ein auf sich selbst angewiesener »Ort ohne Ort, in sich geschlossen und zugleich dem Meer ausgeliefert«, das eine so wichtige Rolle für 6 | Foucault 2005a, S. 941 und vgl. auch Katz 2007, S. 157. 7 | Foucault 2005a, S. 939. 8 | Vgl. ebd., S. 941.

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die wirtschaftliche Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert spielte. Das Schiff sei daher, »die Heterotopie par excellence«, denn es sei auch »das größte Reservoir für die Fantasie«.9 In diesem Beispiel liegt auch ein Anknüpfungspunkt an das Gouvernementalitätskonzept, in dem Foucault die gewandelten Vorstellungen des politischen Denkens über das Regieren mit dem Aufkommen der Metapher vom »Steuern eines Schiffes«, vom Regieren als »ein Schiff lenken«, illustriert. Alle Aspekte dieser von Foucault entwickelten Kategorien für eine Untersuchung ›Anderer Räume‹ können hier nicht aufgegriffen werden. Dies geschieht nur so weit sie für meine Fragestellung des gewandelten Regierens von Arbeitsformen auf räumlicher Ebene und von lokaler sozialer Ungleichheit relevant sind. Der Begriff Heterotopie steht jedoch auch für räumliche Praktiken von Herrschaft und deren Privilegien. Damit wird er interessant für eine kritische Geographie, die die gesellschaftliche Produktion von Raum und räumlicher Ungleichheit thematisiert und das neoliberale Programm als materielle Praktiken sozialer Reproduktion auffasst. Im Kontext von neoliberaler Globalisierung vollzieht sich ein Bedeutungswandel der lokalen räumlichen Ebene. Einerseits werden die suprastaatliche, globale Ebene und die Vernetzung zwischen weit entfernten Orten wichtiger. Andererseits bleibt der konkrete lokale Raum für die materielle Infrastruktur der globalen Vernetzung weiter wichtig: So wenn sich funktionale Einheiten innerhalb von Städten, die stark mit dem Finanz- und Produktionskapital verbunden sind (Financial Business Districts) untereinander vernetzen, aber nur noch wenig Bezug zum lokalen Umfeld haben, wie es in der Global-City-Forschung gezeigt wird. Damit gehen neue Spaltungslinien und sozialräumliche Gegensätze in solchen Städten einher. In der postmodernen kritischen Geographie wird die Veränderung und die soziale Reproduktion von Raum untersucht und dabei auch an Foucaults Konzept der »Heterotopien« angeknüpft. Heterotopien der Kompensation haben häufig die Form von »Festungsstädten«, privatisierten Themenparks oder Shopping Malls.10 Postmoderne geographische Praxis bedeutet auch die Fragmentierung von Territorien in einer Reihe funktionaler Einheiten, die sich wiederum an globale Netzwerke binden. Diese ungleichen Verhältnisse der sozialen Reproduktion werden jedoch von neoliberalen räumlichen Umstrukturierungsprogrammen »verborgen«, so Katz anhand von Beispielen aus New York. Die materiellen Praktiken der sozialen Reproduktion und der sozialen Ungleichheit werden dem öffentlichen Blick in den neu gestalteten städtischen Umwelten den privatisierten öffentlichen Räumen entzogen (wie in den Shopping Malls oder dem 9 | Ebd., S. 942. 10 | Vgl. Katz, Cindi: »Hiding the Target. Soziale Reproduktion in der privatisierten Stadt«, in: Belina, Bernd/Michel, Boris (Hg.): Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography, Münster 2007, S. 156-173, hier S. 156/157.

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umgestalteten Grand Central Terminal in New York oder dem Potsdamer Platz in Berlin). Die Beziehung zwischen der »sichtbaren« Stadt der Produktion und Zirkulation und der »unsichtbaren Stadt« der sozialen Reproduktion ist dennoch unmittelbar, denn prekäre Arbeitskräfte und marginalisierte Gruppen wie Obdachlose bilden sozusagen die Kehrseite der offen zutage liegenden Oberfläche einer Global City. Prekäre Arbeitskräfte und billige Dienstleistungsjobs wie Putzkolonnen und Sicherheitsdienste tragen jedoch entscheidend zum Funktionieren eines Finanzdistrikts bei.11 Durch große Projekte wie den Umbau des Grand Central Terminals in New York zu einem Konsumtempel und durch die Vertreibung von unerwünschten Gruppen aus den Shopping Malls sollen soziale Unterschiede verschleiert und bestimmte marginalisierte Gruppen quasi unsichtbar gemacht werden. Solche Großprojekte bieten eine Heterotopie der Kompensation, einen Raum außergewöhnlicher Ordnung und Kontrolle als Kompensation für die Unordnung des Alltagslebens. Daher sei es Aufgabe einer kritischen Geographie, diese sog. »verborgene Stadt« der sozialen Reproduktion sichtbar zu machen, die verräumlichten Praktiken von sozialer Ausgrenzung zu untersuchen, so Katz. Die Überlegungen von Foucault zum Raum wurden in verschiedenen Studien teils punktuell als theoretische Anregung aufgegriffen. So untersucht Bareis die Shopping Mall als Beispiel für ein verändertes Verhältnis zum öffentlichen Raum und für neue räumliche Kontrollformen.12 Der griechische Soziologe Stavrides wendet Foucaults Konzept der Heterotopien in einer originellen Studie auf die Geschichte eines Sozialwohnungskomplexes und seiner Bewohner in Athen an. Der in den 1920er Jahren erbaute Komplex diente zunächst griechischen Flüchtlingen aus Kleinasien als ›Durchgangsstation‹ und erste Behausung, war in den 40er Jahren auch ein Schauplatz des griechischen Bürgerkriegs und in den 60er/70er Jahren Ort von Auseinandersetzungen gegen die Diktatur (da er gegenüber einem Gefängnis lag). Durch die besondere politisierte Bewohnerstruktur und das Verschwimmen von öffentlichen und privaten Raumnutzungen in den Innenhöfen des Gebäudes sieht Stavrides darin ein Beispiel für das Aufscheinen einer anderen öffentlichen Kultur, ein Beispiel für einen ›heterotopischen Moment‹.13 11 | Vgl. dazu die Analysen von Sassen zur sozial gespaltenen Global City, Sassen, Saskia: Metropolen des Weltmarkts, Frankfurt/M, New York 1996, Dies.: Globalization and ist Discontents, New York 1998. 12 | Vgl. Bareis, Ellen: Verkaufsschlager Shopping Mall? Münster 2007. 13 | Vgl. Stavrides, Stavros: »Heterotopias and the Experience of porous urban space«, in: Franck, Karen/Stevens, Quentin (ed.): Loose space. Possibility and Diversity in Urban Life, London 2007. Dieses Beispiel stellte er auch in seinem Vortrag zu »Metropole und Utopie« auf der Konferenz »Metropolenpolitik« der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 9./10. Juli 2010 in Berlin-Wedding vor.

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Eine andere Studie aus der kritischen Humangeographie untersucht mit einem Foucaultschen diskurstheoretischen Ansatz neue unternehmerische Formen von Stadtmarketing und der Kreation von wettbewerbsfördernden Stadtimages.14 Eine überblicksartige Einführung über die neuen Kontrollformen und Ausgrenzungsstrategien in der postfordistischen Stadt bietet das Buch »Stadt und Gouvernementalität«.15 Wenn es bei Beschäftigungsprogrammen auf der lokalen Ebene vielfach gar nicht mehr um die Integration von Marginalisierten gehen soll, sondern nur noch um die teils disziplinierende, teils aktivierend-individualisierende Anrufung der betroffenen Subjekte, dann ist zu fragen, ob auch diese Programme Teil der oben angesprochenen Strategie des Verbergens und Unsichtbarmachens von sozialer Ungleichheit sind, zumal wenn es nur noch um die Beruhigung von »Entbehrlichen« innerhalb von »lokalen Tätigkeitsgesellschaften« geht.16 Die Konzepte und Analysen der Kritischen Raumgeographie werden nun im nächsten Abschnitt dargestellt, bevor dann auf Sozialraum- und Sozialkapitalansätze und in einem dritten Schritt wieder auf das Feld der lokalen Arbeitsund Sozialpolitik eingegangen wird.

5.2 R AUMKONZEP TE IN DER K RITISCHEN G EOGR APHIE Seit den frühen 70er Jahren beginnt der Einfluss des Marxismus auf die Geographie und es entsteht im US-amerikanischen Kontext eine materialistische Geographie. Ein wichtiger Vertreter dieser Strömung ist David Harvey. »Die historische Geographie des Kapitalismus muss das Objekt unserer Überlegungen sein, ein historisch-geographischer Materialismus die Methode der Untersu-

14 | Vgl. Matissek, Annika: Die neoliberale Stadt. Diskursive Repräsentationen im Stadtmarketing deutscher Großstädte, Bielefeld 2008, in dem sie eine foucaultsche Aussagenanalyse mit einer an Laclau/Mouffe orientierten Hegemonie- und Diskurstheorie verbindet. Vgl auch: Füller, Henning/Marquardt, Nadine: »Gouvernementalität in der humangeographischen Diskursforschung«, in: Glasze Georg/Matissek, Annika (Hg.): Handbuch Diskurs und Raum, Bielefeld 2009, S. 83-106. Vgl. zum Anregungspotential einer foucaultschen Diskurstheorie für raumbezogene Fragestellungen und eine humangeographische Diskursforschung auch die Aufsätze in: Glasze/Matissek (Hg.): Handbuch Diskurs und Raum, Bielefeld 2009. 15 | Vgl. Michel, Boris: Stadt und Gouvernementalität, Münster 2005. 16 | Vgl. Krämer, Jürgen: »Integration der ›Entbehrlichen‹?« in: Walther, Uwe-Jens: Soziale Stadt -Zwischenbilanzen, S. 195-211, Opladen 2002.

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chung.«17 Die Beziehungen zwischen Raum, Zeit und gesellschaftlichem Sein sollen auf allen Abstraktionsebenen reformuliert werden, mit dem Ziel einer räumlichen Umformulierung der Dialektik. »Die Erkenntnis des Raums bringt die Dialektik wieder zu Ehren, denn die Analyse enthüllt die Widersprüche des Raums.«18 Auch in der Tradition des französischen Marxismus spielte Räumlichkeit eine Rolle (anknüpfend an Saint Simon, Fourier und Proudhon). Der französische Marxismus war sogar offener für eine räumliche Perspektive als andere nationale Marxismen. In den 50er Jahren wurde Henri Lefebvre einer der führenden Raumtheoretiker des westlichen Marxismus mit seiner Kritik des Alltagslebens und der bürokratischen Gesellschaft des kontrollierten Konsums. Ihm ging es um den Zusammenhang von Räumlichkeit und sozialer Reproduktion. Er vertrat die These, der Kapitalismus schaffe eine umfassende instrumentelle, sozial mystifizierte Räumlichkeit. Die Produktion und Reproduktion von geographisch ungleicher Entwicklung habe gleichzeitig eine Tendenz innerer Homogenisierung und Hierarchisierung zur Folge, ähnlich wie Foucaults Argument der instrumentellen Verknüpfung von Raum, Wissen und Macht. In diesem dialektisch gewordenen Raum vollziehe sich die Reproduktion der Produktionsverhältnisse.19 Ab den 60er Jahren versuchten theoretisch orientierte Geographen die positivistische Haltung und Fixierung der modernen Geographie auf empirische Erscheinungen aufzubrechen und eine Verbindung von räumlicher Form und sozialem Prozess anzustreben. Die Wende von Harvey zur marxistischen Geographie wurde wegweisend für eine Generation von jungen Geographen und der historische Materialismus wurde zum bevorzugten Weg, um die Untersuchung räumlicher Formen mit sozialen Prozessen zu verbinden und die Humangeographie mit einer Klassenanalyse zu fundieren. Neben der Kritik der politischen Ökonomie gab es drei zeitgenössische Variationen oder Strömungen: der britische Marxismus, der enger mit pragmatischer und empirischer Analyse verbunden war, der »Neo-Marxismus« in den USA und eine aus der Tradition des französischen Marxismus stammende Strömung. Die strukturalistische Lesart war für die marxistische Geographie besonders attraktiv, weil sie eine Begründung dafür lieferte, die strukturierten sozialen Produktionsverhält-

17 | Harvey, David: The Urbanization of Capital, Oxford 1985, S. 144, zit. n. Soja, Edward: »Verräumlichungen. Marxistische Geographie und Kritische Gesellschaftstheorie«, in: Belina, Bernd/Michel, Boris (Hg.): Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography, Münster 2007, S. 77-110, hier S. 78. 18 | Lefebvre, Henri: La production de l’espace, Paris 1974, S. 15ff. zit. n. Soja 2007, S. 77. 19 | Vgl. Soja 2007, S. 84.

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nisse zu untersuchen und nicht nur die oberflächlichen räumlichen Erscheinungen. »Zwei Analysemaßstäbe und Erklärungsebenen dominierten die erste Verbindung zwischen marxistischer politischer Ökonomie und kritischer Humangeographie: die spezifisch städtische und die expansive internationale. […] Marxistische Geographen trugen zur Formierung einer explizit städtischen politischen Ökonomie bei«: Harveys marxistische Interpretation der städtischen Umstrukturierungsprozesse im Kapitalismus, Castells Adaptierung von Althusser und Lefebvre für die marxistische Stadtforschung.20 Trotz eines Wiedererstarkens der marxistischen Orthodoxie blieb das Projekt der Verräumlichung, also die Kategorie Raum und die marxistische politische Ökonomie zu integrieren, bestehen. »Die Organisation von Raum (ist) nicht nur ein soziales Produkt, sondern [wirkt] gleichzeitig auf die Formierung sozialer Verhältnisse zurück. […]« »Die Räumlichkeit des sozialen Lebens muss gleichzeitig als kontingent und konditionierend begriffen werden, […] als Teil eines historischen und geographischen Materialismus.« 21

Aber erst mit dem Aufkommen von postmodernen Theorien konnte die ›Verräumlichung‹ kritischer Theorie und die Konstruktion eines neuen historischgeographischen Materialismus weiter betrieben werden und sich eine andere Auffassung von der Kultur der Zeit und des Raums herausbilden. Der Anfang dieses Übergangs lag in den 60er Jahren mit dem Ende des langen Nachkriegsbooms der kapitalistischen Weltwirtschaft. In den Schriften von Lefebvre, Foucault, Berger und Mandel werde die Geographie der Postmoderne am deutlichsten wahrgenommen. Man könne drei verschiedene Wege der Verräumlichung unterscheiden, die Soja »posthistorisch«, »postfordistisch« und »postmodern« nennt22: Der ersten Verräumlichung gehe es um eine »Neuformulierung von Wesen und Konzepten des sozialen Seins«, um eine Wiederbehauptung des Raums gegen den Kern eines ontologischen Historizismus.23 Die zweite Verräumlichung sei direkt mit der politischen Ökonomie verbunden und mit den weitreichenden sozialräumlichen Restrukturierungen nach dem langen Nachkriegsboom. Der Postfordismus als Übergang von einem Akkumulationsregime und einer Regulationsweise zu einer anderen, »das Auf-

20 | Vgl. Soja 2007, S. 88. 21 | Ebd., S. 92. 22 | Ebd., S. 96/97. 23 | Ebd., S. 96.

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decken der Art und Weise, wie räumliche Restrukturierung« funktioniere, sei der Schlüssel, um die sich verändernde politische Ökonomie zu verstehen.24 Die dritte Verräumlichung liege in der sich ändernden Definition der Bedeutung von Moderne, in kultureller und ideologischer Rekonfiguration und im Aufkommen einer neuen postmodernen Kultur von Raum und Zeit. Ein Aufeinanderbeziehen dieser drei Verräumlichungsansätze finde sich am ehesten in den Arbeiten des marxistischen Literaturkritikers Frederic Jameson. Jameson bezieht sich dabei auf die Raumkonzeptionen von Lefebvre und Foucault. »Foucaults ›Kerkerstadt‹ der Zellen, Anordnungen und Einschlüsse wird von Jameson in die Landschaften des wahrscheinlich vollkommensten postmodernen Ortes, nach Los Angeles, versetzt, jener Produktionsstätte der […] kognitiven Imaginationen der heutigen Welt.«25 Jameson entschlüsselt am Beispiel von Los Angeles und anderen materiellen Landschaften eine verborgene Humangeographie, auf die eine Politik des Widerstands zielen müsse.26 Foucaults Archäologie und Genealogie des Wissens bietet eine wichtige Durchgangsstation zu einer postmodernen Kulturkritik von Räumlichkeit und zu einer Kartographie der Macht. Die politische Aufgabe bestehe darin, »das Spiel der scheinbar neutralen und unabhängigen Institutionen zu kritisieren, […] [so] dass die politische Gewalt, die in ihnen im Verborgenen ausgeübt wird, aufgedeckt wird, so dass man gegen sie kämpfen kann«.27 Der Kampf erstrecke sich über die ausbeuterischen Institutionen des Kapitalismus hinaus auf alle Disziplinartechniken. Foucaults Skizze räumlicher Kämpfe habe dabei Verbindungen zu Jamesons postmodernem Widerstand. Es sei eine geopolitische Strategie, in der räumliche Fragen ein zentrales Feld ausmachen, da sich die Disziplinarmacht in erster Linie durch die Organisation, Einschließung und Kontrolle von Individuen im Raum ausdrückt. Harveys Theorie wiederum versuchte eine Einbindung der Produktion von Raum und der Untersuchung räumlicher Konfigurationen in das Zentrum marxistischer Theorie. Der städtische Aspekt soll bei ihm als aktives Moment in den historischen Geographien von Klassenkämpfen und Kapitalakkumulation berücksichtigt werden. Das Ziel von Harvey ist eine Analyse der »spezifischen Geographie des Kapitalismus« und des Bereichs des Konkreten und Besonde-

24 | Ebd., S. 97. 25 | Ebd., S. 98. 26 | Vgl. ebd., S. 98 und Jameson, Frederic: »Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus«, in: Huyssen, Andreas (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Frankfurt/M 1986, S. 45-102. 27 | Vgl. Foucault 2002: »Über die Natur des Menschen: Gerechtigkeit vs. Macht«, in: Ders.: Dits et Ecrits 2 (DE 2), Frankfurt/M, S. 586-637, hier: S. 617, zit. n. Soja 2007, S. 98.

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ren, also wie sich räumliche kapitalistische Umstrukturierung im konkreten Raum zeigt.

5.2.1 Die Kritische Geographie von David Har vey Harvey geht es auch um den Zusammenhang von räumlicher Umstrukturierung und zeitlicher Beschleunigung. Die Besonderheit seines Ansatzes liegt darin, dass er Globalisierung als einen Prozess versteht, der immer mit räumlicher Reorganisation oder geographischer Expansion verbunden bleibt.28 Auch wenn er die neuen Aspekte eines Regimes der flexiblen Akkumulation gegenüber dem traditionellen Fordismus beschreibt und den beschleunigten Austausch von Finanztransaktionen hervorhebt, so thematisiert Harvey dabei den Zusammenhang mit der räumlichen Ordnung, den räumlichen Strukturen, die dieser Form des Kapitalismus zugrundeliegen. So ist die Akkumulation des Kapitals historisch immer auch eine räumliche Angelegenheit gewesen, indem z.B. die Entwicklungsdynamik des Kapitalismus seit dem Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen mit geographischer Expansion einherging.29 Die dem Kapitalismus inhärenten Widersprüche haben eine bestimmte »räumliche Ordnung«, einen »spatial fix« wie es Harvey nennt, eine historisch gewachsene »globale Geographie der Kapitalakkumulation hervorgebracht«, die durch das Merkmal der Ungleichzeitigkeit räumlicher Entwicklung gekennzeichnet ist.30 Eine kritische Analyse der heutigen Globalisierungsprozesse aus marxistischer Sicht müsse diese räumlichen Aspekte berücksichtigen und eine Art »historisch-geographischen Materialismus« entwickeln.31 Dann können auch »die lokalen, regionalen Unterschiede […] und die Bedeutung der verstärkten Urbanisierung als Teil des Prozesses ungleicher geographischer Entwicklung des Kapitalismus im Raum« in den Blick geraten.32 Der konkrete Ort bleibt ein entscheidendes Element sowohl für den Bindungsprozeß der einzelnen Menschen, wie als Standort für kapitalistische Organisation. Heute gebe es eine geographische Reorganisation des Kapitalismus, wobei die »Produktion von Raum ein konstitutives Moment innerhalb der Dynamik der Kapitalakkumulation« bleibe.33 Diese Reorganisation zeigt sich z.B. in der

28 | Vgl. Harvey, David: »Betreff: Globalisierung«, in: Becker, Steffen/Sablowski, Thomas/Schumm, Wilhelm (Hg.): Jenseits der Nationalökonomie?, Hamburg 1997, S. 2850, hier S. 29. 29 | Vgl. ebd., S. 29. 30 | Ebd., S. 29. 31 | Vgl. ebd., S. 31. 32 | Ebd., S. 30. 33 | Ebd., S. 33.

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globalen Vernetzung zentraler Orte, in denen sich kapitalistische Kontrollfunktionen ballen, aber auch in der Überwindung räumlicher Barrieren. Eine Erklärung des Zirkulationsprozesses des Kapitals muß zwei Spannungen, zwei Aspekte berücksichtigen, die miteinander zusammenhängen: 1) Der Kapitalismus muss die Umschlagszeit der Kapitalströme senken und so die Zirkulation des Kapitals beschleunigen.34 Damit wird der Zeithorizont der Entwicklung des Kapitalismus revolutioniert. Der Austausch von Kapitalströmen vollzieht sich immer schneller und bestimmte Geschäfte werden durch die Ausnutzung von Zeitdifferentialen erst möglich, z.B. indem Geschäfte mit Zukunftserwartungen gemacht werden. Das ist auch das Prinzip von neuen Finanzinstrumenten wie Futures und Optionen, die damit ein Teil des sogenannten »Arbitragekapitalismus« (Altvater) werden. Dessen Prinzip besteht in der Ausnutzung von kleinsten Unterschieden in Ort und Zeit, z.B. der Ausnutzung von kleinsten Kursschwankungen an verschiedenen Finanzplätzen innerhalb kürzester Zeit, seien es Minuten oder Sekunden. Durch die Ausbeutung von Zeitdifferenzen im Raum und Raumunterschieden in der Zeit kommt es zu einer tendenziellen Aufhebung und Vernichtung von Zeit und Raum, oder auch einer »Zeit-Raum-Kompression«, wie es Harvey ausdrücken würde.35 Der Arbitragekapitalismus abstrahiert also von räumlichen und zeitlichen Bedingungen, an die die traditionelle Produktionsökonomie (Industriesektor) und die Extraktionsökonomie (der Agrarsektor und Rohstoffausbeutung) noch gebunden waren. 2) Diese oben angesprochene Beschleunigung der Kapitalzirkulation setzt aber zweitens voraus, daß alle räumlichen Barrieren eliminiert werden, die dieser Zirkulation im Wege stehen. Der Raum wird durch die Zeit, durch die zeitliche Beschleunigung vernichtet.36 Paradoxerweise kann dies aber wiederum nur durch »die Erzeugung eines fixen Raumes gelingen«37 oder durch die Produktion eines geographisch festliegenden, unbeweglichen Ortes, der Erzeugung eines konkreten Standortes, eines »spatial fix«, der »production of specific spaces«.38 Sowohl für die Beschleunigung der Kapitalzirkulation wie für die Überwindung räumlicher Barrieren sind langfristige Investitionen, z.B. allgemein 34 | Vgl. ebd., S. 34 und Harvey, David: The Condition of Postmodernity, Oxford 1990, S. 232. 35 | Vgl. Altvater, Elmar: »Theoretical Deliberations on Time and Space of Post-Socialist Transformation«, Berlin 1998, S. 601. 36 | Vgl. Harvey 1990, S. 232 und Harvey, David: »Die Postmoderne und die Verdichtung von Raum und Zeit«, in: Kuhlmann, Andreas (Hg.): Philosophische Ansichten der Kultur der Moderne, Frankfurt/M 1994, S. 48-78, hier S. 60. 37 | Harvey 1997, S. 35. 38 | Harvey 1990, S. 232.

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in bebaute Umwelt, in Infrastruktur nötig. Es entsteht so eine geographische Landschaft aus unterschiedlich vernetzten, räumlichen Beziehungen und territorialer Organisation, aus Ortssystemen, die innerhalb einer globalen, funktionalen Arbeitsteilung miteinander verbunden sind.39 Ein solches Ortssystem können Global Cities sein, die arbeitsteilig miteinander vernetzt sein können. Für die Einsparung von Kosten und Zeit der Raumüberwindung ist z.B. eine Verkehrsinfrastruktur nötig oder eine physische Infrastruktur des Produktionssektors.40 Die eben skizzierten Entwicklungen finden sich aber nicht überall auf der Welt in gleichem Maße, bzw. diese Entwicklung hat nicht überall dieselbe Stufe erreicht. Nicht zu vergessen ist auch, dass weite Teile der Welt, sei es in Afrika, Asien oder anderswo, noch gar nicht oder nur teilweise in die globale Ökonomie und besonders in den neuen »Arbitragekapitalismus« integriert sind. Dort herrschen noch traditionelle, agrarische Strukturen vor, oder es bildet sich eine lokale Ökonomie aus, die aber nicht global vernetzt ist. Durch den immer schnelleren Ablauf der globalen ökonomischen Austauschprozesse und der schnelleren Innovations- und Produktzyklen, bleiben bestimmte Teile der Welt erst recht zurück. Daher spricht Harvey von der Globalisierung als Prozeß der Erzeugung von ungleicher zeitlicher und geographischer Entwicklung.41 Diese ungleiche Entwicklung von Umschlagszeiten und Zeitsystemen könne eine »Zeitkompression« hervorrufen. Der auf Kurzfristigkeit und schnellen Gewinn angelegte Zeithorizont der Wall Street, der Finanzmärkte kann sich den gesellschaftlichen und ökologischen Reproduktionssystemen nicht anpassen. D.h. durch die Orientierung an den Erfordernissen des Finanzsektors droht die Vernachlässigung von sozialstaatlichen Sicherungssystemen und ökologischer Nachhaltigkeit.42 An der neuen Rolle der Finanzmärkte zeigt sich eine veränderte Bedeutung von Zeit und Raum. Harvey geht von der grundlegenden Annahme aus, daß verschiedene Arten von Produktion und sozialer Organisation jeweils spezifische Konzepte und Praktiken eines Zeit- und Raum-Verständnisses mit sich bringen: »The objectivity of time and space is given in each case by the material practices of social reproduction, and to the degree that these latter vary geographically and historically, so we find that social time and social space are differentially constructed. Each

39 | Vgl. Harvey 1997, S. 35. 40 | Vgl. ebd., S. 36. 41 | Vgl. ebd., S. 37. 42 | Vgl. ebd., S. 35 und Harvey 1990, S. 240.

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distinctive mode of production or social formation will, in short, embody a distinctive bundle of time and space practices and concepts«.43

Im Kapitalismus, in dem sich die Praktiken und Prozesse der Produktion ebenfalls ständig ändern, ändert sich auch die Bedeutung von Zeit und Raum. So ist das Zeit- und Raum-Verständnis in agrarisch geprägten Gesellschaften noch eher vom Lauf der Jahreszeiten und tierischen und pflanzlichen Reproduktionszyklen geprägt. Die Zeitrhythmen in der fordistisch-keynesianischen Industriegesellschaft mit wohlfahrtsstaatlichem sozialen Ausgleich sind dagegen eher vom 8-Stunden-Tag und der 5-Tage-Woche geprägt und damit wieder andere als sie von den »virtuellen« Finanzmärkten mit ihrem 24-Stunden-Handel verlangt werden. So können Konflikte durch unterschiedliche Verständnisse und unterschiedliche Wertschätzungen von Zeit und Raum in verschiedenen sozialen Situationen entstehen.44 Diese werden durch Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung verschiedener Länder und Regionen verstärkt. So sind noch agrarisch geprägte Länder nicht so weit in die Dynamik des Weltmarkts integriert, wie beispielsweise die Finanzplätze der Welt, wie New York, London, Tokio. D.h. die Modernisierung bringt auch Brüche und neue Bedeutungen der zeitlichen und räumlichen Rhythmen mit sich.45 Dieser Wandel der Auffassungen über Raum und Zeit vollzog sich vor allem seit dem Ende des Mittelalters und dem Zeitalter der Entdeckungen und der Aufklärung.46 In Geldökonomien, besonders in einer kapitalistischen Gesellschaft, hängen die Kontrolle über Geld, Zeit und Raum eng zusammen. Erst die Durchsetzung des Geldes als Zahlungsmittel im Mittelalter und Handelsbeziehungen über räumliche Distanzen hinweg machten eine genaue Zeitmessung erforderlich. Die Änderungen in der Bedeutung von Zeit und Raum konnten nun Profit bringen: Der Warenaustausch verlangte die Überwindung von räumlichen Distanzen. Die effiziente räumliche Organisation und Bewegung durch den Raum war also von Anfang an zentral für die Verbreitung des Kapitalismus.47 Eine Voraussetzung für die neue Sichtweise auf den Raum war die Entstehung von Karten und Kartographie im Zuge der Entdeckungen und Eroberungen von Seefahrern wie Kolumbus u.a. seit 1492. Damit veränderte sich das Weltbild, der Globus wurde nun als Ganzes gesehen. Mit dem Drang nach Entdeckungen und der Eroberung fremder Länder durch Seefahrer und deren Expeditionskorps wurde die Eroberung und rationale Ordnung des Raumes ein 43 | Ebd., S. 204. 44 | Vgl. ebd., S. 205. 45 | Vgl. ebd., S. 216. 46 | Vgl. ebd., S. 240. 47 | Vgl. ebd., S. 227 und S. 229.

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zentraler Teil des Modernisierungsprojekts.48 Erst die ganzheitliche Sicht der Karte auf die Welt als ein Raum erlaubte es, nationale, lokale und persönliche Identitäten inmitten geographischer Unterschiede, in Abgrenzung zu anderen zu konstruieren.49 Um die Kontrolle über den eroberten Raum zu gewährleisten, war jedoch die Meßbarkeit von Raum durch die Landvermessung, durch Karten nötig. Aber erst das private Eigentum an Land machte den Raum zu einer Ware und damit zu einer universellen, homogenen, objektiven und abstrakten Kategorie.50 Diese Homogenisierung des Raumes durch Fragmentierung und Einteilung in private Parzellen, in meßbare Einheiten, machte den Raum dem Kapital verfügbar. Die Entwicklungsdynamik des Kapitals verlangte nach der Reduzierung räumlicher Barrieren, nach der Schaffung eines Weltmarktes. Der Druck, die Umschlagszeiten des Kapitals zu erhöhen, machte die Überwindung des Raumes, »die Vernichtung des Raumes durch die Zeit« zu einem Kern der kapitalistischen Dynamik. Aber dieser Zusammenbruch räumlicher Barrieren heißt nicht, dass die Bedeutung des Raumes generell abnimmt. Der verstärkte Wettbewerb führt vielmehr dazu, dass den relativen Standortvorteilen bestimmter Orte mehr Beachtung geschenkt wird. Die Verringerung räumlicher Distanzen und Barrieren ermöglicht es, selbst kleinste räumliche Unterschiede auszunutzen, die so immer mehr Gewicht erlangen, z.B. im Hinblick auf die Arbeitskraft, die Ressourcen und die Infrastruktur, die an einem Ort vorhanden ist. So bekommen die geographischen Unterschiede in Art und Umfang der Arbeitskontrolle oder in der Menge und Qualität der Arbeitskraft größere Bedeutung in den Standortstrategien der Unternehmen.51 So wird auch hier die Ausnutzung kleinster Differenzen in Raum und Zeit als Merkmal des neuen »Arbitragekapitalismus« wirksam. Aber an der Bedeutung von Raum zeigen sich auch die Widersprüche des Kapitalismus: Die räumliche Entfernung kann nämlich nur durch die Schaffung von bestimmten Räumen, durch Rationalisierung räumlicher Organisation überwunden werden. Das kann z.B. in der Investition in physische Infrastruktur bestehen, z.B. Eisenbahnen, Autobahnen, Flughäfen u.a.52 Aber diese »räumliche Rationalisierung« hält nur relativ kurze Zeit vor, sie muß ständig erneuert werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die angestrebte Mobilität der Unternehmen auf der Suche nach Ressourcen, Niedriglohngebieten und neuen Profitmöglichkeiten hat jedoch ihre Grenzen aufgrund der hohen Kosten. Zudem können gerade langfristige Investitionen in räumliche Infrastruk48 | Vgl. ebd., S. 249. 49 | Vgl. Ebd. S. 250. 50 | Vgl. Ebd., S. 254. 51 | Vgl. Harvey 1994, S. 61. 52 | Vgl. Harvey 1990, S. 232.

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tur, in unbewegliche, physische Infrastruktur, wie teure Bürogebäude usw. die Mobilität des Kapitals einschränken. Auf der Ebene der Ökonomie gibt es eine Spannung innerhalb der Geographie der Akkumulation zwischen einer Tendenz zur Fixierung und einer der Bewegung, zwischen der Macht, den Raum zu überwinden und immobilen Strukturen, zwischen einer Agglomeration am Ort und der Verteilung über den Raum analog zu Marx’ Unterscheidung zwischen konkreter Arbeit, die in die Besonderheiten des Ortes eingeschrieben ist und abstrakter Arbeit, die auf der Abstraktion des Raums basiert. Bei den Konflikten um die Umstrukturierung des Raums gibt es eine Spannung zwischen intraregionalen Koalitionen, deren Interessen mit der Bewahrung und Erhöhung des Werts des Ortes zusammenfallen und den interregionalen Beziehungen des Wettbewerbs, welche die Restrukturierung des Raums der Kapitalakkumulation durch Entwertung und Inwertsetzung in einem Prozess kreativer Zerstörung vorantreiben.53 Aus der Sicht von Harvey müsste eine postmoderne kritische Humangeographie nicht nur auf Dekonstruktion setzen, sondern müsse begleitet werden von einer vorläufigen Rekonstruktion, die auf den politischen Konflikten der Gegenwart basiert und alle räumlichen Maßstabsebenen (scales) moderner Macht »von den großen Strategien der Geopolitik bis zu den kleinsten Taktiken des Wohnens« umspannt (Foucault).54 Diese kritische Humangeographie müsse an emanzipatorische Kämpfe der Gruppen angeschlossen werden, die durch die besondere Geographie des Kapitalismus marginalisiert und unterdrückt werden. Dabei müsse an die Besonderheiten des Regimes flexibler Akkumulation angeschlossen werden, um einen Beitrag zu emanzipatorischen Widerstand zu leisten. Für solche Kämpfe auf der Mikroebene der Macht kann der Foucaultsche Machtbegriff mit seiner Sensibilität für Widerstandsformen im Innern der Macht, für die Zusammenhänge von Mikromächten und großen Strategien besonders geeignet sein.

5.2.2 Die Raumtheorie Henri Lefebvres Solche Perspektiven auf die abstrakten Prozesse der Kapitalakkumulation einerseits und die konkreten Praktiken auf der Mikroebene andererseits sind wiederum anschlussfähig an Lefebvres Unterscheidung von abstraktem Raum und konkreten Raum des Alltags. Während Harvey von einer Raum-Zeit-Verdichtung durch Prozesse der Kapitalakkumulation (Herstellung eines spatial fix) ausgeht, geht es in Lefebvres Konzeption um eine Raum-Zeit-Kolonisation.

53 | Vgl. Gregory, Derek: »Das Auge der Macht«, in: Belina/Michel 2007, S. 133-155, hier S. 138. 54 | Nach Soja 2007, S. 108.

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Lefebvre gilt als Pionier der modernen Raumsoziologie, der in seinem 1974 in Frankreich erschienen Werk »Production de l’espace« einen relationalen Raumbegriff entwickelte und mit Kapitalismuskritik verband. Er entwickelte seine Raumtheorie auf einer Grundlage der Theorie des Alltags, die er mit der These einer »Kolonialisierung von Raum und Zeit« durch Vermessung und Raumkontrolle als spezifischen Ausdruck der kapitalistischen Produktionsweise verbindet. Produktion und Kontrolle über Raum versteht Lefebvre als das Bemächtigungsmittel des Kapitalismus. Staat und Kapital sicherten ihre Machtpositionen über den Zugriff auf den Raum, z.B. indem Raum eingeteilt und verplant wird.55 Lefebvre geht es darum zu zeigen, wie der urbane Raum produziert wird. Er unterscheidet bei der Produktion des Raums analytisch drei dialektisch miteinander verbundene Dimensionen. Diese Dimensionen oder Momente der Produktion des Raums sind doppelt bestimmt und daher auch doppelt benannt.56 Erstens bildet sich Raum nach Lefebvre aus einer Triade:57 • Der räumlichen Praxis (spatial practice), der Produktion und Reproduktion von Raum. (Diese räumlichen Praktiken beziehen sich auf Raum-Zeit-Routinen und räumliche Strukturen, durch die das soziale Leben produziert und reproduziert wird); • Den Repräsentationen von Raum, dem Raum wie er kognitiv entwickelt wird (durch Architekten und Planer konzipiert) und • Dem Raum der Repräsentation, mit seinen Symbolisierungen. Unter »Spatial practice« versteht er die alltägliche, durch Routinen abgesicherte Praxis der Herstellung und Reproduktion von Räumen sowie das körperliche Erleben der Räume. Unter »Repräsentation von Raum« versteht Lefebvre den konzipierten Raum, den Raum der Planer, Urbanisten, Wissenschaftler und Techniker mit seinen Darstellungen und Plänen. Lefebvre betont die Bedeutung der Symbole für die Bestimmung des Raums. Der Raum der Repräsentation bezieht sich auf die Bil-

55 | Vgl. zu Lefebvre: Löw, Martina: »Zwischen Handeln und Struktur. Grundlagen einer Soziologie des Raums«, in: Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe (Hg.): Territorialisierung des Sozialen, Opladen&Farmington Hills 2007, S. 81-101, hier: S. 82f, außerdem Schmid, Christian: Stadt, Raum und Gesellschaft, Stuttgart 2005, Guelf, Ferdinand: Die urbane Revolution, Bielefeld 2010. 56 | Vgl. Schmid, Christian: »Henri Lefebvre und das Recht auf die Stadt«, in: Holm, Andrej/Gebhardt, Dirk (Hg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt, Hamburg 2011, S. 2553, hier S. 35. 57 | Lefebvre, Henri: The production of space, Oxford 1991, S. 38.

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der und Symbole, die die räumlichen Praktiken ergänzen.58 Lefebvre geht davon aus, dass sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts der abstrakte Raum gegenüber dem konkreten Raum des Alltags durchgesetzt habe. Die zweite Dimension ist dann der »wahrgenommene«, der »konzipierte« und der »gelebte« Raum. Raum hat einen wahrnehmbaren Aspekt, der sich auf die Materialität der Elemente eines Raums bezieht. Die räumliche Praxis verknüpft diese Elemente zu einer räumlichen Ordnung. Aber ein Raum lässt sich nicht wahrnehmen, ohne dass er zuvor gedanklich konzipiert worden ist. Ein konzipierter Raum ist eine Darstellung, die einen Raum abbildet und definiert und ihn damit auch repräsentiert. Diese Konstruktionen des Raums stützen sich auf gesellschaftliche Konventionen, die aber umstritten und umkämpft und im diskursiven politischen Einsatz ausgehandelt werden. Es geht um einen gesellschaftlichen Produktionsprozess, der mit der Produktion von Wissen verbunden ist. »Die Theorie der Produktion des Raums umfasst also einen dreidimensionalen Prozess: erstens die materielle Produktion, zweitens die Produktion von Wissen, drittens die Produktion von Bedeutungen.«59 Der abstrakte Raum wird durch zwei Prozesse in jeweils doppelter Weise produziert, durch eine intensivierte Kommodifizierung des Raums (ein Raster von Besitzverhältnissen wird über den Raum gelegt und in Bodenmärkten aufgeteilt), eine Kommodifizierung durch Raum und eine Bürokratisierung des Raums (z.B. die Kartierung eines Territoriums durch ein administratives System, die Einrichtung eines juridisch-politischen Rasters, die Überwachung und Regulation des gesellschaftlichen Lebens durch den Staat). Diese Prozesse verstärken sich gegenseitig und konstituieren den abstrakten Raum als permanenten Raum des Tauschwerts. Der konkrete Raum ist dagegen der Raum des Alltags und daher eher noch ein Raum der Subjekte, ein Raum des Gebrauchswerts. Lefebvre will diese beiden Räume und Wege zusammenbringen. Für Lefebvre bedeutet die Kolonisation des Alltags die Überlagerung des konkreten Raums durch die ›Überausdehnung‹ des abstrakten Raums. Insbesondere die Diskurse der Raumwissenschaften (wie Architektur und Stadtplanung) und die »Spektakularisierung des urbanen Raums« tragen zur Aufrechterhaltung der urbanistischen Illusion und der Repräsentation von Raum bei. Dem Symbol des Auges komme innerhalb eines solchen Schemas eine besondere Macht zu, im Sinne einer Optik des Expertensystems von Architekten und Raumplanern, im Sinne eines generalisierten Blicks von oben und aus der Ferne (ähnlich wie beim Panoptikum). Durch die Generalisierung und Naturalisierung dieser Mittel und Modalitäten funktionieren Repräsentationen von Raum wie Machttechnologien, wie Dis58 | Vgl. Löw 2007, S. 83. 59 | Schmid 2011, S. 39.

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ziplinartechnologien, die Anordnungen nützlicher und fügsamer Körper produzieren. »Lebende Körper […] sind nicht nur in den Mühen des parzellierten Raums gefangen, sondern auch im Netz der Bilder, Zeichen und Symbole.«60 »Aber der konkrete Raum ist auch eine Stätte des Widerstands und der aktiven Kämpfe, […] die Gegendiskurse und alternative räumliche Vorstellungen erzeugen«.61 Lefebvres Raumphilosophie ist im konkreten Raum verwurzelt. Sie will »der Differenz gegenüber der Homogenität, der Fragmentierung gegenüber der Einheit und der Gleichheit gegenüber der Hierarchie wieder Geltung verschaffen«.62 Der Körper sei dabei ein Element der Subversion inmitten des Raumes. Das revolutionäre Projekt benötige »die Wiederaneignung der Körper in Verbindung mit der Wiederaneignung des Raums«.63 Lefebvre geht es um Fragen der Rückgewinnung des sozialen Gedächtnisses, um das Zurückholen des Alltags, die Wiederaneignung des konkreten Raums, was sich in sozialen Kämpfen um alternative Stadtplanung, gegen Obdachlosigkeit, gegen Vertreibung, und in Mieterkämpfen um bezahlbaren Wohnraum äußert. Darin liegen Querverbindungen zu Foucaults Perspektive auf konkrete Kämpfe und unterworfene Wissensarten auf der Mikroebene. Harvey dagegen beschäftigt sich nicht direkt mit der (Raum-Zeit-)Kolonisation des Alltags. Der Widerspruch zwischen Ort und Raum kann nicht direkt mit Lefebvres abstrakten und konkreten Raum in Einklang gebracht werden, bei Harvey geht es um die Raum-Zeit-Verdichtung und um die tiefe Krise des Kapitalakkumulationsregimes. Während man mit Foucault die diskursive Konstruktion von Räumlichkeit und das Verhältnis von Disziplinierung von Körpern im Raum in den Blick nehmen kann, ermöglichen materialistische bzw. marxistische Raumtheorien wie die von Harvey die Einbeziehung von materiellen Praktiken und des Aspekts der materiellen Produktion von Räumlichkeit in die Analyse. Eine Verbindung, eine Brücke zwischen diesen Ansätzen könnte die Raumtheorie von Lefebvre liefern, mit seiner Dreiteilung des materiellen Raums. Der konkrete Raum ist für Lefebvre eine potentielle Stätte des Widerstands und der aktiven Kämpfe, der Ursprung von Räumen der Repräsentation, die Gegendiskurse und alternative räumliche Vorstellungen erzeugen. Ein revolutionäres oder radikalreformerisches Projekt erfordere neben der Wiederaneignung der Körper eine Wiederaneignung des Raums. Diese Überlegungen lassen sich teils mit Konzepten von Foucault und Harvey in Verbindung bringen. Dem konkreten Raum der Repräsentation entsprächen bei Foucault die Anderen Räume oder Gegenräume der Heterotopien. 60 | Lefebvre 1991, S. 98, zit. n. Gregory 2007, S. 143. 61 | Gregory 2007, S. 143. 62 | Gregory 2007, S. 143. 63 | Lefebvre 1991, S. 166f, zit. n. Gregory 2007, S. 143.

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Diese drei Konzepte zur Theoretisierung von Raum beleuchten jeweils unterschiedliche Aspekte: Die materielle Produktion von Räumlichkeit im Kapitalismus, den Gegensatz von abstraktem, konzeptionellem Raum zum Raum des Alltags und die diskursive Konstruktion von Räumlichkeit und die Disziplinierung von Körpern im Raum. In den Gebieten einer konkreten Stadt überschneiden sich die drei von Lefebvre konzipierten Räume. Eine daran anknüpfende materialistische Interpretation kann die Notwendigkeit von sozialer Mischung und die Gleichzeitigkeit von Gentrifizierung und sozialer Polarisierung eher erklären. Das Ideal einer sozial gemischten Stadt entsprach eigentlich eher einer sozialdemokratisch-wohlfahrtsstaatlichen Stadtpolitik, wie sie auch in den Programmpapieren zur »Sozialen Stadt« proklamiert wird. Aber auch eine wettbewerbsorientierte, global ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik, die für die neuen »creative classes« attraktiv sein will,64 hat einen Bedarf an sozialer Mischung, wenn auch einer deutlich anderen als zu Zeiten eines fordistischen Wohlfahrtsstaates. Die Aufwertung, also Gentrifizierung verläuft heute anders als im fordistischen Zeitalter, nämlich z.B. getrieben durch global orientierte, kurzfristige Immobilienspekulation und die Strategien von internationalen Immobilienfonds. Ein materialistischer geographischer Ansatz im Anschluss an Harvey und Lefebvre könnte erklären, warum sich die Gentrifizierung heute anders vollzieht als früher. So könnte man sagen, dass es heute einen Bedarf für eine nur ›relative und fluktuierende, kurzfristige Gentrifizierung‹ und Aufwertung von Stadtvierteln gibt. D.h. bestimmte Wohngebiete werden kurzfristig durch Pioniergruppen attraktiv und dann zum Ziel für internationale Investoren und Aufwertungsstrategien. Dann aber werden wieder neue Viertel erschlossen und umstrukturiert, die mit anderen, dominanteren Verwertungsstrategien zusammenhängen. Während die Gouvernementalitätsstudien eher von einer einheitlichen Durchsetzung einer Regierungsrationalität ausgehen, kann die materialistische Raumtheorie für die Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten in der Umsetzung einer Rationalität sensibilisieren. Sie kann das materielle Gewordensein, die materiellen Praktiken und ihren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozessen in den Blick nehmen. Außerdem kann eine materialistische Raumtheorie zeigen, wie sich in bestimmten Quartieren abstrakter Raum (der Raum der Repräsentation im Sinne Lefebvres) und Alltagsraum überschneiden und so auch Raum für Widerstand entsteht. Die Konflikte um die Bebauung des Spreeufers in Friedrichshain-Kreuzberg durch das Mediaspree-Konsortium wären dafür ein Beispiel oder das Nebeneinander des »Estrel«-Hotels in Neukölln als Ausrichter von internationalen Preisverleihungen neben einem sozial problematischen Stadtviertel, das mittlerweile auch zum 64 | Florida, Richard: The Rise of the Creative Class, New York 2004.

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Ziel widersprüchlicher Aufwertungs-und Erschliessungsstrategien durch kreative Szenen und subkulturelle Milieus wird. Darin liegt wiederum ein Anknüpfungspunkt an das Konzept der Heterotopien bei Foucault.

