Rechtsvergleichung als didaktische Herausforderung: Herausgegeben:Brockmann, Judith; Schmidt, Mareike; Pilniok, Arne 9783161592522, 9783161592539, 3161592522

Die Rechtsvergleichung spielt in der juristischen Ausbildung derzeit eine eher untergeordnete Rolle. Sie wird teilweise

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Rechtsvergleichung als didaktische Herausforderung: Herausgegeben:Brockmann, Judith; Schmidt, Mareike; Pilniok, Arne
 9783161592522, 9783161592539, 3161592522

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Judith Brockmann und Mareike Schmidt: Einführung: Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das Lehren und Lernen der Rechtswissenschaft
Hein Kötz: Lernziele der Rechtsvergleichung
Konrad Duden und Jennifer Trinks: Vergleichende Perspektiven auf die Rolle der Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung
Stefan Martini: Judikative Rechtsvergleichung im/und das Jurastudium zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung
Pascal Hachem: Rechtsvergleichung zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung des Ius-Studiums in der Anwaltstätigkeit
Yesim M. Atamer: Einheitsrecht als Labor für rechtsvergleichenden Unterricht
Anne Gladitz: Rechtsvergleichung im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht
Julian Krüper: Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive
Michael Fehling: Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der

Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.

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Rechtsvergleichung als didaktische Herausforderung Herausgegeben von

Judith Brockmann, Arne Pilniok und Mareike Schmidt

Mohr Siebeck

Judith Brockmann ist Juniorprofessorin für Arbeitsrecht mit sozialrechtlichen Bezügen und rechtswissenschaftliche Fachdidaktik an der Universität Hamburg. Arne Pilniok ist Juniorprofessor für Öffentliches Recht, Verwaltungswissenschaften und rechtswissenschaftliche Fachdidaktik an der Universität Hamburg. Mareike Schmidt ist Juniorprofessorin für Zivilrecht und rechtswissenschaftliche Fach­ didaktik an der Universität Hamburg.

ISBN 978-3-16-159252-2 / eISBN 978-3-16-159253-9 DOI 10.1628/978-3-16-159253-9 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio­ nal­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die Rechtsvergleichung spielt in der juristischen Ausbildung derzeit üblicherweise eine eher untergeordnete Rolle. Sie wird teilweise als Forschungsmethode eingeordnet, teilweise curricular als Grundlagenfach verortet. Dies wird dem Potenzial, das Rechtsvergleichung für die Ausbildung und das juristische Lernen hat, nicht gerecht. So hat der Wissenschaftsrat in seiner viel diskutierten Stellungnahme zu den Perspektiven der Rechtswissenschaft gefordert, dass „im rechtswissenschaftlichen Studium rechtsvergleichende Perspektiven stärker verankert werden sollten. Die Anwendung, Auslegung und Gestaltung des Rechts wird eine intensive Auseinandersetzung mit den Regelungskonzepten anderer Rechtsordnungen und unterschiedlichen Professions- wie Fachkulturen erfordern.“ Daher hat das Zentrum für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik der Universität Hamburg seine achte Tagung dem Thema „Rechtsvergleichung als didaktische Herausforderung“ gewidmet. Diese Tagung fand am 12. und 13. April 2018 in Hamburg statt. Die Beiträge in diesem Band gehen auf Vorträge bei diesem Symposium zurück. Wir danken den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, den Herren Professoren Basedow, Fleischer und Zimmermann, für die Kooperation bei der Ausrichtung der Tagung. Im Institut haben Frau Groß, Frau Hell-Mynarik, Frau Assies und ihr Team die Veranstaltung organisatorisch hervorragend vorbereitet und begleitet. Das Dekanat der Fakultät für Rechtswissenschaft hat die Ausrichtung der Veranstaltung dankenswerter Weise mit einer namhaften Summe gefördert. Zudem sind wir der Gesellschaft für Rechtsvergleichung für die Aufnahme des Bandes in ihre Schriftenreihe verbunden. Nicht zuletzt gilt unser Dank den Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen diese bleibende Dokumentation der Tagung ermöglicht haben. Hamburg, im August 2019

Judith Brockmann Arne Pilniok Mareike Schmidt

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Judith Brockmann und Mareike Schmidt Einführung: Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das Lehren und Lernen der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Hein Kötz Lernziele der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Konrad Duden und Jennifer Trinks Vergleichende Perspektiven auf die Rolle der Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Stefan Martini Judikative Rechtsvergleichung im/und das Jurastudium zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Pascal Hachem Rechtsvergleichung zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung des Ius-Studiums in der Anwaltstätigkeit . . . . . . 75 Yeşim M. Atamer Einheitsrecht als Labor für rechtsvergleichenden Unterricht . . . . . . . 87 Anne Gladitz Rechtsvergleichung im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht 105 Julian Krüper Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Michael Fehling Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung . . 149 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Einführung: Die Bedeutung der Rechtsvergleichung für das Lehren und Lernen der Rechtswissenschaft Judith Brockmann und Mareike Schmidt Der Wissenschaftsrat hat in seinen Perspektiven für die Rechtswissenschaft schon vor einigen Jahren empfohlen, sowohl die Ausbildung in den Grundlagenfächern als Beitrag zu einer breit angelegten Juristischen Bildung1 zu s­ tärken 2 als auch Forschung und Lehre weniger national auszurichten, internationale Bezüge auch in der Lehre vermehrt zu berücksichtigen und die internationale Sichtbarkeit der in Deutschland betriebenen Rechtswissenschaft zu erhöhen 3. Einen Beitrag hierzu kann die Einbeziehung der Rechtsvergleichung in das rechtswissenschaftliche Studium leisten. Wie die Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen, sind damit aus einer didaktischen Perspektive Chancen verbunden, die sich in der Lehre in vielfältiger Hinsicht nutzen lassen (A.). Lehrende müssen dabei zugleich zahlreiche Fragen bedenken und Entscheidungen fällen, die sich freilich im Hinblick auf jede andere Lehrveranstaltung so oder so ähnlich stellen, im Folgenden aber am Beispiel der Rechtsvergleichung dargestellt und illustriert werden sollen (B.).

A. Chancen der Rechtsvergleichung aus didaktischer Perspektive Im Folgenden soll betrachtet werden, welchen Beitrag die Rechtsvergleichung bzw. rechtsvergleichende Elemente zu einem gelingenden Lernen der Studierenden leisten können (I.). Der Einsatz von Rechtsvergleichung in der Lehre ermöglicht eine internationale Öffnung nicht nur im Hinblick auf den Studiengegenstand, sondern auch im Hinblick auf die Studierenden: Rechtsvergleichung weist ein großes Potenzial auf, die Diversität und Heterogenität der Studierenden aufzunehmen (II.). Daneben bestehen zahlreiche Möglichkeiten durch und im Hinblick auf die Rechtsvergleichung Forschungsbezüge im Studium herzu1  Dazu auch Voßkuhle RW 2010, 326 ff.; Rixen JZ 2013, 708 ff. sowie Baer AnwBl.  2015, 816 ff. 2  Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland. Situation, Analysen, Empfehlungen, Drs. 2558-12, Hamburg 2012, 7. 3  Wissenschaftsrat (Fn.  2), 8.

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stellen, etwa durch forschendes Lernen (III.). Schließlich ist zu fragen, welche Lehr-Lern-Ziele durch Rechtsvergleichung bzw. im Hinblick auf die Rechtsvergleichung verfolgt und erreicht werden können (IV.). I. Gelingensbedingungen für studentisches Lernen schaffen In der hochschuldidaktischen Literatur sind auf Basis ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze verschiedene Gelingensbedingungen von Lehre beschrieben worden, damit sie studentisches Lernen fördert4. Einige von ihnen lassen sich im Rahmen rechtsvergleichender Lehre besonders gut verwirklichen.

1. Lernen durch Vergleichen Unabhängig vom Gegenstand ist der – bewusste oder unbewusste – Vorgang des Vergleichens, das Identifizieren von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, aus einer empirischen Perspektive einer der wichtigsten Faktoren, um Lernen positiv zu beeinflussen und Lernerfolge zu ermöglichen 5. Damit ist das Vergleichen an sich nicht selbst das Lernziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Dies lässt sich in der Lehre fruchtbar machen, und zwar nicht nur durch den „klassisch“ rechtsvergleichenden Ansatz, sondern auch im Hinblick auf den Vergleich von Konzepten oder Problemlösungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten6 oder im Bundes- und Landesrecht7. Aber auch zum Erwerb juristischer Bildung und fachbezogener Schlüsselqualifikationen kann das vergleichende Lernen beitragen8 . Stefan Martini betont ebenso wie Yesim Atamer 9 die Relevanz für das juristische Argumentationsvermögen: „Unter anderem die Kompetenz zur rechtsvergleichenden Argumentation […] kann die (hypothetische) Anwendung von Recht sowohl anleiten als auch reflektieren und zudem Gegenstand wie Ziel aktivierender Lernprozesse werden.“ 10 Auch die relevanten juristischen Kompetenzen, Sachverhalte analysieren und Problemlagen identifizieren zu können, werden in der Rechtsver-

4 Siehe

etwa die Meta-Studie von Winteler/Forster, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 20–38. 5  Winteler/Forster (Fn.  4), 31 f. m. w. N. 6  Fehling, Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung, in diesem Band. 7  Krüper, Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive, in diesem Band. 8 Eingehend Atamer, Einheitsrecht als Labor für rechtsvergleichenden Unterricht, in diesem Band. 9  Atamer (Fn.  8). 10  Martini, Judikative Rechtsvergleichung im/und das Jurastudium zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung, in diesem Band, 47, 60.

Einführung

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gleichung gelernt und eingeübt11. Schließlich lehrt die Rechtsvergleichung komparative Anwendungs- und Vernetzungskompetenzen12 , unter anderem die auf einem Vergleich basierende Bewertung unterschiedlicher Lösungen oder Posi­ tionen, die wesentliche Bestandteile des Entscheidens als einer weiteren juristischen Kernkompetenz13 sind.

