Reform ohne Revolution: Bürgertum, Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung in Württemberg von 1800 bis 1850 9783666357497, 9783647357492, 3525357494, 9783525357491

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Reform ohne Revolution: Bürgertum, Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung in Württemberg von 1800 bis 1850
 9783666357497, 9783647357492, 3525357494, 9783525357491

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Kritische zur

Studien

Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Ulrich Wehler

Band 86 Manfred Hettling Reform ohne Revolution

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

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Reform ohne

Revolution

Bürgertum, Bürokratie und k o m m u n a l e Selbstverwaltung in W ü r t t e m b e r g v o n 1 8 0 0 b i s 1 8 5 0

von Manfred Hettling

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Hettling, Manfred: Reform ohne Revolution: Bürgertum, Bürokratie und kommunale Selbstverwaltung in Württemberg von 1800 bis 1850 / von Manfred Hettling. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht, 1990 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; Bd. 86) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1988/89 ISBN 3-525-35749-4 NE: GT Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort © 1990, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in Germany. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Bembo auf Linotron 202 System 4 (Linotype) Satz: Fotosatz Otto Gutfreund, Darmstadt Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

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Inhalt

Vorwort

7

Einleitung

11

I.

Die Entstehung des Staates 1. Der ständische Dualismus 2. Die äußere Staatsbildung 3. Die innere Staatsbildung

23 23 29 31

II.

Sozioökonomische Entwicklungslinien 1. Agrarreformen und Agrarstruktur 2. Industrialisierung und Wirtschaftsstruktur 3. Bevölkerung und Sozialstruktur

52 52 62 68

III. Verwaltung und Verwaltungsreform im Vormärz 1. Die Auseinandersetzung um das Verwaltungsedikt 2. Die legislativen Ergänzungen zum Verwaltungsedikt . . . . 3. Reformen innerhalb der Bürokratie 4. Verwaltungskritik a) Die ›Reutlinger Petition‹ und Friedrich List (1821) b) Die ›Affäre Robert Mohl‹ (1845) 5. Grundzüge der Verwaltungskritik vor 1848

80 80 84 96 102 102 105 109

IV. Das konstitutionelle System 1. Der Landtag im Konstitutionalismus 2. Wahlrecht und Wahlpraxis a) Der Landtag b) Gemeindewahlen 3. Organisationsbildung und Parteibegriff

115 117 122 123 129 136

V.

143

Der Liberalismus im Vormärz

VI. Ökonomische Krise und Krisenbewältigung 1845-1847 VII. Reformpolitik 1848/49 1. Die Steuerreform 2. Gewerbepolitik als Kompromiß 3. Zwischen Korporation und Einwohnergemeinde 4. Die gescheiterte Verfassungsrevision

. . . .

152 166 174 177 181 191

5

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VIII. Reform oder Revolution?

196

Schlußbemerkung

212

Abkürzungsverzeichnis

219

Anmerkungen

221

Quellen und Literatur

285

Anhang

307

Register

317

Tabellen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

Bäuerliche Abgaben um 1800 (in%) Beschäftigte im Gewerbe 1835-1907 Beschäftigte im Gewerbe nach Branchen 1835 Beschäftigte, besteuerte Gewerbe und durchschnittlicher Steuersatz 1829-1861 Beschäftigungsstruktur nach Kreisen 1861 Realsteueraufkommen 1831-1899 Beschäftigte bei Staat und Gemeinden 1816-1821 Schreibereibezirke und Gehilfenzahl 1821 Einkommen der Schreiber und Kosten für die Bevölkerung 1821 . . . Gantfälle in Württemberg 1840-1856 Durchschnittsbetrag bei Vermögensuntersuchungen und Gantungen 1832-1848 (in fl.) Forstdelikte 1841-1848 Staatliche Fruchtabgabe in Scheffel Ende März 1847 bis 1. September 1848 Staatliche Aufwendungen zur Krisenlinderung 1846-1848 (in fl.) . . . Demokratische und liberal-konservative Wahlkreise 1849, Durchschnittswerte

54 70 73 73 74 86 96 97 99 153 153 154 157 158 205

Tabellen im Anhang 1. 2. 3.1. 3.2. 3.3.

Sozialstruktur (1861) und Wahlverhalten (1849) in den württ. OÄern . Sozialstruktur der Landtagsabgeordneten 1820-1861 Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Biberach 1819-1855 . . . Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Heidenheim 1817-1859 . Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Ulm 1817-1859

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308 314 314 315 315

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 1988/89 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie an der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen. Für Unterstützung und Anregungen ebenso wie für großzügig gewährten Freiraum und seine Geduld bin ich meinem Doktorvater Prof. H.-U. Wehler besonders verbunden. Daneben danke ich Prof. K. Schreiner und Prof. R. Koselleck für Interesse und Hilfen. Ebenso möchte ich mich bei den Bielefelder Kollegen und Freunden für ihre ständige Gesprächsbereitschaft bedanken; sie sorgten dafür, daß ich mit auftretenden Problemen nie allein bleiben mußte. Für Lektüre von Geschriebenem, für Anregung, Kritik und Aufmunterung bin ich besonders verpflichtet R. v. Friedeburg, M. Jeismann, J . Mooser, H.-W. Schmuhl und G. Schwerhoff S. Brütting danke ich für die Durchführung von Rechenarbeiten und seine Einführung in die Geheimnisse der Textverarbeitung, M. Wienfort und A. Lüking für ihre Hilfe beim Korrekturlesen und der Erstellung des Registers. Den Mitarbeitern der Archive und vor allem der Universitätsbibliothek in Bielefeld danke ich für freundlich gewährte Hilfen und entgegenkommend erfüllte Bitten. Gefördert wurde die Arbeit an der Dissertation durch ein zweieinhalbjähriges Promotionsstipendium der Studienstiftung, die Drucklegung wurde ermöglicht durch Zuschüsse des Stadtarchivs Ulm, der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Verwertungsgesellschaft Wort. Auch dafür sei gedankt. Die Entstehung dieses Buches wurde mit besonderer Teilnahme von meinen Eltern verfolgt. Mein Vater war ein kritischer erster Leser, meine Mutter erstellte aus meiner unleserlichen Handschrift das Manuskript. Nicht nur deshalb ist diese Arbeit meinen Eltern gewidmet. Bielefeld, im September 1989

Manfred Hettling

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M e i n e n Eltern

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»Die Gemeinden sind Grundlage des Staats-Vereins.« Württembergische Verfassung 1819, §62 »Die Rechte der Corporationen und Gemeinen kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben. Die Verhältnisse und Rechte der Corporationen und Gemeinen sind hauptsächlich nach den bey ihrer Errichtung geschlossenen Verträgen, oder ergangenen Stiftungsbriefen; nach den vom Staate erhaltenen Privilegien und Concessionen; und nach den auch in der Folge unter Genehmigung des Staats abgefaßten Schlüssen zu beurteilen.« Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten 1794, II, 6, § 25/26 »Wie soll man die Menge, die nicht gelernt hat, sich der Freiheit im Kleinen zu bedienen, dazu bringen, sie im Großen zu ertragen?« A. de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, 1835, I, 5. Kapitel

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Einleitung

1. Im Jahr 1841 feierte Württemberg das 25jährige Regierungsjubiläum des Königs Wilhelm I. Eingeleitet durch eine Amnestie für alle politischen Gefangenen, eingebettet in mehrere Veranstaltungen wie die Errichtung von Gedenksteinen, die Gründung von wohltätigen Stiftungen und einem großen Feuerwerk wurde am 28. September 1841, dem Geburtstag des Königs, in Stuttgart ein großer Festzug mit mehr als 10000 Teilnehmern aufgeführt. Angeregt wurde die Festivität von Vertretern der Gewerbe in Stuttgart und von einer Versammlung landwirtschaftlicher Vereine in Hohenherm am 9. November 1840. Ein Festkomitee, bestehend aus führenden Vertretern der beiden Landtagskammern, Mitgliedern des Fürstenhauses und Adligen, koordinierte die einzelnen Aktivitäten. Der wichtigste Programmteil, der Stuttgarter Festzug, wurde weitgehend von den Bürgern und städtischen Kollegien der Landeshauptstadt organisiert und geregelt. Der Umzug selber war als Landesschau geplant, »jedes Oberamt war repräsentiert, ein jedes Gewerbe vorgestellt«. Er bestand aber nicht nur aus folkloristischen Elementen wie der Imitation eines Weinberges, Darstellungen von Käsezubereitung und der Spinnerei oder den im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Attributen wie Reiterscharen, Musikchören und Gruppen von ›Jungfrauen‹. Im Festzug wurden ebenfalls mitgeführt ein Exemplar des Verwaltungsedikts von 1822 sowie das Original der Verfassungsurkunde von 1819. Der Stadtrat und Bürgerausschuß von Stuttgart präsentierten das Gemeindeverwaltungsedikt auf einem Wagen, der von in römische Togen gekleideten Männern mit Liktorcnbündeln begleitet war. Der Wagen enthielt einen dreistufigen Treppenaufsatz mit einem viereckigen Säulenstumpf, der von vier antikisierten Engeln umgeben war. Darauf lagen ein rotes Samtkissen mit dem Exemplar des Verwaltungsedikts, sowie ein Lorbeerkranz und eine Krone. Die Verfassungsurkunde wurde, ebenfalls auf einem roten Samtkissen, jeweils getragen von Stadträten aus Stuttgart, Ludwigsburg und Tübingen, den traditionsreichsten altwürttembergischen Städten. Beide Gruppen wurden jeweils begleitet und eskortiert von Bürgerwehrabteilungen. 1 Die Bürger und Bürgergarden bestimmten zusammen mit den gewerblichen und landwirtschaftlichen Darstellungen das Gepräge des Zuges, das Militär (mit Ausnahme der Veteranen aus den napoleonischen Kriegen) und der Adel waren nicht vertreten. Der Festzug machte damit ein bürger11

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liches Selbstbewußtsein sichtbar, das im königlichen Jubiläum zugleich sich selber feiern konnte. Der württembergische Staat wurde vorgestellt als »Anerkennung des Grundsatzes, daß das Bürgertum, der Bürgerstand, der Pfeiler des Staates ist und sein muß«. Indem die »ehrenhafte Selbständigkeit des Bürgers« als Grundlage der staatlichen Ordnung postuliert wurde - was die von bürgerlichen Stadträten getragene Verfassungsurkunde plastisch veranschaulichte - , blieben die mündigen Untertanen, die Selbständigen, verwiesen auf politische Handlungsmöglichkeiten innerhalb der institutionellen Bahnen von Verfassung und Verwaltung. Der hier in einem symbolischen Akt zum Ausdruck gebrachte Anspruch auf aktive Teilhabe am politischen Geschehen, wie ihn ja das gesamte Fest widerspiegelt, ist damit selber ein Symbol für die bestehenden politischen Partizipationsmöglichkeiten. Oder, wie es in den offiziellen ›Erinnerungen an den Festzug‹ hieß: »Die Haltung eines Volkes, da, w o es sich selbst vertritt, ist der Maßstab seiner politischen Kultur. « 2 Die Württemberger konnten um so selbstbewußter feiern, als sich ihre Staatsfeier von anderen deutlich unterschied. 1840 hatte der neue preußische König Friedrich Wilhelm IV. bei seinem Regierungsantritt zwei Huldigungslandtage, in Königsberg und Berlin, abgehalten. Auch hier ging dem feierlichen Akt eine Amnestie der politischen Gefangenen voraus. Dann jedoch beginnen die Unterschiede, die nicht nur in der Verschiedenheit von Regierungsjubiläum und Huldigungsfeier begründet liegen. In Königsberg, bei der Huldigung der preußischen Landstände, wurde der König an die alten Verfassungsversprechen seines Vaters Friedrich Wilhelm III. erinnert. Fast kam es darüber zum Eklat, der König gab schließlich in seinem Landtagsabschied eine dilatorische Antwort, die aber das baldige Entstehen einer Opposition nicht verhindern konnte. In Berlin, bei der Huldigung der übrigen Provinzen, kam es erneut zu einem Konflikt, denn »während die landschaftlichen Vorurteile sich abschliffen, bestanden die alten sozialen Gegensätze noch in ungeminderter Schärfe fort«, wie Trcitschke bemerkte. Gegen das alte Vorrecht der Brandenburgischen Ritterschaft, den Treueid dem Monarchen im Schloß persönlich ›in die Hand‹ zu schwören, das von Friedrich Wilhelm IV. auf die Adligen aller Provinzen ausgedehnt worden war, protestierten die Vertreter der Städte, jedoch vergeblich. Sie mußten, zusammen mit den Abgeordneten der Landgemeinden, kollektiv und unter freiem Himmel huldigen. Was Friedrich Wilhelm erwartete und in den Huldigungen vermeintlich bestätigt sah, war die ungebrochene Loyalität einer nach Ständen gegliederten Bevölkerung gegenüber einem Monarchen. Seinen Widerwillen gegen »auf Pergament geschriebene Staatsgrundgesetze« bekundete er schon in Königsberg offen, wenn auch nicht öffentlich. Verfassungen jedenfalls wollte er »sogenannten konstitutionellen Fürsten« überlassen, »die durch ein Stück Papier dem Volke gegenüber eine Fiktion, ein abstrakter Begriff geworden sind«. Von dieser Position aus führte jedenfalls kein Weg zur Anerkennung der 12 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Reichsverfassung von 1849, legt die Huldigung dieselben Probleme offen, wie sie 1848 noch in weit stärkerem Maße zutage treten sollten. 3 Was in Preußen fehlte und dadurch zum Anlaß für Konflikte und politische Parteibildung wurde - die Verfassung - , bildete in Württemberg eine der Grundlagen der staatlichen Identität und vereinte Monarch und Bevölkerung. Denn der Huldigungseid wurde nicht wie in Preußen dem König geleistet, sondern der Monarch mußte vor seiner Thronbesteigung wie jeder männliche Einwohner mit dem Erreichen der Volljährigkeit einen Eid auf die Verfassung ablegen. Die in Preußen zutage tretende soziale Dichotomie von Adel und Bürgertum war in Württemberg ebenfalls ohne Äquivalent. Hier konnten sich die bürgerlichen Vertreter als »Pfeiler des Staates« präsentieren, ohne die Standesherren und Ritterschaften überhaupt zu erwähnen. Dadurch wird die Frage aufgeworfen, ob die auf der symbolischen Ebene deutlich gewordenen Unterschiede nur ein Sonderbewußtsein widerspiegeln oder ein Indiz sind für spezifische Strukturbedingungen des württembergischen Staatswesens. Welche politische Bedeutung kamen der Verwaltung und Verfassung eines Landes zu, das jene in so herausragender Weise zur repräsentativen Selbstdarstellung benutzen konnte? In Württemberg bestanden im 19. Jahrhundert zwei unterschiedliche Verwaltungsformen nebeneinander. Einmal das System der zentralisierten, hierarchisch gegliederten und von oben nach unten strukturierten staatlichen Bürokratie. In Württemberg in dieser Form erst zu Beginn des Jahrhunderts entstanden, verkörperte es den ›modernen‹, d. h. den neuen Staat. Zum andern das in der altwürttembergischen, ständischen Tradition stehende Konzept kommunaler und korporativer Selbstverwaltung. Beide Systeme waren am Beginn des 19. Jahrhunderts bei der Neugründung des württembergischen Staates zu einer dualistischen Verwaltungsstruktur miteinander verbunden worden. Diese wiederum blieb eingebunden in den Konstitutionalismus und die landständische Herrschaftskontrolle. Das bestimmte die Konflikte der württembergischen Politik bis hin zur Bewegung der Jahre 1848/49, als die »Reform des Staatswesens« noch einmal zum zentralen Thema wurde. Für diese Arbeit ergibt sich damit eine doppelte Perspektive. Verwalt u n g - und Verfassung - werden sowohl auf ihre besonderen Strukturen als auch in bezug auf die darin enthaltenen Bedingungen und Möglichkeiten für politisches Handeln untersucht. Die Analyse von staatlicher Bürokratie und kommunaler Selbstverwaltung wie auch der parlamentarischen und öffentlichen Auseinandersetzung um die Verwaltungsstruktur dient zugleich als Grundlage für die Beantwortung der Frage, welche Bedingungen und Voraussetzungen sowohl für eine zunehmende Partizipation breiterer Bevölkerungskreise als auch für eine immanente Reformfähigkeit von Staat und Gesellschaft bestanden. Verwaltung als Voraussetzung von Politik wird damit zum Thema. Denn, wie Max Weber formulierte, »Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung« 4 , diese alltägliche Form bedingt 13 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

andrerseits in hohem Maße die Erscheinungsformen von Herrschaft im Sonderfall, während gesellschaftlicher und politischer Krisen. Für die Untersuchung des württembergischen Vormärz ergeben sich dadurch mehrere erkenntnisleitende Fragen. Schufen der süddeutsche Konstitutionalismus, die Einübung parlamentarischer Politik in den Landtagen, insbesondere aber das hohe Maß an Autonomie und Selbstverwaltung in den Gemeinden Voraussetzungen für eine demokratische Entwicklung? Welche Bedeutung kam der ständischen Tradition zu, welche Auswirkungen hatten der geringe Einfluß des Adels wie die Besonderheiten der sozioökonomischen Entwicklung im 19. Jahrhundert? Fragen des Wahlrechts und der Beteiligung von Unterschichten am politischen Entscheidungsprozeß, Organisations- und Parteibildung am Ende des Vormärz und 1848/49, generell der Kompetenzkonflikt innerhalb des konstitutionellen Systems - derartige Probleme sollen nicht isoliert betrachtet werden, sondern in ihrer Bedeutung für die Regelung von gesellschaftlichen Konflikten. Und, gewissermaßen als Leitfrage der gesamten Arbeit, wie sind der friedliche Verlauf von 1848 und die partielle Reformfähigkeit des württembergischen Staates zu erklären, die hier zu einer Sonderentwicklung führten, während anderswo Revolution und Reaktion das Bild prägten?

2. Einer der ersten Gesellschaftstheoretiker, der sowohl soziale und politische Probleme miteinander verband und im Zusammenhang analysierte als auch die Bedeutung und erstaunliche Stabilität institutioneller politischer Strukturen erkannte, war Alexis de Tocqueville. Sein zentrales Thema war die Vermittlung der Demokratie - des Prinzips der Gleichheit, d. h. der Auflösung aller ständischen Unterschiede, deren Durchsetzung er für unvermeidbar hielt - mit der Freiheit des Individuums. Die allmählich entstehende Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen, nicht der Gleichheit der Menschen an sich, erkannte er als Quintessenz und Ziel der Geschichte der vorausgegangenen Jahrhunderte. Faßte er diese Entwicklung auch als soziale Bewegung auf, die sich dem Einfluß des einzelnen entziehe, verglich er, um die Irreversibilität dieses Prozesses zu charakterisieren, die innere Entwicklung ihres Verlaufs dennoch mit dem heilsgeschichtlichen Bild der Vorsehung: »Die Demokratie aufhalten wollen, hieße dann gegen Gott selbst kämpfen.« 5 Tocquevilles Analysen waren auf die demokratische Revolution gerichtet, die er zugleich als soziale Revolution verstand. In seinem Amerikabuch (1835 und 1840) verfolgte er die Bedingungen, unter denen ein Land die Errungenschaften der Revolution genießen kann, ohne selber eine Revolution erfahren zu haben. In seiner nach der napoleonischen Machtergreifung verfaßten Arbeit über die Französische Revolution (1856) untersuchte er die strukturellen Gründe für das Umschlagen der demokratischen Freiheit in 14 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Despotismus. Für das doppelte Scheitern der Verbindung von Gleichheit und Freiheit (nach 1789 und nach 1848) wie für den Erfolg derselben in Amerika machte Tocqueville im wesentlichen den unterschiedlichen Aufbau der staatlichen Gewalt, genauer der Verwaltung, verantwortlich. Wie muß ein politisches System strukturiert sein, um trotz des unaufhaltsamen sozialen Wandels von der ständischen Ungleichheit zur rechtlichen und politischen Gleichheit nicht in ein autoritäres Regime umzuschlagen? Denn entzieht sich auch die Durchsetzung gesellschaftlicher Gleichheit dem Einfluß des einzelnen, bleibt, wie Tocqueville 1848 formulierte, den Menschen als einzige Alternative die Wahl zwischen »demokratischer Freiheit« und »demokratischer Tyrannei«. Zwei Bereiche sind hierfür von grundlegender Bedeutung. Einmal die Frage der Zentralisierung der Verwaltung. Die Konzentration von Kompetenzen in einem Apparat und an einem Ort erleichtert die Übernahme der Herrschaftsgewalt durch Gegner der Regierung, da es keine dezentralisierten, lokalen Gegenkräfte wie früher die Stände mehr gibt. Andrerseits geht mit der Zentralisierung der Verwaltung eine politische Entmündigung der Bürger einher. Eine straff zentralisierte Verwaltung sei sicherlich die rationalste und effektivste Form der Herrschaft. Dadurch werden aber, wie Tocqueville bemängelt, die sozialen Gruppen in einen »Verwaltungsschlummer« versetzt, den man »gute Ordnung und öffentliche Ruhe« zu nennen pflegt. Deshalb gibt er der Dezentralisierung der Verwaltung auf Grund ihrer »politischen Vorteile« - einer in Institutionen, Körperschaften, Parteien organisierten und zentrale Bereiche selber regelnden, aktiven Öffentlichkeit als Gegengewicht gegen die staatliche Gewalt - den Vorzug. Politische Freiheit im Großen ist bei ihm untrennbar verbunden mit der politischen Praxis im Kleinen, oder anders formuliert: Die politische Freiheit im Staat läßt sich nicht von lokaler Selbständigkeit und kommunaler wie regionaler Selbstverwaltung trennen. 6 Die zwei unterschiedlichen Verwaltungssysteme, die Tocqueville am Beispiel Amerikas und Frankreichs untersuchte, waren in Württemberg in einem Land vereint. Zentralisierte, staatliche Bürokratie und lokale, kommunale Selbstverwaltung bestanden nebeneinander und ergänzten sich. Die duale Verwaltungsstruktur als solche war akzeptiert und wurde gleichsam als Voraussetzung der politischen Ordnung begriffen. Die Auseinandersetzungen im Vormärz bewegten sich aber stets um ein Mehr an Selbstverwaltung, um ein Zurückdrängen der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten. Als sich ausschließende Gegensätze wurden beide Systeme nicht verstanden. Im zeitgenössischen Bewußtsein war dieser Dualismus durchaus präsent. Er manifestierte sich im Begriffspaar ›Freiheit und Ordnung‹. In Altwürttemberg waren, dem traditionellen Selbstverständnis entsprechend, die Oberamtmänner als Vertreter des Staates, der Regierungsgewalt, die Garanten der Ordnung. Die Schreiber, von den Kommunen und Korporationen selber gewählt, waren als Gegengewicht zur staatlichen 15 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Gewalt Garanten der Freiheit. Im gesamten Vormärz bezeichnete das Begriffspaar die beiden Maximen bürgerlicher Politik: »Freiheit« gegenüber dem Zugriff des Staates, »Ordnung« als soziale Kategorie zur Abwehr gegen das Aufbegehren von unten. Noch 1848 war »durch Ordnung zur Freiheit« der Wahlspruch der Demokraten, die den sozialen Frieden als Voraussetzung für die soziale Reform und zur Verhinderung von Revolution und Anarchie verteidigten. 7

3. Die Untersuchung des Zusammenwirkens von innerer Staatsbildung und Bürokratisierung auf der einen sowie Demokratisierung auf der anderen Seite erfolgt auf drei analytischen Ebenen. Einmal wird als äußerer Rahmen der konstitutionelle, legislative, institutionelle und organisatorische Bereich erfaßt. Welche Veränderungen lassen sich im Beobachtungszeitraum verfolgen, welche Möglichkeiten für politisches Handeln ergaben sich aus diesen formal-strukturellen Voraussetzungen, wie reagierte das politische System auf den anwachsenden Druck alter und neuer sozialer Schichten? Neben dieser eher normativen Ebene sollen, zweitens, das politische und soziale Selbstverständnis der sich artikulierenden Schichten und Klassen, ihre Wahrnehmungsmuster und die sozial zu differenzierenden »Denkströmungen« (H. Rosenberg) in der Zeit des Vormärz untersucht werden. Welche Wertehierarchien, welche gesellschaftlichen Erwartungen, welche politischen Vorstellungen und Zielsetzungen beeinflußten und prägten die handelnden Akteure, kollektiv wie individuell? Die Ebene der zeitgenössischen Selbstdeutung erfordert aber zwangsläufig, will man nicht den damaligen Fehlinterpretationen und Ideologietendenzen aufsitzen, als dritte Analyseebene den sachlich-empirischen sozialen Wandel der vormärzlichen Gesellschaft zu berücksichtigen. Der Übergang von der Stände- zur Klassengesellschaft war nicht aufhaltbar, er bestimmte die sozialen und politischen Probleme der Zeit. Die Richtung und Bedeutung dieses Transformationsprozesses wurde jedoch nur partiell erkannt und nur in Ausnahmefällen als historische Realität akzeptiert. Die drei Ebenen des Zugriffs, der eher normative der Gesetze und Institutionen, der ideen- und mentalitätsgeschichtliche der Traditionsmuster und Erwartungshaltungen, der sozialökonomische der Interessen und Klassenzugehörigkeit bestimmen die Arbeit. Mit welchen Begriffen und Konzepten lassen sich die hier heuristisch getrennten analytischen Schichten verbinden, um die vormärzliche Gesellschaft in Württemberg adäquat zu untersuchen? Der Begriff des Selbständigen bestimmte die Debatten des Vormärz über Gemeindeverfassung, Armenhilfe, Wahlrecht usw. wie kein anderer. In ihm vereinten sich die drei Bereiche, die in der Arbeit als Untersuchungsdimensionen getrennt wurden. Für das Recht auf Niederlassung an einem Ort, für die Erlaubnis zum Betrieb eines Gewerbes, für die Genehmigung 16 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

zur Eheschließung, für das aktive und passive Wahlrecht war »Selbständigkeit« eine der Grundvoraussetzungen. Verstanden wurde darunter die ökonomische und personale Unabhängigkeit des Individuums von anderen Personen. Auf Grund der vielfachen rechtlichen Verknüpfungen blieb die ›Selbständigkeit‹ das dominierende Ziel des individuellen Lebenswegs. Die Befreiung aus der paternalistischen Gewalt des Hausvaters, gekoppelt mit eigenem agrarischen Besitz oder - bzw. und - der Ausübung eines eigenen Gewerbes, waren dafür erforderlich. Das Modell einer »einfachen Marktgesellschaft« mit dem vorherrschenden Typus des Kleineigentümers bildete, wie in jüngster Zeit mehrfach gezeigt worden ist, das vorherrschende Orientierungsmuster im süddeutschen Vormärz. 8 Der Begriff der »Selbständigkeit« bietet sich für Württemberg als Analyse- und Beschreibungskategorie aus zwei Gründen besonders an. Einmal bestimmten die ausgeprägte Besitzzersplitterung und der breit gestreute Klein- und Mittelbesitz sehr lange die Sozialstruktur des Landes. Andrerseits blieben an die ökonomische Selbständigkeit politische und soziale Vorrechte geknüpft. In dem Maß, wie die ökonomische Unabhängigkeit von jedem einzelnen immer weniger erreicht werden konnte, differierten die Kriterien für wirtschaftliche und politische Selbständigkeit. Besitz und Bildung waren nicht mehr conditio sine qua non für politische Mitspracherechte in Staat und Gemeinde. Der Begriff der Selbständigkeit dient damit als politische und soziale Kategorie zugleich. Wobei, wie gesagt, immer zu berücksichtigen bleibt, daß er einerseits Wirklichkeit erfaßt, andrerseits ein zeitgenössisches Wunschbild beschreibt - das zwar zunehmend illusionär wurde, aber doch signifikante politische Auswirkungen hatte. Die Gemeinde war in gleicher Weise ein Brennpunkt von normativen, mentalen und sozioökonomischen Erwartungen und Konflikten. Die württembergische Gemeindeverfassung, die zwischen Stadt und Dorf keine wesentlichen Unterscheidungen traf, gewährte den Gemeinden in vielen Bereichen ein hohes Maß an Autonomie; sie übertrug den Korporationen z. Τ. sogar, wie im Steuerwesen, die Ausführung staatlicher Aufgaben. Der zeitgenössische Topos von den Gemeinden als »Grundlagen des Staates« war Ausdruck dieser Kompetenzfülle als auch Zeichen kommunalen Selbstbewußtseins. Die Grenzen von Gemeinde- und Amtsbezirk bildeten, altständische Traditionen fortführend, noch weitgehend den Bezugsrahmen für lokale Lebenszusammenhänge. Die Gemeinden waren nicht nur Verwaltungsgrößen, sondern noch immer funktionierende Handlungseinheiten mit weitgehender Selbstverwaltung. Der in die Industrialisierung mündende sozioökonomische Transformationsprozeß veränderte jedoch die Voraussetzungen dieses Systems. Einerseits waren die Gemeinden den anwachsenden Aufgaben in steigendem Umfang nicht mehr gewachsen, und die Fülle der Probleme sprengte lokale Kompetenzen und die Steuerungs- und Finanzierungskapazität. Zum anderen löste die 17 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

soziale Differenzierung die relative Homogenität der kommunalen Sozialgruppen auf Pauperismus und Proletarisierung, die als übergreifende Probleme außerhalb eng umrissener Gemeindegrenzen entstanden waren, drängten auf gemeindeübergreifende Problemlösungen, Aktionsformen und Organisationsstrukturen. Sich verschärfende Schicht- und Klassengegensätze überlagerten den kommunalen Interessenzusammenhalt. Dieser Wandel begann im Vormärz, beschleunigte sich 1848/49 und zog sich bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hinein. 9 Eingebettet waren die Anschauungen über individuelle wie kommunale Handlungsmuster in den Orientierungsrahmen einer klassenlosen Bürgergesellschaft. In diesem Begriff faßte Lothar Gall in seinem bekannten Aufsatz von 1974 die sozialen und politischen Erwartungen des vormärzlichen Liberalismus. Der Frühliberalismus habe ein Reformprogramm verfolgt, das sich mit dem Stichwort der »politischen Emanzipation« beschreiben lasse. Die Befreiung von der Kontrolle und Beengung des Staates werde die in der Gesellschaft vorhandenen Kräfte und Entwicklungsmöglichkeiten freisetzen, die dann das gemeinsame Wohl aller Einwohner bewirkten. Dieser Vorstellung habe noch das traditionale Societas-Konzept der Gesellschaft mit dem fast ungeschmälerten Bestand an ständischen Ordnungselementen zugrunde gelegen und nicht das Modell der von Hegel im »System der Bedürfnisse« gefaßten modernen, ihrer politischen Funktionen entkleideten Wirtschaftsgesellschaft. Das herkömmliche Gesellschaftsmodell habe gleichwohl ein dynamisches Element enthalten, und zwar in der liberalen Erwartungshaltung, daß auf dem Wege der freigesetzten Reform tendenziell jeder männliche Bewohner in den Status des selbständigen Hausvaters eintreten werde, daß eine klassenlose Gemeinschaft politisch gleichberechtigter Bürger mit analogen ökonomischen Interessenlagen entstehen werde. Erst durch die nicht mehr zu übersehende Differenz zwischen realer Entwicklung und optimistischem Zukunftsentwurf habe dieses liberale Leitbild seit den 1840er Jahren, insbesondere aber nach 1848/49, seine Prägekraft verloren. Liberalismus und mittelständisches Bürgertum hätten sich seit den 50er Jahren in der »bürgerlichen Klassengesellschaft« eingerichtet. 10 Galls Interpretation ist in ihrem Grundzug eine Charakteristik frühliberalen Selbstverständnisses und liberaler Geschichtsphilosophie. Die liberalen Ideen entstanden zwar sicherlich in der sozialen Wirklichkeit des Vormärz, gaben diese aber in spezifisch gebrochener Art und Weise wieder. Man darf deshalb nicht in den häufig praktizierten Fehler verfallen, das liberale Weltbild für die geschichtliche Wirklichkeit des Vormärz zu halten. Will man diese (Selbst-)Deutung des Frühliberalismus für eine Analyse der vormärzlichen Gesellschaft benutzen, sind zwei Punkte zu beachten. 11 Einmal ist genau zu fragen, wie »klassenlos« die - württembergische Gesellschaft im Vormärz war, in welchem Ausmaß das Leitbild des selb18 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

ständigen Bürgers Wunschbild oder Realität war. Wenn das Bild der »klassenlosen Bürgergesellschaft« eine Option auf die Zukunft faßte, muß genau untersucht werden, wie die in der zeitgenössischen Gegenwart bestehende Realität strukturiert war und wie sie von den jeweiligen sozialen Schichten wahrgenommen wurde. Zum andern muß die Gesellschaft des Vormärz daraufhin analysiert werden, wie sie auf die bestehende soziale Ungleichheit reagierte, die nur mehr zum Teil ständisch war und doch noch nicht als klassenbedingt wahrgenommen wurde. Zu fragen wird also sein, wie das Herrschaftssystem der vormärzlichen Gesellschaft in Württemberg organisiert war, welches immerhin den Anspruch auf Gleichheit der Bürger mit der realen Vorherrschaft der »selbständigen Bürger« in Einklang brachte. Welche sozialen Trägerschichten agierten jeweils unter dem im zeitgenössischen Sprachgebrauch meist pauschal gebrauchten Begriff des ›Bürgers‹, welche unterschiedlichen Interessenlagen bestimmten ihr politisches Verhalten? 12 Zusammengefaßt und in politische Zielvorgaben umgesetzt wurde die vormärzliche Vorstellungswelt im zentralen Begriff der Reform. Dabei war das Prinzip der allmählichen Umgestaltung und Veränderung allgemein akzeptiert, wenn auch Unklarheit vorherrschte über den Weg, wie diese Ziele erreicht werden sollten. Eine grundlegende Prämisse dabei war die Verhinderung der Revolution, denn der damit assoziierte gesellschaftliche Umbruch war seit der Französischen Revolution ein dominantes Schreckbild bürgerlicher Denker geworden. U m die Revolution zu verhindern, forderte man den kontrolliert »von oben« gesteuerten evolutionären Wandel. Im wesentlichen erfolgte dabei erst 1848 eine Ausdifferenzierung in politische Lager, als man politische und soziale Reformziele voneinander zu trennen begann. In Württemberg bestand über die Grenze des März 1848 hinweg Konsens über zwei Modalitäten, wie Reformen durchzuführen seien. Einmal erkannten alle politischen Gruppen das Prinzip der Vereinbarung an, und damit auch die Gesetzlichkeit von Veränderungen. Zum zweiten wurde immer ein Ausbau der bestehenden Strukturen gefordert, entstand nie das Bedürfnis nach einem grundlegenden Revirement. Das erleichterte den parlamentarischen Weg, der 1848 nicht verlassen wurde.

4. Regionalgeschichtliche Arbeiten über den Vormärz und die Ereignisse von 1848 entstehen in keiner terra incognita. Sie können in aller Regel auf einer Fülle von landesgeschichtlichen Beiträgen aufbauen. Das gilt auch für die Geschichte Württembergs. Hinzu kommen gerade für diese Region zahlreiche Forschungen der neueren Sozialgeschichte. Das ermöglicht es, Probleme schärfer zu konturieren und genauer zu spezifizieren, als es sonst möglich wäre. Auch hier gilt, daß Zwerge auf den Schultern von Riesen die Chance haben, weiter zu sehen als jene. Ob das gelang, wird die Arbeit zu beweisen haben. 19 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

In den letzten Jahren setzten sich regionalhistorische Arbeiten immer mehr durch. Dieser Trend hatte auch zur Folge, daß die einseitige Orientierung auf Preußen (Österreich bleibt in der bundesdeutschen Forschung ohnehin zumeist ausgespart) etwas ins Wanken geriet. Wenn auch bisher vor allem auf die Reformzeit konzentriert, wird doch zunehmend die Geschichte des »Dritten Deutschland«, d.h. weitgehend des ehemaligen Rheinbundes, als eigenständige Variante beschrieben. 13 Dabei kann fur Württemberg, wie erwähnt, auf eine Reihe guter Regionalstudien zurückgegriffen werden, insbesondere im Bereich der Verwaltungsgeschichte und des politischen Systems. Neben einigen älteren, fast handbuchartigen Charakter tragenden Studien zum Verwaltungsaufbau des Landes 14 , ist auch die parlamentarische Entwicklung, die in der württembergischen Historiographie oft im Mittelpunkt stand, intensiv untersucht. Mit dem nun vorliegenden Band von Hartwig Brandt im Rahmen des »Handbuchs der Geschichte des Deutschen Parlamentarismus« liegt eine exzellente Studie zum württembergischen Landtag zwi chen Keformzeit und Reichsgründung vor. 15 Bedauerlich ist nur, daß Brandt die Jahre 1848 bis 1850 ausspart. Eine Entscheidung, die nicht der Autor zu verantworten hat, die aber auch deshalb besonders auffällt, weil Brandt überzeugend für die Kontinuität der Entwicklung in Richtung einer Parlamentarisierung argumentiert. 16 Die Studien, die die Ereignisse von 1848 thematisieren, bieten dafür keinen ausreichenden Ersatz, da sie meist auf die Jahrhundertmitte begrenzt bleiben. Nur Langewiesche schlägt den Bogen bis zur Reichsgründung, während einzelne Arbeiten von Wolfgang Kaschuba und Carola Lipp in den Vormärz zurückgreifen. Die politische Geschichte der Ereignisse von 1848 wird dadurch in der Regel isoliert und gelöst von der Tradition des Konstitutionalismus und Kommunalismus, der im deutschen Südwesten sehr ausgeprägt war. 1 7 Das sind Traditionslinien, die auch von der sozialhistorischen Forschung pointiert herausgearbeitet worden sind. Die Gewerbeentwicklung mit ihrer handwerklichen Prägung, dem Fehlen von Großbetrieben und der lange dominierenden Nebenerwerbsstruktur ließ noch bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte die Strukturbedingungen des Vormärz erkennen. Auch im ländlichen Raum verliefen »Bauernbefreiung« und Wandel der Agrargesellschaft zwar nicht krisenfrei, aber ohne gravierende Einbrüche. Bis in die 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein blieb die Sozialstruktur wie die Mentalität der meisten Produzenten vorindustriell geprägt. 18 Die Literatur hat das Spannungsverhältnis von großer sozialstruktureller und wirtschaftlicher Kontinuität, von langsamem Wandel auf der einen Seite und dem meist nicht weiter in Frage gestellten, sondern vorschnell postulierten politischen Einschnitt von 1848 bisher kaum thematisiert. Erst in jüngster Zeit deutet sich eine verstärkte Hinwendung zu derartigen Fragestellungen an. 19 Hier versucht diese Arbeit, Politik- und Sozialge20 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

schichte miteinander zu verbinden und langfristige Bedingungen und Strukturen politischen Handelns zu analysieren. Das Konzept der vorliegenden Untersuchung beruht auf der Synthese zweier Anregungen. Einmal wurde, im Anschluß an Tocqueville - wobei sich ähnliche Gedankenelemente auch bei Burke und Burckhardt finden lassen, jedoch mehr in aphoristischer Kürze und ohne die bei Tocqueville bestechende empirische Fundierung - , nach den Bedingungen für politischen Wandel, nach den Voraussetzungen für Revolution oder Reform auf dem Weg in die Demokratie gefragt. Tocquevilles überzeugendes Interpretationsangebot lautet dabei, die Analyse der langlebigen Verwaltungsstrukturen eines Landes hinzuführen auf eine Erklärung von kurzfristigen Handlungsabläufen. Ereignisse werden dabei nicht auf Strukturen reduziert, sondern als aus Strukturen resultierende Möglichkeiten erfaßt. Zum andern wurde diese Hinwendung zur Verwaltungsgeschichte als Politikgeschichte angeregt durch Arbeiten über die Bedeutung des Dorfverbandes. Für frühere Epochen insbesondere von Peter Blickle mehrfach in einleuchtender Weise nachgewiesen, stellte der Gemeindeverband die entscheidende politische Handlungseinheit der frühneuzeitlichen Gesellschaft im deutschen Süden dar. 20 Der Kommunalverband als dominante Sozialformation und die politische Bedeutung von Selbstverwaltung wurden miteinander verbunden und konnten dadurch fruchtbar gemacht werden zur Untersuchung politischer Ereignisse auf staatlicher Ebene im 19. Jahrhundert. An Quellen wurden im wesentlichen folgende Materialien benutzt. Die zeitgenössische Statistik liefert detaillierte Angaben über Sozialstruktur, Besitzverhältnisse und Gewerbebestand. Trotz terminologischer Ungenauigkeit und mangelnder Transparenz der Erhebungsverfahren wurde auf diese Daten als unersetzbare Grundlage zurückgegriffen. Denn nur damit konnten landesweite Vergleiche durchgeführt und die Sozialdaten mit Wahlergebnissen verglichen werden. Ergänzend zu den punktuell für den Gesamtstaat vorliegenden Landtagswahlergebnissen wurden einzelne Erhebungen von Lokalwahlen durchgeführt. Daneben wurde - bei ausgewählten Problemen - auf die Erhebungen, Gutachten und Stellungnahmen der Staatsverwaltung, insbesondere des Innenministeriums zurückgegriffen. Der zentralistische Aufbau der Bürokratie und die immer wieder praktizierte Methode der Befragung der Bezirksbeamten läßt das württembergische Verwaltungsmaterial stellenweise fast zu einem frühen Beispiel für Sozialforschung werden. Drittens bilden die Parlamentsprotokolle einen wesentlichen Bestandteil des Quellenmaterials. Dabei spiegeln nicht nur die Berichte der einzelnen Sitzungen Meinungen der Parteien und Konflikte zwischen den politischen Lagern wider, die in der Regel abgedruckten Beilagen zu den Verhandlungen enthalten im Einzelfall wertvolles Datenmaterial. Darüber hinaus manifestiert sich im parlamentarischen Leben mit seinen öffentlichen Entscheidungen ein wichtiger Bestandteil des politischen Systems. Gerade in 21 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

den Jahren 1848/49 wurde der Landtag zum bedeutendsten politischen Forum: hier verbanden sich Entscheidungskompetenz und öffentliche Ausstrahlung. Schließlich stützte sich die Arbeit auf die zeitgenössische Presse und Publizistik. Die einzelnen politischen Gruppierungen verfügten bisweilen schon während des Vormärz, insbesondere aber seit 1848, über eigene Kommunikationsorgane.

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I. D i e E n t s t e h u n g d e s S t a a t e s »Der Deutsche ist so frei als der Engländer, es ist bloß der Mißbrauch der Großen, der hier und da Untertanen zu Sklaven macht. Sie sollten klagen wie die Württemberger.«

1. Der ständische Dualismus Als Georg Christoph Lichtenberg 1775 während seines Aufenthaltes in London die Freiheiten der württembergischen Untertanen mit denen der Engländer auf eine Stufe stellte, traf er damit zwar das ständische Selbstverständnis, aber nicht unbedingt die politische Realität des Landes. Geklagt wurde viel in Altwürttemberg, sowohl beim Herzog als auch über den Herzog beim Kaiser und Reichshofrat. Weniger jedoch der »gemeine Mann« als vielmehr die bürgerliche »Ehrbarkeit« und ihr verfaßtes Organ, die Landschaft, klagten auf Einhaltung der verbrieften Rechte und Privilegien. 1 Innerhalb des Alten Reiches nahm Württemberg eine Sonderstellung ein. Ständische Tradition und institutionelle Verankerung hatten hier der Landschaft eine Machtposition bewahrt wie nirgends sonst. Die große Zeit der Stände war das 15. und 16. Jahrhundert gewesen. Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen bewirkten einen allgemeinen Niedergang der landschaftlichen Vertretungen, erst im 18. Jahrhundert gelang einzelnen Landständen eine Konsolidierung ihrer Stellung. Der absolutistische Staat benötigte für den Ausbau seiner Macht und für die Bürokratisierung des politischen Lebens Gelder; damit konnten sich jene Landstände und Landschaften stabilisieren, die aus Landschaftskassen den Machtausbau des Staates mitbezahlten. Durch die Finanzierung des Staates gelang es den Ständen, dem absolutistischen Machtapparat als politisches Organ zu widerstehen und zu überleben. 2 Während in Preußen und Österreich die Herrschaft des neugeschaffenen Staatsapparates im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus modernisiert und verfeinert wurde und die friderizianischen und josephinischen Reformen Vorboten der »Revolution von oben« zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren, während der Partikularismus und die Machtpolitik der großen 23

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Einzelstaaten das Alte Reich allmählich unterhöhlten und auflösten, triumphierte in Württemberg das Alte Recht über den Staat. Der Dualismus von Fürst und Ständen und vor allem auch die ständigen Konflikte zwischen Landschaft und Regierung bestimmten die Geschichte Württembergs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in hohem Maße. 3 Die Wurzeln der ständischen Autonomie reichen bis ins 15. und 16. Jahrhundert zurück. Zwei Ereignisse symbolisierten und festigten den Selbstbehauptungsanspruch des Landes im besonderen: Der Tübinger Vertrag von 1514, oft als württembergische Magna Charta bezeichnet, als die »erste geschriebene Verfassung des Landes«; und zweitens der Erbvergleich von 1770, der am Ende des absolutistischen Zeitalters noch einmal das Scheitern aller Absolutismusversuche der württembergischen Herrschaft festschrieb. Ausgangspunkt des Vertrages von 1514 war die Finanznot des Herzogs. Für die Übernahme von 920000 Gulden herzoglicher Schulden erhielten die Stände verschiedene Rechte verbrieft, die sie z. Τ. schon gewohnheitsmäßig innehatten. Der Aufstand des »Armen Konrad«, der im Mai 1514 ausbrach, richtete sich gegen die Ausschreibung der Akzise, mit deren Ertrag die herzoglichen Schulden beglichen werden sollten. Zugleich attackierte er die Vorherrschaft des ständischen Bürgertums. Die militärische Niederschlagung festigte das Bündnis von Hof und Ehrbarkeit und schloß gleichzeitig für lange Zeit den »gemeinen Mann«, Bauern und Kleinbürger, von ständischer Mitsprache aus. 4 1554 gelang den Ständen durch erneute Schuldenübernahme sowohl eine Bestätigung des Tübinger Vertrages als auch eine Institutionalisierung ihrer Interessenvertretung in Form der landschaftlichen Ausschüsse. 5 Hatten sich die Stände 1514 gegen die Partizipationsansprüche von unten erfolgreich gewehrt, schied 1561 ein ›Konkurrent von oben‹ freiwillig aus: Die Ritterschaft konstituierte sich - gegen die Bemühungen des Herzogs - als reichsunmittelbare Reichsritterschaft. Württemberg war damit bis zu den Gebietserweiterungen der napoleonischen Zeit ein Land ohne eigenen Adel. Der Ausschluß der - herzoglichen - Amtsleute vom Landtag und die Verpflichtung des Geheimen Rates, der neugeschaffenen obersten Regierungsbehörde, auf den Nutzen der Landschaft (1629) sowie die Verankerung der protestantischen Kirchenverfassung in der Landesverfassung (1565) und die Religionsreversalien (1733) sicherten den Einfluß der Stände und engten den Spielraum herzoglicher Politik weiter ein. 6 Der Erbvergleich von 1770 besiegelte nach jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Herzog und Ständen endgültig das Scheitern der fürstlichen Bestrebungen, sich von den ständischen Fesseln und Bindungen zu befreien. Die württembergischen Herzöge hatten eine absolutistische Politik betrieben, ohne sich die geeignete Grundlage für den absolutistischen Staat geschaffen zu haben. Durch ihren Finanzbedarf und die gleichzeitige Abhängigkeit vom landschaftlichen Steuerbewilligungsrecht stärkten sie immer wieder die Stände und das Alte Recht, forderten sie den Dualismus von Landschaft 24 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

und Herzog, den sie eigentlich zu ihren Gunsten hatten aufheben wollen. 7 Aus welchen Gründen scheiterte der Absolutismus in Württemberg? Man kann Absolutismus verstehen als die Ausbildung eines Staatsapparates, der - unter einer fürstlichen Spitze - durch die »Verselbständigung des politischen Systems gegenüber den traditionellen Herrschaftsträgern« gekennzeichnet ist. Durch diese Verselbständigung der um den Hof gruppierten politischen Sphäre ergeben sich vermehrte gesellschaftliche Eingriffsund Veränderungsmöglichkeiten für den absolutistischen Staat. Zur Durchsetzung dieser Ansprüche sind jedoch mehrere institutionelle und organisatorische Voraussetzungen notwendig. 8 In Württemberg war auch am Ende des 18. Jahrhunderts keine dieser ›Säulen des Absolutismus‹ derart entwickelt, daß sich für die herzogliche Politik entscheidende Handlungsspielräume ergeben hätten. An erster Stelle ist hier das Heer zu nennen. Erst 1724 bewilligten die Stände Gelder für ein kleines stehendes Heer, das jedoch weder außennoch innenpolitisch (was in diesem Zusammenhang entscheidend ist) ein Machtfaktor werden konnte. Noch in der napoleonischen Zeit war die Militärfrage ein ständiger Zankapfel zwischen Herzog und Landschaft und trug maßgeblich zur Auflösung der Stände durch König Friedrich I. (1805) bei. An den fiskalischen Restriktionen scheiterte auch der Ausbau der staatlichen Bürokratie. Durch Verträge und die Institutionalisierung des Apparates wurde nicht nur der individuelle und kollektive Spielraum der Fürstendiener eingeschränkt, als Mitglied der Ehrbarkeit waren die Beamten ein Teil jener sozialen Schicht, gegen die sich die fürstliche Politik primär richtete. 9 Es gelang den Herzögen nicht, ein willfähriges Instrument zur Ausführung absolutistischer Ziele zu formen. Ebenso scheiterten die Bemühungen um einen außenpolitisch handlungsfähigen Beamtenapparat. Die württembergische Diplomatie blieb, von Ausnahmen abgesehen, in das Machtgefüge des Reiches eingebunden und an die reichsrechtlichen Bestimmungen gebunden. An fremden Höfen sahen sich herzogliche Vertreter oft eigenen ständischen Gesandten gegenüber, die bevorzugt gegen die herzoglichen Vertreter intrigierten. 10 Dreh- und Angelpunkt der ständischen Erfolge war das Steuerwesen. Die vom Landtag bewilligten Steuern deckten zwar nur ca. 3 0 % der Staatsausgaben, die Abgaben waren jedoch genau festgesetzt. Bei erhöhtem staatlichen Bedarf mußte jedesmal neu mit den Ständen verhandelt werden. 11 Die strukturelle Schwäche des württembergischen Absolutismus trat besonders am Hofsystem zutage. Nicht, daß der Fürstenhof zahlenmäßig unbedeutend gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: Zeitweise war der Hof numerisch bedeutend stärker als das württembergische Heer. 12 Im Unterschied zu den absolutistischen Staaten entwickelte sich die »höfische Gesellschaft« (Elias) in Württemberg aber nicht zum politischen und sozialen Machtzentrum, sondern blieb in vieler Hinsicht ein Fremdkörper. Der 25 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

konfessionelle Gegensatz von katholischem Hof und protestantischem Land und die soziale Distanz zwischen zumeist fremdem Adel und württembergischem Bürgertum führte mehr zur Bündelung von landständischen Gruppen gegen den Hof als zur Konzentration um den Herrscher. Die Verschiedenartigkeit des württembergischen Hofes etwa vom französischen Versailles kann eine historische Marginalie illustrieren. Manifestierte sich die Macht des französischen Herrschers beispielsweise auch im souveränen Umgang mit Mätressen, mußte sich der württembergische Herzog Eberhard Ludwig von der Landschaft für derartige Versuche harte Kritik gefallen lassen. Die Landschaft hob nicht nur hervor, daß sie die Vertreterin des wahren Gemeinwohls gegenüber dem Privatinteresse des Fürsten sei, der Landschaftskonsulent Hörner äußerte offen, daß der Herzog mit seinem Kontakt zur Grävenitz ein Vergehen beginge, für das man einen Untertanen mit dem Tode bestrafe. 13 An einer derartigen Episode manifestierte sich nicht nur die unvollkommene Souveränität der württembergischen Herzöge, sondern auch eine Ursache für diese strukturelle Dauerschwäche. Trotz der geringen inneren Ressourcen bemühten sich die württembergischen Herzöge im 18. Jahrhundert, eine den anderen Staaten vergleichbare Stellung und Bedeutung zu repräsentieren. Ihre begrenzten Mittel benutzten sie nicht zum Ausbau eines absolutistischen Staatsapparates, sondern zur Darstellung fürstlicher Pracht. Dieser »kulturelle Absolutismus« bedingte zwar permanente Konflikte mit den Landständen, verhinderte aber zugleich durch die Absorption der Mittel eine entscheidende Gefährdung der ständischen Mitspracherechte. 14 Zwei weitere Momente trugen insbesondere zur Homogenisierung und damit auch zur politischen Aufwertung der Stände bei. Einmal blieb Altwürttemberg über drei Jahrhunderte hinweg in seinem territorialen Bestand unverändert. Dem Herzog fehlte daher die materielle Basis für eine Erweiterung seiner Ressourcen und seines Machtpotentials. Die Stände dagegen repräsentierten wegen dieser räumlichen Stabilität immer das ganze Land und sanken nicht, wie in anderen Territorien, zu einer Regionalvertretung ab. Zum anderen entzog das Fehlen eines eigenen württembergischen landständischen Adels dem Herzog einen potentiellen Verbündeten wie es die Geschlossenheit und damit das Beharrungsvermögen des Landtages erhöhte. Von dessen 86 Abgeordneten waren 14 Prälaten und 72 Vertreter der »Stände und Ämter«. Die Prälaten waren Verwalter der ehemaligen Klosterherrschaften. Vom Herzog ernannt, galten sie zwar als »fürstliche Beamte mit freiem Mandat«, sozial waren sie aber so sehr Teil der Ehrbarkeit, des gehobenen Bürgertums, daß die württembergische Landschaft letztlich - nach dem Ausscheiden des Adels und der Verschmelzung des dritten Standes und der profanisierten, evangelischen Geistlichkeit - nur noch aus einem Stand, dem der bürgerlichen Ehrbarkeit, bestand. 15 26 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Ehrbarkeit als soziale Kategorie beschreibt die bürgerliche Oberschicht des Landes. Sie bestand im wesentlichen aus drei Gruppierungen, dem Beamtentum, der Geistlichkeit und den Inhabern gemeindlicher Ämter. Nach unten war die Ehrbarkeit nur materiell und über die Amtszugehörigkeit abgegrenzt, nicht durch rechtliche Beschränkungen. Aufjeder Ebene Stadt, Amt, Landschaft - ergänzten sich diese Gruppierungen, sie arbeiteten zusammen und bildeten eine homogene Einheit. Selbst die Regierungsbeamten bildeten einen zwar besonderen, aber nicht abgesonderten Teil des durch intergenerationelle Binnenmobilität und konnubiale Kontinuität geprägten Bürgertums. 1 6 Im Landtag waren nur die Inhaber kommunaler Ämter vertreten, denn nur die etwa 1500 Magistratsmitglieder des Landes besaßen das passive Wahlrecht. Dennoch vertrat die Landschaft nach ihrem eigenen Anspruch das ganze Land. Betrachtet man auch das aktive Wahlrecht sowie den gesamten Wahlmodus, verringert sich diese Diskrepanz, sie verschwindet aber nicht. Die Abgeordneten wurden auf den Amtsversammlungen von den Delegierten der Dörfer und Städte gewählt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten auf den Amtsversammlungen die - seit langem von den Gemeinden gewählten - Dorfschultheißen über die städtischen Magistratsdeputierten die Mehrheit; sie waren zudem an die Beschlüsse der vorangehenden Gemeindeversammlungen gebunden. Letztlich entstand durch Gemeindeversammlung, Amtsversammlung und Landtag eine »Kette von imperativen Mandaten«, die die ländliche Bevölkerungsmehrheit zwar zunehmend artikulationsfähig machte, die dominierende Position der Ehrbarkeit aber noch lange nicht in Frage stellte. 17 Zudem hatte der Landtag gegenüber den beiden Ausschüssen an Bedeutung verloren. Die mit dem Selbstergänzungsrecht ausgestatteten Ausschüsse waren die eigentlichen Macht- und Schaltzentralen der ständischen Politik geworden. War von der Geschlossenheit der Stände als einem Faktor für die landschaftliche Beharrungskraft schon die Rede, ist noch ein weiteres Homogenisierungsmoment zu erwähnen. Die Bedeutung des Amtes als Grundstein der altwürttembergischen Verfassung beruhte auf der wirtschaftlichen Stärke der Dörfer, die in den meisten Ämtern schon lange die Hauptlast des Amtsschadens, d. h. des Steueraufkommens, trugen. Die Stärke der Landschaft basierte auf ihrer Finanzkraft, dadurch konnten die ländlichen Gemeinden, mit Hilfe ihrer überlegenen Steuerkraft, ihren Einfluß im Amt und damit auch ihre politische Bedeutung innerhalb Altwürttembergs in einem sich über die gesamte frühe Neuzeit erstreckenden Prozeß erhöhen. 18 Es gelang dem Herzog nicht, diesen Assimilationsvorgang zu einer Schwächung der Stände zu nutzen; die mit der Nivellierung der Unterschiede zwischen Dörfern und Städten einhergehenden Spannungen - von Regierungsseite bewußt gefordert - zerstörten die politische Handlungsfähigkeit des Amtes nicht. Die Anpassung von Stadt und Land vollzog sich ohne 27 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

besondere soziale Kämpfe, da die sozialen und ökonomischen Unterschiede zwischen Stadt und Land allmählich abnahmen. 19 Der skizzierte Dualismus von Landschaft und Herrschaft wiederholte sich auf jeder Ebene des institutionellen Systems. Dorf und Stadt wie auch das übergeordnete Amt waren Selbstverwaltungseinheit und staatlicher Verwaltungsbezirk zugleich. Auf Grund dieser Doppelaufgabe bestand ein Nebeneinander von herrschaftlichen und landschaftlich-korporativen Aufgaben und oft ein Gegeneinander von Fürstendienern und Gemeinderat, Magistrat, Amtsversammlung bzw. -ausschuß. 20 Der ständische Dualismus führte so zu einem permanent in zwei Richtungen ausgetragenen Konflikt: horizontal gegen den vor Ort präsenten Herrschaftsvertreter (insbesondere den eine Vielzahl von Aufgaben wahrnehmenden Oberamtmann) und vertikal - mittels der Wahl der Stände - zur direkten Auseinandersetzung mit dem Herzog über die Landschaft und vor allem den »Engeren Ausschuß«. Umgekehrt versuchte die fürstliche Regierung nicht nur in Stuttgart gegen die ständische Spitze anzutreten, sondern sukzessive über den Verwaltungsapparat der Regierung bereits auf Amts- und Kommunalebene die Grundlagen der landschaftlichen Verfassung aufzuweichen. Alle diese Bestrebungen scheiterten im Erbvergleich von 1770, der ständische Dualismus siegte über den fürstlichen Zentralisierungsversuch. Das »Alte Recht« konnte sich behaupten und die Veränderung von oben den herzoglichen Absolutismus - zurückweisen; die gesellschaftlichen Wandlungen, die Veränderungswünsche von unten - wie sie z. Β. in der Kritik an den Schreibern laut wurden - konnte es nicht mehr erfüllen. Das Nagolder Cahier von 1797 und der Reformlandtag von 1797, insbesondere auch die Kritik am Schreiberwesen, spiegeln die Krise der ständischen Verfassung wider, einer Krise wohlgemerkt, die nur sekundär auf die Politik der Herzöge zurückzuführen war. 2 1 Den Zusammenhang zwischen »Schreiberei-Unfug« und Altem Recht sah - und brandmarkte - auch Hegel. Er bemerkte, kein Schreiber könne es wagen, »das Heiligtum der alten Verfassung anzutasten, wissend, daß dies Übel tief in ihr gegründet und aufs innigste mit ihr verwebt ist«. Diese »einzige Landplage« Württembergs gründe nicht zuletzt in der verwandtschaftlichen Verbundenheit von ständischer Versammlung und Schreibertum. 2 2 Das Eigentümliche dieser »politischen Quacksalber« (Wekhrlin) liege in ihrem Monopol, alles, was in ihrem Bezirke zu schreiben sei, schreiben lassen zu dürfen - wodurch Stadt- und Amtsschreiber ergänzt würden durch eine Vielzahl von weiteren »Schreibsubjekten«. Obwohl Württemberg »keinen bedeutenden Adel gehabt habe«, hätte »sich jene unscheinbare, aber drückende Aristokratie festgesetzt«. 23 Trotz dieser Mängel und ständigen Konflikte war die alte Verfassung von innen heraus weder aufzuheben noch zu reformieren, gerade auch wegen der von außen hereinwirkenden Bedingungen des Reiches. Erst die grundlegende Umwälzung im Gefolge der Französischen Revolution und der 28 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

napolconischen Neuordnung Deutschlands schuf die Voraussetzung für den inneren Wandel. Mit den Worten Hegels: »Die Zeit hatte für Württemberg eine neue Aufgabe und die Forderung ihrer Lösung herbeigeführt, die Aufgabe, die württembergischen Lande zu einem Staate zu errichten.« 24 2. Die äußere Staatsbildung Friedrich I. war einer der deutschen Fürsten, die unter napoleonischer Protektion »wie Salathäupter in die Höhe schossen«; zuerst Herzog, seit dem Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 1803 Kurfürst, regierte er seit 1805 schließlich als König mit »sultanischer Willkür«. 2 5 Im Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) mußte Österreich nicht nur Gebietsabtretungen an Württemberg, sondern auch die Übernahme der Königswürde und die Übertragung der vollen Souveränität an Friedrich bestätigen. Am 30. Dezember 1805 wurde die Landschaft informiert - und aufgelöst, am 31. Dezember 1805 wurden die Amtsversammlungen ihrer politischen Funktionen entbunden und am 2. Januar 1806 schließlich alle Volksversammlungen verboten. Dieser Staatsstreich, die Aufhebung der landständischen Verfassung, und damit die Einführung der absolutistischen Staatsgewalt, mit dem königlichen Manifest vom 18. März 1806 in Alt- und Neuwürttemberg einheitlich durchgesetzt, war das lang angestrebte Ziel Friedrichs gewesen. Der Machtzuwachs nach außen war das Instrument des Machtausbaus im Innern. Die Landstände hatten diesen Zusammenhang schon früh erkannt. Regierungsrat und Landschaftskonsulent Georgii, die dominierende Figur der Altrechtler, berichtete dem Ausschuß schon Ende 1797, »wird der Herzog ein mächtiger Herr in Schwaben und besitzt vieles Land, das nicht inkorporiert ist, so ist's gewiß . . . um unsere Verfassung geschehen und wir fallen dem Despotismus in die Hände«. 26 Diese Konstellation bestimmte die Politik um die Jahrhundertwende. Die Stände strebten keine Gebietserwerbungen an, während Friedrich zum einen den Ausbau des Militärs betrieb um im europäischen Mächtekampf zum potentiellen Mitspieler aufzusteigen - , zum andern sich bei Bündnisfragen nur von den Maximen Gebietserweiterung und Souveränität nach innen leiten ließ. Bereits 1793 hatte Frankreich Mömpelgard annektiert, Württembergs einziges linksrheinisches Besitztum. Auf dem Rastatter Kongreß (1797-99), wo man über rechtsrheinische Entschädigungen - noch - ergebnislos verhandelte, waren Gesandte des Herzogs wie der Landstände vertreten. Im zweiten Koalitionskrieg 1799 noch Verbündeter der Österreicher, schwenkte Friedrich 1801 ins französische Lager über. Herrschaft und Landschaft konkurrierten in den folgenden Jahren um die französische Gunst, bis Napoleon schließlich mit seinem vielzitierten »Chassez les bougres« grünes Licht für Friedrich gab. 2 7 29 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Innerhalb von knapp acht Jahren verdoppelte sich Württembergs Territorium: Lebten 1803 etwa 650000 Einwohner auf 9500 km 2 , waren es 1810 1,34 Millionen auf 19500km 2 . Insgesamt waren 78 Herrschaftsgebiete säkularisiert und mediatisiert worden und in württembergischen Besitz übergegangen. 28 Mit diesem Anwachsen zum Mittelstaat war die ständische Opposition vorerst ausgeschaltet, jedoch eine Fülle neuer und neuartiger Konfliktpotentiale zu den bisherigen Problemen hinzugekommen. Zwar traf auch nach der Gebietserweiterung durch Säkularisation und Mediatisierung die Charakteristik von Montesquieu »le Duché de würtemberg est une belle piece tout en un morceau, tout en rond« 29 noch immer zu, doch innerhalb des wohlgerundeten Staatskörpers häuften sich die verschiedensten Spannungen und Divergenzen. Der ehemalige Reichsadel wehrte sich gegen den Verlust der Hoheitsrechte, suchte z. Τ. die Verbindung mit dem feindlichen Österreich (1809) und behielt schließlich mehrere seiner Privilegien. Die Regierung gewann nun zwar eine potentielle Funktionselite, denn erstmals seit dem 16. Jahrhundert gab es in Württemberg wieder landsässigen Adel, aber um dem Preis von Spannungen mit der bisherigen bürgerlichen Trägerschicht, die ohnehin schon durch die - finanziell kostspielige, politisch aber problemlose - Übernahme der ehemals ständischen Beamten in Regierungsdienste aufgebläht war 1816 war die Zahl der württembergischen Zivilstaatsdiener mit 10565 genauso hoch wie die im dreimal größeren Bayern. 3 0 Auch die religiöse Geschlossenheit war verlorengegangen, ein Drittel der Bevölkerung war katholisch. Das ehemals österreichische Oberschwaben war Hauptträger dieses Regionalismus, der sich gegen den religiösen wie den staatlichen Zentralismus richtete. 31 Verdeckte auch die Ausnahmesituation der Kriegsjahre manche wirtschaftliche Schwäche wie den Niedergang des Leinengewerbes, der erst nach Beendigung der Kontinentalsperre offen zutage trat und die Überlegenheit der maschinell gefertigten Baumwollprodukte offenbarte - , die finanzielle Notlage trat desto deutlicher hervor. Sowohl die mediatisierten Reichsstädte als auch Württemberg selber waren überschuldet. Rottweils öffentliche Schuld etwa war mehr als fünfmal so hoch wie das Jahreseinkommen der Stadt und schnitt dabei im Vergleich mit anderen Städten nicht einmal schlecht ab. 32 Nach der Gründung des Staates mach außen‹ stand nun die Herstellung ›nach innen‹ (Hegel) an. Zum Teil verlief, wie bei der Schaffung Neuwürttembergs 1803, die organisatorische Reform des Staatsapparates parallel zum Gebietserwerb. Verwaltung und Verfassung erfüllten in Württemberg eine dreifache Funktion. Sie sollten sowohl die Macht der Regierung als auch die Integration des Landes sichern und die Veränderungen im Gefolge der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Modernisierung kanalisieren. 33

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3. Die innere Staatsbildung Zwanzig Jahre lang dauerte die Umbildung des Staatswesens. »Besitzergreifung und Organisation« griffen seit 1802 ineinander, bereiteten die Aufhebung des altständischen Systems vor und endeten schließlich im »Kampf ums Alte Recht« um die Neugestaltung von Verfassung und Verwaltung von 1815 bis 1822.34 Zur Charakterisierung dieses Umbruchs folgt hier noch einmal ein kurzer Rückblick auf die herzogliche Zeit, um anschließend das Ergebnis, wie es sich in der Verfassungsurkunde vom 25. September 1819 und dem Verwaltungsedikt vom 1. März 1822 manifestierte 35 , darzustellen. Die altwürttembergische Verfassung mit ihrem ständischen Dualismus entsprach ihrer Struktur nach gleichsam einer Leiter, bei der die beiden Träger, Herrschaft und Landschaft, auf jeder Ebene miteinander verbunden waren. Wie die Sprossen einer Leiter verband das Kollegialprinzip beide Bereiche miteinander. Aus diesem Verbund resultierten Stabilität wie Starrheit des alten Ständestaates. Unter Friedrich I. wurde dieser Verbund rigoros zerschnitten; die Aufhebung der Verfassung und die Einführung einer straffen bürokratischen Ministerialverwaltung bedeuteten die Zerschlagung der korporativen Mitspracherechte. Schließlich wurden, seit 1815, Herrschaft und Landschaft, Staat und Gesellschaft, nach neuen - konstitutionellen - Grundsätzen geordnet; das Beharren im altständischen Denken und der Einfluß der Altrechtler bewirkten dabei vielfältige ständische Einfärbungen. U m 1800 war der Verwaltungsaufbau in drei Stufen auf den Ebenen von Gemeinde, Amt und Land unterteilt, wobei die mittlere, als Amtskorporation, das zentrale Moment des Systems verkörperte. Nach unten griff die Amtsverfassung in die Befugnisse der Gemeinden ein, nach oben wurden in der Amtsversammlung die ständischen Deputierten gewählt und mit einem imperativen Mandat versehen. Das Amt war Verwaltungsbezirk der Herrschaft und zugleich genossenschaftliches Selbstverwaltungsorgan. Diese Doppelaufgabe prägte seinen Charakter in entscheidendem Maße mit. Unterste Einheit waren die Gemeinden, wobei zwischen Dorf und Stadt nur geringfügig unterschieden wurde. Die gewohnheitsrechtliche Verfaßtheit der Kommunen wurde abgesichert durch die Generalverordnung von 1702 und die Kommunordnung von 1758, in der J . J . Moser im wesentlichen die Bestimmungen von 1702 wiederholte. Die Kommunordnung, die auch im 19. Jahrhundert noch lange Zeit die Grundlage der Gemeindeverfassung und des Gemeindelebens blieb, war eine systematisch angeordnete und erläuterte Zusammenfassung jener Einzelbestimmungen und Gesetze, die das kommunale Leben normierten. Drei Organe waren von zentraler Bedeutung. An der Spitze der kommunalen Hierarchie standen die Ortsvorsteher. Die Schultheißen, wie man sie in Württemberg nannte, waren die mächtigsten Personen im Dorf; sie 31 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wurden im 18. Jahrhundert im allgemeinen von den Bürgern der Gemeinde - auf Lebenszeit - gewählt. In ihnen verbanden sich korporative Autonomie und staatliche Normierungsansprüche; die Schultheißen waren ausführendes Organ der Gemeinde und Vertreter der Kommunen auf den Amtsversammlungen, waren andrerseits aber auch für die Einhaltung der Gesetze und Durchführung der amtlichen Bestimmungen der übergeordneten Behörde, hier dem Oberamtmann, verantwortlich. Innerorts waren die Schultheißen Vorsitzende des Gerichts, der eigentlichen Verwaltungsbehörde der Gemeinde. Das Gericht vereinte richterliche, ausführende und bestimmende Befugnisse in sich 36 , es bestand aus maximal zwölf Mitgliedern, die sich selber aus dem Rat ergänzten. Der Rat wurde von allen Bürgern gewählt. Die Mitglieder des Rates, die »Ratsverwandten«, wurden ebenfalls auf Lebenszeit gewählt, eine Auswechslung durfte nur erfolgen, wenn sie »durch Alter oder andere Zufälle untüchtig« geworden waren. 37 Primär sollte der Rat das Gericht kontrollieren; da er aber nur auf Anordnung an den Gerichtssitzungen teilnehmen konnte und außerdem das Gericht das Selbstergänzungsrecht aus dem Rat besaß - der jeweils dienstälteste Ratsverwandte rückte gewohnheitsmäßig auf freiwerdende Stellen im Gericht nach - , wurde der Rat mehr zu einem zweiten, weniger einflußreichen Teil des Magistrats als zum Überwachungsorgan der Bürgerschaft über das Gericht. 38 Der Aufbau des städtischen Magistrats entsprach, mit einigen Abweichungen und Ergänzungen, dem dörflichen. Die Stadt war zumeist auch Amtsstadt, da in der Regel eine Stadt und mehrere Dörfer zu einem Amt zusammengefaßt waren. Die Stadt galt gleichsam als Kopf des Amtes. Magistrat und Gericht wurden nicht von einem Schultheißen, sondern vom Oberamtmann geleitet. Aus dem Gericht, das nur von der bürgerlichen Ehrbarkeit besetzt war, wurden zwei Bürgermeister gewählt, die für die Finanzen (Steuern und Gemeindevermögen) zuständig waren. Das Gericht wählte auch den Stadtschreiber, der von der Amtsversammlung ebenfalls zum Amtsschreiber bestellt wurde. Der Schreiber brachte jene Fachkenntnisse mit, die den Magistraten und Beamten abgingen. Innerhalb der Ämter hatten die Schreiber eine Monopolstellung in bezug auf die Ausführung von Verwaltungsakten, hieraus resultierte ihre dominierende Stellung und ihre Machtposition. 39 Dörfer und Stadt trafen sich in der Amtsversammlung, dem wichtigsten korporativen Organ des Bezirks. Der Begriff »Stadt und Amt« bezeichnete meist das Amt als Selbstverwaltungseinheit, während es als Herrschaftseinheit in der Regel als »Amt« erschien. Der Bezirk als sowohl staatliche wie korporative Einheit war im alten Württemberg die zentrale Organisationsform und, neben der Gemeinde, für die Bewohner die wichtigste erfahrbare soziale und politische Handlungseinheit. Im weiteren basierten auch die Selbständigkeiten der Gemeinden auf ihrem Zusammenschluß in der Amtskorporation. Alle Gemeinden waren durch Deputierte in der Amts32 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Versammlung vertreten, die nicht nur lokale Entscheidungen traf, sondern auch den Landtagsabgeordneten bestimmte. Zudem verfugte die Amtskorporation über ein eigenes Steueraufkommen, den Amtsschaden, der (seit 1697) von einem eigenen Beamten, dem Stadt- und Amtspfleger, verwaltet wurde. 4 0 Gleichzeitig war das Amt die wichtigste staatliche Verwaltungseinheit, es umfaßte militärische, fiskalische, administrative und rechtliche Aufgaben. Diese Kompetenzen bündelten sich in der Person des Oberamtmannes (bis 1759 Vogt), dem eigentlichen Machtzentrum innerhalb des Amtsbezirkes. Er erfüllte innerbürokratische Aufgaben, war Ortsvorsteher in der Amtsstadt, leitete die Amtsversammlung und den -ausschuß, hatte die Aufsicht über die Gemeinde- und Amtsverwaltung inne, wie er die Rechnungsführung der Kommunen und Ämter überprüfte. In den Ruggerichten schließlich, einer generellen Verwaltungsüberprüfung, wurde eine institutionalisierte Form der Bürgerbefragung praktiziert. In ein- bis dreijährigem Turnus bereiste der Oberamtmann jede Gemeinde, um dort gegebenenfalls Beschwerden über Gericht und Schultheiß anzuhören, zu erörtern und zu entscheiden. In der Person des Oberamtmanns kumulierten in exemplarischer Weise herrschaftliche und genossenschaftliche Befugnisse. Er, von dem keinerlei akademische Vorbildung verlangt wurde, war zwar Fürstendiener, bewahrte als Amtsvertreter jedoch immer eine gewisse Selbständigkeit. Trotz aller Versuche - und unbestreitbarer Teilerfolge gelang es den Herzögen nicht, die volle Kontrolle über ihr Verwaltungspersonal zu gewinnen; damit fehlte ihnen die Voraussetzung für erfolgversprechende Eingriffe in die Grundlagen der Autonomie der Landschaft. 41 So waren letztlich auch alle Bemühungen vergeblich, das zentrale Organ der Landschaft, den Landtag, in seinen Kompetenzen zu beschneiden. Das landständische Behauptungsvermögen wurzelte in der Gemeindeund Amtsverfassung. Im Erbvergleich von 1770 wurde nicht nur die alte Stellung der Landtagsausschüsse, sondern auch die herkömmliche Amtsverfassung garantiert; damit waren alle Versuche, die Ämter zu verändern, gescheitert. 42 Ein letztes Mal hatte die fürstliche Gewalt an »den Eisenstäben ihres Käfigs« gerüttelt 43 , war jedoch auch diesmal von den bürgerlichen Hütern der hergebrachten Verfassung gebändigt worden. Die soziale Bestimmung der altwürttembergischen Führungsschicht stößt auf Schwierigkeiten. Der Begriff »Ehrbarkeit« umfaßt mehrere bürgerliche Gruppen, die gemeinsam die politisch dominierende Schicht des Landes waren. Der soziale Aufbau der Ehrbarkeit war nicht einheitlich, da das entscheidende Zugehörigkeitskriterium ein Amt war. Adel, Bürger, Bauern und Handwerker konnten durch dieses funktionale Nadelöhr aufsteigen; Vorbedingungen dafür waren jedoch ein entsprechendes Vermögen, Verwandtschaftsbeziehungen und gesellschaftliches Ansehen, das vor allem wiederum aus den beiden anderen Kriterien resultierte. Dieser Honoratiorenstand 44 gliederte sich in drei Segmente, die ökonomisch und status33 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

mäßig durch differierendes Sozialprestige zu scheiden sind. Geheimräte, Prälaten, Professoren als herausgehobene Spitzengruppe; dann Dekane, Amtmänner, Räte usw. und schließlich die niederen Beamten, Pfarrer und Magistrate. Beamte, Geistliche, Akademiker, Magistrate - ein Amt war nicht nur die wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme in die Ehrbarkeit, sondern es bestimmte zugleich auch in entscheidendem Maße den sozialen Rang innerhalb der bürgerlichen Oberschicht. Gemeinsamkeit stiftend waren also einerseits die Funktion der Amtstätigkeit und andrerseits eine kulturelle Identität, wie sie sich etwa in einer eigenen Sprache, dem sogenannten Honoratioren-Schwäbisch, manifestierte. Hieraus resultierte auch eine überlokale Zusammengehörigkeit, die Ehrbarkeit löste sich nicht in einzelne städtische Eliten auf, sondern blieb immer eine landesweite Herrschaftsgruppe. 45 Unterschiede bestanden in zwei Bereichen. Die Vermögenslage der ehrbaren Bürger war keineswegs einheitlich. Ein erheblicher Teil war ökonomisch dem Durchschnitt der Bevölkerung gleichgestellt. Politisch artikulationsfähig auf Landesebene gegenüber dem Herzog waren nur die Magistratsinhaber. 46 Nach unten war die Ehrbarkeit sozial abgegrenzt, aber nicht abgeschlossen. Es gab mehrere, vor allem intergenerationelle Aufstiegsmuster, etwa durch Vermögenserwerb und nachfolgende Amtszugehörigkeit oder durch den Besuch von Klosterschulen und späterem Theologiestudium. 47 Trotz aller sozialen Differenzierungen verstand sich die Ehrbarkeit gegenüber der Herrschaft als Repräsentant der gesamten Bevölkerung. Einerseits erwarb der »gemeine Mann« Partizipationsmöglichkeiten durch den Aufstieg der Dörfer in den Amtsversammlungen, andrerseits verhinderte die Nivellierung der Unterschiede von Stadt und Land in der Frühen Neuzeit die Polarisierung sozialer Gruppen. Daneben ist schließlich die einheitsstiftende Kraft des gemeinsamen Glaubens - insbesondere zur Zeit der katholischen Herzöge - nicht zu unterschätzen. Das komplizierte Geflecht altständischer Herrschaftsausübung wurde von Friedrich I. nach 1803 aufgelöst. Mit der Organisation von Neuwürttemberg 1803 und der Erlangung der Souveränität 1805 schuf er die Voraussetzungen für den neuen Staat und zerschnitt die alten Verbindungen von Landschaft und Herrschaft. Primäres Interesse des Landesherrn war seine Machtabsicherung; deshalb hatte er der Inkorporation der neuen Gebiete in die altwürttembergische Verfassung entschieden Widerstand geleistet, wurden auch die Beamten nun »nicht so sehr als Staatsdiener denn als persönliche Diener ihres Herrn« betrachtet, war das neue Behördensystem ganz auf die Person des Monarchen zugeschnitten. 48 Die Neuordnung erfolgte innerhalb weniger Jahre, seit 1806 erschien eine Anzahl von königlichen Organisationsmanifesten und Reskripten, die schrittweise Normanns Postulat von 1807 - Normann war württembergischer Staatsminister und Friedrichs rechte Hand - einlösten: »Die Wirk34 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

samkeit des Gouvernements war ganz vorzüglich auf die Bildung und Herstellung der Einheit des Königreichs Württemberg, sowohl in Ansehung des Staatsverbandes selbst, als der verschiedenen Verwaltungszweige und der Form ihrer Ausübung gerichtet.« 49 Seit 1811 war der Integrations- und Zentralisationsprozeß weitgehend abgeschlossen. Zwei Momente prägten das neue System entscheidend. Erstens die Ministerialverfassung mit nach Sachgebieten getrennten Ministerien (Realsystem), das 1811 durch das Bürosystem - die direkte Verantwortlichkeit von Referenten und Ministern - ergänzt wurde. Zweitens der territoriale dreistufige Aufbau mit sechs landesweiten Departements (Ministerien), provinzialähnlichen Landvogteien (insgesamt 12) und den 64 Oberämtern. 50 Zentralismus, Einheitlichkeit und verstärkter staatlicher Zugriff prägten den Staat des »dicken Friedrich«. Ihm fielen sowohl die Selbstverwaltung der Kommunen wie die Patrimonialgerichtsbarkeit des Adels 51 zum Opfer, der Modernisierung aus absolutistischer Machtpolitik mußten die Stände wie partiell auch das Schreiber(un)wesen weichen. Damit sind zugleich jene heterogenen Kräfte benannt, die nach Friedrichs Tod 1816 eine erneute Staatsgründung erzwangen. In den Jahren bis 1822 erfolgte die endgültige Neuordnung des Königreichs Württemberg, die das Gepräge des württembergischen Staates bis weit ins 20. Jahrhundert hinein bestimmen sollte. »Die Verfassung eines Staates bestimmt, zu welcher Gattung und welcher Art von bürgerlichen Gesellschaften er gehört, mit anderen Worten, welchen Zweck zu verfolgen er sich zur Aufgabe gemacht hat, und in welchem Wechselverhältnisse zu Erreichung dieses Zweckes der Inhaber der Gesellschaftsgewalt zu den einzelnen Teilnehmern steht.« So beschrieb Robert Mohl 1846 den Inhalt einer Verfassung als Zweck des Staates, dessen Verwirklichung durch die Verwaltung geregelt werde, denn »diese Ausführung der Zwecke des Staates durch eigens dazu bestimmte Organe und Anstalten ist aber Sache der Verwaltung oder Regierung«. 5 2 Zu welcher Art von bürgerlicher Gesellschaft gehörte nun Württemberg nach 1822, und wie gestaltete sich der Aufbau von Staat und Gesellschaft? Das Verfassungsproblem des 19. Jahrhunderts umfaßte nationale, konstitutionelle und soziale Fragen. 53 Die Einheitsproblematik ist in diesem Zusammenhang von geringerem Interesse, zu untersuchen sind »Freiheit« und »Gleichheit«, d.h. es ist nach den Machtstrukturen des politischen Systems und den darin enthaltenen gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten zu fragen. Es gilt, »vom verfassungsrechtlichen Vordergrund zum politischen Hintergrund weiterzugehen«. 54 Der württembergischen Verfassung, wie sie schließlich in der Verfassungsurkunde vom 25. September 1819 ihre im 19. Jahrhundert gültige Form fand, gingen eine mehrjährige Auseinandersetzung, ein ständischer und zwei königliche Verfassungsentwürfe sowie zwei Ständewahlen voraus. 55 Am 11. Januar 1815 erfolgte die Ankündigung der Verfassung durch 35 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Friedrich I., am 15. März 1815 traten nach 10 Jahren erstmals wieder die neu gewählten - Stände zusammen, am selben Tag wurde ihnen auch die Verfassungsurkunde von 1815 überreicht. Die Versammlung beachtete die vorliegende königliche Verfassung kaum, sie sammelte die Landesbeschwerden (die Klagen über das absolutistische Regime seit 1806), übergab sie in einer umfangreichen Zusammenstellung am 26. Juni 1815 dem König und forderte die Rückkehr zur altwürttembergischen Verfassung. Am 16. April 1815 gestand die Regierung die Aufnahme von Verhandlungen über die Übernahme einzelner altrechtlicher Punkte zu. Damit war der Verfassungsoktroi grundsätzlich vom Tisch und das Prinzip der Vereinbarung akzeptiert. Das Beharren der Stände auf der alten Verfassung verschärfte die Situation, Ende Juli 1815 wurde der Landtag aufgelöst. Friedrich I. hatte nur eine kleine Kommission für die Fortdauer der Verfassungsverhandlungen bewilligt, die Stände beharrten auf einem 25köpfigen Ausschuß für die Verhandlungen, der zugleich als Repräsentant des Landtages fungieren sollte. Sie beabsichtigten damit die Wiedereinführung des alten ständischen Ausschusses in seiner ganzen Machtfülle. Zu dieser Zeit, als Friedrich I. auch die Jahressteuern für 1815/16 einseitig durch die Regierung ausschreiben ließ, war die öffentliche Meinung in Württemberg wie in allen deutschen Staaten einhellig auf seiten der Stände. 56 Am 15. Oktober 1815 versammelten sich die Stände erneut, nachdem Wangenheim als monarchischer Verhandlungsführer eingesetzt worden war. Den bisweilen recht eigentümlichen Verlauf verdeutlichen die Ereignisse des Novembers 1815. Der König bot offen an, eine neue Verfassung durch Übereinkunft zu schaffen, wozu sich die Stände bereit erklärten falls zuvor die Gültigkeit der alten Landesverträge anerkannt würde. 5 7 1816 bestieg nach Friedrichs Tod sein Sohn als Wilhelm I. den württembergischen Thron. Auf Grund seines Zerwürfnisses mit Friedrich I. und seiner immer betont ständefreundlichen Äußerungen knüpften sich hohe Erwartungen an seinen Regierungsantritt - zu Unrecht, wie sich zeigen sollte. 58 Als Wilhelm I. im Juni 1817 mit seinem Verfassungsentwurf scheiterte, löste er den Landtag auf und führte eine Art Plebiszit durch. 59 Die Amtsversammlungen und Magistrate sollten sich direkt zum Verfassungsentwurf äußern. Es ergab sich zwar eine knappe Mehrheit für die Verfassung, da die altwürttembergischen Gebiete aber fast geschlossen dagegen votierten, scheute die Regierung die Forcierung des Konfliktes. Mit den Edikten vom 18. November 1817 und 31. Dezember 1818 erfolgte die Verwaltungsreform vor der Verfassungsgründung - ohne die generelle Vertagung des Problems wie in Preußen. 1819 schließlich einigten sich Stände und Regierung in dreiwöchigen Marathonverhandlungen; der äußere Druck, die Karlsbader Verhandlungen und damit die unmittelbar bevorstehende Reaktionszeit, zwangen zur Kompromißbereitschaft. 60 Wieder prägten die außenpolitischen Konstellationen die innere Entwicklung des Mittelstaates. Während im 18. Jahrhundert der Hof in Wien ein 36 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

potentieller Verbündeter der Stände gewesen war, begünstigte im 19. Jahrhundert das konservative Machtgefüge des Deutschen Bundes die monarchische Spitze. Das offenbarte sich hier zum ersten Mal, wurde im Vormärz und 1848 jedoch noch öfters deutlich. Was als Konflikt von Monarch und Ständen begonnen hatte, war schon lange keine Auseinandersetzung mehr zwischen zwei erratischen Blöcken. In dieser Zeit begann auch der von Wangenheim vorausgesehene und betriebene Auflösungsprozeß der Stände, zuerst entlang der Linie Altwürttemberg - Neuwürttemberg, dann als Bildung politischer Gruppierungen. Die Einheit der Opposition von 1815 war 1819 längst zerbrochen, im Wahlkampf und im Landtag dieses Jahres traten schließlich drei unterschiedliche Gruppierungen auf. Die Partei der Altrechtler war stark zusammengeschmolzen, die Popularität Uhlands bildete keinen adäquaten Ersatz für den quantitativen Rückgang. Die Altrechtler beharrten weiterhin auf einer möglichst umfassenden Verwirklichung altwürttembergischer Verfassungsprinzipien. Striktes Vertragsdenken bestimmte ihr Programm, für die Stände forderten sie Steuerbewilligung und Teilhabe an der Gesetzgebung, die Regierung sollte die Exekutive dominieren und an der Legislative partizipieren. Insbesondere wünschten sie eine Restitution der alten Ausschüsse und der ständischen Kasse. Ihr noch immer beachtlicher Erfolg bei den Wählern beruhte darauf, daß sie mit den lokalen Eliten, den Honoratioren und kommunalen Amtsinhabern, eng verbunden waren. 61 Zwischen 1815 und 1819 war das Gros der Altrechtler ins regierungsfreundlichere Lager der ›Liberalen‹ übergewechselt. Diese um Cotta und Grießinger gruppierte Richtung strebte die Versöhnung mit der Regierung an. Als Frühform des vormärzlichen Liberalismus verfocht sie uneingeschränkt das konstitutionelle Prinzip. Zensuswahlrecht, Pressefreiheit und Selbstverwaltung stellten die wesentlichen Forderungen der Liberalen dar, die einem modernen Staatsaufbau gegenüber weitaus weniger kritisch eingestellt waren als die Altrechtler. Ihre Trägergruppen waren zum größten Teil Akademiker und Beamte, zudem beherrschten sie die Presse. Im Verlauf des Verfassungskampfes näherten sich beide Gruppen immer mehr dem Regierungsstandpunkt an, denn, wie Generalmajor von Bismarck, 1819 von der Regierung als Wahlbeobachter entsandt, später dann Gesandter in Karlsruhe und vom König zum Mitglied der Ersten Kammer ernannt, gegenüber Wilhelm beruhigend feststellen konnte: »Die bürgerliche Aristokratie befindet sich von der Demokratie in Flanke genommen und also in Verlegenheit: Diese Aristokratie strebt nach Herrschaft, sieht sich aber unerwartet von einem gefährlichen Feind, der Demokratie, von diesem Ziel verdrängt und in ihrem Lebensmark angegriffen. Diese veränderte Stellung führt sie unter das Panier des Königs. Die Häupter dieser Partei erkennen diese Gefahr; sie meinen es jetzt redlich mit der Regierung, weil sie nur in der Vereinigung mit ihr noch Rettung finden können. «62 37 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Während des Verfassungskampfes entstand auch ein eigenständiger linksliberaler Flügel, die Volksfreunde, wie sie meist genannt wurden. Auf sie soll ausführlicher eingegangen werden, da bei ihnen Bestrebungen um einen prinzipiellen Gegenentwurf in der Auseinandersetzung um die Reform des Staates vorzufinden sind. Außerdem tauchen in ihren Vorschlägen und Entwürfen viele Forderungen auf, die in der Debatte der darauffolgenden Jahre an zentraler Stelle wiederzufinden sind. Schließlich nahmen sie auch im Hinblick auf die Organisation von politischen Gruppen Tendenzen vorweg, wie sie erst seit der Mitte der 1840er Jahre in Württemberg üblich wurden. Die Volks- oder Bürgerfreunde waren eine Gruppe jüngerer, oft aus der staatlichen Bürokratie kommender Leute um F. List und H. Keßler, die sich vielfach aus Studienzeiten in Tübingen kannten. 63 Dieser Kreis agierte vor allem publizistisch, ihre bekannteste - und wichtigste - Zeitschrift ist der zwischen 1818 und 1821 erscheinende »Volksfreund aus Schwaben«. Daneben gründeten sie einen Verein, um lokale Selbstverwaltungsinteressen landesweit zu organisieren und gegenüber der Regierung zu vertreten. Auch bei den Landtagswahlen von 1819 bemühten sie sich um eine den lokalen Rahmen übergreifende Planung und Unterstützung bei der Kandidatenaufstellung und der Wahl. 64 Was waren nun die wichtigsten Reformvorschläge der Volksfreunde? Über den »Volksfreund aus Schwaben«, gewissermaßen die ›Parteizeitung‹, läßt sich das Programm rekonstruieren. Im Gerichtswesen forderten sie die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlungen, die Einführung von Geschworenengerichten und die Einrichtung von Bürgergerichten unter der Leitung von Justizbeamten. Grundlage hierfür sei die Einführung eines »allgemein faßlichen verständlichen Landrechts . . . mit Entfernung aller möglichen, besonders aber der römischen Subtilitäten«. 65 Zweitens wurde eine radikale Änderung des Steuerwesens gefordert. Man plädierte für die Aufhebung aller indirekten Steuern und statt dessen für eine einheitliche direkte Besteuerung aller Einkommen. Das bedeutete zugleich, daß alle Steuerprivilegien und -befreiungen für den Adel und die Kapitalbesitzer aufgehoben werden sollten; Ziel war die »gleiche und gleichförmige Besteuerung aller Staatsbürger«. 66 Zu Fragen der Gewerbeordnung und Wirtschaftsförderung bleiben die Äußerungen recht spärlich. Es scheint, daß die Aktivität F. Lists auf diesem Gebiet nur nationale Ziele verfolgte, direkte Einflüsse auf die württembergische Politik lassen sich kaum aufzeigen. Die wenigen Artikel zu Wirtschafts fragen im »Volksfreund« deuten jedenfalls nicht auf List hin, wenn etwa konstatiert wird, daß »nur die uralte Zunftverfassung . . . zum Besseren führen« kann. 67 Ebenso traditionell sind, im Sommer 1820, Bestrebungen zum Schutz der heimischen Gewerbe. Da die Regierung sich nicht zu hohen Zöllen auf fremde Waren - oder gar deren Konfiskation entschließen konnte, entsteht der Plan zu einem »Verein für Unterstützung vaterländischer Industrie«, dessen Mitglieder sich verpflichten, nur inländi38

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sche Erzeugnisse zu kaufen. Bezeichnend auch, daß die große Mehrheit der Mitglieder aus nichtgewerblichen Berufen kommt. 6 8 Kern aller Kritik aber waren die Angriffe auf die staatlichen Beamten und die alten Magistrate sowie die Forderung nach mehr Selbständigkeit für die Kommunen. Die Beamten wurden oft als wichtigster innerer Feind stilisiert, gegen sie sollten Adel und Bürger zusammenstehen. Hier findet man die gleichen Topoi wie in der Kritik der Magistrate und der Schreiber. Es gebe viel zu viel Beamte, sie wollten als »Herren« über dem Bürger stehen, sie seien eine Barriere zwischen König und Volk. Im einzelnen werden Willkür und Korruption angeprangert, die Inkompetenz der Amtsträger bemängelt. 69 Zur Abhilfe forderte man eine bessere Ausbildung der Beamten. Sodann wurde die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit durch die Öffentlichkeit gefordert. Nicht Beamte sollten Beamte kontrollieren - wie es die Regierung vorsah - , sondern Entscheidungen und Begründungen sollten publik und damit anfechtbar gemacht werden. Weiterhin forderten die Volksfreunde eine Beschneidung der bürokratischen Tätigkeitsfelder. Administrative Aufgaben sollten an die Gemeinden, damit an die Selbstverwaltung der Bürger, abgegeben werden; die staatlichen Bezirksbeamten, vor allem die Oberamtmänner, sollten zu reinen Justizbeamten werden. 70 Im Mittelpunkt der Staatsauffassung dieser Gruppierung stand die Gemeinde. Die kommunale Selbständigkeit wurde gegen zwei Seiten proklamiert und verteidigt: Einerseits gegenüber den Altrechtlern, den Vertretern der traditionellen Führungsschicht in den Gemeinden, andrerseits gegenüber der Regierung, die durch bürokratischen Eingriff von oben Reformen erzwingen wollte. Sie sahen die Kommunen als »Basis des ganzen Baus« an, wie es List 1818 ausdrückte, eine Formulierung der Verfassung von 1819 vorwegnehmend. Die Kritik an der alten Gemeindeoligarchie führte aber nicht zum Abweichen vom Kommunalismus; etwa in der Frage der Bürgeraufnahme wurde dezidiert die Autonomie gegenüber staatlichen Eingriffen verteidigt, List attackierte eine Politik, bei der »man die Gemeinden nur als Staatsbürgerfabriken betrachtet, in welchen die Regierung nach Belieben neue Arbeiter anstellen könne«. 71 Hier fällt ebenfalls eine Verschiebung der Kritik auf. Zu Anfang stand die unkontrollierte Macht und Willkür von Schultheißen und Magistraten im Mittelpunkt, fast jede Nummer des »Volksfreunds« berichtete auch über einzelne Fälle von Amtsmißbrauch. Dagegen forderte man eine Vertretung der Bürger und verteidigte vehement die 1817 eingeführten Gemeindedeputierten (identisch mit dem späteren Bürgerausschuß) als öffentliches Überwachungsorgan. Seit 1819 schob sich dann immer mehr in den Vordergrund die Verbesserung der Gemeindeorganisation, das Zurückdrängen staatlicher Bevormundung und die periodische Wahl der Magistrate und Schultheißen. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit der unangefochtenen Stellung der alten Magistrate wurde hier allmählich das 39 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

alternative Konzept einer »Bürgerdemokratie« entwickelt und die Gemeinde als »Bild einer vernünftigen bürgerlichen Gesellschaft im kleinen« gesehen. 72 Die ›Demokratie‹ der Volksfreunde basierte auf der Gleichheit der Bürger und der Freiheit der Korporationen von staatlicher Bevormundung, sie war auf ihre Weise deshalb weniger egalitär als der rigide Absolutismus Friedrichs nach 1805, der alle Privilegien unter seiner Regierung nivellierte. Ihre Brisanz erlangte die Volksfreundeposition dadurch, daß sie die beiden herkömmlichen Machtträger, Ehrbarkeit und Regierung, gleichermaßen attackierte. In der dadurch hervorgerufenen Interessenkoalition lag einer der Gründe des Scheiterns der Bewegung, zwei weitere kamen noch hinzu. Einmal erforderte das Konzept eine aktive Teilnahme der berechtigten Einwohner, daran mangelte es aber oft. 73 Zum andern erkannte man, daß die vollständige Loslösung von der staatlichen Bürokratie zwangsläufig zu einer verringerten Kompetenz der Inhaber der Ehrenämter gegenüber den staatlichen Berufsbeamten führte, 1820 entstanden daraufhin Überlegungen, auch auf kommunaler Ebene Berufsbeamte einzuführen. Sie sollten jedoch von der Bürgerschaft gewählt werden und damit von der Gemeinde abhängig bleiben. Man hoffte, dadurch die entsprechende Sachkompetenz zu erlangen, um die kommunale Autonomie gegenüber der Bürokratie wahren zu können. 74 Aber die Zeit reichte für die Volksfreunde nicht aus, dieses Konzept, das an die Schweiz und die Vereinigten Staaten erinnert, ausführlicher zu erörtern. Bereits 1820 ist eine zunehmende Entpolitisierung des »Volksfreundes« festzustellen, bis er, dem Druck der Regierung erliegend, zum Ende des darauffolgenden Jahres sein Erscheinen ganz einstellen mußte. 75 Man soll die erwiesenermaßen kleine Gruppe der Volksfreunde nicht überschätzen, sie auch nicht als späte Jakobiner oder frühe Demokraten stilisieren. In zweifacher Hinsicht kommt ihnen aber dennoch Bedeutung zu. Einmal verfochten sie in der Auseinandersetzung um die Reform der württembergischen Gemeindeverfassung die Position der konsequenten Gleichstellung aller Bürger. Ihr Konzept der Öffnung nach unten stand damit dem der Regierung mit bürokratischer Kontrolle von oben diametral entgegen. Andrerseits griffen sie bestimmte Probleme - wie die Wahl der Magistrate - zum erstenmal auf, die dann in den nächsten Jahrzehnten zu zentralen Konfliktpunkten wurden. Ohne direkt darauf Bezug zu nehmen, verlief die Diskussion im Vormärz weitgehend in den hier vorgezeichneten Bahnen. Zurück zum Verfassungskampf und zur Verfassung von 1819. Was war das Ergebnis der »unklugen Diskussionen« (Metternich) 76 , welche Elemente prägten die Verfassung vom 25. September 1819? Sie war vor allem als Vertrag, nicht als Oktroi einer absoluten Gewalt zustande gekommen. Uhlands »für uns ist der Regent ein Mensch, den der Staatsvertrag hoch gestellt hat«, spiegelt ständisches Selbstverständnis, aber auch gesellschaft40 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

liche Realität wider. 77 Die einzelnen Verfassungsentwürfe geben diesen Kompromißcharakter der Konstitution als Vereinbarung zwischen Regierung und Ständen wieder. Die Vorlage von 1815 verkündete noch ganz souverän: »Wir Friedrich, von Gottes Gnaden König von Württemberg, entbieten allen Unsern lieben und getreuen Dienern, Vasallen, und Untertanen Unsere Königliche Gnade. . . . haben Wir uns entschlossen . . . nähere Bestimmungen zu erteilen; zu welchem Ende Wir die gegenwärtige Verfassungs-Urkunde in gehöriger Form haben ausfertigen lassen.« Dem entgegneten die Stände 1816 im Vorwort ihres Verfassungsplanes: »Dieser Entwurf soll nicht der Entwurf einer neuen, sondern einer erneuerten Verfassung sein« (Hervorhebung im Original, M. H.) und in § 1: »Der König ist das Haupt des Staates, und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt, nach den durch die Landesverfassung gesetzten Bestimmungen.« In Wilhelms Verfassungsentwurf von 1817 rückte der König an die zweite Stelle, das 1. Kapitel mit den Paragraphen 1-3 handelt »Von dem Königreiche und dessen Bestandteilen«. Damit konstituierte nicht mehr die Person des Monarchen den Staat, sondern das Königreich wurde zu der den Herrscher legitimierenden Größe. Die königliche Autorität selber wurde erst danach im vierten und den folgenden Paragraphen bestimmt. »Der König ist das Haupt des Staats, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus (§ 4).« In die Verfassung von 1819 wurde schließlich dieser Paragraph des Entwurfs von 1817 unverändert übernommen. Hatte die ständische Vorlage von 1816 den Monarchen »nach den Bestimmungen« der Verfassung regieren lassen und ihn damit zu einem konstitutionellen Ausführungsgehilfen reduzieren wollen, wurde nun die bereits 1817 eingeführte Formulierung »unter den Bestimmungen« übernommen. Der herrscherlichen Gewalt wurde dadurch zwar ein größerer Handlungsspielraum zugestanden, die Exekutivgewalt blieb aber noch immer in den Verfassungsrahmen eingebunden. Innerhalb der konstitutionellen Monarchie war der Souverän damit ein primus inter pares, aber eben nicht mehr souverän. Eine Subordination, die bereits Kant gesehen hatte. »Es ist aber alles, was unter Gesetzen steht, in einem Staate Untertan.« [Hervorh. Kant] 78 Eine weitere Besonderheit in der württembergischen Verfassung war der Huldigungseid. Paragraph 10 der Verfassung legte fest, daß die Stände dem Thronfolger den Eid erst dann ableisteten, wenn dieser in einer eigenen Urkunde die Einhaltung der Verfassung zugesichert hatte. Dieser Huldigungseid auf die Verfassung war nicht nur vom König vor seinem Amtsantritt abzulegen, jeder württembergische Einwohner mußte nach Erreichen des 16. Lebensjahres auf einem Ruggericht vor dem Oberamtmann, spätestens jedoch beim Eintritt ins Militär, diesen Eid leisten. 79 Damit waren, 41 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

zumindest in diesem Punkt, alle vor der Verfassung gleich, aber auch die Verfassung war in besonderem Maße geschützt und aufgewertet. In der Auseinandersetzung mit dem König um die neue Verfassung benutzten die Stände den Rekurs auf das Vertragsmoment eindeutig zur historischen Legitimierung, hier spannte man den Bogen zum altwürttembergischen Recht. Gerechtigkeit, Weisheit und Wohlwollen hätten den König angeleitet, »einen Verfassungsvertrag . . . abzuschließen«. Dadurch verdiene er den Ruhm, »diesen Vertrag in dem Lande wieder aufleben zu lassen, w o er heimisch war. Und so wird eine späte Zukunft wieder segnen, was eine lange Vergangenheit pries.« Wilhelm I. formulierte weitaus pragmatischer, doch auch er konnte nicht umhin, die Gegenseitigkeit der Verfassung zu konzedieren, so sei »endlich durch höchste Entschließung und alleruntertänigste Gegenerklärung eine vollkommene beiderseitige Vereinigung . . . zustande gekommen«. 8 0 Das harte Ringen um ihre Verabschiedung schlug sich in der Verfassung selber nieder. 81 Ihr Inhalt läßt sich in vier Teile gliedern, die jeweils auf einzelne Phasen und Interessengruppen des Entstehungszusammenhangs verweisen. 82 Zum einen waren »Grundgedanke und das ganze Hauptgerüst« dem Konstitutionalismus entnommen. Der König übte die Exekutive aus, ständische Mitsprache bestand in der Legislative (ihre Zustimmung zu neuen Gesetzen war unumgänglich, ebenso bei der Festsetzung von Steuern 83 und der Staatsschuld), der Regierung verblieb jedoch das Antragsrecht. Das Zweikammersystem, grundrechtsähnliche Individualrechte und der Staatsgerichtshof verwiesen ebenfalls auf den französischen Ursprung. »Das Volk hatte ein Recht darauf, gut regiert zu werden, allein nicht das Recht, selbst zu regieren.« 84 Daneben standen vor allem Einzelregelungen, die aus dem alten Recht übernommen waren: die kirchlichen Vertreter in der zweiten Kammer, die Verwaltung der Staatsschuld durch die Stände 85 , der ständische Ausschuß, die erneute Abtrennung des Kirchengutes, insbesondere jedoch die Wiedererrichtung des Geheimen Rates, eine der ersten Amtshandlungen Wilhelms vom 8. November 1816. Schließlich jene Maßnahmen, die die Wiederkehr eines friderizianischen Absolutismus verhindern sollten. Die unmittelbare Vereinigung evtl. neu hinzukommender Gebiete mit den alten zu einer Verfassung (um ein zweites Neuwürttemberg auszuschließen), ein stärkerer Schutz der Beamten vor Willkürmaßnahmen der Regierung, die Gültigkeit von Gerichtsurteilen in Strafprozessen ohne königliche Bestätigung. Als letztes noch einige Einzelheiten, die aus dem Verlauf der Verhandlungen selber resultieren. Das beibehaltene Recht der »sieben guten Städte« auf eigene Vertreter im Landtag, ebenso der ständische Sitz des Kanzlers der Universität Tübingen, aber auch das Verbot des Ablesens schriftlicher Vorträge. Letzteres war auch die Reaktion auf eine altwürttembergische, nach 1815 erneut zu beobachtende ›Schreibertugend‹, den Hang zur Langatmigkeit. 86 Daß die württembergische Konstitution - als letzte im Deutschen Bund 42 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vor den Karlsbader Beschlüssen - schließlich doch noch verabschiedet werden konnte, hatte seine Ursache nicht nur im zunehmenden äußeren Druck des entstehenden Metternichschen Systems und der inneren Parteienbildung und Annäherung von ›Ehrbarkeit‹ und Regierung, von lokalen und landesweiten Herrschaftsträgern. Mindestens ebenso bedeutsam war, daß die Reform der Verwaltung in ihren Grundzügen bereits 1817/18 mit einzelnen Edikten vollzogen worden war; dadurch konnte dieser Problemkreis bei den Verfassungsverhandlungen ausgespart werden. 8 7 Seit 1806 hatte es mehrfach Bemühungen gegeben, gerade die unteren Verwaltungsinstanzen umzustrukturieren; List beispielsweise erhielt als junger Regierungsrat im Innenministerium im Sommer 1817 den Auftrag, eine Revision der Kommunordnung von 1758 vorzubereiten. 88 Ihren vorläufigen Abschluß fanden diese Bemühungen in den elf Edikten vom 18. November 1817, mit denen vor allem die Ministerien und höheren Behörden in eine moderne bürokratische Form gebracht wurden. Die fünf Edikte vom 31. Dezember 1818 regelten die unteren Verwaltungsebenen und die korporative Selbstverwaltung. Ergänzend wurden von der Regierung j e weils Kommissionen eingesetzt, die die praktische Umsetzung anleiten und überwachen sollten. Die zentrale Figur war dabei der Justizminister v. Maucler; als Vorsitzender aller Kommissionen und rechte Hand des Königs prägte er die Reformarbeit und bewirkte, daß die korporative Selbstverwaltung in den Rahmen der staatlichen Bürokratie eingefügt blieb. 89 Trotzdem kann man den ganzen Vorgang nicht ohne weiteres als »Reform von oben« ohne Partizipation der Stände klassifizieren. Nach der Verabschiedung der Verfassung näherte sich die Position des Landtags nicht nur in wesentlichen Punkten der der Regierung an 90 , die Kammer der Abgeordneten war sogar an den weiteren Entscheidungen beteiligt. Einerseits wurden seit dem Frühsommer 1820 alle wesentlichen Fragen der Organisations-Vollziehungs-Kommission mit der für Verwaltungsfragen zuständigen Kommission der Abgeordnetenkammer abgesprochen - auf ausdrückliche Anordnung des Königs. 91 Andrerseits wurden, auf einen Antrag Uhlands in der Kammer vom Januar 1820 zurückgehend, zuerst die Edikte von 1818 einer nachträglichen ständischen Überprüfung unterzogen und anschließend, seit dem Herbst desselben Jahres, Vorschläge für weitere Gesetze entwickelt. Wiederum eine Adresse Uhlands vom 10. April 1821 markierte den Abschluß dieser Beratungen und diente als Grundlage für die Verhandlungen zwischen Landtag und Regierung, die im Landtagsabschied vom 30. Juni 1821 mündeten und zum Verwaltungsedikt vom März 1822 führten. 92 Damit waren die Edikte von 1817/18 gewissermaßen nachträglich parlamentarisch bestätigt und die Verwaltungsreform analog zum württembergischen Gesetzgebungsverfahren durchgeführt worden. Der Regierung blieb zwar das Initiativrecht vorbehalten, Gesetze benötigten aber aufjeden Fall die Zustimmung des Landtags. 93 43 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Der Grundgedanke Mauclers und der Kommission, letztlich damit der gesamten württembergischen Verwaltungsreform, der auch vom Landtag akzeptiert worden war, war eine durch übergeordnete bürokratische Institutionen abgesicherte korporative Selbstverwaltung. Deshalb sei es, wie der Justizminister bei einem Vortrag im Geheimen Rat am 26. Juni 1818 formulierte, für eine Reduzierung der staatlichen Bürokratie eine unumgängliche Voraussetzung, »daß die Freiheit der Gemeindeverwaltung . . . auch in der Tat bestehe, und die Magistrate sich überall in neue, ihnen bisher unbekannte Formen gefunden« hätten. Mit beidem sei jedoch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. 94 Das Prinzip der kontrollierten Selbstverwaltung diente damit als bürokratische Legitimation. Wie manifestierte sich dieser Grundsatz nun im einzelnen in der Praxis? Die Verwaltungsreform war, wie gesagt, ein Kompromiß zwischen zwei entgegengesetzten Konzeptionen. Der »Dualismus zwischen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung« (H. Heffter) 95 war ein doppelter Kompromiß; strukturell zwischen altständischem und modernem, aus Frankreich übernommenem, konstitutionellem Ministerialsystem, sowie historisch ein Angleich der Extreme von herzoglicher Tradition und friderizianischer Neuorganisation. Ein Verbundsystem von bürokratischem Zentralismus und kommunaler Selbstverwaltung konstituierte den württembergischen Staatsapparat im 19. Jahrhundert 96 , die staatlichen Behörden durchdrangen das gesamte gesellschaftliche Leben, sparten jedoch bestimmte Inseln gemeindlicher Eigenverantwortung aus. Zuerst erfolgte die Reorganisation der Behörden. 97 Fünf Ministerien (das Department des Innern war wieder mit dem des Kirchen- und Schulwesens vereint) wurden, gemäß dem französischen Realsystem, nach Sachgesichtspunkten voneinander abgegrenzt. Die Minister wurden nur vom König ernannt, waren für die Anordnungen ihres Departments aber verantwortlich - und anklagbar. 98 Innerhalb der Ministerien wurde die »sogenannte modifizierte Kollegialverfassung« eingeführt. Bei wichtigen Problemen versammelten sich die vortragenden Räte unter dem Vorsitz des Ministers, dieser war jedoch nicht an den Beschluß des Kollegiums gebunden, er konnte auch unabhängig von der Beratung sofort entscheiden. Gegenüber untergeordneten Stellen entschied ebenfalls nicht das Kollegium, als Befehlsgeber erschien nur der Minister bzw das Ministerium. 9 9 Das Innenministerium bestand aus sechs Zentralkollegien, auf der Provinzialebene unterteilte es sich in die vier Kreisregierungen. 100 Der Zuständigkeitsbereich und die innerbehördlichen Aufgaben der Kreisregierungen waren analog dem des Ministeriums, dazu und vor allem waren sie Aufsichtsbehörden über die Oberämter (bzw. die Ämter der Standesherrschaften). Die Machtfülle auf Bezirksebene konzentrierte sich nach wie vor beim Oberamtmann, der ihm untergeordnete und von ihm abhängige Oberamtsaktuar blieb letztlich eine Hilfskraft. 101 Der Oberamtmann übte die staatlichen Hoheitsrechte aus, nahm Verwaltungsaufgaben wahr, kon44 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

trollierte die Einhaltung der Amts- und Gemeindeverfassung sowie die Tätigkeit der Ortsvorsteher, organisierte und leitete die Landtagswahlen; er beaufsichtigte die Verwaltung der Korporationsvermögen von Stiftungen, Gemeinden, Ämtern, er bestimmte auch die Armenfürsorge und regelte die Militärrekrutierung. Waren die Gemeinden die »Grundlage des Staatsvereins« (Verfassungsurkunde, § 62), war der Oberamtmann Kernelement des Staatsapparates. Sein besonderes Augenmerk hatte der Oberamtmann auf die »ihm untergeordneten Staats- und Gemeindediener« zu richten, er mußte sicherstellen, daß jene weder ihr »obrigkeitliches Ansehen« verloren noch die Einwohner ungerecht behandelten. In Hinblick auf die Polizeigewalt, die in allen Kommunen den Gemeinderäten und Schultheißen anvertraut war, hatte der Oberamtmann ebenfalls die »wirkliche Ausübung« zu überwachen bzw. bei schweren Vergehen selbst einzugreifen oder die entsprechenden Instanzen, Oberamtrichter usw. einzuschalten. 102 Die Gemeinden waren nach ihrer Größe in drei Klassen eingeteilt. Die erste umfaßte Städte mit mehr als 5000 Einwohnern, die zweite Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern, die dritte alle übrigen Gemeinden. 103 Die Gemeinden hatten das Recht, »alle auf diesen Gemeindeverband sich beziehenden Angelegenheiten« zu regeln, ihr Gemeindevermögen selbständig zu verwalten und über die Ortspolizei zu bestimmen. Ausfuhrende Organe waren der Gemeinderat (bzw. Stadtrat) und der (Stadt-) Schultheiß. Die Gemeinderäte (je nach Ortsgröße 7-21 Räte) wurden von allen das Bürgerrecht Besitzenden zuerst auf zwei Jahre, bei sofortiger Wiederwahl auf Lebenszeit gewählt. 104 Auch Beisitzer konnten gewählt werden, sie mußten aber zuvor das Bürgerrecht erwerben. Von der Wahl ausgeschlossen waren Verwandte von schon gewählten Ratsmitgliedern - nicht die einzige Bestimmung, die gegen die Dominanz der alten Schreiber gerichtet war, deren »Vetterleswirtschaft« ja berühmt-berüchtigt gewesen war. Der Schultheiß wurde ebenfalls von den Bürgern gewählt, indem die Gemeinde drei Kandidaten wählte, von denen einer durch die Regierung ernannt wurde. Vereinigte einer der Kandidaten zwei Drittel der Stimmen auf sich, mußte er als Ortsvorsteher bestimmt werden. Das Schultheißenamt übte man auf Lebenszeit aus; es war besoldet, aber nur in größeren Gemeinden hauptamtlich. 105 Gemeinderat und noch mehr der Schultheiß verblieben in einer Zwitterstellung. Wie der Oberamtmann nahmen sie staatliche Aufgaben wahr, waren zwar keine Beamten des Staates, aber doch seiner Kontrolle ausgesetzt. Als gewählte Kommunalvertreter hatten sie die Belange der Gemeinden zu vertreten, erhielten ihre Autorität aber von der Regierung und waren - unter dem strikten Regiment des Oberamtmannes- an die Einhaltung und Durchführung der Gesetze und Beschlüsse der Regierung gebunden. Der Magistrat wurde, dieser Zwischenlage entsprechend, nicht nur von der Regierungsseite her beaufsichtigt, sondern auch von der Bürgerschaft, 45 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vom Bürgerausschuß. Wählbar waren alle Bürger, verwandtschaftliche Einschränkungen wie bei der Wahl zum Gemeinderat bestanden nicht; jeweils die Hälfte der Mitglieder wurde alle zwei Jahre neu gewählt. Insbesondere bei Entscheidungen, die das Vermögen der Gemeinde betrafen, war der Gemeinderat verpflichtet, das Gutachten des Bürgerausschusses einzuholen. Bei unterschiedlicher Auffassung blieb der vorherige Zustand erhalten, Entscheidungen, die den kommunalen Bereich überschritten, wurden an das Oberamt verwiesen. In der Gemeinde selbst kam jeder Seite also lediglich eine blockierende Funktion zu, der lebenslängliche Magistrat konnte von den turnusmäßig neu gewählten Bürgerschaftsvertretern nur an Veränderungen gehindert, nicht zu Veränderungen gezwungen werden. 106 Die Selbstverwaltung der Korporationen galt im wesentlichen für die Finanzen. Keine Behörde konnte ohne Rücksprache mit dem Magistrat über das Eigentum der Gemeinden verfügen, keine Korporation konnte mit Leistungen belegt werden, die nicht aus allgemeinen Gesetzen oder besonderen Rechtstiteln entstanden waren. 107 Vor allem auf Amtsebene war der Verlust an staatlichen Funktionen unübersehbar, die Amtskörperschaft wurde primär als Vereinigung der Gemeinden definiert, die »ihren Anteil an den öffentlichen Lasten mit vereinten Kräften trägt«. Die Zerschlagung der Bezirkskorporation als politische Einheit war das Kernstück der Verwaltungsreform. Auch dies resultierte aus den altwürttembergischen Erfahrungen wie den Ereignissen der jüngsten Zeit. Die Amtsversammlungen waren die Machtbasis der Stände gewesen, und noch in den Verfassungsauseinandersetzungen nach 1815 war die Tradition von Petitionen, Deputationen und Versammlungen (welche schließlich ganz verboten wurden) so stark, daß es dem König »nur unter Androhung von Gewalt gelang . . . die altständischen politischen Aktivitäten der Untertanen auf den Wahlakt zu beschränken«. 108 Die Altrechtler hatten im Verwaltungsaufbau drei Momente entschieden verteidigt: die starke Stellung des Geheimen Rates, die Zentralkollegien im Innen- und Finanzministerium sowie die alte Amts- und Gemeindeverfassung. Der Geheime Rat war im Vormärz zwar nicht mehr die »eigentliche Regierung des Landes« (Mann/Nüske), in seiner Stellung zwischen König und Ständen blieb er jedoch nicht nur formell die höchste Behörde. Robert Mohl kritisierte gerade diese intermediäre, die volle »Wirksamkeit des konstitutionellen Systems« potentiell aufhebende Stellung. 109 Bei der Organisation der Zentralkollegien waren die Vertreter des Alten Rechtes weniger erfolgreich. Zwar blieben Oberregierungs- und Oberfinanzkollegium bestehen, der Geschäftsgang innerhalb der Behörden blieb aber im wesentlichen an der starren Hierarchie des Ministerialsystems orientiert. 110 Bei der Amts- und Gemeindeverfassung schließlich blieb die eindeutige Dominanz der Magistrate erhalten, waren jene doch, altrechtlich gesehen, die Garanten von Freiheit und Ordnung. Der Oberamtmann, der zugleich 46 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Verwaltungs-, Justiz- und Polizeibeamter war, schien die nötige »Erhaltung der Ordnung« zu sichern. Er war jedoch gleichzeitig auch Vertreter des Herzogs, der Herrschaft. Als Gegengewicht wurden, wie Georgii in den Beratungen über die Edikte vom Dezember 1818 im Geheimen Rat ausführte, die Stadt- und Amtsschreiber gesehen. Sie schützten den einzelnen, die Kommunen und auch das ganze Amt gegen den Mißbrauch der Machtfülle, die in der Person des Oberamtmannes konzentriert war. Die Schreiber erschienen ihnen als »Garantie der Freiheit«. 111 Die Magistrate offenbarten den sozialen Zusammenhalt und die Exklusivität der bürgerlichen Ehrbarkeit, deren politischer Einfluß sich im Amt konzentrierte und in Gestalt der Schreiber manifestierte. Diese Positionen hatten die Altrechtler bewahren wollen, diese ständischen Bastionen waren von zwei Seiten attackiert und schließlich weitgehend geschleift worden. Wangenheim, unter Friedrich I. im Staatsrat, dann 1816/17 Innenminister, versuchte eine liberale Reform, inhaltlich ähnelte sein Programm dem der Volksfreunde von 1819. Sein Hauptgegenspieler war Malchus, bis 1818 Chef des Finanzdepartments, der den »absolutistisch bürokratisch« geprägten Neuaufbau anstrebte. Die grundlegenden Organisationsedikte vom 31. Dezember 1818 wurden schließlich als Kompromiß der beiden Flügel, vom Justizminister von Maucler (1818-1831, danach bis 1848 Präsident des Geheimen Rates) durchgeführt. 112 Malchus selber skizzierte den Unterschied zwischen ihm und Wangenheim. Wangenheim wolle soviel Selbstregierung als möglich; wolle, daß »der Bürger durch Menschen geleitet werde, die mit ihm leben, die mehr durch Vertrauen, das ihre Person einflößt, als durch den Buchstaben des Gesetzes regieren«. Er selber dagegen beabsichtige, hauptsächlich »durch den Buchstaben des Gesetzes« zu regieren, er wolle »die Bürger nicht so viel mit der Teilnahme an allgemeinen Verwaltungsangelegcnheiten bemengen«. 113 Zwei Konzeptionen standen sich hier gegenüber: auf der einen Seite die Regierung mit Gesetzen, strikter Gewaltenteilung bis hinab auf die unterste Ebene, vor allem aber der Reduzierung der Amtsversammlungen auf wirtschaftliche Aufgaben (Malchus), andrerseits das Bemühen um eine breitere Partizipation innerhalb der Kommunen und eine Beschränkung der Oberamtsverwaltung auf die Aufsicht der Selbstverwaltung mit möglichst spärlichen staatlichen Eingriffen (Wangenheim). Entscheidende Änderungen gegenüber der altwürttembergischen Gemeindeverwaltung waren einmal die Bürgerausschüsse. Sic waren ein lokales Gegengewicht gegen die dauerhafte Macht der Magistrate. 114 Zweitens wurde die Stellung der Kommunen gegenüber Amt und Amtskorporation gestärkt. Das 18. Jahrhundert war durch die Selbstverwaltung der Amtskorporationen bestimmt worden, das 19. Jahrhundert wurde von der Selbstverwaltung der Kommunen - unter der Oberaufsicht der staatlichen Ämter - geprägt. Drittens wurde das Machtpotential des Oberamtrnannes durch die Trennung der Gewalten auch auf Bezirksebene verringert. Para47 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

doxerweise verringerte sich der Einfluß der Oberamtmänner jedoch nicht, eher trat das Gegenteil ein. Denn in ihrer Funktion und als Gruppe wurde ihr altständisches Gegengewicht, das Amt des Schreibers, vollständig zerschlagen. Seine Aufgaben wurden auf drei verschiedene Gruppen verteilt, auf die jeweiligen Subalternbeamten (Aktuare), die Notare, die für die freiwillige Gerichtsbarkeit zuständig waren, und die neu geschaffenen Kameralisten. 115 Als Letztes und Wichtigstes ist die Begrenzung des Amtsverbandes auf finanzielle Verteilungsaufgaben zu nennen. Der Entpolitisierung entsprach, daß die ständischen Abgeordneten nun im Amt (als einem Wahlbezirk), nicht mehr vom Amt (als Amtsversammlung) gewählt wurden. Die Instruktion des Abgeordneten entfiel damit, er war als Vertreter »nicht des einzelnen Wahlbezirkes, sondern des ganzen Landes anzusehen«. 116 Die Trennung von Verfassungsvereinbarung und Verwaltungsreform hatte nicht nur beides erst ermöglicht, sondern präformierte auch die weitere Entwicklung im Vormärz. Die Konstitution von 1819 wurde, in Verlängerung der Tradition des Tübinger Vertrages und des Erbvergleiches, zum hehren Ideal württembergischer Freiheit stilisiert. Selbst die Regierung konnte die Überzeugung gewinnen, »daß einem biederen und edel denkenden Volke eine, auf gesetzmäßige Freiheit gebaute Staatsverfassung ohne Gefahr des Mißbrauches anvertraut werden könne«. 1 1 7 Die Verfassung war in der politischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und Kammer nach 1819 lange Zeit gleichsam exemt. Statt dessen konzentrierte sich die Kritik auf die Verwaltung, auf ihre Organisation und ihre Praxis. Durch Trennung von staatlichem »Zweck« und staatlichem »Mittel« (R. Mohl) wurde die systemimmanente Brisanz der Verwaltungskritik verringert. Wie im 18. Jahrhundert standen Bürokratieverdammung und Huldigung der konstitutionellen Freiheiten nebeneinander. 118 Zwei Momente prägten die politische Entwicklung des Vormärz in Süddeutschland im besonderen: die konstitutionelle Monarchie und die parlamentarischen Vertretungen, die Kammern. 1862, als die württembergische Verfassung bereits seit langem als reformbedürftig bezeichnet wurde, unternahm C. Fricker eine staatsrechtliche Erörterung über die Entstehung der Souveränität des württembergischen Königs. Im Alten Reich seien die Stände dem Landesherrn »koordiniert«, dem Kaiser aber ›subordiniert‹ gewesen. Mit der Übertragung der Staatsgewalt an Friedrich I. stellte sich die Frage, ob »dadurch den Ständen ein Recht erwachsen [sollte], dem jetzigen Staatsinhaber koordiniert zu sein, während sie dem früheren subordiniert waren«. 1 1 9 Das war die den Verfassungskämpfen zugrunde liegende tiefere Problematik, und es charakterisierte die neue Verfassung, daß »sie über das letzte Recht, über die entscheidende Stimme sich nicht ausspricht«, daß hieraus schließlich ein »gegenseitiges Imschachehalten« resultiere. Dies war nur möglich, weil man aus diesem Konflikt keine formalen Konsequenzen zog, sondern ein »materielles Prinzip substi48 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

tuierte«, das beiden Kräften, dem König und den Ständen, als Leitfaden dienen sollte: »das Wohl des Landes«. 120 Ein Beispiel hierfür war die Regelung des Finanzsystems, des Steuerbewilligungsrechtes. Die Regierung durfte nur Steuern fordern, der Landtag mußte Steuern gewähren, die für das ›Wohl des Landes‹ notwendig waren. Unter dieser Voraussetzung konnte man ein ständisches Steuerbewilligungsrecht, wie auch die Pflicht der Regierung, nur genehmigte Steuern auszuschreiben, zugestehen. 121 Die Verschiebung der prinzipiellen Klärung verweist auf die pragmatische Handhabung der Bestimmungen, denn Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten waren darüber natürlich vorgezeichnet, was zum ›Wohl des Landes‹ beitrage oder nicht. Diese »rechtlichen Unlöslichkeiten« seien gerade der »wunde Fleck« der württembergischen wie auch aller anderen konstitutionellen Verfassungen. Zwar drängte diese Spannung nach einer Lösung, aber lag nicht gerade hierin das »eigentliche Wesen und [der] besondere Vorzug der konstitutionellen Verfassung«? Nämlich darin, daß »Regierung und Stände, wollen sie den Staat nicht auseinanderfallen lassen, miteinander auszukommen genötigt sind«. Daraus entstehe ein neues - jedoch andersgeartetes - Koordinationsverhältnis, ein Dualismus zwischen beiden. 122 Damit ist exakt jenes Spezifikum der württembergischen Geschichte erfaßt, das die Entwicklung im Vormärz und auch darüber hinaus prägte: Konfliktregulierung auf pragmatische Weise. Der Verlauf von 1848/49 ist entscheidend dadurch bestimmt, daß die inneren Auseinandersetzungen entschärft wurden, bevor die Gefahr entstand, den »Staat auseinanderfallen zu lassen«. 123 Hier ist deshalb ein Punkt erreicht, w o die herkömmlichen Positionen der Forschung zum Problemkreis der konstitutionellen Monarchie nicht mehr ausreichen, die historischen Gegebenheiten adäquat zu erfassen. Der regionale, empirische Befund sprengt die allgemeinen, schwerpunktmäßig aus der Verfassungstheorie und der preußischen Geschichte abgeleiteten Interpretationen des »deutschen« Konstitutionalismus. In dieser Arbeit geht es nicht um die Suche nach dem »Wesen der konstitutionellen Monarchie«, um die Bestimmung der »geistigen Form« des Konstitutionalismus. Wer, wie E. R. Huber, seine Fragestellung derart beschreibt, legt damit offen, daß er geschichtliche Vorgänge weniger empirisch analysiert, sondern mehr als Staats- und verfassungstheoretisches Problem zu erfassen sucht. 124 Aber auch jene Vertreter, die wie C. Schmitt und vor allem E.-W. Böckenförde und H. Boldt stärker historisch argumentieren, vermischen bisweilen konstitutionelle Theorie und konstitutionelle Praxis miteinander. Das wird deutlich am Rückgriff auf die von Schmitt pointiert vorgetragene und von den andern meist implizit übernommene Polarisierung des Entweder-Oder (zwischen monarchischem Prinzip und parlamentarischer Demokratie) als Grundkonflikt des Konstitutionalismus. Der »Kompromiß, der den Konfliktfall unentschieden ließ«, wie 49 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Schmitt die Verfassungsvereinbarungen am Anfang des 19. Jahrhunderts nannte, war in diesem Falle, in Württemberg, in der politischen Praxis eben nicht »unhaltbar«. Gewiß war die »Entscheidung hinausgeschoben« 125 , doch das Beispiel Württemberg lehrt, daß unter bestimmten Voraussetzungen auch weitreichende Konflikte (wie 1848/49) reguliert, daß damit langfristig der Weg zur demokratischen Reform des politischen Systems geebnet werden konnte. 126 Insbesondere Böckenförde betont die der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts innewohnende Reformierungstendenz in Richtung eines modernen demokratischen Staatswesens. 127 Da er aber nur das Beispiel der preußischen Verfassung untersucht, muß er abschließend einen den »handelnden Zeitgenossen« enteilten Weltgeist bemühen, die diese Chance verspielt hätten, weil ihnen »die Einsicht in die geschichtliche Notwendigkeit« abgegangen sei. 128 Seine - in Anlehnung an C. Schmitt entwickelte - Typologie des Frühkonstitutionalismus in Deutschland als einem Kompromiß zwischen monarchischem und demokratischem Prinzip, bei der er, anders als Schmitt, die potentielle, in der Realität nicht eingelöste Reformfähigkeit und Wandelbarkeit der konstitutionellen M o narchie betont, ist klar und überzeugend - für Preußen. Er bezieht zwar auch andere Beispiele mit ein, sein Paradigma bleibt aber die oktroyierte preußische Verfassung von 1850. Böckenfördes auf Deutschland bezogene Verallgemeinerung des preußischen Beispiels ist letztlich weder mit der Praxis in den süddeutschen Staaten noch mit dem süddeutschen vormärzlichen Verfassungsverständnis zur Deckung zu bringen. 129 Vielleicht sollte man deshalb zur genaueren Präzisierung und Differenzierung zwischen »konstitutioneller Monarchie« - für Preußen - und »konstitutionellem System«, etwa für die süddeutschen Verfassungsstaaten, unterscheiden. Die vormärzlichen Kammern wurden lange Zeit als Geschöpfe der französischen Revolutionszeit, als im Gefolge von gesellschaftlicher M o dernisierung entstandene Vorläufer der Parlamente des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet. In dieser Arbeit wird weder die Frage nach der Kontinuität von Ständen und Parlamenten noch die Erörterung der konstitutionellen Verfassungsproblematik zugrunde gelegt, statt dessen wird das politische System auf immanente Handlungsspielräume untersucht. Welche Traditionen begründeten die Formen der gesellschaftlichen Partizipation in Württemberg, in welcher Weise bestimmten sie Selbstverständnis wie Handlungsmuster sozialer Gruppen im Vormärz und 1848/49?130 Für die Analyse des politischen Systems lassen sich mehrere Grundkategorien unterscheiden. Welche Möglichkeit zur Partizipation haben die verschiedenen sozialen Gruppen? Das die Partizipation regulierende Prinzip der Repräsentation war im Vormärz, folgt man K. Bosls vierstufigem Idealtypus, eine Mischung des konstitutionellen Parlamentarismus mit altständischen und modernen Elementen. 131 Daneben kann man die Kontrolle der herrschaftlichen Gewalt durch die Repräsentativorgane stellen. 132 Was alt50 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

ständisch jeweils in Einzelverträgen mit dem Landesherrn ausgehandelt und festgeschrieben worden war, wurde generell in den Verfassungen vorbestimmt und in den Landtagen praktiziert. Repräsentation und Kontrolle bildeten den Rahmen, in dem die Konflikte zwischen Herrschaft und Landschaft, zwischen Regierung und Kammer ausgetragen wurden. Sie schufen damit ein drittes Element, das die politische Praxis bestimmte, die Konfliktregulierung. Repräsentation, Kontrolle und Konfliktregulierung waren ebenso prägende Momente der gemeindlichen Ordnung, ja, die Gemeinde selber verkörperte »das Prinzip der kontrollierten Macht«. 133 In Württemberg erstreckte sich das Prinzip von Herrschaftskontrolle und -stabilisierung nicht nur auf die kommunale, sondern auch auf die staatliche Sphäre. Die Entstehung des Staates war dadurch geprägt worden, wie es weiterhin im Vormärz Entstehung und Ablauf der Konflikte waren.