5.2.3 Das ›Recht auf Stadt‹ Ein weiterer Anknüpfungspunkt bei der Analyse städtischer Konflikte könnte Lefebvres Konzept des ›Rechts auf Stadt‹ sein, mit dem er zur kollektiven Aneignung der Städte durch ihre Bewohner aufrief. Das Konzept von Lefebvre muss jedoch im historischen Kontext der 60er Jahre in Frankreich gesehen werden, in denen Frankreich eine Urbanisierungswelle erlebte, die durch die Rückkehr französischer Soldaten aus Algerien und den Zuzug von Migranten aus Nordafrika beschleunigt wurde. In diesem Kontext entstanden in den städtischen Peripherien die standardisierten, einheitlich konzipierten Sozialsiedlungen für Tausende Bewohner. Es bildete sich eine Gruppe von Planern und Experten, die den neuen Diskurs des Urbanismus zur Begründung dieser Modernisierungspolitik entwickelte. Der Raum wird nun von einer technokratischen Rationalität geformt, die durch Raumplanung und Investitionen regulierend in die Infrastruktur eingreift. Diese Restrukturierung des Raums und Reorganisation des Kapitalismus wurde von Lefebvre in seinem Raumkonzept reflektiert. Der kapitalistische Raum zeichnet sich nach Lefebvre durch Einheitlichkeit und Fragmentierung aus. Die abstrakte Logik der Warenökonomie bewirkt eine Tendenz zur Homogenisierung, die kapitalistischen Verwertungsstrategien dagegen fragmentieren den Raum. Der Urbanisierungsprozess bringt einerseits eine Ausdehnung städtischen Raums ins Umland (in Form von ›Satellitenstädten‹, Suburbs, Banlieues), andererseits werden die historischen Stadtzentren aufgewertet und die Armutsbevölkerung tendenziell aus dem Zentrum vertrieben. Dies gilt zumindest für Frankreich, während es in Deutschland tendenziell noch anders oder sogar umgekehrt ist. Der französische Philosoph und Raumtheoretiker intendierte damit ein herrschaftskritisches, utopisches Projekt, das über das bestehende System hinausweist. Das Recht auf Stadt meint bei ihm das Recht, nicht aus der Gesellschaft und der Kultur in einen diskriminierenden Raum verdrängt zu werden und umfasst das Recht auf Abweichung (z.B. nicht in vorgegebene Kategorien eingeordnet zu werden). Es umfasst mehr als ein juridisches Recht, sondern Lefebvre versteht es als Forderungspraxis von marginalisierten sozialen Gruppen (Jugendliche, Migranten, Frauen, Kolonisierte). Aber die Stadt behält nach Lefebvre ihre spezifische Funktion der Zentralität, in ihr verdichten sich die ökonomische und politische Macht und die unterschiedlichsten Wissensarten. Die Stadt biete die Möglichkeit, unterschiedliche Elemente einer Gesellschaft zusammenzuführen und aufeinander reagieren zu lassen, woraus Unerwartetes und Neues entstehen könne. Lefebvre unterschei-

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det zwischen den herrschenden, dominanten Formen der Urbanität, die Entfremdung und regulierte Verhaltensweisen mit sich bringen und dem »Städtischen« als dem Bedürfnis nach einem vielseitigen, abwechslungsreichen Leben. Lefebvre geht es um den »schöpferischen Überschuss« den die Stadt ermögliche, der über die beschränkte Rationalität der Ökonomie hinausgeht. »Alles was andernorts entsteht reißt die Stadt an sich: Früchte und Objekte, Produkte und Produzenten, Werke und schöpferisch Tätige, Aktivitäten und Situationen. Sie zentralisiert die Schöpfungen« heißt es in »Die Revolution der Städte«. 65

Lefebvre wollte die Stadt als Ort der Kreativität und Urbanität im Sinne der Ermöglichung von Autonomie und Freiräumen gestärkt sehen. Auch wenn Autonomie und Kreativität seit den 60er Jahren inzwischen oft als Innovationspotenziale von einer neoliberalen Metropolenstrategie instrumentalisiert werden, bieten diese Überlegungen doch Ansatzpunkte, um Bruchstellen im Alltagsleben jenseits der ökonomischen Zwänge zu finden. Es geht um die Möglichkeiten von Individuen und Kollektiven sich der herrschenden räumlichen Praxis zu entziehen oder sich ihr zu widersetzen. Mit diesen Überlegungen steht er der Foucaultschen ›Mikrophysik der Macht‹ und ihrem Interesse für netzwerkartige, kleine Praktiken und den Brüchen innerhalb der Macht durchaus nahe. Aufgrund der Erfahrungen mit neoliberalen Umstrukturierungs- und Urbanisierungsprozessen erhält Lefebvres Konzept des Rechts auf Stadt seit den 90er Jahren wieder verstärkte Aufmerksamkeit66 und spielt aktuell in den Auseinandersetzungen städtischer sozialer Bewegungen von Berlin und Hamburg über Sao Paulo bis New York eine wichtige Rolle beim Widerstand gegen Gentrifizierung, Vertreibung, Privatisierung öffentlicher Güter und gegen soziale Ausgrenzung.67 Besonders in Hamburg hat sich um die Auseinandersetzung über das alternative ›Gängeviertel‹ und dessen künftige Nutzung zwischen Künstlerquartier oder reinen Verwertungsinteressen eine vielfältige Bewegung aus Künstlern und Sozialaktivisten entwickelt, die sich auf das ›Recht auf Stadt‹ beruft und auch partielle Erfolge verbuchen konnte.68 Dies biete sozialen Bewegungen möglicherweise einen neuen Bezugspunkt und habe das Potential verschiedene 65 | Zit. nach: Klaus Ronneberger: »Das Recht auf Stadt. Geschichte einer Parole«, in: Jungle World, Nr. 26, 30. Juni 2011, S. 14/15. 66 | Vgl. Das Argument 289, H. 6 (2010): Die Stadt in der Revolte, darin insbes.: Bareis, Ellen/Bescherer, Peter/Grell, Britta u.a.: »Die Stadt in der Revolte«, S. 800/801. 67 | Vgl. zur Gentrifizierung Holm, Andrej: Wir bleiben Alle! Gentrifizierung- Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung, Münster 2010. 68 | Vgl. Füllner, Jonas/Templin, David: »Die ›Recht auf Stadt‹-Bewegung in Hamburg«, in: Holm/Gebhardt (Hg.) 2011, S. 79-105.

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sozial ausgegrenzte Gruppen zusammenzubringen und sogar Verbindungen zwischen Kämpfen in den Metropolen der ersten Welt und des Südens herzustellen, so die meines Erachtens recht optimistische Diagnose von Mayer.69 Der Begriff könne zu Forderungen nach konkreter gesellschaftlicher Veränderung beitragen. Mit dem Programm ›Recht auf Stadt‹ könnten »offene Räume entstehen, die als solche mit der kapitalistischen Logik des Urbanen brechen und eine Urbanität als Recht auf Anderssein und ›verdichtete Unterschiedlichkeit‹ antizipieren.«70 Beispiele für solche Räume könnten von Stadtteilinitiativen begrünte und belebte Stadtbrachen im Rahmen des Trends zum sogenannten »Guerilla Gardening« oder »Urban Gardening« sein, oder besetzte Häuser und durch lokale Baugenossenschaften sanierte Häuser.71 Mayer unterscheidet bei der Anwendung von Lefebvres Konzept (a) ein Recht auf eine andere Stadt im Sinne einer Aneignung von Stadträumen, die durch politisches und soziales Handeln erst neu gestaltet werden, was also über die bestehenden Zustände hinausweist und sie verändert und (b) ein Recht auf Teilhabe und offizielle Anerkennung innerhalb der existierenden Stadt als offizielle Anerkennung von marginalisierten Gruppen, wie sie von verschiedenen NGOs als eine Weltcharta für ein Recht auf die Stadt angestrebt werden.72 Auch wenn Lefebvres Konzepte auf den ersten Blick zunächst recht abstrakt erscheinen mögen, können sie im Rahmen meiner theoretischen Fragestellung und meiner beispielhaften Analytik von lokaler Sozialstaatsprogrammatik möglicherweise eine Leerstelle füllen, die die vor allem an übergreifenden Logiken und Rationalitäten und Aussageordnungen interessierten Gouvernementalitätsstudien offen lassen: Nämlich die Frage nach Widerstandsformen und Brüchen bei der Umsetzung der Programmatik, nach konkreten Kämpfen bei der Umsetzung von räumlichen Umstrukturierungsprozessen. Ein Konfliktfeld, in dem die von Lefebvre angesprochenen konkreten Alltagsräume und die von Harvey aufgezeigte politisch-ökonomische, materielle Umstrukturierung von Raum wirksam werden, ist die Städtebau- und Wohnungspolitik. Berlin hat zwar noch einen relativ hohen Anteil an Mietwohnungen und auch an sozialem Wohnungsbau. Aber mit der Teilprivatisierung von städtischen Wohnungsbaugesellschaften und durch die vielen Freiflächen in der Stadt ist Berlin attraktiv für internationale institutionelle Investoren, die vor 69 | Vgl. Bareis u.a., S. 802. 70 | Lefebvre zit. nach: Bareis/Bescherer/Grell, in: Argument 289 H. 6 (2010), S. 803/804. 71 | Vgl. zu Gemeinschaftsgärten: Rosol, Margit: »Ungleiche Versorgung mit Grün- und Freiflächen - (K)ein Thema für die Freiraumplanung?« in: Belina, Bernd/Gestring, Norbert/Müller,Wolfgang (Hg.): Urbane Differenzen, Münster 2011. 72 | Vgl. Mayer, Margit: »›Recht auf die Stadt‹-Bewegungen in historisch und räumlich vergleichender Perspektive«, in: Holm/Gebhardt (Hg.) 2011, S. 53-79, hier S. 62-65.

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allem an Rendite interessiert sind und die Wohnungsbestände aus ehemaligem sozialem Wohnungsbau aufkaufen. Ein anderes Beispiel sind umstrittene Bebauungspläne von Investoren wie das Mediaspreekonsortium am Spreeufer. Andererseits war Berlin auch früher ein Experimentierfeld für neue Wohnformen, von Kommunen, besetzten Häusern zur Hochzeit der Hausbesetzerszene bis zu neuen Baugenossenschaften. Mit den finanziellen Restriktionen des angespannten Landeshaushalts und der verstärkten Verwertung von öffentlichem Raum und öffentlichem Wohnungsbeständen werden allerdings die Spielräume für solche Freiräume und für im kleinen Rahmen widerständige Alltagspraktiken schmaler. Dass selbst kleine Freiräume im hohen Maße ›politisierbar‹ sind, zeigt aber die Geschichte der Berliner Hausbesetzerszene, die im kleinen Rahmen bis in die Gegenwart weiter wirkt. Hier werden letzte Überbleibsel aus dieser Zeit von der linksradikalen Politszene mit enormer Symbolkraft versehen und mit viel Energie (teils gewalttätig) verteidigt. Solche Räume werden in hohem Maße als Identitätsprojektionen symbolisch aufgeladen. Sie werden zu symbolischen und realen Bezugspunkten, mit deren Namen sich deutschlandweit AktivistInnen identifizieren. Vielleicht waren es auch solche Räume, die Lefebvre und Foucault vorschwebten, wenn sie vom konkreten Raum des Alltags als Ort des Widerstands oder von Heterotopien sprachen oder sie hatten alternative Projekte und Kulturzentren vor Augen. Das Land Berlin tritt auch selbst als Investor auf, so bei der Berliner Immobilienholding, die Landesgrundstücke lukrativ veräußern will oder in Verbindung mit der skandalträchtigen Berliner Bankgesellschaft und ihrem weit verstreuten Immobilienbesitz (von ostdeutschen Plattenbauten bis Einkaufscentern in der Provinz), an deren Spätfolgen Berlin auch weiter indirekt zu leiden hat. Andererseits strebt die Berliner Landesregierung aber die Re-Kommunalisierung von zunächst privatisiertem Eigentum an, wie bei den Wasserbetrieben. Dies zeigt, wie widersprüchlich und umkämpft dieses Feld ist und dass es auch immer wieder strategische und diskursive Verschiebungen geben kann. Nachdem lange Zeit die Privatisierung von öffentlichen Gütern und von Staatseigentum fast als Allheilmittel galt und die politischen Diskurse beherrschte, kehrt inzwischen allmählich Ernüchterung ein, denn inzwischen haben viele Kommunen eher negative Erfahrungen mit Modellen wie ›cross boarder leasing‹ und anderen private public partnerships gemacht.73 Das Pendel schwingt gewissermaßen etwas in die andere Richtung, hin zu etwas mehr Staatseinfluss und Regulierung. Von diesen Kräfteverschiebungen darf man andererseits auch nicht zu viel erwarten, oder sich täuschen lassen, denn wie Foucault in seinen Gouvernementalitätsvorlesungen zeigt, gehört ein immer wieder neues Austarieren des Verhältnisses von Freiheit und Sicherheit, von laissez-faire und regulativer 73 | Vgl. zu Wohnungsprivatisierungen Holm, Andrej: »Politiken und Effekte der Wohnungsprivatisierungen in Europa«, in: Belina u.a.(Hg.) 2011, S. 207-230.

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Rahmensetzung, von Ordnungspolitik und freiem Handel immer schon zum Repertoire des Neoliberalismus, sowohl in seiner ordoliberalen, wie in seinen anderen Varianten. Insofern ist auch die populäre und vereinfachende Entgegensetzung von Neoliberalismus und ›ordoliberaler‹ Sozialer Marktwirtschaft zu kurz gedacht. Beide gehören zu ähnlichem Strömungen eines gegenüber dem ›klassischen Liberalismus‹ neuen (Neo-)Liberalismus.

5.3 D IE R EGIERUNG VON LOK ALEN R ÄUMEN Z WISCHEN S OZIALK APITAL UND AK TIVIERENDER S OZIALPOLITIK 5.3.1 Sozialraum in der Sozialen Arbeit Sozialräumliche Segregationsprozesse, die Konzentration von marginalisierten Bevölkerungsgruppen in kleinräumigen städtischen Arealen und Spaltungen innerhalb der Stadtbevölkerungen machten räumliche sozialpolitische Programme seit den 90er Jahren zu einem wichtigen Handlungsfeld. Dabei wurden stadtentwicklungspolitische, sozialpolitische und sozialpädagogische Akteure und Programme einbezogen, so beim Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« (vgl. Kap.6), dem E&C-Programm (Entwicklung und Chancen für junge Menschen) und beim Lokalen Sozialen Kapital-Programm (LSK). In die Untersuchung von lokaler Arbeits- und Sozialpolitik als einem Feld, in dem sich die von Foucault konstatierte ›Ökonomisierung des Sozialen‹ im Rahmen einer neoliberalen Gouvernementalität vollzieht, spielen vielfältige Akteure wie staatliche Stellen, Quartiersmanager, Sozialarbeiter usw. eine Rolle. Daher ist die Soziale Arbeit nur ein relevanter Akteur neben anderen, an deren Beziehungen sich die Verschiebungen beim Umbau des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements aufzeigen lassen. Daher sollen in diesem Abschnitt die sozialräumlichen und an Sozialkapital orientierten Untersuchungen mit den an Foucault orientierten und von ihm inspirierten Forschungen zur Regierungsweise des ›governing by communities‹ zusammen gebracht, bzw. aufeinander bezogen werden. Eine umfassende Darstellung der verschiedenen Strömungen innerhalb der Sozialraumforschung kann hier jedoch nicht erfolgen. Der Sozialraumbegriff wurde durch die Arbeiten der sogenannten ChicagoSchool in den 1920er Jahren geprägt, eine Gruppe von amerikanischen Stadtsoziologen, die als erste systematisch raumbezogene Analysen durchführten und theoretische Modelle für die Entwicklungs- und Verteilungsmuster von Bevölkerungsgruppen in modernen Städten entwickelten.74 In einem Modell von 74 | Vgl. Riege, Marlo/Schubert, Herbert (Hg.): Sozialraumanalyse. Grundlagen, Methoden, Praxis, Wiesbaden 2005, S. 11/12, Burgess, Ernest: »Urban Areas«, in: Smith/

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Burgess von 1923 wurde die Stadt in fünf konzentrische Zonen, sog. ›Urban Areas‹ unterteilt (»Central Business District«, »Zone in Transition«, »Zone of Independent Workingmen’s Homes«, »Zone of Better Residences«, »Commuters Zones«). Der urbane Raum wurde also nach Zonen gegliedert, die ein jeweils typisches Struktur- und Nutzungsprofil aufweisen. Ausgangspunkt dieser Forschungen war der Wandel der Bevölkerungsstruktur und das urbane Wachstum und die Industrialisierung in den USA. Ein weiterer Pionier der Chicago-School, Park, untersuchte »die Formierung verschiedener Raummuster über Konzentration, Zentralisation, Dezentralisation und Segregation«. Weitere Themen seiner Analyse waren: die funktionalen Strukturveränderungen durch Differenzierung und Spezialisierung, »die Veränderungen von sozialen Milieus durch die Diffusion, Akkomodation und Assimilation« (von Bevölkerungsgruppen), sowie »die räumlichen Auswirkungen von Zuwanderungen in Form der Invasion und Sukzession«.75 Über den zeitlichen und strukturellen Vergleich der Bewohnerstruktur und der Raumnutzung in verschiedenen Stadtgebieten wurden Raumprozesse empirisch untersucht. Die Neuheit des empirischen Untersuchungsansatzes lag in der Einbeziehung des Zusammenspiels räumlicher und sozialer Strukturen. Diese Modellannahmen basierten auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, dass sich in der Natur ökologische Gleichgewichte herausbilden, die unter spezifischen Umweltbedingungen zu charakteristischen Lebensgemeinschaften führen. Wegen dieser Übertragung evolutionstheoretischer Vorstellungen auf soziale Verhältnisse sind die Arbeiten der Chicago-School auch umstritten.76 Unter der Bezeichnung »Humanökologie« verbreitete sich dieser Denkansatz in den 40er und 50er Jahren und beeinflusste nach dem Zweiten Weltkrieg auch die europäische Stadtforschung. Seitdem gilt es als ein humanökologischer Grundsatz, dass die empirische Sozialforschung auch die räumlichen Aspekte berücksichtigen soll. Durch die Chicago-School wurden wichtige Grundlagen für die Analyse sozial-räumlicher Disparitäten in Stadtregionen geschaffen. Daran anknüpfend hat sich eine breite Debatte um die ambivalenten Folgen von sozialräumlicher Segregation in der Stadtsoziologie entwickelt, die auch auf die Grundannahmen und die Problematisierung im »Soziale Stadt«Programm Einfluss hatte (vgl. Kap.6.2). Die Annahme der Chicago-School war, White (Hg.): Chicago. An Experiment in Social Science Research, Chicago 1929, S. 114 -123. 75 | Riege/Schubert 2005, S. 11, Park, Robert: Human Communities. The City and the Human Ecology, Glencoe Illinois 1952. 76 | Diese Übertragung naturwissenschaftlicher Ordnungsvorstellungen und Begriffe auf soziale Vorgänge könnte man im Anschluss an Foucaults »Ordnung der Dinge« analysieren, oder als Beispiel für Biomacht über die Bevölkerung, würde hier aber zu weit führen.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

dass sich soziale Ungleichheiten im Raum so niederschlagen, dass die räumliche Verteilung der Wohnstandorte der einzelnen sozialen Gruppen (überwiegend der Ethnien oder Rassen) ein genaues Abbild sozialer Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft liefert. Von Park wurde diese »soziale Schließung durch territoriale Separierung« deterministisch in der These gefasst: »Je höher der soziale Abstand zwischen zwei Gruppen, desto weiter entfernt wohnen sie auch«. Als eine etwas weniger deterministische Variante, die häufiger vertreten wird, gilt aber als anerkannt, dass Segregation ein Abbild sozialer Ungleichheit im Raum darstelle.77 Diese Annahmen haben eine hohe kommunalpolitische und stadtplanerische Bedeutung erlangt und viele Segregationsstudien entstehen lassen. Allerdings geht die Stadtforschung überwiegend eher von ambivalenten Folgen der Segregation aus und hält eine vorübergehende Segregation für durchaus notwendig und förderlich für die Integration (im Rahmen eines »Race-RelationCycle« nach Park). Daher wird eine freiwillige oder »funktionale Segregation« durchaus als sinnvoll betrachtet. Kommunalpolitiker und Stadtplaner dagegen gehen davon aus, dass Segregation schädlich sei und wollen eine am gesamtstädtischen Durchschnitt orientierte »ausgewogene« Bevölkerungsmischung erreichen, auch wenn es diese so nie gegeben hat und soziale Gruppen die über entsprechende Mobilität und genügend soziales und ökonomisches Kapital verfügen, diese auch gar nicht anstreben. Die Segregationsforschung zeigt empirisch auf, »dass die auf den Skalen extremen Gruppen am stärksten von anderen Gruppen abgesondert wohnen, dass die Segregation nach sozio-ökonomischen Kriterien beständig zunimmt und die Segregation für manche ethnische Gruppen geringfügig abnimmt«.78 Einwände gegen die Segregationsforschung bezweifeln ihre Relevanz, denn die Bewohner liessen sich von der ungleichen Verteilung sozialer Gruppen in ihrem selektivem Umzugsverhalten nicht beeinflussen. Auch gilt eine hohe Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in schlechten Wohnumfeldbedingungen als problematisch, weil diese sie in ihrer Sozialisation zusätzlich benachteilige. Die schlechte Wohnsituation von sozial Benachteiligten würde diese Menschen zusätzlich ins Abseits stellen, denn diese ›Nachbarschaftseffekte‹ (oder ›Quartierseffekte‹) würden sich negativ auswirken. Für den US-amerikanischen Kontext wurde für die afro-amerikanische Bevölkerung nachgewiesen, dass diese, wo sie sich in ihren Wohngebieten hoch konzentriert, massiven Benachteiligungen ausgesetzt ist und von einem hohen

77 | Vgl. Dangschat, Jens: »Wohnquartiere als Ausgangspunkt sozialer Integrationsprozesse«, in: Kessl/Otto (Hg.) 2007, S. 255-273, hier S. 258. 78 | Ebd., S. 259.

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Maß an Chancenungleichheit betroffen ist und letzlich in ihren Ghettos gefangen bleibt.79 Allerdings ist es fraglich, inwieweit diese Trends auf Deutschland und Europa übertragbar sind. Die Auswertung verschiedener europäischer Studien habe ergeben, dass für die Frage von benachteiligenden ›Nachbarschaftseffekten‹ drei Effekte zu unterscheiden seien80: (1) Die Zusammensetzung der Bevölkerung, (2) die Ausstattung der Nachbarschaft mit Infrastrukturen (z.B. sozialen Dienstleistungen und Einkaufsgelegenheiten) sowie (3) die sozialen Interaktionen innerhalb der Bewohnerschaft. Eine Untersuchung aus Schottland kommt zu dem Ergebnis, dass ärmere Bewohner die räumlich konzentriert leben, zwar nur Zugang zu einer schlechten Infrastruktur haben, aber häufig über funktionierende soziale Netzwerke verfügen. Arme Bewohner innerhalb von Mittelschichtswohngebieten dagegen hätten zwar bessere infrastrukturelle Ausstattung, aber weniger intensive soziale Netzwerke.81 Heitmeyer wiederum hat in einer vergleichenden Studie über neun Quartiere in drei nordrhein-westfälischen Städten festgestellt, dass die Integration in ein Wohnquartier nicht von der Höhe der Konzentration von Nicht-Deutschen abhängt, allerdings in schwachem Maße davon, ob eine Zuwanderungs-Ethnie besonders stark vertreten ist. »Es komme darauf an, wie die einzelnen Gruppen miteinander auskommen, welche inter-ethnischen Beziehungen aufgebaut werden, welche Anerkennungs-Muster vorhanden sind, welche soziale Kultur der Multi-Ethnizität entsteht und welche lokale Kultur sich über einen längeren Zeitraum etabliert habe.«82 Das Problem der sozialräumlich sich verstärkenden, kumulativen Benachteiligungseffekte, des ›Nachbarschaftseffekts‹, stellt sich insofern differenziert dar. Die Zuwanderergruppen haben unterschiedliche Neigungen und Fähigkeiten, räumlich gebundene ethnic communities auszubilden und werden in unterschiedlich starker Weise diskriminiert. Je nach ihren eher individuellen Aufstiegsorientierungen oder eher kollektiven Orientierungen sind die Chancen für einen Aufstieg unterschiedlich. Wohnquartiere unterscheiden sich zudem in ihrer lokalen Kultur, z.B. in ihrem Ausmass an lokalem Zusammenhalt oder Ausgrenzung und haben jeweils unterschiedliche endogene Potenziale. 79 | Vgl. Wilson, William: The Truly Disadvantaged, Chicago 1987/Ders.: When Work Disappears. The World of the New Urban Poor, New York 1996, nach Dangschat 2007, S. 260. 80 | Vgl. Dangschat 2007, S. 260. 81 | Vgl. Atkinson/Kintrea: »Opportunities and Despair, it’s all in there«, in: Sociology, 38. Jg. H. 3 (2004), S. 437-455, nach Dangschat 2007, S. 261. 82 | Dangschat 2007, S. 261, Heitmeyer, Wilhelm/Anhut, Reimund: Bedrohte Stadtgesellschaft, Weinheim/München 2000, S. 565-566.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

In den 60er Jahren wurde Gemeinwesenorientierung als neues Prinzip sozialer Arbeit entwickelt, bzw. in (West)-Deutschland aus Ländern wie Großbritannien und den USA übernommen. Im Unterschied zu den Prinzipien der Einzelfallhilfe und der Gruppenarbeit in der sozialen Arbeit verstand sich Gemeinwesenarbeit als räumlich ansetzende Sozialarbeit, bezogen auf den Alltagsraum der Menschen wie die Siedlung und das Quartier, meist ging es um Problemgebiete mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Das Interesse der Wohnbevölkerung wurde als Ausgangspunkt für professionelles Handeln genommen, die Bedürfnisse der Menschen sollten erfragt und aktivierend und ressourcenorientiert gearbeitet werden. Die Arbeitsprinzipien der Sozialraumorientierung, die sozialräumlichen Untersuchungsverfahren und die aktive Beteiligung der Bewohner wirken als Prinzipien bis in die Gegenwart und wirkten auch auf das Quartiersmanagement.83 Mit dem Städtebauförderungsgesetz von 1971 wurden vorbereitende Untersuchungen und ein Sozialplan bei der Ausweisung von Sanierungsgebieten und die Mitwirkung der betroffenen BewohnerInnen vorgeschrieben. Damit wurde die städtebauliche Erneuerung innerstädtischer Altbauquartiere auf eine einheitliche rechtliche Grundlage gestellt, was den Auslöser für die ausführlichere empirische Beschäftigung mit Stadträumen bildete. Während anfangs dadurch großflächige Sanierungen (›Kahlschlagsanierungen‹) nicht verhindert werden konnten, entwickelten sich allmählich Prinzipien einer ›behutsamen Stadterneuerung‹. Die in den 60er und 70er Jahren gebauten Großsiedlungen des Sozialen Wohnungsbaus wurden Gegenstand kritischer sozialstruktureller Untersuchungen. Mit der sozialen Entmischung vieler dieser Großsiedlungen und dem zunehmenden Wohnungsleerstand und der Verwahrlosung des öffentlichen Raums wurden öffentliche Programme zur Nachbesserung und Wohnumfeldverbesserung aufgelegt. Die Kritik an einem Sozialraumkonzept das in der Tradition der Chicago-School allein auf soziodemographischen und baulichen Merkmalen beruhte, wuchs. Es ging nun vermehrt um die Zusammenhänge zwischen sozialen und räumlichen Merkmalen. Der Milieuansatz begründete nun ein ganzheitliches Verständnis von Sozialraum. Die integrierte Beschreibung sozialer und räumlicher Verhältnisse wurde zum Standard einer differenzierenden Sozialraumanalyse. Die Prinzipien einer behutsamen Stadterneuerung waren die Integration städtebaulicher, beschäftigungspolitischer, sozialpolitischer und ökologischer Aspekte und als Instrumente dienten kleinteilige projektbezogene Untersuchungen, die Mitwirkung der Bewohner, Mieterberatung und Gewerbepolitik innerhalb des Gebiets (lokale Ökonomie). Diese Prinzipien wirken auch bis in die aktuelle Stadterneuerungspolitik hinein. 83 | Vgl. Riege/Schubert 2005, S. 21ff.

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Die Sozialraumorientierung wirkte auch als Organisationsprinzip für die Kommunalverwaltung, die lange von einer zentralistischen, hierarchischen Struktur auf der vertikalen Ebene und segmentierten Strukturen (abgegrenzte Zuständigkeiten) auf der horizontalen Ebene geprägt war. Im Zuge der Modernisierung der Kommunalverwaltung nach dem Leitbild des New Public Management bekam die Sozialraumorientierung eine zusätzliche Bedeutung. Unter dem Begriff der Sozialraumorientierung sammeln sich inzwischen sowohl Vertreter von Gemeinwesenarbeit, wie Anhänger von bürgerschaftlichem Engagement und Vertreter von Case Management im Sinne von Verwaltungsmodernisierung und Effizienzorientierung. Sozialraumorientierung kann aber auch als ordnungspolitisches Instrument zur Kontrolle sozialer Räume verwendet werden. Aber auch für die an New Public Management-Prinzipien orientierte Verwaltungsreformdebatte ist das Sozialraumkonzept attraktiv. Im Kontext der durch die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGst) angestoßenen Debatte um Verwaltungsreformen und die Bürgerkommune (die Bürger als Kunden anspricht und die Verwaltung als Servicestelle interpretiert) bekommt der Sozialraumbezug nochmals eine weitere Dimension. Dahme und Wohlfahrt unterscheiden daher zwei Arten von Sozialraumorientierung: Eine erste die nur der Binnenmodernisierung der Verwaltung dient und der Logik des Neuen Steuerungsmodells folgt; in der zweiten Variante geht es umfassender um ein strategisches Management und das Konzept der Bürgerkommune, die Bürger als Ressource betrachtet und umfassender einbeziehen will.84 Als eine dritte Variante wäre dann noch die aus den Traditionen der Gemeinwesenarbeit und Sozialarbeit stammende Strömung der Sozialraumorientierung zu nennen. Die Sozialraumdebatte hat insofern immerhin dem unterbewerteten Arbeitsprinzip der Sozialen Arbeit wieder mehr Aufmerksamkeit verschafft. Aber diese Debatte hat auch eine ›hidden agenda‹ der Modernisierung und blossen Effizienzsteigerung sozialer Dienste. Überraschend ist dabei das scheinbar problemlose Zusammenspiel von einem sozialpädagogischen Verständnis des Begriffs und einer betriebswirtschaftlichen Steuerungslogik. Das ›Betriebssystem‹ Sozialraumorientierung folgt eher der Logik der Verwaltungsmodernisierung und dient der Effektivität und Effizienz sozialer Dienste, sowohl in der Jugendhilfe, in der lokalen Arbeitspolitik und der Integrationspolitik. Durch die technokratische Handhabung sozialraumorientierter Ansätze wird das Element des Fallmanagements wichtiger und statt personenbezogener Hilfsprozesse vollzieht sich eine Verschiebung hin zu aktivierenden und mobilisierenden 84 | Vgl. Dahme, Heinz-Jürgen/Wohlfahrt, Norbert: »Sozialraumorientierung in der kommunalen Sozialverwaltung«, in: Hanesch, Walter (Hg.): Die Zukunft der »Sozialen Stadt«, Wiesbaden 2011, S. 203-219, hier: S. 204-206.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

Funktionen.85 Die Verlagerung von Verantwortung an lokalräumliche Akteure ist zudem Teil des Umbaus und der Dezentralisierung des Wohlfahrtsstaates und einer Abwälzung gesamtstaatlicher Verantwortung an kleinere Einheiten. Neben der präventiven Ausrichtung Sozialer Arbeit tritt die Aktivierung zur Bürgergesellschaft. Sozialräumliche Orientierungen haben sich seit den 90er Jahren auf viele Handlungsebenen Sozialer Arbeit ausgeweitet. Diese Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit lässt sich mit sogenannten ›neosozialen‹ Regulationsrationalitäten oder auch stärker ökonomisch orientierten Rationalitäten und Steuerungsformen in Beziehung setzen, die in den letzten Jahren und insbesondere mit der Reform der Arbeitsverwaltung an Bedeutung gewannen. Neben der neuen praktischen Relevanz von Raumorientierung - sei es in der Sozialen Arbeit oder in Programmen zur Sozialen Stadtentwicklung - lassen sich verschiedene raumtheoretische Ansätze unterscheiden. In der deutschsprachigen Raumforschung hat zuletzt Löw einen Ansatz neu formuliert, der Räume als »relationale (An)Ordnungen von Menschen und sozialen Gütern an Orten« versteht.86 Gegenüber einer Vorstellung von Raum als »Behälter« solle man die »Produktion des Raums« ernst nehmen, Raum als Vielfalt miteinander verflochtener Räume verstehen und die Objekte und deren Relationen untersuchen. Damit wird sie auch anschlussfähig an politökonomische und marxistische Raumgeographie-Konzepte wie die von Harvey oder Lefebvre, die die Produktion des Raums in den Mittelpunkt stellen. Aus der Perspektive der Arbeiten Foucaults wiederum sind räumliche Anordnungen nicht nur Ordnungen von Territorien, sondern Ordnungen gesellschaftlicher Formierungen. Raumordnungen repräsentieren gouvernementalisierte Arenen, denen Macht/Wissen-Konstellationen eingeschrieben sind, durch die bestimmte Subjektpositionen konstituiert und Identitäten hervorgebracht werden. Neben diesen Überlegungen, die wie oben dargestellt von kritischen Geographen für die Untersuchung räumlicher Spaltungslinien verwandt wurden und für die Kritik an räumlichen Überwachungstechnologien wie vor allem die Videoüberwachung im öffentlichen Raum aufgegriffen wurden87, ist ein Anknüpfungspunkt das »Regieren über soziale Nahräume« (so der Untertitel

85 | Vgl. ebd., S. 211. 86 | Löw 2007, S. 95. 87 | Vgl. Belina, Bernd: »Räumliche Strategien kommunaler Kriminalpolitik in Ideologie und Praxis«, in: Georg Glasze/Robert Pütz/Manfred Rolfes (Hg.): Diskurs-Stadt-Kriminalität, Bielefeld 2005, S. 137-166, Harvey 1989.

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eines Sammelbandes zur »Territorialisierung des Sozialen«88), oder die Technologie des ›governing by communities.‹89 Bei der Thematisierung von sozialer Exklusion macht sich neben integrativen und auf Umverteilung setzenden Strategien verstärkt ein moralisierender, auf die individuelle Schuld der Betroffenen zielender Ansatz bemerkbar, der eine Spaltung zwischen einer moralisch defizitären ›Underclass‹ und dem Rest der Gesellschaft behauptet. Innerhalb dieser ›neo-sozialen‹ Governancestrategien und den community-orientierten Ansätzen kann man verschiedene Thematisierungsweisen von Exklusion unterscheiden: ein auf Verteilungsgerechtigkeit und Gleichheit abzielender, traditionell sozialdemokratischer Diskurs, ein sozial integrativer und ein auf moralische Defizite der betroffenen Menschen abzielender Diskurs. Diese drei Exklusionsdiskurse werden auch bezeichnet als a. Ein ›redistributionist egalitarian discourse‹ (RED), der eine relationale gesellschaftliche Perspektive auf Ungleichheit einnimmt, b. Ein ›social integrationist discourse‹ (SID), seit den 90er Jahren, der vor allem auf bezahlte Arbeit als Form gesellschaftlicher Integration setzt und c. Ein ›moral underclass discourse‹ (MUD), bei dem die moralische Verfasstheit der Individuen und ihre moralischen Defizite im Mittelpunkt stehen: Dazu zählt die Konjunktur des Topos ›antisoziales Verhalten‹ als neue Kategorie in Großbritannien.90 Die Verschiebungen, die sich seit den 90er Jahren bei diesen Thema vollzogen haben, erkennt man daran, dass die Ursachen bei dem letzteren Ansatz in den problembehafteten Nachbarschaften und deren Bewohnern selbst gesehen werden. Im Zentrum stehen nun die Anpassung und Veränderung moralisch verwerflichen, individuellen Verhaltens und nicht mehr gesamtgesellschaftliche strukturelle Ursachen von Armut. Die Thematisierung von Exklusion wird dabei verbunden mit der Problematisierung von sozialräumlicher Segregation und der Ausrichtung politischen Handelns auf so definierte soziale Brennpunkte. Sozialraumorientierung in der Sozialen Arbeit beschreibt dagegen vor allem eine Umstrukturierung personenbezogener sozialer Dienstleistungen, in der 88 | Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe (Hg.): Territorialisierung des Sozialen. Regieren über soziale Nahräume, Opladen&Farmington Hills 2007. 89 | Rose, Nicolas: Powers of Freedom, Cambridge 2003 und Rose, Nicolas: »Tod des Sozialen? Eine Neubestimmung der Grenzen des Regierens«, in: Bröckling/Krasmann/ Lemke 2000, S. 72-110. 90 | Vgl. dazu Landhäußer, Sandra: Communityorientierung in der Sozialen Arbeit, Wiesbaden 2009, S. 108-110.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

die sozialstaatlichen Prinzipien und Ziele sozialer Arbeit über eine Mobilisierung lokaler Handlungsressourcen umgesetzt werden sollen. Das E&C-Bundesprogramm z.B. versuchte, die sozialräumliche Vernetzung in den Stadtteilen zu verbessern und die Aktivierung brachliegender Ressourcen durch Jugendhilfe und QM zu erreichen. Die Merkmale solcher Strategien rücken indirekte Mobilisierungsmaßnahmen innerhalb kleinräumiger begrenzter Einheiten gegenüber direkten Unterstützungsmaßnahmen in den Vordergrund. Auf programmatischer Ebene wird die Soziale Arbeit aber eher durch sozialpolitische Prämissen als von raumtheoretischen Einsichten geprägt91 . Der Sozialraumbezug sei vor allem eine Territorialisierungsstrategie »to render populations thinkable and measurable through categorization, differentiation, and sorting into hierarchies for the purposes of government«.92 In fachlichen Zusammenhängen der Sozialen Arbeit finden sich zwar raumanalytische Ansätze, diese stammen aber eher aus gemeinwesenorientierten Ansätzen. Der Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit zeigt sich nun in den Methoden direkter Leistungserbringung, in der Organisation sozialer Dienstleistungserbringung und im Organisationsprinzip der Sozialraumbudgets im Kontext des Neuen Steuerungsmodells (NSM) in der Verwaltungsreform. »Die neuen Regierungsweisen eines aktivierenden Sozialstaats lassen sich als Governance-Strategien beschreiben, die einen gesellschaftlichen Ordnungsrahmen konstituieren, in dem gemeinschaftsbezogene […] Muster an die Stelle des Primats einer aktiven sozialstaatlichen Gesellschaftsintegration rücken«93 . Statt eines Bezugspunkts auf die Gesellschaft als Ganzes wird die nahräumliche Community zum zentralen Referenzrahmen sozialer Prozesse. Hier werden die Bindekräfte gesucht oder herzustellen versucht, die in kleinräumiger Solidarität die Gemeinschaft zusammenhalten sollen. Die Bürger sollen zunehmend durch ihre Bindung an partikulare Gemeinschaften regiert werden Die Sozialraumorientierung lässt sich als eine solche kleinräumige Aktivierungsstrategie und als Entsprechungs- und Verstärkungsverhältnis zu diesen Governance-Strategien sehen. Ziel ist die Aktivierung wechselseitiger Selbsthilfe und Förderung der Selbstkoordinationsfähigkeit der Bewohner im nahräumlichen Kontext, wobei sich die Leistungserbringung nicht mehr so sehr an den Rechten von Individuen oder an spezifischen Zielgruppen, sondern am Sozialraum ausrichten. Ziel sei ein Re-Arrangement informeller Netze zu einem 91 | Vgl. Abeling, Melanie/Ziegler, Holger: »Governance des sozialen Raums« in: Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe (Hg.): Soziale Arbeit und Soziales Kapital, Opladen 2004, S. 269-289, hier S. 271/272. 92 | Vgl. Stenson, Kevin: The new politics of crime control 2001, S. 23. zit. n. Abeling, Melanie/Ziegler, Holger: »Governance des sozialen Raums. Räumlichkeit und soziales Kapital in der sozialen Arbeit«, in: Kessl/Otto (Hg.) 2004, S. 269-289, hier S. 272. 93 | Abeling/Ziegler 2004, S. 276.

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Bestandteil öffentlicher Versorgung. Probleme im Stadtteil sollen vermehrt aus eigener Kraft gelöst werden. Sozialräumliche Ansätze zielen auf die brachliegenden Ressourcen der nahräumlichen Gemeinschaft, die es zu mobilisieren gelte. Eine dieser Ressourcen ist das Sozialkapital als eine Schlüsselkategorie.

5.3.2 Konzepte des Sozialkapitals Das Sozialkapital wird in den dominanten Diskursen (die sich insbesondere auf Robert Putnam beziehen) als normatives Qualitätsmerkmal und kollektives Gut beschrieben, und nicht so sehr als sozialstrukturell ungleich verteiltes Merkmal. Sozialkapital in der Tradition Putnams wird als wohlfahrtssteigernde soziale und moralische Kompetenz beschrieben, dagegen spielen ungleichheitsgenerierende und -reproduzierende Wirkungen des Machtmittels Sozialkapital keine Rolle mehr, obwohl die Annahme einer inhärent positiven Funktion sozialen Kapitals kaum aufrechterhalten werden kann. Das Konzept des sozialen Kapitals wurde Anfang der 90er Jahre von Putnam und Coleman entwickelt und als Schlüsselmerkmal von Gemeinschaften charakterisiert. Putnam hatte in seiner bahnbrechenden Studie »Making Democracy Work« (1993) die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der Regionen in Italien (Süd- und Norditalien) mit dem jeweils unterschiedlich stark vorhandenen sozialen Kapital der ›civic community‹ erklärt, worunter er »anerkannte Normen reziproken Verhaltens, wechselseitiges Vertrauen und soziale Netzwerke« verstand.94 Soziales Kapital entsteht nach Putnam durch die Bereitschaft der Bürger, miteinander zu kooperieren und benötigt eine Basis des Vertrauens, aufgrund dessen sich gegenseitige Unterstützung bilden kann. Vertrauen entstehe durch die Norm der Reziprozität, also der Erwartung, für eine Leistung vom anderen wieder etwas zu erhalten. Eine zentrale Schwachstelle der Definition von Sozialkapital bei Putnam bleibt jedoch, dass das soziale Kapital mit den Ressourcen, die durch seine Anwendung erst erlangt werden sollen, gleichgesetzt wird. Inzwischen wurde das Konzept jedoch erweitert und ausdifferenziert und es werden nun drei Formen sozialen Kapitals unterschieden: Bindungs-, Brückenund Verknüpfungskapital. Bindungskapital meint starke Bindungen auf der Basis von Interaktionen zur engeren Gruppe, Brückenkapital schwache horizontale Bindungen außerhalb der engen nahräumlichen Gemeinschaft, während Verknüpfungskapital schwache vertikale Bindungen außerhalb der eigenen Primärgruppe und Beziehungen zu Institutionen meint. Zusätzlich müsste man meines Erachtens aber auch als viertes ein solidarisierendes oder solidaritätserzeugendes Kapital außerhalb der eigenen Nahgruppe nennen, mit dem Bezüge

94 | Vgl. Putnam, Robert: Making Democracy Work, Princeton 1993, S. 167.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

und Beiträge zur Förderung des ›Gemeinwohls‹ hergestellt werden (wie in der Tradition und Programmatik der internationalen Genossenschaftsbewegung). Wie diese Formen sozialen Kapitals in Beziehung zu sozialpolitischen Zielen stehen, ließe sich in vier Dimensionen aufschlüsseln95: 1. Die Zugangsdimension: Welche Sozialkapitalformen finden sich bei wem und in welchen Kontexten? 2. Die Funktionsdimension: Wofür werden sie verwendet? 3. Die Verwertungsdimension: Welche Sozialkapitalformen führen für wen, zu welchen positiven oder negativen Effekten? 4. Die symbolische Bewertungsdimension: Wie werden die Formen in welchen Kontexten bewertet? Internationale Studien über Strategien, die auf einer Aktivierung des lokalen Sozialkapitals der Bewohner beruhen, zeigen durchaus eine Reihe problematischer Konsequenzen auf: So kann eine bloß individuelle Verwertung sozialen Kapitals zerstörerisch auf das kollektive soziale Kapital wirken. Wenn soziales Kapital vor allem als individuelles Gut verstanden wird, könnten de facto vor allem die Artikulations- und Beteiligungsformen besonders durchsetzungsfähiger Individuen und Gruppen gefördert werden. Im Fall von Heterogenität und divergenten Interessen wird die Beteiligung bestimmter Stadtteilbewohner häufig mit einer gleichzeitigen Ausgrenzung lokal unerwünschter Akteure und Gruppen einhergehen. Neben diesen ambivalenten Implikationen beruht ein Großteil der Versprechen und Erwartungen an das Sozialkapital auf einer fragwürdigen tautologischen Beweisführung, d.h. das zu Erklärende, das Ziel (z.B. sozialer Zusammenhalt) wird oft gleichzeitig zur positiven Ressource für den Erfolg erklärt, bzw. es kommt zu tautologischen Dopplungen von Determinanten. Benachteiligten Akteuren fehlt es nun oft gerade an jenen Formen sozialen Kapitals, die als Verbindungs- und Brückenkapital Relationen herstellen könnten, Zusammenhalt zwischen unterschiedlichen Gruppen herstellen und Gruppengrenzen überbrücken könnten bzw. unterschiedliche hierarchische Gruppen und Akteure verbinden könnten. Zahlreiche Studien kommen zu der Feststellung, dass deprivierte Akteure zwar über »›bonding social capital‹ (verfügen), »to get by, but lack the more diffuse and extensive bridging social capital […] to get ahead.«96

95 | Vgl. Abeling/Ziegler 2004, S. 278/279. 96 | Vgl. Woolcock, Michael/Narayan, Deepa: »Social Capital: Implication for Development Theory, Research and Policy«, in: The World Bank Research Observer H. 2 (2000), S. 225-251, hier S. 227, zit. n.: Abeling/Ziegler 2004, S. 281.

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Diese benötigten Sozialkapitalformen werden nun aber eher nicht in nahräumigen Gemeinschaften erzeugt. Sie sind eher gekennzeichnet durch Mittelschichtslastigkeit, »de facto sozial schließenden Clubcharakter« und auch die Mehrheit der freiwilligen Assoziationen generiert eher Bindungs- als Brückenkapital97. Soziales Kapital sei eher eine indirekte Ressource, es kann einen Multiplikatoreffekt hinsichtlich der anderen verfügbaren Ressourcen haben, sein Nutzen steht und fällt mit der Verfügung der Akteure über andere Kapitalformen (wie ökonomisches und kulturelles Kapital). »In dieser Hinsicht sind die Versuche« [im Rahmen des »Soziale Stadt«-Programms oder im Sinne von ›governing by communities‹ D.N.] »sozio-ökonomische Verhältnisse der Bewohner durch Mobilisierung ihres sozialen Kapitals vor Ort zu verbessern, gerade in Armutsgebieten nicht aussichtsreich.«98 Die defensive Dimension des Schutzes vor Unsicherheit hat das soziale Kapital innerhalb von nahräumlichen Gemeinschaften zwar durchaus, während jedoch ein Wohlfahrtseffekt einer Aktivierung lokalen sozialen Kapitals gering bleibt.99 Auch sonst weisen bindende Formen sozialen Kapitals Schattenseiten auf, wie Korruption, Nepotismus, Klientelismus, Vetternwirtschaft. Zudem konzentriert man sich bei der Umsetzung oft auf konsensual ermittelte Bedürfnisse und die Forderungen der definitions- und durchsetzungsmächtigen Bewohner, was auf Kosten der Schwächsten gehen könnte und zu einer Erhöhung des Drucks auf Außenseiter führen kann. Es gebe zudem empirische Hinweise, dass eine Aktivierung in Form wechselseitiger Bindungen der Bewohner in benachteiligten Gebieten häufig eher problemverschärfend wirkt. So bewirkten starke nachbarschaftliche Bande und lokale Kohäsion in armen Quartieren trotzdem keine relevante Reduktion der Kriminalität, auch auf psychosoziale Probleme bezogen gebe es ähnliche Ergebnisse.100 Wenn wir dies auf Sicherheitsdispositive im Anschluss an und im Sinne einer Foucaultschen Analytik beziehen, so können wir daher unterscheiden zwischen erwünschtem ›pro-sozialen‹ Sozialkapital und unerwünschtem, ›antisozialen‹ oder kriminalitätsfördernden Sozialkapital, während dies empirisch orientierte Sozialwissenschaftler im Anschluss an Putnam eher nicht tun, da sie einen tendenziell eher unkritischen Begriff von Sozialkapital voraussetzen. Positive Wirkungen sozialen Kapitals hängen weniger von Individuen und Gemeinschaften ab, als von allgemeinen gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen. Dazu zählen auf der sozialstrukturellen Ebene eine möglichst

97 | Vgl. ebd., S. 281. 98 | Ebd., S. 281. 99 | Vgl. ebd., S. 282. 100 | Vgl. ebd., S. 282.

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geringe sozioökonomische Polarisierung und universelle institutionelle Wohlfahrtsprogramme.101 In dem Maße jedoch, wie nahräumliche, lokalpolitische Strategien, sei es der Sozialkapitalansatz oder der neo-soziale ›governing by communities‹-Ansatz, im Regieren über soziale Nahräume zunehmen, ohne dass solche Programme durch allgemeine, gesamtgesellschaftliche Strategien flankiert und ergänzt werden, wird dies eher zu einer Verfestigung der Ausgrenzung von sog. »Entbehrlichen« führen, sei es nun als Nebenfolge oder sogar als intendiertes Ziel, was allerdings nicht offen ausgesprochen wird. »Protagonisten lokaler Strategien, die darauf zielen ›traditionales Regieren‹ (z.B. über lokale Communities) zu einer progressiven Governance zu entwickeln, zielen eher darauf sog. Besitzstände wohlfahrtsstaatlicher Daseinsvorsorge in sozioökonomische Selbstversorgung -und damit oft auch in Formen gouvernementaler Selbstführung und Selbstregierung – umzubauen. Dies führt jedoch eher zu einer ›Ausinklusion‹ deprivierter Akteure in ihre je eigenen prekären Lokalgemeinschaften, als in eine Rückbindung der Wohlhabenden« für die eine rechtlich vermittelte Solidaritätsform nötig wäre.«102

D.h. eine Reintegration oder Inklusion in eine lokale (ethnische oder soziale oder sonst wie definierte) Gemeinschaft geht einher mit dem Ausschluss aus der Gesellschaft als Ganzes. Dies macht eine der zentralen Ambivalenzen von lokalen Governance-Strategien oder Regierungsrationalitäten des ›governing by communities‹ aus. »Das Kernstück lokaler Strategien, nämlich ein Fokus auf wechselseitige Selbsthilfe der Bewohner und lokalgemeinschaftliche Formen der Kooperation«, muss jedoch nicht unbedingt nur progressiv sein. Denn es kann auch sozialkonservative Communities fördern und soziale Kontrolle durch lokale Gemeinschaften bedeuten oder eine Bindung an sozialkonservative Communities festigen103, statt allgemeine soziale Rechte zu erkämpfen, die den Individuen die Unabhängigkeit von solchen Communities oder einen Aufstieg aus ihrer Community ermöglichen. Statt eines ›top-down governing‹ durch lokal fixierende Selbsthilfe-Communities, wäre die Bildung von mobilem ›transitorischen‹ sozialem Aufstiegskapital nötig, durch Migrations- und peer-communities, die ›bottom up‹ um soziale Rechte kämpfen. Statt exkludierenden Inklusions-Gemeinschaften wären sich selbst integrierende und aktivierende Gemeinschaften für allgemeine soziale Gerechtigkeit nötig. Bei der Anwendung des sozialen Kapitals auf die lokale Ebene werden bestimmte Probleme des Konzepts sichtbar. Neue soziale Bewegungen und pro101 | Vgl. ebd., S. 283. 102 | Ebd., S. 283/284. 103 | Vgl. ebd., S. 284.