2. Irritation als Lernanlass Lernen kann befördert werden, indem vermeintliche Gewissheiten erschüttert werden. Dies setzt freilich die Auseinandersetzung mit bereits Gelerntem, vorhandenem Wissen und erworbenen Fähigkeiten voraus. Dass dies und – wie Adi Winteler und Peter Forster betonen – „nicht etwa das bisher nicht Gelernte“14 der Ausgangspunkt des Lernens ist, dürfte zwar allgemein bekannt sein, ob und wie diese scheinbar banale Erkenntnis bei der Konzeption von Lehrveranstaltungen konsequent berücksichtigt wird15 , kann hier dahinstehen. Ein gewisser Grad an Irritation und Verunsicherung16 ist durchaus geeignet, Lernen anzureizen17. Susanne Baer hat solche Irritationen treffend als „Rechtsvergleichungsschocks“18 bezeichnet. Julian Krüper hat sich unter anderem mit dem didaktischen (Mehr-)Wert solcher Irritationen auseinandergesetzt19. Darüber hinaus kann die Fähigkeit zum Umgang mit einer „institutionalisierten Irritation“20 durchaus auch ein Lehr-Lern-Ziel der juristischen Ausbildung sein.

3. Relevanzerleben Lernen wird ermöglicht, wenn die Lernenden Einsicht in die Relevanz des Erlernten gewinnen, und zwar jenseits der Prüfungsrelevanz. Es lässt sich vermuten, dass unter anderem diese Notwendigkeit hinter den häufigen Forderungen nach „mehr Praxisbezug“ und weniger „Theorie“ im Studium steht. Unter Um11  Hachem, Rechtsvergleichung zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung des Ius-Studiums in der Anwaltstätigkeit, in diesem Band. Dazu auch Zwickel, in: Griebel (Hrsg.), Vom juristischen Lernen, Baden-Baden 2018, 136 ff. 12  Baer ZaöRV 64 (2004), 735, 757. 13  Rennert JZ 2013, 297 ff.; Zur Relevanz im Zusammenhang der Ausbildung statt vieler Hufen JuS 2017, 1, 6 f. 14  Winteler/Forster (Fn.  4), 32. 15 Dazu etwa Biggs/Tang, Teaching for Quality Learning at University, 4.   Aufl. 2011, Kap.  3 S.  66 f. 16  Dabei darf die Verunsicherung freilich nicht in Überforderung umschlagen, sondern die Studierenden nur aus der „Komfortzone“ des bereits Bekannten herauslocken. Dies wiederum ist für die Lehrenden nicht steuerbar und nur bedingt zu beeinflussen, dazu Schüßler, Reflexives Lernen in der Erwachsenenbildung – zwischen Irritation und Kohärenz, Bildungsforschung 5 (2008) 2, S.  6 f. m. w. N. 17 Instruktiv Schüßler (Fn.  16), 2 ff. 18  Baer (Fn.  12), 736 ff. 19  Krüper (Fn.  7). 20  Krüper (Fn.  7).

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ständen handelt es sich eher um den Gegensatz von Abstraktion und Konkretisierung und eben dem – legitimen – Bedürfnis der Studierenden, sich darüber zu orientieren, wozu das Lernen des Gegenstandes wichtig und nützlich ist. Die Auseinandersetzung mit den Funktionen von Rechtsvergleichung und auch die Problemorientierung der funktionellen Methode können dies jeweils leisten. Die Relevanz für die Berufspraxis in unterschiedlichen Tätigkeits- und Anwendungsfeldern illustrieren die Beiträge von Hachem im Hinblick auf die anwaltliche – beratende sowie rechtsgestaltende – und von Martini im Hinblick auf die richterliche Tätigkeit. Beide stellen ebenso wie Atamer auch den Nutzen für das Rechtsverständnis und die Gesetzesinterpretation heraus. Die Bedeutung im Zusammenhang mit der Rechtsvereinheitlichung haben auch Jeremias Prassl 21 und Atamer 22 hervorgehoben. Auch durch die Verknüpfung rechtsvergleichender Inhalte mit überfachlichen Lernzielen oder fachbezogenen Schlüsselqualifikationen wird die Relevanz für die Studierenden greifbar, etwa in der Fachfremdsprachenausbildung23, in der Vorbereitung auf Auslandspraktika, -studienaufenthalte oder im Rahmen von internationalen Exkursionen.

4. Motivation Der auch empirisch belegbare Befund, dass Motivation lernförderlich ist 24 , ist nicht überraschend. Dies gilt auch für die Erkenntnis, dass das Tiefenlernen, dass die Entwicklung von Verständnis einschließt, durch intrinsische Motiva­ tion stärker gefördert wird, als durch extrinsische Motivatoren wie Prüfungen und Leistungserwartungen 25. Tatsächlich können rechtsvergleichende Elemente bzw. Elemente, die für die Rechtsvergleichung relevant sind, in besonderer Weise zur Entwicklung intrinsischer Lernmotivation beitragen, z. B. dadurch, dass auch überfachliche Interessen wie diejenigen an Fremdsprachen oder anderen Kulturen angesprochen werden (dazu im Einzelnen sogleich). Insofern scheint der Einsatz von Rechtsvergleichung in der Lehre eine Möglichkeit zu sein, die Lernmotivation zu fördern, einen Blick über den Tellerrand zu ermöglichen und damit auch (wissenschaftliche) Neugier zu erzeugen. Schließlich wird es typischerweise Lehrenden, die in den Bereichen lehren, in denen sie selbst mit wissenschaftlicher Neugierde und Interesse forschen, eher gelingen,

21  In seinem Vortrag „Rechtsvergleichung als Voraussetzung für Lehren und Lernen des Unionsrechts“. 22  Atamer (Fn.  8). 23  Dazu auch Gladitz, Rechtsvergleichung im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht, in diesem Band. 24  Winteler/Forster (Fn.  4), 37 ff. m. w. N. 25 Eingehend Biggs/Tang (Fn.  15), 34 ff.

Einführung

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den Studierenden ihr eigenes Interesse am Fach zu vermitteln 26 . Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Motivation der Studierenden aus27. II. Diversität und Interkulturalität Diversität 28 , Heterogenität und interkulturelle Kompetenz sind nicht nur Schlagworte sozialpolitischer Debatten. Sie sind Herausforderungen für das hochschulische Lehren und Lernen 29 und Teil der beruflichen Realität von Juristinnen und Juristen. Interkulturelle Kompetenz ist eine relevante Schlüsselqualifikation und eng mit der rechtsvergleichenden Tätigkeit verknüpft 30 . Rechtsvergleichung birgt zudem ein besonderes Potenzial einer diversitätssensiblen Gestaltung der Lehre. In ganz unterschiedlicher Weise kann die Vielfalt von Biographien, Sprachen und Kulturen der Studierenden aufgenommen werden. Damit gehen eine internationale Öffnung und Horizonterweiterung einher. Dies alles ist kein Selbstzweck – die Möglichkeit Studierender, eigene Zugänge zum Gegenstand zu entwickeln und vorhandene persönliche Ressourcen wie beispielsweise die eigene Mehrsprachigkeit nutzen zu können, wirkt ihrerseits lernförderlich 31. III. Wissenschaftsbezug und Forschungsorientierung Der Anspruch an die universitäre Ausbildung ist u. a. ihre Wissenschaftsbasiertheit und ihr Forschungsbezug32 . Dabei kann der Wissenschaftsbezug unterschiedlich hergestellt werden, etwa durch die theoretische Auseinanderset26  Zur lernfördernden Wirkung der authentischen Vermittlung des eigenen Interesses vgl. Schwartz/Hess/Sparrow, What the Best Law Teachers Do, Cambridge/London 2013, 45 ff. und 48 ff. Freilich sind die Möglichkeiten hierzu strukturell begrenzt, selbst wenn es den Lehrenden ein Anliegen ist. Dass dieses in der Rechtswissenschaft allerdings nicht flächendeckend Teil der Lehr-Lern-Philosophie ist, zeigt die Untersuchung von Rzadkowski, Recht wissenschaftlich – Drei wissenschaftsdidaktische Modelle auf empirischer Grundlage, 2018, 179 ff. 27  Bleckmann, in: Griebel (Hrsg.), Vom juristischen Lernen, 2018, 97 ff. 28  Die Begriffe Diversität/Diversity und Heterogenität werden hier synonym gebraucht. Zur (fehlenden) Differenzierung der Begriffe im erziehungswissenschaftlichen Diskurs s. Emmerich/Hormel, Heterogenität – Diversity – Intersektionalität, Zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz, Springer VS, 2013, 149 ff. und 183 ff. sowie Walgenbach, Heterogenität – Intersektionalität – Diversity in der Erziehungswissenschaft, 2.  Aufl., Opladen/Toronto 2017. 29  Reinmann, in: Klages et al. (Hrsg.), Gestaltungsraum Hochschullehre. Potenziale nicht-traditionell Studierender nutzen, Opladen/Berlin/Toronto 2015, 121 ff. sowie Auferkorte-Michaelis/Linde, in: dies. (Hrsg.), Diversität lernen und lehren – ein Hochschulbuch, Opladen/Berlin/Toronto, 2018, 17 ff. 30 Eingehend Baer ZaöRV 64 (2004), 735, 757 ff. 31  Statt vieler Ferris/Huxley-Binns, in: Maharg/Maughan (Hrsg.), Affect and Legal Education, Farnham/Burlington 2011, 195 ff. 32 Allgemein Reinmann, in: Tremp (Hrsg.), Forschungsorientierung und Berufsbezug im