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II.

Sozioökonomische

Entwicklungslinien

Nachdem die konstitutionelle, institutionelle und rechtliche Neuordnung des württembergischen Staates im 19. Jahrhundert analysiert worden ist, werden nun die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen und Grundlagen der Politik untersucht. Das Schwergewicht liegt auf der ersten Jahrhunderthälfte, wobei zu einzelnen Problemen ein Ausblick auf die Entwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte erfolgt, um Kontinuität und Veränderung deutlich zu machen. Im einzelnen werden die Grundstrukturen der Agrarverfassung und des Wirtschaftssystems in zwei Richtungen hin befragt. Wie vollzog sich die Auflösung des alten, ständisch geprägten und primär agrarisch fundierten Wirtschaftssystems, wie und unter welchen Bedingungen entstand die moderne Industriegesellschaft? Daneben - und letztlich nur heuristisch davon zu trennen - wird nach den sozialen Auswirkungen dieses Transformationsprozesses gefragt. Welche Auswirkungen auf die Sozialstruktur und auf die soziale Lage der Bevölkerung resultierten daraus? Das ermöglicht dann die Kontrastierung der zeitgenössischen Sozial- und Gesellschaftstheorien mit der (sozial-)historischen Realität des Vormärz. Der Begriff des »Selbständigen« war - implizit und explizit - die zentrale Kategorie der vormärzlichen Rechtsordnung wie der damaligen Sozialmodelle. Hier soll untersucht werden, inwiefern dieser Begriff Realität adäquat erfaßte, bzw. in welchem Ausmaß er eine nicht vorhandene Wirklichkeit und nicht vorhandene Aufstiegsmöglichkeiten vortäuschte. 1. Agrarreformen und Agrarstruktur Das württembergische Agrarsystem wurde um 1800 in seinen Grundzügen durch die »versteinerte südwestdeutsche Grundherrschaft« bestimmt. Als wesentliche Merkmale dieser Herrschaftsform gelten die Umwandlung der grundherrlichen Verhältnisse in Rentenabhängigkeiten, das oftmalige Nebeneinander von Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaften, die im Verhältnis zu anderen Gebieten guten Besitzrechte der Pflichtigen sowie die Realteilung in den meisten Regionen. Obereigentum und Abgaben standen in den meisten Fallen der herzoglichen Regierung zu, die Kirche mit dem Kirchengut war der nächstgrößte Grundherr, adlige Grundherren gab es kaum. Die Bindungen der Leib52 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

eigenschaft waren fast völlig erloschen. Schon im 16. Jahrhundert waren freie Berufswahl und Auswanderungsfreiheit zugestanden worden, gegen eine Gebühr konnte man auch formal die völlige persönliche Freiheit erwerben. Am Ende des Alten Reiches war die Leibeigenschaft praktisch von einer Personal- in eine Reallast umgewandelt worden, die kaum als persönliche Herrschaftsbindung verstanden wurde. Diese Skizzierung gilt im großen und ganzen für Altwürttemberg, für die Situation im Königreich Württemberg vor den ersten Reformen von 1817 muß noch einmal regional differenziert werden: Die Gegenden um Hohenlohe, im Nordosten des Landes, waren durch die geringe Bedeutung der Leibherrschaft, gute bäuerliche Besitzrechte und überwiegend geschlossene Vererbung gekennzeichnet, die Gebiete Oberschwabens im Südosten dagegen durch die die Bauern benachteiligenden Fallehen, eine weitgehende Territorialisierung der Leibeigenschaft, das Anerbenrecht und eine relativ hohe Abgabenbelastung. 1 In Württemberg fehlte nicht nur, wie vorn gezeigt, der absolutistische Staat; im 18. Jahrhundert entstand hier auch keine Notwendigkeit zu den andernorts von einer aufgeklärten Bürokratie angeregten und durchgeführten Agrarreformen. Die Abhängigkeit der Bauern manifestierte sich im wesentlichen in Abgaben; den Fronen und der Leibeigenschaft kamen nur geringe Bedeutung zu, die Grundherren — in Altwürttemberg in überwiegendem Maße der Staat - verzichteten weitgehend auf Eigenbewirtschaftung und waren damit selber von bäuerlichen Geld- und Naturalabgaben abhängig. Der bäuerliche Besitz war größtenteils erblich geworden; Erbuntertänigkeit mit Schollenbindung und Gesindezwang war hier unbekannt. Ständische Abgrenzungen wie ausgeprägte Stadt-Land-Unterschiede fehlten ebenfalls. Als Untertanen waren die Württemberger weitgehend gleichgestellt, als Mitglieder der Gemeindekorporationen schieden sie sich in Bürger und Nichtbürger. 2 Wie politisch und rechtlich fehlte auch ökonomisch lange Zeit ein Problemdruck, der Agrarreformen im 18. Jahrhundert anregen oder die »Bauernbefreiung« im 19. Jahrhundert hätte beschleunigen können. Die Erblichkeit der Lehensgüter war unumstritten und erstreckte sich nicht nur auf die direkten Familienmitglieder. Die reale Belastung war seit dem 16. Jahrhundert ungefähr gleich geblieben: Infolge des säkularen Preisverfalls sank der Wert der Geldabgaben, dagegen entstand im Steuersystem eine neue Belastung. Generell jedoch dürfte eine »reale Steigerung des gesamten herrschaftlichen Anteils am bäuerlichen Produkt . . . kaum stattgefunden haben«. 3 Vom erwirtschafteten Produkt behielt der einzelne Bauer etwa gut die Hälfte in seiner Verfügungsgewalt. Vom Ertrag abrechnen muß man das Saatgut als fixe, weder konsumierbare noch auf dem Markt verwertbare Größe; j e nach Fruchtart und Bodengüte wurden für die Saat des nächsten Jahres ca. 15 bis 2 0 % der Ernte benötigt. 4 Der herrschaftliche Abgabenan53 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

teil betrug etwa ein Drittel des landwirtschaftlichen Ertrages, er verteilte sich im einzelnen auf folgende Rechte: Tabelle 1:

Bäuerliche Abgaben um 1800 (in %)

Grundherrschaft5 Leibherrschaft Gerichts- und Landesherrschaft Zehntherrschaft

vom Bruttoertrag

von den Abgaben

12,0 1,2 11,5 9,5

35,1 3,6 33,6 27,7

34,2

100,06

Die Abgaben blieben zwar begrenzt, mit den ihnen verbleibenden Erträgen konnten die Bauern aber nur in sehr reduziertem Umfang auf den regionalen Markt drängen und dessen Preisschwankungen ausnützen. Die für eine Marktproduktion notwendige Betriebsgröße war letztlich nur in Oberschwaben gegeben, das zudem ein wichtiger Getreidelieferant für den Alpenraum war. Hier profitierten nicht nur die Grundherren - die umfangreichen Naturalabgaben boten als »indirekte Marktquote« (Henning) eine Chance, ihren Gewinn zu steigern - sondern auch die größeren Bauern vom Handel und der überregionalen Verflechtung der Märkte. Die kleineren Besitzer waren auf Grund ihrer meist geringen Kapitaldecke von dieser Option ausgeschlossen, sie konnten die saisonalen Preisschwankungen nicht nutzen, da sie oftmals direkt nach der Ernte verkaufen mußten, wenn im Spätherbst die Preise meist auf ein Minimum gesunken waren. Die kleinen Bauern konnten in den seltensten Fällen den Winter über mit dem Verkauf warten, da die Fälligkeitstermine für viele Zahlungen auf Martini (11. November) fielen. Etwa zwei Drittel der Bauern in Württemberg waren auf diese Art und Weise von Profitmöglichkeiten über den Markt ausgeschlossen. 7 Trotz Abgabenbelastung und Nichtteilhabe am Markt waren die Bauern vor Beginn der Umbruchzeit im Gefolge der Französischen Revolution relativ wohlhabend. Anbauintensivierung und die - trotz aller Beschränkungen - partiell doch von breiteren Schichten nutzbaren steigenden Erlöse für Agrarprodukte schufen auf dem Boden des günstigen Säkulartrends das Umfeld, auf dem so etwas wie »bäuerlicher Wohlstand« entstehen konnte; wenn auch die von Nicolai überlieferte zeitgenössische Schilderung übertrieben sein mag: »Der württembergische Bauer und Handwerker . . . ißt, trinkt, wohnt und kleidet sich besser und bequemer als mancher polnische Edelmann . . . Das Land ist so fruchtbar, daß der Bauer schon leben kann, wenn er nur 5½ Tage gemächlich arbeitet.« 8 Von dieser Prosperität waren bei stagnierenden Löhnen und steigenden Lebenshaltungskosten die ganz 54 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

auf Lohnarbeit angewiesenen ländlichen Unterschichten sowie teilweise auch die kleinbäuerlichen und städtischen Unterschichten ausgeschlossen. Dadurch wird auch - nachdem durch die »Bauernbefreiung« die formalen Möglichkeiten geschaffen waren - jene seltsame »Sucht, Land zu erwerben«, im südwestdeutschen Raum verständlich. Der mit ökonomischen Rationalitätsabwägungen oft nicht mehr erklärbare Drang zum Landerwerb gerade bei ärmeren Schichten erstaunte noch in den 1880er Jahren die Mitglieder des Vereins für Sozialpolitik. 9 Die »Bauernbefreiung« im eigentlichen Sinne - als Auflösung einer ständisch überformten sowie herrschaftlich und genossenschaftlich geprägten Agrarverfassung in eine liberale Eigentums-, Wirtschafts- und Sozialordnung - erstreckte sich in Württemberg über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. 10 Die Emanzipation bäuerlichen Besitztums von herrschaftlichen Verpflichtungen verlief in Württemberg in drei Phasen: nach 1817 durch ein Verwaltungsedikt in Gang gesetzt 11 , nach 1836 durch drei eher Einzelfragen behandelnde Gesetze12 moderat fortgeführt wurde sie schließlich nach 1848/49 durch die beiden grundlegenden Ablösungsgesetze dieser Jahre vollendet. 13 Für die Rheinbundzeit sollte man eher von Agrarreformen als von »Bauernbefreiung« sprechen, so gering waren die realen Veränderungen der Agrarverfassung. Weder von unten, aus dem agrarischen Bereich selber, noch von außen, durch die Französische Revolution oder die napoleonischen Kriege, entstand ein handlungsauslösender Problemdruck. Auch die Eingriffe von oben zielten weniger auf den landwirtschaftlichen Sektor, primäres Ziel blieb die Absicherung und Stabilisierung der staatlichen Integration. 14 Die rechtliche Egalisierung als Untertanen und Staatsbürger, unter Friedrich I. aus absolutistischem Machtkalkül, unter Wilhelm I. mehr unter konstitutionellem Druck betrieben, war Hauptgrund der Auflösung der tradierten Stände. Die Reform der Wirtschaftsverfassung sollte nicht das Herrschaftssystem bewahren wie in Preußen, sondern »der Abbau der älteren Herrschaftsordnung schuf die Voraussetzung für den nachfolgenden allmählichen Abbau der tradierten Wirtschaftsverfassung«. 1 5 Die politische Modernisierung ging der wirtschaftlichen Liberalisierung voraus. Die »staatliche Flurbereinigung« der Rheinbundzeit mündete aber erst 1817 in konkrete Reformen. 16 Wilhelms Agrarenthusiasmus, die Auswirkungen der Krise von 1816/17, der Verfassungsstreit und die liberale Zielsetzung eines allgemeinen Staatsbürgertums bewirkten die Edikte vom November 1817. Sie sollten jedoch mehr den Adel egalisieren als die Bauern emanzipieren. 17 Das Ergebnis der beiden Edikte war im wesentlichen die Ablösbarkeit unrentabler Gefälle, die Aufhebung der Leibeigenschaft, die kostenlose Aufhebung des Obereigentums an Erblehen und die Allodifikation der Fallehen. 18 Daß das nur ein vorläufiger, lediglich auf dem Gebiet der Lösung der persönlichen Bindungen erfolgreicher Anlauf war, zeigt sich an einem finanziellen und einem 55 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

rechtlichen Aspekt. Bei einem geschätzten Gesamtbetrag von 87,5 Mill. fl., der durch die Ablösung freigesetzt wurde, umfaßten Befreiungen im Anschluß an die Regelung von 1817 nur 1 5 % , wobei wiederum nur gut 2 % - 2 Mill. fl. - auf die Grundherren entfielen, 1 3 % - 11,5 M i l l . fl. betrafen Abhängigkeiten des Staatskammergutes. 19 Die Standesherren waren finanziell nur in geringem Umfang in die Ablösung von 1817 eingeschlossen, politisch opponierten sie aber ganz offen; sie klagten vor dem Bundestag in Frankfurt. Dort erreichten sie - unter Berufung auf Art. 14 der Bundesakte - 1819 einen Bundesbeschluß, daß die Bundesversammlung über die Gültigkeit des Novemberedikts für den mediatisierten Adel entscheiden sollte. Die Regierung willigte ein 20 , der Beschluß erging jedoch erst 1846 und wurde kurz darauf durch die endgültige »Bauernbefreiung«, die eindeutig zugunsten der Bauern vollzogen wurde, überholt. Im Endeffekt kam die feudale Abwehrhaltung damit den Pflichtigen zugute: die Ablösungsgesetzgebung wurde jahrzehntelang verschleppt, bis sie 1848/49 zu Bedingungen durchgeführt wurde, die zuvor niemals von den Berechtigten akzeptiert worden wären. Der zweite Schub in der Ablösungsregelung entstand wiederum aus den Folgen einer politischen Krise. Nach der Julirevolution gerieten auch die festgefahrenen Positionen in Württemberg ins Rutschen, ohne daß es zum radikalen Umbruch wie beispielsweise in Sachsen kam. 2 1 In den drei Gesetzen von 1836 ging es um die Ablösung der in den meisten standesherrlichen und ritterschaftlichen Gütern noch bestehenden Bindungen, um Fronen und leibeigenschaftliche Leistungen sowie um einzelne, ältere Abgabenformen von geringer Bedeutung (Beden u. a.). Während letztere nur mit Einwilligung der Standesherren gelöst werden konnten, erstreckte sich die Aufhebung der persönlichen Pflichten uneingeschränkt auch auf die standesherrlichen Gebiete. Der Widerstand des Adels erlahmte deshalb nicht zuletzt, weil die wirtschaftliche Bedeutung von Leistungen - insbesondere der Fronen - immer geringer wurde, zum andern die Regierung den von den Pflichtigen zu entrichtenden Ablösungsbetrag mit staatlichen Mitteln bezuschußte (der 10- bzw. 16fache Jahreswert wurde auf das 22bzw. 22½fache aufgestockt). 22 Auf Betreiben der Abgeordnetenkammer wurde zwar jeder Ablösungszwang gegen die Pflichtigen vermieden, die einzelnen Gesetze fanden aber dennoch nur knappe Mehrheiten. Hier offenbarte sich ein retardierendes Moment der Gesetzgebung im Vormärz. Die in der Abgeordnetenkammer sitzenden Vertreter der Ritterschaft konnten im Zweifelsfall mit der zumeist der Regierung folgenden Kammermehrheit die Vorstöße der Liberalen blockieren. 23 Insgesamt waren nur einige liberale Abgeordnete - wie Uhland, Pfizer, Römer und Murschel - für entschiedene Reformen eingetreten. Motivierte sie die liberale Überzeugung von der Freisetzung des Individuums, standen auf der andern Seite adlige Eigeninteressen und konservative Beharrung. Da im entscheidenden Gegensatz zu 1848 auch 56 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

der Druck von unten, die Aufrüttelung und Problemaktualisierung durch bäuerliche Protestaktionen fehlte24, setzte sich letztlich wohl das fiskalische Eigeninteresse der Regierung durch. U m 1830 betrug der Anteil des württembergischen Domäneneinkommens (einschließlich der Grundgefälle) an den reinen Staatseinnahmen 28 % - gegenüber 16,8% in Baden und 13,2% in Preußen. 25 Vor 1848 erzielte das Kammergut - aus Eigenbewirtschaftung und Abgaben - einen jährlichen Erlös von durchschnittlich 2,5 Mill. fl.26 Angesichts dieser - im wahrsten Sinne des Wortes - Verwurzelung der Staatseinnahmen im Grundbesitz erklärt sich die Zurückhaltung der württembergischen Regierung gegenüber einer Beschleunigung der Ablösung. Der Widerstand des Adels, in Württemberg selber in beiden Kammern sowie beim Deutschen Bund in Frankfurt, die mangelnde Geschlossenheit der bürgerlichen Abgeordnetenschaft, fehlender bäuerlicher Protest und die starke Rückwirkung auf den Staatshaushalt verhinderten auch beim zweiten Anlauf 1836 einen durchschlagenden Erfolg: die durch die drei Gesetze abgelösten Lasten hatten nur einen Wert von 5,9 Mill. fl., was etwa 7 % der Gesamtablösungssumme entsprach. Die Reform von oben fand ihren Abschluß 1848/49, nun entscheidend beeinflußt durch den Protest von unten, die Agrarunruhen des März und April 1848. Die Brisanz und Stoßkraft der bäuerlichen Bewegung überraschten Regierung und liberales Bürgertum gleichermaßen. In der Sitzung der Abgeordnetenkammer vom 14. März 1848 (der ersten seit dem 12. Februar 1848) waren als wichtigste Gesetze erste Reformen vom liberalen »Märzministerium« unter Römer über Volksbewaffnung und Versammlungsfreiheit angekündigt worden. 27 Erst auf die erschreckten Berichte vieler Abgeordneten aus ihren Bezirken hin wurde die »Aufhebung der Feudallasten« als dringlichste Aufgabe angesehen; denn, wie der Abgeordnete Rettenmaier aus Saulgau das Problem formulierte, »man kennt jetzt den Anfang der Katastrophe, aber noch nicht das Ende« - welches aber auf jeden Fall verhindert werden sollte. 28 Das Märzministerium und die liberale Kammermehrheit standen unter doppeltem Zeitdruck: Man befürchtete einerseits ein unkontrollierbares Anwachsen der agrarischen Unruhen, andrerseits aber auch ein stärkeres Einlenken des demnächst zu wählenden neuen Landtages auf die bäuerlichen Forderungen. Das erklärt sowohl die Schnelligkeit der legislativen Regelung als auch das Entgegenkommen der Berechtigten. Im Gesetz vom 14. April 1848 wurden die »vollständige Beseitigung der auf dem Grund und Boden ruhenden Lasten« verordnet, bei zehn- bis sechzehnfachem Ablösungsmaßstab, 4%iger Verzinsung und den niedrigen Preisansätzen von 1836. 29 Nach der Regelung der Reallasten flaute die bäuerliche Unruhe schnell ab, die restlichen Gesetze kamen ohne direkte Artikulation der Pflichtigen zustande. Mit dem Gesetz vom 17. Juni 1849 wurden die Zehnten aufgehoben, die beiden Gesetze vom 24. August 1849 waren im 57 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wesentlichen Ergänzungen zu den bestehenden Bestimmungen, u. a. wurden nun auch in den standesherrlichen Gebieten die letzten persönlichen Leistungen abgelöst. 30 Die ›Bauernbefreiung‹ als rechtlicher Vorgang war damit im Grundsätzlichen abgeschlossen, die finanzielle Ablösung zog sich aber bis in die 70er Jahre hin. Von der gesamten Ablösungssumme wurden durch die Bestimmungen der Jahre 1848 und 1849 68,2 M i l l fl. (78% des Totalbetrages) freigesetzt - »zu einer in Deutschland einmalig günstigen Regelung«. 3 1 Die Berechtigten verloren annähernd 5 0 % ihres vorherigen Einkommens, während die Pflichtigen vom niedrigen Ablösungsmaßstab und den niedrigen Preisen profitierten. Die württembergischen Bauern entrichteten seit diesem Zeitpunkt einen Geldbetrag, der ungefähr den bisherigen Geld- und Naturalleistungen gleichkam, ihn vielfach aber auch deutlich unterschritt. 32 Die Ablösung entsprach damit in ihrer Belastung für den einzelnen Produzenten einer um 25 Jahre verschobenen - und dann »geschenkten« Ablösung, wobei während dieser Wartezeit zumeist schon geringere Beträge als früher abgeführt werden mußten. 33 Es gab natürlich nicht nur Pflichtige und Berechtigte, wie der an den rechtlichen Verhältnissen orientierte Sprachgebrauch vermuten lassen könnte. Auf der Seite der Empfänger von Leistungen gerieten die unterschiedlichen Interessen und konfliktreichen Auseinandersetzungen von staatlichen und adligen Herrschaftsträgern (ohne daß hier im einzelnen zwischen Standesherren, ritterschaftlichem und landsässigem Adel unterschieden wurde 34 ) bereits bei der Darstellung des Ablösungsvorganges selber ins Blickfeld. Auch die Agrarbevölkerung war keineswegs so homogen strukturiert, wie der Begriff Pflichtige suggeriert, der nur die Abhängigkeit als solche, nicht den Grad der jeweiligen Belastung faßt. Wenn Schremmer für Hohenlohe konstatiert, »der Bauer wurde Staatsbürger und Mitglied einer liberalen Wirtschaftsordnung - und dennoch blieb ›alles beim alten‹«, ist dem - mit Einschränkungen - für Württemberg zuzustimmen. 35 Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß sich zwar an der Verteilung von Grund und Boden nichts änderte, diese aber keineswegs gleichmäßig war. Bei den Agrarunruhen im Frühjahr 1848 traten die innerbäuerlichen Spannungen ansatzweise hervor, wobei letztlich die »Besitzenden« innerhalb der Bewegung dominierten. Diese Interessenlage war von unterbäuerlichen Schichten erkannt und benannt worden: »An den Herren war es, das nächste Mal kommt es an die Bauern.« 3 6 Im März und April 1848 blieb es weitgehend bei einer Revolte gegen die Grundherren, trotz mehrerer Bemühungen scheiterten Versuche zur parteigebundenen Politisierung der Landbevölkerung. 37 Ansätze zu einer Verbindung von Demokraten und Radikalen mit den Pauperisierten und Verarmenden auf dem Lande scheiterten in Württemberg. Der Gaildorfer Glasfabrikant G. Rau warb im März bei der »sittlich und ökonomisch tief gesunkenen Bevölkerung« für die Republik und die unentgeltliche Ablö58 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

sung. Er scheiterte ebenso wie die Demokraten, die im Dezember die von C. Mayer verfaßte Broschüre »An unsere Mitbürger auf dem Lande« in 10000 Exemplaren verteilen ließen. 38 Selbst die in den bäuerlichen Petitionen meist auch enthaltenen liberalen Märzforderungen waren in der Regel von den bürgerlichen Verfassern hinzugefügt worden, doch vermochte »das gemeine Volk daraus keinen Nutzen zu ersehen«. 39 Vergleicht man eine von Rau verfaßte Erklärung aus Gaildorf mit einer ›Zuschrift der Wahlmänner und Bürger von Aulendorf‹ 40 , stechen mehrere Unterschiede hervor. Rau skizziert kurz die agrarische und gewerbliche Krise, prognostiziert Hungerkatastrophen irischen Ausmaßes und fordert dann, »alle Grund- und Feudallasten, alle Zehenten und Gefälle . . . müssen an einem Tage ohne Entschädigung fallen«. Wenn keine gerechte Verteilung der Lasten erfolge, könne auch der Besitz des Adels nicht mehr garantiert werden, sondern dessen Sicherheit müßte - eine kaum verhüllte Drohung - »lediglich dem Zufall überlassen« werden. Ganz anders die Petitionen aus Aulendorf im südlichen Oberschwaben. Nach den allgemeinen liberalen Punkten wie Pressefreiheit und Öffentlichkeit der Gerichte erscheint als erste spezifische Forderung die Bitte um Revision des Bürgerrechtsgesetzes. Neben den das Hauptgewicht ausmachenden kommunalen Themen wird zwar auch die Ablösung von Abgaben gefordert, aber »ebenso wünschenswert« seien Gesetze gegen Güterzerstückelung und Güteranhäufung. Beim Zehnten wird nur die »alsbaldige Fixierung« verlangt. Den generell konservativen Charakter der oberschwäbischen Petitionen betont ein Sachkenner wie Wolfgang v. Hippel. Neben Forderungen nach Verringerung der Staatsausgaben und Aufhebung der Feudallasten lag das Schwergewicht der politischen Bestrebungen hier immer auf dem Wunsch nach Bestimmungen, die die bäuerlichen Gruppen gegen die ländlichen Unterschichten besonders abgrenzten: Heiratsbeschränkungen, eine stärkere Reglementierung des Niederlassungsrechtes, Maßnahmen gegen Güterzerstückelung, die Betonung des Unterschiedes von Gemeindenutzungsrechten und Gemeindemitgliedschaft. 41 Kein Wunder, daß die Oberämter sowohl die hier vorherrschende ›Wohlhabenheit‹, wie deren positive Auswirkungen auf Ruhe und Ordnung hervorhoben. Auf dem Lande wurden auch Stimmen von vermögenden Bauern laut, »daß sie gerne die bisherigen Abgaben fortzahlen und auf alle Errungenschaften der neuesten Zeit verzichten würden, wenn sie nur damit wieder Ruhe und Rechtssicherheit im Lande zu erkaufen vermöchten«. 42 Die Unruhen waren zwar immer gegen den Adel gerichtet, nicht gegen den Staat - aber nicht in allen Adelsherrschaften kam es zu Protestaktionen. Oberschwaben, das stark vom katholischen Adel geprägt war 43 , blieb weitgehend ruhig, nur in Nord- und Nordostwürttemberg, mit den hohenlohischen Gebieten als Zentrum, Gebieten von »teilweise akuter Armut« 4 4 , kam es zu größeren gewaltsamen Aktionen. 59 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Protestauslösend waren weder der ökonomische Druck allein (Mohrdiek) noch der Bewußtseinswandel hin auf zentralstaatliche Autorität- und damit ein Revoltieren gegen die adligen Herren (v. Hippel). Die Abgaben waren in den Adelsgebieten nicht höher als in den anderen Landesteilen. Trotz gleichbleibender Abgaben wuchs die Belastung der Pflichtigen, denn Bevölkerungswachstum und Güterzerstückelung verringerten sukzessive das individuell nutzbare Areal. Prozentual blieb der abzuführende Betrag gleich, absolut stieg er vermutlich durch die Intensivierung der Bebauung, subjektiv wurden die Abgaben als ständig wachsende Bedrohung empfunden, da immer weniger zur eigenen Verfügung blieb. 45 Die Spannungen innerhalb der Gemeinden waren im wesentlichen durch Gemeindeverfassung und Besitzstruktur vorgegeben. Im altwürttembergischen Gebiet waren oftmals alle Gemeindemitglieder am Kommunvermögen nutzungsberechtigt 46 , in den Territorien Oberschwabens bestand vielfach die Trennung von politischer Gemeinde und der Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten. Am Beispiel des altwürttembergischen Gebietes um Heidenheim und den Dörfern der freien Reichsstadt Ulm (bis 1803) lassen sich exemplarisch zwei Möglichkeiten der Regelung des innerdörflichen Verteilungskampfes um Subsistenzmöglichkeiten zeigen. 47 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts blieb in beiden Gebieten die Besitzverteilung relativ stabil, auch in Heidenheim war trotz des Realteilungsrechtes die geschlossene Hofübergabe üblich. Das hier weitaus stärkere Bevölkerungswachstum beruhte auf zwei anderen Faktoren, den entwickelteren Nebenerwerbsmöglichkeiten sowie der stärkeren Beteiligung der Seidner (Bevölkerungsgruppen mit geringem Grundbesitz, die zumeist auf Nebenerwerb oder Pachtland angewiesen waren) an den Allmendeverteilungen. Am Ende des 18. Jahrhunderts, noch vor der eigentlichen Bauernbefreiung, nahm die Besitzzersplitterung, und zwar in Gegenden mit vorherrschendem Kleinbesitz wie Heidenheim, am stärksten zu. 48 Die Aufstiegschancen der Seidner waren dort am geringsten, wo ihre Anzahl am größten war, diese stieg auch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch einmal durch die Erwerbsmöglichkeiten in der Landweberei an. Die sich hier allmählich vollziehende Angleichung von Bauern und Seidnern beruhte auf der zunehmenden Nivellierung der Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Im oberschwäbischen Ulm erreichten die Seidner ebenfalls bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert die Gleichberechtigung bei der Verteilung des Gemeindelandes. Anders als in den Realteilungsgebieten kam es zu einem geringeren Bevölkerungswachstum 49 , der Ausschluß großer Gruppen von den Gemeindenutzungsrechten blieb bestehen. 50 Der zentrale Unterschied lag hier in der dominierenden landwirtschaftlichen Orientierung der Seidner. Die Statusverbesserung blieb am bäuerlichen Leitbild orientiert, Landerwerb und nicht Nebenerwerb wurde zur sozialen Aufstiegsleiter. Den stärkeren sozialen Spannungen zwischen Seidnern und 60 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Bauern entsprachen in Ulm tendenziell bessere agrarische Aufstiegschancen der Seidner. In beiden Regionen glichen sich die Bauern und Seidner sozial und ökonomisch zunehmend an, in Heidenheim durch die Nivellierung der Unterschiede, in U l m durch den Aufstieg der Seidner in den Bauernstand. 51 Tendenziell war das altwürttembergische Gebiet durch ein höheres Bevölkerungswachstum, entwickeltere Nebenerwerbsmöglichkeiten und geringere soziale Differenzierungen innerhalb der Gemeinden gekennzeichnet, während in den oberschwäbischen Arealen das Bevölkerungswachstum geringer war, die Landwirtschaft der allein dominierende Erwerbszweig blieb und eine stärkere soziale Abgrenzung zwischen Bauern und (Land-) Besitzlosen bestand. Noch um 1850 gab es Unterschiede bei der Erwerbsstruktur, in Ulm betrieben 3 , 5 % , in Heidenheim aber 8,3% der Bevölkerung »neben einem Gewerbe« Landwirtschaft. 52 Im 19. Jahrhundert war es dann das Ziel der Regierung, die Gemeindenutzungen allen Gemeindeangehörigen zugänglich zu machen, anstatt sie zu privatisieren. Dem stand das Interesse der dörflichen Oberschicht entgegen, die ihre Vorrechte wahren wollte - gerade in Zeiten wachsenden Bevölkerungsdruckes. Nach der Übertragung des Einwohnerprinzips auf Gesamtwürttemberg im Verwaltungsedikt von 1822 ergaben sich zwangsläufig Konflikte bei der Aufhebung des Unterschiedes von Einwohnergemeinde und Genossenschaft der Nutzungsberechtigten in Neuwürttemberg. Das Problem wurde in diesen Gebieten auch dadurch verschärft, daß 1819 im Donaukreis noch etwa 90000 Morgen Allmende - im Neckarkreis noch ca. 25000 Morgen - vorhanden waren. 53 Schließlich kam es in den neuwürttembergischen Gebieten in den meisten Gemeinden zu einem Kompromiß, der die bisherigen Benutzer bevorzugte. Man trennte das Vermögen der Realgenossenschaft von dem der politischen Gemeinde, verteilte ersteres zunächst gleichmäßig an alle Berechtigten und wandelte diese Areale schließlich in Privateigentum um. Im einzelnen konnte es sich dabei um Flächen bis zu mehreren Hektar handeln. 54 Der Kampf um »dörfliches Überleben« (Kaschuba/Lipp) und die Auseinandersetzungen der sozialen Gruppen bewegten sich innerhalb langfristig vorgezeichneter Muster. Sie prägten auch noch im gesamten 19. Jahrhundert das individuelle und kollektive Handeln im Alltag und in Krisenzeiten. Der jahrhundertelange Konflikt um Landbesitz bewirkte nach der Bauernbefreiung die berühmte württembergische »Hofmetzgerei« und »Schollenkleberei«, es entstand ein Festhalten an der Besitzzersplitterung, wodurch »der kleine Eigentümer solchenfalls zu einem schlecht bezahlten Tagelöhner seiner selbst herab[sank]«. 55 Wie das Subsistenzstreben der unteren Schichten folgte auch die Verteidigung bevorzugter Positionen von seiten der dörflichen besitzenden Schichten ebenfalls einem traditionell vorgegebenen Muster. Die ökonomische Auseinandersetzung um das Gemeindeland wandelte sich nach verstärkter Aufteilung im 19. Jahrhundert in einen 61 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

rechtlichen Konflikt um Heiratsbeschränkungen. Damit wuchs auch die Kontrollbefugnis des Staates, Probleme wurden zentralisiert und verstaatlicht. 56 2. Industrialisierung und Wirtschaftsstruktur Die Wirtschaftsstruktur Württembergs war im 19. Jahrhundert weder ausschließlich agrarisch noch überwiegend industriell geprägt. Zwar blieb der Anteil der Landbevölkerung, auch der in der Landwirtschaft Tätigen, das ganze Jahrhundert über sehr hoch, doch Württemberg war zugleich ein Land mit sehr hoher Gewerbedichte. Der große Anteil der handwerklich tätigen Bevölkerung, oftmals in Form von Neben- oder Mischgewerben nicht eindeutig in die beiden klassischen primären und sekundären Erwerbssektoren zu trennen, zeitigte entscheidende Rückwirkungen auf den Industrialisierungsprozeß. 57 Der Industrialisierungsprozeß wird, angeregt durch regionalhistorische Arbeiten der Wirtschaftsgeschichte, zunehmend regional differenziert untersucht. 58 Dieser Richtung folgend, sollen hier wichtige und bestimmende Faktoren und Tendenzen der württembergischen Gewerbeentwicklung im 19. Jahrhundert aufgezeigt werden. Zuerst werden die Hauptlinien und -phasen der Entwicklung erörtert, anschließend werden die konstitutiven Momente und Triebkräfte des Wachstumsverlaufs in der ersten Jahrhunderthälfte untersucht. Man kann langfristige wirtschaftliche Prozesse unter dem Leitbegriff des Wachstums strukturieren und beschreiben. Für Württemberg hat G. Plumpe die Entwicklung der Gesamtwirtschaft beschrieben, indem er das Wachstum der württembergischen Eisenindustrie als Indikator wählte. 5 9 Er unterscheidet im 19. Jahrhundert vier deutlich voneinander unterscheidbare Phasen in Württemberg, die dem Verlauf in den anderen deutschen Staaten weitgehend entsprechen: 1. 1810-1850: eine Periode relativer Stagnation, die spätestens Mitte der 50er Jahre, nach einem nochmaligen Kriseneinbruch, beendet ist, 2. 1850-1874: eine Phase außerordentlichen Wachstums, die mit der Gründerkrise endet, 3. 1874-1894: als Zeitraum relativer Stagnation, in dem jedoch seit den Jahren nach 1880 die Beschäftigtenzahlen wieder ansteigen, 4. 1895-1913: als Periode »beschleunigten Wirtschaftswachstums« (Ott), in dieser Phase überstieg der Gewerbebesatz Württembergs erneut den des Deutschen Reiches. 60 Im großen und ganzen wird diese Periodisierung, die der Einteilung in die vier Phasen Frühindustrialisierung - »Take-Off« - Liberalkapitalistische Hochindustrialisierung- »Organisierter Kapitalismus« entspricht, von der württembergischen Wirtschaftsgeschichtsschreibung bestätigt. 61 62 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Doch welche Veränderungen vollzogen sich in den einzelnen Phasen, und wie wurde aus dem übervölkerten Staat, in dem Krisen wie die von 1816/17, 1846/47 und 1852/54 weitgehend durch Auswanderung der Bevölkerung gemildert wurden, das hochindustrialisierte »Musterländle«? Am Beginn des 19. Jahrhunderts zahlte Württemberg zu den am dichtesten besiedelten Regionen Deutschlands, sein Bevölkerungswachstum war im Verlauf des Jahrhunderts jedoch eines der langsamsten. 1812 lebten 1 379 501 Menschen im Königreich, das waren 70 Einwohner/km 2 . Bis 1849 wuchs die Menschenzahl auf 1744595 (89 Einwohner/km 2 ). Seit 1834 bewegten sich die jährlichen Wachstumsraten zwischen 0,7 und 0 , 9 % , zwischen 1832 und 1864 stieg die Bevölkerung insgesamt nur um 10%. Den geringen Zuwachsraten entsprach in Krisenzeiten ein extremer Wanderungsverlust. Dieser betrug bis 1846 ca. 2 0 % des Geburtenüberschusses, in den Jahren 1846 bis 1855 sogar 155%, d. h. von 1849 bis 1855 sank die Bevölkerungszahl absolut um 74 875. 62 Die Krise der württembergischen Wirtschaft am Ausgang des 18. Jahrhunderts - die durch das Intermezzo der napoleonischen Kriege und der Kontinentalsperre zwar überdeckt und hinausgezögert, nicht aber behoben werden konnte - schlug nach Friedensschluß in voller Stärke durch. Sie war zum einen durch den demographischen Druck, zum andern durch die Schwäche der württembergischen Gewerbe bedingt. 63 Wie in den meisten Gebieten mit grundherrschaftlicher Agrarstruktur bestand auch in Württemberg eine hohe Handwerksdichte. Begünstigt wurde sie durch mehrere Faktoren: Die weitgehende Auflösung der feudalen Bindungen ermöglichte die Freisetzung von Arbeitskräften, und die Umwandlung der Abgaben in Geldrenten vergrößerte das Marktvolumen; die Intensivierung der Landwirtschaft erhöhte ebenfalls das Quantum der dem Markt zugeführten Produkte und ließ auch Kleinbauern an diesem Tauschverhältnis teilhaben. Die Intensität der Landwirtschaft und die Marktverflechtung der einzelnen Produzenten konzentrierte sich im Südwesten in den Realteilungsgebieten.64 Die vorherrschenden Erbsitten, das dichte Geflecht von Städten und die geringen Unterschiede - bzw. die engen Verbindungen - zwischen Stadt und Land begünstigten den hohen Gewerbeanteil. 64 Die »einfache Marktproduktion« 65 von agrarischen und gewerblichen Produzenten war stark ausgeprägt und bildete die Voraussetzung für die Entstehung eines inneren Marktes. Mit einem Anteil von stellenweise über 8% Landhandwerkern hatte Württemberg von allen deutschen Regionen nach 1800 den dichtesten ländlichen Gewerbebesatz. 66 Nach der Jahrhundertwende zeigten sich im Handwerk die ersten S y m ptome der Überfüllung, zugleich geriet die protoindustrielle Fabrikation in den »Krieg der Konkurrenz«, sie befand sich zunehmend auf der »Rennbahn zum Untergange«. Das meinte Moritz Mohl, der in seiner Preisschrift von 1821 für die Förderung von Manufaktur- und Fabrikgewerbe (er verwendet die Begriffe meist synonym) eintrat und gegen die Ansicht 63 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

anschrieb, Württemberg sei ein reines Agrarland. Er gab eine drastische Schilderung des Rückganges vor allem im Textilgewerbe. 67 Eine Belebung der Konjunktur trat erst nach 1825 ein. Von den 330 »Fabriken«, die 1832 im Königreich bestanden, waren 68 (= 20,6%) in den Jahren 1826 bis 1830 gegründet worden. Daß gleichzeitig die Zahl der Gantfälle - der zeitgenössische Begriff für Konkurse - in den Jahren 1826 bis 1829 ebenfalls ein Maximum erreichte - sie lag jeweils über 2000, 1828 betrug sie sogar 2660 - verweist auf die parallel dazu bestehende Krise der Landwirtschaft. Wie wenig sich die Produktionsstruktur zu diesem Zeitpunkt gewandelt hatte, ersieht man aus der andauernden Vorherrschaft der Textilbranche. Mit 142 Fabriken waren 4 3 % der bestehenden Betriebe aus der Textilbranche; betrachtet man nur jene »Etablissements« mit mehr als 100 Beschäftigten, gehörten 17 von insgesamt 21 Betrieben zur Sparte ›Leder, Textil, Bekleidung‹. Unternehmen für Metallverarbeitung und Maschinenbau gab es 1832 erst 28; es waren meist kleinere Fabriken, wobei der Übergang zur handwerklichen Produktion oft fließend war. 6 8 Die Hindernisse, die einer größeren Zahl von Fabrikgründungen und einer industriellen Entwicklung entgegenstanden, waren im wesentlichen neben den generellen, die Wirtschaftsstruktur prägenden Faktoren (vgl. S. 66 ff.), der Mangel an qualifizierten Fachkräften wie an mechanischen Werkstätten. Zwar entstand 1811 die erste mechanische Spinnerei, aber erst 1840 wurde die erste Dampfmaschine (mit 16 PS) in Heidenheim eingesetzt- ein zeitlicher Rückstand, der zum Teil durch die intensive Nutzung der Wasserkraft ausgeglichen worden war. Charakteristisch für die Haltung der Regierung gegenüber den neuen Wirtschaftsformen sind zwei Äußerungen des Finanzministers Weckherlin. Auf die Anregung Friedrich Lists, die Gewerbe durch Fabrikgründungen zu fördern, entgegnete er, »gerade die Fabrik sei die schwerste Gefahr, denn sie erziehe den Menschen entweder zum Bettler oder zum Aufrührer«. Im Gegensatz dazu entwarf er das Bild eines Landes Württemberg, das »nicht durch einzelne große Fabrik-Institute« glänze, »aber ganz Württemberg sei eine Fabrik, eine Manufaktur«. 69 Eine Dynamisierung des Wachstums trat erst in den 1850er Jahren ein. Der Aufschwung wurde aber noch einmal gebremst durch die Krise der Jahre 1853 bis 1855, die in Württemberg weit nachhaltigere Auswirkungen als die »erste Weltwirtschaftskrise« (H. Rosenberg) von 1857/59 hatte. 70 Mehrere Ereignisse kulminierten in ihren Auswirkungen und trieben die Industrialisierung voran. Die Gründung des Zollvereins und vor allem der nach 1845 einsetzende Eisenbahnbau bewirkten einen Investitionsschub. Die bekannte Esslinger Maschinenfabrik wurde mit gezielter staatlicher Hilfe gegründet, um die immer zahlreicher benötigten Lokomotiven im eigenen Land herstellen zu können. Die zunehmende Auslandsnachfrage sowie die prosperierende agrarische Konjunktur wirkten sich auf die Absatzchancen und Expansionsmöglichkeiten der württembergischen In64 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

dustrie äußerst günstig aus. 71 Neue Branchen entstanden oder alte gewannen an Bedeutung wie der Maschinenbau und die metallverarbeitenden Betriebe. Gewerbe und Unternehmer sind in diesen Jahren fast ohne Ausnahme zuversichtlich gestimmt, die Klagen eines M . Mohl sind verstummt, der »bürgerliche Optimismus« (Kaschuba/Lipp) ist eindeutig ein gewerblicher Optimismus. Die Handels- und Gewerbekammer in Stuttgart schrieb 1861 in ihrem Jahresbericht, daß es ihr »zu hoher Genugtuung« gereiche, »auch diesesmal wieder über den befriedigenden Stand des allgemeinen Nahrungswesens, wie über den günstigen Fortgang der in ihrem Bezirke vertretenen Geschäftszweige berichten zu können«. Ein Jahr zuvor hatte die Ulmer Kammer konstatiert, daß, »seitdem die Industrie in unserem Lande Boden gefaßt hat, das Gespenst der Überbevölkerung für immer verschwunden zu sein scheint«. 72 Zur Reichsgründungszeit war Württemberg, wie bereits erwähnt, in geringerem Ausmaß als andere Regionen von Gründerboom und Gründerkrise betroffen. Dennoch führten auch hier eine reduzierte Auslandsnachfrage, eine kränkelnde Landwirtschaft und damit eine verringerte Inlandsnachfrage zu einem Konjunktureinbruch. War während der späten 60er und frühen 70er Jahre der Gewerbebesatz in Württemberg entschieden langsamer gestiegen als in allen anderen Regionen, sank er zwischen 1875 und 1882 sogar absolut. Erst nach diesem kurzzeitigen Einbruch stieg die Zahl der Beschäftigten im Gewerbesektor stetig an, bald auch mit Zuwachsraten, die weit über den Durchschnittswerten der Entwicklung im Deutschen Reich lagen. Megerle bezeichnet die Retardierung der 60er und 70er Jahre als »Abkoppelung« Württembergs vom Industrialisierungsprozeß Deutschlands, hebt aber gleichzeitig hervor, daß die Belegschaft der Großbetriebe sogar zwischen 1875 und 1882 um 15,2% zugenommen hat. 73 Die Gegenläufigkeit der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in Gewerbebetrieben und Großbetrieben ist ein Indiz für die immer noch bedeutende Misch- und Nebenerwerbsstruktur der württembergischen Wirtschaft. Der agrarische Nebenerwerb konnte in Krisenzeiten notfalls zum Alleincrwerb werden, während in den meist in den Städten bestehenden Großbetrieben der landwirtschaftliche Nebenerwerb weniger möglich und nötig war. Erst von den 1880er Jahren an setzte so etwas wie ein Sog von Arbeitskräften in die Industrie ein, der aber sehr moderat verlief. Bis zu diesem Zeitpunkt sind von kurzfristigen Unterbrechungen während der Krisen um die Jahrhundertmitte abgesehen, ständige Klagen von Unternehmern über den Mangel an Arbeitskräften überliefert. Das ist für ein dicht bevölkertes Land wie Württemberg erklärungsbedürftig. In den Jahren des Pauperismus vor 1850 bot die Industrie noch keine Alternative zu Landwirtschaft und Handwerk - Armut, Auswanderung und die Überfüllung des Handwerks waren vielfach die Folge. Als nach 1855 der industrielle Aufschwung einsetzte, ging der damit verbundenen steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften ein absoluter Bevölkerungs65 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

rückgang voraus. Zugleich begünstigte die mit der Gewerbekonjunktur einsetzende landwirtschaftliche Prosperitätsphase die traditionelle Orientierung am agrarischen Erwerb und reduzierte damit die materielle Not, die sonst zur industriellen Arbeit nötigte. Es dauerte bis in die 1880er Jahre als eine Verbesserung der Erwerbsmöglichkeiten in Gewerbe und Industrie wie der Ausbau des Eisenbahnnetzes das für Württemberg charakteristische Pendlerwesen attraktiver machten und teilweise überhaupt erst ermöglichten - bis die Industrialisierung auch die Erwerbsstruktur nachhaltig veränderte. 74 Zum konjunkturellen Trend kamen am Ende des Jahrhunderts strukturelle Veränderungen hinzu, die einen verstärkten Industrialisierungsschub auslösten, der bis weit ins 20. Jahrhundert hin anhielt und Württemberg schließlich neben Sachsen zur gewerbeintensivsten Region machte. Nach 1870 war die Mechanisierung erst allmählich in Gang gekommen, bis Mitte der 90er Jahre der Elektromotor - als ideale Energiequelle für die arbeitsintensive, kleingewerbliche, dezentrale Produktionsstruktur - wie eine Initialzündung wirkte. 7 5 Die Diversifikation der einzelnen Branchen, die aus dem Mangel einer vorherrschenden Rohstoffquelle resultierte, führte in Württemberg zu einer Industrialisierung ohne Leitsektor. Die dadurch bedingte »abhängige Entwicklung« (Megerle), die bestimmt war durch eine starke Ausprägung der Verarbeitungsgewerbe mit Spezial- und Qualitätscharakter sowie großer Produktionsvarianz und starker Exportorientierung, milderte vor allem auch die Auswirkungen konjunktureller Krisen. 76 Der Industrialisierungsprozeß in Württemberg, dessen Verlauf im 19. Jahrhundert nur kurz skizziert und dessen stabile und kontinuierliche Weiterentwicklung bis tief ins 20. Jahrhundert hinein hier nur angedeutet werden kann, war durch spezifische Faktoren und Bedingungen bestimmt und geprägt. Im einzelnen sind sechs Strukturmerkmale zu nennen, die im wesentlichen in ihrer Bedeutung schon von M. Mohl erkannt worden waren. Zur Lösung des Problems, ob »Württemberg eines blühenden Manufakturwesens seinen natürlichen und politischen Verhältnissen nach aber auch fähig« sei, benannte Mohl dieselben Momente, die K. Megerle in seinen »Thesen zum Spezifikum des industriellen Aufschwungs in Württemberg« beschreibt. 77 1. Natürliche Voraussetzungen: Bei der Versorgung mit Rohstoffen war die württembergische Wirtschaft auf fast allen Gebieten auf Importe angewiesen. Kohlevorkommen gab es gar nicht, die Erzvorkommen deckten den einheimischen Bedarf (bei gleichzeitigem Export allerdings) nur bis etwa 1835. Mit Wasserkraft waren die württembergischen Gebiete zwar in überdurchschnittlichem Maße versehen, die darauf gründenden Betriebe blieben jedoch saisonal vom Wasserstand abhängig sowie regional und auch mengenmäßig in ihrer Expansion beschränkt. 2. Verkehrsverhältnisse: Die schwäbischen Territorien waren seit dem 66 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Mittelalter ein klassisches Durchgangsland. Im 19. Jahrhundert ging diese Bedeutung, mit dem allmählichen Übergang zum Transport von Massengütern nach und nach verloren. Damit verringerten sich auch die Zolleinnahmen. Zuerst zogen die großen Flußläufe und dann die Eisenbahn die Handelsströme an sich. Als Gegenmaßnahmen forcierte die württembergische Regierung den Straßenbau, beseitigte die Binnenzölle und Benutzungsgebühren und förderte bald auch den Eisenbahnbau. Erst nach 1850 trat an die Stelle des herkömmlichen Transitmotivs beim Eisenbahnbau das Erschließungsmotiv. 3. Markterweiterung: Aus dieser Haltung heraus stand die württembergische Regierung Zollzusammenschlüssen positiv gegenüber (1828 mit Bayern und Hohenzollern, 1829 ein Handelsvertrag mit dem preußischhessischen Zollverband). Es entstand dadurch ein erhöhter Konkurrenzdruck, aber es verbesserte sich auch, was letztlich wirksamer war, der Absatzmarkt der württembergischen Industrie. Der Zollverein von 1834 verzögerte zwar die Entwicklung des Fabrikwesens, wurde von der vorhandenen Fabrikindustrie aber überwiegend begrüßt. 78 Dennoch beeinträchtigte die Marktvergrößerung unter den besonderen Bedingungen Württembergs die weitere Entwicklung, weil die dadurch mitbedingte ungünstigere Situation der Kleingewerbe eine forcierte Industrialisierung (mit-) verhinderte. 79 4. Kapitalbildung: Württemberg war während des ganzen 19. Jahrhunderts Kapitalexporteur, die Industrie klagte jedoch über Kapitalmangel und litt unter spezifischen Anlagehindernissen. Zum Teil floß Anlagevermögen aus den Gewerben in die Landwirtschaft, der Eisenbahnbau erlangte nicht die Funktion eines Schrittmachers, ein ausgebildetes Banksystem (die ›Vereinsbank‹ als erste Aktienbank wurde 1869 gegründet) war Ergebnis, nicht Voraussetzung des industriellen Aufschwungs. Auch die Kreditgesetzgebung mobilisierte weitaus stärker den landwirtschaftlich nutzbaren hypothekarischen Grundkredit als den von der Industrie benötigten Mobiliarkredit. 80 5. Gewerbeförderung: Die direkten ökonomischen Auswirkungen staatlicher Gewerbepolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte man nicht, wie erst vor kurzem wieder Kiesewetter betont hat, überschätzen. 81 Bis 1831 blieb die Gewerbepolitik den Ministerien bzw. der »Zentralstelle für Landwirtschaft« angegliedert. Erst dann wurde die »Gesellschaft für die Beförderung der Gewerbe« gegründet, die 1848 in die »Zentralstelle für Gewerbe und Handel« umgewandelt wurde. Fabrikanten, Kaufleute und staatliche Bürokratie schlossen sich hier zu einer gleichsam halbamtlichen Behörde zusammen. Angesichts beschränkter finanzieller Mittel konzentrierte sich deren Tätigkeit weitgehend auf die Unterstützung des Auslandsabsatzes und - nach 1848 - vermehrt auch des Ausbildungssektors. Von den 1841 erfaßten 374 Fabrikanten erhielten rund 25 % staatliche Gewerbeforderung, knapp die Hälfte davon kam der Textil67 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

branche zugute. Die Unterstützung der Leinenindustrie war zwar ökonomisch sinnlos - sie verzögerte die Durchsetzung der Baumwollindustrie um Jahrzehnte, ohne sie aufhalten zu können - , sozialpolitisch jedoch äußerst erfolgreich. Die staatlichen Hilfen hielten Branchen (und damit Arbeitsplätze) am Leben, bis die württembergische Industrie selbständig expandierte und neue Arbeitsmöglichkeiten schuf. Die verfehlte Gewerbeförderung wurde damit zur erfolgreichen Sozialpolitik. 82 6. Arbeitskräftepotential: Der Mangel an Arbeitskräften - sieht man von den Einbrüchen des Pauperismus und der Agrarkrisen um die Jahrhundertmitte einmal ab - scheint für Württemberg typisch gewesen zu sein. 83 Wie sehr das Arbeitskräfteangebot die Industriestruktur beeinflußte, zeigt das Beispiel der Textilindustrie. U m die Jahrhundertmitte schlossen viele der alten Textilproduzenten ihre (städtischen) Betriebe und tätigten Neugründungen im ländlichen Bereich. Die frei werdenden, qualifizierten Arbeitskräfte begünstigten die Ansiedlung neuer Wachstumsindustrien, während die einsetzenden Massenproduktionsbetriebe der Textilbranche auf die geringer qualifizierten ländlichen Arbeitskräfte rekurrierten. Überspitzt formuliert wanderten nicht die menschlichen Arbeitskräfte in die Städte und Fabriken ab, sondern die industriellen Fertigungsstätten paßten sich in ihrer Standortwahl der württembergischen Schollenkleberei an. Die räumliche Verwurzelung der Bevölkerung ging jedoch mit einer erhöhten beruflichen Mobilität einher. Für die Aussicht, am Heimatort wohnen bleiben zu können, nahm man eine erhöhte berufliche Fluktuation in Kauf.84 Letztlich wurde durch die Struktur des württembergischen Arbeitskräftepotentials eine forcierte wirtschaftliche Entwicklung und zugleich eine »Industrialisierung um den Preis eines verelendeten Proletariats« verhindert. 85 3. Bevölkerung und Sozialstruktur Das Bevölkerungswachstum Württembergs war im 19. Jahrhundert gering, bei einer gleichzeitig hohen Bevölkerungsdichte, die um 1800 etwa 70 Einwohner j e km 2 umfaßte. Von 1816 bis 1864 betrug die jährliche Zuwachsrate 4,5%o. Die Gesamtbevölkerung des Deutschen Bundes wuchs im selben Zeitraum um 8,8‰ (in Preußen um 12,8‰). Von Staaten vergleichbarer Größe hatte nur Hannover mit 3,7 %o ein langsameres Ansteigen zu verzeichnen. Nach der Krisenperiode im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrunderts stieg die Bevölkerungszahl bis in die 40er Jahre relativ konstant um 7-9%o an. Zwischen 1849 und 1855, also erst nach der schweren Agrarkrise von 1846/ 47, verringerte sich die Bevölkerungszahl zwischen 1849 (1744595) und 1855 (1 669 720) um 74875. Danach erreichte das Bevölkerungswachstum wieder Anstiegsraten von 5 bis 6‰. 86 Die ortsanwesende Bevölkerung 68 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

verringerte sich in den sechs Jahren von 1849 bis 1855 um 4 , 3 % , obwohl im selben Zeitraum noch immer ein Geburtenüberschuß zu verzeichnen war, der aber 1852/55 nur noch 2,4%o betrug, nachdem er in den Jahren zuvor und danach in der Regel bei 8-9‰ gelegen hatte. Der absolute Bevölkerungsrückgang resultierte statt dessen aus der hohen Zahl der Auswanderer. Von 1812 bis 1867 verließen insgesamt ca. 450000 Menschen das Land. 87 Die Auswandernden gehörten, sozial und ökonomisch gesehen, in der Regel vermutlich jener schwer faßbaren Grauzone zwischen Armenunterstützung und gesichertem Lebensunterhalt an. Sie verkörperten jene Schicht, die in wirtschaftlichen Krisenzeiten neben den Fürsorgefällen mit am stärksten betroffen war, meist aber noch aus eigener Kraft überleben konnte. Von den Auswanderern, die v. Hippel für den Zeitraum zwischen 1817 und 1860 untersucht hat, besaß nur ein geringer Teil das entsprechende Vermögen (400 fl. und nach 1833 600 fl.), das Voraussetzung war, um in einem württembergischen Dorf das Bürgerrecht zu erwerben. Die Auswandernden, denen damit innerhalb Württembergs Mobilitätsschranken entgegenstanden, mußten also, um der Gefahr der Verarmung eventuell - zu entgehen, das Land verlassen. 88 Die im gleichen Zeitraum langsam wachsende Binnenmobilität stieg erst mit der einsetzenden gewerblichen Prosperität in den 50er Jahren stärker an. Der Prozentsatz der ortsansässigen Bevölkerung, die ihre Heimatgemeinden verließ und in ein anderes Oberamt wechselte, erhöhte sich von jährlich 0 , 7 % im Zeitraum 1814/22 über 1,1 % (1839/47) auf 1,5% für 1860/70. 89 Innerhalb Württembergs lassen sich zwei Regionen mit unterschiedlicher demographischer und sozioökonomischer Struktur ermitteln. Die von den Statistikern des 19. Jahrhunderts benutzte Einteilung in eine östliche und westliche Landeshälfte entspricht fast genau dem Donau- und Jagstkreis im Osten sowie dem Neckar- und Schwarzwaldkreis im Westen. 90 Hierin spiegelt sich auch weitgehend die historische Aufgliederung in das altwürttembergische Kernland im Westen und die neu erworbenen Gebiete im Osten wider. Württembergs demographische Situation insgesamt war durch eine extrem hohe Kindersterblichkeit gekennzeichnet, die um die Jahrhundertwende im europäischen Vergleich mit an der Spitze stand. Zwischen 1846 und 1856 starben 3 4 , 8 % der Lebendgeborenen im ersten Jahr, in Preußen dagegen im vergleichbaren Zeitraum nur 18,2%. 9 1 Das natürliche Bevölkerungswachstum betrug im östlichen Landesteil zwischen 1812 und 1866 im Mittel 6,35‰ pro Jahr und im Westen des Landes 9,29%o. Das geringere Wachstum im östlichen Teil erklärt sich durch die dort vorherrschende geringere Geburtenrate und die höhere Kindersterblichkeit. Ein weiterer Unterschied war der weitaus höhere Migrationsverlust im Neckar- und Schwarzwaldkreis; im Westen betrug die Zahl der Auswanderer zwischen 1812 und 1867 245063, im Osten dagegen nur 74274. 92 1852 hatten der 69 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Neckarkreis 150 Einwohner/km 2 und der Donaukreis 66 Einwohner/km 2 bei einer durchschnittlichen Dichte für das Gesamtkönigreich von 89 Einwohnern/km 2 . Außer den Unterschieden in der Bevölkerungsdichte, im Bevölkerungswachstum und in der Auswanderungsintensität differierten die Landesteile auch in der höheren Krisenanfälligkeit. Die Zahl der Konkurse lag in der altwürttembergischen, dichter besiedelten Region weit höher als im Osten des Landes. 93 Von der landwirtschaftlichen Nutzfläche entfielen 1852 im westlichen Teil des Landes - das entspricht, wie bereits erwähnt, weitgehend dem Neckar- und Schwarzwaldkreis - 68,3% auf Güter unter 30 Morgen. Im Osten, also im Donau- und Jagstkreis, waren es dagegen nur 3 1 , 7 % der Anbaufläche. 94 Die durch Bevölkerungswachstum, Realteilung und ein sich nivellierend auswirkendes politisches Gemeindebürgerrecht entstandene agrarische Kleinstellenstruktur bewirkte eine größere Flexibilität der demographischen Entwicklung, aber auch eine erhöhte Fragilität der sozioökonomischen Existenzgrundlagen. Zwischen beiden Gebieten bestand die gravierendste Differenz in der unterschiedlichen Größe der landwirtschaftlichen Betriebe. In der prozentualen Verteilung der Gewerbetreibenden läßt sich jedoch kein Unterschied ermitteln. Nach der Gewerbezählung von 1852 waren im Westen 13,7% und im Osten 13,8% der Bevölkerung in gewerblichen Berufen beschäftigt. 95 Die Zahl der Gewerbetätigen stieg erst nach der Industriellen Revolution am Ende des 19. Jahrhunderts erheblich an, bis dahin blieb der Gewerbebesatz relativ konstant. 96 Tabelle 2: Jahr 1835/36 1852 1861 1875 1882 1895 1907

Beschäftigte im Gewerbe 1835-1907 Bevölkerung

Gewerbetreibende

Gewerbebesatz

1571012 1 733 263 1 720 708 1881505 1 996 558 2 081 151 2345300

196256 227774 268890 288048 295216 388257 517813

12,5% 13,1% 15,6% 15,3% 14,7% 18,7% 22,1%

Diese Angaben sind für die Situation um die Jahrhundertmitte in dreifacher Weise zu spezifizieren. Erstens: In der regionalen Verteilung begann sich allmählich die gewerbliche und bald auch die industrielle Konzentration in den traditionellen Gewerbegebieten des Neckarkreises sowie die dort beschleunigt verlaufende Entwicklung abzuzeichnen. Die 15,6% der 1861 gewerblich Tätigen verteilen sich regional wie folgt: In der westlichen Landeshälfte waren 70 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

16,2%, in der östlichen nur 14,7% der Bevölkerung in Handwerk und Industrie tätig. Die Zahl der in Fabriken Beschäftigten verdeutlicht die Konzentration auf den Neckarkreis, insbesondere die Oberämter Stuttgart, Ludwigsburg und Esslingen, noch mehr. 97 Zweitens: Der Anteil der Gewerbetätigen an den männlichen Erwachsenen betrug 1822 22,1 %, er stieg 1835 auf 37,7% und 1861 auf 4 5 , 8 % . Die damit annähernd erreichte quantitative Gleichstellung von agrarischer und gewerblicher Beschäftigungsstruktur dürfte jedoch trügen. Angesichts des vorhandenen Zahlenmaterials läßt sich nicht überprüfen, wie die vielfachen Misch- und Nebenerwerbsformen klassifiziert worden sind. Insbesondere scheint es verfehlt zu sein, Gewerbetätigkeit gleichzusetzen mit ausschließlich gewerblicher Arbeit. Die vorherrschende Besitzzersplitterung und der hohe Anteil des ländlichen Handwerks - ablesbar unter anderem an den nur wenig zurückstehenden Gewerbebesatzzahlen für den agrarisch geprägten Donaukreis - ermöglichten vielfältige Formen des Nebeneinanders von Arbeitsmöglichkeit und Subsistenzabsicherung. 98 Aufschlußreicher sind die Angaben über die Verteilung der in Handwerk und Industrie Beschäftigten. Während nach der Gewerbezählung von 1832 zu Beginn der 30er Jahre noch 9 3 , 9 % der Beschäftigten im Handwerk arbeiteten und nur 6 , 1 % in Fabriken, Manufakturen und im Bergbau, hatte sich das Bild 1861, also nach dem Beginn der eigentlichen Periode der industriellen Revolution, bereits beträchtlich gewandelt. Die rein zahlenmäßige Dominanz des Handwerks und der Kleingewerbe war aber noch immer ungebrochen. Von den 1861 erfaßten 268890 Gewerbetreibenden arbeiteten 90907 in Fabriken (34%), davon waren 60357 Arbeiter (22%), männliche Arbeiter schließlich wurden 46616 gezählt (17%). 9 9 Von der Gesamtsumme der in Fabriken Tätigen waren ein Drittel der Kategorie ›Direktionspersonal‹, d. h. Unternehmer und Angestellte zuzurechnen, nur etwa die Hälfte waren männliche Fabrikarbeiter. In seiner Interpretation der Gewerbezählung versuchte Schmoller den Anteil der »eigentlichen Fabrikarbeiter in der sozialen Bedeutung des Wortes« zu ermitteln. Nach Abzug von ca. 8000 in der Weberei Beschäftigten ging er für 1861 von 52474 (38733 männlichen) Arbeitern aus, also einem Anteil von 3 % an der Gesamtbevölkerung. 1852 hatte der Anteil bei 2 , 6 % gelegen. 100 Die Anzahl der Proletarier, wie man sie allmählich zu nennen begann, war also noch verschwindend klein und entsprach keineswegs der Intensität und Vehemenz, mit der die durch ihre bloße Existenz postulierte Gefährdung der bürgerlichen Ordnung erörtert wurde. 101 Drittens schließlich die Gegenüberstellung von Selbständigen und U n selbständigen. Selbständigkeit beschreibt im Vormärz eine über die eigentliche Gewerbetätigkeit hinausgehende personale Autonomie, die aber vor allem ökonomisch begründet wird. Politische Mitsprachemöglichkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit waren noch eng miteinander verbunden. Nach der Verfassungsurkunde waren alle »besteuerten Bürger« wahlbe71 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

rechtigt. 102 Damit waren alle Staatsbürger bei der Erstellung der Wahlmännergremien teilnahmeberechtigt, die zugleich das Gemeindebürgerrecht besaßen und irgendeine direkte Staatssteuer entrichteten, auch wenn der Betrag noch so gering war. Über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern - denn nur sie berechtigten zum Wahlrecht - besaßen daher Eigentümer an landwirtschaftlichem Besitz oder Häusern und Gewerbetreibende, sofern sie selbständig und damit gewerbesteuerpflichtig waren, das aktive Wahlrecht. Die ökonomische Unabhängigkeit dominierte sogar das politische Bürgerrecht. Denn »zur wirklichen Ausübung« der mit dem Gemeindebürgerrecht erworbenen Rechte waren »nur diejenigen (aktiven) Bürger befähigt«, welche in ihrer Gemeinde »selbständig auf eigene Rechnung leben«. 103 Für die Aufnahme ins Bürgerrecht bezeichnete die Befähigung zum »selbständigen Betrieb«, d. h. in der Regel Landbesitz oder das Meisterrecht, die entscheidende Qualifikation, deren Erfüllung den Gemeinden die Aufnahme zur Pflicht machte. 104 Andrerseits war die Kategorie »Selbständigkeit« nur eingeschränkt rein ökonomisch gefaßt. Selbständigkeit bedingte nicht, daß Beamte oder etwa in Fabriken Beschäftigte - bei Erfüllung der Kriterien Bürgerrecht und Steuerzahlung - kein Wahlrecht erhielten. Was jeweils als »selbständig« zu gelten hatte, lag im Ermessen der Gemeindebehörden. Die Regelung der Verehelichungsbeschränkungen verdeutlicht, wem die Selbständigkeit abgesprochen wurde. Insbesondere Gesellen, unversorgte Bauernsöhne und Fabrikarbeiter waren in der Regel betroffen105, während es keine Belege gibt, daß etwa Beamte als unselbständig eingestuft wurden. Wirtschaftlich blieb Selbständigkeit das Ziel, das zum Entree-Billett in die »klassenlose Bürgergesellschaft« (Gall) berechtigte. U m die Jahrhundertmitte klaffte aber zunehmend eine Lücke zwischen politischer und ökonomischer Bedeutung. Die letztlich unscharfe Gleichstellung wirtschaftlicher und politischer Befähigung in der Kategorie »selbständig« wurde einem doppelten Auflösungsprozeß unterworfen. Mit der Krise des Handwerks und der voranschreitenden Industrialisierung verschärfte sich der Gegensatz zwischen Besitzenden und Nichtbesitzenden, insbesondere durch das kontinuierliche zahlenmäßige Anwachsen der letzteren. Gleichzeitig löste sich das Wahlrecht von seiner Bindung an Gemeindebürgerrecht und Besitz und näherte sich dem allgemeineren Staatsbürgerprinzip. In Württemberg war jedoch in den 1840er Jahren dieser Transformationsprozeß kaum in Gang gekommen. Sowohl im politisch-mentalen Horizont der Zeitgenossen als auch in der realen sozialstrukturellen Gliederung der Gesellschaft läßt sich das Modell der »Bürgergesellschaft ›mittlerer‹ Existenzen« (noch) nachzeichnen. 106 Unterscheidet man die Gewerbetätigen anhand dieser Kategorie, zeigt sich für die 30er Jahre die noch unangetastete Vorherrschaft des selbständigen Handwerkers. 72 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Tabelle 3:

Beschäftigte im Gewerbe nach Branchen 1835

Handwerk Industrie Handel Kleinhandel Selbst./Unselbst.

in%

davon Selbst./Unselbst.

71,8 5,1 17,5 5,4

55,7/16,1 - / 5,1 15,5/ 2,0 5,4/ 76,8/23,2

7 1 , 8 % aller Gewerbetätigen arbeiteten im Handwerk; 55,7% als Selbständige, 1 6 , 1 % als Gehilfen, d.h. Lehrlinge und Gesellen. Insgesamt waren 7 6 , 8 % aller gewerblich Tätigen selbständig, nur 2 3 , 2 % waren unselbständig. Der Anteil »Arbeiter und technisches Hilfspersonal« umfaßte mit ca. 10500 Beschäftigten 5 , 1 % der im Gewerbe insgesamt Beschäftigten und 2 2 % aller Unselbständigen, d. h. vier Fünftel aller abhängig Beschäftigten arbeiteten noch im Handel und im Handwerk. l 0 7 Das Wirtschaftsgefüge war aber keineswegs statisch und spannungsfrei. Die durch Bevölkerungsvermehrung und Marktöffnung verschärfte Krise des Handwerks manifestierte sich nicht nur in der Publizistik und den Auseinandersetzungen im Landtag um die Reformierung der Gewerbeordnung. Das begrenzte Absorptionsvermögen des herkömmlichen Handwerks zeigte sich darin, daß nach der ersten Aufweichung der Zunftschranken 1828 in der Zeit von 1829 bis 1835 - bei einem Anstieg der Gewerbetreibenden (ohne Fabrikarbeiter) überhaupt um 4 , 2 % - die Zahl der zünftigen Meister um 2,2% abnahm, die der unzünftigen aber um 2 0 % anstieg. 108 Ein Vergleich der Anzahl der in Handel und Gewerbe insgesamt Beschäftigten mit der Summe der besteuerten Gewerbe verdeutlicht den Trend. Man kann die Zahl der besteuerten Gewerbe als relativ genauen Maßstab für die Anzahl der gewerblich selbständig Tätigen nehmen, da jeder Betrieb, unabhängig von seiner Größe, gewerbesteuerpflichtig war. In der Regel wurden auch Kleinstbetriebe und Einzelmeister erfaßt. 109 Tabelle 4:

Beschäftigte, besteuerte Gewerbe und durchschnittlicher Steuersatz 1829-1861 Beschäftigte

1829 1835 1852 1861

192000 196256 227774 268890

besteuerte Gewerbe

1853 1860

142925 154922 158113 152319

durchschnittl. Steuersatz (fl.) 2,12 2,33 2,43 2,71 73

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Die zunehmende Differenz zwischen beiden Sparten zeigt die wachsende Zahl der abhängig Beschäftigten in Industrie, Handwerk und Handel an. Zwar blieb die Anzahl der Gewerbe, und damit der Selbständigen, annähernd gleich. Auch das durchschnittliche Steueraufkommen stieg in nur geringem Maße, was auf geringe Wachstumsraten der Mehrzahl der Betriebe hinweist. Demgegenüber erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten um nahezu 5 0 % , die Zahl der Unselbständigen - verstanden als Differenz zwischen Beschäftigten und besteuerten Gewerben - sogar um über 230%. Trotzdem blieb die Anzahl der Selbständigen 1861 noch immer über der der Unselbständigen. Die Konzeption einer mittelständischen Eigentümerordnung von Selbständigen, die den politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen der vormärzlichen Liberalen zugrunde lag, stimmte mit einer gesellschaftlichen Realität immer weniger überein, die sich in Richtung auf eine Klassengesellschaft veränderte. Andrerseits war sie an diesem Ziel noch nicht angekommen, lag der Anteil der Selbständigen (noch) über dem der abhängig Beschäftigten; nicht zuletzt, weil die »Dominanz der Einmannbetriebe« sich kaum verringert hatte. 110 In der Mitte des Jahrhunderts war dieser Umwandlungsprozeß in Württemberg aber keineswegs so weit fortgeschritten, daß eine Orientierung am frühliberalen Sozialmodell eindeutig als weltfremd erschienen wäre. Im Gegenteil, noch durch die Gewerbezählung von 1861 - für frühere Jahre liegen keine ähnlich umfangreichen Erhebungen vor - wird die Beharrungskraft der mittelständischen Besitz- und Sozialstruktur offenkundig. 111 Tabelle 5:

Beschäftigungsstruktur nach Kreisen 1861

Neckarkreis Schwarzwaldkreis Jagstkreis Donaukreis Württemberg

A

Β

C

D

Ε

497375 431 676 376753 414904 1 720 708

74369 64919 47447 59306 246041

41 129 34392 24 107 29451 129079

16839 14535 6961 10522 48857

142453 130400 91 387 85354 449594

Α Bevölkerung, Β Selbständige, C Unselbständige, D Fabrikarbeiter, Ε Grundbesitzer Die Tendenz ist eindeutig. Geht man nicht von den 1,7 Mill. der Gesamt­ bevölkerung, sondern von der Zahl der Familien aus, verstärkt sich das vorliegende Bild. Bei einer durchschnittlichen Zahl von 4,6 Personen je Familie betrug die Anzahl der Familien (inklusive der selbständig allein lebenden Personen) rund 375 000. 112 Berücksichtigt man, daß hier nur die in Gewerbe und Landwirtschaft tätigen Selbständigen erfaßt wurden, der 74 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

in Württemberg recht umfangreiche Komplex der staatlichen und kommunalen Bediensteten, des Militärs, der nichtstaatlichen Bildungsberufe usw. nicht erfaßt worden ist, erscheint die bis weit über 1848 hinausreichende Orientierung am Bild des Bürgers als selbständigem Hausvater von der sozialen Entwicklung noch nicht überholt. Die gegenüber der Zahl der Bürger ökonomisch als selbständig eingestufte geringere Anzahl Unselbständiger sowie der auch in den 1860er Jahren noch kleine Anteil von Fabrikarbeitern wurde zudem flankiert durch den hohen Prozentsatz derer, die Grundeigentum besitzen. Im klassischen Marxschen Sinn Besitzlose, die ausschließlich ihre eigene Arbeitskraft besaßen, gab es in Württemberg auch noch im 19. Jahrhundert lange Zeit verhältnismäßig wenige. Auch in Esslingen, der zu dieser Zeit am stärksten industrialisierten Stadt, blieb zum einen der Arbeiteranteil an der Gesamtbevölkerung gering, und es fehlten zum andern sozialpolitische Auffangmaßnahmen wie staatlicher und betrieblicher Arbeiterwohnungsbau und andere kommunale Fürsorgeeinrichtungen. 113 Trotz der in der zweiten Jahrhunderthälfte tiefgreifende ökonomische und soziale Veränderungen bewirkenden Industrialisierung blieb die Einstellung der meisten Bevölkerungsgruppen von traditionellen Mustern geprägt. Nicht das - industrielle - Einkommen bestimmte auf dem Lande Status und Ansehen, sondern Haus- und Grundbesitz. Oftmals galt die finanziell weitaus wichtigere Fabrikarbeit als ein Verdienst »nebenher«, neben der eigenen kleinen Landwirtschaft. Besitzzersplitterung und »Schollenkleberei« waren ein Hemmnis für die forcierte Entwicklung, sie boten aber auch Auffangmöglichkeiten und Subsistenzreservoire für die am industriellen Fortschritt nur partiell Profitierenden. 114 Bei der Gesamtzusammenstellung aller Oberämter (vgl. Anhang 1) wurden die Gewerbezählungen von 1852 und 1861 benutzt. Auf Grund des publizierten Materials ließ es sich nicht vermeiden, für die Angaben über die Selbständigen in der Landwirtschaft auf die Daten von 1852 zurückzugreifen, während das übrige Material nach dem Stand von 1861 ermittelt wurde. Ein Vergleich beider Zählungen erscheint dennoch zulässig, weil der absolute Stand der Gesamtbevölkerung 1852 und 1861 annähernd gleich war. Die nach 1849 einsetzenden Ablösungen führten zu keiner prinzipiellen Änderung der agrarischen Besitzstruktur, sie bewirkten eher eine noch größere Diversifikation. 115 Von den im primären und sekundären Sektor Beschäftigten wurde die Rubrik »Knechte und Jungen bei der Landwirtschaft« nicht mit aufgenommen. Der sehr hohe Anteil mitarbeitender Familienmitglieder hätte eine zu starke Verzerrung bewirkt, da familiäre und ökonomische Abhängigkeit nicht zu trennen sind. 116 Daneben fehlen auch die öffentlichen Bediensteten und Beamten. In der zeitgenössischen Diskussion in der Regel als »selbständig« klassifiziert, war ihre ökonomische Selbständigkeit dennoch indirekt vermittelt. Das Wahlrecht z. Β. erlangten sie nur durch den Erwerb von Haus- oder Grundeigentum. Dieses »Reservat des immobilen Besit75 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

zes« verdeutlicht prägnant die der württembergischen Gesellschaft des Vormärz zugrunde liegende Eigentümerorientierung. 117 Die Tabellen (vgl. Anhang 1) geben einen Überblick über die Struktur und Verteilung der Beschäftigten in der Landwirtschaft und insbesondere im Gewerbebereich. 118 Sie ermöglichen generalisierende Aussagen für Württemberg, die - ohne auf der Ebene von Lokalstudien stehenzubleiben - überprüfbarer sind als gemeinhin Gesamtdaten des Königreiches. Zunächst sticht die regional gleichmäßige Verteilung hervor. Der Anteil der Selbständigen bewegt sich in allen Kreisen zwischen 13 und 1 5 % . Noch mehr überrascht: Die jeweiligen Quoten der gewerblich oder agrarisch Tätigen variieren ebenfalls nur wenig. Der Neckarkreis - der allgemein als gewerblich und industriell am entwickeltsten dem agrarisch bestimmten Donaukreis gegenübergestellt wird - ist zwar der einzige Kreis, in dem die Zahl der im Gewerbe beschäftigten Unselbständigen, d. h. im wesentlichen der Gesellen und Arbeiter, die der Selbständigen übertrifft. Mit einem Anteil von 8 bzw. 7 % an der Gesamtbevölkerung sind beide Gruppen jedoch noch annähernd gleich groß (41 129 und 34870). Der Prozentsatz der gewerblich Selbständigen ist in allen vier Kreisen ähnlich; er schwankt, wie der der Unselbständigen, zwischen 7 - 8 % bzw. 6 - 8 % bei den abhängig Beschäftigten. In 20 Oberämtern lag die Zahl der (gewerblichen) Unselbständigen über der der gewerblichen Selbständigen. Das bedeutet, daß in mehr als zwei Dritteln (44) aller Bezirke gewerbliche Arbeit mehrheitlich als selbständige, nicht direkt von anderen abhängige Arbeit ausgeübt wurde. Nur in 4 Oberämtern (Esslingen, Stuttgart, Calw, Aalen) waren die Unselbständigen zahlreicher als die (gewerblichen und agrarischen) Selbständigen. In den Bezirken Aalen und Esslingen lag der Arbeiteranteil über dem der Gesellen. In Calw und Stuttgart war dagegen der Gesellenanteil noch höher als der Anteil der in Fabriken Beschäftigten. 119 Das noch immer vorherrschende Übergewicht des Handwerks belegen auch jene 39 Oberämter, in denen der Anteil der gewerblichen Selbständigen höher lag als der der landwirtschaftlichen. Die mit der Industrialisierung einhergehenden Konzentrationstendenzen waren erst in sehr geringem Ausmaß zu beobachten. Zudem betrafen sie nicht alle Sparten des Handwerks im gleichen Ausmaß. Einerseits war mit der beginnenden Belebung der Wirtschaft nach 1855 und der verstärkt einsetzenden Industrialisierung generell eine Verbesserung der Lage im Handwerk festzustellen. Andrerseits profitierten die verschiedenen Gewerbe unterschiedlich von diesem Prozeß. 120 Die traditionellen Massengewerbe wie Schuster und Schneider, für deren Betrieb nur eine geringe Kapitalausstattung nötig war, verzeichneten eine Zunahme der Meister und Gesellen. Seit 1835 stieg zwar die Quote von Gehilfen j e Meister, sie blieb aber immer noch unter 1. Hier ermöglichte die wirtschaftliche Prosperität in der Regel die weitere selbständige Existenz, aber nur bedingt einen gesicherten Betrieb. In anderen Gewerben, insbesondere 76 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

im Baugewerbe, vollzog sich im selben Zeitraum bei einer Zunahme des Gesamtpersonals eine verstärkte Konzentration. Die Zahl der Meister sank relativ und absolut, der Anteil der Gehilfen je Meister stieg bei Maurern und Zimmerleuten 1861 auf 1,7.121 Damit versprachen diese Gewerbe zwar immer weniger eine selbständige Existenz, sie boten den Gehilfen aber zunehmend ein gesichertes Einkommen. Die Stabilität des Handwerks korrespondiert mit der Stabilität der agrarischen Besitzstrukturen. Die Zählung von 1857 ermittelte ca. 450 000 Eigentümer von landwirtschaftlichem Areal. Zeitgenössische Versuche, durch Schätzung Doppelnennungen zu eliminieren und zu realistischeren Ergebnissen zu gelangen, kamen zu folgendem Ergebnis. Die Gesamtzahl der Eigentümer reduzierte sich auf etwa 330000, d.h. neun Zehntel der etwa 360000 Familien besaßen, wenn auch z. T. nur minimalen, Grundbesitz. Nur etwa 3 5 % waren »ausschließliche und selbständige Landwirte«, insgesamt ca. 117000 (1861: 115000) Personen. Die anderen etwa 215000 Eigentümer verteilten sich auf ca. 65000 Personen, für die die Landwirtschaft explizit ein Nebengewerbe bedeutete und etwa 150000 Personen, die meist nicht mehr als 2 Morgen Land hatten. Für sie diente der landwirtschaftliche Besitz nicht im eigentlichen Sinn als Erwerbsmöglichkeit, sondern zur Risikominimierung bei Krisen und Verbilligung des Lebensunterhalts. Sie besaßen nur etwa 10% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. 122 Außerdem ist hervorzuheben, daß mindestens zwei Drittel der Familien über Hausbesitz verfügten und in eigenen Wohnungen lebten. 123 Zwar teilten sich oft mehrere Eigentümer ein Haus, dennoch sollte man die ökonomischen wie mentalen Auswirkungen dieser Kleineigentümerstruktur nicht unterschätzen. Wenn Sedatis die Selbständigkeit der Handwerker als »ebenso formal wie diejenige des Tagelöhners« bezeichnet, erfaßt er damit nur einen Teil der ökonomischen Seite des Problems, andere Aspekte blendet er aus. 124 Unbestritten ist, daß sich das Handwerk um die Jahrhundertmitte in einer Krise befand. Agrarkrise und Preisanstieg reduzierten die Kaufkraft der Bevölkerung und erhöhten zugleich den Nahrungsmittelaufwand des Handwerks. Hinzu kam die doppelte Konkurrenz durch drohende Übersetzung der Gewerbe am Ort und durch die expandierenden, zumeist billiger und variabler hergestellten Fabrikprodukte. Dennoch erfaßt diese Charakterisierung nur einen Teil der Wirklichkeit. Der durchschnittliche Steuersatz je Betrieb ergab sich aus der ausgeschriebenen Gesamtsteuersumme, dem Anteil, der auf die Gewerbesteuer entfiel, und der Zahl der besteuerten Gewerbe. 125 Bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein blieb der auf die Gewerbe entfallende Anteil annähernd gleich, da die Gewerbesteuer - bis 1877 - immer 12,5% der gesamten Katastersteuern erbringen mußte. 126 Auch die Gesamtsumme schwankte nur geringfügig. Die Zahl der besteuerten Handwerksgewerbe blieb, bei leichten Schwankungen, zwischen 1829 (106631) und 1860 (105005) ebenfalls annähernd kon77 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

stant. 127 Der durchschnittliche Steueranschlag für den einzelnen Handwerksbetrieb, der 1860 bei 1,62 fl. lag, indiziert deshalb nur zum Teil eine ökonomische Krise im Handwerk. Er resultiert ebenso aus dem württembergischen Steuersystem, das tendenziell die kleinen Gewerbe begünstigte. 128 Der Selbständigen-Status hatte zugleich aber auch rechtliche, politische und mentale Bedeutung und Auswirkung. Das aktive Bürgerrecht mit seinen Folgen hing daran und das Wahlrecht, nicht zuletzt aber auch der Status des »Selbständigen« schlechthin. Bürgerliche Selbständigkeit war im Vormärz nicht nur ökonomisch bestimmt. Sie war noch immer eine Kategorie personeller Unabhängigkeit, nach Kants Definition, die Möglichkeit, »seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu können«. 129 Die bürgerliche Existenz konzentrierte sich sozial im Mittelstand, der die ökonomisch Unabhängigen, rechtlich Freien und politisch Mündigen u m faßte. Nach der These von Gall blieb im süddeutschen Liberalismus nicht nur die Konzeption einer mittelständischen Gewerbestruktur innerhalb der »klassenlosen Bürgergesellschaft« bis zur Jahrhundertmitte vorherrschend, sondern auch die reale sozialstrukturelle Situation entsprach noch sehr lange diesem Bild. 130 Andrerseits waren auch schon seit den 1820er Jahren immer wieder warnende Stimmen - oder fordernde, wie die von Moritz Mohl - zu hören. Der im Vergleich zu anderen Regionen jedoch verlangsamte und abgeschwächte Verlauf der Industrialisierung ermöglichte eine erstaunliche Konstanz der Gesellschaftsstruktur wie -konzeption. Das M o dell einer Gesellschaft kleiner, selbständiger Eigentümer fand in Württemberg, trotz aller ökonomischen Krisen, seine Fundierung in der weit verbreiteten Besitzzersplitterung von Grund und Boden, der überdurchschnittlichen hohen Dichte des Handwerks und der noch in den Anfängen steckenden Industrialisierung. Analog dazu galt Unselbständigkeit als individuelles und gesellschaftliches Zwischenstadium. Der einzelne strebte danach, landwirtschaftlichen Besitz zu erwerben und sich, über das Stadium der Gesellen hinausgreifend, gewerblich selbständig zu machen. Gesellschaftlich blieb die Verteilung des Eigentums, das ständige Anwachsen der Zahl der Selbständigen zugleich Hoffnungsträger der liberalen Sozialpolitik wie auch prognostiziertes Mittel, um den »Krieg der Eigentumslosen wider die Eigentümer« zu vermeiden. 131 Auch 1848/49 brach dieser Krieg nicht aus, obwohl die gegnerischen Lager in Vereinen, Parteien und anderen Organisationen verstärkt mobil machten. 132 In den 50er Jahren formulierte Ferdinand Steinbeis, bald der führende Wirtschaftspolitiker des Landes, als Ziel gegenüber den Eigentumslosen, den Arbeitern, die Begründung der »freie[n] Existenz des einzelnen«. Nicht mehr Selbständigkeit, sondern »Befreiung von den Sorgen der Nahrung« wurde zur gesellschaftlichen Maxime. 1 3 3 Sowohl die Veränderung der Sozialstruktur als auch der Wandel im individuellen Bewußtsein verliefen aber zähflüssig. 78 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Der Anteil der Selbständigen lag, wie gezeigt, noch in den sechziger Jahren über dem der abhängig Beschäftigten. Die Mentalität des einzelnen verharrte noch lange in der trügerischen Hoffnung, daß jeder zum selbständigen Eigentümer avancieren könne. Oder, wie der Schwabe Hölderlin seufzte »Ihr segnet gütig über den Sterblichen, Ihr Himmelskräfte! Jedem sein Eigentum, Ο segnet meines auch, und daß zu Frühe die Parze den Traum nicht ende. «134

79 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

III. V e r w a l t u n g u n d V e r w a l t u n g s r e f o r m i m V o r m ä r z

1. Die Auseinandersetzung um das Verwaltungsedikt Eines der Ziele der staatlichen Reformtätigkeit am Beginn des Jahrhunderts war die Erneuerung des Gemeindeverbandes gewesen. Die - auch institutionell abgesicherte - Vorherrschaft der Ehrbarkeit im lokalen Rahmen sollte eingeschränkt werden. Hierzu wurde die staatliche Bürokratie ausgeweitet, zentralisiert und mit weitaus größeren Kompetenzen ausgestattet. Als im Verlauf des Verfassungsstreites in Gestalt der Bürgerfreunde eine diametral entgegengesetzte Kritik an der Struktur des württembergischen Kommunalverbandes geübt wurde, begannen sich die Positionen von Ehrbarkeit und Regierung anzunähern. Das spiegelte sich nicht nur in der Verfassungsurkunde wider, sondern auch im Verwaltungsedikt. 1 In Altwürttemberg hatten die Magistrate das Selbstrekrutierungsrecht besessen - gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand daraus ein Quell' ständiger Kritik, die sich gegen Nepotismus und »Herrentum« richtete. Zwischen 1817 und 1822 wurde dann nicht nur der Bürgerausschuß als Kontrollorgan etabliert, sondern auch die Wahl der Gemeinderäte (1819) eingeführt. Hierbei kam es jedoch zu einer eigenartigen Mischform. Ein Gemeinderat wurde für zwei Jahre gewählt; erfolgte danach sofort die Wiederwahl, war er von diesem Zeitpunkt an auf Lebenszeit bestätigt. Dieser Kompromiß zwischen »Stetigkeit und Wandel«, so der zeitgenössische Ausdruck, war aber bereits zur Zeit seiner legislativen Festlegung umstritten. In den Beratungen, die dem Landtagsabschied im Juni 1821 vorausgingen, hatte die Abgeordnetenkammer mit 74:4 Stimmen die periodische Wahl des Gemeinderates gefordert, alle drei Jahre sollte ein Drittel der Mitglieder neu gewählt werden. Denn »die Hauptsache sei, daß die Gemeindeverwaltung den Gemeinden bleibe, und nicht wieder ein Mittelding zwischen Staats- und Gemeindeverwaltung werde, wie bisher«. 2 Von der Regierung wurde dieser Vorschlag nicht aufgenommen; dem Landtag fehlte eine direkte Eingriffsmöglichkeit, da die Revision der Verwaltungsedikte von 1817/18 zwar gemeinsam von Ständen und Regierung beraten wurde, das Ergebnis aber als - nicht zustimmungspflichtig e s - Edikt allein von der Staatsregierung erlassen wurde. Im Verlauf des Vormärz entwickelte sich die Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen dann zu einem der zentralen Konfliktpunkte zwischen Regierung und liberaler Opposition. Mit den »Revolutionslandtagen« von 80 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

1833 an wurde beinahe auf jeder Session die Forderung nach Aufhebung der Lebenslänglichkeit gestellt - und ebenso regelmäßig abgelehnt. Die Auseinandersetzung blieb aber nicht auf die parlamentarische Bühne begrenzt. Im »Beobachter« erschien am 14. Oktober 1835 eine an das Innenministerium gerichtete Petition aus Stuttgart, in der der Wunsch nach einem Gesetz artikuliert wurde, daß jeweils ein Drittel des Gemeinderates alle drei Jahre wiedergewählt werden sollte. Die Eingabe war mit den Unterschriften von etwa 1000 Bürgern versehen. Im Laufe der nächsten Wochen folgten im »Beobachter« weitere Artikel über die Unfähigkeit der überalterten Gemeinderäte; über die Unterdrückung, die Mißwirtschaft und den Nepotismus der nicht abwählbaren Ortsobrigkeiten, die einen wahren »Dorfdespotismus« betrieben. Gleichzeitig wurde über weitere Petitionen ähnlichen Inhalts aus verschiedenen Orten, u. a. Tübingen, Esslingen und Ulm, berichtet. Die »Stuttgarter Petition« vom Herbst 1835 verdeutlicht - ebenso auch die publizistischen Aktivitäten in den folgenden Jahren - , wie sehr die Forderung nach einer periodischen Neuwahl von Teilen des Gemeinderates und damit Grundfragen der kommunalen Verwaltungsorganisation eine nicht zu unterschätzende Mobilisierung im Land und eine Politisierung des Bewußtseins bewirken konnten. 3 Trotz der öffentlichen Resonanz blieb der Landtag die entscheidende Ebene der Konfliktaustragung. Auf den ersten Blick scheint die Grundkonstellation die knapp zwei Jahrzehnte vor 1848 unverändert geblieben zu sein. Die Regierung scheute die Vorlage eines Zusatzgesetzes zum Verwaltungsedikt, da die Abgeordnetenkammer unweigerlich die Frage der Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen mit angeschnitten hätte. Andrerseits blieb die Kammer mit ihren ständig wiederholten Eingaben erfolglos, da die Regierung keinen Gesetzentwurf vorlegte. Diese gegenseitige Blokkade resultierte direkt aus der Struktur des württembergischen Konstitutionalismus, in dem nur die Regierung das Initiativrecht für Gesetze besaß, der Landtag aber bei allen Gesetzen zustimmungspflichtig war. Aus diesem Grund blieben alle Ansätze zu einer Gemeindereform stekken. 1836 erfolgte ein Antrag der Ständekammer, der schließlich 1839 zur Vorlage eines Gesetzentwurfs führte, der aber nicht mehr debattiert wurde und ohnehin keine Erfolgsaussichten gehabt hätte. 1845 startete der Landtag mit der Motion des Abgeordneten Schübler einen neuen Anlauf, der nach langer, zögernder Vorarbeit in einen Gesetzentwurf vom Frühjahr 1848 mündete - nun aber von den politischen Ereignissen eingeholt wurde und obsolet wurde. 4 Für einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma bemühte sich Schlayers Innenministerium darum, konkrete Einzelfragen mit Hilfe von Verordnungen und Erlassen zu regeln. Das war aber nur in sehr begrenztem Ausmaß möglich und stellte kein geeignetes Mittel gegen die immer weiter anwachsende Bewegung in der Bevölkerung dar. 5 Wie sehr die Forderung nach der Aufhebung der Lebenslänglichkeit von einer breiten Mehrheit 81 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

getragen wurde, zeigt nicht nur die Tatsache, daß seit den späten 30er Jahren gerade in größeren Gemeinden fast alle Gemeinderäte nur noch auf zwei Jahre gewählt wurden, indem sie eine sofortige Wiederwahl - und damit die lebenslängliche Amtsdauer — jedesmal ablehnten. Auch die Beamten in den Ämtern, sicherlich nicht in übermäßigem Oppositionsverdacht stehend, waren am Ende der 40er Jahre fast alle für eine Änderung der Gemeinderatsverfassung. Nach einer erneuten Adresse im Landtag hatte das Innenministerium am 8. Januar 1845 eine Anfrage an alle Kreisregierungen und Bezirksämter erlassen, ob die größeren Gemeinden einer Reform der Verwaltungsorganisation bedürften. Als die Bezirksbeamten das nahezu einstimmig bejahten, kam Schlayer zu der Erkenntnis, daß diese Ansicht »selbst wenn sie unrichtig ist, nicht unbeachtet bleiben« könne. Es muß jedoch bezweifelt werden, ob das im Winter 1847/48 dem Landtag vorgelegte Zusatzgesetz schließlich einen Ausweg aus dieser Situation gebracht hätte; immerhin wollte Schlayer die Periodizität der Gemeinderatswahlen mit der Einführung des Zensuswahlrechts auf der kommunalen Ebene verbinden. 6 Was war die Ursache für die langwierige Auseinandersetzung, weshalb kam es zu keinem Kompromiß? Zuerst ist die steigende Verwaltungsarbeit in den Gemeinden, und hier vor allem in den größeren Gemeinden und Städten, zu berücksichtigen. Die Gemeindeumlagen aller Kommunen erhöhten sich von 769030 fl. im Jahr 1832 über 826596 fl. (1838) auf 1 292 190 fl. für das Jahr 1844. Gerade in den Städten, deren Bevölkerung überproportional zunahm, erhöhte sich im Sog dieses Wachstums die kommunale Verwaltungstätigkeit enorm; der starre Rahmen des Verwaltungsediktes verhinderte zugleich jedoch den Aufbau einer eigenen kommunalen Bürokratie und eine Aufgabenverteilung innerhalb des Gemeinderates. Aus diesem Grund mußten alle Angelegenheiten kollegialisch beraten und beschlossen werden. Das waren in Württemberg das Kirchen- und Schulwesen, die Armenfürsorge, das Bauwesen, die Ortspolizei, die Steuerkataster sowie Staats- und Gemeindeumlagen, die den Gemeinden übertragenen Aufgaben der Rechts- und Polizeiverwaltung sowie die Vollziehung gesetzlicher Bestimmungen. Das verursachte einen schleppenden Geschäftsgang und enormen Zeitaufwand. 7 Die Behebung dieses Problems, d. h. eine Einigung zwischen Regierung und Landtag über die Frage der Gemeindeverwaltung, scheiterte daran, daß hier unterschiedliche Auffassungen über Funktion und Struktur des Gemeinderates aufeinanderprallten. Zum einen wurden die politischen Auswirkungen der Lebenslänglichkeit verschieden beurteilt. In der noch unter der Nachwirkung der Julirevolution stehenden Landtagsdebatte von 1836 wurde übereinstimmend betont, daß Gemeinderäte, die in regelmäßigen Abständen gewählt würden, viel mehr das Vertrauen der Gemeinde besäßen und deshalb in unruhigen Zeiten weitaus eher beruhigend wirken könnten als lebenslang amtierende Vertreter. Der Regierung wurde auch 82 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vorgeworfen, sie wolle durch das Festhalten an diesem Prinzip Neuerungen generell erschweren. Angesichts der unterschwellig vorhandenen Revolutionsphobie spottete der Kammerabgeordnete Raidt, daß es in Württemberg keinen »Hang zu politischen Aufregungen« gebe, denn selbst »wenn hinter jedem Bauern ein Demagog stände, der ihn mit der Peitsche zur Revolution treiben wollte, so würde man ihn doch nicht vorwärts bringen«. Die unterschiedlichen Positionen brachte Römer, später der führende Kopf des Märzministeriums, auf die prägnante Formulierung, daß statt der »Stabilität der Personen« die »Stabilität des Rechts« einen besseren Schutz vor ungewollten Veränderungen gewähre. 8 Hierin lag die prinzipielle Differenz der Auffassungen von Ministerium und Opposition. Innenminister Schlayer wollte durch eine möglichst große Kontinuität der Personen, in diesem Fall die Begünstigung der lebenslänglichen Amtsdauer der lokalen Amtsträger, eine Garantie für die Stabilität der politischen Ordnung erlangen. Demgegenüber vertrauten die Liberalen darauf, daß ein politisches System, das von einem breiten Konsens in der Bevölkerung getragen werde, auch politisch unruhige Zeiten überstehen werde. Ja, noch weitergehend, daß es möglich sei, die Akzeptierung der bestehenden Ordnung durch Reformen zu erhöhen. Das zeigte sich an der Haltung zum Wahlrecht. Es wurde hervorgehoben, daß das württembergische Gemeindewahlrecht im Vergleich zu anderen Staaten sehr ›demokratisch‹ sei jeder Gemeindebürger war stimmberechtigt, es gab keinen Zensus und kein indirektes Wahlrecht. Wiederum Römer trat dafür ein, daß dieses Wahlrecht beibehalten werden solle, auch wenn es eigentlich zu demokratisch sei für das württembergische Volk, »denn nur dadurch, daß man es in Ausübung der Rechte übt, lernt es dieselben gehörig verstehen und schätzen«. 9 Angesichts der weiteren Entwicklung kann man vermuten, daß gerade diese Auswirkungen in starkem Maße durch die Bewegung für die Aufhebung der Lebenslänglichkeit erzielt wurden. Nicht zuletzt deshalb sprach sich auch der Geheime Rat schließlich 1847 für diese Forderung aus. Denn durch die Situation, daß alle zwei Jahre demonstrativ neue Kandidaten gewählt würden, hätten »die Anhänger der Oppositionspartei die Wahlen in die bürgerlichen Kollegien fast ganz in ihre Hände bekommen«. Zu Beginn des Jahres 1848 hielt die Regierung deshalb das Eingehen auf die liberalen Oppositionsforderungen für opportuner als ein weiteres Verweigern. Der politische Druck der Öffentlichkeit erwies sich in diesem Fall als dritte, letztlich mitentscheidende Größe im konstitutionellen Kräftespiel zwischen Regierung und Landtag. 10 Daneben gab es aber noch eine zweite, funktionale Ebene, auf der verschiedene Auffassungen aufeinanderprallten. Die Opposition kritisierte, wie es der Abgeordnete Nefflen ausdrückte, die »Erbsünde des Nepotismus«; die »Verwandtschaftshimmel« sollten durch regelmäßige Wahlen verhindert werden. Die Kritik an den »Gemeindeherren«, die die Gemeindepolitik dominierten und primär den eigenen Vorteil im Auge hätten, war 83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

weit verbreitet. Als Ursache dieses Übels wurde hier die verkrustete Verwaltungsstruktur benannt. Murschel führte als Berichterstatter der Landtagskommission aus, daß ein anderes Verhalten von »Lohnarbeitern« auch nicht zu erwarten sei. Er spielte damit darauf an, daß viele Gemeinderatsposten durch die Kombination mit mehreren kommunalen Nebenämtern zu lukrativen Posten geworden waren, bisweilen sogar den Inhaber ernährten. Deshalb forderte man die Trennung der Nebenämter von den Gemeinderatsstellen und proklamierte den »vermöge seiner Bürgerpflichten die Stelle als Ehrenamt« bekleidenden Gemeinderat. 11 Was sich hinter der abschätzigen Bemerkung vom »Lohnarbeiter« verbarg, war die Ablehnung von Berufsbeamten; statt dessen wurde das Ideal einer sich im Wechsel selber verwaltenden Bürgerschaft proklamiert. Die intermediäre Stellung der württembergischen Gemeinden spiegelt sich in diesem Konflikt wider, waren sie doch gleichermaßen Selbstverwaltungskorporation und staatlicher Verwaltungsbezirk. Dementsprechend versuchte vor allem Schlayer, die Gemeinderäte auf ihre exekutive Funktion festzulegen; solange sie - nach seiner Auffassung - noch vorwiegend ausführendes Organ wären, sei die Lebenslänglichkeit erstrebenswert. Ebenso betonte er den Charakter des Gemeinderates als Amt und nicht als Mandat der Bürgerschaft. In dem Maße, wie Fachbeamte entstünden und der Gemeinderat ebenso wie der Bürgerausschuß primär kontrollierendes Organ würde, sei eine periodische Wahl weniger problematisch. 12 Bei der Reform der Gemeindeverwaltung 1849 zeigte sich dann, daß die Liberalen noch immer das Modell ehrenamtlicher Verwaltungstätigkeit favorisierten. Statt einer Ausweitung der kommunalen Fachbürokratie zuzustimmen, versuchte man, den Gemeinderat durch die Bildung von Unterabteilungen sowohl in seiner nebenberuflichen Grundstruktur zu erhalten als auch den gesteigerten Tätigkeitserfordernissen anzupassen. 13

2. Die legislativen Ergänzungen zum Verwaltungsedikt In den Jahrzehnten nach 1819 wurde die Neuorganisation des Staates fortgesetzt und fand in verschiedenen Bereichen ihren legislativen Niederschlag. Außer der Einführung des Strafgesetzbuches von 1839 14 - eine Reform, die hier nicht erörtert werden soll - sind besonders drei Gesetzkomplexe zu nennen, die entweder die bisher übliche Praxis vereinheitlichten und fixierten oder auf eine sukzessive Umgestaltung hinzielten: Das Katastersteuersystem, das durch das Katastergesetz von 1821 seine endgültige Ausprägung erhielt und bis in die 1870er Jahre in fast unveränderter Weise bestand; die Gewerbeordnungen von 1828 und 1836, die die Zunftschranken allmählich lösten und zur allgemeinen Gewerbefreiheit 1861 führten; und schließlich die Bürgerrechtsgesetze von 1828 und 1833, durch 84 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die sowohl das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht als auch die Berechtigung zum Betrieb eines Gewerbes und auf Armenunterstützung formuliert wurden. Im Steuer- und Finanzsystem wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wie in der Verwaltung, weitgehend die Grundelemente der altwürttembergischen Verfassung auf den neuen Staat übertragen. Das württembergische Kernland kannte bereits seit langem die direkte Besteuerung im Realsteuersystem, das den Hauptertrag des Steueraufkommens lieferte. In den Reichsstädten dagegen variierte die Steuerstruktur erheblich; in Heilbronn stellten die indirekten Abgaben und die städtischen Einrichtungen, wie z. Β. Märkte, die größten Einnahmeposten; in U l m trugen die Vermögenssteuer und die indirekten Steuern mehr als die Hälfte des Kommunalhaushalts; in Rottweil wurde der reichsstädtische Haushalt zum überwiegenden Teil von den Abgaben der ländlichen Untertanen getragen. 15 In den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurde dann das Finanzsystem neu geregelt. Zu unterscheiden sind hierbei in Württemberg die staatlichen von den kommunalen Finanzen sowie die Deckung durch Eigenerträge von der durch Steuern. Die Verfassungsurkunde legte fest, »soweit der Ertrag des Kammerguts nicht zureicht, wird der Staatsbedarf durch Steuern bestritten«, wobei dem Landtag das Bewilligungsrecht zustand (§ 109). Die Erträge des Kammerguts stiegen von 6,7 Mill. Mark (1819/20) auf 9,7 Mill. Mark (1844/45) und deckten damit 4 2 , 8 % (1819/20) bzw. 54% (1844/45) des Gesamtbedarfs. Der absolute Ertrag des Kammerguts vergrößerte sich auch in der zweiten Jahrhunderthälfte, trotz der Ablösungsgesetzgebung erhöhten sich diese Staatseinnahmen auch nach 1875, da neue Finanzquellen wie die Erträge der in Württemberg staatseigenen Eisenbahnen dem Kammergut zugeschlagen wurden. Dem Anwachsen des absoluten Ertrages auf 30,2 Mill. Mark für das Rechnungsjahr 1899 entsprach jedoch ein Absinken der Deckungsquote auf 3 7 % ; der kontinuierlich anwachsende Staatsbedarf sprengte die traditionellen Finanzierungssysteme und führte zu einer Erhöhung des Steucranteils. 16 Die direkten Realsteuern gliederten sich in die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern (nach dem Katastergesetz vom 15. 7. 1821). Die Kapital- und Berufseinkommensteuern erzielten erst nach der Gesetzesrevision von 1848/49 einen nennenswerten Betrag. Die indirekten Steuern bestanden vor allem aus den Zolleinnahmen, Sportein, der Akzise und den Verbrauchsabgaben von Gaststätten. 17 Den Gemeinden standen zur Deckung ihres Finanzbedarfs der Ertrag des Gemeindevermögens und der »Kommunschaden« zu. 18 Der Kommunschaden - und analog der Amtsschaden, der jedoch in seinem Volumen stets weitaus geringer blieb - war ein Zuschlag auf die drei wichtigsten direkten Steuern, die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. Daneben floß den Gemeinden in der ersten Jahrhunderthälfte im wesentlichen nur noch der Ertrag der Bürger- und Beisitzsteuer sowie der Wohnsteuer zu. 19 Vor 85 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

allem durch den kommunalen Anteil, weniger durch den dem staatlichen Fiskus zustehenden Betrag, wurden die drei Realsteuern zur wichtigsten Finanzquelle der öffentlichen Haushalte im 19. Jahrhundert. 20 Tabelle 6:

Realsteueraufkommen 1831-1899 Direkte Steuern (Mill. Mark)

1831 1843 1869 1879 1899

(2) in % von (1)

Staat (1)

Korporationen (2)

(3)

Gesamteinnahmen des Staates (Mill. Mark) (4)

4,4 4,0 5,6 8,7 10,8

2,0 3,0 6,0 12,6 21,8

45,9% 87,8% 105,8% 143,5% 201,8%

17,4 21,3 35,1 35,9 85,0

(2) in % von (4)

11% 14% 17% 35% 26%

(5)