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vokative oder störende Widerstands- und Protestformen, die sich nicht so leicht einbinden lassen, werden in diesem Konzept vernachlässigt. Der tendenziell harmonisierende Diskurs um Sozialkapital lenkt von den ökonomischen und politischen Umstrukturierungsprozessen im städtischen Raum (wie z.B. Gentrifizierungsprozesse, profitorientierte Verwertungsstrategien internationaler Investoren oder Transformation lokaler Nonprofitorganisationen in Dienstleister für die Workfarestrategien) ab. Die Potenziale lokaler Initiativen zur Förderung von Solidarität und Empowerment werden durch die Umstrukturierung und den Abbau des Wohlfahrtsstaates gerade gefährdet. Andererseits schaffen es Nonprofitunternehmen oft nicht mehr, die Ausgrenzung ihres Klientels zu überwinden, sondern fördern allenfalls eine lokale soziale Ökonomie, die unfreiwillig zur Verfestigung der Ausgrenzung benachteiligter Bevölkerungsgruppen beiträgt, indem sie auf lokale Kapitalkreisläufe und informalisierte Arbeitsformen jenseits der Mainstream-Ökonomie verwiesen bleibt. Dieser Effekt zeigt sich teils an dem stigmatisierenden Charakter bestimmter Kieze und Wohngebiete, die als dauerhafte soziale Brennpunkte, wenn nicht sogar als Ghettos gelten. Obwohl mit dem Sozialkapitalansatz eine breite Palette bürgerschaftlichen Engagements angesprochen wird, bleiben protestförmige Typen städtischen Aktivismus unterbelichtet. Konflikte und Interessengegensätze werden so tendenziell de-thematisiert, wogegen Protestbewegungen die Frage stellen, wem oder welchen Gruppen das Sozialkapital nutzt. Eine solche harmonisierende Variante des Sozialkapitals, die Konflikte tendenziell ausblendet, kann daher auch für die aus einer Foucaultschen Perspektive relevante Frage nach den Spielräumen für Widerstand wenig beitragen. Der Ansatz beschäftigt sich zu wenig mit Gruppen, die arm an Ressourcen und eigenen Potenzialen sind (wie Obdachlose, Arme), für die Sozialkapitalbildung aber gerade nötig wäre. Er legt den Fokus zu sehr auf solche Gruppen, die schon über Ressourcen verfügen und vernachlässigt dabei die aktuellen politisch-ökonomischen Umstrukturierungsprozesse. Bürgerschaftliches Engagement im Sinne eines nur scheinbar ›neutralen‹ Sozialkapitalverständnisses kann zudem auch partikularistisch und ausschließend wirken, oder einseitig auf die Bewahrung der ›heilen Welt‹ innerhalb eines Quartiers bedacht sein (NIMBY-›Not in my backyard‹-Bewegungen) und so disruptive, störende ›Elemente‹ (die aber für die Überwindung dominanter Herrschaftsverhältnisse wichtig sein könnten) ausgrenzen. Die lokalen Drittsektor-Organisationen und Förderer der Sozialökonomie versuchen, den Abbau staatlicher Wohlfahrtsprogramme aufzufangen und sind doch Teil eines ambivalenten Prozesses: Sie können einige negative Effekte der neoliberalen Programme abfedern oder abschwächen, aber nicht die tieferliegenden strukturellen Ursachen angehen. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in lokale Governance-Arrangements in benachteiligten Stadtteilen ka-

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

nalisiert lokale soziale Bewegungen in Richtung der Förderung von lokalem Sozialkapital. Die lokalen Organisationen sorgten so auch für die Ausdehnung von Marktprinzipien in bislang wenig ökonomisierte Lokalräume und Tätigkeitsfelder104 (wie die der Gemeinwesenarbeit, der Sozialarbeit oder der Jugendhilfe). Territorial orientierte Aktivierungsmaßnahmen wie solche innerhalb des Quartiersmanagements haben teils nicht intendierte Effekte und fördern vor allem die Beteiligung erwünschter, ›pflegeleichter‹, leicht einzubindender oder professionell oder sozial vorgebildeter Gruppen bei gleichzeitiger Ausgrenzung unerwünschter Gruppen.105 Die Nahraumorientierung der Programme wird auch für die Sozialpädagogik und Soziale Arbeit zu einem leitenden Prinzip, die nun eine »sozialraumorientierte Aktivierungsinstanz« sein soll.106 Dies stellt für eine Soziale Arbeit, die sich traditionell an den einzelnen gesellschaftlichen Akteuren, bzw. am individuellen Subjekt im Verhältnis zum Sozial- und Rechtsstaat orientiert, eine Herausforderung und Erweiterung dar oder es stellt sogar ihre Handlungsperspektive in Frage. Diese Konjunktur der Nahraumorientierung ist eingebettet in eine fachliche wie konzeptionell-strategische Neuausrichtung Sozialer Arbeit seit den 90er Jahren zu denen Leitbilder wie Kundenorientierung, Ökonomisierung, Neue Managementkonzepte gehören.107 Räume sollten immer als soziale Räume, als von Hierarchien und sozialen Unterschieden geprägte Räume, in den Blick genommen werden. Die Analyse der sozialen Positionen der Akteure stellt daher einen Ausgangspunkt sozialer Arbeit dar. Der Sozialraum wird zu einer zentralen Steuerungsgröße erhoben, weil die Eingebundenheit in ein sozialräumliches Netzwerk sinnvoll sei. Es müsste aber gerade um Strategien zur Überwindung sozialstrukturell bedingter Teilhabebeschränkungen, die über den sozialen Nahraum hinausweisen, gehen. Wenn die nahraumorientierte Soziale Arbeit und andere Stadtentwicklungskonzepte aber primär auf die Aktivierung stadtteilimmanenter Ressourcen setzen, werden sie dieser Herausforderung gerade nicht gerecht. Integrationsmaßnahmen zielen häufig auf die unentdeckten Potenziale der Bewohner innerhalb identifizierter 104 | Vgl. Mayer, Margit: »Soziales Kapital und Stadtentwicklungspolitik- ein ambivalenter Diskurs«, in: Haus, Michael (Hg.): Bürgergesellschaft, soziales Kapital und lokale Politik, Opladen 2002, S. 33-59, hier S. 49. 105 | Vgl. Mayer 2002, S. 51, vgl. auch Franke, Thomas: Raumorientiertes Verwaltungshandeln und integrierte Quartiersentwicklung, Wiesbaden 2011, S. 145, sowie Lanz, Stephan: »Der Staat verordnet die Zivilgesellschaft«, in: Widersprüche, Jg. 20, Nr. 4 (2000), S. 39-51. 106 | Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe, Ziegler, Holger: »Einschließen oder aufmachen? Der Raum, sein Kapital und deren Nutzer«, in: Riege, Marlo/Schubert, Herbert (Hg.): Sozialraumanalyse. Grundlagen-Methoden-Praxis, Opladen 2005, S. 191-205 hier S. 191. 107 | Vgl. ebd., S. 193.

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Armutsquartiere und suchen so möglichst kostenneutral das soziale Kapital der Wohnareale und deren Bewohnergruppen zu nutzen und zu stärken, statt es durch Vermittlung öffentlicher und privater sozialer Ressourcen von außen zu erhöhen (z.B. durch Unterstützung solidarischen Bürgerschaftsengagements). Diese Gegenstrategien laufen somit Gefahr, die Segregation der Wohnareale und ihrer Bevölkerungsgruppen politisch-symbolisch noch weiter zu fixieren, die Bewohner in ihren Arealen ›einzuschließen‹, indem sie die symbolischen Zuschreibungen wie Ghetto und sozialer Brennpunkt verstärken oder erst bewusst machen. So steht Soziale Arbeit in der Gefahr zu einer Exklusionsmanagerin zu werden.108 Das Ziel sozialer Kohäsion sei eher in einem Prozess von unten her zu erzeugen, so das Argument, daher sei die Aktivierung sozialen Kapitals auf lokaler Ebene so wichtig, das aber je nach sozialer Position ungleich verteilt ist. Teilnahmechancen sind neben den Bedingungen vor Ort von vielen Faktoren, wie Bildung, materielle Voraussetzungen und Nutzungschancen kultureller Angebote abhängig. Nahraumorientierte Aktivierungsstrategien, die vor allem auf die Mobilisierung von Ressourcen innerhalb eines Stadtteils setzen, ignorieren diese strukturellen Bedingungen. Dies kann dann zu einer Einschließung der Akteure in ihren Sozialräumen führen. »Das Soziale Kapital ist die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind, oder anders, es handelt sich um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.«109

Soziales Kapital ist also eine Ressource, die sich aus Freundschaften und Bekanntschaften und Mitgliedschaften in Vereinen usw. zusammensetzt. Entscheidend sind aber nicht so sehr starke soziale Beziehungen (zur Familie) sondern die eher schwachen sozialen Beziehungen (zu Bekannten) die positive Faktoren für soziale Aufstiegsmöglichkeiten darstellen. Strategien zur Aktivierung sozialen Kapitals, welche an Nahräume anknüpfen und gute Nachbarschaften als normatives Ziel haben, sind daher problematisch, wenn sie die klassenspezifisch ungleiche Verteilung von sozialem Kapital nicht berücksichtigen. Soziale Arbeit müsste zur Herstellung von symbolisch positivem, emanzipativem Verbindungskapital beitragen, das dann auch die vertikale Verknüpfung zwischen hierarchischen Ebenen und gesellschaftlichen Schichten und der Akteure zum institutionellen Bereich ermöglichen würde.110 108 | Vgl. ebd., S. 195. 109 | So Bordieu, Pierre, in: Die verborgenen Mechanismen der Macht 1992, S. 63, zit. n. Kessl/Otto/Ziegler 2004, S. 197. 110 | Vgl. ebd., S. 202.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

Neben diesen genannten Sozialkapitalformen sollte man m.E. das Sozialkapital danach differenzieren, ob es nur innerhalb des jeweiligen lokalen Raumes, bzw. des Ghettos wirksam ist, oder darüber hinausweist, also ob es nur statuserhaltend oder status-transzendierend ist. Zusätzlich wäre zu berücksichtigen, ob es jeweils nur den Stärkeren innerhalb des Ghettos, bzw. diesen zum Verlassen des Ghettos dient, oder gemeinsam entwickelt wird und ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb des Gebiets generiert, ob das Sozialkapital also zentrifugal, nach außen strebend wirkt, oder nur zentripetal, nach ›innen‹. Außerdem sollte man meiner Meinung nach eine Sozialkapitalbildung, die von oben, bzw. von außen, als Regierungsstrategie an die Menschen herangetragen wird, von einer Sozialkapitalbildung, die von unten, bzw. von innen aus dem jeweiligen Gebiet heraus, von sich aus geschieht, aber Verbindungen zu größeren sozialen Emanzipationsbewegungen herstellt oder ermöglicht, unterscheiden. Diese Differenzierung nach Wirkungsweisen und Ausgangspunkt der jeweiligen Sozialkapitalstrategie wäre m.E. eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen Konzepten und kann in folgendem Schaubild dargestellt werden: Sozialkapitalbildung von oben und außen

Statuserhaltend und -steigernd

Status-transzendierend

zentrifugal

Sozialkapital (Beziehungskapital) sammeln für die Stärkeren zum Verlassen des Ghettos

Sozialkapital(Brückenkapital) gemeinsam entwickeln mit den Schwächeren zum Verlassen des Ghettos

zentripetal

Sozialkapital (Bindungskapital) sammeln für die Stärkeren innerhalb des Ghettos

Sozialkapital (Solidarkapital) gemeinsam mit den Schwächeren zum Verbleiben in einem nun besser entwickelten Quartier Sozialkapitalbildung von ›unten‹ und innen

Der in sozialraumorientierten Programmen oft unterstellte Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung der Bewohner und zusätzlich benachteiligend wirkender räumlicher Lage (durch ein benachteiligendes Quartier, der sog. ›Quartierseffekt‹) ist vor dem Hintergrund neuester empirischer Studien (aus dem Forschungsprojekt ›Räumlichkeit und soziales Kapital in der Sozia-

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len Arbeit‹111) nicht ganz so eindeutig zu belegen. Daher sind die vielen Ansätzen zugrunde liegende Community-Orientierung und die Konzentration auf den sozialen Nahraum zumindest problematisch. So halten die Verfasser dieser Studie fest, »dass soziale Kontakte und Netzwerke stark nach eigenen sozialstrukturellen Merkmalen […] funktionieren und nicht durch das Stadtviertel, indem man wohnt, bestimmt sind«.112 Milieugrenzen scheinen einer anderen Logik zu folgen als Gebietsgrenzen. Somit werde »das Gebiet als Ansatzpunkt für professionelles Handeln und die Problematisierung eines spezifischen Gebietsmilieus zweifelhaft«.113 Insofern müsse es noch relativ offen bleiben, ob von einer Stigmatisierung des Wohngebietes Konsequenzen für die Bewohner ausgehen, oder inwieweit Sozialraumprogramme die Stigmatisierung von Bewohnern verstärken. Verschiedene Quartierstypen kommen unterschiedlichen Bedürfnissen entgegen, so dass die Lebensbedingungen in einem Quartier ambivalent wirken können, für die einen unterstützend, für die anderen benachteiligend. Quartiers- und Ausgrenzungserfahrungen seien in erheblichem Maße voneinander unabhängig und Wohnquartierseffekte seien somit uneinheitlich.114 Anhand der Ergebnisse aus den Daten dieses empirischen Projekts bestätige sich die These eines spezifisch benachteiligenden Milieus in einem armen Gebiet nicht. Die Kopplung der Problematisierung einer niedrigen sozialen Lage mit dem Leben in speziellen Wohnquartieren im Sinne einer »Kultur der Armut« oder »Kultur der Abhängigkeit«, wie in der Underclass-Debatte, sei problematisch und könne empirisch nicht überzeugend nachgewiesen werden. Bei der Untersuchung der Aktivierung von sozialem Kapital lassen sich weiterhin Strategien der Solidarisierung, der Informalisierung und der Individualisierung unterscheiden115 . Lokale Solidarisierung stellt eine zentrale Maßnahme im Rahmen von Sozialprogrammen dar, um die Ressourcen vor Ort zu nutzen und die Menschen durch Empowerment zu aktivieren. Ein Widerspruch liegt allerdings darin, dass einerseits lokale Probleme auf mangelnden Zusammenhalt im Stadtteil zurückgeführt werden (also lokale Solidarisierung gefordert wird), andererseits die Orientierung der exkludierten Bewohner auf ihre lokale Gruppe als Ausschluss und Verstärkung sozialräumlicher Spaltung gesehen wird. Erwartet wird damit eigentlich eine Art ›transitorische‹ mobile Community, deren Erfolg in ihrer Auflösung durch Mobilität und Aufstieg bestünde. Insbesondere das Verhältnis von kollektivem und individuellem Sozialkapital soll klären, ob kollektiver 111 | Vgl. Landhäußer 2009. 112 | Vgl. ebd., S. 190. 113 | Ebd., S. 190/191. 114 | Vgl. ebd., S. 193. 115 | Vgl. ebd., S. 194ff.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

Zusammenhalt individuelle Ressourcen zur Überwindung der Ausgrenzung eröffnet oder blockiert. Zur Erfassung des kollektiven Sozialkapitals wurden die drei Komponenten ›Solidarität‹, ›Konflikt‹ und ›LIF‹ (Local Involvement Factor, lokale Eingebundenheit) untersucht.116 Dabei fiel bei der vergleichenden Untersuchung eines armen und eines durchschnittlichen Gebiets auf, dass sich das individuelle und das kollektive Sozialkapital als relativ unabhängig voneinander erwiesen. Die Ressourcen, die stärker auf ein ›Weiterkommen‹ im Sinne der Eröffnung zusätzlicher Ressourcen hindeuten, hängen stärker mit der Abwesenheit von Konflikten zusammen. Insbesondere für Menschen mit niedriger sozialer Lage seien individuelles und kollektives Sozialkapital voneinander unabhängig.117 Zusammenfassend zeige sich, dass kollektives Sozialkapital kaum zusätzliche individuelle Ressourcen zu eröffnen scheine und zwar unabhängig davon, ob Menschen in einem armen, einem durchschnittlichen oder einem reichen Gebiet wohnen. Bei Bewohnern mit höherer sozialer Lage hängen individuelle Ressourcen vorwiegend mit der Abwesenheit von Konflikten zusammen. Menschen in niedriger sozialer Lage mit kollektivem Sozialkapital haben eher Zugänge zu Alltagshilfen. Dies zeigt die Unterschiede zwischen Zugängen, die ein ›Weiterkommen‹ ermöglichen und Beziehungen, die ein alltägliches Zurechtkommen ermöglichen. Außerdem geht kollektiver Zusammenhalt und Eingebundenheit im Stadtteil nicht mit zusätzlichen individuellen Ressourcen einher. Soziale Eingebundenheit ist nur sehr marginal vom Wohnen in einem armen oder reichen Gebiet abhängig, sondern Beziehungen und Kontakte sind eher von soziodemographischen Merkmalen beeinflusst und davon wie lange die Bewohner schon im jeweiligen Gebiet leben. Bei der Strategie der Informalisierung geht es um die Vernetzung der Bewohner und eine Orientierung an den Selbsthilfekräften der betroffenen Menschen, um die Aktivierung von informellen Netzwerken. Selbsthilfe stellt einerseits eine staatsunabhängige, kollektive Lösung von Problemen im Sinne einer Strategie von unten dar. Im Kontext der Sozialraumorientierung werden jedoch umgekehrt in staatlicher Verantwortung liegende Aufgaben an die Betroffenen weitergegeben und die Betroffenen werden selbst verantwortlich gemacht, wenn ihnen eine Pflicht zur Selbsthilfe zugeschrieben wird. Diese Ambivalenz liegt auch der Selbsthilfebewegung generell zugrunde, sie ist einerseits von unten entstanden, um sich gegen Bürokratisierung und Bevormundung zu wenden, andererseits wird sie von einer neoliberalen, ökonomistischen, ordnungspolitischen Regierungsstrategie für den Rückzug des Wohlfahrtsstaates eingemeindet und instrumentalisiert. Verschiedene empirische Studien über die soziale Lage der in Selbsthilfegruppen organisierten Per116 | Vgl. zum folgenden ebd., S. 196-205. 117 | Vgl. ebd., S. 198.

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sonen, kommen zu dem Schluss, dass Angehörige mit höherer sozialer Lage bei Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftszentren überrepräsentiert sind.118 Es sei festzustellen, dass sich soziale Ungleichheit im bürgerschaftlichen Engagement im zeitlichen Verlauf verstärkt habe. Ein bestimmtes Maß an Sicherheiten sei eine notwendige Voraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement und sei zudem gekoppelt an das Ausmaß von Vertrauen im sozialen Umfeld. Das vorhandene Vertrauen bestimme zudem, inwiefern Menschen sich zivilgesellschaftlich beteiligen. Insofern zeige sich eher das Gegenteil der Grundannahmen in der Sozialkapitaldebatte, nach der Gruppenzugehörigkeit zur Vertrauensbildung beitrage. Denn eher sei umgekehrt Vertrauen eine Voraussetzung, um sich überhaupt zu engagieren. Insofern stelle eine Aktivierung von Solidarität keine Lösung für ein geringes Vertrauen dar.119 Die sozial ungleich verteilten Ressourcen in informellen Netzwerken zeigen eine unterschiedliche Ausstattung mit individuellem Sozialkapital und insofern ungleiche Grundlagen zur Bewältigung von Problemen. »Ressourcenstarke Akteure mit hoher sozialer Lage tendierten dazu, sich in Gruppen und Assoziationen mit Gleichgesinnten zusammen zu tun.«120 Dies benachteilige besonders ressourcenschwache Menschen, bei ohnehin geringen Potenzialen nehme ihre Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Gruppen ab. Die Aktivierung lokalen Engagements spreche oft eher die Probleme von Akteuren mit hoher sozialer Lage an, die von denen anderer Gruppen abweichen (sog. Mittelschichtsbias bei der Beteiligung). Die Beschränkungen, wer sich an welchen und ob überhaupt an lokalen Gruppen und Assoziationen beteiligt, entschieden sich an sozialstrukturellen Merkmalen. Mit einem Rückzug des Staates und der Verlagerung von sozialen Ressourcen auf selbstorganisierte Selbsthilfegruppen und lokale Gemeinschaften (›governing by communities‹) werde die soziale Ungleichheit eher befördert. Selbsthilfegruppen kommen den Interessen bestimmter (statushöherer) Bevölkerungsgruppen entgegen, andere marginalisierte Personen werden dagegen für ihr Scheitern oder ihren Erfolg selbst verantwortlich gemacht.121 Bei der Strategie der Individualisierung schließlich, der Ausrichtung der Sozialen Arbeit an den subjektiven Bedürfnissen der Adressaten, die lange konstitutiv für soziale Arbeit war, ergibt sich ebenfalls eine Ambivalenz, wenn die Beurteilung der individuellen Situation durch sogenannte »adaptive Präferenzen«, durch subjektive Selbstevaluation bestimmt wird, und nicht mehr so sehr durch objektive Ansätze und objektive Maßstäbe für Armutsanteile und Wohl118 | Vgl. die Hinweise auf verschiedene empirische Studien bei Landhäußer 2009, S. 206/207. 119 | Vgl. ebd., S. 208/209. 120 | Ebd., S. 212. 121 | Vgl. ebd., S. 219/220.

5. Die Lokale Arbeits- und Sozialpolitik

standsunterschiede.122 Dem liegt die Annahme einer Verbindung zwischen ökonomischer Situation, der Wahl der Vergleichsgruppe und den Konsumwünschen zugrunde. Bei der subjektiven Einschätzung der eigenen Lebenssituation komme es zu einer Anpassung der Bedürfnisse und einem sich Einrichten in der jeweiligen Lage, in dem Menschen genau das präferierten, was sie sich leisten können. Menschen adaptierten ihre Konsumpräferenzen an ihre aktuellen Möglichkeiten, je geringer ihre finanziellen Ressourcen, desto geringer würden allmählich auch ihre Wünsche. Je länger die schwierige ökonomische Situation andauere, desto mehr passten sie ihre Präferenzen an (und richten sich in der Armut ein).123 Für eine Soziale Arbeit, die sich an den subjektiven Bedürfnissen der Adressaten orientiert, aber sie auch in einem emanzipatorischen Sinne für Problembewältigung zu stärken und zu unterstützen beansprucht, werfen diese Teilergebnisse und Tendenzen kritische und ambivalente Fragen auf. So könnte die soziale Arbeit unfreiwillig zu einer ›Bindung‹ (im Sinne von bindendem sozialem Kapital) sozial marginalisierter Gruppen an ihre lokale Community und ihren lokalen Nahraum beitragen, so das sie eine Überwindung der sozialen Ausgrenzung kaum noch anstreben. Die verschiedenen ›post-sozialen‹, oder ›neo-sozialen‹ bzw. neoliberalen Strategien des Regierens über lokale Räume und des Regierens über lokale Communities wie sie von an Foucault inspirierten Forschergruppen einerseits und an Sozialkapitalansätzen orientierten Forschern andererseits, analysiert werden, beruhen demnach anhand der oben dargestellten Tendenzen auf zumindest problematischen Vorannahmen. Der Zusammenhang zwischen Quartierseffekten und Ausgrenzung ist demnach nicht so stark wie angenommen und das Sozialkapital als Mittel zur Stärkung von Solidarität sozioökonomisch ungleich verteilt und als erklärender Faktor, bzw. als zielführendes Instrument nicht ganz so entscheidend. Insofern müssen die von den verschiedenen lokalen Regierungsprogrammen beanspruchten Ziele sehr skeptisch beurteilt werden. Vielmehr ordnen sich die Sozialkapitalansätze in das Feld einer liberalen Regierungsrationalität ein, die in einem Spannungsverhältnis zwischen einer ›Regierung über Freiheit‹ und einer ›Regierung über lokale Communities‹ steht. Wie diese Kräfteverhältnisse und unterschiedlichen Rationalitäten im Feld der lokalen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zusammenwirken und wie die oben dargestellten verschiedenen Theorieperspektiven für die Untersuchung dieses Themenfeldes fruchtbar gemacht werden könnten, soll nun im nächsten Abschnitt konkret deutlich gemacht werden.

122 | Vgl. ebd., S. 214. 123 | Vgl. zu diesem Ansatz ebd., S. 215/216.

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6. Die Regierung von lokalen Räumen zwischen Sicherheitspolitik und aktivierender Sozialund Arbeitspolitik Die sozialen Konflikte und sozialräumlichen Gegensätze werden mit einer Mischung aus sicherheitspolitischen, kriminalpolizeilichen und sozialpolitischen Maßnahmen behandelt. Daran zeigt sich im kleinen Rahmen das Spannungsfeld und die Arbeitsteilung zwischen Sicherheitspolitik und neuen sozialen Strategien des »Regierens über Freiheit« wie sie für die liberale Gouvernementalität nach Foucault typisch sind. Diese Tendenzen lassen sich auch im deutschen Kontext des Bund-LänderProgramms »Soziale Stadt« und den damit verbundenen zivilgesellschaftlichen Ansätzen, wie den ausführenden Trägern des Quartiersmanagements finden. Diese Programme sind oft durch einen fliessenden Übergang zwischen einer sozialpolitischen und einer ordnungspolitischen Bearbeitung von Problemen wie Langzeitarbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug gekennzeichnet. Bei der Darstellung des »Soziale-Stadt«-Programms im Kontext dieser Arbeit ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nicht darum geht, zu zeigen, wie ›erfolgreich‹ dieses Programm gemessen an seinen eigenen formulierten Zielen ist oder welche positiven Effekte es hat, zumal dies im Rahmen einer solchen notwendigerweise nur schmalen empirischen Basis und einer kleinen eigenständigen Befragung nicht möglich ist. Innerhalb des Quartiersmanagement-Programms gibt es im kleinteiligen Rahmen zweifellos viele sinnvolle und erfolgreiche Projekte (zur Wohnumfeldverbesserung, für Kinder und Jugendliche etc.). Dies soll hier auch gar nicht geschmälert werden. Auch die Einbeziehung des Sozialraums und der räumlichen Ebenen in die Sozial- und Arbeitspolitik, die Verbindung von Städtebau- und Wohnungspolitik mit Sozial- und Arbeitspolitik ist gegenüber einem kleinteiligen, engen Ressortdenken sicherlich ein Fortschritt. Im Kontext dieser Arbeit geht es jedoch um eine spezifische Perspektive auf das Programm und um dessen (widersprüchliche) Einbettung in oder eine partielle Instrumentalisierung für eine veränderte Weise des Regierens und einen Umbau lokaler Sozialstaatsaufgaben und lokaler Arbeitspolitik. Aus einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive geht es um die Aktivierung der

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Bewohner, um die Ökonomisierung von ursprünglich sozialen Programmen und darum, welche ökonomischen und politischen Rationalitäten sich in dem Programm finden lassen. Außerdem geht es um die exemplarische Darstellung einer neuen lokalen Governance-Konstellation im Kontext von lokalem Sozialstaatsumbau (oder -Abbau), und die damit möglicherweise einhergehende Informalisierung des Politischen und die Informalisierung von Arbeitsformen. Bevor am Ende dieses Kapitels die Regierungsrationalitäten und die sozialund arbeitspolitischen Aspekte des Programms analysiert werden, sollen aber zunächst die grundlegenden Merkmale des Programms und seiner Umsetzung in Berlin dargestellt werden.

6.1 D AS B UND -L ÄNDER -P ROGR AMM »S OZIALE S TADT« Angesichts von zunehmender sozialer und räumlicher Polarisierung in den Städten wurde 1999 als Rahmen und Förderinstrument für unterschiedliche Maßnahmen und zur Bündelung von verschiedenen Akteuren und Ebenen das Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« eingeführt. Lange Zeit schien das Thema Armut und soziale Stadtentwicklung aus der Mode gekommen zu sein. Breitere Aufmerksamkeit bekam es erst als die Armut im Stadtraum unübersehbar wurde, das Problem sich in den 90er Jahren quantitativ und qualitativ verschärfte und die Analysen der Wissenschaft nicht mehr ignoriert werden konnten.1 Dieses Bund-Länder-Programm sollte soziale, ökonomische, kulturelle, städtebauliche und partizipatorische Impulse und Verbesserungen für benachteiligte Stadtteile bringen. Die Umsetzung dieser Gemeinschaftsinitiative obliegt vor allem den Städten und Gemeinden, die Bundesländer sollen die betreffenden Ressorts aufeinander abstimmen und das Bundesbauministerium ist die Koordinationsstelle auf Bundesebene. Für die wissenschaftliche Programmbegleitung im Auftrag des Bundes und der Länder ist das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin zuständig, das auch die Aufgabe einer überregionalen Vermittlungs-, Informations- und Beratungsagentur erfüllen soll. Seit dem Start des Programms »Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf – die Soziale Stadt« 1999 wurde die Zahl der einbezogenen Stadtteile noch ausgeweitet. 1999 wurden zunächst 161 Stadtteile in 124 Städten und Gemeinden in das Programm aufgenommen. Im Jahr 2001 waren es 249 Stadtteile. Gut die Hälfte der Programmgebiete (54 %) liegt in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern, 23 % in Städten über 500.000 Einwohnern, fast ein Drit-

1 | Vgl. Alisch, Monika: Stadtteilmanagement, Opladen 2001, S. 9/10.

6. Die Regierung von lokalen Räumen

tel in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern.2 Beim Programm »Soziale Stadt« handelt es sich also nicht nur um ein reines Großstadtprogramm. Der Schwerpunkt des Programms liegt vor allem in zwei Quartierstypen: a) den Neubausiedlungen der 60er bis 80er Jahre (Plattenbausiedlungen, bzw. sozialer Wohnungsbau, die mit 44 % fast die Hälfte der Gebiete ausmachen), b) »Verdichtete, gründerzeitliche, vernachlässigte Altbaugebiete«.3 Die Programmgebiete und deren Sozialstruktur sind durch eine höhere Arbeitslosigkeit und einen höheren Anteil an Migranten als im städtischen Durchschnitt geprägt. Der Migrantenanteil liegt um 10 % und die Arbeitslosenquote um 6  % höher als im städtischen Durchschnitt. Für die Hälfte aller Gebiete gilt, dass deutlich mehr als 1/5 der Bewohner keine Arbeit hat, und auch die Sozialhilfequote übersteigt in den Modellgebieten den gesamtstädtischen Durchschnitt deutlich. In vielen benachteiligten Quartieren gibt es keine ausgeprägten sozialen Netzwerke mehr, stattdessen wird über Kleinkriminalität und eine hohe Jugendkriminalität geklagt. Vielen dieser benachteiligten Stadtteile haftet ein Negativimage an.4 Die Umsetzung dieses ressort- und gebietsübergreifenden Programms verlangt von den Handelnden in der Verwaltung und vor Ort: • • • •

Mittelbündelung, Integration und Kooperation Aktivierung und Beteiligung lokaler und lokal wirksamer Akteure Etablierung neuer Organisations- und Managementformen Berücksichtigung gesamtstädtischer Zusammenhänge.

Die Zielgruppen des Programms sind vor allem Arbeitslose, gering Qualifizierte, Migranten, Jugendliche und insbesondere deren Beschäftigungsförderung. Die Städtebauförderung erreichte 2002 ein Rekordniveau, so daß insgesamt für das Programm »Soziale Stadt« und für sonstige städtebauliche Sanierungsmaßnahmen 642,9 Mio. Euro zur Verfügung stehen, davon 76,6 Mio. unmittelbar für das Programm »Soziale Stadt«.5 Seit dem Beginn des Programms 2 | Vgl. Difu (Deutsches Institut für Urbanistik) (Hg.): Die Soziale Stadt. Eine erste Bilanz des Bund-Länder-Programms »Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die soziale Stadt«, Berlin 2002, S. 19. 3 | Vgl. ebd., S. 19. 4 | Vgl. ebd., S. 17. 5 | Vgl. auch: Gawron, Thomas: »Mehrebenenanalyse, Inkrementalismus und Soziale Stadt«, in: Greiffenhagen, Sylvia/Neller, Katja (Hg.): Praxis ohne Theorie? Wissenschaftliche Diskurse zum Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« Wiesbaden 2004, S. 165-186, hier S. 172.

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1999 hat der Bund 500 Mio. DM zur Verfügung gestellt. Zusammen mit den Komplementärmitteln von Ländern und Kommunen konnten so 1,5 Mrd. DM oder 770 Mio. Euro zur Förderung der Entwicklung in benachteiligten Stadtteilen eingesetzt werden. In einem neueren Statusbericht zum Programm von 2008 wurde folgende Zwischenbilanz gezogen: Bis 2007 wurden im Programm »Soziale Stadt« bundesweit etwa 500 Stadtteile in rund 320 Städten mit mehr als zwei Milliarden Euro gefördert. Der Bund finanziert ein Drittel des Programms, Länder und Kommunen zwei Drittel. Jedes Jahr kommen etwa 50 Quartiere neu hinzu. Seit 2006 dürfen Mittel der »Sozialen Stadt« im Rahmen von Modellvorhaben auch für sozial-integrative Projekte eingesetzt werden. Der Aspekt der Arbeitsmarktpolitik wird in Ergänzungsprogrammen wie dem ESF(Europäischer Sozialfond)-Bundesprogramm »Soziale Stadt -Bildung, Wirtschaft und Arbeit im Quartier (BIWAQ)«, sowie »Lokales Kapital für soziale Zwecke (LOS)« umgesetzt.6 Für das Programm BIWAQ stehen in zwei Förderrunden mit jeweils vier Jahren in den Jahren 2008-2015 aus dem Bundesbauministerium 60 Mio. Euro und aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) 104 Mio. Euro zur Verfügung. Nach einer bundesweiten Zwischenevaluierung 2005 wurde der Akzent stärker auf Maßnahmen zur Verbesserung von Bildung und Beschäftigung und zur sozialen und ethnischen Integration gesetzt. Seit 2006 werden mit dem vom Bund geförderten Modellvorhaben verstärkt sozial-integrative Projekte im Bereich Jugendhilfe, Bildung und Lokale Ökonomie gefördert. Bis 2009 wurden rund 600 Modellvorhaben in mehr als 300 Programmgebieten gefördert, die dazu beitragen sollen, dass Netzwerke im Quartier ausgebaut und neue Partner eingebunden werden.7 Die inhaltlichen Schwerpunkte der Modellvorhaben sind Lokale Ökonomie und Beschäftigungspolitik, Jugend- und Bildungspolitik und Integration von Zuwanderern. »Eine Wirkungsanalyse sei aufgrund der kurzen Umsetzungszeit zwar noch nicht möglich« (so noch der Statusbericht 2008).8 In einer Zwischenbilanz zu den Modellvorhaben von Dezember 2009, die auf einer Auswertung von 388 Modellvorhaben aus 228 Programmgebieten beruht, werden jedoch immerhin folgende Trends benannt: Bei den Handlungsfeldern der Modellvorhaben bilden »soziale Aktivitäten und soziale Infrastruktur« und »Integration von Migranten« rund 70  % der Projekte, ebenso bei den Zielgruppen, zu denen 80 % Migranten und fast 70 % Jugendliche zählen. Im Handlungsfeld Lokale Ökonomie bestehe jedoch Nach6 | Vgl. BMVBS (Bundesministerium für Verkehr, Bauen und Stadtentwicklung (Hg.): Statusbericht zum Bundesprogramm »Soziale Stadt« 2008, S. 5. 7 | Vgl. Difu 2010, S. 2/3. 8 | DifU (Hg.): Statusbericht 2008 zum Programm Soziale Stadt, S. 9.

6. Die Regierung von lokalen Räumen

holbedarf, so richteten sich nur 20 % der Vorhaben an Gewerbetreibende und private Unternehmen.9 Die Träger der Modellvorhaben bilden zu einem Drittel die Kommunen, ein Viertel sind lokale Vereine und Initiativen und zehn Prozent Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Zu rund 90 % werden die Modellvorhaben öffentlich gefördert, finanzielle Leistungen Dritter machen die restlichen zehn Prozent aus. Thematisch beziehen sich die Vorhaben zu drei Viertel auf sozialintegrative Bereiche und zu einem Viertel auf investive Projekte. Solche sozialintegrativen Projekte seien weiterhin besonders wichtig, während im baulich-investiven Bereich, im Themenfeld Wohnumfeld kaum noch Handlungsbedarf bestehe, zumindest in solchen Gebieten, die schon länger gefördert wurden.10 Dies verdeutlicht aus meiner Sicht die Tendenz, dass in Bezug auf Wohnumfeldverbesserungen eher Erfolge erzielt werden können, als bei der Bekämpfung von sozialstrukturellen Problemen. Auch wenn immer wieder die »Anstoßwirkung«, bzw. die »Speerspitzenfunktion« dieser Modellvorhaben als positiv hervorgehoben wurde, wird dieser Anspruch auch mit Skepsis betrachtet. »Die tatsächlichen Wirkungen seien sehr stark abhängig vom Konzept und den Zielen der jeweiligen Modellvorhaben.«11 Bei der Wirkung in Bezug auf die Steuerungsebene (also die Verwaltung) liege die Anstoßwirkung eher im Programmansatz selber, der ein Umdenken und ein besseres gegenseitiges Verständnis zwischen den verschiedenen Ressorts bewirkt habe. »Modellvorhaben könnten als Sonderförderung nicht das generelle Problem einer fehlenden Finanzierungsmöglichkeit im sozial-integrativen Bereich in benachteiligten Gebieten lösen«, so heißt es selbstkritisch auch in der letzten Konferenz zu den Modellvorhaben der »Sozialen Stadt«.12 Dennoch ist der relativ starke Fokus auf Modellvorhaben und die Betonung ihrer beispielgebenden »Anstoßwirkung« oder Ausstrahlung auf andere Bereiche möglicherweise Teil eines generellen Trends, Ressourcen nicht mehr generell und egalitär zu verteilen, sondern nur noch punktuell in wenigen Brennpunkten, konzentriert auf arme Gebiete und Marginalisierte, statt auf die Gesellschaft als Ganzes, was auch Stenson anhand von Beispielen aus Großbritannien aufzeigt.13 »Die Konstruktion eines Wissens über sog. Hoch-Risiko9 | Vgl. Statusbericht 2008, S. 5/6. 10 | Vgl. ebd., S. 13. 11 | Ebd., S. 15. 12 | BVBS (Hg): 2. Regionalkonferenz zur Sozialen Stadt. Modellvorhaben und Monitoring. Dokumentation 2010, S. 22. 13 | Stenson, Kevin 2007a: »Das Lokale regieren. Der Kampf um Souveränität im ländlichen England«, in: Kessl/Otto (Hg.), S. 117-143 und Stenson, Kevin 2007b: »Staatsmacht, Biopolitik und die lokale Regierung von Kriminalität in Großbritannien«, in: Krasmann/Volkmer (Hg.) S. 181-213.

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Bevölkerungsgruppen in Form von Risikoassessment- und Risikomanagementstrategien trägt dazu Entscheidendes bei.«14 Nach den Erfahrungen der ersten Jahre kann durchaus in weiten Teilen eine positive Bilanz gezogen werden. Dies wurde auch schon auf der vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und vom Bundesbauministerium organisierten ersten großen Konferenz »Die Soziale Stadt« am 7./8. Mai 2002 in Berlin deutlich, auf der sich Wissenschaftler, Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter und Menschen aus verschiedenen Praxisfeldern der sozialen Stadtentwicklung und sozialen Gemeinwesenarbeit über ihre Erfahrungen austauschten.15 Zunächst wird in dieser ersten Zwischenbilanz des Difu hervorgehoben, dass in den Modellgebieten eine »Aufbruchstimmung« entstanden sei und der Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Städten und Gemeinden wird gelobt.16 Dieser Transfer von Erfahrungswissen sei eine wichtige Grundlage für neues Handeln. Erst allmählich komme eine ressort- und ämterübergreifende Kooperation in Gang, dazu sei aber ein längerfristiger Mentalitätswechsel nötig. Ein Problem sei, dass die Orientierung des Programms an der Städtebauförderung den Spielraum für nichtinvestive Maßnahmen und Projekte einenge (also z.B. arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen). Ein weiteres zentrales Ziel des Programms, die Kooperation zwischen den Beteiligten und die Bündelung der Ressourcen für die Stadtteilentwicklung, sei noch lange nicht erreicht. Die Mittelbündelung bereite Schwierigkeiten, denn die zahlreichen Fördertöpfe mit einer Vielzahl von Ansprechpartnern seien nur unzureichend aufeinander abgestimmt.17 Vorrangig sollen bestehende Programme der beteiligten Fachressorts bzw. Ämter zur Finanzierung herangezogen werden, vor allem aus den Bereichen Wohnungsbauförderung, Verkehrspolitik, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Jugendhilfe, Stadtteilkultur-Förderung. Aber auch das Programm »Soziale Stadt« ist an die Kompetenzverteilung nach dem Ressortprinzip gebunden, was die Bündelung auf Bundesebene erschwert. Die unterschiedlichen Fördermodalitäten der einzelnen Programme erwiesen sich als problematisch. So werden die Gelder zur Stadterneuerung raumbezogen vergeben, die Beschäftigungsförderungsgelder aber personenbezogen.18 Dennoch soll die Förderung auch sozialraumorientiert gestaltet sein. Der Anspruch einer effektiven Mittelbündelung ist schwer zu verwirklichen, 14 | Stenson 2007a, S. 123. 15 | Auch ich besuchte diese Konferenz »Die Soziale Stadt« am 7./8. Mai 2002 in der »Arena« in Berlin-Treptow. Die folgende Darstellung beruht teilweise auf Notizen aus dieser Konferenz und auf der vom DifU herausgegebenen Zwischenbilanz »Die Soziale Stadt«, Berlin 2002. 16 | Vgl. Difu (Hg.) 2002, S. 46. 17 | Vgl. ebd., S. 46/47. 18 | Vgl. ebd., S. 24.

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denn die seit Jahrzehnten eingeübte »vertikale Versäulung« der jeweiligen Fachverwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen ist für das Verwaltungshandeln in Deutschland nach wie vor prägend.19 Schon eine Umfrage des Difu bei den beteiligten Gemeinden der Förderjahrgänge 1999 und 2000 hatte ergeben, dass sich die Bündelung und Kooperation in den meisten Fällen auf die traditionellen Felder der Städtebauförderung, der Wohnungsbauförderung und der Arbeitsverwaltung beschränkte. Die Förderrichtlinien waren nur unzureichend aufeinander abgestimmt und es gab große Unsicherheiten über Fördermittel und Antragswege. Es fehlten zentrale Stellen zur Fördermittelberatung.20 Auf kommunaler Ebene schaffe die prekäre Finanzsituation vieler Städte Barrieren für die Antragsteller, der kommunale Anteil kann oft nicht aufgebracht werden. Auch die Aktivierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen (Langzeitarbeitslose, Jugendliche) müsse noch deutlich verstärkt werden, viele Aktivitäten blieben zu sehr mittelschichtorientiert. Der interkulturelle Aspekt, die Einbeziehung von Migranten (z.B. durch Sprachförderung), müsse noch verstärkt werden.21 Vielfach fehle es an Rückhalt durch die Politik und die Verwaltungsspitze, z.B. durch konkrete Umsetzungsbeschlüsse des Stadtrates zum Quartiersmanagement. Die Erfahrungen mit dem Programm zeigen, dass zwischen der Formulierung von Visionen und Zielen auf der programmatischen Ebene und der konkreten Arbeit in den Stadtteilen erhebliche Diskrepanzen bestehen. Die einzelnen Akteure fürchten um den Verlust von Macht und Einfluß, die öffentlichen Leistungserbringer um den Verlust eigener finanzieller Ausstattung. Zentrale Bedeutung für die Programmumsetzung soll das integrierte Handlungskonzept haben. Die Förderfähigkeit eines Gebietes ist auch an die Erarbeitung eines solchen Konzepts gebunden. In den von Bund und Ländern geschlossenen Verwaltungsvereinbarungen zur Städtebauförderung 1999 bis 2002 heißt es: »Die Probleme der Stadtteile sind mit einem integrierten Konzept im Sinne einer ganzheitlichen Aufwertungsstrategie im Zusammenhang zielgerichteter sozialer und ökologischer Infrastrukturpolitik anzugehen. Maßnahme-begleitend ist ein auf Fortschreibung angelegtes gebietsbezogenes integriertes stadtentwicklungspolitisches Handlungskonzept durch die Gemeinden aufzustellen. Das Handlungskonzept (Planungs- und Umsetzungskonzept sowie Kosten- und Finanzierungs übersicht) soll zur Lösung der kom-

19 | Vgl. ebd., S. 24. 20 | Vgl. ebd., S. 27. 21 | Vgl. ebd., S. 47.

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plexen Probleme zielorientierte integrierte Lösungsansätze aufzeigen, alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele erfassen, sowie die Ausgaben darstellen.« 22

Zur Anwendung kommen solche integrierten Konzepte bei der Gebietsauswahl und -abgrenzung, bei der Struktur- und Problemanalyse und bei der Formulierung von Leitlinien und Entwicklungszielen für die gesamtstädtische Politik. Außerdem sollen sie bei der Entwicklung von Organisations- und Managementstrukturen und bei der Projektsteuerung auf der Verwaltungsebene, im intermediären Bereich und auf Quartiersebene hilfreich sein. Handlungsfelder sind z.B. soziale Aktivitäten und soziale Infrastruktur, Schule und Bildung im Stadtteil, Sport und Freizeit, Beschäftigung, Qualifizierung und Ausbildung.23 In der Praxis herrscht jedoch noch weitgehend Unsicherheit und Zurückhaltung über die Aufstellung solcher Konzepte. Erst für ein Drittel der Modellgebiete wurden integrierte Handlungskonzepte erarbeitet. Es überwiegt eher ein pragmatisches Vorgehen mit Schwerpunktsetzung auf schnell realisierbaren Projekten. Bei der Umsetzung des integrierten Handlungskonzepts gibt es eine große Variationsbreite, von der bloßen Projektübersicht, dem städtebaulich dominierten Rahmenplan, bis zu einem Leitbild oder einem umfassenden Kompendium der verschiedenen Maßnahmen. Die strategischen Handlungsansätze umfassen die Bündelung personeller und finanzieller Ressourcen, die Aktivierung und Beteiligung, allerdings liegen noch nicht für alle Gebiete Integrierte Entwicklungskonzepte vor.24 Das Monitoring und Evaluationen haben in den Programmgebieten bislang jedoch nur einen geringen Verbreitungsgrad. Auch werden nur in wenigen Bundesländern bisher Verstetigungsansätze erarbeitet. Mittlerweile hat sich ein sozialraumorientiertes Vorgehen auf den meisten Steuerungs- und Umsetzungsebenen durchgesetzt und bei der Mittelbündelung auf Bundesebene sind Fortschritte erzielt worden. Beim Aspekt der aufsuchenden, zielgruppenorientierten Aktivierungsarbeit bestehe jedoch Nachholbedarf und zur qualitativen Ausgestaltung von Quartiersmanagement liegen nur wenige vergleichende Erkenntnisse vor.25 Bei den einzelnen Handlungsfeldern zeigt sich folgendes Bild: Im Bereich Wohnumfeld und öffentlicher Raum werden besonders viele Maßnahmen umgesetzt, aber weniger direkt in der Wohnungsversorgung und Wohnungswirtschaft. Zur Integration von Migranten gehören die Förderung von Spracherwerb und Bildung, die Stärkung ethnischer Ökonomie und verbesserte Mitwirkungsmög22 23 24 25

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Ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 32-34. Vgl. Statusbericht 2008, S. 11. Vgl. ebd., S. 6.

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lichkeiten für Zuwanderer, allerdings fehlen oft noch lokale Quartiersmanager mit Migrationshintergrund. Obwohl die Lokale Ökonomie, die Förderung lokaler Geschäfts- und Gewerbestrukturen, ein wichtiges strategisches Feld darstellt, zeige sich in der Programmumsetzung, dass »Lokale Ökonomie trotz eines Bedeutungszuwachses zu den eher schwierig umzusetzenden Handlungsfeldern der Sozialen Stadt gehört. Gesamtgesellschaftliche Probleme lassen sich im Quartierskontext kaum lösen und die lokalen Wirtschaftsakteure sind bisher nur schwer erreichbar.« 26

Die kommunale Wirtschaftsförderung müsse stärker einbezogen werden und die Unternehmer vor Ort gezielter angesprochen werden. Während sich in den Handlungsfeldern Wohnumfeldgestaltung, sozialkulturelle Infrastruktur, Schule und Bildung und Integration von Zuwanderern positive Veränderungen zeigen, »klaffen im Handlungsfeld Lokale Ökonomie Wunsch und Wirklichkeit nach wie vor weit auseinander« lautet das Resümee der Autoren zu den Wirkungen des Programms aus dem Statusbericht 200827. Außerdem seien Verbesserungen nötig bei der Gebietsorientierung einiger Kommunalressorts und bei der Erreichbarkeit von Akteursgruppen wie Zuwanderern, den Wirtschaftsakteuren und Hauseigentümern.28 Auch in den Ergebnissen der hessischen Begleitforschung von 2010 sowie der bundesweiten Begleitforschung insgesamt wurde der Bereich Arbeit und Wirtschaft als »strategische Lücke« identifiziert. Bei der Erhebung derjenigen Akteure die in den 17 Standorten in Hessen in Kooperationsnetzwerken vertreten waren, zeigte sich zwar eine hohe Repräsentanz von Bewohnergruppen, Wohlfahrtsverbänden und Wohnungsgesellschaften, aber nur ein geringer Stellenwert von Arbeitsagentur, lokaler Wirtschaftsförderung und lokaler Wirtschaft.29 Selbst in einem Modellprojekt zur Beschäftigungsförderung, einem interkulturellen Stadtteilzentrum, dass besonders intensive Betreuung anbot und mit einer Kombination aus Gender Mainstreaming, Migrantenförderung und Beschäftigungsförderung einen besonders innovativen und interdisziplinären Ansatz hatte, konnten nur geringe Vermittlungserfolge erzielt werden.30 26 | Ebd., S. 8. 27 | Ebd., S. 9. 28 | Ebd., S. 9. 29 | Vgl. Wiesner, Claudia/Bordne, Sylvia: Lokales Regieren- Innovation und Evaluation. Beschäftigungsförderung, Gender Mainstreaming und Integration im lokalen EUModellprojekt, Wiesbaden 2010, S. 223/224. 30 | Vgl. Wiesner/Bordne 2010, insbes. Kap. 5.2. und 5.2.7., S. 143-162.