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zung mit den Forschungsmethoden des Fachs, mit allgemeinen und/oder disziplinären Standards guter wissenschaftlicher Praxis33 oder aber schließlich auch die eigene Forschungstätigkeit der Studierenden, etwa durch forschendes ­Lernen 34. Die Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden ist in weiten Teilen des rechtswissenschaftlichen Studiums auf rechtsanwendungsbezogene Ansätze beschränkt. Im Studium findet – mehr oder weniger reflektiert – ein Einüben methodengeleiteter Rechtsanwendung auf juristische Fälle statt. Darüber hinaus mag im Rahmen von Veranstaltungen zur sog. Methodenlehre eine Auseinandersetzung mit diesen Methoden und der an ihnen geübten Kritik stattfinden. Eine eigene Forschungstätigkeit entfalten Studierende typischerweise nur im fortgeschrittenen Studium in der hergebrachten Veranstaltungsform des Seminars35. Hier sind Studierende im Idealfall aufgefordert, eigene Forschungsfragen zu entwickeln und diese im Rahmen von Themenarbeiten zu bearbeiten, die Ergebnisse schriftlich niederzulegen, sie mündlich zu präsentieren und sie gemeinsam zu diskutieren. Die Intensität einer Befassung mit forschungsmethodischen Fragen dürfte auch hier sehr unterschiedlich sein. Vielfach dürfte es sich in diesem Rahmen eher um das Nachvollziehen von Forschungsergebnissen handeln, typischerweise wird die Neuigkeit der Arbeitsergebnisse nicht erwartet36 . Die rechtsvergleichende Tätigkeit setzt eine Auseinandersetzung mit der Forschungsmethode voraus, wenn und weil sie mehr sein soll als das Gegenüberstellen unterschiedlicher Regelungen oder Rechtslagen 37. So legt auch die Rechtsvergleichung als Lerngegenstand eine Befassung mit forschungsmethodischen Aspekten nahe und ermöglicht den Einsatz forschenden Lernens38 . Durch eine kritische Befassung mit vergleichenden Arbeiten lässt sich ForStudium, 2015, 41 ff.; im Hinblick auf das juristische Studium Pilniok, in: Tremp (Hrsg.), Forschungsorientierung und Berufsbezug im Studium, 2015, 127 ff. 33  Dazu etwa Thielsch/Wiemer, in: Heiner et al. (Hrsg.), Was ist „Gute Lehre“?, 2016, 275– 283. 34 Instruktiv Huber, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 61 ff.; ders., in: ders./Kröger/Schelhowe (Hrsg.), Forschendes Lernen als Profilmerkmal einer Universität, 2013, 21 ff.; zur Bedeutung und Kritik s. auch Schmerfeld, in: Schmohr/Müller/Philipp (Hrsg.), Gelingende Lehre: erkennen, entwickeln, etablieren, 2018, 34–51. 35  Zu den Einsatzmöglichkeiten im juristischen Studium s. beispielhaft Broemel/Muthorst, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 89 ff. 36  Zu unterschiedlichen Formen forschungsnahen Lernens s. Reinmann (Fn.  29), 127 f. 37  Statt vieler Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 1996, 31 ff. sowie Augenhofer, in: Krüper (Hrsg.), Grundlagen der Rechtswissenschaft, §  10 Rechtsvergleichung, 3.  Aufl. 2017, Rn.  5, 34, 47 f. 38  Zum Beitrag forschenden Lernens zum Erwerb fachspezifischer methodischer Kompetenzen Brendel, in: Heiner et al. (Hrsg.), Was ist „Gute Lehre“? Perspektiven der Hochschuldidaktik, 2016, 213, 218.

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schung nicht nur methodisch nachvollziehen, sondern es scheint – die dafür erforderliche Anleitung und Betreuung vorausgesetzt – durchaus möglich, Veranstaltungen so zu konzipieren, dass Studierende selbst rechtsvergleichend forschend tätig werden 39. IV. Vielfältige Lehr-Lern-Ziele Aus einer didaktischen Perspektive lassen sich mindestens zwei unterschiedliche Dimensionen von Lehr-Lern-Zielen im Hinblick auf die Rechtvergleichung identifizieren. Ihre Differenzierung erscheint im Hinblick auf curriculare und unterrichtsmethodische Fragen essentiell. Einerseits kann danach gefragt werden, welche Ziele in Bezug auf die Rechtsvergleichung selbst, insbesondere deren Methoden und Grundlagen erreicht werden können und sollen. Sie werden perspektivisch primär für eine wissenschaftliche Tätigkeit relevant und können – abhängig vom Tätigkeitsfeld – in unterschiedlichem Maße auch für die Praxis von Bedeutung sein40 . Andererseits, und darin liegen besondere Chancen, ist zu fragen, was Studierende anhand von Rechtsvergleichung lernen können. Die Lehre in den Pflichtfächern ist stark am positiven Recht orientiert. Zugleich ist das Bewusstsein für die Kontingenz von Recht unabdingbar für das Verständnis von Recht, dessen Anwendung, Gestaltung und Kritik, und zwar unabhängig von der künftigen beruflichen Tätigkeit. Rechtvergleichung ist, wie Hein Kötz in seinem Beitrag betont, besonders geeignet, die Kontextabhängigkeit von Recht sichtbar und begreifbar zu machen. Darüber hinaus könne die Rechtsvergleichung für die Studierenden als Schlüssel dienen, um sich die Relevanz der (übrigen) Grundlagenfächer für die wissenschaftliche Reflexion des Rechts und der juristischen Praxis zu erschließen. Dass und wie sich ein solches vertieftes Verständnis auch positiv auf die in der anwaltlichen und richterlichen Berufspraxis relevante Rechtsanwendungs- und Argumentationskompetenz auswirkt, veranschaulichen die Beiträge von Hachem und Martini 41. Dabei betont Martini die Bedeutung des Erwerbs komparativen Orientierungswissens. Schließlich bietet die Rechtsvergleichung die Möglichkeit, überfachliche und fachbezogene Schlüsselqualifikationen wie interkulturelle Kompetenz und fachfremdsprachliche Kompetenzen zu erwerben.

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Zu den Herausforderungen u. a. in sprachlicher Hinsicht s.u. B. III. S. dazu auch die Beiträge von Martini (Fn.  10) und Hachem (Fn.  11). 41  „Unter anderem die Kompetenz zur rechtsvergleichenden Argumentation kann diese Zwecke einer Neuausrichtung fördern: Sie kann die (hypothetische) Anwendung von Recht sowohl anleiten als auch reflektieren und zudem Gegenstand wie Ziel aktivierender Lernprozesse werden.“ Martini (Fn.  10), 47, 60. 40 

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B. Fachbezogene Herausforderungen Der Weg zur Verwirklichung der genannten und weiterer Chancen der Rechtsvergleichung in der Lehre ist mit einer Reihe von Herausforderungen gepflastert. Dazu zählen unter anderem die Fragen nach der curricularen Verortung im Staatsexamensstudiengang (I.) sowie, damit verbunden, nach Prüfungen während des Studiums und an dessen Ende (II.), nach sprachlichen Voraussetzungen aller Beteiligten (III.) und weiteren notwendigen Qualifikationen der Lehrenden (IV.) und schließlich nach geeigneten Lehr- und Lern-Materialien (V.). Einige wesentliche Aspekte dieser Herausforderungen werden im Folgenden kurz beleuchtet, allerdings eher im Sinne eines Denkanstoßes und Problemaufrisses, ohne dass hier bereits Lösungsvorschläge präsentiert werden könnten. I. Curriculare Fragen und Formate Abhängig von den verfolgten Lehr-Lern-Zielen gilt es jeweils, geeignete Orte und Formate für die Rechtsvergleichung im Curriculum zu finden42 . Aus der Perspektive der deutschen Juristenausbildung befasst sich Martini mit diesen Punkten in seinem Beitrag. Einen Überblick über verschiedene Antworten in ausgewählten juristischen Ausbildungssystemen unterschiedlicher Staaten bietet der Beitrag von Konrad Duden und Jennifer Trinks. Im Rahmen der Tagung stellte Aalt Willem Heringa darüber hinaus die Vollintegration der Rechtsvergleichung in das juristische Studium in Form eines konsequent rechtsvergleichend angelegten Curriculums („a truly comparative curricular design“) anhand des Beispiels der European Law School an der Universität Maastricht als Modell der Juristenausbildung für die Zukunft vor. Im deutschen Jurastudium kann als klassisches Format wohl die Vorlesung „(Einführung in die) Rechtsvergleichung“ als Grundlagenveranstaltung analog zu Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie u. ä. angesehen werden. In Bezug auf die Grundlagenfächer generell wird allerdings immer wieder die Forderung erhoben, diese nicht in eigenen Veranstaltungen gleichsam von den dogmatischen Fächern abzuspalten, sondern sie vielmehr in deren Lehre zu integrieren43. Mit Blick auf die Rechtsvergleichung plädierte Christiane Wendehorst in ihrem Vortrag im Rahmen der Tagung dezidiert dafür, dass es sich bei der Frage „Grundlagenfach oder Integration“ nicht um ein „Entweder-Oder“ handeln dürfe, sondern diese vielmehr mit einem „Sowohl-Als-Auch“ zu beantworten sei. Neben der Grundlagenvorlesung stellte sie ein breites Spektrum an Möglichkeiten der Integration von Rechtsvergleichung in das Studium vor, 42 

Eingehender hierzu Zwickel (Fn.  11), 151 ff. So beispielsweise aus jüngerer Zeit Krüper, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, 2014, 274, 297 ff. 43 