Erst als in der zweiten Jahrhunderthälfte im Gefolge von Industrialisierung und Urbanisierung die Aufgaben der Städte - besonders im Bereich der Infrastrukturmaßnahmen wie dem Ausbau des Verkehrswesens und der Wasser- und Energieversorgung - enorm anwuchsen, geriet das kommunale Finanzsystem an seine Grenzen. Diese Entwicklung führte aber erst 1903/05 zur Einführung einer generellen Einkommensteuer, die eine sowohl sektorale, d. h. stärkere Miteinbeziehung der industriellen Gewerbe, als auch eine soziale Umverteilung ermöglichte. Die staatliche Einkommensteuer belastete erstmals die nicht an Sachbesitz orientierten bzw. selbständigen Gewerbetreibenden in vergleichbarem Ausmaß. Dadurch wurden die mittelständischen Sozialgruppen, die im wesentlichen die Träger der Realsteuern gewesen waren, zuungunsten der neuen industriellen »Erwerbsklassen« entlastet. Vor allem die industriellen und landwirtschaftlichen Lohnarbeiter wurden nun erstmals durch direkte Steuern erfaßt, daneben aber auch die beamteten, freiberuflichen und angestellten höheren Einkommensgruppen verstärkt belastet. 21 Das Realsteuersystem wurde noch unter Friedrich in die Wege geleitet. Die 1807 gegründete »Steuerregulierungs-Kommission« entwarf für 1808 einen Steuerfuß, der die Grundlage für die weitere Katastergestaltung bildete. Der Verzicht auf eine allgemeine Einkommen- und Vermögensteuer begleitete die Einführung des Ertragsteuersystems. Die nun etablierte Realbesteuerung »erfaßt im Gegensatz zur Personalsteuer (oder Subjektsteuer) ein Objekt, welches eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zeigt oder vermuten läßt, wobei der Anteil des Subjekts an dieser Leistungsfähigkeit außer acht gelassen wird«. 2 2 Was heißt das konkret? Die Gesamtsumme der ausgeschriebenen Steuer 86 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wurde auf die drei Steuerquellen Grund und Boden, Gebäude und Gewerbetriebe verteilt, diese Teilsummen legte man ausschließlich auf die Oberämter und dann auf die Gemeinden um. Dort wurde die Einzelsumme jedes Objekts, d. h. jeder Bodenparzelle, jedes Hauses und jedes Gewerbebetriebes errechnet. Der jeweilige Einzelbetrag hing nun von der Katastersumme des Ortes ab (welche in allen drei Steuern den von der Gemeinde zu zahlenden Betrag bestimmte) als auch vom Katasteranschlag des einzelnen Objekts (woraus sich der relative Anteil an der Steuersumme des Ortes ergab). Die Steuersumme sollte sich am langfristigen, durchschnittlichen Reinertrag jedes Objekts orientieren, der Katasteransatz diesen Durchschnittswert wiedergeben. Bei der Grundsteuer orientierte man sich am Ertrag einer Parzelle, bei Gebäuden am Kapitalwert des Hauses. Die Gewerbesteuer wurde bestimmt durch die Zahl der beschäftigten Arbeitskräfte (Gesellen und Lehrlinge - das Katastergesetz orientierte sich am selbständigen Meister), den Kapitalwert des Betriebes und einen Standortmultiplikator, der ländliche Betriebe gegenüber städtischen begünstigte. 23 Im Katastergesetz vom 15. Juli 1821 wurden auch die Höhe und die Verteilung der Steuerbelastung geregelt. Man trennte die drei Steuern so auf:24 Grundeigentum und Gefälle 1700000 fl. = 17/24 = 70,8% 400000 fl. = 4/24 = 16,7% Gebäude 300 000 fl. = 3/24 = 12,5% Gewerbe Für die staatliche Finanzverwaltung brachte diese Praxis einen doppelten Vorteil. Zum einen war damit ein festes jährliches Steueraufkommen garantiert, da die Abgaben als Sollertragssteuern gefaßt waren, zum andern war der staatliche Verwaltungsaufwand gering, denn die eigentliche Arbeit der Verteilung und des Steuereinzugs war auf die Gemeinden und Amtskorporationen übertragen worden. Dieses System bewährte sich in den Jahrzehnten des Vormärz. An der Veränderung der Staatsschuld läßt sich die Effizienz des staatlichen Steuerwesens verfolgen. Zwar stieg die Verschuldung von 1820 bis 1829 von 20,8 Mill. fl. auf 29,1 Mill, fl., diese Erhöhung ist aber im wesentlichen auf die Übernahme von Schulden der neuwürttembergischen Gebiete zurückzuführen. Von 1829 bis 1845 sank die Staatsschuld dann wieder auf 20,8 Mill, fl. Parallel hierzu verringerte sich zwischen 1817 und 1823 der Umfang der Korporationsumlagen (Amts- und Gemeindeschäden) von 1,9 Mill. fl. auf 1,3 Mill. fl., was 1823 der Hälfte der direkten Staatssteuer entsprach. Bis 1843 stieg die Summe der Korporationsumlagen dann wieder auf 1,8 Mill. fl. an. Gleichzeitig verringerten sich die staatlichen und kommunalen Steuerrückstände erheblich. 25 Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte zeigte sich am Anstieg der öffentlichen Schulden die Krise, in die das auf die Realsteuern aufbauende Finanzwesen geriet. Seit der Mitte der 40er Jahre 87 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

stieg die Staatsschuld unaufhörlich an, bis sie 1913 einen Stand von 652,9 Mill. Mark (379,6 Mill. fl.) erreichte - wovon 633,4 Mill. Mark (368,3 Mill. fl.) auf die Eisenbahnschuld (97%) entfielen. 26 War es der zu einem großen Teil staatlich finanzierte Eisenbahnbau, der das Haushaltssystem des württembergischen Staates sprengte, gerieten die Gemeinden, und hier vor allem die großen Städte, durch den Aufbau der kommunalen Infrastruktur an die Grenze der finanziellen Möglichkeiten des Realsteuersystems. 27 Bis dahin zeigte sich jedoch über Jahrzehnte hinweg die Stabilität des württembergischen Steuerwesens, das auf zwei Grundelementen aufbaute. Zum einen der Gemeinde als Organisationsrahmen. Als wichtigste direkte Steuer wurden die Grund-, Gebäude- und Gewerbeabgaben vom Finanzministerium über die Oberämter auf die Gemeinden umgelegt, wo - mit Hilfe der Gemeindepfleger und Teilrechner als kommunalen Ehrenbeamten 28 - der eigentliche Steuereinzug erfolgte. Gleichzeitig ergänzten die Kommunen ihren eigenen Haushalt ebenfalls durch das Realsteuersystem, indem der Gemeindeschaden als Zuschlag zu den Staatssteuern erhoben wurde. Bildete der Gemeindeverband die wichtigste Einheit des Steuereinzugs, lag der Verteilung des Steueraufkommens das Modell des ökonomisch selbständigen Bürgers 2 9 zugrunde. Realsteuern konnten als gleichmäßige und gerechte Abgabenerhebung gelten, solange die ökonomischen Differenzierungen im Gefolge der Industrialisierung noch keine beträchtlichen Verschiebungen der Besitzstrukturen bewirkt hatten. Die Grundsteuer als wichtigste Realsteuer mit einem Anteil von 7 0 % blieb in dem Maße Grundlage der Erhebung, wie über die Verteilung von Grund und Boden auf annähernd 9 0 % der Bevölkerung 30 der Anspruch der Allgemeinheit der Besteuerung einlösbar schien. Die Erfassung von Einkommen blieb begrenzt auf staatliche und korporative Beamte sowie Akademiker und einzelne Angestelltengruppen, während »Feldarbeiter, Dienstboten, Lohnbediente« von der Gewerbesteuer ausgenommen wurden. 3 1 »Keinem Staatsbürger, welcher die durch das Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt hat, kann die Ausübung des hierdurch bedingten Gewerbes untersagt werden.« Mit der »Allgemeinen Gewerbeordnung« vom 22. April 1828 wurde in Württemberg erstmals eine einheitliche gesetzliche Regelung erlassen, die in ihren Grundzügen bis 1861 Bestand hatte. Die ›Revidierte allgemeine Gewerbeordnung‹ vom 5. August 1836 brachte nur geringfügige Änderungen, eine weitergehende Revision scheiterte an den Spannungen zwischen traditionellen und modernisierungswilligen Kräften. 32 Die Gewerbeordnung vereinheitlichte in zweifacher Hinsicht. Sie faßte unterschiedliche lokale und gewerbliche Bestimmungen in den einzelnen Landesteilen zusammen und schuf damit ein gleiches württembergisches Recht. Andrerseits sollten die »Zunft- und Gewerbeeinrichtungen . . . mit den Bedürfnissen der Zeit in nähere Übereinstimmung« 3 3 gesetzt werden. 88 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Die Regierung plante damit die Entwicklung zu mehr Gewerbefreiheit. Eine grundsätzliche Lösung aller Beschränkungen stand noch nicht zur Debatte - sieht man einmal von Ausnahmen wie M . Mohl ab. Bei einem derart radikalen Einschnitt befürchtete man allgemein eine tiefgreifende Krise des Handwerks. Zudem war nicht nur im liberalen Lager die Hoffnung verbreitet, daß nach einer vorgenommenen Lockerung »das altertümliche Gebilde der Zünfte im unaufhaltsamen Strome der Zeit untergehen« werde. Für die Regierung stellte sich damit das Problem, wie es der Innenminister v. Schmidlin bei der Übergabe des Gesetzentwurfes an die Kammer formulierte, eine »möglichst richtige Grenze zwischen der natürlichen Freiheit und der bürgerlichen Ordnung aufzufinden«. 34 Der Versuch einer Vermittlung von Zunftverfassung und moderner kapitalistischer Industrieproduktion prägte den ambivalenten Charakter des Gesetzes. 44 Gewerbe blieben zünftig, darunter alle Massengewerbe, 13 ehemals zünftige wurden zu unzünftigen erklärt und von speziellen Einschränkungen befreit. Der Großhandel und Fabriken waren nur an eine staatliche Konzession zur Betriebseröffnung gebunden — um »nicht einen neuen Schleichweg zum Meisterrecht zu eröffnen« - , sonst aber ebenfalls von gesonderten Regelungen befreit. 35 Für zünftige Gewerbe wurde festgelegt, daß der zünftige Meister künftig auch nicht zünftige Gewerbe betreiben durfte. Außerdem wurden ihm keine quantitativen Beschränkungen, weder in bezug auf die Zahl der bei ihm beschäftigten Lehrlinge, Gesellen und Gehilfen noch auf die Menge der von ihm produzierten Güter, auferlegt. Schließlich mußte er bei Bestehen der Meisterprüfung in die Zunft aufgenommen werden. Für das Zunftwesen selber wurde ein ausgeklügeltes Organisationssystem mit Beitragszahlung, Vorstand, Zunftobmännern, Strafbefugnissen usw. entworfen. 36 Der Charakter der Zünfte, der früher ständisch-korporativ geprägt war, wandelte sich allmählich zum Erscheinungsbild »öffentlich-rechtlicher Korporationen, denen Aufgaben der staatlichen Verwaltungsorgane übertragen sind«. 37 Analog zur Gemeindeverfassung war auch hier das Ineinandergreifen von Selbstverwaltung und staatlicher Verwaltung bestimmt. Der Autonomie des Bürgers auf kommunaler Ebene entsprach im gewerblichen Bereich nach den Gesetzen und staatlichen Verordnungen sowie unter Aufsicht und Kontrolle der Regierungsbürokratie die Selbstorganisation im Zunftverein, dessen Gründung und weitere Tätigkeit der Überwachung der Oberamtsbehörden anvertraut war. Diese hatten zudem direkten Einfluß auf die Zunftvereine, indem sie den geschäftsführenden Obmann ernannten, ohne daß den Zünften ein formales Mitspracherecht zukam. 3 8 Schon bald regte sich Widerspruch gegen die neu erlassene Ordnung; vor allem seit 1833, als auch das Bürgerrechtsgesetz revidiert wurde, richteten sich viele Petitionen und Adressen an den Landtag. Von den im Sommer 1833 beim Landtag eingehenden 118 Petitionen, die meist aus Handwerkerkreisen stammten, sprach sich die überwiegende Mehrzahl für einen ver89 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

stärkten Schutz der seßhaften Gewerbe, d. h. des Handwerks, aus. 39 Angesichts des weit verbreiteten Widerstands ist es nicht verwunderlich, daß bei der Revision des Gesetzwerkes 1836 nur geringfügige Änderungen in Richtung auf eine weitere Liberalisierung vorgenommen wurden. Bezüglich der unzünftigen Gewerbe blieb alles beim alten, bei den zünftigen Gewerben wurde die Unterstützungspflicht gegenüber wandernden Gesellen eingeschränkt, gleichzeitig wurden aber erstmals auch die Fabrikanten zu Beitragszahlungen für die Unterstützung der Wandergesellen verpflichtet - eine vermutlich eher symbolische Verpflichtung zur Wahrung des sozialen Friedens. Zunftvereine konnten nun auch gewerbeübergreifend organisiert werden, nicht mehr jedes Handwerk mußte einen eigenen Verein gründen, was den Einfluß und das Durchsetzungsvermögen der Korporationen stärkte. Dem Handwerksmeister konnte bei einem Wechsel seines Wohnsitzes eine erneute Zunftgebühr abverlangt werden. Damit sollte die Niederlassungsfreiheit, die rechtlich bestand, finanziell eingegrenzt und die Mobilität des einzelnen begrenzt werden. Derartige Maßnahmen wurden immer wieder gefordert, um der drohenden Überfüllung der Gewerbe vorzubeugen. Der größte Erfolg der Petenten war die Einführung eines beschränkten Meisterrechts, mit dem einerseits das Bemühen des Gesetzgebers, zu einheitlichen Bestimmungen zu gelangen, unterlaufen wurde, andrerseits wiederum spezifische, eng umgrenzte Tätigkeitsfelder und Berufe geschaffen wurden. 4 0 Die Hauptaufgabe der Zünfte sollte im Schutz vor übermäßiger Konkurrenz bestehen. Die Regierung verstand hierunter den Wettbewerb zu vieler Handwerker untereinander, nicht so sehr die Konfrontation zwischen größeren und kleineren Betrieben. Die mengenmäßige Begrenzung der Zahl der Handwerker schien dringender zu sein als die Abwehr von Konzentrationstendenzen. Auch in der Kritik der Zeitgenossen stand dieses Moment an erster Stelle und die Übersetzung der Handwerke galt als größte Gefahr. 41 Durch die Koppelung von Gewerbeberechtigung und bürgerlichem Niederlassungsrecht versuchte man, die zahlenmäßige Begrenzung der Gewerbetreibenden »vor Ort« zu erreichen, was zu einer Verflechtung von ökonomischen, sozialen und politischen Konflikten auf der Gemeindeebene führte. Deshalb scheiterten auch die Versuche zur »Entfesselung der Gesellschaft« (Koselleck) im Landtag, obwohl sich ministerielle Bürokratie und liberale Opposition in diesem Ziel weiterhin einig waren. Anders als etwa in Baden unterstützte nur ein Teil der liberalen Kammerabgeordneten die Zunftforderungen des Handwerks; Albert Schott, einer der führenden Köpfe der Liberalen, forderte seit 1821 erfolglos den Übergang zur Gewerbefreiheit. Die mittelständische Prägung des Liberalismus war mit diesem Modernisierungsverlangen zu vereinbaren, da nur ein geringer Teil der Liberalen von einer derartigen Reform eine soziale Polarisierung befürchtete. Angesichts des Widerstands in breiten Schichten der Bevölkerung, der sich schon bei der zurückhaltenden Libera90 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

lisierung von 1828 regte, unterblieb eine weitergehende Auflösung der Beschränkungen. 42 In diesen Auseinandersetzungen wurde immer wieder »die Suche nach einem Mittelweg zwischen der vollständigen Restauration des traditionellen Zunftwesens und der Gewerbefreiheit« deutlich. Stimmen, die sich eindeutig für die Beibehaltung bzw. Rückkehr zu verstärkter Zunftverfassung aussprachen, blieben ebenso selten wie Forderungen nach der Einführung der vollen Gewerbefreiheit ohne flankierende, absichernde Maßnahmen. Zweifellos waren große Teile des Handwerks an Arbeitsmarktregulierung interessiert - man kann jedoch nicht ohne weiteres das Handwerk mit Zunft-Vorstellungen gleichsetzen. 43 Als gemeinsames Element der Diskussion jener Jahre läßt sich folgende Position herausfiltern: In breiten Kreisen war die Zunftverfassung nicht mehr conditio sine qua non der wirtschaftspolitischen Konzeptionen. An ihre Stelle trat der Begriff der »Organisation der Gewerbe«, wobei Organisation oder Assoziation als freiwilliger Zusammenschluß der Gewerbetreibenden gemeint war. In pointierter Form vertrat F. Nägele, Schlossermeister aus Murrhardt, später Paulskirchenabgeordneter und Landtagsmitglied, den Standpunkt der freiwilligen Organisation. Nägeles Stellungnahme wurde von ihm im April und Mai 1847 im »Beobachter«, der linksliberalen Tageszeitung, veröffentlicht. 44 In seinen »Ansichten eines zünftigen Handwerkers über Gewerbefreiheit und Zunftzwang« sprach er sich eindeutig für die sofortige Einführung der Gewerbefreiheit aus. Zwar seien »Fabrik und Maschinenwesen« der »Hauptfeind« des Handwerks, die Gewerbefreiheit sei jedoch gleichzeitig das Mittel, diesen Gegner zu bekämpfen. Durch Beseitigung der hemmenden Zunftschranken könne man als Gegenmittel die Arbeit neu verteilen, das Handwerk könnte ebenfalls die industrielle Produktionsweise übernehmen - wenn es »freiwillige Vereinigungen zu diesem Zwecke« eingehe. Das war der entscheidende Punkt. Nägele wollte die obligatorischen Zunftorganisationen aufgeben, um an ihrer Stelle selbständige, freie Korporationen entstehen zu lassen. »Die Gewerbefreiheit wird endlich dem Handwerker auf handgreifliche Weise den Nutzen der Vereinigung mit andern beweisen.« Ohne staatliche Unterstützung konnte aber auch er sich die Selbstorganisation der gewerbetreibenden Bürger nicht mehr vorstellen, rechtliche und finanzielle Absicherung wurde von ihm gefordert. 45 Nägele plädierte für die Freiheit der Gewerbe, aber nicht uneingeschränkt für die Freizügigkeit der Gewerbetreibenden. Wer einmal das Bürgerrecht erlangt hatte, sollte ohne gesonderten Qualifikationsnachweis von einem Gewerbe zu einem andern wechseln können. Neben der beruflichen hatte aber die regionale Mobilität keinen Platz. Die Rechte der Gemeinden in bezug auf Bürgeraufnahmen sollten erweitert werden - »so lange der Staat nicht die Armenunterstützung auf sich nimmt«. Das nach württembergischem Bürgerrecht bei Notfällen dem einzelnen zustehende 91 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Recht auf Versorgung durch die Gemeinde, in der er das Bürger- oder Beisitzrecht besaß, bürdete den Gemeinden - und damit den steuerpflichtigen Gemeindebürgern - das finanzielle Risiko dieser sozialpolitischen Absicherung auf. Der Gleichheitsanspruch, den der einzelne als Staatsbürger hatte, und das Recht auf Gewerbeausübung in Artikel 3 der Gewerbeordnung gerieten hier mit den Privilegien und Sonderrechten in Konflikt, die den Gemeindebürgern im Rahmen der Kommunalverfassung zustanden. Die tieferliegende Gefahr einer weitergehenden wirtschaftlichen Liberalisierung sah Innenminister Schlayer 1835 im Landtag bei der Beratung der revidierten Gewerbeordnung voraus. Es könne »nicht verkannt werden, daß auf diese Weise der Verband des Gemeindebürgertums seine wahre Bedeutung verlöre«. 46 Drittens schließlich wurden seit den 1820er Jahren die Bürgerrechte durch staatliche Integrationsbemühungen vereinheitlicht und rechtlich kodifiziert. Wie beim Steuerwesen und der Gewerbeordnung wurde auch hier in starkem Maße auf die altwürttembergische Tradition zurückgegriffen, die im einzelnen durch neue, im Rahmen des Staatsbildungsprozesses notwendige Elemente ergänzt wurde. Die frühzeitige Durchsetzung des personalen Gemeindebürgerrechts hatte im Herzogtum, zusammen mit der Realteilung, zu einer im Vergleich mit anderen Regionen fortgeschrittenen Angleichung rechtlicher und sozialer Unterschiede geführt. 47 Trotzdem bestanden am Ende des 18. Jahrhunderts noch drei Abstufungen innerhalb des Gemeindeverbandes, es gab Bürger, Beisitzer und Schutzverwandte. Die letzten hatten in der Regel als Mitglieder sozialer Randgruppen und Unterschichten in den Gemeinden meist nur den Status von Geduldeten. Sie waren aufenthaltsberechtigt, hatten wie die Bürger eine Wohnsteuer zu entrichten und mußten an den Fronen teilnehmen. Die Bürger und Beisitzer hatten dagegen drei Rechtstitel. Das Heimatrecht gewährte beiden das Wohnrecht innerhalb der Gemeinde und den Anspruch auf Armenfürsorge durch die Gemeinde, es erlaubte außerdem die Ausübung eines zünftigen (für Beisitzer nur unzünftigen) Gewerbes. Beide Gruppen mußten die Bürgersteuer zahlen, die schon seit der Kommunordnung von 1758 faktisch eine Personalsteuer aller Einwohner war. Die Bürger waren durch Rechtsansprüche an den Gemeindenutzungen beteiligt, die Beisitzer meist durch Übereinkommen. Der hervorstechendste Unterschied zwischen beiden war das Bürgerrecht im engeren Sinn. Den Beisitzern waren alle politischen Rechte entzogen. Diese standen nur den Aktivbürgern zu, d. h. den im Gemeindebezirk selbständig auf eigene Rechnung lebenden männlichen Volljährigen über 25 Jahren. Erworben wurde das Bürgerrecht durch Geburt oder Aufnahme in die Gemeinde; der betreffende Kandidat mußte einen Vermögensnachweis erbringen, eine Aufnahmegebühr entrichten und kein von Übersetzung bedrohtes Gewerbe betreiben. 48 Hervorzuheben ist noch, daß in Altwürt92 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

temberg das Heimat- wie das Bürgerrecht nur von Nichtadligen erworben werden durfte, die außerdem der evangelischen Landeskirche angehören mußten. Im Zuge der staatlichen Integrationsbemühungen nach 1803 erfolgten nicht nur Eingriffe in die Gemeindeautonomie, gleichzeitig wurde das Staatsbürgerprinzip gegenüber den kommunalen Privilegien und Abgrenzungen aufgewertet. Mit dem Religionsedikt vom 15. Oktober 1806 wurden die drei christlichen Konfessionen (lutherisch, reformiert, katholisch) gleichgestellt. Das Generalreskript vom 1. Oktober 1807 führte die uneingeschränkte Freiheit der Eheschließung ein, und mit dem Reskript vom 6. Juli 1812 wurden schließlich alle Landeseinwohner Gemeindemitglieder - was den Anspruch auf Armenunterstützung bedeutete - sowie Bürger und Beisitzer weitgehend gleichgestellt. Sie erhielten die gleichen persönlichen Rechte, nur bei den kommunalen Nutzungsrechten erfolgte keine Nivellierung der Unterschiede. 49 Der erste Schub staatsbürgerlicher Egalisierung unter dem absolutistischen Regime Friedrichs wurde in den Anfangsjahren der nachfolgenden konstitutionellen Regierung Wilhelms modifiziert und teilweise rückgängig gemacht, bis er sich dann in einem über das gesamte 19. Jahrhundert erstreckenden allmählichen Auflösungsprozeß des traditionellen Kommunalverbandes doch noch durchsetzte. 50 Die erste Etappe dieses Prozesses stellte das Bürgerrechtsgesetz vom 15. April 1828 dar, das keine grundlegenden Neuerungen brachte, sondern den bestehenden Zustand fixierte und in einen allgemeinen gesetzlichen Rahmen überführte. Nach dem Gesetz von 1828 war der Begriff des Staatsbürgers dem des Gemeindebürgers übergeordnet. Man mußte zuerst Staatsbürger sein, um Gemeindebürger werden zu können, andrerseits mußte jeder Staatsbürger Gemeindebürger werden 50 - jedoch mit bezeichnenden Ausnahmen. Adlige Personen und bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits im Dienst stehende Beamte konnten selber entscheiden, ob sie sich einem Gemeindeverband zuordneten; Personen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Staatsdienst eintraten, mußten ebenfalls das Bürgerrecht besitzen. 51 Die Beamten als Staatsdiener waren der Tendenz nach staatlich exemt - wenn man die Gemeinden, gemäß der württembergischen Verfassung (§ 62), als »Grundlagen des Staates« versteht. Das Bemühen der Regierung um eine unabhängige, von den traditionellen bürgerlichen Führungsgruppen getrennte Beamtenschaft war an dieser rechtlichen Sonderstellung sicher mitbeteiligt. 52 Der Dominanz des Gemeindebürgerprinzips über das Postulat der Gleichheit aller Staatsbürger, wie es in § 21 der Verfassungsurkunde von 1819 formuliert wird, offenbart auch die Regelung des Wahlrechts. Voraussetzung für das aktive Wahlrecht bei den Landtagswahlen war das Gemeindebürgerrecht, das passive Wahlrecht zum Landtag war davon nicht betroffen. Von dieser Regelung der Wählbarkeit profitierten insbesondere die Beamten, die einen hohen Prozentsatz der Kammerabgeordneten stellten, 93 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

ohne daß sie in den Gemeinden das Bürgerrecht besitzen mußten - und meist auch nicht besaßen. Die politischen Mitsprachemöglichkeiten im Landtag und bei den Kommunalwahlen waren neben der für Bürger weiterhin bestehenden generellen Teilhabe an den Gemeindenutzungen - die Beisitzer hatten oft durch lokale Übereinkunft ebenfalls Anspruch d a r a u f - die einzigen Erweiterungen des Bürgerrechts gegenüber dem Beisitz- oder Heimatrecht. Sowohl Bürger- als auch Heimatrecht waren unabhängig von Grundbesitz in der betreffenden Gemeinde. Man erwarb die Gemeindezugehörigkeit durch Geburt, Aufnahme gegen entsprechende Gebühr oder Zuteilung. Letztere berechtigte aber nur zum Beisitzrecht; mit dieser Maßnahme wurden jene »Heimatlosen«, die im Pauperismus des Vormärz immer zahlreicher wurden, mit allen Pflichten und vor allem Rechten den Gemeinden im wahrsten Sinne des Wortes zugeschoben. 53 Aus dem Ineinandergreifen von kommunaler Fürsorgepflicht und staatlichem Zuteilungs- und Aufnahmereglement wurde seit 1828 ein permanenter Konfliktherd zwischen Vertretern der Gemeinden und der Regierung. Durch das Heimatrecht erhielt der einzelne die Erlaubnis, sich in einer Gemeinde niederzulassen, dort - gemäß den Bestimmungen der Gewerbeordnung - ein Gewerbe auszuüben und schließlich das Anrecht auf Armenunterstützung. Gewerbetätigkeit und Armenfürsorge berührten aber die finanziellen Interessen der Gemeinde, also der Gemeindesteuerzahler, direkt. Die Gemeindevertreter fürchteten eine Übersetzung des Handwerks und damit ein Anwachsen von Gemeindeangehörigen ohne Arbeitsmöglichkeit, die dann von der Gemeinde versorgt werden mußten. Aus diesem Grund protestierten sie gegen das Bürgerrechtsgesetz, das den Gemeinden auferlegte, bei Erfüllung bestimmter Kriterien die Aufnahme zu gewähren. Der Betreffende mußte das Meisterrecht (eines zünftigen Gewerbes) besitzen und über ein Vermögen von mindestens 400 fl. verfügen. 54 Gleichzeitig ermöglichte das Heimatrecht, sich in jeder anderen Gemeinde Württembergs niederzulassen und dort ein unzünftiges Gewerbe auszuüben. Zweierlei verbitterte die Gemeinden besonders. Zum einen, daß ihnen durch staatliche Normen die Kontrolle über Bürgeraufnahmen entzogen worden war. In einer Petition an den Landtag von 1828 äußerten sich Stadtrat und Bürgerausschuß von Ulm. Wenn eine Gemeinde jeden aufnehmen müsse, der ein bestimmtes Vermögen besitze, »dann besteht die verfassungsmäßige Bestimmung nicht mehr: die Gemeinde habe ihren Mitbürger aufzunehmen; der Staat hat ihn aufgenommen«. 55 Die daraus folgende Konsequenz, daß dann auch der Staat die aus der Aufnahme resultierenden Kosten übernehmen müsse, wurde zwar angedeutet, aber nicht ausgesprochen. Zum andern verärgerte die Gemeinden, und hier besonders die Städte, daß man über das Heimatrecht das Niederlassungsrecht in jedem beliebigen Ort erhielt. Der Ulmer Oberbürgermeister 94 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

v. Wolbach drückte es 1832 drastisch aus. »So geschieht es häufig, daß sich Bauernknechte und Bauernmägde als eigentliche Dienstboten in hiesiger Stadt häuslich niederlassen, bloß auf den Grund, daß sie in irgend einem Dorfe ihre Heimat (das Heimatrecht, Μ. Η.) haben«. In der Stadt genieße man die meisten Vorteile des Gemeindeverbandes bereits als Einwohner, wodurch für den einzelnen kein Anreiz entstehe, sich als Bürger einzukaufen - womit die Gemeindebürger die kommunalen Einrichtungen für die Gemeindeeinwohner finanziell mittrugen. Schließlich forderte v. Wolbach wie viele Gemeindevertreter das Niederlassungsrecht wieder an den Erwerb des Heimatrechts am jeweiligen Ort anzubinden und die Befugnis zur Bürgerrechtsverleihung der Gemeindeobrigkeit zurückzugeben. 56 Die Proteste in der Öffentlichkeit und im Landtag bewirkten bei der Revision des Bürgerrechtsgesetzes 1833 eine Stärkung der kommunalen Einflußmöglichkeiten. Die Aufnahmekriterien wurden durch eine Erhöhung des Vermögensnachweises verschärft; ebenso die Aufenthaltsvoraussetzungen, indem die Gemeinden das Recht erhielten, die Niederlassung zu verweigern, wenn der Betreffende innerhalb der letzten drei Jahre auf Armenunterstützung angewiesen war. Schließlich wurde auch die 1807 eingeführte Verehelichungsfreiheit modifiziert, die Gemeinden erlangten erstmals im Königreich Württemberg direkten Zugriff auf die Eheschließung. »Wenn der Nahrungsstand des Beteiligten nicht offenkundig gesichert« war, konnten Schultheiß und Gemeinderat die beabsichtigte Verbindung verhindern. 57 Aber auch nach der Revision des Bürgerrechtsgesetzes verstummten die Klagen der Gemeinden nicht. Als die Regierung im April 1847 Immediatkommissare in die einzelnen Oberämter entsandte, um über die Klagen der Bevölkerung Bericht zu erstatten, wurde in großer Übereinstimmung das Bürgerrechtsgesetz als eine Ursache der Not erwähnt. 58 Individuelle Not und kommunale Belastung waren in der Regelung der Armenfürsorge 59 untrennbar miteinander verbunden. Empfänger von Armenunterstützung waren seit 1830 etwa 2 % der Bevölkerung, ihre Zahl stieg bis in die 50er Jahre fast kontinuierlich an, mit einem beträchtlichen Wachstumsschub 1847, als der Anteil der Unterstützten auf etwa 3,4% stieg. 60 Die Armenfürsorge war, entsprechend dem Verwaltungsaufbau des Staates, lokal, regional und zentral gegliedert. Auf jeder Ebene bestand ein Neben- und Miteinander von staatlichen Behörden, kirchlichen Organen und privaten Vereinen. Die Hauptlast trugen dabei die Gemeinden, die immer dann eingreifen mußten, wenn die lokalen kirchlichen, korporativen und privaten Stiftungen mit ihren Erträgen nicht ausreichten. Mit der Gründung des Wohltätigkeitsvereins begann der staatliche Einfluß größer zu werden. In den ersten Jahrzehnten beschränkte sich diese einzige zentrale Institution aber auf Anregungen zur Gründung von Lokalvereinen und auf eine administrative Koordination einzelner Bestrebungen. Die »Centralleitung« des Wohltätigkeitsvereins als höchstes Gremium - das ausschließlich von 95 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

ehrenamtlichen Mitarbeitern geführt wurde - bemühte sich zudem um eine Vereinheitlichung des Armenwesens. 6 1 Der staatliche Einfluß wuchs aber schrittweise an, als 1873 die Einführung des »Unterstützungswohnsitz«Prinzips auf Grund der Reichsgesetzgebung von 1870 und die Gründung von Ortsarmen- und Landarmenverbänden eine Umverteilung der Kosten ermöglichten. Der finanzielle Aufwand wurde nun durch die Kreisumlagen getragen, er war also nicht mehr lokal gebunden und damit den staatlichen Steuern vergleichbar. Aber noch um die Jahrhundertwende wurde geklagt, daß die »Aufbringung der Mittel für die Versorgung jener Armut . . . in fast kommunistischer Weise den öffentlichen Selbstverwaltungskörpern auferlegt« sei. 62

3. Reformen innerhalb der Bürokratie Die Zahl der im öffentlichen Dienst Beschäftigten - der Begriff muß für diese Zeit im weitesten Sinn des Wortes gebraucht werden - sank zwischen 1816 und 1821 von 68333 auf 53849. Dieser Rückgang ist praktisch allein auf eine Verringerung des Militärpersonals von 34 138 auf 19038 zurückzuführen. Die Zahl der im eigentlichen Verwaltungsdienst Tätigen blieb relativ konstant, der Anteil der in staatlichen, kommunalen und adligen Diensten Stehenden verringerte sich auch untereinander nur wenig. Tabelle 7:

Beschäftigte bei Staat und Gemeinden 1816-1821 63 1816

»Öffentlicher Dienst« insgesamt staatlicher Anteil kommunaler Anteil adliger Anteil Militär

68333 10565 21 703 1927 34 138

15% 32% 3% 50%

1821 53849 9986 22933 1892 19038

19% 42% 4% 35%

Vergleicht man die Gesamtzahl von 1821 mit den Schmollerschen Schätzungen für die Zahl der Gewerbetreibenden für 1822 von 107794, entfielen von drei nicht in der Landwirtschaft Beschäftigten einer auf den Bereich Militär, Verwaltung etc. Angesichts der Fragwürdigkeit der Gewerbedaten von 1822 erscheint es jedoch sinnvoller, die Angaben mit der Zahl der männlichen Erwachsenen zu vergleichen. Von den 422415 männlichen Erwachsenen waren dann 1 3 % im »öffentlichen Dienst« tätig, 5 % als kommunale Bedienstete und 2 % im Zivilstaatsdienst. 64 Dieses enorme Potential an Kanzlisten, Schreibern, Aktuaren, Richtern und Beamten erklärt sicher viel von der in Württemberg immer latent 96 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vorhandenen und oft virulent zutage tretenden Kritik am Verwaltungswesen. Der Unwillen gegenüber dem Regierungsapparat, den Staatsdienern, dem »Papierregiment« und der »Vielschreiberei« hatte nicht nur Tradition, sondern auch eine - zumindest quantitative - Grundlage. Der Kern dieser Kritik war gegen die »Schreiber« gerichtet - gleichsam als Synonym für übermäßigen Verwaltungsaufwand in Württemberg. Am Ende des 18. Jahrhunderts gab es etwa 7-800 Schreiber in Altwürttemberg. Ihre relative Zahl sank zwar in den folgenden Jahrzehnten dank der intensiven Bemühungen der Regierung, aber 1821, kurz vor der endgültigen Auflösung dieser Einrichtung, gab es noch rund 800 Schreiber. 65 Tabelle 8:

Schreibereibezirke und Gehilfenzahl 1821

Schreibereibezirke davon mit Amtsverwesern besetzt Zahl der Gehilfen Zahl der Gehilfen pro Schreiberei Bevölkerungszahl pro Schreibereibezirk

Ν

S

J

D

67

45

36

36

184

14 217

11 150

13 133

9 113

47 613

3,2 5791

3,3 8406

3,7 8878

3,1 9328

Württemberg

3,3 7727

Ν Neckarkreis, S Schwarzwaldkreis, J Jagstkreis, D Donaukreis Seit der neuwürttembergischen Zeit wurden freiwerdende Schreibereien nur noch mit Amtsverwesern besetzt. Im Schnitt kamen vier bis fünf Schreiber auf etwa 8000 Einwohner, d. h. in einem Oberamt waren etwa 15 dieser Verwaltungspersonen. Die Kosten (Gebühren für Inventuren und Teilungen, für Steuer-, Rechnungs- und Pflegegeschäfte, zusätzliches Entgelt von Korporationen und Privatleuten) variierten regional. Im Neckarkreis, dem altwürttembergischen Kernland, lagen sie bezeichnenderweise am höchsten. Sie unterschieden sich aber auch nach der Struktur der Schreiberei; Amtsverweser, die einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterlagen, waren kostengünstiger als Schreiber, die ungestörter Gebühren kassieren konnten. Diese Zahlen zeigen auch, daß die Maßnahmen der Regierung den Unmut über das Schreiberwesen zwar nicht beheben, aber doch das Ausmaß verringern konnten. Betrachtet man die Einkommen der einzelnen Schreiber - die Amtsverweser und die Gehilfen bleiben hier ausgespart - zeigt sich, wie lukrativ diese Tätigkeit war. Ihr Verdienst lag öfter über dem der wichtigsten staatlichen Beamten im Bezirk. Oberamtmänner bekamen bis zu 1600 fl. Einzelne 97 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Schreiber übertrafen sogar die Gehälter von Oberregierungsräten und Kreisdirektoren, die bis zu 2500 fl. erhielten. Nach ihrem Verdienst lassen sich die Schreiber in drei Gruppen unterteilen. Im Neckarkreis etwa gab es 15, deren Schreibereien mehr als 1000 fl. einbrachten, durchschnittlich 2399 fl. pro Inhaber. Zweitens gab es eine mittlere Gruppe von 26 Schreibern, deren Schreibereien weniger als 1000 fl. erzielten, die mit Nebeneinkommen aber ein Durchschnittseinkommen von 1036 fl. hatten (615 fl. aus der Schreiberei, 421 fl. aus bürokratischen Nebentätigkeiten). Drittens gab es 8 Schreiber mit einem Einkommen unter 1000 fl., sie nahmen im Schnitt nur 521 fl. ein. Hier dürften einige die Schreiberei nur als Nebenerwerb zu einem agrarischen oder gewerblichen Beruf ausgeübt haben. 66 Aus mehreren Gründen wandte sich die Regierung gegen die Institution der Schreibereien und betrieb ihre Auflösung. Einerseits wurden die Schreiber als Hemmnis für eine effiziente, rationale Verwaltung angesehen, auch die weit verbreitete Kritik am »Schreiberunwesen« bewies das. 67 Andrerseits standen sie der Durchsetzung eines zentralisierten, hierarchisch strukturierten Verwaltungsapparates im Weg, waren sie Residuen lokaler wie altständischer Autonomie-Ansprüche. Ähnlich wie die Stiftungsverwaltungen 68 mußten deshalb auch die Schreibereien dem neuen Behördenaufbau weichen. Nach 1807 wurden der staatliche Zugriff auf den Einsatz der Schreiber verstärkt und bestimmte Aufgaben an staatliche Beamte, die Kommunrechnungsrevisoren, übertragen. 1816 wurde, auch auf den Druck der Landstände hin, eine Kommission zur Reform des Schreibereiwesens eingesetzt. Der Arbeit dieser Kommission vorgreifend ergingen dann im Sommer 1817 einige ministerielle Verfügungen, die bestimmte Tätigkeiten der Schreiber vereinfachen und den Schreibumfang verringern sollten. Schließlich wurde die Aufgabe der endgültigen Regelung der Organisations-Vollziehungs-Kommission unter Maucler übertragen. Hier wurde nicht nur die Verteilung der Schreiberaufgaben auf mehrere neu zu schaffende Beamtentypen vorbereitet, sondern auch die Entschädigung der Schreiber geregelt. Auch wenn die Schreiber in den Staatsdienst übernommen wurden, verblieb ihnen doch ein Anspruch auf Erstattung der nun verringerten Einkünfte. Eine Maßnahme, die - ähnlich wie die Übernahme aller ständischen Beamten nach 1805 - zwar nicht den Staatshaushalt entlastete, dafür aber garantierte, daß kein Potential an unzufriedenen, politische Sprengkraft entwickelnden Anhängern des altwürttembergischen Systems entstand. 69 Mit einem Erlaß vom 26. April 1826 wurden die Schreibereien als Institutionen schließlich endgültig aufgelöst, Schreiber als Kanzleipersonal gab es natürlich weiterhin, aber nur noch in abhängigen Stellungen. Die Aufgaben der Schreibereien wurden nun auf den Oberamtsaktuar, den Oberamtsgerichtsaktuar und den Aktuar der Amtsversammlung übertragen; dieser durfte nicht in Personalunion Oberamtsaktuar sein, weil das 98 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Tabelle 9:

Einkommen der Schreiber und Kosten für die Bevölkerung 1821 70 Ν S D Württemberg J

nur Schreibereieinkommen Zahl der Stellen Schreibereieinkommen und Nebeneinkommen Zahl der Stellen Schreiber mit einem Einkommen unter 1000 fl. Kosten je Einwohner (in kr.) Schreibereien Schreibereien mit Amtsverwesern

1 746 23

1 485 24

1 664 16

1910 14

1 677 77

1 037 26

1 140 10

864 7

1 348 10

1 092 53

21

11

8

4

44

25

20

19

15

20

20

17

17

14

17

Amt als Behörde die Amtskorporation zu überwachen hatte. Gleichzeitig wurden auch spezifische Aufgaben der Gemeindeverwaltung, die bisher von den Schreibern wahrgenommen werden konnten, den mit dem Notariatsedikt vom 29. August 1819 geschaffenen Verwaltungsaktuaren übertragen. Sie sollten dann eingesetzt werden, wenn sich innerhalb der Gemeinden keine geeigneten Gemeindebürger zur Erledigung der Selbstverwaltungsaufgaben - insbesondere Steuereinzug und Etatführung - bereit erklärten. Die Furcht vor einer erneuten Verfilzung von korporativen und bürokratischen Zuständigkeiten, für die die Schreiber nahezu zum Synonym geworden waren, manifestierte sich in den Kontrollen, denen die Verwaltungsaktuare als kommunale »Aushilfsbeamte« unterworfen waren. Sie durften nicht fest angestellt werden, sondern wurden immer für einzelne Tätigkeiten bezahlt, sie durften keine Gehilfen beschäftigen, Verträge mit den Gemeinden endeten jedes Jahr, mußten also alljährlich neu ausgestellt werden, zusätzliche Belohnung von seiten der Gemeinden waren untersagt. 71 Der nach 1803 durch die Übernahme der ständischen Beamten und dann insbesondere durch die Erfordernisse der Staatsintegration aufgeblähte Staatsapparat wurde im Vormärz numerisch kaum verringert. Ein Einsparungseffekt ergab sich indirekt dadurch, daß bei kontinuierlichem Bevölkerungswachstum die Zahl der Staatsdiener annähernd gleich blieb. Zum andern wurde die finanzielle Belastung für den Staatshaushalt vermindert, 99 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

indem mit der Dienstpragmatik vom 28.6.1821 die Beamten in zwei Klassen geteilt wurden. Von den knapp zehntausend Staatsbediensteten waren nur noch 1116 (11%) pensionsberechtigt. Die Anzahl der persönlich pensionsberechtigten Beamten blieb über 20 Jahre hinweg ebenfalls ziemlich konstant. 72 Betrachtet man die unterste Ebene des dreigeteilten staatlichen Behördenapparates, den Bereich der Oberämter - der Kontakt zwischen Staatsbürger und Staatsapparat spielte sich nur selten auf der Ebene von Kreisregierungen und Ministerien ab - , gab es im jeweiligen Bezirk normalerweise vier Staatsbehörden. In Göppingen z. B., einem Bezirk im Donaukreis, dessen Regierungssitz in U l m war, bestanden nach 1819 folgende Ämter: ein Oberamt, ein Oberamtsgericht, ein Kameralamt - als Finanzbehörde - und ein Physikat als Sitz des Oberamtsarztes. In den 20er und 30er Jahren wurden einzelne, bisher in korporativer Selbstverwaltung ausgeübte Tätigkeiten neu eingerichteten staatlichen Behörden übertragen. Im Justizbereich entstand 1826 das Gerichtsnotariat, im Finanzwesen wurden 1827 ein Umgeldskommissariat (für Getränke- und Wirtschaftsabgaben) und 1834 ein Nebenzollamt errichtet. In jedem der drei Bezirksämter für die Justiz-, Innen- und Finanzverwaltung waren ungefähr fünf bis zehn Personen tätig. Der jeweilige Amtmann, sein Aktuar, ein bis zwei Schreiber, ein bis zwei Dekopisten sowie ein Amtsdiener - das war das Personal. Neben den vielen ehrenamtlich und nebenberuflich in der städtischen Selbstverwaltung Tätigen gab es 10 bis 15 hauptberufliche Kommunalbeamte. Etwa die Hälfte entfiel auf den Polizeidienst; von den anderen sind besonders der Stadtschultheiß, der für den kommunalen Haushalt und das Steuerwesen zuständige Stadtpfleger sowie der die eigentliche Verwaltungsarbeit ausführende Ratsschreiber zu nennen. Seit 1820 gab es in Göppingen ca. 60-65 staatliche und kommunale Beamte; eine Zahl, die erst Ende der 40er Jahre mit dem neu hinzukommenden Eisenbahnpersonal anstieg. 73 Im Laufe des Vormärz vollzog sich, bei einem zahlenmäßig annähernd unverändert bleibenden Personalbestand, eine allmähliche Wandlung der Beamtenschaft. Die traditionelle Schreiberkarriere war bestimmt durch mit »learning by doing« angefüllte Wartezeiten, bis der einzelne vom Lehrling über den Scribenten zum Substituten aufstieg. Der bereits im 18. Jahrhundert begonnene Prozeß der Formalisierung und Reglementierung bei der Ausbildung verstärkte sich nun. Es entstanden immer strenger einzuhaltende Laufbahnen, gegliedert durch Prüfungen. Auch für den Wechsel von einem Verwaltungszweig in einen anderen, z. Β. vom Innen­ ministerium ins Finanzressort, war man nun, wie für das berufliche Fortkommen generell, auf Dienstprüfungen angewiesen. Die akademisch gebildeten Beamten durchliefen in der Regel nur württembergische Bildungsinstitutionen, die auf die spätere Tätigkeit im eigenen Land zugeschnitten waren. Neben dem Universitätsexamen mußten Juristen, Regiminalisten und Kameralisten zwei Dienstprüfungen absolvieren, auf die 100 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

eine j e nach Fachrichtung unterschiedlich lange, provisorische Anstellung mit praktischem Anlernen folgte. Die Gründung der Staatswirtschaftlichen Fakultät in Tübingen 1817 und die erstmalig 1837 eingeführten getrennten Staatsprüfungen unter Innenminister Schlayer vereinheitlichten und reglementierten die Ausbildung und spätere Laufbahn der akademischen Beamten. 74 Gleichzeitig wurde der Handlungsspielraum innerhalb der beruflichen Stellung enger. Als List 1817 seine Auswandererbefragung durchführte, sammelte er viele Klagen über die Willkürherrschaft und Ungerechtigkeit der kommunalen und herrschaftlichen Beamten. Er zog daraus die Konsequenz, daß Magistrate und Beamtenschaft durch bürgerliche Kollegien kontrolliert und überprüft werden sollten, die württembergische Regierung beschritt aber in der Folgezeit einen anderen Weg. In Gesetzen, Verordnungen, Erlassen, Reskripten usw. entstand in einem seit dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts stetig anschwellenden Strom von Verfügungen ein detailliertes Auslegungsmaterial zum eher allgemein gehaltenen Verwaltungsedikt. Die »Disziplinierung« des Beamtentums war eben nicht nur eine politische, sondern auch eine berufliche. Nicht nur der Status des Beamten wurde modifiziert und verrechtlicht, sondern auch die Tätigkeit des einzelnen Beamten wurde rechtsstaatlich eingebunden. Das gelang aber nur um den Preis eines verstärkten »Papierregiments«, wie R. Mohl 1845 polemisierte. Als C. Weisser 1844 eine Edition des Verwaltungsedikts von 1822 besorgte, inklusive der sich darauf beziehenden »Normalien«, d.h. innerbürokratischen Auslegungserlassen, schuf er ein Werk von annähernd 1200 Seiten - wovon die Erläuterungen rund 1100 Seiten umfassen. Das als Handbuch zur Gemeindeverwaltung konzipierte Buch legte die Schwerfälligkeit des bestehenden Systems bloß. »Wie ist bei solcher Menge Erläuterungen eine einfache Verwaltung denkbar und welcher nicht studierte gemeine Mann, sei er Ortsvorsteher, Pfleger oder Gemeinderat, erschrickt nicht schon an den dickleibigen Verwaltungsvorschriften?« Die von A. Wiest 1847 gesammelten »dringenden Volksbegehren« enthielten angesichts dieser Klagen besonders den Wunsch nach »einfacheren und allgemeineren Verwaltungsvorschriften«. 75 Die von Weisser, einem vormaligen Beamten des Innenministeriums, zusammengestellten Ergänzungen und Erläuterungen belegen die voranschreitende Standardisierung der Verwaltungspraxis. Die Ministerien, die zentralen Kollegien wie die Oberregion (Innenministerium) und die Kreisregierungen bemühten sich nicht nur um eine regional einheitliche Anwendung der Gesetze und Erlasse, sondern auch um eine Regelung des Spannungsfeldes zwischen Bürokratie und kommunaler Selbstverwaltung. Die im Verwaltungsedikt allgemein gehaltenen Passagen in bezug auf die Kontrollfunktionen der Bezirksverwaltung gegenüber den Gemeinderäten und kommunalen Bediensteten wurden, zumeist in Reaktion auf Anfragen, Beschwerden oder Klagen verbindlich festgelegt. Von der Zuständig101 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

keit der einzelnen Behörden bis hin zur Regelung von Bußgeldern wurde die alltägliche Praxis schriftlich fixiert. Bei Forstvergehen beispielsweise wurde bestimmt, daß derjenige, der die Tat angezeigt hatte, ein Drittel der Strafgebühr erhielt, die anderen zwei Drittel fielen in der Regel dem Besitzer - Privatpersonen, Stiftungen, Gemeinden, Adelspersonen oder, bei staatlichen Wäldern, dem Forstamt - zu. 76 Daneben wurde die Selbstverwaltung der Kommunen, insbesondere die Verwaltung des Gemeindevermögens, die Verteilung eventuell anfallender Überschüsse, die Erstellung des kommunalen Haushalts, die Wahl der Gemeindebeamten etc. überwacht und geprüft. Der direkte Kontakt zwischen dem einzelnen Bürger, im Sinne von Staatsbürger, und den staatlichen Institutionen kam nur in Ausnahmefällen zustande. 77 In der Regel blieb der gemeindliche Bezugsrahmen mit seinen Selbstverwaltungselementen die grundlegende Schaltstelle zwischen Staat und Bürger.

4. Verwaltungskritik a) Die »Reutlinger Petition« und Friedrich List (1821) Das generelle Problem der Integration der neu erworbenen Gebiete zeigte sich in der ehemaligen Reichsstadt Reutlingen in dreifacher Weise. Die rigide Übertragung der altwürttembergischen Verwaltungsstruktur führte zur prinzipiellen Kritik am staatlichen Beamtentum, die zentralistischen Eingriffe in die städtische Selbstverwaltung wurden als schmerzhafter Verlust reichsstädtischer Autonomie empfunden, und schließlich hatte man gerade in den meist noch verschuldeten und von gewerblichen Krisen betroffenen Städten übertriebene Hoffnungen auf finanzielle Erleichterung und ökonomische Anreize durch den württembergischen Staat gehegt. 78 Diese Komponenten bündelten sich exemplarisch in der Person von Friedrich List. In Reutlingen am 6. August 1789 geboren, schlug er zuerst die Schreiberlaufbahn ein, stieg dann unter Wangenheim bis zum Rechnungsrat auf, wurde 1817 Professor an der neugegründeten Staatswissenschaftlichen Fakultät in Tübingen, wo er aber nach Wangenheims Abgang zum Deutschen Bund seinen Rückhalt verlor und 1819 wieder entlassen wurde. Von 1819 bis 1821 war er Geschäftsführer des »Deutschen Handels- und Gewerbevereins«. 79 Wegen seiner Aktivität während des württembergischen Verfassungskampfes war List schon mehrmals mit der Regierung in Konflikt geraten. 1817 verfaßte er zusammen mit Schlayer, dem späteren Innenminister, für eine Tübinger Bürgerversammlung eine Petition, in der eine stärkere Beteiligung der Bürgerschaft an der kommunalen Selbstverwaltung gefordert wurde. Im selben Jahr leitete er auch die vom König angeordnete Auswandererbefragung; beides Ereignisse, die ihm durch seine dezidierte Kritik an der bestehenden Gemeindeverfassung und der 102 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vorherrschenden Verwaltungspraxis viele Feinde unter den traditionellen Eliten Altwürttembergs schufen. 80 Im Juli 1819 wurde List als Abgeordneter in Reutlingen gewählt, von der Regierung jedoch abgelehnt, da er nicht das erforderliche Wahlalter von 30 Jahren hatte. Als im Dezember 1820 eine Nachwahl in Reutlingen stattfand, bewarb er sich erneut. Die Regierung protegierte einen Beamten als Kandidaten, der Oberamtsverweser sah jedoch zu Recht die Schwierigkeiten voraus, er schrieb ans Ministerium, »dem Charakter der Städter eine biegsame Richtung zu geben, ist ein schweres Problem«. 81 List gewann. Im Dezember 1820, nach seinem Eintritt in den Landtag, wurde List auf der parlamentarischen Bühne aktiv. Er forderte Schutzzölle, eine Reform des Steuerwesens sowie die alljährliche Einberufung des Landtags und die jährliche Budgetbewilligung durch die Kammer statt der in Württemberg üblichen Bewilligung für 3 Jahre. Während der Vertagung des Landtags über die Jahreswende verfaßte List für Reutlingen eine Petition an die Kammer, die er anschließend veröffentlichte. In einem eher allgemein gehaltenen ersten Teil kritisierte er in scharfen Worten die »Grundgebrechen . . . , welche das Mark des Landes verzehren und die bürgerliche Freiheit vernichten«. Der Kern seiner Ausführungen in diesen Passagen war der Vorwurf der Unfähigkeit und Ineffizienz gegenüber einer »über das ganze Land ausgegossenen . . . Beamtenwelt«. 8 2 Der zweite Teil der Petition enthielt, in 40 Punkte gegliedert, Forderungen für eine Reform der bestehenden staatlichen Institutionen und Gesetze. Vier Bereiche lassen sich dabei unterscheiden: Erstens eine Änderung der Gemeindeordnung. Alle Magistratsmitglieder sollten durch die Bürgerschaft gewählt werden, der Gemeinderat alle drei Jahre zur Hälfte neu gewählt werden, Gemeinderat und Bürgerkollegium das Gemeindevermögen selbständig verwalten, das Bürgerkollegium sollte zu Gemeinderatsbeschlüssen zustimmungspflichtig sein. Zweitens sollten, auf Bezirksebene, die Schreiber entmachtet und die Amtsversammlungen durch Wahl der Mitglieder gestärkt werden. Insbesondere intendierte List eine Reduktion der Einflußmöglichkeiten der staatlichen Bürokratie durch die Abschaffung der Oberamtmänner, indem in je fünf Oberämtern ein Obervogt amtieren sollte. Dadurch wäre die staatliche Überwachung der Gemeinden praktisch unmöglich gemacht worden. Drittens sollten im Justizsektor die Bürger an den unteren Gerichten beteiligt werden, in Kriminalsachen Öffentlichkeit herrschen und Geschworenengerichte eingeführt werden. Schließlich befürwortete List den Verkauf aller Domänen des Staates und eine radikale Umgestaltung des Steuersystems. Alle indirekten Abgaben sollten nach und nach aufgehoben werden, und nur noch eine alle Staatsbürger erfassende direkte Steuer auf Besitz und Einkommen erhoben werden. 8 3 Nach der Denunziation durch einen in der Druckerei beschäftigten Arbeiter - dem Wilhelm I. noch 1842 auf ein Bittgesuch hin 22 Gulden zukommen ließ 84 - wurde im Januar 1821 gegen List ein Gerichtsverfahren 103 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

eröffnet und im Februar nach Wiedereröffnung des Landtags über seinen Ausschluß aus der Kammer beraten. Nach württembergischem Recht durften Abgeordnete nicht in Kriminaluntersuchungen verwickelt sein. Die ganze Affäre entwickelte sich zunehmend zu einem grundsätzlichen Machtkampf zwischen der Regierung und einem unliebsamen Kritiker. Auch List selbst beurteilte den Fall in seinen beiden Verteidigungsreden im Landtag vom 7. und 17. Februar weit mehr als politischen denn als juristischen Konflikt. Die angestrebte Reform der Kommunalverfassung und der staatlichen Bürokratie wurde von ihm in eine Verteidigung des konstitutionellen Systems gewandelt. List forderte als Garanten der in der Verfassung fixierten Freiheiten die Beschneidung der Machtbefugnisse der staatlichen Exekutive und eine unabhängige Justiz. Sein eigener Fall zeigte, wie berechtigt seine Forderungen waren. Seine Verurteilung demonstrierte die Macht der Regierung. Am 6. April 1822 wurde List, nachdem das Obertribunal in Stuttgart seinen Revisionsantrag abgelehnt hatte, durch den Esslinger Kriminalsenat zu einer zehnmonatigen Festungsstrafe mit angemessener Beschäftigung verurteilt. Er durfte schriftstellerisch arbeiten und mußte einen Großteil der Untersuchungskosten bezahlen. 85 Die Brisanz der Forderungen von List resultierte nur zu einem geringen Teil aus der vermeintlichen demokratischen Öffnung nach unten. Zwar wurde die Wahl der Magistrate gefordert, aber nicht eine Änderung des Wahlrechts, das an das Bürgerrecht gebunden blieb. Auch die »Partei der Bürgerfreunde« um List, FL Keßler und E. Schübler vertrat keine allgemeinen Gleichheitspostulate. In seiner Vorlesung über die württembergische Verfassung benannte List zwar die »Wohlfahrt des einzelnen« als staatliche Bestimmung, vergaß jedoch nicht, die »Verschiedenartigkeit der Größe ihrer Bedürfnisse« hervorzuheben. Sowohl römische Tyrannen als auch französische Revolutionäre seien in der Gleichsetzung aller Menschen denselben Weg gegangen und hätten die »wahre bürgerliche Freiheit« zerstört. Diese gründe auf einem Staatswesen, das aus Korporationen bestehe, die aus Menschen gleicher Interessenlage zusammengesetzt seien. Hier findet sich wie beim vormärzlichen Liberalismus allgemein die doppelte Abgrenzung gegen Reaktion und Revolution wie auch die prinzipielle Bereitschaft, soziale Ungleichheit zuzugestehen und hinzunehmen. 86 Die geforderte Autonomie und Selbstverwaltung der Gemeinden auf der einen, das Drängen auf ein Beschneiden des Beamtenapparates auf der anderen Seite stellten den neuformierten württembergischen Staat prinzipiell in Frage. Dem stand die Regierung gegenüber, die erstmals die volle Kontrolle über die eigene Beamtenschaft errungen hatte 87 , andrerseits die divergierenden sozialen und politischen Interessen der verschiedenen Landesteile zu vermitteln suchte. Lists Position war zum Zeitpunkt der Reutlinger Petition unhaltbar geworden, da er, der ursprünglich als Beamter die Modernisierung des 104 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Staates betrieben hatte, sich nach den Altrechtlern nun auch noch die Regierung zum Gegner machte. Der Kompromiß von Altem Recht und neuem Staat hatte die Verfassung zustande gebracht; mit seinem Kampf gegen die Bürokratie und gegen die Reservate der lokalen Magistrate stellte List den sozialen und politischen Status quo in Frage. 88 Daran scheiterte er und mit ihm die Reformbewegung. b) Die »Affäre Robert Mohl« (1845) In den 40er Jahren war Robert Mohl einer der bekanntesten politischen Denker im Deutschen Bund und sicherlich der bedeutendste Staatsrechtler Württembergs. Aus einer alteingesessenen Beamtenfamilie stammend - er war ein Urenkel des berühmten Reichspublizisten und Landschaftskonsulenten J . J . Moser-, war Mohl, 1799 geboren, seit 1824 Professor an der Staatswirtschaftlichen Fakultät in Tübingen. Diese auch für damalige Verhältnisse steile Karriere hatte er nicht zuletzt seinem Vater, einem hohen Verwaltungsbeamten, zu verdanken. Gegen seinen eigenen Willen betrieb jener den Ruf an die Landesuniversität, den er dann auch eher widerwillig annahm. 89 Sein württembergisches »Staatsrecht« erschien zwischen 1829 und 1831, danach die »Polizei-Wissenschaft«, 1837 seine umfangreiche Abhandlung über die Ministerverantwortlichkeit. Nicht nur an seiner Beteiligung an einer Festschrift zum 25jährigen Regierungsjubiläum König Wilhelms zeigte sich R. Mohls Verbundenheit mit dem Herrscherhaus und den oberen Regierungskreisen. Mehrere Prinzen der königlichen Familie besuchten seine Vorlesungen, und er selber traf König Wilhelm mehrmals persönlich. Einer aktiven Mitwirkung am politischen Geschehen als Abgeordneter stand die Zugehörigkeit seines Vaters zur Ersten Kammer entgegen, in der er seit 1820 eines der vom König auf Lebenszeit ernannten Mitglieder war. Erst nach dem Tod seines Vaters im August 1845 entstand für Robert Mohl die Möglichkeit, sich um ein Mandat in der Abgeordnetenkammer zu bewerben. Als er im Herbst desselben Jahres in Baden-Baden zur Kur weilte, wurde in Balingen eine Nachwahl fällig. Mohl trug dem dortigen Oberamtmann seinen Wunsch einer Kandidatur an, erhielt jedoch zur Antwort, daß der Innenminister Schlayer seine Wahl nicht wünsche; als Beamter könne er dazu nichts unternehmen. Es scheint, daß Mohl diesen eher zurückhaltenden Eingriff Schlayers akzeptiert hätte, denn erneute Schritte unternahm er erst, als ihm vom Rechtskonsulenten Nagel aus Balingen mitgeteilt wurde, daß seine »Bewerbung« bekannt geworden und auf Sympathie gestoßen sei, jedoch die Meinung vorherrsche, R. Mohl sei zu regierungsfreundlich. 90 Daraufhin verfaßte Mohl eine Art Wahlschreiben, in dem er seine Position bestimmte, Monita und Gravamina der Regierung und besonders dem Innenministerium Schlayers gegenüber auflistete. Er bekannte sich 105 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

aber ausdrücklich zum Prinzip der Persönlichkeitswahl des »Honoratiorensystems« und wies jegliche Parteizuordnung von sich. »Wer also einen Mann der Partei, sei es der Regierung, sei es der Opposition, sei es der Jesuiten oder der Pietisten, haben will, der nehme einen andern. «91 Die Veröffentlichung des Mohlschen Schreibens im »Beobachter« vom 1. Oktober 1845 führte zum politischen Eklat mit der Regierung. Mohl hatte seinen Brief nicht zur Veröffentlichung bestimmt; dem »Beobachter« war er, nachdem bereits mehrere Abschriften kursierten, von einem Mitglied einer die Wahl Mohls ablehnenden Gruppe zugeschickt worden. Der Zensor des »Beobachters«, der Freiherr v. Linden (ein enger Vertrauter Wilhelms, im März 1848 Leiter des ›Zweistundenministeriums‹ und nach 1850 Innenminister) strich erhebliche Teile, worauf Adolph Weisser, der Redakteur der Zeitschrift, die Publikation ganz unterließ. Kurze Zeit später jedoch erfolgte die vollständige Druckerlaubnis ohne Kürzungen durch v. Linden, ohne daß die Redaktion des »Beobachters« Rekurs gegen die Streichungen eingelegt hatte. Es entstand der Verdacht, wie ihn auch R. Mohl vorsichtig andeutete, daß dem ganzen ein Intrigenspiel von seiten der Regierung zugrunde lag. 92 Weiter forderte die Regierung, d.h. Schlayer, der die meisten Erlasse abzeichnete, eine Gegendarstellung, gewissermaßen einen Widerruf von Mohl, denn »wie wäre die Existenz irgendeiner Regierung denkbar, wenn die eigenen Beamten ungestraft dieselbe verletzen und Unzufriedenheit wider sie erregen und verbreiten dürften«? 93 Die weitere Auseinandersetzung, die bereits 1846 von Mohl veröffentlicht wurde, führte zu keiner Angleichung oder Aussöhnung. Mohl verteidigte jeweils seine Kritik mit seinen Rechten als Bürger, Wahlkandidat und Beamter, während die Regierung auf ihrer Forderung nach einer Entschuldigung beharrte. Am 6. Dezember 1845 wurde Mohl seine Versetzung an die Kreisregierung nach U l m mitgeteilt - nach württembergischem Recht konnten Beamte auf besoldungsgleiche Stellen gegen ihren Willen versetzt werden —, wodurch der »Fehltritt dieses Beamten« gesühnt sei. 94 Daraufhin beantragte Robert Mohl am 8. Dezember seine Entlassung aus dem Staatsdienst, die am 10. Dezember genehmigt wurde. Das Odium der Regierungsfreundlichkeit hatte er damit zwar verloren, aber erst beim dritten Versuch, im Herbst 1846 in Tuttlingen, gelang ihm der Eintritt in die württembergische Kammer. Verantwortlich für diese Verzögerung waren sowohl massive Wahlbeeinflussung durch die Regierung als auch der eher verdeckte als offene Widerstand der Liberalen. Weil Mohl eine, wie es Fallati, sein Tübinger Professorenkollege, ausdrückte, »Art von tiers parti, eine doktrinäre Partei zur Förderung einer liberalen, aber nicht abstrakten, sondern besonders auch dem materiellen Wohl des Volkes zugewendeten Richtung gründen« wollte, saß er zwischen allen politischen Lagern. Beruflich betätigte er sich nach seiner Entlassung vor allem als Schriftsteller. Mehrere Aufsätze erschienen in der »Zeitschrift für 106 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die gesamte Staatswissenschaft«, bis er im Frühjahr 1847 einen Ruf an die Universität Heidelberg erhielt und annahm. 95 Wie lauteten die Kritikpunkte Mohls? Was war der Inhalt jenes Schreibens, das von der Regierungsbürokratie als solche Herausforderung empfunden wurde? Sein Programm für die Kammertätigkeit, das auch die Differenzen mit der Regierung erklärte, gliederte sich in zwei Bereiche. 1. Die Entwicklung der Verfassung: Sie sei zwar, mit Ausnahme der Pressefreiheit, nicht explizit verletzt worden, dennoch fehlte zuviel, als daß sie »in ihren Konsequenzen ausgeführt wäre«. Im wesentlichen forderte er drei Änderungen. Einmal die Beseitigung der Privilegien der Standesherren sowie der Ritterschaft und damit die rechtliche Gleichstellung aller Staatsbürger. Zweitens gewähre die württembergische Konstitution zwar das Recht des verfassungsmäßigen Gehorsams, das aber durch das Strafgesetzbuch (1839) und das Polizeistrafgesetz (1841) in verfassungswidriger Weise eingeschränkt werde; er werde sich bemühen, »dem Bürger das Recht des Widerstandes gegen ungesetzliche Beamtenwillkür zu verschaffen«. Drittens schließlich benötige man für den Staatsgerichtshof ein ausführendes und regelndes Gesetz, »damit man auch bei Gelegenheit an einem gewalttätigen, willkürlich handelnden Minister ein Exempel statuieren könnte«. 96 2. Das materielle Wohl des Landes: Hier verdiene die Regierung entschiedensten Tadel. In der Justiz sei die Scheu vor der Einführung von Öffentlichkeit und Mündlichkeit »wahrhaft kindisch«. In der Verwaltung beanstandete er »das unvernünftige Papierregiment, das ewige Schreiben und Schmieren«. Zwar könnten die Stände in diesem Bereich nicht direkt eingreifen, sie sollten jedoch »diese Unfähigkeit, die bureaukratische Stumpfheit geißeln, bis deren Götter fallen und mit ihnen der ganze Wust«. Außerdem berührte Mohl in seiner Kritik noch Einzelbereiche wie die Reorganisation des Baua und Unterrichtswesens, eine Forcierung der Ablösung der Feudallasten und eine Neuregelung der Staatsschuld. Schließlich beteuerte er auch noch seine Unbestechlichkeit, da er als Professor und Publizist so viel verdiene, daß es in Württemberg kein Amt gebe, bei dem er sich finanziell nicht schlechter stehe. Dieser Abgrenzung gegen potentielle Umwerbungsversuche der Regierung fügte er noch hinzu, daß seine Ansichten und Meinungen seit über 20 Jahren gedruckt und veröffentlicht worden seien und er deshalb nicht von seinen bisherigen Überzeugungen abweichen könne, ohne seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Er müsse also »dem konstitutionellen Freisinn, einem materiellen und geistigen Fortschritt getreu bleiben«, ob er wolle oder nicht. 97 Die in diesem Schreiben enthaltene Staats- und Verwaltungskritik erlangte zusätzliche Brisanz durch das gespannte Verhältnis zwischen Mohl und dem Innenminister Schlayer, der als Departementschef - beamtenrechtlich - Mohls Vorgesetzter und zugleich auch sein politischer Gegenspieler war. In den 1830er Jahren arbeiteten beide eng zusammen, als Mohl 107 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

mit einem kleinen Kreis gleichgesinnter Professoren die altrechtlich und traditional orientierte und völlig verkrustete Mehrheit im Senat der Universität Tübingen entmachtete. Mohl war zuerst ein bevorzugter Protege des Innenministers, dann verschlechterte sich aber ihr Verhältnis wegen der Frage der adäquaten Ausbildung der Verwaltungsbeamten. Schlayer bevorzugte bei der Einstellung Juristen, während Mohl für die von seiner Fakultät abgehenden Staatswissenschaftler eintrat. Weil Mohl in der Öffentlichkeit bisweilen auch als Nachfolger des Innenministers gehandelt wurde, entstand eine persönliche Animosität zwischen beiden, die den Verlauf der Wahlaffäre ebenfalls beeinflußte. 98 Zwei Aspekte sind an dem ganzen Vorfall von besonderer Bedeutung. Mohls Kritik stellte nicht das »ganze System der Regierung« in Frage, sondern forderte zum einen konkrete Einzelreformen wie die Beseitigung der Adelsprivilegien, eine Änderung der Strafprozeßordnung, eine Umorganisation des öffentlichen Bauwesens und Ähnliches. Zum andern aber monierte Mohl das ganze System der Verwaltungspraxis. Im Gegensatz zu List, der 20 Jahre vorher den Behördenapparat verkleinern wollte, beabsichtigte die Mohlsche Kritik keine Streichung innerhalb der Bürokratie, sondern eine höhere Effizienz der Beamtentätigkeit. Nicht der bürokratische Zugriff des Staates und die Eingriffe in die bürgerliche Gesellschaft riefen seine Mißbilligung hervor, sondern die geringe Leistungsfähigkeit, das aufgeblähte »Papierregiment« der Behörden. 99 Weiterhin unterschied Mohl konsequent zwischen seinen Rechten und Pflichten als Bürger und denen als Beamter. Das allgemeine Recht jedes württembergischen Bürgers, sich über staatliche Verhältnisse zu äußern, sei ein Bestandteil der Verfassung, Grenzen würden nur durch die allgemeinen Gesetze markiert. In seiner Eigenschaft als Beamter sei er zwar zu Rücksichten im Dienst verpflichtet - die er auch immer eingehalten habe —, seine Wahl zum Abgeordneten aber hätte mit seinem »Amt als Professor nichts gemein; sie war nur eine staatsbürgerliche und persönliche Sache, ganz außerhalb des Dienstes«. 100 Entgegen dem jahrzehntelangen Bemühen der Regierung, die Beamten als separate, politisch treu ergebene Gruppe von den Verflechtungen mit der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. den bürgerlichen Eliten, zu isolieren, vertrat - und verkörperte - Mohl hier das Prinzip des Staatsbeamten als Funktionsträger, der nur im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit spezifischen Einschränkungen und Rücksichten unterworfen sei, sonst aber dieselben politischen Rechte und Möglichkeiten wie jeder andere Bürger habe. Der Staatsdiener war politisch zuerst einmal Staatsbürger, und damit war er tendenziell weder »allgemeiner Stand« noch privilegierte Regierungspartei. Rückblendend bezeichnete die »Augsburger Allgemeine Zeitung« Mohls Veröffentlichung der Schriftstücke des Vorfalls als Beitrag zur »Aufklärung der so häufigen Begriffsverwirrung über Staatsdienerberuf und Repräsentantenschaft«. 101 Bei der »Affäre Robert Mohl« hatte sich gezeigt, daß die Bürokratie ihren politischen Al108 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

leinvertretungsanspruch, den sie in der Wirklichkeit nie vollständig einlösen konnte, allmählich auf zwei Ebenen verlor. Der Anteil der Staatsbeamten unter den frei gewählten Abgeordneten der zweiten Kammer sank in den 40er Jahren auf unter 5 0 % , fiel 1848/49 auf 2 8 % und blieb in den Jahrzehnten danach ständig unter 3 0 % . Parallel dazu wurde die Gleichsetzung von Beamtentum und Regierungspolitik immer unhaltbarer, die Staatsdiener agierten auch als politisch unabhängige Staatsbürger. 102

5. Grundzüge der Verwaltungskritik vor 1848 Nach den regen Auseinandersetzungen um die Neuordnung der Staatsund Gemeindeverfassung im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ebbte die Anteilnahme der Öffentlichkeit am politischen Geschehen bald ab. Die Einschränkung politischer Partizipationsmöglichkeiten im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse führte auch in Württemberg zu einer Verengung von Handlungsspielräumen. Die in den Jahren des Verfassungskampfes u m fangreiche publizistische Tätigkeit wurde immer weiter eingeschränkt, Zeitschriften wie der »Bürger« stellten ihr Erscheinen ein oder wurden, wie der »Volksfreund aus Schwaben«, verboten. 103 Das Geschehen um die Entlassung und Verurteilung Lists warf ein bezeichnendes Licht auf die Verhärtung der innenpolitischen Lage, auf den Anfang des »Systems der Beharrung«, wie die liberale Opposition im Vormärz nicht nur in Württemberg die Regierung charakterisierte. Gleichzeitig blockierte die württembergische Regierung alle weitergehenden Änderungen und Reformen der in den Edikten von 1817/18 und der Verfassung von 1819 entwickelten Grundsätze. Damit war die Praxis vorgezeichnet, die von der Regierung in den nächsten drei Jahrzehnten verfolgt wurde. Sie lehnte jegliche Änderung der Grundelemente von Verfassung und Verwaltung ab und trat allen dahingehenden Anträgen der zweiten Kammer auf das entschiedenste entgegen. Andrerseits bemühte sie sich, die Effizienz der staatlichen Verwaltung zu verbessern und materielle Erleichterungen zu gewähren, indem das Steuerwesen und die Grundlasten behutsam — und soweit es die Opposition des Adels zuließ - geändert wurden. Vor allem aber bekämpfte der vormärzliche Staat die innerbürokratischen Schwächen. Die »Disziplinierung« des Beamtentums diente nicht nur dazu, die politische Fügsamkeit, sondern auch die Effizienz und Leistungsfähigkeit der Beamten zu erhöhen. 104 Auf lange Sicht konnte die Reform von Staat und Gesellschaft nicht verhindert, nur verzögert werden. Bis 1848 war dieses System moderater Beharrung aber überaus lebensfähig. In den 40er Jahren, zusätzlich forciert durch die agrarische und gewerbliche Krise, verstärkte sich jedoch die Kritik am bestehenden System, nachdem zuvor im Verlauf des gesamten 109 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Vormärz die zu Beginn der 20er Jahre abgelehnten Reformforderungen in Abständen immer wieder formuliert worden waren. Der in Württemberg bestehende Dualismus von staatlicher Verwaltung und kommunaler Selbstverwaltung spiegelte sich im Medium der Kritik wider. Obwohl staatlicher und kommunaler Einflußbereich vielfach miteinander verflochten waren und in der Regel eine Ausdehnung der Selbstverwaltungskompetenz der Gemeinden gegenüber den staatlichen Behörden angestrebt wurde, lassen sich diese zwei Ebenen deutlich unterscheiden. In den 40er Jahren subsumierte sich die Kritik am Regierungssystem unter zwei Schlagworten, dem »Vielregieren« und, präziser, dem »herrschenden System« der »polizeilichen Wohlfahrtsbeförderung«. 105 Dieses System wurde nun attackiert, nicht der einzelne Beamte. Zwar war die Kritik an Einzelpersonen, die Klage über erlittene Mißhelligkeit durch Willkür und Unfähigkeit des einzelnen Behördenvertreters nicht ganz verstummt, es wurde aber zugleich betont, daß der Tadel »nicht die Beamten, sondern ihre Geschäfte« meint. 106 In dieser Hinsicht hatten die innerbürokratischen Reformen Erfolg gezeigt. Der chronisch schlechte Ruf des altwürttembergischen Schreiberstandes, der noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts das Bild vom württembergischen Beamten geprägt hatte, war - auch innerhalb der liberalen Opposition - einer differenzierteren Sehweise gewichen. List hatte seine Reutlinger Petition gegen eine »über das ganze Land ausgegossene, in den Ministerien konzentrierte Beamtenwelt« geschrieben. Zwar forderte er durchaus auch prinzipielle Änderungen im Verwaltungsaufbau, als Hauptübel aber faßte er die Tyrannei der staatlichen Beamten und kommunalen Magistrate auf. Als Robert Mohl 25 Jahre später ebenfalls auf Grund seiner Verwaltungskritik in Konflikt mit der Regierung geriet, erstrebte er vor allem eine »Vereinfachung des Geschäftsganges«, damit das »unvernünftige Papierregiment« und »der bureaukratische Stumpfsinn« endlich ein Ende fänden. In seinem 1846 erschienenen Aufsatz »Über Bürokratie« skizzierte er den neuen Begriff. Das Wort sei zwar schon länger bekannt, jedoch nur zur Bezeichnung jener Behörden, die nicht kollegial, sondern - gemäß dem französischen »Bureausystem« zentral organisiert seien. Die Bureaukratie, über die jetzt Klage geführt werde, sei »nichts anderes, als die falsche Auffassung der Staatsaufgabe«, die durch ein übergroßes Heer von nicht immer fähigen Beamten ausgeführt werde. 107 Zur Illustration der allumfassenden staatlichen Bevormundung führt Mohl als ehemaliger Leiter der Tübinger Universitätsbibliothek den bürokratischen Aufwand an, der notwendig wurde, wenn Benutzer außerhalb Tübingens ein Buch entleihen wollten: »1 Bittschrift, 2 Berichte, 3 Erlasse, 2 Referate in einem Kollegium von fast 40 Personen, außerdem die nötigen Manipulationen auf Sekretariat, Registratur, Schreibtische«. 108 Für die Beseitigung dieser Mängel wurden zwei Möglichkeiten erörtert, die sich nicht ausschlossen, sondern zumeist ergänzten, 110 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

aber doch unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Der Staatswissenschaftler Mohl, als Professor selber Beamter sowie an der Staatswirtschaftlichen Fakultät in Tübingen Ausbilder von Beamten, betonte primär die Notwendigkeit von Reformen innerhalb der Bürokratie. Er forderte erstens eine bessere Ausbildung der Beamten; zweitens die Dezentralisation von Entscheidungen, damit für jedes Amt einen eigenen, selbstverantwortlichen Wirkungskreis; und drittens, die parlamentarische Verantwortung der M i nister, letztlich die politische und nicht mehr nur bureaukratische Verantwortung der Behörden. »An die Stelle des Beamtenregiments käme ein politischer Gedanke.« 109 Auf der anderen Seite empfahl er eine »Ausbildung des staatsbürgerlichen Sinnes des Bürgers«. In Vereinen, in den Gemeinden und in den Volksvertretungen sollten die Bürger in Selbstorganisationen ihre Interessen wahren, um übermäßigen Eingriffen der Bürokratie vorzubeugen. Diese Ausweitung der gemeindlichen Selbstverwaltung wurde andrerseits von den Vertretern der liberalen Opposition stärker gefordert als Reformen innerhalb der Bürokratie. Als Hauptübel sahen sie das »Hineinregieren« der Behörden in die Belange der Kommunen. Aus der unnötigen Bevormundung entstünde das Übermaß an schriftlichem Verkehr, das Verschleppen wichtiger Probleme. 110 Im kommunalen Bereich wurde zweierlei gefordert, mehr Selbstverwaltung und eine andere Selbstverwaltung. Die Autonomie der Gemeinden und ihre Befugnisse sollten erweitert werden, um das »Vielregieren« der Bureaukratie zu verringern, um »zu einer mit der Ordnung des Ganzen vereinbarten Freiheit der Gemeinden« zurückzukehren. Dazu war es aber auch erforderlich, jene Übel zu vermeiden, die den »sich selbst überlassenen Ortsobrigkeiten so leicht ankleben«, und im 18. Jahrhundert die Regierung zu Eingriffen in die kommunale Autonomie gezwungen hätten. Mit der Erweiterung der Kompetenzen sollte also eine stärkere Beteiligung breiter Schichten der Gemeindebürger an der Selbstverwaltung einhergehen. 111 In den 1840er Jahren schließlich spiegelte sich die Kritik in den Zeitungen und Druckschriften 112 und zunehmend auch in politischen Versammlungen wider. Die Gemeindewahlen und Landtagswahlen offenbarten eine eindeutige Politisierungstendenz. 1847 kam es in vielen Oberämtern zu Versammlungen mit den Abgeordneten, auf denen Forderungen und Wünsche artikuliert wurden, die auf dem nächsten Landtag, dessen Zusammentreten für den Januar 1848 angekündigt war, von den Abgeordneten vorgebracht werden sollten. 113 Gleichzeitig erlangten die Kommunalwahlen größere Bedeutung, hier bot sich die Möglichkeit, politische Aktivität und Kritik im Kleinen auszuüben. Gerade in den größeren Städten ist dieser Vorgang nicht zu unterschätzen; vor allem in Stuttgart waren die Gemeindevertreter eng mit der Führung der liberalen Landtagsopposition verbunden, weshalb der Stadtvertretung in vieler Hinsicht eine Art Sprachrohrfunktion zukam. 111 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Bei der Vereidigung der neugewählten Stadträte und der Mitglieder des Bürgerausschusses in Stuttgart am 5. August 1847 hielten die neu eintretenden Deputierten jeweils öffentliche Reden, in denen sie eine Art politisches Programm, d. h. einen Katalog an Problemen und Reformwünschen, vorstellten. 114 Hauptredner der liberalen Fraktion war der neugewählte Stadtrat Sick, der drei wesentliche Bereiche ansprach. Es war weniger eine Darstellung der künftigen Arbeit im Stadtrat als eine Zusammenfassung der kommunalen Gravamina der Opposition. Sick forderte Hilfsmaßnahmen für die gefährdeten Gewerbebetriebe 115 , eine Reform im Steuerwesen und schließlich eine Neuorganisation der Gemeindeverwaltung. Die beiden letzten Problemkreise zeigten zunehmend Interessengegensätze zwischen den - wenn auch verhältnismäßig langsam - wachsenden Städten und den ländlichen Gemeinden. Sick bemängelte, daß die Gemeindebesteuerung nach dem Ortssteuerfuß in größeren Städten nicht mehr haltbar sei; er forderte, daß zur Deckung des Kommunschadens auch die Kapitalienbesitzer herangezogen werden sollten. 116 Die in den Städten vermehrt anwachsenden kommunalen Aufgaben, und damit auch die Ausgaben, belasteten das traditionelle Gemeindesteuersystem, das zur Deckung Aufschläge auf die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer der Ortsbürger vorsah. Dementsprechend forderten gerade die großen Städte wie Stuttgart und Ulm eine kommunale Zusatzsteuer auf Kapital und Einkommen sowie eine stärkere fiskalische Erfassung der Nichtortsbürger. 117 Die dritte Forderung, die die Gemeindeverwaltung im engeren Sinn betraf, war die populärste: Beseitigung der Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen und die Öffentlichkeit der Beratungen. Damit stimmte auch der konservative Gegner überein. Der in die regierungsnahe Fraktion neugewählte Stadtrat Reininger vertrat weitgehend auch die Programmpunkte der Liberalen. Er hob hervor, daß »nur über Mittel und Wege zu diesem einen Ziele . . . die Ansichten verschieden sein« können. 118 Das Hoffen auf die Kooperationsbereitschaft und den Reformwillen der Regierung schien nicht aussichtslos. Mit einem Erlaß vom 18. Mai 1847 hatte die Regierung die Bekanntmachung der Verhandlungen des Stadtrates in der Presse genehmigt. Als erster Schritt auf dem Weg zur Öffentlichkeit der Gemeinderatsverhandlungen war die Veröffentlichung zugestanden worden. Im »Beobachter« wurde davon auch ausführlich Gebrauch gemacht und über gleichlautende Anträge anderer Städte an die Regierung berichtet. 119 Die Forderungen konzentrierten sich auf vier Punkte. Die Beseitigung der lebenslänglichen Amtsdauer von Gemeinderäten und Ortsvorstehern; die gegenüber dem Gemeinderat zu schwache Stellung des Bürgerausschusses, der bei wichtigen Fragen wie der Aufnahme neuer Bürger oder das Vermögen der Gemeinde betreffenden Entscheidungen nur das Recht zur Anhörung besaß, aber nicht zustimmungspflichtig war; drittens die Öffentlichkeit der Gemeinderatsverhandlungen und schließlich eine Änderung der Vergütung der Gemeinderäte. 120 Die Abschaffung des Sportelsy112 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

stems und die Einführung von bezahlten Gemeinderatsstellen - je nach Größe der Gemeinde sollte nur ein Teil des Kollegiums entlohnt werden sollte mit einer Übertragung von Aufgaben der staatlichen Bürokratie auf die Gemeinden verbunden werden. Die kommunalen Ehrenbeamten sollten zu gewählten kommunalen Fachbeamten werden und den Einfluß der staatlichen Beamten, das »Hineinregieren« in die Gemeinden, zurückdrängen. Der Staatsrechtler Karl Georg v. Waechter hatte dazu 1842 bemerkt: »Eine Reform des Schreibereiinstituts war nicht darin zu setzen, daß man die Stadtund Amtsschreiber in eine Reihe von neuen besonderen Beamten zerschlug, sondern darin, daß man den Oberämtern und Oberamtsgerichten [das] zuwies, das ihres Geschäfts war, den tüchtigen Gemeindevorstehern mehr anvertraute.«121 In der Kritik an der Bevormundung durch die Behörden wurden die positiven Aspekte des traditionellen Schreiberwesens hervorgehoben. Zwar gestand man zu, daß im 18. Jahrhundert ein Verfall dieser Einrichtung eingetreten sei, der aber nicht im Wesen der Institution, sondern in der Person der Beamten begründet gewesen sei. Das Notariatswesen, das die wichtigsten Aufgaben der alten Schreibereien übernommen hatte, sei dagegen, »bei aller Berufstreue seiner Beamten«, ein inadäquater Ersatz, da es nicht »aus einem Gusse mit dem Körperschaftsorganismus bestehe, vielmehr in den Gemeindeboden als eine fremde Treibhauspflanze gesetzt worden« sei. 122 Die »Gemeindehilfsbeamten«, Notare, Verwaltungsaktuare, Pfandhilfsbeamte, Güterbuchkommissäre usw., die jeweils für mehrere Gemeinden, meist 10-15 Dörfer, zuständig waren und dort mit den gewählten Gemeindevertretern zusammenarbeiteten, bewirkten vor allem eine Verschleppung und unnötige Kompliziertheit der Geschäfte. Zur Abhilfe wurde vorgeschlagen, unter Aufhebung der Trennung von Justiz und Verwaltung auf unterster Ebene, den Gemeinden die Erledigung der Geschäfte und die Einstellung der Beamten selber zu überlassen. In kleinen Gemeinden wären eigene Beamte unnötig, die Aufgaben könnten vom Gemeinderat erledigt werden, in den Städten sollten von den Gemeinden eigene Beamte je nach Bedarf angestellt werden. 123 Die Übertragung von Befugnissen und Aufgaben an die Gemeinden sollte mit dem Aufbau einer kommunalen Fachbeamtenschaft verbunden sein. Davon erhoffte man sich eine Verringerung der finanziellen Leistungen, weil der als aufgebläht angesehene staatliche Behördenapparat entsprechend verkleinert und das Steueraufkommen verringert werden sollte. Gleichzeitig prognostizierte man eine effizientere, bürgernahe Verwaltungsarbeit durch die Reform und Einführung der kommunalen »organischen Einrichtungen«. 124 Das Ziel der Verwaltungskritik, ihr materieller Kern, war die Ausdehnung der Befugnisse der Gemeinden und ein Rückzug der staatlichen Bürokratie. Für diesen Zweck waren insbesondere die Städte willens, die eigene kommunale Bürokratie zu erweitern. 125 Dieser Erweiterung der 113 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Aufgaben sollte auch eine erhöhte Anteilnahme der Gemeindebürger entsprechen. Über periodische Wahlen der Gemeindevertreter und öffentliche Verhandlungen wollte man eine stärkere Partizipation der Gemeindebürger erreichen. Noch traten die Kommunen für eine Erweiterung ihrer Autonomie ein, schon zeichneten sich aber jene Bereiche ab, in denen innere Probleme der Gemeinden ihren Selbstverwaltungsanspruch in Frage stellten. Eine Grundvoraussetzung der württembergischen Gemeindeordnung war die annähernde Gleichheit der Einwohner als selbständige Bürger und Beisitzer. Die zunehmende soziale Differenzierung löste diese sozioökonomische Voraussetzung aber zusehends auf. Damit war der Weg vorgezeichnet, auf dem die staatliche Kompetenz zunahm, weil »die Mittel der Gemeinden für sich allein außerstande sein dürften, der hilfsbedürftigen Armut und dem zum Teil verwilderten Proletariat mit Erfolg zu begegnen«. 126

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IV.

Das konstitutionelle System

Innerhalb des süddeutschen Konstitutionalismus war die württembergische Verfassung bei ihrer Entstehung am heftigsten umkämpft gewesen. Gleichzeitig hatte es die Koalition von altständischen, adligen und neuwürttembergischen Elementen auf dem Boden der altwürttembergischen Tradition und einzelstaatlicher Partikularismusbestrebungen geschafft, die Verfassung als Vertrag zwischen König und Ständen zu schließen. Diese Sonderposition als Vorkämpfer konstitutioneller und liberaler Freiheiten ging im Vormärz dann an Baden über. Württemberg trat in der öffentlichen Wahrnehmung in den Windschatten der Wirkungsstätte von bekannten Liberalen wie Itzstein, Rotteck und Welcker. 1 Die politische Entwicklung im württembergischen Vormärz 2 läßt sich in Phasen unterschiedlicher politischer und sozialer Bewegung unterteilen. Am Anfang standen, wie bereits erwähnt, die Jahre der Verfassungskämpfe. Nach den konstitutionellen »Flitterwochen« 3 und der im Lande ebenfalls einsetzenden innenpolitischen Verhärtung, wie sie sich 1821 im Fall List offenbarte, fiel Württemberg in einen Dornröschenschlaf, aus dem es erst 1830 durch die französische Julirevolution wachgerüttelt wurde. Entscheidende Kristallisationspunkte, an denen sich Konfliktpotential hätte entzünden können, fehlten. Die Regierung »entzog sich möglichst der Aufmerksamkeit«, zudem zeigte der Konstitutionalismus seine spannungsmildernden Eigenschaften, da von den in den einzelnen Staaten erhobenen Forderungen »das meiste in Württemberg bereits, wenigstens im Grundsatze, vorhanden« war. 4 Taktisch geschickt verzögerte die Regierung auch die Einberufung des 1831 gewählten neuen Landtags. Erst 1833, von Januar bis März, tagte dieser »vergebliche Landtag«, wie er von konservativer Seite bald genannt wurde, weil er vorwiegend außenpolitische und konstitutionelle Grundsatzfragen erörterte und keine konkreten legislativen Ergebnisse zeitigte. 5 Der nach der Auflösung 1833 neu gewählte Landtag brachte keine wesentlichen Verschiebungen des Kräfteverhältnisses. In der Zweiten Kammer saßen, trotz leichter Verluste bei der zweiten Wahl, weiterhin etwa 30 liberale Abgeordnete. Sie blieben in der Minderheit und verloren zunehmend die Resonanz in der Öffentlichkeit, bis schließlich 1838 führende Vertreter des württembergischen Liberalismus wie Uhland, Pfizer und Römer nicht mehr kandidierten. Der zweite Rückzug der liberalen Opposition war nicht nur kürzer-1845 trat Friedrich Römer, der informelle Führer der Liberalen, wieder in den 115 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Landtag ein, und die Zahl der liberalen Abgeordneten wuchs auf etwa 35 a n - , er wurde auch vom politischen Gegner bedauert. 6 Ein Indiz dafür, wie weit der Konstitutionalismus und die parlamentarische Form der Interessenartikulation und Konfliktregulierung im zeitgenössischen Bewußtsein bereits verankert waren. Die 1845 wieder einsetzende und sich rasch verstärkende Politisierung der Öffentlichkeit und Formierung der Opposition zeigten sich nicht nur im Landtag, sondern auch auf Gemeindeebene in der Ausbreitung der Vereinsbildung und von politischen Versammlungen. 7 Nach dem März 1848 vergrößerten sich im konstitutionellen Württemberg die bereits bestehenden Partizipationsmöglichkeiten sehr schnell. Vereine wurden gegründet und Parteien gebildet, Wahlkämpfe konnten offen ausgetragen werden und wurden durch die Pressefreiheit erleichtert. Die dreißigjährige »Inkubationsphase des Vormärz« ermöglichte einen Wechsel in den Ministerposten, vom ›Ministerium Schlayen zum ›Märzministerium Römer‹, der fast schon einem eingespielten parlamentarischen Auswechseln von Regierung und Opposition glich. 8 In der ersten »nachmärzlichen« Sitzung des Landtags am 14. März 1848 - seit Februar hatten die Stände nicht mehr getagt - erschienen die Märzminister erstmals im Landtag. Dabei bekannte sich der alte und neue Außenminister v. Beroldingen, der für das gesamte Ministerium sprach, zum »aufrichtigen Repräsentativsystem, das in Württemberg herrschen« solle. Dazu sei es aber erforderlich, daß sich ein nicht »aus der Majorität [des Landtags, Μ. Η.] hervorgegangenes Cabinet« der Zustimmung des L andes und damit einer parlamentarischen Mehrheit versichere. Anders gesagt, die in die Regierung eingetretene frühere liberale Opposition wollte sich, auf die Märzbegeisterung hoffend, die parlamentarische Mehrheit sichern. 9 Die ersten Märzgesetze - die Ablösungsgesetze sowie die Gesetze über politische Versammlungen und die Volksbewaffnung - wurden vom neuen Ministerium aber noch mit dem alten Landtag verabschiedet. Man sollte das nicht nur als Anpassung der Abgeordneten an die »Zeitereignisse«, wie in der Zweiten Kammer das aktuelle Geschehen bevorzugt genannt wurde, interpretieren. 10 Trotz der sich abzeichnenden und nicht mehr zu übersehenden Fraktionierung und Parteibildung im politischen Geschehen war eine entschiedene Polarisierung entgegengesetzter Lager noch nicht zu erkennen. Nach den Wahlen zur Paulskirche wurde Mitte Mai - nach dem alten vormärzlichen Wahlrecht - der neue Landtag gewählt, der dem Märzministerium Römers eine solide Mehrheit brachte. 11 Im Sommer 1848 war der Liberalismus in Württemberg, wie zwei Jahre zuvor bereits in Baden und nun in vielen Staaten des Deutschen Bundes, zur »regierenden Partei« (Gall) geworden. Eine Entwicklung, die nicht zwangsläufig aus der konstitutionellen Theorie und der Programmatik der vormärzlichen Liberalen abzuleiten war. Die dualistische Grundstruktur des liberalen Staats- und Regierungsverständnisses, das Gegenüber — nicht Gegeneinander - von Volk und Herrschaft, von Parlament und Regierung 116 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

schloß das Bekenntnis zur Vertretung von Partikularinteressen aus. Der Liberalismus sah sich als Repräsentant des ganzen Volkes. Dem entsprach das liberale Verständnis der Landtage, die als Gesamtheit die Interessen und Rechte der Bevölkerung gegenüber der Regierung wahren und verteidigen sollten. 12 Dieses Prinzip wurde in der Theorie zwar weiterhin postuliert, in der alltäglichen Praxis der Kammerpolitik vollzog sich aber eine schleichende Aufweichung der Trennung von Volksrepräsentation und Herrschaftsapparat. In den Jahren nach der Julirevolution kam es zu partiellen Bündnissen zwischen Teilen der Beamtenschaft und Gruppen liberaler Abgeordneter, die einer prinzipiellen Annäherung der verschiedenen Standpunkte Vorschub leisteten. In Württemberg zeigte sich die Konvergenz z. B. in den Debatten über die Revision des Bürgerrechtsgesetzes (1833), der Gewerbeordnung (1836) sowie in der Beratung des Volksschulgesetzes (1836) und der Mischehenfrage (1839). 13 Nach der württembergischen Verfassung von 1819 hatte das Volk »ein Recht darauf, gut regiert zu werden, allein nicht das Recht, selbst zu regieren«. 14 Im Vormärz, und insbesondere nach 1830, kam der Liberalismus über die Regierungskritik, über das Einklagen bestimmter Grundforderungen und Gesetze der Regierungsverantwortung - in der Theorie immer näher. Die liberale Theorie beschäftigte sich zunehmend mit dem Prinzip der »parlamentarischen Regierung«, obwohl erst vereinzelt - am pointiertesten von R. Mohl - seine Anwendung in den deutschen Landtagen gefordert wurde. Der Wandel des vormärzlichen politischen Systems läßt sich auf drei Ebenen beschreiben. Die Stellung des Landtags änderte sich, das Märzministerium bildete den vorübergehenden Abschluß einer zunehmenden Parlamentarisierung der Regierung. Zweitens verschob sich die Bedeutung der Wahlen, auch im kommunalen Bereich; der Wahlvorgang wurde zu einem politischen Akt. Drittens ging die Politisierung der Öffentlichkeit und des Verhältnisses zur Öffentlichkeit mit einer Politisierung innerhalb des Parlaments einher; Fraktionen und Parteien entstanden, wenn auch vorerst nur rudimentär, Partikularinteressen wurden offener vertreten. 1. Der Landtag im Konstitutionalismus Nach der Konstituierung der Verfassung wurde der Landtag - die Verfassung sprach noch immer von »Landständen« - zum politischen Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Reales Machtzentrum blieben zwar weiterhin Krone und Regierung, mit der Kammer der Abgeordneten bestand aber ein institutionalisiertes, permanentes Kontrollorgan. Gegenüber dem altständischen Landtag sind als Veränderungen besonders die stark beschnittene Kompetenz der Ausschüsse sowie die Periodizität von Wahl und Zusammentreten des Landtags zu nennen. 15 Für den Bedeutungszuwachs 117 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

des Landtags förderlich war auch das Desinteresse der Standesherren an der Ersten Kammer. Bis in die 1830er Jahre hinein trat die Adelskammer kaum zusammen; bei zustimmungspflichtigen Entscheidungen galt eine nicht versammelte Kammer jeweils als zustimmend. Damit bestand in Württemberg in den 20er Jahren de facto ein Einkammersystem. 1 6 Nach den heftigen Auseinandersetzungen im ganzen Land um die Verfassung in den Jahren nach 1815 und dem nochmaligen Aufflackern von Spannungen in der Kontroverse um Lists Verurteilung waren die 20er Jahre in bezug auf das politische Geschehen die »halkyonische Zeit« Württembergs. Auch wenn die Bevölkerung, insbesondere in Teilen Neuwürttembergs, dem Landtag bestenfalls gleichgültig gegenüberstand 17 , gewöhnte man sich aneinander. Nach 1830 bildeten die Wahlen zu den Landtagen (1831 und 1833) entscheidende Kristallisationsmomente des politischen Bewußtseins, prägten Wahlkampf, Landtagsdebatten und die sich darauf beziehende Publizistik die Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit. 18 Die »äußere Geschichte« (R. Mohl) des Verfassungslebens manifestierte sich in vier Bereichen. Einmal in den Petitionen an den Landtag, deren Anzahl nach 1830 und insbesondere 1848 stark zunahm. Wie in Baden zeigte sich auch in Württemberg die wachsende Akzeptierung der Abgeordnetenkammer an der Zunahme dieses Artikulationsmediums bei der Bevölkerung. 19 Die drei anderen Elemente waren innerparlamentarisch. Zunächst sind die Anträge von einzelnen Abgeordneten zu nennen. Den zahlreichen Gebrauch dieses Mittels nannte R. Mohl eine »konstitutionelle Kinderkrankheit«. Drittens die Rechenschaftsberichte der Ausschüsse; bei jedem Zusammentreten eines Landtags gab der Ständische Ausschuß Rechenschaft über die Verwaltung der Staatsschuld, er hatte die Verfassungsmäßigkeit aller Regierungshandlungen sowie die ordnungsgemäße Erstellung des Staatshaushalts zu überprüfen. Dazu kam schließlich als legislativer Kern parlamentarischer Tätigkeit die Verabschiedung von Gesetzen. Den der konstitutionellen Verfassung oft gemachten Vorwurf, sie erzeuge zuviel Gesetze, verwarf R. Mohl für Württemberg aufs entschiedenste. Zum einen hätte ein beträchtlicher Nachholbedarf bestanden, um den eher prinzipiell gehaltenen Charakter der Verfassung materiell zu explizieren. Zum andern hätten grundlegende Bestimmungen wie ein Wahlgesetz, die Regelung des Kirchenguts und eine Reform des Schul- und Unterrichtswesens noch gefehlt. Dieser Vorwurf betraf aber die Regierung, da nur sie, nicht die Abgeordnetenkammer das Recht zur Gesetzesinitiative besaß. 20 Von den Aufgaben der Ständeversammlung, der Überwachung des Staatshaushalts, der »Befestigung der Verfassung« und der Sorge für das materielle Wohl der Bevölkerung war den Ständen in den Augen R. Mohls, und nicht nur in seiner Perspektive, lediglich die Erfüllung der ersten Pflicht gelungen. In den beiden anderen Bereichen hatten sich die Kammern seiner Meinung nach zu passiv verhalten, um entscheidende Reformen zu erzwingen. 21 118 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Wie war das Budgetrecht geregelt? Die württembergische Verfassung bestimmte, daß dem Erlaß von Steuern eine Begründung der Ausgabe sowie ein Nachweis über die Verwendung früherer Einnahmen und über die unzureichenden Einkünfte des Kammerguts vorangehen müsse. In den Verfassungskämpfen nach 1815 hatten die Stände lange Zeit erbittert um die Erhaltung des alten dualistischen Systems von Staatsverwaltung und unabhängiger ständischer Steuerkasse gerungen. Für den Verzicht auf diese Forderung erhielt der Landtag die Verwaltung der Staatsschuld und erhebliche Kontrollbefugnisse in bezug auf den Haushalt. 22 Der Kompromißcharakter der württembergischen Verfassung zeichnete sich auch in den Unterschieden beim Budgetrecht gegenüber den anderen süddeutschen Konstitutionen ab. Die altständische Tradition floß in den Ständischen Ausschuß und die ständische Verwaltung der Staatsschuld; die starke Position des Landtags nach 1815 beruhte auf der verfassungsgemäßen Pflicht zur parlamentarischen Ausgabenbegründung durch die Regierung, wodurch sich das Steuerbewilligungsrecht zur Budgetbewilligung wandelte. Man kann drei Formen ständischer Finanzkontrolle unterscheiden. Ein Steuerbewilligungsrecht, bei dem - wie in Altwürttemberg - die Zustimmung der Stände weder für den Haushalt als Ganzes noch für die Verwendung der Staatseinkünfte, die nicht aus Steuern stammen, notwendig war, sondern dem Landtag nur ein Mitspracherecht bei der Erhebung von Abgaben zukam. Das Budgetrecht, bei dem der Haushalt und damit die Ausgaben, unabhängig von der Einnahmestruktur, der Kontrolle des Landtags unterstand. Schließlich das Prüfungsrecht, bei dem die Verwendung der Gelder der Kritik und Kontrolle des Parlaments unterlag. Diese auch inhaltliche Eingriffsmöglichkeit in die staatliche Verwaltung erstrebte die badische Abgeordnetenkammer im Vormärz, ohne sie letztlich zu erlangen. 23 Die württembergische Kammer unterschied nicht wie die badische explizit zwischen Prüfungs- und Bewilligungsrecht, sie interpretierte das in der Verfassung zugestandene Bewilligungsrecht aber immer als Ausgabenbewilligungsrecht. In den 1820er Jahren griff sie noch öfters in die Befugnisse der Verwaltung ein, ohne aber formelle Kontrollansprüche zu erheben. Seit 1830 veröffentlichte die Regierung den Haushalt in Form eines Gesetzes und unterwarf sich damit offen der Zustimmung der Kammer. Dem folgte seit 1833 im Landtag ein ausführlich erörterter Dissens über die jeweiligen budgetrechtlichen Kompetenzen. Die Regierung wies, unter Berufung auf § 113 der Verfassung, alle parlamentarischen Mitspracheansprüche in bezug auf die Verwendung der Haushaltsmittel entschieden zurück, gestand andrerseits jedoch 1845 das volle Budgetrecht zu. 24 Im württembergischen Budgetrecht war die Möglichkeit der Stände, direkt in die Handlungsspielräume der Regierung einzugreifen und damit über die Fiskalpolitik Veränderungen der Regierungspraxis zu erzwingen, gering. Diese geringe aktive Komponente des Landtags war aber mit grundlegen119 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

den Passivrechten verbunden, die die Regierungspolitik zwar nicht bestimmen, aber doch beschränken konnten. Während des Vormärz, insbesondere in den 30er Jahren, spielte sich damit im Budgetrecht eine konstitutionelle Verfahrenspraxis ein, die auch 1848 überdauerte und bis ins 20. Jahrhundert hinein Bestand hatte. Das konstitutionelle Grundmuster einer aktiven Regierung und einer vor allem defensive Machtmittel besitzenden parlamentarischen Vertretung war in Württemberg in den beiden Grundpfeilern ständischer Partizipation, dem Budgetrecht und dem Gesetzgebungsverfahren, nahezu in Reinform entwickelt. Blieb dem Landtag ein Eingriff in die Verwendung der Etatmittel untersagt, war ihm im legislativen Bereich das Initiativrecht entzogen. »Gesetzesentwürfe können nur von dem Könige an die Stände und nicht von den Ständen an den König gebracht werden.« Eigene Gestaltungsmöglichkeiten besaßen die Stände nur mit dem Petitionsrecht, das sowohl dem einzelnen Abgeordneten wie den Kammern als Ganzes zukam; ohne daß damit aber ein verbindlicher Zwang auf die Regierung ausgeübt werden konnte. Andrerseits waren alle Gesetze an die Zustimmung des Landtags gebunden, »ohne Beistimmung der Stände kann kein Gesetz gegeben, aufgehoben oder authentisch interpretiert werden«. 25 Angesichts dieser Kompetenzdiversifikation, bei der jede Seite auf die andere angewiesen war, stellte sich das Problem der Entscheidungsfindung bei konträren Positionen. Das erste Drittel des Jahrhunderts war geprägt von der Vorstellung eines prinzipiellen Dualismus zwischen Regierung und Volksvertretung. 26 Paradigmatisch hatte sich dieses Modell im Verfassungsstreit nach 1815 offenbart; trotz aller Gruppenbildungen und Interessenkoalitionen war es eine Auseinandersetzung zwischen dem Monarchen und der sich als Repräsentant des Volkes verstehenden Ständeversammlung. Die altwürttembergische Tradition des ständischen Dualismus zwischen Herrschaft und Landschaft ging fast nahtlos über in das frühliberale Modell des Dualismus zwischen Regierung und Parlament als Ganzem. Nach 1830 und dem Politisierungsschub im Gefolge der Julirevolution wandelte sich dann die Opposition des Parlaments zur Opposition im Parlament. Zweierlei bestimmte und prägte diese Transformation in Württemberg. Einmal konstituierte sich erstmals eine liberale Gruppierung mit in vielen Punkten homogenen Grundsätzen und Ansichten, die auch im Landtag relativ geschlossen vorgetragen wurden. Zum andern organisierte der seit 1832 amtierende Innenminister Schlayer gegen diese »Fraktion« eine Gegenbewegung in der Zweiten Kammer und der Öffentlichkeit. 27 Die Liberalen scheiterten mit ihren Reformversuchen nicht zuletzt deshalb, weil sie nur rund ein Drittel der Abgeordneten auf sich vereinen konnten. Zudem wurde ihrer Offensive erfolgreich mit der von Schlayer initiierten »Parlamentarisierung von oben« entgegengewirkt. Mit Eingriffen in die Wahlvorgänge und einer Sammlung der gouvernemental gesinnten Abge120 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

ordneten in der Kammer formierte er eine eigenständige »Regierungspartei«. In einem Memorandum an den König äußerte er im März 1833, kurz vor Eröffnung des Landtags: »Es liegt in dem Wesen der RepräsentativVerfassung, daß die Regierung auf die Majorität der Stände als auf ihre Grundlage sich stützen müsse. Es ist daher Aufgabe des Ministeriums, sich diese Majorität zu erringen.« 2 8 Und das tat Schlayer. Bis 1848 blieb die liberale Regierungsopposition in der Abgeordnetenkammer gegenüber der »Regierungspartei« in der Minderzahl. Rückblickend bezeichnete R. Mohl die auf dem ersten Landtag von 1833 einsetzende Parteibildung als wichtigstes Ereignis des »vergeblichen Landtags«, er maß dieser Entwicklung große Bedeutung für die »konstitutionelle Erziehung« bei. 29 Damit ist auch der Ausweg bestimmt, auf dem das württembergische Verfassungssystem in der politischen Praxis dem »verfassungsmäßig geordneten Kriegszustand« entkam, als den HL Boldt die in der konstitutionellen Monarchie angelegte Machtaufteilung zwischen Regierung und Parlament bezeichnet. 30 Bereits 1831 hatte der Journalist F. Seybold, pragmatisch argumentierend, entscheidende Punkte der Befürworter einer parlamentarischen Regierungsweise aus den 40er Jahren vorweggenommen. »Ohne Mehrheit der Stimmen in der Kammer kann ein konstitutionelles Ministerium nicht regieren; es wird sich also bemühen, sie zu gewinnen.« Andrerseits gab es in Württemberg, vielleicht mit der Ausnahme des Römerschen Märzministeriums, keine im eigentlichen Sinn parlamentarische Regierung. Die einzelnen Regierungen hatten zwar jeweils eine parlamentarische Mehrheit, ohne aber deswegen parlamentarische Regierung zu sein. Nicht die Majorität der Zweiten Kammer stellte die einzelnen Minister, sondern der König. Dem entsprach die nur juristische, nicht aber politische Verantwortlichkeit der Minister für ihre Handlungen, sie waren anklagbar, aber nicht abwählbar. Gleichzeitig begrenzte die konstitutionell verankerte und nicht zu umgehende Partizipation der Abgeordnetenkammer den Handlungsspielraum der Krone. Das »monarchische Prinzip« führte nicht zur absoluten Herrschaft. Die Rekrutierung der Minister im 19. Jahrhundert verdeutlicht dieses Strukturprinzip der württembergischen Politik. Mit Ausnahme des Kriegs- und Außenministeriums wurden die einzelnen Ressorts überwiegend von Bürgerlichen geleitet, die ihrer sozialen Herkunft nach vor allem aus den klassischen Honoratiorenkreisen der Beamten-, Pfarrer- und Professorenfamilien stammten und über Verwandtschafts- und Heiratskreise eng miteinander verbunden waren. Fast alle Minister stammten aus der hohen Bürokratie des jeweiligen Ressorts, viele brachten zusätzlich Parlamentserfahrung mit. 31 Die in der konstitutionellen Theorie entgegenstehenden Teile von Krone und Volk, von Regierung und Abgeordnetenkammer wurden miteinander vermittelt durch die »bürokratische Regierung der Minister«. 3 2 Sowohl die Krone wie die Kammer - als Repräsentant des Volkes - waren der Verfassung unterworfen, es gab keine konstitutionsexemte Größe. In der 121 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Praxis erfolgte eine Vermittlung zwischen den beiden voneinander unabhängigen Teilen durch die intermediäre Stellung der Regierung und der Minister. 33 Der nur verfassungsgeschichtliche Zugang ermöglicht aber keine ausreichende Begründung für die Beständigkeit der württembergischen Verfassung. 34 Zu fragen ist deshalb nach den sozialgeschichtlichen Voraussetzungen und Bedingungen, die die politische Entwicklung prägten. Das Wahlrecht ist auf die Frage zu untersuchen, welche soziale Gruppen in den gewählten Organen vertreten waren; zusätzlich läßt sich anhand der Parteibildung im Vormärz verfolgen, nach welchen Kriterien sich neue Interessengruppierungen formierten.

2. Wahlrecht und Wahlpraxis Das Wahlrecht stellt eines der zentralen »Gelenkbänder« (R. Gneist) zwischen Staat und Gesellschaft dar. Am Beginn des 19. Jahrhunderts spiegelte sich in ihm der Auflösungsprozeß von altständisch korporativ geregelten Partizipationsrechten hin zu individuell gefaßten und sozial geprägten Teilhabemöglichkeiten wider. Die Mitglieder des altwürttembergischen Landtags wurden als Vertreter von Korporationen gewählt oder entsandt; die Prälaten repräsentierten primär die geistlichen Besitzungen, die bürgerlichen Abgeordneten waren zuerst Vertreter der einzelnen Amtskorporationen. Das Wahlverfahren in den Ämtern orientierte sich ebenfalls an der institutionellen Struktur von Gemeinde- und Amtskorporationen. Der Abgeordnete war damit primär Repräsentant der Amtskorporation. Die württembergische »Landschaft« vertrat ihrem Selbstverständnis nach zwar das Land und die gesamte Bevölkerung gegenüber dem Herzog, der Vertretungsanspruch des einzelnen Einwohners resultierte aber nicht aus seinem Status als Landesbewohner, sondern aus seiner Eigenschaft als Mitglied einer Korporation. 35 Im 19. Jahrhundert wurden die Abgeordneten zu Vertretern der Bevölkerung; das Landtagsmitglied wurde nicht mehr von der Amtskorporation, sondern von den Einwohnern des Amtsbezirks gewählt, der Gemeinderat nicht mehr vom Magistrat ernannt, sondern von den Gemeindebürgern des Orts gewählt. Der Repräsentationscharakter war jedoch durch verschiedene Kriterien im Wahlrecht begrenzt, von denen die des Alters, Geschlechts, Bürgerrechts und Zensus' die bedeutendsten waren. Gleichzeitig löste sich die relative soziale Homogenität der Ständeversammlung auf, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im wesentlichen ein Organ der bürgerlichen Führungsschicht, der Ehrbarkeit gewesen war. Dennoch blieb der Landtag auch nach der Privilegierung und institutionellen Absicherung des Adels in der ersten und zweiten Kammer ein dominant bürgerliches Forum. 122 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

α) Der Landtag Vor dem mit der Verfassung von 1819 in Kraft tretenden Wahlrecht wurden bereits zweimal - im Februar/März 1815 und Juni/Juli 1819 - Volksvertretungen im Sinne einer Wahl durch die Bevölkerung bestimmt. Das dabei zugrunde gelegte Wahlrecht basierte auf dem Wahlgesetz vom 29. Januar 1815, das selber wiederum auf der oktroyierten Verfassung von 1815 beruhte. Die Volksvertretung bestand nur aus einer Kammer, die Abgeordneten wurden direkt gewählt. Das aktive Wahlrecht besaßen alle männlichen Einwohner über 25 Jahren mit einem ständigen Wohnsitz, unabhängig von Religion und Stand, und einem Bruttoeinkommen aus Grund- und Hausbesitz von mindestens 200 fl. jährlich. 1815 waren daher 45751 Personen wahlberechtigt, bei einer Gesamtbevölkerung von 1 377 051 Einwohnern. Während nach Alter und Geschlecht etwa 2 3 % der Bevölkerung wahlberechtigt waren, blieben durch das Zensuskriterium hiervon nur ca. 1 5 % übrig, was insgesamt rund 3 % der Gesamtbevölkerung entspricht. Vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen waren insbesondere Soldaten und Beamte (nicht aber Offiziere und Kommunalbeamte), Geistliche, Ärzte und am Wahlvorgang beteiligte Schreiber. Hier galt kein Zensus, einzige Beschränkungen waren ein Mindestalter von 30 Jahren, der Besitz der Staatsbürgerschaft und die Mitgliedschaft in einer der drei christlichen Konfessionen. 36 1819 wurde dann nicht nur das von den Ständen ungeliebte Zweikammersystem eingeführt, sondern auch das Wahlrecht grundlegend modifiziert. Insbesondere eine beträchtliche Ausweitung der wahlfähigen Personen und die Einführung der direkten Wahl sind hier zu nennen. Das Wahlrecht besaßen die über 25jährigen, männlichen Gemeindebürger, die direkte Staatssteuern zahlten. Damit waren die Katastersteuern (Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer), nicht die Kapital- und Besoldungssteuern erfaßt. Die Verfassungsurkunde ging in § 138 davon aus, daß etwa 2 0 % der Bevölkerung als wahlfähig einzustufen seien; in der Realität lag der Prozentsatz zwischen 13 und 15%. 3 7 Die Zahl der Wahlmänner betrug ein Siebtel der Wähler. Nur ein Drittel der Wahlmänner wurde gewählt, zwei Drittel wurden qua Steuersatz bestimmt, es waren die Höchstbesteuerten. 38 In Altwürttemberg hatten nur die Magistratspersonen direkt am Wahlgeschehen teilgenommen. Nach 1815 umfaßten die berechtigten 3 % der Bevölkerung weitgehend den besitzenden Kern der alten Ehrbarkeit sowie die oberste Schicht der Grundbesitzer. Erst mit der Verfassung von 1819 waren - wengistens tendenziell - alle Bürger wahlberechtigt geworden. Die Ausweitung des aktiven Wahlrechts war jedoch mit einem indirekten Wahlverfahren gekoppelt, das als soziales Nadelöhr wirkte. U m der Frage der adäquaten Repräsentanz nachzugehen, liegt es nahe, jeweils die Sozialstruktur von Wählerschaft, Wahlmännern und Abgeord123 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

neten zu untersuchen. Die Wählerschaft ähnelte in groben Zügen der Bevölkerungsstruktur. Nicht wahlfähig waren insbesondere Beisitzer und diejenigen, die keine Katastersteuern zahlten. Besitzzersplitterung und Steuerrecht schufen jedoch die Voraussetzungen, daß der Kreis der Wahlfähigen sehr weit gesteckt war. Bei den Wahlen zur Paulskirche im April 1848 war die Zahl der Wahlfähigen nur unwesentlich höher, obwohl nun jeder volljährige »Selbständige« wählen konnte. Unselbständig war, wer unter Vormundschaft stand, Armenunterstützung erhielt, Konkurs gemacht hatte oder im »dienenden Verhältnis Kost und Wohnung« erhielt. 39 Im Vormärz waren ca. 14% der Bevölkerung wahlberechtigt, nämlich wer Gemeindebürger war und Realsteuern zahlte. Bei der Wahl zur Paulskirche waren etwa 17% stimmberechtigt (Hauptkriterium »Selbständigkeit«), und 1849/50 bei den Wahlen zu den verfassungsberatenden Landesversammlungen ebenfalls rund 17% (hier war die Entrichtung einer beliebig hohen direkten Staatssteuer neben den üblichen Alters- und Geschlechtskriterien maßgebend). Der hohe Anteil der Wahlfähigen an der Gesamtbevölkerung bei allen drei Wahlmodi wird durch einen Vergleich mit dem allgemeinen Wahlrecht von 1871 deutlich, unter dem ebenfalls nur ca. 2 0 % der Bevölkerung das aktive Wahlrecht besaßen. 40 Das Wahlrecht bewirkte also keine sozialstrukturelle Differenzierung zwischen Bevölkerung und Wählerschaft. In bezug auf die Wahlmänner sind mehr als »großzügige Trendextrapolationen« (H. Brandt) nicht möglich, genaue Angaben fehlen. Die Wahlmänner waren in zwei »Klassen« unterteilt, die I. Klasse der Höchstbesteuerten und die II. Klasse der Gewählten. Für die Wahl vom November 1844 liegen genauere Angaben über das jeweilige Steuervolumen vor. 41 1844 betrug die Zahl der Wahlmänner 42 237, davon 28 158 in der L Klasse. Im Durchschnitt entfielen auf 5,8 Einwohner ein Wähler und auf 41 Einwohner ein Wahlmann. Die Wahlmänner der I. Klasse, die 9 , 5 % der Gesamtwähler ausmachten, entrichteten einen Steueranteil von 2 9 , 3 % , die 9 0 , 5 % der übrigen Wähler, die die Wahlmänner II. Klasse bestimmten, brachten 7 0 % des gesamten Steuerbetrages auf. Der durchschnittliche Steuersatz je Wähler (295659 Personen im Jahr 1844) betrug 6 fl. 42 kr., in der I. Klasse 20 fl. 37 kr., in der Il. Klasse 5 fl. 14 kr. Bemerkenswert ist, daß die landesweite durchschnittliche Steuerquote eines Wählers II. Klasse nur in 30 Wahlbezirken, darunter allen sieben guten Städten, vom niedrigsten Betrag der Wähler der I. Klasse übertroffen wurde. In mehr als der Hälfte der Wahlkreise reichte also ein Steuersatz, der dem landesweiten Mittel der Wähler der II. Klasse entsprach, aus, um zu den Höchstbesteuerten gerechnet zu werden. Ein Extrembeispiel ist das Oberamt Spaichingen im Schwarzwaldkreis. Der Höchstbesteuerte mit dem niedrigsten Betrag hatte gerade 42 kr. an Steuern zu zahlen. Die relative Ausgeglichenheit der Besitzgrößen führte deshalb zu einer Nivellierung der beiden Wahlmänner-Klassen. Mit anderen Worten, die Gesamtzahl der hohe Steuern Zahlenden war so gering, 124 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

daß in die Klasse der Höchstbesteuerten bereits viele mit einem eher durchschnittlichen Steuersatz aufrückten. Ein analoges Ergebnis liefert die Analyse der Sozialstruktur der Wahlmänner. Generell dominierten Handwerker mit einem Anteil von 4 0 - 6 0 % unter den Höchstbesteuerten. Quantitativ folgten die Sozialgruppen der Kaufleute und Fabrikanten sowie der Wirte mit einem Anteil von jeweils 5-23% unter den Höchstbesteuerten. Diese besetzten zwar in aller Regel die Spitzenpositionen, aber beide Gruppen zusammen konnten in keinem Fall die Höchstbesteuertenklasse auch nur bis zur Hälfte füllen. In der II. Klasse war das Übergewicht der Handwerker noch deutlicher, denn trotz des hohen Anteils der ländlichen Wähler scheint das Wahlmänneramt eine Domäne der gewerblich Tätigen oder zumindest ein Gewerbe im Nebenerwerb Ausübenden gewesen zu sein. Die in der Verfassung verankerte Zweiteilung der Wahlmännerschaft erwies sich »in der Praxis jedoch fast als bedeutungslos«, der rechtlichen Privilegierung der Vermögenden fehlte schlichtweg die »ökonomische Entsprechung im Lande«. 42 Die Vorherrschaft des gewerblichen Mittelstandes war außerdem noch dadurch abgesichert, daß Beamtenschaft und anderen Bildungsberufen nur dann das aktive Wahlrecht zukam, wenn sie über Grund- oder Hausbesitz verfugten und das Gemeindebürgerrecht besaßen. Die Bevölkerung und die das aktive Wahlrecht Besitzenden waren mehrheitlich dem agrarischen und gewerblichen Mittelstand zuzurechnen. Die Wahlmännergremien wurden vorwiegend durch den gewerblichen Mittelstand dominiert. Aus welchen sozialen Gruppen rekrutierten sie nun die Abgeordneten? (vgl. Anhang 2.) Betrachtet man die Sozialstruktur der Landtagsmitglieder von 1820 an bis in die 50er Jahre des 19. Jahrhunderts, dann sind mehrere langfristige Verschiebungen sowie jeweils kurzfristige, nicht anhaltende Veränderungen der Zusammensetzung nach 1830 und von 1848 bis 1850 festzustellen. 43 Der Anteil der staatlichen Beamten, die in den 20er Jahren etwa die Hälfte der Abgeordneten gestellt hatten, sank langfristig auf etwa ein Fünftel ab. In den Phasen verstärkter Politisierung nach 1830 und nach 1848 verstärkte sich dieser Vorgang, ohne in den 30er Jahren schon dauerhafte Ergebnisse zeitigen zu können. Insbesondere Schlayer hatte die Beamtenschaft, die vor 1830 zwar zumeist auch schon regierungstreu gewesen war, zumindest funktional zur ›Regierungspartei‹ gemacht. In der Öffentlichkeit wurden deshalb zunehmend Beamtenstatus und Regierungsmeinung miteinander identifiziert. In dem Maße, wie sich dann jeweils die Opposition formierte, reduzierte sich die Dominanz der staatlichen Beamten im Landtag. Die Gemeindebeamten entziehen sich in der von Langewiesche benutzten Grobkategorisierung einer genaueren Interpretation. »Gemeindebeamte« umfaßt hier sowohl Fachbeamten- wie Ehrenbeamtentum. Bei letzterem waren in der Regel Doppelbezeichnungen (Erwerbsberuf und Selbstverwaltungsfunktion) üblich. Hinter einem relativen konstanten An125 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

teil von 2 0 - 3 0 % verbergen sich jedoch einige Verschiebungen, die zu Beginn der 20er Jahre noch sehr zahlreich vorhandenen Schreiber etwa verloren in der Folgezeit ihren politischen Einfluß fast völlig. Das Wirtschaftsbürgertum erhöhte seinen Anteil langfristig und kontinuierlich. Sein hoher Anteil für die beiden ersten Landtagsperioden resultierte noch aus der starken Repräsentanz des Handels; diese dem traditionellen städtischen Patriziat und der Ehrbarkeit zuzurechnende Sozialgruppe verschwand dann aber fast ganz. Der Anstieg der Prozentzahlen resultierte aus dem allmählichen Anwachsen der Gruppe der gewerblich und bald auch industriell Tätigen. Das »Bildungsbürgertum« weist in seiner Repräsentanz die größten Schwankungen auf, sein Anteil indiziert gleichsam seismographisch den jeweiligen Grad der Politisierung und Öffentlichkeitswirkung der Landtagsarbeit. Nach dem ersten Schub in den 30er Jahren - wobei die knapp 3 0 % der Sozialgruppe Bildungsbürger mit der Drittelstärke der liberalen Fraktion im Landtag von 1833 bis 1838 zwar nicht gleichzusetzen ist, aber doch weitgehende Übereinstimmung aufweist 44 - zeigt der Anstieg im neugewählten Landtag von 1848 und in den drei verfassungsberatenden Landesversammlungen die Führungsrolle des gebildeten Bürgertums an. Gleichzeitig wurden auch die parlamentarischen Aktionsformen von den bürgerlichen Sozialgruppen stark beherrscht. Denn das »Kleinbürgertum«, das mit den Bauern und Handwerkern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung umfaßte, stellte mit den Handwerkern und Wirten (diese drei Gruppen faßt Langewiesche unter dem Begriff Kleinbürgertum zusammen) zwar auch die Mehrheit der Wahlmänner, war im Landtag während des gesamten Zeitraumes aber nur marginal repräsentiert. Die Diskrepanz zwischen der Struktur von Bevölkerung, Urwählerschaft und Wahlmännern auf der einen Seite sowie den Abgeordneten auf der anderen ist eklatant. Man sollte sich aber davor hüten, sie auf das vormärzliche Zensus- und Klassenwahlrecht zurückzuführen. Wie oben gezeigt wurde, ist nicht das Wahlrecht die »Ursache der eigentümlichen Diskongruenz von Wählerschaft und Volksvertretung, sondern das Wahlverhalten der Abstimmenden«. 4 5 Das württembergische Wahlrecht und die Sozialstruktur waren »egalitärer« als das Wahlverhalten. Wie ist das Ergebnis zu erklären? Bis zur ersten Wahl nach der Julirevolution in Frankreich dominierten bei der Kandidatenaufstellung und dem Wahlvorgang die lokalen Honoratioren. Die »politischen Zaunkönige« stützten sich noch sehr stark auf die traditionellen Einflußmöglichkeiten der Schreiber. 46 Ihr Einfluß wurde durch das Arrangement mit der staatlichen Bürokratie abgesichert, insbesondere den beiden mächtigsten Figuren in jedem Bezirk, dem Oberamtmann und dem Oberamtsrichter. Diese implizite Koalition zwischen Beamtenschaft und traditioneller lokaler Elite hatte sich bereits am Ende des Verfassungskampfes angedeutet, als Altrechtler und Regierung zusammenrückten, um die weitergehenden Reformforderungen von Liberalen und 126 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Volksfreunden zurückzuweisen. In der Behandlung des Falles von List zu Beginn der 20er Jahre hatte diese Koalition ihre Bewährungsprobe bestanden. Das System der informellen Einflußbildung wurde erstmals in den Wahlen von 1831 grundsätzlich in Frage gestellt. Die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten, die Formierung des Liberalismus als politischer Strömung und Organisierung dieser Opposition in Gesellschaften, Klubs und nicht zuletzt der Presse, veränderten das parlamentarische Umfeld in entscheidendem Maße. Zwar ist das zeitgenössische Bild eines »Netzes von Wahlklubs« wohl etwas übertrieben, aber mit Adressen, Resolutionen, Versammlungen und Wahlmännertreffen vollzog sich eine Politisierung und in Ansätzen auch Organisierung des öffentlichen und politischen Lebens. 47 Die lokalen »Klubs« und Gesellschaften wurden im Rahmen des Möglichen von der Stuttgarter »Gesellschaft von Freunden des Vaterlandes«, die eng mit dem »Hochwächter« - dem späteren »Beobachter« und Hauptorgan der Liberalen - zusammenarbeitete, in ihren Aktionen koordiniert. Die Wahlbewegung von 1831 orientierte sich noch ganz am vormärzlichkonstitutionellen Modell des Gegenübers von Parlament und Regierung. Die Abgeordneten sollten das Volk repräsentieren, nicht partikulare Interessen vertreten. Diese Haltung zeigt sich vielleicht am deutlichsten daran, daß die Stuttgarter »Gesellschaft« erst nach langem Zögern dem späteren Innenminister Schlayer keine Wahlhilfe gewährte. Nicht auf Grund von politischen Differenzen, sondern weil es inadäquat erschien, einen amtierenden Ministerialrat als Parlamentsvertreter zu wählen - in welcher Eigenschaft er die Regierung überprüfen sollte. Die Liberalen intendierten eine Formierung, keine Fraktionierung der Opposition. Hierzu wurden sie wider Willen getrieben. Zuerst durch die Verschleppungstaktik des Königs, der den Landtag erst 1833 einberief48, dann vor allem durch die Politik Schlayers, der 1832 zum Innenminister avanciert war und nun seinerseits das Regierungslager organisierte. Er betrieb gleichsam eine Parlamentarisierung der Regierung »von oben«, indem er über Indienstnahme der Beamtenschaft vor Ort massiv die Wahlen zu beeinflussen suchte und andrerseits in der Zweiten Kammer die konservativen und regierungstreuen Kräfte zu einer stabilen Mehrheit formierte. 49 Damit war, trotz der erneuten Kalmierung am Ende der 30er Jahre, der prinzipielle Wandel von den informellen Einflußzirkeln traditioneller Honoratiorenpolitik zu formellen Organisationsstrukturen vollzogen, aus denen die späteren politischen Parteien entstehen sollten. Die Formierung von institutionalisierten Bereichen der politischen Willensbildung ermöglichte eine Ablösung der Hegemonie der alten Führungsschicht, der altwürttembergischen Ehrbarkeit. Gleichzeitig wurde auch der Wandel zur modernen parlamentarischen 127 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Wahlpraxis vollzogen. Mit der Verfassung von 1819 waren breite Schichten aktiv in das politische Geschehen miteinbezogen, indem sie am Wahlvorgang teilnahmen. In der Regel wurden die wahlfähigen Bürger aufs Rathaus vorgeladen, wo ihnen die Namen aller Wahlfähigen vorgelesen und die Stimmzettel ausgehändigt wurden. Einige Tage später erfolgte dann die eigentliche Wahl, bei der die Stimmzettel wiederum im Rathaus abgegeben werden mußten. Über einen Zeitraum von 30 Jahren wurde die Partizipation am politischen System eingeübt. Darauf aufbauend, entwikkelte sich nach einem ersten Schub in den frühen 30er Jahren besonders seit der Mitte der 40er Jahre ein weiterer Bestandteil des parlamentarischen, demokratischen Lebens. Neben dem institutionalisierten, offiziellen Bereich der Wahlhandlung entstand nun die öffentliche Wählerwerbung. Die Vorgänge um R. Mohls Landtagskandidatur 1845 hatten hierbei die Funktion einer Initialzündung, Kandidaten wie Wähler unterlagen einem Politisierungsschub, seitdem es sich immer mehr durchsetzte, »durch öffentliche Vorträge vor den Wahlmännern als Bewerber um die Abgeordnetenstelle aufzutreten«. 50 An einer der am heftigsten umstrittenen Kandidaturen im württembergischen Vormärz sei das veranschaulicht. Im Herbst 1846 starb der langjährige Esslinger Abgeordnete und Fabrikant Karl Deffner. Bei der anstehenden Nachwahl trat der Stuttgarter Rechtsanwalt Wilhelm Murschel als Bewerber auf, der sich eindeutig als Anhänger der liberalen Opposition zu erkennen gab. Auf mehreren Wählerversammlungen im Amt und in der Stadt selber hielt Murschel Reden und stellte sich und seine Anschauungen vor. Nach der Wahl der Wahlmänner begann dann die »heiße« Phase des Wahlkampfes, in der sich Kandidaten und Parteien gezielt um Stimmen bemühten. Erst nach diesem Zwischenschritt trat der konservative Bewerber auf: Auf einer Wahlmännerversammlung etwa eine Woche vor der Wahl empfahl der Esslinger Schultheiß Weinland den Obertribunalrat v. Ege als Abgeordneten. 51 In den letzten Tagen vor der Wahl häuften sich dann Versammlungen, Vorträge, Wahlempfehlungen in der lokalen Presse, v. Ege siegte schließlich mit minimalem Stimmenvorsprung. Die liberale Gegenseite kündigte darauf an, das Ergebnis und die Wahlvorgänge sofort in der Abgeordnetenkammer überprüfen zu lassen. 52 Bei der Wahl in Esslingen waren »Freunde wie Feinde . . . diesmal meist nicht Freunde oder Feinde der Personen, um die es sich handelte, sondern des Prinzips, dem diese dienten«. Die Ablösung des Honoratiorensystems durch Parteiwahlen war kein konfliktfreier Prozeß, was sich etwa auch daran zeigte, daß seit Anfang der 30er Jahre eine immer wieder aufflakkernde Debatte darüber geführt wurde, ob Kandidaten aus dem Bezirk stammen sollten, in dem sie sich bewarben. 53 Der Vorteil dieser zeitlichen Entzerrung von politischem Konfliktstoff zeigte sich dann 1848/49, als nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Landtags Formen der 128 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