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Schon in einer Zwischenevaluation der »Hessischen Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt« (HEGISS) von 2004, bei der es um die Verknüpfung der Handlungsfelder Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung mit Stadtteilentwicklung ging, wurde die erhebliche Diskrepanz zwischen dem Handlungsbedarf und dem Ziel der Förderung lokaler Ökonomie einerseits und der konkreten, praktischen Umsetzung deutlich.31 So wurde dem Thema zwar von den Quartiersmanagern verbal ein hoher Stellenwert eingeräumt, aber die Bedeutung für die praktische Arbeit eher gering eingeschätzt. Das Handlungsfeld lokale Beschäftigung und Ökonomie werde in den einzelnen hessischen Kommunen mit unterschiedlichem Gewicht behandelt. Als günstige Rahmenbedingungen gelten unter anderem eine Mischstruktur mit hoher Gewerbedichte, ausgebaute Kooperationsstrukturen zwischen den Trägern und die Tradition einer Brennpunktarbeit. Als schwierig gilt das Fehlen einer gesamtstädtischen Entwicklungsplanung und mangelnde Unterstützung der beteiligten Dezernate.32 »Möglichkeiten zu einer Verknüpfung von arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisch orientierten und zugleich am Gemeinwesen ausgerichteten Aktivierungs- und Eingliederungsstrategien (seien) bislang im Rahmen der Umsetzung des ›Soziale Stadt‹-Programms in Hessen nur sehr unzureichend genutzt worden.«[…] »Die institutionelle […] Kooperation zwischen der Steuerung des ›Soziale Stadt‹-Programms einerseits und der Beschäftigungs- und Wirtschaftsförderung andererseits ist bisher eher die Ausnahme geblieben«, so das Resümee der hessischen Forschergruppe. 33

Auch die Programmevaluation auf Bundesebene bestätigte diese Trends. So schreibt Häußermann, der die Bundesevaluation mit durchführte: »Zentrale Probleme der Quartiersentwicklung wie z.B. die Bedeutung der Schulen für die Lebenschancen der Bewohner oder der Aufbau einer lokalen Ökonomie (jenseits von ABM-Maßnahmen) werden, gemessen an der Problemdiagnose, bisher nicht hinreichend thematisiert.«34 Auch an der Erarbeitung der integrierten Handlungskonzepte sind lokale Unternehmen, Arbeitsämter und die Privat-

31 | Vgl. Hanesch, Walter/Jung-Kroh, Imke: »Anspruch und Wirklichkeit der ›Aktivierung‹ im Kontext der ›Sozialen Stadt‹«, in: Hanesch, Walter/Krüger-Conrad, Kirsten (Hg.): Lokale Beschäftigung und Ökonomie, Wiesbaden 2004, S. 212-239, hier: S. 224, vgl. auch verschiedene Aufsätze aus diesem Sammelband. 32 | Vgl. ebd., S. 229. 33 | Ebd., S. 229. 34 | Häußermann, Hartmut: »Zwischenevaluation des Bund-Länder-Programms die ›Soziale Stadt‹«, in: Walther, Uwe-Jens/Mensch, Kirsten (Hg.) Armut und Ausgrenzung in der ›Sozialen Stadt‹, Darmstadt 2004, S. 268-288, S. 276.

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wirtschaft im bundesweiten Schnitt eher gering beteiligt, wie eine Umfrage des Difu von 2003 ergab.35

6.1.1 Quartiersmanagement als lokales Umsetzungsinstrument Ein Schlüsselinstrument für die Programmumsetzung ist das Quartiersmanagement (QM), das von der großen Mehrheit der Kommunen als geeignetes Mittel betrachtet wird. Allerdings besteht oft keine Einigkeit, was Quartiersmanagement im Einzelnen bedeutet. So unterscheiden sich auch die Begriffe, mal wird von Stadtteilmanagement, Gebietsmanagement oder Quartiersmanagement gesprochen. Das QM-Konzept läßt sich nicht auf Vor-Ort-Arbeit beschränken, sondern meint die umfassende Organisation von Stadtteilentwicklung auf allen beteiligten Steuerungsebenen. »Quartiersmanagement kann als strategischer Ansatz zum systematischen Aufbau von selbsttragenden, nachhaltig wirksamen personellen und materiellen Strukturen zur Entwicklung eines Quartiers bezeichnet werden.«36 Es umfasst die Elemente: • • • •

Gezielter Einsatz der kommunalen Ressourcen Einbettung des QM-Prozesses in eine gesamtstädtische Entwicklungspolitik, Verschiedene Handlungsfelder verbindende Arbeitsweisen, Aktivierung und Befähigung (Empowerment) der Quartiersbevölkerung unter Mitwirkung der lokalen Wirtschaft, ortsansässiger Institutionen (Schulen, Kitas, Kirchen) und lokaler Vereine, Initiativen und Verbände.37

Das Quartiersmanagement muss als komplexer Prozeß verstanden werden, der sowohl auf der Verwaltungsebene, der Umsetzungsebene im Quartier und im intermediären Bereich angesiedelt ist. Da eine wesentliche Aufgabe die Aktivierung der Gebietsbewohner, darunter auch schwer erreichbare Gruppen, ist, soll eine Anlaufstelle vor Ort geschaffen werden, ein »Stadtteilbüro«, das z.B. Beratungsleistungen zur »Hilfe zur Selbsthilfe« anbietet, über vielfältige Aktionen das Engagement der Bewohner für ihr Wohngebiet fördert.38 Für die erfolgreiche Umsetzung eines Quartiersmanagements müssen einige grundsätzliche Kriterien erfüllt sein: Es sollte einen politischen Beschluss zur Umsetzung des QM geben und für zunächst drei bis fünf Jahre sollten die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen abgesichert sein.

35 | Vgl. Wiesner/Bordne 2010, S. 225. 36 | Difu 2002, S. 37. 37 | Vgl. ebd., S. 37. 38 | Vgl. Franke, Thomas/Grimm, Gaby: Quartiersmanagement, unter: www.sozialestadt.de/programm 2001, S. 2.

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Auf der Verwaltungsebene sollte ein Gebietsbeauftragter für die Vernetzung der beteiligten Ämter sorgen und folgende Aufgaben haben: Den gezielten Einsatz kommunaler Ressourcen, die Entwicklung von Zielen, Standards und Indikatoren, die Gesamtprojektsteuerung und Koordination der Umsetzung des integrierten Handlungskonzepts, die Finanzplanung und die Berichterstattung an die politischen Gremien. Im intermediären Bereich sollte ein Gebietsmoderator die Vermittlung von Bedürfnissen aus dem Quartier an die Verwaltung übernehmen. Seine Aufgabe wäre die Vernetzung von Verwaltung, Politik und Quartier, die Entwicklung von Beteiligungsforen, sowie von lokalen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen, die Moderation und Mediation von Konflikten, die Aktivierung personeller und materieller Ressourcen, die Sicherstellung des Informationsflusses zwischen den verschiedenen Ebenen und Akteuren. Auf der Quartiersebene haben die Vor-Ort-Büros und die QM-Teams folgende Aufgaben: Die horizontale Vernetzung und Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren, die Aktivierung der Quartiersbevölkerung, d.h. Kontaktaufnahme, Mobilisierung von Bewohnern, Beratung, Informationsarbeit, Bündelung von Interessen und Themen, Projektinitiierung und die Förderung von Kommunikationsstrukturen im Stadtteil. Außerdem das Vernetzen von verschiedenen Vereinen und das Erkennen von Stärken und Schwachpunkten des Quartiers. Die Aufgaben der vor Ort tätigen Quartiersmanager und der intermediären Akteure überschneiden sich in manchen Punkten, so bei der aufsuchenden Arbeit (Bürgerbefragungen, wohngebietsbezogene Versammlungen), Unterstützung von Bürgergruppen, Moderation von Versammlungen, Aktivierung.39 Aus den Erfahrungen mit der Umsetzung des Programms »Soziale Stadt« lassen sich folgende Punkte ableiten: Der Erfolg von Quartiersmanagement hängt von der »Rückendeckung« durch die Verwaltungsspitze ab, die Verantwortung sollte an höchster Stelle innerhalb der Verwaltung angesiedelt sein. Die Überwindung von Ressortgrenzen, die ämterübergreifende Zusammenarbeit ist von zentraler Bedeutung. Bei der Vernetzung von Akteuren im Quartier komme es darauf an, gegenüber Ideen aus dem Quartier offen zu sein und vielfältige Methoden zu nutzen, was manchmal mit Projekt- und Zeitvorstellungen der Verwaltung in Konflikt geraten kann. Mangelnde Befugnisse der Quartiersmanager und das Fehlen eines Verfügungsfonds können hinderlich sein. Die Beteiligungs- und Aktivierungsmethoden sollten auf das jeweilige Gebiet und die unterschiedliche Zusammensetzung der Bewohnerschaft abgestimmt sein. Im Vorfeld der Umsetzung von Bewohnerwünschen dürfen keine zu hohen Erwartungen geweckt werden und die Verfahren sollten transparent sein.40 39 | Vgl. Franke/Grimm ebd., S. 3. 40 | Vgl. ebd., S. 4.

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Für eine erfolgreiche Aktivierung der Bewohnerschaft sind offene Anlaufstellen und eine Präsenz von Fachleuten vor Ort nötig. Von den Quartiersmanagern, den intermediären Akteuren und den Beauftragten in der Verwaltung werden daher hohe kommunikative und organisatorische Fähigkeiten verlangt. Die Quartiersmanager müssen zwischen der Fachsprache der Verwaltung und den Bürgern vor Ort vermitteln und die unterschiedlichen Akteure aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen.41 Erfolgreiches Quartiersmanagement basiert auf politischen Beschlüssen, tragfähigen Strukturen, klaren Aufgabendefinitionen und Qualitätsvereinbarungen, sowie persönlichem Engagement der Beteiligten in allen Handlungsfeldern und auf verschiedenen Ebenen. Die Ergebnisse der ersten Difu-Umfrage 1999/2000 zeigten, dass nur knapp die Hälfte der Kommunen zum Zeitpunkt des Programmstarts schon Elemente von Quartiersmanagement eingerichtet hatten, gut 40 % planten dies mit Beginn der Programmumsetzung. Aber in den damals erst 16 Modellgebieten unterschied sich das Quartiersmanagement anfangs erheblich voneinander. So boten knapp die Hälfte der Gebiete Treffen im Rahmen von Stadtteilforen an, in 12 der 16 Modellgebiete wurden bis Sommer 2001 Vor-Ort-Büros eingerichtet. Besonders schwierig war die Zusammenarbeit zwischen sozialpolitischen und städtebaulichen Akteuren, hier musste die Kooperation erst noch eingeübt werden.42

6.1.2 Kritik am Programm »Soziale Stadt« Das Programm »Soziale Stadt« stieß unter anderem deshalb auf Kritik, weil es so schien, als sollten gesamtgesellschaftliche Probleme vor allem auf Stadtteilebene gelöst und der Abbau sozialstaatlicher Leistungen damit kaschiert werden. Unter der neuen »Verantwortungsteilung« würde den Menschen die Bewältigung der Probleme vor Ort aufgebürdet. Der Handlungsspielraum der Kommunen sei grundsätzlich beschränkt und sei entscheidend von externen Bedingungen geprägt.43 Den geförderten Gruppen auf der Quartiersebene gehen die Bemühungen nicht weit genug, denn die anspruchsvollen Ziele würden oft an der unflexiblen Verwaltung scheitern. Die Handlungsansätze seien oft nur »Beruhigungsstrategien«, die den Eindruck einer aktiven Politik vermitteln sollen, als echte Lösungen des Armutsproblems. Die Handlungsansätze stehen vor einem mehrfachen Dilemma:

41 | Vgl. ebd., S. 4. 42 | Vgl. Difu (Hg.) 2002, S. 39. 43 | Vgl. Alisch 2001, S. 10.

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• Sie setzen mit der Zusammenführung segmentierter Politikfelder auf eine Strategie, deren Umsetzung Neuland ist. • Über die Sozial- und Wirtschaftsstrukturen auf Quartiersebene gibt es oft nur unzureichende Informationen. Eine entsprechende Datenbasis wäre aber eine Voraussetzung für eine erfolgreiche, auf die spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Quartiers abgestimmte Umsetzung der Strategie. • Die verschiedenen innovativ gedachten Prinzipien sollen sich in ein starres politisch-administratives System einfügen. • Die neuen Aufgaben erfordern ein neues Qualifikationsprofil, aber sollen oft von Menschen umgesetzt werden, die ursprünglich für andere Arbeit qualifiziert waren. Langfristig stellt sich das Problem der Verstetigung des Programms. Eine erfolgreiche, nachhaltige Umsetzung würde wohl zehn bis 15 Jahre in Anspruch nehmen. Dafür sind verlässliche personelle und organisatorische Strukturen nötig. Die begleitende Evaluierung und Berichterstattung müsste noch ausgebaut werden; 2/3 der Gemeinden sehen zwar irgendeine Art von Erfolgskontrolle oder Evaluation vor, aber es gibt nur selten inhaltlich und methodisch ausgereifte Konzepte.44 Bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Probleme durch eigene lokale Strategien müssen drei Ebenen berücksichtigt werden: Die doppelte Benachteiligung (d.h. die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen in einem Wohnumfeld, das zusätzlich benachteiligend wirkt), muß abgebaut werden. Die Lebensbedingungen der Bewohner in benachteiligten Quartieren müssen nachhaltig entwickelt und verbessert werden. Der Abbau innerstädtischer Disparitäten muß angestrebt werden. Schon in einer ersten Runde der Zwischenevaluation des Bund-Länder Programms von 2004 zeigten sich folgende Trends:45 Das Programm stelle einen Paradigmenwechsel dar, da es den Übergang von einer reinen Städtebaupolitik zu einer integrativen Stadtpolitik markiert, was aber in der Implementation noch zuwenig sichtbar werde. Es dominiere noch ein städtebaulicher Blickwinkel, der auf eine Verbesserung des Lebensniveaus im Quartier, aber weniger auf eine Verbesserung der Lebenschancen der Bewohner ziele. Das Programm »Soziale Stadt« wurde vor allem in den westlichen Bundesländern aufgegriffen, weil dort die Polarisierung, die Zuspitzung sozialer Probleme und Probleme in ethnisch gemischten Quartieren besonders virulent sind, während in den östlichen Bundesländern eher der wachsende Leerstand von Wohnungen im Zuge schrumpfender Städte als Hauptproblem gesehen wird und es dort eher zu einem Begleitprogramm des Stadtumbau Ost gewor-

44 | Vgl. Difu (Hg.) 2002, S. 49. 45 | Vgl. Häußermann 2004, S. 268-288.

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den ist.46 Die Auswahl der Programmgebiete durch die Städte ist relativ beliebig. Die Daten für die Aufnahme eines Gebiets sind uneinheitlich und beruhen selten auf einer gründlichen Analyse. In fast der Hälfte der Fälle handelt es sich um Gebiete, die bereits in Vorläuferprogrammen gefördert wurden. An Zielen wurden vor allem die Verbesserung des Wohnumfelds von 83,3 % der befragten Städte genannt und die Verbesserung der Wohnumfeldqualität mit 77,5 %. Obwohl auch Verbesserungen im sozialen und ökonomischen Bereich von jeweils (auch nur) ungefähr der Hälfte der Städte genannt wurden, taucht dieser Aspekt bei der Programmumsetzung nicht mehr so häufig auf, so dass man insgesamt von einer Vernachlässigung des Bereichs Lokale Ökonomie und Arbeitslosigkeit sprechen muss. In vielen Gebieten liegen über die groben Indikatoren hinaus keine genauen Daten zur Sozialstruktur vor und es gäbe kein genaues Bild von den Problemen der Quartiere. Die Zielsetzungen seien häufig so allgemein gehalten, dass keine messbaren Ziele erkannt werden können.47 Allerdings sei das Programm überall positiv aufgenommen worden und habe auf der lokalen Ebene »zahlreiche neue Steuerungsformen angestoßen, die mit der Vermittlung zwischen Quartieren und Verwaltung, mit der Bündelung von Ressourcen und mit Beteiligungsverfahren experimentieren« […]. »Die Einbettung der Quartiersstrategie in eine gesamtstädtische Entwicklungsperspektive ist in den meisten Fällen bisher jedoch kaum erkennbar«, besonders unter den westdeutschen Städten betrachteten viele den betreffenden Stadtteil eher isoliert. 48

Ob diese Gefahr in den Berliner Quartieren auch gegeben ist, wird sich später zeigen, allerdings könnte Berlin eher eine Sonderrolle spielen, da es auf eine Tradition behutsamer Stadterneuerung aufbauen kann. Außerdem ist hier mit der Ausweitung des Programms zu »Aktionsräumen plus« eine gewisse Einbettung in einen größeren Kontext schon erkennbar. Andererseits zeigen die jüngsten Ergebnisse des »Soziale Stadt«- Monitorings eher eine Verfestigung der Polarisierung zwischen Quartieren in Berlin. (Aber dazu mehr im Kapitel 6.2. und 6.3). Der konkrete Beitrag des Programms zur sozialen Integration lässt sich wegen des komplexen Kontextes und der vielen einwirkenden Faktoren schwer exakt bemessen, wie auch in einem neuesten Resumee der aktuelleren bundesweiten Evaluationen betont wird:49 Daten mit einheitlichen Indikatoren gebe 46 | Vgl. ebd., S. 273. 47 | Vgl. ebd., S. 277. 48 | Ebd., S. 278/279. 49 | Vgl. Zimmermann, Karsten: »Der Beitrag des Programms ›Soziale Stadt‹ zur sozialen Stadtentwicklung«, in Hanesch, Walter (Hg.): Die Zukunft der »Sozialen Stadt«, Wiesbaden 2011, S. 181-203, hier S. 193.

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es in vielen Städten oft nicht und ein Stadtteilmonitoring befindet sich (anders als in Berlin) vielerorts erst im Aufbau. Bei so unterschiedlichen Handlungsfeldern und Zielgruppen lasse sich zudem schwer ein Gesamteindruck gewinnen, zumal das Programm eher informelle Formen der Wohlfahrtsproduktion und Integration fördere. Die Programmbegleitung der Strategien für die »Soziale Stadt« nennt folgende methodische Probleme einer Evaluierung:50 Die Komplexität des Programms führt zu einer Fülle sich überschneidender Wirkungen. Der Mehrebenencharakter des Programms zwischen Bund, Ländern und Kommunen mit unterschiedlichen Handlungskalkülen macht eine Zusammenarbeit schwer. Die Prozessorientierung des Programms, bei der auch Experimente möglich sein sollen und die Ziele teils erst später präzisiert werden, sowie die Vielfalt der Ansätze machen eine Standardisierung schwer und die Überlagerung von unterschiedlichen Förderprogrammen behindert die Transparenz. Die Begleitforschung, die sich zunächst auf ›Good Practice‹-Beispiele konzentrierte, hat als zentrale Wirkungsfelder vor allem die folgenden unterschieden: a. Die politisch-administrativen Wirkungen (z.B. hinsichtlich Urban Governance und Verwaltungsreform), den Erfolg der neuen kooperativen horizontalen und vertikalen Organisations- und Managementstrukturen, die Stärkung der BewohnerInnnen, der Ausbau von Netzwerken b. Die Wirkungen auf die Lebenslagen im Stadtteil, die materiellen Verbesserungen im Quartier in Bezug auf Wohnverhältnisse, Infrastruktur, Beschäftigung, Lokale Ökonomie, Verbesserung des Images, Bildung einer Quartiersöffentlichkeit. Als Trends finden sich erstaunlicherweise allerdings auch in den neueren Evaluationen wiederum die Tendenzen, die in den ersten Bilanzen zu finden waren: So der Aspekt, dass Verbesserungen nur im Wohnumfeldbereich und bei der sozialen Infrastruktur erreicht wurden und in den Bereichen Sauberkeit und Sicherheit51 sowie immerhin Verbesserungen bei der Qualität des Zusammenlebens im Quartier. Im Bereich Beschäftigung konnten jedoch kaum Wirkungen registriert werden und die Förderung der lokalen Ökonomie ist immer noch problematisch und vernachlässigt. Bei der Integration in den Arbeitsmarkt be-

50 | Vgl. Riege/Schubert 2005, S. 37/38. 51 | Vgl. Difu 2008, S. 74 und Difu (Hg.): Dritte bundesweite Befragung Programmgebiete »Soziale Stadt«, Endbericht, Berlin 2006, S. 8.

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stehe der größte Handlungsbedarf.52 Auch bei der Aktivierung und Beteiligung werden oft nur die ohnehin schon aktiven Bewohnergruppen erreicht. Die Ziele auf der übergeordneten Verwaltungsebene könnten auf der Quartiersebene kaum erreicht werden, so auch die skeptische Einschätzung einer neueren empirischen Studie von 2011.53 Es gibt zudem Konflikte zwischen verschiedenen Akteuren im Quartier, z.B. zwischen Bürgern mit professionellen Hintergrund (wie Architekten) und anderen Bewohnern ohne professionelle Vorbildung. Auch das Ziel, Menschen in Arbeit zu bringen, sei mit dem Gebietsbezug überhaupt nicht zu leisten, denn es sei unrealistisch die Arbeitslosenquote allein auf Quartiersebene zu senken, »das sei kein Thema was man auf Stadtteilebene schaffen kann« (so ein Interviewpartner) und auch sonst gelte: »Vieles ist Kosmetik, was die Leute wirklich brauchen ist Arbeit.«54 Bei der Abgrenzung und Auswahl der Programmgebiete gibt es eine starke Dominanz von Verwaltungsakteuren, die oft aus pragmatischen Gründen entscheiden, je nach dem wie die Gebiete und Projekte mit den vorhandenen Förderrichtlinien zusammenpassen. Oder sie entscheiden intuitiv, was nicht unbedingt negativ sein muss, wenn die Verwaltungsmitarbeiter die konkreten Verhältnisse vor Ort besser kennen als es die Formalia von EU oder BundesRichtlinien nahe legen. Die oft starre Gebietsabgrenzung sei unzureichend, weil sie quartiersübergreifende Aktivitäten sowie alltagsweltliche Zusammenhänge zu wenig berücksichtige. Zudem haben unterschiedliche Zielgruppen jeweils unterschiedliche Raumbezüge und Kontexte. Nach der Erfahrung und Befragung von lokalen Quartiersmanagern sind die alltagsweltlichen Raumbezüge der Quartiersbewohner oft sogar kleiner als die abgegrenzten Programmgebiete. Die Erfahrungen zeigten »dass sich die Menschen nur rund 300 m im Radius um ihren Wohnort bewegen« (allerdings sei dies bei Schulkindern und Arbeitnehmern zumindest anders)55, was nochmals die räumlich isolierenden Effekte von sozialer Ausgrenzung deutlich macht. Daher könnten viele verwaltungstechnische Grenzziehungen von den Bewohnern nur schwer nachvollzogen werden und es ist nötig die Gebietsgrenzen der QM flexibler zu gestalten. Es gibt demnach ein »deutliches Gegenüber« von Verwaltungswelt und den »Sozialräumen und alltagsweltlichen Zusammenhängen«.56 Aus der Perspektive von Governance und der auf Programmanalytik ausgerichteten GS kann dies m.E. als ein Bruch oder eine Diskontinuität zwischen von außen zugeschriebener ›governing by community‹ und der Lebenswelt der 52 | Vgl. Zimmermann 2011, S. 194 und Difu 2008, S. 77/76. 53 | Vgl. Franke 2011, S. 145. 54 | Ebd., S. 145. 55 | Vgl. Franke 2011, S. 157. 56 | Ebd., S. 165.

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Bewohner gesehen werden, ein Beispiel für einen Bruch zwischen Programmatik und Realität. Bei der Ebene der verwaltungsinternen Maßnahmen, also dem Governance-Aspekt, ging es um ressortübergreifende Arbeitsgruppen und Steuerungsrunden. Die Federführung lag meist bei den Stadtplanungsressorts, da das Programm der Städtebauförderung zugeordnet war. Aber die Veränderungen innerhalb der Verwaltung blieben meist nur moderat.57 Weitergehende Veränderungen wurden bei den Organisationsstrukturen in den Stadtteilen erzielt, wo neben den Stadtteilbüros weitere Formen der Kooperation entwickelt wurden wie Bürgerforen, Stadtteilkonferenzen und Runde Tische. In rund 60 % der Stadtteile wurden nach der Difu-Umfrage von 2006 Bürgerforen eingerichtet.58 Was diese Bürgerforen dann aber tatsächlich entscheiden können, ist noch mal eine andere Frage. In Berlin wurden Quartiersfonds eingerichtet, die teils erhebliche Mittel verteilen konnten. Dennoch sind die Wirkungen eher begrenzt, oder man einigt sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner. In dem Programm liege oft eher eine Weiterentwicklung von früher erprobten Verfahren (z.B. aus der behutsamen Stadterneuerung) als der angekündigte Paradigmenwechsel. Bei den Governance-Strukturen sind die Veränderungen begrenzt, weil es sich um ein anreizorientiertes Förderprogramm handelt. Die entscheidenden Veränderungen des »lokalen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements erfolgten eher in anderen Handlungsfeldern (wie der Arbeitsmarktpolitik), die dem Programmgedanken nicht unbedingt zuträglich waren«, wie es in einem resümierenden Fazit ziemlich euphemistisch heißt.59 Denn der Abbau des bisherigen Wohlfahrtsstaates durch die Hartz IV-Gesetze und die Orientierung auf Workfare ist schließlich eine der einschneidendsten Veränderungen des deutschen Sozialstaats. Die Ergebnisse der Programmbegleitung zeigten die folgenden Probleme bei der Umsetzung: Es gebe weiterhin Hürden bei der ressortübergreifenden Kooperation, bestimmte Zielgruppen seien schwer erreichbar, die Bürgerbeteiligung sei nur mangelhaft repräsentativ. Städtebauliche Maßnahmen würden weiter dominieren, während im Bereich der lokalen Ökonomie nur eine geringe Zahl von Projekten zu finden sei und selbst tragende Strukturen hätten sich nur begrenzt entwickelt.60 Es habe sich zwar eine neuartige Politik der integrierten Stadtteilentwicklung mit ressortübergreifenden Handeln herausgebildet, die sich aber bisher nur unvollständig auf allen Verwaltungsebenen durchsetzen konnte, wobei es den jeweiligen kommunalen Akteuren überlassen bleibe, wieweit sie den 57 | Vgl. Zimmermann 2011, S. 188. 58 | Vgl. DifU 2006, S. 90. 59 | Vgl. Zimmermann 2011, S. 195. 60 | Vgl. ebd., S. 196.

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umfassenden ressortübergreifenden Anspruch verwirklichen oder es bei einem Minimum belassen.61 Nach diesen allgemeinen Darstellungen zum »Soziale-Stadt«-Programm soll es nun konkreter um das Quartiersmanagementprogramm in Berlin gehen.

6.2 D AS Q UARTIERSMANAGEMENT IN B ERLIN 6.2.1 Das Problem der sozialen Segregation als Ausgangslage 1997 gab der Berliner Senat ein Gutachten über die Veränderungen der sozialräumlichen Struktur Berlins in Auftrag, das vom Institut für Stadtforschung (IfS) an der Humboldt-Universität und vom Sanierungsträger S.T.E.R.N. ausgeführt wurde und unter dem Namen des Hauptgutachters als HäußermannGutachten bekannt wurde. Auch der Stadtforscher und Sozialgeograph Krätke forschte über die Veränderungen sozialräumlicher Disparitäten in Berlin in den 90er Jahren.62 Beide Untersuchungen stellten eine verstärkte sozialräumliche Segregation fest, unterschieden sich aber auch in der Schwerpunktsetzung und den Schlußfolgerungen. Das Senatsgutachten »Sozialorientierte Stadtentwicklung« bildete die wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung des Quartiersmanagements, da es bestimmte Quartiere als Problemgebiete identifizierte und mit dem Quartiersmanagement ein Instrument gegen den weiteren Abstieg dieser Gebiete lieferte. Dabei wurden dynamische Indikatoren auf kleinräumiger Ebene interpretiert, im Mittelpunkt standen Indikatoren zu selektiven Wanderungsbewegungen. Wanderungen bestimmter Personengruppen (Erwerbstätige, Familien mit Kindern, Ausländer) wurden als Indikatoren für die soziale Entwicklung eines Gebiets herangezogen. Zusätzlich wurden Daten zur sozialen Lage (Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe) einbezogen. Auf Basis der Wanderungsdaten im Zeitraum 1994-96 wurden die statistischen Gebiete Berlins bestimmten Entwicklungstypen zugeordnet (von »sehr problematisch« bis »äußerst positive Entwicklung«). Die Ostberliner Innenstadtbezirke Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg zählten danach damals zu den »Gebieten mit problematischer Entwicklung«, gefolgt von den Großsiedlungen Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen. Eine »problematische Entwicklung mit hoher Dynamik« wurde den innerstädtischen Westberliner Altbaugebieten in Wedding, Tiergarten, Schöneberg, Kreuzberg und Neukölln attestiert. 61 | Ebd., S. 197. 62 | Vgl. Krätke, Stefan/Borst, Renate: Berlin. Metropole zwischen Boom und Krise, Opladen 2000.

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Zu den »problematischen Entwicklungstypen« gehörten insgesamt vier unterschiedliche Gebietstypen: • • • •

Innerstädtische Altbaugebiete im Westteil Berlins Innerstädtische Altbaugebiete im Ostteil Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus im Westteil Großsiedlungen des komplexen Wohnungsbaus im Ostteil.

Die »problembehafteten« Gebiete in der westlichen Innenstadt wiesen eine hohe Konzentration von Armut (hohe Arbeitslosigkeit und Sozialhilfedichte) und eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung auf. Weitere Kennzeichen waren die Abwanderung deutscher Staatsbürger und der verstärkte Zuzug von Migranten. Bei den selektiven Wanderungsbewegungen fiel der hohe Verlust von Erwerbstätigen und der Wegzug deutscher Familien auf. Bei den sogenannten »Verdachtsgebieten« in der östlichen Innenstadt (Friedrichshain, Mitte, Prenzlauer Berg) war die Fluktuation, das Wanderungsvolumen auch hoch. Es gab eine zunehmende Segregation nach Einkommen und Sozialstatus. Nach Einschätzung der Gutachter (S.T.E.R.N, Häußermann) ähnelte die Entwicklung derjenigen in der westlichen Innenstadt. Die Erneuerung und Sanierung der Altbauten bewirke eine starke Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung, Auf- und Abwertungsprozesse fänden kleinräumig nebeneinander statt. Angesichts der umfassenden Modernisierung und Sanierung des Altbaubestands in der östlichen Innenstadt würde man eigentlich Aufwertungs- und Gentrifizierungstendenzen erwarten. Das Senatsgutachten hielt sich zwar mit einer abschließenden Bewertung zurück, jedoch ging es tendenziell eher von einer Annäherung der östlichen Altbaugebiete an die »problembehafteten Gebiete« der westlichen Innenstadt aus. Demgegenüber kommen Krätke und Borst in ihrer Untersuchung sozialräumlicher Disparitäten zu etwas anderen Schlußfolgerungen. Sie machen die räumliche Artikulation sozialer Ungleichheit an der ungleichmäßigen Verteilung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in Teilräumen der Stadt fest (und nicht so stark an Wanderungsbewegungen wie das Häußermann-Gutachten). Sie konstatieren eine stark überdurchschnittliche Präsenz sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen in den westlichen Innenstadtbezirken (Wedding, Tiergarten, Kreuzberg, Neukölln) und sehen die »Verlierer-Bezirke« sogar fast ausschließlich im Westteil der Stadt, in den traditionellen Arbeiterbezirken. Die sozio-ökonomischen Indikatoren der südwestlichen Bezirke (Wilmersdorf, Charlottenburg, Zehlendorf, Steglitz), die eh schon eine privilegierte Position hatten, haben sich noch weiter verbessert. Dagegen gäbe es Abwertungstendenzen in Tiergarten, Wedding, Neukölln, Kreuzberg. Die sozialstrukturellen Profile der inner-städtischen Bezirke im Westen haben sich in den 90er Jahren

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tendenziell nicht grundlegend geändert, sie hätten sich aber auf beiden Extremen stärker ausgeprägt. Für die Ostberliner Innenstadt stellten Krätke/Borst eher Aufwertungstendenzen fest, bei denen Prozesse von Auf- und Abwertung in verschiedenen Gebieten parallel zueinander laufen.63 Die demographische Entwicklung der Ostberliner Innenstadtbezirke sei auch durch Bevölkerungsverluste und den Wegzug von Familien mit Kindern gekennzeichnet. Aber im Gegensatz zum Gutachten »Sozialorientierte Stadtentwicklung« sehen Krätke/Borst eine negative, also rückläufige Bevölkerungsentwicklung nicht als spezifisches Problem von sogenannten »Problem- oder Verdachtsgebieten«, sondern diese Trends seien ein Problem der gesamten Berliner Innenstadt.64 Auch in anderer Hinsicht bestreiten Krätke/Borst die Ergebnisse des Senatsgutachtens: »Selbst wenn sich die Innenstadtbezirke von West- und Ost-Berlin hinsichtlich Wanderungsvolumen, Abwanderung von Familien und negativem Wanderungssaldo bei Erwerbstätigen ähneln, wird von der Studie hier eine Angleichung sozialräumlicher Verhältnisse suggeriert, die sich mit ein paar Wanderungsindikatoren überhaupt nicht belegen lässt.« 65

Die zugrundegelegten Wanderungsdaten könnten nämlich sowohl eine sozioökonomische Abwertungstendenz der betreffenden Gebiete, als auch eine Aufwertungs- oder Gentrifizierungstendenz anzeigen. Ein negativer Wanderungssaldo von Erwerbstätigen allein sage noch nichts über die sozio-ökonomische Lage der weg- oder zuziehenden Erwerbstätigen aus.66 Für die Ostberliner Innenstadt sehen Krätke/Borst eine problematische Entwicklung eher in der Gentrifizierung und Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen. Das Senatsgutachten lenke mit der Behauptung, dass sich mit Hilfe von Wanderungsdaten eine Entwicklung von »Problemgebieten« in der östlichen Innenstadt belegen ließe, von den Prozessen der Aufwertung und Verdrängung in diesen Gebieten ab.67 Der Unterschied zwischen beiden Studien besteht nicht nur in Bezug auf die Ergebnisse zur Ostberliner Innenstadt, sondern auch bei der Ursachener63 | Vgl. Krätke/Borst 2000, S. 277. 64 | Vgl. ebd., S. 258. 65 | Ebd., S. 278. 66 | Dies wird auch an einem Beispiel illustriert: »Sind in einem Teilgebiet von Prenzlauer Berg z.B. 4 Professoren oder Medienstars zugezogen, dafür 5 Personen mit Niedrigeinkommen weggezogen, ergibt sich ein negativer Wanderungssaldo bei den Erwerbstätigen in Höhe von 20 %, aber zugleich auch ein gründlicher Wandel der Sozialstruktur«, Krätke/Borst 2000, S. 279. 67 | Vgl. ebd., S. 279/280.

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klärung sozialräumlicher Auf- und Abwertungsprozesse und bei der Auswahl von Indikatoren. Zwar weise das Gutachten »Sozialorientierte Stadtentwicklung« darauf hin, daß sich Auf- und Abwertungsprozesse eines Quartiers auf zwei Wegen vollziehen können,68 nämlich durch die Veränderung der sozialen Lage der vorhandenen Bevölkerung in Form eines kollektiven sozio-ökonomischen Auf- oder Abstiegs oder durch selektive Zu- und Abwanderungen. Allerdings konzentriere sich die weitere Analyse auf selektive Wanderungen und verliere den anderen Erklärungsstrang weitgehend aus dem Blick.69 Dies fördere eine Interpretation, die selektive Wanderungen als Ursache sozialräumlicher Polarisierungsprozesse betont und Prozesse des sozio-ökonomischen Abstiegs und der Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gebieten vernachlässigt oder gar nicht thematisiert. Dagegen sehen sowohl Krätke/Borst als auch das Stadtforschungsinstitut TOPOS genau diese Prozesse des sozio-ökonomischen Abstiegs als diejenigen, die in erster Linie für die Verschlechterung der sozialen Lage in bestimmten Gebieten und für die Herausbildung von Armutsquartieren verantwortlich sind. So stellte TOPOS in einer Studie zur Sozialstruktur und Mietentwicklung in einem Teil von Kreuzberg (dem ehemaligen SO 36) fest: »Die gegenwärtige soziale Entwicklung ist weniger eine, die durch selektive Wanderungsprozesse verursacht wird, sondern eine, die durch eine Verarmung der anwesenden Bevölkerung gekennzeichnet ist. Dabei bilden die extrem hohe Arbeitslosenquote und die überproportionale Steigerung der Mieten die Hauptursachen für die Verschlechterung der sozialen Lage.«70

Der einseitige Blickwinkel des Senatsgutachtens hat zur Folge, dass so die Probleme abgewerteter Quartiere vor allem als Wanderungsprobleme interpretiert werden und nicht in erster Linie als Armutsprobleme. Wenn Daten über selektive Wanderungen von besser-gestellten Bevölkerungsgruppen als Indikatoren für Auf- und Abwertungsprozesse gelten, erscheint die Abwanderung dieser Gruppen als das zentrale Problem und nicht die Verschlechterung der sozialen Lage der ansässigen Bevölkerung. An dieser Stelle muss an die Problematik des Segregationsbegriffs wie er in Kap. 5.2 dargelegt wurde, erinnert werden. Als problematisch gilt dabei nur eine sozialräumliche Konzentration bestimmter sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Außerdem wird die Relevanz der Segregation unterschiedlich bewertet, 68 | IfS/S.T.E.R.N.: Sozialorientierte Stadtentwicklung. Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin 1998, S. 50. 69 | Vgl. Krätke/Borst 2000, S. 278. 70 | TOPOS: Sozialstruktur und Mietentwicklung im Erhaltungsgebiet Luisenstadt, Berlin 1998, S. 23.

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denn viele Bewohner lassen sich von der ungleichen Verteilung sozialer Gruppen in ihrem Umzugsverhalten gar nicht beeinflussen. Es ist auch umstritten, inwieweit die Wohnumfeldsituation der sozial Benachteiligten diese zusätzlich benachteiligen (ob es also »Quartierseffekte« gibt). Eine Untersuchung hat z.B. festgestellt, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der räumlichen Konzentration von Türken und dem Erwerb der deutschen Sprache gibt.71 Friedrichs sieht hinsichtlich dieser Frage ein eher unübersichtliches Bild, auch wenn er zumindest schwach benachteiligende Effekte konstatiert.72 Neben den möglichen kumulativen Benachteiligungs-Effekten solcher sozialräumlichen Konstellationen müsse man auch die Stärken und Chancen dieser Gebiete sehen. Die hohe Konzentration sozial Benachteiligter sei vor allem auf die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt und dem Abbau sozialer Sicherungssysteme zurückzuführen und nicht den Eigenschaften der Bewohner an sich geschuldet. Die Ausgangsthese des »Soziale Stadt«-Programms, dass sich eine Konzentration von ›problematischer‹ Wohnbevölkerung in jedem Fall negativ auf die Entwicklungschancen dieser Bewohner auswirke, sei durchaus zweifelhaft.73 Eine Forschergruppe um Heitmeyer hat festgestellt, »dass die Integrationschancen von Türken relativ unabhängig vom Ausländeranteil variieren«. Es sei davon abhängig, wie die Bewohner in der Nachbarschaft miteinander umgehen, sich wechselseitig anerkennen, oder welche sozialen Beziehungen sie zueinander eingehen. Heitmeyer unterscheidet dafür fünf Faktoren:74 • Die politische Steuerung und ihr Beitrag zur De-Eskalation von Konflikten • Die politische Kultur (Traditionen des politischen Umgangs und der Einbeziehung von Bürger) • Soziale Netze und Gruppenbildung • Lokale Inter-Gruppen-Beziehungen • Soziales Klima (in Bezug auf die Pole Vertrauen-Misstrauen, Angst-Sicherheit, Verbundenheit-Gleichgültigkeit). 71 | Vgl. Dangschat 2007, S. 260. 72 | Vgl. Friedrichs, Jürgen: »Context Effects of Poverty Neighborhoods on Residents«, in: Westergard, H. (Hg.), Housing in Europe, Horsholm 1997, zit. n. Dangschat 2007, S. 260. 73 | Vgl. Dangschat 2007, S. 266. vgl. auch Dangschat, Jens: »Warum ziehen sich Gegensätze nicht an?«, in: Heitmeyer, Wilhelm/Dollase, Rainer (Hg.): Die Krise der Städte, Frankfurt/M 1998, S. 21-97. 74 | Heitmeyer, Wilhelm/Anhut, Reimund (Hg.): »Desintegration, Konflikt und Ethnisierung. Eine Problemanalyse und theoretische Rahmenkonzeption«, in: Dies.(Hg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen, Weinheim&München 2000, S. 17-75, hier S. 54-57, vgl. auch Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Die Krise der Städte, Frankfurt/M 1998.

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Die sozialintegrative Funktion von Wohngebieten hängt also auch von der politischen Steuerung und Kultur ab, um ein soziales Klima zu schaffen, innerhalb dessen Vernetzungen und sozialintegrative Gruppen und Milieus entstehen können. Zudem ist es eine offene Frage, inwieweit territoriale Einheiten als gruppenübergreifender Integrationsfaktor wirken können, oder die überlokalen Strukturbedingungen stärker sind.75

6.2.2 Auswahl der QM-Gebiete und Sozialmonitoring Auf der Grundlage des Senatsgutachtens wurde damals, 1998, zunächst in 15 Gebieten, die demnach sozialstrukturell besonders negative Entwicklungstendenzen aufwiesen, ein Quartiersmanagement (QM) eingerichtet. Die Hauptaufgabe des QM besteht darin, einerseits bestehende Initiativen zu bündeln, die Aktivierung der Bewohner zu fördern und zwischen Bewohnern und der Verwaltung zu vermitteln. Für jedes der 15 Gebiete wurde vom Senat ein Quartiersfond geschaffen, der mit 1 Mio. DM (500.000 Euro) pro Gebiet ausgestattet war und über dessen Verwendung eine Bewohnerjury entscheiden durfte. Diese Quartiersfondjury setzte sich zu 51 % aus Bewohnern und zu 49 % aus Vertretern von Vereinen zusammen. Die Jurymitglieder wurden ermittelt, indem eine repräsentative Zusammensetzung der Bewohner eines Quartiers per Zufallsprinzip aus dem Einwohnermelderegister angeschrieben wurde, hinzu kamen Vertreter von Vereinen. Die Kriterien für die Vergabe der Gelder waren unter anderem Nachhaltigkeit, Bezug zum Quartier, Neuartigkeit und das möglichst viele Leute davon profitierten. Neben dem Senatsgutachten gab es jedoch kaum gebietsspezifische Problemanalysen, sondern es waren eher skandalträchtige und dramatische Medienberichte ein Auslöser. Die Ziele des Programms waren so breit und allgemein gehalten, dass sie sehr vage und kaum fassbar wirken. Auch auf der Ebene der einzelnen Quartiere ergibt sich ein Wirrwarr von recht disparaten Projekten, das von baulicher Wohnumfeldverbesserung, Qualifizierungsmaßnahmen bis zu Kinder- und Jugendprojekten reicht. Ein gemeinsames Merkmal vieler Projekte ist ihre kurze Laufzeit und dass leicht realisierbare und deutlich wahrnehmbare Projekte gefördert werden.76 Ging es bei der ›Behutsamen Stadterneuerung‹ der 80er Jahre noch um umfassende Modernisierungs- und Instandsetzungsprogramme, die ein Sanierungsgebiet auf ein durchschnittliches Niveau des Wohnstandards heben sollten, (da das Programm an gleichen Standards für alle orientiert war), geht es jetzt um Steuerung und Problembearbeitung durch 75 | Vgl. Dangschat 2007, S. 267. 76 | Vgl. Bernt, Matthias/Fritsche, Miriam: »Von Programmen zu Projekten. Die ambivalenten Innovationen des Quartiersmanagements«, in: Greiffenhagen/Neller (Hg.) 2005, S. 202-219, hier S. 208.

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öffentlichkeitswirksame und konfliktarm durchzusetzende Projekte, so lautet schon ein Kritikpunkt von Bernt und Fritsche von 2005. Bei der Umsetzung von QM spielen auf Quartiersentwicklung spezialisierte private Planungsbüros, die im öffentlichen Auftrag eigentlich öffentliche Aufgaben bearbeiten, eine zentrale Rolle. Sie sind privatrechtliche Organisationen, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, woraus sich eine besondere Dynamik aus Abhängigkeiten und Eigenlogiken entwickelt.77 Um sich ihre Finanzierung zu sichern, müssen sie ein gutes und enges Verhältnis zu den jeweils auftragsgebenden Verwaltungen aufbauen. Außerdem müssen die intermediären Träger zur Rechtfertigung ihrer Auftragslage schnell vorzeigbare Erfolge organisieren und bevorzugen deswegen oft konfliktarme, leicht zu realisierende und gut über Öffentlichkeitsarbeit darstellbare Projekte. Gegenüber den Beteiligungsinstrumenten der behutsamen Stadterneuerung, die darunter vor allem Mitsprache und Mitbestimmung verstanden, geht es jetzt um »die Aktivierung von Eigeninitiative, von Selbsthilfepotentialen, die Entwicklung eines gemeinsamen Bewusstseins und die Festigung von nachbarschaftlichen Netzen«.78 Die in den QM-Gebieten oftmals organisierten Planungsworkshops und Zukunftskonferenzen zur Bewohnerbeteiligung sollten Anregungen und Ideen für Projekte für die Integrierten Handlungskonzepte bringen. Im Ergebnis brachten diese Verfahren jedoch kaum Neues. Sie hatten eher empfehlenden Charakter, ja waren eher »Placebos, die dazu dienten, den zumeist schon im Vorfeld abgestimmten Projekten der QM-Teams eine Art Sozialzertifikat auszustellen«.79 Auch bei den Quartiersfonds dominierte oft der professionelle Teil der Jury gegenüber anderen Bewohnern. Die Beteiligungsverfahren »begünstigen solche Projekte, die sich in die Agenda des Quartiersmanagements einpassen lassen, leicht umsetzbar und konfliktarm sind«80 und fördern solche Bewohnergruppen, die aufgrund von Bildung, Kontakten und Verhandlungskompetenzen sich eh besser einbringen können. »Durch die Orientierung am realistisch machbaren werden systematisch konsensfähige und zu bewältigende Probleme von eher niedrigem Konfliktniveau bearbeitet.«81 Die Förderung von Quartiersentwicklung einerseits durch Programme auf Seiten der Verwaltung und andererseits durch Projekte von intermediären Trägern kann auch zu einer 77 | Vgl. auch die Ergebnisse der Forschergruppe um Eick, Volker/Grell, Britta/Mayer, Margit (Hg.): Nonprofitorganisationen und die Transformation lokaler Beschäftigungspolitik, Münster 2004, siehe Kap. 6.5. 78 | So ein Mitarbeiter des Bundesbauministeriums auf einer Konferenz zum QM 2001, zit. n. Bernt/Fritsche 2005, S. 212. 79 | Vgl. ebd., S. 213. 80 | Ebd., S. 214. 81 | Ebd., S. 216.

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Fragmentierung der Stadtentwicklungspolitik führen. Das QM fördere durchaus einen Wechsel des Politikmodus (hin zu Governance), der jedoch aus »einer Verknüpfung der Auslagerung öffentlicher Leistungserbringung mit forcierten Ortsbezug bestehe«.82 Die Weiterentwicklung der Experimente der behutsamen Stadterneuerung passe sich heute in die Ungleichheitslogiken neoliberaler Stadtentwicklungspolitik ein. Das QM könne allenfalls nur für ein begrenztes Gebiet die schlimmsten Folgen der übrigen Politik mildern. Dieses Programm wurde jedoch nach und nach ausgeweitet und modifiziert: Nach einer Evaluation 2004 wurde das Quartiersmanagementverfahren zunächst bis Ende 2006 fortgeführt. Ab 2005 gab es dann beruhend auf dem »Monitoring Soziale Stadt« von 2004 eine strategische Neuausrichtung des QM-Verfahrens und mehr Stadtteile wurden einbezogen. Diese strategische Neuausrichtung wurde bis Ende 2007 umgesetzt und umfasste eine Aufteilung in vier differenzierte Verfahrensansätze, unterschieden nach Gebieten für starke Intervention (für besonders sozial problematische Gebiete), mittlere Intervention, Präventionsgebiete und Gebiete für Verstetigung (dazu zählten die Quartiere Boxhagener Platz und Helmholtzplatz). Im Laufe dieser Fortschreibungen wurde das »Monitoring Soziale Stadtentwicklung« mit geänderten Rahmenbedingungen weiterentwickelt, wobei die Indikatoren angepasst wurden. 2008 wurde das Quartiersverfahren fortgeschrieben und 14 der inzwischen 33 Gebiete einer anderen Kategorie zugeordnet. Die verschiedenen »Fördergebietskulissen« (sic!) wurden in ein einheitliches und methodisch vergleichbares Datenerfassungs- und Monitoringsystem überführt.83 Mit Senatsbeschluss vom 82 | Ebd., S. 216. 83 | Im Rahmen des Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2009 erfolgte die Umstellung der räumlichen Ebene von 338 Verkehrszellen auf 447 Planungsräume, die aufgrund der Festlegung des Senats von »Lebensweltlich orientierten Räumen« (LOR) möglich wurden. Bei den Daten wird seit 2007 zwischen Status-Indikatoren, die die Lage in einem Quartier beschreiben und Dynamik-Indikatoren, die den Wandel der Bevölkerung des Gebietes im abgelaufenen Jahr charakterisieren, unterschieden. Status-Indikatoren sind: Arbeitslose in % der 15-65 jährigen, Arbeitslose unter 25 Jahren, Empfänger von Existenzsicherungsleistungen, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit Migrationshintergrund in % der unter 18 jährigen. Dynamik-Indikatoren sind: Wanderungsvolumen in % der Einwohner, Wanderungssaldo in % der Einwohner, Wanderungssaldo von Kindern unter 6 Jahren, Veränderung des Anteils der Empfänger von Existenzsicherungsleistungen in %-Punkten, sowohl bei deutschen und ausländischen Empfängern und des Anteils der nicht erwerbsfähigen Empfängern von Existenzsicherungsleistungen unter 15 Jahren in %-Punkten (Kinderarmut) Aus den sechs Status-und den sechs Dynamik-Indikatoren wird zunächst jeweils ein Status- und ein Dynamik-Index gebildet. In einem nächsten Schritt wird in einem Verhältnis von 3:2 der Entwicklungsindex gebil-

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Juni 2010 wurden mehrere Gebiete zu übergreifenden Schwerpunktgebieten, zu sogenannten »Aktionsräumen plus« zusammengefasst, um eine Konzentration der Fördermittel zugunsten benachteiligter Stadtteile zu erreichen. Grundlage dafür waren die Ergebnisse des Monitoring Soziale Stadtentwicklung von 2008. Die fünf Schwerpunktgebiete der »Aktionsräume plus« sind: Kreuzberg Nord/Ost, Neukölln-Nord, Wedding-Moabit, Spandau-Mitte und Nord-Marzahn/Nord-Hellersdorf. In den betroffenen Gebieten lebt insgesamt ein Viertel der Berliner Bevölkerung, was noch mal die Virulenz der Problematik sozial ungleicher räumlicher Entwicklung und Verarmung deutlich macht. In den gut zwölf Jahren des Bestehens des Quartiersmanagements und des Programms »Soziale Stadt« in Berlin wurden im Zeitraum 1999-2009 insgesamt 184,6 Mio. Euro Fördermittel bereitgestellt, davon vom Bund: 35,1 Mio. Euro, von der EU: 66 Mio. Euro und vom Land Berlin 83,5 Mio. Euro. Die Landesmittel betrugen für das Jahr 2009 15,4 Mio. Euro und für 2010 noch einmal genauso viel. Für die Programmperiode 2007-2013 des Bund-LänderProgramms »Soziale Stadt« als Programmteil der »Zukunftsinitiative Stadtteil« sind insgesamt 151 Mio. Euro vorgesehen.84 Im neuesten Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2010 wurde festgestellt, dass sich die schon 2008 und 2009 gemessene sozialräumliche Polarisierung auf gleich bleibendem Niveau fortgesetzt hat, gemessen daran, dass sich die statushöchsten Planungsräume noch positiver und die statusniedrigsten Planungsräume weiter negativ entwickelt haben.«Bei Betrachtung des Status/Dynamik-Indexes ist festzustellen, dass Polarisierungstendenzen nach wie vor zu beobachten sind. Diese Entwicklung hat sich nicht umgekehrt, aber auch nicht wesentlich verschärft.«85 Nach dem Status/Dynamik-Index weisen sowohl im Jahr 2008 und 2009 jeweils 20 Planungsräume den Statusindex 4 (höchste Problemdichte) und eine negative Dynamik (Gruppe 4-)auf. Am oberen Ende der sozialen Rangskala setzt sich eine kleine Gruppe von Räumen weiter positiv von den übrigen Gebieten der Stadt ab, am unteren Ende ist dies nur bei einer kleinen Gruppe der Fall. Allerdings befinde sich nur eine sehr geringe Anzahl von Planungsräumen in einer stabilen Abwärtsentwicklung. det. Der Entwicklungs index bildet die soziale Problematik in einem Gebiet ab: je höher der Wert, desto höher die soziale Problematik. Entsprechend der ermittelten Rangfolge werden vier Gruppen von Gebieten gebildet mit: hohem (oberste 20 %), mittleren (60 %), niedrigem (vorletzte 10 %) und sehr niedrigem Entwicklungsindex (letzte 10 %). vgl. DifU: 2.Regionalkonferenz zur Sozialen Stadt: Modellvorhaben und Monitoring, Juni 2010, S. 19/20 und Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2010 Berlin, S. 2-6 und S. 19. 84 | Vgl. www.quartiersmanagement-berlin.de, Download vom 24.1.2011. 85 | Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2010, S. 26.