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das von „rechtsvergleichenden Randbemerkungen“ über einen „punktuellen Detailvergleich“ bis hin zur „Vollintegration“ reichte; dabei legte sie Wert auf die Feststellung, dass jede dieser Integrationsformen ihre eigenen Vor- und Nachteile in sich trägt. Exemplarisch können derartige Überlegungen anhand der punktuellen rechtsvergleichenden Einschübe in der Lehre verdeutlicht werden: So lässt sich diesbezüglich etwa fragen, inwiefern eine solche Reduktion das Risiko der Oberflächlichkeit birgt und durch fehlende Kontextualisierung möglicherweise zu falschen Vorstellungen auf Seiten der Studierenden führen kann. Die insofern im Raum stehende Frage nach einem möglicherweise unverzichtbaren Minimum beispielsweise an Kontext und methodischem Wissen ist sicherlich ernst zu nehmen. Sie stellt jedoch mitnichten ein Spezifikum der Rechtsvergleichung in der Lehre dar, sondern kann – in der didaktischen Diskussion unter dem Stichwort „didaktische Reduktion“44 verortet – in der Lehrplanung als allgegenwärtig angesehen werden. Des Weiteren liegt es auf der Hand, dass eine Anreicherung des herkömmlichen dogmatischen Unterrichts um rechtsvergleichende Elemente immer die Frage aufwirft, wie der „eigentliche Stoff“ sinnvoll reduziert werden kann. In dieser Hinsicht könnten eine stärkere Berücksichtigung exemplarischen Lernens und eine Erweiterung der Rolle des (angeleiteten!) Selbststudiums nicht nur hilfreich sein, sondern auch noch weitgehend ungehobenes Potenzial für die Gestaltung des juristischen Studiums in Gänze bergen45. Auf der Seite der Chancen der punktuellen Rechtsvergleichung dürften nicht nur die bessere Illustration von Problemen und Lösungsmöglichkeiten verortet werden, sondern auch die Möglichkeiten, zur oben46 bereits angesprochenen Motivation der Studierenden beizutragen und Bewusstsein für und Interesse an Alternativen zur deutschen Regelung zu wecken47. Selbstverständlich stellen sich die Fragen nach dem Potenzial und den Herausforderungen einzelner Lehrveranstaltungsformate und der jeweiligen curricularen Verortung nicht nur in Bezug auf verschiedene Integrationsformate, sondern ebenso für die bereits angesprochene Grundlagenvorlesung. Jenseits der Dichotomie von Integration in bestehende Veranstaltungen und Grundlagenvorlesung bietet der deutsche Staatsexamensstudiengang auch in Form von Auslandsaufenthalten48 , Fremdsprachenscheinen49 und selbstver44 

Dazu statt aller Lehner, Viel Stoff – wenig Zeit, 2. Auflage 2009. In diese Richtung auch Krüper (Fn.  43), 298. 46  A. I. 4. 47  Zu Möglichkeiten der Integration (einführender) rechtsvergleichender Elemente in den fallbezogenen Rechtsunterricht siehe Zwickel, (Fn.  11), 150 f. 48  Siehe dazu beispielsweise die durch den DAAD ausgezeichnete Möglichkeit der Anrechnung der im Rahmen des Auslandsstudiums erbrachten Studienleistungen als universitären Teil der Ersten juristischen Prüfung an der FU Berlin; Informationen unter https://www. jura.fu-berlin.de/international/studierendenaustausch/outgoings/anerkennung/schwer punkt2sem.html [08.09.2019]. 49  S. dazu u. a. Gladitz (Fn.  23). 45 

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ständlich auch entsprechenden Schwerpunktbereichen 50 die Möglichkeit, die Rechtsvergleichung in die Lehre einzubeziehen. Der Vortrag von Prassl hat deutlich gemacht, dass auch in dem heute zentralen Bereich des Unionsrechts rechtsvergleichende Elemente eine wesentliche Rolle in der Lehre spielen sollten, da sie eine Schlüsselfunktion für das Verständnis der Materie haben. In eine sehr ähnliche Richtung geht auch der Beitrag von Atamer in Bezug auf Einheitsrecht am Beispiel des UN-Kaufrechts. Bei alledem sind schließlich immer auch Fragen nach der Zielgruppe im Auge zu behalten: Wer soll mit dem rechtsvergleichenden Angebot erreicht werden? Wie generalisiert soll das Angebot sein? Hier ergibt sich wiederum ein enger Zusammenhang mit den verfolgten Lehr-Lern-Zielen. Je mehr Wert auf eine große Verbreitung rechtsvergleichender Hintergründe gelegt wird, desto näher liegen niedrigschwellige Angebote wie eine punktuelle Integration in die Pflichtfachveranstaltungen und evtl. auch eine Verortung als Grundlagenfach. Für einen höheren Grad an Spezialisierung und eine gezielte Ansprache ausgewählter Gruppen von Studierenden bieten sich dagegen insbesondere eine Beschränkung auf den Schwerpunktbereich sowie – wenn auch nach derzeitigem Stand nicht im Rahmen eines deutschen Staatsexamensstudiengangs – ein mit verhältnismäßig hohen Zugangshürden versehenes vollintegriertes rechtsvergleichendes Studium an. II. Prüfungen Im Sinne eines constructive alignment51 von Lehr-Lern-Zielen, Lehr-Lern-Aktivitäten und Prüfungen werfen die Überlegungen zur Rechtsvergleichung im juristischen Studium zwangsläufig auch die Frage nach geeigneten Prüfungsformaten allgemein (1.) sowie insbesondere nach der Rolle des Staatsexamens (2.) auf.

1. Prüfungsformate Die Frage, wie man „Rechtsvergleichung“ prüfen kann, knüpft sehr eng an die obigen Überlegungen zu den Lehr-Lern-Zielen rechtsvergleichenden Unterrichts an. In jedem Fall müssen das Prüfungsformat und die Prüfungsaufgaben dazu geeignet sein, den Grad des Erreichens der Lehr-Lern-Ziele zu überprüfen. Jenseits der Frage danach, was abgeprüft werden soll, erscheint es herausfordernd, geeignete Prüfungsformate für die Rechtsvergleichung betreffende Lehr-Lern-Ziele zu finden. 50 Hier lässt sich noch differenzieren zwischen rechtsvergleichend angelegten thematischen Schwerpunktbereichen und Schwerpunktbereichen, die beispielsweise insgesamt international ausgerichtet sind und Rechtsvergleichung als eine separate Veranstaltung beinhalten. 51  Biggs/Tang (Fn.  15), 95 ff.

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Das unserem Eindruck nach weit verbreitete Klausurformat bietet insofern zwar Spielräume – insbesondere liegen Variationen und Kombinationen von Fall- und Fragenformaten nahe –, setzt jedoch auch deutliche Grenzen. So vermag beispielsweise eine Fallklausur zu einer Rechtsvergleichungsvorlesung durchaus abzuprüfen, inwieweit die Studierenden mit bestimmten Regelungsbereichen deutschen und ausländischen Rechts vertraut sind und diese auf den Fall anzuwenden vermögen; sofern noch eine vergleichende Gegenüberstellung der verschiedenen Lösungswege gefordert wird, können auch die Fähigkeiten zur Vergleichung geprüft werden. Allerdings scheint dieses Format beschränkt auf den Studierenden aus der Veranstaltung (oder dem Selbststudium) bekannte Themen. Ein Transfer und entsprechendes methodisches Arbeiten können dergestalt höchstens sehr begrenzt geprüft werden (insbesondere besteht insofern das Risiko, sich auf das methodisch unzulängliche reine Vergleichen von Rechtstexten zu beschränken); auch Themen aus dem Gebiet der Makrorechtsvergleichung bleiben so eher außen vor. Auf der anderen Seite setzt eine gute Bearbeitung einer solchen Klausur auch Kenntnisse des deutschen Rechts voraus, die jedoch möglicherweise nicht zwingend Bestandteil (oder jedenfalls nicht Schwerpunkt) der rechtsvergleichenden Veranstaltung waren, so dass hier die Gefahr eines Bruches im constructive alignment besteht. Andersherum formuliert: Will man das deutsche Recht (mit-)prüfen, so müsste dessen Kenntnis auch in die Lehr-Lern-Ziele sowie die Lehr-Lern-Aktivitäten mit aufgenommen werden. Sofern methodische Kompetenzen, Reflexionsvermögen, Struktur- und Orientierungswissen sowie Transferfähigkeiten eine wesentliche Rolle im Rahmen der Prüfung spielen sollen, muss also über andere Aufgabenformate nachgedacht werden, was angesichts der starken Fallorientierung in rechtswissenschaftlichen Prüfungen im Allgemeinen sowohl für viele Lehrende als auch regelmäßig für die Studierenden 52 eine besondere Herausforderung darstellen dürfte. Besonderer Berücksichtigung bedarf insofern die Frage, unter welchen Voraussetzungen es sinnvoll sein kann, Studierende in einer Klausur mit ihnen unbekannten Materialien (z. B. ausländischen Gesetzestexten, Auszügen aus Gerichtsentscheidungen oder wissenschaftlichen Texten) zu konfrontieren und hierzu Fragen beantworten zu lassen. Im Hinblick auf eine stärkere Forschungsorientierung liegt hier sicherlich Potenzial; herausfordernd erscheinen jedoch eine angemessene Vorbereitung während des Semesters sowie eine hinreichende Kontextualisierung der Materialien in der Prüfungssituation. Mit Blick auf viele der oben genannten Lehr-Lern-Ziele sehen wir großes Potenzial im Einsatz von Hausarbeiten als Prüfungsform. Im Rahmen einer 52  Von besonderer Bedeutung erscheint insofern eine gute Kommunikation im Vorfeld der Prüfung im Hinblick auf Aufgabenformate, Erwartungen und Bewertungskriterien, idealerweise anhand von Beispielaufgaben.

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kleinen Forschungsarbeit53 können die Studierenden viele der genannten Kompetenzen einüben und sich selbst entsprechendes Wissen aneignen. Aufgrund der verhältnismäßig ungewohnten Methoden und Materien ist jedoch auch ein solches Prüfungsformat als anspruchsvoll sowohl für die Studierenden als auch für die Lehrenden respektive Prüfenden einzustufen. Neben den sich auch in anderen (insbesondere Schwerpunkt-) Arbeiten stellenden Fragen danach, wie beispielsweise vergleichbare Schwierigkeitsgrade verschiedener Themen sichergestellt werden können, dürften hier insbesondere Fragen nach nötigen Vorkenntnissen in Bezug auf Rechtsgebiete, Rechtsordnungen und rechtsvergleichende Methoden im Raum stehen sowie solche nach Sprachkenntnissen und verfügbarer Literatur (s. zu diesen beiden Punkten noch unten). Besonders lohnenswert erscheinen insofern Überlegungen (z. B. aus den Gebieten des forschungs- und problembasierten Lernens54 , aber auch der schreibintensiven Lehre55), die eine gezielte und wohl dosierte Begleitung und Betreuung der entsprechenden Arbeiten im Verlauf ihrer Entstehung vorsehen und so den Lernprozess sowohl unterstützen als auch ihn und sein Ergebnis bewerten.