politischen Auseinandersetzung bereits Bestand hatten, die andernorts ebenso wie parlamentarische Vertretungen überhaupt fehlten. In Württemberg wurde 1848 die Reform eines politischen Systems versucht, das in anderen Staaten erst geschaffen werden mußte. b) Gemeindewahlen In Altwürttemberg hatte es keine Wahlen im kommunalen Bereich gegeben, die Magistrate erneuerten sich durch das Selbstergänzungsrecht. Das war eine der wichtigsten Voraussetzungen für die dominierende Stellung der Ehrbarkeit gewesen und hatte seit dem späten 18. Jahrhundert immer wieder Anlaß für Kritik geboten. 1817 wurde nun erstmals in den Gemeinden ein Wahlorgan geschaffen. Auf ein Versprechen im königlichen Verfassungsentwurf von 1817 (§ 104) Bezug nehmend, wurde die Institution der Gemeindedeputierten - von 1822 an Bürgerausschuß genannt - gegründet. Damit sollte den Gemeinden ermöglicht werden, »Stellvertreter zu Wahrnehmung ihres Interesses den Magistraten gegenüber zu wählen«. Gewählt wurde auf zwei Jahre, wobei jedes Jahr die Hälfte der Mitglieder ausschied; das Wahlrecht besaßen alle Gemeindebürger ohne irgendwelche Zensusbeschränkungen. Aufgabe der Gemeindedeputierten sollte es sein, sich über Gegenstände der Gemeindeverwaltung zu beraten und dem Magistrat »Wünsche, Vorschläge und Beschwerden« zu unterbreiten. 54 Im Juni und Juli wurde in allen Gemeinden des Landes dieses kommunale Kontrollorgan gewählt. Daraus entstand ein Konflikt, der mit dem schwelenden Verfassungsstreit zusammenhing. Anfang Juni hatte Wilhelm den Landtag aufgelöst, als dieser den zweiten, revidierten königlichen Verfassungsentwurf erneut ablehnte. Die Auseinandersetzung zwischen Krone und Altrechtlern wirkte sich nun auch auf die Gemeindereform aus. In vielen Orten und Bezirken verweigerten die gewählten Deputierten die vorgeschriebene Vereidigung. Es wurde befürchtet, daß damit nicht nur ein Diensteid der Gemeindevertreter, sondern zugleich ein Huldigungseid (und damit die Annahme des von den Ständen soeben verworfenen Konstitutionsentwurfs) dem König gegenüber verbunden sei. 55 Konzentriert war diese ablehnende Haltung auf die altwürttembergischen Teile Württembergs, vor allem die Ämter aus dem Schwarzwald- und Neckarkreis berichteten über Eidverweigerungen oder eigenmächtige Hinzufügungen zum Wortlaut, mit denen eine Verfassungsanerkennung abgelehnt wurde. Bei der Ablehnung orientierte man sich an den führenden Ämtern. So wurde aus Nagold gemeldet, die Deputierten verweigerten solange den Eid, bis die anderen altwürttembergischen Ämter, die den Verfassungsentwurf abgelehnt hatten, ebenfalls schwören würden. Erst als vom Ministerium über die Bezirksbeamten an die einzelnen Orte weitergeleitet und versichert worden war, daß mit diesem Eid keine Verfassungshuldigung verbunden sei, konnte das gesetzlich vorgesehene Verfahren abgeschlossen werden. 5 6 129 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Nach diesem ersten, allgemeinpolitisch bedingten Konflikt um die Gemeindedeputierten kam es bald zu erneuten Auseinandersetzungen. Seit dem Herbst des Jahres 1817 häuften sich die Klagen und Beschwerden der Oberamtsbehörden über die Aktivität der neugewählten Gemeindevertreter. Einerseits gab es vereinzelt noch immer Widerstand gegen die Einrichtung überhaupt. Gemeinden vertraten die Ansicht, sie benötigten keine Deputierten, da sie mit ihrem Gemeinderat zufrieden seien bzw. dessen Unmut nicht hervorrufen wollten. Diese Renitenz wurde von der Administration recht geschickt gebrochen, indem sie den Gemeinden mit höheren Kosten drohte. 57 Andrerseits, und das war der weitaus umfangreichere und bedeutendere Teil der Eingaben, klagten die staatlichen Beamten über ihre Kompetenzen überschreitende Bürgerkollegien, deren Aktivität zudem noch von den »Demokraten« um die Zeitschrift der »Volksfreund« angeregt und unterstützt würde. Im Gefolge dieser Klagen wird dann zumeist eine genauere Beschreibung und womöglich Beschränkung des Geschäftskreises der Bürgerkollegien gefordert. 58 Im Frühsommer 1818 gingen von allen vier Kreisregierungen zusammenfassende Berichte und Stellungnahmen zu den Turbulenzen ein. Im Schwarzwaldkreis wurden vor allem die »Verwilderung des Volkes« durch den Krieg und Fehler der Beamten als die Ursachen benannt. Der Referent des Jagstkreises führte als Nachteil der neuen Einrichtung an, daß die »Wirksamkeit der Magistrate« und die »Leitsamkeit der Untergebenen« beeinträchtigt würden, zudem der »Faktionsgeist« in den Gemeinden geweckt würde. Trotzdem sprach er sich für die neue Einrichtung aus, forderte jedoch eine genauere Regelung des Verhältnisses von Bürgerausschuß und Gemeinderat. Der Gutachter der Regierung des Donaukreises sah die Streitigkeiten darin begründet, daß der Gemeinderat als Administrativbehörde das Gemeindevermögen verwalte, während der Bürgerausschuß Repräsentant der Gemeinde als Eigentümerin sei. Die Regierung des Neckarkreises schließlich benannte als Ursache, daß die Regierung mit dem Bürgerausschuß ein Organ zur Verwaltungskontrolle hatte schaffen wollen, dieses nun aber vielfach selber bei der Verwaltungsarbeit mitsprechen wolle. Gemeinsam vertreten wurde die Forderung nach einer neuen, spezifizierten Instruktion für die Gemeindedeputierten. 59 Die Regierung blieb ihrer Linie vom Vorjahr treu, die sie schon im Herbst 1817 verkündet hatte. Sie sprach sich dafür aus, dem Bürgerausschuß, der oft seine Kompetenz über den Rahmen des Erlaubten hinaus auszuweiten versuchte, seine Grenzen genauer aufzuzeigen - ihn innerhalb derselben aber zu stärken und gegen Anfeindungen der traditionellen Magistrate zu schützen. Aus demselben Grund war j a auch das Wahlrecht so weit gefaßt worden (das Bürgerrecht besaß in Württemberg die große Mehrheit der männlichen, volljährigen Bevölkerung), denn jede Beschränkung würde nur zur »aristokratischen Abartung des Instituts« führen. 60 Letztlich verfolgte die Regierung drei Ziele mit der Einrichtung der 130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Gemeindedeputierten. Erstens sollte der Kreis der in der Gemeindepolitik aktiven Bürger nach unten erweitert werden. Zweitens sollte die Kontrolle der Gemeindeverwaltung verstärkt durch die Bürgerschaft selber ausgeübt werden, wovon man sich eine Entlastung der staatlichen Bürokratie erhoffte. Schließlich sollten die Gemeindemagistrate durch die »bürgernahe« Kontrolle auch zu einer effizienteren Verwaltungspraxis genötigt werden, was einer der zentralen Punkte der letzten Jahrzehnte gewesen war. Als nun im Gefolge des Aufbrechens der verkrusteten Struktur der Gemeindeverwaltung - hier kam den neugeschaffenen Gemeindedeputierten eine zentrale Rolle zu - die Dominanz der bisherigen Führungsschicht in Frage gestellt wurde, aktivierte sich das politische Geschehen in den Gemeinden. Vor der lokalen Politisierung schreckte aber die Regierung zurück und versuchte, dieses Potential zu kanalisieren. Dazu wurden auf der einen Seite die Aufgaben des Bürgerausschusses, wie die Einrichtung nun hieß, im Verwaltungsedikt von 1822 präziser und eindeutiger, und vor allem passiver, formuliert. Auf der anderen Seite, und das war das Entscheidende, wurde 1819 das Wahlprinzip auch für die Gemeinderäte eingeführt. Im selben Moment verlor die Stellung der Gemeindedeputierten ihre Brisanz, da nun auch der Gemeinderat als Repräsentant der Bürgerschaft gelten konnte. Wie in den folgenden Jahrzehnten die Auseinandersetzung um die Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte zeigte, war mit diesem Ausgang das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben worden. Die seit 1819 bestehende Wählbarkeit der Gemeinderäte war, wie vorn gezeigt, eingeschränkt. Wurde ein Mitglied nach zwei Jahren sofort wiedergewählt, gehörte es danach dem Gemeinderat auf Lebenszeit an. Das wurde bis Ende der 30er Jahre auch willig akzeptiert, danach ging man aus Protest gegen die Lebenslänglichkeit der Amtsdauer - vielfach dazu über, Gemeinderäte nicht unmittelbar wiederzuwählen und sorgte so für einen beständigen Wechsel nach zwei Jahren. Für die politische Bedeutung des Gemeinderats sind deshalb die neugewählten Mitglieder aufschlußreicher als die jeweilige Zusammensetzung des Gesamtmagistrats, in dem immer ein Anteil lebenslänglicher Mitglieder, die z. Τ. auch noch Überbleibsel der alten Vertretung vor 1819 sein konnten, enthalten war. 61 Für drei Städte wurden die Wahlgremien genauer untersucht: 62 (vgl. Anhang 3.) Biberach, ein kleines Landstädtchen zwischen Donau und Bodensee von knapp 5000 Einwohnern, liegt in einem Gebiet, das vor 1800 vor allem durch kirchliche und habsburgische Herrschaftsrechte geprägt war. Etwa 6 0 % der Bevölkerung waren katholisch. Im Ort waren besonders Textilgewerbe angesiedelt, eigentliche Industrie fehlte fast völlig. 63 Ehemals zu Altwürttemberg gehörte die Stadt Heidenheim, nördlich der Donau auf der Ostalb gelegen. Seinerzeit eines der protoindustriellen Zentren in Schwaben, gelang Heidenheim im Lauf des 19. Jahrhunderts der Einstieg in die Industrialisierung, der die Stadt nach 1850 zu einem regionalen Wirtschaftszentrum werden ließ. Die evangelische Einwohner131 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

schaft wuchs von ca. 2000 um 1820 bis zur Jahrhundertmitte auf rund 3000 an. 64 Dritte Vergleichsstadt schließlich ist Ulm, die zweitgrößte Kommune des Landes mit rund 20000 Einwohnern um 1850. Die ehemalige Reichsstadt mit protestantischer Mehrheit war 1810 nach einem kurzen Intermezzo unter bayrischer Herrschaft zu Württemberg gekommen. 6 5 Die vorliegenden Zahlen geben beim Gemeinderat einen Überblick über die jeweils im angegebenen Zeitraum neu gewählten Mitglieder, beim Bürgerausschuß entspricht das auch der Zusammensetzung des Gremiums. Das Material wird trotzdem detailliert ausgebreitet, da es zum einen vor allem auf Trendaussagen ankommt, andrerseits aber auch eine Vergleichsmöglichkeit zu den Angaben auf der Landtagsebene geschaffen werden soll. 66 Die Wahl ging so vor sich: Wie bei den Landtagswahlen wurden alle stimmfähigen Bürger von ihrem Recht und dem Zeitpunkt der Wahl informiert. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß in den meisten Gemeinden oft mehrmals im Jahr gewählt wurde. Jährlich mußte die Hälfte des Bürgerausschusses erneuert werden, und zum Gemeinderat wurde immer dann gewählt, wenn ein Mitglied starb, zurücktrat oder nach seiner zweijährigen Amtsperiode ausschied. Demgegenüber hatten die ungefähr alle sechs Jahre stattfindenden Landtagswahlen geradezu Seltenheitswert. Mit der Häufigkeit der Wahlen ist wohl auch die wichtigste Ursache für die in der Regel nur mäßige Wahlbeteiligung benannt. In den 30er Jahren, als die Beteiligung immer häufiger unter 5 0 % absank - was zwar zur Verlängerung der Wahlfristen führte, aber meist ohne Erfolg blieb-, wurde auch im Landtag darüber debattiert. Bußgelder für das Fernbleiben von der Urne wurden in Aussicht gestellt, von einzelnen Gemeinden mit kurzfristigem Erfolg auch öffentlich verkündet 67 - der Kreis der aktivierbaren Bürger blieb jedoch begrenzt. Ende der 30er Jahre setzte sich, in derselben Zeit als das politische Geschehen in der Abgeordnetenkammer mehr und mehr einschlief, auch auf kommunaler Ebene die Praxis von Wahlkämpfen durch. Vor den Wahlen wurden einzelne Bewerber oder auch ganze Kandidatenlisten in der örtlichen Presse vorgeschlagen. Meist konzentrierte sich das lokale politische Leben dabei in Vereinen und Gesellschaften, in denen vorab über Bewerber verhandelt wurde. So unübersehbar dieser Vorgang ist, darf man ihn doch nicht mit späteren Maßstäben messen: Noch 1849, also nach einem Jahr intensiver Politisierung des Gemeindelebens, kursierten etwa in Ulm zwei Kandidatenlisten, die der »Konstitutionellen« und der »Volkspartei«, die aber mehrere gemeinsame Bewerber enthielten. 68 Auch das ist ein Indiz dafür, daß es eine Binnenformierung innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppierung blieb. Daß in den Jahrzehnten nach 1817 der Bürgerausschuß an Bedeutung verlor, ist am deutlichsten an der geringen Wahlbeteiligung zu erkennen, die meist unter der der vielen Gemeinderatswahlen lag. Wie sollte hier auch eine feste Gegenposition gegen den Gemeinderat entstehen, wenn vielfach 132 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die Vorsitzenden des Bürgerausschusses nach kurzer Zeit selbst in den Magistrat gewählt wurden? 69 In der Sozialstruktur der Gewählten in beiden Organen dominieren eindeutig die »gewerblich Tätigen«. Den größten Posten stellt das »Handwerk«, gefolgt von den Kaufleuten. Die Dominanz der Kleingewerbe ist im Bürgerausschuß, dem unbedeutenderen Gremium, deutlicher als im Gemeinderat. In Heidenheim, einer stark gewerblich geprägten Stadt, überwiegen die Neuzugänge aus diesen Schichten eindeutig, während in Biberach und mehr noch in Ulm der Anteil von Beamten und Bildungsbürgern ansteigt. Die Berufsbezeichnungen können aber kaum mehr als Anhaltspunkte liefern, zu viele Ungenauigkeiten sind hierin enthalten. In Heidenheim ist für die Jahre 1840 bis 1847 das jeweilige Privatvermögen der in den Gemeinderat Gewählten überliefert. 70 Von den 20 Personen besaß danach jede ein durchschnittliches Vermögen von rund 13000 fl., ein Reichtum, der nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt war. Bildungsbürger (15500 fl.), Handwerker (7000 f l ) , Wirte (19000 f l ) , Kaufleute (23 000 fl.) und Fabrikanten (45000 fl.) mußten damit zur ökonomischen Oberschicht gehören, um in die politischen Führungsgremien gewählt zu werden. Der hohe Anteil des Handwerks bedeutet also nicht, daß die Mehrheit der von Armut bedrohten Kleinmeister die Lokalpolitik dominierte. Dieser Befund ist aber zugleich ein Indiz dafür, daß die ehemals rechtlich abgegrenzte Dorfoberschicht sich in kurzer Zeit zu einer durch finanzielle und wirtschaftliche Kriterien bestimmten Führungsschicht gewandelt hatte. Bei diesem Wandlungsprozeß blieben die Veränderungen aber begrenzt. Zum einen deckten sich die einst rechtlich privilegierten und nun ökonomisch hervorgehobenen Gruppen vielfach, zum andern, und das zeigt die relative Konstanz der Sozialstruktur, kam es nur zu Verschiebungen innerhalb derselben gesellschaftlichen Formationen. Auch hier wirkt sich wieder die ausgeglichene Sozialstruktur Württembergs aus, die es ermöglicht, daß bei einer Änderung des Wahlrechts (1819) in einer Stadt wie Biberach Fragen konfessioneller Parität ganz im Vordergrund stehen, daß die immense Ausweitung der politisch Berechtigten ohne offene soziale Konflikte vonstatten geht. 71 Rein numerisch sichtbar ist auch der Kampf um die Aufhebung der Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen, wie er vorn beschrieben wurde. Man kann diese Entwicklung grob als Wellenbewegung skizzieren. In Ulm etwa wurde 1821 beim Ablauf der ersten zweijährigen Wahlperiode nur einer von neun Stadträten sofort wiedergewählt und damit auf Lebenszeit bestätigt. In den nächsten Jahren wurde das aber immer mehr zur gebräuchlichen Praxis, bis 1830 schließlich alle Stadträte auf Lebenszeit im Amt waren. Von der Mitte der 30er Jahre an schlug das Pendel um, nach 1836 wurden-bis 1848 - nur noch zwei Stadträte auf Lebenszeit gewählt; es waren jeweils die Stadtpfleger, die man wegen ihres Amtes beständig im Rat anwesend haben wollte. 72 Die NichtWiederwahl, die nötig war, um eine unbegrenzte Amts133 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

dauer zu vermeiden, bedeutete aber nicht, daß es keine langjährigen Ratsmitgliedschaften gegeben hätte. So war David Schultes, Großhändler aus Ulm, zwischen 1831 und 1 848 12Jahre lang Stadtrat, er wurde sechsmal in den Magistrat gewählt - aber nie direkt nacheinander. Der »Wahlprotest« breitete sich, von den Metropolen wie Stuttgart und Ulm ausgehend, von der liberalen Opposition und Presse unterstützt, nach und nach über zahlreiche Gemeinden aus. In den 40er Jahren setzte sich diese Bewegung dann auch in ruhigen Gegenden wie Biberach durch, bis schließlich dieses Verfahren »nachgerade sogar in den kleinsten und entlegensten Dorfschaften sich Eingang zu verschaffen angefangen« hatte. 73 Im diachronen Verlauf betrachtet, weisen die Angaben über die k o m m u nalen Abgeordneten eine erstaunliche Konstanz auf, gravierende Veränderungen fehlen. Das bestätigen auch die Gemeindewahlen von 1848, als die lebenslänglichen Mitglieder zahlreich zurücktraten, und 1849, als - mit neuem Wahlrecht 74 - wiederum neu gewählt wurde. Bei diesen Wahlen wurden in vielen Fällen bisherige Gemeinderäte wiedergewählt. Diese Kontinuität belegt, daß der Kampf um die Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen vor allem ein Konflikt war, der die dominierende bürgerliche Sozialformation in ihrer Herrschaftsausübung und nicht in ihrem Herrschaftsanspruch betraf Weder die Periodizität der Wahlen, die j a eins der zentralen Themen des Liberalismus war und immer eingeklagt worden war, noch die Ausweitung des Wahlrechts, die zwar bald beklagt wurde, aber in ihren quantitativen Auswirkungen begrenzt blieb, änderten daran etwas. Der Politisierungsschub, den die Gemeindewahlen am Ende des Vormärz erfuhren, spiegelte die landesweiten Konflikte und Parteibildungen im Kleinen wider. Zwei Ursachen sind hierfür zu nennen. Einerseits verwies die württembergische Gemeindeordnung viele grundlegende Probleme in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen. Andrerseits konnte das erwachte öffentliche Interesse, das auf der zentralen, landesweiten Ebene noch vielfachen Restriktionen und Beschränkungen unterlag, vor allem aber geringe Einflußmöglichkeiten auf die Regierungspolitik hatte, im kommunalen Sektor aktiv in die Gestaltung des politischen Lebens eingreifen. In einem Jahresrückblick auf das Jahr 1846 - dabei aber Tendenzen der letzten Jahre zusammenfassend - schrieb der »Beobachter«: »Von der ungehinderten Teilnahme an den staatlichen Geschäften zurückgedrängt, zieht sich der politische Gedanke, dessen innerstes Wesen es ist, zu der anderen Türe einzutreten, wenn man ihn aus der einen verjagt hat, in die gemeindebürgerlichen Angelegenheiten auf die Rathäuser zurück, um langsam und mühevoll Stein um Stein von unten her zu bauen, was durch den rascheren und allerdings in die Augen fallenden Bau von obenher nicht gelingen wollte. Wir wissen daher wohl, was wir tun, wenn wir Dingen, welche anderwärts so unbedeutend und gleichgültig erscheinen, wie Stadtratswahlen usw. ein unausgesetztes, bis ins Einzelnste gehendes Augenmerk schenken.« 134 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Der Autor des Artikels beschrieb hier exakt die Bedeutung der württembergischen Kommunalwahlen wie ihre Funktion für die Politisierung der Bevölkerung und die Eingewöhnung in parlamentarische Verhaltensweisen. Durch die geringen Möglichkeiten zur aktiven Mitverantwortung im württembergischen Landtag wurde das erwachende politische Potential auch - und von der Regierung sicherlich nicht beabsichtigt - auf die größeren und weniger eingeschränkten Partizipationschancen im gemeindlichen Rahmen verwiesen. Die Kommunalpolitik bildete daher nicht nur eine Ergänzung zur Landespolitik, war nicht nur parlamentarische Praxis en miniature, gleichsam Politik »zum Anfassen«. Auf dieser Ebene vollzog sich gleichzeitig die Formierung der Opposition, die Organisation der Kräfte des Liberalismus. Darauf konnten, als sich das parlamentarische Leben im Landtag selber belebte, sowohl die Opposition als auch die Regierung aufbauen. Das hatte auch bereits der unbekannte Autor dieses Artikels erkannt. Er bemerkte, daß derjenige, der langfristig im öffentlichen Leben wirken wolle, »die Rathäuser als seine Schulen [betrachtet], zumal in Württemberg auf diesem Felde die Gesetze selbst dem Strebenden hilfreich entgegenkommen«. 7 5 Die Kommunalwahlen wurden damit ein Spiegelbild der Wahlen zum Landtag. In einem Artikel im »Beobachter« im November 1847 gab der ungenannte Verfasser einen Rückblick auf die Gemeindewahlen seit 1819/22. Bis 1830 hätten die traditionellen Führungsgruppen im Magistrat »ungeachtet ihrer geringen Zahl die große Mehrheit der Wahlberechtigten« geleitet. Dieses Honoratiorenregiment - ohne daß er den Ausdruck verwandte — habe bis 1830 Bestand gehabt. 76 Danach sei in den meisten größeren Gemeinden die Vorherrschaft auf die »Gesellschaften der wohlhabenden, unabhängigen Bürger« übergegangen, die sich in den verschiedensten Vereinigungen, als Lese-, Gesangs- oder Schützenvereine, konstituierten. Auch dabei, »wie es freilich gewissermaßen in der Natur der Sache« liege, habe eine »kleine Minderheit über eine viel größere, überwiegende Mehrzahl« entschieden, insbesondere »sofern die Mitglieder dieser Gesellschaften schon an sich eine Minderheit gegen die übrigen Bürger sind«. Der Verfasser zeichnet im folgenden das Bild zweier Gruppen, der »Ämterbesitzer« und der »Wohlhabenden«, die untereinander um die Führungsrolle in den Gemeinden konkurrierten. Die soziale Exklusivität der kommunalen Leitung werde aber zunehmend durch eine »Bewegung der Besitzlosen« in Frage gestellt, deren »Zweck ist, sich von dem Einfluß beider Parteien frei zu machen«. Auf den Dörfern organisierten sich die Seidner gegen die Bauern, in den Städten gründeten die geringeren Handwerker eigene Vereine. Der »Beobachter« begrüßte zwar die Artikulation unterschiedlicher Interessen innerhalb des bürgerlichen Lagers 77 , es sollte aber auf jeden Fall garantiert werden, »daß der erfahrene und einsichtsvolle Bürger von dem Besitzlosen nicht zu frühe das Heft sich aus der Hand winden lasse«. Hierzu sei es erforderlich, daß eine »organische Verbindung« der sozialen Gruppen entstehe. 78 135 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Das bestätigt nochmals zweierlei. Zum einen, daß die Verschiebung zwischen »Ämterbesitzern« und »Wohlhabenden« eine Veränderung in der Gruppe der »Besitzenden« darstellte und keinen Konflikt zwischen divergierenden sozialen Gruppen. Zum andern aber auch, daß die herkömmliche bürgerliche Dominanz nicht mehr als selbstverständlich erschien, daß nach Formen gesucht wurde, die die Repräsentation der »Besitzlosen« ermöglichen sollte ohne ihnen ein Mitspracherecht einräumen zu müssen.

3. Organisationsbildung und Parteibegriff An der langfristigen Veränderung der altwürttembergischen Ständevertretung über die frühe vormärzliche Honoratiorenversammlung in ein modernes Parlament mit Parteien und Fraktionen sind zwei Momente von zentraler Bedeutung: Die Konstituierung und Ausbildung von zuerst lokalen, dann landesweiten Organisationsstrukturen sowie die Entstehung der von Interessen geleiteten und weltanschaulich geprägten Parteiformationen. Zwischen 1830 und 1848 ist die entscheidende Umbruchphase dieses Wandlungsprozesses anzusiedeln, ohne daß aber die noch immer vielfach vorhandenen ständisch-korporativen und frühliberalen Elemente im Bewußtseinshorizont der zeitgenössischen Akteure unterschätzt werden dürfen. Die Fraktionen in den Landtagen und der Paulskirche, der Aufbau landes- und bundesweiter Organisationen wie auch die Ausdifferenzierung in Parteien waren spätestens seit 1848 zwar unübersehbar und irreversibel, aber insbesondere vom breiten Spektrum der Liberalen in dieser Form keineswegs angestrebt oder gewollt. 79 In Württemberg fand nach 1830 ein erster Schub in der Organisierung gesellschaftlicher Interessen statt. In den Gemeinden konstituierten sich Vereine, Gesellschaften und Vereinigungen, die in der Regel noch nicht auf spezifische Funktionen festgelegt waren. Was Brandt in dem Begriff der »Selbstorganisation der Gesellschaft« faßt, enthielt in der Praxis politische, sozialfürsorgerische, ökonomische, kulturelle und kommunikative M o mente. Vielfach im Umfeld der Landtagswahlen zur Kandidatenaufstellung und der Erörterung politischer Fragen entstanden, nahmen die Organisationen auch karitative Aufgaben im Rahmen der Armenfürsorge wahr, artikulierten die Bedürfnisse und Interessen des gewerblichen Mittelstandes und prägten das kulturelle Leben in den Städten. In Esslingen wurde 1831 eine »Bürgergesellschaft« gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die »offene Aussprache über städtische und vaterländische Angelegenheiten und gesellig-literarische Unterhaltung« zu fördern. Obwohl sich in den 40er Jahren mit dem »Gewerbeverein« und dem »Fabrikkranz« spezifische wirtschaftsbürgerliche Interessenorganisationen konstituiert hatten, waren 1848 ca. 90% der Mitgliederschaft der »Bürger136 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

gesellschaft« der gewerblichen Mittel- und Oberschicht zuzuordnen. Damit ist jedoch nur ein geringer Teil des vielfältigen Vereinswesens angesprochen, das sich im Vormärz überall entwickelte. Für U l m z. Β. lassen sich für die drei Jahrzehnte vor 1848 mehr als 80 Vereine ermitteln. Für die etwa 20 größeren und bedeutenden Organisationen läßt sich die Mitgliederzahl feststellen, 1838 betrug sie 1899. Abzüglich der Doppelmitgliedschaften waren damit ca. 6-800 von insgesamt etwa 2000 vollberechtigten Gemeindebürgern in Vereinen organisiert. 80 Hinsichtlich der Formierung innerhalb des bürgerlichen Lagers lassen sich ganz grob drei Phasen unterscheiden. In einer ersten Initiationsperiode, die bis zur französischen Julirevolution dauerte, entstand eine Vielzahl von lokalen Organisationen, die, in der Tradition des 18. Jahrhunderts stehend, vor allem kommunikative und materielle Bedürfnisse befriedigten und weniger der politischen Aktivierung dienten. Seit dem Beginn der 1830er Jahre entstanden zunehmend Vereine mit offen politischer Zielsetzung. Die Regierung reagierte darauf mit Repressionen, indem sie am 21. Februar 1832 Vereine verbot, die landständische Angelegenheiten berieten oder mit Abgeordneten Absprachen trafen. Am 15. Juni desselben Jahres machte sie - noch vor den restriktiven Maßnahmen des Deutschen Bund e s - die »Veranstaltung und Abhaltung öffentlicher Versammlungen zur Besprechung öffentlicher Angelegenheiten« von der Genehmigung der Behörden abhängig. 81 Dieses Verbot politischer Vereine wirkte sich vor allem auf landesweiter Ebene aus; im lokalen Bereich, in kommunalen Angelegenheiten und bei Stadt- und Gemeinderatswahlen konnten Organisierung und Politisierung nicht mehr im selben Maß zurückgedreht werden. 8 2 In einer dritten Bewegung, die ebenfalls seit dem Beginn der 30er Jahre stärker zutage trat, vollzog sich, ohne die Dynamik des Politisierungsschubes zu erreichen, allmählich die Differenzierung der eben erst organisierten Interessen. Neben den Bürgergesellschaften entstanden Gewerbevereine, die unterschiedliche ökonomische Interessengruppen vertraten. 83 Analog dazu bildeten soziale Kriterien eine andere Segregationslinie. Entstanden in den 40er Jahren bereits vielfach Handwerker- und Arbeitervereine, indizieren die Bezeichnungen für die 1848 politisch relevanten Organisationen - liberale und demokratische sowie Arbeitervereine bereits gleichermaßen sozioökonomische wie politische Trennlinien. 84 Die Entwicklung der politischen Organisationsstrukturen vollzog sich also in drei - hier heuristisch und idealtypisch getrennten - Phasen, die sich als Organisierung, Politisierung und Differenzierung beschreiben lassen. Bis zum Frühjahr 1848 blieb es aber ein Defizit der liberalen Bewegung, daß sie im wesentlichen nur durch einzelne führende Repräsentanten in der Öffentlichkeit Einfluß gewinnen konnte. Der schon mehrfach zitierte Autor der »Württembergischen Briefe« hob in seinem Artikel vom Oktober 1847 zwar die Verankerung der Opposition in der Bevölkerung hervor, betonte aber, daß »nur ihre Spitze . . . sich in der Partei« zeige. Kurze Zeit 137 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

später nahm der »Beobachter« zu diesem Vorwurf Stellung- Er gestand zu, daß die Liberalen einen Fehler begangen hätten, als sie 1838 fast ganz aus dem Landtag ausgeschieden seien, und noch prinzipieller, »daß sich die Opposition nicht zu organisieren verstehe«, sondern alles nur »autodidaktisch entstehen lasse«. Als Ursache hierfür benannte er, etwa im Vergleich zu Baden, das restriktive Versammlungsrecht, die rigide Handhabung der Zensur und den Vorteil, den Baden durch sein dichtes Eisenbahnnetz genieße. Bei den Gemeindewahlen verringerten sich diese Nachteile oder spielten gar keine Rolle mehr. Auf dieser Ebene sei die Organisierung auch fortgeschrittener. Im politischen Bereich entstanden somit erst 1848 politische Vereine mit überlokalen Strukturen, die dann auf Modelle und Erfahrungen anderer Vereinsformen zurückgreifen konnten. Bereits 1827 hatten z. B. die Gesangvereine ein landesweites Liederfest in Plochingen veranstaltet, ähnliche Großveranstaltungen führten in der Folgezeit auch die Schützen- und die Turnerbewegung regelmäßig durch. 85 Die Entwicklung und Durchsetzung des Parteibegriffes verlief nahezu in umgekehrter Richtung. Nach 1815 setzte sich der Begriff im Sprachgebrauch zunehmend durch, bezeichnete aber vor allem unterschiedliche Gesinnungen und Haltungen, nicht organisierte Gruppierungen. Erst im Laufe des Vormärz sickerte der Parteibegriff von dieser weltanschaulichtheoretischen Ebene in den politisch-praktischen Bereich ein und diente der Bezeichnung von Vereinen, Gesellschaften, Gruppen von Abgeordneten usw. Das Zusammenfließen dieser beiden Entwicklungen, der begriffsgeschichtlichen und der organisatorischen, führte 1848/49 zum erstmaligen Entstehen eines ausgeprägten Parteisystems im modernen Sinne. 86 Vor allem in den ersten Jahren des Vormärz war die Bildung von »Parteien« abstrakt geblieben. Gleichsam am Reißbrett unterschied man innerhalb des politischen Bereiches nach theoretischen Kriterien verschiedene Positionen und klassifizierte damit zumeist den Gegner. Das Entstehen des Parteibegriffes aus abstraktem Systemdenken und nicht aus einer politisch-empirischen Zustandsbeschreibung heraus verdeutlichen die einzelnen »Parteilehren«, die jeweils eine unterschiedliche Zahl von Parteien ausweisen. Bei einer Auffächerung in Bewegungs- und Stillstandspartei, in Reaktions-, Reformations- und Revolutionspartei oder einer Differenzierung in Demokraten, Liberale, Konstitutionelle, Konservative und Absolutisten trat bei allen diesen frühen Bezeichnungen und Begriffssystemen ihr theoretischer Ursprung offen zutage. Man benannte nicht politische Gruppen und Organisationen - die gab es durchweg noch gar nicht - , sondern deduzierte ein logisches System, in das man einzelne Personen einordnete. 87 In den 1830er Jahren erlebten die »Parteiungen« einen ersten Formierungsschub. Wahlklubs, Versammlungen, Absprachen usw. führten zur Ausbildung kryptopolitischer Organisationsstrukturen. Auch im Landtag schlossen sich Abgeordnete zu Gruppen zusammen, ohne daß es zu wirkli138 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

chen Fraktionsbildungen kam. 8 8 Im Februar 1834, also nach der Auflösung des »vergeblichen Landtages« sowie der Neuwahl und dem Zusammentreten der neugewählten Kammer, berichtete Innenminister Schlayer dem König über die Kräftekonstellation in der Abgeordnetenkammer. Schlayer, der erst im Gefolge der Julirevolution einen Schwenk ins Regierungslager vollzogen hatte, hob hervor, daß 1833 zum erstenmal eine »formierte Oppositionspartei« aufgetreten sei. Verantwortlich dafür seien weder einzelne Abgeordnete noch große soziale Unterschiede wie in England oder ein politischer Radikalismus wie in Frankreich. Die Opposition resultierte aus der »politischen Bewegung der Zeit«, die Oppositionspartei sei mit den Abgeordnetenwahlen entstanden. Im einzelnen sei die Opposition, so geschlossen sie bei »politischen Fragen« erscheine, in bezug auf ihre »politische Richtung« doch sehr verschieden. Schlayer erfaßte damit den Sachverhalt, daß sich die Kammer in der Ablehnung bestimmter Regierungspositionen zu eindeutigen Mehrheiten vereinen konnte, andrerseits bei der Erörterung einzelner Reformvorhaben in disparate Interessengruppen auseinanderfiel. 89 Einigendes Band der vielfach differenzierten und noch sehr stark von Einzelüberzeugungen bestimmten Haltung der Abgeordnetenkammer blieb in vielen Fällen die »negative Integration« gegenüber der Regierung. Im Verlauf der zwei Jahrzehnte vor 1848 fand dann ein Prozeß der Konsolidierung der Opposition statt, der mit einer immer weniger zu übersehenden Ausdifferenzierung sich voneinander abgrenzender Gruppierungen einherging, wie auch einer zunehmenden Homogenisierung innerhalb der einzelnen Lager. Im einzelnen unterschied Schlayer mehrere Gruppierungen. Bei den Liberalen benannte er als »Führer der Partei« Schott, Römer, Uhland, Pfizer und Menzel. Die beiden ersten näherten sich der »bodenlosen Theorie der Volkssouveränität« und seien, ohne es zu wissen, dem Republikanismus ergeben. Uhland und Pfizer orientierten sich weniger an Benjamin Constant und der französischen Entwicklung, sondern träten für das Deutschtum und eine kontinuierliche Entwicklung der Verfassung ein. Menzel sei nur ein liberaler Schriftsteller, der billigen Ruhm ernten wolle. Daneben existiere noch eine »eigene Fraktion in der Opposition«, die nur dann mit dem Liberalismus stimme, wenn die eigenen Korporationsinteressen nicht tangiert würden. 9 0 Zwischen Opposition und Regierung stehe das Juste-Milieu, das jedoch oft mit der Regierung und den parlamentarischen Anhängern der Regierung zusammenarbeite. Die Geistlichkeit könne »im Ganzen nur gelobt werden«, während die ritterschaftlichen Abgeordneten den Satz, »daß die Aristokratie der Monarchie gegen die Bestrebungen an Demokratie Schutz gewähre«, überdeutlich widerlegt hätten. Von den vier Adelsvertretern aus dem Donaukreis hätten alle mit der Opposition gestimmt - außer bei Ablösungs- und Jagdfragen. In Oberschwaben kumulierten die staatliche Integrationsproblematik, die 139 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Auflösung ständischer Privilegien sowie der konfessionelle Gegensatz zwischen katholischem Adel und protestantischer Regierung derart, daß die ritterschaftlichen Abgeordneten nahezu prinzipiell die Opposition unterstützten. 91 Die Ansätze zu Parteibildung und Fraktionierung blieben aber bald stecken. Die Organisationen der Wahlklubs wurden verboten; die Regierung beeinträchtigte die Zusammenschlüsse auch deshalb, um über die Beamten in den Bezirken die Wahlen direkt beeinflussen und steuern zu können. Innerhalb des Landtags blieb es 1833 beim informellen Zusammenhalt, Fraktionsstrukturen bildeten sich nur in rudimentärer Form aus. Organisationsstrukturen entstanden gar nicht, es gab nur ein in gewisser Weise erwartbares Stimmverhalten sowie die Orientierung an Leitfiguren, den oben erwähnten »Führern der Partei« wie Schott und Römer. 92 Bereits in den 30er Jahren löste sich das prinzipielle Gegenüber von Regierung und liberaler Opposition allmählich auf Es fand aber auch der Anspruch der Liberalen, Repräsentant des gesamten Volkes und damit auch der ganzen Kammer zu sein, immer weniger Bestätigung in der politischen Praxis. Der Gleichsetzung von Volk, Kammer und Liberalismus, wie sie der liberalen Theorie entsprach, stand bis in die 30er Jahre »nur« die regierungsfreundliche Mehrheit in der Kammer entgegen. Seit dieser Zeit begannen sich aber im Landtag zusehends divergierende Interessengruppierungen auszubilden, die tendenziell sowohl zur Erosion der Regierungsmehrheit als auch zur Fraktionierung in der Kammer führten. Die Fronten verschoben sich. Exemplarisch zeigt sich dieser Vorgang am Beispiel des Katholizismus. Lange Zeit eine feste, konservative Stütze der Regierung, kehrte sich nun die Konfliktlage um. Beim Volksschulgesetz von 1836, das den kirchlichen Zugriff auf die Schulen reduzierte und den staatlichen Einfluß erhöhte, kooperierten die Regierung und die Liberalen - gegen Interessenvertreter in der Kammer. Ähnliche Konstellationen ergaben sich 1836 bei der Ablösungsgesetzgebung und der Revision der Gewerbeordnung. Der Streit mit der katholischen Kirche und dem Katholizismus entzündete sich 1836 am Volksschulgesetz, 1839 an der Mischehenfrage. 1841/42 schließlich kam es, die Divergenzen zusammenfassend und öffentlich artikulierend, zu der Beschwerde des katholischen Rottenburger Bischofs Keller in der Zweiten Kammer. Diese akzeptierte im März 1842 mit 80 zu 6 Stimmen dem auch staatskirchlich gesinnte Katholiken zustimmten - einen Antrag, man vertraue der Regierung und glaube, daß sie von sich aus etwaige Mißstände beseitigen werde. Wegen dieser Entwicklung bröckelte die Regierungsloyalität des Katholizismus ab, nach dem Tode Kellers 1845 nahm kein katholischer Bischof mehr sein Abgeordnetenmandat in der Zweiten Kammer wahr. Gleichzeitig wuchsen, vor allem in Oberschwaben, die Unruhe und der Widerstand gegen die dominierende protestantische Beamtenschaft an. Vermutlich verhinderte nur der grundsätzliche 140 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Interessengegensatz in der Ablösungsfrage zwischen katholischem Adel und katholischer Landbevölkerung ernstzunehmende Separationsbewegungen im Oberschwäbischen. 93 Das Vordringen der Interessenpolitik, das langsame Voranschreiten der Organisierung politischer Gruppen sowie die Differenzierung in homogenere Parteiungen und Parteien sind nach 1830 wesentliche Veränderungen des Konstitutionalismus. Beim Entstehen der landesweit organisierten und programmatisch unterschiedenen Volks- und Vaterlandsvereine mit ihren Zentralorganen, dem demokratischen Landesausschuß und dem liberalen Hauptverein, zeigte sich die Vermischung der Organisations- mit der Parteibildungstendenz. Ein Wandel, der jedoch von allen Seiten nur zögernd vollzogen wurde. Zum einen blieb der Gegensatz von liberaler und demokratischer Bewegung 1848 und danach relativ gering. Mehrmals wurden Ansätze zum organisatorischen Zusammenschluß unternommen, die aber erst in den 50er Jahren wieder dauerhaften Erfolg hatten. Andrerseits verstanden sich sowohl die liberale als auch die demokratische B e w e gung, immer noch der Tradition vormärzlichen Denkens verhaftet, als Vertreterin des »ganzen« Volkes. 94 Das parlamentarische Leben wandelte sich ebenfalls. Am unterschiedlichen Verlauf der Ereignisse nach der Julirevolution und nach der Februarrevolution wurden die langfristigen Strukturveränderungen innerhalb des Landtags deutlich. Gewiß muß man dabei auch die weitaus heftigere und zeitlich fast unmittelbar anschließende Reaktion in Deutschland im Februar und März 1848 gegenüber dem verzögerten, abgeschwächten Aufnehmen der 1830 aus Frankreich übermittelten Impulse berücksichtigen. Dennoch manifestierte sich hier auch der Erfolg des süddeutschen Konstitutionalismus, der nun innerhalb der seit 30 Jahren akzeptierten und eingeübten Handlungsmuster und auf seinen Aktionsebenen politisch aktiv wurde und die implizite Anerkennung dieser Prozedur durch die Krone und die Regierung erlangte. Nach 1832 begab sich Schlayer auf die Bühne der parlamentarischen Auseinandersetzung, um die liberale Opposition gleichsam mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Im Mai 1833 hatte Schlayer seine politische Maxime, in krassem Widerspruch zur vormärzlichen konstitutionellen Lehre, so formuliert: »Es liegt in dem Wesen der Repräsentativ-Verfassung, daß die Regierung auf die Majorität der Stände als auf ihre Grundlage sich stützen müsse. Es ist daher Aufgabe des Ministeriums, sich diese Majorität zu erringen. «95 Mit Eingriffen in den Wahlvorgang, direktem Druck auf einzelne Abgeordnete und geschicktem Taktieren in der Zweiten Kammer hatte Schlayer diese Aufgabe über 15 Jahre erfüllt, indem er die konservative Grundhaltung der Abgeordnetenmehrheit unterstützte und förderte. Im März 1848 zeigte sich die Kehrseite dieser Praxis. Mit der Errichtung des ›Märzministeriums‹ wurde die liberale Kammerminorität ohne Wahlen (!) - durch das stillschweigende Überschwenken von Abgeordneten zur Mehrheit; die Wahlen vom Mai 1848 bestätigten dann diese 141 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Mehrheit. Die Vorgeschichte des Märzministeriums zeigt, daß gegen die Öffentlichkeit und den Druck der Zweiten Kammer kein Ministerium eingesetzt werden konnte und keine neue Regierung geschäftsfähig war. 96 Hier dürfte ein Argument von Hartwig Brandt zu erweitern sein. Er zeichnet für den württembergischen Vormärz gewissermaßen das Bild einer ›parlamentarischen Demokratie der Analphabeten‹, in der während einer fast 30jährigen Inkubationszeit zuerst die formalen Spielregeln demokratischer Partizipation wie Wahl und Abgeordnetenvertretung »gelernt« worden seien, obwohl sie erst später auch politisch voll genutzt wurden. 9 7 Brandts Argumentation ist dahingehend zu ergänzen, daß nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Regierung und Krone diese parlamentarische Vorschule - mit Erfolg - durchliefen. Gegen die Abgeordnetenkammer konnte nicht regiert werden, aber die Volksvertretung blieb in der Position des nichtsouveränen Juniorpartners.

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V.

Der Liberalismus i m Vormärz

Für die Zeit des Vormärz ist der Begriff des »Spannungsfeldes von Staat und Gesellschaft« zu einer gebräuchlichen und weithin verwendeten Beschreibungskategorie geworden. Das von Werner Conze geprägte Bild soll die »in sich selbst gespaltene Wirklichkeit jener Epoche« ausdrücken, soll die Konflikte und Problemlagen zwischen »progressiver Bewegung und restaurativer Beharrung« erfassen, die sich in der idealtypisch zu verstehenden Trennung der beiden Bereiche Staat und Gesellschaft widerspiegeln. 1 Staat umfaßt hier die Sphäre politischen Handelns - , Krone, Regierung und Verwaltung —, die weitgehend autonom agiert. Die »Revolution von oben« der Reformbürokratie und das Reaktionssystem Metternichscher Prägung bezeichnen die Extreme der ganzen Bandbreite staatlicher Eingriffsmöglichkeiten und Steuerungsversuche. Dem wird gegenübergestellt der realhistorisch bisher nur vage präzisierte Bereich der Gesellschaft bestehend aus ständischen, korporativen und klassengeprägten Teilelementen - der, politisch ohne direkten Einfluß, Bedürfnisse und Wünsche nur artikulieren, nicht aber selber durchsetzen und verwirklichen kann. Trotz der von Conze postulierten Übertragbarkeit dieser Kategorien auf die süddeutschen Verfassungsstaaten 2 sind Einschränkungen vorzunehmen, die die von ihm beanspruchte allgemeine Geltung relativieren. Die Dichotomisierung in zwei idealtypisch gesonderte Sphären von Staat und Gesellschaft ist wesentlich durch Hegels Rechtsphilosophie geprägt. Auf Hegel basiert die Einteilung in eine Bedürfnisse artikulierende Gesellschaft, die - ihres politischen Potentials entbunden - nur fordernd, nicht handelnd auftritt und einen Staat, der als »sich selbst deutliche[r] substantielle[r] Wille« den sozialen Bereich lenkt. 3 Als Hegel im Oktober 1820 dem preußischen Staatskanzler Hardenberg ein Exemplar seiner »Rechtsphilosophie« sandte, skizzierte er in einem Begleitbrief seine hier zugrunde liegende »wissenschaftliche Bestrebung«. Es sei sein Ziel gewesen, »den Einklang der Philosophie mit denjenigen Grundsätzen zu beweisen, welche die Natur des Staates überhaupt braucht, am unmittelbarsten aber den Einklang mit demjenigen, was der Preußische Staat, dem ebendarum anzugehören mir selbst zu besonderer Befriedigung gereichen muß, teils erhalten, teils noch zu erhalten das Glück hat«. 4 Hegel verfaßte sicherlich keine Typologie des nachreformerischen Preußen. Doch bereits seine Kritik an den württembergischen Ständen im Verfassungsstreit nach 1815 hatte sein Unverständnis und seine Unduld143

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samkeit gegenüber altständischen und altrechtlichen Positionen und Traditionen gezeigt. Der zentralistische preußische Staat, der die überlieferten ständischen und korporativen Bindungen (mit Ausnahme spezifischer Adelsprivilegien) aufzulösen versuchte, in vielen Bereichen auch wirklich zerstörte und damit der gesellschaftlichen Modernisierung entscheidende Impulse gab, entsprach Hegels Vorstellung vom Staat als »Wirklichkeit des substantiellen Willens« mehr als sein Heimatland Württemberg, dessen Verfassungskampf er nur als »Schwabenstreich« bezeichnete. 5 Zielte Hegel also vornehmlich auf den preußischen Staat, dessen Reformbürokratie er ja auch seinen Ruf nach Berlin zu verdanken hatte, lieferte er außerdem nur bedingt eine empirische Zustandsbeschreibung. Nicht zu unterschätzen ist das immanente Fortschrittspostulat, das seiner »Rechtsphilosophie« zugrunde liegt. Den zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst langsam in Gang kommenden Wandel setzte er als abgeschlossenen Vorgang bereits voraus. 6 Was Hegel am Beginn des Jahrhunderts beschrieb, sollte jedoch in dieser Form nie Wirklichkeit werden; seine Staatslehre entwickelte große prophetische Kraft, ohne aber prognostische Evidenz zu erlangen. Das Bild des »Spannungsfeldes von Staat und Gesellschaft« soll in seinem idealtypischen Charakter - und in seiner prägnanten Suggestivkraft- nicht bestritten werden. Es gilt jedoch zwischen spätabsolutistischen Staaten mit einer starken und souveränen Exekutive, mit einer ausgebildeten Bürokratie, ohne Verfassung und landständische Repräsentation sowie auf der anderen Seite konstitutionellen Staaten, in denen Staat und Gesellschaft, politisches Handeln und Interessenartikulation weniger deutlich zu trennen sind, zu unterscheiden. Statt des heuristischen Idealtypus Hegelscher Provenienz bietet sich für den süddeutschen Konstitutionalismus ein anderes, mehr empirisches Beschreibungsmodell an. Was bei Hegel zur Dreistufigkeit von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat wird, ist in der süddeutschen liberalen Theorie - und in weiten Bereichen in der württembergischen Praxis - eine dreifache Einteilung in selbständiges Individuum / Familie, Gemeinde und Staat. Die unterste Ebene dieses Modells sind die selbständigen Individuen oder Familien, die einzigen handlungsfähigen Elemente. Sie schließen sich durch die »Gemeinschaft der Interessen und Bedürfnisse« zusammen und bilden damit - hier fließen historische und naturrechtliche Argumentation ineinander - »naturgemäß die Gemeinden oder kleineren bürgerlichen Gemeinwesen, d. h. die zu Zwecken, die jenen des Staates analog, j a zum Teil mit ihnen identisch sind, geschlossenen gesellschaftlichen Vereinbarungen«. 7 Die Gemeinden werden dadurch als vom Staat unabhängig verstanden, sie können somit zu »Grundlagen des Staatsvereins« werden und erhalten nicht, wie z. Β. im preußischen Landrecht und der preußischen oktroyierten Verfassung von 1848, ihre Legitimation erst als Deduktion aus der staatlichen Gewalt. 8 Die Gemeinden in Rottecks Staatslexikonartikel »entstehen von selbst«, und »aus ihnen erst bilden sich in der Regel 144 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die eigentlichen oder größeren Staaten« (Hervorhebung im Text, Μ. Η.). Der Staat wird nicht als übergeordnete Sphäre verstanden wie bei Hegel, dessen Teilung in Familie, Gesellschaft, Staat hierarchisch ist und jedem Element substantiell verschiedene Inhalte zuordnet. Rotteck unterteilt statt dessen nicht hierarchisch, er schreitet von kleineren zu immer größeren Einheiten voran, die sich untereinander aber vor allem durch ihre unterschiedliche Größe, nicht so sehr durch inhaltliche Verschiedenheit unterscheiden. Die Gemeinden seien nicht nur staatliche Institutionen zur Vereinfachung der Verwaltung; man könne eine Behörde derart unterteilen, »nicht aber ein Volk, welches der Staat selbst, nicht aber eine Anstalt des Staates ist, und dessen natürliche Gliederungen gleichfalls mit Leben begabt sind«. Zweierlei ist hervorzuheben. Hier findet sich weder die Hegeische Konzeption des Staates als eines metaphysisch überhöhten, eigenständigen Bereichs noch werden Staat und Gemeinde in ihrer inhaltlichen Zielsetzung unterschiedliche Aufgaben zugewiesen. Durch diese Gleichsetzung wird es erst möglich, daß Rotteck die Territorialstaaten, die jeweils Gemeinden zusammenfassen, die »eigentlichen oder größeren Staaten« nennt. Bei ihm sind die Gemeinden Staaten en miniature. »Die Gemeinden - ursprünglich zu Zwecken errichtet, welche jenen des Staates analog sind - schließen untereinander (und auch mit einzelnen) den weiterreichenden, eigentlichen Staats-Verband, erkennend, daß dadurch eine vollständigere und mehr gesicherte Erreichung ihrer Zwecke bewirkt werde«. 9 Was Brandt auf den Begriff der »Selbstorganisation der Gesellschaft« brachte, umfaßte - idealtypisch - auch die politische Selbstregierung. 10 In Assoziationen, Gesellschaften und Vereinen organisierten sich vielfältige Gruppen und Interessen; in »Gemeindevereinen« und »Staatsverein« organisierte sich das politische Potential. In diesem Bereich flossen im Vormärz Altständisches und Modernes ineinander. Die korporative Selbständigkeit und die dezentrale, lokale Konzentration aller Probleme und Aufgaben in Kommunen und Ämtern war altwürttembergische Tradition; Landschaft und Herrschaft standen sich auf jeder Ebene gegenüber und waren nicht in einen politischen »Staatsteil« und eine unpolitische Gesellschaft geschieden. Auf die entstehende moderne Staats- und Gesellschaftsverfassung verweisen andrerseits die zunehmende überlokale Zentralisation von Entscheidungskompetenzen sowie die immer ausgeprägtere Differenzierung von funktionalen Teilbereichen wie beispielsweise Recht und Verwaltung. Das hatte seinen Niederschlag gefunden in der Trennung von Justiz und Verwaltung wie auch in der Einführung des Realsystems bei der Gliederung der Ministerien. 11 Das liberale Verständnis von den Gemeinden als »Grundlagen des Staatsvereins« war ein Ausdruck der intermediären und dilatorischen Stellung des Vormärz im Transformationsprozeß von der altständischen zur modernen Gesellschaft. Die Epoche des Vormärz war zugleich nachrevolutionär 145 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die grundlegende Erschütterung der Ständegesellschaft und ihre notdürftige Restauration gingen ihr voraus - und vorrevolutionär, indem die Ausprägung und Durchsetzung der Klassengesellschaft erst nach der Jahrhundertmitte erfolgte. Zwischen Stand und Klasse sah der vormärzliche Liberalismus einen dritten Weg, eine Alternative zu partikularen Interessengruppierungen. Die »klassenlose Bürgergesellschaft« (L. Gall) organisierte sich selbst in Vereinen; jedoch nicht im vagen - unpolitischen Bereich der Gesellschaft, sondern vor allem innerhalb der Gemeinden. Der Gemeindeverband als Bezugsrahmen wie als Handlungseinheit war damit ein zentrales Element des politischen Systems. Die Kommunalisierung des politischen Geschehens zeigte sich auch darin, daß dem Staat und den Gemeinden tendenziell gleiche Aufgabenbereiche zugeschrieben wurden. Sie waren nicht, wie bei Hegel, hierarchisch gegliedert, sondern nur durch verschieden große Wirkungsbereiche unterschieden. 12 Der Aufbau des Staates von den Gemeinden her war damit nicht nur ein Konstrukt liberaler Theorie. Die Kommunen waren die entscheidenden Schaltstellen und Kompetenzträger im öffentlichen Leben. In den wichtigsten Bereichen der Alltags- und Lebensversorgung waren die Gemeinden der wichtigste Handlungs- und Orientierungsrahmen. Den ökonomischen Sektor steuerte die Gewerbeordnung, die - bei allmählicher Auflösung der korporativen Zunftverbände - den Gemeinden eine überwachende und regulierende Oberaufsicht über die Anzahl der Handwerker, die Einhaltung von Qualitätsstandards und den Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Sozialgruppen ermöglichte. Im Kampf um die Gewerbeordnung prallten auf diesem Feld gemeindebürgerlich und staatsbürgerlich ausgerichtete Konzeptionen und Gruppen aufeinander; ein Konflikt, der sich auch innerhalb des Liberalismus abspielte. Analog war die Problemlage auf dem Feld der Armenfürsorge. »Sozialpolitik« und individuelle Fürsorgepflicht waren ausschließlich die Angelegenheit der Gemeinden. Das Bevölkerungswachstum des Vormärz, der Pauperismus und die zunehmende Mobilität führten aber dazu, daß das Prinzip der kommunalen Wohlfahrtspflicht partiell an die Grenzen seiner Belastbarkeit stieß und generell in Frage gestellt wurde. In den Gemeinden setzten Abgrenzungsbemühungen und Abgrenzungsversuche gegenüber den sozial Depravierten und unvermögenden Ortsfremden und Zuwanderern ein. In den Auseinandersetzungen um das Bürgerrechtsgesetz lassen sich die divergierenden Positionen dieses Problemkreises nachverfolgen. Schließlich sei noch auf das Steuersystem verwiesen. Idealtypisch findet sich hier eine realhistorische Parallele zur liberalen Theorie der Gemeinden als Staatsgrundlage. Die drei Ebenen des selbständigen Individuums, der Gemeinde (und des Amtes) und des Staates bilden die Grundlage der Steuererhebung. Die Steuern werden im von der Regierung erstellten und vom Landtag bewilligten Etat nach einem festgelegten Schlüssel auf die einzelnen Ämter und dort vom Oberamtspfleger auf die Gemeinden 146 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

umgelegt. Dieser »Gemeindeschaden« wird vom Gemeindepfleger gemäß dem Katasteranschlag der einzelnen Objekte (Landbesitz, Hausbesitz und Gewerbebetrieb) auf den einzelnen Steuerzahler umgelegt. Für ihn war die der Gemeinde zugeteilte Summe und die Verteilung in der Gemeinde die entscheidende Größe. Andrerseits erhob das Finanzministerium die Steuern nur von den Gemeinden und Ämtern, auf den einzelnen Besitzer hatte es keinen Zugriff. Nicht der Staatsbürger war allgemeinen Regelungen und dem vereinheitlichenden Druck staatlicher Gesetze unterworfen - etwa einem von der Regierung bestallten Steuereinnehmer - , sondern die Gemeindebürger (und Beisitzer) erfüllten als kommunaler Verband die staatlichen Auflagen. Der einzelne Untertan unterlag als Staatsbürger dem direkten staatlichen Zugriff durch Gesetze, Verordnungen und die bürokratische Praxis. Als Gemeindebürger verfügte er aber über weitgehende kommunale Selbstverwaltungs- und Selbstherrschaftskompetenzen und erfüllte in und über die Gemeinden »staatsbürgerliche« Aufgaben. Obwohl die staatliche Bürokratie die Oberaufsicht hatte, konnte sie in den direkten Vollzug nur bedingt eingreifen. Seit den 1820er Jahren versuchte die Regierung durch die Realisierung des Prinzips der staatsbürgerlichen Gleichheit die staatlichen Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten zu steigern, allerdings nur mit geringem Erfolg. U m die Jahrhundertmitte erfüllte noch immer der Kommunalverband die wichtigsten Aufgaben. Es war wichtiger, Gemeindemitglied zu sein als Staatsbürger. Im Bereich des Armenwesens und des Steuersystems bestand das Kommunalprinzip schließlich bis ins 20. Jahrhundert weiter. 13 Innerhalb des Gemeindeverbandes konzentrierten sich die drei Bereiche der persönlichen, kommunalen und staatlichen Interessen noch einmal. Exemplarisch läßt sich das am Beispiel der Waldungen, der Forstwirtschaft und der Holznutzungsrechte veranschaulichen. Einerseits bestanden verschiedene Besitztitel: Privatbesitz, Wald als Stiftungseigentum, Kommunalbesitz, Adelswald und Staatsforst. Die Eigentumsstruktur der Waldflächen war im Einzelfall meist sehr zersplittert. Andrerseits gab es zusätzlich noch sehr verschiedene Nutzungsinteressen. Das Interesse der Unterschichten an der Zuteilung von billigem Brennholz konfligierte mit dem Gewinnstreben privater Besitzer und teilweise mit der Fürsorgepflicht der Gemeinden für die Gemeindeangehörigen. Das Streben der Gemeindeverwaltung nach einer finanziell möglichst lukrativen Nutzung der gemeindeeigenen Waldungen erhöhte das Gemeindevermögen, verringerte die kommunalen Steuerumlagen und kam damit vor allem den Wohlhabenderen zugute. Zusätzlich griff die staatliche Forstverwaltung in diese Auseinandersetzungen ein. Sie verwaltete den staatseigenen Wald nach Möglichkeit gewinnbringend und linderte auch durch verbilligte Holzabgabe soziale Not. Zudem war man bemüht, allgemeine und langfristig ausgelegte Grundlinien im Umgang mit der Ressource Wald durchzusetzen. Die Forstverwaltung versuchte daher, den in Notlagen drohenden Raubbau am 147 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Wald einzuschränken. 14 Alle diese divergierenden Interessen trafen sich jedoch auf der Ebene der Gemeindeverwaltung, die die staatlichen Normen zu erfüllen und die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen hatte. Ähnliche Gemengelagen von Interessen und Kompetenzen entstanden in fast allen Sparten der Kommunalverwaltung, wobei der staatliche Kompetenzbereich auf Dauer letztlich expandierte, da in seiner Obhut die Beaufsichtigung der Gemeinden und die Pflicht zur Wahrnehmung allgemeiner Interessen lagen. Die besonderen Probleme der Städte, die Streitigkeiten um die Vermögensverwaltung und Ämterbesetzung in den Gemeinden, aber auch allgemeine ›polizeiliche‹ Aufgaben wie Flußregulierung und Brandschutz führten zu einer stärkeren Einengung kommunaler Eigenständigkeit durch staatliche Normen und zu einer Verlagerung der Kosten von der gemeindlichen auf die staatliche Kasse. 15 Dennoch war der »Zielkonflikt« der bürgerlichen Bewegung im 19. Jahrhundert, wie Rainer Koch die unterschiedlichen Optionsmöglichkeiten für Staat oder Gemeinde als politischen Orientierungsrahmen nannte, in Württemberg vorerst noch eindeutig gelöst. Die Gemeinden blieben die wichtigste Handlungsebene für politische Formationsprozesse wie Einüben in Wahlvorgänge, Parteibildung, Kontrolle gewählter Vertreter usw. Gleichzeitig waren und blieben sie die Institution, die die zentralen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Gewerbeförderung, Zunftwesen, Armenfürsorge und Haushaltsmittel organisierte und verwaltete. Die Forderungen nach Stärkung der Selbstverwaltung und Autonomie der Gemeinden, nach Zurückdrängen des staatlichen und bürokratischen Einflusses, nach stärkerer Beteiligung des »Bürgers» am öffentlichen Leben zeigten zum einen die Verankerung dieses »Gemeindeprinzips« im realen politischen, institutionellen und sozialen Leben wie im mentalen Horizont der Zeitgenossen. Gleichzeitig war es ein wesentliches Element des Reformverlangens der Opposition. Die Forderung nach Stärkung kommunaler Autonomie war letztlich sogar ein Bindemittel innerhalb der Opposition. Der Liberalismus machte sich zum Sprachrohr der Opposition und erschien oft als der Vertreter der bürgerlichen Bewegung. Bestand in Fragen der Kommunalverwaltung auch ein weitgehender Konsens zwischen den einzelnen Sozialgruppen des Bürgertums, zeigten sich jedoch auch bereits charakteristische Interessengegensätze. Sie lassen sich mit der Unterscheidung in Staatsbürger und Gemeindebürger fassen. 16 »Staatsbürger« waren die Liberalen, sie orientierten sich an einem korporative, ständische Ungleichheiten auflösenden allgemeinen Staatsbürgerprinzip. In Reinform findet man diese Konzeption in den akademisch gebildeten Beamten, die in den Gemeinden, in denen sie lebten und arbeiteten, zumeist nicht einmal das Gemeindebürgerrecht erwarben. Sie waren es auch, die den staatlichen Angriff auf kommunale Vorrechte und Privilegien verkörperten, wie er sich in der Gewerbeordnung und dem Bürgerrechtsgesetz manifestierte. 17 Neben den Beamten ist als zweite 148 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wichtige soziale Gruppierung im Liberalismus das nichtbeamtete Bildungsbürgertum zu nennen. Publizisten, Journalisten, Schriftsteller und zumeist die bekanntesten Repräsentanten - ehemalige Beamte, die auf Grund politischer Differenzen aus dem Staatsdienst ausgeschieden waren. Schließlich gab es noch als dritte bedeutende Gruppierung eine kleine Anzahl von Fabrikanten und Kaufleuten. In Größe und Bedeutung keineswegs etwa mit dem rheinischen Bürgertum zu vergleichen, verkörperten sie doch das wirtschaftsbürgerliche Element im Liberalismus, ohne schon Wirtschaftsbourgeoisie mit deren spezifisch industriekapitalistischen Interessen zu sein. Dieser »staatsbürgerliche« Liberalismus wollte die rechtliche Gleichstellung der Untertanen zu Staatsbürgern erreichen. Der sozialen Ungleichheit wegen bekämpfte er rechtlich begründete Verteilungsdisparitäten, mit Vorliebe attackierte er die Privilegien des Adels, aber auch - abgeschwächt- die Exklusivität von Gemeindenutzungen. Gleichzeitig verteidigte er aber kompromißlos das Recht auf Eigentum und Eigentumsvererbung und akzeptierte damit die Trennung in arm und reich. Der vormärzliche Liberalismus konnte soziale Ungleichheit nur individuell, nicht gesellschaftlich verstehen und erklären, obwohl er Eingriffe des Staates befürwortete, um die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Wohlhabenden und Verarmten nicht zu groß werden zu lassen. 18 Das politische Programm dieses Liberalismus enthielt keine Forderungen nach einer Reform des Wahlrechts, sondern beschränkte sich auf das Verhältnis zwischen Landtag und Regierung sowie das grundsätzliche Plädoyer für Pressefreiheit und Öffentlichkeit des politischen Lebens. Bei der Kommunalverfassung zielte die liberale Konzeption auf eine Nivellierung der - rechtlich begründeten - Hierarchie innerhalb der Gemeinde. Eine Angleichung des Gemeindebürgers an den Staatsbürgerstatus sollte die Vorrechte, die an den Erwerb des ersteren gebunden waren, aufheben. Auflösung der Sonderstellung der Gemeindebürger, bei gleichzeitiger Erweiterung der Kompetenzen der Gemeinden, war die staatsbürgerlich-liberale Variante des Modells der »klassenlosen Bürgergesellschaft«. 19 Trotz der partiellen Gemeinsamkeiten im Rahmen der »Opposition« muß man von diesem Liberalismus eine »gemeindebürgerliche« Interessenvertretung unterscheiden. Die im 18. Jahrhundert in den Ständen dominierende Gruppe, traditionell die Partei der Altrechtler und der Ehrbarkeit, hatte in den Verfassungskämpfen nach 1815 ihr homogenes Erscheinungsbild verloren. Auf der parlamentarischen Bühne schlossen sich ihre Vertreter teils der konservativen Regierungsmehrheit, teils der - entstehenden liberalen Opposition an. Im Landtag trat damit der altständische Gegensatz von Herzog und Altrechtlern hinter den sich nunmehr entwickelnden Konflikt zwischen Regierung und liberaler Kammer bzw. liberaler Kammerminorität zurück. 20 Auf kommunaler Ebene blieb die Vorherrschaft der 149 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

traditionellen Eliten weitaus gefestigter. Das Wahlrecht, das für nahezu alle Gemeindeämter nach einmaliger Wiederwahl die Lebenslänglichkeit des Amtes vorschrieb - beim Bürgermeisterposten bestand sie von vornhere i n - , verfestigte die herkömmlichen Machtstrukturen und verringerte die Chancen zur Partizipation neuer sozialer Gruppen. Erst nach der Julirevolution erweiterte sich das Umfeld, aus dem sich die Inhaber kommunaler Ämter rekrutierten, der gewerbliche Mittelstand und das besitzende Bürgertum gelangten nun auch in die lokalen politischen Funktionen. Die lokale Elite der ständisch geprägten Ehrbarkeit wandelte sich allmählich in ein Bündnis zwischen den gemeindlichen Funktionsträgern als Kern der alten Ehrbarkeit und dem mittelständisch orientierten Besitzbürgertum. Das Modell der »klassenlosen Bürgergesellschaft« war ebenfalls das leitende Strukturmuster dieser Gesellschaftskonzeption. »Bürger« wurde hier als »Gemeindebürger« verstanden, nicht als »Staatsbürger«. Der rechtlichen Nivellierung bei den Liberalen entsprach die Verteidigung der Privilegien und des Sonderstatus, der an den Besitz des Gemeindebürgerrechts, im engeren Sinn an die Kategorie Selbständigkeit und das aktive Bürgerrecht gebunden war. Die Auflösung der rechtlich und ständischkorporativ bestimmten Einschränkungen und Bindungen des Sozialgefuges, wie sie sich im Niederlassungs-, Heimat- und Gewerberecht an zentraler Stelle manifestierten, zugunsten einer staatsbürgerlich egalisierenden Rechtsordnung, wurde auf zweifache Weise zu verhindern gesucht, einmal durch Sonderrechte für einzelne Gruppen, andrerseits durch die Verteidigung des Rechts der Gemeinden, sich gleichsam privatrechtlich abzuschotten. 21 Den »staatsbürgerlichen« Liberalen kam zwischen den Standpunkten der Regierung und den extremen Anschauungen der korporativen Interessenvertreter eine intermediäre Stellung zu. In den Wahlen zu den Ständeversammlungen waren die (Verwaltungs-)Beamten die verläßlichste Stütze der Regierung. Sie kandidierten als Regierungsvertreter und versuchten zudem, mit Hilfe ihrer amtlichen Befugnisse, den Wahlkampf zu beeinflussen. Auf der anderen Seite standen die Kommunalbeamten und das mittelständische Bürgertum, die die lokalen Wahlen dominierten, sich bei den Ständewahlen jedoch sehr viel zurückhaltender engagierten. Dazwischen sind die Liberalen anzusiedeln, deren soziale Basis alle hier erwähnten Gruppierungen umschloß: staatliche wie kommunale Beamtenschaft, Bildungsbürgertum und gewerblicher Mittelstand sowie Vertreter des zahlenmäßig sehr geringen industriellen Bürgertums. Im »Beobachter« wurde immer wieder die Bedeutung der Kommunal- und Landtagswahlen, ihre gegenseitige Wechselwirkung für politischen Einfluß und die Formierung der Opposition betont. Der Liberalismus versuchte, eine Alternative zum Gegensatz zwischen der vom Staat angestrebten Gleichheit der Untertanen und der von den Gemeindehierarchien verteidigten kommunalen Vorherrschaft des Ge150 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

meindebürgers zu entwickeln. Die individuelle Gleichheit der Staatsbürger wurde durch die korporative Selbstverwaltung der Gemeindebürger ergänzt. Individuelle Gleichheit bedeutete zunächst und vor allem rechtliche Gleichstellung durch Beseitigung ständischer Privilegien. Die ökonomische, soziale und politische Gleichstellung sollte nicht durch staatliche Eingriffe bewirkt werden, sondern sich durch die rechtliche Freisetzung von selber einstellen. 22 Deshalb ergab sich seit den 1830er Jahren eine partielle Übereinstimmung zwischen Regierung und Liberalismus in Fragen der Gewerbegesetzgebung, der Kirchen- und Schulpolitik sowie der Ablösungsfrage. Gesellschaftliche Modernisierung und individuelle Freisetzung verknüpften sich im Prinzip der »Selbstorganisation der Gesellschaft«. Die Gemeinden als Selbstverwaltungseinheiten sollten den Interessenausgleich auf der untersten, lokalen Ebene fördern und zugleich ihre traditionellen Aufgaben als Solidarverband ausüben. In dem Maße wie die staatlich vorangetriebene und von den Liberalen begrüßte gesellschaftliche Modernisierung die rechtliche Gleichheit erreichte, aber auch die sozioökonomische Ungleichheit vergrößerte und zum zentralen Problem werden ließ, wurden die Gemeinden dem steigenden Druck der sozialen Ungleichheit ausgesetzt. Die Folge war, daß die staatsbürgerliche Gleichheit nur zu erhalten war auf dem Fundament der in den Kommunen fortbestehenden rechtlichen Differenzierung, die den sozialen Druck im lokalen Bereich aufzufangen versuchte. 23 Das Modell der »klassenlosen Bürgergesellschaft« setzte voraus, daß jene Schichten, die den Status der Selbständigkeit, der Bürgerlichkeit (noch) nicht erreicht hatten, ausgegrenzt und kontrolliert wurden. Das geschah im Rahmen der »Bürgergemeinde«, die Elemente ständischer und klassengebundener Benachteiligung miteinander verband. 1848/49 zeigten sich im Versuch einer Reform der Kommunalverfassung sowohl die noch immer vorherrschende Auffassung von den Gemeinden als »Grundlagen des Staates« wie sich in ihrem Scheitern das realhistorische Entfernen der Gesellschaft vom Ideal der klassenlosen Gesellschaft und sozial homogenen Gemeinde manifestierte. Das Zerbrechen des liberalen Gesellschaftsmodells 24 nach 1848 ging einher mit der Differenzierung der liberalen Bewegung des Vormärz in liberale und demokratische Parteiorganisationen und Programme.

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VI.

Ökonomische

Krise und

Krisenbewältigung

1848-1847

Die bereits (Kap. II 1. und 2.) als relativ ausgeglichen beschriebene Wirtschaftsstruktur der agrarischen und gewerblichen Selbständigen war zugleich ein äußerst fragiles Gebilde. Die Mehrheit der Kleineigentümer war immer in Gefahr, ihren Selbständigenstatus zu verlieren; von den auch im Normalfall geringen Einkommen ganz zu schweigen. Zwei Trends unterhöhlten zudem langfristig die Grundlage dieser Eigentümerökonomie. Einmal konnte das Bevölkerungswachstum in der Landwirtschaft - nach der weitgehenden Verteilung der Allmende — nur wenig durch eine Vermehrung der Besitzstellen aufgefangen werden. Im Handwerk nahm die Zahl der Meisterstellen zwar zu, aber um den Preis immer ungenügenderer Verdienstmöglichkeiten. 1 Daneben gerieten die württembergischen Gewerbe, sowohl die schon länger kränkelnde Protoindustrie als auch das Handwerk, zunehmend unter den Konkurrenzdruck der industriellen Produktion. 2 Diese langfristige Strukturverschlechterung wurde seit der Mitte der 1840er Jahre verschärft durch eine Agrar- und dann auch Gewerbekrise. Schlechte Getreideernten, die seit 1845 auftretende Kartoffelkrankheit und Brennholzverknappung führten zur Verteuerung vor allem der Lebensmittel, die sich daran anschließende Gewerbekrise verschärfte die Situation durch Einkommensminderungen. Vor diesem Hintergrund kam es im Mai 1847 in einzelnen Städten, besonders in Stuttgart und Ulm, zu Brotkrawallen; diese »Tumulte« entzündeten sich am Verhalten einzelner Bäcker und Händler und blieben lokal begrenzt. 3 Die zunehmende Anfälligkeit der württembergischen Wirtschaft in der Krise seit der Mitte der 1840 er Jahre zeigt sich in mehreren Bereichen. Am Anstieg der Zahl von Konkursen nach 1844 wird deutlich, wie brüchig die so oft beschworene ökonomische Selbständigkeit vielfach bereits war. Die Gesamtzahl der gerichtlich erfaßten Gantfälle, so der zeitgenössische Begriff, stieg von etwa 1000 um 1840 auf 2-3000 in den späten 40er Jahren und erreichte Höchstwerte mit über 5000 in den Jahren 1852 bis 1854. 4 Für die 40er Jahre lassen sich diese Zahlen genauer aufschlüsseln. Der Anteil des Gewerbes und der Landwirtschaft an diesen Konkursen lag bei 60 bzw. 3 3 % ; oder, anders gesagt: zwischen 1840 und 1847 fallierten 2,2% der Landbautreibenden und 3 , 8 % der Gewerbetreibenden. Nach den Angaben von Memminger, dem zeitgenössischen Statistiker, lebten um 152 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Tabelle 10:

Gantfälle in Württemberg 1840-1856 1840/41 (jeweils 1. Juli-30. Juni) 1843/44 1846/47 1847/48 1848/49 1849/50 1851/52 1853/54 1855/56

1158 1570 2643 2849 3608 3794 4893 5643 2709

1840 4 8 % der Bevölkerung (184288 Familien) vom Gewerbe, 4 5 % (172028 Familien) von der Landwirtschaft. Diese Zahlen belegen also eine größere Krisenanfälligkeit des Gewerbes gegenüber dem agrarischen Besitz. Faßt man die 30 zahlenmäßig stärksten Gewerbe zusammen, fallierten 1840-1847 etwa 5% der Betriebe. Die oft als besonders krisenanfällig geschilderten Massengewerbe sind dabei nicht überdurchschnittlich vertreten. Von den Leinewebern beispielsweise, mit über 20000 Meistern die stärkste Gruppe überhaupt, gerieten nur knapp 3 % in Konkurs. Am auffälligsten waren Fuhrleute mit einer Gantquote von 2 3 % , Tuch- und Zeugmacher mit 18 bzw. 1 1 % und die Wirte als umfangreichste Branche (5399 Selbständige) mit 9 % . Im selben Zeitraum machten zudem ca. 11 % der ›Fabrikanten‹ bankrott. In den 40er Jahren stieg zwar die absolute Zahl der jährlich in Konkurs Geratenden kontinuierlich an, damit einher ging jedoch auch eine Steigerung des jeweiligen durchschnittlichen Vermögenswertes. Dieser Trend hielt auch 1846/47 an; d. h. der Anteil der Kleinsteigner an den Falliten lag in der Krise nicht höher als sonst. Das spricht sowohl für die Ausgeglichenheit der Besitzstruktur wie die auch in Normaljahren schon stark ausgeprägte ökonomische Labilität der einzelnen Eigentümer. 5 Tabelle 11: Durchschnittsbetrag bei Vermögensuntersuchungen und Gantungen 1832-1848 (in fl.) 1832/33 1838/39 1842/43 1843/44 1844/45 1845/46 1846/47 1847/48

645 773 1028 1045 976 1 024 1 205 1 749 153

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Im Vormärz gab es bestimmte Antwortmuster auf die krisenhaften Herausforderungen, diese griffen aber immer weniger. Die traditionelle Strategie der Dorfgesellschaft - Steigerung der unmittelbaren Nahrungsproduktion und vermehrte Arbeitsmigration - blieb in ihrer Wirkung ebenso begrenzt, wie das soziale Netz der vorwiegend gemeindlichen Armenfürsorge überfordert war. Damit wurde offenbar, daß die herkömmliche Weise der Krisenbewältigung nicht mehr ausreichend war, sie konnte bestenfalls noch individuelle Not lindern, versagte aber angesichts struktureller Probleme. 6 In dem Maße, wie die Selbstregulierungsmechanismen von Gemeinden und Gesellschaft scheiterten, nahmen nicht-legale Aktionen zu, gleichsam als individuelle Selbsthilfe zur Subsistenzsicherung. Unwillen und Protest von unten verfügten über ein differenziertes Artikulationsrepertoire, das von alltäglichen Verweigerungen über Kleinkriminalität bis hin zum »Marktexzeß« reichte. Greifbar wird diese politische Reaktion der Unterschichten aber zumeist nur dann, wenn sie in Konflikt mit den staatlich anerkannten Normen gerät. Ein - bekanntes - Beispiel hierfür ist die Holzkriminalität, die von den staatlichen Forstbehörden verfolgten Delikte stiegen nach 1845 rapide an. Tabelle 12:

Forstdelikte 1841-1848

Verbotenes Gras- und Streusammeln Holzexzesse Andere Waldvergehen Jagdvergehen Geldstrafen in fl. Gefängnisstrafen (Tage)

1841/42

1845/46

1846/47

1847/48

2924 8436 2369 181 29490 2026

15892 37308 19174 455 149982 6446

21477 45576 21 304 453 178234 9116

13 663 34473 17676 524 113073 11 362

Fast alle Deliktarten fallen in ihrer Häufigkeit nach 1847 stark ab, ein Indiz für ihren engen Zusammenhang mit der Krise. Im April 1848 wurden dann auch alle noch nicht vollzogenen Forst- und Jagdstrafen amnestiert. 7 Ein zusätzlicher Hinweis auf die Krisenindikation dieser Delikte mag das Ansteigen der Jagdvergehen auch über 1847 hinaus sein, denn Jagdfrevel war sicherlich eine Aktion mit hohem politischem Protestwert. Soziale Not und politischer Protest gingen hier ineinander über und blieben im Verstoß gegen die Norm auch dann als Handlungsmuster attraktiv, als die Versorgungslage sich besserte und im Frühjahr 1848 die Ablösung der herrschaftlichen Bindungen gefordert wurde. 154 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Die Marktunruhen vom Mai 1847 sind ebenfalls in dieser Hinsicht zu sehen. Sie sind eher momentane Herausforderungen der als nicht mehr ausreichend wahrgenommenen Ordnung, sind mehr eine sichtbare Form des ansonsten stummen Protests, als Vorläufer einer politischen Revolution. 8 Dieser Protest wurde jedoch durchaus gehört; zeitgenössische Stimmen beklagten, daß im Gegensatz zur Krise 1817, als die öffentliche Hilfe noch dankbar als Wohltätigkeitsakt wahrgenommen worden sei, die Armen nun Unterstützung »mit einem gewissen Trotze, als einen Rechtsanspruch, dessen Erfüllung man ihnen schuldig ist«, forderten. Nach den Maiunruhen steigerte sich dieses Unbehagen an der mangelnden Demut der Armen, als man glaubte, ein »plötzlich aus der Luft gefallenes Stück Kommunismus vor Augen gehabt« zu haben. 9 Wie wurde nun in der Öffentlichkeit, von den Gemeinden und der Regierung auf die Notlage reagiert? Blendet man einmal die Debatte um die politische Schuldzuweisung aus, die nach dem Mai 1847 in der Presse geführt wurde 1 0 , kreisen die Erörterungen immer auch um die strukturellen Schwächen von Landwirtschaft und Gewerbe. Dabei unterschied man meist genau zwischen - modern gesprochen - Wirtschaftspolitik und Krisenmanagement. Die kurzfristigen und direkten Maßnahmen gegen die Not und den Protest der unterbürgerlichen Schichten wurden in der Regel unter dem Begriff der »Theuerung« erörtert, während die im ganzen Vormärz geführte Debatte über Vor- und Nachteile von allgemeiner Gewerbefreiheit, den Möglichkeiten des Fabriksystems und den Gefahren des Proletariats zumeist unter dem Stichwort des »Industriesystems« geführt wurde. In der Presse finden sich seit Mitte der 40er Jahre besorgte Stimmen über die Nahrungsmittellage und die Preisentwicklung. Die Gemeinden waren von der Krise sofort direkt betroffen, da die Armenunterstützung eine Aufgabe der Kommunen war. Die seit 1830 relativ gleichmäßig steigende Quote der Unterstützten erhöhte sich von 1,9% (1830) bis in die Mitte der 50er Jahre auf etwa 3 % ; nach 1856 begann sie dann wieder kontinuierlich zu sinken, eine Folge der steigenden Löhne in Landwirtschaft und Gewerbe. Zwischen 1844 und 1847 stieg der Prozentsatz der Unterstützten jedes Jahr, er kletterte von 2,20% (1844) über 2,27 auf 2,72 und erreichte 1847 schließlich 3,39%; 1848 sank er wieder auf 2,77%. Diese Zahlen bedeuteten für die Gemeinden sprunghaft ansteigende Ausgaben zur Versorgung ihrer armen Bevölkerungsgruppen. So wie während der Hungerkrise 1816/17 versagte nun abermals das kommunale Versorgungssystem und führte zu staatlichen Interventionen. 11 Im Herbst 1845 begann die Regierung, zuerst noch zögerlich, mit Gegenmaßnahmen gegen den Preisanstieg. Es folgte eine ganze Reihe von Verordnungen, Verfügungen und Aktionen, die man in vier Bereiche unterteilen kann. Von Beginn an wurde versucht, sowohl die inländische Produktion im 155 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Lande zu behalten und Einfuhren zu erleichtern. Man hob Einfuhrzölle für Getreide und Hülsenfrüchte auf und belegte die Ausfuhr über die Zollvereinsgrenzen mit einer Abgabe von 25 % des Marktwertes. Generelle Ausfuhrbeschränkungen scheiterten am Widerstand der Nachbarstaaten, besonders der Schweiz, die in hohem Maße auf die Märkte des württembergischen Donaukreises angewiesen war. 1 2 Zweitens begann die Regierung im Herbst 1846 mit dem Ankauf von Getreide im Ausland, vor allem in Ungarn und den Niederlanden. Die Transaktionen wurden über vier private Kaufleute abgewickelt, die Kosten beliefen sich auf über 4 Millionen fl. Diese Staatsimporte wurden dann an die Gemeinden und Kameralämter weiterverteilt, die sie auf dem Markt verkauften oder an Bedürftige zu einem reduzierten Preis - der in etwa dem Mittelwert in Normaljahren entsprach - weitergaben. Wohltätigkeitsvereine erhielten Unterstützung und Suppenanstalten wurden betrieben, es gab Saatgetreide und -kartoffeln. So wurde an alle 1897 Gemeinden Getreide zum »Gnadenpreis« abgegeben, an 1119 sogar mehrmals. Die Politik der Staatsintervention bezweckte zwei verschiedene Ziele: Einerseits wurden konkrete Hilfsmaßnahmen getroffen, sollte den am meisten Betroffenen im Idealfall direkt geholfen werden. Neben dieser traditionellen Fürsorge war aber der eigentliche »Hauptzweck der Maßregel«, wie es der Finanzminister Gärttner am 5. September 1846 in einem Bericht an den König formulierte, »vielmehr nach unserer Ansicht die Vermehrung des Angebots auf dem inländischen Markte und die hierdurch von selbst sich regelnde Wirkung einer Verhinderung des Steigens oder einer wirklichen Herabdrückung des Marktpreises«. Die »paternalistische Marktregulierung« (Medick) von 1817 ging damit über in die kapitalistische Marktbeeinflussung von 1846/47.13 Auf einer dritten Ebene wurden Arbeitsbeschaffungsvorhaben in Gang gesetzt und damit auch mehr auf die im Gefolge der Agrarkrise einsetzende Gewerbekrise reagiert. Im Etat für 1845/48 waren für außerordentliche Straßen- und Brückenbauten sowie die Schiffbarmachung des Neckars etwa 900 000 fl. vorgesehen. Auf dem außerordentlichen Landtag wurde aber reklamiert, daß zu Beginn des Jahres 1847 erst ein Bruchteil der für den Straßenbau zusätzlich veranschlagten Summe von 700000 fl. ausgegeben worden war. Außer dem eigentlichen Arbeitsprogramm hatten auch die beiden in den 40er Jahren beginnenden Großbauprojekte in Württemberg eine die Krise indirekt dämpfende Wirkung. Beim Festungsbau in Ulm waren 1847 über 3000 Arbeiter tätig, die weder beim Marktkrawall 1847 noch 1848/49 die »geringste Störung der Ordnung« verursachten, wie der Baudirektor Prittwitz lobend erwähnte. Beim Eisenbahnbau, seit 1843 staatlich, stiegen die Baukosten von 1 025 022 fl. im Etatjahr 1844/45 über 4407715 fl. für 1846/47 auf 4887767 fl. 1847/48 an. 14 Ohne diese zwar arbeitsmarktrelevanten, aber nicht speziell zur Krisenbekämpfung initiierten Maßnahmen wurden damit seit 1846 von der 156 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Tabelle 13:

Staatliche Fruchtabgabe in Scheffel Ende März 1847 bis 1. September 184815

Zum »Gnadenpreis« (etwa 50% des Marktwertes) und auf Kredit

168484

mit einer Ermäßigung von ca. 20% zum vollen Marktpreis Gesamtmenge

9805 119875 298164

Neckarkreis Schwarzwaldkreis Jagstkreis Donaukreis

36000 57000 36000 40000

(etwa 1 18000 waren im Ausland gekauft worden, von denen im September 1848 ca. 15 000 noch nicht verteilt worden waren)

württembergischen Regierung insgesamt 4,8 Millionen fl. aufgewandt, davon etwa 3 Millionen fl. für die Abgabe von verbilligten Nahrungsmitteln. Die effektive Belastung für den Staatshaushalt war jedoch weitaus geringer als die Summe vermuten läßt. Denn gleichzeitig ergab sich in den drei Jahren zwischen 1845 und 1847 ein außerplanmäßiger Einnahmenüberschuß von rund 4,8 Millionen fl., ein Überschuß, der zu 7 0 % aus dem erhöhten Ertrag des Kammerguts resultierte. Damit erwirtschaftete der Staat in der Teuerung einen großen Teil jener Beträge selber als Grundherr, die er gleichzeitig in seiner Rolle als die Gemeinden ablösende Fürsorgeinstanz verteilte. 16 Viertens schließlich agierte die Regierung auch publizistisch. Sie sorgte dafür, daß Empfehlungen des Landwirtschaftlichen Vereins zur Kartoffelkrankheit verbreitet wurden, verbot aber auch im Herbst 1846 Zeitungsberichte über die Getreideernte und unterdrückte Meldungen über Unruhen. Nach dem Mai 1847 wurde dann zur Beruhigung der Bevölkerung eine Bestandsaufnahme der Lebensmittelvorräte im Land und die Veröffentlichung der Ergebnisse befohlen. 17 Faßt man die Maßnahmen der Regierung zusammen, gilt es, zweierlei festzuhalten. Einerseits wurden alle Hilfsaktionen schon vor dem politischen Ereignis der Maitumulte in Gang gesetzt, die Fürsorgetätigkeit des Staates setzte also bereits vor dem Protest von unten ein. Andrerseits aber waren die getroffenen Maßnahmen primär eine Umverteilung von Staatseinkünften, die mit möglichst geringen Eingriffen in den normalen Handel vollzogen wurden; es war keine Hilfe gegen den Markt und seine Gesetze. 157 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Tabelle 14:

Staatliche Aufwendungen zur Krisenlinderung 1846-1848 (in fl.) 18

Teuerungszulagen für Staatsdiener (in den Ministerien), Landjäger und Volksschullehrer Straßenbauten Mehraufwand für die Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins besondere Arbeiten zur Armenbeschäftigung

193704 1 126 900 125870 307326 1 753 800

Anschaffung von Saatkartoffeln Preisnachlaß beim Verkauf staatseigener Dominialfrüchte Preisnachlaß beim Verkauf der ausländischen Früchte

58358 934 157 2051321 3043836 4797636

Gesamtsumme

Das bedeutete aber auch, daß die Kosten und Lasten für die Armen und weniger Wohlhabenden hoch blieben. Deshalb erfolgte letztlich der Einsatz des Militärs, wie in Stuttgart, oder der Ruf nach der Bürgerwehr, wie in Ulm, wenn die Abfederungspolitik der Verwaltung nicht ausreichte. Neben dem Vorgehen gegen die »Theuerung« wurde durch die Krise aber auch wieder, wie gesagt, die Frage nach der Reform der Wirtschaftsordnung aufgeworfen. In Württemberg bestanden bis in die 1860er Jahre zünftige und unzünftige Gewerbe sowie Fabriken als drei getrennte Produktionsformen nebeneinander. Nach der revidierten Gewerbeordnung vom 5. August 1836 gab es noch 50 zünftige Gewerbe, denen über 200 unzünftige gegenüberstanden. Für die selbständige Tätigkeit in einem Zunftgewerbe galten folgende Voraussetzungen: Man mußte am selben Ort das Bürgerrecht besitzen und einen besonderen Qualifikationsnachweis erbringen, die gewerbliche Arbeit war auf einen genau festgelegten Tätigkeitskreis festgelegt. Daneben bestand das zünftige Handelsrecht der Kleinhändler, wodurch das Handwerk im An- und Verkauf von Waren stark eingeschränkt war. Dementsprechend ergaben sich auch die Unterschiede bei den unzünftigen Gewerben. Zu ihrer Ausübung benötigte man w e d e r einen Qualifikationsnachweis, eine Erlaubnis der Behörden, noch mußte man das Bürgerrecht am Ort der gewerblichen Tätigkeit besitzen. Bei Fabriken war dann - bei sonst gleicher Ausgangslage - zum Betrieb eine besondere behördliche Genehmigung, die Fabrikkonzession erforderlich. 19 158 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

In den 40er Jahren, besonders seit 1846, geriet diese wirtschaftspolitische Gemengelage immer mehr in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses; eine Lösung der Gewerbekrise erhoffte man von der richtigen Beantwortung der Frage: Zunftordnung oder Gewerbefreiheit? Einerseits hatte das »Industriesystem«, das als wesentliche Konsequenz der Einführung der Gewerbefreiheit angesehen wurde, an Abschreckung verloren. Hatte R. Mohl noch 1840 befürchtet, »daß das Industriesystem zur Zersetzung der Organisation der bürgerlichen Gesellschaft in ihren Elementen wesentlich beiträgt«, akzeptierte er nun in bestimmten Bereichen die Gewerbefreiheit und verlegte den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf die Bewältigung der durch die wachsende Fabrikarbeiterschaft entstehenden Gefahren. 20 In den Jahren danach verschwand die Kritik am »Industrie- und Fabriksystem« im liberalen Bürgertum und der Regierungsbürokratie immer mehr. Gewisse Auswüchse des »Maschinenwesens« wurden zugestanden, jedoch zumeist auch die Besonderheit der Situation in Württemberg hervorgehoben, das »nur die Lichtseite des Systems, die Greuel des eigentlichen Fabrikstaates keineswegs« kenne. 21 Die geringe Größe der Fabriken, die fehlende Konzentration von »ausschließlichen Fabrikarbeitern« und die günstige Besitzverteilung wurden als Ursache angeführt. Das Industriesystem - und damit auch die Fabrik als Produktionsort - wurden zunehmend positiv gesehen, man versprach sich von einer »durchgreifenden Hebung der Gewerbeanstalten im Großen« eine Verbesserung der Situation, waren doch die Fabriken die »ergiebigsten Quellen des Reichtums«. 22 Andrerseits stieg mit der Verschlechterung der materiellen Lage für die Kleinproduzenten wiederum die Attraktivität der alten Zunftordnung mit ihren festen Regeln und ihrer vermeintlichen Sicherheit. In den 40er Jahren häuften sich Eingaben und Bitten um genauere Festschreibungen von Vorschriften und Kompetenzen. Lokale Zunftversammlungen wandten sich mit Vorschlägen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation an die Regierung; vor allem ein verbesserter Zollschutz und erweiterte und strengere Zunftregeln wurden hier eingeklagt. 23 Dennoch laßt sich das Problem nicht in ein einfaches Gegenüber von konservativer Tradition - also Zunft - und fortschrittlicher Modernität also Gewerbefreiheit - auflösen. Hinter diesen plakativen Formeln verbargen sich unterschiedliche Antworten auf einzelne Fragen der Wirtschaftsverfassung, die oft gar nicht so eindeutig in klare Alternativen zu scheiden waren, sich auch zu recht ungewohnten Verbindungen zusammenfanden. Die wirtschaftlichen Konzepte und Überlegungen in Württemberg wurden in jenen Jahren dabei nicht nur innerhalb der halbamtlichen »Gesellschaft für Beförderung der Gewerbe« und ihren Bezirks- und Lokalvereinen erörtert 24 , daneben gab es eine, die breitere Öffentlichkeit ansprechende Diskussion in der Presse, vor allem im liberalen »Beobachter«. Vor allem 1846 kam es hier zu einer längeren Kontroverse zwischen G. Rau, einem 159 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

erfolglosen Glasfabrikanten und - im September 1848 - genauso erfolglosen Revolutionär, der für die »Industrie« eintrat und F. Nägele, dem als Schlossermeister und - einzigem handwerklichen - Paulskirchenabgeordneten sowohl ökonomisch wie politisch erfolgreicheren Kontrahenten, der für den »christlichen Sozialismus des Assoziationswesens« stritt. Einen weiteren Zugang zur Stimmung in der Bevölkerung gegenüber dieser als existenziell wichtig angesehenen Frage bietet die vom Schlayerschen Innenministerium im Dezember 1846 initiierte Umfrage an die Kreisregierungen und Bezirksbehörden, »ob nicht eine Revision der Prinzipien der Gewerbeordnung in der Richtung einzuleiten sei, daß der Zunftzwang aufgehoben« werde. Der Regierung, die schon seit den 1830er Jahren zur Gewerbefreiheit neigte - ohne sich aber über den heftigen Widerstand der großen Mehrheit des Handwerks gouvernemental hinwegzusetzen - , kam es dabei vor allem auf ein genaues Stimmungsbild in den gewerblichen Schichten an. Das Oberamt Balingen wurde gerügt, weil es keine Erhebung unter den Gewerbetreibenden gemacht hatte, »da dem Zwecke mit einer bloßen Darstellung der individuellen Ansicht des Beamten nicht gedient ist«. 25 In der Debatte um die Ursachen der Krise und um geeignete Maßnahmen zur Bewältigung fällt auf, daß die eindeutige Gegenüberstellung von Zunft contra Gewerbefreiheit kaum existiert. Zu deutlich ist das preußische Beispiel mit allen einzelnen Nachteilen und Veränderungswünschen gerade des Kleingewerbes vor Augen, als daß die »Berliner Sachgüterphilosophie« einhellige Zustimmung gefunden hätte; zu deutlich wird auch die Gewerbepolitik Württembergs im Zusammenhang gesehen mit der Haltung der anderen, ebenfalls Beschränkungen aussprechenden, süddeutschen Staaten. 26 So fällt auch in vielen Berichten an die Regierung auf, daß die meisten Schreiben, die sich plakativ für oder gegen die Zunftverfassung aussprechen, in Einzelfragen bei konkreten Problemen oft in sehr hohem Maße übereinstimmen. Berücksichtigt man diese erstaunlich weitverbreitete Überzeugung, daß Gewerbefreiheit oder Zunftordnung allein keinen Ausweg aus der Wirtschaftskrise bieten würden, lassen sich drei Strategien zur Bewältigung der Krise unterscheiden. Das vormärzliche Zauberwort der »Assoziation« kennzeichnet die erste dieser Alternativen. Vor allem in Einzelschriften und Zeitungsartikeln, damit in der öffentlichen Diskussion, schienen die Assoziationen einen Ausweg, einen dritten Weg zwischen der als nicht mehr ausreichend angesehenen Zunftordnung und der wegen ihrer befürchteten Begleiterscheinungen abgelehnten Gewerbefreiheit zu versprechen. Die »Organisation der Arbeit«, wie ein anderer zeitgenössischer Begriff lautete, wurde im Frühjahr 1846 in einer Artikelserie im »Beobachter« ebenso gefordert wie die Organisation des Grundbesitzes, der Armenhilfe und der Auswanderung. Zweierlei war damit intendiert: der freiwillige Zusammenschluß der Selbständigen, wie andrerseits die staatliche Fürsorge für die Benachteiligten im Rahmen der bürokratisch geleiteten Armenhilfe und staatlich 160 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

geforderten Auswanderung. Die Selbstorganisation der Besitzenden fand damit ihre Ergänzung in der staatlichen Kontrolle und Regulierung der Besitzlosen. 27 Zu diesem liberalen Assoziationsverständnis, das die eigenständige, freiwillige Zusammenarbeit der selbständig Tätigen propagierte, gab es vor 1848 noch ein weitverbreitetes Pendant, das durch das Prinzip der Assoziation gerade den Gegensatz von Kapital und Arbeit, von Selbständigkeit und Lohnabhängigkeit aufheben wollte. Hier taucht auch ein anderes Gegensatzpaar auf, »vom Staat unterstützte Fabrikanten« stehen »großen industriellen Körperschaften« gegenüber. Denn bei einer »Assoziation der Gewerbetreibenden«, einem »System der freien Arbeit« - das aus den Arbeiten der »Sozialisten« vertraut sei - gebe es weder Fabrikarbeiter noch Fabrikbesitzer, der moderne Feudalismus der Dienstarbeit werde in den »Zustand der freiwilligen Vereinigung (Sociahsmus)« umgewandelt. Diese freiwilligen Vereinigungen, die industriellen Körperschaften, können jedoch nicht durch materiellen Nutzen, durch Verfolgung individueller Vorteile zusammengehalten werden, sondern nur durch den »Geist des Christentums«. Genauso argumentierte F. Nägele, wenn er als Mittel gegen Verarmung die »soziale Vereinigung durch Liebe« fordert. 28 Die Ablehnung des verabscheuten Fabrikherren führte aber nicht zur prinzipiellen Kritik der Eigentumsordnung, denn »wie im Gegenteil manche bürgerliche Selbständigkeit geschaffen werden kann, . . . dieses Wie zeigt uns die Lehre von Sozialismus«. Oder, wie es ein anonymer Teilnehmer dieser Pressekontroverse kurz und bündig forderte, die religiösen und sozialistischen Versatzstücke geschickt verbindend: »Sind wir alle Brüder, so sind wir auch alle Erben. «29 Die Kritik an dieser Position wurde von G. Rau vertreten, der »Körperschaften mit Beteiligung jedes einzelnen Arbeiters« als eine »Sache für das tausendjährige Reich, dessen Morgenrot noch sehr bleich ist«, abtat. Er trat dafür ein, die prinzipielle Unvermeidlichkeit von Abhängigkeitsverhältnissen zu akzeptieren, und stellte die Sicherheit und den bescheidenen Wohlstand des Arbeiters der häufigen Armut des kleinen Selbständigen gegenüber. Statt Assoziationen forderte er den Ausbau der Fabriken und aktive staatliche Hilfe durch Zollschutz, Kreditmöglichkeiten und die Errichtung eines Handelsministeriums. 30 Daß die Auseinandersetzung über Arbeiter und Assoziationen neben der ökonomischen auch eine politische Bedeutung hatte, sprach Nägele in einem Artikel »Der selbständige Handwerker und der Fabrikarbeiter als Bürger« aus. Durch die Zunahme der Fabriken sah er die persönliche und politische Selbständigkeit gefährdet; da er zugleich aber auch die Vermehrung der Fabriken für unvermeidlich hielt, optierte er für gesetzliche Regelungen, die den Arbeiter »mehr als Mitteilnehmer am Geschäft« etablieren würden. Er versprach sich davon nicht nur eine bessere Konkurrenzfähigkeit des Handwerks gegenüber den Fabriken, sondern auch für die Arbeiter die Chance, den Bürgerstatus bewahren zu können. Dadurch 161 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

erhielten sie die Möglichkeit, ihre Rechte auf gesetzlichem Weg zu artikulieren, statt auf dem »gewöhnlichen, oft mit Blut befleckten unterdrückter Fabrikarbeiter - durch Erneuten«. 31 Das Assoziationswesen, die »Organisation der Arbeit«, war in den Jahren 1848 ein weitverbreiteter Hoffnungsträger, es schien sowohl eine Alternative zur beengten Ordnung der Zunft wie zu den Gefahren der Industrie in Gestalt der entstehenden Fabrikarbeiterschaft darzustellen. Als theoretisches Konzept war der Assoziationsgedanke attraktiv, es gelang jedoch nicht, praktikable Reformvorschläge aus ihm zu entwickeln; als Leitfaden aus der ökonomischen Krise blieb er wirkungslos. Hiervon zu unterscheiden ist das zweite Konzept der Krisenbewältigung, welches letztlich den Kern der Regierungsumfrage von 1846/47 bildet: Erhöhung der individuellen Befähigung zum Gewerbebetrieb. Direkter Anlaß für die Befragung der Regierung waren Eingaben von Färbern und Webern, die entweder um eine Verschärfung der Zunftbestimmungen oder um volle Gewerbefreiheit nachsuchten. Das Ministerium reagierte mit der Meinungserhebung, ihr Erlaß vom 22. Dezember stellte zugleich eine detaillierte Zusammenfassung der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten dar. Als Krisenursachen des Handwerks werden die Ausdehnung des Marktes, die Vermehrung der Fabriken, die steigende Anzahl von neuen Fabrikaten sowie der immer rascher wechselnde Geschmack der Kunden genannt. In dieser Situation könne das Handwerk nur noch verhindern, daß andere zünftige Waren herstellten, gegen die »Konkurrenz der Fabriken, deren Entstehung unmöglich niedergehalten werden kann«, bleibe es machtlos. Damit übe die Zunft keine Schutzfunktion mehr aus, sondern beeinträchtige vielfach nur die »individuelle Geschicklichkeit«. Adäquatere Mittel zur Hebung der Lage - statt der Zunftverfassung - seien eine bessere Ausbildung der Lehrlinge, die Berufung ausländischer Techniker, die Bereitstellung besserer Werkzeuge sowie eine Spezialisierung der einzelnen Gewerbetreibenden. 32 Betrachtet man die eingegangenen Berichte, wird verständlich, warum das Innenministerium keine weiteren Anstalten unternahm, die Gewerbeordnung zu liberalisieren. Insgesamt gingen im Lauf des Jahres 1847 125 Stellungnahmen ein; 36 von Beamten und Gewerbevereinen, 89 von Fabrikanten, Kaufleuten und Vertretern des Handwerks. Einer Einführung der Gewerbefreiheit standen die Nichtproduzenten, d. h. die 27 befragten Bezirksbeamten, noch am aufgeschlossensten gegenüber; aber auch hier hielten sich ablehnende und befürwortende Äußerungen mit 14 zu 13 ungefähr die Waage, dezidierte, uneingeschränkte Voten dafür gab es kaum. Auf der anderen Seite läßt sich bei den Produzenten eine von den Fabrikanten über die Kaufleute bis zum Handwerk hin zunehmende Ablehnung der Gewerbefreiheit feststellen. 33 Viele der Fabrikanten, die sich hier zu Wort meldeten, sind sicherlich nur eingeschränkt als »industriell tätig« zu klassifizieren, sonst wäre die doch 162 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

relativ große Homogenität der Meinungen der Gewerbetreibenden kaum zu erklären. Mit Ausnahme vieler Eingaben von einzelnen Zünften, die oft nur kurz eine Erweiterung der sie betreffenden Zunftregelungen fordern, divergieren die meisten Adressen in ihren Aussagen nur in begrenztem Umfang. Weder die Zunftordnung noch die Gewerbefreiheit werden als allein ausreichende Maßnahmen zum Ausweg aus der Krise gefordert; statt dessen besteht ein relativ breiter Konsens über die Grundprinzipien der Gewerbeordnung. Erstens ist man einhellig gegen eine ungezügelte »Schrankenlosigkeit«, gegen ungehemmte Konkurrenz. Die Regulierung der Wirtschaftstätigkeit wird als notwendig angesehen, es bestehen jedoch unterschiedliche Optionsmöglichkeiten für eine eher staatlich-normative oder korporative Lösung dieser Ordnungsaufgabe. Zweitens wird, unabhängig von der Haltung in diesem ersten Punkt, zumindest eine zunftähnliche Organisation zur Wahrung der »polizeilichen Aufgaben« der Gewerbe als unverzichtbar angesehen. Damit ist bereits der Übergang von der Zunft zur Innung und zur Gewerbekammer vorgezeichnet, der nach 1848 verstärkt einsetzte. Als nächstes wird oft die große Bedeutung des Gemeindebürgerrechts hervorgehoben, die Bevölkerungsregulierung als Teil der Gewerbepolitik in Anspruch genommen. Viertens schließlich werden zur konjunkturellen Verbesserung, zur Hebung der Gewerbe, wie es zeitgenössisch hieß, staatliche Hilfen wie Zollschutz und Krediterleichterung, Infrastrukturmaßnahmen und Verkehrsverbesserungen, vor allem aber die Verbesserune der individuellen Ausbildung und Gewerbefähigkeit gefordert. In typischer Form tauchen diese Elemente in einer Eingabe aus Heilbronn auf, die von dem Kaufmann Goppelt, dem späteren Finanzminister der Märzregierung, mitverfaßt war. Er spricht sich für eine Lockerung, nicht aber eine Aufhebung der Zunftschranken aus. Organisationen sollen beibehalten werden für Befähigungsnachweise, zur Lehrlings- und Gesellenausbildung und Kontrolle sowie als »Schiedsgerichte und andere Ausschüsse«. 34 Auch das gewerbliche Niederlassungsrecht könne nicht vom Besitz des Bürgerrechts getrennt werden, da sonst die Steuergerechtigkeit nicht gewährleistet sei. Zur Behebung der aktuellen Notlage seien das aber keine hinreichenden Mittel, dazu benötige man - im Rahmen des Zollvereins - ein einheitliches Handelsrecht, eine effiziente Justizpflege, gute Transport- und Kreditmöglichkeiten. Württemberg selber könne vor allem die Schulausbildung verbessern, indem es mehr gewerblichen Unterricht einführe, die Schulkosten durch den Staat übernehme (damit der Schulbesuch für den einzelnen kostenlos werde) und Reiseunterstützungen zur gewerblichen Fortbildung gewähre. 3 5 Die Antworten sind sicherlich in erheblichem Maße durch die Anfrage der Regierung vorgeprägt worden. Dennoch belegen sie, wie sehr jenseits der Hoffnungen auf »assoziative Wunder« bereits die Notwendigkeiten der kapitalistischen Marktkonkurrenz durchschienen. Staatlich und korporativ 163 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

gesicherte Freiräume konnte es immer weniger geben, statt dessen wandelte sich die Gewerbepolitik vom garantierten kollektiven Schutz zur Förderung des individuellen Eigennutzes. Der Bedeutungsverlust der vorwiegend ökonomischen Zunftkorporation und die Unterstützung des Einzelinteresses schienen jedoch einer politischen und sozialen Absicherung durch den zweiten großen Korporativverband, die Gemeinde, zu bedürfen. Aus diesem Grund erklärt sich die in den 40er Jahren häufig vorgenommene Verbindung von gewerblicher Liberalisierung und einer Verschärfung des kommunalen Niederlassungsrechts. »Was soll geschehen, wenn die Grundlage des Staates, die Gemeinde, sich in offenem Widerspruch versetzt findet mit der Industrie, der Urquelle ihrer Kraft?« - für Varnbüler, den regierungstreuen Abgeordneten, war der Zusammenhang von Gewerbeordnung und Bürgerrechtsgesetz untrennbar. Denn durch die Gewerbeordnung war das zünftige Handwerk daran gebunden, im selben Ort das Bürgerrecht zu besitzen. U m nun prinzipiell die Gewerbeausübung zu ermöglichen, hatte die Regierung im Bürgerrechtsgesetz in die Kompetenzen der Gemeinden zur Erteilung des Bürgerrechts eingegriffen. Sie hatte eindeutige Kriterien festgelegt, bei deren Erfüllung die Gemeinden das Bürgerrecht erteilen mußten - mit den nach den württembergischen Gesetzen daraus folgenden Konsequenzen für Gewerbetätigkeit, Verehelichungsmöglichkeit und Armenversorgung. Dieser Eingriff provozierte den Widerstand der Gemeinden, ihr Protest richtete sich weit mehr gegen die Eingriffe in das Niederlassungsrecht als gegen die Lockerung der Zunftschranken. U m die industrielle Entwicklung zu beschleunigen, war Varnbüler deshalb auch bereit, die Vergabe des Bürgerrechts wieder in die Hände der Gemeinden zu legen, soweit jedenfalls die »absolute Forderung des Staatsbürgertums« erfüllt würde. 36 Man sah die Industrie bzw. die Förderung von Fabrikansiedlungen als Möglichkeit an, um der Krise der Kleingewerbe und des Handwerks Herr zu werden. Die Bekämpfung des Pauperismus bedingte daher die Auflösung der traditionellen Schranken der Wirtschaftsordnung. Gleichzeitig erstrebten jedoch die Gemeinden Maßnahmen zur Zurückdrängung der sozialen Not - indem sie die althergebrachten Restriktionen innerhalb der Gemeinde verstärken wollten. Ihnen ging es nicht darum, die Krise zu beheben, sondern die von der Krise Betroffenen aus ihrem Verband auszugrenzen bzw. - malthusianisch gedacht - das dafür anfällige Bevölkerungspotential zu reduzieren. Der einzelne sollte damit zwar aus den Bindungen der Zunftkorporation gelöst werden, die ökonomische Freisetzung blieb aber eingebunden in die Übernahme der sozialen und politischen Folgelasten durch andere korporative Organe, wie die in Innungen und Handwerkskammern umgewandelten Zünfte oder die Gemeinden. Die Krise von 1846/47 offenbarte damit eine doppelte Ablösung der alten ständischen Funktionsmechanismen. Zur Linderung der direkten Not war 164 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

nun die direkte staatliche Hilfe - und zwar innerhalb der Gesetze des Marktes, nicht gegen sie - wichtiger als die ständische Fürsorge im Rahmen der traditionellen Mechanismen der Armenfürsorge. Gleichsam von innen wurde die ständische Ordnung durch jene Maßnahmen aufgelöst, die langfristig die gedrückte Lage der Gewerbe bessern sollten. Die korporative Zwangsstruktur der Zünfte wurde gelockert zu Gunsten einer vermehrten, verbesserten und weniger reglementierten Wirtschaftstätigkeit des Einzelindividuums. Dieser Trend setzte sich bereits in den 1840er Jahren durch, trotz der populären Bestrebungen, über freiwillige Assoziationen und eine stärkere Abgrenzung des Gemeindeverbandes möglichst viele alte Ordnungsformen zu bewahren, um den »sozialen Krieg« zu verhindern. 37 Die »Entfesselung« des individuellen Eigennutzes wurde dabei nicht nur durch staatliche Normen und eine bürokratische Kontrolle gezügelt, sondern erlangte in den modernisierten Korporationen, den »der Zeit angepaßten Zünften«, auch einen relativ hohen Grad an Selbststeuerung.

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VII.