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In der Gruppe Entwicklungsindex 4 mit dem niedrigsten Entwicklungsindex zeigen sich zwar stabil fallende Werte zwischen 2007 und 2009 bei Arbeitslosigkeit, Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit, aber bei der Kinderarmut bleibt es beim sehr hohen Wert von 71 %, der sogar von 2007 auf 2009 noch von 71,1 % auf 71,3  % zunimmt. D.h. eine Verbesserung auf dem Arbeitsmarkt bedeutet nicht eine Entspannung bei der Kinderarmut (was wiederum dafür spricht, dass der sog. Aufschwung überwiegend auf prekärer Beschäftigung beruht). Folgende Trends der gesamtstädtischen Entwicklung Berlins zeigte der jüngste Monitoring-Bericht auf: Bei den Statusindikatoren hat die Arbeitslosigkeit zwischen 2008 und 2009 wieder zugenommen (+4,7 %), ebenso hat die Jugendarbeitslosigkeit 2009 wieder leicht zugenommen (+3,9 %). Die Zahl der Langzeitarbeitslosen blieb 2009 auf dem Niveau des Vorjahres, der Anteil der Kinderarmut blieb stabil.86 Bei den Dynamikindikatoren hat das Wanderungsvolumen wieder leicht zugenommen, das Wanderungssaldo zeigt einen leichten Zugewinn an Einwohnern. Der Anteil der ausländischen Empfänger von Existenzsicherungsleistungen hat um 1,3 % zugenommen, die Abhängigkeit von Transferleistungen in dieser Gruppe hat also wieder zugenommen.87 Bei den Langzeitarbeitslosen ergaben sich in den Teilgebieten westliche Innenstadt, östliche Innenstadt und östliche Außenstadt leichte Rückgänge, nur in der westlichen Außenstadt gab es einen leichten Anstieg. Der Anteil an Kinderarmut beträgt in der westlichen Innenstadt zu allen Untersuchungszeitpunkten mehr als 50  %.88 Der Anteil an Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren mit Migrationshintergrund an den Einwohnern unter 18 Jahren ist sehr unterschiedlich, im Westen bilden sie inzwischen die Mehrheit und im westlichen innerstädtischen Bereich ist ihr Anteil über der Zwei-Drittel-Marke.89 Wenn man bedenkt, dass der Anteil der ausländischen Transferempfänger in ganz Berlin in den Jahren 2007-2009 jeweils bei 26,2-27,6 % lag (also noch um 1,3 % zugenommen hat, mit deutlichen Unterschieden zwischen westlicher Innenstadt (dort beträgt der Anteil von ausländischen EmpfängerInnen von SGB2 29,5-30,1  %) und östlicher Innenstadt, wo nur ein 13,4-15,6 prozentiger Anteil bestand90), verdeutlicht dies die Herausforderung, die ein hoher Migrantenanteil bei Kindern und Jugendlichen für Schule, Bildung, soziale Integration usw. bedeutet. Bei den Dynamikindikatoren weist allein die östliche Innenstadt Wanderungsverluste aus und es ziehen immer noch mehr Familien mit kleinen Kin86 | Vgl. ebd., S. 7. 87 | Ebd., S. 8. 88 | Ebd., S. 12. 89 | Ebd., S. 12. 90 | Vgl. ebd., S. 17.

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dern aus den innerstädtischen Gebieten weg. Der Anteil an Kinderarmut hat im Ostteil abgenommen und im Westteil zugenommen.91 Bei der stadträumlichen Betrachtung fällt die westliche Innenstadt durch hohe Werte bei den Indikatoren zum Transferbezug auf, selbst jeder fünfte, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht, muss zusätzlich Sozialleistungen beziehen (»Aufstocker«). Bei den Werten zur sozialen Problemdichte zeigt sich kaum ein Rückgang. In der westlichen Innenstadt ist fast jedes zweite Kind von staatlicher Unterstützung abhängig. Hinzu kommt das Problem der Integration von Migranten, von diesen Kindern und Jugendlichen haben 70 % einen Migrationshintergrund.92 Schaut man sich die Entwicklung auf der Ebene der einzelnen Planungsräume an, so ergibt sich folgendes Bild: In der Gruppe mit sehr niedrigem Entwicklungsindex haben 34 Planungsräume keine Veränderung zu verzeichnen und verbleiben in der niedrigsten Gruppe 4, davon liegen 11 im Bezirk Mitte (besonders in Wedding und Moabit), fünf im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und 10 im Bezirk Neukölln (besonders Nord-Neukölln) »Ein Teil dieser 34 Gebiete zeigt neben einer hohen Problemdichte auch eine Dynamik, die keine Verbesserung der Situation erwarten lässt«, insofern gehören sie zu Recht zum Programm »Soziale Stadt«. Sieben Planungsräume sind in den niedrigsten Entwicklungsindex abgestiegen und von Gruppe vier aufgestiegen sind insgesamt nur neun Gebiete.93 Sieben der elf Absteiger weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie vom Großsiedlungsbau der 60er bis 80er Jahre dominiert sind. Bei der Entwicklung der Polarisierung hat sich diese zwar nicht wesentlich verschärft, aber sie ist nach wie vor zu beobachten, gemessen daran, dass sich die statushöchsten Planungsräume noch positiver und die statusniedrigsten Planungsräume weiter negativ entwickelt haben. Im Zeitraum von 2007-2009 ist die Arbeitslosigkeit in den »Aktionsräumen plus« mit einer Abnahme von 8,4 % immerhin stärker zurückgegangen als in Berlin insgesamt (-3,6 %). Der Abstand in Prozentpunkten zur gesamten Stadt hat sich kontinuierlich verringert. Im Durchschnitt der innerstädtischen Aktionsräume liegt die Arbeitslosigkeit um 0,5 % höher als in den am Stadtrand gelegenen. Die Langzeitarbeitslosigkeit ging zwischen 2007 und 2009 in den Aktionsräumen um 22,6 % zurück, liegt aber noch um 1,3 Prozentpunkte über dem Niveau der Gesamtstadt.94 Der Status der »Aufstocker« hat sich nur wenig verändert, in den Aktionsräumen ist dieser Indikator leicht aber kontinuierlich gestiegen. Die Kinderarmut ist im Vergleich von 2008 zu 2009 mit 37,4 % in ganz Berlin auf hohem Niveau stabil geblieben. In den Aktionsräumen ist er insgesamt sehr viel hö91 | Vgl. ebd., S. 14/15. 92 | Ebd., S. 18. 93 | Vgl. ebd., S. 21. 94 | Vgl. ebd., S. 28/29.

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her und hat auch 2009 wieder zugenommen (mit 63,7 % in Wedding/Moabit, 61,4  % in Kreuzberg Nordost und 67,3  % in Neukölln-Nord).95 Auch der Abstand zur übrigen Stadt hat sich kontinuierlich erhöht, »es kann also von einem ungebrochenen Polarisierungsprozess gesprochen werden, dessen Ausmaße allerdings moderat sind«.96 Bezüglich des Wandels in den Schwerpunktgebieten stellen die Autoren jedoch kleine Verbesserungen fest: In Kreuzberg-Nordost gebe es drei Aufsteigergebiete und in Neukölln-Nord zwei Aufsteigergebiete. D.h. die Abwärtsentwicklung in Kreuzberg und in Neukölln habe sich zumindest nicht fortgesetzt. In Wedding-Moabit und Marzahn/Hellersdorf sind die Gebiete aber weiter von Abstiegen geprägt. Die Festlegung der Aktionsräume habe sich bestätigt, denn die Verteilung der 34 Räume die alle den negativsten Entwicklungsindex 4 aufwiesen, zeige wenig Veränderung. Zusammenfassend sagen die Autoren, dass sich bezüglich der Arbeitslosigkeit die Gebiete der Stadt zumindest nicht mehr noch weiter auseinander entwickelt hätten, die Unterschiede aber weiter enorm sind. Die Arbeitslosigkeit in den Gebieten mit Index 4 sei dreimal so hoch wie in Gebieten mit Entwicklungsindex 1. Bezüglich der Menschen mit Migrationshintergrund gebe es eine Differenzierung: »ein hoher Anteil an Bevölkerung mit Migrationshintergrund hängt nicht zwingend mit einer sehr hohen sozialen Problemdichte zusammen«. Anders als in den westlichen und östlichen Außenbezirken Berlins zeige sich in den Gebieten der westlichen Innenstadt, wo sich die Bevölkerung mit Migrationshintergrund konzentriert, jedoch eine Überlagerung von Migrantenstatus und sozialer Problemdichte.97 Die Situation auf dem Arbeitsmarkt habe sich zwar auch in den untersten Gebieten etwas verbessert, aber der Anteil der Kinderarmut sei dennoch gestiegen. D.h. diese beiden Entwicklungen haben sich entkoppelt, wofür auch spricht, dass in diesen Gebieten der Anteil der sog. Aufstocker sehr hoch ist. Dies spricht dafür, dass der leichte Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt mit der Ausbildung eines Niedriglohnsektors einhergeht. So heben die Autoren auch in ihren Empfehlungen hervor, dass neben der hohen Arbeitslosigkeit in Berlin, »die hohe Zahl an Beschäftigten, die nur ein so niedriges Einkommen erzielen, dass sie trotzdem Sozialtransfers beziehen müssen« mit das drängendste Problem sei.98 Auch wenn die Stadtpolitik bei den Arbeitsmarktproblemen nur begrenzten Spielraum habe, sei ein Festhalten an den Programmen der Städtebauförderung und insbesondere des »Soziale Stadt«-Programms sinnvoll und die Bekämpfung von Kinderarmut besonders dringend. 95 | Vgl. ebd., Tab. 21, S. 39. 96 | Ebd., S. 30. 97 | Vgl. ebd., S. 32-34. 98 | Ebd., S. 33-34.

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In einigen wenigen Planungsräumen in Kreuzberg und Nord-Neukölln zeigten sich jedoch immerhin sogar Aufwertungstendenzen99 , die bei anhaltendem Trend eher eine erhaltende Strategie statt eine auf Aufwertung setzende Strategie erforderten, um zu vermeiden, dass Armut lediglich verlagert werde. Trotz solcher positiven Veränderungen an einigen wenigen Stellen habe sich »die räumliche Konzentration von sozialen Problemen anscheinend verfestigt«100, so dass sie empfehlen, die Umsetzung der Sozialraumorientierung zu intensivieren. Diese ausführliche Darstellung nochmals resümierend, lässt sich hervorheben, dass es zwar eine gewisse soziale Stabilisierung in manchen Problemquartieren gegeben hat und sich die Polarisierungstendenzen zumindest nicht noch weiter verschärfen. Aber sie bleiben quasi auf hohem Niveau bestehen. Auch die auf den ersten Blick leichte Verbesserung bei den Arbeitsmarktdaten in den QM-Gebieten täuscht, denn der Abstand zu den ›guten Quartieren‹ bleibt bestehen. Außerdem wird sie offenbar erkauft mit einer Herausbildung eines Niedriglohnsektors und mit prekärer Beschäftigung und einem hohen Maß an Kinderarmut. Beispielhaft soll nun das QM-Gebiet Schillerpromenade als Teil eines solchen Schwerpunktgebiets im Aktionsraum Nord-Neukölln ausführlicher vorgestellt werden, das in den letzten drei Jahren 2007-2009 kontinuierlich im schlechtesten Entwicklungsindex 4 verortet war und anders als andere Gebiete in der Gegend auch keine Aufwärtstendenz aufweist. Ich habe es ausgewählt weil ich zu diesem Gebiet im Kontext eines Praktikums und eines praxisbezogenen Seminars Vorkenntnisse besitze und selber in diesem Quartier wohne.

6.3 D AS QM S CHILLERPROMENADE 6.3.1 Das Gebiet Das QM-Gebiet Schillerpromenade im Norden Neuköllns wird begrenzt von der Flughafenstraße im Norden, der Hermannstraße im Osten, dem südlichen S-Bahn-Ring und dem Tempelhofer Feld (ehemals Flughafen Tempelhof) im Westen. Es gliedert sich in die Teilbereiche Schillerpromenade, das Quartier um 99 | So im Graefekiez, am Oranienplatz und im Wrangelkiez. Letzteres ist die neue hippe Ausgehmeile und in diesem Kiez an der Grenze zu Friedrichshain ist auch das Mediaspreeprojekt verortet (vgl.oben), sowie in Neukölln die Wissmannstr. und der Reuterkiez. Letzterer ist auch ein Schwerpunkt für neue ›szenige‹ Kneipen und Galerien und Teil einer umstrittenen ›Gentrifizierungsdebatte‹ (vgl. Tabelle 22 in ebd. S. 42/43). 100 | Ebd., S. 35.

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den Wartheplatz und die Emser-/Siegfriedstraße, die durch große Friedhofsflächen voneinander getrennt sind. Diese drei Teilgebiete sind fast reine Wohngebiete mit geringem Gewerbeanteil. In dem ca. 100 ha. großen QM-Gebiet leben heute 21.241 Einwohner (Stand: 30.12.2009), darunter auch viele junge Familien unterschiedlichster sozialer und ethnischer Herkunft. Es gibt einen hohen Anteil einer langjährigen ›Stammbevölkerung‹, aber 52 % der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. 37 % der Bewohner mit Migrationshintergrund sind nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. EinwandererInnen aus der Türkei stellen dabei mit 32 % die größte Gruppe dar.101 Neukölln hat ein ausgesprochen negatives Image, insbesondere die Neuköllner Altstadt im Norden des Bezirks gilt nicht nur als Problembezirk, sondern wurde auch schon als »aufgegebenes«, »verslumtes« Gebiet beschrieben.102 Verstärkt wurde dieses Bild durch dramatisierende Medienberichte, in denen es fast nur noch um Schießereien oder um Auseinandersetzungen zwischen Jugendgangs geht, die Arbeitslosigkeit jedoch in den Hintergrund gerät, die 1997 offiziell 21  % im ganzen Bezirk betrug, jedoch im Neuköllner Norden höher liegt.103 In Neukölln war die Sozialstruktur von Beginn an relativ homogen, aber auf Armutsniveau. Allerdings gab es in der Schillerpromenade auch immer wieder Anzeichen für »Aufwertungserscheinungen«.104 Das Gebiet hat eine hohe bauliche Dichte. Die Leerstandquote lag 2009 noch bei fast 11  %. Durch die Öffnung des Tempelhofer Feldes könnte dieser Leerstand zurückgehen und Aufwertungstendenzen sich allmählich verstärken. Das bisher negative Bild wird auch von Teilen der dort wohnenden Bevölkerung geteilt. Der Bezirk stellt für viele eine Durchgangsstation dar, sie sind eher zufällig dort gelandet. Als Gründe werden bei Befragungen die Wohnungsnot und der Zeitdruck, eine Wohnung zu finden genannt, denn Nord-Neukölln sei günstig, wenn man schnell eine Wohnung suche.105 Die Hermannstraße ist die Haupteinkaufsstraße des Kiezes, hier herrscht ein buntes Treiben und die heterogene Zusammensetzung der Bewohner wird deutlich: Es gibt einen hohen Anteil von Migranten, viele alte Menschen, dar101 | »Integriertes Handlungs-und Entwicklungskonzept 2011 des QM Schillerpromenade, Download unter www. quartiersmanagement-schillerpromenade.de, 24.1. 2011. 102 | Vgl. Rada, Uwe: Hauptstadt der Verdrängung, Berlin 1997, S. 127 103 | Vgl. dazu Rada, der das negative Image so auf den Punkt bringt: »Neukölln ist Stigma. Neukölln ist Synonym: für leergetrunkene Bierflaschen […] für fiese Kampfhund-Halter, Spießer und Eckkneipen«. Rada 1997, S. 128. 104 | Vgl. ebd., S. 130. 105 | Vgl. Cohrs, Julia: »Neukölln-(k)ein Stadtteil wie jeder andere«, in: Bezirksamt Neukölln (Hg.): Schillerpromenade 27.12049 Berlin. Ein Haus in Europa, Opladen 1996, S. 147-155, hier S. 147.

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unter auch viele Alteingesessene. In den Seitenstraßen herrscht weniger Trubel, hier sind auffallend viele Trödelläden (für Möbel, Hifi-Anlagen, Hausrat, Schmuck), viele Friseursalons und Tierhandlungen. Typisch ist auch die Vielzahl von Kneipen, an fast allen Straßenkreuzungen gibt es Eckkneipen. Die Dinge des täglichen Bedarfs werden meist im Kiez oder auf der Hermannstraße gekauft, aber größere Anschaffungen besorgt man woanders.106 Auffallend sind auch die vielen Kinderläden und Kitas, aber dennoch gibt es insgesamt einen großen Mangel an Kitaplätzen. Die Schillerpromenade selber ist breiter und heller als die anderen Straßen, in der Mitte gibt es einen Grünstreifen, der von den Kindern gerne zum Spielen benutzt wird. Allerdings ist der Grünstreifen oft verdreckt und auch generell liegt viel Müll und Hundekot auf der Straße, auch Sperrmüll bis hin zu alten Fernsehern und Kühlschränken.107 Hauptproblem sind auch noch nach 10 Jahren des Quartiersmanagements die hohe Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosenquote betrug schon damals, zu Beginn des QM-Programms, ca. 30 % (!), hinzu kamen 14 % Sozialhilfeempfänger.108 Heute beziehen etwa 40  % der Einwohner Transfereinkommen (sind also Arbeitslosengeld II-Empfänger oder erhalten ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt).109 Weitere Probleme waren Vandalismus, Verwahrlosung, Leerstand von Läden, zeitweise Drogenkriminalität (besonders an den U-Bahnhöfen), aber auch sog. »niedrigschwellige Gewalt«, insbesondere unter Kindern und Jugendlichen.110 Bei der Entstehung der großen Altbauten in der Schillerpromenade Anfang des vergangenen Jahrhunderts sollte die Gegend eigentlich ein Gebiet für »bessere Leute« werden. Aber schon 1910 lebten in jeder Wohnung durchschnittlich vier Personen, die ganz überwiegend (zu 90 %) in Ein- bis Zweizimmerwohnungen lebten. In den Hinterhäusern herrschte das Arbeitermilieu vor, in den Vorderhäusern wohnten etwas besser gestellte Bürger. In den 60er Jahren wurde das benachbarte Rollberg-Viertel kahlschlagsaniert, wobei die »Bereinigung« der Sozialstruktur ein Sanierungsziel war.111 Der folgende soziale Wohnungsbau im Nachbargebiet entsprach mit seiner Bewohnerstruktur dann aber auch nicht den Bezirks-wünschen. Belegungsbindungen wurden gelockert und eine Begrenzung des Migrantenzuzugs angeordnet. 106 | Vgl. ebd., S. 148. 107 | Vgl. ebd., S. 152/153. 108 | Vgl. Berliner Zeitung, 13. 10. 2001: »Millionäre im Hinterhof«. 109 | Vgl. www.quartiersmanagement-schillerpromenade.de 110 | Vgl. Tagesspiegel, 18.11.2000: »Drogenhandel vor Schule«. 111 | Vgl. Dyckhoff, Ursula: »Arbeitsgemeinschaft Stadtforschung, Sozialplanung, Mieterberatung (ASM)«, in: Bezirksamt Neukölln (Hg.) 1995, S. 194-206, hier S. 195 und zur Geschichte der Rollbergsiedlung: Tagesspiegel v. 18.9.2011: »Das Wohnungetüm«.

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Im Schillerpromenaden-Gebiet stieg die Einwohnerzahl von 1982 bis 1992 um acht Prozent, wobei der Zuzug von Ausländern, die Mitte der 90er Jahre etwa 30 % ausmachen, dazu beitrug. Viele von ihnen lebten bereits 25-30 Jahre in Deutschland. Aber dennoch bildet insbesondere die türkische Gruppe im Kiez eine Art Parallelgesellschaft mit eigenen Geschäften und Lokalen. Der Kiez ist ansonsten geprägt von Arbeitern und kleinen Angestellten, Selbständigen und Arbeitslosen, aber auch Studierende ziehen vermehrt her. Seit Anfang der 90er Jahre unterliegt der Schillerpromenadenkiez einem drastischen Wandel und ist durch Ausverkauf und Verdrängung geprägt, was folgende Ursachen hat:112 • die Schließung des Flughafens Tempelhof mit der neuen großen Freifläche des Tempelhofer Feldes, die potentiell ganz neue Entwicklungsperspektiven bietet, aber auch langjährige Ungewissheiten über eine mögliche Aufwertung der Wohnstruktur, die die soziale Mischung verändern könnte, • die Überalterung der bisherigen Einzeleigentümerstruktur, • der Dachgeschossausbau, • sinkende öffentliche Mittel zur Modernisierung der alten Wohnungsbestände, • die Aufhebung des faktischen Umwandlungsverbotes für Altbauten, die vor 1918 errichtet wurden. Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken, wurde 1995 ein Bezirksbeschluss für eine bauliche Erhaltungs- und Milieuschutzsatzung getroffen, der aber auf die Mietlimitierung bei Modernisierungsmaßnahmen beschränkt blieb. Faktisch wurden so der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen keine Grenzen gesetzt.113 Durch die Veränderung der Eigentümerstruktur hin zu kommerzielleren Verwertungsformen des Grundbesitzes ist die Motivation zur Inanspruchnahme öffentlicher Mittel mit sozialen Belegungsbedingungen ungünstig, so daß es weiterhin viele ungebremste mietwirksame Modernisierungen gibt.114 Die Arbeitsgemeinschaft Stadtforschung Sozialplanung Mieterberatung (ASM), die von 1989 bis Ende 1995 im Vor-Ort-Büro in der Schillerpromenade 10 eine offene Mieterberatung anbot, hatte folgende Beratungsschwerpunkte: Es ging vor allem um die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, denn durch den neuen Standortvorteil nach der Wiedervereinigung, die zentralere Lage und den erwarteten Boom nach der Hauptstadtentscheidung wurde auch der Schillerpromenadenkiez mit seinem Altbauflair zu einem Schwer112 | Vgl. ebd., S. 196. 113 | Vgl. ebd., S. 197. 114 | Vgl. ebd., S. 197.

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punkt für Spekulation. Lange Zeit waren die Hausbesitzer im Kiez vorwiegend ältere Einzeleigentümer, denen die Beantragung öffentlicher Förderung für umfassende Modernisierungen zu kompliziert war, was die Mieten relativ niedrig hielt.115 Aber dann kauften sich vermehrt anonyme Kapitalgesellschaften und Spekulanten in den Kiez ein, darunter auch Firmen, die der Scientology-Sekte nahe standen. Deren Verdrängungsstrategie war es, Häuser mit erheblichem Instandsetzungsbedarf zu kaufen und die Mieter unter Druck zu setzen, nach der Modernisierung erheblich höhere Mieten zu zahlen, oder die Wohnung überteuert zu kaufen. Ein anderes Phänomen war die Spekulation mit der Wohnungsnot, bei der viele Wohnungen zu gewerblich vermieteten Wohnungen für in Not geratene Wohnungslose wurden, die überteuert vermietet wurden und in die das Sozialamt zeitweise noch Bewohner zuwies.116 Ein weiteres Problem waren generell überhöhte Mieten, denn seit Januar 1995 durften die Mieten in West-Berlin innerhalb von drei Jahren um 30 % steigen, gegenüber jeweils 5 % in den Vorjahren. Danach kam es zu einer Welle drastischer Mieterhöhungen im Kiez, wobei sich fast jede zweite Mieterhöhung als falsch berechnet erwies, sowie zu hohen Neuvermietungszuschlägen.117 Ein weiteres Phänomen waren die Luxusmodernisierungen, oft spekulative Privatmodernisierungen (auch im Zusammenhang mit der Umwandlung in Eigentumswohnungen), bei denen es Schikanen gegen Mieter gab, die sich gegen diese Art der Modernisierung wehrten. Von den Dachgeschoßwohnungen standen 1994/95 etwa ein Drittel als freifinanziert ausgebaute Dachwohnungen leer, weil die hohen Neubaumieten nicht bezahlbar waren. Außerdem nahmen in den letzten Jahren die Kündigungen wegen Mietrückstand enorm zu. Der Wandel im Kiez weist also auch einige Tendenzen zur Gentrifizierung auf, nicht nur zur Verelendung.118

6.3.2 Der Träger des Quartiersmanagements Der Träger des Quartiersmanagements ist die »Brandenburgische Stadterneuerungsgesellschaft mbh« (BSG). Sie ist schon seit 1989 mit einem Vor-OrtBüro vertreten und ist damals auch Sanierungsträger gewesen, verfügt also über Gebietskenntnisse und war als Ansprechpartner bekannt. Die ursprüngliche Aufgabe des Vor-Ort-Büros war es, durch akquirierende Eigentümerberatung die sozialverträgliche Behebung von Wohnungs- und Wohnumfeldmängeln mit öffentlichen Fördermitteln zu unterstützen. Die Einrichtung griff dabei Erfahrungen aus der behutsamen Stadterneuerung auf und war damals modellhaft 115 | Vgl. ebd., S. 199. 116 | Vgl. ebd., S. 201. 117 | Vgl. ebd., S. 202. 118 | Vgl. ebd., S. 206.

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für ganz Westberlin.119 Wegen fehlender Mittel mußte eine Erneuerung der Gebäudesubstanz durch die Eigentümer unter Einsatz öffentlicher Fördermittel erfolgen und nicht durch beauftragte Sanierungsträger, die großflächig Grundstücke zur Sanierung aufkauften. Daher war eine Eigentümerberatung nötig. 1992 wurde der Schillerpromenadenkiez Sanierungsuntersuchungsgebiet und die BSG wurde mit den vorbereitenden Untersuchungen beauftragt. Bei ihrer Eigentümerberatung blieb die Zahl der gestellten Förderanträge durch die Eigentümer aber eher gering, die öffentlichen Förderprogramme wurden nicht akzeptiert. Grund dafür war die Art der Eigentümerstruktur. In den Altstadtquartieren Neuköllns stellen die Privateigentümer mit 70-80 % die größte Eigentümergruppe dar, viele von ihnen haben nur ein Haus, das weitervererbt wurde. Mit ihren begrenzten Mitteln wurden die Häuser leidlich instandgesetzt, aber größere Investitionen unterblieben. Die Förderprogramme des Senats (»Soziale Stadterneuerung«) kamen wegen des relativ guten Erhaltungszustandes einerseits und wegen des Umfangs der langfristigen finanziellen Verpflichtungen kaum in Frage. Das Programm sah einen hohen Eigenkapitalbeitrag der Eigentümer in Höhe von (damals) 1 Mio. DM pro Haus vor und ein anderes Förderprogramm (»Stadtweite Maßnahmen«) das eher für kleinteilige Einzelmaßnahmen vorgesehen ist, wird wegen des hohen bürokratischen Aufwands für geringe Bausummen nicht so stark nachgefragt.120 Die BSG erstellte auch ein Gutachten zur Bestandsaufnahme der städtebaulichen Situation, um die Interessen der Bürger zu erkunden. Der Schwerpunkt der Bürgerinteressen lag danach in den Bereichen Verkehr und Wohnen. Die Untersuchungen der BSG beeinflussten die bezirksweite Diskussion und die Aufstellung einer Erhaltungssatzung mit Milieuschutz im Jahre 1995, allerdings kam es nicht zu einer Ausweisung als Sanierungsgebiet.121 Einige Aktionen zur Förderung der Partizipation waren z.B. die 100-JahrFeier des Schillerpromenadenkiezes 1994, mit einem Kiezfest, einer Säulenausstellung zur Geschichte der Schillerpromenade, einer Pflanzaktion für die Grünanlage und einer Neugestaltung der Spielplätze. In diese Aktivitäten waren verschiedene Initiativen eingebunden: Der Gesprächskreis Hermannstraße (Fachleute und Gewerbetreibende), die Mieterberatung ASM, die Aktion Hermannstraße e.V. (Verein der Gewerbetreibenden), die Genezareth-Kirchengemeinde, die Betroffenenvertretung Schillerpromenade, die BI Flughafen Tempelhof, das Heimatmuseum Neukölln. Das Heimatmuseum Neukölln spielt eine wichtige Rolle im Kiez, denn das Museum versteht sich als eine Schnittstelle zum Gemeinwesen. Im Rahmen 119 | Vgl. Wolter, Ilse/Evertz, Horst: »Stadterneuerung im Kiez-Das Vor-Ort-Büro«, in: Bezirksamt Neukölln (Hg.) 1995, S. 206-217, hier S. 207. 120 | Vgl. ebd., S. 209. 121 | Vgl. ebd., S. 210.

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eines Forschungsprojekts am Fachbereich Ethnologie der Humboldt-Universität wurde der Wandel der Stadtkultur am Beispiel eines Neuköllner Mietshauses, in der Schillerpromenade 27, z.T. in Kooperation mit dem Heimatmuseum untersucht. Die Hausbewohner sollten ihren Alltag im Haus, in der Straße und im Bezirk photographisch festhalten. So wollte man herausfinden, wie die Bewohner ihr Haus und den Kiez wahrnehmen. Außerdem wurden zahlreiche Interviews geführt. Daraus wurde ein Ausstellungs- und Buchprojekt, in welches das Heimatmuseum Neukölln eingebunden war.122 Der zweite Band des Forschungs- und Ausstellungsprojektes thematisierte vergleichend strukturell ähnliche Stadtteile in Amsterdam und Budapest und eben die Schillerpromenade in Neukölln. Das Heimatmuseum Neukölln und seine Mitarbeiter wollten Impulse in den Stadtteil geben und kooperierten mit verschiedenen Orten und Einrichtungen in der Umgebung. Sie sehen sich als nachbarschaftlich orientiertes Museum und ihre Museumsarbeit auch als sozialkulturelle Gemeinwesenarbeit.123 Angesichts des hohen Ausländeranteils in Nord-Neukölln von 25-30 % und wegen der geringen Kontakte zwischen Deutschen und Migranten organisierte das Museum verschiedene Veranstaltungen, um Kontakte herzustellen. So gab es sog. »Berliner Tafelrunden«, die dem Essen und den gastlichen Ritualen verschiedener Kulturen gewidmet waren, z.B. orientalische Nächte, ein Erntedankfest, eine äthiopische Kaffeezeremonie, Erzählcafés und eine Zukunftswerkstatt als Vorbereitung von Nachbarschaftskonferenzen. Auf den insgesamt vier Nachbarschafts-konferenzen ging es um die Themen Stadtraum als Lebensraum für Kinder, Freizeiträume, Wohnalternativen im Alter und anderes. Insofern hat das Heimatmuseum mit seinen Aktivitäten für verschiedene Initiativen im Kiez schon eine gewisse Grundlage und Strukturen geliefert, an die das Quartiersmanagement anknüpfen konnte. Das QM-Büro und die verschiedenen Projekte finanzieren sich aus dem Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt«, es gibt außerdem Mittel aus bezirklichen Beschäftigungs-programmen. Handlungsschwerpunkte sind Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Verbesserung der sozialen Infrastruktur, Stärkung der Nachbarschaft und der Integration, Image-verbesserung, Stärkung der lokalen Wirtschaft, Bewohneraktivierung und Sicherheit im öffentlichen Raum. Diese Inhalte des strategischen Handlungskonzepts wurden auch in sechs öffentlichen Bewohnerversammlungen zur Diskussion gestellt.124 Im Handlungsfeld »Mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt« ist das QM Kooperationspartner verschiedener Projekte im ESF-Bundesprogramm »Soziale 122 | Bezirksamt Neukölln (Hg.): Schillerpromenade 27,12049 Berlin. Ein Haus in Europa, Opladen 1996. 123 | Vgl. Koch, Gerd: »Vier Blicke auf Gemeinwesenarbeit, Museumspädagogik und sozialkulturelle Arbeit«, in: Bezirksamt Neukölln (Hg.) 1996, S. 141-147, hier S. 142. 124 | Vgl. www.quartiersmanagement.de, 24. 1. 2011.

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Stadt – Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier (BIWAQ)«, um die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen zu verbessern. In der aktuellen Förderrunde bestehen drei Projekte: Der Förderverein für arbeitslose Jugendliche Berlin e.V. (fvaj; Schule schafft Perspektive); Tandem: gemeinnützige Beschäftigungs-und Qualifizierungsgesellschaft (Tandem BQGmbH), Zukunft aktiv; (Stadtimpuls Gesellschaft zur Förderung und Ansiedlung sozialer Projekte mbH). Es gibt zwei integrationsfördernde und qualifizierende Kulturprojekte in zwei Neuköllner Quartieren für benachteiligte Jugendliche (»coo-too-coo«). Letzteres Projekt bot Workshops für Jugendliche in den Feldern Streetdance/ Hip-Hop, Schauspiel, Musikproduktion/Veranstaltungsmanagement an. Im Rahmen des Unterprogramms »Stärken vor Ort«, dass sich auf Mikroprojekte bis zu einer Förderhöhe von 10.000 € bezieht, wurde ein Familientreff am Wartheplatz, eine Kochlehrschule für Jugendliche, und ein Wochenmarkt (»Markt der Kulturen«) am Herrfurthplatz gefördert. Im Handlungsfeld »Qualität des Wohn- und Lebensraumes« wurden neben den »Dauerbrennern« Müll und Hundekot Fragen nach der Neu- bzw. Zwischennutzung des Tempelhofer Feldes angegangen. Ein erster Workshop im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens wurde jedoch nicht weiterverfolgt. Ein weiteres Projekt war die Begrünung und Neugestaltung von Innenhöfen im Quartier. Das QM Schillerpromenade hat als besonders sichtbare Aktivität die Neugestaltung und Verschönerung des Grünstreifens in der Mitte der Schillerpromenade in Angriff genommen. Es wurden neue Büsche und Blumenbeete angelegt und der Weg neu verlegt, der heruntergekommen und oft verschmutzt war. Die Renovierung der Promenade ist eines von fast 100 Projekten, die das QM-Team in Gang gebracht hat: Spielplätze wurden renoviert, der Schulhof der Karl-Weise-Grundschule neu gestaltet, Hinterhöfe begrünt und Kiezfeste organisiert.125 Die Verwahrlosung des öffentlichen Raumes und Phänomene wie auftretende Randale zwischen Jugendlichen sind etwas zurückgegangen. Die Sozialarbeiter des Projekts »Outreach« haben seit Mitte 1997 zwei Stadtteilbüros im Kiez eröffnet, in denen Jugendliche ihre Freizeit verbringen können. Seit Oktober 1999 sind sechs ABM-Beschäftigte unterwegs, die Sperrmüll aufräumen, seitdem ist es etwas sauberer geworden.126 Im Bereich »Bewohneradäquate soziale Infrastruktur« wurden Elternprojekte und Elterncafes an der Karl Weise -Grundschule und der Hermann-Sander-Grundschule weiter unterstützt, um die Eltern von verhaltensauffälligen Kindern mit schwierigem sozialem Hintergrund zu erreichen. Weitere Projekte bezogen sich auf Schulhofgestaltung, Hausaufgabenhilfe, Einrichtung einer Küche im Mädchentreff »Schilleria«.

125 | Vgl. Berliner Zeitung, 13.10.2001. 126 | Vgl. Tagesspiegel, 18.1.2000: »Quartiersmanagement hat Erfolg«.

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Das QM-Büro kooperiert unter anderem mit dem Heimatmuseum Neukölln, der Kirchengemeinde am Herrfurthplatz, dem arabischen Verein »Al Huleh« (insbesondere bei ABM- und Qualifizierungsmaßnahmen). Es haben sich allerdings relativ viele kulturelle Aktivitäten entwickelt, insbesondere von der Initiative »KiK- Kultur im Kiez«, die eine Veranstaltungsreihe »Schillernde Donnerstage« in Gang gebracht hat, die ungefähr einmal im Monat stattfindet. Dazu zählen Lesungen, Ausstellungen und kleine Musikveranstaltungen. Die Lesungen und Ausstellungen finden in einem neu eröffneten »Kulturbüro« in der Schillerpromenade statt und präsentieren Schriftsteller und Künstler aus dem Kiez, die daher auch das Leben im Kiez thematisieren. Das Programm für diese Veranstaltungsreihe liegt sogar in verschiedenen Mietshäusern aus. An manchen relevanten Punkten im Kiez sind auch Infotafeln über die Geschichte oder lokale Besonderheiten des jeweiligen Ortes angebracht. Mittlerweile haben sich in der Gegend relativ viele Galerien angesiedelt. Im Handlungsfeld »Bewohneradäquate Stadtteilkultur« liegt der Schwerpunkt seit 2008 in der Vernetzung und Aktivierung der bestehenden Potenziale im Gebiet. Es gründete sich eine AG Kultur als Zusammenschluss aktiver Kunstund Kulturschaffender aus dem Gebiet.

6.3.3 Bürgerbeteiligung und der Quartiersfond Die Schwerpunkte der von der Jury des Fonds finanzierten Projekte liegen in den Bereichen Jugendliche, Kinder und Kultur und Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen. Bei der Vergabe orientierte sich die Jury an den Senatsrichtlinien, allerdings wurden die Projekte vom Quartiersbüro vorsortiert und dann der Jury vorgelegt. Es wurden insgesamt 73 Projekte bewilligt, 24 Projekte wurden abgelehnt. Projektanträge für Kinder und Jugendliche wurden meistens positiv bewertet. Projekte aus dem Quartiersfond waren z.B. solche zur Integration von ausländischen Mitbürgern, Ausstattungen für Kitas, Sportförderung, Spielplatzaufsicht, Video-dokumentationen über den Kiez, ein Kontaktladen für Drogenabhängige und andere. Zur Eindämmung des Drogenhandels an den U-Bahnhöfen wurde inzwischen ein Runder Tisch mit BVG, Polizei und Bezirksamt eingerichtet und eine Kiez-AG erarbeitete Ideen zur Drogen- und Gewaltprävention.127 Auffallend sind die relativ vielen kulturellen Aktivitäten, in diese Rubrik fallen auch einige Anträge, bei denen es den Antragstellern wohl mehr um den Zugriff auf die Finanztöpfe des QM ging. So wollte ein Antragsteller aus herumliegendem Sperrmüll Kunstskulpturen schaffen, ein anderer wollte einen sog. Workshop zur Hofbegrünung anbieten, bei dem 70 % der Arbeitszeit für Vor127 | Vgl. Tagesspiegel, 18.1.2000 und 18.11.2000.

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und Nachbereitung vorgesehen war. Der Antragsteller zur Organisation eines Straßenfrühstücks zur Förderung der Kommunikation im Kiez veranschlagte 70 % der Gesamtkosten von 5000 Euro als eigenes Honorar. Die Einrichtung eines eigenen Internetportals für den Kiez (»Projekt Schillerfenster«) sollte mit damals 330.000 DM zu Buche schlagen, wurde aber von der Jury abgelehnt. Ein aufwendig gestalteter Bildband über »Menschen im Kiez Schillerpromenade« sollte mit 20.000 Euro gefördert werden, wurde aber ebenfalls abgelehnt. So lassen sich einige Beispiele finden, bei denen es wohl mehr um das dreiste Kassieren von Fördergeldern ging, oder deren Nutzen zumindest fraglich war.128 Die Mitglieder der Jury stellten einen Querschnitt durch die Gebietsbevölkerung dar, sowohl altersmäßig wie hinsichtlich des Verhältnisses von Deutschen und Migranten. Es wurden 340 Bewohner angeschrieben, wovon 30-40 Interesse bekundeten, davon wurden dann 11 als Vertreter der Bewohner ausgewählt (plus Stellvertreter), offiziell neun waren als Mitglieder von Vereinen vertreten.129 Besonders die Türken und Araber sind in ihren Vereinen aktiv und sprechen fließend Deutsch, so dass man von 2/3 Vereinsmitgliedern und 1/3 Privatleuten in der Jury ausgehen kann. Bei den ausländischen Vereinen kann man schwer einschätzen, wie viele Leute sie erreichen. Die Jury wurde so von bestimmten Gruppen dominiert, z.B. von der Karl-Weise-Grundschule und von ca. drei Leuten aus dem künstlerisch-intellektuellen Bereich.130 Besonders engagiert ist der Rektor der Karl-Weise-Grundschule, der sich insbesondere um die Integration der mehrheitlich ausländischen Kinder an seiner Schule kümmert. Bezogen auf die Art der Bürgerbeteiligung im QM-Gebiet Schillerpromenade könnte man grob also drei Gruppen von Aktiven unterscheiden: Privatleute, denen es teilweise mehr um das Sitzungsgeld oder eigene Honorare geht, ein Grüppchen von Künstlern und Intellektuellen, die für sich ein Honorar erhalten wollen. Diese treten z.B. durch eher skurrile Anträge hervor, die durch ein Missverhältnis von tatsächlichem Aufwand und eigenen Honorarforderungen, bzw. Nebenkosten gekennzeichnet sind. Schließlich gibt es noch wirklich engagierte Leute, z.B. Grundstückseigentümer, die aber manchmal zu aktionistisch und naiv sind.131 Auch wenn dies zunächst nur ein kleines, eher anekdotisches Beispiel ist, ist es zumindest ein weiteres Indiz für die in manchen Evaluationen und Kritiken des Programms aufgezeigte Tendenz, dass oft nur die ohnehin

128 | Diese Hintergrundinformationen verdanke ich dem Jurymitglied und Vertreter der Aktion Hermannstraße, der auch in einem praxisbezogenen Seminar an der FU im SoSe 2002 war und mir ein Protokoll einer Jurysitzung zur Verfügung stellte, Gespräch mit Jurymitglied, Juni 2002. 129 | Gespräch mit Mitglied des QM-Teams, Juni 2002. 130 | Gespräch mit Jurymitglied und Vertreter der Aktion Hermannstraße, Juni 2002. 131 | Vgl. ebd.

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schon aktive Mittelschicht erreicht wird, statt die anvisierte Zielgruppe der Marginalisierten und Ausgegrenzten. Das QM-Büro hat immerhin einige Projekte neu in Gang gebracht, insbesondere im Kinder-und Jugendbereich, die strukturellen wirtschaftlichen Probleme kann es aber kaum lösen, bei der Förderung der lokalen Wirtschaft gibt es Defizite. Bei der Wohnumfeldverbesserung und im kulturellen Bereich gab es durchaus kleine Erfolge. Die Vernetzung von Initiativen und aktiven Bewohnern wurde verstärkt, aber bei der (Neu-)Aktivierung passiver Menschen jedoch weniger erreicht. Allerdings sei eine gewisse Aufbruchstimmung entstanden. Die Langfristigkeit der Projekte ist teilweise durch die Einbindung von Vereinen gewährleistet, manche Projekte sind aber auch von vornherein kurzfristig angelegt.132

6.4 Z USAMMENFASSUNG DER QM-B EFR AGUNG In diesem Abschnitt sollen nun abschließend einige allgemeine Erfahrungen und Schlußfolgerungen über das Berliner QM-Programm aufgezeigt werden, insbesondere hinsichtlich der Bürgeraktivierung, der geförderten Projekte und der Auswahl der QM-Gebiete. Die Ergebnisse meiner Befragungen und Recherchen in den 17 Berliner Quartiersmanagementgebieten beruhen auf 15 ausführlichen qualitativen Interviews mit den Quartiersmanagern und Recherchen im Internet im Rahmen meines Praktikums im Sommer 2002 und sind recht unterschiedlich ausgefallen. Bei der Auswahl meiner Gesprächspartner konzentrierte ich mich damals auf die für den Quartiersfond zuständigen Mitarbeiter des Quartiersmanagementteams. Daher konnten sie nicht immer ganz so viel zu den anderen Aspekten sagen, so daß der Quartiersfond und die daraus finanzierten Projekte einen Schwerpunkt bilden. Manchmal waren aber auch mehrere Teammitglieder des Quartiersmanagements dabei. Nicht alle Quartiersmanager waren zu einem Gespräch bereit. Dennoch lassen sich einige Tendenzen aufzeigen. Die Träger des QM- Vor-Ort-Büros hatten oft schon Erfahrungen im jeweiligen Quartier und waren manchmal identisch mit dem Sanierungsträger im Gebiet (z.B. bei der S.T.E.R.N. GmbH). Die Finanzierung lief bei allen QM-Büros über das Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt«. Andere Förderprogramme wurden in unterschiedlichem Maße genutzt, meist sind es Programme für Wohnumfeldmaßnahmen (»WUM-Programm«), das Programm »Stadtweite Maßnahmen« oder EU-Programme. Besonders die Nutzung von Beschäftigungs- und ABM-Programmen variierte stark und hing von der Kooperation mit dem jeweiligen Bezirksamt ab. 132 | Gespräch mit Mitglied des QM-Teams, Juni 2002.