2. Insbesondere: Staatsexamen Wenngleich im Vorfeld der Tagung – zu Recht – der Wunsch geäußert wurde, dass sich die Tagung nicht in einer Reformdiskussion zur Juristenausbildung verlieren möge56 , kann aufgrund der Situiertheit jeglicher Lehre innerhalb der spezifischen Rahmenbedingungen der Blick auf die Rolle des staatlichen Teils der (Pflichtfach-)Prüfung hinsichtlich der Lehre der Rechtsvergleichung nicht ausbleiben. Dementsprechend weisen sowohl Kötz als auch Martini in ihren Beiträgen auf das insofern existierende Spannungsverhältnis hin. Dieses resultiert zunächst daraus, dass rechtsvergleichende Inhalte nicht zu den Pflichtfächern nach §  5a Abs.  2 DRiG zählen und die Rechtsvergleichung auch unter den

53 Diese könnte ähnlich dem Fallklausur-Format auch an die Arbeitsweise des Trento Common Core-Projekts zum Europäischen Privatrecht angelehnt werden und die Studierenden zur Begutachtung eines Falles nach verschiedenen Rechtsordnungen und dann zu einem Vergleich der Lösungen auffordern. (Für eine Beschreibung des Projekts und der Arbeitsweise s. Bussani/Mattei, The Common Core Approach to European Private Law, 3 Columbia Journal of European Law 1997, 339–356.) Zur Vorbereitung auf eine solche Hausarbeit würde sich beispielsweise eine Betrachtung der entsprechenden Arbeitsmethode, ihrer Chancen und Risiken sowie entsprechender Qualitätskriterien anbieten. 54  Zur Forschungsorientierung in der Lehre siehe bereits oben Fn.  32, 34; zum problem­ orien­tierten Lernen im Jurastudium etwa Oelkers/Kraus ZDRW 2014, 142; Scholkmann ZDRW 2014, 28; v. Gierke, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 196 ff.; Zumbach/Moser, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 125 ff. 55 Eingehend Lahm, Schreiben in der Lehre, 2016, 15 ff. 56  Zwickel ZDRW 2017, 299, 305.

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dort erfassten „Bezügen“ nicht explizit erwähnt wird57. Diese Rechtslage schließt es gleichwohl nicht aus, eine Reihe der oben genannten übergreifenden Lernziele im Staatsexamen abzuprüfen; der Schwerpunkt dürfte hier auf methodischen Kompetenzen liegen, auch mit gesellschaftlichen oder geschichtlichen Grundlagen dürfte es Schnittmengen geben. So sind beispielsweise grundsätzlich sowohl in der Klausur, aber vor allem auch in der mündlichen Prüfung Fragen vorstellbar, die auf die Kontingenz und Kontextabhängigkeit rechtlicher Regelungen Bezug nehmen und insofern kritisches Denken und ggf. auch Vergleichen erfordern. Ausgehend von der Prämisse des „assessment drives learning“ bleibt jedoch festzuhalten, dass es Studierenden angesichts der Fixierung auf die sogenannten Stoffkataloge nur wenig einsichtig sein wird, inwiefern die im Rahmen der Rechtsvergleichung zu erlernenden Inhalte und Kompetenzen für das Staatsexamen von Relevanz sein könnten58 . In dieser Lage erscheint es für Lehrende besonders wichtig, konkrete rechtsvergleichende Inhalte höchst exemplarisch auszuwählen, die Lehr-Lern-Ziele zu explizieren und auch ihren Nutzen für nicht direkt rechtsvergleichendes Arbeiten zu verdeutlichen. Dies gilt umso mehr mit Blick darauf, dass insofern zwischen dem üblicherweise im Staatsexamen Geprüften und dem in der späteren Berufspraxis Hilfreichen keine hundertprozentige Deckung besteht. III. Sprache Auf die zentrale Rolle von Fremdsprachenkenntnissen für rechtsvergleichendes Arbeiten weist Anne Gladitz in ihrem Beitrag hin, in dem sie das Potenzial studienbegleitenden Fachsprachenunterrichts im Hinblick auf die Lernziele der Rechtsvergleichung aufzeigt59. Im Rahmen des rechtsvergleichenden Unterrichts an deutschen juristischen Fakultäten erscheinen Fremdsprachen als eine Herausforderung in zweierlei Hinsicht, nämlich sowohl in Bezug auf die Lehrenden (wenngleich die entsprechende Fachkompetenz üblicherweise mit der Sprachkompetenz einhergehen wird) als auch in Bezug auf die Studierenden. Fragen, mit denen Lehrende in dieser Hinsicht konfrontiert werden, sind etwa: Wie viel Sprachkompetenz in welchen Sprachen brauchen Studierende, um sich auf Rechtsvergleichung in der Lehre gewinnbringend einlassen zu können? Wie viel Sprachkompetenz kann im Rahmen der rechtsvergleichenden Lehre erworben werden und wie lässt sich dieser Kompetenzerwerb angemessen fördern? Wie können juristische Fakultäten im Allgemeinen und rechtsvergleichende Lehre im Besonderen in Bezug auf Fremdsprachen seitens der Studierenden 57  Zur allgemein sehr geringen Rolle der Grundlagenfächer in der Praxis des Staatsexamens: Wissenschaftsrat (Fn.  2), 62. 58  In diese Richtung auch Zwickel (Fn.  11), 138. 59  Allgemein zur Relevanz von Fremdsprachenkompetenz im Jurastudium: Wissenschaftsrat (Fn.  2), 62.

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möglicherweise bestehende Hürden so weit wie möglich abbauen bzw. mit (auch) insofern bestehender Diversität umgehen? Was können Expertinnen und Experten der Rechtswissenschaft in dieser Hinsicht leisten, ohne ausgebildete Fremdsprachenlehrende zu sein? Bestehen insofern Unterschiede zwischen allgemeinen und Sprachkenntnissen und Kenntnis der Fachsprache? Wendehorst hat in ihrem Vortrag auf das Potenzial der Kombination rechtsvergleichender Kurse mit der Vermittlung transnationaler Terminologie hingewiesen. Ein solches Format mag als ein Beispiel dafür dienen, dass Sprache nicht nur ein Stolperstein sein, sondern umgekehrt die Rechtsvergleichung auch als eine Chance in Hinblick auf den Aufbau von fachspezifischer Fremdsprachenkompetenz angesehen werden kann60 . Angesichts der jüngsten Entwicklungen auf dem Markt der online verfügbaren Übersetzungstools61 gilt es schließlich das Potenzial und die Risiken des Einsatzes solcher Tools in der Lehre der Rechtsvergleichung in den Blick zu nehmen. Eine enorme Erweiterung der Anzahl potenziell in der Lehre einsetzbarer Texte auf der einen Seite steht hier den Gefahren (ggf. unerkannt) unrichtiger Übersetzungen sowie falschem Vertrauen auf die Bedeutung vermeintlich bekannter Begriffe gegenüber. Derartige Erfahrungen könnten beispielsweise als Lernanlässe dienen, um das Problem von Übersetzungen im Bereich der Rechtsvergleichung allgemein zu thematisieren. IV. Qualifikation der Lehrenden Kötz wirft die Frage auf, ob – jedenfalls in Deutschland, aber auch in anderen Ländern – eine ausreichende Anzahl an Lehrenden die notwendige Qualifikation und das notwendige Interesse aufweisen, um „den Unterricht rechtsvergleichend so zu erweitern, wie uns das vorschweben mag“62 . In der Tat verlangen manche Spielarten des rechtsvergleichenden oder rechtsvergleichend angereicherten Unterrichts ein hohes Maß an Expertise auf einer Vielzahl von Gebieten. Hierin an sich liegt jedoch möglicherweise noch nicht die eigentliche Herausforderung; in den Diskussionen auf der Tagung wurde vielmehr zu Recht darauf hingewiesen, dass die deutschen Karrierewege in der Rechtswissenschaft einer breiten rechtsvergleichenden Expertise nur eingeschränkt zuträglich sind. Jedenfalls im Hinblick auf die Rekrutierung internationaler und international ausgebildeter Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler bestehen insofern nicht unerhebliche Hürden: dazu zählen insbesondere der breite von den Fakultäten abzudeckende Pflichtfachkanon sowie die damit häufig einher60  In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag des Wissenschaftsrats, Veranstaltungen zum Europa- und Völkerrecht (interessanterweise allerdings nicht zur Rechtsvergleichung) vermehrt in fremden Sprachen anzubieten, Wissenschaftsrat (Fn.  2), 61. 61  Beispielhaft genannt seien deepl.com und translate.google.com. 62  Kötz, Lernziele der Rechtsvergleichung, in diesem Band, 24 f.

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gehende Fokussierung auf die deutschen Staatsexamina als Berufungsvoraussetzung. Vor diesem Hintergrund könnte es sich empfehlen, über Alternativen und Neuerungen nachzudenken. Damit muss nicht immer gleich der große Umsturz gemeint sein; vielmehr erscheint es auch lohnenswert, z. B. die Möglichkeiten des verstärkten Einbezugs von Praktikerinnen und Praktikern in Er­ wägung zu ziehen, die zum Teil über große Expertise in ausgewählten Teilrechtsgebieten und ausländischen Rechtsordnungen verfügen, oder auch das Potenzial von Co-Teaching-Formaten auszuloten, welche beispielsweise von Lehrenden aus zwei verschiedenen Rechtsordnungen angeboten werden könnten63. Selbstverständlich gilt für diese Vorschläge wie auch für jede andere Option, dass die Ziele, die Vorteile und auch die Voraussetzungen solcher Varianten gut durchdacht sein wollen. V. Lehr-Lern-Materialien Ohne Lehr-Lern-Materialien lässt sich Unterricht – auch rechtsvergleichender – schwerlich sinnvoll gestalten. Hierin liegt eine weitere Herausforderung für die Lehrenden, auf die auch Kötz in seinem Beitrag aufmerksam macht. In Verbindung mit den in Bezug auf die Lehr-Lern-Ziele und die curricularen Fragen thematisierten Differenzierungen gilt es auch hier zu unterscheiden zwischen Büchern, die unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Einige Lehrbücher legen den Fokus auf rechtsvergleichende Erkenntnisse aus den Gebieten der Makro- und Mikrorechtsvergleichung, wobei naturgemäß im Mikrorechtsvergleichungsbereich regelmäßig nur ausgewählte Rechtsgebiete abgebildet werden können64. Andere Werke widmen sich primär der Rechtsvergleichung als rechtswissenschaftliche Forschungsmethode65 , wobei wohl nur wenige davon für Studierende („undergraduates“) geeignet sein dürften66 . Kombinationen dieser Grundtypen sind nicht selten, ausgewogene Werke, die den Anspruch haben, sowohl in methodische Fragen einzuführen als auch makro- und mikrorechtsvergleichende Grundlagen zu vermitteln67, bilden unserem Eindruck nach jedoch eher die Ausnahme. Einen Kontrast zu diesen primär als Lehrbü63  Ebenfalls für die verstärkte Einbindung ausländischer Gäste in die juristische Lehre (jedoch ohne Verweis auf Co-Teaching): Wissenschaftsrat (Fn.  2), 61. 64 So beispielsweise das in Deutschland wohl auch heute noch als Standardwerk der Rechtsvergleichung angesehene Lehrbuch von Zweigert/Kötz, (Fn.   37); einen deutlichen Schwerpunkt auf Erkenntnissen der Makrorechtsvergleichung hat das Werk von Kischel, Rechtsvergleichung, 2015. 65 Beispielsweise Samuel, An Introduction to Comparative Law Theory and Method, 2014; auch das Werk von Kischel (Fn. 64) enthält einen substantiellen Teil zur Methode. 66  Dazu zählen wir beispielsweise Siems, Comparative Law, 2. Auflage 2018. 67  So beispielsweise für das Privatrecht: Müller-Chen/Müller/Widmer Lüchinger (Hrsg.), Comparative Private Law, 2015.