Reformpolitik

1848/49

Auf die Nachricht von den Unruhen in Paris hin, wo innerhalb weniger Tage aus einem »Krawall« zuerst eine »Erneute« und schließlich eine »Revolution« entstand, wurden auch in den deutschen Staaten die »Gemüter revolutionär«. 1 Weitaus stärker als noch vor knapp zwei Jahrzehnten nach der französischen Julirevolution wurden jetzt die Berichte vom Ende Louis Philippes als Signal verstanden, ohne daß aber in den ersten Tagen und Wochen immer eindeutig und klar gewesen wäre, was in den deutschen Territorien nun im einzelnen geändert werden müsse. Insofern war die »Märzbegeisterung« vor allem eine sozialpsychische Reaktion, war eine mentale Vorwegnahme politischer und sozialer Veränderungen - wodurch eine Diskrepanz zwischen übertriebenen Erwartungen und realen Gestaltungsmöglichkeiten entstand. Von Anfang an bestand eine sich in den folgenden Monaten immer gravierender bemerkbar machende Spannung zwischen eschatologischen Hoffnungen auf der einen Seite, wie sie etwa Paul Pfizer schon Jahre zuvor ausgesprochen hatte und wie sie in allen Staaten in den Trauerfeiern über die »Märzgefallenen« formuliert wurden, und apokalyptischen Ängsten auf der anderen, man denke an Jacob Burckhardts Warnung vor einem nahenden »sozialen jüngsten Tag« oder an den »Franzosenfeiertag«, die Panik in Südwestdeutschland am 25. März auf das Gerücht eines französischen Einfalls hin. 2 Nur in den ersten Tagen und Wochen wurde diese tiefgreifende Ambivalenz verdeckt durch das Pathos und die Euphorie, mit denen die »neue Zeit« begeistert gefeiert wurde. In dem Maße, wie es dann an eine inhaltliche Gestaltung und politische Umsetzung dieser Erwartungen ging, brach der emphatische Konsens der Anfangszeit auseinander und setzte die politische Fraktionierung ein. Die eben skizzierte mentale Reaktion war in allen Staaten des Deutschen Bundes mehr oder weniger gleich. Im Ablauf der Ereignisse und in den Auswirkungen auf die jeweiligen Einzelstaaten lassen sich aber signifikante Unterschiede aufzeigen. Im Deutschen Bund läßt sich, bei allen Einschränkungen und Differenzierungen, ein deutliches West-Ost-Gefälle in der Reaktion auf die Pariser Februarrevolution feststellen. Je weiter man nach Osten geht, desto später setzen die inneren Bewegungen ein, die die vormärzlichen Zustände beenden. Gleichzeitig wächst die Intensität und Gewalthaftigkeit, mit der die Anpassung vollzogen wurde, mit der die alten Mächte zumindest vorübergehend zurückgedrängt wurden. Bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen wie am 13. März in Wien und am 166

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18. März in Berlin fehlen in den westlichen und südlichen Staaten des Deutschen Bundes nahezu gänzlich; denn die Agrarunruhen sind ganz anders bedingt und kaum damit zu vergleichen. Diese Unterschiede sind mit einem metaphorischen »Wandern« der Revolution von Paris aus nach Osten, wodurch manche Gebiete eben früher erreicht worden seien, nur unzulänglich zu erklären. Statt dessen sollte man den Blick darauf lenken, daß sowohl Preußen wie Österreich 1848 noch nicht konstitutionelle Staaten waren. Dieses Defizit ermöglichte es, Reformwünsche und Artikulationsversuche länger zu unterdrücken und unter Kontrolle zu halten führte aber auch dazu, daß das vorläufige Ende dieser Politik nur auf gewaltsame Weise erreicht werden konnte. Die Unterschiede weisen auf die Bedeutung hin, die dem jeweiligen politischen System der Einzelstaaten in der Besänftigung der revolutionären Gemüter zukam. Verstärkt wird dieses Argument durch die Beobachtung, wie sehr in den ersten Wochen noch die jeweiligen Einzelregierungen die Adressaten von Petitionen und Forderungen sind. Von ihnen erwartete man Maßnahmen zur Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse, von ihnen verlangte man die Aufhebung der Restriktionen im Presse- und Vereinsrecht, von ihnen auch erwartete man Initiative zur »Herstellung eines deutschen Parlaments«. 3 Trotz der bald überschießenden nationalen Rhetorik, trotz der erstrebten Zentralinstanz der Paulskirche und trotz der in den nächsten Monaten zu beobachtenden überregionalen Kooperationsversuche bei Fürsten und Demokraten, bei Bürgern und beim Militär - gerade das Ende der Bewegung offenbarte noch einmal, wie wenig die erhoffte nationale Einheit gegenüber der regionalen Identität wog. Die Reichsverfassungskampagne im April war ebenso eine Bewegung in den Einzelstaaten wie die militärische Verteidigung der Reichsverfassung in Sachsen, der Rheinpfalz und Baden jeweils lokal und regional begrenzt blieb und es kaum grenzüberschreitende, »nationale« Unterstützungsversuche gab. Die Bedingungen und Gegebenheiten der Einzelstaaten wogen schwerer als die erstrebte deutsche Gemeinsamkeit. 4 Das heißt aber auch, daß der Erfolg der Paulskirche nicht in Frankfurt entschieden wurde, sondern in Wien und Berlin, München und Stuttgart. Nur bei einem Erfolg der partikularstaatlichen Reformbestrebungen konnte auch die nationale Reform erfolgreich sein. Das lenkt den Blick zurück auf das Geschehen in den jeweiligen Einzelstaaten und Länderparlamenten. Hierbei ist Württemberg ein Sonderfall. Das Königreich war nicht nur der größte Einzelstaat, der die Reichsverfassung anerkannte, sondern auch das Land mit der längsten innenpolitischen Reformdebatte - bis ins Jahr 1850 tagten mehrere parlamentarische Landesversammlungen, um eine Änderung der vormärzlichen Verfassung mit Krone und Regierung zu vereinbaren. Scheiterte letztlich auch die Verfassungsänderung, war zuvor doch die seit langem eingeklagte Verwaltungsreform in Gang gekommen und in wesentlichen Teilen erfolgreich abgeschlossen worden. 167 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Im Gefolge der »Schalttag-Revolution« blieben in Württemberg, sieht man von den Agrarunruhen ab, blutige Konfrontationen und innere Kämpfe weitgehend aus. Gerade in den Städten wurden die etablierten und bekannten Formen politischer Artikulation benutzt und eingesetzt. Bürgerversammlungen, Gesellschaften und Gemeinderäte dienten als Forum der Diskussion, hier beschloß man Petitionen und Adressen, die - wie seit langem üblich - in der Presse veröffentlicht und den parlamentarischen Organen, dem Ständischen Ausschuß und der Abgeordnetenkammer, als auch der Krone überreicht wurden. 5 Wohl am bekanntesten, nicht nur im März 1848 in Württemberg, sondern auch seither in der Historiographie, ist eine am 2. März in Tübingen angenommene und von 1012 Befürwortern unterzeichnete Petition. Sie war von Uhland verfaßt worden, der die vier »Kardinalforderungen« 6 des März übernahm: Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte und Nationalparlament, wie sie zuerst in Mannheim am 27. Februar aufgestellt worden waren. Weiter fügte er Punkte hinzu, die die besondere Situation Württembergs widerspiegeln: Aufhebung der Beschränkung von Vereinen und Versammlungen, Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Rechtspflege, Revision der Verfassung, »vollkommene Herstellung einer wirklichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Gemeinden und Bezirkskörperschaften«. Wie wenig die bürgerlichen Leitfiguren der Märzbewegung revolutionär gesinnt waren, verdeutlicht ein Brief Uhlands an Duvernoy vom 5. März. Duvernoy war zu diesem Zeitpunkt noch Kammerabgeordneter, ein paar Tage später übernahm er als einer der »Märzminister« das Innenministerium. Uhland schrieb über die Petition des 2. März und die Situation in Tübingen: »Hier geht die Stimmung nach Maß und Gegenstand bereits über das hinaus, wozu sie am Donnerstag durch die Eingabe an den Ständischen Ausschuß zusammengehalten werden konnte.« Werde das, was man ohnehin zugestehen müsse - und wolle - , nicht bald gewährt, sowie bei langwierigen gesetzlichen Regelungen nicht bald die prinzipielle Richtung der Veränderung proklamiert, »fällt der tiefstehende Wärmemesser des Vertrauens jeden Tag noch tiefer, die Verwirrung aber steigt und die Vernünftigen wissen nicht mehr, was sie den Unvernünftigen sagen sollen«. 7 In Württemberg konnten die »Vernünftigen« jedoch eindeutige Erfolge verbuchen. Am 1. März waren die Zensur aufgehoben und der Landtag für den 14. März wieder einberufen worden. Der bisherige Innenminister Schlayer, der eigentliche Regierungschef seit 1832, wurde am 5. März abberufen und der konservative (!) Freiherr v. Linden, Abgeordneter der Zweiten Kammer, als Nachfolger angekündigt. Der einhellige Widerspruch der Öffentlichkeit, noch mehr aber die Rücktrittsdrohung aller höheren Beamten im Innenministerium, zwangen den König, das »Zweistundenministerium« v. Linden wieder abzuberufen und den Führer der liberalen Minorität in der Kammer, Römer, als Justizminister zu berufen, 168 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

der de facto als Premierminister fungierte. Neben ihm übernahmen Duvernoy das Innen- und Pfizer das Kultusministerium, Goppelt erhielt das Finanzressort. Aus den bisherigen Ministerien blieben v. Beroldingen (Auswärtiges) und v. Sontheim (Krieg) weiter im Amt. Eine der Vorbedingungen des Eintritts der Liberalen in die Regierung war die Vereidigung des Heeres auf die Verfassung gewesen, sie wurde am 18. März in einem großen feierlichen Rahmen vollzogen - zur selben Zeit, als in Berlin das preußische Militär im Barrikadenkampf gegen die Berliner Bevölkerung stand. 8 Seit dem März 1848 zeigte das konstitutionelle System Württembergs seine ausgleichende und Konflikte mildernde Wirkung. Die bestehenden konstitutionellen Elemente wie Verfassung und Landtag schufen ebenso wie im kommunalen Bereich Gemeinderat und Bürgerausschuß eine vielfältig differenzierte, jedoch gleichzeitig auf ein Entscheidungszentrum, die Ständeversammlung, hin strukturierte Bühne, auf der sich das immens gesteigerte politische Interesse artikulieren konnte. Sehr schnell richtete die Presse, auf Landesebene insbesondere der »Beobachter« und die »Schwäbische Kronik«, ihre Forderungen und ihre Polemiken gegen die Minister und die Abgeordnetenkammer, wie auf der kommunalen Ebene die Lokalzeitschriften örtliche Probleme diskutierten und die Gruppenbildung unterstützten. Die bereits Ende März einsetzende Vereinsbildung konnte nicht nur an die mehr informell strukturierten Wahlklubs der Vormärzzeit und die Gruppierungen der Gemeindewahlen anknüpfen, sondern orientierte sich auch an den unterschiedlichen Gruppen im Landtag wie an der Aufgabe, die Wahl bestimmter Kandidaten zu unterstützen. 9 Dadurch wurde die Formierung politischer Organisationen (Verein, Fraktion und Partei) zum einen begünstigt und gefördert, zum andern zugleich in die ruhigeren Bahnen parlamentarischer Arbeit gelenkt und damit die auch in Württemberg bald einsetzende Polarisierung und Differenzierung des »bürgerlichen« Lagers abgeschwächt. Darüber hinaus konnte man in der Austragung politischer Konflikte auf die Erfahrungen zweier Auseinandersetzungen zurückgreifen, die das politische Leben seit längerem prägten. Einmal auf die seit den 30er Jahren stetig an Intensität zunehmende Bewegung gegen die Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte. Hierdurch war - durch die oft mehrmaligen Kommunalwahlen pro Jahr in den Orten - eine Präsenz der politischen Auseinandersetzung gegeben; überdies sollte man den Lerneffekt nicht zu klein veranschlagen, der durch die ständige Gruppenmobilisierung und Wahlkampfstimmung entstand. Daß dabei durchaus der politische Gehalt der Forderung verstanden wurde, zeigt der »Beobachter«, indem er von einem Fall aus Weinsberg berichtet, wo alle lebenslänglichen Gemeinderäte zurücktraten - und in der darauffolgenden Wahl alle erneut gewählt wurden. 10 Das bestätigt, daß es bei dieser Frage zwar auch um Personen ging, mindestens im selben Ausmaß jedoch ebenfalls um die Durchsetzung 169 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

politischer Kontrollmechanismen. Der Kampf um Verfahrensfragen beweist damit sowohl die tiefgehende Verankerung demokratischer Spielregeln, als er auch plausibel macht, weshalb das politische System trotz der Parteibildung handlungsfähig blieb. Zum andern konnte auf die seit 1845, seit der Initialzündung durch die Mohlschen Wahlbewerbungen, stetig zunehmende Intensivierung der Landtagswahlkämpfe zurückgegriffen werden. Innerhalb weniger Jahre war es in vielen Ämtern üblich geworden, daß sich die Kandidaten in einem oder mehreren Orten ihren Wählern vorstellten, daß politische Fragen diskutiert wurden - zum Teil in öffentlicher Debatte zwischen den Bewerbern um ein Mandat - daß auf diesen Versammlungen Wünsche und Forderungen aus der Bevölkerung artikuliert wurden. 11 Im Winter 1847/48 läßt sich nun noch ein weiterer Schub in der politischen Mobilisierung beobachten. Zur Vorbereitung für den Anfang des Jahres 1848 einberufenen Landtag wurden in gut der Hälfte aller Oberämter - z. Τ. mehrere - Wählerversammlungen abgehalten, auf denen die Abgeordneten sprachen und »Wünsche an den Landtag« entgegennahmen. Unter diesem Signum wurde im »Beobachter« über diese Aktivität berichtet, das liberale Hauptblatt verstand sich dabei wie in den Wahlkämpfen als zentrales Forum, das sich im Einzelfall nicht scheute, auch einzelne Abgeordnete namentlich zu erwähnen, die derartige Veranstaltungen abgelehnt hatten. Diese Aktivität konzentrierte sich stärker in den altwürttembergischen Kerngebieten, die katholischen und eher standesherrlich geprägten Ämter Oberschwabens entzogen sich dem Trend weitgehend. Grundtenor der Versammlungen waren das Verlangen nach größerer Transparenz der parlamentarischen Arbeit - so sollten Gesetzentwürfe schon vor der Eröffnung des Landtags vorgelegt werden, um öffentliche Diskussionen zu ermöglichen - und das Vorbringen und Sammeln von Einzelforderungen. Wobei der Katalog der Desiderata im Verlauf der Bewegung immer weiter anwuchs. Neben die seit langem vorgebrachten Wünsche wie einer Regulierung der Ablösung und des Zehnten, einer Vereinfachung der Verwaltung und Stärkung der Gemeindeautonomie (und selbstverständlich der Beseitigung der Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte), nach Aufhebung von Steuerprivilegien, nach Preßfreiheit traten Forderungen nach Maßnahmen zur Gewerbeunterstützung, nach Geschworenengerichten sowie nach der Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Gerichtsverfahren; hinzu kamen schließlich lokale Interessen wie der Wunsch nach einem Ausbau des Staatsstraßensystems. 12 Auf dieses Fundament konnte dann sowohl im März 1848 wie in den folgenden Monaten zurückgegriffen werden. Betrachtet man die Märzadressen, bauten sie inhaltlich auf den »Wünschen an den Landtag« auf; selbst das Verlangen nach einer Gesamtrepräsentation oder -Verfassung für Deutschland findet sich schon vorher - zumeist in der Form, daß ein Ausbau des Zollvereins und eine Vereinheitlichung gesetzlicher Regelun170 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

gen eingeklagt wurde. 1 3 Auch das Drängen auf Versammlungsfreiheit und Volksbewaffnung basierte auf früheren Erfahrungen und Überlegungen. Damit wurde zum einen an die Bewegung der frühen 30er Jahre angeknüpft, zum andern war der Gedanke der Bürgerwehr wesentlich aus dem Verlangen nach einer Senkung der Militärausgaben entstanden. 14 Im Mai 1848 schließlich berief sich der Beobachter mit einem Artikel »Volkswünsche für den württembergischen Landtag« explizit auf diese Kontinuität. Er erinnerte daran, daß ein Teil der Forderungen, Preßfreiheit, Bürgerbewaffnung, Ablösung, inzwischen eingelöst worden sei, daß aber vor allem noch Maßnahmen für eine Hebung der Gewerbe, zur Vereinfachung der Verwaltung und zur Kostensenkung am Hofe fehlten. 15 Trotz der Euphorie der Märztage war daher die inhaltliche und formale Kontinuität ein konstitutives Element der württembergischen Entwicklung im Jahre 1848. Auf der Basis eines eingespielten landständischen Parlamentarismus und einer Popularität der Verfassung, die von keiner gesellschaftlichen Gruppe in Frage gestellt werden konnte und wollte, überstand das politische Gefüge Württembergs die auswärtigen Revolutionen auf friedlichem Wege. 16 Diese Kontinuität war zugleich die Voraussetzung dafür, daß trotz der bald einsetzenden nationalen Emphase und der auf die Nation gerichteten Hoffnungen die innerwürttembergischen Probleme und Konflikte das Geschehen prägten. In diesem Bereich mußte sich zeigen, wie reformfähig das Königreich war, mußte sich erweisen, ob tragfähige Kompromisse und zukunftsweisende Lösungen gefunden werden konnten. Anders als zwei Jahrzehnte später, als der Bismarcksche Weg der nationalen Einigung das politische Lager spaltete und grundlegend veränderte, bewirkte die Suche nach dem nationalen Konsens 1848/49 in Württemberg kein »Renversement des Alliances«. Im Gegenteil, in der Reichsverfassungskampagne vom Frühjahr 1849 gelang noch einmal eine erfolgreiche Einigung aller politischen Gruppen gegen den König. Statt dessen waren die politischen Trennlinien 1848/49 innenpolitischer Art. An der württembergischen Gesetzgebung läßt sich deshalb erkennen, w o die württembergische Gesellschaft reformfähig war, lassen sich Chancen und Grenzen einer politischen Umgestaltung messen. 17 Hier soll keine umfassende Darstellung der Jahre 1848 und 1849 versucht werden. 18 Was im folgenden untersucht wird, ist der engere Bereich der in diesen beiden Jahren unternommenen Verwaltungsreform. Die dreißig Jahre andauernde und ohne durchschlagende Erfolge gebliebene Kritik an der Organisationsstruktur des württembergischen Staates wie auch seiner Verwaltungspraxis mündete 1848 in einen umfassenden Reformversuch. Ermöglicht wurde er durch die politischen Umstände, das Zurückweichen konservativer Kräfte vor dem »Geist der Zeit« und die Bereitschaft zu gesellschaftlichen und staatlichen Reformen aus Angst vor sozialer Revolution. 19 Daneben löste sich das restaurative System des Deutschen Bundes auf und ermöglichte eine erhöhte Eigendynamik in der Entwicklung der 171 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Einzelstaaten. Gleichzeitig wirkte jedoch die Nationalversammlung auf das Geschehen in den Einzelstaaten zurück. Die Reichsverfassung, die Grundrechte sowie - geplante - einheitliche Regelungen der Gewerbeordnung und des Heimat- und Bürgerrechts schufen einen neuen legislativen und konstitutionellen Rahmen, der den Handlungsspielraum in den Teilstaaten begrenzte. 20 In Württemberg konzentrierte sich die Diskussion über die grundlegende Reform von Staat und Gesellschaft in den Debatten und der gesetzgebenden Arbeit des Landtags, hier vor allem in der Tätigkeit der Organisationskommission. Im Mai ins Leben gerufen, trat sie am 15. Juni erstmals zusammen. Sie bestand aus 18 Mitgliedern und amtierte bis Oktober unter dem Vorsitz des bekannten Juristen und Tübinger Universitätskanzlers v. Wächter, der bis zum Frühjahr 1848 auch Präsident der Abgeordnetenkammer gewesen war. Neben v. Wächter bestand die Kommission aus dem Fabrikanten Dörtenbach, zwei Vertretern der Kommunen, dem Stadtrat Sick aus Stuttgart und dem früheren Stadtschultheißen von Cannstatt, Idler. Vierzehn Mitglieder kamen aus der höheren Beamtenschaft des Justiz-, Innen-, Kultus-und Finanzministeriums. 21 Die Organisationskommission hatte 29 Reterate, die in der Kegel von zwei Mitgliedern geleitet wurden, d. h. jedes Kommissionsmitglied arbeitete in mehreren Referaten. Aus der Arbeit der Kommission waren Fragen der Außenpolitik und des Militärwesens (Heer und Bürgerwehren) ausgegrenzt, sowie auch die Frage nach einer Revision der württembergischen Verfassung. In diesen Punkten wollte man die Ergebnisse der Frankfurter Nationalversammlung abwarten. 22 Die Kommission entwickelte in der Zeit vom Sommer 1848 bis zum Juni 1849 eine Reihe von Gesetzentwürfen, ohne ihr eigentliches Ziel, die grundlegende Reform des Staates und der Bürokratie, zu erreichen. 23 Auf diesem Feld scheiterte sie sowohl theoretisch - die verschiedenen Gesetzentwürfe blieben Einzelstücke und ließen sich nicht zum beabsichtigten großen Reformkonzept zusammenfügen - als auch praktisch. Denn realisiert wurde von den erarbeiteten Vorschlägen nur ein Bruchteil. Die Interessendivergenz im Landtag, die gescheiterte Einführung der Reichsverfassung und die seit dem Sommer 1849 sich abzeichnende Verschärfung der innenpolitischen Lage ließen die Arbeit der Kommission Fragment bleiben. Zwei eher indirekte Erfolge sind dennoch zu nennen. Im Mai und Juni 1848 erfolgten viele Eingaben an die Kommission, die berufsspezifische Interessen artikulierten oder eigene Vorschläge propagierten. Sozialgruppen wie Volksschullehrer, Ärzte und Forstleute forderten die stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen; Vereine intendierten mit ihren Adressen eine Änderung des politischen Systems durch staatliche Reform und beanspruchten eine stärkere Repräsentanz nichtbürokratischer Gruppen. Damit beförderte die Organisationskommission zumindest indirekt die »allgemeine Organisation der Interessen«. 24 Zweitens bot die Kommission für 172 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

die Arbeit im Landtag eine Orientierungshilfe. Konnte sie in der Kürze der Zeit auch kein ausgearbeitetes Gesamtkonzept vorlegen, griff man in den Debatten und bei der Erörterung von Einzelfragen doch auf die von ihr vorgelegten Leitlinien zurück. 25 Die Arbeit der Organisationskommission prägte damit den Meinungsbildungsprozeß entscheidend mit, der sich 1848/49 über der Frage der staatlichen und gesellschaftlichen Reform entwickelte. Konkrete Ergebnisse zeitigte diese Auseinandersetzung aber nur in Teilbereichen. Bevor nun im einzelnen die vier zentralen Reformbereiche Besteuerung, Wirtschaftspolitik, Gemeindeordnung, Verfassungsrevision - erörtert werden, soll noch ein kurzer Blick auf die anderen initiierten legislativen Veränderungen erfolgen. Gleich zu Beginn, am 1. März 1848, wurde - als erste »Märzerrungenschaft« - die Zensur, die in Württemberg im Vormärz Vorzensur gewesen war, aufgehoben. Zwar gab es 1850 und 1856 erneut Verschärfungen, eine eigene Zensurbehörde wurde aber nicht wieder errichtet. Es blieb bei der gerichtlichen Überwachung des publizistischen Lebens, bis 1864 schließlich das liberale Pressegesetz von 1817 wieder in Kraft gesetzt wurde. Einen Monat später folgten am 2. April 1848 zuerst das Volksbewaffnungsgesetz und, einen Tag danach, das Gesetz über Volksversammlungen. Im Anschluß an das Gesetz vom 2. April wurden in vielen Gemeinden Bürgerwehren gegründet und in der zeitgenössischen Publizistik euphorisch als Beleg für die Selbstverantwortlichkeit des Bürgertums gefeiert. Das im Landtag eingeklagte Konzept einer Land- oder Volkswehr, die bei geringem finanziellem Aufwand militärisch effektiver sein sollte, wurde sowohl vom Römerschen Märzministerium als auch den späteren konservativen Regierungen verworfen. Die Bürgerwehren blieben kommunale Sicherheitswachen ohne militärische Funktion - und bald auch ohne Soldaten. Nach dem ersten Überschwang sanken die Teilnahmebereitschaft der Bürger wie der Finanzierungswillen der Gemeinden rapide. Die Gesetze von 1849 und 1853 paßten damit die legislative Realität der Nicht-mehr-Existenz der Institution an. Die Aufhebung des Verbots politischer Vereinigungen und Versammlungen wurde zwar nach dem April 1848 nicht mehr rückgängig gemacht. Im Einzelfall wurden aber Vereine doch wieder verboten und ihre Mitglieder überwacht, insbesondere die Arbeitervereine und Volksvereine, letztere wurden am 3. Februar 1852 generell verboten. Die Regelung der bäuerlichen Ablösungsfrage war ohne Zweifel die sozial - und nach den Unruhen im Frühjahr 1848 auch politisch - drängendste Problematik. Brachten die Jahre 1848/49 im gesamten Deutschen Bund den Abschluß der seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sich erstreckenden Umwandlung der agrarischen Besitzverhältnisse, war die Regelung in Württemberg für die bäuerliche Seite so günstig wie sonst nirgends. 26 Im Gefolge der Grundrechte schließlich, die am 27. Dezember 1848 in der Paulskirche verabschiedet wurden und am 17. Januar 1849 in Württemberg als erstem Einzelstaat in Kraft traten, wurde im 173 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

August desselben Jahres das Strafrecht in einzelnen Positionen an die Grundrechte angepaßt. Insbesondere wurden die Todesstrafe und körperliche Züchtigungen abgeschafft; 1853 wurden jedoch beide Strafarten wieder eingeführt. 27 1. Die Steuerreform Die Ausgaben in den württembergischen Gemeinden wurden aus drei unterschiedlichen Einnahmequellen gedeckt. Den größten Posten dabei nahmen die Einkünfte aus dem gemeindeeigenen Vermögen, insbesondere aus Wald- und Weidegebieten, ein. Etwa die Hälfte der Summe, die im kommunalen Bereich verausgabt wurde, stammte aus dem Ertrag des Korporationsvermögens selber. Erst an zweiter Stelle standen die Gemeindeumlagen, die Kommunalsteuern; sie deckten ca. ein Drittel der Ausgaben. Den überwiegenden Anteil stellten hier die im Gemeindeschaden erhobenen Realsteuern auf Grund, Gebäude und Gewerbe, mit weitem Abstand folgten die Bürger- und Wohnsteuer und - seit 1849 - Körperschaftsabgaben auf Kapital- und Berufseinkommen. Drittens schließlich sind die Ausgaben der Stiftungen ebenfalls zu berücksichtigen. Die Einnahmen dieser privaten, jedoch meist von geistlicher und weltlicher Ortsobrigkeit verwalteten Einrichtungen resultierten aus Grund- und Kapitalbesitz. Etwa die Hälfte der Ausgaben wurde für Armenzwecke, knapp ein Drittel für die Kirche und knapp ein Fünftel für die Schule benutzt. Insgesamt erbrachten die Stiftungen etwa 2 0 % der in und von den Korporationen geleisteten Aufwendungen. 28 Zu diesen Angaben, die für die frühen 60er Jahre vorliegen, ist anzumerken, daß sich der Anteil der Steuern langfristig stark erhöhte; die Struktur der beiden anderen Aufwendungen brachte es mit sich, daß deren Beträge kaum steigerungsfähig waren. Die geteilte Finanzierung der kommunalen Leistungen entschärfte zwar den direkten fiskalischen Druck, der auf den Gemeindeeinwohnern lastete. Andrerseits schärfte aber der anwachsende Geldbedarf- und damit die überproportional steigende kommunale Steuerquote - den Blick für die bestehenden Privilegien und Ungerechtigkeiten. Hier setzte die Reformarbeit 1848 an. 29 Mit den Gesetzen vom Juni und Juli 1849 wurden sowohl bisher nicht erfaßte Einkommen wie von den Gemeindeumlagen befreiter Realbesitz abgabenpflichtig. Mit einer ministeriellen Verfügung vom 30. 7. 1849 wurden die Staatssteuersätze auf Kapitalbesitz und für Löhne und Besoldungen stark erhöht. Für diese Einkommen ergab sich in den nächsten Jahren - bis zu einer erneuten Quotensenkung 1852 - die höchste prozentuale Belastung. Die Einnahmesteigerung für den Staatsetat betrug über eine halbe Million Gulden. Angesichts der in den vorangehenden Jahrzehnten und nach 1852 eher zurückhaltenden steuerlichen Belastung dieser Einkom174 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

mensgruppen scheint bei dieser staatlichen Maßnahme die politische A b sicht dominierend gewesen zu sein. Die Regierung wollte sich vom Verdacht befreien, »Staatsdiener« und »Kapitalisten« unangemessen zu bevorzugen. Langfristig betrachtet konnten diese Berufsgruppen jedoch zufrieden sein, blieben die Jahre 1848 bis 1852 eine steuerpolitische Ausnahme: in den 60er Jahren lag die Steuerquote für Kapitalien und Einkommen niedriger als in den 20er Jahren. 1848 blieb es jedenfalls die einzige Änderung im Rahmen der staatlichen Steuern. 30 Politisch bedeutsamer waren aber die Änderungen im Gemeindesteuerwesen. Zwei Änderungen fanden hier statt. Das »Gesetz hinsichtlich der Größe der Besteuerung der Kapitalien und Besoldungen für Gemeinden und Amtskörperschaften« vom 29. Juli 1849 versuchte eine äquivalente Belastung der Sach- und Kapitalvermögen zu erreichen. Bis 1808 hatten die Kommunen das Recht zur Besteuerung von Kapitalwerten besessen. Seitdem wurde die Kapitalsteuer nur als Staatssteuer erhoben, die 1808 noch 20 Kreuzer auf 100 fl. Vermögen betrug und bis 1848 auf 6 Kreuzer verringert worden war. 3 1 Jetzt wurden nicht nur die Kapitalvermögen erneut der kommunalen Besteuerung unterworfen, sondern erstmals auch die Gehälter der im Staatsdienst Beschäftigten, hauptsächlich der Beamten. Tagelöhner sowie Lohnarbeiter im Bergbau und bei der Eisenbahn waren davon ausgenommen. Die Geldwerte durften nur dann besteuert werden, wenn gleichzeitig ein Gemeindeschaden, d. h. Realsteuern, erhoben wurde; außerdem durften die Gemeindesteuern auf Kapitalien usw. bestimmte M a x i malbeträge nicht übersteigen. Bei einem Einkommen von 1 000 fl. lag diese Grenze bei 3 fl. 30 Kreuzer (0,3%); die Staatssteuer betrug seit 1848 18 fl. 40 Kreuzer (1,8%), sie hatte seit 1836 für das gleiche Einkommen nur 7 fl. (0,7%) betragen. 32 Im Landtag war dieses Gesetz nur wenig umstritten. Zum einen war die prinzipielle Entscheidung schon zuvor gefallen, im Zusatzgesetz zum Verwaltungsedikt, das wenige Wochen zuvor verabschiedet worden war. Hier ging es nurmehr um die Höhe der Besteuerung, wobei sich die Regierung an die Entwürfe der Organisationskommission anlehnte. Zum andern waren die Beträge, um die es hier letztlich ging, nicht von zentraler Bedeutung für die kommunale Finanzierung. Das erleichterte die Einigung zusätzlich. 33 Von größerer staatlicher Bedeutung war demgegenüber das »Gesetz, betreffend die Ausdehnung des Amts- und Gemeinde-Verbands auf sämtliche Teile des Staatsgebiets« (Neusteuerbarkeitsgesetz) vom 20. Juni 1849. Damit wurden jeglicher Besitz und alle württembergischen Einwohner in die Ämter und Gemeinden integriert. Vier unterschiedliche Besitzgruppen waren davon betroffen. Von marginaler Bedeutung waren einzelne Befreiungen, die den Status privatrechtlicher Vermögenstitel besaßen. Ebenfalls von geringer quantitativer Bedeutung waren die betroffenen Güter der Hofdomänenkammer (26928 Mg). Angesichts der immer wieder aufflak175 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

kernden Debatten in der demokratischen Presse über die Kosten der Monarchie im Gegensatz zur Republik, dürfte in diesem Fall der politische Effekt höher zu veranschlagen sein als der finanzielle. Den überwältigenden Hauptanteil nahmen jedoch die Besitzungen des Adels und des Staatskammerguts ein. Der Grundbesitz des Adels betrug 523212 M g (davon 370119 M g Wald), der des Kammerguts 626986 M g (davon 580520 Mg Wald). Damit waren von einer Gesamtfläche von 6 191 355 Mg bisher 1 9 % , nämlich 1 177 126 M g von einem Beitrag der Grundsteuer zum Gemeindeschaden befreit gewesen. Für die beiden anderen Realsteuerarten war der Anteil der exemten Besitzungen weit geringer, er betrug bei der Gebäudesteuer etwa 4 % , bei der Gewerbesteuer gar nur 0 , 5 % . Insgesamt betrugen die Korporationsumlagen um die Jahrhundertmitte etwa 1,8 Mio. fl. (davon 1,4 Mio. als Gemeinde- und 0,4 Mio. als Amtsschaden); der Anteil der neusteuerbaren Güter wurde nun im Landtag auf knapp 0,2 Mio. fl. geschätzt (davon 0,18 Mio. fl. Grundsteuer), jeweils die Hälfte davon entfielen auf das Kammergut und den Adel. Anders gewendet: das Neusteuerbarkeitsgesetz brachte den Gemeinden eine Reduzierung ihrer Korporationsumlagen um rund 10%, gleichzeitig wurde der Adel mit ca. 90000 fl. jährlichen Abgaben zusätzlich belastet. 34 Befreit blieben nur noch die öffentlichen Einrichtungen im modernen, engeren Sinne, d. h. staatliche Institutionen und Organisationen, sowie die Schlösser und Gärten der Krondotation, nicht aber die gewerblichen Güter der Krone. Der ebenfalls staatliche Bergbau und die Eisenbahn waren von der gemeindlichen Gewerbesteuer befreit. Das Organisationsprinzip des Gemeindeverbandes wurde zum erstenmal wirklich universell, indem nun alle Staatssteuern, auch die der bisher Exemten, über die Gemeinden erhoben wurden und gleichzeitig alle bisher bestehenden Befreiungen vom Amts- und Gemeindeschaden beseitigt wurden. Entschädigungen wurden nur gezahlt, wenn die Befreiung durch einen privatrechtlichen Vorgang auf Dauer erworben war. Das Gewähren von neuen Befreiungen wurde explizit untersagt. 35 1849 war damit in zweifacher Hinsicht eine Egalisierung erreicht worden. Sowohl Grundeigentümer wie Geldeinkommen wurden nun gleichermaßen von Staat und Korporationen besteuert. Ausschlaggebend für die Zahlung war nur noch die Höhe des Besitzes, geburts- und berufsständische Privilegien wurden aufgehoben; gewissermaßen abgelöst durch das »moderne« Privileg der Steuerbefreiung bei Armut (für die unteren Lohngruppen wie Tagelöhner). Der Wegfall der adligen Kommunalsteuerfreiheit wurde dabei immer wieder mit der Einführung der Grundrechte begründet, die Agrarunruhen vom Frühjahr 1848 verliehen auch 1849 derartigen rechtlichen Argumentationen das nötige politische Gewicht. Zugleich wurde aber auch der staatliche Besitz seiner Vorrechte gegenüber Privateigentümern enthoben. Die spärlichen Vorbehalte dagegen wurden in der Abgeordnetenkammer vom Tübinger Juristen Reyscher vorgebracht. »Soll aber nun der Staat wie ein Privatgutsbesitzer behandelt 176 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

werden?« Seinem Anliegen, die staatlichen Güter der Integration in den Gemeindeverband zu entziehen, begegnete Duvernoy, der Innenminister: »der Staat als Inhaber von Vermögensobjekten ist eine Privatperson.« Der Staat, d. h. hier das Kammergut, verlor damit seine überkommenen Bevorzugungen und wurde als Wirtschaftssubjekt dem Staatsbürger gleichgestellt. 36 Die Umstrukturierung der staatlichen Ordnung, die Ablösung ständischer und staatlicher Privilegien durch Kriterien wie Besitz und Leistung hatte damit auf dem Finanzsektor einen entscheidenden Schritt getan. Die fiskalische Gleichstellung der Staatsbürger erfolgte jedoch innerhalb des Gemeindeverbandes, wo korporative und staatliche Befugnisse zusammenkamen. Der korporative Aufbau der Kommunen wandelte sich nur langsam in eine Staatsbürgergemeinde um; privatrechtliche Besitztitel und öffentliche Funktionen blieben auf lokaler Ebene vereint. Das gab auch weiterhin Anlaß zur Kritik. Anläßlich der Frage, ob Gemeinden einzelnen zur Förderung von Interessen des Gemeinwohls Steuernachlässe gewähren dürften, kritisierte der demokratische Abgeordnete Becher, daß die Kammer »nämlich das öffentliche Recht mit dem privatrechtlichen Standpunkte« verwechsle. Von der öffentlich-rechtlichen Seite aus sei er dagegen, da nur neue Privilegien entstünden; von der privatrechtlichen aus dagegen dafür, da die Gemeinden nicht nur fordern, sondern auch schenken können müßten. Bei der jetzigen Organisation der Gemeinden sei er aber strikt dagegen, »so lange statt der Steuerpflichtigen und statt der Gemeinden eine aristokratische Korporation handelt«. Wurde den Gemeinden in dieser Frage schließlich auch die freie Entscheidung zugestanden, zeigt sich hieran doch, daß die fiskalische Gleichstellung der Steuerzahler zur politischen Gleichberechtigung der Staatsbürger drängte. 37

2. Gewerbepolitik als Kompromiß Seit der Revision der Gewerbeordnung im Jahr 1836 hatte die Regierung immer wieder mit einzelnen Verfügungen, Verordnungen und Bestimmungen in das Wirtschaftsgefüge eingegriffen, ohne den erzielten Kompromiß zwischen Zunftverfassung und Gewerbefreiheit prinzipiell in Frage zu stellen. Diese Linie setzte sich auch 1848/49 fort. Obwohl die Krise der Gewerbe in den Jahren vor 1848 mit das am intensivsten diskutierte Thema in Württemberg darstellte, blieben nicht nur Reformen aus, sondern wurde auch die Gewerbepolitik zu keinem parteipolitisch brisanten Thema. An legislativen Änderungen erfolgte 1848/49 nur die Aufhebung der Bannrechte (monopolartige Gewerbeberechtigungen) und die Gründung der »Zentralstelle für Gewerbe und Handel«. 38 Erst 1851 wurden dann der Hausierhandel eingegrenzt und eine neue Instruktion zur Gewerbeordnung erlassen, die als Antwort auf die vielen Eingaben und Petitionen in den 177 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Jahren zuvor angekündigt wurde. Zu fragen ist also einmal nach dem Gehalt der Eingaben und der Tendenz der Veränderungen, zum andern nach den Ursachen für den letztlich doch geringfügigen Wandel in diesem zentralen innenpolitischen Bereich. 39 Direkte Hilfsaktionen blieben selten. Es mag im lokalen Bereich einzelne Bemühungen gegeben haben, in der Regel fehlten aber die finanziellen Mittel wie auch konkrete Pläne. Ein in Reutlingen im April 1848 gegründeter »Verein zur Unterstützung der kleineren Gewerbe« wollte, von privaten Initiatoren getragen, Kleindarlehen von 5 - 5 0 fl. vergeben. Sein Ziel war es, für die »innere Ruhe« der Stadt zu sorgen und »dem Staate rechtliche Bürger, welche die Schranken des Gesetzes und der Ordnung nicht überschreiten«, zu erhalten. Mag die innere Ruhe in Reutlingen auch derart kostengünstig zu erhalten gewesen sein, der Verein blieb nur kurze Zeit bestehen. Die Institutionalisierung, etwa als Stiftung, wurde abgelehnt, vermutlich verringerte sich auch die Bereitschaft der »achtbaren Bürger und Angehörigen des Beamtenstandes«, Geld und Zeit zu opfern in dem Maße, wie die öffentliche Ordnung sich als stabil erwies. Auch die staatlichen Hilfen, die zudem eher der Industrie als dem Handwerk zuflossen, waren schon immer von geringer quantitativer Bedeutung gewesen und wurden auch 1848 nicht erhöht. Auch gab es keine festen Regeln für die Gewährung von Beihilfen, auf Einzeleingaben wurde jeweils gesondert entschieden. Auf eine Eingabe des Glasfabrikanten Rau, der im Herbst 1848 einen dilettantischen und schnell gescheiterten Versuch zur Errichtung einer christlich-sozialistischen Republik unternahm, äußerte sich Schlayer 1847 dahingehend, daß Gewerbeunterstützungen »unter dem Gesichtspunkt von Armenunterstützungen« abzulehnen seien. 40 Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß materielle Hilfen für die Gewerbe 1848 weder von den Gemeinden noch vom Staat in nennenswertem Umfang geleistet wurden. Gewerbepolitik war damit noch immer primär eine Auseinandersetzung über die Frage, ob Zunftverfassung oder Gewerbefreiheit als ordnungspolitische Leitmaximen dienen sollten. Vor allem das Handwerk setzte größere Hoffnungen auf eine Revision der Gewerbeordnung, als daß direkte staatliche Hilfen erwartet wurden. Das hatte sich in vielen Einzeleingaben seit 1836 gezeigt, das war ein Ergebnis der Umfrage von 1846/47 gewesen und wurde auch in den Petitionen von 1848/49 offenkundig. 41 In allen Eingaben, seien sie an die neu eingerichtete Zentralstelle für Gewerbe, an die Regierung, an die Abgeordnetenkammer oder an die Nationalversammlung in Frankfurt gerichtet, dominierten die Forderungen nach der Gewährung partikularer Sonderrechte und nach der Ausweitung von Beschränkungen. Daneben gab es aber auch schon Stimmen, die sich - falls ihr Gewerbe nicht besser geschützt werden könnte - »für eine Aufhebung des Zunftverbandes, damit wenigstens die Kosten dieser Einrichtung erspart werden«, aussprachen. Das spiegelt die Mischstruktur wider, die 178 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

im Kleingewerbe vielfach bestand. In ganz Württemberg gab es um die Jahrhundertmitte 16564 zünftige Leinenweber, zusätzlich jedoch bereits 5575 unzünftige Leinen- und Baumwollweber. In dem Maße, wie die Zunft nicht mehr als schützende Institution wahrgenommen wurde, empfand man die damit verbundenen Abgaben als unnötige, zusätzliche Belastung. Die parallele Existenz von zünftiger und ungebundener Kleinproduktion verhinderte jedenfalls mit, daß eine breite Bewegung auf homogener Grundlage entstehen konnte. Dazu waren die Interessen, sieht man von den formelhaften Kompromißforderungen nach »mehr Schutz« ab, bereits zu verschieden. 42 Diese zahlreichen Forderungen blieben ohne nennenswerten Erfolg. Der Handlungsablauf ähnelt dabei jenem, wie er sich auch in anderen Reformbereichen abspielte. Nachdem seit dem Frühsommer 1848 fast alle Hoffnung auf die Paulskirche und die von dort zu erwartenden gesetzlichen Regelungen gerichtet war, setzte seit dem Spätherbst Ernüchterung ein. Für absehbare Zeit schien eine allgemeinverbindliche deutsche Gewerbeordnung nicht mehr zu erwarten zu sein, weshalb das württembergische Innenministerium im November die »Zentralstelle« beauftragte, sie solle »schleunigst in Erwägung ziehen«, welche Änderungen und Ergänzungen an der Gewerbeordnung vorzunehmen seien. Nach Möglichkeit solle noch auf diesem Landtag ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Das Ministerium benannte dann im einzelnen zehn Punkte, deren Regelung dringend geboten sei. Da diese Punkte, die kurze Zeit später von der »Zentralstelle« an die Presse weitergegeben wurden, mehr auf eine Lockerung der Zunftbeschränkungen zielten, wurde dieses Programm in den Eingaben zu Beginn des Jahres 1849 heftig kritisiert. Die Debatte um die Gewerbereform mündete dann in einen von der »Zentralstelle« organisierten »Gewerbekongreß«, der vom 2. bis zum 8. Februar 1849 in Stuttgart tagte. Es trafen sich vier Beamte der Zentralstelle und vier Gewerbelehrer, acht Fabrikanten, neun Kaufleute und achtzehn Handwerker. Bei der Auswahl der Personen war nicht nur sorgsam auf eine ausgewogene regionale Verteilung geachtet worden; politisch einflußreiche Größen wie Deffner aus Esslingen waren ebenso vertreten wie im Handwerk Mitglieder von Massengewerben (Weber, Schuhmacher) als auch bereits zum Übergang in die industrielle Fertigung ansetzende Kleinproduzenten wie Voith aus Heidenheim. Trotz aller Differenzen über Einzelpunkte, wobei Handwerker und Fabrikanten keineswegs bei allen Fragen geschlossen gegeneinander abstimmten, konnte man sich doch auf eine gemeinsame Grundtendenz einigen. Die hier versammelten Vertreter des Kleingewerbes waren dabei insofern kooperationsfähig, als sie die industrielle Konkurrenz nicht ausschalten wollten, sondern das Handwerk gerade für diese Auseinandersetzung stärken wollten. Das führte zweitens zu einer Aufwertung der Aufgaben der Zünfte, ja mehr noch, zu umfassenden Plänen einer »Organisation der Gewerbe«, in der industrielle und 179 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

handwerkliche Interessen gemeinsam vertreten werden sollten. Drittens schließlich sollte aber die Mitgliedschaft in Zünften oder den neu zu schaffenden zunftanalogen Verbänden an das Gemeindebürgerrecht gebunden sein, »weil überhaupt den Zünften in Beziehung auf ihre Angelegenheiten dieselben Rechte gebühren, wie den Gemeinden bezüglich ihrer Angelegenheiten«. 43 Inwiefern schlagen sich in der Instruktion von 1851 diese Positionen nieder? Weder die Vertreter rigider Zunftschranken noch der Gewerbekongreß mit seinem Streben nach ›Organisation der Gewerbe‹ konnten ihre Forderungen durchsetzen. Andrerseits verzichtete auch die Regierung auf einen offenkundigen Schritt in Richtung Gewerbefreiheit - was ja schließlich den Anlaß zur Umfrage von 1846/47 gegeben hatte. In der Instruktion wurden zwar Einschränkungen festgeschrieben, diese Bestimmungen bezüglich der Lehrlingsausbildung und der Meisterprüfungen zementierten aber weniger bestehende Zunftgrenzen, sondern stärkten allgemeine Qualifikationsnormen, die die industriellen Befähigungen überprüften. Damit verschob sich die Funktion der Einschränkungen: Sie dienten nicht mehr dem Schutz von Partialrechten der Gewerbetreibenden, sondern waren Bestandteil der allgemeinen Überwachung des Staates für die Gewährleistung der Bedürfnisse der Öffentlichkeit. 44 Warum aber blieb es bei letztlich geringfügigen Modifikationen, warum blieb die Gewerbeordnung in ihrem Kern unverändert? Förderlich dafür war sicherlich, daß die aktuelle Notsituation ihren Höhepunkt überschritten hatte, die Jahre 1848 bis 1850 eine ökonomische Erholungsphase zwischen zwei Krisenperioden bildeten. Das erleichterte es der Regierung, die ohnehin schon seit längerem vom Nutzen der Gewerbefreiheit überzeugt war, den korporativen Forderungen von unten zu widerstehen, zumal die industrielle Produktion von zünftischen Beschränkungen weitestgehend befreit war. Angesichts der Verbreitung der zünftischen Forderungen überrascht das Ergebnis dennoch. Als sich im Verlauf der parlamentarischen Debatten in Frankfurt eine der Gewerbefreiheit zuneigende Mehrheit abzeichnete, entstanden in Württemberg Interessenkoalitionen verschiedener sozialer Gruppen. Eingaben von Handwerker- und Bürgerversammlungen wandten sich nun gegen die Beschlüsse der Paulskirche und unterstützten den Entwurf des »Handwerker- und Arbeiterkongresses« vom 17. September 1848 in Esslingen. Eine analoge Interessenhomogenität wird deutlich, wenn man die Ergebnisse einer im Herbst 1848 durchgeführten Umfrage analysiert. Am 16. Oktober forderte die »Zentralstelle« mehrere Gewerbevereine auf, die örtlichen »Fabrikarbeiter und Handwerksgehilfen« über ihre Ansichten zur Gewerbepolitik zu befragen. Die überlieferten sieben Berichte bestätigen nicht nur übereinstimmend, daß die Arbeiter nicht »anarchistisch gesinnt« seien. Ebenso evident ist die durchgehend handwerkliche Prägung der Wünsche. Die Förderung und Unterstützung von Kranken- und Wanderkassen wird ebenso gefordert 180 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wie Hilfen für das selbständige Handwerk. »Helft den Meistern zu besserem Verdienst, dann ist uns Gesellen am besten geholfen« - so die durchgängige Stimmung im OA Calw. Auch der Arbeiterbildungsverein aus Stuttgart - der Stadt mit dem höchsten Anteil nicht-selbständiger Gewerbeproduzenten - vertrat eine handwerklich orientierte Klientel. Die zünftische Ordnung wird nicht in Frage gestellt, sie wird nur anders interpretiert als vielfach bei den Meistern. Wenn die Abschaffung des Wanderzwanges, freies Niederlassungsrecht oder Erleichterungen bei der Meisterprüfung eingeklagt werden, zeigt das, daß im traditionellen Rahmen der Zunft zunehmend heterogene Zielvorstellungen eingelöst werden sollten. Auch die hier befragten Arbeiter und Gesellen setzten ihre Hoffnungen noch auf eine Revision der alten, korporativ strukturierten Gewerbeordnung: Eine durchsetzungsfähige Bewegung konnte daraus aber nicht entstehen, da die einzelnen Interessenlagen zu verschieden waren. 45 Die bestehende gemäßigte Zunftordnung war damit zwar ohne Perspektive, aber auch ohne Alternative. Eine heterogene Koalition von selbständigen und unselbständigen Gewerbetreibenden verteidigte die bestehenden Restriktionen und forderte eine - jeweils unterschiedliche - Ausweitung dieser Beschränkungen. Auf der anderen Seite stand eine vom Nutzen der Gewerbefreiheit überzeugte Regierung, die bereits vor 1848 vor dem Protest des Mittelstandes vor Eingriffen zurückgeschreckt war. Auf seiten der Regierung standen aber auch die große Mehrheit der Liberalen und Demokraten, die vielfach ebenfalls die Gewerbefreiheit befürworteten, darüber hinaus primär für politische Reformen eintraten. Unter diesen Bedingungen stellte die Erhaltung des Status quo einen Kompromiß zwischen wirtschaftspolitischer Überzeugung und sozialpolitischem Kalkül dar, bedurfte es der ökonomischen Prosperität und der politischen Stabilität der späten 50er und frühen 60er Jahre, damit 1861 die Einführung der Gewerbefreiheit beschlossen werden konnte. 46

3. Zwischen Korporation und Einwohnergemeinde Die Veränderungen im kommunalen Sektor bildeten den Kern der Verwaltungsreform von 1848/49. Die Gemeindeordnung war nicht nur seit der Verfassung einer der umkämpftesten Bereiche gewesen, hier vereinten sich darüber hinaus politische, wirtschaftliche und soziale Problemlagen, was Reformen zusätzlich erschwerte. Im zeitlichen Ablauf erfolgte als erstes eine Verordnung, die die Öffentlichkeit der Gemeinderatsverhandlungen bewilligte. A m 27. Juni 1848 wurde durch eine Regierungsverfügung 47 die Öffentlichkeit der Beratungen im Gemeinderat zugestanden. Es war eine fakultative Regelung, da es den Gemeindeorganen überlassen blieb, das Publikum zuzulassen. Den Kommunen wurde aber auferlegt, die Öffentlichkeit 181 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

der Gemeinderatsverhandlungen zu untersagen, falls dadurch »für den Staat, die Gemeinden oder einzelne« Interessennachteile entstehen sollten. In dieser Formulierung spiegelt sich die Gemeindekonzeption des vormärzlichen Liberalismus wider, deren zentrale Funktion in der Vermittlung von privaten Interessen, korporativen Erfordernissen und staatlicher Normierung lag. Das Prinzip der Öffentlichkeit wurde mit diesen Einschränkungen auch auf Stiftungen und Amtsversammlungen übertragen. Auf Grund der langen Tradition dieser Forderung, die immer wieder erhoben worden war und innerhalb der Opposition unumstritten gewesen war, konnte diese Änderung ohne große Auseinandersetzungen eingeführt werden. Zudem fiel der Erlaß in die Zeit zwischen der Auflösung des alten und dem Zusammentritt des neuen Landtags. Die grundsätzlichen politischen Widersprüche hatten sich schon in den Auseinandersetzungen über die Steuerreform gezeigt, sie konzentrierten sich in Wahlrechts- und Bürgerrechtsfragen. Das dem liberalen Lager zuzurechnende Mitglied der Kommission für Innere Verwaltung v. Zwerger, zugleich auch ein pointierter Vertreter der gemeindlichen Korporationsinteressen, vertrat in der Debatte über das Wahlrecht den Grundsatz: »wer eine Steuer bezahlt (an die Gemeinden, Μ. Η.), hat ein Wahlrecht, sobald er volljährig ist«. 48 Die Gegenposition wurde von August Becher, einem führenden Angehörigen der Demokraten und im Juni 1849 Mitglied der Reichsregentschaft, bezogen. Er versuchte, das Wahlrecht und die Besteuerung voneinander zu trennen, sie gehörten nicht wie »Leistung und Gegenberechtigung« zusammen. »Das Wahlrecht dehnen wir deshalb aus, weil es unnatürlich ist, daß eine Klasse eben so befähigter Bürger in öffentlichen Dingen nicht mitreden soll, die Steuer dagegen wird gefordert, weil sie fürs Ganze notwendig und zweckmäßig ist.« 49 Auf der einen Seite stand die zum Realgemeindeprinzip neigende Auffassung von der Gemeinde als Genossenschaftsverband, in dem privatrechtliche und öffentliche Belange untrennbar miteinander verbunden waren. Hier war zugleich die politische Partizipationsmöglichkeit in eindeutiger Weise an Besitzkriterien gebunden. Die Aneinanderkoppelung von ökonomischen und politischen Belangen ging sogar noch über das vormärzliche Zensuswahlrecht hinaus, indem Besteuerung und Wahlrecht als notwendige Äquivalente verstanden wurden. Dem stand andrerseits das vor allem von demokratischer Seite befürwortete Prinzip gegenüber, mit nur geringen Einschränkungen jeden männlichen, volljährigen Ortsanwesenden zur Wahl zuzulassen. Der Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Auffassungen über die Struktur der Gemeinden und der geplanten Kommunalreform soll anhand des Gesetzes über »Abänderungen und Ergänzungen der Gemeindeordnung« 5 0 vom Juli 1849 genauer nachgegangen werden. Damit ist zugleich der zweite und wichtigste Bereich benannt, in dem 1848/49 die Kommunalverfassung umorganisiert wurde. 182 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Wie die Verwaltungskritik im Vormärz gliederte sich die Reform in zwei Ebenen: Das Zurückdrängen der Eingriffsmöglichkeiten und Ü b e r w a chungsfunktionen der staatlichen Bürokratie in den Kommunen sowie die Nivellierung der Unterschiede zwischen Einwohnern und Bürgern (im Sinne des Bürgerrechts) als auch zwischen Gemeindeobrigkeit und Gemeindebevölkerung. Dem ersten Ziel, der Stärkung der kommunalen Autonomie gegenüber staatlicher Bevormundung, näherte man sich durch eine von der Organisationskommission vorbereitete gemeinsame Verfügung der drei wichtigsten Ministerien, dem Justiz-, Innen- und Finanzressort. 51 Damit wurde die bis in die einfachsten Alltagsgeschäfte hineinreichende Kontrolle der Gemeinden durch die Oberämter reduziert, und Kompetenzen wurden von der Bezirksebene auf die lokale Bühne verlagert. Vor allem wurden auch eine Vielzahl von periodischen Berichten, die die Gemeindebehörden bisher für die Oberämter zu erstellen hatten, gestrichen. Diese Berichte, Protokolle, Statistiken und Erfassungen waren eine wesentliche Ursache dafür, daß die traditionelle Kritik am Schreiberwesen auch nach der Aufhebung der Schreiber als Institution (1826) nicht verstummt war und die Topoi dieser Kritik zunehmend auf die staatlichen Behörden übertragen worden w a ren. 52 Auch die Änderung der Gemeindeordnung vom 10. Juli 1849 enthielt derartige Elemente. Die Gemeindewahlen wurden nun von den Kommunen in Eigenverantwortung durchgeführt und mußten nicht mehr von den Bezirksbehörden bestätigt werden, Gemeindebeamte konnten von den Gemeinden selbständig ernannt und eingesetzt werden; es wurde ausdrücklich untersagt, die lokale Polizeiverwaltung an staatliche Behörden zu übertragen. 53 In seinem Kern versuchte das Gesetz vom Juli 1849, die innerkommunale Partizipation neu zu strukturieren. Wahlrecht und Bürgerrecht bestimmten die Kriterien der Teilhabe am politischen Gemeindeverband. Die Ausführungen zum Gemeinderat und Bürgerausschuß regelten die Formen der Selbstverwaltung. Die Aufhebung der Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte gelang problemlos. Hier trafen keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede aufeinander. Von nun ab wurden die Gemeinderäte auf sechs Jahre gewählt, jedes zweite Jahr schied ein Drittel aus und wurde durch Neuwahlen ergänzt. Austretende Mitglieder konnten wiedergewählt werden, ohne daß bei einer erneuten Wahl, wie bisher, die Amtsdauer lebenslänglich wurde. 5 4 Zur Erledigung spezifischer Aufgabenbereiche (Baupolizei, Vormundschaftsangelegenheiten, kommunale Gerichtsbarkeit etc.) konnten seither Unterausschüsse mit voller Entscheidungskompetenz gebildet werden. Vor allem die größeren Städte wie Stuttgart und Ulm hatten vor 1848 auf eine derartige Regelung gedrängt. 55 Am heftigsten kritisierte der Landtag, daß der Gemeinderat zwar umstrukturiert, die Problematik der Schultheißen aber ausgegrenzt wurde. Die Schultheißen wurden von den Gemein183 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

den gewählt, wuchsen in ihrer Rolle als Vorsitzende des Gemeinderats, als Inhaber der Justiz- und Strafgewalt, sowie als Hauptvermittler der Gemeinden zu den staatlichen Bezirksverwaltungen in eine derart zentrale und herausgehobene Position hinein, daß ihre Nichtabwählbarkeit als besonders gravierend empfunden wurde. Daß dieser Fragenkomplex ausgeklammert blieb, stieß trotz der Erwähnung des Kommissionsmitgliedes v. Zwerger, daß zuerst nur die drängendsten Punkte erörtert würden, die Regierung außerdem die »gänzliche Reform . . . [der] gesamten Staatseinrichtungen« zugesagt habe, auf Unwillen. 5 6 Der Tübinger Abgeordnete Schweickhardt beklagte, daß jene Gemeinden, die im März 1848, »zur Zeit der Unruhen«, von ihren Schultheißen durch »ungesetzlich aber energisch« durchgeführte Aktionen befreit worden seien, bevorzugt seien gegenüber jenen, die »den gesetzlichen Weg eingehalten haben«. Er spielte damit auf die Katzenmusiken, Volksversammlungen und andere Protestformen des vergangenen Frühjahrs an, die in vielen Fällen zur Abberufung unbeliebter Oberamtsbeamter und kommunaler Magistrate geführt hatten. Das Ausklammern von Problemen wie der Schultheißenfrage prägte die gesamte Debatte über das Gemeindeordnungsgesetz. Auch bei der Frage des Wahlrechts, dem zentralen Punkt der ganzen Reform, blieben die Auswirkungen auf das Heimatrecht und damit die Armenunterstützung sowie das Niederlassungsrecht und die Gewerbeordnung ausgeklammert. Zum einen verweist das auf ein ansteigendes innerwürttembergisches Konfliktpotential. Die soziale Differenzierung schritt trotz Agrarzersplitterung, Nebenerwerbsstruktur und dezentralisierter Gewerbeentwicklung voran und führte zunehmend zu sozialen Spannungen. Zum andern offenbart sich hierin die Schwierigkeit des parallelen Reformwerks auf nationaler und regionaler Ebene. Die einzelstaatlichen Reformen, die nicht nur die jeweiligen Länder reformieren und demokratisieren, sondern auch im legislativen und administrativen Sektor die nationale Einheit erleichtern sollten, waren ohne die Reichsverfassung und die geplante reichseinheitliche Heimat- und Gewerbegesetzgebung kaum denkbar. Seit dem Herbst, als die zunehmend gefährdete Lage der Paulskirche immer offensichtlicher wurde, galt es, den württembergischen Handlungsspielraum auszuschöpfen, ohne dabei auf nationale Voraussetzungen zu bauen, die immer unwahrscheinlicher wurden. Zudem in einzelnen Fragen wie dem Gewerbe- und Bürgerrecht die in Frankfurt erörterten Konzeptionen gerade auf den Widerstand jener Kreise stießen, die ansonsten die innerwürttembergische Reform unterstützten. Der Gesetzesentwurf 57 sah für die Regelung des Wahlrechts vor, daß in Zukunft jeder volljährige männliche Gemeindeangehörige, der in der Gemeinde wohnte und irgendeine Steuer an die Gemeinde entrichtete, das aktive und passive Wahlrecht besaß. Ausgenommen sollten von nun ab nur noch Vormundschaftsfälle, in ein Konkursverfahren verwickelte Personen und strafrechtlich Belangte sein sowie Einwohner, die in den letzten drei 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Jahren Armenunterstützung auf Dauer oder zeitweilig erhalten hatten. Zusätzlich sollten auch alle württembergischen und anderen deutschen »Staatsbürger«, die seit zwei Jahren am Ort wohnten und Einkommen oder Vermögen besaßen und der Gemeindebesteuerung unterworfen w a ren, das volle kommunale Wahlrecht erhalten. Innenminister Duvernoy führte in seinem Begleitvortrag dazu aus, daß die bisherigen Beschränkungen durch die Religionszugehörigkeit, Gewerbetätigkeit und Dienstverhältnisse ebenso wie der Ausschluß der »nichtbürgerlichen Einwohner« der »Richtung der Zeit auf allgemeine Teilnahme des Volkes an dem politischen Leben« entgegenstünden. 58 In der Debatte über das Wahlrecht zeigten sich anschließend aber die divergierenden Vorstellungen und sozialen Interessen in der Abgeordnetenkammer. Zwei unterschiedliche Konzeptionen traten zutage: Einwohnergemeinde und Genossenschaftsverband. Trotz der entgegengesetzten Vorstellungen blieb die Kammer aber handlungs-, d. h. kompromißfähig. Der Gesetzentwurf wurde nach einer einwöchigen Debatte mit leichten Modifikationen verabschiedet. 59 Auf der einen Seite standen die Verteidiger der alten Gemeindestruktur, die, wie es der bekannte Tübinger Jurist Reyscher formulierte, das »Lokalbürgerrecht« nicht in ein »Universalbürgerrecht« aufgelöst sehen wollten. Sie verteidigten die traditionelle Kategorie der Selbständigkeit und argumentierten, man müsse sein eigener Herr sein und nicht nur einen eigenen Wohnsitz haben. Daneben forderten sie die Kopplung des Wahlrechts an die Steuerpflicht. Dieser Gruppierung, die sich neben den schon im Vormärz hervorgetretenen Repräsentanten der Kommunalinteressen auch aus Mitgliedern des konservativen Lagers, den nicht gewählten, ständischen Abgeordneten der Zweiten Kammer und teilweise - wie bei Reyscher — auch Anhängern des liberalen Römerschen Ministeriums zusammensetzte, standen in der Wahlrechtsfrage vor allem die demokratischen Abgeordneten wie Becher und Seeger gegenüber. 60 Die Demokraten kritisierten den Begriff des Selbständigen nicht nur als vage und der Willkür Tür und Tor öffnend, sie lehnten ihn vielmehr als politisches Selektionskriterium grundsätzlich ab. Becher bekannte explizit, »daß mir der Taglöhner in politischen Dingen ebenso lieb, oder noch lieber ist, als der Kapitalist«. Trotz ihrer »fortschrittlichen« Position in bezug auf die Wahlrechtsfrage standen aber auch die Demokraten noch immer stark in der vormärzlichen Tradition, die sich am gesellschaftlichen Modell der einfachen Eigentümergesellschaft orientierte. Sie verstanden sich weniger als Vertreter spezifischer Klasseninteressen, sondern als jene Gruppe, die den richtigen Weg zur Vermittlung der sozialen Unterschiede weisen konnte. Selbständigkeit sollte keine Zugangsvoraussetzung für politische Rechte sein, statt dessen sollte umgekehrt ein weit ausgelegtes, nahezu egalitäres Wahlrecht die Chancen zur ökonomischen Selbständigkeit bei denen erhöhen, die bisher ausgeschlossen waren. 61 185 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Neben der Beurteilung des Selbständigenstatus gab es einen zweiten prinzipiellen Unterschied in den Konzeptionen beider Richtungen. Er betraf die Grenze zwischen der Gemeinde als politischem Organ und als genossenschaftlichem Verband. Zuerst sei wiederum die Position des konservativen oder, in diesem Fall, besser traditionell zu nennenden Lagers skizziert. Reyscher unterschied explizit zwischen der durch das allgemeine Wahlrecht begründeten »politischen Gemeinde« und ihrem »Substrat, . . . dem Gemeindevermögen«. Angesichts der vielen Klagen über das Niederlassungsrecht und dem den Gemeinden entzogenen Recht zur Kontrolle der Aufnahme neuer Gemeindeeinwohner befürchtete er eine Dominanz der »Auswärtigen«. Der Prälat Mehring, wie der Liberale Reyscher ebenfalls kein dem engeren Lager der Gemeindeobrigkeiten zuzurechnender Volksvertreter, konkretisierte die Furcht vor den »Auswärtigen«. Wenn sich in einem Ort ein »größeres industrielles Unternehmen« ansiedle, könne eine große Anzahl von Personen das Wahlrecht erlangen, die sich andrerseits wieder jederzeit aus der Gemeinde entfernen können. Dadurch werde »das Individuum gegenüber von der Korporation viel zu sehr bevorzugt«. 6 2 Blieb hier die Angst vor der durch das Anwachsen der Unterschichten aufgeworfenen sozialen Frage noch mehr im Rahmen der Auflösung des Gemeindeverbandes durch das Individuum mit seinen allgemeinen, gleichen Rechten als Staatsbürger, sprach der liberale Abgeordnete Menzel die zugrunde liegenden sozialen Befürchtungen aus. Menzel, »der Franzosenfresser«, wie ihn Börne einst genannt hatte, schilderte zuerst den Genossenschaftsverbund der alten Germanen, die nur Gemeindeeigentum gekannt hätten und »in gewissem Sinne Kommunisten« gewesen seien. Jetzt bestehe aber die Gefahr, daß »Dienstboten, Taglöhner, sogar Fabrikarbeiter« mit einem allgemeinen, gleichen Wahlrecht abstimmen könnten. Er verwies auf die Petition einer Gemeinde, die verlangt hatte, das Gemeindevermögen gleichmäßig an alle Einwohner zu verteilen, dann werde man die Staats- und Gemeindesteuern nach dem Einkommen entrichten. Wenn man den vorliegenden Gesetzentwurf, sprich das darin festgeschriebene Wahlrecht, annehme, würden viele Gemeinden diesem Beispiel folgen. Menzel schloß mit dem Appell: »Diesen neuen Kommunismus werden wir doch nicht wollen.« 6 3 Gegenüber dieser vor allem liberale Ängste ausdrückenden Sehweise argumentierte der Freiherr v. Varnbüler mit weit größerer Kenntnis der württembergischen und außerdeutschen Verwaltungspraxis. Wie Reyscher und Mehring vertrat er die Ansicht, daß dem Staat Korporationen, nicht Individuen gegenüberstehen müßten. Die Gemeinden seien nicht nur die Grundlage des Staates, sondern die »Grundlage der Freiheit des Staates«. Wie das Beispiel Belgiens lehre, reiche es jedoch nicht aus, den Gemeinden nur große Kompetenzen zu übertragen. Die belgischen Gemeinden seien ohne Leben, »weil die Gemeinde gar nicht existiert, denn die Gemeinde186 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

bürger sind lauter Einwohner«. Dadurch, daß alle Einwohner ohne Unterschied das gleiche Stimmrecht besäßen, würden die Kommunen von jenen verwaltet, die kein bleibendes Interesse am Gemeindeleben hätten. Varnbüler, der schon zwei Jahre vorher für die uneingeschränkte Gewerbefreiheit eingetreten war 64 und sie jetzt durch ein Reichsgesetz kurz vor der Durchführung auch in Württemberg sah, trat für die strikte Trennung von staatlichen und gemeindebürgerlichen Rechten ein. Das Wahlrecht zum Landtag sollte nicht mehr das Gemeindebürgerrecht zur Voraussetzung haben; statt dessen sollte das kommunale Bürgerrecht alle Rechte und Privilegien in sich vereinen. Wenn die Stärkung des Kommunalverbandes mißlinge, werde man »damit enden, wohin Frankreich jetzt gelangt ist, daß nämlich dem Koloß der Staatsgewalt das Individuum gegenübersteht, und bei aller großen politischen Freiheit, die man zu erlangen sucht, doch keine wirklichen Freiheiten entstehen und (wie in Frankreich) die Gesellschaft nie zur Ruhe kommen kann, weil kein Gegengewicht gegen die Staatsgewalt möglich ist«. 65 Trotz des prinzipiellen Plädoyers für das ausgedehnte Wahlrecht nach dem Einwohnerprinzip wollten auch die Demokraten möglichst viel v o m Korporationscharakter der Gemeinden erhalten. Becher erklärte, daß eine »vollständige Naturalisation der Auswärtigen« das bisherige Gemeindeleben zerstören und das Armenwesen in seiner jetzigen Gestalt zugrunde richten würde. Wie Seeger trat auch Becher für eine Trennung der politischen Gemeindebürgerrechte von den privatrechtlichen ein, die die Gemeindenutzungen regelten. In seiner Erwiderung auf Varnbüler, der zum Schutz der Gemeinden und der Freiheit eine stärkere Abgrenzung gefordert hatte, warf Becher ihm eine Verkehrung der Ursachen vor. Varnbüler sei der Ansicht, »die wirklichen Zustände, die Besitzverteilung«, die Verteilung von Grund und Boden, von Kapital und Arbeit komme von der Gemeindeverfassung her. Statt dessen sei umgekehrt jene nur ein Ergebnis, »nur die Erscheinung der dort schon vorher bestandenen Verhältnisse«. Die Bevölkerungs- und Vermögensverhältnisse entsprächen nicht mehr dem von Varnbüler geschilderten Zustand, »wir sind einer anderen Phase der Entwicklung notwendig anheimgefallen«. Die Konzentration der Gemeinden nur auf ihre spezifischen Eigeninteressen wie auch die Gleichsetzung von Bürger und Eigentum gehörten der Vergangenheit an. Deshalb wolle er »nicht den Besitz, sondern die Person an dem öffentlichen Leben der Gemeinden beteiligen«. Letztlich gehe es um die Frage, ob die Arbeiter wählen dürften, und »bei der friedlichen Umgestaltung, bei der Reform beteiligt« würden oder nicht. Sonst seien sie auf ihre Fäuste angewiesen und davon wären aufjener Seite mehr. 66 Die Demokraten wollten das Wahlrecht für alle Einwohner, nicht aber das strikte Prinzip der Einwohnergemeinde. Sie traten für eine Trennung der politischen Rechte von den genossenschaftlichen ein, griffen andrerseits die privatrechtsähnliche Nutzung aus dem Gemeindevermögen nicht an. 187 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Über das erstrebte Wahlrecht sollte eine Angleichung der sozialen Unterschiede erfolgen. Das liberal-konservative Gegenlager verteidigte statt dessen die Gleichsetzung von politischen Rechten und ökonomischem Status. Politische Mitsprache sollte nur durch das Nadelöhr der Besitzbildung erlangt werden. Bei der Endabstimmung über den Gesetzentwurf am 31. März 1849 votierten trotz der hier geschilderten Einwände gegen die Öffnung des Wahlrechts nur acht Abgeordnete gegen das Gesetz. 67 Die Verwaltungsreform hatte im Steuerwesen der Gemeinden alle Personen und alle Vermögensarten vollständig erfaßt. Im Verhältnis zur staatlichen Bürokratie wurde die Überwachung und Bevormundung durch die Oberämter verringert. Innerhalb der kommunalen Gremien gab es eine erhöhte Partizipation aller Einwohner (durch das Wahlrecht) und Transparenz der örtlichen Institutionen durch öffentliche Verhandlungen sowie die Abwählbarkeit der Gemeinderäte. Die Jahre 1848/49 verkörperten in gewisser Weise eine Wendemarke. Einerseits bildeten sie einen letzten Anlauf des vormärzlichen Reformversuches einer »Selbstorganisation der Gesellschaft« in Korporationen, Assoziationen und Vereinen ohne die eingreifende und lenkende Hand des Staates. Andrerseits wurde deutlich, daß die helfende Hand dieses Staates unentbehrlich war, um das von liberaler und demokratischer Seite gemeinsam — wenn auch mit verschiedener Programmatik - unternommene Vorhaben durchzuführen. Die wachsenden Probleme der gewerblichen Entwicklung, des Niederlassungsrechtes und insbesondere der Armenfürsorge zwangen zu überlokalen Lösungsversuchen. Je mehr jedoch die Gemeindeverfassung an diese neuen Erfordernisse über die Demokratisierung der örtlichen Institutionen angepaßt wurde, desto mehr veränderte sie ihren Charakter zum Modell einer Einwohnergemeinde. Die »Öffnung nach unten« bewirkte eine »Öffnung nach oben«, ein Arrangieren mit der Staatsbürokratie. 68 Vielleicht am deutlichsten wurde dieser Vorgang im Gesetz über die Haftbarkeit der Gemeinden bei »Zusammenrottungen und Aufruhr«. 69 Nach den Hungertumulten im Mai 1847 hatte die Regierung begonnen, Vorbereitungen für ein »Aufruhrgesetz« zu treffen. Zwei Strategien wurden erörtert, der Einsatz militärischer Mittel als auch die Haftung der Gemeinden für entstandenen Schaden. In den nicht-öffentlichen Erörterungen der Departementschefs legte der Kriegsminister großen Wert darauf, daß das Militär auch auf eigene Entscheidung hin eingreifen konnte. Innenminister Schlayer unterstützte diesen Vorschlag, sprach sich aber dafür aus, eine Regelung der Haftungsfrage zu vermeiden. Denn dafür wäre die Regierung auf den »unangenehmeren Gesetzgebungsweg« verwiesen worden, wovor sie zurückscheute, da man eine ausführliche öffentliche Erörterung vermeiden wollte und überdies weitergehende Beschlüsse der Abgeordnetenkammer befürchtete. Diese Debatte wurde durch die Ereignisse vom Frühjahr 1848 überholt, 188 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

sie wurde öffentlich und erhielt eine andere Stoßrichtung. In der standesherrlichen Kammer nahm Frhr. v. Wächter-Spittler die Begründungen der geforderten Volksbewaffnung gewissermaßen beim Wort und erklärte, daß die Bürger »mit dem Recht der Bewaffnung auch die Pflicht zur Abwehr« von Störungen übernähmen und deshalb die »Solidarität der Verbindlichkeit der Einwohner einer Gemeinde« für in ihrem Bezirk entstandenen Schaden ausgesprochen werden müsse. In der Euphorie der Märztage sah die Abgeordnetenkammer dabei keine Bedenken; oder, wie es Murschel in der Debatte um die Volksbewaffnung formulierte, daß nicht, »weil das Volk bewaffnet worden, Übeltaten zu fürchten seien, sondern weil die Bürger bewaffnet seien, Übeltaten verhindert werden können«. 70 In den nächsten Monaten wurde administrativ ein Mittelweg gefunden. Mit Hilfe der drohenden Schadenersatzforderungen versuchte man, die Bürgerwehren zu energischem Vorgehen anzuhalten, zum andern wurde aber auch festgeschrieben, daß »das Militär niemals selbständig, sondern nur im Namen und als Organ der Zivilbehörde« handeln dürfe. Im Landtag war die Thematik dann erneut aufgeworfen worden durch eine Petition der Stadt Heilbronn und eine Eingabe des Abgeordneten Schnitzer aus Reutlingen, der eine Klärung wollte, ob Gemeinden für den Schaden bei Unruhen verantwortlich gemacht werden konnten. Seine Intention war darauf gerichtet, daß »der Staat die Verbindlichkeit zum Schutze der öffentlichen Ordnung und dann auch zum Schadenersatz auf sich nehme«. 7 1 Gerade die Verantwortlichkeit der Gemeinden wurde aber in dem im Juli 1849 beratenen Gesetz festgelegt. Es regelte einerseits den Einsatz der »bewaffneten Macht« (Bürgerwehr und Militär) bei Unruhen, andrerseits die Haftung für den entstandenen Schaden. Das Gesetz basierte auf der prinzipiellen Verantwortung der Gemeinden, die mit Hilfe der Bürgerwehr für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatten. Im Konfliktfall konnte auch - auf Anordnung des Innenministeriums - Militär eingesetzt werden, das dann jedoch der Bezirkspolizei, nicht den Gemeindebehörden unterstand. Neben den Gemeinden war als zweiter Ordnungsfaktor die traditionelle, paternalistische Fürsorgepflicht der Hauseigentümer und Dienst- und Fabrikherren vorgesehen, die für die Mitbewohner bzw. die Arbeiter und Bediensteten verantwortlich waren. Die Kosten für die externen Bürgerwehren und das Militär wurden verteilt. Die Kommunen waren für Unterkunft und Verpflegung verantwortlich, die Delinquenten hatten für die Transportkosten aufzukommen. Für den entstandenen Schaden hafteten die Gemeinden. Die Mittel sollten durch eine Umlage auf alle Einwohner nach dem Verhältnis der direkten Staatssteuern aufgebracht werden. Die Gemeinden konnten wiederum Schadenersatz bei den »Beschädigern«, den Teilnehmern an den Unruhen verlangen, sowie von jenen, die durch Verletzung ihrer Dienstpflicht den Schaden nicht verhindert hatten. Realistisch ging das Gesetz davon aus, 189 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

daß bestenfalls ein Teil der Schadenssumme aufgebracht werden könne, der dann den Gemeindeeinwohnern zurückerstattet werden sollte. Falls die Mehrzahl der Delinquenten von auswärts kam, waren die jeweiligen Heimatgemeinden zahlungspflichtig, »wenn sie aus der Beschaffenheit der Umstände die verbrecherische Absicht ihrer Angehörigen zu erkennen vermochten«. 72 Am 1. Juli 1848 hatte die Organisationskommission ihr Programm in der »Schwäbischen Kronik« veröffentlicht. Der zentrale programmatische Satz darin lautete: »der Gemeinde soll möglichste Selbständigkeit im Staatsleben gegeben und ihr das Sichselbstregieren, so weit es irgend zulässig ist, anvertraut werden.« 7 3 Die vormärzliche Tradition sowie die süddeutschen Staats- und Gesellschaftsmodelle hatten die Gemeinden als Staaten en miniature, als kleine Republiken verstanden. Weitgehend autonom und selbstverantwortlich in allen die Gemeinden direkt betreffenden Angelegenheiten waren die Kommunen als Genossenschaften politische, soziale und ökonomische Handlungseinheiten. Grundlegende Voraussetzung hierfür war eine vergleichbare, analoge Struktur der Gemeindemitglieder, der das Bürgerrecht besitzenden Einwohner. Die Gemeinden konnten so lange als politische Einheiten agieren, wie — annähernd - eine sozioökonomische Gleichheit der Bürger bestand. Die Kriterien dieser Position spiegelten sich im Begriff des »Selbständigen«, der - so umstritten seine Kriterien im Einzelfall sein mochten - doch einen Minimalkonsens der Interessenidentität stiftete. Ein wenn auch marginaler Besitz sowie die personale Unabhängigkeit im Arbeitsleben, was in der Praxis vor allem Tagelöhnern, Gesellen und Arbeitern abgesprochen wurde, waren die inhaltlichen Kriterien dieses Status. Als 1848/49 die politische Teilhabe im Kommunalverband nicht mehr an Besitz und Selbständigkeit gebunden wurde, löste sich damit auch die bis dahin immer vorausgesetzte Gleichheit der Interessen der Gemeindemitglieder, d. h. der ehemaligen Genossenschaftsmitglieder, auf. Die innerhalb der Gemeinde als Korporation - potentiell - bestehenden Interessenunterschiede veränderten die Stellung der Gemeinden zum Staat. 74 1848/49 wurden die Wünsche des liberalen und demokratischen Bürgertums hinsichtlich der Kommunalverfassung partiell erfüllt. Gleichzeitig begann sich aber abzuzeichnen, daß die Erfüllung der Forderungen die traditionelle Gemeindestruktur eher verändern als stabilisieren würde. Diese Erkenntnis war die innenpolitische Ursache für die nicht zu Ende geführte Reform 1848/49.

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4. Die gescheiterte Verfassungsrevision Bei den Reformen des Gemeindeverbandes war immer wieder deutlich geworden, daß die angestrebte Zurückdrängung staatlicher Bevormundung im kommunalen Bereich allein nicht zu bewerkstelligen war. Die Verwaltungsreform führte damit zwangsläufig auf eine Umgestaltung der Verfassung hin, deren Schwächen insbesondere von Robert Mohl herausgestellt wurden. 75 Anders als bei der Reorganisation der Gemeindeverwaltung konnte jedoch bei der geplanten Staatsreform nicht auf eine ähnlich intensive und bereits seit langem geführte öffentliche Auseinandersetzung und einen publizistischen Austausch der Argumente zurückgegriffen werden. Das Bemühen um eine neue Verfassung ist damit aber auch weit stärker als die Verwaltungsreform ein Prüfstein für die innovative Gestaltungskraft der Bewegung von 1848. Das Ringen um eine neue Verfassung - wie es die Demokraten nannten bzw. der Konflikt um eine Änderung der bestehenden Verfassung, wie die Vorgänge von der Regierung bezeichnet wurden, die damit den Stellenwert des Konfliktes relativieren wollte, vollzog sich in Württemberg in einer eigenartigen Ungleichzeitigkeit. Während in Preußen und Österreich bereits im Herbst 1848 die konservativen Kräfte nach zum Teil sehr blutigen Kämpfen wieder unangefochten die Regierungsgewalt innehatten und auch in den Klein- und Mittelstaaten im Sommer 1849 nach der Reichsverfassungskampagne die »Restituierung der monarchischen Vorherrschaft« 76 in aller Regel in kurzer Zeit erfolgte, fügte sich Württemberg noch für längere Zeit nicht in diese Reaktionsfront ein. Am 1. Juli 1849 unterzeichnete König Wilhelm das Wahlgesetz für eine neue verfassungsberatende Landesversammlung, nach dem in den nächsten fünfzehn Monaten drei jeweils recht bald wieder aufgelöste Kammern gewählt wurden. Bereits in der königlichen Thronrede zur Eröffnung des Landtags im September 1848 war ein neues Wahlgesetz für jene Kammer in Aussicht gestellt worden, welche die Anpassung der Landesverfassung an die in Kürze erwartete nationale Verfassung vornehmen sollte. Ein Versprechen, das in den folgenden Monaten von der Abgeordnetenkammer immer wieder in Erinnerung gebracht wurde, ja als »memento mori« des Landtags bezeichnet wurde. Seit dem Herbst dieses Jahres finden sich aber sowohl in der Ständeversammlung als auch in der Öffentlichkeit Stimmen, die die Hoffnung auf die baldige Einführung einer Reichsverfassung zunehmend skeptisch beurteilen. Deshalb wurde von Teilen der Liberalen, vor allem aber von den Demokraten die Forcierung des innerwürttembergischen Reformprozesses gefordert. »Je mehr die Reaktion jeden Tag im Wachsen begriffen scheint, desto mehr tut es Not, daß baldmöglichst eine konstituierende Versammlung einberufen werde und der einzige Weg hierzu ist, wenn man nicht auf die Verkündigung der Grundrechte warten will, der, daß der bisherigen Ständeversammlung sofort der Entwurf eines 191 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Gesetzes in diesem Betreff vorgelegt und dieselbe nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes aufgelöst werde.« Sowohl die einzelnen Verwaltungsreformen wie der gesamte Kampf um die Landesversammlungen sind damit nicht nur als nachträgliche württembergische Anpassungsbemühungen an das Werk der Paulskirche zu sehen; es wird deutlich, daß es in den Einzelstaaten auch Bestrebungen gab, eigenständig Reformimpulse zu geben und den größeren inneren Handlungsspielraum auszunützen. 77 Im Verlauf des gesamten Verfassungskampfes blieb die Kompetenz der einzuberufenden Versammlung umstritten. Während die Regierung - und das heißt bis zum Herbst 1849 die Liberalen unter Römer — sich auf eine Reform des Landtags und der Ständewahlen beschränken wollte, sahen die Demokraten diese Versammlung von Anfang an als »Konstituante« an, die eine Gesamterneuerung der Verfassung beraten und beschließen sollte. Dementsprechend war auch die verfassungspolitische Stellung dieser Landesversammlung ungeklärt. Regierung und Liberale wollten die nicht prinzipiell abgelehnte Verfassungsreform dem neu zu bestimmenden Landtag übertragen, was stillschweigend implizierte, bei einem Scheitern zum politischen Status quo ante, zur Verfassung von 1819, zurückzukehren. Im Gegensatz hierzu erklärten die Demokraten das Erarbeiten einer neuen Verfassung zum Ziel und interpretierten die Landesversammlung als Konstituante und betrachteten sie damit als legitime Nachfolgerin des vormärzlichen Landtags, die nur Kraft eigenen Beschlusses wieder verändert werden könne. Sollte die Verfassungsreform scheitern, trat nach dieser Sicht die Landesversammlung an die Stelle des alten Landtags. Der eigentliche Konfliktpunkt betraf jedoch die Frage des Wahlrechts. Gingen zwar die Anschauungen auseinander, konnte man sich im alten Landtag im Frühsommer 1849 doch noch einigen. Die politischen Meinungen differierten erheblich; so sprach sich Römer gegen ein allgemeines Wahlrecht aus, »und zwar im Interesse der Freiheit selbst; denn ich bin überzeugt, daß ein allgemein ausgedehntes Wahlrecht in bewegten Zeiten zur Anarchie und in gewöhnlichen Zeiten zum Servilismus und zur Unterdrückung fuhrt«. Becher, eine der Führungsfiguren der Linken, hielt dagegen, die Demokraten hätten sich »nie Illusionen darüber gemacht, daß der politischen Farbe, zu welcher ich mich bekenne, eine ganz allgemeine Wahl, wenigstens in der ersten Zeit, nicht sehr zuträglich sein wird, und doch haben wir uns aus Grundsätzen für möglichste Ausdehnung des Wahlrechts ausgesprochen, und zwar schon bei der Behandlung der Gemeindewahlen«. Nur die »politische Notwendigkeit«, zur Beseitigung der Ersten Kammer mit der Regierung zusammenzuarbeiten, zwinge sie zur Akzeptierung eines Zensus. Die Wahlberechtigung war nicht mehr an das Gemeindebürgerrecht, sondern nur noch an die Zahlung einer direkten Staatssteuer, gleich in welcher Höhe, gebunden. Durch dieses »Recognitionsgeld der bürgerlichen Selbständigkeit«, wie es der Kommissionsbericht der Kammer formulierte, stimmte die Zahl der Wähler weitgehend 192 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

überein mit der Zahl der vormärzlichen Urwähler und der der Wahlberechtigten zur Paulskirchenwahl. Vor allem aber wird an der parlamentarischen Wahlrechtsdebatte deutlich, daß Liberale und Demokraten noch im Sommer 1849 in der Lage waren, zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele Kompromisse einzugehen und miteinander zu kooperieren. 78 Diese Fähigkeit verlor sich dann während der Dauer der drei Landesversammlungen. Mehr noch als über die zukünftige Verfassung und über den Status der Landesversammlung wurden Fragen des Wahlrechts erörtert. Die zentrale Debatte über die Grundstruktur der geplanten politischen Neuordnung führte man über diese Wahlrechtsproblematik. Hier brachen auch die Differenzen zwischen den einzelnen politischen Gruppen wieder auf und zerstörten die liberal-demokratische Koalitionsfähigkeit, selbst zu einem Zeitpunkt, als auch die Liberalen wieder außerhalb der Regierung standen. Die Demokraten waren nun zur weitaus stärksten Fraktion geworden, was wohl nur zum Teil auf das Wahlrecht zurückzuführen ist. Schwer zu bestimmen aber nicht zu gering zu veranschlagen dürften auch die Auswirkungen des Endes der Nationalversammlung sein. Als im Mai die Reste des Frankfurter Parlaments nach Stuttgart umgesiedelt waren, fanden sie bei der dortigen liberalen Regierung wenig Unterstützung und wurden am 18. Juni, als das nahe Ende der badischen Bewegung offenkundig war, sogar mit Militärgewalt aufgelöst. Diese Aktion, die sich auch gegen keineswegs den Demokraten zuzurechnende populäre Figuren wie Uhland richtete, der die Nationalversammlung bis zuletzt als parlamentarische Autorität akzeptiert und gestützt hatte, dürfte dem Ansehen der Liberalen in Württemberg großen Schaden zugefügt haben. Den Liberalen wurde damit zum Verhängnis, daß ihnen die machtpolitisch wohl unvermeidliche - Zerschlagung des deutschen Parlaments, vor allem auch die provokative militärische Lösung auf offener Straße, als Distanzierung von der Reichsverfassung ausgelegt werden konnte. Ihr Dilemma bestand darin, gerade jene Institution formal aufheben zu müssen, der auch von den Liberalen immer übergeordnete Kompetenzen zugesprochen worden waren. Letztlich zerstörten die Liberalen damit symbolisch jene Kraft, denen sie selber ihren Erfolg in Württemberg verdankten. In den Landesversammlungen traten die unterschiedlichen Positionen dann deutlich hervor, wobei der Gegensatz zwischen Demokraten und Regierung immer größer wurde. Auch ein Novum in der württembergischen Parlamentsgeschichte, eine gemeinsame Kommission mit den Ministern und Vertretern der Abgeordneten, brachte keine Einigung zustande. 79 Vielmehr prallten hier die heterogenen Standpunkte in aller Deutlichkeit aufeinander. Der Regierungsvorschlag sah zwei Kammern und indirekte Wahlen vor. Im Vergleich zum alten Landtag bedeutete das die radikale Beseitigung fast aller Standesprivilegien, die Zweite Kammer sollte aus 64 gewählten 193 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Abgeordneten, die Erste aus 42 ebenfalls gewählten Abgeordneten und den königlichen Prinzen bestehen. Die Abgeordneten beider Kammern sollten von Wahlmännern, deren Zahl 5 % der Staatsbürger betrug, gewählt werden. Die Hälfte dieser Wahlmänner sollten per se die Höchstbesteuerten sein, die andere Hälfte von allen Staatsbürgern gewählt werden. Gegenüber dem vormärzlichen Landtag bestanden die wichtigsten Änderungen in der bereits erwähnten Aufhebung der standesherrlichen, ritterschaftlichen und korporativen Mandate, in der freien Wählbarkeit auch der Ersten Kammer sowie in der Erweiterung des Urwahlrechts. Demgegenüber hätte die Verringerung der Zahl der Wahlmänner - von 14 auf 5 % der Urwähler - den Einfluß der Höchstbesteuerten erheblich gesteigert. 80 Die Liberalen unterstützten vor allem die Vorschläge zur Aufhebung der Adelsvorrechte, legten aber keinen eigenen Entwurf vor. Reyscher sprach sich zwar dafür aus, daß in der Ersten Kammer »Berufsklassen«, in der Zweiten die »Staatsbürger als solche« vertreten sein sollten, äußerte sich aber im übrigen sehr zurückhaltend, was die Fragen des Wahlrechts betraf. Hatten die Liberalen im Mai 1849 dem fast allgemeinen Wahlrecht für die Landesversammlung noch zugestimmt, begannen sie nun, sich mehr und mehr davon zu distanzieren und sich dem Regierungsstandpunkt anzunähern. 81 Die Demokraten waren zwar bereit, das Zweikammersystem zu akzeptieren, beim Wahlrecht waren sie jedoch unter keinen Umständen gewillt, hinter das Gesetz vom 1. Juli 1849 zurückzugehen, das das aktive Wahlrecht an die Zahlung irgendeiner direkten Staatssteuer band und zugleich direkte Wahlen vorsah. Gegen den Schlayerschen Vorwurf, das allgemeine Wahlrecht sei »ein Experimentieren mit dem Staat«, hoben sie die positiven Auswirkungen hervor. Durch diese Reform werde das politische System stabilisiert, denn »die politische Gleichberechtigung ist das einzige Mittel gegen die Gefahren des Kommunismus und Sozialismus« (Pfeifer). Darüber hinaus sei es »das beste politische Bildungsmittel«, es beseitige - so Adolf Seeger - »jene willenlose Masse, welche sich bewußtlos nach der einen oder anderen Seite drängen läßt«. Noch offensiver argumentierte der Abgeordnete Fetzer. Es sei nicht nötig, zur »Ungleichheit des Vermögens auch noch die politische Ungleichheit hinzuzutun«, und, stärker noch, »die Vorenthaltung des allgemeinen Wahlrechts begründet das Recht zur Revolution«. Dabei ist zu bezweifeln, ob das Kokettieren mit der Revolution die Kompromißfähigkeit in der Landesversammlung erhöht hat. 82 Jede der drei Landesversammlungen wurde nach kurzer Zeit von der Regierung wieder aufgelöst, und bei jeder Wahl errangen die Demokraten mindestens zwei Drittel der Sitze. Bei der Wahl zur dritten Landesversammlung sank die Wahlbeteiligung dann auf rund ein Drittel ab, nachdem sie bei den beiden vorherigen Wahlen noch bei etwa zwei Dritteln gelegen hatte. Zwar legte die Regierung nun, damit einer Forderung des demokratischen Landesausschusses entgegenkommend, einen vollständigen Verfas194 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

sungsentwurf vor. Die weiterhin zu keinen Zugeständnissen bereite Haltung der linken Mehrheit, das verringerte Interesse in der Bevölkerung, die gesicherte außenpolitische Situation - das alles führte dazu, daß v. Linden, der neue Premier, eindeutig den Bruch mit der Reformära vollzog, im November 1850 die Landesversammlung zum dritten Mal auflöste und im März des darauffolgenden Jahres Landtagswahlen nach den Vorschriften der alten Verfassung ausschreiben hieß. Der Widerstand dagegen blieb, gleichermaßen Resultat der Einsicht in die Machtverhältnisse wie Ausdruck des legalistischen Denkens der Demokraten, auf publizistischen Protest und erfolglose juristische Eingaben beschränkt. 83 Der Ausgang des württembergischen Verfassungskampfes zeigte daher zweierlei. Einerseits bewies er die geringen Chancen eines Reformversuches, der in einem Mittelstaat gegen die vorherrschende Strömung in den großen Staaten des Deutschen Bundes unternommen wurde. Der Vergleich mit dem Verfassungskampf 1815/19 macht überdies deutlich, daß nur bei einer Zusammenarbeit aller politischen Gruppierungen derartige Bestrebungen erfolgreich sein konnten. Das war 1848/50 gerade nicht gegeben. Württemberg, eines der Länder, welche die Arbeit der Paulskirche am entschiedensten unterstützten, konnte ohne den nationalen Verfassungsrahmen die eigene Verfassung nur begrenzt verändern. Der nationale Kontext begrenzte hier den regionalen Handlungsspielraum. Andrerseits bildete die partiell erfolgreiche Gemeindereform einen Ersatz für die gescheiterte Staatsreform. Zwar waren auch hier die Grenzen der Reformierbarkeit deutlich geworden, dennoch wurde eine der »demokratischsten« Gemeindeverfassungen i m Deutschen Bund etabliert. 84 Entscheidenden Anteil daran trug die liberale Opposition, für die die Kommunalreform ein konstitutives Leitziel gewesen war. Zudem gelang es 1848, was ebenfalls eine Parallele zum Verfassungskampf von 1815/19 darstellt, die Verwaltungs- und Verfassungarevision voneinander zu trennen. Auf einer erfolgreichen Oppositionsbewegung gegen das Verwaltungsedikt und die Gemeindeverfassung aufbauend, versuchte das liberale und demokratische Bürgertum 1848, auch den konstitutionell-bürokratischen Staat zu reformieren. Das scheiterte jedoch an Bedingungen, die nur teilweise innerwürttembergischer Natur waren. In der Sprache der Verfassimg gesprochen: Die Grundlagen des Gemeindelebens konnten zwar reformiert, nicht aber zur neuen Grundlage des Staates gemacht werden.

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VIII.

Reform oder Revolution?

»Die Revolution ist eine Krankheit des Volkes; aber eine solche, an der die Könige sterben.« Diese Tagebuchnotiz Friedrich Hebbels von 1844 benennt ein Kriterium für Revolutionen, das 1848 in den deutschen Staaten nirgends zur Debatte stand. Der einzige Monarch, der seinen Thron - nicht seinen K o p f - verlor, war Ludwig I. von Bayern. Sein Rücktritt im März 1848 kam unerwartet und ist nicht auf die äußerst moderate bayerische Märzbewegung zurückzuführen. Tiefere Ursache seiner Resignation war die öffentliche Auseinandersetzung um Lola Montez, bei der es im Februar in München zu heftigeren Demonstrationen und Straßentumulten gekommen war als vier Wochen später im März. Nach dem Proteststurm gegen Lola Montez, geadelte Gräfin Landsfeld, erscheinen die konstitutionellen Reformen unter Ludwigs Nachfolger Maximilian II. eher als Stärkung der Monarchie. Überspitzt gesagt: Während der »Revolution« wurde die bayerische Monarchie aus der durch die Mätresse hervorgerufenen Krise befreit. 1 In Deutschland starben die Könige nicht, sie überstanden 1848 recht wohlbehalten und in ihrer Stellung nicht prinzipiell in Frage gestellt, statt dessen oft sogar gestärkt. Das Diktum des österreichischen Schriftstellers, der sich anfangs in Wien selber politisch engagiert hatte, sich nach kurzer Zeit aber wieder auf die Theaterbühne zurückzog, liefert daher kein hinreichendes Kriterium, um die Ereignisse von 1848 als »Revolution« auszuweisen. Weniger impressionistisch vorgehend bieten sich zwei Möglichkeiten an, die Frage nach dem revolutionären Potential von 1848 zu stellen. Einmal mit sozial- und politikwissenschaftlichen Theorien, zum andern mit der Begriffsgeschichte. Die vor allem im angelsächsischen Raum von Politik- und Sozialwissenschaftlern, nur selten von Historikern, aufgestellten Revolutionstheorien zeichnen sich vor allem durch ihre hochabstrakte Sprache, komplizierten Modelle und geringe historische Applizierbarkeit aus. Läßt man diese Schwierigkeiten einmal beiseite und versucht, diese Theorien zur Klassifikation von 1848 als »Revolution« zu benutzen, stößt man erneut auf ein »revolutionäres« Defizit in den Ereignissen von 1848. Eine Definition für Revolution - als Ergebnis und nicht als beabsichtigter Zielzustand - etwa lautet: »Als Revolution ist der erfolgreiche Umsturz der bisher herrschenden Elite(n) durch eine neue Elite (neue Eliten) zu verstehen, die nach ihrer 196

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(meist mit größerem Gewaltgebrauch und der Mobilisierung von Massen verbundenen) Machtübernahme die Sozialstruktur (und damit auch Herrschaftsstruktur) fundamental verändert (verändern).« 2 Sowenig wie die Könige starben, sowenig wurden 1848 die herrschenden Eliten gestürzt oder die Sozial- und Herrschaftsstruktur grundlegend verändert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Historiker in aller Regel ohne dieses Instrumentarium arbeiten. Statt dessen werden, gerade in sozialgeschichtlichen Arbeiten, bevorzugt gesellschaftliche Krisenlagen analysiert und beschrieben. Dabei erliegt man jedoch nur allzuoft der Gefahr, daß ein Ereignis durch seine Vorgeschichte, durch die ihm zugrunde liegenden Bedingungen, erklärt wird. Gerade Revolutionen zeichnen sich aber dadurch aus, daß ein Bruch mit vorhergehenden Erfahrungen stattfindet, daß sich mehr verändert als in den Voraussetzungen enthalten ist. 3 Bleibt noch die Begriffsgeschichte und ihr Beitrag zur Bestimmung der Revolution. Seit der Französischen Revolution von 1789 kennzeichnen den Revolutionsbegriff zwei neuartige Elemente, die seitdem für sein Verständnis prägend geworden sind. Einmal Gewaltanwendung und Bürgerkrieg, zum zweiten das »Volk« als Träger dieser Gewalt, das damit die »Volkssouveränität« zu erlangen sucht. 4 Gegenüber beiden Kriterien findet man nun 1848 eher Zurückhaltung und Ablehnung denn Bejahung. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist die Debatte um die »Anerkennung der Revolution« in der preußischen Nationalversammlung am 8. und 9. Juni 1848. Der demokratische Abgeordnete Berends brachte den Antrag ein, das Parlament solle »in Anerkennung der Revolution« erklären, »daß die Kämpfer des 18. und 19. März sich wohl ums Vaterland verdient gemacht haben«. In der Begründung seines Antrages führte Berends aus, daß die Regierung betone, sie hätte die alten Einrichtungen geändert, um dieser Behauptung, »daß eine wirkliche Revolution eigentlich nicht stattgefunden habe«, entgegenzutreten, solle die Nationalversammlung beschließen, »sie stehe auf dem Boden dieser Revolution«. 5 Dem wurde entgegengehalten, »es kann nämlich in Zweifel gezogen werden, ob diese Tatsache eine Staatsveränderung war, die gegen den Willen der gesetzmäßigen Organe der herrschenden Gewalt sich zugetragen, oder ob es eine Staatsveränderung gewesen sei, die nach dem Willen und durch den Willen der herrschenden Gewalt sich ereignete«. Und, wie der Abgeordnete Riedel weiter betonte, »in der Anerkennung der Revolution soll danach zugleich die Anerkennung absoluter Volkssouveränität liegen«. Angenommen wurde schließlich, mit 196 zu 177 Stimmen, ein anderer Antrag, der des Abgeordneten Zachariä. Aus der Revolution wurden hier die »großen März-Ereignisse«, denen man »in Verbindung mit der königlichen Zustimmung den gegenwärtigen staatsrechtlichen Zustand« verdanke; man würdigte das »Verdienst der Kämpfer« und ging ansonsten zur Aufgabe über, »die Verfassung mit der Krone zu vereinbaren«. 6 197 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Diese Debatte um die »Anerkennung der Revolution« war die erste Auseinaidersetzung um grundsätzliche politische Positionen in der neuen preußischen Nationalversammlung. Mit der namentlichen Abstimmung wurde auch sogleich eine Abgrenzung der jeweiligen Lager deutlich. Die beiden Auffassungen unterschieden sich in bezug auf den Status des v o l l z o g e n Wandels. Während die Mehrheit darauf insistierte, daß der Landtag durch eine Vereinbarung mit der Krone konstituiert worden sei, berief sich die Minderheit auf den »Willen einer großen Nation«, auf die Volkssoiveränität. 7 Beide Seiten trafen sich aber in der Auffassung, daß zur Zeit der parlamentarischen Debatte, im Juni 1848, keine Revolution sei. Während die Liberalen darauf insistierten, daß auch die Veränderungen seit dem 18. März als Vereinbarung zustande gekommen seien, konnten die Demokraten dem nur entgegenhalten, daß eine Revolution gewesen sei. Dieses punktuelle Revolutionsverständnis, das nicht prozessualen gesellschaftlicher. Wandel, sondern einmalige Veränderung der politischen Ordnung ment, herrschte 1848 im bürgerlichen Milieu vor und war nicht auf Preußen b e g r e n z t . 8 Gegen dieses »unzeitgemäße«, statische Revolutionsverständnis richtete sich denr auch der Spott von Marx und Engels. Sie hielten dem »biederen D e u t s c h e n ‹ vor: »Du glaubst eine Revolution gemacht zu haben? Täuschung!« Ihre Kritik zielte in zwei Richtungen. Einmal wurde eben die Begrenzung auf den März 1848, jenes »langweilige Opferfest«, kritisiert, oder wie Engels in einem Artikel über die Berliner Anerkennungsdebatte bemängdte, »die Revolution war nicht vollendet«. Womit aber zum zweiten ebenfalls impliziert war, daß die Revolution in ihren sozialen Auswirkingen unvollendet sei, daß das Volk zwar gesiegt, aber nicht die Herrschaftsgewalt erlangt habe. Die Erkenntnis, daß es nur eine »halbe Revolution« gewesen sei, führte dann zur Forderung nach der »ganzen Revolution«, welche beschleunigt nur mit einem Mittel, dem »revolutionären Terorismus« erreicht werden könne. 9 Mit wenigen Ausnahmen, vor allem bei Marx und Engels, faßt der Revolutionsbegriff 1848 primär einen punktuell festzumachenden Verfassungswe:hsel und zielt nicht auf einen langfristig ablaufenden Strukturwandel. 11 Er meint damit primär die politische Revolution - während die weitverbreitete Revolutionsangif auf die perhorreszierte soziale Revolution gerichtet war, die, wie Marx im Kommunistischen Manifest geschrieben hatte, al: ›Gespenst« umherging. Bezüglich dieses Verfassungswandels dominierte aber die Ansicht, daß der Wechsel von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie in Preußen, oder vom Bundestag über den 17er Ausschuß und die Wahlen hin zur Nationalversammlung auf dem Weg der Vereinbarung vollzogen worden war. Wenn die Historiker hier von einer »Verrechtlichung der Revolution« 11 sprechen, übernehmen sie den Trugschluß, dem schon die Zeitgenossen erlagen - daß wirklich ein Wechsel m politischen System vollzogen worden war. Die liberale Verein198 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

barungskonzeption basierte bis zur Ablehnung der Kaiserlrone durch Friedrich Wilhelm IV. auf dieser Annahme, während die Demdkraten noch im Herbst 1848 davon überzeugt waren, auf der Grundlage cer im März errungenen Volkssouveränität durch die Einberufung einer neuen Nationalversammlung den nun wieder offen konservativ agierenden Regierungen entgegenwirken zu können. Ein vorschnelles - und vor allem unreflektiertes - Operierm mit dem Revolutionsbegriff fuhrt dazu, die Geschehnisse von 1848 im Spiegel der Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts zu sehen und erschwert es, die anders gelagerten politischen, sozialen und ökonomischen Bedngungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts adäquat zu erfassen. Ebenso werden durch den Revolutionsbegriff die handelnden Akteure in ein Interpretationsschema gepreßt, das ihre Gestaltungsbemühungen zwischen Revolutionsangst und Reformeuphorie nur bedingt erfaßt. Wenn man die bürgerliche Mitte, den eigentlichen Träger der konstitutionellen Bewegung in den Einzelstaaten und in der Paulskirche zu »Revolutionären wiler Willen« macht 12 , hypostasien man eine durch die Reformen ausgelöste Eigendynamik des historischen Geschehens in den Jahren 1848/49, die airgends zu beobachten ist. Viel eher reagierten die Reformen auf Ansätze »revolutionärer« Gewalt und versuchten sie einzudämmen, etwa bei den Agrargesetzen oder bei den konstitutionellen Versprechen i m Gefolge der Barrikadenkämpfe. Schließlich auch war liberale Politik keineswegs »gegen die alten Mächte» gerichtet, w i e Nipperdey betont, sondern immer darauf ausgerichtet, mit ihnen zur Vereinbarung zu gelangen. Wie sah es aber nun in Württemberg aus mit den beiden-begriffsgeschichtlichen wie analytischen-Kriterien für »Revolution«, mit Gewalthaftigkeit und Änderung der Herrschaftsordnung? In seinen 1858 erschienenen »Briefe an seine Preunde bescheibs Theodor Mögling ein Treffen der republikanischenLinkeninFrankfurtwährend des Vorparlaments. Mögling, zu dieser Zeit Abgeordneter im württembergischen Landtag und im Vorparlament, berichtet über die Kritik s e i n e r politischen Gruppierung a m Vorparlament und den Entschluf, daß »die Bewegung wieder in Fluß gebracht werden, ... daß das Velk zu den Waffen gerufen werden und mit den Waffen in der Hand seine neue Verfassung erringen müsse«. Unschlüssig war man sich aber über den geeignetsten Ort für diese Aktion. Als Württemberg vorgeschlagen wurde, wie Mögling vermutet, auf Grund der vielen lokalen Erhebungen gegen Gemeinderäte und Bürgermeister, widersprach er und erklärte, »ein Aufstandsversuch in Württemberg habe einige Aussicht, wenn er gegen die Schreiberherrschaft gerichtet werde, nie aber habe eine repullikanische Erhebung auf größere Teilnahme zu rechnen«. Denn seit der Ernennung der früheren Oppositionsführer zu Ministern sei die Bevölkerurg von der Aufrichtigkeit der Märzversprechungen derart überzeugt, daß eise republikanische Partei, die dieses Vertrauen erschüttern wollte, »gewiß übel dabei 199 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

fahren wurde«. Schließlich einigte man sich in Frankfurt auf den badischen Seekres. Dort proklamierte Hecker am 12. April die Republik und begann seinen Marsch nach Karlsruhe. Unterstützt und begleitet wurde er von Möglitg nicht aber von den erwarteten Volksmassen - nur wenige Tage später wirde Heckers Zug problemlos von Bundestruppen militärisch besiegt 13 Möglings Skepsis wurde in der Folgezeit bestätigt. Denn »größere Teilnahme« blieb jenen Ereignissen versagt, in denen die bestehende staatliche Crchung in Frage gestellt wurde. Am eriptivsten, zugleich aber auch am eingeschränktesten waren dabei die Agraunruhen im Frühjahr 1848, die von Mögling bezeichnenderweise gar nicht erwähnt wurden. Hier äußerte sich der bäuerliche Protest, der aber einceutig auf die Abgabenregelung und Feudalkritik begrenzt blieb und ke;n‹ primär politische Stoßkraft entwickelte. Nach den ersten Gesetzen und veiteren Zusagen blieb die Landbevölkerung ruhig und staatstreu wie zuvo. 14 Ebenfalls örtlich begrenzt und in unterschiedlichem Ausmaß mit meis geringerer Gewalt verbunden waren die in aller Regel gegen einzelne Personen gerichteten anonymen und kollektiven Protestaktionen wie Katzenmusiken. Zweifelhaft ist es, ob sich diese unbestreitbar vorhandene und 1848/49 gegenüber dem Vormärz intensivere und weitaus häufigere Protstkultur zur »Revolution« zusammenfassen läßt. Denn »Widersetzlichsten, Excesse, Crawalle, Tumulte und Skandale«, so der Titel von Wirtz' Bich über Sozialen Protest in Baden, gab es auch vor 1848. Eine Anhäuriug von lokalen Konflikten mit Polizei, Obrigkeit und - in seltenen Fällen - dem Militär allein bildet keine Revolution. 15 Aktionen, die nicht nur gegen einzelne Amtsträger staatlicher Gewalt, sondern gegen die bestehende Staatsgewalt, d. h. gegen die Politik der Regierung gerichtet waren, finden sich in Württemberg nur wenige. Ein Beispiel hierfür ist der von Rau unternommene Versuch, im September 1848, parallel zu Struve in Baden, mit einem »Marsch auf Stuttgart« die Errichtung einer Republik zu forcieren. Auf die Nachricht von Struves Fehlschlag hin verlief sich Raus Gefolgschaft, noch bevor Bürgerwehr und Militär entscheidend eingriffen. Im Juni 1849 dann wurden erneut württembergi;che Truppen für den inneren Einsatz mobilisiert. In Heilbronn plante die Bürgerwehr den Auszug nach Baden, u m an den dortigen Kämpfer für die Reichsverfassung teilzunehmen. Militär wurde daraufhin in die St;dt entsandt, um die Bürgerwehr zu entwaffnen. Die Regierung äußerte sch über die Heilbronner Proklamationen für Nationalversammlung und Reichsregentschaft skeptisch, sie erklärte, »daß vom Reden zum Handeln eine weite Kluft ist und die Heilbronner Helden für sich allein wenig zu fürchten sind«. Eine realistische Beurteilung, wenn man bedenkt, daß von denjenigen Bürgerwehrverbänden, die vor Ankunft des Militärs nach Bacen abmarschiert waren, ein Teil schon unterwegs sich heimlich auf den Veg nach Hause begab, ein Teil nach seiner Ankunft überrascht 200 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vwar, daß es nicht u m den Schutz der Heimat gegen »Freischaren «ging und unter den rund 200 gefangenen Vürttembergern in Rastatt nir 14 aus 1 Heilbronn waren. 1 6 Das Vorgeher der Heilbronner Bürgerweh var das Idetzte Aufflackern einer Bewegung bei der in den vorausgehender Wochen wersucht worden w a r , die württembergische Regierung zu einemertschieodeneren Eintreten für die Reichsverfassung, insbesondere auch zu einem I Bündnis mit der neuen badischen Regierung unter Brentano zu ›evegen. Γ Markantestes Ereignis dieser Bestebungen war die Generalversmmlung oder württembergischen Demokraten am Pfingstwochende, den 27. und 228. Mai 1849, in Reutlingen. Die nilitärische Verteidigung der Feichsverfassung gegen den »Reichsfeind Praußen in offenem Kriege« wurle ebenso gefordert wie die Einberufung der seit langem versprochenen Lindesversammlung in Württemberg. Diese Beschlüsse wurden anschlielend dem Landtag übergeben. Nur ein kleiner Teil der Demokraten war bei einer Ablehnung dieser Forderungen zum bewaffneten Aufstand berdt, die große Mehrheit wollte den legalen Weg im Einvernehmen mit legierung und Verfassung nicht verlassen. In der Abgeordnetenkammer vurde die württembergische Haltung gegeniber Baden ausführlich erörtet. Dabei dominierte in allen politischen Lagern eine streng legalistische Auffassung des Problems, oder wie es der Denokrat Hölder formulierte, »daß wir in einer so gefahrvollen Zeit nichts Besseres tun können, als fest am Recht zu halten, an dessen Heiligkeit ich glaibe«. Jene Minderheit von 18 Abgeordneten, die für die bedingungslose nilitärische Unterstützung de Reichsverfassung und damit der provisoischen badischen Regierung intraten, wollte dabei nicht nur ein gesetznäßiges Vorgehen, sondern erkannte auch, daß nur der parlamentarisch beschlossene legale Einsatz vürttembergischer Truppen militärisch aissichtsreich sein konnte und nur ein derartiges Vorgehen andere Staaten zur Kehrtwende gegen Preußen bewegen konnte. Die Verteidigung der Feichsverfassung und nicht die Revolution« war das Ziel der demokratischen Linken, weshalb die parlmentarische Niederlage kaum außerparlanentarische Aktionen nach ich zog. Oder wie Becher, ein paar Tage släter Mitglied der Reichsregertschaft einem der letzten Organe der Nationalversammlung - , dann im Exil in der Schweiz und 1850 in einem der beden großen politischen Prozese Württembergs nach 1848 freigesprochen es ausdrückte: »wir wollen k:ine neue Auflage des unglückseligen Heckrschen oder Struveschen Austandes, aber wir haben es mit der Anerkenning der Verfassung treu gement.« 1 7 Anerkennung der Verfassung od:r Aufstand, Reform oder Revolution? Elemente eines revolutionären Bruchs oder auch nur eines revolitionären Wandels lassen sich in Württembergkaum feststellen. Nahezu alle lurchgeführten Reformen basieren auf öffentlichen Debatten und parlamentarischen Konflikten, die zum Teil sei vielen Jahren geführt worden waren. Andrerseits scheiterten vor allem jere Reformvorhaben, die relativ kurzfristig erst aus der Situation des Jaires 1848 heraus formuliert wurden. 201 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Beispiele für die Reformkontinuität liefern etwa die A g r a r - und Kommunalgesetze. Hier lagen ausgearbeitete Gesetzentwürfe vor, auf die seit dem Frühjahr 1348 zurückgegriffen werden konnte. Darin bestand auch ein Vorteil de einzelstaatlichen Reformtätigkeit gegenüber der Arbeit der Paulskirch, daß auf diesen vormärzlichen Arbeiten aufgebaut werden konnte. Pantiert formuliert: Die häufig behauptete Kritik am »Professorenparlament«, das 1848 zu viel debattiert und zu wenig gehandelt hätte, greift am egentlichen Problem vorbei. Denn in den Landtagen zeigte sich, daß geradejene Entscheidungen schnell durchgeführt werden konnten, bei denen aufvorhergehendeReformdebatten zurückgegriffen werden konnte. Insofern wurde 1848 in der Nationalversammlung nicht zuviel geredet, sondern wir 1848 zuwenig, indem ein die Einzelstaaten übergreifender, Grundproileme zutage bringender und Reformalternativen formulierender öffenticher Diskussionsprozeß nicht zustande kam, angesichts der Pressepolitk der meisten Bundesstaaten allerdings auch kaum entstehen konnte. 18 Nach den gängigen Kriterien fand 1848 in Württemberg keine Revolution statt. Das politische System wie die gesellschaftliche Ordnung zeichneten sich statt dessen durch ein hohes Maß an Stabilität und Kontinuität aus. Die Ieantwortung der Frage Reform oder Revolution soll sich aber nicht nur n terminologischen Spitzfindigkeiten ergehen. Eine Kritik am vorschnellen und unbegründeten Gebrauch des Begriffs Revolution kann sich vor alem darauf stützen, daß darin bestimmte Interpretationsmuster und Argunentationslinien selbstverständlich mit enthalten sind, deren Suggestiviraft dann nur noch schwer zu entrinnen ist. Ein Beispiel hierfür sind die bereits erwähnten »Revolutionäre wider Willen«, denn spricht man von levolution, so benötigt man zwangsläufig auch Revolutionäre als Akteure. Ein anderes Beispiel für das Prokrustesbett, in das man sich dadurch begibt, ist die Suche nach revolutionären Veränderungen, nach gewaltsanem Wandel, der entweder gesucht oder als Defizit eingeklagt wird. Ein derartiger Zugriff erschwert es nicht nur, Beharrungselemente und das überdauern traditioneller Strukturen - oder ihre allmähliche Verformung und Anpassung - in Staat und Gesellschaft zu thematisieren, insbesondre auch die Ursachen für die Stabilität der politischen und sozialen Grdnung bleiben außerhalb des Blickfeldes. Deshalb soll hier nicht mit der Tiese geendet werden, 1848 habe keine Revolution in Württemberg stattgefunden, sondern versucht werden zu erklären, warum ein Radikaliserungsprozeß mit Bürgerkriegselementen, Verfassungswechsel und einen Konflikt zwischen divergierenden Ordnungsmodellen, wie er in Österreich und in Preußen wenigstens partiell und ansatzweise zu beobachtet ist, in Württemberg nicht eintrat. Was waren die Bedingungen dafür, daß der Reformversuch an Staat und Gesellschaft nicht in eine Revolution umschlug? Auf de politischen Ebene gilt es als grundsätzliche Differenz der Ent202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wicklung zwischen Württemberg und Staaten wie Preußen und Österreich festzuhalten, daß in den süddeutschen Ländern Verfassungen und parlamentarische Vertretungen bereits bestanden. Was in Preußen an wesentliches Ziel der Bewegung von 1848 war, konnte in Württemberg ab Mittel der Veränderung benutzt werden. Dadurch war nicht nur eine landesweite, zentrale Institution gegeben, auf die hin Wünsche und Fordenngen sich orientieren konnten, wie die Petitionen und Eingaben an die württembergische Abgeordnetenkammer vom März 1848 zeigen. Zugleich War durch den rund 30jährigen ›Vorlauf‹ an parlamentarischem leben eine Einübung in die Formen geregelter Interessenartikulierung und Konfliktaustragung gegeben, der das Agieren von Regierung und Opposition, von konservativer Beharrung und liberaler Bewegung, wie die Zeitgenossen es ausdrückten, entscheidend prägte. Zwar fielen nicht alle Entscheidungen im Landtag, Kontroversen wurden andrerseits aber auch nicht chne parlamentarische Erörterung ausgetragen. Dem entsprach eine analoge Entwicklung auf der kommunalen Ebene. Waren die Gemeinden vor 1848 vielfach Ausgangspunkt von Organisierungs- und Parteibildungsprozessen gewesen, konnte nach dem März in der Regel auf diese Strukturen zurückgegriffen werden. Die Airforderungen, die dadurch in Hinsicht auf die Mobilisierung und Organisierung gesellschaftlicher Interessenvertretung gestellt wurden, konnten gewissermaßen reduziert werden. Politische Vereine konnten auf Voiformen aufbauen, und, wichtiger noch, diese Vereine wie ihre Vorformen waren seit langem dann geübt, politische Partizipation zu ermöglichen und auszuüben. Es fand keine gesellschaftliche Organisierung gegen das politische Herrschaftssystem, sondern innerhalb desselben statt. Das betitigte sich auch in den Aktionen gegen einzelne Vertreter der politischen Ordnung im M ä r t und April 1848. Wie in der Bewegung gegen die Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte in den Jahren und Jahrzehnten vor 1848 konnte damit Kritik gegen einzelne Personen mit dem Verlangen nach staatlicher Reform verbunden werden, ohne daß daraus eine prinzipielle Systemkritik erwuchs. Begünstigt wurde das dadurch, daß viele Konflikte innerhalb des Dorfverbandes lokalisiert und ausgetragen werden konnten. Die Dezentralisierung des Protests verringerte zugleich seine ohnehin gering entwickelte Sprengkraft. Als zweites sollen mögliche soziale Ursachen für eine Radikalisierung der Bewegung in Württemberg untersucht werden, wobei auch hier wieder terminologische Vorsicht geboten ist. Der moderne Revolutionsbegriff kann auch die Bedeutung von langfristigem Strukturwandel annehmen und nähert sich damit einem evolutionären Begriff wie »Prozeß« an. Im 19. Jahrundert wurden die Auflösung der Standeordnung des Anden Régime und das Entstehen von Klassenstrukturen, die von Tocqueville analysierte »demokratische Revolution«, sehr oft a b »soziale Revolution« bezeichnet. Gerade im Umfeld von 1848 wurde dann der mehr befürchtete als schon 203 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

vollzogere Aufstieg des Vierten Standes mit dem politischen Verfassungswandel in Begriff der »Revolution« zusammengefaßt. Schon Rudolf Stadelmain hat darauf hingewiesen, »daß nur auf dem U m w e g über die Ideologie die sozialen Ursachen« bedeutsam geworden seien. 19 Die Frage nach den sozialen Ursachen kann die Analyse der politischen Aspekte nicht ersetzen, sie kann aber Bedingungen und Restriktionen möglicher Veränderungen herausarbeiten. Im Verlauf dieser Arbeit ist immer wieder mit dem zeitgenössischen Begriff ces »Selbständigen« argumentiert worden. Dabei wurde ausgeführt, dal dieser Kernbegriff liberaler Gesellschaftstheorie in Württemberg auch um die Jahrhundertmitte noch der vorherrschende Sozialtypus war, daß die Gemeinden nicht nur in der liberalen Vorstellungswelt noch dem Muster von »klassenlosen Bürgergesellschaften« entsprachen. Hier soll untersuch werden, ob das politische Verhalten, insbesondere die Parteidifferenziering in Demokraten und Liberale, sich auf sozialstrukturelle Unterschiedi zurückführen läßt bzw. darauf basiert. Für diesen Zweck kann die Wahl zur 1. Landesversammlung im August 1849 als Grundlage dienen. Es wurds nicht nur nach dem neuen Wahlgesetz gewählt, das mit der Erbringung irgendeiner, sei sie auch noch so gering, direkten Staatssteuer rund 17% aller Einwohner mit dem aktiven Wahlrecht ausstattete. Zum anderen var das Parteien- und Vereinsgefüge mit Demokraten und Volksvereinen auf der einen und Liberalen und Vaterländischen Vereinen, zumeist unerstützt von der Regierung, auf der anderen Seite deutlich ausgebildet und die politischen Positionen voneinander abgegrenzt. Bei der Wahl errangen die Demokraten einen eindeutigen Sieg, mit 43 zu 21 Gewählten erreichtei sie in der Landesversammlung eine Zweidrittelmehrheit. Die Fnge, mit der das Material statistisch aufbereitet wurde, war: Beeinflulte der Anteil an Selbständigen oder an Unselbständigen, der in einem Bizirk ansässig war, den Wahlerfolg eines der beiden politischen Lager, des demokratischen oder des liberal-konservativen, in signifikanter Weise? Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine Regressionsanalyse durchgefihrt. Zuerst wurden in bivarianten Regressionsanalysen jeweils die Stimnenzahlen von demokratischen und liberal-konservativen Kandidaten in Abhängigkeit von den absoluten Zahlen und vom Prozentsatz an Selbständgen bzw. Unselbständigen untersucht. Bei beiden politischen Lagern var dabei der Regressionskoeffizient in bezug auf den Prozentsatz sowohl cer Selbständigen wie der Unselbständigen an der Bevölkerung kleiner as 0,1. Danach wurde eine schrittweise multiple Regressionsanalyse durchgeführt, bei der versucht wurde, die Stimmenzahlen in einem Gesamtnodell durch die numerische Bedeutung des Arbeitsstatus (Selbständigkeit) zu erklären. Die Erklärungskraft komplexer Modelle lag dabei unter 50%. Statistisch feststellbare Abhängigkeiten ließen sich also nicht ermitteln lineare Zusammenhänge zwischen den Variablen bestehen nicht. Insbesonlere die sozialstrukturellen Variablen waren ohne Einfluß auf den 204 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Wahlerfolg der Parteien. 21 Ein Ergebnis, das sich gut veranschaulichen läßt, wenn man die demokratisch bzw. liberal wählenden Kreise mit ihren Durchschnittswerten gegenüberstellt. Tabelle 15:

Demokratische und liberal-konservative Wahlkreise 1849, Durchschnittswerte 22 Bevölkerung

Demokraten LiberalKonservative

Selbständige in%

Unselbständige in%

Wahlberechtigte in%

Wähler

26403

14,8

7,1

17,3

58,8

27912

13,9

7,1

16,6

50,2

n%

Die beiden politischen Lager lassen sich mithin - bezogen auf ihre Wählerschichten - nicht in eine Partei der Selbständigen und eine der Unselbständigen unterscheiden. Dieser auf den ersten Moment unscheinbare und triviale Befund ermöglicht es, die so oft betonten Unterschiede zwischen beiden Lagern zu relativieren. Die Differenz zwischen Demokraten und Liberalen war eine politische, keine sozialstrukturelle. Auch wenn man, wie Langewiesche es überzeugend getan hat, die unterschiedlichen sozialen Zielsetzungen als wichtigstes Trennungskriterium hervorhebt, bleibt doch die Frage offen, welcher Stellenwert diesem politischen Kriterium angesichts der Homogenität der sozialen Trägergruppen zukommt. Zumindest legt es dieses Ergebnis nahe, auch nach den Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen der beiden Gruppierungen zu suchen. Damit wird auch ein Ergebnis bestätigt, das jüngst von Heinrich Best hervorgehoben worden ist. Noch um die Jahrhundertmitte sei eine Zuordnung von sozioökonomischen Interessenlagen und politischem Wahlverhalten nicht möglich, dominierten persönliche und regionale Bedingungen die Wählerentscheidung. Erst seit den 1880er Jahren sei eine derartige Zuordnung möglich. Diese weitgehende (wahl-)politische Indifferenz sozialstruktureller Bedingungen im Verbund mit der für Württemberg gezeigten vorherrschenden sozial nivellierten Besitzstruktur lassen nun aber ein, wenn nicht das zentrale Charakteristikum für Revolutionen im 19. Jahrhundert hinfällig werden: die sozialen Gegensätze unterschiedlicher Klassenlagen, die nicht mehr innerhalb des bestehenden politischen Systems vermittelt werden können. Für dieses Umschlagen der politischen Reform in die soziale Revolution, wie es in Paris im Juni und in Wien vor allem im Oktober 1848 zu beobachten ist, fehlte in Württemberg die entscheidende Voraussetzung: Hier wurde die bürgerliche Reform nicht durch die proletarische Revolution gefährdet. 23 205 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Ergänzeid sollen noch jeweils einzeln nichtbürgerliche Sozialgruppen daraufhin intersucht werden, ob sie 184/49 ein besonderes Protest- und damit eventuell Revolutionspotential erwickelten. Zuerst soll dabei die Landbevökerung, die weitaus umfangrichste Bevölkerungsgruppe, betrachtet werden. Abgesehen von den Agarunruhen im Frühjahr 1848 blieb es auf den Lande, wo ja die große Mebheit der Bevölkerung lebte, mit ganz wengen Ausnahmen, ruhig. Eine Vermutung, wie sie jüngst von Rainer Koch geäußert wurde, »ein dauchaftes Bündnis von Demokratie und Bauer, von intellektueller, bürgerlih-republikanischer Elite und der großen Misse des Volkes hätte als übernächtige Phalanx der Revolution das Schicksal der alten Gewalten besieglt«, ist zwar einleuchtend, historisch betrachtet aber für 1848 illusoriso. Weder wollte die ›bürgerliche Elite‹ in hinreichendem Maße für libeale oder demokratische Ziele zu gewinnen Das gilt mit regionalen Ausnhmen (z. B. Schlesien) für Österreich und Preußen - man denke nur an Bismarcks Angebot, mit seinen Bauern nach Berlin zu marschieren - , ers recht aber für Württemberg, wo in den meisten Gemeinden die soziale Spannungen nur innerhalb des Dorfverbandes virulent wurden. Zuma in Württemberg ein besitzloses ländliches »Proletariat« weitgehend fehle, blieben Agitationsversuche der Demokraten ohne Erfolg. Am verbreitesten war eine von C. Mayer aus Esslingen verfaßte Schrift »An unsere Mitbürger auf dem Lande«, die im Dezember 1848 als Beilage zum »Beoachter« und als Abdruck in der »Sonne« erschien, und zusätzlich in eine Auflage von 10000 Exemplaren kostenlos verteilt wurde. In dieser Schrit wurde zur Bildung von Vereinen als »Pflanschulen des Bürgertums« und zum Anschluß an den Centralmärzveren aufgefordert. 24 Diesen eher η die »Bürgerlichkeit« der Landbevölkeruig, d. h. an ihre politischen fechte, als an ihre »Bäuerlichkeit«, d.h. an ihre agrarischen Interessen, apellierenden Werbungsversuchen blieb der Erfolg weitgehend versagt. Ioch Ende Dezember beauftragte Innenminister Duvernoy die Oberamtnänner damit, Berichte über die Resonanz der Schrift zu verfassen. Tpisch ist etwa die Auskunft des Ulmer Beamten, welcher vermeldet, s »will dieses Landvolk zum bei weitem geößten Teil von all' solchem leiben nichts; es ist der Regierung ergeben und ist zufrieden, wenn man e gesetzlich behandelt und in Ruhe läßt«. N u in gewerblichen Bezirken vie Heidenheim scheint es zu Vereinsgrüneungen gekommen zu sein, alerdings vermerkte auch hier der Oberamtnann Kausler, es sei sicher, »daß die Mitgliederzahl im Vergleich zu dem gesunden Kern des Volks in der Minderheit bleiben wird«. 2 5 Vom Linde jedenfalls war in Württerberg keine Unterstützung für eine revolutionäre Umgestaltung zu erwartn. Im Gegenteil, dort stand man der »Experimentalpolitik des Jahres 188«, wie es eine bäuerliche Eingabe 1849 formulierte, skeptisch gegenübr, überwog die »Loyalität« gegenüber der »Rebellion«, wie für ander Regionen der Konservativismu 206 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

und Traditionalismus der läindlichen Bevölkerung beschreben worden sind. 26 U n d von den Städten? Dieentscheidenden Kämpfe fandet 1848 in den Hauptstädten statt, sei es in Paris. Wien oder Berlin. In Stuttgart kam es zu keinen gewalthaften Auseinandersetzungen, blieben die Hungerunruhen v o m Mai 1847 die größten »Ruhestörungen«. Wie ist dieser Sachverhalt zu erklären? Neben den schon erwähnten politischen Bedingungn-wozu etwa auch gehörte, daß mit Adolf Setger ein prominentes Mitglied der Volkspartei Stadtdirektor der Stadt und danit gewissermaßen Oberbürgemeister wargilt es, auch die möglichen Trägerschichten revolutionärer Auemndersetzungen zu erfassen. Hauptbetiligte bei den Kämpfen in Berin und Wien waren, folgt man den Angabei über die Sozialstruktur der Gefallenen, die städtischen Unterschichten, verwiegend Handwerksgesellen, caneben deutlich kleinere Gruppen von Abeitern, Gehilfen, T a g l ö h n e r n usw. Hinzu kamen dann noch kleinbürgeriche Schichten wie Handwerksmeister und bürgerliche Gruppen, in Wien auch Studenten. 27 In beiden Sädten gab es große Ansammlungen von fabrikmäßiger Gewerbeproduktion, die z. Τ. schon industriell, z. T . noch vorindustriell war und dadurch in einer Übergangskrise steckte wie die Textilgewerbe in Wien. In Stittgart fehlte eine Konzentration an Massenproduktionsstätten und Fabriken, wobei der Vergleich von Wien mit Berlinzeigt, daß eine explosive Misching nicht so sehr durch die Konzentration gewerblicher Unterschichten ansich auftrat, sondern das Wiener Protestpetential vor allem aus der Mschung von Forderung nach politischer Reform und sozialem Protest entstand. In Berlin fehlte das letztere Element a m 8. März fast vollständig, w i e a auch diese Kämpfe aus dem oft erwähnten» Mißverständnis« entstanden. In Stuttgart, das 1848/49 keine Barrikadenkämpfe erlebte, fehlte eine Ansammlung von Großbetrieben, die zwar auch inweit höherer Zahl als i m ü b r i g e Württemberg v o r h a n d e nunselbständigengewerblichTätigenwarenimrheblichem Ausmaß handwerklich tätig odeinKleinbetrieben beschäftigt. Der Stuttgarter Maikrawall 1847 war bezeiclnerderweise ein Märkttumult, vas die noch immer traditionelle Problemstruktur aufzeigt. Darüber hinaus war die weiüberwiegende M e h r h a t der unselbständigen Gewerbetreibenden in ihre sozialen Vorstellungswelt roch ebenso weit von den Problemen einer nodernen Klassengesellschaft entfernt wie die Selbständigen. Vorschläge zu einer Gewerbeordnung etwa wie sie im September 1848 von einem wüttembergischen Handwerker-und Arbeiterkongreß in Esslingen entwofen wurden, waren sehr stak zünftisch orientiert. Bezeichnenderweise benet der württembergische Arbeiterkongreß den Entwurf des Frankfurer Meisterkongresses, w i e auch einer der drei württembergischen Teilnehmer a m Meisterkongreß, der Uhrmacher Hipp aus Reutlingen, im September 1849 a b Vorsitzender der zweiten Generalversammlung der würtembergischen Arbeitervereine gewählt wurde. Betrachtet man die wirttembergischen Arbeiterverene näher, 207 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

entpuppen sie sich zumeist als Gesellenvereine mit den herkömmlichen Versorgungs- und Bildungsaufgaben. 28 Auch die Eisenbahn- und Festungsarbeiter, die die größten Arbeiteragglomerationen der Jahrhundertmitte in Württemberg bildeten, blieben 1848/49 politisch passiv. Nachdem vor 1848 nur sehr selten über die Arbeiterfrage debattiert wurde, statt dessen die Armenproblematik im Vordergrund stand, dabei auch kaum konkrete Vorstellungen entwickelt wurden, sondern das Bild eines Arbeiters gepflegt wurde, dem man nur sein »Capitälchen« geben müsse, dann sei er »gesichert gegen jede weitere Anfechtung«, wurde 1847 und 1848 das Schreckbild des revolutionären Arbeiters entdeckt, der die politische und soziale Ordnung gefährde. 29 Als soziale Gruppe jedoch blieben die Arbeiter - wie die Gesellen - im Rahmen der bürgerlichen Ordnung. Unter den 147 Angeklagten im Prozeß gegen Becher finden sich nur zwei Gesellen und acht Tagelöhner. 30 Schließlich sollen noch die mentalen Voraussetzungen für einen revolutionären Bruch 1848 untersucht werden, d. h. die verschiedenen politischen Gruppierungen sollen daraufhin befragt werden, ob sie prinzipielle gesellschaftliche Alternativkonzeptionen entwickeln konnten, ob eine Bereitschaft zum revolutionären Bruch vorhanden war. Zuerst soll die marginale Gruppe der außerparlamentarisch agierenden Republikaner analysiert werden. Eine eigene Vereinsorganisation bestand nur für kurze Zeit im Frühsommer 1848; als im Juli der von Rau gegründete demokratische Kreisverein in Stuttgart, der eine Führungsfunktion innehatte, aufgelöst wurde, war die Mitgliederzahl bereits wieder im Sinken begriffen. Führende Mitglieder waren ausgetreten, weil nach der Einsetzung der provisorischen Zentralgewalt in Frankfurt die gesetzliche Einführung der Republik nicht mehr möglich sei, sie andere Vorgehensweisen aber ablehnten. 31 In der folgenden Zeit wird der württembergische »Republikanismus« fast nur noch in der Person G. Raus und seiner Aktivitäten, etwa der von ihm herausgegebenen »Sonne«, greifbar. Sonst wurde das linke Spektrum in Württemberg nahezu vollständig von den Demokraten und Volksvcreinen repräsentiert. Auf einer Volksversammlung in Heilbronn am 10. September 1848, zur Zeit der öffentlichen Entrüstung über den Malmöer Waffenstillstand und kurz vor Zusammentritt des neugewählten Landtags, sprach u. a. auch Rau. Die Bewegung, die seit Februar über Europa hinweggehe, bezeichnete er als »Hauch Gottes«. Sein Eintreten für die Republik erklärte er damit, »das Christentum ist es, Mitbürger, das jetzt einziehen will ins praktische Leben, nachdem es seit achtzehnhundert Jahren den Gewaltigen und Mächtigen der Erde dienen mußte zur Unterdrückung der Völker«. Was hier den republikanischen Freistaat einklagt, ist vor allem christlich motiviert und millenaristisch ausgeprägt. »Aber der große Prophet von Nazareth sprach: ich werde dereinst wiederkehren auf die Erde, und das Reich Gottes aufrichten. Die Zeit ist da! Er ist gekommen in Millionen Herzen gleich einem Strahl der 208 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Elektrizität.« 32 Diese politische Wertungen übertönenden christlichen Denkformen sind nicht allein auf Rau zurückzuführen, sowohl vor wie nach seiner Verhaftung im September finden sich in der »Sonne« derartige Argumentationen und Vorstellungen. So wird zwar öfters ein Bekenntnis für die Republik abgelegt, jedoch kaum ausgeführt, was die Konsequenzen davon seien. Forderungen nach dem allgemeinen Wahlrecht und nach der Beseitigung der Adelsprivilegien finden sich auch im demokratischen und z. Τ. im liberalen L ager. Auch eine antithetische Gegenüberstellung von konstitutioneller Monarchie und sozialer Republik verliert an potentieller Brisanz, wenn als einzige Konsequenz der aus der Republik zwingend folgenden »sozialen Reform« die Beseitigung der »unbedingt freien Konkurrenz« folgt. 33 Dieser diffuse Republikanismus konnte keine politische Sprengkraft entwickeln, da ihm ein Programm fehlte. Statt dessen benutzte er wechselnd christliche, ständisch-assoziative und egalitäre Motive, ohne dabei an Attraktivität zu gewinnen. Schließlich, was unterschied eine Aufforderung, wie sie in einer langen Artikelserie von F. Mühleker unter dem Titel »Der sittliche Staat« erschien, von den Ermahnungen der Obrigkeit? »Ja, ihr Meistersleute, Dienstboten und Arbeiter, macht euch in eurem Verhältnis den Grundsatz der Liebe geltend, dann wird euch das Übrige von selbst zufallen!« 34 Revolutionäre jedenfalls wurden mit diesem Liebesappell nicht gewonnen. Läßt sich bei den im württembergischen Landtag vertretenen Demokraten und Liberalen ein Bewußtsein des revolutionären Gehalts der Ereignisse, vielleicht sogar die Bereitschaft zum revolutionären Wandel feststellen? Man kann dabei beide Parteien zusammenfassen. Zwar unterschieden sie sich, wie erwähnt, in ihren sozialpolitischen Zielsetzungen, in bezug auf politische Grundsatzfragen der Zeit weisen aber gerade die württembergischen Demokraten und Liberalen wesentliche Gemeinsamkeiten auf. Beide betonten etwa konsequent das Prinzip der Gesetzlichkeit, das bei allen politischen Auseinandersetzungen einzuhalten sei. 35 Beide akzeptierten auch uneingeschränkt das Prinzip der »Volkssouveränität«. Uneinigkeit bestand in der Frage der Staatsform, hierüber kam es im Sommer 1848 erstmals zur Spaltung. Die - späteren - Demokraten vermieden eine eindeutige Festlegung auf die konstitutionelle Monarchie, sprachen sich aber auch nicht eindeutig für die Republik aus. Man findet in den folgenden Monaten und Jahren viele antimonarchische Ressentiments, letztlich blieb die Frage nach der Staatsform aber zweitrangig. Zwar wurde die Einführung der Republik öfters als notwendig postuliert, dann jedoch sofort auf eine ferne Zukunft verschoben. Zudem konnte der Gegensatz aufgehoben werden in einem Begriff wie »konstitutionelle Monarchie mit demokratischer Grundlage« - den der frühere Minister Schlayer im September 1848 als seinen Grundsatz proklamierte. Dann gilt es jeweils genau zu überprüfen, für welche politische Einheit gegebenenfalls die Republik gefordert 209 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

wurde - für die Einzelstaaten oder nur für den neu zu schaffenden Nationalstaat. Bei Liberalen wie bei Demokraten implizierte das Bekenntnis zur Volkssouveränität damit immer eine Volkssouveränität mit dem Monarchen, nicht gegen ihn. Schließlich muß man berücksichtigen, daß trotz der divergierenden Auffassungen etwa in bezug auf die Gewährung politischer Partizipationsrechte, Demokraten und Liberale immer wieder zu gemeinsam getragenen parlamentarischen Entscheidungen zusammenfanden, etwa beim Wahlgesetz vom 1. Juli 1849. 36 In Preußen war die parlamentarische »Anerkennung der Revolution« am Widerstand jener Kräfte gescheitert, die, wie Camphausen und Hansemann, dem königlichen Patent vom 18. März mindestens ebenso große Bedeutung zumaßen wie den Barrikadenkämpfen in der Nacht vom 18. auf den 19. März. Und in Württemberg? In einer der ersten Debatten des neuen Landtags am 5. Oktober 1848 verteidigte sich David Friedrich Strauß gegen den Vorwurf, er gründe das Recht der Nationalversammlung nur auf die Zustimmung der einzelnen deutschen Regierungen. Er erwiderte, auch er sehe, »daß das Recht der Nationalversammlung auf Revolution beruht. Die Früchte dieser Revolution jedoch können uns auf legalem Wege zufließen . . . Wir haben eine deutsche Revolution gehabt, brauchen aber nicht noch eine württembergische.« Was Strauß hier pointiert formuliert, ist das in Württemberg nahezu überall fehlende Bewußtsein, es habe im Land selber eine Revolution stattgefunden oder es solle eine stattfinden. Anstelle dessen finden sich überall Zeugnisse für das dominante Kontinuitätsbewußtsein. So auch Römer in seiner umfangreichen Verteidigung des Märzministeriums gegenüber dem Vorwurf, die liberalen Minister hätten kein umfassendes Personalrevirement betrieben. »Wäre die Änderung der Dinge in Württemberg Folge einer Revolution gewesen, so hätte durchgreifend verfahren werden können; da aber das gesetzlich Bestehende entweder erhalten oder nur im gesetzlichen Wege abgeändert werden sollte, so waren den Ministern die Hände gebunden!« Diese Gesetzestreue fand sich, wie berichtet, auch bei den Mitgliedern des verbotenen demokratischen Kreisvereins. Statt der Revolution prägte in Württemberg die Reform das Bewußtsein und die Vorstellungen der politisch Handelnden. 37 Gerade in den Klein- und Mittelstaaten, die, wie schon Engels betonte, die entschiedensten Anhänger der Idee der nationalen Einheit waren, herrschte aber auch besonders das Bewußtsein vor, nicht eigenständig agieren zu können, sondern von anderen Mächten abhängig zu sein, was während des Vormärz durch die Restriktionen des Deutschen Bundes oft schmerzhaft erfahren worden war. Wie steht es mit der Vorstellung, daß 1848 eine »Revolution« dieser nationalen Situation vollzogen worden sei? Auf den ersten Blick scheint es so zu sein. Wenn im politischen Leben Württembergs der Begriff Revolution verwandt wird, dann am häufigsten in Beziehung zur nationalen Frage. In derselben Debatte, in der Strauß von 210 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

der »deutschen Revolution« sprach, behauptete der konservative Prälat v. Moser, »indem die Nationalversammlung die Grundrechte und die Verfassung des deutschen Volkes gibt, will sie die Revolution beendigen, nicht die Revolution in den einzelnen Stämmen des deutschen Volkes erst anfachen«. Oder wenn ein gutes halbes Jahr später (31. Mai 1849) der Demokrat Adolf Seeger die abnormen Zustände in Baden kritisiert, die Regierung dafür verantwortlich macht und hinzufügt, »in der Reichsverfassung begrüßen Hunderttausende, begrüßen Millionen in und außer Württembergs den Abschluß der friedlichen Revolution«, durch welche »das tiefe Verlangen des deutschen Volkes nach einem Vaterland befriedigt werden soll«. Heißt die Lösung also Reform in Württemberg und Revolution in Deutschland? Für die zeitgenössische Wahrnehmung trifft das partiell sicherlich zu, wobei aber Einschränkungen zu machen sind. Alle angeführten Zitate gebrauchen den Begriff Revolution in eingeschränkter Weise. Entweder hat sie stattgefunden oder soll beendet werden, wird also in ihren Auswirkungen begrenzt, oder sie wird zusätzlich als friedliche Revolution klassifiziert. Noch einmal sei Römer, der Premier der Märzminister, herangezogen. Er habe es stets beklagt, »daß die Märzbewegung in Deutschland als eine revolutionäre bezeichnet worden« sei. Denn nach dem gewöhnlichen Verständnis sei es keine »deutsche Revolution«, d.h. ein »gewaltsamer Umsturz der deutschen Rechtsverhältnisse« gewesen. 38 Was halb emphatisch, halb erschreckt als Revolution in Deutschland benannt wird, ist vor allem die Proklamierung der souveränen Nation. Und hierin findet dann auch die einzelstaatliche Reform ihre Ergänzung und Vollendung - nicht in der Revolution, sondern im Appell an die Nation. Oder, wie es ein Hanauer »Volksrat« im April 1849 in einer Flugschrift »An unsere Brüder in Württemberg« ausdrückte: »Die Nation beschließt, und was die Nation beschlossen, das ist Gesetz.« 39 Die preußische Grundproblematik der Anerkennung der Revolution wandelte sich damit in Württemberg zur Frage nach der Anerkennung der Reichsverfassung. Und hier, als innerwürttembergisches Problem, konnte die Auseinandersetzung auf dem Wege der Reform, auf gesetzlichem Wege, gelöst werden. Dem vereinten Druck von Demokraten und Liberalen, von Ministerium und Kammer, von Presse und Öffentlichkeit konnte Wilhelm nichts entgegensetzen, nicht einmal mehr das Militär 40 , und mußte in die Anerkennung einwilligen. Versagen mußte diese Reform jedoch dort, wo die hierfür nötigen Voraussetzungen nicht gegeben waren. Dementsprechend fehlte es den württembergischen Reformen auch an einem Konzept, wie auf die Ablehnung der Reichsverfassung in anderen Staaten reagiert werden konnte. Da eine Revolutionierung der Verhältnisse abgelehnt wurde, war auch die Reform ohne Revolution zum Scheitern verurteilt.