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Das Erschließen von privaten Sponsorengeldern war noch unterentwickelt. Die Förderung der Lokalen Ökonomie war zwar ein erklärtes Ziel der Quartiersmanager, aber recht schwierig zu verwirklichen. Bei manchen QM-Büros war jedoch eine Unternehmensberatung ins Team integriert (z.B. beim QM Kottbusser Tor und QM Bülowstraße in Schöneberg). Das Quartiersfondverfahren mit der Bürgerjury stand in fast allen QM-Gebieten kurz vor dem Abschluß oder ist inzwischen schon beendet worden, so dass sich ein erstes Resumee ziehen lässt. Auch der Aktionsfond hat in den meisten Gebieten das Geld verteilt. Aus dem mit anfangs 30.000 DM (15.000 Euro) pro Gebiet ausgestatteten Aktionsfond wurden jeweils eine Vielzahl kleinerer Projekte finanziert (die Höchstsumme pro Antrag betrug 1.500 Euro). Der in jedem QM-Gebiet eingerichtete Quartiersfond hatte jeweils 1 Mio. DM (oder 500.000 Euro) pro Gebiet zur Verfügung. Aus dem Quartiersfond wurden vielfältige Projekte gefördert, die sich schwer kategorisieren lassen, einige Schwerpunkte sind aber doch erkennbar: Ein Schwerpunkt in fast allen Gebieten waren Projekte für Kinder und Jugendliche: sowohl Spielplätze, Ausstattung von Kitas, Jugendtreffs, Freizeiteinrichtungen und Freizeit-aktivitäten, auffallend oft auch Hausaufgabenhilfe, Nachhilfe für Schüler. Dieser Themenkomplex war wohl am schnellsten konsensfähig. Dagegen wollte niemand etwas sagen, wie es die Gesprächspartner manchmal ausdrückten. Ein anderer Schwerpunkt war der Bereich Verbesserung des Wohnumfelds, sowohl aus dem Quartiersfond wie aus WUM-Programmen wurde dafür viel Geld aufgewendet. Auffallend war auch der relativ starke Anteil von Kunst- und Kulturprojekten im Quartiersfond. Dieser Themenbereich war besonders in solchen Gebieten stark vertreten, in denen die sozialen Probleme nicht ganz so akut sind und eher Mittelschicht und studentisches Milieu dominieren, wie in Prenzlauer Berg und am Boxhagener Platz. Einige Anträge waren meist auch für bauliche Maßnahmen vorgesehen, besonders für Kitas und Schulen, aber auch für Spielplätze. Hier schien der Quartiersfond eine Lückenbüßerfunktion für die finanzielle Not der Bezirke zu haben. Bei der Frage der Bürgerbeteiligung muss man die Bürgerjury und die Zusammensetzung der Antragsteller unterscheiden. Das Verfahren, die Quartiersfondjury zur Hälfte per Zufallsprinzip mit Bewohner zu besetzen, hat sich insgesamt bewährt. Dieses Verfahren gewährleistete fast immer eine breite Mischung der Bewohnervertreter, sowohl vom Altersdurchschnitt (vom Jugendlichen bis zu Senioren), als auch bei der sozialen Mischung und beim Verhältnis Deutsche und Migranten. Auch wenn sich natürlich längst nicht alle angeschriebenen Bewohner meldeten, blieben doch immer genug interessierte Bürger übrig, um die Jury angemessen zu besetzen. Manchmal mussten mit komplizierten Verfahren die Juryvertreter ausgelost und bestimmt werden. Die Größe der Jury variierte erheblich, je nach Größe des Gebiets (zwischen 12 und

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54 Mitglieder). Überall war die Verteilung nach dem Schlüssel 51 % Bewohner und 49 % Vertreter von Vereinen geregelt. Bei den Anträgen zum Quartiersfond war bei den Antragstellern eher ein leichtes Übergewicht von Vereinen und schon vorhandenen Initiativen zu konstatieren, während Einzelpersonen eher seltener vertreten waren. Wenn doch waren es oft solche, die auf irgendeine Weise schon aktiv waren. Außerdem schienen die meisten Anträge doch eher von Leuten mit mittlerem Einkommensstand zu kommen, was sich u.a. an dem relativ hohen Anteil an kulturellen und künstlerischen Projektanträgen zeigte. Auch die Antragstellung selbst ist recht kompliziert, bzw. stellte für manche sozial Marginalisierte schon eine Hürde dar, wie auch manche Gesprächspartner betonten. Viele der Armen und Marginalisierten (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende) hätten schon genug zu tun, »ihren Alltag zu bewältigen«, wie es von mehreren Quartiersmanagern formuliert wurde. Die Neuaktivierung gerade der bedürftigsten Bürger schien daher selten zu gelingen. Auch die Integration und Aktivierung von Migranten war mühsam. Zwar waren in der Jury durch das Verfahren Migranten meist anteilsmäßig vertreten, aber es waren oft Mitglieder von Vereinen, die immerhin Deutsch können und schon länger aktiv sind. Man konnte auch schwer sagen, wieviele Leute der jeweilige Verein vertritt und erreicht. Die Zusammenarbeit des Quartiersmanagements mit vorhandenen Initiativen war unterschiedlich, oft war es positiv, an vorhandene Strukturen anknüpfen zu können (wenn es sie denn gab). In manchen Gebieten gab es jedoch vorher kaum eine Trägerstruktur (Sparrplatz, Beusselstraße, Sonnenallee). Manchmal gab es von vorhandenen Initiativen aber auch Widerstand gegen die Einrichtung des QM, weil die Quartiersmanager als Fremdkörper empfunden wurden, oder weil eine finanzielle Benachteiligung alteingesessener Initiativen gesehen wurde, oder weil die Bewohner durch die Einrichtung des Quartiersmanagements ihren Kiez als sozialen Brennpunkt stigmatisiert sahen (so am Boxhagener Platz und am Helmholtzplatz, die heute keine QM-Gebiete mehr sind). Die Langfristigkeit der finanzierten Projekte steht und fällt meist mit der Weiterführung der finanziellen Unterstützung. Einige Projekte, besonders im investiven Bereich oder beim Wohnumfeld, haben sicher dauerhaft positive Effekte. Auch wenn sich über die längerfristigen positiven Auswirkungen aufgrund der schmalen empirischen Basis wenig sagen lässt, kann man bei Investitionen in die Bausubstanz und die Verbesserung der Wohnqualität wie bei der Sanierung von Wohnungen eher von positiven Effekten ausgehen, als bei sehr kurzfristigen Projekten z.B. im kulturellen Bereich, die nach kurzer Zeit auslaufen. Ansonsten wurde eigentlich von allen Quartiersmanagern die Notwendigkeit einer langfristigen Unterstützung betont, andernfalls würden die angelaufenen Projekte und Initiativen schnell zusammenbrechen. Bei einigen

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Projekten lassen sich die langfristigen Effekte schwerer voraussagen, so im Bereich Integration und Kommunikation im Kiez. Dabei haben einige kurzfristige Projekte (Ferienfahrten für Kinder, Gesprächskreise) sicher indirekt einen positiven Effekt auf das Zusammenleben im Quartier. Die Grenzen der einzelnen QM-Gebiete haben sich meist bewährt, oft folgen sie den Quartiersgrenzen oder konzentrieren sich auf einen sozialen Brennpunkt. Auch bei kleineren Gebieten wurde die Überschaubarkeit gelobt. Bei einigen wenigen Gebieten scheint die Grenzziehung etwas willkürlich gewählt, insbesondere beim Gebiet Reinickendorfer Straße/Pankstraße im Wedding. Das Gebiet um das Kottbusser Tor ist wiederum ungewöhnlich klein, allerdings ist es auch ein besonderer sozialer Brennpunkt. Die Berechtigung der Auswahl der Gebiete wurde als etwas widersprüchlich betrachtet. Absolute soziale Brennpunkte und Krisengebiete wie in Kreuzberg, Wedding, Schöneberg und teilweise Neukölln stehen neben Gebieten im Prenzlauer Berg und Friedrichshain, die eher als Szeneviertel für Studierende und für Kunst und Kultur bekannt sind, oder sich allmählich zu solchen zu entwickeln scheinen, wie der Reuterkiez in Nord-Neukölln. Zumindest beim Gebiet im Prenzlauer Berg und am Boxhagener Platz konnte man die akute Notwendigkeit eines QM bezweifeln, da sich hier das Programm eher an aufstrebende Mittelschichtler und Kultur- und Kunstinteressierte richtete und indirekt Aufwertungs- und Gentrifizierungstendenzen gefördert werden. Andererseits kann die Förderung von Mittelschichten auch der Stabilisierung von Gebieten dienen und hat vielleicht positive Effekte auf umliegende Gebiete, zumal der Aktivierungsgrad und die Bürgerbeteiligung ausgerechnet in den Gebieten Boxhagener Platz und Helmholtzplatz besonders hoch ist. Querverbindungen zu anderen Förderprogrammen sind in den Gebieten unterschiedlich stark ausgeprägt. Am häufigsten waren noch (inzwischen ausgelaufene) Programme wie »WUM«-Programme (Wohnumfeldmaßnahmen) und »Stadtweite Maßnahmen« einbezogen. Mühsamer war schon die Nutzung von Beschäftigungsförderungsprogrammen. Dabei hing viel von der Kooperation mit dem jeweiligen Bezirksamt und der Arbeitsagentur und von einzelnen Personen ab. Kleine Erfolge gab es am ehesten dort, wo ein Beschäftigungsträger (oder jemand der mit ABM-Maßnahmen Erfahrung hatte), ins QM-Team integriert war, bzw. das QM-Team interdisziplinär besetzt war. Die Kooperation mit dem Bezirksamt war unterschiedlich, aber nach Anfangsschwierigkeiten bei den meisten doch ganz gut. Hinsichtlich der Zukunft des QM-Programms und der jeweiligen Gebiete hoben alle Gesprächspartner die Notwendigkeit einer langfristigen Förderung hervor. Bei einer Beendigung des QM-Programms würden die ersten Erfolge und die allmähliche Stabilisierung sofort wieder in Frage gestellt und die entstandenen Strukturen wieder wegbrechen. Es sei ein langer Atem nötig und

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langfristig stabilisierende Effekte ließen sich frühestens nach fünf bis zehn Jahren erreichen, das zeigten auch internationale Erfahrungen.

6.5 R EGIERUNG VON LOK ALEN R ÄUMEN Z WISCHEN S ICHERHEITSPOLITIK UND E MPOWERMENT 6.5.1 Das Quartiersmanagement als Regierungsrationalität Nach diesem eher deskriptiven Überblick über den Stand des »Soziale Stadt«Programms und dem konkreten Beispiel sollen jetzt die verschiedenen Rationalitäten und Logiken des Programms im Spannungsfeld zwischen einer einerseits eher sozialdemokratischen und kommunitaristischen Traditionslinie und einer aktivierenden oder einseitig auf sicherheits-und kriminalpolitische Aspekte setzenden Transformation des Programms analysiert werden. Dabei geht es nicht nur um das Quartiersmanagement im engeren Sinne, weil dies wie beschrieben eine stark wohnungspolitische und städtebauliche Komponente hat, sondern auch um die verschiedenen Nonprofit- und Dritt-Sektor-Organisationen, die Träger von lokalen Angeboten in der Beschäftigungsund Sozialpolitik. Neben der Anwendung der drei Regierungsrationalitäten bei Foucault auf das Feld der lokalen Arbeits- und Sozialpolitik ist hier auch an seine Definition von Gouvernementalität im engeren Sinne zu erinnern und was sie darauf übertragen konkret bedeuten könnte. Gouvernementalität meinte bei Foucault wie dargestellt133 »die aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische wenn auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat«.134

Wie hat man sich das konkret ›übersetzt‹ auf die Ebene des Politikfeldes lokale Arbeits- und Sozialpolitik vorzustellen? Das Bundesprogramm »Soziale Stadt« hat als Zielgruppe die lokale Bevölkerung der jeweiligen Gebiete. Zur Auswahl der Gebiete und zur Problembeschreibung als sozialer Brennpunkt gehören eine Vielzahl von Analysen und Reflexionen in Form von Sozialraumanalysen, Evaluationsberichten und Vorannahmen über die Effekte von Segregation und die Folgen der Konzentration von ›problematischen‹ Bevölkerungsgruppen. Die 133 | Vgl. Kap. 3.2.1., S. 55. 134 | Foucault 2004a, S. 162.

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mit der Evaluation und Begleitforschung beauftragten Institute wie das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), die Bezirksämter und Verwaltungsapparate bilden die Institutionen, die mit statistischen Erhebungen und Berechnungen die QM-Gebiete auswählen und dabei an einem statistischen Durchschnitt messen. Diese Verwaltungsapparate und ihre beauftragten lokalen Träger üben dabei durchaus eine Form von Macht gegenüber der lokalen Bevölkerung aus. Als Wissensform tragen dazu z.B. die Stadtsoziologie und die Statistik als Teil der modernen Humanwissenschaften bei. Als technisches Instrument dienen dabei eher die Sicherheitsdispositive, denn sie normieren nicht mehr direkt, sondern ein bestimmter Mittelwert an sozialer Segregation soll in diesen Gebieten nicht überschritten werden. Dies entspricht der Logik der Sicherheitsdispositive. Auch an die Rolle der Taktiken und des taktischen Einsatzes von juridischen Instrumenten bei Foucault kann hier erinnert werden. Die lokale Macht agiert teils nur noch taktisch, sie greift bestimmte, als Brennpunkte problematisierte Räume heraus und kann oder will aber nicht mehr den gesamten Raum einer Stadt homogen regieren. Die Konzentration der Mittel auf die sog. Aktionsräume ist ein Beispiel für einen solchen taktischen Einsatz. Es muss taktisch, zügig, selektiv und gut sichtbar Aktivität gegen Ausgrenzungsprozesse demonstriert werden. Die Quartiersmanager müssen einen Schwerpunkt auf bestimmte leicht durchsetzbare und gut vermarktbare Projekte legen, um in der nächsten Runde weiter Fördergelder zu bekommen, d.h. sie müssen quasi einen taktischen Umgang mit den verschiedenen Fördertöpfen pflegen. Auch die Sicherheit und juridische Mittel werden teils taktisch eingesetzt, wenn z.B. bestimmte Räume und Plätze als ›gefährliche Orte‹ definiert werden und sich polizeiliche Maßnahmen auf sie konzentrieren oder wenn in solchen Brennpunktgebieten verstärkt private Sicherheitsdienste patrouillieren. Wenn bestimmte Phänomene medial verstärkte Aufmerksamkeit erlangen und besonders problematisiert werden (Trinkergruppen auf öffentlichen Plätzen, die ›Roma-Problematik‹ in Neukölln) wird darauf z.B. mit selektiver Aktivität, eben taktisch, mit einer Taskforce reagiert. Oder es muss abgewogen werden, ob die knappen Personalressourcen verstärkt der Bekämpfung von Autobrandstiftungen oder der Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr gewidmet werden. Für eine gleichmäßige Verteilung der Personal- und Sachmittel für die Erbringung öffentlicher Sicherheit und Ordnung und für die Herstellung sozialen Ausgleichs im gesamten Raum sind aber im Rahmen eines neoliberal geschrumpften, teils privatisierten, teils auf Kernaufgaben reduzierten lokalen Staates einerseits immer weniger Ressourcen vorhanden, bzw. ist andererseits eine solche homogene Verteilung nicht mehr gewollt. Ein solcher taktischer Einsatz von Ressourcen ist also einerseits Resultat einer politisch gewollten Strategie, teils aber den Sachzwängen und den beschränkten Handlungsmöglichkeiten eines lokalen Sozialstaates und seiner Apparate geschuldet.

6. Die Regierung von lokalen Räumen

Der um das Bundesprogramm und flankierende Förderprogramme gebildete Komplex aus (Forschungs-)Instituten, Evalationsagenturen, lokalen Behörden, lokalen Trägern und kleinen Projekten in seiner Gesamtheit, der sich um die lokale Bevölkerung kümmert, kann somit als ein lokales sozial-, arbeits- und sicherheitspolitisches Dispositiv gesehen werden, als Instrumentarium und Arrangement zur Steuerung und Regierung von lokaler Bevölkerung und damit als Teil einer biopolitischen Gouvernementalität. Dies ist nicht unbedingt negativ im Sinne eines nur disziplinierenden oder repressiven Zugriffs auf Bevölkerung gemeint, sondern ein Teil der veränderten Regierungsweise des Lokalen. An dieser Stelle sei auch an eine politische Technologie im Rahmen einer liberalen Gouvernementalität erinnert, die für die Definition der QM-Gebiete zentral war: die Statistik als eine Methode, die im Sinne einer Foucaultschen Machtanalytik als politische Technologie einer ›Normalisierungsgesellschaft‹ wirkt. Für die Problembeschreibung der Gebiete ist die statistische Erfassung der Bevölkerung notwendig, die lange Zeit an einem Normalmaß hinsichtlich der sozialen Mischung und des Migrantenanteils, einem Durchschnittswert gemessen wurde: Wenn jedoch ein bestimmter Anteil an Ausländern, bzw. Migranten, oder an Arbeitslosen in einem Gebiet überschritten wird, galt oder gilt dies in den Diskursen über Probleme der sozialen Stadtentwicklung oft per se als problematisch. So finden sich bei der Problembeschreibung über die Gebiete der »Sozialen Stadt« Befürchtungen wie die, dass Gebiete »abstürzen« oder »zu kippen drohen«, oder »die soziale Mischung nicht mehr stimme«. Man orientiert sich also an einem Gleichgewicht, das aus der Balance zu geraten drohe, oder einem am statistischen Durchschnitt gemessenen Mittelwert, der nicht verfehlt werden dürfe. Dies zeigt sich unter anderem an der oben dargestellten Diskussion um die Bedeutung von Wanderungsbewegungen, die je nach Blickwinkel positiv oder negativ interpretiert werden können. Mit diesen Einwänden soll nicht bestritten werden, dass ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit in einem Gebiet tatsächlich ein Problem darstellt, oder dass ein hoher Migrantenanteil ein Problem sein kann, weil Migranten meist sozial schwächer gestellt sind, über weniger Einkommen verfügen, ihre Kinder oft besonderer Förderung in der Schule bedürfen und daher ein hoher Migrantenanteil an Schulen eine Herausforderung darstellt. Diese hinter den reinen Zahlen stehenden sozialen Probleme werden jedoch vernachlässigt oder ›entnannt‹, wenn allein ein statistischer Wert Alarm auslöst oder für die Kennzeichnung eines Gebiets als Ghetto herangezogen wird. So kann die Etikettierung eines Gebiets als QM-Gebiet und damit als sozialer Brennpunkt durchaus stigmatisierenden Charakter haben, weil zunächst benachteiligende Quartiere benannt werden müssen. Am Beispiel von französischen Banlieues zeigt Tissot, wie in der Verbindung von Exklusion und Problemquartier ein aktives diskursives Feld, ein Dispositiv entsteht, was neues staatliches und zivilgesellschaftliches Handeln generiert und Strategien der

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Verantwortlichmachung auf der Ebene des Quartiers und der Aktivierung der Individuen enthält. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das deutsche QM-Programm.135 In der Beschreibung von Verwahrlosung und heruntergekommenen, verdreckten öffentlichen Räumen findet sich oft eine Verkopplung mit Phänomenen von Armut und hohem Ausländeranteil, was als bedrohliche Ballung von Problemgruppen dargestellt wird. Darin könnte man beinah eine Wiederkehr des Topos der sog. ›gefährlichen Klassen‹ aus dem 19. Jahrhundert sehen, wie damals die Armen im öffentlichen herrschenden Diskurs oft tituliert wurden Als Schreckgespenst werden Tendenzen zur Ghettoisierung ganzer Stadtteile an die Wand gemalt und implizit ein Leitbild europäischer Stadt (das durch die Merkmale soziale Homogenität und Mittelschichtsorientiertierung geprägt sei und eine Mischung von Arbeiten, Wohnen und Leben im Zentrum ermögliche) gegen eine drohende Amerikanisierung, Ghettoisierung und Verslumung ins Feld geführt. Dieses Leitbild der europäischen Stadt findet sich implizit z.B. im nach der Wende erstellten stadtplanerischen ›Masterplan‹ für Berlin, dem Planwerk Innenstadt von 1997. Dieses sah eine baulich verdichtete, sozial gemischte Stadt, die die Einheit von Einkaufen, Leben und Arbeiten in der Innenstadt möglich macht vor.136 Dieses Leitbild war gegenüber einer ungeplanten, ganz dem Zufall überlassenen Entwicklung sicher ein Fortschritt. Ein Vorläufer des Programms »Soziale Stadt« waren Anfang der 90er Jahre (1993) ein Städtebauprogramm in NRW und in den 80er Jahren ähnliche Programme in verschiedenen europäischen Ländern. Nachdem der erste kurze Wiedervereinigungsboom nach der Wende zu Ende ging und sich die Träume von der Wiedergeburt Berlins als europäische Metropole oder gar als eine »Global City« nicht so schnell erfüllten, kehrte im stadtpolitischen Diskurs Berlins zunächst Ernüchterung ein. Ab Mitte der 90er Jahre wurden Tendenzen zur sozialen Polarisierung und städtischen Armut verstärkt Thema. 1997/98 wurde dann sogar über städtische Ghettos diskutiert. Insbesondere Neukölln wurde durch einen reißerischen SPIEGEL-Artikel zum angeblichen »Ghetto Neukölln« ein Schwerpunkt dieser Diskussion. In diesem Klima wurde dann das Gutachten zur »Sozialorientierten Stadtentwicklung« (das sog. Häußermann135 | Vgl. Bareis, Ellen/Bojadzijev, Manuela: »Jenseits von Forderungen und Organisierung-Revolten in den französischen Vorstädten«, in: Das Argument 289, H.6 (2010), S. 839-849, hier S. 844. 136 | Weitere Merkmale waren die Orientierung an der Berliner Traufhöhe (22 Meter) und die teils am mittelalterlichen Stadtgrundriss orientierte, geplante bauliche Verdichtung in Berlin-Mitte, die sich damit implizit auch gegen die DDR-Moderne richtete. Eine ausführliche Darstellung des Berliner Architekturstreits nach der Wende kann hier jedoch nicht geleistet werden, auch wenn dessen ›Genealogie‹ als historischer Vorläufer ein ergiebiges Thema wäre.

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Gutachten) zum Kristallisationspunkt und Auslöser für die Einrichtung des QM-Programms in Berlin. Zusätzlich sorgte die durch den Berliner Bankenskandal verschärfte finanzielle Misere für Ernüchterung. Eine Tradition, an die das Programm anknüpfen konnte, war das Leitbild der ›Behutsamen Stadterneuerung‹, das in den 80er Jahren - z.T. erkämpft durch verschiedene soziale Bewegungen wie insbesondere die Hausbesetzerbewegung - eine radikale Kahlschlagsanierung innerstädtischer Altbauquartiere verhindert hatte. In der Begrifflichkeit und den Leitbildern des Programms finden sich auch viele Indizien, die für eine veränderte Weise des Regierens im Sinne des Governance-Ansatzes und eine veränderte Adressierung der Bewohner sprechen: Konzepte und Schlagworte, die immer wieder auftauchen, sind »Integration«, sowohl von Bewohnern, wie von verschiedenen Ressorts, »fächerübergreifendes«, »ressortübergreifendes Konzept«, »integriertes Handlungskonzept«, »integrierte Quartiersentwicklung«, Förderung von »Netzwerken« usw.137 D.h. ein hierarchisches, segmentiertes Verständnis von Regieren soll zugunsten eines ressortübergreifenden Regierens abgelöst werden. Der Begriff Integration bezieht sich sowohl auf die soziale Integration von Bewohnern in ein Quartier oder in den Arbeitsmarkt, wie auch auf die »Integration« von Handlungsansätzen, von Ressorts, von fachspezifischen Sichtweisen zugunsten einer einheitlichen, integrierten Perspektive. D.h. darin mischen sich traditionell sozialdemokratisch-wohlfahrtsstaatlich orientierte Traditionen mit neuen integrierten, kooperativen Governance-Formen. Die Bewohner sollen aktiviert werden und mit Empowerment-Ansätzen aus Resignation und Arbeitslosigkeit herausgeholt werden. D.h. auch bei der Ansprache der Bewohner mischt sich eine sozialpädagogisch-gemeinwohlorientierte Tradition mit neuen Governance-Formen. In der Orientierung an Modellvorhaben und ›best practice‹-Beispielen liegt wiederum eine Verbindung zum Diskurs über Verwaltungsreform und New Public-Management. In der Betonung der Notwendigkeit von Monitoring und Evaluierung findet sich die oben angesprochene politische Technologie der Statistik wieder, die möglichst einen umfassenden Überblick über die zu regierende Bevölkerung braucht und umfassendes Wissen anstrebt, um die Entwicklung in einem Quartier, einem Stadtgebiet bewerten zu können. Dabei bleiben al-

137 | Vgl. z.B. die programmatischen Evaluationsberichte in: Difu 2002, Difu 2006, Difu 2008a und 2008b, Schaderstiftung (Hg.): Politische Steuerung der Stadtentwicklung, Darmstadt 2001 und zu ersten Zwischenbilanzen des Programms die Aufsätze in Greiffenhagen/Neller 2004, Walther, Uwe-Jens/Mensch, Kirsten (Hg.): Armut und Ausgrenzung in der ›Sozialen Stadt‹, Darmstadt 2004 und abschliessend: Hanesch 2011.

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lerdings die tatsächlichen Evaluationsberichte hinter der programmatisch geforderten Evaluierung zurück.138 Viele Elemente des Programms entstammen eher einer kommunitaristischen Tradition, wie das Konzept des Sozialkapitals oder kommunale Sozial -und Gemeinwesenarbeit (GWA), die aus den Neuen Sozialen Bewegungen der 70er Jahre entstanden. Diese Sozialkapital- und GWA-Ansätze werden jedoch auf spezifische Weise integriert und instrumentalisiert, so dass man beinahe von einem ›autoritären Neo-Kommunitarismus‹ sprechen könnte: So wenn das Sozialkapital nur zur besseren ›Regierbarkeit‹ der lokalen Community benutzt wird und eine Integration über den lokalen Raum hinaus tendenziell gar nicht mehr angestrebt wird, oder wenn sog. ›Neighborhood Watch‹-Programme wie ›wachsame Nachbarn‹, in Verbindung mit privaten Wachdiensten zur Regulierung und Kontrolle lokaler Räume benutzt werden.139 So zeigt Stövesand in einer Untersuchung von lokaler Gemeinwesenarbeit, wie selbst traditionell emanzipatorisch-kritisch besetzte Begriffe von neoliberalen Regierungsprogrammen ›entwendet‹ und instrumentalisiert werden und die Gemeinwesenarbeit so für die lokale ökonomische Regierung und Regulierung von sozialen Randgruppen eingemeindet wird. Das soziale und territoriale Gemeinwesen werde zwar als Ressource zur Lebensbewältigung neu entdeckt und ursprünglich aus einer emanzipatorischen Tradition kommende Prinzipien und Programmansätze wie Empowerment, Eigenverantwortung, Vernetzung, Aktivierung werden scheinbar verallgemeinert aber spezifisch gewendet.140 Bröckling zeigt wiederum in einem Beitrag zum Stichwort Empowerment, wie sich der Begriff aus seinen emanzipatorischen Ursprüngen in den verschiedenen neuen sozialen Bewegungen und dem Ursprung aus der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA immer mehr entfernt und für gegensätzliche politische Intentionen anschlussfähig wird, in immer mehr Gesellschaftsbereiche diffundiert und vor allem für unternehmerisches Management instrumentali-

138 | Zitat: »Wahrend für viele Programmgebiete mittlerweile Evaluationen erstellt sind, finden Monitoring systeme vergleichsweise geringe Verbreitung«, Statusbericht 2008 (DifU 2008a), S. 6 oder: »Monitoringsysteme und Evaluationen […] sind Voraussetzungen für die […] nötigen Wirkungs- und Qualitätskontrollen. Da beides in den Programmgebieten bislang einen eher geringen Verbreitungsgrad hat, sollten Bund und Länder stärkere Anreize für Entwicklung und Einsatz beider Instrumentarien schaffen«, ebd., S. 11. 139 | Vgl. zum Entstehen einer neuen lokalen kriminalpolitischen ›culture of control‹ Garland, David: The Culture of Control, Oxford 2001 (Orig)/deutsch: Die Kultur der Kontrolle, Frankfurt/M, New York 2008. 140 | Vgl. Stövesand 2007, S. 280.

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siert wird und wie mit dem Begriff Machtungleichgewichte teils auf subjektive Defizite, die bearbeitbar sind, reduziert werden.141 Damit soll keineswegs bestritten werden, dass Empowerment in einem sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Kontext, verstanden als Befähigung zu eigenständigem Handeln und Aktivität und zur Überwindung von Resignation und Passivität von Individuen in vieler Hinsicht positive und emanzipative Wirkung haben kann. Hier geht es jedoch um eine spezifische Wendung und Instrumentalisierung solcher Begriffe im Kontext von Sozialstaatsumbau.142 Selbst der Ausdruck GWA (der sonst für Gemeinwesenarbeit steht) wird von Arbeitsagenturen synonym für Gemeinwohlarbeit benutzt und auf gemeinnützige öffentliche Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Hartz- IV bezogen. Partizipation und Repression gehen tendenziell Hand in Hand. Gerade von den Bewohnern benachteiligter Quartiere wird erwartet, dass sie selber zur Veränderung ihrer Situation beitragen. Ihr Engagement im Gemeinwesen geht jedoch oft einher mit dem Abbau öffentlicher Leistungen. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel von der »aktiven Sozialstaatsentwicklung hin zur aktivierenden Sozialraumorientierung ab«143 und Gerechtigkeitsstandards werden durch partikularistische Formen der Gemeinschaftssolidarität ersetzt. Es wird der Eindruck erweckt, man könne sich überall einbringen, ob nun in einer lokalen Bürgerinitiative oder einer Gruppe sog. wachsamer Nachbarn, die im Stadtteil patrouillieren und so die Polizei entlasten. Das scheinbar großzügige Angebot, sich aktiv einzubringen, kann auch nicht so ohne weiteres abgelehnt werden. Eine Symmetrie von Rechten und Pflichten tritt zunehmend an die Stelle des Prinzips, das jeder Mensch voraussetzungslos Träger von Rechten ist.144 Die Rolle nicht-staatlicher sozialer Akteure wird dabei aufgewertet und der Staat regiert mehr aus der Distanz. Beschäftigungsmaßnahmen von Non-Profit-Trägern auf dem Zweiten Arbeitsmarkt müssen Kriterien wie Gemeinnützigkeit und Zusätzlichkeit erfüllen, wodurch erst neue Aufgabenbereiche gefunden werden müssen. Es entstehen quasi kommunale Hilfsdienste, wobei mit Instrumenten der aktivieren141 | Vgl. Bröckling, Ulrich: »Empowerment«, in: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas: Glossar der Gegenwart, Frankfurt/M 2004, S. 55-63. 142 | Vgl. zu den Ambivalenzen von Empowermentprogrammen die Analyse zum ›Self esteem‹-Programm der Regierung von Kalifornien, das beansprucht, benachteiligte soziale Gruppen durch verordnete Trainingsrituale zur Stärkung ihrer Selbstachtung verhelfen zu wollen, ein Konzept, das sich aber als Konstrukt einer einflußreichen wissenschaftlichen und politischen Interessengruppe erweist, mit dem soziale und ökonomische Ursachen für Benachteiligung in individuelle Verantwortungsdefizite umgedeutet werden, vgl. Cruikshank, Barbara: The Will to Empower, London 1996. 143 | Vgl. Stövesand 2007, S. 280. 144 | Vgl. ebd., S. 279.

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den Beschäftigungspolitik Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger im Auftrag der Kommunen zu Sicherheits- und Ordnungsdienstleistungen herangezogen werden. Die Verknüpfung von Beschäftigungs- und Sicherheitspolitik zeigt sich auch in Kommunalen Präventions- Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, in deren Rahmen zivil-gesellschaftliche Akteure eingebunden werden und Sicherheitsdienste geschaffen werden. Dies liegt im allgemeinen Trend einer Reorganisation innerer Sicherheit, die auf kleinräumige lokale Orientierung und Privatisierung staatlicher Aufgaben setzt. So werden z.B. polizeiliche Sondereinsatzgruppen für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder spezifische städtische Räume und Kriminalitätsschwerpunkte geschaffen. Das Konzept der ›Gefährlichen Orte‹ an denen verdachtsunabhängige Personenkontrollen möglich sind oder verstärkt kontrolliert wird, gehört ebenfalls in diese Reihe. Dies kann als Teil einer Re-Kommunalisierung und Privatisierung der Sicherheitsaufgaben gedeutet werden, bei der einst zentralisierte Aufgaben an freie Träger und private Anbieter delegiert werden. Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik wird programmatisch verstärkt sozialräumlich orientiert und lokalen Ansätzen verpflichtet. Auf der lokalen Ebene bilden sich neue Kooperations-formen und Handlungsansätze in der Sozialhilfe und der Arbeitsmarktpolitik, in die auch privatwirtschaftliche Anbieter einbezogen werden. Dadurch wandeln sich allmählich auch die Vorstellungen über die Rolle des Dritten Sektors und der Non-Profit-Träger und deren Aufgaben. Diesen Freien Trägern kommt in der Sozialpolitik und Beschäftigungspolitik eine ambivalente Rolle zu. Sie werden in neue Netzwerke und Kooperationsformen eingebunden. In dem Maße wie staatliche Sozialleistungen mit stärkerer Arbeitsverpflichtung im Sinne von neoliberalen ›Workfare‹-Regimen verbunden werden, geraten die Freien Träger in die zwiespältige Situation, neue Ausgrenzungsprozesse mittragen zu müssen. Im Bund-Länder-Programm »Soziale Stadt« wurde Sicherheit zunehmend ein neues Themenfeld, während anfangs eher investiv-bauliche Maßnahmen dominierten.145 Das Beispiel des Programms zeigt auch, dass der Lokalstaat durchaus Handlungsspielräume in der aktiven Arbeitsmarktpolitik hat. Diese lokalstaatlichen Aktivitäten sind auch als Reaktion auf neoliberale Globalisierungsprozesse deutbar, weil der Neoliberalismus der Abfederung auf lokaler Ebene bedarf, sei es durch unterschiedliche Aktivitäten wie das Outsourcing von Tätigkeitsfeldern aus der Verwaltung, oder die Schaffung intermediärer privatwirtschaftlicher Agenturen. Der lokale Staat und intermediäre Agenturen sind auch trei-

145 | Vgl. Eick, Volker: »Neoliberaler Truppenaufmarsch? Nonprofits als Sicherheitsdienste in ›benachteiligten‹ Quartieren«, in: Glasze u.a. (Hg.) 2005, S. 167-203, hier S. 178.

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bende Kräfte bei der aktivierenden Ausgestaltung neuer Governance-Strukturen auf lokalstaatlicher Ebene und folgen nicht nur Sachzwängen.146

6.5.2 Die Nonprofits als Akteure aktivierender Arbeitsmarktpolitik Neben den Quartiersmanagementträgern, die in den programmatischen Erklärungen zwar die Arbeitsmarktförderung erwähnen, aber wenig bewirken, sind für das Feld der Arbeitsförderung vor allem die vielen Nonprofits und freien Träger relevant. Die QM-Büros konzentrieren sich vor allem auf die Handlungsfelder Wohnen/Wohnumfeld und Soziales. Die Förderung der lokalen Ökonomie erfolgte vor allem über Gewerberaumbörsen, Zwischen-nutzungsagenturen, Imagekampagnen und Existenzgründerwettbewerbe. Zur Unterstützung des Quartiersmanagements in Berlin werden dafür auch Mittel aus Landes-, Bundes-, und EU-Töpfen herangezogen. Dazu zählen die Programme »Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten« (E&C des Bundesfamilienministeriums), die EU-finanzierten Programme »Lokales Kapital für soziale Zwecke« (LOS) und das Programm »Lokale Beschäftigungsstrategien und Innovation.«147 Im Rahmen des QM wurden den Nonprofits neue Aufgaben im Rahmen lokaler Governance-Regime zugeschrieben, die sie mit den vorhandenen Ressourcen aber meist überhaupt nicht erfüllen können.148 Diese Formen von Public-Private-Governance dienen auch der Entlastung und dem Verantwortungsabbau des Staates und zugleich der Inszenierung und beinah nur der blossen Simulation von Sozialpolitik. Die freien Träger gelten gemäß den Kriterien der internationalen JohnsHopkins-Studie als Non-Profit-Organisationen, da sie »formell strukturiert, organisatorisch unabhängig vom Staat sind, nicht gewinnorientiert arbeiten, eigenständig verwaltet, sowie zu einem gewissen Grad von freiwilligen Beiträgen getragen werden«.149 Der Begriff freie Träger gilt für ein breites Spektrum von Einrichtungen, die neben sozialen, kulturellen, ökologischen auch arbeitsmarktbezogene Dienstleistungen anbieten. Schon im West-Berlin der 80er Jahre entstand ein enges Zusammenspiel von beschäftigungspolitisch aktiven Organisationen und Vereinen mit der Arbeits- und Sozialverwaltung des Senats, die in der Forschung als sogenannte »Arbeitsmarktfamilie« bezeichnet werden. Viele freie Träger waren zunächst aus verschiedenen Strömungen der neuen 146 | Vgl. ebd., S. 179. 147 | Vgl. Eick/Grell/Mayer 2004, S. 128. 148 | Vgl. ebd., S. 130. 149 | Anheier, Helmut u.a. (Hg.): Der Dritte Sektor in Deutschland, Berlin 1997, zit. n. Eick/Grell/Mayer 2004, S. 59.

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sozialen Bewegungen und der ›neuen Linken‹ nach 1968 und insbesondere aus der Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre in Konfrontation mit dem lokalen Staat entstanden. Im Zuge einer allmählichen Professionalisierung und Institutionalisierung wandelten sich diese von einer direkten Vertretung alternativer Lebensentwürfe zu einer engeren Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Ein Überblick über die quantitative Bedeutung des Nonprofitsektors in Berlin wird durch eine unübersichtliche Datenlage erschwert. Lediglich zu den von den Berliner Servicegesellschaften direkt betreuten freien Trägern, die in der Arbeitsmarktpolitik aktiv sind, liegen zuverlässige Zahlen vor. Die Servicegesellschaften waren seit 1991 vom Berliner Senat eingerichtet worden, um als intermediäre Einrichtungen zwischen Lokalstaat und freien Trägern die ABMMaßnahmen zu koordinieren und die neu entstandenen Beschäftigungs-gesellschaften zu unterstützen.150 Sie erschlossen sich nach und nach neue Aufgabenfelder und führen auch eigene arbeitsmarktpolitische Projekte durch. Von den ursprünglich acht Gesellschaften bestehen heute nur noch drei (die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung, gsub, Zukunft im Zentrum (ZiZ) und das Sozialpädagogische Institut (SPI), die mittlerweile zu einer Arbeitsgemeinschaft fusioniert sind.151 Etwa zwei Drittel der geförderten Träger in Berlin nutzen die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik hauptsächlich zur Finanzierung ihrer eigenen Zwecke in Bereichen wie Jugend-, Flüchtlings-, Migrantenpolitik, Gesundheit, Sport, Kulturelles (ohne also Beschäftigungsförderung im engeren Sinne zu betreiben). Nur ein Drittel aller geförderten Organisationen sind überhaupt als typische Beschäftigungsträger zu bezeichnen, deren Hauptzweck also darin besteht, Erwerbslose und benachteiligte Personengruppen auf reguläre Beschäftigungsverhältnisse vorzubereiten. Dies ist ein weiteres Indiz für den zunehmend politisch-symbolischen Charakter dieser Art von neoliberaler simulierter Beschäftigungspolitik. Bei den Tätigkeitsfeldern liegt der Bereich Gesundheit und Soziales an der Spitze, gefolgt von Jugend/Familie, Naturschutz, Kultur, Wissenschaft.152 Trotz der mehrheitlich sozialen Orientierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und Projekten verfügen die freien Träger auch über Qualifikationen für die Übernahme marktnaher Aufgaben. Die meisten (80 %) der freien Träger sind inzwischen in sozialarbeiterische Betreuungs- und Versorgungsaufgaben abgewandert. Viele der sozialpolitischen Nonprofitorganisationen sind aus lokalen Zusammenhängen entstanden, die eine starke Verankerung in bestimmten Stadtquartieren aufweisen. So haben bestimmte Nonprofits jeweils ihre Schwerpunkte in bestimmten Bezirken. In einigen Berliner Stadtteilen haben sich 150 | Vgl. Eick/Grell/Mayer 2004, S. 62. 151 | Vgl. ebd., S. 62/63. 152 | Vgl. ebd., S. 65.

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Nonprofits mittlerweile zu den größten Arbeitgebern entwickelt.153 Ein Beispiel ist die 1993 gegründete LowTec gGmbH, die einen kritischen Ansatz von Sozialund Bildungsarbeit verfolgt. Der Schwerpunkt lag zunächst in der Umsetzung von ABM, die vor allem im Heimatbezirk Kreuzberg angeboten wurden. Mittlerweile beschäftigt die Organisation 60 Mitarbeiter und betreibt 80 Projekte in mehreren Stadtteilen, in denen mehr als 1000 Erwerbslose beschäftigt werden. Ein Bereich war dabei die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen für behinderte und alte Menschen. Die Schwerpunkte der Aktivitäten sind soziale und karitative Hilfsdienste, technisch-handwerkliche Dienstleistungen, sowie Bildungsangebote.154 Typisch für die deutsche Dritt-Sektor-Landschaft ist ihre hohe Abhängigkeit von staatlicher Finanzierung. So sind laut dem Johns-Hopkins-Bericht die Nonprofits zu zwei Drittel aus staatlichen Mitteln finanziert. Auch bei den Berliner Nonprofit-Organisationen in der Beschäftigungspolitik stehen öffentliche Mittel an erster Stelle. In der deutschen Teilstudie des Johns-Hopkins-Projekts wurde die beschäftigungspolitische Relevanz des Dritten Sektors mit über einer Million Beschäftigten angegeben.155 Eine Forschergruppe um Mayer am John F.Kennedy(JFK)-Institut der FU Berlin unterschied in ihrem Projekt zu den Ambivalenzen von Nonprofits und freien Trägern in Berlin (2004) verschiedene Typen:156 • Mischträger, die sowohl Beschäftigungs- wie Qualifizierungsmaßnahmen anboten, • reine Beschäftigungsträger (die ausschließlich Maßnahmen für benachteiligte Personen auf dem Arbeitsmarkt anboten), • sonstige Träger aus den Bereichen Kultur, Gesundheit und Sport. Sie unterscheiden außerdem drei große Gruppen von Nonprofit-Organisationen:157 • solche, die sich fast ausschließlich an der Handlungslogik der Sozial- und Arbeitsverwaltung orientieren und sich als Dienstleister der Arbeitsverwaltung verstehen, • eine Gruppe von freien Trägern, die sozialräumliche Ansätze mit ihrem Dienstleistungsauftrag zu verknüpfen suchen (Vermittlungsagentur Stellwerk, Beschäftigungsträger LowTec gGmbH) und 153 | Vgl. ebd., S. 114. 154 | Vgl. ebd., S. 114/115. 155 | Vgl. ebd., S. 157. 156 | Vgl. ebd., S. 71. 157 | Vgl. ebd., S. 72/73.

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• eine dritte Gruppe, die sich an ›community-based‹ oder ›neighborhood-based‹ Organisationen ein Vorbild nimmt und die Förderung einer lokalen Gemeinwesenökonomie zum Ziel hat (z.B. Kommunales Forum Wedding e.V., das den Aufbau lokaler Partnerschaften, Planungs- und Beteiligungsmodelle für die lokale Bevölkerung und die Gründung von Sozialgenossenschaften betreibt). Nonprofits bilden mit über 1000 freien Trägern in Berlin einen wesentlichen Teil der kulturellen, sozialen und ökonomischen Infrastruktur, von ihnen sind etwa 100 auf Beschäftigungspolitik spezialisierte Organisationen. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Art der Vermittlungspraxis nach verwaltungsinternen, kommerziellen und gemeinnützigen Kriterien.158 In der ersten Phase des Quartiersmanagementprogramms (1998-2002) spielten die bezirklichen Beschäftigungsbündnisse (BBB) eine größere Rolle für die Förderung lokaler Ökonomie und die Beschäftigungsförderung. Das Modellprojekt des Beschäftigungspakts Neukölln (1998, bis 2002 aus EU-Mitteln finanziert) verstand sich nicht als klassisches Förderprogramm, sondern als Handlungsrahmen für eine Förderstrategie auf bezirklicher Ebene. Die Servicegesellschaft gsub (Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung) entwickelte mit den Akteuren vor Ort sog. Projektcluster. Zusammen mit dem Wirtschaftsförderungsverein, dem Arbeitsamt, der Bezirks- und Senatsverwaltung und 60 kleineren und mittleren Unternehmen wurden zwölf Aktionen entworfen, an denen auch zahlreiche freie Träger beteiligt waren. Der freie Träger BEQUIT GmbH koordinierte diese Aktivitäten. Alle damals noch erst drei QM-Gebiete in Neukölln waren Partner im BBB. Das Projekt ›From Welfare to Work‹ (sic!) zur Vermittlung von Sozialhilfeempfängern wurde von der Beschäftigungsagentur Neukölln und der gsub gemeinsam durchgeführt. Weitere Projekte waren eine Existenzgründungsberatung, die Vermittlung von Ausbildungsplätzen im Quartier und die Unterstützung von lokalen türkischen Unternehmen. Bei der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen wurden zwar nur geringe Erfolge erreicht, aber es konnte ein sozialräumlicher Schwerpunkt bei den Fördermitteln erreicht werden und die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik wurden anders als in anderen Bezirken nicht gekürzt. Bei der Ausgestaltung und Umsetzung der BBB durch die Bezirksverwaltungen sind die Zusammenschlüsse freier Träger jedoch ansonsten meist ignoriert worden.159 In einer vorläufigen Bilanz wurde von der Forschergruppe um Mayer konstatiert, dass »die bezirklichen Beschäftigungsbündnisse – nachdem

158 | Vgl. ebd., S. 93. 159 | Vgl. ebd., S. 125/126.

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das Neuköllner Modellprojekt ausgelaufen ist – in Berlin keine sichtbare Wirkung entfalten konnten«.160 Umso wichtiger ist daher, die Tätigkeit und Struktur der Nonprofits und freien Träger in den Blick zu nehmen, da sich auf der Ebene des QM im engeren Sinne meist nur ein indirekter Bezug zu Beschäftigungsförderung zeigt (oder sich dieser nur in reiner Beratung niederschlägt). Die mit sozialräumlichen Ansätzen und Programmen neu entstehenden Governance-Strukturen führen jedoch keineswegs zwingend zu breiteren Partizipations- und Mit-Entscheidungs- und Kontrollmöglichkeiten von freien Trägern. Die Attraktivität dieser Programme liege gerade in ihrer Mischung aus »Neoliberalismus, Restbeständen des sozialdemokratischen Staatsinterventionismus und libertären Strömungen«.161 In einem Fazit unterscheidet die Forschergruppe die Qualität der Non-Profits nach den Kriterien good practice, ambivalente Praxis und bad practice: Einerseits bieten die Programme neue Handlungsoptionen für Lokalverwaltungen und Nonprofits. Aber die Arbeit dieser Dritt-Sektor-Organisationen muß man danach differenzieren, ob sie die sozial- und arbeitspolitischen Entwicklungen radikalisieren, ihnen eigenständige Ansätze gegenüberstellen, oder ob sie versuchen, ihrer Einbindung in den verschärften Umbau und Abbau lokaler Sozialstaatlichkeit auszuweichen. Vom Verhalten der Organisationen hängt es oft ab, wie der Druck der Arbeitsagenturen auf Erwerbslose weitergegeben oder abgefedert wird. Eine Veränderung liegt in der Abkehr der Lokalverwaltungen vom Prinzip der Freiwilligkeit hin zur Verpflichtung für Leistungsempfänger, die angebotenen Beschäftigungsmaßnahmen anzunehmen. Good practice wird dagegen darin gesehen, wenn die beschäftigungspolitischen Projekte mit sozialen und kulturellen Aspekten zu einem ganzheitlichen Ansatz unter Beteiligung der Quartiersbevölkerung verknüpft werden, und wenn die Träger trotz der ›Work first-Philosophie‹ an Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen festhalten. Dafür ist das Kommunale Forum Wedding (KFW) ein Beispiel, das sich um eine partizipative Entwicklung benachteiligter Quartiere mit den Bewohnern bemüht. Das Kommunale Forum Wedding begann Anfang der 90er Jahre den Aufbau eines Beschäftigungsverbundes, um die Kooperation von öffentlichen und gemeinnützigen Einrichtungen zu fördern. Zu den weiteren Initiativen gehörten die Gründung einer Sozialgenossenschaft 2001, ein Nachbarschaftsladen als Treffpunkt für Stadtteilprojekte, Initiativen wie das Bürgerbeteiligungsverfahren ›Planning for Real‹ und Stadtteiluntersuchungen zu lokalen Defiziten und der Initiativenverbund für Bürgerarbeit. Die Lokale Partnerschaft Wedding, in der öffentliche und privatwirtschaftliche Akteure und 18 Nonprofit-Organisationen in einem Netzwerk zusammengefasst waren, ver160 | Vgl.ebd., S. 128. 161 | Ebd., S. 130.

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folgte seit 1997 das Ziel, »in Gebieten mit hoher sozialer und ökonomischer Problembelastung Ressourcen zu bündeln und Aktivitäten zu unterstützen, die Beschäftigungsmöglichkeiten für sozial ausgegrenzte Menschen schaffen«.162 Seit 1999 ist das KFW zusammen mit dem Sozialpädagogischen Institut (SPI) für das Quartiersmanagement am Weddinger Sparrplatz zuständig. Außerdem arbeitet das KFW am Aufbau einer sozialen Stadtteilgenossenschaft und ist Mitglied in verschiedenen Initiativen und Netzwerken. Für das KFW ist die Forderung nach Aufhebung des Kriteriums der Zusätzlichkeit von Beschäftigungsmaßnahmen wichtig und außerdem die gebündelte Vergabe von Geldern an die Quartiere, weil dann die dort vorhandenen Netzwerke über die Mittel entscheiden könnten.163 Ambivalente Praktiken nennen die Forscher solche, die zwar eine Unterstützung für benachteiligte Personengruppen bieten, jedoch strukturell weitere Ausgrenzungen forcieren, so wenn Nonprofits zwar ›geschützte‹ Beschäftigungsverhältnisse bieten (etwa durch Leiharbeitsfirmen) aber andererseits damit prekäre Arbeitsverhältnisse und einen Niedriglohnsektor fördern.164 Dazu zählen Organisationen, die als Sicherheitsdienste in der lokalen Sicherheitsund Ordnungspolitik tätig sind. Die freien Träger geben die von der Verwaltung vorgeschriebene Arbeitsverpflichtung oft an ihre Klientel weiter. Unter ›bad practice‹ kann man Programme und Handlungsansätze fassen, die bei der Erbringung von Ordnungs- und Sicherheitsdienstleistungen vor allem repressive Elemente in sich tragen und Randgruppen ausgrenzen oder die explizit auf die Schaffung von Niedriglohnarbeitsmärkten zielen. In Berlin sind insgesamt etwa 20 Nonprofits im Bereich der Ordnungsdienste tätig. Konflikte entstehen dabei z.B. wenn gering qualifizierte Erwerbslose als sog. Green Cops in Parkanlagen eingesetzt werden und gegen Vandalismus oder Verstöße von Hundehaltern vorgehen sollen. In Berlin entsteht so ein subventionierter Arbeitsmarkt durch den sich kommerzielle Sicherheitsdienste Marktvorteile verschaffen, indem sie verschiedene Beschäftigungsprogramme zur Rekrutierung von ehemaligen Erwerbslosen benutzen. Beschäftigungsorientierte Nonprofits ohne Anbindung an kommerzielle Firmen betonen eher ihre lokalen Kenntnisse und sozialpädagogischen Ansätze. Über die Hälfte aller gemeinnützigen Organisationen mit Festangestellten in Berlin können diese nur über Instrumente des Zweiten Arbeitsmarkts finanzieren. Ein Großteil des Zuwachses ist zudem auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zurückzuführen.165 Im Übergang zur Umsetzung der Hartz IV-Gesetze zur Zeit der Untersuchung war die Rolle der Bezirke für die Ko162 | Ebd., S. 132/133. 163 | Vgl. ebd., S. 134. 164 | Vgl. ebd., S. 139. 165 | Vgl. ebd., S. 157.