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cher gedachten Werken bilden stärker als Lern- und Arbeitsbücher angelegte Formate, die in erster Linie Gerichtsentscheidungen, Normtexte etc. aus verschiedenen Rechtsordnungen (in der Regel übersetzt) zusammenstellen, diese ggf. kontextualisieren und mit Fragen und/oder Erläuterungen versehen68 . Schließlich gibt es auch rechtsvergleichend angelegte Lehrbücher zu einzelnen Rechtsgebieten, deren Fokus darauf liegt, eine bestimmte Regelungsmaterie von Anfang an aus rechtsvergleichender Perspektive, d. h. aufbauend auf den unterschiedlichen Regelungsmodellen ausgewählter Rechtsordnungen, zu erläutern69. Wiederum anderen Lehrformaten entsprechen Lehrbücher zum deutschen Recht mit regelmäßigen rechtsvergleichenden Hinweisen70 und Lehrbücher zur Einführung in ausländische Rechtsordnungen71. Die Vielzahl an unterschiedlichen Formaten, von denen selbstverständlich auch Mischformen existieren, macht bereits ersichtlich, dass eine Auswahl sorgfältig auf die Lehr-Lern-Ziele und das Veranstaltungs- sowie das Prüfungsformat abgestimmt sein will. Die soeben in den Fußnoten aufgeführten Beispiele zeigen, dass auch hier die Sprachfrage wieder eine maßgebliche Rolle spielt, da jedenfalls das Spektrum an zur Verfügung stehenden Materialien sich maßgeblich erweitert, sobald zumindest englischsprachige Literatur mit einbezogen wird. Insbesondere bei Beschränkung allein auf die deutschsprachigen Werke wird eine weitere Herausforderung offenbar, mit der aber letztlich alle Publikationen konfrontiert sind, die eine Vielzahl von Rechtsordnungen berücksichtigen: immer wieder überholt die gesetzgeberische (oder auch justizielle) Entwicklung in einzelnen Ländern die Geschwindigkeit, in der Neuauflagen erscheinen können, was die Lehrenden in besonderem Maße in ihrer Expertise in Anspruch nimmt. Schließlich – darauf hat auch Heringa in seinem Vortrag hingewiesen – besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Zahl (und nicht zuletzt sicher auch der Qualität) der zur Verfügung stehenden Lehr-Lern-Materialien und der Forschungstätigkeit auf den betreffenden Gebieten: wo rechtsvergleichend geforscht wird, liegt es deutlich näher, entsprechende Werke zu publizieren und zu aktualisieren. Insofern lässt sich jedenfalls darüber nachdenken, was der verhältnismäßig wohl eher bescheidene Anteil deutscher Autorinnen und Autoren in diesem Bereich aussagt.

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Als Beispiel mag dienen: Kadner Graziano, Comparative Contract Law, 2. Auflage 2019. Beispiele hierfür sind etwa: Heringa, Constitutions compared: An introduction to comparative constitutional law, 4. Auflage 2016; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Auflage 2015; Smits, Contract Law: A Comparative Introduction, 2. Auflage 2017. 70 Beispielsweise Rüthers/Stadler, Allgemeiner Teil des BGB, 19. Auflage 2017. 71 Beispielsweise Hay, US-Amerikanisches Recht, 6. Auflage 2015. 69 

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C. Ausblick Aus didaktischer Perspektive bergen das Lehren und Lernen der Rechtsvergleichung einerseits, aber auch der Einsatz rechtsvergleichender Elemente in der Lehre andererseits vielfältige Chancen, angesichts derer es sich lohnt, sich den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen. Es steht zu wünschen, dass die Lektüre der in diesem Band versammelten Beiträge dabei als Anregung dienen kann und der Austausch zwischen den Lehrenden fortgesetzt wird.

Lernziele der Rechtsvergleichung* Hein Kötz Mein Thema sind die „Lernziele der Rechtsvergleichung“, also ein Gegenstand, der, wenn man ihn genauer betrachtet, ziemlich beschränkt ist. Es geht nämlich nicht um die allgemeine Frage nach den Methoden der Rechtsvergleichung, selbst wenn darüber in den letzten Jahren häufig diskutiert worden ist. Es geht auch nicht in erster Linie um den Beitrag, mit dem die Rechtsvergleichung den Gesetzgeber bei der Produktion nationaler oder europäischer Gesetze unterstützen kann, ebenso wenig um ihre Bedeutung für die internationale Rechtsvereinheitlichung, auch nicht darum, wie sie dem Richter bei der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung helfen kann und worin ihr Nutzen liegt, wenn man an die Berufspraxis der Rechtsanwälte denkt. Sicherlich ist es richtig, dass Jurastudenten später oft Richter oder Rechtsanwälte werden oder Aufgaben bei der Ausarbeitung von Gesetzen übernehmen. Und richtig ist auch, dass rechtsvergleichende Kenntnisse für diese beruflichen Tätigkeiten große Bedeutung haben können. Warum das der Fall ist, soll dennoch nicht im Vordergrund meiner Überlegungen stehen, zumal die Beiträge von Pascal Hachem1 und Stefan Martini 2 sich mit diesen Fragen ausführlich beschäftigen. Ich möchte mich ganz auf die „Lernziele“ der Rechtsvergleichung konzentrieren, also auf dasjenige, was der Student – unabhängig von seiner künftigen beruflichen Tätigkeit – im juristischen Unterricht lernen soll, wenn in Vorlesungen, Seminaren, Kolloquien oder Übungen rechtsvergleichend gearbeitet wird. Was es praktisch bedeutet, wenn man sagt, dass im juristischen Unterricht „rechtsvergleichend“ gearbeitet wird, ist vermutlich ziemlich klar. Rechtsvergleichend geht derjenige Dozent vor, der – um Beispiele zu nennen – die Gesetzgebungstechniken, an die wir in Deutschland gewohnt sind, mit den Gesetzgebungstechniken anderer Länder vergleicht oder wer die unterschiedlichen Kodifikationsstile, die unterschiedlichen Methoden der Gesetzesauslegung, die unterschiedliche Bedeutung von Gesetzesrecht oder die unterschiedlichen Urteilsstile darstellt, oder wer vergleicht, wie im Prozess die Arbeitsteilung zwischen Richtern und Anwälten bei uns und wie sie in anderen Ländern ausgestaltet ist. Aber auch derjenige Dozent arbeitet rechtsvergleichend, der in seiner * 

Die Vortragsfassung des Beitrags wurde beibehalten. In diesem Band, S.  75 ff. 2  In diesem Band, S.  47 ff. 1 

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Lehrveranstaltung zeigt, dass bestimmte einzelne Sachprobleme oder bestimmte einzelne Interessenkonflikte bei uns anders als im Ausland gelöst werden, oder dass sie zwar im Ergebnis bei uns ebenso wie dort gelöst, zu diesem Zweck aber bei uns doch ganz andere Rechtsinstitute eingesetzt werden. Was bei uns als Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung daherkommt, ist anderswo bei gleichem Sachverhalt ein Deliktsanspruch. Wo wir jemanden als falsus procurator gemäß §§  177 ff. BGB haften lassen, ist im Common Law ein Anspruch aus breach of trust gegeben, und wo der deutsche Jurist mit einer raffinierten Kombination aus culpa in contrahendo und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte jongliert, geht es anderswo um einen schlichten Anspruch aus unerlaubter Handlung. Diese Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, stammen zwar alle aus dem Zivilrecht. Aber ich habe wenig Zweifel daran, dass sich ähnliche Beispiele auch im Verfassungsrecht, im Verwaltungsrecht und im Strafrecht finden lassen. Einigkeit besteht wohl auch über die Lernziele, die verfolgt werden, wenn rechtsvergleichende Elemente in den juristischen Unterricht eingefügt werden. Dem Studenten 3 soll auf diese Weise gezeigt werden, dass das deutsche Recht nur eine von mehreren Regelungsmöglichkeiten verwirklicht, dass seine dogmatischen Klassifikationen nicht in Erz gegossen sind und dass dasjenige, was im deutschen Recht manchmal geradezu im Kleide des Naturrechts daherzukommen scheint, schon dann ganz anders gesehen wird, wenn man sich vorstellt, dass eine Staatsgrenze überschritten ist und das gleiche Sachproblem ­unter der Geltung einer anderen Rechtsordnung entschieden werden muss. Rechtsvergleichende Überlegungen sollen freilich dem Studenten nicht nur ein Gegengift gegen den Glauben an den Ewigkeitscharakter der Figuren des eigenen Rechts verabreichen. Sie sollen ihm auch den Sinn dafür schärfen, dass die dogmatischen Konstruktionen des eigenen Rechts zwar zu seiner inneren Ordnung und Stabilisierung nötig sind, aber letztlich doch nur Handwerkszeug darstellen, bloß instrumentale Funktion haben, nie allein aus sich heraus die richtige Lösung des Falles garantieren können und deshalb als durchaus zweckabhängig und als bloß vorläufig und variabel behandelt werden müssen. Wer immer wieder erfahren hat, wie sich in verschiedenen Rechtsordnungen über alle nationalen Dogmatiken hinweg gleiche oder auch unterschiedliche Lösungen abzeichnen, kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass die wirklich bewegenden Kräfte des Rechtslebens nicht in der Dogmatik per se zu suchen sind, sondern ihren Sitz anderswo haben, etwa – um Beispiele zu nennen – in der besonderen historischen Entwicklung, die eine Rechtsordnung genommen hat, in bestimmten ökonomischen Gesetzmäßigkeiten oder darin, dass das besonde-

3  Ich bemerke nur am Rande, was selbstverständlich ist und deshalb besondere Erwähnung eigentlich gar nicht verdient, nämlich, dass ich unter einem Studenten stets auch eine Studentin verstehe.