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Schlußbemerkung Württemberg war im 19. Jahrhundert ein Mittelstaat und keine souveräne Großmacht. Angesichts dieser Tatsache spiegelt der in dieser Arbeit verfolgte Zugriff, nicht so sehr nach dem Erfolg von Veränderungen, sondern nach den Bedingungen möglicher Entwicklungen zu fragen, auch ein Stück weit zeitgenössisches Bewußtsein wider. Dabei hat die Erfahrung äußerer Beschränkungen durch den Deutschen Bund, etwa in den 30er Jahren, als Württemberg neben Baden am entschiedensten für eine vorsichtige Liberalisierung eintrat, wohl auch den Blick für die internen Restriktionen und Begrenzungen geschärft. Denn die Geschichte des Landes verlief zwar nicht unabhängig von fremden Einflüssen, war aber dennoch eigenständig und stark von spezifisch württembergischen Gegebenheiten geprägt. Im 19. Jahrhundert ist Württemberg daher immer Sonderfall und Beispiel für andere konstitutionelle Staaten zugleich. Auch die politische Geschichte des Landes zeigt die Stellung zwischen Ausnahme und Exempel. In der nachnapoleonischen Reformzeit wurde in Württemberg wie in Baden und Bayern eine Verfassung eingeführt, was in Württemberg jedoch, eine Sonderbedingung des Ancien Régimes fortführend, nicht als fürstlicher Oktroi, sondern als Wiedereinführung landständischer Mitspracherechte auf dem Vereinbarungsweg geschah. 1848/49 schließlich wurde ohne gewalthafte Auseinandersetzungen im Lande die Reichsverfassung anerkannt, entsprach Württemberg den liberalen Erwartungen an die politische Reform des Bundes und der Einzelstaaten, blieb andrerseits das Königreich unter den größeren Staaten der einzige, der diesen Schritt vollzog. Damit konnte Württemberg als Untersuchungsfeld dienen, unter welchen Voraussetzungen eine friedliche Reform 1848 erfolgreich sein konnte - ohne das als einzig mögliche Alternative postulieren zu wollen. Vor derartigen Verallgemeinerungen müßten weitere Regionalstudien stehen. In dieser Arbeit ging es um die Voraussetzungen, die die bürgerliche Reformpolitik 1848/49 erfolgreich werden lassen konnten. Zu diesem Zweck wurden die sozialstrukturellen Bedingungen der württembergischen Gesellschaft, die dualistische Verwaltungsstruktur des Landes sowie der politisch-parlamentarische Bereich untersucht. Dabei wurde versucht, soziale Lage, Verwaltung und politisches System in ihren jeweiligen Abhängigkeiten und wechselseitigen Einflüssen zu analysieren. Im Zentrum stand dabei, erstens, die Organisation und Verfassung der 212

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Gemeinden, ihr Aufgabenbereich und ihr Verhältnis zur staatlichen Bürokratie. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert vollzog sich ein Wandel in der Kommunalverfassung, der sich in drei Stufen einteilen läßt. Am Ende des Alten Reiches herrschte in Württemberg noch weitgehend das Prinzip der Besitzergemeinde vor, d. h. Gemeindemitglieder waren nur männliche Personen mit Eigentum wie mit Nutzungsrechten am Gemeindevermögen. Durch die Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Gemeinden in Bürgergemeinden umgewandelt. Der Status der Gemeindemitgliedschaft war zwar noch immer mit ökonomischen Kriterien verbunden, bestand aber primär als Rechtstitel, in den man sich über das Bürgerrecht einkaufen konnte. In einem dritten Schritt wurde 1849 der Wandel zur Einwohnergemeinde vollzogen: Jeder Bewohner erhielt das kommunale Wahlrecht, rechtliche Unterschiede in bezug auf die Gemeindezugehörigkeit - Bürger und Beisitzer - wurden nivelliert. Damit erhielt das Gemeindebürgerrecht nun tendenziell einen ähnlich egalitären Status wie das Staatsbürgerrecht; ökonomische Ungleichheit war nur noch privatrechtlich begründet. Mit der zunehmenden Erweiterung der innerkommunalen Partizipationsmöglichkeiten ging ein Wandel der kommunalen Aufgaben und Kompetenzen einher. Zuständigkeiten und Leistungen verlagerten sich im Rahmen der Bürgerrechts- und Gewerbegesetzgebung auf die staatliche Verwaltung. Hieraus entstand ein permanenter Konflikt zwischen staatlicher Bürokratie einerseits und kommunalen Selbstverwaltungsträgern andrerseits. Er gründete darin, daß Gesetzgebung und Verwaltung beanspruchten, allgemeine Normen vorzugeben, deren Erfüllung - und damit auch Kosten - aber den Kommunen überlassen wurden. Die staatliche Politik zielte darauf, die Gemeinden zu Verwaltungseinheiten zu reduzieren, sie ihrer politischen Kompetenzen zu entkleiden, womit die rechtliche und politische Gleichstellung der Gemeindeeinwohner einherging. Demgegenüber verteidigten die Kommunen, genauer gesagt, die lokalen Eliten, die traditionellen Zuständigkeiten der Gemeinden, ihre ökonomische, politische und soziale Eigenverantwortung wie Entscheidungskompetenz gegenüber Bürgern und Ortsfremden. Damit aber auch, als conditio sine qua non in ihren Augen, die soziale Exklusivität lokaler politischer Partizipationschancen, sprich, ein eingeschränktes kommunales Wahlrecht. Als zweiter Problemkomplex wurden die sozialen und ökonomischen Grundlinien der württembergischen Gesellschaft im Vormärz untersucht. Ausgehend vom zeitgenössischen liberalen Selbstverständnis als einer Gesellschaft jenseits ständischer und diesseits klassenspezifischer Ungleichheit wurde gefragt, wie realitätsmächtig das Bild vom »selbständigen Bürger« war. Die agrarische Besitzzersplitterung, die Dichte des Handwerksbesatzes, der im Vergleich zu anderen Regionen verlangsamte Industrialisierungs213 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

verlauf, die dezentrale und eher kleinbetriebliche Gewerbestruktur, die sozial und sozialpsychisch sich spannungsmildernd auswirkende Gewerbepolitik der Regierung - alle diese Faktoren führten dazu, daß die klassenmäßige Segmentierung der Gesellschaft gering ausgeprägt, wenig offensichtlich und parteipolitisch ohne direkte Auswirkungen war. Die soziale Differenzierung geschah gleichsam leise, indem sowohl ein zahlreiches, besitzloses Proletariat wie eine kohärente, sich prononciert artikulierende Gruppe von Großeigentümern - eine im klassischen Sinn Bourgeoisie zu nennende Gruppe - weitgehend fehlten, dagegen Kleineigentümer und Mittelstand dominierten. Die Situation läßt sich als Paradoxon formulieren. Die württembergische Gesellschaft des Vormärz war keine klassenlose Gesellschaft, wurde aber als solche wahrgenommen. Dadurch erklären sich die lange Dominanz der vorindustriellen Leitbilder in der konstitutionellen und kommunalen Politik, aber auch das Scheitern von Reformversuchen. Die sozialen Probleme, die als »soziale Frage« erörtert wurden, verhinderten die Realisierung der frühliberalen Gesellschaftsutopie, waren aber andrerseits im Untersuchungszeitraum noch nicht derart ausgeprägt, daß sie eine grundsätzliche Revision der politischen Zielsetzungen erzwungen hätten. Sie stabilisierten damit den politischen Status quo in beide Richtungen. Die vom Liberalismus und den Selbstverwaltungsträgern immer wieder geforderte Erweiterung der Gemeindeautonomie scheiterte an zwei säkularen gesellschaftlichen Prozessen. Einmal an der Transformation des Herrschaftsapparates, der Entstehung bürokratischer Herrschaftsformen, einem Vorgang, den Max Weber die »Schicksalhaftigkeit der Bürokratie« nannte. 1 Die Bürokratisierung war für ihn untrennbar mit der Entwicklung des Industriekapitalismus verbunden. Der mit der Industrialisierung einhergehende Funktionswandel der Gemeinden - was bei der Kritik der Städte an der nivellierenden württembergischen Gemeindeordnung deutlich wurde wie die sozialstrukturellen Transformationen erodierten ebenfalls, gleichsam von unten, die Grundlagen kommunaler Selbständigkeit. Zwar gerieten lokale Selbstverwaltung und individuelle Selbständigkeit in den Sog von Bürokratisierung und Industrialisierung, eine Verfallsgeschichte entstand daraus jedoch nicht. Das zeigte die Analyse des dritten untersuchten Bereiches, die Entwicklung des politischen Systems. Hier wurden die Voraussetzungen geschaffen, daß auch in einer Krisensituation wie 1848, als in anderen Staaten die herkömmlichen Bahnen des staatlichen Lebens gesprengt wurden, die Entwicklung in Württemberg vor allem durch Kontinuität geprägt war. Das württembergische Wahlrecht ermöglichte, gekoppelt mit der relativ ausgeglichenen Sozialstruktur, eine für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr breite Partizipation der Bevölkerung. 1849 schließlich wurde, wenn auch (noch) nicht auf Dauer, das allgemeine, gleiche Wahlrecht eingeführt. 2 Die gewählten Vertreter agierten in den Gemeinden weitgehend autonom, 214 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

im Landtag übten die Abgeordneten mit dem Budgetrecht und dem Bewilligungsrecht für Gesetze eine entscheidende, nicht zu umgehende passive Teilhabe aus. Nicht vernachlässigen sollte man auch, daß verfassungsexemte und damit der parlamentarischen Kontrolle entzogene Bereiche, wie etwa das Militär in Preußen, in Württemberg nicht bestanden. Die Akzeptierung des politischen Systems in der Bevölkerung war 1848/ 49 so weit fortgeschritten, daß die bürgerliche Bewegung sich im wesentlichen im Landtag artikulierte, die nichtbürgerlichen Bewegungen sich aber mit ihren Forderungen und Aktionen an den Landtag richteten, dieses Forum damit implizit akzeptierten. In der gespannten Lage zwischen dem Revolutionsende in Baden und der endgültigen Restauration im gesamten Deutschen Bund Ende 1850 bewiesen sowohl die Regierung als auch die Demokraten auf den drei verfassungsberatenden Landesversammlungen mit ihrem Vorgehen die prinzipielle Bereitschaft, den parlamentarischen Rahmen als ausschließliche Handlungsebene zu akzeptieren. 3 Eine der Ursachen für die Festigkeit des politischen Systems 1848/49 dürfte darin gelegen haben, daß über mehrere Jahrzehnte hinweg demokratisch-parlamentarische Formen und Spielregeln eingeübt werden konnten, ohne daß prinzipielle politische Konflikte anstanden. Das geschah im Landtag, w o spätestens unter Schlayer die Regierung mit einer Mehrheit im Parlament regierte, ebenso wie in den Gemeinden, wo nach anfänglicher Ablehnung die kommunalen Wahlen zu den zentralen Bestandteilen des Willensbildungsprozesses wurden. 1848 dann blieb die Entwicklung in Württemberg gemäß den Vorstellungen der Liberalen und Demokraten im Rahmen der »Reform«. Man kann dabei zwei Varianten unterscheiden. Zum einen ein eher defensives Konzept, das, auf Pölitz zurückgehend, Reform als Anpassung versteht, zum andern eine vor allem von Rotteck vertretene Auffassung, die Reform als Umwälzung, als Durchführung antizipatorischer Eingriffe begreift. 4 Was 1848 erfolgreich vollzogen wurde, war die Reform der Gemeindebürger, indem steuerliche Ungleichheiten beseitigt und die politische U n terscheidung von Gemeindeeinwohnern und Gemeindebürgern aufgehoben wurde. Basierte die Reformbewegung auf den Entwicklungen und Organisationsbildungen im kommunalen Bereich, scheiterte doch letztlich die in diesen Jahren ebenfalls in Angriff genommene Staatsreform. Der Staatsbürger wurde nicht zur Grundlage des Staatsvereins, das blieben die Gemeinden. Sowohl die hinausgeschobene Gewerbereform wie die Rückkehr zum an lokalen Rechten orientierten Landtagswahlrecht schrieben kommunale Privilegien fort und verhinderten die Durchsetzung eines egalitären Staatsbürgerprinzips. Die Beseitigung von Privilegien innerhalb des Kommunalverbandes gelang, nicht jedoch die vor allem von den Demokraten geforderte politische Gleichberechtigung als Mittel zur langfristigen Herbeiführung sozialer Gleichheit. Die Reform im engeren Sinne, als Anpassung an bestehende Gegebenheiten war erfolgreich, nicht jedoch 215 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

das Bemühen um eine bewußte Neugestaltung. Hier scheiterten sowohl die Bestrebungen in Württemberg als auch im nationalen Rahmen die Frankfurter Bemühungen. Andrerseits weist der späte Zeitpunkt des seit den 1870er Jahren einsetzenden und sich über mehrere Jahrzehnte erstrekkenden, nach 1900 in einer tiefgreifenden Verfassungs- und Gemeindereform endenden Umgestaltungsprozesses des Staates auch auf beharrende Elemente innerhalb der Gesellschaft hin. Das politische System war stabil, nicht starr. Dazu noch ein Hinweis. Man sollte die württembergische Geschichte nicht als demokratisches Vorbild stilisieren. 5 Aufgrund der institutionellen und sozialen Voraussetzungen gelang in den Gemeinden eine Dezentralisierung von Konflikten, und allmählich entstand ein politisches System, das die Partizipation breiter Bevölkerungsschichten akzeptierte und Wege zur friedlichen Konfliktlösung entwickelte, nicht aber konfliktfrei war. Ihren besonderen, ihren Vorbildcharakter gewinnt die württembergische Geschichte erst im Vergleich mit der Entwicklung in anderen deutschen Staaten im 19. Jahrhundert. Abschließend noch zwei Bemerkungen, die über den engeren regionalhistorischen Rahmen der Arbeit hinausfuhren. 1. In Württemberg hatten sowohl der bürokratische Reformversuch nach 1800 wie der liberale um die Jahrhundertmitte nur begrenzte Erfolge zu verzeichnen. Das lag nicht nur an der Stärke der jeweiligen politischen Gegenkräfte, hier zeigte sich auch das Beharrungsvermögen der traditionalen, korporativ verfaßten Gesellschaft. Diese Tatsache sollte man nicht nur negativ, als das Scheitern weitreichender Eingriffe, als Defizit bewerten. Statt dessen kann man auch die positiven Auswirkungen dieser Kontinuität traditionaler Strukturen betonen, erleichterten sie doch die Bedingungen für langfristige Wandlungen ohne heftige Umbrüche und Auseinandersetzungen. Die korporative Tradition im deutschen Süden und vor allem im Südwesten bildete eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung »moderner« Partizipationsformen der repräsentativen Demokratie. In Altwürttemberg verkörperten die Korporationen das entscheidende Ordnungselement der Gesellschaft, die fürstliche Herrschaft konnte kaum direkten Zugriff auf die Untertanen, sondern nur vermittelten durch den Gemeindeverband ausüben. Diese »kommunalistische« Herrschaftsstruktur, die Peter Blickle für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit im deutschen Süden überzeugend aufgezeigt hat, wurde nach 1800 in den meisten süddeutschen Staaten nicht ersetzt, sondern nur ergänzt durch den direkten Zugriff des Staates auf die Individuen. 6 Die Individualund Grundrechte wie auch die staatliche Verfügbarkeit über die Untertanen traten neben weiterbestehende Formen genossenschaftlicher und korporativer Selbstverwaltung. Aus dem Gemeindebürger wurde der Staatsbürger, ohne seine kommunale Verankerung zu verlieren. 216 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

In der zeitgenössischen Diskussion wurde beständig hervorgehoben, daß die Aufhebung ständischer Bevorrechtigungen nicht zu einer Vereinzelung des Individuums und zu einer »ungeschützten« Begegnung mit der Staatsgewalt führen dürfte. Zur Verhinderung wurden immer wieder assoziative und korporative Formelemente propagiert. In Württemberg ging es dabei nicht so sehr um die Auflösung ständischer Herrschaftselemente, sondern u m die Umwandlung korporativer Formen. Die südwestdeutsche Grundherrschaft und die dominierende Kommunalverfassung hatten ohnehin die ständische Herrschaft stark begrenzt. Das gilt auch für die standesherrlichen Gebiete, wo die Konfliktlinie zwischen Gemeinde und Standesherr und nicht zwischen Grundholden und Adligen verlief. Der allmähliche Wandel von der Zunft zur Innung, von der magistratischen Obrigkeit zum kommunalen Wahlverband, vom Gemeindebürger zum Einwohner - das alles sind Elemente eines ökonomischen, politischen und rechtlichen Transformationsprozesses zugleich. Deutlich ist diese Übertragung am Gemeinderat nachzuvollziehen. Die exklusive privilegierte Stellung bestimmter sozialer Schichten wurde sukzessive ersetzt durch die Teilhabe immer breiterer Bevölkerungsgruppen und die Einführung von gewählten Vertretern. Innerhalb derselben Formen vollzogen sich gravierende inhaltliche Änderungen. Die ursprünglich sozial ausgrenzende Kommunalverfassung lieferte daher das organisatorische Rüstzeug, mit dessen Hilfe die Repräsentativdemokratie eingeführt werden und auf breite Zustimmung stoßen konnte. Die Demokratie wuchs aus der korporativen Tradition hervor. Das ist eine Erkenntnis, die die Leistungen der Reformer in anderen Staaten nicht schmälern soll - ein Hinweis jedoch auf die Schwierigkeiten eines Demokratisierungsprozesses, der sowohl die dominierende Stellung traditioneller Eliten aufbrechen wie neue Formen gesellschaftlicher Partizipation einführen mußte, um erfolgreich werden zu können. Die vermeintliche Rückständigkeit Württembergs schuf dagegen die Voraussetzung für einen langfristig erfolgreichen Weg in die Demokratie. 2. Einen prägnanten Beleg für den Erfolg des württembergischen Wegs stellen die Geschehnisse im Umfeld von 1848 dar. Das Königreich verkörperte die Vorstellungen der bürgerlichen Mitte vom Verlauf der politischen Entwicklung bis hin zur Anerkennung der Reichsverfassung in geradezu idealtypischer Weise. Berücksichtigt man, daß auch in Baden bis zur Meuterei der Soldaten und der Flucht des Großherzogs keine gravierenden Veränderungen der politischen Lage festzustellen waren, ja die badische provisorische Regierung nur halben Herzens die Republik proklamierte, kann man auch hier wieder von einer strukturell ähnlichen Lage in den meisten süd- und mitteldeutschen Kleinstaaten ausgehen. Die Anerkennung der Reichsverfassung wie die vorausgehenden in aller Regel gewaltlosen Veränderungen sind Symptome für die Reformfähigkeit dieser Einzelstaaten. Oder, im Vergleich mit den nichtkonstitutionellen Groß217 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

mächten: 1848 wäre in Preußen eine Revolution nötig gewesen, während in Württemberg die Reform möglich war. 7 Führt man diesen Gedanken weiter, entsteht für 1848 ein grundsätzliches Problem. Zwei verschiedene politische Verlaufsmuster bestanden innerhalb eines Handlungszusammenhangs. Die Nationalversammlung in Frankfurt mußte, um die geplante staatliche Neuordnung Deutschlands erfolgreich durchfuhren zu können, in den Einzelstaaten revolutionär und reformerisch zugleich sein. Reform und Revolution verkörperten jedoch nicht eine prinzipielle Alternative, sondern stellten zwei Möglichkeiten dar für unterschiedliche Regionen des Deutschen Bundes, in denen jeweils verschiedene Strukturbedingungen den politischen Ereignisverlauf beeinflußten. Diese Dichotomisierung der Entwicklungsmöglichkeiten war, neben der Illusion über die vermeintlich schon durchgeführte Revolution vor allem in Preußen, eine der Hauptursachen für das Scheitern der bürgerlichen Reformbewegung in der Paulskirche. Nicht so sehr die fehlende nationale - und damit politische - Einheit war eine Bedingung des Scheiterns von 1848, sondern es waren die jeweils verschiedenen Entwicklungswege, die die politische Reform und in deren Gefolge die nationale Einigung scheitern ließen.

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Abkürzungsverzeichnis

AAZ Aß BA Beil. Beob. CEH DVs DZ fl. GG GGr HSTAS HZ JfG JNS KdA KdSt kr. LV MEGA MEW Mg OA OÄer OAB Reg. bl. Schw. K. Schw. M. SOWI StA STAL StL UI US VF VSWG VE vu WF WJb

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Anmerkungen

Einleitung 1 HSTAS Ε 33, Bü 18; Ε 146, Bü 1967/I; L 15/F 2, 3-5; Erinnerungen an den Festzug der Württemberger zu Stuttgart am 28. 9. 1841, Stuttgart 1842,.S. 14 (Zitat); WJb 1841, S. 264ff.; Vaterländisches Gedenkbuch, Stuttgart 1843; Schw. M. 27. 9. 1841ff.Aus Anlaß des Festzugs war auf dem Schloßplatz eine Holzsäule errichtet worden. Später entstand dann der Plan, an deren Stelle ein Steindenkmal zu setzen. Die heute noch in Stuttgart befindliche »Jubiläumssäule« wurde 1846 fertiggestellt und 1863 auf ihr eine Concordiafigur errichtet; A. Adam u. R. v. Leibbrand, Die Jubiläumssäule in Stuttgart, Stuttgart 1893. 2 K. Weil, Zur Jubiläumsfeier des Königs Wilhelm, in: Deutscher Courier, Nr. 39, 27. 9. 1841, S. 2; Erinnerungen, S. 4. 3 H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jh., Bd. V, ND Königstein 1981, S. 49, 58, dort eine detaillierte Schilderung der Vorgänge; vgl. auch K. Streckfuß, Der Preußen Huldigungsfest, Berlin 1840; H. Obenaus, Parlamentarismus in Preußen vor 1848, Düsseldorf 1984, S. 524ff. (Zitat S. 522); unkritisch W. Bußmann, Eine histor. Würdigung Friedrich Wilhelms IV., in: K. Repgen u. S. Skalweit (Hg.), Spiegel der Geschichte, Münster 1964, S. 711-726. Vgl. auch die Broschürenkontroverse, die im Gefolge der Königsberger Verfassungsforderung entstand. Schon 1839 hatte K. Streckfuß, hoher preußischer Beamter, eine Konstitution für Preußen abgelehnt. Ihm entgegnete ein anonymer Autor in Ruges Halleschen Jahrbüchern unter dem Signum »Von einem Württemberger«. Ob sich dahinter Ruge selber verbirgt, wie Wende - wohl Treitschke folgend - anführt, ist fraglich. Neben inhaltlichen Unterschieden spricht dagegen, daß 1842 von Ruge eine Schrift erschien, die sich explizit gegen diesen Artikel wandte, »Der christl. Staat. Gegen den Württemberger über das Preußentum«; K. Streckfuß, über die Garantien der preuß. Zustände, Halle 1839; K. Streckfuß u. das Preußentum. Von einem Württemberger, in: Hallesche Jahrbücher 1839, S. 2089-2108; A. Ruge, Der christl. Staat. Gegen den Württemberger über das Preußentum, in: ders., Ges. Schriften, Bd. III, Mannheim 1846, S. 446-474; P. Wende, Radikalismus im Vormärz, Wiesbaden 1975, S. 188; v. Treitschke, Geschichte, Bd. V. S. 56. 4 M. Weber, Wirtschaft u. Gesellschaft, Tübingen 51980, S. 126. 5 A. de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, München 21984, S. 9. 6 Ebd., S. 4, 103, 105. - Zur Tocquevillerezeption in Deutschland T. Eschenburg, Tocquevilles Wirkung in Deutschland, in: ebd., S. 879-929. - Eine Artikelserie von Gervinus in der »Deutschen Zeitung« vom Februar 1848 weist Parallelen, aber auch bezeichnende Unterschiede zwischen der Position des deutschen Liberalismus u. der von Tocqueville auf In seinem Amerikabuch hatte Tocqueville zwei Hauptursachen benannt, die den Amerikanern eine Revolution erspart hätten: ihreföderaleStruktur wie die Beteiligung der Einwohner an der politischen Verantwortung, die Selbstverwaltung. Gervinus sah in seinen Artikeln über »Aussichten der Reformen u. Revolutionen in Europa« ebenfalls zwei Momente, die eine Revolution in Europa unwahrscheinlich machten. Einerseits dieföderaleStruktur, die Aufteilung in verschiedene Länder - in besonderer Weise innerhalb des Deutschen Bundes, wo deshalb eine Revolution am wenigstens zu befürchten sei -, andrerseits die Ausdehnung der Kommunikationsmöglichkeiten u. die Zunahme der öffentlichen Bildung; DZ 11.-13. 2. 1848, S. 329ff. Während Tocqueville die Bedeutung politischer Institutionen u. 221

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Anmerkungen zu S. 15-18 sozialer Gegebenheiten analysierte, betonte Gervinus die »Gleichheit der Kultur«, die Rolle der Bildung als revolutionshemmenden Faktor. Die idealistische Sichtweise des deutschen Bürgertums, seine Interpretation der Politik aus dem Geist der Kultur, resultierte auch aus dem Mangel an eben diesen politischen Institutionen. Die andersgelagerte, pragmatischreformerisch orientierte Stoßrichtung der Kritik in Staaten wie Württemberg mit einer langen Tradition u. vielfältigen Möglichkeiten politischer Partizipation kam in Beiträgen zum Ausdruck, die speziell auf Württemberg bezogen sind. Sie formulierten gleichsam ein Programm, auf das im Frühjahr 1848 zurückgegriffen wurde. O. Eiben, Das Verlangen nach Reformen in Württemberg, in: DZ 25. 1. 1848 ff., S. 193ff.; Über die polit. Zustände in Schwaben, in: US 13. 1. 1846ff., S. 33ff. Wegen idealistischer, nicht an konkrete Formen der polit. Partizipation gebundenen Positionen blieb Gervinus bereits Ende März, nach den Barrikadenkämpfen in Berlin, nur noch der moralische Appell an die Fürsten. G. G. Gervinus, Die deutschen Reformen, in: DZ 22. 3. 1848, S. 649f. Auch nach 1848 bleibt bei Gervinus eine eigentümliche Distanz gegenüber polit. Fragen. In seiner damals brisanten »Einleitung«, die ihm einen polit. Prozeß eintrug, verkündet er ebenso wie Tocqueville die Unaufhaltsamkeit der »demokratischen Bestrebungen«. Im Gegensatz zu jenem bleibt seine polit. Analyse jedoch unbestimmt, postuliert er nur die Gewißheit der »sozialen Revolution« ohne die Bedingungen einer evtl. daraus resultierenden »politischen Revolution« zu erörtern; G. G. Gervinus, Einleitung in die Geschichte des 19. Jh., Leipzig 1853, S. 171 (Zitat), v. a. S. 176. 7 F. Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation in Württemberg, Bd. II, Stuttgart 1906, S. 207f.; D. Langewiesche, Liberalismus u. Demokratie in Württemberg zwischen Revolution u. Reichsgründung, Düsseldorf 1974, S. 134. - Eine analoge Gegenüberstellung findet sich schon bei Edmund Burke, der ›Regierung‹ u. ›Freiheit‹ als komplementäre polit. Prinzipien beschreibt; E. Burke, Betrachtungen über die französische Revolution (1790), Zürich 1987, S. 42 f. 8 H. Sedatis, Liberalismus u. Handwerk in Südwestdeutschland, Stuttgart 1979; H.-U. Thamer, Emanzipation u. Tradition. Zur Ideen- u. Sozialgeschichte von Liberalismus u. Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jh., in: W. Schieder (Hg.), Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vormärz, Göttingen 1983, S. 55-73; J . J . Sheehan, Der deutsche Liberalismus 1770-1914, München 1983; ders., Liberalismus u. Gesellschaft in Deutschland 1815-1848, in: L. Gall (Hg.), Liberalismus, Köln 1976, S. 208-231; »einfache Marktgesellschaft« nach C. B. Macpherson, Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Frankfurt 1973, S. 65ff. 9 Zur Bedeutung der Gemeinde als Orientierungs- u. Handlungsrahmen für die vorindustrielle Zeit P. Blickle, Deutsche Untertanen, München 1981. Ein Beispiel für die auch 1848/49 noch prägende Rolle des Gemeindeverbandes als Bezugsrahmen des polit. Systems liefern die Agrarunruhen vom Frühjahr 1848. In Süddeutschland revoltierten u. agierten im wesentlichen die Gemeinden als Korporationen, als mehr oder weniger geschlossene Verbände, während in Norddeutschland bereits schichtspezifisch strukturierte Protestgruppen, v. a. Bauern u. Landarbeiter, auftraten u. divergierende bis konträre Interessen artikulierten; H.-J. Rupieper, Probleme einer Sozialgeschichte der Revolution 1848/49 in Deutschland, in: M. Salewski (Hg.), Die Deutschen u. die Revolution, Göttingen 1984, S. 157-178, hier S. 168f.; analoge Beispiele bei R. C. Carnevali, The ›False French Alarm‹: Revolutionary Panic in Baden 1848, in: CEH, Jg. 18, 1985, S. 119-142, hier S. 141. 10 L. Gall, Liberalismus u. ›bürgerliche Gesellschaft‹. Zu Charakter u. Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland (1974), in: ders. (Hg.), Liberalismus, S. 162-186; mit Modifikationen zu Gall D. Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt 1988, S. 20ff. 11 Diese Einwände zielen auf eine ›Empirisierung‹ des Galischen Modells, sie verfolgen damit eine andere Stoßrichtung als die bekannten Kritiker Galls, die aber weniger seine Interpretation des vormärzlichen Liberalismus als seinen kurzen Ausblick auf die weitere Entwicklung in der zweiten Jh. hälfte im Visier haben; W.J. Mommsen, Der dt. Liberalismus 222 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 19-20 zwischen ›klassenloser Bürgergesellschaft‹ u. ›organisiertem Kapitalismus‹, in: GG, Jg. 4, 1978, S. 77-90; D. Blackboum u. G. Eley, Mythen dt. Geschichtsschreibung, Frankfurt 1980. 12 Der Begriff ›Bürger‹ wurde in dreifacher Weise gebraucht. Als Staatsbürger bezeichnete er alle württ. Landesbewohner, mit im wesentlichen gleichen Rechtsansprüchen, die in der Praxis aber nur bedingt eingelöst wurden; P. Sauer, Im Namen des Königs. Strafgesetzgebung u. Strafvollzug im Königreich Württemberg von 1806-1871, Stuttgart 1984, S. 123f. Bürger war die undifferenzierte Sammelbezeichnung für die verschiedenen sozialen Gruppen der Selbständigen, der Stadtbürger, Bildungsbürger, Besitzbürger. Zum Teil vermengte sich dieser Begriff mit dem des Gemeindebürgers, der, ebenfalls an das Kriterium der Selbständigkeit gebunden, gleichzeitig lokale kommunale Privilegien umfaßte. Insbesondere die Beamten, in geringerem Umfang auch nichtbeamtete Bildungsbürger u. Industrielle besaßen vielfach kein Gemeindebürgerrecht. Wenn im folgenden vom württ. Bürgertum gesprochen wird, ist jene mittlere Kategorie des Bürgers, negativ abgegrenzt durch den Unterschied zum Adel u. den nicht selbständigen Schichten, zugrundegelegt. 13 Statt vieler Spezialliteratur vgl. die Ansätze zu einer gleichgewichtigen Bewertung der preuß., rheinbündischen u. z. T. auch österr. Tradition bei M. Botzenhart, Reform, Restauration, Krise. Deutschland 1789-1847, Frankfurt 1985; H. Lutz, Zwischen Habsburg u. Preußen. Deutschland 1820-1866, Berlin 1985. 14 Wintterlin, Behördenorganisation, A. Dehlinger, Württembergs Staatswesen in seiner geschichtl. Entwicklung bis heute, 2 Bde., Stuttgart 1951; neu jetzt v. a. B. Wunder, Privilegierung u. Disziplinierung. Die Entstehung des Berufsbeamtentums in Bayern u. Württemberg 1780-1825, München 1978; H. Bühler, Das beamtete Bürgertum Göppingens 1815-1848, Göppingen 1976; sowie die Beiträge von B. Mann und G. Nüske in der Deutschen Verwaltungsgeschichte. - Zur Umbruchphase um 1800 immer noch die hervorragenden Arbeiten von E. Hölzle (Das Alte Recht u. die Revolution, München 1931; Württemberg im Zeitalter Napoleons u. der dt. Erhebung, Stuttgart 1937), wobei man jedoch besonders dem zweiten Band die Entstehungszeit u. die völkische Begeisterung des Autors anmerkt. Zum Verfassungskampf J . Gerner, Vorgeschichte u. Entstehung der württ. Verfassung im Spiegel der Quellen (1815-1819), Stuttgart 1989; er gewährte mir in zuvorkommender Weise Einsicht in ein früheres Manuskript. 15 H. Brandt, Parlamentarismus in Württemberg 1819-1870, Düsseldorf 1987; für die Jh. mitte M. Botzenhart, Dt. Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848-1850, Düsseldorf 1977; für die Landtagsreform nach 1900 R. Menzinger, Verfassungsrevision u. Demokratisierungsprozeß im Königreich Württemberg, Stuttgart 1969. 16 Brandt, Parlamentarismus, S. 15. 17 Langewiesche, Liberalismus; W. Kaschuba u. C. Lipp, 1848 - Provinz u. Revolution, Tübingen 1979; C. Lipp (Hg), Schimpfende Weiber u. Patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz u. in der Revolution 1848/49, Bühl 1986; sowie die verschiedenen Aufsätze der beiden. Ansonsten vgl. v. a. W. Boldt, Die württ. Volksvereine von 1848 bis 1852, Stuttgart 1970; B. Mann, Die Württemberger u. die dt. Nationalversammlung, Düsseldorf 1975; F. Mögle-Hofacker, Zur Entwicklung des Parlamentarismus in Württemberg. Der ›Parlamentarismus der Krone‹ unter König Wilhelm I., Stuttgart 1981; E. Sieber, Stadt u. Universität Tübingen in der Revolution von 1848/49, Tübingen 1975. - An allgemeinen Darstellungen zur Geschichte der Jahre 1848/49 sind noch immer die Standardwerke von V. Valentin, Geschichte der dt. Revolution 1848/49, 2 Bde., Berlin 1930/31/ND Köln 31970; u. R. Stadelmann, Soziale u. polit. Geschichte der Revolution von 1848 (1948), München 21970, zu nennen, sowie jetzt W. Siemann, Die dt. Revolution von 1848/49, Frankfurt 1985; aber auch die betreffenden Kapitel bei K.-G. Faber, Dt. Geschichte im 19. Jh., Wiesbaden 1979; T. Nipperdey, Dt. Geschichte 1800-1866, München 1983; H.-U. Wehler, Dt. Gesellschaftsgeschichte II, München 1987. Einen guten Überblick über die Forschungslage geben D. Langewiesche, Die dt. Revolution von 1848/49 u. die vorrevolutionäre Gesellschaft: Forschungsstand u. Forschungsperspektiven, in: Aß, Jg. 21, 1981, S. 458-498; ders., Einleitung, in: ders. (Hg.), Die dt. 223 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 20-23 Revolution 1848/49, Darmstadt 1983, S. 1-20; Rupieper, Sozialgeschichte; zur DDR-Forschung J . Schradi, Die DDR-Geschichtswiss. u. das bürgerl. Erbe. Das dt. Bürgertum u. die Revolution von 1848 im Sozialist. Geschichtsverständnis, Frankfurt 1984. Vgl. außerdem als Überblick die Bibliographien bei Siemann, Revolution; D. Langewiesche (Hg.), Die dt. Revolution 1848/49, Darmstadt 1983. Der Problemkreis der Verwaltung ist für 1848 bisher kaum untersucht worden. Außer dem wenig rezipierten Werk von H. Heffter, Die dt. Selbstverwaltung im 19. Jh., Stuttgart 21969; geben jetzt die einzelnen Artikel in der von Jeserich u. a. herausgegebenen mehrbändigen Verwaltungsgeschichte einen vorläufigen Überblick. Für 1848 sind zwei ältere Arbeiten zu nennen, die sich mit Selbstverwaltung beschäftigen, G. Erler, Die verwaltungspolit. Ideen der 1848er Bewegung, Diss. Münster 1928; K. Utermann, Der Kampf um die preuß. Selbstverwaltung im Jahre 1848; Berlin 1937/ND Vaduz 1965. Vgl. allgemein auch G.-C. v. Unruh, Spannungen zwischen Staats- u. Selbstverwaltung im bürgerl. u. im sozialen Rechtsstaat, in: Der Staat, Jg. 4, 1965, S. 441-468. 18 K. Megerle, Württemberg im Industrialisierungsprozeß Dt., Stuttgart 1982; W. v. Hippel, Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg, 2 Bde., Boppard 1977; sowie seine Arbeiten zum Pauperismus u. zur ländlichen Industrialisierung; W. Kaschuba u. C. Lipp, Dörfliches Überleben, Tübingen 1983. 19 Mit dem Schwerpunkt auf dem Beginn des hier untersuchten Zeitraums H. Medick, Von der Bürgerherrschaft zur staatsbürgerl. Gesellschaft. Württemberg - ein Musterländle? in: Grundkurs bürgerl. Gesellschaft in Deutschland, Kurseinheit 1: Alte Ordnung u. Veränderung, Fern Universität Hagen 1985, S. 26-73, MS. In diese Richtung weist auch die Arbeit von R. Waibel in Tübingen, der an einer Studie über Sozialstruktur u. Organisationsverhalten des frühen Liberalismus in Württemberg am Beispiel des Stuttgarter Magistrats u. der Bewegung gegen die Lebenslänglichkeit der Gemeinderäte arbeitet. Das ›Revolutionskulturprojekt‹ von W. Kaschuba u. C. Lipp wird ebenfalls die lange Vorgeschichte vor 1848 miteinbeziehen. 20 Vgl. nur Blickle, Untertanen; von den älteren Arbeiten K. S. Bader, Dorf u. Dorfgemeinde in der Sicht des Rechtshistorikers, in: ZAA, Jg. 12, 1964, S. 10-20; A. Gasser, Gemeindefreiheit u. die Zukunft Europas, in: ders., Ausgew. histor. Schriften 1933-1983, Basel 1983, S. 460-484. In letzter Zeit wurde der ›Kommunalismus‹ am ehesten fruchtbar gemacht zur Beschreibung einer ländlichen Sozialform u. zur Analyse bäuerl. Protestverhaltens, vgl. nur D. Sabean, Die Dorfgemeinde als Basis der Bauernaufstände in Westeuropa bis zu Beginn des 19. Jh., in: W. Schulze (Hg.), Europ. Bauernrevolten der frühen Neuzeit, Frankfurt 1982, S. 191-205. I. Die Entstehung des Staates 1 H. U. Gumbrecht (Hg.), Lichtenberg in England, Bd. I, Wiesbaden 1977, S. 182. Ähnlich auch der Engländer James Fox, für den um 1800 Württemberg das einzige Land in Europa neben England - war, das eine Verfassung besaß; W. Grube, Der Stuttgarter Landtag 1457-1957, Stuttgart 1957, S. 5. Dazu auch The States of Wirtemberg, in: Edinburgh Review, Jg. 29, 1818, S. 337-363. F. Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Dt. u. die Schweiz im Jahre 1789, Bd. X, Berlin 1795, S. 26f., hebt hervor, daß diese Meinung in Württemberg sehr verbreitet gewesen sei, er selber widerspricht ihr jedoch. »Auch zeigt doch J.J. Mosers u. Schubarts Geschichte, daß Wirtemberg keine Habeas-corpus-Akte hat.« In der Literatur findet man die Begriffe Landtag, Landstände u. Landschaft z. T. synonym, z. T. mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt verwandt. Tendenziell bezeichnet hier Landtag die Institution der ständischen Vertretung (inklusive ihrer Vertreter), die sich in Stuttgart versammelte; Landstände die Abgeordneten, aber auch generell die landstandsfähigen sozialen Gruppen; Landschaft die Gesamtheit des Landes bzw. die Gesamtheit der ständischen Autorität gegenüber der herzoglichen Gewalt bzw. Herrschaft. 2 Das Wiederaufleben der Stände im 18. Jh. hatte mehrere Gründe: die säkulare Verbesse224 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 24-25 rung der Agrarkonjunktur stärkte die Landschaftskasse (die in Württemberg zudem durch den hohen Anteil an finanzkräftigen Städten größere Summen konzentrierte); die Verfassungsentwicklung des Reiches verbesserte die Stellung des Kaisers als Wächter der Verfassungsverhältnisse gerade in den kleineren Staaten; Aufklärung u. Naturrecht lieferten auch ein theoretisches Widerstandspotential gegen den Absolutismus; V. Press, Herrschaft, Landschaft u. ›gemeiner Mann‹ in Oberdt., in: ZGO, Jg. 123, 1975, S. 169-214, hier S. 210ff.; zu letzterem allg. F. Valjavec, Die Entstehung der polit. Strömungen in Dt. 1770-1815, ND Kronberg 1978, S. 39-87. 3 Die von der bürgerl. Oberschicht der Landesstädte getragene Landschaft erkämpfte eine dauernde u. bis zum Ende des Alten Reiches wirksame polit. Stellung, die »singulär in der dt. Geschichte« war; V. Press, Steuern, Kredit u. Repräsentation. Zum Problem der Ständebildung ohne Adel, in: ZHF, Jg. 2, 1975, S. 59-93, hier S. 89f. - Zu den württ. Ständen allg. F. L. Carsten, Princes and Parliaments in Germany from the Fifteenth to the Eighteenth Century, Oxford 1959, S. 1-148; Grube, Landtag; ders., Stände in Württemberg, in: Von der Ständeversammlung zum demokrat. Parlament, Stuttgart 1982, S. 31-50; Η. Lehmann, Die württ. Landstände im 17. u. 18. Jh., in: D. Gerhard (Hg.), Ständische Vertretungen in Europa im 17. u. 18. Jh., Göttingen 1969, S. 183-208; R. Vierhaus, Land, Staat u. Reich in der polit. Vorstellungswelt dt. Landstände im 18. Jh., in: HZ, Jg. 223, 1976, S. 40-60, hier S. 50ff.; G. Storz, Karl Eugen, Stuttgart 1981; J . A. Vann, Württemberg auf dem Weg zum anderen Staat 1593-1793, Stuttgart 1986. Insbesondere aber Hölzle, Altes Recht; ders., Der dt. Südwesten am Ende des Alten Reiches, Stuttgart 1938; trotz seiner am preuß. Vorbild messenden Staatsbewunderung u. der daraus resultierenden harschen Ständekritik ist Hölzles ›Altes Recht‹ die instruktivste u. scharfsichtigste Darstellung des ständischen Dualismus in Württemberg. P. Blickle, Polit. Repräsentation der Untertanen in südwestdt. Kleinstaaten, in: Ständeversammlung, S. 93-102; betont den sozial exklusiven Charakter der Landschaft u. die geringe Beteiligung der Bauern, die jedoch seit dem 17. Jh. beständig zunahm; ders., Landschaften im Alten Reich, München 1973, S. 95f. Trotz aller Antiquiertheit u. Rückständigkeit der Stände lassen sich manche Linien bis ins 19. Jh. verfolgen; V. Press, Landtage im Alten Reich u. im Dt. Bund, in: ZWLG, Jg. 39, 1980, S. 100-140; ders., Der württ. Landtag im Zeitalter des Umbruchs 1770-1830, in: ZWLG, Jg. 42, 1983, S. 256-281; Ständeversammlung. 4 Grube, Stände, S. 35f.;ders.,Landtag, S. 74ff.; Vann, Württemberg, S. 35. 5 Grube, Landtag, S. 197ff.; Hölzle, Altes Recht, S. 6ff. 6 Grube, Landtag, S. 224ff., 296ff., 389; ders., Stände, S. 40ff., 47.-Als 1733ein katholischer Herzog den Thron bestieg, mußte er die evangelische Landesreligion bestätigen u. die landesbischöflichen Rechte an den Geheimen Rat abtreten. Garantiert wurde das Abkommen durch den Regensburger Reichstag, sowie durch Preußen, England u. Dänemark. 7 So auch die Stoßrichtung von Hölzles Kritik an Ständen u. Herzog; Hölzle, Altes Recht, S. 5 ff., u. ö. Bis auf wenige Ausnahmen in der neueren Literatur - wie z. Β. Blickle, der sein Augenmerk auch auf das in den Ständen enthaltene Demokratisierungspotential richtet - wird die württ. Geschichte der Frühen Neuzeit zumeist aus der Verliererposition der verhinderten bzw. verzögerten Staatsbildung geschrieben. Gegenüber dem idealisierten preuß. Vorbild erscheint das Beharrungsvermögen der Stände als gescheiterter Sonderweg, der meist als Sackgasse beschrieben wird. - Zum Erbvergleich u. den ihm vorangehenden Konflikten vgl. Grube, Landtag, S.409ff.; R. Rürup, J.J. Moser. Pietismus u. Reform, Wiesbaden 1965, S. 174 ff. 8 E. Hinrichs, Zum Stand u. zu den Aufgaben gegenwärtiger Absolutismusforschung, in: ders. (Hg.), Absolutismus, Frankfurt 1986, S. 7-32, hier S. 12f.; P. Anderson, Die Entstehung des absolutistischen Staates, dass. 1979, S. 35ff. Zur Frage nach der ›Lebensfähigkeit‹ des Alten Reiches am Ende des 18. Jh. vgl. K. O. Frh. v. Aretin, Das Heilige Römische Reich Dt. Nation, in: O. Büsch u. J.J. Sheehan (Hg.), Die Rolle der Nation in der dt. Geschichte u. Gegenwart, Berlin 1985, S. 73-83. 225 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 25-28 9 Lehmann, Landstände, S. 201; B. Wunder, Privilegierung, S. 36f.; Vann, Württemberg, S. 197, 228, 236. 10 Hölzle, Altes Recht, S. 20ff.; W. Lang, Auswärtige Politik der württ. Stände, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 50, 1882, S. 372-405, 464-494. 11 Ebd., S., 17ff. Die Steuererträge der Stände betrugen etwa 1 Mio. fl, von denen ihnen ca. 300000 fl. zur eigenen Verfügung - in der ›geheimen Truhe‹ auch ohne herzogliche Kontrolle - blieben. Damit bezahlten sie u. a. ihre eigenen ständischen Beamten, finanzierten ihre Klagen vor dem Reichshofrat u. unterhielten zuletzt eigene Gesandte. Zudem blieben Steuereinzug u. -Verwaltung in der Hand der Stände. 12 Um 1760 umfaßte der Hofstaat über 1 800 Bedienstete, während kurz zuvor, nach dem Tod Karl Alexanders, das Heer auf 1426 Mann reduziert worden war; Carstens, Princes, S. 129f.; Vann, Württemberg, S. 247, 328. 13 W. Grube, Die württ. Landstände u. die Grävenitz, in: ZWLG, Jg. 40, 1981, S. 476-495, hier S. 478, 483; für den französischen Hof unter Ludwig XV. vgl. den Klassiker der Gebrüder Goncourt, Frau von Pompadour, München 1924; allg. N. Elias, Höfische Gesellschaft, Frankfurt 1983. 14 Vann, Württemberg, S. 156, 189, 240, 244, 277. 15 Lehmann, Landstände, S. 200f., Zitat S. 185; Blickle, Landschaften, S. 90; Grube, Stände, S. 40; ders., Dorfgemeinde u. Ämterversammlung in Altwürttemberg, in: ZWLG, Jg. 13, 1954, S. 194-219, hier S. 197. 16 H. E. Specker, Die Verfassung u. Verwaltung der württ. Amtsstädte im 17. u. 18. Jh., in: E. Maschke u. J . Sydow (Hg.), Verwaltung u. Gesellschaft in der südwestdt. Stadt des 17. u. 18. Jh., Stuttgart 1969, S. 1-21, hier S. 19f.; mit Angaben für Sindelfingen F. Heimberger, Geschichte der polit. Parteien in Sindelfingen, in: Stadt Sindelfingen, Sindelfingen 1968, S. 264—294, hier S. 267ff. Die Affinität von Beamtentum u. Stände aus dem Blickwinkel des gescheiterten Absolutismus kritisierend Hölzle, Altes Recht, S. 28 f. Etwas einseitig die »auschließliche Abhängigkeit der Dienerschaft vom Herzog« betonend, ohne die sozialen Querverbindungen zu beachten, B. Wunder, Privilegierung, S. 36ff., Zitat S. 44. Zur Geistlichkeit M. Hasselhorn, Der altwürtt. Pfarrstand im 18. Jh., Stuttgart 1958; H. Hermelink, Geschichte der evangel. Kirche in Württemberg von der Reformation bis zur Gegenwart, Stuttgart 1949. 17 B. Vopelius-Holtzendorff, Das Nagolder Cahier u. seine Zeit, in: ZWLG, Jg. 37, 1978, S. 122-178, hier S. 142. Zu Gemeindeverfassung u. Amtsversammlung, wie zum Verwaltungsapparat generell siehe Grube, Dorfgemeinde, S. 204ff.; F. Benzing, Die Vertretung von ›Stadt u. Land‹ im altwürtt. Landtag, Diss. Tübingen 1924; A. Rieger, Die Entwicklung des württ. Kreisverbandes, Diss. Tübingen 1952; sowie die beiden handbuchartigen Standardwerke von Dehlinger u. Wintterlin. Von ca. 1 200 württ. Dörfern waren etwa 50 durch eigene Abgeordnete (ca. 10) auf dem Landtag vertreten: Grube, Dorfgemeinde, S. 198. 18 Ebd., S. 201ff. 19 Blickle, Landschaften, S. 92; Grube, Dorfgemeinde, S. 219, der hervorhebt, daß die Regierung den Aufstieg der Dorfgemeinden durch Gesetzgebung u. Entscheidung von Streitfällen bewußt förderte. 20 Zum Dualismus von Selbstverwaltungseinheit u. ›staatlichem‹ Verwaltungsbezirk knapp Dehlinger, Staatswesen, § 34 f. 21 Zum Nagolder Cahier, einer Art Beschwerdeschrift, verfaßt auf einem Vorparlament des Oberlandes Vopelius-Holtzendorff, Nagolder Cahier. Dort auch ein Nachdruck des Cahier, das die einzelnen Gravamina enthält. - Bezeichnend für das ständische Bewußtsein Baz' Flugschrift, in der er das Petitionsrecht als ständische Waffe gegen den Regenten verteidigt, wenn dieser sich »statt eines Verwalters u. ersten Vollziehers der Gesetze für einen unumschränkten Selbstherrscher« hält; C. F., Baz, Über das Petitionsrecht der württ. Landstände, in: H. Scheel, Jakobin. Flugschriften aus dem dt. Süden am Ende des 18. Jh.; Berlin 1965, S. 188 ff. Vgl. dazu B. Vopelius-Holtzendorff, Das Recht des Volkes auf Revolution? C. F. Baz 226 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 28-30 u. die Politik der württ. Landstände von 1797-1800 unter Berücksichtigung von Hegels Frankfurter Schrift von 1798, in: C. Jamme u. O. Pöggeler (Hg.), ›Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde‹. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, Stuttgart 1983, S. 104-134; H.-C. Lucas, ›Sehnsucht nach einem reineren, freieren Zustande‹. Hegel u. der württ. Verfassungsstreit, in: ebd., S. 73-103. 22 G. W. F. Hegel, Beurteilung der in Druck erschienenen Verhandlungen in der Versammlung der Landstände des Königreichs Württemberg imJahre1815u.1816(1817), in:ders., Werke, Bd. IV, hg. von E. Moldenhauer u. K. M. Michel, Frankfurt 1970, S. 462-597, hier S. 464. 23 W. L. Wekhrlin, Anselm Rabiosus Reise durch Ober-Deutschland, in: ders., Schriften, Bd. I, ND Nendeln 1978, S. 106; Hegel, Beurteilung, S. 566, 575. Der jüngere Moser nannte sie, auf die unzähligen Sportein abzielend, »das Geschlecht, das sich schmieren läßt«; F. C. Moser, Die Schmieralien, in: Patriotisches Archiv für Dt., Bd. IX, Mannheim 1788, S. 347-358, hier S. 352; dazu auch Hölzle, Altes Recht, S. 29, 49. 24 Hegel, Beurteilung, S. 464. 25 D. F. Strauß, König Wilhelm von Württemberg (1864), in: ders., Ges. Schriften, Bd. I, Bonn 1876, S. 217-235, hier S. 220. Als Herzog war er Friedrich IL, als König Friedrich I. 26 Zit. n. Hölzle, Altes Recht, S. 203., 27 Ebd., S. 332. Zu Friedrich allg. P. Sauer, Der schwäbische Zar, Stuttgart 1984, hier S. 192ff., 238ff. 28 Die Gebietserweiterung erfolgte in mehreren Stufen zwischen den Frieden von Luneville (1801) u. Fulda (1813), W. Grube u. H. Haller, Württemberg in napoleonischer Zeit, in: Histor. Atlas von Baden-Württemberg, Bd. VII/2, S. 1-8; dort auch eine genaue Auflistung der einzelnen Erwerbungen. - Zu den Einzelproblemen der staatl. Integration von vormals reichsstädtischen, reichsadligen u. kirchl. Gebieten vgl. zu Reichstädten A. Laufs, Die Verfassung der Reichsstadt Rottweil im Zeitalter der Mediatisierung, in: Maschke u. Sydow, Verwaltung, S. 84-102; W. Döring, Die Mediatisierung der ehemaligen Reichsstadt Hall durch Württemberg 1802/03, Diss. Tübingen 1981; zum Adel K. S. Bader, Zur Lage u. Haltung des schwäbischen Adels am Ende des Alten Reiches, in: ZWLG, Jg. 5, 1941, S. 335-359; W. Mößle, Fürst Maximilian Wunibald von Waldburg-Zeil-Trauchburg (1750-1818), Stuttgart 1968; E. Stemmler, Die Grafschaft Hohenberg u. ihr Übergang an Württemberg, Stuttgart 1950; W. v. Stetten, Die Rechtsstellung der unmittelbaren freien Reichsritterschaft, ihre Mediatisierung u. ihre Stellung in den neuen Landen, Schwäbisch Hall 1973; G. Zollmann, Adelsrechte u. Staatsorganismus im Königreich Württemberg 1806-1817, Diss. Tübingen 1971; zur Kirche M. Erzberger, Die Säkularisation in Württemberg von 1802-1810, Stuttgart 1902/ND Aalen 1974; über die Unberührtheit der dörflichen Lebenswelt vom Herrschaftswandel U. Jeggle, Kiebingen, Tübingen 1977, v. a. S. 42-66. 29 Zit. n. M. v. Raumer, Dt. um 1800, Wiesbaden 1980, S. 281. 30 B. Wunder, Privilegien, S. 307. Im vielfach größeren Preußen war die Zahl der Beamten zur selben Zeit nur ungefähr doppelt so hoch; Schätzungen gehen für die Zeit um 1800 von einer etwa 23000 Personen umfassenden Beamtenschaft aus; ders., Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt 1986, S. 45. 31 W.-S. Kircher, Adel, Kirche u. Politik in Württemberg 1830-1851, Göppingen 1973; K. D. Hömig, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 u. seine Bedeutung für Staat u. Kirche, Tübingen 1969; C. Bauer, Polit. Katholizismus in Württemberg bis zum Jahre 1848, Freiburg 1929; P. Blickle, Katholizismus, Aristokratie u. Bürokratie im Württemberg des Vormärz, in: Histor. Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 88, 1968, S. 369-406, hier S. 406, der als Ursache für die nicht zustande gekommene Verbindung von mediatisiertem kathol. Adel u. kathol. Bevölkerung, welche eine für den württ. Staat gefährliche Sprengwirkung hätte entwickeln können, letztlich nur die nicht vollzogene Bauernbefreiung anfuhrt. Vgl. auch H. v. Treitschke, K. A. v. Wangenheim, in: ders., Histor. u. polit. Aufsätze, Bd. I, Leipzig 71911, S. 197-268, hier S. 211, der Adel sei in allen Rheinbundstaaten das »gefährlichste Element der Opposition« gewesen. 227 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 30-33 32 L. Weisser, Rottweils Wirtschaft u. Gesellschaft vom Ende der Reichsstadtzeit bis zum 1. Weltkrieg, Rottweil 1978, Tab. 3a u. b. Vgl. allg. zur Regulierung der Staatsschuld in Württemberg, zur ›Bürokratisierung, Verrechtlichung, Kommerzialisierung‹ des Kredits H.P. Ulimann, Überlegungen zur Entstehung des öffentlichen, verfassungsmäßigen Kredits in den Rheinbundstaaten, in: GG, Jg. 6, 1980, S. 500-522. - Knappe Überblicke der württ. Wirtschaft um 1800 bei W. A. Boelcke, Die Wirtschaft in der Zeit des Spätmerkantilismus (1770-1780), in: Histor. Atlas, XI/4, S. 1-15; O. Borst, Die Wirtschaftl. Führungsschichten in Württemberg 1790-1850, in: H. Helbig (Hg.), Führungskräfte der Wirtschaft 1350-1850, Limburg 1973, S. 229-279. 33 Zur Dominanz des polit. Bereichs im Reformprozeß des ›dritten‹ Dt. vgl. H. Berding u. H.-P. Ullmann, Veränderungen in Dt. an der Wende vom 18. zum 19. Jh., in: dies. (Hg.), Dt. zwichen Revolution u. Restauration, Düsseldorf 1981, S. 11-40. 34 Zur ersten Phase von »Besitzergreifung u. Organisation« (S. 115) grundlegend M. Miller, Die Organisation u. Verwaltung von Neuwürttemberg unter Herzog u. Kurfürst Friedrich, in: WVjL, Jg. 37, 1931, S. 112-176, S. 266-308, Jg. 41, 1933, S. 75-135, 232-292; M. Holzmann, Die Gliederung der OÄer im Königreich Württemberg, in: ZWLG, Jg. 38, 1979, S. 164-87; zum Gesamtprozeß Wintterlin, Behördenorganisation, I; B. Mann u. G. Nüske, Württemberg 1803-1864, in: K. G. A. Jeserichu. a. (Hg.), Dt. Verwaltungsgeschichte, Bd. II, Stuttgart 1983, S. 551-583; zur Entstehung des Berufsbeamtentums B. Wunder, Privilegierung; zum Heerwesen, bei dem sich ein ähnlicher Verlauf von rigoroser Modernisierung (unter Friedrich) u. anschließendem Kompromiß mit ständischen Traditionen (unter Wilhelm) beobachten läßt, P. Sauer, Das württ. Heer in der Zeit des Dt. u. des Norddt. Bundes, Stuttgart 1958; ders., Die Neuorganisation des württ. Heerwesens, in: ZWLG, Jg. 26, 1967, S. 395-420. 35 Reg. bl. 1819, S. 633-682; ebd., 1822, S. 131-192. 36 Es war, im Rahmen der Kompetenzen der Gemeinden, ein Judikative, Exekutive u. Legislative - wenn man diese Staatsrechtl. Begriffe einmal auf Dörfer von ein paar Hundert Seelen überträgt - vereinendes Organ. 37 So die Kommunordnung, zit. n. F. Klemm, Die württ. Gemeindeverfassung von 1822 u. ihre Vorläufer, Tübingen 1976, S. 9. 38 Im wesentlichen nach Klemm, Gemeindeverfassung, S. 6ff.; Dehlinger, Staatswesen, § 34; Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. I, S. 61 f.; Grube, Dorfgemeinde. - Ist die Literatur über die städtische Führungsschicht, die Ehrbarkeit schon dünn, so gibt es über die dörfliche Hierarchie praktisch keine Angaben. Wie ein relativ allgemeines Wahlrecht (der Bürger) für Schultheißen u. Rat, z. T. sicherlich aufgefangen durch die Selbstergänzungspraktiken, dennoch keine den gemeindlichen Rahmen sprengenden sozialen Konflikte nach sich zog, ist zwar auf dem Hintergrund des dörflichen Verbandes als Lebens- u. Überlebenseinheit verständlich, trotzdem aber erklärungsbedürftig. Auch die ›Kiebinger‹ Studien bieten hier keine detaillierte Analyse bzw. Interpretation an. Daß genügend Zündstoff für innerdörfliche Auseinandersetzungen bestand, zeigt sich z. Β. in den Nutzungsregelungen der Allmende. Im (altwürtt.) Heidenheimer Gebiet erfolgte seit dem 16. Jh. eine beständig zunehmende Beteiligung der Seidner u. Beisitzer am Gemeindeland - ein konfliktreicher Angleichungsprozeß von Bürgern u. Beisitzern/Seidnern; vgl. H. Grees, Die bäuerl. Kulturlandschaft der Ostalb, Diss. Tübingen 1961, S. 263 ff.; ders., Ländl. Unterschichten u. ländl. Siedlung in Ostschwaben, Tübingen 1975, S. 27 ff. 39 Dehlinger, Staatswesen, § 34f.; Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. I, S. 61 f.; W. Grube, Vogteien, Ämter, Landkreise in der Geschichte Südwestdt., Stuttgart 1960, S. 18ff.; ders., Dorfgemeinde; vgl. auch S. 103 ff. 40 Ders., Vogteien, S. 40f., 1776 gab es in Württemberg 60 weltliche Ämter, 19 (zumeist kleinere) Stabs- und Klosterämter; Dehlinger, Staatswesen, § 35. 41 Zur Verankerung der OAmänner in ihren Bezirken Grube, Vogteien, S. 38f.; für den Geheimen Rat vgl. Vann, Württemberg. Anders dagegen B. Wunder, der den langfristigen Prozeß der ›Disziplinierung‹ beschreibt. 228 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 33-34 42 Im Erbvergleich wurde nicht nur die Position des Landtags gegenüber dem Herzog bestätigt, es wurden auch auf der Bezirksebene die Rechte der Korporationen gegen Eingriffe u. Willkürmaßnahmen der herzoglichen Beamten gestärkt. Die Beamten wurden zur Einhaltung der Gesetze verpflichtet, sie sollten keine den »Landesfreiheiten zuwiderlaufenden Befehle erteilen« (§ 3), während andrerseits auch die Eigenständigkeit der Korporationen garantiert wurde (Wahlen von Vertretern, Selbstversammlungsrecht, eigene Bedienstete etc.; § 4ff.). Vgl. 6. Klasse des Erbvergleichs, ›Miscellanea betreffend‹, in: A. L. Reyscher (Hg.), Vollständige historisch u. kritisch bearbeitete Sammlung der württ. Gesetze, Tübingen 1828-1851, hier Bd. II, S. 598ff. 43 G. Rümelin, Das alte gute Recht, in: ders., Reden u. Aufsätze, Freiburg 1881, S. 442-472, hier S. 459. 44 H. Fischer (Hg.), Schwäbisches Wörterbuch, 6 Bde., Tübingen 1904ff., hier Bd. II, S. 753. Vgl. H. Liebel, The Bourgeoisie in Southwestern Germany, 1500-1789; A Rising Class? in: International Review of Social History, Jg. 10, 1965, S. 282-307, hier S. 294ff., die die Ehrbarkeit zwar zu stark als Klasse (bei ihr als ›Bourgeoisie‹) u. weniger als Stand beschreibt, dennoch aber einen informativen Überblick über deren soziale Basis gibt. Stand u. Klasse im Sinne der Kockaschen Definition, J . Kocka, Stand-Klasse-Organisation: Strukturen sozialer Ungleichheit in Dt. vom späten 18. bis zum frühen 20. Jh. im Aufriß, in: H.-U. Wehler (Hg.), Klassen in der europ. Sozialgeschichte, Göttingen 1979, S. 137-165, hier S. 138 ff. Die württ. Ehrbarkeit konstituierte sich in sehr geringem Ausmaß über Marktprozesse, sie konzentrierte in sich - als ›Herrenstand‹ - die verschiedensten Privilegien, sie war schließlich ebenfalls »abgegrenzt durch differentielle Lebensführung u. Alltagsnormierung«; ebd., S. 140. 45 Die Literatur über die württ. Ehrbarkeit ist recht spärlich: H.-M. Decker-Hauff, Die Entstehung der altwürtt. Ehrbarkeit (1250-1534), Diss. Wien 1946; W. Bernhardt, Die Zentralbehörden des Herzogtums Württemberg u. ihre Beamten 1520-1629, Stuttgart 1972; R. Seigel, Gericht u. Rat in Tübingen, Stuttgart 1960, S. 47ff. Ausgespart bleibt hier die Frage, inwiefern die dörfliche Oberschicht ebenfalls unter dieser Bezeichnung zu fassen ist; K. S. Bader, Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterl. Dorfes, Köln 1962, Bd. II, S. 286ff.; ders., Dorfpatriziate, in: ZGO, Jg. 101, 1953, S. 269-274. In der zeitgenössischen Kritik findet man die Unterscheidung in Untertanen u. Herrenstand (als Gleichsetzung mit der Ehrbarkeit) recht häufig. H. Keßler, einer der Reformer um F. List, charakterisierte 1820 diesen Stand. Er sei in Kasten geteilt, »nämlich in den geistlichen Stand, in den Beamtenstand, in den Schreiberstand u. in den Stand der Ratsherren, der seine höchsten Glieder im landschaftlichen Ausschuß hatte. Alle diese Stände (Personen von Stand) zusammen machten den Honoratiorenstand aus«; VF 28. 10. 1820, S. 336. Insbesondere die Abgrenzung gegenüber dem Adel u. dem Militär war dabei sehr rigide. Der Buchhändler Hauff aus Tübingen schrieb 1818 an seinen Sohn, einen Pfarrer: »So würde ich auch niemalen zugestehen, daß meine Tochter eine Partie machte, die, sei sie auch äußerlich noch so glänzend, doch in keinem Wege dem Werte u. dem Zuschnitt unseres Hauses angemessen oder uns in menschlicher Hinsicht auch nur genehm sein möchte. Ein Offizier mag so gut oder so schlecht sein als er will, er ist als Stand doch immer unter uns u. noch der beste davon ist ein Hungerleider, von der Moral nicht zu reden. «Zit. n. Hasselhom, Pfarrstand, S. 31 f., der auch die große Distanz zum Hofleben hervorhebt. 46 Das passive Wahlrecht besaßen in Württemberg die etwa 1500 Magistratsangehörigen, davon waren ca. 1250 Stadtbürger; Vopelius-Holtzendorff, Nagolder Cahier, S. 139f.; vgl. auch O. Burkhart, Die Zusammensetzung der württ. Landstände in der geschichtl. Entwicklung, Diss. Würzburg 1922. Vereinzelt waren auch Bauern im Landtag vertreten, Knapp berichtet sogar von seltenen Fällen, bei denen leibeigene Bauern als Ständevertreter amtierten; T. Knapp, Leibeigene Bauern auf den württ. Landtagen, in: JNS, Bd. 118, 1922, S. 531 f. 47 Trotz der Aufstiegschancen blieben die Honoratioren für die unteren Schichten aber eindeutig ein Herrenstand. Zudem wurden manche Aufstiegswege im 18. Jh. enger, z. Β. 229 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 34-36 wurde die Möglichkeit, den Pfarrberuf zu erlernen durch Verbote für bestimmte Schichten wie durch Reduzierung von Stipendien erschwert. Für den Pfarrnachwuchs liegen Rekrutierungsangaben vor, der Anteil der einzelnen Gruppen betrugfürdie Jahre 1763-1800: Honoratioren 83,4% Bürgerliche (v. a. Gewerbetreibende, aber auch nichtakademische ›Bildungsberufe‹ wie Lehrer, Ärzte usw.) 13,6% Magistrate (Bürgerliche in Selbstverwaltungsfunktionen) 3,1% [1 Bauernsohn u. 2 Weingärtnersöhne] Hasselhorn, Pfarrstand, S. 32f. Dennoch wurden die Geistlichen kein abgeschlossener Stand. Auch nach den Beschränkungen durch das Generalreskript von 1749 kamen in der zweiten Jahrhunderthälfte noch immer 6% der Blaubeurer Klosterschüler aus Handwerkerfamilien (gegenüber 15% in der ersten Jh. hälfte); I. Eberl, Die Klosterschüler in Blaubeuren 1708-1751, in: Blätter für württ. Kirchengeschichte, Jg. 77, 1977, S. 25-100; ders., Die Klosterschüler in Blaubeuren 1751-1810, in: ebd., Jg. 80/81, 1980/81, S. 38-141, hier S. 100. 48 Miller, Organisation, 1931, S. 284ff., Zitat S. 304. Vgl. auch die liberale Kritik des 19. Jh., die die wesentlichen Interpretationslinien vorzeichnete; C. T. Perthes, Polit. Zustände u. Personen, Bd. I, Gotha 1862, S. 525 ff. 49 Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. I, S. 1%. 50 Zur Behördenorganisation vgl. insbesondere die Dekrete vom 12. 6. 1806 (Errichtung der sechs Departments), das Organisationsmanifest vom 18.3.1806 (für den gesamten Behördenapparat), die Reskripte vom 2. 11. 1807 u. 1. 2. 1811 (Bürosystem), vom 28. 6. 1811 (Trennung von Justiz u. Verwaltung). 51 Das Sonderrecht des mediatisierten Adels war 1809 aufgehoben worden u. mußte 1815 durch Bestimmung der Bundesakte wieder eingeführt werden; Mann u. Nüske, Württemberg, S. 560. 52 R. Mohl, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2 Bde., Tübingen 1829, hier Bd. II, S.3f. In Altwürttemberg bezeichneten ›Verfassung‹ u. ›Staatsgewalt‹ noch die Summe der einzelnen Beschränkungen der landesherrlichen Gewalt bzw. Landeshoheitsrechte; F. Wintterlin, Die altwürtt. Verfassung am Ende des 18. Jh., in: WVjL, Jg. 23, 1914, S. 195-209, hier S. 195f. Dieser Verfassungsbegriff spiegelt sich auch in Goethes Kritik von 1797 wider, als er aus Stuttgart schrieb: »Der Hauptsinn einer Verfassung wie der württ. bleibt nur immer, die Mittel zum Zweck recht fest u. gewiß zu halten u. deswegen kann der Zweck, der selbst beweglich ist, nicht wohl erreicht werden«; zit. n. Rümelin, Recht, S. 458. 53 E.-W. Böckenförde, Verfassungsprobleme u. Verfassungsbewegung des 19. Jh., in: ders. (Hg.), Moderne dt. Verfassungsgeschichte, Königstein 21981, S. 13-23, hier S. 15. 54 Ders., Der Verfassungstyp der dt. konstitutionellen Monarchie im 19. Jh., in: ebd., S. 146-170, hier S. 152. 55 Text der VU in Reg. bl. 1819, S. 633-682; sowie in C. V. Fricker (Hg.), Die Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25. September 1819 mit dem offiziellen Auslegungsmaterial, Tübingen 1865; dort auch alle vorhergehenden Verfassungsentwürfe u. weitere Quellen zum Gang der Verhandlungen. Zur Entstehung jetzt Gerner, Verfassung; von der älteren Literatur v. a. Grube, Landtag, S. 489ff.; A.E. Adam, Ein Jahrhundert württ. Verfassung, Stuttgart 1919, S. 1 ff.; C. V. Fricker, Die Entstehung der württ. Verfassung von 1819, in: ZGS, Jg. 18, 1862, S. 139-193; ders. u. T. v. Geßler, Geschichte der Verfassung Württembergs, Stuttgart 1869; F. Wintterlin, Die württ. Verfassung 1815-1819, in: WVjL, Jg. 21, 1912, S. 47-83; A. List, Der Kampf um's gute alte Recht (1815-1819) nach seiner ideen- u. parteigeschichtlichen Seite, Tübingen 1913; zur Annäherung von Adel u. Regierung G. Grupp, Die Verfassungskämpfe 1815-1817 u. der hohe Adel, in: WVjL, Jg. 27, 1918, S. 177-214; informativ auch Treitschke, Geschichte, Bd. II, S. 307ff.; ders., L. Uhland, in: ders., Aufsätze, S. 269-304. 230 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 36-37 56 Bald auch erschienen Uhlands›VaterländischeGedichte«, die seinen bis 1848 andauernden Ruf als ›Freiheitskämpfer‹ begründeten. Im ›Dichterstreit‹ dieser Jahre siegte der Altrechtler Uhland über den Reformer Rückert, siegte die ›Gemütspolitik‹ über die ›Staatsklugheit‹; Treitschke, Geschichte, Bd. II, S. 317. Wo je bei altem, guten Wein der Württemberger zecht, Da soll der erste Trinkspruch sein: Das alte, gute Recht! Du Land des Korns und Weines, Du segenreich Geschlecht, Was fehlt Dir?- All' u. eines: Das alte, gute Recht. L. Uhland, Werke, hg. von H. R. Schwab, Frankfurt 1983, Bd. I, S. 69, 73 (aus den ›Vaterländischen Gedichten‹). Treitschkes hintergründiges Urteil über Uhlands Gedichte, deren Verfasser er »ungeschulten Liberalismus« vorwarf, war, »ein echter Dichter ist, wenn er singt, immer im Rechte«; Treitschke, Uhland, S. 294. 57 Ein Unterschied von alter u. neuer Verfassung wird bereits rein optisch deutlich: Der Verfassungsentwurf des Königs umfaßt 66 Paragraphen auf 11 Seiten, der ständische vom September 1816 ein Vielfaches an Paragraphen auf 80 Seiten; Fricker, VU, S. 3ff. Schon allein daran ersieht man den Unterschied zwischen der allg. Bestimmungen formulierenden Konstitution Friedrichs u. dem eher einzelne Rechte zusammenstellenden ständischen Gegenentwurf. 58 Treitschkes ätzende Bemerkung - in Anlehnung an Radowitz -, daß in ihm der »ganze Bodensatz des Rheinbundes . . . zu Tage« trat, zielt weniger auf den Verfassungspolitiker Wilhelm als auf den überzeugten Preußengegner u. strikten Verteidiger württ. u. dynastischer Selbständigkeit. Trotzdem wirft das von Treitschke genüßlich ausgebreitete Doppelspiel Wilhelms - der sich einerseits als Wahrer liberaler Prinzipien gerierte, andrerseits bei Metternich nach der Interpretation des Art. 13 der Bundesakte nachfragte; der in Karlsbad gegen die Beschlüsse stimmte u. doch nichts gegen die in den Protokollen vermeldete Einstimmigkeit unternahm - einen gerechtfertigten Schatten auf das von Grube u. a. so positiv gezeichnete Bild; H. v. Treitschke, Aus der Blütezeit mittelstaatl. Politik, in: ders., Aufsätze, Bd. IV, S. 136-155, hier S. 141. 59 Eine ähnliche landesweite Befragung hatte es auch schon 1699 unter Eberhard Ludwig gegeben. Derartige Maßnahmen verdeutlichen - unabhängig ihrer kurzfristigen direkten Ergebnisse - wie sehr die Stände die fürstliche Politik blockieren konnten, offenbaren damit zugleich auch die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Krone; Vann, Württemberg, S. 151 f. 60 Metternichs Worte, »Württemberg durch seine unklugen Diskussionen mit dem Landtage nützt der Sache der Revolution mehr als der Tugendbund selbst« verdeutlichen die Perspektive, mit der man andernorts den ›Kampf ums alte Recht‹ beobachtete; zit. n. Treitschke, Geschichte, Bd. II, S. 323. 61 B. Wunder, Die Landtagswahlen von 1815 u. 1819 in Württemberg. Landständische Repräsentation u. Interessenvertretung, in: WF 58, 1974, S. 264-293, hier S. 283; H. Fenske, Der liberale Südwesten, Stuttgart 1981, S. 93f. 1815 hatte Württemberg 1377051 Einwohner. Wahlberechtigt waren alle männlichen Einwohner mit ständigem Wohnsitz, einem Mindestalter von 25 Jahren u. einem Einkommen aus liegenden Gütern von mindestens 200 fl. Nach Alter u. Geschlecht waren 23,25% wahlberechtigt, nach dem Zensus schließlich 45751, was 3,1 % der Bevölkerung oder 14,6% der nach Alter u. Geschlecht wahlberechtigten entsprach. Das passive Wahlrecht besaßen männliche Staatsbürger christl. Konfession über 30 Jahre, ohne Zensuseinschränkung; ausge231 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 37-38 schlossen waren Staatsdiener, Geistliche, Ärzte, Soldaten u. Unteroffiziere, sowie an der Wahl beteiligte Amtsschreiber am selben Ort. Die Dominanz der Honoratioren wird an der Berufsstruktur ersichtlich; 1815 wie 1819 waren zwei Drittel der Abgeordneten Inhaber von kommunalen oder korporativen Ämtern; B. Wunder, Landtagswahlen, S. 267 ff. 62 Zit. n. ebd., S. 284; Brandt, Parlamentarismus, S. 474, 490. Zur Charakterisierung der Liberalen Fenske, Südwesten, S. 40f.; Hölzle, Württemberg, S. 227 ff. 63 Der Impetus dieser Reformbestrebungen war - analog zu den Tendenzen in andern dt. Staaten - ein gegenrevolutionärer. »Jede Gemeinschaft sei Republik, eine Monarchie der Staat- u. der Bürger wird frei, der Thron unerschütterlich stehen - Anarchie u. Despotie werden gleich ferne stehen.« F. List, Gedanken über die württ. Staatsregierung, in: ders., Werke, Bd. I/1, S. 87-148, hier S. 103. List zog drei Schlußfolgerungen aus dem Geschehen der Französischen Revolution. Erstens, daß »bürgerliche Freiheit u. die Entfernung der dieselben beengenden Formen not sei«; zweitens folgerte er, daß »gewaltsamer Umsturz der bestehenden Formen die Völker in unabsehbares Verderben stürze«, u. drittens zog er die Lehre daraus »in friedlicher Eintracht die polit. Formen zeitgemäß zu gestalten«. In Württemberg seien auch die Grundsteine zu einer guten Verfassung durch Volksrepräsentation u. Öffentlichkeit schon gelegt; ders., Staatskunde u. Staatspraxis, in: ebd., S. 284-307, hier S. 307. - List u. der spätere Innenminister Schlayer arbeiteten seit gemeinsamen Universitätstagen während ihrer ersten Jahre im Staatsdienst polit. zusammen, bis sich nach 1819 ihre Wege allmählich trennten; V. Schäfer, F. Lists Studienjahre im Licht neuer Archivalien, in: ZWLG, J g . 40, 1981, S. 376-386, hier S. 381 ff 64 ›Der Volksfreund aus Schwaben, ein Vaterlands-Blatt für Sitte, Recht u. Freiheit, hg. von einer Gesellschaft wahrheitsliebender Württemberger‹, Stuttgart 1818-1821; die z. T. wegen Zensureingriffen wechselnden Redakteure waren H. Fresenius, E. Schübler, P. Deiniger; HSTAS Ε 146, Bü 4713, 4715. ›Württembergisches Archiv‹, Heidelberg 1816/17, das die wichtigsten Reformschriften F. Lists veröffentlichte u. ›Der württembergische Volksfreund‹, Stuttgart 1818, das Organ einer gemäßigten, regierungsnäheren Gruppe. Im Frühjahr wurde im VF auf die Gründung eines ›Freiwilligen Vereins vaterländischer Staats- u. Rechtsgelehrten für Beratung der Bürger-Kollegien‹ hingewiesen, der Klagen u. Eingaben über Verwaltungsmißstände unterstützen u. über Beschwerdemöglichkeiten informieren wollte; VF 25. 3. 1818, S. 113 ff. - Zum Wahlkampf u. den Organisationsvorschlägen vgl. den landesweit verteilten Aufruf ›Gruß an die Freunde der Freiheit‹, HSTAS Ε 146, Bü 4713. Allg. dazu Λ. List, Kampf, S. 122ff.; Hölzle, Württemberg, S. 227ff., S. 282f.; letzterer stilisiert u. glorifiziert die Volksfreunde aber v. a. als ›dt. Bewegung‹. Innenminister v. Otto urteilte über die Herausgeber des VF, es seien »Leute, die es zwar gut meinen, die aber noch zu wenig Erfahrung haben . . . So glauben sie in allem Ernste, daß, mit wenigen Ausnahmen, die Beamten gewalttätig, parteiisch u. bestechlich, daß die Magistrate eigenmächtig und betrügerisch, daß die Stadt- u. Amtsschreiber u. ihre Substitute nur auf Vermehrung ihres Verdienstes erpicht, daß die Abgaben an den Staat wegen der Erhebungskosten unerschwinglich, daß die Formen der Kriminal- u. Zivilrechtspflege unerträglich seien u. dgl., u. nach ihrer Meinung wäre allen diesen Übeln leicht abzuhelfen.« Gutachten des Innenministers, 7. 8. 1818. Später dann meldete sein Justizkollege, ein Wahlflugblatt des VF verbreite »Mißtrauen u. Haß gegen die Beamten der Regierung«, Bericht Justizmin., 9. 3. 1819; HSTAS Ε 146, Bü 4715. 65 VF 19.12.1818, S. 465. Zu den Geschworenengerichten u. der Öffentlichkeit der Verhandlungen VF 18.3., 25.11.1818; 20.1., 6.3., 9.6.1819; 29.3., 4.10.1820; zu den staatlichen Beamten im Justizwesen u. den Bürgergerichten VF 2. 12. 1818; 1.1., 17. 5. 1820. 66 H. Keßler, Mein Austritt aus der landständischen Kommission u. Württembergs innere Politik, in: VF 4.11.1820, S. 43. Dazu auch ›Einige Worte über die Kapitalsteuer‹, VF 6. 6. 1818ff.; ›Versuch zu einem Abgabengesetz‹, VF 26. 9. 1818ff; H. Keßler, Das Steuersystem der Schreiber, VF 29. 5. 1819ff.; F. List, Zur württ. Finanzreform, in: ders., Werke, Bd. I/1, S. 333-337 (Kammerrede vom 18. 12. 1820). Die Vorschläge liefen auf eine prozentual gleiche Besteuerung aller Einkommen hinaus, VF 4. 11. 1818, S. 407. Zur Forderung nach 232 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 38-41 Aufhebung der Steuervergünstigungen für Beamte, Hofbedienstete u. Kapitalienbesitzer VF 24. 2. 1819, 4. 3. 1820. Daneben forderte man, wenn auch weniger dringend, die Entlastung der Gemeinden von der Erhebung der Staatssteuern, diese Aufgabe würde die Gemeinden finanziell u. organisatorisch zu stark belasten; VF 27. 12. 1820, S. 405ff. 67 VF 27. 1. 1819, S. 34. Ebenso traditionell sind Forderungen nach der genauen Einhaltung der Trennung von Handwerk u. Handel; VF 19. 8. 1820ff.; 2. 12. 1820ff. 68 VF 19. 7., 22. 7.1820. 69 Man spricht von der »ungeheuren Übermacht der 32000 Beamten neben fast ebenso viel für das Kriegswesen Besoldeten. Dorthin richtet Euer Augenmerk, dort sind Eure Feinde, ihr vom Adel u. vom Bürgerstand«. VF 21.7.1819. Über das Zuviel an Beamten VF 9.5., 16. 5.,26. 8. 1818; über Beamte als Herren VF 22. 8. 1818, 23. 1. 1819; über die Spaltung von König u. Volk VF 27. 6. 1818. Zu den anderen Kritikpunkten VF 7. 11., 12. 12.1818; 27. 2., 12.6.1819. 70 Im VF läßt sich eine Präzisierung der Kritik feststellen. Während im ersten Jahr zumeist nur summarisch die zu große Anzahl der Beamten angegriffen wird, spezifizieren sich die Vorwürfe seit 1819. Mangelnde Ausbildung, interne Hierarchien, Aufgabenüberlastung rücken allmählich in den Vordergrund. Diese Veränderung ist sicherlich mit zurückzuführen auf den Lernprozeß der Diskussionen im Landtag, an denen die Volksfreunde mit ihren führenden Vertretern Keßler u. List beteiligt waren. Vgl. VF 1. 1. 1820 (Trennung von Justizu. Administrativverwaltung); 19.9.1818, 3.3.1819 (Öffentlichkeit der Verwaltung); List, Gedanken. 71 F. List, Vorschlag zur Errichtung von Bürger-Rottmeister-Ämtern, in: VF 7.2. 1818, S. 33; ders., Das Recht der Bürgeraufnahme, in: VF 24. 1. 1821, S. 2. 72 F. List, Über die Verfassung u. Verwaltung der Korporationen, in: ders., Werke, Bd. I/ 1, S. 308-316, Zitat S. 310. Zu den Bürgerkollegien u. Deputierten als Gegengewicht zu den Magistraten VF 24. 1., 28. 1., 25. 3. 1818 (der schon erwähnte Unterstützungsverein); vgl. auch Haldenwang, Über Schultheißen, in: Württ. VF 1817, Nr. 32ff. Die Wahl der Magistrate wird verstärkt seit Januar 1819 gefordert, VF 2. 1. 1819; vgl. allg. H. Keßler, Über die öffentl. Verwaltung in Württ., VF 8. 1. 1820ff. u. die verschiedenen Schriften Lists, in: ders., Werke, Bd. I/1,S. 149ff. Bei List u. den Volksfreunden findet man oft eine Gleichstellung des Aufbaus von Gemeinde u. Staat; F. List, System der Gemeindewirtschaft, in: ders., Werke, Bd. I/1, S. 149-204, hier S. 149. Als Grundprinzipien der Organisation der Gemeinden sah List Munizipalität, Repräsentation u. Zentralbehörden; ders., Gedanken, S. 139ff. Der Begriff›Bürgerdemokratie‹ meint die möglichst gleiche Herrschaftsbeteiligung aller Gemeindebürger - ausgeschlossen bleiben Gemeindeangehörige ohne das Bürgerrecht wie Gemeindefremde, vgl. dazu die Haltung zum Bürgeraufnahmerecht, VF 31. 1., 2. 5. 1818; 24. 1. 1821. 73 In der Presse wurde dazu aufgefordert, sich für Ämter zur Verfügung zu stellen u. sich an den Wahlen zu beteiligen, VF 25. 12. 1819. 74 VF 18.3., 25. 3., 6.5.1820. List, Gemeindewirtschaft, S. 197f.; ders., Gedanken, S. 114f. zu Plänen über einen ›Gemeindesyndikus‹. 75 Von Anfang an gab es ständige Querelen zwischen der Redaktion u. der Regierung, v. a. Wilhelm drängte auf ein polizeiliches Einschreiten, mußte sich von seinen Ministern aber darüber belehren lassen, daß für derartige Eingriffe keine rechtliche Grundlage bestehe. Dafür insistierte er, wenn sich einmal die Gelegenheit bot, um so unnachgiebiger. Etwa 1821 bei der Ausweisung des ausländischen Redakteurs Fresenius u. auch 1822, als Schübler um die erneute Genehmigung zum Druck polit. Nachrichten anfragte. Wilhelm teilte dem Innenminister dazu mit, er wolle nicht, daß Schübler diese Genehmigung erhalte (24. 2. 1822), HSTAS E 146, Bü 4313, 4715. 76 Vgl. Anm. 60. 77 Im Flugblatt ›Keine Adelskammer‹ vom März 1817; Uhland, Werke, Bd. II, S. 169. 78 Fricker, VU, S. 3, XXI, 14, 93; VU von 1819, ebd., S. 505ff.; I. Kant, Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: ders., 233 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 41-43 Werke, Bd. IX, Hg. W. Weischedel, Darmstadt 41981, S. 125-172, hier S. 146. - In anderen Punkten wurde die königliche Position 1819 gegenüber dem Entwurf von 1817 geschwächt. Wurde 1817 dem König noch zugestanden, »die bewaffnete Macht, sowohl im Kriege als im Frieden, steht ausschließlich unter seinem Befehl«, wurde diese Thematik 1819 ersatzlos gestrichen; Fricker, VU, S. 94; die VU 1819 enthält nur noch Einzelverfügungen über Subsidienverträge, Rekrutierungen, Einquartierungen, Pensionen etc.; VU 1819, § 87, 99-101, 189. 79 VU 1819, § 10, 20; O. v. Sarwey, Das Staatsrecht des Königreichs Württemberg, Tübingen 1883, II, S. 376. Auch hier wieder eine Parallele zu Altwürttemberg: dort mußte jeder Herzog vor der Regierungsübernahme die bisherigen Gesetze bestätigen. Vgl. auch den Ständeeid, den jeder Abgeordnete bei seinem erstmaligen Eintritt in die Ständeversammlung leisten mußte; VU 1819, § 163. 80 Fricker, VU, S. 504, 506. 81 Vgl. Gerner, Verfassung; F. Bitzer, Regierung u. Stände in Württemberg, Stuttgart 1882. 82 R. Mohl, Die Geschichte der württ. Verfassung von 1819, in: ZGS, Jg. 6, 1850, S. 44-150; in dieser, 1849 verfaßten »Leichenrede der bisherigen Verfassung« (S. 44) gibt Mohl einen Überblick über die Grundelemente der Verfassung u. einen Abriß der polit. Geschichte Württembergs im Vormärz aus der Perspektive der ›verpaßten‹ Verfassungsreform, er unterstützte auch die »völlig neuen Forderungen«, die nach 1848 an die Verfassung gestellt worden waren (S. 53). 83 § 113 schränkte das Steuerbewilligungsrecht ein, die Bewilligung durfte nicht an Bedingungen geknüpft sein, »welche die Verwendung dieser Steuern nicht unmittelbar betreffen«. Einer schleichenden Regierungspartizipation über das Budget war somit, aus altrechtlicher Erfahrung, ein Riegel vorgeschoben. Denn zu früheren Zeiten - als die Landschaft mit ihrem Steueraufkommen ca. 30% der Staatsausgaben deckte - war der Ertrag des Kammerguts so hoch, daß bei Geldforderungen des Herzogs die Stände jeweils entgegnen konnten, daß bei solider Ausgabenpolitik die Regierung ohne außerordentliche Umlagen wirtschaften könne. Die Steuerbewilligung wurde nicht zur Routine, sie blieb ein jeweils neu auszuhandelndes Entgegenkommen der Stände. Diese do ut des-Politik sollte nun verhindert werden. »Ohne Beachtung dieses Elements läßt sich die ganze württ. Verfassungsgeschichte [vor 1805, MH] nicht begreifen«; Rümelin, Recht, 450f. 84 R. Mohl, Geschichte, S. 47. 85 »Was«, wie Uhland bemerkte, »für den Kredit des Landes ersprießlich ist«; Uhland, Werke, Bd. II, S. 171. Allg. Ullmann, Kredit; ders., Staatsschulden u. Reformpolitik, Göttingen 1986; H. Obenaus, Finanzkrise u. Verfassungsgebung, in: B. Vogel (Hg.), Preuß. Reformen 1807-1820, Königstein 1980, S. 244-265. 86 R. Mohl, Geschichte, S. 49f 87 Im Landtagsabschied vom 30. Juni 1821 u. dem Verwaltungsedikt vom 1. März 1822 erfolgten keine prinzipiellen Änderungen mehr; Reg. bl. 1821, S. 469-489; ebd., S. 131-192. 88 HSTAS Ε 150, Bü 345, Schreiben des Innenministers Kerner vom 9. 7. 1817. Das war nicht der erste Versuch in diese Richtung; schon in den 1780er Jahren waren von den OAbeamten u. Stadtschreibern Vorschläge zur Verbesserung der Kommunordnung angefordert worden; ebd. 89 Organisations-Vollziehungskommission, am 18. 11. 1817 zum Vollzug der Edikte von 1817 eingesetzt, Reg. bl. 1817, S. 542f.; Ämter-Organisations- Kommission, die 1818 v. a. mit der Vorbereitung der Edikte von 1818 beschäftigt war, HSTAS Ε 31, Bü 332-343, 356; Organisations-VollZiehungskommission, zu Beginn des Jahres 1819 aus der vorigen Kommission hervorgegangen, im Herbst 1821 wieder aufgelöst, sie sollte die Durchführung der Edikte von 1818 kontrollieren u. regeln, HSTAS Ε 31, Bü 363-370, 374, 376; ihre Aufgabe war es v a., Tausende von Einzelanfragen zu konkreten Problemen der Änderung vor Ort zu beantworten, ebd. Bü 366f.; sie wurde schließlich in die 2. Organisations-Vollziehungs-Kommission umgewandelt, die bis zum August 1828 bestand u. insbesondere die Umsetzung des Land234 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 43-44 tagsabschieds 1821 u. des Verwaltungsedikts von 1822 verfolgen sowie Normaletats für die einzelnen Ministerien erstellen sollte, ebd., Bü 377-380. Zur zentralen Rolle Mauclers vgl. ein Schreiben Wilhelms an ihn vom 23. 1. 1819, in dem er ihm praktisch eine Vollmacht für die gesamte Kommissionstätigkeit gibt, ebd., Bü 363. 90 Die prinzipielle Trennung von Justiz u. Verwaltung wie die Separierung der Verwaltung der Korporationen von den den Korporationen übertragenen Staatsaufgaben wurde nun allg. akzeptiert; Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. II, S. 273. In der KdA bezeichnete Bolley der auch in der Organisations-Vollziehungs-Kommission war - es als Absicht der Regierung, »einen Zustand der Mündigkeit des Volkes herbeizuführen« (Hervorhebung i. O., MH); KdA 1820, 28.1.1820. 91 Königliches Dekret vom 25. 6. 1820; HSTAS Ε 31, Bü 367. Die Kommission vermittelte zwischen Geheimen Rat und KdA die ständischen Wünsche zur Änderung der Edikte von 1818; ebd., Bü 369. 92 KdA 10./11.4. 1821, Beil., S. 371—403. In mehrwöchigen intensiven Beratungen zwischen KdA u. Regierung wurde die Landtagsadresse Uhlands in den meisten Punkten akzeptiert. Die drei wichtigsten Punke, die nicht übernommen wurden, waren folgende. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Gemeinderat u. Bürgerausschuß wurde kein gemeinsamer Wahldurchgang beschlossen, sondern festgelegt, daß es dann beim früheren Zustand bleiben solle. Zweitens wurde es abgelehnt, daß die Gemeinden die Ortsvorsteher selber wählen können; es blieb beim Recht, drei Kandidaten zu benennen, unter denen dann die Regierung - in aller Regel - den mit den meisten Stimmen ernannte. Drittens wurde die periodische Wahl der Gemeinderäte abgelehnt. 93 Zwar nicht formal, aber doch in den Auswirkungen vergleichbar war damit die »von den königlichen Kommissarien zugesagte neue Redaktion« der Edikte zustandegekommen; Unland, KdA 2. 3. 1821, S. 219. - Im Dezember 1820 lagen die Berichte einer gemeinschaftlichen Kommission von KdA u. Regierung vor - so referierte Uhland über die Rechtspflege, Gmelin d. Ä. über Gemeinde-, Stiftungs- u. OAverwaltung, KdA 1820/21, 3. außerordentliches Beiheft, dort auch die übrigen Berichte - die dann den ganzen März 1821 über im Landtag beraten wurden, KdA 2. 3.-31. 3. 1821, S. 203-665. 94 HSTAS Ε 31, Bü 353; in diesem speziellen Punkt ging es um eine Reduzierung der OÄ auf ca. 20, um damit die Bürokratie zu reduzieren; die Äußerung steht jedoch für die Tendenz der gesamten Reformtätigkeit. 95 Heßer, Selbstverwaltung, S. 182. 96 Erst nach 1891 erfolgten grundlegende Änderungen; H. Gugel, Verwaltungsrecht des Königreichs Württemberg, Heidelberg 1908; A. Zeller, Über die Entwicklung der württ. Verwaltungseinrichtungen im 19. Jh., in: ZGS, Jg. 54, 1898, S. 441-466; B. Mann u. G. Nüske, Königreich Württemberg, in: Dt. Verwaltungsgeschichte, Jg. 3, 1984, S. 733-753. 97 Reg.bl. 1817, S. 541; Reyscher, Sammlung, Bd.III,S. 467ff.; K. v. Riecke, Die Gesetzgebung Württembergs im 19. Jh., in: WJb 1875, S. 41-99; U. Redecker u. W. Schöntag, Verwaltungsgliederung in Baden, Württemberg u. Hohenzollern 1815-1857, 1858-1936, in: Histor. Atlas, VII/ 4-5, S. 1-24; V. Pfost, Die staatl. Mittelbehörden im ehemaligen Württemberg unter besonderer Berücksichtigung der Kreisregierungen u. ihrer Aufhebung, Diss. Tübingen 1955. 98 R. Mohl, Staatsrecht, II, S. 8f.; I, S. 687ff., 802ff.; T. Pistorius, Die Ministerverantwortlichkeit in Württemberg u. der württ. Staatsgerichtshof im geschichtl. Rückblick, in: WJb 1893, S. 71-95. 99 Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. II, S. 28 ff. 100 Die Oberregierung als wichtigstes Zentralkollegium, als eigentliche Zentrale der inneren Verwaltung, umfaßte den Innenminister, einen Vizedirektor, sechs Oberregierungsräte sowie das Kanzleipersonal. 101 In einer zehnstufigen Rangordnung der Staatsbeamten aus dem Jahr 1821, bei der der OAmann auf der 7. Stufe zusammen mit Hofräten, Dekanen, Hauptleuten u. a. aufgeführt wird, fehlt der OAaktuar; Reg.bl. 1821, S. 749ff. 235 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 45-48 102 VE 1822, §69; Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. II, S. 209-212. Die Kontrolle der Gemeinderechnungen u. die periodischen Ruggerichte waren weitere institutionell vorgeschriebene staatliche Überprüfungen der gemeindlichen Selbstverwaltung. 103 VE 1822, § 2, 12, 15, 16, 66. Ansonsten war der alte Unterschied zwischen Dorf u. Stadt aufgehoben worden. 104 Ebd., § 111f. 105 Ebd., § 1-13. Weitere kommunale Beamte waren der Ratsschreiber, der vom Gemeinderat - auf Lebenszeit - gewählt, vom Ο Α bestätigt u. aus der Gemeindekasse bezahlt wurde; er hatte die Schreibarbeit der Gemeinde zu verrichten. Der - oder die, ggf. wurden zwei Stellen eingerichtet - Gemeinde(Stadt-)pfleger wurde vom Gemeinde(Stadt-)rat aus seiner Mitte gewählt, vom OA bestätigt u. für seine Tätigkeit bezahlt; er verwaltete das Gemeindevermögen u. die Gemeinderechnung. Als Ergänzung konnten noch bestimmte Teilrechner (Waldmeister, Bauverwalter etc.) ernannt werden. 106 Zum Bürgerausschuß § 47-63. Die »eigentliche Verwaltung des Gemeindewesens« blieb beim Gemeinderat, ohne Mitwirkung des Bürgerausschusses, jener konnte lediglich die Jahresrechnungen der Gemeindepfleger einsehen u. seine Meinung darüber dem Gemeinderat kundtun; § 57. Damit war die Selbstverwaltung der Gemeinden noch immer weitgehend eine Verwaltung durch die dörfliche Oberschicht. 107 VU 1819, § 66-68; VE 1822, § 53, 79, 87. Wobei die »Aufsicht der Staatsbehörden« (§ 65) soweit ging, daß die Etats der Gemeinden weitgehend von den OÄ entworfen wurden. 108 Ebd., § 75; B. Wunder, Grundrechte, S. 456. 109 Dem Geheimen Rat gehörten die fünf Minister an, sowie eine unbestimmte Anzahl vom König ernannter Mitglieder. Der Geheime Rat hatte - außer in seiner Funktion als oberste Verwaltungsinstanz - kaum Entscheidungskompetenz, in seiner Tätigkeit als Beratungsgremium des Königs kam ihm aber große Bedeutung zu. Bis 1848 wurde er von einem hauptamtlichen Präsidenten, seit 1850 von einem der Minister geleitet; 1876 dann von Mittnacht zugunsten eines neu eingerichteten Staatsministeriums entmachtet. R. Mohl, Geheimer Rat (Württemberg), in: StL, Bd. 6, 1838, S. 353-357, Zitat S. 354; Mann u. Nüske, Württemberg, S. 567 f. 110 R. Mohl, Staatsrecht,Bd.II,S. 72-74. 111 Wintterlin, Behördenorganisation, II, S. 207f. 112 Grube, Landtag, S. 501; die Daten nach J . Hartmann, Regierung u. Stände im Königreich Württemberg 1806-1894, in: WJb, Bd. I, 1894, S. 1-92. 113 Zit. n. Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. II, S. 196f.; C. A. v. Malchus, Politik der inneren Staatsverwaltung, 3 Bde., Heidelberg 1823. List äußerte sich zu Malchus folgendermaßen: »Die Alten stieß er vor den Kopf, weil er ihren Apparat in Stücke schlug u. mit Schonungslosigkeit gegen das Patriziat verfuhr, die Neuen, weil er ihnen nichts Besseres dafür gab«; List, Werke, Bd. I/1, S. 474. 114 Zu den altwürtt. Magistraten Seigel, Tübingen (als Lokalstudie) u. F. Wintterlin, Die Preuß. Städteordnung u. die württ. Gemeindeverfassung, in: Besondere Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg 1908, S. 230-240, S. 258-266. 115 B. Wunder, Grundrechte u. Freiheit in den württ. Verfassungskämpfen 1815-1819, in: G. Birtsch (Hg.), Grund- u. Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft u. Geschichte, Göttingen 1981, S. 435-459, hier S. 456; vgl. auch ders., Privilegierung, S. 235ff.; Schütz (Hg.), Amtsinstruktion für die Amtspfleger, Stuttgart 1837. 116 VU 1819, §155. 117 Justizminister v. Maucler bei Vertagung der Ständeversammlung vom 20. 6. 1820, zit. n. A. L. Reyscher, Einleitung, in: ders., Sammlung, Bd. III, S. 48-236, hier S. 236. 118 F. List, gewiß nicht im Verdacht, der württ. Regierung gegenüber wohlwollend voreingenommen zu sein, warf 1822 den »oligarchischen Altrechtlern« vor, zuerst die Konstitution bekämpft zu haben, dann, als sie sich »auf alle Stühle, die leer oder leer zu machen niedergesetzt« hatten, nicht zu wissen vorgäben, was eine »konstitutionelle Verwal236 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 48-50 tung« sei. Die Interessen der Oligarchie würden rücksichtslos gefördert, »statt den Staat zu organisieren, organisierte man die Kanzlei«. Für ihn dauerte damit der Druck einer »dreihundertjährigen Beamtenoligarchie« weiterhin an; List, Verfassung, S. 475f., S. 478. 119 Fricker, Entstehung, S. 154. Er verfallt auch nicht in die Glorifizierung der alten Verfassung; es wäre falsch, sie als »demokratisch« zu bezeichnen, viel eher sei sie »als auf einer Art von Familien-Aristokratie ruhend« anzusehen; ebd., S. 172. 120 Ebd., S. 189. 121 Ebd., S. 190f. 122 Ebd., S. 192f. Fricker selber will sich nicht äußern, ob dieser Zustand als positiv einzuschätzen sei. Er stellt nur die in seinen Augen berechtigte Forderung nach einer mit »allen logischen Konsequenzen durchführbaren Verfassungsform« (S. 193): Damit steht er auf der Seite R. Mohls, der schon vor 1848 den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem gefordert hatte; R. Mohl, Über die verschiedene Auffassung des repräsentativen Systems in England, Frankreich u. Dt., in: ZGS, Jg. 3, 1846, S. 451-495, hier S. 464f. 123 Vgl. Kap. VII u. VIII. 124 E. R. Huber, Dt. Verfassungsgeschichte seit 1789, Stuttgart 21969, III, S. 3f. Zur Kritik an Huber Böckenförde, Verfassungstyp; G. A. Ritter, Entwicklungsprobleme des dt. Parlamentarismus, in: ders. (Hg.), Gesellschaft, Parlament u. Regierung, Düsseldorf 1974, S. 11-54, hier: S. 12ff.; H. Boldt, Dt. Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975, S. 111 ff.,131ff.;ders., Zwischen Patrimonialismus u. Parlamentarismus. Zur Entwicklung vorparlamentarischer Theorien in der dt. Staatslehre des Vormärz, in: Ritter (Hg.), Gesellschaft, S. 77-100, hier S. 77ff., S. 97ff.; ders., Rezension: E. R. Huber, Dt. Verfassungsgeschichte seit 1789, in: GG, Jg. 11, 1985, S. 252-271. 125 C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), Berlin 1957, S. 44-63, hier S. 63, 54, 53. Schmitts letztlich mehr staatsrechtlich-formal als historisch-empirisch orientierte Perspektive läßt seine - vom Modell her Fricker verblüffend ähnlichen - Bemerkungen zum Vertragscharakter der Verfassungen u. zur weiteren Entwicklung der konstitutionellen Verfassung im 19. Jh. im Endeffekt nur auf Preußen Anwendung finden. Der Verfassungsoktroi (vgl. ebd., S. 52) liefert das Paradigmafürdie preuss. Verfassungsinterpretation - nicht für die württ. 126 Ein Prozeß, der mit der Verfassungsrevision von 1906 die Parlamentarisierung der Monarchie einen weiteren Schritt voranbrachte; G. H. Kleine, Der württ. Ministerpräsident Frhr. H. v. Mittnacht (1825-1909), Stuttgart 1969; Menzinger, Verfassungsrevision. 127 Böckenförde, Verfassungstyp, S. 106f, spricht von der »darin gelegenen Chance«, die nur z. T. realisiert worden sei. Ähnlich auch M. Stürmer, Die Suche nach dem Glück: Staatsvernunft u. Utopie, in: Dt. Verwaltungsgeschichte, Jg. 2, 1983, S. 1-19; dem in harmonisierender Interpretation die konstitutionelle Staatspraxis »der Frage der Letztentscheidung weise auswich«. Schlichtweg falsch jedoch Stürmers Behauptung, daß die süddeutschen Verfassungen nur zur Konsolidierung der »aus heterogenen Ländchen u. Ländern zusammengeschustert[en]« Staaten entstanden seien. 128 Böckenförde, Verfassungs typ, S. 160. 129 Das wird deutlich, wenn man Böckenfördes Charakterisierung der konstitutionellen Monarchie mit der Position von Rotteck vergleicht. Die entscheidende Differenz gegenüber Böckenförde bildet dabei das Machtpotential des Monarchen. Die Rottecksche Monarchie resultiert aus einem Vertrag u. ihr wird keine konstitutionsexemte Domäne in Verwaltung, Außenpolitik u. Militär eingeräumt; Böckenförde, Verfassungstyp, S. 153; C. Rotteck, Konstitution, in: StL, Bd.3, 1836, S. 761-797, hier S. 766ff. Bezeichnend, daß Böckenförde, als er die Frage aufwirft, ob die konstitutionelle Monarchie nicht eine »eigene geschichtliche Legitimität« gehabt habe, u. ihr Ansätze in dieser Richtung zubilligt, mit Hölzle argumentiert, der wiederum seine These v. a. mit süddt. Beispielen belegt; E. Hölzle, Bruch u. Kontinuität im Werden der modernen dt. Freiheit, in: Das Problem der Freiheit in der dt. u. schweizerischen Geschichte, Sigmaringen 1970, S. 159-177, zu Württemberg S. 171 ff. 130 Allg. W. Mager, Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener 237 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 50-54 Kongreß, in: HZ, Bd. 217, 1973, S. 296-346; C. Oestreich, Zur Vorgeschichte des Parlamentarismus: ständische Verfassung, landständische Verfassung u. landschaftliche Verfassung, in: ZHF, Jg. 6, 1979, S. 63-80; B. Wunder, Landstände u. Rechtsstaat. Zur Entstehung u. Verwirklichung des Artikels 13 DBA, in: ZHF, Jg. 5, 1978, S. 139-185; die alle die ständischen Traditionen bei den Verfassungsgründungen zu Beginn des 19. Jh. hervorheben. Zu den Landständen selber K. Bosl (Hg.), Der moderne Parlamentarismus u. seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977; Vierhaus, Land; Press, Württ. Landtag; ders., Landtage; E. Weis, Kontinuität u. Diskontinuität zwischen den Ständen des 18. Jh. u. den frühkonstitutionellen Parlamenten von 1818/19 in Bayern u. Württemberg, in: Fs. A. Kraus, Kallmünz 1982, S. 337-355. 131 K. Bosl, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern, München 1974, S. 4 ff. 132 Schmitt, Verfassungslehre, S. 45; R. Löwenthal, Kontinuität u. Diskontinuität, in: Bosl (Hg.), Parlamentarismus, S. 341-356, hier S. 346f. 133 Blickle, Untertanen, S. 141. II. Sozioökonomische Entwicklungslinien 1 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 57f.; G. Wieland, Bauernbefreiung in Baden u. Württemberg, in: D. Schott u. W. Trapp (Hg.), Seegründe, Weingarten 1984, S. 73-102, hier S. 73-77; G. Dehlinger, Überblick über die Entwicklung der Landwirtschaft in Württemberg seit der Mitte des 18. Jh., in: W)b, Bd. I, 1897, S. 49-76, hier S. 51. Grundlegend T. Knapp, Neue Beiträge zur Rechts- u. Wirtschaftsgeschichte des württ. Bauernstandes, 2 Bde., Tübingen 1919/ND 1964; ders., Abriß der Geschichte der Bauernentlastung in Württemberg, in: WJb, Bd. II, 1907, S. 48-67; die eingangs genannten Titel sowie W. v. Hippel, Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg, in: ZAA, Jg. 22, 1974, S. 75-88; G. Wieland, Wandel im ländlichen Raum vom 18. zum 19. Jh., in: E. L. Kuhn (Hg.), Leben am See im Wandel, Friedrichshafen 1981, S. 59-159. Das Monumentalwerk v. Hippels ist unbestreitbar das Standardwerk zu dieser Thematik. Da er immer wieder Vergleiche mit anderen Gebieten, insbesondere mit Preußen vornimmt, sei für die allg. Problematik zusätzlich nur auf C. Dipper, Die Bauernbefreiung in Dt., Stuttgart 1980, verwiesen. Ausgespart bleiben hier die Arbeiten zur Agrarwirtschaft im engeren Sinn, der Schwerpunkt liegt auf der württ. Variante der Bauernbefreiung u. der spezifischen Ausprägung der Agrarstruktur Württembergs. Zu den anderen Problemkreisen vgl. Dipper, Bauernbefreiung; u. die dort zitierte Literatur. Die wichtigsten Unterschiede innerhalb der Agrarverfassung Württembergs in der ersten Hälfte des 19. Jh. lassen sich durch die Begriffe Lehensautorität (entweder adlige Grundherren oder der Staat als Grundherr), Lehenspraxis (v. a. der Unterschied zwischen Frb- u. Fallehen) sowie der unterschiedlichen Handhabung des Erbrechts (Anerbenrecht oder Realteilungsprinzip) fassen. 2 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 278; Grees, Unterschichten, S. 27; der den Konfliktreichtum dieser Auseinandersetzungen betont, zugleich aber die Regelung im Rahmen des dörflichen Genossenschaftsverbandes hervorhebt. 3 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 283. 4 Ebd., S. 288. 5 Hier ein Beispiel für ein Erblehen, der Ehrschatz wurde auf eine Spanne von 20 Jahren umgelegt u. beträgt in diesem Beispiel 1,1 % des Bruttoertrags (3,2% der Abgaben); ebd., S. 288, 290. 6 Ebd., S. 290; errechnet aus den Abgaben eines mittelgroßen Besitzes (14,5 ha Äcker u. 4,8 ha Wiesen) der ehemaligen Herrschaft Weingarten, die Daten sind aus dem Jahr 1804. D. Sabean, Landbesitz u. Gesellschaft am Vorabend des Bauernkriegs, Stuttgart 1972, S. 62f.; betont für das 16. Jh. die Ungleichgewichtigkeit der Abgabenbelastung: für kleine Anwesen betrug sie ca. 50%, während die größten Höfe nur ca. 15% der Ernte abliefern mußten. Für 238 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 54-56 die 1820er Jahre ermittelte v. Hippel für einzelne OÄ - die im besonders hoch belasteten Oberschwaben lagen - Werte für die Gesamtbelastung des Rohertrags zwischen 22-35%, die er selber als Maximalschätzungen klassifiziert; v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. 1, S. 298. P. Scherer, Reichsstift u. Gotteshaus Weingarten im 18. Jh., Stuttgart 1969, S. 27; spricht für die von ihm untersuchten oberschwäbischen Gebiete um Weingarten (reichsunmittelbares katholisches Stift) von einer Belastung von 37% des Bruttoertrags. 7 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 301 f. Eine Praxis, die sich auch bis weit ins 19. Jh. hinein verfolgen läßt, dann aber zunehmend in Kritik an den Getreidehändlern u. Müllern mündet; auch bei den Hungerkrawallen 1847 wird dieses Verfahren explizit gebrandmarkt. 8 ›Anmerkungen über die Auswanderungen aus dem Wirtembergischen‹ (1783), in: Nicolai, Beschreibung, S. 72. 9 Thiel, Die Wucherfrage u. die Frage der ländlichen Kreditorganisation, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Jg. 38, 1888, S. 41-64, hier S. 56. Sie waren auf der »Stufenleiter der Ernährung«, wie W. Abel den Wandel vom Fleischstandard des Spätmittelalters über den Getreidestandard der Frühen Neuzeit zum Kartoffelstandard des Pauperismus nannte, ihren Zeitgenossen schon eine Stufe voraus; W. Abel, Massenarmut u. Hungerkrisen, Göttingen 21977, S. 65. 10 Zum Begriff ›Bauernbefreiung‹ für Württemberg v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 49-52; der sich in seiner Arbeit auf die »Bauernbefreiung im engeren Sinn« konzentriert. Er erfaßt die Ablösung grundherrschaftlicher Bedingungen; die Auflösung genossenschaftlicher u. gemeindlicher Abhängigkeiten u. Absicherungen erörtert v. Hippel nur am Rande bei Problemen der Allmende oder unter dem - staatliche Versuche zur Strukturpolitik bezeichnenden - Stichwort der »Landeskulturgesetzgebung«. 11 »Il. Edikt, die Aufhebung der persönlichen Leibeigenschafts gefalle, Ablösung u. Verwandlung der Feudalabgaben betreffend«; v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 134—142. Vgl. auch »I. Edikt, mehrfache Änderungen im Abgabenwesen betreffend«, ebd., S. 131-134; beide Edikte vom 18.11.1817. 12 »Gesetz in betreff der Beden u. ähnlicher älterer Abgaben«, »Gesetz in betreff der Ablösung der Fronen«, »Gesetz in betreff der Entschädigung der berechtigten Gutsherrschaften für die Aufhebung der leibeigenschaftlichen Leistungen«, 27., 28., 29. 10. 1836; v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 375ff., S. 407ff. 13 »Gesetz betreffend die Beseitigung der auf dem Grund u. Boden ruhenden Lasten« vom 14. 4. 1848, das Erläuterungsgesetz hierzu vom 24. 8. 1849; »Gesetz betreffend die Ablösung der Zehnten« vom 17. 6. 1849; u. das »Gesetz betreffend die Beseitigung der Überreste älterer Abgaben« vom 24. 8. 1849; v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 516ff. 14 Ders., Zum Problem der Agrarreformen in Baden u. Württemberg 1800-1820, in: E. Weis (Hg.), Reformen im rheinbündischen Dt., München 1984, S. 131-149. 15 Ebd., S. 145. 16 Säkularisation, Mediatisierung, Auflösung des Alten Reiches, Ausbildung voller staatlicher Souveränität; ders., Bauernbefreiung, Bd. I, S. 329. 17 Dipper, Bauernbefreiung, S. 87; v. Hippel, dass., Bd. I, S. 54. Im IL Edikt von 1818 wird als Ursache angegeben, daß die »Abgaben . . . der Industrie den Mut u. die Mittel, sich zu heben, entziehen, die Kultur hemmen, die Armut vermehren u. durch alle dieses sowie durch verminderte Produktion u. Bevölkerung dem Staat . . . immer tiefere Wunden schlagen müssen«, v. Hippel, dass., Bd. II, S. 134f. Dem liegt nicht nur eine adelskritische Einstellung, sondern auch eine einseitige Orientierung an altwürtt. Zuständen zugrunde, wo Gewerbe- u. Bevölkerungsdichte deutlich über dem Landesdurchschnitt lagen. 18 Die Aufhebung der Leibeigenschaft erfolgte beim Staat als Grundherrn unentgeltlich, bei Standesherren gegen eine Gebühr; Dipper, dass., S. 87; v. Hippel, dass., Bd. I, S. 355ff., Bd. II, S. 134ff. 19 Ebd., dass., Bd. I, S. 521. 20 Sowohl in der Hoffnung auf ein günstiges Ergebnis als auch, um innenpolit. Konflikte mit dem Adel u. der Kammer der Standesherren zu vermeiden; v. Hippel, Bauernbefreiung in Württemberg, S. 86 239 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 56-58 21 Zu Sachsen Dipper, Bauernbefreiung, S. 76ff.; zu Württ. für 1836 v. Hippel, dass., Bd. I, S. 437 ff. 22 Ebd., Bd. I, S. 451ff.; Bd. II, S. 475f., 483f, 405f.; ders., Bauernbefreiung in Württemberg, S. 86 f. 23 Zur Situation der Kammer im Vormärz Brandt, Parlamentarismus; ders., Gesellschaft, Parlament, Regierung in Württemberg 1830-1840, in: Ritter (Hg.), Gesellschaft, S. 101-118. 24 Dipper, Bauernbefreiung, S. 153f. Vgl. auch H.-G. Husung, Protest u. Repression im Vormärz. Norddt. zwischen Restauration u. Revolution, Göttingen 1983, S. 215; R. Wirtz, ›Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte u. Skandale‹. Soziale Bewegung u. gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815-1848, Berlin 1981, S. 239; H. Volkmann, Protestträger u. Protestformen in den Unruhen von 1830-1832, in: ders. u. J . Bergmann (Hg.), Sozialer Protest, Opladen 1984, S. 56-75, hier S. 61; die übereinstimmend zu einem Anteil der Landbevölkerung am Protestpotential des Vormärz von ca. 10% gelangen. Husung für Norddt. 13,6%; Wirtz für Baden 12% (wobei hier in der Gesamtzahl die Agrarunruhen von 1848 mit einbezogen sind, was das geringe Ausmaß der ländlichen Protestaktionen vor 1848 aber nur noch unterstreicht); Volkmann - überregional - für die Jahre 1830-1832 mit 10%. 25 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 424. 26 Errechnet nach K. G. Wentzel, Die Entwicklung der laufenden Rechnung Württembergs im 19. Jh., Diss. Tübingen 1913, S. 40. 27 Der Eintritt der Liberalen in die Ministerien erfolgte am 9. 3.; Mann, Württemberger, S. 15ff. 28 »Deshalb darf man nicht lange unterhandeln u. verhandeln, sondern schleunige Hilfe ist geboten«; KdA, 14. 3. 1848, S. 168. 29 V. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 480-483; der die ungenügende Vorbereitung dieses Gesetzes konstatiert. Zitat aus dem Gesetz vom 14. 4. 1848; Reg.bl. 1848, S. 165. 30 V. a. die Zehntablösung, die Staat, Kirche u. Gemeinden in entscheidendem Maß betraf, war heftig umstritten; letztlich setzte sich jedoch auch hier die - liberale - zweite Kammer durch: die weitgehenden Bestimmungen des Gesetzes vom 14. 4. 1848 (niedrige Ablösungspreise, 16facher Maßstab, 4,5%ige Verzinsung) wurden übernommen; v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 524f. 31 Nach ebd., Bd. I, S. 521; Zitat Dipper, dass., S. 88. 32 Wieland, dass., S. 88f., 90f. Für zwei badische Güter (aus Billafingen bei Überlingen) errechnete er die entsprechenden Ablösungssummen nach württ. Recht: Württ. Baden Erblehen (16,8ha) 747fl.2 kr. 946fl.22 kr. Fallehen (30, 1 ha) 1 347 fl. 1kr. 3285 fl. Darüber hinaus war der Betrag nach württ Recht in max. 25 Jahresraten mir 4%iger Verzinsung, nach badischem Recht in max. 10Jahresraten mit 5%iger Verzinsung abzuzahlen. 33 Die Verwendung der Ablösungsgelder ist nach den einzelnen Empfängern getrennt zu verfolgen. Insgesamt wurden 87,5 Mill. fl. freigesetzt, wovon nach Abzug der Komplexlasten (zumeist Anteile am Zehnten, die für kirchliche u. schulische Verwendungszwecke festgelegt waren) ca. 70 Mill. fl. zur freien Verfügung blieben. Auf die einzelnen Gruppen entfielen jeweils: in Mill. fl. in% Staat 41,5 47,5 inländischer Adel 17 19 (davon Standesherren) 12 14 Kirchen-/Schulstellen 8,5-9 10 Stiftungen/Korporationen 8,5-9 10 Hofdomänenkammer 3,7 4 sonstige Berechtigte 8 9 Nach v. Hippel, dass., Bd. I, S. 521. 240 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 58-60 Zur Verwendung der Kapitalien ebd., S. 519ff.; E. Schremmer, Die Bauernbefreiung in Hohenlohe, Stuttgart 1962, S. 131ff.;H. Winkel, Höhe u. Verwendung der im Rahmen der Grundlastenablösung bei Standes- u. Grundherren angefallenen Ablösungskapitalien, in: W. Fischer (Hg.), Beiträge zu Wirtschaftswachstum u. Wirtschaftsstruktur im 16. u. 19. Jh., Berlin 1971, S. 83-99; ders., Die Ablösungskapitalien aus der Bauernbefreiung in West- u. Süddt., Stuttgart 1968, S. 41ff.,62ff. 34 Legt man das Ablösungskapital gemäß der Gesetze von 1848/49 zugrunde, entfielen die Gelder auf Standesherren, ritterschaftlichen u. landsässigen Adel im Verhältnis 9:3:1; ebd., S. 44. 35 Schremmer, Bauernbefreiung, S. 142; ähnlich v. Hippel, dass., Bd. I, S. 536. Anzumerken ist, daß die›liberaleWirtschaftsordnung‹ erst 1862 eingeführt wurde. 36 Zit. n. ebd., Bd. I, S. 491. 37 Zur Agrarbewegung im Frühjahr 1848 allgemein R. Koch, Die Agrarrevolution in Dt. 1848, in: D. Langewiesche (Hg.), Die Dt. Revolution von 1848/49, Darmstadt 1983, S. 362-394; G. Franz, Die agrarische Bewegung im Jahr 1848, in: ZAA, Jg. 7, 1959, S. 176-193; zu Württemberg v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 485-498; H. Mohrdiek, Die Bauernunruhen in Württemberg, Diss. Tübingen 1949, MS, S. 59-112; P. Müller, Württemberg u. die badischen Erhebungen 1848/49, Diss. Tübingen 1952, MS; M. Scharfe, Die Erwartung, ›daß nun alles frei sey. . .‹. Polit.-rechtl. Vorstellungen u. Erwartungen von Angehörigen der unteren Volksklassen Württembergs 1848/49, in: K. Köstlin u. K. D. Sievers (Hg.), Das Recht der kleinen Leute, Berlin 1976, S. 179-194; zum Problem des polit. Gehalts bäuerlicher Forderungen in den Agrarunruhen allg. auch R. Wirtz, Die Begriffsverwirrung der Bauern im Odenwald, in: D. Puls (Hg.), Wahrnehmungsformen u. Protestverhalten, Frankfurt 1979, S. 81-104; ders., Widersetzlichkeiten, S. 169-197; M. Gailus, Soziale Protestbewegungen in Dt. 1847-1849, in: Volkmann u. Bergmann (Hg.), Protest, S. 76-106; J . Mooser, Ländliche Klassengesellschaft 1770-1848, Göttingen 1984, S. 355-367; H. Bleiber, Bauernbewegungen u. bäuerliche Umwälzung im Spannungsfeld zwischen Revolution u. Reform in Dt. 1848/49, in: M. Kossok u. W. Loch (Hg.), Bauern u. bürgerl. Revolution, Vaduz 1985, S. 199-220. 38 Zit. n. v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 495, Bd. I, S. 496. 39 Kommentar eines Grundherren, zit. n. Mohrdiek, Bauernunruhen, S. 61. 40 Abgedruckt in v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. II, S. 495-498 (Rau), 498f. (Aulendorf). 41 Ebd., S. 499, Bd. I, S. 493f.; ». . . ist den bäuerlichen Petitionen durch alle speziellen Anliegen hindurch gemeinsam das Bemühen, die Gemeindeautonomie zu erweitern u., damit eng verbunden, die Gemeindefinanzen zu entlasten . . . Dabei wird das besondere Interesse der dörflichen Oberschicht deutlich sichtbar.« Ebd., S. 493. 42 Zit. n. Scharfe, Erwartung, S. 183. In Oberschwaben kam es nicht zu den aus Nordwürttemberg, v. a. Hohenlohe, überlieferten Aktionen wie Verbrennen von Akten, Unterlagen u. Rechnungen, vereinzelt auch zum Niederbrennen von Schlössern; am detailliertesten geschildert bei Mohrdiek, Bauernunruhen, S. 59 ff. 43 Kircher, Adel; ders., Ein fürstlicher Revolutionär aus dem Allgäu. Fürst Constantin von Waldburg-Zeil 1807-1862; Kempten 1980; mit starker Betonung des konfessionellen Gegensatzes von zumeist katholischem Adel u. protestantischer Zentralregierung; V. Neth, Standesherren u. liberale Bewegung, Stuttgart 1970, S. 27—43; allg. H. Gollwitzer, Die Standesherren, Göttingen 1964, mit den darin enthaltenen Einzelstudien zu württ. Adelshäusern. 44 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 490. 45 Ebd., Bd. II, S. 481 ff. 46 Zum Bürgerrecht Communordnung 1758, II. Kapitel, 12. Abschnitt, in: Reyscher, Bd. XIV, S. 581ff.; Generalreskript vom 31.8.1714, in: ebd., Bd. XIII, S. 1023ff. (zur Einteilung in Bürger, Beisitzer, Gesinde, Arme). Zur Allmendenutzung v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 561 ff.; Grees, Unterschich241 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 60-62 ten, S. 30ff.; C. C. Knaus, Die polit. Gemeinde als Grundeigentümerin, in: ZGS, Jg. 1, 1844, S. 443-477. 47 Grees, Kulturlandschaft. 48 Zugespitzt formuliert: nicht die Realteilung bewirkte die Güterzersplitterung, sondern die vorherrschende kleinbetriebliche Agrarstruktur (oft durch Allmendeverteilungen entstanden)fördertedie Aufteilung von Höfen - nicht so sehr im Erbfall, sondern sukzessive durch Verkauf, Tausch u. Aufteilung; Grees, Kulturlandschaft, S. 302. 49 Allmendeverteilungen vergrößerten v. a. bestehende Besitzungen, es wurden kaum neue Stellen geschaffen; die Erwerbsmöglichkeiten in der Weberei wurden zum einen primär von den Beiwohnern (dörfliche Unterschichten ohne Nutzungsrechte u. zumeist auch ohne Landbesitz) wahrgenommen u. waren seit der Mitte des 18. Jh. tendenziell rückläufig. 50 Scherer, Weingarten, S. 33; hebt die erbitterten Auseinandersetzungen hervor, die in den Dörfern um die Gemeindezugehörigkeit der Seidner geführt wurden. 51 Grees, Unterschichten, S. 17f.; ders., Kulturlandschaft, S. 320; Scherer, Weingarten, S. 32 f. 52 WJb, Bd. I, 1874, Tab. XIVb. 53 Die Allmenden des Königreich Württemberg, in: Landwirtschaftliches Correspondenzblatt, Jg. II, 1822, S. 267-285, hier S. 271. Um die Jh. mitte beispielsweise war in vielen Bezirken die ehemalige Brache fast vollständig verteilt; F. Franck, Die Veränderungen in den Betriebsgrößen u. Anbauverhältnissen sowie in der Viehzucht der württ. Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jh., Diss. Jena 1902, S. 4. 54 Grees, Unterschichten, S. 32. 1895 bestanden noch in 551 Ortschaften Realgemeinden, deren Ablösung sich dann noch weit ins 20. Jh. hinein erstreckte; Dehlinger, Staatswesen, § 111; vgl. auch Landauer, Geschichte der Verfassung einer Realgemeinde (Einigen, ΟΑ Aalen), in: Württ. Zeitschrift für Rechtspflege u. Verwaltung, Jg. 2, 1909, S. 51-66; der einen guten Überblick über Prinzip u. Struktur von Realgemeinden gibt. 55 A. v. Miaskowski, Das Erbrecht u. die Grundeigentumsverteilung im Dt. Reich, 2 Bde., Leipzig 1882/3, hier Bd. I, S. 159; zum Problem der ›Selbstausbeutung‹, dem Spannungsfeld von Marktökonomie, Familienwirtschaft u. kleinbürgerlichem Besitzdenken Mooser, Klassengesellschaft, S. 71-73. 56 Zur Ehegesetzgebung im Konfliktbereich zwischen Unterschichten, Gemeindeverwaltung u. Staatsregierung K.-J. Matz, Pauperismus u. Bevölkerung. Die gesetzlichen Ehebeschränkungen in den süddt. Staaten im 19. Jh., Stuttgart 1980, S. 114ff., 201 ff. 57 Bereits M. Mohl, Über die württ. Gewerbsindustrie, Stuttgart 1828; erörtert die wichtigsten Strukturprobleme der württ. Wirtschaft. Seine Preisschrift von 1821 ist ihrer ganzen Anlage nach ein Drängen auf staatl. Gewerbeförderung. A. Rümelin, Gewerbeübersicht für das Jahr 1861, in: WJb, Bd. II, 1862, S. 1-298; bereitet (zusammen mit G. Schmoller) nicht nur die Ergebnisse der Zollvereinszählung von 1861 auf, sondern gibt auch einen historischen Überblick über die Wirtschaft Württembergs. Allg. W. A. Boelke, Wege u. Probleme des industriellen Wachstums im Königreich Württemberg, in: ZWLG, Jg. 32, 1973, S. 436-520; O. Borst, Staat u. Unternehmer in der Frühzeit der württ. Industrie, in: Tradition, Jg. 10, 1966, S. 105-126, S. 133-174; U. Feyer, Die Anfänge der Industrie in Baden-Württemberg 1829/1832, in: Histor. Atlas, Bd. XI/6, S. 1-8; P. Gehring, Das Wirtschaftsleben in Württemberg unter König Wilhelm I., 1816-1864, in: ZWLG, Jg. 9, 1949/50, S. 196-257; J . Griesmeier, Die Entwicklung der Wirtschaft u. Bevölkerung von Baden u. Württemberg im 19. u. 20. Jh., in: Jb. für Statistik u. Landeskunde von Baden-Württemberg, Bd. 1, 1954/55, S. 121-242; W. ν. Hippel, Bevölkerungsentwicklung u. Wirtschaftsstruktur im Königreich Württemberg 1815/65, in: U. Engelhardt u. a. (Hg.), Soziale Bewegung u. politische Verfassung, Stuttgart 1976, S. 270-371; Kaschuba u. Lipp, 1848, S. 15ff.; E. Klein, Die Anfänge der Industrialisierung Württembergs in der 1. Hälfte des 19. Jh., in: Raumordnung im 19. Jh., Bd. II, Hannover 1967, S. 83-137; H. Loreth, Das Wachstum der württ. Wirtschaft von 1815 bis 1918, in: Jb. für Statistik u. Landeskunde von Baden-Württemberg, Bd. 19, 1974, 242 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 62-63 S. 3-116; K. Megerle, Der Beitrag Württembergs zur Industrialisierung Dt., in: ZWLG, Jg. 34/35, 1975/76, S. 324-357; ders., Württemberg; R. L. Mehmke, Entstehung der Industrie u. Unternehmertum in Württemberg, in: Dt. Zs.fürWirtschaftskunde, Jg. 4, 1939, S. 56-68, 113-131; W.-R. Ott, Grundlageninvestitionen in Württemberg, Diss. Heidelberg 1971; M. Scharfe u.a., Infrastrukturpolitik u. Wirtschaftsentwicklung, in: Der Bürger im Staat, Jg. 27, 1977, S. 45-53; G. Seybold, Württembergs Industrie u. Außenhandel vom Ende der napoleonischen Kriege bis zum dt. Zollverein, Stuttgart 1974; C. O. Trieb, Wirtschaft u. Bevölkerung in Dt. während der ersten Hälfte des 19. Jh. in ihren Wechselwirkungen, dargestellt an Württemberg, Sachsen u. der Provinz Preußen, Diss. Gießen 1928. 58 S. Pollard, Industrialization and the European Economy, in: Economic History Review, 2nd ser., Jg. 26, 1973, S. 636-648; den., Einleitung, in: ders. (Hg.), Region u. Industrialisierung, Göttingen 1980, S. 11-21; der den europ. Wirtschaftsraum seit dem ausgehenden 18. Jh. als Einheit faßt, die im Verlauf der Industrialisierung - die sich in den Regionen zu unterschiedlichen Zeiten vollzog - ihre Homogenität vorübergehend verlor, sie im 20. Jh. aber als nunmehr industrielle wiedergewann. Mit besonderer Berücksichtigung Württembergs H. Kiesewetter, Staat u. regionale Industrialisierung. Württemberg u. Sachsen im 19. Jh., in: ders. u. R. Fremdling (Hg.), Staat, Region u. Industrialisierung, Ostfildern 1985, S. 108-139; K. Megerle, Regionale Differenzierung des Industrialisierungsprozesses: Überlegungen am Beispiel Württembergs, in: R. Fremdling u. R. Tilly (Hg.), Industrialisierung u. Raum, Stuttgart 1979, S. 105-131; ders., Varianten eines Industrialisierungstyps. Die Verarbeitungsindustrie in Baden u. Württemberg im 19. Jh., in: Kiesewetter u. Fremdling (Hg.), Staat, S. 140-162; F. B. Tipton jun., Regional Variations in the Economic Development of Germany during the Nineteenth Century, Middletown/Conn. 1976; ders., National Growth Cycles and Regional Economic Structures in Nineteenth Century Germany, in: W. H. Schröder u. R. Spree (Hg.), Histor. Konjunkturforschung, Stuttgart 1980, S. 29-46. 59 K. Borchardt, Wirtschaftliches Wachstum u. Wechsellagen 1800-1914, in: Η. Aubin u. W. Zorn (Hg.), Handbuch der dt. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte, Bd. II, Stuttgart 1976, S. 198-275; G. Plumpe, Die württ. Eisenindustrie im 19. Jh., Wiesbaden 1982, S. 275ff. 60 Ebd., S. 281. 61 Zum Gewerbebesatz Megerle, Württemberg, Schaubild S. 152. Das allg. Periodisierungsmuster nach H.-U. Wehler, Theorieprobleme der modernen dt. Wirtschaftsgeschichte (1800-1945), in: G. A. Ritter (Hg.), Entstehung u. Wandel der modernen Gesellschaft, Berlin 1970, S. 66-107, hier S. 87f. 62 Seybold, Württ. Industrie, S. 19-23; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, v. a. S. 278ff.; zu den Wanderungsverlusten S. 286, S. 290ff.; ders., Auswanderung aus Südwestdt., Stuttgart 1984, S. 137ff.; G. Bassler, Auswanderungsfreiheit u. Auswanderungsfürsorge in Württemberg 1815-1855, in: ZWLG, Jg. 33, 1974, S. 117-160. 63 M. Mohl, Gewerbsindustrie, S. 89; der von den »in ihren Absatz-Verhältnissen tief erschütterten Hauptgewerben« spricht; Seybold, Württ. Industrie, S. 3-18; Boelcke, Ind. Wachstum, S. 440f. 64 H. Schultz, Landhandwerk u. ländl. Sozialstruktur um 1800, in: JfW, Bd. II, 1981, S. 11-50, hier S. 27f. 65 Ebd. 66 Schultz, Landhandwerk, Tab. 1, Grafik 1, S. 27 f. 67 M. Mohl, Gewerbsindustrie, S. 85 (Zitat), 65-97. Zur Situation der württ. Protoindustrie im 18. Jh. H. Liebel, Der Beamte als Unternehmertyp in den Anfangsstadien der Industrialisierung: J. F. Müller u. die Staats- u. Wirtschaftsreform Württembergs 1750-1780, in: Ritter (Hg.), Entstehung, S. 221-260; H. Medick, ›Freihandel für die Zunft‹, in: Fs. R. Vierhaus, Göttingen 1982, S. 277-294; ders., Privilegiertes Handelskapital u. ›kleine Industrie‹. Produktion u. Produktionsverhältnisse im Leinengewerbe des altwürtt. OA Urach im 18. Jh., in: AfS, Bd. 23, 1983, S. 267-310; der den Niedergang der großen Handelskompagnien (1792 Auflösung der Uracher Leinwandhandlungskompagnie) auch als Verlagerung hin 243 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 64—67 zu dezentralisierten, klein- u. nebengewerblichen Formen eher handwerklich orientierter Produktionsbedingungen beschreibt. 68 ›Fabrik‹ bedeutet im zeitgenössischen Sprachgebrauch - der hier zugrundegelegt wird die Zusammenfassung von Fabriken u. Manufakturen im Unterschied zu »bloß handwerksmäßig betriebenen Gewerben«, WJb, Bd. I, 1832, S. 170. Nach der Gewerbeordnung sind Fabriken an eine staatliche Konzession gebunden, wenn sie im Bereich zünftischer Gewerbe produzieren wollen; Reg.bl. 1836, S. 419f. Damit dürften unter ›Fabriken‹ meist arbeitsteilig produzierende u. maschinell ausgestattete Betriebe zu verstehen sein. ›Krise der Landwirtschaft‹ hier verstanden als Phase niedriger Preise. Die Angaben über Fabrikgründungen u. Gantfalle bei Seybold, Württ. Industrie, S. 32ff.; Feyer, Industrie, S. 3ff. 1813 gab es - legt man den weit gefaßten zeitgenössischen Begriff zugrunde - 113 ›Fabriken‹; Boelcke, Ind. Wachstum, S. 443. 69 Megerle, Württemberg, S. 87; Feyer, Industrie, S. 4; Boelcke, Ind. Wachstum, S. 444f. (zu Weckherlin). 70 Vgl. den Überblick über die Anzahl der Konkursverfahren zwischen 1840/47 u. 1871 bei Langewiesche, Liberalismus, S. 49; das Maximum der Gantfälle mit ca. 9000 lag im Jahr 1854, die Zahl sank dann bis 1859 kontinuierlich auf unter 1000 ab. 71 Zum Zollverein Megerle, Württemberg, S. 169ff.; ders., Ökonomische Integration u. polit. Orientierung dt. Mittel- u. Kleinstaaten im Vorfeld der Reichsgründung, in: H. Berding (Hg.), Wirtschaftl. u. polit. Integration in Europa im 19. u. 20. Jh., Göttingen 1984, S. 102-127; über den Einfluß des Zollvereins auf die Industrie u. den Handel Württembergs, in: Gewerbeblatt aus Württemberg 1851, 213-302 (eine Umfrage der ›Zentralstelle für Gewerbe u. Handel‹ vom Oktober 1849); zum Eisenbahnbau K. Herrmann, Die württ. Eisenbahn-Gesellschaft 1836-1838, in: ZWLG, Jg. 37, 1978, S. 179-202; A. Mühl u. K. Seidel, Die württ. Staatseisenbahnen, Stuttgart 1970; O. Supper, Die Entwicklung des Eisenbahnwesens im Königreich Württemberg (1895), Stuttgart 1981; zur Güternachfrage Loreth, Wachstum, 100f.; zur Landwirtschaft R. Kreidler, Die staatl. Förderung der Landwirtschaft im Königreich Württemberg, Diss. Hohenheim 1971, S. 70ff.; F. Facius, Staat u. Landwirtschaft in Württemberg 1780-1920, in: Fs. G. Franz. Frankfurt 1967, S. 288-313. 72 Jahresberichte der Handels- u. Gewerbekammern in Württemberg, 1861, S. 1; 1860, S. 43. 73 Megerle, Württemberg, S. 153ff. 74 Ebd., S. 173f.; v. Hippel, Industrieller Wandel im ländlichen Raum. Untersuchungen im Gebiet des mittleren Neckar 1850-1914, in: Aß, Bd. 19, 1979, S. 43-122, hier S. 121 f. 75 Megerle, Württemberg, S. 135; im Vergleich zu anderen Regionen hatte Württemberg den höchsten Motorisierungsgrad u. die geringste durchschnittlich genutzte Leistung. Weder Wasserkraft, Dampfmotoren noch Dieselmaschinen waren hierfür ähnlich gut geeignet wie der Elektromotor. 76 Ebd., S. 188. 77 M. Mohl, Gewerbsindustrie, S. 111ff.; Megerle, Württemberg, S. 165ff. Das folgende im wesentlichen nach Megerle. 78 Ebd., S. 170f.; F.-F. Wauschkuhn, Staatl. Gewerbepolitik u. frühindustrielles Unternehmertum in Württemberg von 1806 bis 1848, in: E. Maschke u. J . Sydow (Hg.), Zur Geschichte der Industrialisierung in den südwestdt. Städten, Sigmaringen 1977, S. 14-24, hier S. 19. 79 Ebenfalls retardierend wirkte sich seit Ende der 50er Jahre die günstige Auslandsnachfrage (für die Industrie) wie auch die von guten Ernteerträgen bestimmte Agrarkonjunktur (für die Kleingewerbe) aus. Der derart verringerte ökonomische Anpassungsdruck verzögerte die weitere industrielle Enwicklung. 80 Allg. K. Borchardt, Zur Frage des Kapitalmangels in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Dt., in: JNS, Bd. 173, 1961, S. 401-421; Boelcke, Ind. Wachstum, S. 460ff.; E. Klein, Die kgl. württ. Hofbank u. ihre Bedeutung für die Industriefinanzierung in der 1. Hälfte des 19. Jh., 244 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 67-70 in: JNS, Bd. 179, 1966, S. 324-343; R. Kaulla, Die Organisation des Bankwesens im Kgr. Württemberg in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Stuttgart 1908. 81 H. Kiesewetter, Staat u. Unternehmen während der Frühindustrialisierung. Das Königreich Sachsen als Paradigma, in: ZfU, Jg. 29, 1984, S. 1-32, hier S. 29f. Allg. dazu W. Fischer, Verhältnis von Staat u. Wirtschaft in Dt. am Beginn der Industrialisierung, in: ders., Wirtschaft u. Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 60-74; zu Württemberg außer der in Anm. 57 genannten Literatur noch A. Mirus, Über Gewerbeforderung u. Gewerbetätigkeit im Königreich Württemberg, Leipzig 1861; R. Uhland, Gewerbeforderung in Baden u. Württemberg im 19. Jh. u. die Entwicklung staatl. Zentralstellen, in: Bausteine zur geschichtlichen Landeskunde von Baden-Württemberg, Stuttgart 1979, S. 435—467; zu gewerbl. Interessenorganisationen W. Fischer, Unternehmerschaft, Selbstverwaltung u. Staat, Berlin 1964, S. 55ff.; P. Gehring, F. List. Jugend-u. Reifejahre 1789-1825, Tübingen 1964; C. Lipp, Württ. Handwerker u. Handwerkervereine im Vormärz u. in der Revolution 1848/49, in: U. Engelhardt (Hg.), Handwerker in der Industrialisierung, Stuttgart 1984, S. 347-380, hier S. 350ff. 82 Boelcke, Ind. Wachstum, S. 470; Megerle, Württemberg, S. 177ff. 83 K. Megerle, Zur Entstehung von Arbeitgebervereinigungen. Überlegungen am Beispiel des Heidenheimer Fabrikantenvereins von 1835, in: GG, Jg. 6, 1980, S. 189-219, hier S. 207, für den Vormärz sowiefürdie 2. Jh.hälfte ders., Württemberg, S. 173. 84 Vgl. H. Schomerus, Die Arbeiter der Maschinenfabrik Esslingen, Stuttgart 1977, S. 57ff.; P. Borscheid, Arbeitskräftepotential, Wanderung u. Wohlstandsgefälle, in: Fremdling u. Tilly (Hg.), Industrialisierung, S. 230-250, hier S. 240f.; ders. u. H. Schomerus, Mobilität u. soziale Lage der württ. Fabrikarbeiterschaft im 19. Jh., in: P.J. Miller (Hg.), Die Analyse prozeß-produzierter Daten, Stuttgart 1977, S. 199-224; ders., Schranken sozialer Mobilität u. Binnenwanderung im 19. Jh., in: W. Conze u. U. Engelhardt (Hg.), Arbeiter im Industrialisierungsprozeß, Stuttgart 1979, S. 31-50; ders., Textilarbeiterschaft in der Industrialisierung. Soziale Lage u. Mobilität in Württemberg (19. Jh.), Stuttgart 1978, S. 166ff., 301 ff. Zur nicht zu unterschätzenden, ebenfalls stattfindenden Land-Stadt-Migration v. Hippel, Ind. Wandel, S. 121f. 85 Megerle, Württemberg, S. 174. 86 Vgl. außer der in Anm. 62 angegebenen Literatur Trieb, Wirtschaft; H. Lang, Die Entwicklung der Bevölkerung in Württemberg u. württ. Kreisen, OAbezirken, u. Städten im Laufe des 19. Jh., Tübingen 1903; E. Kull, Beiträge zur Statistik der Bevölkerung des Königreichs Württemberg, in: WJb, Bd. I, 1874, S. 1-232, dort das umfangreichste Zahlenmaterial. Allg. W. Köllmann, Bevölkerungsgeschichte 1800-1970, in: Aubin u. Zorn (Hg.), Handbuch, Bd. II, S. 9-50, hier S. 10f.; P. Marschalck, Bevölkerungsgeschichte Dt. im 19. u. 20. Jh., Frankfurt 1984, S. 27 ff., S. 150. 87 Genaue Daten sind nicht zu ermitteln, da es neben der offiziellen Auswanderung, die über Abmeldung bei den Gemeinden erfaßt wurde u. in diesem Zeitraum 319337 Personen registrierte, noch einen hohen Anteil an nicht legalen Auswanderungen gab. Da Auswanderungen in Württemberg gesetzlich zugestandenes Recht der Einwohner war, bestand die ›Illegalität‹ in der nicht vollzogenen behördlichen Abmeldung; Bassler, Auswanderungsfreiheit, S. 127ff. Die Angaben nach v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 277ff.; Kull, Beiträge, S. 23 ff. 88 v. Hippel, Auswanderung, S. 236ff., 248f. 89 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 291 f. 90 Die ›östliche Landeshälfte‹ umfaßt den Jagst- u. Donaukreis ohne die OÄ Welzheim, Schorndorf, Göppingen, Kirchheim; zusätzlich aber das OA Urach; die westliche analog dazu den Neckar- u. Schwarzwaldkreis; Kull, Beiträge, S. 26. 91 Ebd., S. 20. 92 Ebd., S. 32ff.; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 291 ff. 93 v. Hippel, Auswanderung, S. 153; WJb, Bd. I, 1874, S. 26. 245 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 70-75 94 Kull, Beiträge, S. 26. 95 Ebd., S. 34f. % Nach Megerle, Württemberg, S. 107f., 126. 97 Kull, Beiträge, S. 34; Megerle, Württemberg, S. 121. 98 Ebd., S. 108; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 319ff. 99 Megerle, Württemberg, S. 95; WJb, 1862, S. 153, 155. Die Zahlenangaben differieren leicht mit den errechneten, da es bei vielen Gewerben, z. Β. Mühlen, Bleichen, Gerbereien etc. letztlich eine Ermessensentscheidung bleibt, welche Gruppen als Fabrikarbeiter einzustufen sind. Zeitgenössische Statistiken für einen früheren Zeitraum können bestenfalls Annäherungswerte vermitteln. So enthält eine ›General-Gewerbs-Tabelle‹ für 1816 (3. März 1817) eine Zahl von 7527 ›Arbeitern‹ in 137 Fabriken u. Manufakturen. Darin enthalten sind aber auch Spinnereien mit mehreren Hundert, ja Tausend, Beschäftigten, worunter aber ganz überwiegend Frauen u. Kinder zu finden sein dürften. HSTAS Ε 146, Bü 6703. Für 1832 ergeben sich dann 269 Fabriken mit 6852 ›Gehilfen‹, was nun schon eher als Fabrikpersonal zu verstehen ist; WJb, 1832, S. 155. 100 G. Schmoller, Die Resultate der pro 3. 12. 1861 aufgenommenen Gewerbestatistik, in: WJb, 1862, S. 161-296. 101 W. Conze, Vom ›Pöbel‹ zum ›Proletariat‹. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Dt., in: H.-U. Wehler (Hg.), Moderne dt. Sozialgeschichte, Düsseldorf 51981, S. 111-136; ders., Proletariat, in: GGr, Jg. 5, 1984, S. 27-69, hier S. 39ff. R. Mohl, Über die Nachteile, welche sowohl dem Arbeiter selbst, als dem Wohlstande u. der Sicherheit der gesamten bürgerlichen Gesellschaft von dem fabrikmäßigen Betrieb der Industrie zugehen, u. über die Notwendigkeit gründlicher Vorbeugungsmittel, in: Archiv der polit. Ökonomie u. Polizeiwiss., Bd. 2, 1835, S. 141-203; u. in: C. Jantke u. D. Hilger (Hg.), Die Eigentumslosen, Freiburg 1965, S. 295-318; als ein Beispiel für die zeitgenössische Diskussion; vgl. auch die anderen Beiträge in dem Band von Jantke/Hilger. 102 VU 1819, § 137; H. Brandt, Polit. Partizipation am Beispiel eines dt. Mittelstaates im 19. Jh. Wahlrecht u. Wahlen in Württemberg, in: O. Steinbach (Hg.), Probleme polit. Partizipation im Modernisierungsprozeß, Stuttgart 1982, S. 135-155, hier S. 136f. 103 Bürgerrechtsgesetz 1833, Art. 45 (keine Änderung gegenüber der Fassung von 1828), Reyscher, Sammlung, XV/2, S. 1078. 105 Matz, Pauperismus, S. 217f. 106 Gall, Bürgerliche Gesellschaft, S. 176. 107 Sedatis, Liberalismus, S. 121; der die Angaben aus dem Gewerbesteuerkataster errechnete. Für Baden ergibt sich mit 84% Beschäftigten im Handwerk u. 81,3% Selbständigen ein ähnliches Bild. 108 Ebd.; Megerle, Württemberg, S. 94f. 109 Zusammengestellt nach v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 319f. Die Zahl der besteuerten Gewerbe ist der Tendenz nach vmt. etwas zu hoch, da Doppelzählungen hierbei unvermeidlich waren. Besteuert wurde der Gewerbebetrieb, nicht der Gewerbetätige. Außerdem wurden auch Nebengewerbe miterfaßt. Wie ein Vergleich mit der Zahl der Selbständigen nach der Gewerbezählung von 1861 mit diesen Angaben verdeutlicht, können sie trotz dieser Mängel als Indikator dienen. Für 1861 errechnet sich eine Gesamtsumme an gewerblichen Selbständigen von 130933, wobei Nebengewerbe nach Möglichkeit nicht mitgezählt wurden. 110 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 324. 111 Zu den Quellen u. der Datengruppierung vgl. Anhang 1. 112 WJB, Bd. I, 1861, S. 114. 113 Schomerus, Arbeiter, S. 25; P. Kirsch, Arbeiterwohnsiedlungen im Königreich Württemberg in der Zeit vom 19. Jh. bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Tübingen 1982, S. 37ff.; W. Schmierer, Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik. Die Anfänge der Arbeiterbewegung in Württemberg 1862-1878, Hannover 1970, S. 31 ff. 114 U. Herrmann u. a., Kindheit, Jugendalter u. Familienleben in einem schwäbischen Dorf 246 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 75-78 im 19. u. 20. Jh. (bis zum Ersten Weltkrieg), in: P. Borscheid u. H.J. Teuteberg (Hg.), Ehe, Liebe, Tod, Münster 1983, S. 66-79, hier S. 73f.; A. Gestrich, Traditionelle Jugendkultur u. Industrialisierung, Göttingen 1986; v. Hippel, Ind. Wandel, S. 121. 115 Quellen: WJb, Bd. I, 1874, S. 86ff. (für 1852); dass., Bd. II, 1862 (für 1861). Weiteres Material u. Erläuterungen zu den Erhebungen in dass., Bd. II, 1852, S. 1ff.; dass., Bd. I, 1857, S. 85ff.; dass., Bd. II, 1860, S. 1ff. Vgl. auch allg. dazu v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung; Sedatis, Liberalismus, S. 119ff.; Megerle, Württemberg. 1852 betrug die Einwohnerzahl 1 773 263, sie sank dann bis 1855 auf 1 669 720 ab u. stieg bis 1861 wieder auf 1720708 an; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 278. Zur agrarischen Besitzstruktur ders., Bauernbefreiung, I, S. 545ff.;v.Hippel bemerkt über die Bauernbefreiung, daß sie sich »auf die Verteilung von Grund u. Boden . . . insgesamt nicht spürbar ausgewirkt« habe; ebd., S. 536. 116 WJb, Bd. I, 1874, S. 87f.; für 1852 umfaßt diese Rubrik 61 242 Personen. Am Ende des Jh. waren etwa zwei Drittel der abhängig Beschäftigten in der Landwirtschaft mithelfende Familienangehörige; ein Anteil, der in früheren Jahrzehnten eher höher gelegen haben dürfte. Deshalb erscheint es zulässig, diese Sparte nicht mitzuzählen; vgl. M. Scharfe, Bäuerliches Gesinde im Württemberg des 19. Jh.: Lebensweise u. Lebensperspektiven, in: H. Haumann (Hg.), Arbeiteralltag, Berlin 1982, S. 40-60, hier S. 41 f. 117 Brandt, Partizipation, S. 136f. 118 Vgl. Anhang 1. 119 Arbeiter/-innen Gesellen Aalen 1 701 1 132 Esslingen 4038 1 657 Calw 851 2874 Stuttgart, Stadt 4815 7639 nach WJb, Bd. II, 1862, S.1ff. 120 Sedatis, Liberalismus, S. 130ff.; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 334ff. 121 Das Königreich Württemberg, Stuttgart 1863, Tab. G 3. 122 WJb, Bd. II, 1860, S. 44ff, Zitat S. 44; v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 357 ff. 123 Ebd., S. 355. 124 Sedatis, Liberalismus, S. 124. 125 Vgl. Kap.III.1. 126 E. Schremmer, Zusammenhänge zwischen Katastersteuersystem, Wirtschaftswachstum u. Wirtschaftsstruktur im 19. Jh. Das Beispiel Württemberg: 1821-1877/1903, in: Fs. W. Abel, Bd. III, Hannover 1974, S. 679-706, hier S. 696; mit den genauen Angaben. 127 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 320. 128 Schremmer, Zusammenhänge. 129 Zit. n. Gall, Bürgerliche Gesellschaft, S. 172. Diese nichtökonomische Bedeutung übersieht Sedatis, der ›Selbständiekeit‹ fast ausschließlich als fiskalische Größe ansieht. 130 Ebd., passim; Sheehan, Liberalismus u. Gesellschaft; ders., Liberalismus, S. 26ff. Sheehan spricht vom Mittelstand als einer im liberalen Verständnis »nicht nur sozialen, sondern auch moralischen Kategorie«, ebd., S. 34. 131 C. Rotteck, Eigentum, in: StL, Bd. 4, 21846, S. 211-217, hier S. 214. 132 Einen weiteren Beleg für die Stichhaltigkeit der Scheidelinie Selbständigkeit - Unselbständigkeit liefert die Mitgliedsstruktur der Vereine. In den Volksvereinen waren auf Führungs- u. Mitgliedsebene fast nur als selbständig Einzustufende vertreten. In den Arbeitervereinen dagegen organisierten sich mit Gesellen u. Arbeitern die Hauptgruppen der Unselbständigen. Boldt, Volksvereine, S. 133ff; F. Baiser, Sozial-Demokratie 1848/49, Stuttgart 1962, Bd. I, S. 339ff. 133 F. Steinbeis, Die Elemente der Gewerbeförderung, Stuttgart 1853, S. 284; dazu P. Siebertz, F. Steinbeis, Stuttgart 1952, S. 135ff; H.-O. Binder, Württembergs Weg zur Industrie. 247 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 79-83 Eine zeitgenössische Diskussion, in: F. Quarthai u. W. Setzier (Hg.), Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik, Sigmaringen 1980, S. 191-203, hier S. 202f.; H. Christmann, F. Steinbeis, Diss. Stuttgart 1967, S. 83ff., 95ff. 134 Aus ›Mein Eigentum‹ (1800); F. Hölderlin, Werke, hg. von G. Mieth, München 1970, Bd. 1, S. 246. Noch am Ende des Jh. waren die Hoffnungen auf Eigentum weit verbreitet. Scharfe beschreibt die Hoffnungen des Gesindes, das sich auf diese Perspektive konzentrierte. »Wann d' Glück gehabt hast, hast' können in ein kleines Höfle hineinschlupfen, wann d' Glück gehabt hast.« Als Teil des Gesindes benötigte man - nicht nur in dieser Zeit - aber schon ein erhebliches Ausmaß an glücklicher Fügung, um in einen Hof ›hineinzuschlupfen‹; M. Scharfe, Gesinde, S. 549.