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operation mit den Nonprofits lange unklar, bzw. blieb es offen, inwiefern die Nonprofits als Kooperationspartner überhaupt berücksichtigt werden sollten. Ihre Handlungsoptionen in der Beschäftigungsförderung sind jedoch begrenzt. Ein großer Teil von ihnen hat jede anfänglich kritisierte Verschlechterung der Förderbedingungen mitgetragen und sich an die Vorgaben der Verwaltung angepasst.166 Auch Mobilisierungen und kritische öffentliche Stellungnahmen von Nonprofits gegen den Umbau der Arbeitsmarktpolitik blieben weitgehend aus. Viele von ihnen sehen sich eher als Dienstleister der Verwaltungen, denn als Anwälte der Betroffenen, zumal die Sorge um den eigenen Fortbestand angesichts kurzer Finanzierungslaufzeiten auch eine Rolle spielt. Zudem gibt es eine große teils auch persönliche Nähe zu den Mitarbeitern in der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, so dass der Begriff ›Arbeitsmarktfamilie‹ noch eine eigene Bedeutung bekommt. So sind viele der Berliner Träger eher von Paternalismus gegenüber den Klienten und Entfremdung von den sozialen Bewegungen gekennzeichnet. Schon seit den 90er Jahren übernehmen die Berliner Nonprofits zunehmend die Rolle von Dienstleistern und Erfüllungsgehilfen für die Durchsetzung der neuen Workfare-Politik. Sozialintegrative Aspekte treten gegenüber repressiven Elementen in den Hintergrund und die Integration in den regulären Arbeitsmarkt wurde vorrangig. Diese Umdefinition ihres Auftrags schwächt natürlich ihre anwaltschaftliche Funktion gegenüber den Klienten. Auch das Selbstverständnis der Nonprofits ändert sich hin zu einem Unternehmen, dem es hauptsächlich um den Marktzugang geht. So vermitteln einige gemeinnützige Arbeitsvermittlungen in Berlin auch in deutlich unter dem Tariflohn liegende Arbeitsverhältnisse. Neben Trägern, die in den Niedriglohnsektor vermitteln (wie die BIQgGmbH), gibt es jedoch auch solche, »die subventionierte Arbeitsgelegenheiten schaffen, weitgehend marktfern strukturiert sind und damit konfrontiert sind, dass man ihnen Marktnähe abverlangt, den Zugang zum Markt jedoch blockiert«.167 Allerdings sind freie Träger in Deutschland und in Berlin anders als in den USA traditionell in marktfernen Bereichen aktiv gewesen und gleichzeitig in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den lokalen Arbeitsverwaltungen und befinden sich daher in einem ›Zwischenstatus‹ zwischen Markt und Staat und haben daher wenig Flexibilität gelernt.168 Während die Nonprofits in den USA eher pragmatisch agieren und sich aktiv neue Handlungsfelder erschließen, sind die Berliner Nonprofits viel staatsnäher und auf die von den staatlichen Programmen und das Gemeinnützigkeits- und Zusätzlichkeitskriterium gezogenen engen Grenzen beschränkt. Die Nonprofits seien beides, »innovativ Suchende und

166 | Vgl. ebd., S. 160. 167 | Ebd., S. 175. 168 | Vgl. ebd., S. 183.

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restriktiv Implementierende«, resümiert die Forschergruppe des JFK.169 Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die häufig in den Nonprofitsektor gesetzten Hoffnungen und Erwartungen als Akteur der Zivilgesellschaft deutlich kritisch und skeptisch beurteilt werden müssen.170 Die kritische Zwischenbilanz der Forscher zur Tätigkeit der freien Träger auf lokaler Ebene datiert noch von 2005, also gerade kurz vor der eigentlichen Einführung von Hartz IV und der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Seitdem hat sich die Landschaft der freien Träger noch weiter ökonomischen Imperativen anpassen müssen, wie auch in neueren Vorträgen von Eick und Wagner von der Verdi-Erwerbsloseniniative zu freien Trägern und EinEuro-Jobs in Berlin deutlich wurde:171 Der Markt der lokalen Beschäftigungsträger und -gesellschaften in Berlin ist von hoher Intransparenz und Unübersichtlichkeit geprägt, mehrere Akteure dominieren in wechselnden Konstellationen schon seit Jahrzehnten den Markt für Beschäftigungsförderung. Es gibt rund 1500 freie Träger in Berlin, von denen rund 80 % mit Mitteln aus der Beschäftigungspolitik zu tun haben und davon sind rund 100 arbeitsmarktorientierte Beschäftigungsträger im engeren Sinne. Die Aufgabenfelder der Beschäftigungsträger müssen die Kriterien der Gemeinnützigkeit, und der Zusätzlichkeit erfüllen und im öffentlichen Interesse liegen. Die wichtigsten Unternehmen sind wie oben angesprochen die SPI Consult GmbH, die ZiZ (Zukunft im Zentrum) GmbH und die gsub (Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung), die sich den Berliner Markt für soziale Unternehmen und Dritte Sektor-Tätigkeiten quasi aufgeteilt haben und als sog. »beliehene Treuhänder« quasi hoheitliche Rechte haben und mit Steuergeld finanziert werden. Die Aufgabenfelder der Nonprofits lassen sich nach Wagner und Eick polemisch zugespitzt mit folgenden Stichworten charakterisieren172: • Supervision und Beratung im Auftrag der ›Job-Center‹ • ›Selektion‹: Die Nonprofits leisten einer Aufteilung der Armen in noch verwertbare und überflüssige Gruppen Vorschub, sie betreiben die Aufteilung in ›gute‹ und ›schlechte‹ Arbeitslose und Arme (›creating communities‹, ›creating the other‹). • Ihr Ziel ist das ›creaming the poor‹ (d.h. das Abschöpfen derjenigen, die noch verwertbar sind). • Separation, d.h. sie teilen sich die Märkte auf und bilden teils regelrechte 169 | Ebd., S. 179. 170 | Vgl. ebd., S. 150. 171 | Vorträge von Bernd Wagner und Volker Eick im Mehringhof am 2.3.2010. 172 | Vgl. Vortrag von Eick und Wagner 2010, Mitschrift.

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Oligopole auf lokaler Ebene (z.B. ist die Bequit GmbH ein Oligopolist im Bereich der lokalen Sicherheitsdienstleistungen). Bestimmte Nonprofits haben inzwischen eine Vormachtstellung auf bestimmten lokalen Gebieten, wenn es um die Erbringung von Sicherheitsdienstleistungen geht. • Sie helfen, Sanktionen gegen sog. unkooperative ›Kunden‹, also Arbeitslose, durchzusetzen. Im vom Land Berlin geförderten öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS) wurden im Förderjahr 2008/2009 2.250 Maßnahmen gefördert mit 7.200 Teilnehmern.173 Bei diesem Modell werden Bundeshilfen für Langzeitarbeitslose mit Landesmitteln zusammengelegt und bis zu einem Gehalt von 1300 Euro aufgestockt. 2010 wurden so 6700 gemeinnützige Stellen gefördert.174 Anfang 2011 waren es rund 5600 öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige, tariflich bezahlte Arbeitsplätze, die bis zu drei Jahre finanziert werden.175 Ein anderes Feld ist das Gebiet der Ein-Euro-Jobs, von denen es 2009 bundesweit 669.146 gab. Die Einsatzfelder der Ein-Euro-Jobber teilten sich wie folgt auf: Infrastrukturverbesserung: 29,5  %; Umweltschutz: 22,6  %, Gesundheit: 12 %, Beratungsdienste 10 %, Sicherheit-Sauberkeit-Ordnung: 15 %. In Hamburg z.B. sind die Teilnehmerzahlen an den Ein-Euro-Jobs bis 2009 um 20 % zurückgegangen (9.300 Ein-Euro-Jobs, davon 1.250 im Bereich Sicherheit und Sauberkeit). In Berlin gab es 2010 noch ca. 25.000 Ein-Euro-Jobs, von denen nach einer Kürzung der Mittel der Arbeitsagentur für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen durch den Bund aber mehrere Tausend Stellen wegfallen werden.176 Im März 2011 gab es wiederum bundesweit nur noch 172.000 EinEuro-Jobber, rund 80.000 weniger als ein Jahr zuvor. Diese Förderung von EinEuro-Jobs sollen noch weiter gekürzt werden.177

173 | Die 20 Träger mit den meisten Maßnahmen im ÖBS waren laut dem Vortrag von Bernd Wagner: Förderband e.V.; Kubus e.V. bbw (Berufsvorbereitungs- und Ausbildungsgesellschaft); Trias Gmbh, BBJ Service GmbH Träger für kommunale Beschäftigung, Bequit GmbH, Tandem GmbH, BIQgGmbH, Lowtec Zukunftsbau GmbH, A+QuaGmbh (Arbeit u Qualifizierung). 174 | Vgl. Tagesspiegel v. 2.12.2010. 175 | Vgl. Tagesspiegel v. 10.3.2011. 176 | Vgl. Tagesspiegel vom 2.12.2010. 177 | Vgl. Tagesspiegel v. 19.4.2011: »Weniger Zuschüsse für Ein-Euro-Jobs.«

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6.5.3 Das QM als Teil von lokalräumlicher Sicherheits- und Ordnungspolitik Ein Beispiel für die sicherheitspolitische Bearbeitung von Problemen ist die Task-Force Okerstraße (TFO) im QM-Gebiet Schillerpromenade, die gegen rumänische Saisonarbeiter und Trinkergruppen vorging. In dem Gebiet wurden einige besonders heruntergekommene und verwahrloste Mietswohnungen zu Wucherpreisen gezielt an rumänische Roma-Familien vermietet, die hier auf Diebestouren geschickt wurden oder auf ähnliche Weise ausgebeutet wurden. Die Task-Force sollte eine integrierte und ressortübergreifende Vernetzung verschiedener Einrichtungen wie Jugendamt, Schulbehörde, Gesundheitsamt, Ordnungsamt, Senatsverwaltung, QM und Polizei leisten. Das Handlungskonzept der TFO umfasste die vier Handlungsfelder »Sicheres Wohnumfeld«, »Nachbarschaft und Beteiligung«, »Verbesserung der Situation der Familien und Kinder« und »Trinkerproblematik auf der Schillerpromenade.«178 Bei der Umsetzung wurde vorrangig auf präventive und angebotsorientierte Maßnahmen gesetzt, die einer Beschlussfassung durch die Steuerungsrunde des Quartiersmanagements bedürfen. Die Neuerung an der TFO war eine zeitnahe Umsetzung notwendiger Maßnahmen in Kooperation mit verschiedenen zuständigen Institutionen. Die TFO selber hatte aber keine Eingriffsbefugnisse. Die einzelnen Maßnahmen wurden von den jeweiligen Fachbereichen durchgeführt. Das Ziel war also vor allem die bessere Vernetzung. Es wurde eine Anlauf- und Beratungsstelle in der Okerstraße geschaffen, in der insgesamt sieben Streetworker, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen der unterschiedlichsten Herkunft arbeiteten. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 1000 Beratungen für die ansässigen Familien, insbesondere die Roma-Familien durchgeführt. Als vorläufige Ergebnisse konnte die Situation in den von den Eigentümern vernachlässigten und überbelegten Mietshäusern geklärt werden, Hilfe für die dort lebenden Mieter geleistet und eine Verbesserung der Situation im öffentlichen Straßenraum erzielt werden.179 Die Eindämmung der Suchtproblematik durch die Streetworker war jedoch weniger erfolgreich.180 Dennoch geriet die Task-Force in die Kritik der linksradikalen Szene, die ihr in polemischer Weise eine rassistische, antiziganistische und einseitig sicherheitsbezogene Kampagne vorwarfen.181 Diese Kritik scheint mir in dem Fall jedoch überzogen, denn die Task-Force war ja gerade ein Versuch, gegen die 178 | Vgl. »Integriertes Handlungs- und Entwicklungskonzept« des QM Schillerpromenade 2011, S. 3. 179 | Vgl. ebd., S. 24. 180 | Vgl. ebd., S. 23. 181 | Vgl. zur Darstellung und Auseinandersetzung um die Task-Force Okerstr.: Heisig, Kirsten: Das Ende der Geduld, Freiburg 2010, S. 186-194.

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Ausbeutung der Roma-Familien durch Kriminelle und skrupellose Vermieter vorzugehen. Hier zeigen sich exemplarisch die Ambivalenzen einer linken Kritik am »Soziale Stadt«-Programm und am QM. Eine linksradikale Kritik muss auch vermeiden, eine ›Romantisierung‹ sozialer Verelendung zu betreiben, wenn sie jedes Vorgehen gegen Verwahrlosung des öffentlichen Raumes oder gegen Alkoholikergruppen und Obdachlose so scharf verurteilt und nicht auch die Bedürfnisse einer Mehrzahl der Bewohner nach Sicherheit und Sauberkeit einbezieht. Die Darstellung des Konflikts um die Task-Force Okerstraße entnehme ich teils dem viel diskutierten Buch der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die es als ein positives Beispiel für die Vernetzung von verschiedenen Ämtern und Akteuren aufführt. Heisig steht mit ihrem Plädoyer für schnellere und konsequentere Jugendstrafen gegen jugendliche Gewalttäter (das sog. ›Neuköllner Modell‹) jedoch nicht nur für ›law and order‹, wie man aus einer kritischen Perspektive meinen könnte. Sie setzte sich als Richterin auch für eine bessere Vernetzung von verschiedenen Akteuren, von Sozialarbeit, Jugendämtern und Polizei ein und suchte auch selber den Kontakt zu arabischen und türkischen Elternvereinen, weil ihr bewusst war, dass am ehesten Vertreter (und hier bewusst die männlichen Vertreter, nämlich die Väter) der jeweiligen Communities auf die Jugendlichen einwirken könnten. Ihr ging es nämlich vor allem um den Dialog mit den verschiedenen Gruppen, mit dem Ziel, frühzeitig an den Problemen von Verwahrlosung und auffälligem Verhalten bis hin zu Jugendkriminalität ansetzen zu können. Kommerzielle Anbieter, das Quartiersmanagement und beschäftigungspolitisch aktive Non-Profit-Unternehmen greifen aber zunehmend auf strafende Elemente zurück oder profilieren sich als »Agenturen für Arbeitsdienste«. So werben manche Non-Profits explizit mit ihrer Fokussierung auf den Niedriglohn, oder dass sie Hinweise auf Arbeitsunwilligkeit an die Arbeitsagentur weitergeben.182 Das QM orientiert sich aber nicht nur an Workfare-Ansätzen, indem freie Träger verpflichtet werden, Druck auf Arbeitslose auszuüben, sondern das QM ist auch in die Produktion von Sicherheit und Ordnung eingebunden. So meldete in einem Neuköllner QM das Quartiersteam der polizeilichen »Operativen Gruppe Jugendgewalt«, diejenigen Migrantenjugendlichen, die als Intensivtäter galten. Ein anderes QM-Team sorgte dafür, dass ein Jugendhilfeträger keine Förderung mehr durch das Arbeitsamt erhält, weil er sich weigerte, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.183 Damit verschwimmen die Grenzen zwischen Jugendhilfe und Sozialarbeit einerseits und Kriminalprävention und 182 | Vgl. Eick, Volker u.a. (Hg.): Kontrollierte Urbanität, Bielefeld 2007, Bernheim, Anne: »›Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten…‹ Ein-Euro-Jobs-mehr als Disziplinierung?«, in: Agenturschluss (Hg.) 2006, S. 98-106. 183 | Vgl. Eick 2005, S. 180/181.

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Kriminalitätsbekämpfung andererseits. Kriminalpräventive Räte sind inzwischen oft mit dem QM fusioniert. Sozialpolitische Probleme werden damit einseitig in einen kriminalpolitischen Kontext gestellt. Durch die Beliebigkeit des Präventionsbegriffs besteht die Gefahr, dass viele lokale, von der Norm abweichende Phänomene in eine kriminalpräventive Argumentation eingebunden werden. Damit wird selektiven Beteiligungsmechanismen und einer Entpolitisierung sozialer Problemlagen Vorschub geleistet.184 Die Einrichtung kriminalpräventiver Räte geht einher mit dem Abbau sozialer Infrastrukturleistungen in den Kommunen, während verbleibende Teile in die Verantwortung kommerzieller Anbieter, freier Träger und des QMs delegiert werden. Kriminalprävention erscheint inzwischen als natürlicher Bestandteil des Programms, womit einem strafenden Paternalismus der Weg geebnet wird. Beiden Programmen liegt die Idee der Zusammenarbeit möglichst vieler Akteure zugrunde, aber im Sinne einer Selbstaktivierung. Sie bilden einen Möglichkeitsraum, in den ordnungs- und sicherheitspolitische Handlungsstrategien einzubringen sind. Sie unterhöhlen so tendenziell die Traditionen einer kritischen, emanzipativen und klienten-orientierten Sozialen Arbeit.185 Dabei geht es nicht so sehr darum, die Zusammenarbeit von Sozialarbeit, Quartiersmanagement und kriminalpräventiven Akteuren generell zu kritisieren, sondern sich gegen eine einseitige Deutung und Bekämpfung von sozial (mit)verursachten Problemen als rein kriminalpolitische und polizeiliche Probleme zu wenden. Sicherheitsmaßnahmen innerhalb des QM firmieren oft als Beschäftigungsmaßnahmen und sind somit Teil des aktivierenden lokalen Sicherheitsapparates. Dabei kommt es zu unterschiedlich scharf abgestuften Maßnahmen gegen Alkoholiker, Obdachlose und Drogensüchtige im öffentlichen Raum (so am Helmholtzplatz oder am Kottbusser Tor). In fünf QM-Gebieten Berlins arbeiten kommerzielle Sicherheitsdienste, in fünf weiteren gibt es Sonderorganisationen der Polizei. In neun der damals (2005) noch 17 Berliner QM-Gebiete sind in Zusammenarbeit mit Beschäftigungsträgern lokale Sicherheits- und Ordnungsstreifen aufgebaut worden. Auch bundesweit ist das Thema Sicherheit im Rahmen des »Soziale Stadt«-Programms relevant, so zeigt die Datenbank des Difu insgesamt immerhin 42 Einträge zum Thema Sicherheit und 34 für das Thema Ordnung.186 Die Verbindung aktivierender Beschäftigungspolitik mit ordnungs- und sicherheitspolitischen Aufgaben ist somit strukturell in die Logik des QM-Programms eingeschrieben. Damit muss man befürchten, dass das Programm 184 | Vgl. Pütter, Norbert: »Kommunalpolitik als Kriminalpolitik«, in: Prätorius, Rainer (Hg.): Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, BadenBaden 2002, S. 64-79, hier S. 78. 185 | Vgl. Eick 2005, S. 183. 186 | Vgl. ebd., S. 188.

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eher auf die Ruhigstellung ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen abzielt und auf deren ordnungspolitische Befriedung als auf deren Unterstützung.187 Andere Interpretationen sehen das Bund-Länder-Programm als großangelegtes sozialpolitisches Experiment, bei dem es um die Ausgrenzung von Entbehrlichen aus der Erwerbsarbeitsgesellschaft geht, in Form einer bloßen Integration in »lokale Tätigkeitsgesellschaften«, die den Ausschluss allenfalls abmildern. Die »Entbehrlichen« (z.B. Langzeitarbeitslose) sollen für sinnvolle Tätigkeiten wie Eigenarbeit, Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe, Bürgerarbeit, kleinteilige Partizipation auf unterster Ebene im Stadtteil gewonnen werden, so dass man von »lokal fixierenden« Tätigkeitsprogrammen sprechen könnte.188 Die nicht direkt erwerbsbezogenen Tätigkeiten sollen zur Bildung und Erhaltung von lokal fixierendem Sozialkapital, zur Entstehung von Vertrauen unter den Stadtteilbewohnern und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts führen. Die ganzheitlichen Management- und Planungskonzepte ermöglichen so gleichzeitig eine umfassende soziale Kontrolle der Entbehrlichen. Auch wenn diese Ausgrenzung der Entbehrlichen jenseits der Erwerbsarbeitsgesellschaft in den Programmen und von den Initiatoren nicht offen ausgesprochen wird, kann es wenig Zweifel über dieses strategische Ziel geben, denn die Integration in den ersten Arbeitsmarkt spiele in Wahrheit nur eine untergeordnete Rolle.189 Da die Beschäftigungspolitik auf dem Zweiten Arbeitsmarkt keine Arbeitsplätze auf dem regulären Arbeitsmarkt verdrängen soll, müssen Nonprofits neue Betätigungsfelder erschliessen. Daher haben sich die Einsatzfelder auf viele verschiedene Hilfstätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung und in gemeinnützigen Organisationen ausgeweitet. So werden gleitend öffentliche Regel-Dienstleistungen in zusätzliche nur noch selektiv vorgehaltene Leistungen umdefiniert, um sie dem zweiten Arbeitsmarkt zuordnen zu können. Die Alternativ-Sicherheitsdienste im Rahmen des QM haben jedoch keine hoheitlichen Rechte und sind meist durch ABM/SAM (Strukturanpassungsmaßnahmen) oder Maßnahmen nach dem Bundessozialhilfegesetz finanziert oder aus den Berliner Quartiersfonds bezahlt.190 Zu ihren Aufgaben zählt es, Hundehalter zum Einhalten des Leinenzwangs anzuhalten, Alkoholkonsum in Grünanlagen zu unterbinden, Spritzen von Drogenkonsumenten aufzusammeln, Vandalismus zu verhindern. Die Beschäftigten in diesen Sicherheits- und Ordnungsdiensten stammen meist aus dem Quartier. Diese lokalen Partner187 | Vgl. Krummacher, Michael u.a. (Hg.): Soziale Stadt – Sozialraumentwicklung – Quartiersmanagement, Opladen 2003. 188 | Vgl. Krämer, Jürgen: »Integration der ›Entbehrlichen‹? Das Programm Soziale Stadt in der Tradtion der sozialpolitischen Stadtpolitik«, in: Walther, Uwe-Jens (Hg.): Soziale Stadt-Zwischenbilanzen, Opladen 2002, S. 195-211, hier S. 195/196. 189 | Vgl. ebd., S. 196/197. 190 | Vgl. Eick 2005, S. 190.

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schaften zwischen Bürgern und Polizei als lokale Strategie zur Kriminalitätskontrolle können also als Teil einer Neuausrichtung und Neucodierung von Sozialpolitik und Stadtteilarbeit unter den Prämissen der Verbrechenskontrolle gefasst werden. Beispiele sind in Großbritannien zu sehen, wenn ›antisoziales Verhalten‹ als umfassende neue Kategorie eingeführt wird, um missliebige und unerwünschte Gruppen wie trunksüchtige Jugendliche, Bettler und Obdachlose aus bestimmten Stadtteilen auszuschliessen. Das blosse disziplinierende Management von Risikogruppen wird zum Ziel von lokaler Sicherheitspolitik und zugleich zu einem Segment im zweiten Niedriglohn-Arbeitsmarkt. Es werden »Knotenpunkte« oder sog. »Sicherheitsblasen« im öffentlichen Raum definiert im Sinne von selektiven Schwerpunkten der Sicherheitspolitik, z.B. Bahnhöfe und Shopping Malls.191 Die Sicherheits- und Kriminalpolitik geht eine Verbindung ein mit einer »Biopolitik von unten«, die von den Leuten ausgeht, von lokalen, populären Experten, von informellen politischen Akteuren.192 Ein Beispiel für solche lokale Experten ist ein Quartiersmanager und Streetworker mit Migrationshintergrund, der selber als Jugendlicher kriminell war und nun einen besseren Zugang zu den Jugendlichen und zu ihren Vätern im Quartier hat. Dazu zählen außerdem selbstorganisierte Initiativen wie ›Neighborhood Watch‹ oder lokale Partnerschaften zur Kriminalitätsbekämpfung. Auf dieser unteren lokalen Ebene verschwimmen die Grenzen zwischen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Sie werden zu informellen Schauplätzen der Steuerung. Gesellschaftliche Gruppen unterschiedlichen Formalisierungsgrades und ›lokale Experten‹ konkurrieren um die Regierung des lokalen Territoriums und der jeweiligen Community: z.B. Nachbarschaftsvereine, Versammlungen wie die Quartiersfond-Jurys im Rahmen des QM, türkische oder arabische Elternvereine, ethnische und religiöse, aber manchmal auch kriminelle Organisationen.193 Die Auseinandersetzungen um die Neuverteilung von ehemals nur staatlicher ›souveräner Macht‹ zeigen sich auf lokaler Ebene stärker als in den Verwaltungsapparaten und es wird fraglich, inwieweit die lokale Stadtverwaltung und die Polizei bestimmte ärmere Stadtviertel noch vollkommen kontrollieren können. Straforientierte souveräne Technologien zielen auf die Kontrolle von Bevölkerungsgruppen, die die öffentliche Ordnung stören. Ein Beispiel für eine Kombination aus gouvernementalitätstheoretischer und an klassischer Souveränitätsmacht orientierter Analyse ist eine Studie über Kriminalitätskontrollformen und Formen kommunaler Sicherheitspolitik in England am Beispiel des Thames Valley-County, das eigentlich kein sozial benachteiligtes Gebiet ist. Diese Studie verbindet die teils kritisierte einseitige Orientierung der Governe191 | Vgl. Stenson 2007b, S. 190. 192 | Vgl. ebd., S. 183. 193 | Vgl. ebd., S. 193.

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mentality Studies an Programmpapieren mit empirischen Material und mit der sonst vernachlässigten Frage nach den Souveränitätsmodi der Regierung, wie Polizei und Strafrecht. Der Kampf um Souveränität sei mit einer ›Governance von unten‹ in Verbindung zu bringen, so die These. Diese umfasse z.B. ethnische und religiöse ›Gemeinschaften‹, die zu einer Herausforderung für bestehende Souveränitätsinstanzen werden können.194 Die Politik werde verstärkt auf arme Bezirke und marginale Gruppen ausgerichtet, wofür die Identifizierung von Hoch-Risiko-Bevölkerungsgruppen in Form von Risikomanagementstrategien beitrage. Auch in überwiegend noch recht wohlhabenden Gebieten sei Ausgrenzung zu finden, nur sei sie nicht ganz so sichtbar, aber werde hier eher als Risiko und Gefahr identifiziert. Die Deprivationsindikatoren seien nicht ganz so klar und in den aggregierten bezirksweiten Datensätzen verborgen, wie sie in den Bewertungen der lokalen Autoritäten durch die Zentralregierung verwendet werden. Das zeigt, dass selbst in überwiegend noch stabilen Gebieten, erst mit der Einbeziehung kleinteiliger Daten die Ausgrenzungsprozesse sichtbar werden und dann umso mehr ›problematisiert‹ werden. Ein Beispiel für ein ganzheitliches und auf sozialen Zusammenhalt ausgelegtes Programm kommunaler Sicherheit war die Thames Valley Partnership, die regelmäßige Foren für den Austausch zwischen den wichtigen staatlichen Instanzen wie Polizei, Justiz, Sozialarbeit bietet. Das Beispiel zeigt einerseits, dass auf lokaler Ebene durchaus Handlungsspielräume für eine progressive Politik bestehen. Dieser tendenziell ganzheitliche Ansatz drohte jedoch durch einen einseitigen Akzent auf reine Kriminalitätsreduktion und die Eindämmung ›anti-sozialen Verhaltens‹ konterkariert zu werden.195 Aber auch der Versuch zielgerichteten Ressourceneinsatzes für risikobelastete Bevölkerungsgruppen bringe eine Verschiebung weg von einer universalen, allgemeinen Angleichung der Lebensverhältnisse. Diese enge Form der Zielgruppenorientierung verbunden mit dem »Kampf um Souveränität auf den lokalen Ebenen […][mache]andauernde Aushandlungsprozesse mit unterschiedlichen neu geschaffenen ›Gemeinschaften‹, den neuen Formen einer ›Regierung von unten‹ erforderlich«, so dass Fazit der regionalen Fallstudie.196 Daran zeigt sich mit ›Foucaultschem Blick‹ betrachtet insgesamt eine neue Konstellation aus straforientierter ›Souveränitätsmacht‹, neoliberaler, privatisierender Politik und informellen und lokalen Strategien (›hybride Praktiken‹) kommunaler Sicherheitspolitik. Bei der Analyse von neoliberaler lokaler Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist also von einer spezifischen Mischung aus Sicherheitspolitik, Sozialpolitik und individualisierenden Technologien auszugehen, keineswegs von einem generellen Rückzug des Staates wie es manche Analysen des Neoliberalismus oft nahe legen. 194 | Vgl. Stenson 2007a, S. 122. 195 | Vgl. ebd., S. 135/136. 196 | Ebd., S. 137.

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6.5.4 Die lokalen Sozialprogramme als Teil von ›governing by communities‹ Inwieweit kann das Programm »Soziale Stadt« als Methode des Regierens, als ein Beispiel für das, was Nicolas Rose »governing by communities« nennt, charakterisiert werden? Damit ist eine Regierungsform gemeint, die auf die Etablierung eigenverantwortlicher, sich selbst regierender Gemeinschaften und Individuen zielt. Diese Communities müssen dafür erst als Ansprechpartner und Einheiten konstruiert werden, um lokale Räume neuartig regierbar zu machen. Diese Communities können bereits existierende Migrantenvereine, Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden, lokale Sportvereine, Schulen usw. sein, an denen dann angesetzt wird, um sie in das neue lokale Programm einzubinden. Die Bedeutung des Community-Begriffs ändert sich damit, wie vor allem Rose gezeigt hat.197 Das ›Soziale‹ als gesamter öffentlicher Raum einer Gesellschaft verliere an Bedeutung zugunsten verschiedener Gemeinschaften, die jeweils an ein Territorium gebunden sind, indem das kollektive und individuelle Leben regiert werden soll. Die Gesellschaft zerfällt tendenziell in eine Vielzahl von Überzeugungs-, Werte- und kulturelle Gemeinschaften mit unterschiedlichen, teils unvereinbaren Bindungen und Verpflichtungen.198 Diese lokalen Zonen müssen sowohl von Wissenschaftlern und mit Hilfe von Praktikern vor Ort erforscht, klassifiziert und interpretiert werden. Durch den Aufbau verantwortlich handelnder Gemeinschaften soll die Gesellschaft erneuert werden und ein neuer Bereich des Regierens geschaffen werden. Hatte man sich das Soziale lange als einheitlichen und öffentlichen Raum vorgestellt, so soll heute der gesellschaftliche Zusammenhang vermittelt durch eine Vielzahl von Gemeinschaften gesichert werden, was aber zu einer sozialen Fragmentierung des Raums führt.199 So bleibt bei Rose unklar, wie diese Gemeinschaften in eine übergeordnete Struktur eingebunden sind. Eine neu konstruierte Community bezieht sich nicht nur auf ein Territorium, sondern sie ist auch eine Methode des Regierens: Die Menschen sollen über ihre Zugehörigkeit zu besonderen Überzeugungs- und Identitätsgemeinschaften regiert werden. Sie sollen sich mit ihrer Community identifizieren, gleichzeitig hat die Community aber auch etwas Konstruiertes, denn ihre Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft muss den Menschen erst ins Bewusstsein ge-

197 | Vgl. Rose, Nicolas: »Tod des Sozialen? Eine Neubestimmung der Grenzen des Regierens«, in: Bröckling/Krasmann/Lemke (Hg.) 2000, S. 72-110 und Rose, Nicolas: Powers of Freedom, Cambridge 2003. 198 | Vgl. Rose 2000, S. 79ff. 199 | Vgl. ebd., S. 82.

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bracht werden, sei es von Erziehern, Sozialarbeitern, Pfarrern, Juristen, Schulleitern oder Wissenschaftlern.200 Die Community wird als Gegenmittel gegen soziale Zerfallserscheinungen propagiert, z.B. bei der Sanierung benachteiligter Stadtviertel, wie auch das Quartiersmanagementprogramm in Berlin zeigt. Das Engagement der Menschen soll geweckt werden, die auch hier als aktiv und verantwortlich Handelnde angesprochen werden. Hier geht aber die kollektivierende Logik des Community-Building als Regierungsstrategie eine Verbindung mit den individualisierenden Prinzipien neoliberaler Politik ein. Zur Regierung der Communities und zur Einbindung bzw. Kontrolle der Individuen werden verschiedene Strategien erfunden: Dazu zählen Sicherheitskonzepte, die jeweils mit einer spezifischen Bedeutung von Community verbunden sind und an die Stelle von kollektiven Sicherheitsmaßnahmen treten und sich nur noch auf partikulare Zonen statt auf die gesamte Gesellschaft beziehen. Dem stehen aber wiederum die autoritäre und disziplinierende Art der Beschäftigungsmaßnahmen und der sicherheits- und kriminalpolitische Aspekt vieler Maßnahmen entgegen. QM kann auch als letztes Angebot an BewohnerInnen abgehängter Quartiere gesehen werden, sich selber aus der Armut und Abhängigkeit zu befreien. Der Auftrag an professionelle Träger, die soziale Lage durch Empowerment zu verbessern und eine institutionenübergreifende Zusammenarbeit zu initiieren, kann als Versuch des lokalen Staates gesehen werden, eine ›Zivilgesellschaft von oben‹ zu schaffen.201 Das QM ist gleichzeitig ein Instrument zur Durchsetzung und Absicherung eines lokalpolitisch flankierten Sozialstaatsumbaus. Es handelt sich um ein paternalistisches Modellprogramm, das eingebunden ist in eine »punitive lokale Sozialstaatlichkeit.«202 In der lokalen Sicherheitspolitik stellen die Non-Profit-Sicherheitsdienste einen neuen ordnungspolitischen Akteur im öffentlichen Raum dar und sind Teil einer neuen, ambivalenten »culture of control«.203 Nonprofits werden in die lokale Sicherheitsproduktion eingebunden, ohne dass deren Legitimation und Qualifikation ausreichend geklärt wäre. Sie agieren als »Quasi-Polizeiagenturen« und betreiben tendenziell eine Containment-Politik gegen die Armutsbevölkerung und weisen ihnen spezifische Räume zu und vertreiben sie aus anderen.204 Ein weiterer Aspekt dieser Verschiebung hat eher einen kriminologischen Hintergrund: Die »Kriminologie der Andersartigkeit«, der es um soziale und individuelle Pathologien ging, wird zunehmend von einer »Kriminologie des alltäglichen Lebens« ergänzt. Kriminalität wird als Gelegenheitsprodukt gese200 | Vgl. ebd., S. 85. 201 | Vgl. Lanz 2000. 202 | Vgl. Krasmann 2007. 203 | Vgl. Garland 2001 (Original)/2008. 204 | Vgl. Eick 2005, S. 192/193.

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hen, die von Umgebungs- und Situationsfaktoren beeinflusst ist. Alltägliche Verhaltensweisen und Routinen könnten in kriminalpräventiver Weise beeinflusst werden, z.B. durch die Gestaltung des öffentlichen Raums, durch Überwachung oder durch bestimmte architektonische Designs. Wie Garland in seiner Studie von 2001 zeigt, vermischen sich in der Kriminalitätsbekämpfung Strategien der »Responsibilisierung« mit souveräner Kontrolle. Responsibilisierung meint, die Zivilgesellschaft stärker in die Verantwortung für Kriminalitätskontrolle einzubinden, wofür Neighborhood-Watch- Initiativen ein Beispiel sind. Die Bürger sollen ihrem Eigentum und ihrer Nachbarschaft selbst erhöhte Wachsamkeit zukommen lassen.205 Kriminalitätssurveys können die ungleichen räumlichen Verteilungen der Zahlen von Kriminalitätsopfern verdeutlichen. Haushalte, die Opfer von Kriminalität werden, konzentrieren sich überproportional häufig in den ärmsten Gebieten, insbesondere in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus. Ein weiterer Faktor für die Territorialisierung von Kriminalprävention war das sog. ›Urban Disorder‹-Problem, die Problematisierung von sozial abweichenden Verhalten, etwa in Form von Erlassen über anti-soziales Verhalten. Bestimmte Stadtteile werden als gefährliche Orte, in denen gefährliche Personengruppen die städtische Ordnung gefährden, problematisiert. Darauf reagierte in Großbritannien die Strategie des »Community Policing«, eine community-basierte Kriminalprävention. Lokale Organisationen sollen miteinander kooperieren, aber nicht mehr unbedingt die sozialen Ursachen von Kriminalität bekämpfen, sondern sich auf situative Merkmale des alltäglichen Lebens konzentrieren, aus denen Gelegenheiten für Straftaten entstehen und die sich besonders für kurzfristige Veränderungen eignen (z.B. durch verstärkte Videoüberwachung und Objektschutz).206 Lokale Behörden legen den Fokus eher auf soziale und bauliche Hygiene, eine bauliche Umgestaltung urbaner Gebiete und den Einsatz von Überwachungstechnologien. Ein Instrument des Risikomanagements und eine nur scheinbar neutrale Informationsquelle für lokale Kriminalprävention ist das Kriminalitäts-Audit. Solche Audits sollen Daten über sog. ›kriminogene Situationen‹ sammeln, verstanden als kriminalitätsfördernde Umwelteigenschaften. Dadurch werden Kriminalitätsprobleme gemäß der oben angeführten »Kriminologie des alltäglichen Lebens«, die oft den Unterbau für solche Ansätze darstellt, bloß als Probleme kriminogener Situationen verstanden, die mit einem RationalChoice-Ansatz behandelt werden.207 Dies knüpft dann an die oben in Kap. 205 | Vgl. Garland 2008 (Original 2001). 206 | Vgl. Gilling, Daniel: »Territorialisierung und Community: Sicherheitspolitik in Großbritannien«, in: Kessl/Otto (Hg.) 2007, S. 171-193, hier S. 176. 207 | Vgl. ebd., S. 183/184.

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3.4.4 dargestellte Theorie von Becker an, der selbst Verbrechensphänomene mit einem Homo-oeconomicus-Modell erklärt. Ein Kriminalitätsproblem wird in diesem Denkansatz oft nur wegen des Bezugs auf bestimmte regionale Durchschnittswerte als Problem wahrgenommen, z.B. aufgrund der Tatsache, dass ein Gebiet mit seiner Kriminalitätsrate (oder Migrantenrate) über einem bestimmten Grenzwert verortet wird. Bestimmte Gebiete und Communities werden durch solche Territorialisierungsstrategien erst auf einem problematischen Ort innerhalb einer Skala platziert. Dies ist eine ähnliche Argumentationsfigur wie bei der oben (in 5.3.1 und 6.2) dargestellten Diskussion um Segregation und die Benachteiligung noch selbst verstärkende ›Quartierseffekte‹ bei der Definition und Abgrenzung von sozialen Brennpunkten und QM-Gebieten. Als Gegenstrategien sollen Communities dann vor allem die Rolle sog. »fähiger Wächter« (›Capable Guardians‹) spielen, die ihre jeweilige Nachbarschaft selbst kontrollieren sollen.208 Diese Kontrolle ist sowohl im moralischen Sinne, wie hinsichtlich der physischen Präsenz, z.B. von Neighborhood -Watch-Gruppen gemeint. Die Entdeckung der Community als einer Ebene der Regierung ist Teil einer Neustrukturierung der verschiedenen Governance-Ebenen und neuer Territorialisierungs-strategien. Dabei lassen sich als drei Argumentationsmuster: (a) die partielle Auflösung des Nationalen, (b) eine Aufwertung des Lokalen und (c) eine Zersplitterung des Sozialen nennen.209 Das erste meint Verschiebungen in der Governance hin zur lokalen Ebene, verbunden mit einer tendenziellen Aushöhlung des nationalen Staates. Bei der zweiten Argumentationslinie steht generell die Stärkung der lokalen Ebene, z.B. von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Mittelpunkt. In der dritten Linie geht es um die Territorialisierung als Teil der Fragmentierung oder Partikularisierung des Sozialen im Kontext der neoliberalen Gouvernementalität. Neben der Ökonomisierung und Individualisierung des Sozialen ist ein Teil davon auch die Schaffung von vielen neuen Communities auf lokaler Ebene zulasten eines sozialstaatlich gesicherten gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts. Selbstregulierte Communities ersetzen tendenziell das nationale und lokale wohlfahrtsstaatliche Arrangement. Die neuen Regierungsformen des Lokalen müssen als Teil einer Umgestaltung und Öffnung des Staates in metropolitanen Zusammenhängen gesehen werden. Die neue Governance erzeugt neue nichtstaatliche Akteure und Orte, die vom Staat legitimiert, gesteuert und ›empowert‹ werden. Es entsteht -wie

208 | Vgl. ebd., S. 184. 209 | Vgl zum folgenden: Clarke, John: »Die Neuerfindung der Community? Regieren in umkämpften Räumen«, in: Kessl/Otto (Hg.) 2007, S. 57-81, hier S. 60/61.

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Clarke und Jessop anhand des britischen Beispiels zeigen- ein dezentralisierter Staat, der in neue fragmentierte Formen und Orte eingebunden wird.210 Die Territorialisierung des Regierens gehe aus dem Zusammenhang von zwei Prozessen hervor: einerseits einer relativen Entstaatlichung in Form von Dezentralisierungs- und Rückbau-Tendenzen (und damit verbundenen räumlichen und skalaren Neuordnungen), andererseits aus einem Empowerment, einer Stärkung des Lokalen, das faktisch jedoch nur ein Empowerment der jeweils wohlhabenderen lokalen ›Communities‹ oder von aktiven, partikularen ›Communities‹ in den ›abgehängten‹ Gebieten darstellt. Wie Rose deutlich gemacht hat, stellt der Rückgriff auf die Communities eine neue Regierungsstrategie dar, bei der gestärkten lokalen Communities eine besondere Autorität und Effektivität zugesprochen wird.211 Es werden Konsultations-, Partizipations- und Co-Governing-Prozesse in Gang gesetzt, um die verschiedenen Communities zu aktivieren. Dabei kann man unterschiedliche Typen des Regierens über Communities unterscheiden: Als erstes lokale Communities, die als Partner der kommunalen Regierung, der kommunalen Governanceinstanz angerufen werden. So sollen lokale strategische Partnerschaften entstehen, die verschiedene Behörden und Akteure vernetzen. Deutsche Beispiele dafür wären das Quartiersmanagement oder Kommunale Präventionsräte. Die Betonung der Partnerschaft und der Sprache egalitärer Kooperation verschleiert dabei oft die strukturellen Unterschiede und die Machtungleichgewichte zwischen den Akteuren. Solche Probleme bei Kooperationen tauchen bei Initiativen zum »Community-Building«, zur Gemeindepflege, Stadtteilsicherheit und nachbarschaftliche Kontrollen (»Neighborhood Watch«), bei Nachbarschaftsforen auf. Weitere Einwände sind, dass diese vermeintlichen Partnerschaften zunehmend obligatorisch sind und die beteiligten Akteure sich den nahegelegten Kooperationen nicht entziehen können sollen. Die verschiedenen Kooperationspartner und Communities werden zudem je nach ökonomischer Macht, ihrem jeweiligen Engagement, ihres Etablierungsgrades, ihrer klaren räumlichen Abgrenzung und Gruppenkohärenz und Stabilität hierarchisiert und bevorzugt. So werden selbst durch kleinteilige Beteiligungsforen wie dem Quartiersfond im Rahmen des Quartiersmanagements oder der Präventionsräte meist vor allem die schon gut etablierten Gruppen und Akteure erreicht, sei es der schon lange bestehende Migrantenverein, der Schulverein, die (mittelschichtsdominierte) Stadtteilinitiative zur Begrünung und Wohnumfeldverbesserung. Als besonders hervorgehobener und machtvoller Akteur unter diesen verschiedenen Communities muss zudem die ›Business Community‹ gelten, sei 210 | Vgl. ebd., S. 67. 211 | Vgl. Rose 2003.

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es in Public Private Partnerships (PPP) oder Private Finance Initiatives (PFI). Auch das ›Mikromanagement‹ kommunaler Instanzen, bzw. quasi-unternehmerisches Public Management, sowie lokales Sozial-Sponsoring großer Unternehmen gehören dazu. Im Rahmen von Verwaltungsreformen oder dem Neuen Steuerungsmodell werden ökonomische Logiken nicht nur zur Effizienzsteigerung der Verwaltung implementiert, was für sich genommen noch unproblematisch wäre. Aber das Modell des Staatsbürgers mit (sozialen) Rechten gegenüber der Verwaltung wird damit tendenziell abgelöst, entweder durch das eigentlich unpassende Modell des ›Kunden‹ gegenüber einer ›unternehmerischen‹ Verwaltung oder durch das Modell des »Förderns und Forderns«, bei dem ein zu disziplinierendes Individuum den Forderungen der Verwaltung nachkommen muß (z.B. wenn durch Fallmanagement und Eingliederungsvereinbarungen die Förderungswürdigkeit an restriktive Bedingungen gekoppelt wird). Auf der regionalen oder lokalen Ebene von sozial problematischen Stadtteilen könnte jedoch auch das Problem bestehen, dass die ›Business Community‹ nicht genügend verwertungsorientiertes Interesse an solchen Stadtteilen aufbringt. Ausnahmen sind dabei kleinteilige Initiativen lokaler Geschäftsleute zur Aufwertung oder Stabilisierung von Einkaufsstraßen. Solche (Re-)Territorialisierungsstrategien des Regierens durch Communities weisen jedoch verschiedene Instabilitäten auf: Die Instabilität der ›angerufenen‹ Communities, die Instablität der Regierungsapparate und -maßnahmen und die Instabilitäten und Konflikte die entstehen, wenn die Apparate und lokalen Gruppen aufeinanderstossen und in der konkreten Regierungspraxis aufeinander bezogen werden. Solche Konflikte und Instabilitäten können sich in ›Übersetzungsproblemen‹ von geplanten Programmen in die Praxis äußern oder durch Missverständnisse bei der Umsetzung und in der Einbeziehung von Akteuren. Als Ort und Modus von Governancestrategien führen Communities zu spezifischen Problemen, sei es, dass sie in sich widersprüchliche Einheiten sind, einen Alleinvertretungsanspruch haben, oder nur widerwillig aktivierbar sind. Außerdem sind Communities durchlässig und instabil, weil Menschen und Ressourcen wechseln und das Gebiet verlassen. Die Instabilitäten auf der Ebene der Governance ergeben sich teils durch die neuen Regierungsweisen des sog ›governing at a distance‹ – Regierens aus der Distanz – wie das von Theoretikern der GS genannt wird.212 Damit sind z.B. Formen der Indirekten Steuerung oder der Koordinierung von verschiedenen Akteuren gemeint oder Dezentralisierungs- und Rückbaustrategien des Staates mit Evaluations-, Überwachungs- und Auditing-Instrumenten. So beinhaltet die Herstellung von Sicherheit im Quartier als ein Feld gouvernementaler Vorgehensweisen eine lokale Territorialisierung und erfordert den Aufbau von Partnerschaften zwischen verschiedenen Behörden und Akteuren 212 | Vgl. Miller/Rose 1992/1994.

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im Quartier. Die gewollte Autonomie und Indirekte Steuerung ›at a distance‹ wird jedoch durch zentrale Evaluationsinstanzen und deren Ziel- und Schwerpunktvorgaben wieder relativiert. Diese gouvernementalen Initiativen und neuen Partnerschaften sind jedoch von struktureller Unsicherheit hinsichtlich der Definition des Aktionsfeldes, der Machtverhältnisse und der professionellen Einflussmöglichkeiten im Feld geprägt. So ist es fraglich, ob man strukturelle Probleme wie Arbeitslosigkeit überhaupt vorrangig auf der lokalen Ebene angehen kann. Auch die Abgrenzung der Communities kann schwierig sein. Die jeweiligen Praktiker und Vermittlungsinstanzen vor Ort (die ›neuen Technologen der Community-Governance‹) müssen zahlreiche sich überlagernde und potentiell widerstreitende Beziehungen managen und zwischen ihnen vermitteln. So sollen sich Stadtteilpolizisten oder Kiezstreifen dem jeweiligen Ort verbunden fühlen und ihr lokales Wissen und ihre Beziehungen einbringen, aber andererseits die Bewohner disziplinieren. Das Verhältnis solcher Führungsfiguren zu den Regierungsinstanzen und der jeweiligen Community schwankt dabei zwischen den Anforderungen der Glaubwürdigkeit vor Ort, effektiver und rationaler Umsetzung der Vorgaben und der Verpflichtung gegenüber den auftraggebenden Regierungsinstanzen213 . Im kleinen Rahmen zeigen sich solche Konflikte bei der Zusammensetzung des Teams des Quartiersbüros und der Frage der kritischen oder solidarischen Haltung zu den Bewohnern des Quartiers. So wurde ein Quartiersmanager im Neuköllner Rollbergviertel von den Vorgesetzten entlassen, weil er sich angeblich eher mit den Bewohnern des Quartiers identifizierte, statt Vorgaben von oben umzusetzen und sie gegen eine polemische Kritik von oben in Schutz nahm. Ein anderes Beispiel für solche lokalen Praktiker und Führungsfiguren mit einer gewissen Vorbildfunktion, die in einer ambivalenten Rolle zwischen lokaler Verwurzelung, einer Vermittlerfunktion und andererseits der Rolle als Vertreter der lokalen Verwaltung stehen, ist der oben erwähnte Quartiersmanager und Streetworker mit krimineller Vergangenheit in seiner Jugendzeit. Diese Vorbildfunktion kommt in dem ironischen Titel des deutsch-arabischen Quartiersmanagers zum Ausdruck,214 in dem dieser seine Erfahrungen als Streetworker und seinen Weg vom Kleinkriminellen hin zu einem Ansprechpartner für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen schildert. Dabei betont er, wie wichtig und nützlich ein ähnlicher Erfahrungshintergrund (wie z.B. die Migrationserfahrung, die Herkunft aus demselben Kiez oder in seinem Fall sogar eine kleinkriminelle Vergangenheit) sei, um überhaupt Jugendliche aus dem Quartier anzusprechen und mit ihnen auf Augenhöhe zu reden, bzw. zu ihnen Zugang zu finden.

213 | Vgl. Clarke 2007, S. 75. 214 | Saad, Fadi: Der große Bruder von Neukölln, Freiburg 2010.