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re soziale oder politische System eines Landes andere Wertungen gebietet, als sie anderswo – auch bei uns – in Geltung sind4. Damit berühren wir einen Punkt, über den gerade in Deutschland häufig gestritten worden ist. Er betrifft das Verhältnis, das in der Juristenausbildung zwischen den rechtsdogmatischen Fächern und den sogenannten Grundlagenfächern, also auch der Rechtsvergleichung, besteht. Besonders der Wissenschaftsrat ist 2012 in seiner Stellungnahme zu den „Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland“ von dieser Unterscheidung zwischen den dogmatischen Fächern und den Grundlagenfächern ausgegangen. Sein Hauptpetitum ist „die Stärkung der Grundlagenfächer, die Intensivierung des interdisziplinären wie disziplinären Austausches und eine Öffnung der Rechtswissenschaft in die Universität wie in das Wissenschaftssystem“5. Daraus zieht der Wissenschaftsrat den Schluss, dass die Grundlagenfächer, die es mit den historischen, philosophischen, ökonomischen und den sozial- und politikwissenschaftlichen Aspek­ten des Rechts zu tun haben, in der juristischen Ausbildung stärkeres Gewicht erhalten sollten. Es reiche nicht aus, wenn die Grundlagenfächer „ausschließlich durch separate Veranstaltungen in den ersten Semestern behandelt und damit als erledigt betrachtet werden“: Notwendig sei vielmehr, dass sie „auch in späteren Phasen des Studiums präsent“ sind6 . Besondere Aufmerksamkeit richtet der Wissenschaftsrat auf das Grundlagenfach der Rechtsvergleichung. Die Studenten müssten sich „auf juristische Denk- und Theorietraditionen anderer Länder einstellen und sich auf eine fortschreitend europäisierte Rechtspraxis vorbereiten können“. Er ist „deshalb der Meinung, dass im rechtswissenschaftlichen Studium rechtsvergleichende Perspektiven stärker verankert werden sollten“7. Diese Forderung des Wissenschaftsrats halte ich für zutreffend. Ich meine sogar, dass man noch ein Stück weitergehen, nämlich annehmen muss, dass die Rechtsvergleichung eine besondere Bedeutung als Türöffnerin für die anderen Grundlagenfächer hat. Besser als jedes andere Fach kann sie 4  Vgl. dazu auch Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, 54 ff.; Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Auflage 1996, 20 ff.; Kötz, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik, RabelsZ 54 (1990), 203. 5  Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland, Situation, Analysen, Empfehlungen, 2012, 7, 30 ff. Die Forderungen des Wissenschaftsrats haben im Schrifttum ein geteiltes Echo gefunden. Vgl. z. B. die Stellungnahmen von Grundmann, Gutmann, Hillgruber, Lorenz, Rixen und Stolleis in: JZ 2013, 693–714. Vgl. auch Auer, Zum Erkenntnisziel der Rechtstheorie, Philosophische Grundlagen multidisziplinärer Rechtswissenschaft, 2018: Sie hält die Getrenntführung von dogmatischen und Grundlagenfächern für nicht überzeugend und plädiert für eine „Rechtstheorie“, die als Basistheorie einer theoretisch anspruchsvollen Rechtswissenschaft „in der Lage ist, Rechtsdogmatik mit Philosophie sowie mit den Erkenntnissen aller anderen klassischen juristischen Grundlagen- oder Nachbarwissenschaften wie Rechts- und Kulturvergleichung, Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaft und Ökonomie … zu verbinden“ (a. a. O. 11). 6  Wissenschaftsrat (Fn.  2), 58. 7  Wissenschaftsrat (Fn.  2), 61.

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nämlich dem Studenten zeigen, warum es in vielen Fällen auf historische, ökonomische, soziologische oder politikwissenschaftliche Erklärungen ankommt. Ich sehe deshalb ein wichtiges „Lernziel“ der Rechtsvergleichung darin, dass sie – ich würde sogar sagen: gerade sie – dem Studenten zeigt, warum die Erkenntnisse der genannten Grundlagenfächer für die wissenschaftliche Reflexion des Rechts und der juristischen Praxis eine große Rolle spielen. Lassen Sie mich dafür einige Beispiele nennen. Was die Geschichtswissenschaft anlangt, so ist ja schon zweifelhaft, ob man überhaupt zwischen Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte eine scharfe Trennlinie ziehen kann8 . Wer Rechtsvergleichung auf großer Fläche betreibt und in seinen Studenten Verständnis für den besonderen Stil des französischen Code Civil oder des Common Law wecken will, kommt um historische Überlegungen nicht herum, dies auch dann nicht, wenn er selbst gar nicht Rechtshistoriker vom Fach ist, aber doch vielleicht Paul Koschakers hinreißendes Buch über „Europa und das römische Recht“9 gelesen hat. Aber auch derjenige, der Einzelfragen des Vertrags- oder des Deliktsrechts rechtsvergleichend behandelt, wird oft nur durch historisches Material zeigen können, warum es in den europäischen Rechtsordnungen zu den gleichen oder auch zu unterschiedlichen Lösungen gekommen ist. Nirgendwo wird dies so deutlich gemacht wie in dem Buch von Zimmermann über „The Law of Obligations“10 . Dieses Buch nimmt zwar seinen Ausgangspunkt bei einer Darstellung des römischen Schuldrechts. „Aber dort macht es nicht halt. Es verfolgt den Weg, den die römischen Regeln im älteren und neueren ius commune genommen haben; es beschreibt, wie diese Regeln von den kontinentaleuropäischen Zivilgesetzbüchern rezipiert worden sind; und es zeigt schließlich, was die deutsche und die französische, die englische und die südafrikanische Rechtsprechung bis in die Gegenwart hinein aus diesen Regeln gemacht hat … Der Verfasser arbeitet also stets zugleich als Rechtshistoriker und Rechtsvergleicher, und es wäre ziemlich sinnlos, wollte man die Frage stellen, wo in diesem Buch die rechtshistorische Betrachtung endet und wo die rechtsvergleichende beginnt.“11

Die Rechtsvergleichung kann aber die geschilderte „Türöffnerfunktion“ auch dort haben, wo dem Studenten gezeigt werden soll, welchen Gewinn die ökonomische Analyse von Rechtsnormen verspricht. Vielleicht kann ich dies mit Hil8  Vgl. dazu Zweigert/Kötz (Fn.  1), 8; Kötz, Was erwartet die Rechtsvergleichung von der Rechtsgeschichte?, JZ 1992, 20. Das Verhältnis zwischen Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung wird ausführlich behandelt in: Caroni/Dilcher (Hrsg.), Norm und Tradition: welche Geschichtlichkeit für die Rechtsgeschichte?, 1998. Vgl. dort die Beiträge von Zimmermann, Savignys Vermächtnis, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer europäischen Rechtswissenschaft (a. a. O., S.  281 ff.) und Kötz, Vom Beitrag der Rechtsgeschichte zu den modernen Aufgaben der Rechtsvergleichung (a. a. O., S.  153 ff.). 9  Koschaker, Europa und das römische Recht, 4.  Aufl. 1966. 10  Zimmermann, The Law of Obligations, Roman Foundations of the Civilian Tradition, 1990. 11  So die Rezension von Kötz, RabelsZ 54 (1990), 770 f.

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fe einer Anekdote verdeutlichen12 . Es ist beinahe 50 Jahre her, dass ich als Gastdozent an der University of Chicago Law School Lehrveranstaltungen gehalten habe. Ich lernte dort bald Richard Posner kennen, damals noch ein junger Mann, der sich von morgens bis abends über seine Schreibmaschine beugte und – übrigens ohne Sekretärin, ohne Assistenten und ohne Drittmittel – an dem Manuskript seines später sehr bekannt gewordenen Buches über Economic Analysis of Law arbeitete. Nach mancherlei Gesprächen, die wir über sein Thema und seine Methode geführt hatten, begann ich zu ahnen, was ihn umtrieb, aber dass ich mich als Rechtsvergleicher für die Sache zu interessieren haben würde, wurde mir erst dann klar, als Posner eines Tages in meinem Büro erschien und sagte: „You keep telling me that different legal systems, despite the great differences in their historical development and conceptual structure, often produce the same solutions for the same problems of life. What better explanation is there for this phenomenon than that all judges draw their inspiration from the same secret root of economic logic?“