III. Verwaltung und Verwaltungsreform im Vormärz 1 Organisationsmanifest, 18. 3. 1806, in Reg.bl., 1806, S. 6ff. 2 KdA, 16. 3. 1821, S. 406, 408; ebd., 13. 3. 1821, S. 339. Zur Entwicklung in Baden A. W. Blase, Die Einführung konstitut.-kommunaler Selbstverwaltung im Ghzt. Baden, Berlin 1938. 3 KdA, 23.1.1833, S. 2; ebd., 16.2.1833, S. 3, Beil., S. 54. - Beob. 14.10.1835, S. 349ff.; Beob. 30. 10., 5. 11., 7.11., 21. 11. (Zitat), 2. 12., 5. 12., 13. 12. 1835; Bericht des Innenmin. an den König, 21. 3. 1836, HSTAS Ε 33, Bü 623. 4 Motion Camerer zur Aufhebung der Lebenslänglichkeit, KdA 7. 3. 1836, S. 10; Bericht der Kommission für Innere Verwaltung, KdA 11.5. 1836, S. 2; KdA 1836, Beil. II, S. 270ff.; Beratung, KdA 10.6.1836, S. 3-84; Adresse an die Regierung, KdA 1836, Beil. III, S. 903-905. - Bericht des Innenmin. Schlayer an den Geh. Rat, 22. 4. 1836, HSTAS Ε 33, Bü 623. - Entwurf eines Zusatzgesetzes zu dem Verwaltungsedikt, KdA 5. 2. 1839, S. 1 f.; KdA 1839, Beil. II, S. 47-108. - Antrag Schübler, KdA 1845, Beil. II, S. 305-320, S. 1371-1384. Entwurf eines Zusatzgesetzes zum Verwaltungsedikt, KdA 8. 2. 1848, S. 103; KdA, Beil. II, S. 89-100. 5 Verfügung, betr. das Verbot der Teilnahme der Gemeindebeamten an Versteigerungen u. Akkorden in Gemeindesachen, Reg.bl. 1839, S. 697-699; Verordnung, betr. die Festsetzung der Taggelder, Diäten u. Reisekosten der Amtskörperschafts- u. Gemeindediener, ebd. 1841, S. 83-96; Verfügung, betr. das Verbot der Teilnahme der Gemeindebeamten an den unter waisengerichtl., oder in Gant- u. liquiden Schuldsachen unter Leitung des Gemeinderats vorzunehmenden Verkäufen, Verpachtungen u. dgl., ebd. 1843, S. 440f.; Bekanntmachung, betr. die Öffentlichkeit der Verhandlungen der Gemeinderäte, ebd. 1846, S. 150-152. 6 Anfrage Innenmin. 8.1.1845, HSTAS Ε 150, Bü 346/1; Anbringen Innenmin. 9. 10. 1847, HSTAS Ε 33, Bü 624 (Zitat). - Schlayer hatte bereits in den 30er Jahren einmal die Beamtenschaft befragt, damals sprachen sich von 43 Bezirksämtern immerhin noch 19 gegen eine Aufhebung der Lebenslänglichkeit aus; Bericht des Innenmin. 14. 3. 1838, HSTAS Ε 33, Bü 623. - KdA 1848, Beil. II, S. 89-100. 7 ›Ubersicht über den Stand der Gemeindeverwaltung‹, Reg.bl. 1836, 1839, 1846. Die Schilderung der Aufgaben nach einem Bericht der Regierung des Donaukreises, 26. 5. 1845, HSTAS Ε 150, Bü 346/1. 8 KdA 10. 6. 1836, S. 50 (Raidt), 39 (Römer). In der Debatte wurde auch mehrfach betont, daß die von der Regierung monierte fehlende ›Stetigkeit‹ ohnehin durch die Oberaufsicht der Behörden über die Gemeinden gewährleistet sei. 9 Ebd., S. 64. Die gegenläufige Konzeption wird auch an der Haltung zum Wahlrecht deutlich. Als 1847/48 von der Regierung schließlich ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, in dem die Periodizität der Gemeinderatswahlen vorgesehen war, war diese Neuerung verbunden mit einer Einschränkung des Wahlrechts. Es sollte von nun an an eine Steuerleistung 248 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 83-86 gebunden sein, außerdem sollte, analog zum Landtagswahlrecht, ein indirektes Wahlrecht mit einer Bevorzugung der Höchstbesteuerten eingeführt werden; KdA, 1848, S. 13, 90, 92f. 10 Gutachten des Geh. Rats, 4.-20. 11. 1847, HSTAS Ε 33, Bü 624. 11 KdA, 10. 6. 1836, S. 29 (Nefflen), 9f. (Murschel). 12 Bericht des Innenmin., 14.3.1838, HSTAS Ε 33, Bü 623. Dieselben Überlegungen waren auch in den 40er Jahren Grundlage der geplanten Änderung des Verwaltungsedikts, Anfrage Innenmin. an Kreisreg., 8. 1. 1845, HSTAS Ε 150, Bü 346/1. 13 Vgl. Kap. V. 14 Das Strafgesetzbuch, das am 1. 3. 1839 in Kraft trat, u. die Strafprozeßordnung von 1843 lösten das Strafedikt von 1824 ab, in Kriminalsachen galt sogar teilweise noch die Karolina aus dem 16. Jh.; Sauer, Strafgesetzgebung, S. 120ff. 15 W. Steitz, Feudalwesen u. Staatssteuersystem. Die Realbesteuerung der Landwirtschaft in den süddt. Staaten im 19. Jh., Göttingen 1976, S. 102f.; ders., Zur Etablierung der Realbesteuerung in den süddt. Staaten im Rahmen der sich auflösenden Feudalstrukturen 1806-1850, in:VSWG,J g . 63, 1976, S. 145-179, hier S. 147f.; O. Trüdinger, Die Kommunalbesteuerung in Württemberg, in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 126, 1908, S. 55-112, hier S. 59; Weisser, Rottweil, S. 18ff. 16 Wentzel, Laufende Rechnung, S. 110ff.; vgl. W. Steitz, Budgetrecht u. Haushaltsstruktur des württ. Hauptfinanzetats im 19. Jh., in: ZWLG, Jg. 33, 1974, S. 161-182, hier S. 179ff.; mit den Zahlen für den Haushalt für 1819-1870. 17 Ebd., S. 70ff.; mit dem Gesetz vom 19.9.1852 wurde eine staatl. Einkommensteuer eingeführt; Wentzel, Laufende Rechnung, Tab. Ib. 18 Bei den Gemeindeeinnahmen lassen sich über die Relation der Erträge aus Eigenvermögen u. Abgaben keine verallgemeinerbaren Aussagen machen, zu groß sind die lokalen u. regionalen Unterschiede. So waren 1860 im Jagst- u. Donaukreis die Einnahmen aus dem Gemeindevermögen annähernd gleich hoch, während im Neckar- u. Schwarzwaldkreis der Ertrag des Gemeindevermögens beträchtlich größer war. Einkünfte aus Gemeinderechten Einkünfte aus dem (Steuern, Abgaben, Gebühren) in fl. Gemeindeeigentum in fl. 1 703 384 Ν 1 053 209 S 655359 2363314 688080 630844 J D 921 692 968395 Württ. 3318340 5665937 W. Camerer, Gemeinde-, Stiftungs- u. Amtskörperschaftsverwaltung in Württemberg nach dem Durchschnitt der Jahre 1860-1863, in: WjB, 1870, S. 174-411, hier Tab. XI. - Auf Bezirks- u. Ortscbene sind die Unterschiede dann z. Τ. erheblich größer. Noch 1895 waren 6% der württ. Gemeinden in der Lage, auf Gemeindeumlagen zu verzichten. Es waren v. a. Orte im Schwarzwaldkreis, die über ausgedehnte Waldungen verfugten; Trüdinger, Kommunalbesteuerung, S. 75 f. 19 W. Steitz, Gemeindeordnungen u. Gemeindefinanzen im südwestdt. Raum im 19. Jh., in: H. Naunin (Hg.), Städteordnungen des 19. Jh., Köln 1984, S. 307-336, hier S. 308f. 20 Nach Trüdinger, Kommunalbesteuerung, S. 75; Wentzel, Laufende Rechnung, Tab. 1 b. 21 Trüdinger, Kommunalbesteuerung, S. 83ff., 104ff.; T. Pistorius, Die württ. Steuerreform, in: Finanzarchiv, Jg. 21, 1904, S. 1-114; Steitz, Gemeindeordnungen. - Die kleinen Einkommen wurden dabei nicht, wie Trüdinger, Kommunalbesteuerung, S. 110; implizit auch Steitz, Gemeindeordnungen; nahelegen, entlastet. Daran änderte auch der Freibetrag von 500 Mark nichts, da nur die wenigsten Einkommen unter dieser Grenze lagen. 1905 entfielen auf 583035 Steuerpflichtige insgesamt nur 24201 von der Einkommensteuer befreite; vgl. die Angaben über Zahl der Steuerpflichtigen, Höhe des Steueraufkommens, etc. nach der Reform von 1905; WJb, 1906, S. 53ff., 91 ff., hier S. 62. 249 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 86-89 22 Steitz, Feudalwesen, S. 7. 23 Schremmer, Zusammenhänge, S. 680ff. Die einzelnen Handwerkszweige wurden nicht nur quantitativ, sondern mit Hilfe der ›Klassentafel‹ auch in vier Gruppen unterschiedlicher Steuerhöhe unterteilt, ebd., S. 700ff.; vgl. auch ders., Agrareinkommen u. Kapitalbildung im 19. Jh. in Südwestdt., in: JNS, Bd. 176, 1964, S. 196-240. 24 Steitz, Feudalwesen, S. 105. Das Verhältnis untereinander blieb bis 1877 unverändert, ein entscheidender Anstieg der Gesamtsumme erfolgte erst seit den 1850er Jahren. Nach dem Gesetz von 1873 wurde erstmals 1877 gemäß der neuen Repartition aufgeteilt (Grund: Gebäude: Gewerbe im Maßstab 13/24: 5,5/24:5,5/24), was das Grundeigentum um 24% der bisherigen Steuerquote entlastete, Gebäude u. Gewerbe um 37 bzw. 88% zusätzlich belastete. Über diese abrupte Angleichung an die durch die Industrialisierung bewirkte Umverteilung der Produktionssektoren klagte M. Mohl im Landtag, man verfolge die Gewerbe nun wie wilde Tiere; Schremmer, Zusammenhänge, S. 689f. 25 WJb 1824, S. 147, 151; Steitz, Feudalwesen, S. 57; Wentzel, Laufende Rechnung, S. 11 ff.; F.F. Mayer, Die Gemeindewirtschaft nach geläuterten Begriffen u. nach den im Königreich Württemberg geltenden Gesetzen, Stuttgart 1851, S. 22ff. - Umrechnung von Mark in Gulden: 1,72 Mark = 1 fl. 26 Boelcke, Ind. Wachstum, S. 452. 27 Steitz, Gemeindeordnungen, S. 311 ff., 317ff. 28 Bei entsprechender Größe der Orte konnten diese Ämter auch hauptberuflich ausgeübt werden. 29 Hier nicht im Sinn des Bürgerrechts mit der Unterscheidung in Bürger u. Beisitzer, sondern verstanden als Staatsbürger, als Eigentum besitzender Einwohner des württ. Staates. 30 W. Buzengeiger, Die Zusammenhänge zwischen den wirtschaftl. Verhältnissen u. der polit. Entwicklung in Württemberg in der Mitte des 19. Jh., Diss. München 1949, MS, S. 20; WJb, Bd. II, 1860, S. 38. 31 Abgabengesetz vom 22.6.1820; Reyscher, Sammlung, Bd. XVII/2, S. 1150ff.; vgl. dazu Steitz, Feudalwesen, S. 104. Zitat aus dem Katastergesetz von 1821, zit. nach einem ND; ebd., S. 257. 32 Revidierte Allg. Gewerbeordnung, 5.8.1836, Art. 3, in: Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 1231-1275, hier S. 1232. Derselbe Passus findet sich auch im Vorläufer, der Allg. Gewerbeordnung vom 22. 4. 1828. - Bemühungen um eine gesetzliche Regelung gab es schon lange. Bereits 1811 beauftragte Friedrich, der die »Aufhebung der Zünfte im Allgemeinen beschlossen« hatte, Wangenheim mit einem Gutachten. Jener sprach sich dann zwar auch für die Gewerbefreiheit aus, wollte aber bestimmte Einrichtungen behalten u. Übergangsbestimmungen einführen. Schließlich blieb das ganze Bemühen erfolglos; HSTAS Ε 146, Bü 6703. Unter Wilhelm wurde dann einerseits die Entwicklung in anderen Staaten aufmerksam verfolgt — indem man z. B. beim preuß. Staatsrat v. Kamptz Auskünfte über die Auswirkungen der dortigen Gewerbefreiheit einholte, der auch prompt von einer Einführung abriet. Andrerseits führte man Enqueten durch, um einen Überblick über den Stand der Gewerbe zu erhalten u. befragte die Bezirksbeamten über ihre Meinung u. die Stimmung unter den Gewerbetreibenden; ebd.; STAL Ε 170, Bü 727. 33 Einleitung zur Gewerbeordnung von 1828, in: Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 593. 34 Beide Zitate aus einer Kammerrede vom 20. 12. 1826, zit. nach L, Köhler, Das württ. Gewerberecht 1805-1870, Tübingen 1891, S. 109. 35 Innenmin. Schmidlin, zit. n. ebd., S. 132. Schmidlin spricht explizit aus, daß sich Fabrikbetriebe, wenn sie der ausländischen Konkurrenz gewachsen sein sollen, nicht in die engen Zunftbeschränkungen miteinbezogen werden dürften. 36 Gewerbeordnung 1836, Art. 45ff. (Meister), 76ff. (Zunftsystem); vgl. Sedatis, Liberalismus, S. 70 f. 37 Köhler, Gewerberecht, S. 128. 38 Gewerbeordnung 1836, Art. 81 f.; Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 1249f. 250 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 90-93 39 Ganz ähnlich auch die 1833 im Innenmin. eingehenden Berichte der Kreisregierungen über die Haltung im Handwerk. Die Κreisregierungen sprechen sich für eine Lockerung der bestehenden Regelungen, nicht für die volle Gewerbefreiheit aus. Die Orientierung am Zunftsystem wird auch daran deutlich, daß von den Behörden noch immer die Abgrenzung in einzelne Produktions- u. Handelsbereiche als geeignetes Mittel der Gewerbepolitik propagiert wird; HSTAS Ε 146, Bü 6708. 40 Gewerbeordnung 1836, Art. 29, 120, 78, 93; Köhler, Gewerberecht, S. 150ff. 41 Sedatis, Liberalismus, S. 70f.; zur Debatte seit den 30er Jahren C.L. Wolbach, Die Übersiedlungs- u. Gewerbefreiheit zunächst in Ulm, Ulm 1831; ders., Über das Recht der häusl. Niederlassung in Württemberg, Ulm 1832; W. Jung, Der Gewerbsmann u. die gewerbl. Verhältnisse Württembergs, Ulm 1845; C. v. Varnbüler, Über das Bedürfnis einer neuen Gewerbegesetzgebung in Württemberg, nebst einigen Bemerkungen über Güterzerstückelung u. Verehelichungsbeschränkung, Stuttgart 1847. 42 Zur Auseinandersetzung im Landtag Sedatis, Liberalismus, S. 71 ff.; Varnbüler, Gewerbegesetzgebung. 43 Sedatis, Liberalismus, S. 75 (Zitat). - Vgl. die unterschiedlichen Interpretationsangebote bei Langewiesche, Liberalismus, S. 211 ff.; der die »zünftlerisch-restaurativen« Forderungen der Handwerkervereine mit für eine Ursache der Spaltung des bürgerl. Lagers während u. nach 1848 ansieht; Sedatis, Liberalismus, S. 76f., der die prinzipiell mittelständische Orientierung von bürgerlichem Liberalismus u. Handwerk in bezug auf sozialpolitische Konzeptionen für entwickelbar sowohl in Richtung einer Zunftverfassung wie von Gewerbefreiheit hält; C. Lipp, Handwerkervereine, S. 368ff., die Handwerk u. bürgerl. Bewegung jeweils in sozialreformerische u. sozialrestaurative Flügel unterteilt. 44 Biographisches zu ihm bei Mann, Berichte, S. 7ff. Beob. 8.4., 9.4., 1.-4.5.1847, S. 119ff., 381 ff. Vgl. auch Langewiesche, Liberalismus, S. 213. 45 Beob. 8. 4. 1847; 3. 5. 1847, S. 482; 4. 5.1847, S. 485. Nach einigen Jahren der praktischen Erprobung könne man auch die Frage beantworten, ob die Regierung doch wieder Zwangskorporationen einführen sollte, u. zwar dort, »wo die Errichtung freiwilliger Vereine an der Indolenz der Gewerbetreibenden selbst« gescheitert sei, ebd. 46 Zit. n. Varnbüler, Gewerbegesetzgebung, S. 14. 47 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 64f.; Knapp, Beiträge, S. 93ff. 48 Aufgrund des Selbstergänzungsrechts des Magistrats blieb als einziges konkretes Recht die Wahl der Ortsvorsteher durch alle Bürger; die Position der Ehrbarkeit, die den Magistrat kontrollierte, blieb dadurch aber unangefochten, da sie in der Regel diesen Posten ebenfalls besetzte; Klein, Gemeindebürgerrecht, S. 11, 7ff. 49 Ebd.; S. 20ff.; Matz, Pauperismus, S. 34; Wintterlin, Behördenorganisation, I, S. 200ff.; F. Jäger (Hg.), Das Bürgerrechtsgesetz für das Königreich Württemberg vom 4. 12. 1833, Stuttgart 1850, S. 106ff. Die Rigorosität der Egalisierungsbestrebungen Friedrichs wird u. a. daran deutlich, daß nun auch erstmals ledige Frauen, die selbständig waren d. h. einen eigenen Haushalt führten -, den vollen Bürgerstatus erlangen konnten; Köhler, Gemeindebürgerrecht, S. 23. 50 Ebd.; E. Springer, Verfassung u. Verwaltungsorganisation der Städte, Königreich Württemberg, Leipzig 1905, S. 46ff. 51 Revidiertes Gesetz über das Gemeinde-Bürger- u. Beisitzrecht; in: Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 1064-1091; Art. 1, S. 1064. Entspricht dem Text des revidierten Gesetzes vom 4. 12. 1833, die Änderungen sind jeweils bei Reyscher vermerkt. Vgl. auch die umfangreiche Quellensammlung bei Jäger, Bürgerrechtsgesetz; sowie G. F. Stump, Übersicht der Rechte u. Pflichten des württ. Staats u. Gemeindebürgers, Stuttgart 1824. Ausnahmemöglichkeiten bestanden für Beamte, die aus dem Ausland stammten, sowie für jene Personen, die vor Verkündigung dieses Gesetzes Gemeinden zugeteilt worden waren, die außerhalb des Gemeindeverbandes standen; es waren dies Gemeinden der Standesherrschaften (Art. 4). 52 Zur im Vergleich zu anderen Sozialgruppen auch ökonomischen Sonderstellung der 251 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 94-98 Beamten, die in der Debatte um das Bürgerrechtsgesetz deutlich wird; Klein, Bürgerrechtsgesetz, S. 29 f. 53 Bürgerrechtsgesetz, Art. 6, in: Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 1065. - Die Aufnahmegebühr in das Beisitzrecht durfte nicht mehr als die Hälfte der Bürgerrechtsgebühr betragen; jene war, gemäß der Ortsgröße, gestaffelt. Bei Aufnahme in Gemeinden 1. Klasse (mehr als 5000 Einw.) durften maximal 120 fl., bei Gemeinden 2. Klasse (mehr als 1000 Einw.) maximal 50 fl. u. bei Gemeinden 3. Klasse (alle übrigen) höchstens 25 fl. erhoben werden. Das Bemühen der Regierung, die Mobilität u. den Ausgleich der Privilegien zu fordern, zeigt sich auch daran, daß Verringerungen dieser Gebührenmarke der Gemeinderat selbständig verfugen konnte, während Erhöhungen an die Zustimmung der jeweiligen Kreisregierung gebunden waren, Ministerialerlaß 24.4.1828, in: ebd., S. 597f.; Bürgerrechtsgesetz 1833, Art. 28-30, ebd., S. 1073f. Zur Zuteilung Art. 32, 40, ebd., S. 1074, 1077. 54 Art. 17ff., ebd., S. 1068ff. 1828 lag die Vermögensgrenze in Orten 3. Klasse bei 400 fl., in denen 1. u. 2. Klasse bei 600 bzw. 800 fl. 1833 wurden die Beträge jeweils um 200 fl. erhöht, als Reaktion auf die Klagen der Gemeinden. 55 C. L. Wölbach, Vorstellung des Stadtrats u. Bürgerausschusses zu Ulm an die Ständeversammlung gegen die Artikel 21, 22 u. 23 des Gesetz-Entwurfes betr. das Gemeinde-Bürgeru. Beisitzrecht, Ulm 1828, S. 32. 56 Gemeinden, in denen »uneigentliche Dienstboten« (Arbeiter, Taglöhner etc.) arbeiteten, könnten ihnen dann das Niederlassungsrecht je nach Bedarf erlauben oder entziehen; ders., Niederlassung, S. 18 (Zitat), 24ff. 57 Bürgerrechtsgesetz 1833, Art. 11, 19ff., 73ff.; Matz, Pauperismus, S. 114ff. 58 Ebd., S. 125. 59 Zum demographischen u. konjunkturellen Umfeld des Armenwesens v, Hippel, Bevölkerungsentwicklung; zur - v. a. aus Sicht der Gemeinden untrennbar damit verbundenen Ehegesetzgebung Matz, Pauperismus; zur Disziplinierungsfunktion insbesondere der staatl. Armenfürsorgeinstitutionen L. Militzer-Schwenger, Armenerziehung durch Arbeit. Eine Untersuchung am Beispiel des württ. Schwarzwaldkreises 1806-1914, Tübingen 1979. 60 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 360; Statistisches über die Armenlast in den einzelnen OAbezirken (1818-1864), in: Staatsanzeiger für Württemberg 23.7.1869, Beilage, S. 4ff.,mit den Angabenfürdie einzelnen OÄer. 61 Militzer-Schwenger, Armenerziehung, S. 14 ff. 62 Ebd., S. 21 f. P. Lechler, Zur Fortbildung der öffentlichen Armenpflege. Mit besonderer Darlegung der Verhältnisse in Württemberg, in: ZGS, Jg. 58, 1902, S. 459-489; Schäffle, Die Überholung deröffentl.Ortsarmenpflege durch die Entwicklung der modernen Gesellschaft, in: ZGS, Jg. 58, 1902, S. 490-517 (Zitat S. 491); plädierten beide für eine verstärkte Beteiligung des Staats an den Kosten des Armenwesens. 63 D. Wunder, Privilegierung, S. 307. 64 Megerle, Württemberg, S. 83. 65 B. Haug, Das gelehrte Württemberg, Stuttgart 1790/ND Hildesheim 1979, S. 30 f. (für das 18. Jh.); für 1821 HSTAS Ε 301, Bü 106, darin ›Übersicht des reinen Diensteinkommens der Stadt- u. Amtsschreiber‹ u. ›Übersicht der Stadt- u. Amtsschreibereien mit Notizen über ihren bisherigen Umfang u. ihren Ertrag‹. Noch 1816 waren es über 1000 gewesen, 183 Schreiber mit 846 Gehilfen; Oberreg. rat Schmidlin in der Debatte über das Notariatsedikt, KdA, 28.3.1821, S. 591. 66 Bühler, Bürgertum, S. 35f.; KdA 1820, Außerordentl. Beil., S. 98ff.; vgl. auch Anm. 65. 67 Zur Kritik in Altwürtt. vgl. nur F. Bernritter, Wirtembergische Briefe (1786), ND Wurmlingen o. J . , S. 141-150. Auch Hegel sprach in bezug auf die Schreiber von einer »einzigen Landplage«, womit er die verwandtschaftl. Verbundenheit von Schreibern u. Landständen meinte. Generell attackierte er den »Schreiberei-Unfug«, der von »rechtl. u. moralischer wie von intellektueller Versumpfung« verdorben sei; Hegel, Beurteilung, S. 559, 557 f. Für die spätere Zeit vgl. die zahlreichen Schriften im Zusammenhang mit den 252 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu 5. 98-101 Landtagsverhandlungen 1815/16, v. a. L. F. Griesinger, Das Schreiber-Institut in Württemberg, in: Verhandlungen der Landstande, 25. Abt., Anhang, o. O. 1816. Die Stände beschlossen schließlich eine offizielle Beschwerde bei der Regierung, Reg.bl. 1816, S. 391ff.Zur Kritik der Gruppe der ›Bürgerfreunde‹ VF 20. 10. 1819, S. 367; VF 28. 10. 1820, S. 336; Gedanken eines ehemaligen Schreiberei-Verwesers, in: Für u. Wider, Bd. III, Stuttgart 1817, S. 162-171; List, Werke, Bd. I, S. 125-128, 205ff., 833f. List wandte sich explizit gegen die altwürtt. Meinung, die Schreiber seien ein Garant der Freiheit vor staatl. Bevormundung, statt dessen benötige man den Typus des ›bürgerschaftl. Syndikus‹, ebd., S. 114. 68 Die Stiftungsverwaltungen wurden im selben Jahr wie die Schreiber, 1826, aufgelöst; HSTAS Ε 143, Bü 1031. 69 Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. I, S. 215-218, 193; Reg.bl. 1816, S. 392; 1817, S. 413ff., 441 f., 456ff.; HSTAS Ε 301, Bü 106 (zur Tätigkeit der Organisations-Vollziehungs-Kommission). Die Entschädigungen betrugen ungefähr 90% eines Jahreseinkommens; die Schreibereinkommen waren dabei so hoch, daß das Finanzmin. 1823 den Vorschlag machte, aus den Einkünften der Amtsverweser - denen kein garantierter Anspruch auf diese Erträge zustand - einen Teil an die Staatskasse abzuführen. Angesichts der bevorstehenden generellen Auflösung scheiterte dieses Vorhaben dann aber an pragmatischen Erwägungen; HSTAS Ε 301, Bü 96. Der Eingriff in die altwürtt. Grundlage erfolgte dabei nicht nur auf Seiten der Schreiber: Die Trennung des Justiz- u. Verwaltungsapparates auf der Amtsebene wie die Auflösung der personalen Einheit von OAmann u. Vorsteher der Amtsstadt reduzierten die einstige Allgewalt des OAmanns. 70 Die Angaben beziehen sich nicht auf Stellen, die mit Amtsverwesern besetzt sind; die divergierenden Zahlen resultieren aus fehlenden Angaben; Quelle wie Anm. 65 zu Tab. 8. Die Einkommen der Schreiber (in fl.) teilten sich (1821) folgendermaßen auf: 1. Inventuren, Teilungen 113045 2. Pflegerechnungen 23847 3. Steuer- u. Rechnungsgeschäfte 153757 4. sonstiges Einkommen 163506 a) aus Kameralkassen 1 726 b) aus Amtspflegen 60445 39078 c) aus Gemeinde- u. Stiftungskassen d) von Privathand 62257 Gesamt 454155 HSTAS E 301, Bü 106. 71 Wintterlin, Behördenorganisation, Bd. II, S. 267ff.; W. Futter, Der württ. Schreiberstand 1758-1826, Zulassungsarbeit Tübingen 1975, MS, S. 59ff.; Zeller, Entwicklung, S. 456ff.; C.F. Weisser (Hg.), Das Verwaltungsedikt, 2 Bde., Stuttgart 1844/45, S. 722ff. (Erlasse vom 24. 4. u. 20. 6. 1826). 1839 erfolgte dann eine partielle Lockerung, indem den Verwaltungsaktuaren ein Gehilfe zugestanden wurde; Erlaß vom 21. 3. 1839, ebd., S. 745ff. Das Verbot kommunaler Zusatzentlohnungen u. Prämien für Beamte wurde öfter wiederholt (1827, 1829, 1834, 1839); ein Indiz, daß informelle Einflußmöglichkeiten weidlich genutzt wurden, aber auch ein Beleg für das Bemühen der Regierung, den Verwaltungsapparat effizient zu gestalten, ebd., S. 751 ff. 72 B. Wunder, Privilegierung, S. 315. 73 Bühler, Bürgertum, S. 9, 11; G. Zeller, Handbuch für die württ. Gemeindebehörden, Heidelberg 1857. 74 Futter, Schreiberstand, S. 8 ff.; Dehlinger, Staatswesen, § 432 ff.; Bühler, Bürgertum, S. 15ff., 76ff.; Wunder, Privilegierung, S. 281 ff.; W. Bleek, Von der Kameralausbildung zum Junstenprivileg, Berlin 1972, S. 194ff.; Zeller, Entwicklung, S. 458; R. Mohl, Über die wiss. Bildung der Beamten in den Ministerien des Innern. Mit besonderer Anwendung auf Würtemberg, in: ZGS, Jg. 2, 1845, S. 129-184. 253 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 101-104 75 G. Moltmann (Hg.), Aufbruch nach Amerika. F. List u. die Auswanderung aus Baden u. Württemberg 1816/17, Tübingen 1979, S. 179ff. u. ö.; B. Wunder, Privilegierung, S. 318 ff.; A. A. Wiest, Dringende Volksbegehren, Ulm 1848, S. 134f. 76 Erlasse vom 25. 2. 1825 u. vom 5. 1. 1837, Weisser, Verwaltungsedikt, S. 395ff. Gleichzeitig wurden die Bezirksbeamten ebenfalls einer strengen Kontrolle unterworfen, die OÄer wurden in unregelmäßigen Abständen von Inspektoren aufgesucht u. überprüft, denn »die Erfahrung der letzten 10 Jahre hat . . . gelehrt, wie wohltätig die Visitation schon in der Perspektive auf die Verwaltung der OÄer wirkt«; Leitfaden zu der periodischen Visitation der königl. württ. OÄer, Stuttgart 1830, S. VI. 77 Etwa bei Beschwerden oder Rekursen gegen bestimmte Entscheidungen, oder im Falle des Strafrechts, obwohl auch hier die kommunalen Stellen bei leichten Fällen eine eigene Strafbefugnis ausübten; VE 1822, § 15ff.; Sauer, Strafgesetzgebung, S. 43ff., 67ff 78 K. Goeser, Der junge F. List, Stuttgart 1914, S. 30ff., 53ff.; Hölzle, Altes Recht, S. 227 ff. 79 Gehring, List; Schäfer, Studienjahre; F. Lenz, F. List u. der Liberalismus, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 48, 1924, S. 405-437, hier S. 411ff.; Moltmann, Aufbruch, S. 35ff. - Zur Einordnung Lists in die ökonomischen u. polit. Strömungen seiner Zeit vgl. zusätzlich noch W. O. Henderson, F. List 1789-1846, London 1983; ders., F. List and the Social Question, in: Journal of European Economic History, Jg. 10, 1981, S. 697-708. 80 Anläßlich der Versammlung in Tübingen wurde er von Gmelin, dem Anführer der Altrechtler an der Universität Tübingen, beim Justizmin. denunziert; Goeser, List, S. 45. Als Beispiel für den Konflikt zwischen dem Reformer List u. einer alten städtischen Ehrbarkeit vgl. P. Gehring, F. List bei der Neuordnung der Reutlinger Stadtverwaltung (1816-1819), in: Reutlinger Geschichtsblätter, NF, Jg. 5, 1967, S. 28-75. List benutzte auch seine publizistischen Kontakte zum VF, in dem im Frühjahr u. Sommer 1818 eine Serie von Berichten u. Klagen über die marode Stadtverwaltung Reutlingens erschienen. 81 List konnte nur sein Taufdatum, den 6. 8. 1789, belegen; am Wahltag, dem 16. 7. 1819, fehlten ihm also 21 Tage zur - amtlich beglaubigten - Volljährigkeit; Goeser, List, S. 108 ff., Zitat S. 110. 82 Generell zu diesen Fragen vgl. die im ersten Band der großen Listausgabe abgedruckten Schriften, v. a. ›System der Gemeindewirtschaft‹, ›Gedanken über die württ. Staatsregierung‹ u. ›Zur württ. Finanzreform‹. Schon damals auch sprach sich List uneingeschränkt für die »freie Konkurrenz« als einzig sinnvolle Lösung der Gewerbeproblemeaus; List, Werke, Bd. I/1, S. 852. 83 Ebd., Bd. I/2, S. 684-688, Zitat S. 684. Dazu ders., Aktenstücke u. Reflexionen, o. O. 1820; ein von List herausgegebener Band mit den wichtigsten Schriften u. Protokollen, die nur z. T. in der großen Listausgabe enthalten sind. 84 Ebd., Bd. I/2, S. 1105. 85 Ebd., S. 740. Obwohl Wilhelm den Ausschluß Lists aus der Kammer verlangt hatte u. später die Begnadigung verweigerte, wurde ihm ein geringeres Maß an Schuld an diesem Urteil beigemessen als dem Justizmin. Maucler, über den R. Mohl die harsche Kritik äußerte, er habe den Kriminalsenat mit seinen Kreaturen besetzt. Zum Zeitpunkt des endgültigen Urteils war List im Ausland, er war, nachdem er gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, nach Straßburg geflohen. Im Sommer 1823 kehrte er in der Hoffnung zurück, bei polit. Enthaltsamkeit der Verhaftung entgehen zu können. Er wurde jedoch schnell verhaftet u. erst am Jahresende, unter der Bedingung der Auswanderung nach Amerika, freigelassen. List, der 1817 in seiner Befragung der Auswanderer die Willkür der Beamten als ein Hauptmotiv für das Verlassen des Landes aufgezeigt hatte, war selber ein Opfer staatl. Machtvollkommenheit geworden. Ebd., S. 1102; Goeser, List, S. 123ff. 86 Zitate n. ebd., S. 61. Explizit auch in ›Wider die unbegrenzte Teilung der Bauerngüten, in: List, Werke, Bd. I/2, S. 580ff., wo er große Höfe mit mehreren Dienstboten oder Tagelöhnern als ökonomisch u. sozial am vorteilhaftesten erklärt. 87 B. Wunder, Privilegierung. 254 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 105-108 88 W. v. Sonntag, Die Anschauung von Volk u. Staat in F. Lists Jugendschriften, in: Schmollers Jahrbuch, Bd. 56, 1932, S. 393-414, hier S. 400. 89 E. Angermann, R. v. Mohl, Neuwied 1962, S. 19ff.; R. Mohl, Lebenserinnerungen. 1799-1875, 2 Bde., Stuttgart 1902, hier Bd. I, S. 141ff.;K. Schreiner, ›. . . der Preis, um den man nützlich sein darf‹. Zur Strafversetzung R. Mohls am 6. 12. 1845, in: Attempto, Jg. 39/ 40, 1971, S. 123-143. - Vgl. zu den Problemen, die die Württemberger um die Jh. mitte bisweilen mit ihren selbstbewußten Professoren hatten, ohne daß es zu einer klar ausgeprägten Oppositionshaltung kam - die württ. ›Intelligenzia‹ war keineswegs revolutionär-, ders., Ein ›revolutionäres‹ Gutachten der Tübinger Juristenfakultät zur hannoverschen Verfassungsfrage, in: ebd., Jg. 55/56, 1975, S. 117-136; E. Sieber, Der polit. Professor um die Mitte des 19. Jh., in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977, Tübingen 1977, S. 285-306; ders., Tübingen, S. 91ff.,135ff.; H. Fenske, Gelehrtenpolitik im liberalen Südwesten. 1830-1880, in: G. Schmidt u. J. Rüsen (Hg.), Gelehrtenpolitik u. polit. Kultur in Dt. 1830-1930, Bochum 1986, S. 39-58. 90 VU 1819, § 148 schloß die gleichzeitige Mandatsausübung von Vater u. Sohn aus. Hartmann, Regierung, S. 34; R. Mohl, Lebenserinnerungen, Bd. II, S. 3ff. 91 ders., Aktenstücke, betr. den Dienstaustritt des Prof. R. Mohl, Tübingen 1846, S. 5. 92 Ebd., S. 59ff., 42f. 93 Schlayer in seinem Erlaß vom 3. 10. 1845; ebd., S. 8. Schlayer fühlte sich, vmt. zu Recht, in hohem Maß durch die Kritik angegriffen; ebd., S. 31. 94 Ebd., S. 62f.; B. Wunder, Privilegierung, S. 270ff. 95 J . Hansen (Hg.), Rheinische Briefe u. Akten (1919), ND Osnabrück 1967, Bd. I, S. 943; ähnlich auch US, 15. 1. 1846, S. 41. Vor dem Heidelberger Ruf hatte er einen nach Berlin abgelehnt, da er mit der Auflage verbunden war, sein »oppositionelles Treiben« aufzugeben. An seinen Bruder Julius schrieb er im November 1847, daß er in Berlin wohl »politisch Schiffbruch gelitten [hätte]. Es ist bei diesem eitlen Phantasten u. eigensinnigen Narren von Könige, der elenden Speichelleckerei der Beamten, dem Junkertum des Adels, dem unverschämten Drängen der getauften Juden nichts Gutes zu erwarten. . . . Im übrigen ist es gar zu dumm, daß die Tropfen meinten, ich hätte erst noch eine längere polit. Quarantäne zu bestehen, ehe ich rein genug für sie sei.« Zum akademischen Selbstbewußtsein, mit dem er in Württemberg angeeckt war, kam hier noch eine regionale polit. Identität hinzu; Angermann, Mohl, S. 55. Ganz ähnlich auch Fallati, der G. Mevissen in Köln in einem Brief (14. 12. 1845) über die Mohlsche Angelegenheit informierte. In bezug auf die polit. Reife der Berliner äußerte er: »Denn meines Erachtens stehen sie allerdings noch auf einer Stufe polit. Roheit, die wir in Süd- u. Westdt. längst hinter uns haben, u. fehlt es ihnen an der historischen Vorbildung, die wir durch unseren Semi-Konstitutionalismus, Sie am Rhein durch Ihre französischen Institutionen gewonnen haben.« Hansen, Briefe, Bd. I, S. 942. 96 R. Mohl, Aktenstücke, S. 2 f. Der Staatsgerichtshof, vor dem die Stände Minister anklagen konnten, bestand aus einem vom König aus den Vorständen der höheren Gerichte ernannten Präsidenten u. 12 Richtern, die je zur Hälfte vom König aus den höheren Gerichten u. von den Ständen aus ihrer Mitte ernannt wurden; Dehlinger, Staatswesen, § 55. - Diesen Passus dürfte Schlayer als schlecht verhüllte Drohung aufgefaßt haben: Der Staatsgerichtshof trat ein einziges Mal in Funktion, am 4.7.1850, als er den von der Landesversammlung angeklagten Außenminister Frhr. v. Wächter-Spittler - der gegen die Kammermehrheit Württembergs Beitritt zum österreich.-preuß. Interimsvertrag u. zum Vierkönigsbündnis vollzogen hatte - freisprach. Es war der einzige Fall im Dt. Bund, daß ein Minister von einer Kammer angeklagt wurde; Langewiesche, Liberalismus, S. 233; W. Vogt, Württemberg im Dt. Bunde u. im Bismarckschen Reich. Eine Studie zur auswärtigen Gewalt Württembergs, Diss. Nürnberg 1953, S. 130ff. 97 R. Mohl, Aktenstücke, S. 4-6. 98 Ders., Lebenserinnerungen, Bd. I, S. 170f., 177f., Bd. II, S. 25f. Seine Konzeption der Beamtenausbildung vertrat Mohl auch in der Öffentlichkeit; ders., Bildung. Das persönliche 255 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 108-111 Spannungsverhältnis erklärt z. T. die Schärfe der Vorwürfe, etwa wenn Schlayer die »Eitelkeit u. Selbstüberschätzung« des Verfassers rügt; ders., Aktenstücke, S. 8, wie auch die Hartnäkkigkeit, mit der Mohl auf einer Entschuldigung seitens des Ministeriums beharrte. 99 Ebd., S. 11, 4. 100 Ebd., S. 16. 101 AAZ, 19.4.1846, Beilage, S. 868. - Zur rechtl. Stellung der Beamten, zur ›Entstehung des Berufsbeamtentums‹ B. Wunder, Privilegierung. Zur polit. Stellung der Beamten im Vormärz, ders., Vormärzlicher Beamtenliberalismus in Süddt., in: Le concept de liberté de 1815 à 1914 dans l'éspace rhénan superieur, Mulhouse 1976, S. 221-232; Bühler, Bürgertum, S. 66ff. H. Henning, Die dt. Beamtenschaft im 19. Jh., Wiesbaden 1984; schweigt über das polit. Verhalten der Beamten. - Später warnte Mohl sogar davor, die Stützungsfunktion der Beamten für den Staat zu überschätzen. In Frankreich 1815, 1830, 1848, 1852, in Preußen u. Österreich 1848, in Baden 1849 - die Staatsdienerschaft habe nie den Zusammenbruch aufgehalten, sondern sich jeweils sofort der neuen Ordnung angeschlossen. Er begründete das damit, daß viele Beamte »Proletarier im engsten Sinne des Wortes« seien, d. h. nur von ihrem Arbeitslohn lebten. Zudem sei das Gehorsamsprinzip gleichsam polit. neutral, wodurch die »Konzentration der Gewalt u. die wohlausgearbeitete Bürokratie zur zweischneidigen Waffe« werde; R. Mohl, Die Machtelemente der Monarchien, in: ders., Staatsrecht, Völkerrecht u. Politik (1862), Bd. II, ND Graz 1962, S. 39-54, hier S. 44f. 102 Zur Repräsentation der Beamten im Landtag vgl. Langewiesche, Liberalismus, S. 73, 225. 103 1819 wurde in Württ. auch - mit Aufhebung des freiheitlichen Pressegesetzes von 1817- die Zensur wieder eingeführt; G. Richter, Der Staat u. die Presse in Württemberg bis zur Mitte des 19. Jh., in: ZWLG, Jg. 25, 1966, S. 394-425, hier S. 402ff. 104 Mann u. Nüske, Württemberg, S. 570; Adam, Verfassung, S. 64f. 105 Vgl. etwa Beob. 20. 9. 1847, 22. 10. 1847; ›Württ. Briefe‹ in der DZ, eine Folge von 10 Artikeln in unregelmäßigen Abständen seit dem 13. 10. 1847, die jeweils auch im Beobachter, dem Organ der liberalen Opposition, abgedruckt wurden. Der Begriff »polizeiliche Wohlfahrtsbeförderung« erstmals in DZ, 14. 10. 1847, S. 842. 106 Ebd., S. 841. Das Anschwellen der Kritik sei nicht »in der Unfähigkeit oder gar dem bösen Willen der Staatsdiener zu suchen . . . Die Beamten unseres Landes können sich mit solchen aller Länder messen, wenn man Gesetzeskenntnis, auch Gesetzmäßigkeit, Pünktlichkeit u. Ordnungsliebe zum Maßstab der Vergleichung nimmt«, Beob. 28. 12. 1847, S. 1417. 107 List, Werke, Bd. I/2, S. 684; Mottmann, Aufbruch, S. 173ff.; R. Mohl, Aktenstücke, S. 4; ders., Über Bürokratie, in: ZGS, Jg. 3, 1846, S. 330-364, hier S. 276, 286. Mohl spart die Beamten aus seiner Kritik nicht aus, das fehlerhafte individuelle Verhalten des einzelnen ist bei ihm aber nur ein Übel unter vielen, das durch die Struktur des Systems bedingt ist. 109 Ders., Aktenstücke, S. 49f. S. Schott, der Autor der ›Württ. Briefe‹, schildert den Verlauf eines Antrags bezüglich der Verlegung eines Fabrikbetriebs nach Württemberg - u. endet mit dem Fazit, »bis alle Bedenken beseitigt, alle Vorschriften, die immerfort wechselnd nur Eingeweihten bekannt sind, u. alle Bedingungen erfüllt, bis erneute Vorstellungen geprüft u. durchgesetzt werden, verzögert sich die Sache so oft, daß der Unternehmer es bitter bereut, sich je darauf eingelassen zu haben«. DZ, 14. 10. 1847, S. 841. Weitere Beispiele in Beob. 25. 11., 8. 12., 17. 12. 1847, S. 1293f., 1343, 1379f. 109 R. Mohl Bürokratie, S. 299ff., Zitat S. 305. 110 Ebd., S. 305ff. - In einer Artikelserie ›Was will das Volk in Württemberg?‹ wurde als Wurzel aller Übel, über welche man in Württemberg klagt, das »Hinaufziehen zu vieler Geschäfte von den untergeordneten Lokalstellen zu den höheren Zentralbehörden, die verkümmerte Freiheit der Gemeinden u. die zentralisierende Bürokratie der Staatsbehörden« genannt, Beob. 28. 12., 29. 12., 30. 12., 31. 12. 1847, hier S. 1420. 111 Ebd., S. 1420 (Zitat). Der Autor des Artikels ›Was will das Volk in Württemberg?‹ formulierte als Ziel, daß die Gemeindebehörden das Vertrauen sowohl des Volkes - indem die 256 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 111-113 Gemeinderäte nicht mehr auf Lebenszeit gewählt würden - wie der Regierung - indem sukzessive eine Professionalisierung der Gemeinderäte, zumindest eine Teils, erfolge u. einzelne aus dem Kollegium der Ehrenbeamten gleichsam die Qualifikation von Fachbeamten erlangten - wiedergewännen. Denn ein Hauptübel der Gemeindeverwaltung liege darin, daß die nebenamtlichen Gemeinderäte die hauptberuflichen Gemeindebeamten (wie Ratsschreiber u. Gemeindepfleger; von den Problemen in den Städten mit einem weit höheren Anteil an ›Berufsbeamten‹ einmal ganz abgesehen) überwachen müßten. Ebd., S. 1420f.; vgl. auch H. A. Kübel, Die Dienstpflichten der Gemeinde- u. Stiftungsdiener in Württemberg vom Ortsvorsteher abwärts, Stuttgart 1845. 112 P. L. Adam, Zur Beleuchtung der Gemeindeverwaltung in Württemberg, Ulm 1844; Bitzer, Über die Reform der Gemeindeverfassung in Württemberg, in: ZGS, Jg. 4, 1847, S. 641-696; E. Naujoks, Strukturwandlung kommunaler Selbstverwaltung in württ. Gemeinden während der frühen Industrialisierung, in: B. Kirchgässner u. J. Schadt (Hg.), Kommunale Selbstverwaltung, Sigmaringen 1983, S. 112-139, hier S. 121 ff. 113 In diesem Fall gingen liberale Theorie - der Abgeordnete als Vertreter seines Bezirks u. damit der Landtag als Repräsentant des Volks - u. altwürtt. Tradition - die Einrichtung der Dorf- u. Amtsversammlungen mit dem imperativen Mandat für die Ständevertreter - fast nahtlos ineinander über. 114 Der Bürgerausschuß wurde zur Hälfte jedes Jahr neu gewählt, der Stadtrat mußte beim Ausscheiden von Mitgliedern durch Nachwahl ersetzt werden. Zwar war das einzelne Mitglied bei einer Wiederwahl nach der ersten Amtsperiode von 2 Jahren auf Lebenszeit gewählt; die liberale Opposition hatte es sich aber vielfach zur Regel gemacht, daß ihre Vertreter nach 2 Jahren nicht zur Wiederwahl antraten, um so gegen die Lebenslänglichkeit der Gemeinderatsstellen zu protestieren u. die Lebenslänglichkeit zu vermeiden; die Reden sind abgedruckt im Beob. 7. 8. 1847, S. 853ff. 115 Seine Erörterungen wichen nicht grundsätzlich ab von der allg. Diskussion der 40er Jahre; vgl. auch Kap. VI. 116 Beob. 7. 8. 1847, S. 854; Adam, Gemeindeverwaltung, S. 18f.; allg. Steitz, Gemeindeordnungen. 117 Stuttgart war die erste württ. Gemeinde, der eine indirekte Steuer (Biersteuer) zur Deckung kommunaler Finanzlücken bewilligt wurde; Adam, Gemeindeverwaltung, S. 18. In den Städten war auch der prozentuale Anteil der Ortsbürger an den Gesamteinwohnern besonders gering: 1871 waren in Württemberg 72% der Ortsanwesenden am selben Ort geboren - ein einigermaßen zuverlässiger Indikator für den Grad der Ortsangehörigkeit -, während es in der Stadt Stuttgart nur 35%, im Amt Stuttgart dagegen 83% waren; K. V. Riecke, Verfassung, Verwaltung u. Staatshaushalt des Königreichs Württemberg, Stuttgart 21887, S. 101. 118 Beob. 7. 8. 1847, S. 855. 119 Rede des Stadtdirektors v. Gutbrod, ebd., Beilage. 120 Ebd.; Adam, Gemeindeverwaltung; Bitzer, Gemeindeverfassung. 121 K.G. v. Wächter, Handbuch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechts, Stuttgart 1839, Bd. I, S. 1050. 122 Aus der Artikelserie ›Einige Bemerkungen über die württ. Gemeindegesetze‹ des Stuttgarter Stadtrats F. Häberle im Beob. 25. 11., 8. 12., 17. 12. 1847, S. 1293f., 1343, 1379f., hier S. 1343. 123 Ebd., S. 1343, 1379f. 124 Ebd., S. 1380. 125 Man tendierte zu einer Regelung wie in Bayern, wo einige wenige fest angestellte u. besoldete Räte den Ortsvorsteher unterstützten u. Verwaltungsaufgaben übernahmen. Die unterschiedliche Interessenlage der Gemeinden wird daran deutlich, daß 1845 auf eine Anfrage der Regierung hin im Donaukreis vier von fünf befragten OÄern (Göppingen, Ravensburg, Kirchheim, Biberach) eine Sonderstellung der Städte ablehnten, nur Ulm - die größte Stadt 257 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 114-116 im Kreis - sprach sich für einen gesonderten Verwaltungsaufbau in den größeren Städten aus. Bericht der Regierung des Donaukreises an das Innenmin., 26. 5. 1845, HSTAS Ε 150, Bü 346/1. 126 Stadtrat Sick in seiner Rede bei der Vereidigung, Beob. 7. 8. 1847, S. 854.

IV. Das konstitutionelle System 1 Zum Begriff u. zur Abgrenzung des süddt. Konstitutionalismus gegenüber dem »dt. Konstitutionalismus« F. Engels, Nord- u. süddt. Liberalismus, in: MEW, Erg. bd. 2, S. 246-248; G. Hildebrandt, Programm u. Bewegung des süddt. Liberalismus nach 1830, in: JfG, Bd. 9, 1973, S. 7-45; G. Engelbert, Der Konstitutionalismus in den dt. Kleinstaaten, in: Der Staat, Beiheft 1, 1976, S. 103-121; M. Botzenhart, Der süddt. Konstitutionalismus u. die Revolution von 1848/49, in: H.-D. Loock u. H. Schulze (Hg.), Parlamentarismus u. Demokratie im Europa des 19. Jh., München 1982, S. 135-155; R. Mußgnug, Die Lage des Parlaments im Verfassungssystem des süddt. Frühkonstitutionalismus, in: Dt. Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, 1983, S. 95-119; zum als »dt. Konstitutionalismus« klassifizierten preuß. Konstitutionalismus Böckenförde, Verfassungstyp. - Zu Baden Sheehan, Liberalismus u. Gesellschaft; ders., Liberalismus, S. 54. 2 Zur Geschichte des württ. Konstitutionalismus u. damit wesentlicher Teile der Innenpolitik jetzt v. a. Brandt, Parlamentarismus; mit der gesamten älteren Literatur. Von der zeitgenössischen Literatur sind R. Mohl, Geschichte; 5. Schott, Das Königreich Württemberg bis zum März 1848, in: Die Gegenwart, Jg. 4, 1850, S. 305-339; zu nennen, die oft detaillierter u. analytisch schärfer argumentieren als neuere Abhandlungen. 3 Adam, Verfassung, S. 16. 4 R. Mohl, Geschichte, S. 106. Vgl. dazu Brandt, Gesellschaft; E. Bauer, Geschichte der constitutionellen u. revolutionären Bewegungen im südlichen Dt. in den Jahren 1831-1834, 5 Bde. in 3 Teilen, Charlottenburg 1845, Bd. II, S. 87-91, Bd. IV/V, S. 58f., 62f., 106-111, 150-159. Zu den Folgen der Julirevolution in Süddt. allg. W.D. Gruner, The Revolution of July and Southern Germany, in: The Consortium on Revolutionary Europe, 1985, S. 509-546; H. Fenske, Polit. u. sozialer Protest in Süddt. nach 1830, in: Η. Reinalter (Hg.), Demokrat. u. soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815-1848/49, Frankfurt 1986, S. 143-201. 5 H. Elsner, Abriß der Geschichte des aufgelösten württ. Landtags vom 15. Januar bis 23. März 1833, Stuttgart 1834; O. Glück, Beiträge zur Geschichte des württ. Liberalismus von 1833-1848, Marbach 1935, S. 22ff. 6 Ebd., S. 97; W. Reinöhl, Unland als Politiker, Tübingen 1911, S. 164f., vgl. auch J . Köhler, F. Römer als Politiker, Stuttgart 1929. 7 DZ 1847, S. 849. 8 H. Brandt, Ansätze einer Selbstorganisation der Gesellschaft in Dt. im 19. Jh., in: Der Staat, Beiheft 2, 1978, S. 51-63, hier S. 64; Mann, Württemberger, S. 19ff. 9 Noch einen Monat zuvor war Römer mit einer Beschwerde über das Verhalten der Behörden bei den Stuttgarter Maiunruhen 1847 im Landtag gescheitert; KdA 1848, S. 104 ff. (Debatte über den Antrag Römer); ebd., S. 164 (Beroldingen). 10 In der Sitzung vom 14. 3. 1848, dem ersten Zusammentreten seit Beginn der Februarrevolution in Frankreich, wurden die Ereignisse in Württemberg mit Ausdrücken wie »gewaltige Zeitereignisse«, »Drang der Verhältnisse«, »betäubende Ereignisse der letzten Tage« etc. umschrieben; KdA 1848, S. 168 u. ö. 11 Schlayer, der mehr als Symbol denn wegen seiner Politik Römer weichen mußte, wurde vom Beobachter bescheinigt, daß er sich »nur mit Unterdrückung seiner innersten Regungen zur Stütze des reaktionären Systems« hergegeben hätte; Beob. 8. 3. 1848, S. 23f. Auch Fallati 258 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 117-118 äußerte sich 1845 im Zusammenhang mit der Mohlaffäre, daß Schlayer »der einzige Mann in Württemberg ist, der als Minister möglich u. von dem man zugleich gewiß sein kann, daß er antiaristokratisch u. antipfäffisch wirkt«; Hansen, Briefe, S. 944. 12 W. Grube, Wahl zur verfassungsrevidierenden Landesversammlung des Königreichs Württemberg. in: Histor. Atlas, Bd. VII/6, S. 25-32, hier S. 25. 13 Sheehan, Liberalismus, S. 23; L. Gall, Das Problem der parlamentarischen Opposition im dt. Frühliberalismus, in: K. Kluxen u. W.J. Mommsen (Hg.), Polit. Ideologien u. nationalstaatl. Ordnung, München 1968, S. 153-170, hier S. 163ff.; Boldt, Staatslehre, S. 263ff. E. Bauer kritisierte diesen allmählichen Wandel des liberalen Regierungsverständnisses. »Der Liberale, der Volksvertreter wollte v. a. die Befugnis haben, die Rechte, das Wohl des Volkes wahrzunehmen, u. seine Beziehung zum Regenten bestand einzig darin, daß er hoffte, daß er vertraute, der Regent werde seinen Ratschlägen Gehör geben . . . doch machte er wieder dies gemütliche Verhältnis, welches rein sein will, dadurch unrein, daß er die Hinneigung des Regenten zu seinen Prinzipien zur stillschweigenden Bedingung seiner Freundschaft machte.« Damit finge der Liberalismus an, die »Sache einer Partei zu werden«; Bauer, Geschichte, Bd. II, S. 5f., 10. 14 R. Mohl, Geschichte, S. 47. 15 In einer Rede vor den Ständen am 3. 3. 1817 charakterisierte Wilhelm die neue Funktion des - nunmehr - ›Ständischen Ausschusses‹: »Fortan sollen nicht wenige einzelne - in Ausschüssen Jahre lang vereint - unter dem Schutz einer verfassungsmäßigen Heimlichkeit über das Staatsvermögen schalten, sondern mein Volk soll durch öffentliche Verhandlungen auf jährlichen Landtagen erfahren, wofür es steuere«. Das Postulat der jährlichen Landtagsverhandlungen wurde 1819 dann modifiziert zu einer dreijährigen Landtags- (d. h. spätestens alle drei Jahre mußte der Landtag zusammentreten) u. einer sechsjährigen Wahlperiode (d. h. spätestens alle sechs Jahre mußte ein neuer Landtag gewählt werden). Zusätzlich abgesichert war die Einberufung des Landtags nach längstens drei Jahren dadurch, daß der Haushaltsentwurf den Ständen vorgelegt werden mußte, der Etat aber nur auf drei Jahre berechnet sein durfte. Bitzer, Regierung, S. 210 (Zitat Wilhelm), 95ff., 104ff., 334ff. 16 W. Cordes, Württ. Landtag bis 1918, in: Ständeversammlung, S. 123-152, hier S. 130f. 17 Adam, Verfassung, S. 23. - Brandt, Gesellschaft; A. Calvie, Zur Frage der Pressefreiheit im dt. Vormärz. Entwürfe L. Uhlands zu seiner Rede vom 3. November 1833, in: Cahiers d'études germaniques, Jg. 1, 1972, S. 89-113; als Beispiel für die zeitgenössische Publizistik K. v. Seeger, Drei Gespräche über den nächsten Landtag in Württemberg, Heilbronn 1831. Die einsetzende Politisierung führte dazu, auch Vorgänge in anderen Staaten, etwa den hannoverschen Verfassungsstreit aufmerksam zu verfolgen; T. Knapp, Der hannoversche Verfassungsbruch von 1837 u. die württ. Abgeordnetenkammer, in: ZWLG, Jg. 2, 1938, S. 206-214; Schreiner, Gutachten. 18 R. Mohl, Geschichte, S. 74, Zitat S. 73. Zu Baden M. Hörner, Die Wahlen zur badischen zweiten Kammer im Vormärz (1819-1847), Göttingen 1987; A. Reinhardt, Volk u. Abgeordnetenkammer in Baden z. Z. des Frühliberalismus (1819-1831), Diss. Göttingen 1952, hier S. 185, 189; die eine »allmählich zunehmende Politisierung« konstatiert u. das Anwachsen der Petitionszahl ebenfalls als Beleg für die Akzeptanz des Landtags als polit. Organ anführt. 1831 wurden in Baden 2249 Petitionen an den Landtag gerichtet; für Württemberg liegen keine Zahlen vor. 19 R. Mohl, Geschichte, S. 73f., 98f. 20 Ebd., S. 99. R. Mohl entwickelte diese Punkte zur Charakterisierung der 20er Jahre. Mit gewissen Modifikationen umschreiben sie aber die Grundproblematik der gesamten vormärzlichen Ständepolitik. 21 VU 1819, § 110-112; Riecke, Verwaltung, S. 392f.; im gesamten Zeitraum von 1820-1870 betrug der Anteil der Erträge des Kammerguts an den staatlichen Gesamteinnahmen-mit z.T. beträchtlichen Schwankungen-ca. 40%, vgl. Tab.IIIin ders., Die Ergebnisse 259 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 119-120 der Finanzverwaltung in den 50 Jahren vom 1. Juli 1820 bis 30. Juni 1870, in: WJb, Bd. II, 1872, S. 68-78, hier S. 75. - An die Bewilligung von Steuern durften nur Forderungen geknüpft werden, die die Verwendung dieser Steuern direkt betrafen; VU 1819, § 113. Noch im ständischen Verfassungsentwurf von 1816 war die Steuerbewilligung an die Einhaltung der Verfassung u. die NichtVerletzung der Pressefreiheit gebunden gewesen; E. Roller, Das Budgetrecht der württ. Stände von 1819 bis 1848, Diss. Tübingen 1933, S. 3. 22 Ebd., S. 98; C. Herdegen, Württembergs Staatshaushalt, Stuttgart 1848, S. 6f. Herdegen, 1832-1844 u. noch einmal 1849/50 Finanzminister, referierte in seinen Berichten an den Landtag nur über Überschüsse des Haushalts, während er in seinem 1848 erschienenem grundlegenden Werk über das württ. Finanzsystem durchaus auch Kritik äußerte; S. Schott, Württemberg, S. 327f. 23 »Die Verwilligung der Steuern darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, welche die Verwendung dieser Steuern nicht unmittelbar betreffen«; dazu Herdegen, Staatshaushalt, S. 6f., 96f. 24 Roller, Budgetrecht, S. 96; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. II, S. 154 ff.; Glück, Beiträge, S. 39 ff. - Reyscher umschrieb die Ambivalenz der Landtagskompetenz mit der Formulierung, die Stände hätten die »Pflicht der Bewilligung notwendiger, andrerseits die Pflicht der Verweigerung unnötiger Steuern«; P. Georgii, Das Recht der Steuerverwilligung in Württemberg, Diss. Tübingen 1845, S. IVf.; allg. zum Budgetrecht K.H. Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament u. Regierung, I: Verfassungsgeschichtliche Untersuchungen über den Haushaltsplan im dt. Frühkonstitutionalismus, Bad Homburg 1968, S. 31 f., 42f., 104ff., 172ff. - Diese ungleiche, aber sich als stabil erweisende Machtverteilung wurde im Vormärz aus zwei Richtungen angegriffen. In den ›Sechs Artikeln‹ vom 28. Juni 1832 versuchte der Dt. Bund - unter Federführung Preußens u. Österreichs sowie mit Unterstützung durch die Regierung Bayerns u. Württembergs - die landständischen Partizipationsrechte zu beschneiden, u. a. das Budgetrecht der Einzellandtage. In Württemberg verteidigte die liberale Opposition die ständischen Mitspracherechte. P. Pfizer vertrat in seiner bekannten Motion im Landtag, die sich gegen die Bundesbeschlüsse richtete, die Ansicht, es seien im Lande nur jene Bundesgesetze rechtsgültig, denen »in Württemberg Fürst u. Landstände zugestimmt hätten«; P. Pfizer, Motivierter Antrag betr. die Beschlüsse des Bundestags vom 28. Juni 1832, entwickelt in der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg am 13. Februar 1833, Stuttgart 1833, S. 11; vgl. auch ders., Das Recht der Steuerverwilligung nach den Grundsätzen der württ. Verfassung, mit Rücksicht auf entgegenstehende Bestimmungen des Dt. Bundes, Stuttgart 1836. Im Gegenzug forderte er, über das Budgetrecht die Durchsetzung polit. Ziele zu erreichen. »Darum wird - so erwarten wir - die Forderung der Preßfreiheit u. Bürgergarden, oder die Verweigerung des Budgets, die Alternative unserer Abgeordneten sein.« Ders., Antrag S. 41. In der Praxis unternahmen weder die Regierung Versuche, die restriktiven Bundesbeschlüsse durchzusetzen, noch die Liberalen ernsthafte Anläufe - zumal sie in der Kammer ohnehin in der Minderheit waren -, über eine rigide Steuerverweigerung die Durchsetzung polit. Ziele zu erreichen. In diesem Punkt bestand innerhalb der Opposition aber keine Übereinstimmung. Auf dem Landtag von 1845 stimmte Römer aufgrund der Bundesbeschlüsse von 1832 u. der württ. Zensurpraxis gegen den Haushalt; der Abgeordete Deffner, Fabrikant aus Esslingen u. ebenfalls der liberalen Opposition zuzurechnen, stimmte für den Haushalt, da er sich »nicht zu der theoretischen Höhe einer Konsequenz erheben [könne], welche einen Kredit von 16 bzw. 25 Mill. für Eisenbahnen verwilligt, dann aber die Erreichung des Zweckes dieser Verwilligung durch Verwerfung des Ausgabenbudgets unmöglich macht.« Die Anfänge der ›Realpolitik‹ begannen sich abzuzeichnen. 25 VU 1819, § 172, 88; Bitzer, Regierung, S. 254ff., 270ff. Zwar legte § 89 fest, daß der Monarch »die zu Vollstreckung u. Handhabung der Gesetze erforderlichen Verordnungen u. Anstalten« ohne parlamentarische Mitwirkung verfügen könne. Diese Möglichkeit führte aber nicht zum Umgehen der Stände. Auch im Frühjahr 1848 versagte sich das Märzmin. 260 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 120-123 Anträgen aus der Kammer (!), unter Berufung auf §89 Ablösungsregelungen ohne Einhaltung des formellen Gesetzgebungsweges zu erlassen. Statt dessen blieb der alte Landtag bis April zusammen u. beschloß die liberalen Ablösungsgesetze sowie Gesetze über Volksversammlungen u. die Volksbewaffnung. KdA 1848, S. 163ff.; Mann, Württemberg, S. 31 ff. 26 Gall, Opposition, S. 158. 27 Brandt, Gesellschaft, S.111ff.;Glück, Beiträge, S. 22ff.; Adam, Verfassung, S. 35ff. 28 Zit. n. Brandt, Gesellschaft, S. 116. 29 R. Mohl, Geschichte, S. 115. 30 H. Boldt, Dt. Konstitutionalismus u. Bismarckreich, in: M. Stürmer (Hg.), Das kaiserliche Dt., Düsseldorf 1970, S. 119-142, hier S. 131. 31 Zitat Seybold n. H. Boldt, Parlament, parlamentarische Regierung, Parlamentarismus, in: GGr, Bd. 4, 1978, S. 649-676, hier S. 655. B. Mann, Das Königreich Württemberg 1816-1918, in: K. Schwabe (Hg.), Die Regierungen der dt. Mittel- u. Kleinstaaten 1815-1933, Boppard 1983, S. 31-46, hier S. 39. 32 Ebd., S. 32. 33 Zum Problem der Vermittlung zwischen ›monarchischem‹ u. ›demokrat. Prinzip‹ in der Theorie des vormärzlichen Konstitutionalismus Boldt, Staatslehre, S. 111ff., 131 ff. 34 Der gesamten Debatte um den Verfassungstypus der konstitutionellen Monarchie - der Frage ihrer Eigenständigkeit (Huber) bzw. des Fehlens eines eigenen Formprinzips u. einer spezifischen Legitimität (Böckenförde) - mangelt es an sozialgeschichtlichen Fallstudien. Es gibt nur wenig Literatur zu den nicht-preuß. Verfassungen u. ihrer Entwicklung im 19. Jh., die diese Fragestellung untersuchen. 35 Das von Gneist geprägte Bild zit. n. T. Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus. Ein Beitrag zum Verhältnis von polit. u. gesellschaftl. Verfassung, in: Gall (Hg.), Liberalismus, S. 187-207, hier S. 192. 36 B. Wunder, Landtagswahlen, S. 267ff. 37 Rechnet man Angaben über die Wahlmänner hoch, ergibt sich v. a. für ländliche Bezirke ein höherer Anteil an Wahlfähigen, während in den Städten der Prozentsatz weiter absank. Für Ulm, die zweitgrößte Stadt des Landes, ergeben sich folgende Zahlen: 1821 1834 1843 1849 1852 1861

Einwohner 11 575 15173 18375 21 426 21414 22736

[1819] [1833] [1844] [1848] [1851] [1862]

Bürger 1752 1 978 2154 2107 2143 2323

15% 13% 12% 10% 10% 10%

Aktivbürger 1552 13% 1298 9% 1 379 8% 1 445 7% 1 484 7% 1410 6%

H. Grees, Die Bevölkerungsentwicklung in den Städten Oberschwabens (einschließlich Ulms) unter besonderer Berücksichtigung der Wanderungsvorgänge, in: Ulm u. Oberschwaben, Jg. 40/41, 1973, S. 123-198, hier S. 144; Wahlprotokolle zu Landtagswahlen, StA Ulm, Β 001/3, Nr. 1. Selbst bei den Wahlen zu den Landesversammlungen, deren Wahlrecht oft als demokratisch bezeichnet wird, waren in Ulm - zählt man die Militärpersonen nicht mit 1850 nur 2499 Personen (12%) wahlberechtigt. Vgl. auch Brandt, Partizipation, S. 140. - Man muß hier genau unterscheiden zwischen Bürger und Wähler. Die Angaben über die Zahlen der Wahlmänner ermöglichen die Bestimmung des Anteils derjenigen Personen, die das Bürgerrecht besaßen, 17%; während am Wahlvorgang nur die Aktivbürger teilnahmen, die auch Realsteuern zahlten, 14% (jeweils die Anteile für Württemberg insgesamt). Die Differenz von 3% setzte sich im wesentlichen aus zwei Gruppen zusammen: Den nicht Selbständigen, »welche unter Privatdienstherrschaft stehen, so wurden alle Tagelöhner, Fabrikarbeiter, Maurer- u. Zimmergesellen als nicht wahlfähig anerkannt«. Die zweite Gruppe bildeten diejenigen, die keine Realsteuern zahlten, v. a. jene, die ihr Geschäft oder Eigentum an die 261 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 123-129 Kinder übergeben hatten, außerdem das Fabrikpersonal (nicht nur Arbeiter), öffentliche Bedienstete, Bildungsbürger. Wahlakten Ulm 1825, 1862; StA Ulm Β 001/3, Nr. 1. 38 Die Aussagen beziehen sich natürlich nur auf die gewählten bürgerlichen Vertreter in der zweiten Kammer. Insgesamt war die Zusammensetzung der zweiten Kammer folgendermaßen. Zahl der Mitglieder qua Geburt: 13 Mitglieder wurden vom ritterschaftl. Adel aus seiner Mitte gewählt; qua Amt: 10 Mitglieder (sechs evang. u. drei kathol. Vertreter der Kirchen, der Kanzler der Universität Tübingen); qua Wahl: 70 Mitglieder (sieben aus den Städten Stuttgart, Tübingen, Ludwigsburg, Ellwangen, Ulm, Heilbronn, Reutlingen u. aus jedem der 63 OÄer ein Mandatsträger); Bitzer, Regierung, S. 94f. 39 Reg.bl. 1848, S. 136. Vgl. Mann, Württemberger, S. 67ff.; F. Sepaintner, Wahlen u. Abgeordnete der dt. Nationalversammlung in Frankfurt 1848, in: Histor. Atlas, Bd. VII/6, S. 6-25; Botzenhart, Parlamentarismus, S. 149f.; Langewiesche, Liberalismus, S. 149. 40 Zusammenstellung einiger statistischer Notizen über die höchstbesteuerten Wahlmänner bei der im November 1844 stattgehabten Wahl der ständischen Abgeordneten, in: WJb, Bd. I, 1844, S. 280-296. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 237ff.; Brandt, Partizipation, S. 140f.; geben übereinstimmend 14% an. 41 Der ungenannte Verfasser des Artikels geht von einer Gesamtzahl von 42237 Wahlmännern aus. Eine Zahl, die glaubhaft erscheint, da die Verteilung auf die Wahlbezirke u. der jeweilige Steuersatz belegt sind. In einem Fall - Ulm - konnten die Angaben auch durch die lokalen Wahlakten bestätigt werden (vgl. Anm. 37). Hiervon ausgehend errechnet sich die Zahl der Bürger, da das Verhältnis Wahlmänner: Bürger 1:7 lautet, mit 295659. Bei einer Gesamtbevölkerung für 1844 von 1,69 Mio. entspräche das einem Anteil der Bürger an der Gesamtbevölkerung von 17%. 42 Das folgende nach Brandt, Partizipation, S. 143ff., Zitat S. 144. 43 Vgl. Anhang 2; zu Baden vgl. H.-P. Becht, Die Abgeordnetenschaft der zweiten badischen Kammer von 1819 bis 1840. Beiträge zu Abgeordnetenbild, Abgeordnetentypus u. Wahlverhalten im dt. Vormärz, in: ZGO, Jg. 128, 1980, S. 345-401; ders., Die badische zweite Kammer u. ihre Mitglieder 1819 bis 1841/2, Heidelberg 1985. 44 Glück, Beiträge, S. 26. 45 Brandt, Gesellschaft, S. 107. 46 Ders., Partizipation, S. 145; Wunder, Landtagswahlen. 47 Der Ausdruck stammt von Köstlin aus dem Jahr 1839; Brandt, Partizipation, S. 147. 48 Am 30. 4. 1832 versammelten sich in Bad Boll 49 Abgeordnete, die in einer öffentlichen Erklärung die Einberufung des Landtags, sowie die Gewährung von Presse- u. Vereinbarungsfreiheit forderten; Schw. M. 11.5. 1832, Extrabeilage. In der Öffentlichkeit ging man davon aus, daß die Teilnehmer dieser Versammlung mit der liberalen Opposition gleichzusetzen seien; wie sich später zeigen sollte, waren 1833 im Landtag aber nur etwa knapp 40 Abgeordnete explizit den Liberalen zuzurechnen; Glück, Beiträge, S. 24; Brandt, Partizipation, S. 148f. Ein Beleg dafür, wie sehr einerseits die Grenzen zwischen den einzelnen Gruppierungen fließend waren, andrerseits die Gruppen selber sich kaum exakt definieren u. beschreiben lassen. 49 Detailliert bei Brandt, Gesellschaft. 50 Beob. 2.2.1847, S. 126. 51 V. Ege war bei den letzten vier Wahlen jeweils Deffner unterlegen, Beob. 14. 12. 1846, Beilage. 52 V. Ege blieb dann auch nur eine kurze Zeit Abgeordneter u. trat im nächsten Jahr wieder ab, während Murschel in der Zwischenzeit in Rottweil doch noch gewählt wurde; Hartmann, Regierung. Der Wahlhergang nach den Berichten im Beob. im Oktober u. November 1846. 53 Beob. 18.12.1847, S. 1381. - Hochwächter 1.9.1831, S. 1139f.; Beob. 6.11.1846, S. 1217 (Rede Murschels). 54 Allg. Verordnung, die Organisation der Gemeinde-Deputierten betreffend (7. 6. 1817), in: Reg.bl. 1817, S. 309-316, Zitate S. 309, 312. Auch hier zeigte sich wieder einmal die enge 262 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S, 129—132 Verflechtung von Verfassungs- u. Verwaltungsproblematik. Am 14. 3. 1817 hatte der Geh. Rat das Innenmin. aufgefordert, baldmöglichst Vorbereitungen zu treffen zur Vorbereitung einer »Volksstellvertretung u. Kommunalverfassung«, HSTAS Ε 146, Bü 6548. 55 Die beanstandete Passage der Eidesformel lautete: »Ihr sollet als erwählter Deputierter der Gemeinde . . . geloben, u. einen leiblichen Eid zu Gott, dem Allmächtigen, schwören, dem Allerdurchlauchtigsten König und Herrn, Herrn Wilhelm, König von Württemberg, etc., getreu u. gehorsam zu sein . . .«; Bericht des Obersten Bangold über die Volksstimmung im ΟΑ Calw, 8. 7. 1817, HSTAS Ε 146, Bü 6548. Die ganze Formel in Reg.bl. 1817, S. 315. 56 Sektion der Inneren Administration an das Innenmin. 29. 7. 1817, HSTAS Ε 146, Bü 6548; die Berichte der Bezirksbeamten über die Weigerungen in den Orten in STAL Ε 177, Bü 672. 57 HSTAS Ε 146, Bü 6548. Referent Schmidlin von der Regierung des Neckarkreises führte aus: die Gemeinden sollten keineswegs gezwungen werden. Wenn Kommunen keinen Bürgerausschuß wählten, müßten sie dann aber für Beschlüsse, für die die Zustimmung der Deputierten erforderlich sei, die Zustimmung des OA oder der Kreisregierung einholen wobei die anfallenden Kosten den Gemeinden in Rechnung gestellt würden. Daraufhin scheint die Ablehnung des Bürgerausschusses schnell obsolet geworden zu sein. 58 HSTAS Ε 146, Bü 6551; der Begriff ›Demokraten‹ wird von Bangold gebraucht in seiner Beschreibung der Volksstimmung im ΟΑ Calw, ebd., Bü 6548. 59 Ebd., Bü 6551. 60 Gutachten der Sektion der Inneren Administration über die Organisation der Gemeindedeputierten, 30. 4. 1817, ebd.,Bü6548. 61 Für Stuttgart, das in dieser Frage eine Führungsposition einnahm, vgl. demnächst die Arbeit von R. Waibel. 62 Vgl. Anhang 3. 63 OAB Biberach. 64 OAB Heidenheim; M. Krüger, Heidenheim - die Stadt u. ihre Industrie im 19. Jh., Heidenheim 1984; Κ. Κ. Meck, Die Industrie- u. OAstadt Heidenheim, II, Heidenheim 1910. 65 OAB Ulm; W.-D. Hepach, Ulm im Königreich Württemberg 1810-1848, Ulm 1979. 66 Das folgende im wesentlichen nach den in den Anmerkungen 63-65 angegebenen Quellen. 67 In Ulm stieg 1837 die Beteiligung nach der Androhung einer Strafgebühr von 1 fl. sprungartig von 772 Stimmen auf 1776 Stimmen. Diese hohe Zahl verringerte sich aber sehr bald wieder u. näherte sich dem früheren Niveau (ca. 1000, d. h. 50%) an; StA Ulm Β 005/2, Nr. 2. Nicht bei allen Wahlen war die Wahlbeteiligung derart gering; sie läßt deshalb nicht auf ein generelles Desinteresse an der Kommunalpolitik schließen. Bei der Bürgermeisterwahl in Ulm 1845, als ein Nachfolger für den seit 1819 amtierenden Wolbach gesucht wurde, stimmten nach einem intensiv geführten Wahlkampf 1725 Bürger, d. h. ca. 80% der Wahlberechtigten, ab. Bei den Gemeinderatswahlen 1844 waren es 600-900 gewesen; ebd.; Hepach, Ulm, S. 185f. 68 WZ 12.9.1849, S. 281. - Dadurch wurde auch eine Konzentrierung der Stimmen bewirkt. In den 20er Jahren etwa wurden in Biberach bei einer Bürgerausschußwahl, als neun Kandidaten gewählt werden mußten, von 213 Wählern (wovon jeder 9 Stimmen hatte) insgesamt 199 Bürger vorgeschlagen. In den 30er u. 40er Jahren dann tauchen bald fast ausschließlich nur noch die in den Wahlkämpfen ›vorsortierten‹ Namen auf. Die Auswahl von Kandidaten, die Vorstellung des Bewerbers, die Präsentation der Konkurrenten - eben das Prinzip von Wahlkämpfen - setzte sich damit auch auf der Gemeindeebene durch; StA Biberach, Ratsprotokolle 1825, S. 369. 69 Andrerseits aber zeigt sich, daß der Bürgerausschuß - vmt. aufgrund seiner flexibleren Wahlpraxis u. seiner politisch untergeordneten Rolle - in Krisenzeiten ›schneller‹ auf polit. Veränderungen reagierte u. Protest der Bürgerschaft an der Gemeindeverwaltung artikulieren konnte. So sind in den Jahren nach 1830 zahlreiche Differenzen zwischen den beiden Organen 263 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 133-136 über die korrekte Führung des Gemeindehaushalts u. über die Kompetenzen des Bürgerausschusses überliefert. Mit der Beruhigung der allgemeinpolit. Lage glätteten sich dann auch im kommunalen Bereich die Wogen wieder. UI 11. 11. 1831, S. 415 (Stellungnahme des Bürgerausschusses); 18. 11. 1831, Beilage (Gegendarstellung des Stadtrats); 6. 8. 1833, Beilage (eine erneute Verteidigung des Stadtrats gegen Vorwürfe des Bürgerausschusses); StA Biberach, Ratsprotokolle 1831, S. 81, 207 (Bürgerausschuß legt beim OA Beschwerde über den Stadtrat ein). 70 StA Heidenheim, Wahlunterlagen11/2,25. 71 StA Biberach, Ratsprotokoll 24. 7. 1817. 72 Wacker, Stadtvorstände, S. 7f. - In Biberach wurden schon 1819 alle bisherigen Magistratsmitglieder im Amt bestätigt u. damit, ohne zweimalige Wahl, als lebenslängliche Mitglieder des neuen Stadtrats bestätigt. 73 StA Ulm, Β 005/00, Nr. 1 (zu Schultes); Beob. 4. 1. 1847, S. 10. 74 In Heidenheim blieb die Zahl der Wahlberechtigten (knapp 500) ebenso wie der Anteil der Wählenden (ca. 60%) nach der Einführung des neuen Wahlrechts 1849 unverändert. In Ulm stieg die Anzahl der Wahlberechtigten um ca. 10%, die Wahlbeteiligung blieb auch hier gleich: StA Heidenheim, Wahlunterlagen II/2, 25 (1846, 1849); StA Ulm, Β 005/2, Nr. 5, 55 (1849). 75 Rückblick auf das Jahr 1846, Beob. 1. 1. 1847ff., hier 4. 1., S. 9f. - Zwei Forderungen wurden in bezug auf die Gemeindeverwaltung v. a. erhoben. Die Einführung periodischer Wahlen für den Gemeinderat sowie die Öffentlichkeit der Gemeinderatsverhandlungen; UI 8. 3. 1844, S. 121. Schließlich beschlossen einzelne Gemeinden von sich aus die Öffentlichkeit ihrer Ratsverhandlungen, etwa Göppingen im Januar 1846. Trotz Eingriffen der Behörden schlossen sich viele Kommunen diesem Beispiel an. Im März desselben Jahres verbot die Regierung dann explizit die Öffentlichkeit - worauf viele Gemeinden Beschwerden an den Geh. Rat oder Petitionen an den Ständischen Ausschuß richteten. Schließlich verschob man das Problem auf einen später einzuberufenden Landtag. Im Mai 1847 gestand die Regierung dann die Veröffentlichung der Ergebnisse der Gemeinderatsverhandlungen zu; 1848 wurde schließlich die Öffentlichkeit eingeführt; Reg. bl. 1848, S. 285f. 76 Beob. 16.11.1847, S. 1257f., hieraus auch die folgenden Zitate. Vgl. auch Bühler, Bürgertum, S. 66ff., 149ff. Ein analoges Ergebnis liefert eine Untersuchung H. Zwahrs der kommunalen Führungsschichten Sachsens, wo ebenfalls erst nach der Julirevolution die Ablösung der traditionellen Stadtbürgerelite in den gemeindlichen Ämtern durch die - in Zwahrs Terminologie- »Bourgeoisie« erfolgte; H. Zwahr, Vom feudalen Stadtregiment zur bürgerlichen Kommunalpolitik. Eine histor.-soziologische Studie zum Beginn der bürgerl. Umwälzung in Sachsen 1830/31, in Jahrbuch für Regionalgeschichte, Bd. 7, 1979, S. 7-34. 77 Anläßlich der Stuttgarter Stadtratswahl im Sommer 1847 bezeichnete er die Gemeindewahlen als »beständige polit. Übungsmittel u. aus der Trägheit des alltäglichen Lebens aufweckende, gegenseitige Kraftmessungen der im Staate wie in der Gemeinde mit gleicher Feindschaft sich gegenüberstehenden Parteien«. Bei dieser Wahl organisierten sich die Liberalen - deren Position der Beob. vertrat u. deren prominentester Vertreter P. Pfizer war - im »Bürgermuseum«, die konservative, regierungsfreundliche Gegenpartei im »Bürgerverein«, sie benutzte den Schwäbischen Merkur als Sprachrohr; Beob. 14. 7. 1847. 78 Ebd. 16. 11. 1847, S. 1258. 79 Allg. H. Best, Biography and Political Behavior: Determinants of Parliamentary Decision-Making in Mid-Nineteenth Century Germany, France and Great Britain, in: Quantum, Jg. 33, 1985, S. 71-91; K. v. Beyme, Partei, in: GGr, Bd. 4, 1978, S. 677-733; Boldt, Parlament; W. Boldt, Die Anfänge des dt. Parteiwesens. Fraktionen, polit. Vereine u. Parteien in der Revolution 1848, Paderborn 1971; Botzenhart, Parlamentarismus; W. Hardtwig, Strukturmerkmale u. Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Dt. 1789-1848, in: O. Dann (Hg.), Vereinswesen u. bürgerliche Gesellschaft in Dt., München 1984, S. 11-50; F. Kramer, Franktionsbindungen in den dt. Volksvertretungen 1819-1849, Berlin 1968; D. Langewiesche, 264 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 137-141 Die Anfange der dt. Parteien, in: GG, Jg. 4, 1978, S. 324-361; zu Württemberg v. a. Brandt, Parlamentarismus; ders., Gesellschaft; Boldt, Volksvereine. 80 Kaschuba u. Lipp, 1848, S. 126ff. (für Esslingen); Hepach, Ulm, S. 125ff, hier S. 139. 81 Brandt, Gesellschaft, S. 109. 82 Hepach, Ulm, S. 144; dazu auch ders., Von der Reichsstadt zur ›zweiten‹ Stadt im Königreich Württemberg. Wandel bürgerlicher Kultur in Ulm von 1803 bis 1918, in: Η. Ε. Specker (Hg.), Stadt u. Kultur, Sigmaringen 1983, S. 108-121. 83 1819 vereinigte die - staatliche - ›Zentralstelle für Landwirtschaft‹ noch agrarische u. gewerbliche Interessen (bis 1848). Von privater Seite entstanden seit den 1820er Jahren die Gewerbevereine, die mit der 1830 gegründeten ›Gesellschaft für die Beförderung der Gewerbe‹ eine Art Dachorganisation erhielten. 1844 konstituierte sich der ›Württ. Handelsverein‹ mit vier regionalen Privathandelskammern u. einer großen Zahl von lokalen Vereinen. Fischer, Unternehmerschaft, S. 55; WJb, 1844, S. 59; W. Kaschuba u. C. Lipp, Zur Organisation des bürgerlichen Optimismus - Regionale Formierungsprozesse des Bürgertums im Vormärz u. in der Revolution von 1848, in: SOWI, Jg. 8, 1979, S. 74-82. 84 C. Lipp, Verein als politisches Handlungsmuster. Das Beispiel des württ. Vereinswesens von 1800 bis zur Revolution 1848/49, in: E. François (Hg.), Sociabilité et société bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse, 1750-1850, Paris 1986, S. 275-298. Auch die polit. Reaktion vollzog diesen Wandel mit. Waren 1832 generell polit. Vereinigungen inkriminiert worden, wurden 1847 ausschließlich Vereine mit kommunistischer Tendenz verboten; Kgl. Verordnung vom 21. 4. 1847, Beob. 29. 5. 1847, S. 577. 85 DZ 15. 10.1847, S. 849. - Beob. 24.10.1847, S. 1165f. -Lipp, Verein, S. 292. 86 Zur Definition Langewiesche, Parteien, S. 325; T. Nipperdey, Grundprobleme der dt. Parteigeschichte im 19. Jh., in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 89-112; T. Schieder, Die Theorie der Partei im älteren dt. Liberalismus, in: ders., Staat u. Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, München 1958, S. 110-132. 87 V. Beyme, Partei, S. 698 f. 88 Kramer, Fraktionsbindungen, S. 28ff.;Brandt, Gesellschaft, S. 111 ff. 89 Abdruck des Schlayerschen Berichts bei Glück, Beiträge, S. 47ff., danach auch die Zitate. Zu seinem liberalen Gegenspieler in den frühen 30er Jahren P. Pfizer vgl. H.-D. Loock, P. A. Pfizer - Poesie u. Praxis, in: Fs. H. Herzfeld, Berlin 1972, S. 280-298; C. Kennen, Die Gedankenwelt des P. A. Pfizer, Berlin 1986. 90 Schlayer erwähnt namentlich die Abgeordneten Camerer u. Zwerger, die beide Stadtschultheißen waren, der erste in Reutlingen, Zwerger in Ravensburg. Er benennt damit einen Grundkonflikt innerhalb der bürgerlichen Opposition, nämlich die Spannung zwischen dem auf staatsbürgerliche Gleichheit zielenden Flügel des Liberalismus u. den Interessenvertretern der Kommunen, die die kommunale Hierarchie u. die herkömmlichen Privilegien verteidigten. Glück, Beiträge, S. 52. 91 Nach 1833 löste sich dieses eigenartige Bündnis aber recht schnell wieder auf; Kircher, Adel, S. 259 f. 92 In seinem Bericht hatte Schlayer diese Praktiken euphemistisch umschrieben. Er bemerkte, daß die Regierung, um die Zahl der oppositionellen Abgeordneten zu vermindern, »alle Mittel in Anwendung setzte, welche der Verfassung u. den Gesetzen nicht entgegen waren u. den der öffentlichen Gewalt geziemenden Anstand nicht verletzten«, Glück, Beiträge, S. 49. Schilderungen der Wahlkampfpraktiken bei Brandt, Partizipation, S. 139f.; Bauer, Geschichte, Bd. II S. 87 ff. 93 Cordes, Landtag, S. 134; Grube, dass., S. 519ff. - Blickle, Katholizismus, S. 370ff., S. 406; Λ. Hagen, Staat u. kathol. Kirche in Württemberg in den Jahren 1848-1862, Stuttgart 1928/ND Amsterdam 1961, Bd. I, S. 16ff. Zum Verhältnis zwischen Katholizismus u. württ. Staat allg. H. Wetzel, Polit. Curialismus in Württemberg 1815-1833, in: Blätter für württ. Kirchengeschichte, NF, Jg. 26, 1922, S. 59-78; Bauer, Katholizismus. 94 Boldt, Volksvereine, S. 209ff.; Langewiesche, Liberalismus, S. 108ff. 265 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 141-144 95 Zit. n. Brandt, Gesellschaft, S. 116. 96 Mann, Württemberger, S. 20. Zur Akzeptierung der parlamentarischen Spielregeln u. des konstitutionellen Systems durch die Krone Mögle-Hofacker, Parlamentarismus; der die Haltung Wilhelms aber zu positiv zeichnet. Treffend wieder einmal das Urteil R. Mohls. In seiner ›Geschichte der württ. Verfassung‹, die der verfassungsberatenden Landesversammlung gewissermaßen historischen Unterricht erteilen sollte, zog er zwei Lehren aus der vormärzlichen Entwicklung. Einmal sollte eine Verfassung möglichst schnell »durch ausführende Gesetze u. übereinstimmende Einrichtungen entwickelt« werden. Damit sollte eine erneute konstitutionelle u. legislative Erstarrung vermieden werden, nachdem in Württemberg nach 1819 zumeist der Status quo von 1819 u. zuvor erhalten geblieben war. Zum zweiten befürwortete er die Bildung von Parteien. Unterschiedliche Positionen müßten klar getrennt u. ausgebildet sein, v. a. durch eine eigene Presse u. jeweils eigene Vertreter im Landtag. »Natürlich ist dabei nur von gesetzlich erlaubten Mitteln der Parteiordnung die Rede, u. nimmermehr kann u. soll namentlich dem Unwesen das Wort geredet werden, neben der Regierung eine dieselbe lähmende Klubverbindung u. blinde Unterordnung zu bilden«. Die fast pathologische Furcht Mohls vor Partei- u. Fraktionsorganisationen ist erstaunlich. Zum einen liegen zu dem Zeitpunkt, als er den Aufsatz schrieb, seine Erfahrungen in der Paulskirche hinter ihm, zum anderen forderte er schon seit langem den Übergang zur parlamentarischen Regierungsweise. Denn als einen Vorzug der parlamentarischen Regierung gegenüber der bürokratischen, die nur Unterstützung aus Dank für eine gute Verwaltung erwarten könne, hätte jene »die Interessen für sich u. den Gemeinschaftsgeist, welche nie fehlen noch im Stiche lassen«. Mohls Position indiziert damit ein Zwischenstadium im Parteibildungsprozeß. Interessenartikulation wird befürwortet, Interessenorganisation nicht. R. Mohl, Geschichte, S. 146, 148 f. 97 Brandt, Partizipation.