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Bei der Bewertung solcher oben genannten gouvernementalen Initiativen und Projekte muß man jedoch zwischen den Zielen und programmatischen Ansprüchen und den praktischen Realisierungsformen unterscheiden: »Neben den Praktiken wie der Verantwortlichmachung, der Privatisierung, der Managementkonzepte und der Produktion sich selbst regierender Subjekte – Individuen, Familien, Communities – sollten wir auch Weigerungen, Widerstände, alternative Vorstellungen und Solidaritäten zur Kenntnis nehmen.« 215

Dies würde auch eher einer an Foucault orientierten Machtanalytik mit ihrem Blick für Brüche, Kontingenzen und kleine, konkrete Widerstandspraktiken innerhalb einer ›Mikrophysik der Macht‹ entsprechen. Auf der lokalen Ebene muß man in diesem Sinne verschiedene Formen von Gemeinschaften unterscheiden, je nach dem, welchen Grad an Formalisierung oder Informalität sie erreicht haben und ob sie eher partikularistisch und negativ wirken, oder solidarisch und integrierend: 1. Eine Solidargemeinschaft mit formellen Strukturen und im Sinne von formaler Sicherheitspolitik wären z.B. Akteure wie das Kommunale Forum; 2. Informell bleibende Gemeinschaftsgruppen wie die lokalen Vätergruppen in Neukölln oder andere Elterngruppen oder viele ethnische Vereine oder Clubs von Migranten; 3. Vermittelnde Gemeinschaftssolidaritäten zwischen verschiedenen Gruppen: ein Teil der informellen Gruppen bleibt im Dunkeln der Informalität, ein Teil geht Bündnisse mit formellen Gemeinschaften ein; 4. Schließlich Gemeinschaftssolidaritätsformen, die nur nach innen solidarisch sind, oder die nicht nur informell, sondern auch im eigentlichen Sinne kriminell sind (ethnische Großclans). Hier gibt es jedoch auch Übergangsformen, wenn z.B. einige ältere Männer eines Clans aus dem kriminellen Milieu aussteigen oder sogar den Kontakt zur Polizei suchen, um eine Vermittlerrolle anzubieten und das Image dieser Clans zu verbessern.216

215 | Clarke 2007, S. 76. 216 | So gründeten in Berlin einige Familienoberhäupter einen Verein, die »FamilienUnion«, um zwischen Jugendlichen, Lehrern und Polizei zu vermitteln, Jugendliche von der Straße zu holen und präventive Netzwerk-Arbeit zu betreiben, vgl. Tagesspiegel v. 27.2.2011: »Die Clanchefs bitten zum Tee. Libanesisch-kurdische Großfamilien wollen ihren schlechten Ruf aufpolieren«.

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7. Resümee 7.1 Z USAMMENFÜHRUNG DER THEORIEPERSPEK TIVEN Die verschiedenen Theorieperspektiven dieser Arbeit sollen nun resümierend zueinander in Beziehung gesetzt werden und es wird ihre jeweilige Relevanz für die gewandelten Regierungsformen innerhalb der Analyse des Feldes lokaler Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aufgezeigt. In drei Schritten (7.2-7.4) werden die Beiträge der in dieser Arbeit behandelten Theorie- und Analysekonzepte zur Untersuchung des lokalen Politikfeldes gegenübergestellt. 1) Der im engeren Sinne politologische Governance-Ansatz (in Kapitel 2.1), in einem analytischen Sinne, wie er von Benz vertreten wird, kann aufzeigen, wie sich das Regieren zu einer mehr kooperativen, ressortübergreifenden, netzwerkartigen Koordination hin verändert oder verändern soll. Das »Soziale Stadt«-Programm ist in dieser Sichtweise ein Beispiel für eine neue lokale Governance-Konstellation. In einer stärker normativen Sicht im Sinne von ›Good Governance‹ bilden die neuen, aktivierenden Beteiligungsformen (Quartiersfond, Aktionsfonds, Quartiersbeiräte) ein Beispiel für partizipative Governance-Formen. Faktisch geraten sie aber vielleicht eher in die Nähe einer bloßen Simulation von Politik. 2) Die Beiträge der arbeitssoziologischen Forschungen und der Vertreter der GS zur Subjektivierung von Arbeit und zum ›unternehmerischen Selbst‹ im vierten Kapitel sollten als Folie und Interpretationshilfe dienen, um ähnliche Trends und Diskurse zur Aktivierung und zur unternehmerischen Subjektivierung in der Programmatik der »Sozialen Stadt«-Politik im sechsten Kapitel aufzuzeigen. 3) Die Governmentality Studies mit ihrem spezifischen Erkenntnisinteresse können die Logik und die Rationalitäten der Programme im Sinne einer neoliberalen oder unternehmerischen Regierungsweise aufzeigen. Dabei sind sie insbesondere für die auf Aktivierung und Workfare-Strategien setzenden Aspekte des Programms relevant. Wie schon im vierten Kapitel (4.3 und 4.7) über die Relevanz und die Grenzen des GS-Ansatzes angesprochen, ist die Reichweite des von ihnen untersuchten

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Leitbildes unternehmerischer Subjektivierung jedoch begrenzt. Auch wenn in den Texten, Evaluationsberichten und Programmpapieren zur »Sozialen Stadt« viel von Aktivierung und Empowerment der Bürger die Rede ist, so stammt dies doch eher aus einer sozialdemokratischen und sozialpädagogischen Tradition, die nicht per se auf neoliberale Subjektivierung verweist oder ganz darauf reduzierbar ist. Aktivierung und Empowerment sind in diesem Programm eher noch als Förderung von Zivilgesellschaft und von lokalen Gemeinschaften, im Sinne von kommunitaristischen Ansätzen gemeint. In der Umsetzung jedoch passiert je nach lokaler Kräftekonstellation durchaus unterschiedliches und teils auch etwas anderes als in der Programmatik. Das kann mit einem an Foucault geschulten genealogischen Blick viel deutlicher analysiert werden. Insofern schöpfen viele GS-Forscher die ›Werkzeugkiste‹ ihres ›Meister-Denkers‹ überhaupt nicht aus.

7.2 D AS P ROGR AMM »S OZIALE S TADT« Z WISCHEN SOZIALDEMOKR ATISCHER UND NEOLIBER ALER P OLITIK Das Problem des Programms »Soziale Stadt« ist nicht so sehr die Konzentration auf bestimmte Sozialräume und die mögliche Vernachlässigung von anderen Räumen, sondern dass der angestrebte Ausgleich und die soziale Mischung durch den veränderten gesamtgesellschaftlichen Kontext und die tendenziell neoliberale Bundespolitik konterkariert werden und daher die an sich sinnvollen finanziellen Mittel nicht ausreichen. In der schon stärker neoliberal geprägtem angelsächsischem Welt wie in Großbritannien sind solche Community-Programme eher Teil eines schon stärker neoliberal geprägten Staates und einer die Betroffenen lokalräumlich fixierenden, nur auf Brennpunkte zielenden Strategie, die eine gesellschaftliche Integration kaum noch anstrebt, sondern mit ›governing by communities‹ eine sozialräumliche autoritäre Kriminalitätskontrolle durch lokale Gemeinschaften betreibt. Bei der Übertragung von solchen ›Governing by community‹-Forschungsansätzen der GS auf deutsche Verhältnisse muss man jedoch beachten, dass hier der Kontext ein anderer ist. Auf der kommunalen Ebene sind diese lokalen Sozialprogramme durchaus noch wohlfahrtsstaatlich geprägt und auf sozialen Ausgleich zielend, während die Bundespolitik und ihre Rahmenbedingungen seit der Einführung von Hartz IV es kaum noch sind. Die soziale Zielsetzung des Bund-Länder-Programms wird dadurch konterkariert bzw. muss immer mehr sich verschärfende Problemlagen lokal auffangen. Obwohl die Mittel anfangs erhöht wurden, reichen sie jedoch dafür nicht aus. Dadurch erst werden neoliberale Elemente wie Workfare-Ansätze, Niedriglohnjobs usw. faktisch in den Programmkontext integriert.

7. Resümee

In dem Maße wie die öffentlichen Haushalte und damit das Programm unter finanziellen Druck gerieten oder in einem neoliberalen Kontext agierten, müssen die Akteure diese Aktivierung und das Empowerment unfreiwillig auch in einem unternehmerischen Sinne, als lokales Sozial-Unternehmertum zur Aktivierung und Förderung von lokalem Sozialkapital verstehen. Dies kann man unter anderem an der Transformation der Rolle von Nonprofit- und Drittsektor-Organisationen festmachen, die sich immer stärker als unternehmerisch handelnd verstehen müssen, und die die Herausbildung eines Niedriglohnsektors und prekärer Arbeitsbedingungen teils mittragen, teils sogar aktiv fördern (wie von der Forschergruppe um Mayer herausgearbeitet, vgl. Kapitel 6.5.2). Für die konkreten Quartiersmanager vor Ort liegt der unternehmerische, aktivierende Aspekt darin, dass sie (die teils von einem sozialpädagogischen, teils von einem stadtplanerischen Rollenmodell geprägt sind) ein neues Rollenverständnis entwickeln müssen. Sie müssen teils selbst unternehmerischer denken und handeln, um z.B. den Überblick über verschiedene Förderprogramme und Finanzierungsmöglichkeiten zu haben, oder weil sie die verschiedenen lokalen Akteure vernetzen und zur Mitarbeit motivieren sollen. Dieses neue unternehmerische Leitbild kann auch überzogen und übersteigert werden, wenn sich Akteure aus der Tradition der Gemeinwesenökonomie und Sozialarbeit das neoliberale, egoistische Leitbild zu stark zu eigen machen, wie im Fall des Skandals um den Treberhilfe-Geschäftsführer Harald Ehlert mit seinem ›Sozial-Maserati‹, der Gelder seines Vereins veruntreut hatte. Im Kontext der unter einer extrem angespannten Finanzlage leidenden Stadt Berlin, die aber andererseits noch eine ›linke‹ Regierung hat, steht das Programm in einem besonderen Spannungsverhältnis. Einerseits haben sich bestimmte Akteure aus der SPD zu Beginn der Programmlaufzeit die soziale Stadtentwicklung auf ihre Fahnen geschrieben und teils den Anstoß für die Umsetzung gegeben (insbesondere der Stadtentwicklungssenator Peter Strieder). Andererseits waren in Berlin auch die Trends hin zum Niedriglohnsektor, zu Ein-Euro-Jobs und zu einer sicherheitspolitischen Instrumentalisierung und Ausdeutung des Quartiersmanagements besonders spürbar, z.B. bei der Zusammenarbeit von Quartiersmanagement und Sicherheitsdiensten (vgl. Kap. 6.5). Während in anderen, westdeutschen Programmgebieten der »Sozialen Stadt« eine eher pragmatische Umsetzung dominierte, schien das Programm in Berlin anfangs politisierter und kritischer aufgenommen zu werden. Dies hatte einerseits den Hintergrund, dass das Feld Stadtentwicklung in Berlin schon länger besonders umkämpft oder umstritten war. In Berlin traf das QM anfangs besonders in der linksradikalen Szene auf Skepsis und Ablehnung, teils wegen der ›verdächtigen‹ Managementrhetorik, teils wegen der klaren Benennung von sozialen Brennpunkten, aber auch wegen des zumindest teilweise berechtigten Verdachts, implizit die Gentrifizierung zu fördern (z.B. im Prenzlauer Berg).

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Regieren in der Sozialen Stadt

Dies machte das »Soziale Stadt«-Programm in Berlin zu einem diskursiv und real besonders umkämpften Feld. In diesem Programm und seiner Umsetzung mischen sich somit sozialdemokratische und kommunitaristische, auf Gemeinwesen und Sozialraum bezogene, sozialpolitische Traditionslinien mit neuen Governance-Formen. Diese lassen sich aus Sicht von GS-Forschern (wie Rose) als ›governing at a distance‹ oder ›governing by communities‹ beschreiben, aber auch auf Workfare-Strategien und prekäre Arbeitsformen zielende Aspekte hin untersuchen.

7.3 D AS P ROGR AMM »S OZIALE S TADT« AUS S ICHT DER GS IM V ERGLEICH ZU MAR XISTISCHEN A NSÄT ZEN Die von Altvater/Mahnkopf angebotene Analyseperspektive der Informalisierung von Politik und Arbeit ist insofern relevant, als sich im Feld der lokalen Sozial-, Arbeits- und Sicherheitspolitik sowohl formelle wie informalisierte Politikformen bei der Erbringung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung durch private Sicherheitsdienste finden. Teils damit gekoppelt werden aber auch informalisierte Arbeitsformen eingesetzt, wenn z.B. Arbeitslose als Ein-Euro-Jobber den öffentlichen Raum pflegen oder kontrollieren sollen. Diese Phänomene sind im Sinne der von Altvater/Mahnkopf entwickelten Kategorisierung aber überwiegend noch Teil einer Informalisierung innerhalb des Formellen, da sie noch auf die formale Ökonomie und Politik bezogen bleiben. Andere Phänomene wie halb-legale, informelle Netzwerke werden von ihnen als »residuale«, traditionale, oder ethnisierte Formen der Informalisierung gedeutet. In der lokalen Ökonomie finden sich allerdings auch verschiedene Formen von informalisierter Arbeit (Schwarzarbeit, ethnische Netzwerk-Ökonomie). Stärker als die Governance-Forschung, die Sozialkapital-Forschung, die Governmentality Studies und auch Lefèbvres Stadttheorie ermöglichen die marxistische kritische Stadtgeographie Harveys, die politisch-ökonomischen Informalisierungsstudien von Altvater/Mahnkopf und eine kritische Soziologie postfordistischer Arbeitsformen eine tiefere und empirisch gehaltvollere Analyse der Erscheinungsformen und der Antriebsdynamik des Wandels lokaler Regierungsformen und Arbeitsformen und neuer Subjektivierungsweisen in den urbanen Räumen des postfordistischen finanzkapitalgetriebenen globalen Kapitalismus, die zum Gegenstandsfeld aktivierender lokaler Sozial- und Arbeitspolitik werden. Foucaults Machtanalytik setzt wiederum schon vorgängig an den genealogisch-historischen Voraussetzungen moderner Regierungsrationalitäten und diskursiver Macht-Wissens-Formationen an und bei der Analyse der Hegemonie bestimmter Diskurse. Sie vermag so z.B. aufzuzeigen, wie bestimmte Phänomene und Probleme (kontingent) auftauchen, wie bestimmte Problematisie-

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rungsweisen hegemonial werden oder wie manche Phänomene des Sozialen und des gesellschaftlichen Zerfalls beinah nur noch in ökonomischen, neo-sozialen, subjektivierten Termini (im Sinne der Zuschreibung von Eigenverantwortung) oder in Begriffen der Community thematisiert und problematisiert werden. Foucault betreibt damit in anderer Weise als die marxistisch-ökonomischen Studien auch eine ›tiefe‹, voraussetzungsvolle Machtanalytik. Aus der Sicht kritisch-materialistischer Arbeits- und Raum-Analysen bewegen sich die Bewohner in den heutigen urbanen Räumen in einem Spannungsfeld zwischen räumlicher z.T. dauerhafter Verortung und beschleunigter Mobilität und einem transitorischen Raumbezug, zwischen zentripetalen und zentrifugalen gesellschaftlichen Kräften. Eine dauerhafte lokale Verankerung wird eher nur noch typisch an den zwei Polen der sozialstrukturell polarisierten Globalgesellschaft möglich sein: für ›abgehängte‹, ›überflüssige‹ und marginalisierte soziale Milieus an dem einen Pol und für bestimmte Oberschicht-Milieus am anderen Pol. Die neuen Mittel- und Zwischenschichten haben dagegen zunehmend befristete, transitorische oder sogar fluktuierende polyzentrische Sozialraumbezüge (als Individuen, Familien, Berufsgruppen, Wohnungseigentümer und Immobilienspekulanten). Im deutschen Kontext ist diese Polarisierung zwar noch nicht so extrem ausgeprägt, bewegt sich aber in diese Richtung. Bestimmte jugendliche, migrantische, z.T. ›gefährliche‹ Underclass-Milieus in den Städten provozieren vielfältige wohlfahrtsstaatliche, zivilgesellschaftliche und sicherheitspolitische Programme und Zielgruppen-Interventionen, mit denen sie teils um-aktiviert, gefördert und kooptiert werden oder in lokal fixierenden Ghettos exkludierend inkludiert und kontrolliert werden. Selbst Lefebvres Programmatik des Rechts auf Stadt ist gegenüber diesen Tendenzen ambivalent: Sie kann als Recht auf eine gesamtgesellschaftliche bis global-gesellschaftliche staatlich garantierte und alle integrierende Stadt-Politik verstanden werden oder aber als Recht auf Erhaltung oder Durchsetzung von selbst kontrollierten (fixierenden, dauerhaften) Stadträumen für soziale Unterschichten und z.T. für illegale arme Migranten. Die oberen Schichten können eher die Möglichkeiten unbegrenzter Kapital- und Konsummobilität nutzen und fördern so unfreiwillig die beschleunigte Gentrifizierung wechselnder modischer Stadträume, die zeitlich befristet gebraucht, verbraucht und wieder verlassen werden. Dabei sind sie jedoch auch den kontingenten Volatilitäten eines ›finanzialisierten‹ verselbständigten globalen Immobilienmarktgeschehens ausgesetzt. Parallel dazu gibt es auch migrantische Unterschichts- oder Prekariats-Gruppen und -Milieus, die als prekäre oder intellektuelle Dienstleisterklassen einer mobilen Gentrifizierung von Stadtquartieren hinter her wandern müssen, während umgekehrt Teile der mobilen Gentry-Elite den morbiden Reiz der Nähe zu (wechselnden) exotisierten, künstlerischen und neo-ethnisierten Unterschicht-Quartieren suchen.

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Mit der Perspektive der marxistischen Raumforschung und kritischen Geographie wie sie Harvey und andere vertreten, lassen sich die Einbettung solcher informeller Ökonomien und lokaler Umstrukturierungsprozesse in globale, auf kurzfristigen Profit orientierte Strategien der verschiedenen global orientierten Kapitalfraktionen, wie Investmentfonds und Immobilienfonds besser untersuchen. Die marxistische kritische Geographie kann erklären, in welchem globalen Kontext die lokalen Sozialraumprogramme agieren und warum ein auf alle Gebiete gleichermaßen zielender, auf gleichmäßige Verteilung und Angleichung der Lebensverhältnisse setzender Integrationsansatz immer schwieriger, wenn nicht unmöglich wird. Denn kapitalistische Entwicklung und Investitionsstrategien des globalen Kapitals bringen immer eine räumlich ungleiche Entwicklung mit sich, wie Harvey aufzeigt. Es bilden sich z.B. Global Cities, deren global orientierte Finanzwirtschaft untereinander stärker vernetzt ist als die jeweilige Stadt mit ihrem Umland und die aber intern stark sozial polarisiert sind. Außerdem bilden sich regionale Cluster und wirtschaftliche Schwerpunktregionen. Auch Deutschland ist von räumlich ungleicher Entwicklung geprägt. Es gibt nicht nur die eine beherrschende Metropole, sondern eine Vielfalt von verschiedenen Zentren und Wirtschaftsregionen (Rhein-Main-Gebiet, Ruhrgebiet, München, Baden-Württemberg), was aber bisher gerade eine Stärke des Wirtschaftsraums Deutschland war. Unter den Bedingungen verschärfter regionaler Konkurrenz und globalen Wettbewerbs werden sich diese räumlichen Ungleichheiten wohl eher noch verschärfen. Das im Grundgesetz proklamierte Ziel der Angleichung von Lebensverhältnissen und die auf soziale Integration und soziale Homogenisierung zielenden Strategien (wie im Rahmen des BundLänder-Programms) werden damit schwieriger realisierbar. Während man mit Foucault die diskursive Konstruktion von Räumlichkeit und das Verhältnis von Disziplinierung von Körpern im Raum in den Blick nehmen kann, ermöglichen materialistische bzw. marxistische Raumtheorien wie die von Harvey die Einbeziehung von materiellen Praktiken und des Aspekts der materiellen Produktion von Räumlichkeit in die Analyse. Die materialistische Politische Ökonomie und die kritische Stadtgeographie können analysieren, warum und in welchen Proportionen die arbeits-, sozial- und städtepolitischen Partizipations- und Aktivierungsstrategien und -Erwartungen, die in unterschiedlicher Weise von den sozialdemokratischen Wohlfahrtsprogrammen der fordistischen Ära und den neoliberalen Subjektivierungsprogrammen der postfordistischen Ära vorausgesetzt und mit unterschiedlichen Zielen gefördert wurden, überwiegend scheitern, wodurch sie in bestimmten Konstellationen informelle Abwehr- und Widerstandspraktiken in der Bevölkerung hervorrufen können. Scheitern die sozialdemokratischen und kommunitaristischen Partizipationsprogramme an den bürokratisch verkrusteten Regierungsformen und an

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ihren zu begrenzten bzw. nur selektiv eingesetzten materiellen Ausstattungen, so stoßen die Governance- und Sozialkapital-Programme zur sozialräumlichen Aktivierung von Bevölkerungsgruppen und ihren künstlich ›konstruierten‹ Communities auf mehrere materielle Defizite und Grenzen sowie davon ausgelöste Rückzugs- und Abwehrpraktiken: (1) Die materielle Ausstattung dieser Programme sowohl aus öffentlichen wie aus privaten Quellen ist noch geringer geworden, so dass sie für die Mehrheit der Bewohner uninteressant werden. (2) Der Wandel von der materielle Sicherheiten bietenden und dauerhaften formellen Lohnarbeitsform zu prekären, z.T. scheinselbständigen, kurzfristig fluktuierenden und Mobilität erfordernden Beschäftigungsformen mit Armutsphasen sowie der Rückgang kleiner lokaler Unternehmen verringern für bestimmte mobile Gruppen eine kontinuierliche Anwesenheit in und die Identifikation mit ihren Wohnquartieren. Für andere sozial marginalisierte Gruppen bedeutet es dagegen eine sozialräumliche Fixierung, die immer schwerer zu überwinden ist. (3) Damit wird auch eine lokal orientierte Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungsförderung weniger relevant und (4) die resultierenden realen oder massenmedial inszenierten Sicherheitsdefizite in ›Problemquartieren‹ senken zusätzlich die Bereitschaft zur Partizipation bei den meisten BewohnerInnen, zumal (5) die Privatisierung, Prekarisierung und Verringerung der für Sicherheit sorgenden Beschäftigten zu der Problematik beiträgt. Die von Lefebvre entwickelte Typologie verschiedener Räume zeigt die Verwobenheit von Alltagsräumen und repräsentativen Räumen des Kapitals und wie sie sich überschneiden oder teils in Konflikt stehen. Sein ›Recht auf Stadt‹Konzept kann anregend für verschiedene Widerstandsformen innerhalb der Stadt wirken. Damit könnte es eine Leerstelle füllen, die die an übergreifenden Logiken und Rationalitäten interessierten GS lassen: die Frage des Widerstands und der Brüche und Widersprüchlichkeiten bei der Umsetzung von Programmen. Damit lässt sich wiederum ein Bezug zu Foucaults Methodik und seinem Konzept der ›Heterotopien‹ herstellen. Bei den Heterotopien handelt es sich um sog ›Andere Räume‹, die über den Alltag hinausweisen oder Orte für Widerstand sein können.

7.4 D AS QM ALS O BJEK T GENE ALOGISCHER M E THODIK IM V ERGLEICH ZU DEN GS Methodisch betrachtet geht es Foucault oft eher um die Brüche (innerhalb eines Programms, innerhalb der Geschichte) um die Kontingenz, um das kontingente ›Auftauchen‹ eines Problems, eines neuen Diskurses etc. Außerdem ging es ihm darum, Macht und Widerstand zusammen zu denken und die Aufmerksamkeit auf konkrete, lokale Widerstandspraktiken und Wissensformen zu len-

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ken, sei es in einer genealogisch-historischen Perspektive (die hier allenfalls punktuell angerissen werden sollte) oder bei der Analyse von Diskursen oder von gouvernementalen Regierungspraktiken und ihrer diskursiven Problematisierung. Mit Foucaults Gouvernementalitätsansatz kann man die verschiedenen (Regierungs-)Logiken und Rationalitäten aufzeigen, insbesondere wie die Statistik als politische ›Normalisierungstechnologie‹ die »Soziale Stadt« – Gebiete und ihre Bevölkerung anhand einer angenommenen Normalverteilung von Problemfaktoren wie Armut, Arbeitslosigkeit, Migrantenanteil misst und kategorisiert und auf einer Problemskala verortet bzw. platziert. Die eigentlich eher technokratische oder sozialtechnologisch-statistische Rhetorik des Programms mit seiner Rede von ›Gebietskulissen‹ oder ›Programmkulissen‹ verrät unfreiwillig mehr über das Programm, das vielleicht nur eine bloße Kulisse oder schöne Fassade ist, die Armut verschleiert oder ›schön malt‹, statt ihre Ursachen wirklich zu bekämpfen. Bei einer zeitlich längeren, genealogischen Perspektive könnte man mit Foucault die unterschiedlichen Problematisierungsweisen von lokalen Regierungsweisen des Sozialen aufzeigen. Von dem Leitbild der nivellierten Mittelstandsgesellschaft der 60er Jahre über die behutsame Stadterneuerung der 80er Jahre bis hin zur Problematisierung von Ghettos und einer ›Urban Underclass‹, die teils als neue ›gefährliche Klasse‹ thematisiert wird. Eine ›Genealogie‹ des Quartiersmanagements müsste sich auch auf Material über die historischen Vorläufer des »Regierens städtischer Armutsbevölkerung« stützen. Beiträge dazu wären z.B. die Forschungen von Francois Ewald zur Geschichte des Wohlfahrtsstaates und zur »Erfindung des Sozialen«, wie sie genealogisch orientierte Foucault-Schüler wie Ewald, Pasquino und Procacci untersuchten. Weiterhin sind hier die Untersuchungen von Foucault zur Aufteilung und Parzellierung städtischen Raums im ersten Band seiner Geschichte der Gouvernemenatlität und zur disziplinären Kontrolle der Armutsbevölkerung, wie er sie in »Überwachen und Strafen« schildert, relevant. Die Gouvernementalitätsstudien analysieren, wie die liberale Regierungskunst immer schon in einem Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit agiert und wie diese sich auf der lokalen Ebene zeigt: zwischen einer bloß sicherheitspolitischen Bearbeitung von lokalen Problemen, einer aktivierenden ›Anrufung‹ der Bewohner und einer Strategie der Responsibilisierung (Verantwortlichmachung) von lokalen Communities und Bewohnern. Auch die durch materialistische Ökonomie-Analysen fundierten politik-, arbeits- und stadtsoziologischen Bereichsstudien (Altvater/Mahnkopf, Pongratz/ Voß) analysieren die Grenzen der Regierungsrationalitäten empirisch genauer und sind somit dem genealogischen Blick Foucaults näher als die Governance- Sozialkapital- und GouvernementalitätsforscherInnen, weil sie Kategorien und Konzepte entwickeln, die an die materiellen und physischen Ressourcen

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und Praktiken im Alltagsleben anschließen: so die differenzierte Phänomenologie der Informalisierungstendenzen in Politik, Arbeit und Wirtschaft (bei Altvater/Mahnkopf) oder die drei Ebenen der Produktion und Repräsentation von städtischen Räumen von Lefebvre. Sie zeigen, warum und wie aus kapitalistischen Strukturkrisen und politisch-ökonomischen Formveränderungen (von Unternehmens- und Lohnarbeitsformen) Mechanismen der Schwächung des Sozialen, der Machtverschiebung auf Kosten zivilgesellschaftlicher kollektiver Interessendurchsetzung und zugunsten der direkten Durchsetzung von Finanzkapitalmacht resultieren und wie diese sich auch in den Machtverhältnissen bei der Gestaltung und Nutzung städtischer Räume zeigen. Dagegen richten sich die wenn auch schwachen Bewegungen für ein ›Recht auf Stadt‹, die zunächst eher Symptom des weiteren Abbaus sozialer Mitgestaltung der Stadtbevölkerung in den vergangenen Jahren sind. Erste Analyseergebnisse zu den materiellen und ökonomisch-strukturellen Grenzen der neuen Steuerungsmodelle und aktivierenden Regierungs- und Selbsttechnologien in städtischen Räumen deuten darauf hin, dass die Durchsetzung von finanzkapitalistischen Verwertungsinteressen und der damit verbundene Abbau sozialer und kultureller Infrastrukturen als sozial ausgleichende Regelleistung nicht mit Hilfe von Partizipations-, Sozialkapital- und Aktivierungsstrategien politisch durchsetzbar oder politisch-symbolisch instrumentalisierbar sind, sondern überwiegend eher mit direkter ökonomisch-struktureller (disziplinarischer) Gewalt und ergänzender abschreckender repressiv-polizeilicher Gewalt (Souveränitätsmacht) erfolgt. Dadurch entstehen wachsende Räume oder Zonen von sozialer Anomie, Passivität, Isolation und Kriminalisierung. Ob daraus und dagegen Bewegungen zivilgesellschaftlicher z.T. informeller lokaler oder translokal – ethnisierter Überlebensökonomien und sozialer Gegenmacht entstehen und gleichzeitig neue Regierungsstrategien von oben, die sich gezwungen sehen, das Ausmaß an sozialer Destruktion und Gewalt wieder abzumildern, ist schwer vorherzusehen. Die Reaktionen der neoliberalen britischen Regierung auf die scheinbar unpolitischen ›Riots‹ in London und anderen Großstädten des Sommers 2011 weisen eher nicht in diese Richtung. Eine längerfristig die Entstehungswege, Transformationen und Begrenztheiten von Regierungstechnologien als Wissens- und Machtformen analysierende Methodik wie die Foucaults und auch die Analysen Lefebvres zu den drei Ebenen von elementarer sozialer Wahrnehmung, diskursiver Repräsentation und bewusster Alltagserfahrung von sozialen Räumen können dazu differenzierteres Wissen ›auf Vorrat‹ beisteuern.

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7.5 F OUCAULTS ›G ESCHICHTE DER G OUVERNEMENTALITÄT‹ ALS INTEGR ALE S ICHT WEISE FÜR EINE DIFFERENZIERTE A NALY TIK DES R EGIERENS SOZIALER R ÄUME UND Q UARTIERE Die analytische Perspektive Foucaults und der GS sollte hier als Folie dienen, um gewandelte Regierungsformen und Regierungsweisen in der lokalen Arbeits- und Sozialpolitik und Phänomene wie den Boom von Sozialkapitalansätzen, von Governance, von unternehmerischen Arbeitsformen (wie den AKU) und von ›Governing by community‹-Ansätzen zu untersuchen. Die Perspektive Foucaults und der Gouvernementalitätsstudien bedarf jedoch der Ergänzung hinsichtlich der empirischen Ausprägung der von ihr aufgezeigten Phänomene unternehmerischer, ökonomischer Selbstführung durch die kritische Arbeitssoziologie und hinsichtlich der Kapitalismusanalyse durch die marxistische Raumtheorie Harveys. Aus der Meta-Sicht einer an Foucault orientierten Regierungs- und Machtanalytik ist die Konjunktur der oben genannten Ansätze jeweils ein Indiz für eine gewandelte Regierungsrationalität: Die Sozialkapital- und GemeinwesenAnsätze zeigen, dass die Community und der jeweilige Ort als Ziel von Regierungsstrategien wichtiger wird; die unternehmerischen Ansätze waren, wie gezeigt, auf der Ebene der lokalen Sozial- und Arbeitsprogramme jedoch eher schwach ausgeprägt, dennoch zeigen sie den Aspekt der Selbsttechnologien auf. Die Workfare-Ansätze, wie sie auf die Ein-Euro-Jobber und bei den Sicherheitsdiensten angewendet werden, sind wiederum ein Indiz für die disziplinierenden Aspekte in diesem Politikfeld. Die Vorlesungen zur ›Geschichte der Gouvernementalität‹ bieten dabei ein breiteres Spektrum als nur das von den GS in den Mittelpunkt gestellte Verhältnis von Regierungs- und Selbsttechnologien, von Fremdführung und Selbstführung. Vielmehr geht es Foucault um ein ›bewegliches‹, ›fluktuierendes‹ Verhältnis aus Souveränitätsmacht, Disziplinarmacht und Sicherheitsdispositiven, die nicht als eine kontinuierliche historische Abfolge zu verstehen sind, sondern als ein variables Arrangement von Machtformen. Die moderne liberale Regierungsrationalität schafft die Freiheit, die zugleich immer als bedroht wahrgenommen wird. Daher regiert sie in einem Spannungsverhältnis aus Freiheit und Sicherheit, was auch die Regierungsstrategien im Feld der lokalen Arbeits- und Sozialpolitik durchzieht. Die drei Machtformen und Regierungsrationalitäten der Souveränität, der Disziplin und der sich auf die Biomacht der Bevölkerung richtenden Sicherheitsdispositive stellen auch ein differenziertes Analyseinstrumentarium für die Einbettung verschiedener sozialer Gruppen und Milieus in unterschiedliche Machtkonstellationen bereit.

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Für die Analyse lokaler Machtkonstellationen ist jedoch auch die Mikrophysik der Macht, wie sie von Foucault in Sexualität und Wahrheit 1 entwickelt wurde, relevant und könnte von den GS stärker aufgegriffen werden. Je nach Grad der Integration und Verwertbarkeit von Bevölkerungsgruppen in der Stadt werden jeweils andere Regierungsrationalitäten und Machtdispositive mit einem unterschiedlichen Grad an Freiheits- und Sicherheitsaspekten auf sie angewendet: • Für die kreativen, kommunikativen – wenn auch teils prekären – Selbständigen und Künstler sind noch eher die unternehmerischen Selbsttechnologien, die Leitfigur des ›Unternehmerischen Selbst‹ und die Sicherheitsdispositive relevant. • Für die Hartz-IV-Empfänger und Ein-Euro-Jobber ist dagegen die Anwendung normierender Disziplinarmacht dominant. • Für die Ausgegrenzten, Illegalen oder gar Kriminellen wird wiederum die Souveränitätsmacht im Sinne von Ausschluss und Abschiebung angewandt. Die verschiedenen sozialen Statusgruppen identifizieren sich wiederum unterschiedlich stark mit ihrem lokalen sozialen Nahraum und sind insofern unterschiedlich gut ansprechbar für die lokalen, aktivierenden Governanceprogramme: Die Reste von fordistischen Arbeitnehmermilieus (Niedriglohnbezieher aus den alten Industriearbeitszweigen), Angehörige des öffentlichen Dienstes, Lehrer und Sozialarbeiter, die teils schon länger im jeweiligen Quartier wohnen, identifizieren sich wahrscheinlich noch am ehesten mit dem Quartier und sind für zivilgesellschaftliche Partizipationsangebote ansprechbar, was sich auch am relativ hohen Anteil bei der Beteiligung an den Quartiersfondjurys im Rahmen des QM zeigt. Gebildete und gut qualifizierte aber statusunsichere, statusinkonsistente Gruppen, die jedoch noch eher ein disponibles Zeitbudget haben, werden sich ebenfalls eher aktivieren lassen. Auch lokale Kleinunternehmer und Einzelhändler, die schon lange in ihrem Kiez wohnen, können sich am ehesten mit ihrem Quartier identifizieren. Aber die lokale Ökonomie ist ein Defizit im QM-Programm, was es schwerer macht, sie einzubinden. Für gut qualifizierte Kreative, Künstler, Selbständige ist am ehesten noch die These vom unternehmerischen Selbst relevant. Teils identifizieren sie sich mit dem Quartier, weil sie die spezifische Mischung an Bewohnern, an Milieus und das besondere urbane Flair interessant finden. Sie sind auch teils Zielgruppe von Zwischennutzungsagenturen, die leerstehende Ladenlokale im Quartier vermitteln. Sie sind z.B. Betreiber von kleinen Galerien und Cafes und sind gleichzeitig (halb unfreiwillig) Pioniere der Gentrifizierung. Auch für Manager und lokale Investoren macht die kreative Mischung eines Quartiers gerade den Reiz aus und macht es attraktiv für Investitionen, was den Prozess der Umstrukturierung

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und Verwertung in Gang setzt. Am anderen Ende des Spektrums stehen die prekären, marginalisierten Gruppen, die Langzeitarbeitslosen mit geringer Bildung und schließlich die kriminellen Jugendgangs, die sich aber dennoch mit ihrem ›Kiez‹ identifzieren. Damit haben wir ein breites Spektrum von sozialen Gruppen, die auf unterschiedliche Art adressiert und eingebunden werden können. Die drei Regierungsrationalitäten korrespondieren wiederum mit unterschiedlichen Graden der Formalität bzw. Informalität der Arbeits- und Wirtschaftsorganisation (und teils auch der Formalität/bzw. Informalität des Regierens, z.B. über Sicherheit und Ordnung): • Die kreative Klasse, die Künstler und Selbständigen bewegen sich eher an der Grenze von formeller Informalität und Formalität, • Die traditionellen Arbeitnehmermilieus und Angehörige des Öffentlichen Diensts sind noch Teil der formellen Wirtschafts- und Arbeitsformen • Die Tätigkeiten der Ein-Euro-Jobber sind überwiegend Teil der informellen Arbeit, • die Illegalen sind schließlich Teil der kriminalisierten Informalität. Die öffentlichen Sicherheits- und Ordnungsaufgaben werden ebenfalls teils informalisiert, wie am Boom von Privaten Sicherheitsdiensten mit prekären Arbeitsbedingungen sichtbar wurde. Die Raumtheorie Lefebvres kann wiederum den Konflikt zwischen Alltagsräumen und Räumen der Repräsentation aufzeigen oder die Widersprüche zwischen der Alltagserfahrung des Stadtraums, den elementaren Wahrnehmungen in der Alltagswelt und einem ›künstlich‹ konstruierten, kartierten QM-Gebiet (einer ›künstlichen Raumrepräsentation‹). Diese Konflikte zwischen alltäglicher Raumerfahrung und medial vermittelter Raumrepräsentation äußern sich z.B. konkret wie folgt: »Wieso bekommt meine Schule/meine Kita keine Förderung trotz des hohen Migrantenanteils und obwohl ein QM-Gebiet nur ein paar Straßenecken weiter beginnt?« »Wieso lebe ich angeblich in einem ›Ghetto‹, an einem ›gefährlichen Ort‹ obwohl ich mich als Teil der urbanen, kreativen ›Boheme‹ fühle?« »Wieso wird mein Kiez plötzlich von Touristen überschwemmt?« »Wieso sehen die Neubauten in der Berliner Mitte alle so gleich aus?« Die Unterscheidung der drei Raumtypen bei Lefebvre kann die Reibungspunkte und Konfliktlinien deutlich machen, an denen sich punktuell Bewegungen oder Widerstandsformen, die sich auf das ›Recht auf Stadt‹ berufen, entzünden können (z.B. bei Nutzungskonflikten zwischen alteingesessenen Kreativen oder einem subkulturellen ›Underground‹ gegen einen von außen aufgepfropften ›Masterplan‹ von anonymen Investoren).

7. Resümee

Mit den Raumkonzepten von Lefebvre lässt sich der Aspekt der Heterotopien bei Foucault verbinden. Heterotopien sind bei Foucault die anderen Räume, die z.T. über die bestehende Gesellschaft hinausweisen. Heterotopien sind reale Räume innerhalb sozialer Räume, die eine andere Funktion haben als die übrigen Räume. Diese Gegenräume oder anderen Räumen sind Orte, die außerhalb von alltäglichen Orten liegen. Außerdem ist in dem Konzept einerseits eine Unterscheidung in Ordnungsheterotopien und Abweichungsheterotopien angelegt. Zusätzlich unterscheidet Foucault kompensatorische und illusorische Heterotopien. Dabei geht es einerseits um alternative Raumnutzungskonzepte, die sich kapitalistischen Verwertungsinteressen zu entziehen versuchen: z.B. alternativ-kulturelle Zentren, besetzte Häuser oder Kommunen. Die Soziale Stadt-Gebiete können eher als politisch-symbolische Ordnungsheterotopien gelesen werden, als Versuche, in sozial ausgegrenzten, marginalisierten Gebieten doch noch eine punktuell sichtbare Ordnung aufrechtzuerhalten (z.B. gesäuberte Grünanlagen, von Sicherheitsdiensten bewachte Einkaufspassagen).

7.6 Z USAMMENFASSUNG Wie gezeigt, bieten die Konzepte Foucaults ein vielfältiges Instrumentarium zur Analyse der transformierten Regierungsweisen im Feld der lokalen Arbeitsund Sozialpolitik. Insbesondere seine Unterscheidung von drei Regierungsrationalitäten, die kontingent parallel wirksam bleiben können, lässt sich auf fruchtbare Weise mit den anderen Theoriekonzepten zur Informalität und zu den Subjektivierungsweisen im Bereich der Arbeitspolitik verbinden und bietet eine Erweiterung und Ergänzung des analytischen Instrumentariums. Im Mittelpunkt dieser Arbeit stand die Analyse des Wandels der Regierungsweisen im Feld der Arbeits- und Sozialpolitik der Gegenwart hin zu ökonomischen Steuerungsformen und dem Wechselverhältnis von Regierungstechniken und gewandelten Subjektivitäten und Selbsttechniken. Foucaults genealogisch-historische Machtanalytik und sein Gouvernementalitätsansatz wurden in Beziehung gesetzt zu den politisch-ökonomischen und empirischen Forschungen aus der Arbeitssoziologie und den Forschungen zur Informalisierung von Arbeitsformen und Politikformen von Altvater/Mahnkopf. Außerdem wurde Foucaults Analytik liberaler Regierungstechniken auf die GovernanceAnsätze in der Politikwissenschaft bezogen. In einem weiteren Schritt wurden diese um die Raumtheorien einer kritischen Geographie im Anschluss an Harvey erweitert und im Rahmen einer lokalen Fallstudie schließlich aufeinander bezogen. Methodisch konzentrierte sich meine Arbeit dabei auf Foucaults Gouvernementalitätsansatz und dessen Erweiterung und Ergänzung durch die anderen Theorieperspektiven, durch empirische Forschungsliteratur und Dokumente

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und schließlich eine lokale Fallstudie. Diese lokale Fallstudie umfasst immerhin beinahe einen Zeitraum von 10-15 Jahren und setzt einen Schwerpunkt bei einer ersten Zwischenbilanz des QM-Programms im Jahr 2001/2002 und einem Resümee der Dokumentenanalysen und der neuesten empirischen Forschungsliteratur aus den Jahren 2010/2011, so dass sich gewisse Trends und Veränderungen innerhalb des Programms aufzeigen lassen. Damit lassen sich zumindest vorsichtige Schlüsse über die Programmatik und Rationalität der »Sozialen Stadt« zwischen proklamiertem sozialem Ausgleichsanspruch, ihrer ökonomischen Transformation und ihren im Grunde nur symbolisch-punktuellen Erfolgen ziehen. Das Programm »Soziale Stadt« changiert zwischen einem ›Regieren über Sicherheit‹ und Disziplinierung einerseits und einer ›aktivierenden‹, auf Selbstführung und Empowerment zielenden Regierungsweise andererseits und ist somit exemplarisch für die widersprüchlichen ›Anrufungen‹ und ›Adressierungen‹ der Subjekte im Rahmen der liberalen Gouvernementalität der Gegenwart. Dieses Spannungsverhältnis innerhalb des Programms lässt sich in eine eher ›disziplinierende‹, ›repressive‹ Richtung oder in eine auf Emanzipation und (nicht nur ökonomisch verkürzt gedachtes) Empowerment zielende Richtung hin deuten oder auflösen. Was dann konkret ›vor Ort‹ jeweils passiert, konnte hier nur punktuell untersucht werden und bleibt Gegenstand weiterer Forschung, nicht zuletzt im Stile einer Foucaultschen ›Mikrophysik der Macht‹ überlassen. Diese widersprüchlichen Tendenzen innerhalb der lokalen Arbeits- und Sozialpolitik mit einem breiten Theorieinstrumentarium exemplarisch auszuloten und Foucaults ›Instrumentenkasten‹ im Sinne einer ›kritischen, emanzipatorischen Sozial – und Politikwissenschaft der Gegenwart‹ zu erweitern und zu ergänzen, war Ziel dieser Arbeit.

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Regieren in der Sozialen Stadt

Stövesand, Sabine (2007): »Doppelter Einsatz: Gemeinwesenarbeit und Gouvernementalität«, in: Anhorn, Roland/Bettinger, Frank/Stehr, Johannes (Hg.), Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit,Wiesbaden, S. 277-295. von Streit, Anne (2011): Entgrenzter Alltag – Arbeiten ohne Grenzen? Das Internet und die raum-zeitlichen Organisationsstrategien von Wissensarbeitern, Bielefeld. Taureck, Bernhard F. (1997): Michel Foucault, Reinbek. TOPOS Stadtforschung (1998): Sozialstruktur und Mietentwicklung im Erhaltungsgebiet Luisenstadt (SO36), Berlin. Voß, Günter G./Pongratz, Hans J. (1998): »Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?« in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H.1/50. Jg., S. 131-158. Voß, Günther G./Pongratz, Hans (2003): Der Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen, Berlin. Wagner, Hilde (Hg.) (2005): Rentier ich mich noch? Neue Steuerungskonzepte im Betrieb, Hamburg. Walther, Uwe-Jens (2002): »Ambitionen und Ambivalenzen eines Programms. Die Soziale Stadt zwischen neuen Herausforderungen und alten Lösungen«, in: Ders. (Hg.), Soziale Stadt- Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen, S. 23-45. Walther, Uwe-Jens (Hg.) (2002): Soziale Stadt – Zwischenbilanzen. Ein Programm auf dem Weg zur Sozialen Stadt? Opladen. Walther, Uwe-Jens/Günthner, Simon (2004): »Programmatische Überforderung? Anmerkungen zur Weiterentwicklung des Bund-Länder-Programms ›Soziale Stadt‹«, in: Hanesch Walter/Krüger-Conrad, Kirsten (Hg.), Lokale Beschäftigung und Ökonomie, Wiesbaden, S. 289-303. Walther, Uwe-Jens/Mensch, Kirsten (Hg.) (2004): Armut und Ausgrenzung in der ›Sozialen Stadt‹. Konzepte und Rezepte auf dem Prüfstand, Darmstadt. Weber, Susanne/Maurer, Susanne (Hg.) (2006): Gouvernementalität und Erziehungswissenschaft, Wiesbaden. Wiesner, Claudia/Bordne, Sylvia (2010): Lokales Regieren – Innovation und Evaluation. Beschäftigungsförderung, Gender Mainstreaming und Integration im lokalen EU-Modellprojekt, Wiesbaden. Wilson, William J. (1987): The Truly Disadvantaged: The Inner City, the Underclass and Public Policy, Chicago. Wilson, William J. (1996): When Work Disappears. The World of the New Urban Poor, New York. Wolf, Harald (1999): Arbeit und Autonomie. Ein Versuch über Widersprüche und Metamorphosen kapitalistischer Produktion, Münster. Wolter, Ilse/Evertz, Horst (1996): »Stadterneuerung im Kiez – Das Vor-Ort-Büro«, in: Schillerpromenade 27. 12049 Berlin, Opladen, S. 206-218.

8. Literatur

Woolcock, Michael/Narayen, Deepa (2000): »Social Capital: Implication for Development Theory, Research and Policy«, in: The World Bank Research Observer 2000, Heft 2, S. 225-251. Zimmermann, Karsten (2011): »Der Beitrag des Programms ›Soziale Stadt‹ zur Sozialen Stadtentwicklung«, in: Hanesch, Walter (Hg.) (2011), Die Zukunft der »Sozialen Stadt«. Strategien gegen soziale Spaltung und Armut in den Kommunen, Wiesbaden, S. 181-203.

I NTERNE T Löhr, Rolf-Peter: »Bundesweite Erfahrungen und Erkenntnisse für die Praxis aus der Begleitforschung des Bundes mit dem Programm ›Soziale Stadt‹«, www.sozialestadt.de/veroeff./Lit/Loehr/Erfahr/2000 Franke, Thomas/Grimm, Gaby 2001: »Quartiersmanagement: Systematisierung und Begriffsbestimmung«, unter: www.sozialestadt.de/programm Lorey, Isabell (2008): »Der Traum von der regierbaren Stadt. Zu Pest, Polizey und Staatsräson«, unter: www.transform.net, Download 23.9.2008. www.sozialestadt.de www.difu.de www.quartiersmanagement.de www.schillerpromenade-quartier.de www.stadtentwicklung.berlin.de/quartiersmanagement

Z EITUNGSARTIKEL Tagesspiegel 18.1.2000: »Es ist ruhiger geworden« – Quartiersmanagement hat Erfolg Tagesspiegel 18.11.2000: »Drogenhandel vor Schule« Tagesspiegel 8.11.2001 Berliner Zeitung, 13.10.2001: »Millionäre im Hinterhof.« Tagesspiegel v. 15.11.2010: »Vernetzt gegen die Clans.« Tagesspiegel v. 2.12.2010 Tagesspiegel v. 27.2 2011: »Die Clanchefs bitten zum Tee«. Tagesspiegel v. 10.3.2011 Tagesspiegel v. 19.4.2011: »Weniger Zuschüsse für Ein-Euro-Jobs«. Tagesspiegel v. 4.5.2011: »Forscher sehen tiefe Kluft auf dem Arbeitsmarkt«. Tagesspiegel v. 18.9.2011: »Das Wohngetüm« Ronneberger, Klaus (2011): »Das Recht auf Stadt. Geschichte einer Parole«, in: Jungle World, Nr. 26, 30. Juni 2011, S. 14/15.

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Danksagung

Mein herzlicher Dank gilt meinen Betreuern Prof. Dr. Brigitte Kerchner und Prof. Dr. Bodo Zeuner und ganz besonders meinen Eltern für die Geduld und Unterstützung. Außerdem gilt mein Dank den Studierenden in verschiedenen themenbezogenen Seminaren und Colloquien an der FU Berlin für anregende Diskussionen und Austauschmöglichkeiten. Zugelassene Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde (Dr. phil.) am FB Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin, 2012.

Urban Studies Andrea Baier, Christa Müller, Karin Werner Die Stadt der Commonisten Neue urbane Räume des Selbermachens Mai 2013, ca. 250 Seiten, Hardcover, zahlr. farb. Abb., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2367-3

Alenka Barber-Kersovan, Volker Kirchberg, Robin Kuchar (Hg.) Music City Musikalische Annäherungen an die »kreative Stadt« Oktober 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1965-2

Anne Huffschmid, Kathrin Wildner (Hg.) Stadtforschung aus Lateinamerika Neue urbane Szenarien: Öffentlichkeit – Territorialität – Imaginarios Juni 2013, ca. 420 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2313-0

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Urban Studies Julia Reinecke Street-Art Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz (2. Auflage) 2012, 200 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-759-2

Carsten Ruhl (Hg.) Mythos Monument Urbane Strategien in Architektur und Kunst seit 1945 2011, 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1527-2

Karin Wilhelm, Kerstin Gust (Hg.) Neue Städte für einen neuen Staat Die städtebauliche Erfindung des modernen Israel und der Wiederaufbau in der BRD. Eine Annäherung Juni 2013, ca. 330 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2204-1

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Eberhard Rothfu Exklusion im Zentrum Die brasilianische Favela zwischen Stigmatisierung und Widerständigkeit 2012, 290 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2016-0

Vera Vicenzotti Der »Zwischenstadt«-Diskurs Eine Analyse zwischen Wildnis, Kulturlandschaft und Stadt 2011, 390 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1829-7

2011, 262 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1938-6

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