V. Der Liberalismus im Vormärz 1 W. Conze, Das Spannungsfeld von Staat u. Gesellschaft im Vormärz, in: ders. (Hg.), Staat u. Gesellschaft im dt. Vormärz 1815-1848, Stuttgart 21970, S. 207-269, hier S. 207. 2 Ebd., S. 218ff. Landständische Parlamente u. monarchische Regierungen hätten sich im Vormärz nicht einander angenähert, sondern voneinander entfernt, seien 1848/49 unversöhnlich aufeinandergeprallt u. erst in den 60er Jahren durch neue Verfassungskompromisse miteinander versöhnt worden. 3 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht u. Staatswissenschaft im Grundrisse (1820), Frankfurt 1976, § 257. 4 Zit. n. ebd., S. 516f. 5 Hegel an Niethammer, 31. 1. 1818, in: ders., Briefe, Hg. J . Hoffmeister, Bd. II, Hamburg 31969, S. 176. 6 H. Brandt (Hg.), Restauration u. Frühliberalismus 1814-1840, Darmstadt 1974, S. 47f. 7 C. v. Rotteck, Gemeinde, Gemeindeverfassung, in: StL, Bd. 6, 1838, S. 390-435, hier S. 390f. 8 VU 1819, § 62. Im preuß. Allgemeinen Landrecht (II. Teil, 6. Titel, § 25) von 1794 werden die Gemeinden explizit vom Staat her definiert. »Die Rechte der Corporationen u. Gemeinen kommen nur solchen vom Staate genehmigten Gesellschaften zu, die sich zu einem fortdauernden gemeinnützigen Zwecke verbunden haben. «Vgl. auch § 26. In der oktroyierten Verfassung vom Dezember 1848 findet sich ebenfalls die direkte Ableitung der Stellung der Gemeinden aus der staatlichen Autorität. »Das Gebiet des Preußischen Staates zerfällt in Provinzen, Bezirke, Kreise u. Gemeinden« (§ 104). Erst in der revidierten Verfassung von 1850 wird nicht mehr explizit darauf verwiesen. E. R. Huber (Hg.), Dokumente zur dt. 266 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 145-148 Verfassungsgeschichte, Bd. I, Stuttgart 31978, S. 492, Wenn die preuß. Städteordnung von 1808 die Kommunen zur Mündigkeit fuhren sollte, diente in Württemberg die Verwaltungsreform von 1817 ff. weit eher dazu, die schon vorhandene kommunale Mündigkeit zu zügeln u. in einheitliche Bahnen zu lenken. Vgl. zu Preußen R. Koselleck, Preußen zwischen Reform u. Revolution, Stuttgart 21975, S. 561. 9 Rotteck, Gemeinde S. 391, 393, 397. 10 Heffter, Selbstverwaltung, S. 11, allg. S. 137ff. 11 Sheehan, Liberalismus, S. 44ff.; Brandt, Selbstorganisation. 12 »Die Gemeindezwecke sind i. A. jenen des Staates analog, beziehen sich jedoch meist nur auf die aus der näheren Zusammensetzung entstehenden gemeinschaftlichen Interessen u. Sorgen.« Dem Staat komme dagegen das »Schutzrecht . . . über alle wichtigeren Gemeindeangelegenheiten« zu, wie die Wahrung jener Interessen, die sich nicht aus dem »näheren Zusammenwohnen« ergeben. Rotteck, Gemeinde, S. 401. 13 Allg. dazu R. Koch, Staat oder Gemeinde? Zu einem polit. Zielkonflikt in der bürgerlichen Bewegung des 19. Jh., in: HZ, Bd. 236, 1983, S. 73-96;J.J . Sheehan, Liberalism and the City in Nineteenth-Century Germany, in: Past & Present, Bd. 51. 1971, S. 116-137; Μ. Wal­ ker, German Home Towns, Ithaca 1971, S. 307 ff. 14 Weisser, Verwaltungsedikt, S. 370ff., 395ff., 413ff., mit den einzelnen Anfragen, Pro­ blemschilderungen u. Verordnungen zur Forstwirtschaft; vgl. auch P. Blickle, Wem gehörte der Wald? Konflikte zwischen Bauern u. Obrigkeiten um Nutzungs- u. Eigentumsansprüche, in:ZWLG,J g . 45, 1986, S. 167-178. 15 Bericht des Ministeriums des Inn. in Betreff: der Teilnahme der Exemten an den Kosten der Oberfeuerschau, 21.7.1836, HSTAS Ε 33, Bü 623 (ein aufschlußreiches Gutachten Schlayers über das Verhältnis von Gemeindeverwaltung u. Staatsautorität); Bericht des Min. des Innern, betreffend den Antrag auf Trennung der Nebenämter, 14. 3. 1838, ebd.; Berichte der Kreisregierungen über Verwaltungsänderungen in größeren Städten (1845), ebd. Ε 150, Bü 346/1. 16 Zu anderen Gliederungsversuchen des vormärzlichen Liberalismus nach polit., sozioökonomischen u. begriffsgeschichtlichen Kategorien vgl. K.-G. Faber, Strukturprobleme des dt. Liberalismus im 19. Jh., in: Der Staat, Jg. 14, 1975, S. 201-227; Gall, Bürgerliche Gesellschaft; W. Schieder (Hg.), Liberalismus in der Gesellschaft des dt. Vormärz, Göttingen 1983 (insbesondere die Einleitung von W. Schieder); Sedatis, Liberalismus; Sheehan, Liberalismus; R. Vierhaus, Liberalismus, in: GGr, Bd. 3, 1982, S. 741-785. Für das Selbstverständnis des süddt. Liberalismus, v. a. seine starke Betonung des Reformprinzips, sehr informativ der zeitgenössische Artikel im Staatslexikon von P. Pfizer, Liberal, in: StL, Bd. 9, 1840, S. 713-730. - J. J . Sheehan, Some Reflections on Liberalism in Comparative Perspective, in: H. Koehler (Hg.), Dt. u. der Westen, Berlin 1984, S. 44-58; bot jüngst einen der überzeugendsten Versuche, hinter der fast unübersehbaren Differenzierung der verschiedenen ›Liberalismen‹ zu einer einigenden Problemstruktur zurückzufinden. Für das ausgehende 18. u. das 19. Jh. setzt er den Liberalismus einerseits gegen den traditionellen Obrigkeitsstaat, andrerseits gegenüber den Problemen einer sich modernisierenden Gesellschaft ab. Durch diese Bestimmung ex negativo, die den Liberalismus v. a. aus der Abgrenzung gegenüber traditionellem Staat u. entstehendem Industriekapitalismus bestimmt, gewinnt Sheehan die Möglichkeit, die unterschiedlichen Varianten des Liberalismus wieder auf eine Grundstruktur zu beziehen. 17 Man kann, wie Wunder, das Phänomen des Beamtenliberalismus für Württemberg bestreiten. Die württ. Beamtenschaft stand dem eigenen Staat weder oppositionell gegenüber noch beabsichtigte sie eine - folgt man Koselleck - Reformierung der Gesellschaft wie in Preußen. Dennoch dürfte Wunder die bürgerliche Eigenständigkeit der württ. Beamtenschaft im 19. Jh. unterschätzen. Sie war dem Staat gegenüber loyal, aber vielfach nicht unkritisch. Am Jahrhundertbeginn zu disziplinierten Berufsbeamten geworden, war sie doch weiterhin in ihrem sozialen Umfeld ein Teil des bürgerlichen Sozialmilieus. Die Beamten waren damit immer auch zugleich Bürger, mit lebensweltlichen, sozialen, kulturellen u. ökonomischen 267 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 149-154 Verflechtungen untereinander, so daß eine nur politisch bestimmte Abgrenzung Beamter Bürger zu kurz greift. Wunder, Beamtenliberalismus; Bühler, Bürgertum, S. 63ff. In anderem Zusammenhang hat Wunder selber herausgearbeitet, daß die Versuche der Regierung, die Beamtenschaft im 19. Jh. als eigenen, staatstragenden ›Stand‹ zu etablieren, letztlich scheiterten; B. Wunder, Der württ. Personaladel (1806-X913), in:ZWLG,J g . 40, 1981, S. 494-518. 18 Welcker torderte 1846 in der zweiten Auflage des Staatslexikons in einem Nachtrag zum Artikel ›Eigentum‹, der 1836 von Rotteck verfaßt worden war u. in der zweiten Auflage unverändert, aber mit Welckers Zusatz gedruckt wurde, die Verteidigung des Eigentums u. der Eigentumsordnung gegen den »Kommunismus«. Zugleich aber auch eine durch »Verdienst um die allgemeine Kultur« begründete »verhältnismäßig gleiche Eigentumsverteilung u. Eigentumsgewährung für alle (Hervorhebung im Original) Familienväter, eine Verteilung u. Erhaltung mit dem möglichsten Ausschlusse wucherischer u. ungerechter Erwerbungen oder Verletzungen des Erworbenen u. der gleichen Erwerbungsmöglichkeit«. Rotteck, Eigentum, S. 216. 19 Glück, Liberalismus, S. 102ff. 20 Vgl. dazu neben der einschlägigen Literatur von Adam, Grube u. Brandt auch die Uhlandbiographie von Reinöhl, der am Beispiel Uhlands die »Entwicklung von der histor.konservativen zur radikalen Opposition« verfolgt; Reinöhl, Uhland, S. 2. 21 Wolhach, Niederlassung; ders., Gewerbefreiheit; Vambüler, Gewerbegesetzgebung. 22 D. Langewiesche, Republik, konstitutionelle Monarchie u. ›soziale Frage‹ (1980), in: ders. (Hg.), Revolution, S. 341-361. 23 Varnbüler formulierte den Zusammenhang von Gewerbefreiheit u. gemeindlichen Abnutzungsrechten am pointiertesten; Varnbüler, Gewerbegesetzgebung, S. 50f. 24 Gall, Bürgerliche Gesellschaft, S. 177f. Die Kritik von Mommsen, Liberalismus; u. v. a. G. Eley, J.J. Sheehan and the German Liberals: A critical Appreciation, in: CEH, Jg. 14, 1981, S. 273-288; an Galls Datierung der Jh. mitte als entscheidendem Wendepunkt in der Geschichte des dt. Liberalismus überzeugt nicht. Beide beziehen sich weniger auf Galls Interpretation des vormärzlichen Liberalismus, sondern argumentieren schwerpunktmäßig mit der Entwicklung der zweiten Jh. hälfte. VI. Ökonomische Krise und Krisenbewältigung 1845-1847 1 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 333 ff. 2 Wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß, wie es die zeitgenössischen Klagen vorgaben u. auch keineswegs alle Sparten gleichermaßen. Zur Differenzierung in ›Kriscngewinnler‹ u. ›Krisenvcrlierer‹ im Handwerk vgl. v. a. F. Lenger, Zwischen Kleinbürgertum u. Proletariat. Studien zur Sozialgeschichte der Düsseldorfer Handwerker 1816-1878, Göttingen 1986, S. 36ff., 151 ff.; J . Bergmann, Wirtschaftskrise u. Revolution. Handwerker u. Arbeiter 1848/49, Stuttgart 1986, S. 85ff. 3 Als Fallschilderungen B. Binder, »Dort sah ich, daß nicht Mehl verschenkt, sondern rebellt wird.« Struktur u. Ablauf des Ulmer Brotkrawalls, in: Lipp (Hg.), Weiber, S. 88-110; S. Kienitz, »Da war die Weibsperson nun eine der Ärgsten mit Schreien u. Lärmen«. Der Stuttgarter Brotkrawall 1847, in: Lipp (Hg.), Weiber, S. 76-87. 4 v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung, S. 365 f. 5 Ebd., Boelcke, Ind. Wachstum, S. 463; die Zahlen nach WJb, Bd. II, 1847, S. 179-197; Schremmer, Bauernbefreiung, S. 137ff. (zu den ›Fabrikanten‹). Im ersten Quartal 1847 gab es 652 Gantfälle, die größten Anteile daran hatten Tagelöhner (86) u. Wirte (54), Beob. 12.4.1847, S. 397. - Übersicht nach WJb, 1841, S. 406ff.; ebd., Bd. II, 1848, S. 241 ff. 6 Zur Reaktion der Dorfgesellschaft auf die Krise Kaschuba u. Lipp, Überleben, S. 63ff.; zum Armenwesen v. Hippel, Bevölkerungsentwicklung; Militzer-Schwenger, Armenerziehung. 268 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 154-158 1 Zur noch legalen Protestattitüde der Unterschichten vgl. W. Kaschuba u. C. Lipp, Wasser u. Brot. Polit. Kultur im Alltag der Vormärz- u. Revolutionsjahre, in: GG, Jg. 10, 1984, S. 320-351; zum Holzdiebstahl v, Hippel,, Bevölkerungsentwicklung, S. 366; WJb, Bd. I, 1851, S. 69. 8 Langewiesche, Liberalismus, S. 84ff.; Binder, Ulmer Brotkrawall; Kienitz, Stuttgarter Brotkrawall; allg. Gailus, Protestbewegungen, S. 76-85. Die Verhörprotokolle der in Ulm am 1.5.1847 verhafteten Protestteilnehmer sind erhalten, es wurden schließlich ca. 200 Personen verurteilt; STAL Ε 350, Bü 9-21; eine knappe Zusammenstellung der vor Gericht stehenden mit dem jeweiligen Urteil in UI 3. 12. 1847, S. 389-397. Zu diesen Hungertumulten u. der Praxis des Fruchthandels auf den vormärzlichen Getreidemärkten arbeitet Manfred Müller in Tübingen an einer Dissertation. 9 UI 9.3.1847, S. 77; Beob. 19.5.1847, S. 540; zur Kommunismusangst auch KdA 12.2.1847, S. 96-99. Mit größerer zeitlicher Distanz konnte man die Vorfälle dann auch wieder nüchterner betrachten. Der Beobachter schrieb im Dezember, in Ulm seien »die vorgefallenen Verbrechen sehr materieller Art, u. der dortige Prozeß hat deshalb im Grunde wenig polit. Charakter«, Beob. 10. 12. 1847, S. 1350. Dafür spricht auch, daß schon bald nach der Urteilsverkündung vom Ulmer Stadtrat eine Deputation zum König entsandt wurde, um eine Begnadigung der Verurteilten zu bewirken; daß auch Spenden für die Angehörigen der Verurteilten gesammelt wurden; HSTAS Ε 14, Bü 6895 (über eine Eingabe von 791 Ulmer Bürgern); UI 11. 1. 1848, S. 9; 10. 3. 1848, S. 78; US 28. 12. 1847; S. 2017; 29. 3. 1848, S. 286; C. G. L. Reichard, Erinnerungen aus meinem Leben, Ulm 1936, S. 53. 10 Vgl. Langewiesche, Liberalismus, S. 86ff., der aber von einer zu starken Trennung von ›Bürgertum‹ u. ›Obrigkeitsstaat‹ ausgeht. 11 Staatsanzeiger 23.7.1869, Beilage. Trotz der Arbeiten v. Hippels fehlen noch immer Studien über die genauen Auswirkungen der Krise u. v. a. die Praxis der kommunalen Armenfürsorge; v. Hippel bietet nur Überblicke über besonders strukturschwache Gebiete an, seine Angaben erlauben auch keine Rückschlüsse über Art u. Umfang der Unterstützungen. Vor allem wäre - um nur ein Beispiel zu nennen - zu unterscheiden zwischen nur von Armenunterstützung Lebenden u. jenen, die etwa in Krisenzeiten verbilligtes Brot erhalten. So herrschte 1847 Einigkeit zwischen Regierung u. Kammer darüber, daß jene letztere Gruppe nicht von dem im Bürgerrechtsgesetz vorgesehenen Verlust der polit. Rechte, d. h. des Wahlrechts, betroffen sei. Reyscher, Bd. XV/2, S. 1079 (Art. 47); KdA 12.2.1847, S. 127f. Zu 1816/17 H. Medick, Teuerung, Hunger u. ›moralische Ökonomie von obcn‹, in: Beiträge zur Historischen Sozialkunde, Jg. 15, 1985, S. 39-44. 12 HSTAS Ε 10, Bü 73, S. 38ff; Reg.bl. 1846, S. 389ff.; KdA 1847, Beil., S. 314ff; Kreidler, Staatl. Förderung, S. 58. Die Ausfuhrbeschränkungen dauerten bis Sommer 1847 an, HSTAS Ε 10, Bü 73, 72. Es wurde ebenfalls - unter Androhung von Strafen - verfügt, daß Käufe u. Verkäufe nur noch über die offiziellen Märkte abgewickelt werden durften; damit wollte man das Angebot erhöhen u. der Meinung vorbeugen, daß sich Spekulanten außerhalb des Marktes versorgten; HSTAS Ε 10, Bü 73, 86ff. 13 WJb, Bd. I, 1851, S. 44; die Importeure waren die Kaufleute Seybold, Keller, Müller, v. Jobst; ebd., S. 134; KdA 1847, Beil. II, S. 100-102; Medick, Teuerung, S. 42. 14 M. v. Prittwitz, Die Schanzer von Ulm, Ulm 1850, S. 3; Schw. K. 4. 5. 1847, S. 495; Eisenbahnbaugesetz in Reg.bl. 1843, S. 277ff.; Baukosten in WJb, Bd. I, 1851, S. 78; zusammengefaßt wurden die Sparten Unterbau, Oberbau, Bahnhöfe, Reparaturwerkstätten. 15 WJb, Bd. I, 1851, S. 45f.; HSTAS Ε 10, Bü 73, 87. Zentner wurden in Scheffel im Verhältnis 1:3,1 umgerechnet; dadurch ergeben sich leichte Abrundungsungenauigkeiten, da in den Quellen Scheffel u. Zentner nicht zusammengefaßt wurden. 16 Ebd., S. 37f. 17 Reg.bl. 1845, S. 408; W. Kissling, Württemberg u. die Karlsbader Beschlüsse gegen die Presse, Diss. München 1956, S. 252ff.; UI 8. 6. 1847, S. 181 f. 18 Quelle wie Anm. 15. 269 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 158-162 19 Reyscher, Sammlung, Bd. XV/2, S. 593ff, 1231ff.,1274. 20 R. Mohl, Die Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft der politischen Ökonomie (1840), in: Jantke/Hilger (Hg.), Eigentumslosen, S. 319-337, hier S. 319. Vgl. dazu Angermann, Mohl, S. 213-242; Thamer, Emanzipation, S. 59f., der hervorhebt, daß für R. Mohl Gewerbefreiheit u. Zunftzwang keine sich ausschließenden Gegensätze waren; ersteres solltefürden Fabrikbereich, die Zunftregeln nur noch fürs Handwerk gelten. Bei R. Mohl ist bei diesen Fragen jedoch immer zu beachten, daß er als Sozialtheoretiker stets über Entwicklungen in England u. Frankreich spricht, während sich dagegen in Dt. »vielleicht schon die ersten unzweideutigen Symptome zeigen«, ders., Nachteile, 308; seine Äußerungen also eher als Warnungen denn als Zustandsbeschreibungen zu lesen sind. 21 Das Fabrik- u. Maschinenwesen oder der Einfluß des Fabrik- u. Maschinenwesens auf die physischen, sittlichen, politischen u. wirtschaftlichen Zustände des Völkerlebens, Schaffhausen 1844, S. 151. 22 G. Rau, Der Zustand des Landes, wie er war, wie er ist u. wie er sein sollte, Stuttgart 1847, S. 15; C.L. Wolbach, Urkundliche Nachrichten von den ulmischen Privatstiftungen, Ulm 1847, S. 29. Bemerkenswert ist hier auch die Kongruenz der beiden Zitate. Rau, ein gescheiterter Glasfabrikant, machte sich die Forderungen der Kleingewerbetreibenden zu eigen; er scheiterte im September 1848 mit einem - an Struve in Baden angelehnten Revolutionsversuch; Wolbach war 1819-1845 Oberbürgermeister von Ulm u. damit Repräsentant des gehobenen städtischen Bürgertums. 23 HSTAS Ε 14, Bü 1034; Ε 146, Bü 6711, 6114, v. a. 6720. 24 Rechenschaftsberichte an die Gesellschaft für Beförderung der Gewerbe in Württemberg, Stuttgart, Jg. 17, 1847, S. 27 ff. 25 Min. des Innern an die Kreisregierungen, 22. 12. 1846; HSTAS Ε 146, Bü 6715; auch in Beob. 22.3.1847, S. 317ff. - Regierung Schwarzwaldkreis an OA Balingen, 1.6.1847; HSTAS Ε 146, Bü 6717. Schon in den 30er Jahren hatte die Regierung die OÄer angewiesen, Gewerbetreibende über Wirkungen der Einführung der Gewerbeordnung zu befragen, damit gleichsam eine frühe Form ›empirischer Sozialforschung‹ betreibend; Köhler, Gewerberecht, S. 149. 26 OAmann Maier aus Reutlingen, 19. 8. 1847; HSTAS Ε 146, Bü 6717. 27 Organisation des Grundbesitzes, Organisation der Arbeit, Organisation der Armenhilfe, Organisation der Auswanderung, Beob. 3. 3. 1847 ff. 28 Beob. 4. 7., 28. 8., 18. 8., 28. 9. 1846, S. 715ff., 931 f., 899f., 1066-1068. 29 Das angestrebte Ideal waren »Vereinigungen für alle Zwecke des religiösen, bürgerlichen, gewerblichen u. geselligen Lebens mit Wahrung der individuellen Freiheit der Teilnehmer«, in: Über den Sozialismus, Beob. 6. 7., 20. 7. 1846, S. 723f., 783f. 30 Ebd. 11.7., 10. 9., 3. 10. 1846, S. 747, 990f, 1081f. 31 Nägele, ebd. 19.8. 1846, S. 901 f. Rau setzte dem die einfache Forderung entgegen: »Ach die Fabrikarbeiter! Kann man denn diesen nicht Rechte geben?« Rau, ebd. 10.9. 1846, S. 990f. 32 Zu den Eingaben der Färber u. Weber vgl. STAL Ε 170, Bü 214. In acht Zusatzfragen legte die Regierung auch einzelne geplante Modifikationen im Falle einer generellen - d. h. nur gebunden an die Volljährigkeit u. unter Beibehaltung der Zunftregelung in einzelnen Gewerben aus ›polizeilichen‹ Gründen - Einführung der Gewerbefreiheit dar. Es wurde gefragt: 1. In welchen Gewerben soll weiterhin ein Befähigungsnachweis (d. h. eine Meisterprüfung) verlangt werden?-2. Ob die Ausbildung von Lehrlingen an Voraussetzungen zu binden sei?3. Innerhalb welcher Frist die Gewerbefreiheit eingeführt werden solle? - 4. Ob es weiterhin Beschränkungen im Handel geben solle?- 5. Wie jene polizeilichen Aufgaben erledigt werden sollen, die bisher von den Zünften wahrgenommen wurden? - 6. Ob die Regierung ggf. wieder Zwangskorporationen - für jene polizeilichen Aufgaben - einführen solle? - 7. Wie die Ausbildung u. Überwachung von Lehrlingen u. Gesellen geregelt werden solle? - 8. Wie sich eine Aufhebung der Zünfte auf das Verhältnis des Gewerbeniederlassungs- zum Gemeinde270 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S, 162-168 bürgerrecht auswirken werde? Min. des Innern an die Kreisregierung in Ulm, 22. 12. 1846, HSTAS Ε 146, Bü 6715. - Falls die Zunftordnung beibehalten werden sollte, offerierte die Regierung zwei Reformen: Arbeiten, die bisher einem einzigen Gewerbe vorbehalten waren, sollten für mehrere Zünfte geöffnet werden; mehrere Zünfte in verwandten Gewerben sollten zusammengefaßt werden. 33 Eingaben gegen/für Gewerbefreiheit Handwerk 66 55 / 11 Handel 13 8/ 5 Fabrikanten 10 5 / 5 Beamte 27 14 / 13 Gemeinden 2 - / 2 Gewerbevereine 7 3/ 4 Württemberg

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HSTAS Ε 146, Bü 6715-6718. 34 Eingabe Goppelt, 31.5.1847, HSTAS Ε 146, Bü 6718, Bl. 10. Der Vergleich mit Gewerberäten erscheint in diesen Petitionen Öfters. 35 Vgl. Anm. 33. 36 Vambüler, Gewerbegesetzgebung, S. 51, 16f.; ähnlich viele Einzelstimmen in den Eingaben von 1847, vgl. auch Nägeles Artikelserie ›Ansichten eines zünftigen Handwerkers‹, Beob. 30.4.1847 ff. 37 Bericht des OAmanns aus Tettnang, HSTAS Ε 146, Bü 6715. VII. Reformpolitik 1848/49 1 A. Wolff, Berliner Revolutionschronik, Bd. I, Berlin 1851, S. 317. 2 P. Pfizer, Polit. Aufsätze u. Briefe, hg. von G. Küntzel, Frankfurt 1924; Loock, Pfizer; zu den Märzgefallenen Valentin, Geschichte. - J . Burckhardt, Briefe, hg. von M. Burckhardt, Bd. II, Basel 1952, S. 210; Bunz, Der Franzosenfeiertag 1848, Reutlingen 1880; Carnevali, Alarm. Für Württemberg Sieber, Tübingen, S. 40 ff. 3 So eine der ersten Adressen, sie wurde am 27. 2. 1848 von einer Versammlung Mannheimer Bürger an die badische Abgeordnetenkammer gerichtet, im folgenden diente sie als Muster für viele der Märzadressen; abgedruckt in: H. Fenske (Hg.), Vormärz u. Revolution 1840-1849, Darmstadt 1976, S. 264f. Vgl. für Preußen Wolff, Revolutionschronik, Bd. I; für München K.-J. Hummel, München in der Revolution von 1848/49, Göttingen 1987; für Baden W. Real, Die Revolution in Baden 1848/49, Stuttgart 1983. 4 Das gilt auch für die badischen ›Revolutionäre wider Willen‹, denn wenn überhaupt, dann trifft diese Formulierung auf die badischen Demokraten zu, die nach der Flucht des Großherzogs mehr aus Verlegenheit denn aus revolutionärer Überzeugung die Regierung übernahmen. In dem während der Belagerung von Rastatt von Hans Elsenhans für zwei Wochen herausgegebenen ›Festungsboten‹ werden die Eingeschlossenen in der Regel als Badener u. nicht als Dt. angesprochen u. angespornt. Vgl. auch H. Berding, Staatl. Identität, nationale Integration u. polit. Regionalismus, in: Blätter für dt. Landesgeschichte, Jg. 121, 1985, S. 371-393. 5 Beob. 1. 3. 1848, S. 233; C. Maier, Die Bezirkskörperschaften u. Amtsversammlungen in Württemberg, Stuttgart 1848, S. III. - Zu den Agrarunruhen vgl. Kap. II. 1; v. Hippel, Bauernbefreiung; Koch, Agrarunruhen. Auch die Berichte der OAmänner über die Stimmung in der Bevölkerung, die die Regierung Anfang März einforderte, belegen den weitgehend friedlichen Verlauf. »Der Geist ist in der hiesigen Gemeinde, von den Amtsorten ist ohnehin nichts zu fürchten, im Ganzen genommen, wie zuvor«, OAmann Friz am 2.3. aus Ulm, 271 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 168-171 HSTAS Ε 146, Bü 1929. Ein Vergleich mit Berlin ist hierbei wieder aufschlußreich. Ganz anders als in Württemberg besteht hier eine große Unerfahrenheit u. Unsicherheit in der Artikulation polit. Wünsche; die ersten Wochen dienen auch dem Erlernen eines Repertoires an Handlungsmöglichkeiten - wobei Kuriosa wie jene auftraten, daß man den Polizeipräsidenten um die Überbringung einer Petition bittet, worauf v. Minutoli vorschlägt, sie per Post zu schicken; Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S. 19. 6 K. Klüpfel, Aus J . Fallatis Tagebüchern u. Briefen. Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1848, in:WVjL,J g . 8, 1885, S. 1-36, hier S. 2; Sieber, Tübingen, S. 40ff. 7 Uhland, Werke, Bd. II, S. 185 ff. (Abdruck der Eingabe der Tübinger Bürgerschaft an den Ständischen Ausschuß in Stuttgart), hier S. 87; ders., Briefwechsel, hg. von J. Hartmann, Bd. III, Stuttgart 1914, S. 367 (Brief vom 5. 3. an Duvernoy). Allg. zu Uhlands Rolle im Landtag u. in der Paulskirche A. Rapp, Uhland im polit. Leben, in: WVjL, Jg. 33, 1927, S. 44-67. 8 Mann, Württemberger, S. 15ff. - KdA 1848/49, 22. 3. u. 27.3.1848; Sauer, Heer, S. 107f. Zu den Berliner Kämpfen vgl. den umfangreichen Überblick von G. Heinrich in der Einleitung der von ihm herausgegebenen Denkschrift des die preuß. Truppen befehlenden Generallt. v. Prittwitz. Mehr als fragwürdig bleiben seine - von ihm nicht belegten Angaben- über die Zahl der Teilnehmer an den Kämpfen. Er spricht von höchstens 4000 Personen, was etwa 1% der Bevölkerung von 1848 entsprach. Ebenfalls unbelegt bleibt seine Behauptung, es könne »kein Zweifel daran bestehen, daß der Aufstand des 18. März von einer Gruppe polnischer u. dt. Agitatoren geplant u. von einigen in aller Unbeholfenheit u. Waghalsigkeit agierenden ›Führern‹ geleitet worden ist«. - G. Heinrich, Einleitung, in: K. L. v. Prittwitz, Berlin 1848, hg. von G. Heinrich, Berlin 1985, S. XV-LXIV, hier S. XLVf. Kritisch gegen derartige Verschwörungsthesen schon Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, v. a. S. 101-105. 9 Boldt, Volksvereine, S. 7 f. 10 Beob. 4. 1. 1846, S. 10; vgl. auch Kap. IV.2.b. 11 Vgl. Kap.IV.2.a; Brandt, Parlamentarismus, S. 137ff. 12 Im November wurden die ersten Versammlungen in Neresheim (Holzinger) u. Rottweil (Murschel) abgehalten, Beob. 16./17. 11. 1847, S. 1259, 1261 f. - Versammlungen wurden eingefordert oder abgehalten im Donaukreis in 5 OÄern, im Jagstkreis in 9, im Neckarkreis in 10 u. im Schwarzwaldkreis in 11. Davon wurden nur in 3 OÄern, in Wangen, Backnang u. Ludwigsburg, Versammlungen von den Abgeordneten trotz öffentlicher Aufforderungen abgelehnt. Die Angaben nach den Berichten im Beob. im Winter 1847/48. - Der Beob. legte seine Deutung der Vorgänge einem nicht genannten Abgeordneten in den Mund. »›Die Abgeordneten sind nichts u. vermögen nichts, wenn sie nicht einen sichern Rückhalt im Volke haben.‹ In diesen von so vielen Seiten her zusammentreffenden Wünschen nun haben sie einen sichern u. breiten Fuß im Volke.« Beob. 17. 1. 1848, S. 59, vgl. auch ebd. 22. 1. 1848, S. 77. Nach der Eröffnung des Landtags dann knüpfte die liberale Opposition an die Versammlungsbewegung an, um den Protest für die Ablehnung von mißliebigen Gesetzentwürfen zu organisieren. Heinrich Müller, einer der führenden Stuttgarter Liberalen u. wenige Wochen später Überbringer einer Märzpetition an Wilhelm I., rief im Beobachter zu »Tätigkeit u. Mithilfe« gegen den vorgelegten Gesetzentwurf über das Kommunalwahlrecht auf; Beob. 17.2.1848, S. 182. Vgl. auch 5. Schott, Württ. Parallelen, in: Jahrbücher der Gegenwart 1848, S. 85ff.; Württ. Landtag, in: ebd., S. 26ff. 13 Ganz in diese Richtung sind auch die entsprechenden Passagen im Offenburger bzw. Heppenheimer Programm zu interpretieren, abgedruckt in W. Grab (Hg.), Die Revolution von 1848, München 1980, S. 218ff. 14 Vgl. Brandt, Parlamentarismus, S. 98ff., 503ff.; Sauer, Heer; ders., Revolution u. Volksbewaffnung. Die württ. Bürgerwehren im 19. Jh., v. a. während der Revolution von 1848/49, Ulm 1976. 15 Beob. 8. 5. 1848, S. 253f. 272 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 171 16 Brandt, Parlamentarismus. - Zur Popularisierung der Verfassung in der Bevölkerung vgl. Schriften wie F. L. v. Gmelin, Die Wirksamkeit der württ. Verfassung vom 25. September 1819 in ihrer fünfundzwanzigjährigen Dauer, übersichtlich dargestellt, Stuttgart 1844; G. Scholl, Verständigung über die Verfassungsurkunde des Königreichs Württemberg vom 25. September 1819, Ulm 1846 (vom württ. Volksschriften verein herausgegeben u. vertrieben). Bisweilen wurde von Amtsversammlungen auch beschlossen, derartige Schriften auf Kosten der Gemeinden an alle Bürger verteilen zu lassen, Beob. 18. 10. 1846, S. 1141. - Vgl. die Tagebucheintragungen des Malers u. Kunsthändlers Friedrich Maurer, der im März notiert: »Es ist bei uns wieder ziemlich ruhig hinsichtlich unserer eigenen Angelegenheiten« (18. März), auf die Nachricht von der Flucht Metternichs u. der Kämpfe in Berlin dann konstatiert, »rings herum nichts als Revolution« (20. März); F. Maurer, Elend u. Aufstieg in den Tagen des Biedermeier, hg. von W. Meyer, Stuttgart 1969, S. 108f. 17 Zu Württemberg in den 60er Jahren Brandt, Parlamentarismus, S. 689ff.; G. Runge, Die Volkspartei in Württemberg von 1864 bis 1871, Stuttgart 1970; A. Weinmann, Die Reform der württ. Innenpolitik in den Jahren der Reichsgründung 1866-1870. Die Innenpolitik als Instrument der Selbstbehauptung des Landes, Göppingen 1971. - Zur nationalen Frage u. zur Reichsverfassungskampagne Mann, Württemberger. 18 An allg. Darstellungen zu 1848/49 vgl. den zeitgenössischen Artikel von vmt. S. Schott, Das Märzministerium in Württemberg, in: Die Gegenwart, Jg. 6, 1851, S. 87-165 (zur Frage der Identität des Autors Mann, Württemberger, S. 396); die älteren Gesamtdarstellungen von E. Schneider, Württ. Geschichte, Stuttgart 18%; R. Leibbrand, Das Revolutionsjahr 1848 in Württemberg, Stuttgart 1948; sowie aus neuerer Zeit, jeweils unter einer spezifischen Fragestellung das Gesamtgeschehen erfassend, Mann, Württemberger; Langewiesche, Liberalismus; Kaschuba u. Lipp, 1848; Mögle-Hofacker, Parlamentarismus. - Zur bürgerlichen Bewegung, ihren Organisations- u. Aktionsformen zusätzlich M. Schaab u.a., Revolution 1848/49, in: Histor. Atlas, Bd. VII/6, S. 1-32; B. Mann, Freiheit u. Einheit. Linke Liberale in der dt. Nationalversammlung 1848/49, in: Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Geschichte, Bd. 28, 1976, S. 257-270; ders., Die Wahlen zur dt. Nationalversammlung 1848 im Wahlkreis HallGaildorf-Crailsheim, in: WF, Jg. 53, 1969, S. 109-122; H. Weber, Die Wahlen zur dt. Nationalversammlung im Wahlbezirk Öhringen-Künzelsau, in: ebd., S. 123-132; Sauer, Volksbewaffnung; W. Steinhilber, Die Heilbronner Bürgerwehren 1848 u. 1849 u. ihre Beteiligung an der badischen Mairevolution des Jahres 1849, Heilbronn 1959; D. Langewiesche, J. Hölder. Zur Geschichte des württ. u. dt. Liberalismus im 19. Jh., in: ZWLG, Jg. 36, 1977, S. 151-166; Boldt, Volksvereine; Heimberger, Sindelfingen, Teil III. Zu unterbürgerlichen Protesten neben der obigen Arbeit von Kaschuba/Lipp v. a. die verschiedenen Aufsätze der beiden, in denen sie einerseits ihr Projekt zur Erforschung der ›Revolutionskultur‹ vorstellen dies., ED-V-olkskunde? in: Tübinger Korrespondenzblatt, Jg. 24, 1983, S. 22-32; dies., Revolutionskultur 1848, in: ZWLG, Jg. 39, 1980, S. 141-165 - andrerseits Analysen von schichtspezifischen Protestformen vornehmen: dies., Wasser u. Brot; W. Kaschuba, Vom Gesellenkampf zum sozialen Protest. Zur Erfahrungs- u. Konfliktdisposition von GesellenArbeitern in den Vormärz- u. Revolutionsjahren, in: U. Engelhardt (Hg.), Handwerker in der Industrialisierung, Stuttgart 1984, S. 381-406; Lipp, Handwerkervereine; dies., Verein. Zu den wenigen republikanischen Aktionen P. Sauer, G. Rau u. die revolutionäre Erhebung in Württemberg im September 1848, in: WF, Jg. 62, 1978, S. 93-143; E. Sieber, G. Rau u. ›Die Sonne‹, die erste republikanische Zeitung Württembergs, in: ZWLG, Jg. 33, 1974, S. 183-235; umfassend Müller, Württemberg. 19 Die liberale Verarbeitung der Hungerunruhen des Vorjahres hatte bereits zu einer Verstärkung der bürgerlichen Reformforderungen geführt, um der drohenden Krisis begegnen zu können. »Die polit. Hebung des Bürgertums u. Verschmelzung seiner Interessen mit den Interessen der Regierung ist die beste u. sicherste Schutzwehr gegen das Andringen des Proletariats.« Beob. 18. 11. 1847, S. 1265. »Wir wollen, daß die Regierung sich materiell wie moralisch stärke durch das auf ihre Seite gezogene Bürgertum« - denn im Mai 1847 hätten die 273 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 172-174 Bürger die Sicherung der Ruhe dem Militär überlassen u. wären passiv geblieben; ebd. 7. 12., 23.10. 1847, S. 1338, 1161 f. 20 So wenig es »die dt. Revolution als Massenbewegung« gab, worauf Langewiesche, in Anlehnung an Hamerow u. Droz hingewiesen hat, so wenig reicht es aus, nur die allgemeinen Probleme in den Einzelstaaten zu untersuchen. Statt dessen muß man jeweils die spezifischen Konfliktlagen in den Teilstaaten analysieren, um erst auf dieser Basis zu einer Interpretation des Gesamtverlaufs zu gelangen; Langewiesche, Liberalismus, S. 445. 21 B. Mann, Die württ. ›Organisations-Kommission‹ von 1848, in: ZWLG, Jg. 40, 1981, S. 519-546; Boldt, Volksvereine, S. 55; mit der Kritik des Beobachters an der Zusammensetzung der Kommission. Der Redakteur der Zeitung bemängelte, daß zuviel Beamte in der Kommission vertreten seien. Im engeren Kreis der Kommission hatten die Regierungsbürokraten die absolute Mehrheit, was jedoch etwas relativiert wurde durch die Zusammensetzung des Personenkreises, der in der Organisationskommission v. a. bei der Erstellung des Entwurfes einer Gemeindeordnung zusammenarbeitete. Es waren 39 Personen, die sich wie folgt nach Berufsgruppen aufteilten: Bürokratie (fast ausschließlich Bezirksbeamte) 9 Kommunalvertreter 19 Bildungsbürger/Adel 5 Gewerbevertreter 6 Entwurf einer Gemeindeordnung für das Königreich Württemberg. Bearb. von der Organisations-Kommission, Stuttgart 1848, S. IIIf. Der hohe Anteil der Vertreter der Gemeinden wie auch die Berücksichtigung der lokalen Bürokratie verdeutlicht die Struktur der Hauptinteressenten an der Gemeindereform, nämlich die Dominanz der lokalen Eliten. Die geringe Zahl der gewerblichen Repräsentanten dürfte v. a. damit zu erklären sein, daß in den allermeisten Fällen eine eindeutige Unterscheidung in berufliche u. gemeindliche Interessenvertreter nicht zu treffen ist, da die kommunalen Ämter meist nur nebenberuflich ausgeübt wurden. 22 Schw. K. 1.7.1848, S. 957. 23 Mann, Organisations-Kommission, S. 528, 545f. Am bedeutendsten war der ›Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung der Gemeinden‹, der im Sommer 1848 erschien u. bald als Grundlage weiterer Diskussionen diente; A. Hochstetter, Beleuchtung des von der Organisations-Kommission bearbeiteten Entwurfes einer Gemeinde-Ordnung für das Königreich Württemberg, Ludwigsburg 1848. 24 Mann, Organisations-Kommission, S. 527. 25 KdA 1848/49, S. 2389 u. ö. 26 Reg.bl. 1848, S. 53f.; Richter, Presse, S. 401. -Reg.bl. 1848, S. 101 ff., 1849, S. 639ff., 1853, S. 151 ff. Die Demokraten verteidigten die Bürgerwehr kompromißlos - ohne aber deren Popularitätsschwund verhindern zu können. Städte wie Tübingen, wo die Mehrheit der Bürger die Institution unterstützten, blieben die Ausnahme. Als die Regierung im Winter 1849/50 über OAmänner u. Amtsversammlungen für jede Gemeinde Fragebogen erheben ließ, erklärten sich nur 145 von insgesamt 1909 Gemeinden bereit, Bürgerwehren aufzustellen. Sauer, Volksbewaffnung, S. 201 ff.; Sieber, Tübingen, S. 293ff. - Reg.bl. 1848, S. 113f., 1852, S. 8a/b; Boldt, Volksvereine, S. 74. Wie die Bürgerwehren waren auch die Volksvereine zum Zeitpunkt ihrer Auflösung kaum noch als reale Kraft präsent. 27 Sauer, Strafgesetzgebung, S. 162, 168. 28 Für die Jahre 1860-1863 ergeben sich folgende Werte (jährlicher Durchschnitt), in fl.: Gemeindeeinnahmen aus - Gemeindeeigentum 5665937 48,4% - Steuern 3318340 28,3% Stiftungsausgaben 2726006 23,3% 274 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 174-177 Demgegenüber betrug der jährliche Durchschnittsertrag der staatl. Steuern in diesen Jahren nur 9,2 Mio. fl.; WJb 1870, S. 215, 237; ebd., 1872, Bd. 2, S. 77. Hinter diesen Durchschnittswerten für ganz Württemberg verbergen sich große lokale Unterschiede. In Stuttgart betrug die Summe aus Stiftungsausgaben u. Gemeindeeinnahmen 0,524 Mill. fl., davon stammten nur 6,5% aus den Erträgen des Gemeindevermögens; in Freudenstadt stammten 75,8% der Gesamtsumme aus den Erträgen des Gemeindevermögens. Allgemein läßt sich sagen, daß die Stiftungsausgaben im Prozentanteil eher konstant blieben; die größten Unterschiede resultierten aus der unterschiedlichen Höhe der Gemeindevermögen. Für ein lokales Beispiel vgl. L. Baur, Der städtische Haushalt Tübingens vom Jahre 1750 bis auf unsere Zeit, Tübingen 1863. 29 Einnahmen aus direkten Steuern (Realsteuern, Steuern auf Kapital- u. Berufseinkommen) in Mill. fl.: Steuern 1820 1831/2 1843/4 1860/1 1868/9 4,408 2,862 3,711 2,247 Staat 3,024 Ämtera 0,757 0,414 0,447 0,514 0,638 Gemeindena 0,691 0,769 1,292 2,041 2,885 a: zu über 90% Realsteuern Quelle: WJb 1868, S. 344, 1872, Bd. 2, S. 77. 30 Die steigenden Erträge resultierten aus einem Anwachsen des besteuerten Vermögens, Reg.bl. 1849, S. 337ff.; WJb 1866, S. 252ff., 1872, Bd. II, S. 77. Steuerertrag (in fl.) aus: 1847/8 1848/9 1852/3 Kapitalbesitz 232816 586935 628 237a Einkommenb 58635 258738 163345 a: seit 1852 wurde nicht mehr der Kapitalbesitz, sondern der Zinsbetrag besteuert. b: Besoldung, Pensionen, Apanagen. Quelle: WJb 1866, S. 256f. In diesem Zusammenhang gehört auch die nun neu eingeführte steuerliche Belastung von Amtswohnungen; Reg.bl. 1849, S. 332ff., S. 693ff. - Zum Gesetz von 1852 Reg.bl. 1852, S. 230ff.; im Landtag v. a. KdA 1851, S. 2715; 1852, S. 2592ff., 2625ff., 2850ff.; Beil. II/1, S. 42, 365ff., 600ff. 31 Reg.bl. 1849, S. 345ff.; KdA 1848/49, S. 2516. 32 Reg.bl. 1849, S. 552f.; WJb 1866, S. 265; allg. Steitz, Gemeindeordnungen; Trüdinger, Kommunalbesteuerung. 33 Reg.bl. 1849, S. 277ff.; KdA 1848/49, S. 4799ff. - Zu Beginn der 1860er Jahre betrug die Körperschaftssteuer von Kapital- u. Berufseinkommen nur knapp 4% des Gemeindesteueranteils; WJb 1870, S. 215. 34 Zusätzlich aufgehoben wurden auch noch die Vorrechte des Adels bezüglich der Militärrequisitionen u. der Kosten für Schule u. Kirche; Reg.bl. 1849, S. 207ff., 561 ff.; KdA 1848/49, Beil. I, S. 122; Mayer, Über das Steuerwesen der Gemeinden u. Bezirke, in: ZGS, Jg. 5, 1848, S. 539-585. 35 Reg.bl. 1849, S. 207ff., Art. 8f., 11, 14, 20. 36 Nur als Hoheitsträger (öffentl. Gebäude) oder in Dienstleistungsfunktionen (Eisenbahn) blieb staatliches Gut von Leistungen an die Gemeinden befreit. - KdA 1848/49, S. 798 f. 37 Ebd., S. 922; Reg.bl. 1849, S. 213f. 38 Vorläufer der Zentralstelle waren die ›Gesellschaft für die Beförderung der Gewerbe‹ (1830), die aus rd. 300 Fabrikanten, Kaufleuten u. Beamten bestand u. der 1843 gegründete ›Württ. Handelsverein‹, der aus Kaufleuten u. Fabrikanten bestand, in vier Privathandelskammern unterteilt war u. v. a. als Schiedsgerichtsverein tätig war. 1847 begann die Regierung 275 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 178-181 dann mit Beratungen über die Gründung einer neuen Organisation, am 24. 2. 1848 trafen sich Abgeordnete der Gewerbevereine u. Gewerbetreibende in Esslingen um über diese Frage zu beraten. Eine im Juni 1848 beschlossene Gründung einer Leih- u. Diskontobank blieb folgenlos, da nicht genügend Aktien gezeichnet wurden. Man sollte die Bedeutung der Zentralstelle nicht überschätzen, für viele Jahre blieb sie auf einen Etat von ca. 50 000 fl. beschränkt. Ihre Bedeutung liegt daher in ihrer intermediären Stellung zwischen Gewerbe u. Regierung, durch ihre Doppelstellung als beratende Staatsstelle u. als Organ für die Wirtschaftsbürger war ihr politischer Einfluß größer als ihre wirtschaftlichen Hilfsmöglichkeiten. 39 Reg.bl. 1851, S. 97ff., 53ff 40 HSTAS Ε 14, Bü 1060 (mit den Statuten des Vereins); Ε 146, Bü 2402 (Zitate). - Rau hatte seit 1843 Kredite in der Höhe von 8000 fl. u. beträchtliche Mengen an verbilligtem Holz erhalten; ebd. Ε 14, Bü 1158 f. Zu Raus Septembermarsch auch: Berichte über den Prozeß gegen Rau u. Genossen, Rottweil 1851. 41 HSTAS Ε 14, Bü 1033, 1034, 1158. 42 STAL Ε 170, Bü 203, 211-213, 732, 734-736; BA Frankfurt DB 51/157, Pet. 3595 (Petition des Handwerkervereins aus Ellwangen, sie war eine der verbreitetsten in Württemberg, viele andere Vereine lehnten sich inhaltlich an sie an, dazu M. Simon, Handwerk in Krise u. Umbruch, Köln 1983, S. 597ff.). War die zünftische Orientierung im Handwerk 1848 sehr verbreitet u. nicht auf Württemberg begrenzt, ist doch ein gravierender Unterschied hervorzuheben. Viele Forderungen, die in Preußen 1848 erhoben wurden, waren in Württemberg noch erfüllt, vgl. z. Β.: 28 Artikel. Als Petition der Handwerksmeister in der Stadt Bonn dem Staatsminister Herrn Camphausen übersandt im April 1848, Bonn 1848; Κ. Η. Kaufhold, Die Auswirkungen der Einschränkung der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Verordnung vom 9. Februar 1849 auf das Handwerk, in: H. Winkel (Hg.), Vom Kleingewerbe zur Großindustrie, Berlin 1975, S. 165-188; Simon, Handwerk, S. 436ff.- STAL Ε 170, Bü 212 (Zitat aus Zunftversammlungsprotokoll der Gerber, 27. 11. 1848), Bü 215, 29 (Zahlen zu den Webern). 43 Innenmin. an Zentralstelle, 3.11.1848, STAL Ε 170, Bü 203. - Gewerbeblatt 3./ 17. 3. 1849, S. 65ff.,Zitat S. 105; Krüger, Heidenheim, S. 81. 44 Reg.bl. 1851, S. 53ff. 45 STAL Ε 170, Bü 213, 203 (Entwurf einer allg. Handwerks- u. Gewerbeordnung für Dt. Beraten u. beschlossen von dem dt. Handwerker- u. Gewerbekongreß zu Frankfurt/M. Neue Ausgabe, enthaltend die von dem württ. Handwerker- u. Arbeiterkongreß zu Esslingen am 17. September 1848 angenommenen Zusätze u. Verbesserungen). Vgl. auch D. Dowe u. T. Offermann (Hg.), Dt. Handwerker- u. Arbeiterkongresse 1848-1852, Bonn 1983, S. 192ff.; K. D. Haßler (Hg.), Verhandlungen der dt. verfassungsgebenden Reichsversammlung zu Frankfurt/M., 6 Bde., Frankfurt 1848/49/ND Vaduz 1984, hier II, S. 869ff.; W. Schie-er, Die Rolle der dt. Arbeiter in der Revolution von 1848/49, in: W. Klotzer u. a. (Hg.), Ideen u. Strukturen der dt. Revolution 1848, Frankfurt 1974, S. 43-56; über die ansonsten eher divergierenden Interessenlagen von Meistern u. Gesellen. - KdA 1848/49, S. 4334, Beil. S. 794f.; STAL Ε 170, Bü 211; Berichte gingen ein aus Calw, Cannstadt, Göppingen, Hall, Heilbronn, Reutlingen, Stuttgart. Die Stuttgarter Arbeiter u. Gesellen kamen zu dem Schluß, daß sich die »sozialen Zustände« ändern müßten, als Mittel forderten sie, die »Ungleichheit der Stände in ihren Rechten u. Pflichten« zu beseitigen. Die »staatsbürgerliche Gleichstellung« meinte dabei die Erlangung gleicher polit. Rechte, die Beteiligung an der Bürgerwehr u. die staatliche Übernahme sozialpolit. Aufgaben (Armenwesen, Kassen, Auswanderungsunterstützung etc.). Auch hier führte das Bemühen um soziale Reformen zur polit. Reform hin, verwies die Gewerbereform auf die Staatsreform. Bericht des Stuttgarter Arbeiterbildungsvereins; ebd., Blatt 23 f. 46 Vgl. Langewiesche, Liberalismus, S. 211ff.;der jedoch die Trennung von wirtschaftlich u. politisch orientiertem Bürgertum zu stark betont; Brandt, Parlamentarismus, S. 697; Köhler, Gewerberecht, S. 218ff. 276 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 181-186 47 Reg.bl. 1848, S. 285f. 48 Hartmann, Regierung, S. 54f.; Schaab u. a., Revolution, S. 29. - KdA 1848/49, S. 2387. 49 Ebd., S. 2525; zu Becher Mann, Württemberger, S. 377. 50 ›Gesetz, betr. einige Abänderungen u. Ergänzungen der Gemeindeordnung‹, in: Reg.bl. 10. 7. 1849, S. 277ff. Am 7. 12. 1848 hatte Innenmin. Duvernoy im Landtag einen Gesetzentwurf vorgelegt, der dringende Punkte vor der generellen Umänderung der Gemeindeordnung regeln sollte. Dieser Entwurflehnte sichz.Τ. an die Vorschläge der Organisationskommission an, er wurde dann an die Kommission für innere Verwaltung des Landtags überwiesen; KdA 1848/49, S. 815, Beil. I, S. 232ff. Am 16. 3. 1849 wurde dann, als Nachtrag zum Gesetzentwurf, die Polizei in Stuttgart u. Tübingen, die 1843 direkt der Regierung unterstellt worden war, wieder der kommunalen Aufsicht unterstellt; ebd., S. 1039, 2258ff., Beil. I, S. 286f., 469ff. Die Beratungen über die Änderungen der Gemeindeordnung nahmen sechs Tage in Anspruch, sie dauerten vom 24. bis 31.3.1849 (am 25. u. 28. 3. fanden keine Plenarsitzungen statt). Am 31. 3. fand die Schlußabstimmung statt, bis Ende Juni dauerte es dann, die Zustimmung der Ersten Kammer einzuholen. Veränderungen erfolgten nicht mehr. 51 Reg.bl. 1848, S. 493ff. 52 Insbesondere wurde nun den Mittel- u. Bezirksbehörden untersagt, den Gemeinden »bleibende periodische Berichte u. Tabellen« ohne Genehmigung der Ministerien abzuverlangen; ebd., S. 502. Die Einschränkung der Willkürmöglichkeiten der lokalen Bürokratie verweist auf den Mißbrauch, der damit betrieben worden sein dürfte. 53 Reg. bl. 1849, S. 282f., 286, Art. 12, 22, 24. 54 Ebd., S. 279f., Art. 5-8; KdA 1848/49, S. 2429ff. Spätestens zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes mußte der gesamte Gemeinderat neu gewählt werden. Außerdem sollte von nun an im ganzen Land einheitlich im Dezember gewählt werden, man erhoffte sich davon eine stärkere Verankerung der Wahlen im Bewußtsein jener Bevölkerungsschichten, die bisher abseits gestanden hatten. 55 Reg.bl. 1849, S. 284f., Art. 18. 56 KdA 1848/49, S. 2378; dazu die Kritik des Abgeordneten Scherr, ebd., S. 2383. 57 Ebd., Beil. I, S. 233, Art. 1-3. 58 Duvernoy, Begleitungsvortrag, in: KdA 1848/49, Beil. I, S. 232. 59 Die wichtigsten Änderungen waren folgende. Während der Entwurf den Ausschluß von der Wahl vorgesehen hatte, wenn der Betreffende in den letzten drei Jahren Armenunterstützung bezogen hatte, reduzierte sich die Frist im Gesetz auf ein Jahr. Dafür wurde nun die Frist verlängert, nach welcher ein Einwohner zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt war, u. zwar von zwei auf drei Jahre. Nichtwürtt. Angehörige des Dt. Bundes sollten das württ. Kommunalrecht nur dann ausüben dürfen, wenn es Württembergern in jenen Staaten auch zugestanden werde. (Zweifellos eine Reaktion auf die sinkenden Chancen einer nationalen, emheitsstaatlichen Reform). Schließlich wurde die ursprünglich vorgesehene Wahlpflicht ersatzlos gestrichen; neu hinzu kam, daß zukünftig kein Unterschied mehr zwischen Bürgern u. Beisitzern bei der Aufnahme gemacht wurde. Die Beisitzer, die zum Zeitpunkt des Gesetzes bereits Gemeindeangehörige waren, behielten ihren Status allerdings bei - die Nivellierung der Einwohnerschaft wurde gleichsam auf gerontologischem Wege vorgenommen. KdA 1848/49, Beil. I, S. 233ff. (Gesetzentwurf); Reg.bl. 1849, S. 277ff. (Gesetz). 60 Zur Fraktionierung im Landtag vgl. Grube, Wahl; zur Charakterisierung von Einzelpersonen Mann, Württemberger, S. 377 ff.; Brandt, Parlamentarismus. Die gegensätzlichen Positionen sind am pointiertesten vertreten worden durch Becher u. Zwerger; KdA 1848/49, S. 2384, 2387. 61 Becher, ebd., S. 2386. Boldt, Volksvereine, S. 215ff., der hervorhebt, daß die Demokraten 1848/49 noch weitgehend die Grundelemente der liberalen Staatsauffassung des Vormärz teilten. 62 Reyscher, KdA 1848/49, S. 2401 f. (Reyscher), 2402f. (Mehring). 63 Ebd., S. 2410f. 277 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 187-195 64 Varnbüler, Gewerbegesetzgebung. 65 KdA 1848/49, S. 2404f. (Varnbüler). 66 Ebd., S. 2403, 2413 (Becher), 2409 (Seeger). 67 Die Mehrheit davon ausdrücklich nur aufgrund des rückwirkenden Inkrafttretens des Gesetzes zum 1. 7. 1848, ebd., S. 2547ff. 68 Das Ausklammern der Ortsvorsteherfrage ist ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. Die starke Stellung der Schultheißen, denen in der Regel die Vertretung des Standpunkts der Regierungsbürokratie nachgesagt wurde, bildete ein Gegengewicht zur Öffnung des Gemeinderats nach unten (durch Wahlrecht u. Abwählbarkeit der einzelnen Mitglieder). 69 ›Gesetz, betr. das Verfahren bei dem Aufgebot der bewaffneten Macht gegen Zusammenrottungen u. Aufruhr, sowie die Haftverbindlichkeit der Gemeinden für in Folge von Zusammenrottungen u. Aufruhr entstandenen Schaden‹, in: Reg.bl. 1849, S. 493 ff. 70 HSTAS Ε 150, Bü 1564; KdSt 1848, S. 86. - KdA 1848, S. 262. Die Abgeordnetenkammer scheute dann aber doch vor einer gesetzlichen Fixierung der Haftungsregelung zurück u. vertagte die Problematik erst einmal. Vgl. auch Sauer, Volksbewaffnung, S. 74ff.;Steinhilber, Bürgerwehren. 71 HSTAS Ε 8, Bü 53; Ε 150, Bü 1564. - Schnitzer, KdA 1848/49, S. 4507; Heilbronner Petition, ebd., Beil. I, S. 140. 72 Wie Anm. 69 u. KdA 1848/49, S. 4506ff. Bezeichnenderweise argumentierten die Demokraten, die den Gemeindeverband politisch stärker nivellieren wollten, gegen die korporative Haftung u. plädierten für individuelle Verantwortung bei nachweisbarer »Pflichtverletzung«. Demgegenüber betonte die Koalition aus liberaler u. konservativer Kammermehrheit das »politische Motiv« des Gesetzes; für die Gemeinden sollten »Nachteile entstehen, wenn nicht zu rechter Zeit kräftig gegen Unruhestifter eingeschritten wird«; ebd., S. 4603, 4609, 4625. 73 Schw. K. 1848, S. 957. 74 Vgl. Die Gemeindeordnung in Württemberg, in: DVs, Jg. 18, 1855, H. 1, S. 353-386. 75 R. Mohl, Geschichte. 76 D. Grimm, Dt. Verfassungsgeschichte 1776-1866, Frankfurt 1988, S. 221. 77 Beob. 15. 9. 1848; Brandt, Parlamentarismus, S. 617; Langewiesche, Liberalismus, S. 247. 78 KdA 1848/49, S. 3124; Beil. I, S. 662 (Kommissionsbericht). 79 Anwesend waren die fünf Minister Schlayer (Innen), Herdegen (Finanzen), Hänlein (Justiz), v. Wächter-Spittler (Außen), v. Baur (Krieg) sowie der Oberregierungsrat Camerer I; die Landesversammlung hatte Rödinger, A. Seeger, Fetzer, M. Mohl, Pfeifer u. Reyscher benannt, wovon die ersten fünf mehr oder weniger explizite Parteigänger der Demokraten waren; LV II, S. 276. Dort im folgenden auch der Abdruck der Protokolle der gemeinsamen Sitzungen. 80 LV II, S. 299f.; ganz analog dann die Vorschläge, die auf der dritten Landesversammlung im Rahmen eines vollständigen Verfassungsentwurfes vorgelegt wurden; LV III, S. 75ff. 81 LV II, S. 283; H.J. Vollmer, Der Kampf um die Grundrechte u. um die Revision der Verfassung in Württemberg (1848-1852), Freiburg 1967, S. 66ff; Langewiesche, Liberalismus, S. 257 ff. 82 LV III, S. 287f. (M. Mohl, A. Seeger), 287 (Schlayer), 288 (Pfeifer, A. Seeger), 289 (Fetzer). - Zum ambivalenten Umgang mit dem Bild der Revolution vgl. auch den ›Eulenspiegel‹, wo der Proletarier sowohl als harmlose wie auch als potentiell revolutionäre Figur dargestellt wurde; Eulenspiegel 1848, S. 80, 91; 1849, S. 104. 83 Zur Geschichte des württ. Verfassungslebens. Aktenstücke über den Konflikt zwischen dem von der aufgelösten dritten Landesversammlung gewählten Ausschusse u. der Regierung, Stuttgart 1851; Brandt, Parlamentarismus, S. 617ff; Vollmer, Kampf, S. 93ff. 84 Gemeindeordnung, in: DVs 1855; A. Schäffle, Beiträge zu einer vergleichenden Darstellung der dt. Gemeindeorganisation, in: ZGS, Jg. 22, 1866, S. 17-86. 278 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 196-198 VIII. Reform oder Revolution? 1 F. Hebbel, Tagebücher, München 1966, Bd. I, Nr. 3035. - Valentin, Geschichte, Bd. I, S. 140; Hummel, München, S. 24ff. 2 E. Zimmermann, Krisen, Staatsstreiche u. Revolutionen, Opladen 1981, S. 142; dort auch ein systematischer Überblick über die Forschung. Als Beispiel für die abstrakte Modellspielerei W. L. Bühl, Revolution u. Systemtransformation, in: Politische Vierteljahrsschrift, Jg. 28, 1987, S. 162-196. 3 Vgl. etwa die im übrigen hervorragende Arbeit von W. Siemann, der die 1848 vorausgehenden Modernisierungskrisen ebenso exakt benennt u. analysiert wie die nach der französischen Initialzündung relevanten Handlungsebenen. Die Frage, die er sich nicht stellt, ist die nach dem revolutionären Gehalt von 1848; Siemann, Revolution, S. 7ff., 58, 223ff. Eine Frage, die vor 40 Jahren bereits R. Stadelmann in seiner noch immer brillanten Studie aufwarf. »Ist das überhaupt eine Revolution gewesen, was sich vom März 1848 bis zum Juni 1849 in Dt. abgespielt hat u. aus den Bahnen der Loyalität nie herausgefunden, den Weg der Gewalt weder innerlich noch äußerlich gewagt hat?« Stadelmann bejaht die Frage. 1848 sei »psychologisch eine wirkliche Revolution gewesen« u. könne so genannt werden »durch das Auftreten aller Züge eines typisch revolutionären Verlaufs«. Beide Elemente, die mentale Wahrnehmung wie die Verlaufsform ohne entsprechenden revolutionären Inhalt sind aber nur hinreichende Kriterien dafür, daß 1848 von den Zeitgenossen als Revolution wahrgenommen werden konnte; Stadelmann, Geschichte, S. 216f., 222. 4 R. Koselleck, Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg, in: GGr, Bd. 5, 1984, S. 653-788, hier S. 725 f. 5 Später führte Berends noch aus: »Revolution ist kein bloßes Ereignis. Ich glaube, wir sind alle so weit, um zu wissen, daß Revolution eine Staatsumwälzung u. nicht eine Reform bedeutet, daß es also eine Umgestaltung, u. zwar eine gewaltsame Umgestaltung des Staatslebens bedeutet u. nicht eine friedliche Reform«. Ja, er stellte die aktuellen Ereignisse sogar als revolutionärer dar als die Französische Revolution von 1789, denn »dort wurde die Revolution gemacht in der Versammlung der Volksvertreter, bei uns hat sie das Volk gemacht. Wir haben nur die Pflicht, unsere Volksrevolution anzuerkennen«. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preuß. Staats-Verfassung berufenen Versammlung, Bd. 1, Berlin 1848, S. 171, 181, 184. 6 Riedel versuchte sich ebenfalls mit einer Definition. »Revolution ist eine Staatsveränderung, welche gegen den Willen der herrschenden Gewalt geschieht, u. Reform ist eine Staatsveränderung, welche mit dem Willen der herrschenden Gewalt geschieht.« Oder, wie es der Abgeordnete Jonas ausdrückte, eine Reform sei eine prinzipielle Änderung der Verfassung »innerhalb der Formen des Gesetzes u. ohne Anwendung materieller Gewalt«. Ebd., S. 181 f., 184. 7 B. Kettner, »Anerkennung der Revolution«. Ein Beitrag zur Geschichte der preuß. Nationalversammlung im Jahre 1848, Greifswald 1913, S. 63; der auch hervorhebt, daß die Forderung nach ›Anerkennung der Revolution‹, nach Volkssouveränität erst im Mai, also nach den Wahlen zu den Nationalversammlungen aufkommt, insbesondere als Aufgreifen von Gagerns Formulierung vom 18. 5. von der »Souveränität der Nation«, ebd., S. 16; Verhandlungen preuß. Staatsverfassung, S. 175 (Dierschke). 8 »Die Revolution ist eine Transaktion gewesen, aber eine blutige Transaktion. Nach einer solchen sind wir nicht mehr auf der alten Basis stehen geblieben, sondern eine neue ist dadurch gelegt worden«; Behnsch in Erwiderung auf Hansemann, der hervorhob, daß in Berlin »eine Transaktion zwischen der Krone u. dem Volk stattgefunden hat«; ebd., S. 175f. (Hervorhebung Μ. Η.). 9 MEW 5, S. 238, 457, 65; vgl. MEW 8, S. 49. - MEW 5, S. 65 (»halbe Revolution«), S. 457; MEW 6, S. 9 (»ganze Revolution«). Der Revolutionsbegriff bei Marx u. Engels ist äußerst schillernd. Hier wurden v. a. kritische Belegstellen herangezogen, dem steht andrer279 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 198-202 seits eine positive Revolutionsbegrifflichkeit gegenüber, die sich besonders auf soziale Kämpfe (Juni in Paris, Oktober in Wien) bezieht, z. T. aber auch das bürgerliche Ziel der ›Volkssouveränität‹ als Revolutionskriterium übernimmt, bis schließlich Marx am Beginn seines 18. Brumaire dem »Gespenst der alten Revolution« von 1848 die zukünftige »Poesie« der »sozialen Revolution« gegenüberstellt, die polit. Revolution damit zum Ergebnis der sozialen macht u. die historische Ungewißheit in geschichtsphilosophische Gewißheit umformt; MEW 8, S. 117. Die Reichsverfassungskampagne schließlich, an der Engels selber teilnahm, bezeichneten er u. Marx als »Ulk«, MEGA III/3, S. 36, 45. Später dann charakterisierte Engels die Reichsverfassungskampagne als getragen von »reaktionären Gefühlen«; MEW 8, S. 90. 10 Vgl. dazu Koselleck, Revolution, S. 653. 11 Siemann, Geschichte, S. 76. 12 T. Schieder, Das Problem der Revolution im 19. Jh. (1950), in: ders., Staat u. Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, München 1958, S. 11-57, hier S. 13; später auch Nipperdey, Bürgerwelt, S. 664. Vgl. auch eine Formulierung wie »unlustige Revolutionäre«; E. Angermann, Der dt- Frühkonstitutionalismus u. das amerikanische Vorbild, in: HZ, Bd. 219, 1974, S. 1-32, hier S. 25. 13 T. Mögling, Briefe an seine Freunde, Solothurn 1858, S. 63f.; vgl. G. Struve, Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden 1848/49, Bern 1849/ND Freiburg 1980, S. 39; F. Hecker, Die Erhebung des Volkes in Baden für die dt. Republik, Basel 1848; Valentin, Geschichte, Bd. I, S. 469ff., 488ff. Mögling stand mit seinem Urteil nicht allein, ganz ähnlich äußerte sich der ebenfalls auf dem demokratisch-republikanischen Flügel anzusiedelnde A. Majer, der beklagte, in Württemberg sei das Volk so gesetzestreu, daß es sich »zu kräftigen Manifestationen nur bringen läßt durch eine legale oder doch scheinbar legale Behörde«; A. Majer, Württembergs Verhalten zur südwestdt. Revolution, St. Gallen 1849, S. 8. - Der französische Gesandte berichtete am 26. März aus Stuttgart, daß man in den vergangenen Wochen nie den nötigen Respekt gegenüber dem König vergessen hätte, »il n'a eu aueune violence, et toutes les réformes demandées ont été obtenues sans s'écarter des voies constitutionelles«; Documents Diplomatiques du Gouvernement Provisoire et de la Commission du Pouvoir Exécutif, hg. vom Comité National du Centenaire de 1848, Bd. I, Paris 1953, S. 426. Auch R. Mohl, revolutionärer Sympathien gewiß unverdächtig, läßt in seinem Überblick über revolutionäre Vorgänge in einzelnen Staaten Württemberg unerwähnt, R. Mohl, Machtelemente, S. 44f. 14 Vgl. Kap.II.1;Koch, Agrarrevolution; auch die DDR-Forschung betont die »Begrenztheit der revolutionären Potenz . . ., über die die dt. Bauernschaft 1848/49« verfügte; Bleiber, Bauernbewegungen, S. 218. 15 Abzuwarten bleibt, wie das methodisch u. empirisch anspruchsvolle u. vielversprechende Projekt von W. Kaschuba u. C. Lipp zur »Revolutionskultur‹ dieses Problem lösen wird. 16 Kaschuba u. Lipp, 1848, S. 226 (Zitat der Regierung); Steinhilber, Bürgerwehren, S. 115, 140. 17 Die Beschlüsse der Versammlung im Beob. 29.5.1849; dazu Boldt, Volksvereine, S. 65ff.; KdA 1848/49, S. 4059-4095, Beil. S. 706-709, Zitat Hölder S. 4061, Abstimmung S. 4085, Becher S. 4066. - Zu den beiden Prozessen, einmal gegen Rau u. die dabei Beteiligten, zum andern über die Vorfälle um die Reutlinger Pfingstversammlung, liegen keine Arbeiten vor. Eine Analyse dieser politischen Prozesse, wie sie für Baden z. Τ. schon vorliegt, dürfte manche ›revolutionäre‹ Legende zerstören; Anklageakt gegen den vormaligen Rechtskonsulenten August Becher, von Ravensburg u. Genossen, wegen Hochverrats etc., Stuttgart 1851; Prozeß gegen Rau; M. Reimann, Der Hochverratsprozeß gegen G. Struve u. K. Blind, Sigmaringen 1985. 18 Die ersten Ansätze hierzu, wie etwa der Preuß. Vereinigte Landtag, die Offenburger u. Heppenheimer Treffen, Gervinus' Dt. Zeitung zeigen denn auch deutlich die damit verbundenen Schwierigkeiten auf. 280 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 204-207 19 Stadelmann, Geschichte, S. 33. Die neuere Forschung entgeht diesem Problem nicht immer, wenn sie vorrevolutionäre Krisenlagen u. revolut. Aktionen u. Trägergruppen recht plakativ gegenüberstellt. Eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu entgehen, ist das Konzept der ›Relativen Deprivation‹; vgl. dazu Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. II, S. 695 ff. -Wobei, wie die neuere Protestforschung gezeigt hat, die Überlagerung traditioneller Protestformen durch ideologische Elemente einerseits eine besondere Sprengkraft erzeugte, andrerseits die Diskrepanz zwischen »bürgerlich-liberalem Programm u. der Rebellion gegen die moderne kapitalistische Ökonomie« die revolutionäre Eigendynamik auch hemmen konnte; W. Häusler, Soziale Protestbewegungen in der bürgerlich-demokratischen Revolution der Habsburgermonarchie, in: H. Reinalter (Hg.), Demokrat. u. soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815-1848/49, Frankfurt 1986, S. 327-359, hier S. 359; vgl. auch den Beitrag von Siemann in diesem Band u. die einzelnen Arbeiten in Volkmann u. Bergmann, Sozialer Protest. 20 Die Wahldaten nach Grube, Wahl; der Berichterstattung in der WZ; Tabelle über die Wahlen für die Versammlung von Volksvertretern behufs der Revision der Verfassung, 1849, HSTAS E 146,Bü1426. 21 Bei der bivarianten Regressionsanalyse lauten die genauen Daten, jeweils bezogen auf den Prozentsatz der Selbständigen/Unselbständigen an der Bevölkerung: Demokraten/Selbständige r2 = 0,00001 Demokraten/Unselbständige r2 = 0,05007 Liberale/Selbständige r2 = 0,03189 Liberale/Unselbständige r2 = 0,02599 22 Vgl. Anhang 1. 23 Langewiesche, Republik. - H. Best, Elitentransformation u. Elitenkonflikt in Frankreich 1848/49, in: Quantum, Bd. 25, 1983, S. 44-75; ders., Biography; den., Biographie u. polit. Verhalten: Wirtschaftl. Interessen, Sozialisierungserfahrungen u. regionale Bindungen als Determinanten parlamentarischen Entscheidungshandelns in Dt., Frankreich u. Großbritannien um die Mitte des 19. Jh., in: W. H. Schröder (Hg.), Lebenslauf u. Gesellschaft, Stuttgart 1985, S. 181-209. 24 C. Mayer, An unsere Mitbürger auf dem Lande, Stuttgart 1848; Beob. 24. 12. 1848, Beilage; Sonne 29./30. 12. 1848; vgl. auch eine weitere Schrift von C. Mayer, An meine Mitbürger auf dem Lande. Antwort auf die sechs Fragen des Gotthelf Aufrecht, in: A. Weisser (Hg.), Vereinsblätter, Stuttgart 1849, Zitat S. 14; u. eine ebenfalls an die Landbevölkerung gerichtete Schrift des Ravensburger Volksvereins, Ansprache an unsere Mitbürger auf dem Lande, HSTAS Ε 146, Bü 1929; vgl. v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 496. 25 OAbencht Heidenheim, 10. 2. 1849, HSTAS Ε 146, Bü 1929. Auch aus der Distanz von zwei Jahren bestätigte schließlich der konservative ›Staatsanzeiger‹ die polit. Enthaltsamkeit der Landbevölkerung. »Wenn der Landmann vor zwei Jahren ein ebenso heißblütiger Staatskünstler u. Weltverbesserer geworden wäre, wie der Schuster u. der Schneider, der Advokat u. der Literat in der Stadt, . . . unser Württemberg wäre sicher badisiert worden. «Staatsanzeiger 11. 10. 1850, S. 1915f. 26 v. Hippel, Bauernbefreiung, Bd. I, S. 495, Bd. II, S. 635 (Zitat); Mooser, Klassengesellschaft, 355 ff. 27 R. Hoppe u. J . Kuczynski, Eine Berufs- bzw. auch Klassen- u. Schichtanalyse der Märzgefallenen 1848 in Berlin, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1964, Bd. IV, S. 200-276; W. Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie u. soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848, Wien 1979, S. 395f.; wobei in Wien zu beachten ist, daß die Märzkämpfe in zwei Teile zerfallen: in der Innenstadt kämpften demokratische Bewegung u. Studenten gegen das Militär, in den Vorstädten die von der ›Massenarmut‹ betroffenen gewerblichen Unterschichten gegen das Fabriksystem u. die ökonomische Notlage. Erst das Zusammenwirken beider Bewegungen, im März wie im Oktober, bewirkte die Sprengkraft u. Dynamik der Wiener Revolution. 281 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 208-209 28 Entwurf einer allg. Handwerks- u. Gewerbeordnung, Stuttgart 1848. - Dowe u. Offermann, Arbeiterkongresse, S. 197; Baiser, Sozial-Demokratie, Bd. I, S. 393. - Ebd., Bd. II, S. 558ff. Herrn Engelhardt vom Heidelberger Arbeitskreis für Sozialgeschichte danke ich für die Vermittlung einer vollständigen Kopie der bei Baiser nur auszugsweise abgedruckten Denkschrift, es fehlen dort gerade jene Stellen, die die württ. Arbeitervereine beschreiben. Vgl. auch eine Eingabe des Stuttgarter Arbeitervereins an die Abgeordnetenkammer, in der um eine Wahlrechtserweiterung gebeten wurde u. die Arbeiter klagten, »allerdings ist es unser Los, solange wir die Mittel eines selbständigen Geschäftsbetriebes nicht besitzen, unsere Kräfte dem Geschäftsbetriebe eines anderen zu widmen, für andere u. das gemeine Beste zu arbeiten«; Sonne 2. 12. 1848. 29 v. Prittwitz, Schanzer, S. 3; KdA 1845, Beil. II, S. 1094 (eine Motion des Frhr. v. Varnbüler über eine bessere Fürsorge für die Eisenbahnarbeiter); vgl. auch KdA 1847, S. 44ff. - Etwa beim Franzosenfeiertag am 25. 3. 1848, als Gerüchte über den Einmarsch der Franzosen u. von Arbeiterscharen aus dem Elsaß zu einer Massenflucht in Baden u. Württemberg führten - bis sich am darauffolgenden Tag alles als bloßes Gerücht herausstellte; KdA 1848, S. 252; Bunz, Franzosenfeiertag. Andrerseits konnten damit auch genauso unrealistische Hoffnungen verknüpft werden, wie J. Hölder am 8. 5. 1847, also nach den Hungerkrawallen, an C. Mayer schrieb: »Ich glaube, daß man den süßen Pöbel schon noch einmal vor die Bajonette unserer Schießprügelträger bringen kann . . . Der Proletarier holt dem Mittelstand die Kastanien aus dem Feuer; wenn aber dieser gesiegt hat, werden wir vielleicht polit. Feinde. Doch da ist's ja noch weit zu.« In: D. Langewiesche (Hg.), Das Tagebuch J . Hölders 1877-1880, Stuttgart 1977, S. 301. 30 Die Verteilung war wie folgt: Bildungsbürger 36 Beamte 6 Kaufleute, Fabrikanten, Müller 22 Handwerker, Wirte 48 Angestellte u. Gehilfen 7 Soldaten 8 Taglöhner 8 Gesellen 2 10 Sonstige u. ohne Angaben Anklageakt Becher, S. 1 ff. Von den insgesamt 198 württ. polit. Flüchtlingen, die im Oktober 1849 vom Innenmin. gesucht wurden u. überwiegend in Baden gekämpft hatten, waren 7 Bauern u. Taglöhner, 13 Akademiker, 178 dagegen Handwerker, vorwiegend Gesellen. Die größere Mobilität der Gesellen dürfte (neben der höheren Akzeptanz gewalthafter Protestformen) ausschlaggebend für diesen hohen Anteil gewesen sein - u. das Bewußtsein, für die Reichsverfassung u. damit die legitime Ordnung zu kämpfen; R. Stadelmann, Die Märzrevolution u. die dt. Arbeiterbewegung, in: W. Näf (Hg.), Schweizer Beiträge zur Allg. Geschichte, Bd. VII, Aarau 1949, S. 117-139, hier S. 122. 31 Unter den Vereinsmitgliedern wurde dann eine Auswanderung nach Südamerika heftig diskutiert; Boldt, Volksvereine, S. 25ff. 32 Vgl. Sauer, Rau; Sieber, Rau; Die Volksversammlung zu Heilbronn, HSTAS Ε 146, Bü 1928, 8, 10. 33 Der vierte Stand u. die Republik, in: Sonne 14. 6. 1848ff.; hier 22. 6. 1848, S. 98. 34 Sonne 22. 7. 1848. Zur konservativ-christlichen Position vgl. C. Palmer (Hg.), Evangelische Kasualreden, 2 Bde., Stuttgart 1848/49. - Der um 1848 recht verbreitete Begriff des »christlichen Kommunismus« u. die damit verbundenen Vorstellungen würden eine Untersuchung lohnen. Insbesondere von kirchlichen u. karitativen Kreisen wurde auf die Auflösung der ständischen Bindungen reagiert u. nach alternativen Gemeinschaftsformen gesucht; 282 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anmerkungen zu S. 209-211 H. Merz, Armut u. Christentum. Bilder u. Winke zum christlichen Kommunismus u. Sozialismus, Stuttgart 1849, S. 95; leider nur ganz knapp W. Schieder, Kommunismus, in: GGr, Bd. 3, 1982, S. 455-529, hier S. 498. 35 Statt vieler Einzelbelege aus der Presse u. dem Landtag eine Äußerung des Demokraten Schnitzer während der Debatte über die Lebenslänglichkeit der Ortsvorsteher (in bezug auf die Unruhen, die in einzelnen Gemeinden entstanden waren, um nicht abwählbare Bürgermeister zum Rücktritt zu bewegen). »Gegen Anarchie gibt es zwei Mittel: Gesetze u. Bajonette. Da das letztere Mittel selbst anarchisch ist, so bin ich für das Erstere.« KdA 1848/ 49, S. 2382 (24.3.1849). 36 Boldt, Volksvereine, S. 39; Beob. 17.4. 1850 (Schlayer); Artikel ›Volkssouveränität‹ im Beob. 14. 6. 1848. Beide Seiten neigten dazu, unterschiedliche Momente stärker zu akzentuieren. Die Liberalen betonten das Prinzip des Vereinbarens, daß alle polit. Kräfte ihre Zustimmung zu Veränderungen geben müßten, während die Demokraten die Souveränität der Repräsentativorgane hervorhoben, ohne zu erörtern, was geschehen sollte, wenn Besitzer traditioneller Privilegien sich gegen Veränderungen sperrten. Als Prinzip war die Volkssouveränität aber bei beiden Gruppen unumstritten. - Man sollte einzelne Forderungen nach ›Republik‹ nicht überbewerten. ›Hecker‹-Rufe etwa wurden in der Regel von den Behörden akribisch notiert u. gesammelt u. als Zeichen staatsgefährdender Gesinnungen interpretiert. Andrerseits gilt es immer zu berücksichtigen, daß Heckers Zug keine allzu große Unterstützung der vielbeschworenen Massen fand. Revolutionärer oder republikanischer Attentismus war vielfach eine symbolische Drohgebärde gegen lokale Obrigkeiten, ohne gleich als Indikator für Revolutionsbereitschaft dienen zu können. Zum Heckerbild vgl. die gute Studie von R. Muhs, Heckermythos u. Revolutionsforschung, in: ZGO, Jg. 134, 1986, S. 422—441. 37 KdA 1848/49, S. 159; F. Römer, Die Stellung der Märzminister in Württemberg (Artikelserie), in: WZ 9. 11. 1849ff. Römer wies auch auf folgendes Problem hin: die alten Regierungen u. die Monarchen hätten nie der Behauptung widersprochen, man stehe auf dem Boden der Revolution - »mit diesem Satze kann zur gelegenen Zeit auch dasjenige wieder entzogen werden, was im Wege der Reform erobert worden ist.« 38 MEW 8, S. 26f., 82f. - KdA 1848/49, S. 153 (v. Moser), 4076 (A. Seeger). - WZ 9. 11. 1849 (Römer). Ganz ähnlich auch R. Mohl. Er äußerte im September 1848, als er den Waffenstillstand mit Dänemark ablehnte u. ihm vorgeschlagen wurde, das öffentlich zu vertreten u. ein neues Ministerium in der Paulskirche zu bilden: »Ich sah nun deutlich ein, daß ich dies nicht durchführen, nicht unternehmen könne außer durch einen Aufruf an das Volk, d. h. durch eine Revolution, durch unseliges Elend . . . wenigstens ich will dies nicht über Dt. heraufgeführt haben.« Zit. n. Angermann, Mohl, S. 55. - Ein anonymer Autor in den Grenzboten in einem dt. imperialen proösterreichischen Artikel legt exakt das Dilemma der 1848 vorherrschenden Revolutionsillusion bloß. Er bezeichnet es als »Fluch der Revolution. Sic schafft kein klares Rechtsverhältnis. Die bestehenden Gewalten beugen sich dem Sturm. Wenn er nachgelassen, erheben sie die Häupter, um so viel als möglich zurückzufordern.« Der Wendepunkt der Revolution, in: Die Grenzboten, Jg. 7, 1848, H. IV, S. 337-354, hier S. 338. 39 Der Bote vom Brenztal, 28. 4. 1849, S. 189. 40 Mann, Württemberger, S. 316, berichtet, daß an der Disziplin der Truppen von den Offizieren nicht gezweifelt wurde, solange Befehle in konstitutioneller Form erlassen würden. Als antiparlamentarisches Einsatzmittel, wie es Wilhelm wohl vorschwebte, entfiel das württ. Militär damit. Vgl. auch R. Kallee (Hg.), Aus der politischen Biedermeierzeit. Erinnerungen u. Erlebnisse des Generals Eduard Kallee, Stuttgart 1921, S. 32ff.

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Anmerkungen zu S. 212-218 Schlußbemerkung 1 Weber, Wirtschaft, S. 129, grundlegend S. 124ff., 741ff., 825ff. Vgl. auch H.-J. Puhle, Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat. Staatsaufgaben u. Verwaltungsleistung in Dt. u. England »im Zeichen von Industrialisierung u. Demokratisierung«, in: G. A. Ritter (Hg.), Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat, Köln 1973, S. 29-68; W. K. Blessing, Staatsintegration als soziale Integration. Zur Entstehung einer bayrischen Gesellschaft im frühen 19. Jh., in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte, Jg. 41, 1978, S. 633-700. 2 1868 wurde für den Landtag das allg., gleiche, direkte u. geheime Wahlrecht eingeführt, damit fiel auch die Koppelung an das Gemeindebürgerrecht weg. Eine fast umgekehrte Entwicklung erfuhr das kommunale Wahlrecht. Wurde 1849 das Einwohnerprinzip eingeführt, kehrte man 1885 zurück zur Koppelung des kommunalen Wahlrechts an das Bürgerrecht, bei gleichzeitigen Erleichterungen im Erwerb des Bürgerrechts, die aber einen beträchtlichen Rückgang der Zahl der Wahlberechtigten nicht verhinderten. Springer, Verwaltungsorganisation, S. 46ff.; Grube, Landtag, S. 541; J . Heinen-Tenrich, Die Entwicklung Ludwigsburgs zur multifunktionalen Mittelstadt (1860-1914). Ein Beitrag zur Untersuchung des Wandels der Stadt im 19. Jh., Stuttgart 1976, S. 55 ff. 3 Verfassungsleben; Mögle-Hofacker, Parlamentarismus; Vollmer, Kampf. 4 Nach E. Wolgast, Reform, Reformation, in: GGr, Bd. 5, 1984, S. 313-360, hier S. 346ff. 5 Vor dieser Gefahr warnte bereits H. Bausinger in seinem sehr instruktiven Versuch, die polit. Kultur Württembergs historisch zu erklären, ohne dabei die gängigen Klischees u. Topoi von der schwäbischen Mentalität zu transportieren. Er kam zu dem Fazit, daß die Bevölkerung »ziemlich demokratisch angehaucht ist. Mehr nicht. Aber weniger auch nicht.« H. Bausinger, Zur polit. Kultur Baden-Württembergs, in: Baden-Württemberg. Eine polit. Landeskunde, Stuttgart 1975, S. 13-40, hier S. 35 - ein Befund, dem für das 19. Jh. in analoger Weise zuzustimmen ist. Vgl. auch H.-G. Wehling, Barock-bäuerliches Oberschwaben, in: ders., (Hg.), Regionale polit. Kultur, Stuttgart 1981, S. 130-145; ders. u. H J . Siewert, Der Bürgermeister in Baden-Württemberg, Stuttgart 21987. 6 Was Tocqueville für Frankreich beschrieb u. Nordamerika gegenüberstellte, beschrieb Burckhardt in seiner noch radikaleren Modernitätskritik als »Doppelursprung des modernen Staates aus der völligen Machtzentralisation u. der Aufklärung«. »Der aufgeklärte, d. h. der absolutistische Staat, strebt nach völliger innerer Einheit u. völliger Disponibilität aller Kräfte; die öffentliche Meinung strebt nach Durchbrechung aller Schranken.« J . Burckhardt, Historische Fragmente, Stuttgart 1957, S. 285. 7 Inwiefern dabei die Vorgänge 1848 in Preußen als Revolution adäquat beschrieben werden können, ist hier nicht zu erörtern. Nach den in dieser Arbeit zugrunde gelegten Kriterien kann man vielleicht folgendermaßen unterscheiden: In Österreich scheiterte die dortige revolutionäre Bewegung; in Preußen blieb es eine vermeintliche Revolution ohne tiefgreifende Veränderungen; u. in Mittel- u. Süddt. entstand eine zumindest innenpolitisch erfolgreiche Reformbewegung.

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Quellen und L iteratur I. Quellen 1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Frankfurt: BD 51/157 Hauptstaatsarchiv Stuttgart: L 15/F 2, 3-5 Ε 8, Bü 53f. Ε 10, Bü 73 Ε 14, Bü 1033f., 1060, 1158f., 6895 E 31, Bü 332-343, 353, 356, 363-370, 374, 376, 377-380 Ε 33, Bü18,623 f. Ε 143 III, Bü 1031 Ε 146, Bü 1426, 1928f., 1967 I, 2402, 4713, 4715, 6114, 6548, 6551, 6703, 6708, 6711 6715-6718, 6720 Ε 150, Bü 345, 346/1, 1564 Ε 150 III, Bü 6711, 6714, 6720 Ε 301, Bü 96, 106 Staatsarchiv Ludwigsburg: Ε 170, Bü 202f., 211-215, 727 Ε 177, Bü 672 Ε 350. Bü 9-21 Stadtarch iv Biberach: Ratsprotokolle 1817 ff. Stadtarchiv Heidenheim: Ratsprotokolle 1817ff. Wahlunterlagen U/2, 25 Stadtarchiv Ulm: Β 001/3, Nr. 1 Β 005/00, Nr. 1 Β005/1, Nr.1ff. Β 005/2, Nr. 1 f. 2. Zeitschriften, Periodika (Die genauen Angaben der Bandnummern u. der Erscheinungsjahre jeweils in den Anmer­ kungen) Amts- u. Intelligenzblatt für den OAbezirk Biberach Der Beobachter

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Der Bote vom Brenztal Deutsche Zeitung Eulenspiegel Der Festungsbote Der Hochwächter Jahrbücher der Gegenwart Jahresberichte der Handels- u. Gewerbekammern in Württemberg Rechenschaftsberichte an die Gesellschaft für Beförderung der Gewerbe in Württemberg Regierungsblatt für das Königreich Württemberg Schwäbische Kronik Schwäbischer Merkur Staatsanzeiger für Württemberg Stadt- u. Amtsblatt Heidenheim Ulmer Intelligenzblatt Ulmer Schnellpost Der Volksfreund aus Schwaben Der württembergische Volksfreund Württembergische Jahrbücher Württembergische Oberamtsbeschreibungen 3. Bücher, Broschüren, Aufsätze Adam, P. L., Zur Beleuchtung der Gemeindeverwaltung in Württemberg, Ulm 1844 Die Allmanden des Königreichs Württemberg, in: Landwirtschaftliches Correspondenzblatt, 1822, H.2, S. 267-285 Anklageakt gegen den vormaligen Rechts-Consulenten August Becher von Ravensburg u. Genossen, wegen Hochverrats etc., Stuttgart 1851 Ansprache an unsere Mitbürger auf dem Lande, vom Volksvereine in Ravensburg, Ravensburg 1849 28 Artikel. Als Petition der Handwerksmeister in der Stadt Bonn dem Staatsminister Herrn Camphausen übersandt im April 1848, Bonn 1848 Berichte über den Prozeß gegen Rau u. Genossen, Rottweil 1851 Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung, Bd. 1, Berlin 1848 Blicke auf die materiellen Zustände in Württemberg, in: Zeitschrift des Vereins für dt. Statistik, Jg. 1, 1847, S. 1076-1091, Jg. 2, 1848, S. 47—61, 112-124, 447-459 Über den Einfluß des Zollvereins auf die Industrie u. den Handel Württembergs, in: Gewerbehlatt aus Württemberg, 1851. S. 213ff. Entwurf einer Gemeinde-Ordnung für das Königreich Württemberg, Bearb. von der Organisations-Kommission, Stuttgart 1848 Erinnerungen an den Festzug der Württemberger zu Stuttgart am 28. 9. 1841 u. an die Grundsteinlegung des Monuments (am 28. 9. 1842) zur Feier der 25jährigen Regierung S.M. des Königs Wilhelm. Nach Akten u. zuverlässigen Quellen bearb., Stuttgart 1842 Das Fabrik- u. Maschinenwesen oder der Einfluß des Fabrik- u. Maschinenwesens auf die physischen, sittlichen, politischen u. wirtschaftlichen Zustände des Völkerlebens, Schaffhausen 1844 Gedanken eines ehemaligen Schreibereiverwesers, in: Für u. Wider, Stuttgart 1817, H. 3, S. 162-171 Vaterländisches Gedenkbuch, Stuttgart 1843 Die Gemeindeordnung in Württemberg, in: DVs, Jg. 18, 1855, H.1,S. 353-386 Zur Geschichte des württembergischen Verfassungslebens, Aktenstücke über den Konflikt zwischen dem von der aufgelösten dritten Landesversammlung gewählten Ausschuß u. der Regierung, Stuttgart 1851 286 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

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306 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Anhang

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308

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Gesamt

Tübingen Urach

Tuttlingen

Rottweil Spaichingen Sulz

Rottenburg

Nürtingen Oberndorf Reutlingen

Neuenbürg

Horb Nagold

Freudenstadt Herrenberg

Balingen Calw

Schwarzwaldkreis

34392

431676 36533 28386 64919

1718 1318 1123 2647 1610 975 590 1694 2267 2994 2174 2606 921 925 925 1699 2200 3506 3383 2086 704 1229 1887 1268 1391 2280 5351 1371 1344 2119 909 1610 2068 1886

3215 1926 2181 1735 1544 2245 1764 1787 2022 3534 2417 2107 1717 1473 2358 2190 2318 14535

1890 851 831 65 204 713 242 675 2260 2378 104 2412 247 174 217 128 1144 130400

10003 5967 5912 9419 7326 7686 6213 9911 5376 8672 9727 8575 6558 6462 6604 9197 6790

Unselb- Arbeiter Grundständige (männl./ eigengewerb- weibl.) tümer lich

4933 3244 33o4 4382 3154 3220 2354 3481 4289 6528 4591 4713 2638 2398 3283 3889 4518

31135 23778 27883 21137 19441 24770 23508 25635 23202 35694 27229 29228 19004 18129 23739 31805 26229

Selbständige Bevölkerung gewerb- land- zusamlich wirt- men schaftlich 2745 2106 2100 1948 2151 1451 2154 3032 1866 4216 3123 1173 1734 1794 2082 3867 2449 77083 39991

5725 4153 4112 4128 3733 4289 3694 4770 3621 6252 5322 * 5333 3919 3446 4328 5784 4474

Wahl- Wähler berechtigte

27328

1677 1358 1322 1181 1802 1276 1605 1608 1503 3355 1586 932 1593 1044 1019 2990 1477

Sieger

1. Sozialstruktur (1861) und Wahlverhalten (1849) in den württ. OÄern

10490

511 752 865 720

968 968 407 685 339 64 512 1397 356 766 1180

Stimmen Verlierer

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 1

%

D Κ Κ 0 D Κ 0 D D 0 D D D D D D Κ

Partei

309

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Gesamt

Aalen Crailsheim Ellwangen Gaildorf Gerabronn Gmünd Hall Heidenheim Künzelsau Mergentheim Neresheim 8hringen Schorndorf Welzheim

Jagstkreis

376753 25494 21953 A7447

24107 6961

91387

BevölSelbständige Unselb- Arbeiter Grundkerung gewerb- land- zusamständige (männl./ eigenlich wirt- men gewerb- weibl.) schaftlich lich 4366 1701 2747 914 2369 25642 1455 5914 167 1427 23445 1337 1296 2633 5715 1497 315 1670 3278 29839 1608 4921 1305 446 2580 1097 1483 24159 6564 1347 111 1682 3614 28584 1932 4729 2204 931 26904 1702 1079 2781 5185 443 1739 26876 1670 2120 3790 791 4273 3744 2050 7567 3482 33116 1265 150 9161 29175 2283 2555 4838 117 7314 1185 3059 1165 27964 1894 5107 218 2493 23064 1748 1094 2842 8639 1473 127 31589 2040 2388 4428 1069 10230 108 25423 1626 2935 4561 5975 77 612 20433 1234 1167 2401 23195

61522 38544

3696 3970 4617 3817 4780 3957 4089 5268 5176 4828 3800 5177 4896 3451

1448 1209 1683 646 1585 1368 2325 2182 1900 1887 1588 2585 1643 1146 12463

1362 759 560 854 1433 1756 1144 1208 928 470

835 1154

Stimmen Verlierer

1475 2234 2863 1831 3310 2154 2951 3357 3715 3693 2747 3841 2613 1760

Wahl- Wähler berech- Sieger türner tigte

%

1 1 1 1 1 1

1 1 1 0 0 1 1

D 0 Κ Κ D D D D D Κ D D 0 0

Partei

310

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

a:

497375 34870 39499 74369

ohne Angaben

Gesamt

Weinsberg

Vaihingen Waiblingen

Stuttgart,S Stuttgart,A

Brackenheim Cannstatt Esslingen Heilbronn Leonberg Ludwigsburg Marbach Maulbronn Neckarsulm

Böblingen

Besigheim

Backnang

Neckarkreis

Seihständige Bevölkerung gewerb- land- zusamlich wirt- men schaftlich 27787 2164 1724 3888 25140 1748 2494 4242 24490 2479 1327 3806 23743 1468 2770 4238 27283 1400 3368 4768 2769 4511 31090 1742 33043 2083 2301 4384 28433 2149 2130 4279 35228 1924 3478 5402 26605 1774 3108 4882 22006 1513 1717 3230 28483 1892 2263 4155 61314 3259 1035 4294 30883 2084 2609 4693 21429 1447 2405 3852 24586 1956 3656 5612 25772 1788 2345 4133 41129

1532 1397 1848 748 2280 5097 4023 1593 2723 1343 926 1553 11910 1151 914 941 1150 16839

285 574 492 59 1011 4038 2408 411 1157 116 144 514 4815 331 262 116 106 142453

7716 8552 8144 9662 8752 7933 7118 9062 8511 9677 7648 7315 2453 10832 8117 12450 8511

Unselb- Arbeiter Grundständige (männl./ eigengewerb- weibl.) tümer lich 3113 2785 3328 2628 a 3378 2471 3574 2986 2806 2473 2462 4588 3347 1705 2974 2302 79933 46920

4933 4735 4744 4393 a 4704 4806 5324 5998 5295 4062 4941 6876 5594 4107 4846 * 4575

Wahl- Wähler berechtigte

2833

2092 2285 1961 1503 2036 1713 1524 1878 1544 1670 1246 1699 2651 1724 837 1082 888

Sieger

15450

858 622 1916 1566 651 917 1273

949 1640 902 833 677

941 447 1258

Stimmen Verlierer

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0

%

D D 0 D Κ D D Κ Κ D D Κ Κ Κ D Κ D

Partei

311

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4482 2293 3059 3412 5430 4289 3510 3623 2651 4719 3680 3024 4891 4489 2669 3085

414904 34036 25270 59306

2209 1010 1234 1141 2048 1956 1900 1973 1021 1844 1360 877 2386 1447 1072 1792

Gesamt

2273 1283 1825 2271 3382 2333 1610 1650 1630 2875 2320 2147 2505 3042 1597 1293

29969 18049 24894 27292 33863 26013 24228 22262 22573 29070 26224 24196 20600 44055 22541 19075

Biberach Blaubeuren Ehingen Geislingen Göppingen Kirchheim Laupheim Leutkirch Münsingen Ravensburg Riedlingen Saulgau Tettnang Ulm Waldsee Wangen

Donaukreis

Selbständige Bevölkerung gewerb- land- zusamlich wirt- men schaftlich

29451

10522

85354

893

427 1588 721 539 12510 25492 67070 40397

556

1733 2359 908 1373

1336 1390 692 573 357 486 1070 679

υ

660

1 1 1 1

1

1 1 1 0 1 1 1 1

1 i

559

% Stirn men Vcrlierci

1977 749 1168 1511 2238 2153 579 1701 1806 1410 1700

Sieger

2127

Wähler

2549 1424 2515 2913 3160 2888 1576 2323 2376 2580 2930 3063 2230 4043 1658 2169

WahlUnselb- Arbeiter Grundberechständige (männl./ eigentigte gewerb- weibl.) tümer lich 4710 5683 512 2421 3691 * 3047 363 1013 5617 241 1195 4535 5700 4641 980 2266 5419 6964 1646 3423 583 8595 4915 1663 328 5436 * 4107 1320 301 3636 3554 854 440 6111 4351 1339 4381 1199 4028 2463 6286 4581 683 1606 6432 3179 671 1700 4181 3000 463 1478 6728 5712 1365 3826 3569 * 3360 287 1323 2915 3360 460 1561 υ υ Κ υ D D Κ Κ

D

υ Κ D D Κ

D

Partei

Quellen zu 1: Sozialstruktur (1861) und Wahlverhalten (1849) in den württ. OÄern. WJb 1874, Teil 1, S. 86 ff.; dass. 1862, Teil 2, S. 1 ff Die Angaben für die Bevölkerung in den einzelnen OÄern nach WJb 1864, S. 88 ff. Die Selbständigen setzen sich einmal zusammen aus den »ausschließlich Landwirtschaft treibenden selbständigen Landbauern«, WJb 1874, Teil 2, S. 91 ff. Im gewerblichen Bereich wurden anhand der Gewerbeaufnahme von 1861; WJb 1862, Teil 2, S. 1 ff.; folgende Sparten u. Berufsgruppen erfaßt: 1. In der Fabrikentab. die Rubrik ›Direktionspersonal‹, wozu Angestellte u. Eigentümer in Unternehmerfunktion gehörten. Es waren der »Fabrikinhaber selbst, im Falle er an der Leitung derselben persönlich Teil nimmt, sodann die technischen u. kaufmännischen Direktoren, Faktoren, Buchhalter, Kassierer u. Aufseher über das Ganze«; WJb 1862, Teil 2, S. 127. Trotz dieser umfangreichen Kategorisierung war der Anteil der Eigentümer sehr hoch. Für das gesamte Königreich ergaben sich - bei insgesamt erfaßten 19445 Fabriken - 30550 Personen ›Direktionspersonal‹. Das Verhältnis von 2:3 verdeutlicht die geringe Konzentration der ›industriellen‹ Produktion, wie überhaupt die Fragwürdigkeit eines pauschalisierenden Fabrikbegriffs für die damalige Zeit. Als Fabrik wurden in den Jahrbüchern Gewerbebetriebe gezählt, die bestimmte Produkte ohne Mitwirkung anderer Gewerbe herstellten, Material von Arbeitern in deren eigenen Wohnungen um Lohn verarbeiten ließen, für Kaufleute auf Bestellung produzierten, in der Weberei mit mechanischen - oder mit mehr als 10 Handwebstühlen - arbeiteten, mit Benützung mechanischer Energie oder mit Arbeitsteilung produzierten; ebd., S. 126. Letztlich wird in dieser Rubrik ein Sammelsurium von handwerklichen, manufakturiellen, verlagsmäßigen u. industriellen Fabrikationsstätten erfaßt, das aber noch größere Ungenauigkeiten in bezug auf den mit zugrunde liegenden Arbeiterbegriff als den des hier verwendeten Selbständigen enthält. 2. Meister u. Eigentümer in der Handwerkstab. sowie die Dienstleistungsberufe: Erstere umfaßte die gängigen Handwerksberufe, die zweite Kategorie im wesentlichen den Handel, das Transportgewerbe u. das Wirtsgewerbe. Die Unselbständigen umfassen, analog zur Einteilung der Selbständigen, im Handwerk die Gesellen, im Dienstleistungsbereich die Gehilfen u. Lehrlinge, in der Fabriktab. die ›Arbeiter‹. Soweit entschlüsselbar, wurden Arbeiterinnen nicht mitgezählt. In bezug auf den polit. Gehalt der Größen ›Selbständiger‹ u. ›Unselbständiger‹ sind weibliche Arbeitskräfte ohne - oder zumindest von geringer Bedeutung, da sie den am Hausvaterstatus orientierten Selbständigenstatus mit allen rechtlichen u. politischen Konsequenzen nicht erlangen konnten. Der Arbeiterbegriff der Zählung entspricht generell eher dem allgemeiner gehaltenen Gehilfenstatus. In den Erläuterungen zur Gewerbezählung bemerkt Schmoller, daß zu bedenken sei, »wie viele von diesen Arbeitern weit entfernt sind zu dem sogenannten Fabrikproletariat im schlimmsten Sinne des Wortes«, daß sich zeige, wie gering der hierunter zu fassende Bevölkerungsanteil sei, u. »wie übertrieben häufig die Vorstellungen sind, welche man sich von der sozialen Bedeutung dieses Proletariat u. von den Übelständen, welche durch es der ganzen Gesellschaft drohen sollen, macht«. WJb 1862, Teil 2, S. 169. Eine Aussage von 1862 wohlgemerkt, welche als soziale Zustandsbeschreibung - für 1848 in noch erheblich stärkerem Ausmaß zutrifft. 312 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

Bei den Fabrikarbeiter/innen wurden dann wieder männliches u. weibliches Fabrikarbeiterpotential zusammengezählt, um - trotz der erwähnten begrifflichen Probleme - wenigstens Annäherungswerte für die Stärke des ›Fabrikproletariats‹ zu erhalten. Es ergeben sich dadurch im Einzelfall Verzerrungen, etwa im ΟΑ Rottweil, wo die Zahl der Arbeiter/-innen weitaus höher lag als die der Unselbständigen. Das Ungleichgewicht resultiert hier aus dem Vorhandensein zweier »Strickwarenmanufakturen« am Ort, mit zusammen zwei Direktionspersonen, d.h. es gab die beiden Eigentümer, sieben Arbeiter u. 1900 Arbeiterinnen; ebd., S. 70. Grundeigentümer sind alle von der Grundsteuer erfaßten Personen. Da das württ. Realsteuersystem vom Sachwert, nicht vom Eigentümer ausgeht, sind hier vielfach Doppel- u. Mehrfachzählungen mit enthalten; vgl. WJb 1857, Teil 1, S. 85ff. Ein zeitgenössischer Versuch, die Zahl der eigentlichen Eigentümer zu schätzen, kommt zu folgendem Ergebnis: Die Gesamtsumme der Eigentümer wird mit 330.000 angegeben, davon besitzen etwa 180.000 weniger als 5 Mg. Hier wurden dennoch die zu hoch angelegten ursprünglichen Zahlen verwendet, da nur sie nach OÄern differenziert sind, sie zudem v. a. als relationaler Indikator für die agrarische Besitzverteilung dienen sollen; WJb 1860, Teil 2, S. 1 ff., v. a. S. 37f. Die Angaben zu den Wahldaten nach HSTAS Ε 146, Bü 1426; den Berichten in der WZ vom August 1849; Grube, Wahl. Es wurde dabei nur unterschieden zwischen Demokraten auf der einen u. den zu einer Gruppe zusammengefaßten Konservativen (Regierungspartei) u. Liberalen auf der anderen Seite. Nur die Demokraten waren in allen Wahlkreisen vertreten, während ihnen in der Regel ein liberaler oder konservativer Kandidat gegenüberstand. Nur in wenigen Fällen kam es zu einer Bewerbung dreier halbwegs chancenreicher Kandidaten. Aus derartigen Konstellationen resultieren auch die seltenen Fälle, bei denen die ›Verlierer‹ mehr Stimmen erhielten als die ›Sieger‹. Nicht erfaßt wurden dabei Splitterstimmen für einzelne Kandidaten oder für den König, die als Proteststimmen gegen das demokratische Stimmrecht einzustufen sind; WZ 18. 9. 1850, S. 947. Die Bezeichnung Partei in Spalte 13 benennt dabei die politische Zugehörigkeit des siegreichen Kandidaten (D - demokratisch; Κ - konservativ oder konstitutio­ nell/liberal). Der in Spalte 12 angegebene Schlüssel gibt an, ob der siegreiche Kandidat mehr als 50% der abgegebenen Stimmen erhielt (1), oder darunter blieb (0). Die geringe Anzahl von Kreisen, in denen die gewählten Abgeordneten weniger als 50% der Stimmen auf sich vereinten, ist ein weiterer Indikator für die vorherrschende Zweiparteienstruktur. In dem mit * gekennzeichneten Wahlkreisen kam es zu Nachwahlen (wobei hier jeweils die Daten der Nachwahl erfaßt wurden), entweder weil der Kandidat mit dem höchsten Stimmenanteil nicht die geforderte Mindestquote von einem Drittel der abgegebenen Stimmen erreichte (Rottweil, Weinsberg, Laupheim), der Gewählte die Wahl in einem andern Kreis annahm (Waldsee) oder von der Regierung die Wahl annulliert wurde (Blaubeuren; der dort gewählte Becher wurde zum Zeitpunkt der Wahl in Württemberg polizeilich gesucht und befand sich in der Schweiz im Exil).

313 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35749-2

314

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6,9 42,5 25,3 16,1 8 1,2

182024

8 56 21,2 9,2 4,2 1,4

182630 27,4 32,4 24,3 6,7 7,9 1.3

1833

4,3 2

20,1 38,8 27,8

183338

1.2

8,2 55,3 29,4 5,9

183943 18 48,2 20,6 9,6 2,4 1.2

184548 35,2 28,1 17 15,5 4,2

1848/ 49 51,6 17,1 15,6 7,8 6,3 1,6

l.LV 1849 8,6 20 15,7 10 5,7

2.LV 1850 47,7 18,5 17 10,7 6,1

3.LV 1850 25 29,7 22,6 17,9 4,8

185155

22,6 22,5 30,1 18,3 6,5

185661

19

1 1 6 1 1 4 5

5

2

1 1 1

31-40

9

3 2 2

2

40-48

16

1 2 3 2 3 5

2 1 2 5 5 11 26

50-55

48/49

45

52

71

18 5 19

11 8 29 1

11 6 46 3

3

42-47

3

30-36

Bürgerausschuß

2 3

1819-26

Quelle: StA Biberach, Ratsprotokolle 18l7ff.; Amts-u. Intelligenzblatt fur den OAsbezirk Biberach 1830ff.

Bildungsbürger Staatsbeamte Gemeindebeamte Kaufleute, Fabrikanten Wirte Handwerker ohne Angaben

1825-30

Gemeinderat

3.1. Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Biberach 1819—1855

19

1 5 3 9

1

48/49

43

1 2 1 10 7 22

50-55

Quelle: Langewiesche, Liberalismus, S 73, 225. - Vgl. auch Brandt, Parlamentarismus, S.67f.; hier wurde auf die Daten von Langewiesche zurückgegriffen, da seine Kategorien der Erhebung der Sozialstrukturdaten der Gemeinderäte zugrunde gelegt wurden, Brandt überdies keine Angaben für die Jahre 1848-50 enthält.

(Angaben in Prozent der Gesamtmitglieder)

Bildungsbürger Staatsbeamte Gemeindebeamte Wirtschaftsbürger Kleinbürger Sonstige

Beruf

Landtage

2. Sozialstruktur der Landtagsabgeordneten 1820-1861

315

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1 3 3 1 1

1

2 1 3 15 2

2

40-48a

12

1

48/49

Gemeinderat

14 3

1 4 4

51-59

4 2 3 36 6

2

1817,1825-29

17 2

1

4

30-39b

41

23

14 2

2

39

3 7 5 4 13 2

2 7 1 1 5 4

24

5

)-4047

Gemeinderat

4

30 39

28

5 4 2 12 1

4

48/49

31

12 1

3 1 1 7 6

51-59

124

14 80

2 1 1 26

1817-29

99

18 2 7 55 3

11 3

30-39

68

19 3 7 29

7 3

40-47

Bürgerausschuß

19

2 2 2 12

1

48/49

103

22 9 7 47 2

15 1

50-59

40

5 13 10

5 8 4 19

9

1 2

50-55

1

1

48/49

Quelle: StA Ulm, Wahlakten Β 005/00, Nr. 1; Β 005/2, Nr. 1/2; Β 005/1, Nr. 1 ff.; Ulmer Intelligenzblatt 1830ff.; Hepach, Ulm, S. 95; C. Wacker, Die Stadtvorstände u. Gemeinderatsmitglieder der Stadt Ulm vom Jahre 1836-1888, Ulm 1888.

Bildungsbürger Staatsbeamte Gemeindebeamte Kaufleute Fabrikanten Wirte Handwerker ohne Angaben

1819-29

3.3. Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Ulm 1817-1859

50

4 1 7 21 13

2 2

40-47

Bürgerausschuß

10 25 13 26 53 24 a: bis einschließlich Februar 1848 b: ohne Daten für 1838 Quelle: StA Heidenheim, WahlunterlagenII/2,25; Ratsprotokolle 1817ff; Stadt-u. Amtsblatt Heidenheim 1830ff.

Bildungsbürger Staatsbeamte Gemeindebeamte Kaufleute Fabrikanten Wirte Handwerker ohne Angaben

1825-40

3.2. Sozialstruktur der kommunalen Vertreter in Heidenheim 1817-1859

Register 1. Personen Bauer, Ε. 259 ν. Baur, F. Κ. F. 278 Baz, C. F. 226 Becher, A. 177, 182, 185, 187, 192, 201 Berends, J. 197, 279 v.Beroldingen,J . I. 116, 169 v. Bismarck, F. W. 37 v. Bismarck, O. 171, 206 Bolley, H. 235 Burckhardt, J . 166, 284 Burke, E. 21, 222 Camerer 265, 278 Camphausen, L. 210 Constant, B. 139 v. Cotta, J . F. 37 Deffner, K. 128, 179, 260 f. Deininger, P. 232 Dörtenbach, G. 172 Duvernoy, G. 168f., 177, 206, 277 Eberhard Ludwig, Herzog v. Württemberg 26 v. Ege 128, 262 Elsenhans, H. 271 Engels, F. 198, 210, 279f. Fallati. G. 106, 255, 258 Fetzer,Κ.Α. 194, 278 Fox, J. 224 Fresenius, Η. 232f. Fricker, C. 48, 237 Friedrich I., König v. Württemberg 25, 29, 31, 34-36, 40f., 55, 86, 93, 250f. Friedrich Wilhelm III., König v. Preußen 12 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 12 v. Gagern, H. 279 v. Gärttner, K. G. C. 156 Georgii, E. F. 47 Gervinus, G. G. 221 f., 280 Gneist, R. 122

Goppelt, A. 163, 169, 271 v. Grävenitz, W. 26 Grießinger, L. F. 37 Hänlein 278 Hansemann, D. 210, 279 v. Hardenberg, C. A. 143 Hauff 229 Hebbel,F.196 Hecker, F. 200f., 283 Hegel, G. W. F. 18, 28, 143-46, 266 Herdegen, C. 260, 278 Hölder, J. 201, 282 Hölderlin, F. 79 Hörner, J. D. 26 Holzinger, G. L. 272 Idler, F. 172 v. Itzstein, A. 115 Jonas 279 v. Kamptz, K. A. C. H. 250 Kant, I. 41, 78 Kausler 206 v. Keller, J. B. 140 v. Kerner, K. F. 234 Keßler, H. 38, 104, 229, 233 Lichtenberg, G. C. 23 v. Linden, J. 106, 168, 195 List, F. 38f., 43, 64, 101-5, 110, 115, 118, 127, 229, 232f., 236, 253f. Lola Montez 196 Louis Philippe 166 Ludwig I., König von Bayern 196 Majer, A. 280 v. Malchus, C. A. 47, 236 Marx, K. 198, 279 f. v. Maucler, Ρ. Τ. Ε. 43f., 47, 98, 235f., 254 Maurer, F. 273 Maximilian IL, König von Bayern 196 Mayer, C. 59, 206, 282

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v. Mehring, G. 186 Memminger, J. D. G. 152 Menzel, W. 139, 186 Metternich, K.W. 40, 43, 143, 231, 273 v.Minutoli,J . 272 Mögling, F. 199f., 280 Mohl, M. 63, 65f., 78, 89, 242, 250, 278 Mohl, R., 35, 46, 48, 101, 105-11, 117f., 121, 128, 159, 170, 191, 237, 254-56, 259, 266, 270, 280, 283 de Montesquieu, C. 30 Moser, F. C. 227 Moser, J . J . 31, 105 v. Moser, G. 211 Mühlecker, F. 209, 262 Müller, H. 272 Murschel, W., 56, 84, 189, 249, 272 Nagel 105 Nägele, F. 91, 160f., 270f. Napoleon 29 Nefflen, J . 83, 249 Nicolai, F. 54 v. Normann-Ehrenfels, P. C. F. 34 v. Otto, C. F. 232 Pfeifer, K. 194, 278 Pfizer, P. 56, 115, 139, 166, 168, 260, 264 Pölitz, K. H. L. 215 v. Prittwitz, K. 272 v. Prittwitz, M. 156 Raidt, F. X. 83, 248 Rau, G. 58, 159, 161, 178, 200, 208, 270, 276, 280 Reiniger 112 Reyscher, A. L. 176, 185f., 194, 260, 278 Riedel, K. 197, 279 Rödinger 278 Römer, F. 56 f., 83, 115f., 139 f., 168, 173, 192, 211, 248, 258, 260 v. Rotteck, K. 115, 144f., 215, 237, 268 Schlayer, J . 92, 101f., 105, 107f., 116, 120f., 125, 127, 139, 141, 160, 168, 178, 188, 194, 209, 215, 232, 248, 255f., 258, 265, 278

v. Schmidlin, C. G. 89, 250, 252, 263 Schmitt, C. 49f., 237 Schmoller, G. 71 Schnitzer, K. F. 189, 283 Schott, A. 90, 139 Schott, S. 256 Schubart, C. F. D. 224 Schübler, E. 81, 104, 232f. Schultes, D. 134 Schweickhardt, E. 184 Seeger, A. 185, 187, 194, 207, 278 Seybold, F. 121 Sick 112, 172 ν. Sontheim, A. 169 Steinbeis, F. 78 Strauß, D. F. 210 Streckfuß, K. 221 Struve, G. 200f., 270 de Tocqueville, A. 14f., 21, 221 f., 284 v. Treitschke, H. 12, 231 Uhland, L. 37, 40, 43, 56, 115, 139, 168, 193, 230f., 235, 272 v. Vambüler, K. 164, 186f., 282 Voith, J.M. 179 v. Waechter, K. G. 113, 172 v. Wächter-Spittler, K. 189, 278 v. Wangenheim, Κ. Α. 37, 47, 102, 250 Weber, M. 13, 214 Weckherlin, F.H.A. 64 Weinland 128 Weisser, A. 106 Weisser, C. 101 Wekhrlin, W. L. 28 Welcker, K. T. 115, 268 Wiest, A. A. 101 Wilhelm I., König v. Württemberg 11, 36, 41f., 47, 55, 93, 103, 105f., 129, 191, 211, 231, 233, 250, 254, 259, 272 v. Wolbach, C. L. 95, 270 Zachariä, H. 197 v. Zwerger, F. 182, 184, 265

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2. Orte, Begriffe Abgaben, bäuerliche 53f.,238 f. Abgeordnete 26, 125-27 Ablösungskapitalien 55f., 240f. Absolutismus 25 f. Absolutismus, kultureller 26 Adel (auch Ritter, Standesherren) 24, 26, 30, 55f., 59, 139f. Agrarkrise 152-54 Agrarreformen 53-58 Agrarstruktur 77 Agrarunruhen 57-60, 200, 206 f. Agrarverfassung 52-62 Allmende, s. Gemeindenutzungen Altes Recht 24, 28, 42 Altrechtler 29, 31, 37, 46, 149 Amt 33 Amtskorporation 31 f., 46 Amtspfleger 33 Amtsschaden 33, 85 f. Amtsverfassung 31-33, 46f. Amtsversammlung 27, 29, 31-33, 46 Arbeiter, Fabrikarbeiter 71, 75, 180f., 186, 207f., 246, 276 Arbeitskräftepotential 68, 70-79 Armenfürsorge 95f., 146, 155 Armer Konrad 24 Aufruhrgesetz 188-90 Aulendorf 59 Ausschüsse, landschaftliche 24, 28, 259 Auswanderung 69f., 101 Backnang 272 Bad Boll 262 Baden-Baden 105 Balingen 105, 160 Bauernbefreiung, s. Agrarreformen Beamte 30, 96-102, 108f., 113, 226, 236, 256 Beamtenkritik 39f., 84, 101, 103f., 106-8, 112f. Beamtenliberalismus 267f. Beisitzer 92-94 Berlin 12, 167, 169, 197f., 206f., 255, 272 Bevölkerungsdichte, -Wachstum 63, 68-70 Biberach 131, 133f., 257, 263f. Blaubeuren 230 Budgetrecht 119f., 260 Bürger 92-95, 108, 223, 261 Bürgerausschuß 46f., 129-33, 257 Bürgerfreunde, s. Volksfreunde

Bürgergesellschaft, klassenlose 18f., 72, 78, 146, 149-51, 204, 222 Bürgerrecht 69, 72, 84, 91-96, 164, 182 Bürokratie 25, 96-102, 109-14, 214 Bürosystem 35 Calw 181, 263, 276 Cannstadt 172, 276 Demokraten 16, 58f., 141, 182-88, 191-95, 199-201, 204f., 208-10 Demokratie 14f. Dt. Handels-u. Gewerbeverein 102 Diplomatie 25 Ehrbarkeit 23, 27, 33f., 149f., 228 Einkommenssteuer 86, 174-77 Erbvergleich 24, 28, 33, 48, 229f. Esslingen 71, 81, 104, 128, 136, 179, 260, 276 Festzug 11 Frankfurt 167, 199f. »Freiheit u. Ordnung« 15f., 89 Gaildorf 58 f. Gantfälle 64, 152-54 Geheimer Rat 24, 42, 46, 236 Gemeinde 17f., 21, 27, 31-33, 39, 45f. 89, 88, 144-48, 164f., 181-90, 203, 213, 222, 224, 266 f. Gemeindedeputierte, s. Bürgerausschuß Gemeindeeinnahmen 249, 274f. Gemeindenutzungen 59-61 Gemeinderat 45, 131-36 Gemeinderat, Lebenslänglichkeit des 80-83, 112, 133f., 169f., 183, 256f. Gemeindeschaden, s. Kommunschaden Gemeindeverwaltung 82-84 Gemeindewahlen 111, 129-36, 150, 263f. Gemeindewahlrecht 83, 129-31, 182, 184-88 Gericht 32 Gesellschaft, bürgerliche 143-45 Gesellschaft von Freunden des Vaterlandes 127 Gesetzgebung 120 Gewerbeförderung 67 f. Gewerbefreiheit, s. Gewerbeordnung Gewerbekongreß 1849 179f.

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Gewerbekrise 152-154 Gewerbeordnung 84, 88-92, 146, 158-65, 177-81, 270f. Gewerbeumfrage 1846/47 160-65 Gewerbeumfrage 1848/49 179-81 Göppingen 100, 257, 264, 276 Grundherrschaft 52 f. Güterzerstückelung 59 Hanau 211 Handwerksbesatz 63, 71, 73 Heer 25 Heidenheim 60f., 131, 133, 179, 206, 228 Heilbronn 85, 163, 189, 200f., 276 Heimatrecht, s. Bürgerrecht Heiratsbeschränkungen 59, 62, 72, 95 Hofsystem, herzogliches 25 Hohenheim 11 Hohenlohe 53, 58 Honoratioren (siehe auch Ehrbarkeit) 33 Huldigungseid 12f., 41 f., 129 Huldigungsfeier 12f. Industrialisierung 62-68 Industriesystem 159-61 Kammergut 57, 85, 176 f. Kapitalbildung 67 Karlsruhe 37, 200 Katastersteuersystem 84-88 Katholizismus 140 f. Kirchheim 257 Königsberg 12 Königtum 29, 41 Kollegialprinzip 31, 44 »Kommunismus« 96, 186, 194, 268, 282f. Kommunordnung 31 Kommunschaden 82, 85-87, 146f., 175f. Konstitutionalismus 14, 20, 42, 48-51, 115-22, 141f., 144f., 169-71, 203, 237, 255 Kreisregierung 44 Krisenpolitik, staatliche 155-58 Landschaft, s. Stände Landtag 24, 27, 81, 115-29, 138-42, 191-95, 224 Leibeigenschaft 52f. Liberale, Liberalismus 37, 56, 90, 106, 112, 115-17, 120, 136-51, 182-88, 191-94, 204f., 209f., 259 »Liebe« 161, 209 Ludwigsburg 11, 71, 272

Märzbegeisterung 166 Märzforderungen 168, 170f. Märzministerium 57, 116, 121, 141f., 168f., 210 Mätressen 26, 196 Magistrat, s. Gemeinde Marktunruhen 155, 207, 269, 273f. Ministerialverfassung, -system 35, 44, 46, 121f. Mömpelgard 29 Monarchie, s. Konstitutionalismus München 167, 196 Murrhardt 91 Nagold 129 Nagolder Cahier 28 Nation, nationale Frage 167, 195, 210f., 217f. Neresheim 272 Neusteuerbarkeitsgesetz 175f. Niederlassungsrecht 59, 90, 94f., 164 Oberamt 44f., 100 Oberamtmann 15, 33, 44f., 47f., 97 »Organisation der Gewerbe« 91, 160-62 Organisationskommission 172f., 190, 274 Organisations-Vollziehungs-Kommission 43 Paris 166f., 207, 280 Parteien 138-42, 266 Petitionen, bäuerliche 58 f. Petitionen, gewerbliche 89f., 178, 180 Petitionen, an den Landtag 118, 168 Plochingen 138 Prälaten 26 Preßburger Frieden 29 »Proletariat« 114, 282 Rastatt 201, 271 Rastatter Kongreß 29 Rat 32 Ravensburg 257 Realgenossenschaft 61 Realsteuern 85-88, 176 Realsystem 35 Reform 19, 21, 166f., 171 f., 199, 201-11, 215-18, 221 f., 284 Regierungsjubiläum 11 f. Reichsverfassung 1849 13, 167, 200f., 211 Religionsreversalien 24 Republikaner 208f. Reutlingen 102-4, 110, 178, 189, 276 Reutlinger Petition 102-4, 110 319

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»Revolution« 166, 168, 194, 196-99, 203, 210f., 231, 273, 279f., 283 Revolution 14f., 19, 21, 145f., 166f., 196-211, 221f., 279f., 284 Rottweil 85, 262, 272 Ruggericht 33 Saulgau 57 Schreiber 15, 28, 32, 47f., 96-101, 252f. Schulden, herzogliche 24 Schulden, staatliche 30 Schultheißen 31 f., 45, 183f. Schutzverwandte 92 Schwäbisch Hall 276 Selbständige/Unselbständige 71-79, 88, 204 f. Selbständigkeit 16f., 52, 72, 78, 185, 190, 213f., 216f. Selbstverwaltung 44-47, 111-14, 130f., 144-51 Seidner 60 f. Sozialer Protest 154, 200 »Sozialismus« 160f., 194 Spaichingen 124 Staatsschuld 87f. Stadt/Landverhältnis, -unterschiede 27f., 32, 112 Stände 23-30, 33, 36f., 224f. Steuerwesen 77f., 146f., 174-77, 226 Steuerwesen, herzogliches 24f. Stiftungen 174 Stuttgart 11, 28, 71, 81, 104, 111f., 127f., 134, 167, 172, 179, 181, 183, 193, 200, 207, 257f., 272, 276f., 280, 282 Stuttgarter Petition 81 Tradition, ständische 23, 216f. Tübingen 11, 38, 42, 81, 102, 105f., 108, 110f., 168, 172, 176, 184f., 254, 277 Tübinger Vertrag 24, 48 Tuttlingen 106

Ulm 60f., 81, 85, 95, 100, 132-34, 137, 156, 183, 206, 257, 261-63, 269, 271 Vereidigung des Heeres 169 Verein für Unterstützung vaterländischer Industrie 38 Verein zur Unterstützung der kleineren Gewerbe 178 Vereine 136-39, 247 Vereinsgesetz 173 Verfassung 11f., 13, 31, 35-37, 40-43 266 Verfassungskampf 35-43, 143f. Verfassungsreform 107, 191-95 »Verwandtschaftshimmel« 83 Verwaltungsedikt 11, 31, 43, 80-96 Verwaltungsreform 43-48, 171-90 Verwaltungskritik 48, 83f., 101-14 Volksbewaffnung 173 Volksfreund aus Schwaben 38, 109 Volksfreunde 38-40, 80, 104, 130 Volksversammlungen 29, 111, 272 Wachstumsperioden, gewerbliche 62-65 Wahlen 123-29, 150 Wahlkampf 105f., 116, 127-29, 132, Γ0 Wahlmänner 124f., 194, 261 f. Wahlrecht 93f., 122-24, 191-4, 214f. Waldnutzung 147f. Wangen 272 Weingarten 238 Weinsberg 169 Wien 36, 166f., 207, 280 Zensur 173 Zentralisierung/Dezentralisierung 15, X), 35 Zentralstelle für Gewerbe und Handel 177 Zollverein 67 Zunft, s. Gewerbeordnung

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