Dass diese Annahme plausibel ist, ließe sich an vielen Beispielen zeigen. Ich will nur ein einziges erwähnen. Im Zuge der Bemühungen um ein einheitliches europäisches Zivilrecht hat die Wissenschaft für viele Rechtsgebiete – z. B. für das Vertrags- und Deliktsrecht, für das Zivilprozess-, Insolvenz- und Treuhandrecht, auch für bestimmte Gebiete des Familienrechts – gemeinsame Regelungsgrundsätze entwickelt13. Geltendes Recht sind sie nicht. Aber sie haben – wie alle Produkte wissenschaftlicher Forschung – eine gewisse persuasive ­authority. Wie kann man nun erklären, dass es im Vertragsrecht – und zwar nur im Vertragsrecht – gelungen ist, mit den Principles of European Contract Law Lösungen vorzuschlagen, die sogar detaillierte Einzelfragen übereinstimmend regeln und noch dazu in Europa als weithin gelungen angesehen werden? Dass das Vertragsrecht in dieser Hinsicht dem Deliktsrecht und den anderen eben genannten Rechtsgebieten – vom Bereicherungsrecht und dem Sachenrecht will ich gar nicht erst reden – weithin den Rang abgelaufen hat, ist nicht ein bloßes Werk des Zufalls. Die Erklärung liegt, wie mir scheint, darin, dass die Principles of European Contract Law dispositive Regeln enthalten, also dasjenige wiedergeben, was vernünftige Parteien als angemessen angesehen hätten, wenn sie, ohne Rücksicht auf Transaktionskosten nehmen zu müssen, über die Verteilung des in Rede stehenden Risikos Verhandlungen geführt hätten. In diesem Fall hätten sie eine Vereinbarung getroffen, die jenes Risiko so verteilt, wie dies durch die ökonomische Logik nahegelegt wird, so nämlich, dass von den knappen Ressourcen der Parteien ein wirtschaftlicher und deshalb effizienter Ge12  Ich habe diese Anekdote schon früher erzählt. Vgl. Kötz, Coase-Theorem und Schweinepanik, in: Hadding (Hrsg.), Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/35, 1999, 245 f., abgedruckt auch in: Kötz, Undogmatisches, 2005, 206 f. 13  Die Texte dieser „Gemeinsamen Rechtsgrundsätze“ sind in gesammelter Form abgedruckt in: Schulze/Zimmermann (Hrsg.), Europäisches Privatrecht, Basistexte, 5. Auflage 2016, 621–1032.

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brauch gemacht wird. Diese Überlegungen sind nun aber ubiquitär. Sie machen an staatlichen Grenzen nicht Halt und sind in Frankreich dieselben wie in Deutschland und Italien. So lässt sich erklären, warum die Principles of European Contract Law für das Vertragsrecht in ganz Europa als eine brauchbare Einheitslösung akzeptiert und in manchen Staaten – zuletzt in Frankreich – auch als Vorlage für die nationale Reformgesetzgebung herangezogen worden sind. Nicht nur ökonomische Überlegungen sind es freilich, denen die Rechtsvergleichung den Weg ebnen kann, sondern auch Erkenntnisse der anderen Sozialwissenschaften. Wer sich – um ein Beispiel zu nennen – rechtsvergleichend mit der Deliktshaftung für fehlerhaft hergestellte Produkte beschäftigt, wird darstellen müssen, dass und warum auf diesem Gebiet in den Vereinigten Staaten eine ganz andere Musik als in Europa gespielt wird. Er wird die besondere Rolle der jury in Produkthaftungsprozessen erwähnen müssen, ebenso die Verteilung der Prozesskosten, die Zulässigkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars für den klägerischen Anwalt, die Zubilligung von punitive damages, die Gewährung weitgehender discovery-Ansprüche schon vor der eigentlichen Verhandlung der Sache, auch die Möglichkeit, viele Tausende von Produkthaftungsansprüchen zu einer class action zu verbinden, über die in einem einzigen Prozess entschieden wird. Damit aber nicht genug. Der Rechtsvergleicher muss sein Netz noch weiter auswerfen: Er muss erklären, wie es kommt, dass zwar überall ein Interesse am Schutz des Kunden vor fehlerhaften Produkten besteht, dass aber die Wahrung dieses Interesses in Europa weitgehend auch dem Verwaltungs- und Strafrecht überlassen wird, während man in den USA, wo es ein tiefes Misstrauen gegen die Wirksamkeit staatlicher Regulierungen gibt, sich ganz und gar auf die Klageinitiative Privater verlässt und deshalb – wie der Supreme Court in einem ähnlichen Fall gesagt hat – gerade sie als den chief regulator of corporate management14 ansieht. Ob man diesen Unterschied sodann durch ein gut ausgewähltes Tocqueville-Zitat belegt oder auch durch einen Hinweis auf die Ergebnisse der modernen vergleichend-sozialwissenschaftlichen Forschung, macht keinen wesentlichen Unterschied. Worauf es ankommt, ist lediglich, dass rechtsvergleichende Lehrveranstaltungen in dem Studenten das Bewusstsein dafür schärfen können, dass Rechtsnormen nicht geradenwegs dem Haupt des Zeus entspringen, sondern mit Wertungen verknüpft sind, denen im Einzelnen nachzuspüren eine Aufgabe der anderen Sozialwissenschaften ist. Lassen Sie mich zum Abschluss einige Punkte erwähnen, zu denen ich zwar nichts gesagt habe, aber doch auf Beiträge von anderen Teilnehmern dieses Symposiums hoffe. Nichts habe ich zu der Frage gesagt, ob es in Deutschland, aber auch in anderen Ländern genügend Lehrpersonal gibt, das die Qualifikationen und das Interesse hat, den Unterricht rechtsvergleichend so zu erweitern, wie 14 

Cohen v. Beneficial Industries Loan Corporation 337 U.S.  541, 547 f. (1949).

Lernziele der Rechtsvergleichung

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uns das vorschweben mag. Mit Recht hat ferner Stefan Grundmann beanstandet, dass es in Deutschland, aber auch in anderen Ländern an Lehrbüchern fehlt, die – mit seinen Worten – „nicht mehr nur die Dogmatik darstellen, sondern diese mit einer theoretischen, auch mit interdisziplinären und vergleichenden Perspektiven verbinden“15. Besteht nicht ein weiteres Lernziel der Rechtsvergleichung sogar darin, den Studenten vor Augen zu führen, dass in Europa die Existenz nationaler Rechtsordnungen vielleicht schon ein Phänomen der Vergangenheit ist und wir uns auf dem Wege zu einer Europäisierung des Privatrechts befinden? Ist deshalb vielleicht schon der Zeitpunkt gekommen, in dem die Rechtsvergleichung nicht bloß als selbständiges Grundlagenfach behandelt, sondern in den dogmatischen Unterricht „integriert“ werden sollte? Trifft nicht zu, was der amerikanische Rechtssoziologe Roscoe Pound schon vor mehr als 80 Jahren gesagt hat, nämlich dass „comparative law will best be taught, for the purposes of our professional instruction, in the course of teaching the law of the land“16? Sollte nicht eine Lehrveranstaltung über deutsches Vertragsrecht ersetzt werden durch eine rechtsvergleichend angelegte Veranstaltung über das europäische Vertragsrecht? Ich bin gespannt zu hören, was Frau Wendehorst zu dieser Frage sagen wird, und ich hoffe auch, dass Herr Heringa schildern wird, dass es in den Niederlanden juristische Ausbildungsgänge gibt, die diese Integrationsforderung schon heute erfüllen. Auch ich selbst war früher dieser Meinung17. Und ich gebe gern zu, dass ich mich 1996 nach dem Erscheinen meines Buches über „Europäisches Vertragsrecht“ eine Zeit lang der süßen Illusion hingegeben habe, es werde früher oder später juristische Fakultäten in Deutschland geben, die sich – jedenfalls auf dem Gebiet des Vertragsrechts – für die geschilderte Integration des dogmatischen und des rechtsvergleichenden Unterrichts entscheiden. Heute – mehr als 20 Jahre später – und auch nach Gründung der Bucerius Law School sehe ich, dass die geschilderten Hoffnungen ganz und gar vergeblich waren. In England wird manchmal behauptet: „A good talk, like a good musical, has a melody at the end that people can whistle to themselves on the way out.“ Ich muss leider sagen, dass mein Abgesang einen eher düsteren Charakter hat. Wenn wir in dieser Runde zu dem Ergebnis kommen sollten, dass die Rechts15  Grundmann, Ein doppeltes Plädoyer für internationale Öffnung und stärker vernetzte Interdisziplinarität, JZ 2013, 693, 696. Für Deutschland nennt er als Ausnahme Kötz/Wagner, Deliktsrecht, 13. Auflage 2016. Vgl. auch das Vorwort zu Kötz, Vertragsrecht, 2. Auflage 2009, wo es heißt, es werde mit diesem Lehrbuch der Versuch gemacht, „mit Hilfe des ökonomischen Denkansatzes zu zeigen, wie der Interpretationsspielraum, den das geltende Gesetzesrecht lässt, auch im Vertragsrecht genutzt werden kann, um Handlungsanreize zu setzen, die zu sparsamem Umgang mit den knappen vorhandenen Ressourcen anspornen und dadurch den Wohlstand aller verbessern helfen“ (S. VII). 16  Pound, The Place of Comparative Law in the American Law School Curriculum, Tulane Law Review 8 (1934), 161, 168. 17 Vgl. Zweigert/Kötz (Fn.  1), 22 f.; vgl. auch Kötz, RabelsZ 36 (1972), 565, 571 f.

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Hein Kötz

vergleichung wegen ihrer wichtigen Lernziele im juristischen Unterricht ein größeres Gewicht bekommen sollte, so kann das nur gelingen, wenn anderer Ausbildungsstoff zurückgeschnitten wird. So sieht es auch der Wissenschaftsrat. Auch nach seiner Meinung kommt eine stärkere Berücksichtigung der Grundlagenfächer – auch der Rechtsvergleichung – nur dann in Betracht, wenn die Überfülle dogmatischer Lehrveranstaltungen abgebaut und der Pflichtstoff in Lehre und Prüfung gekürzt wird18 . Das halte ich für richtig, und aller Ehren wert ist es auch. Aber mehr als eine fromme Hoffnung liegt darin nicht, jedenfalls so lange nicht, wie Deutschland als praktisch einziges Land der Welt an der Ersten Juristischen Staatsprüfung festhält. Für die allesentscheidende Note dieser Prüfung kommt es grundsätzlich nicht auf die Leistungen an, die der Student während seines Studiums erzielt hat. Stattdessen sind für diese Note nur solche Leistungen notwendig, die er in der Staatsprüfung selbst erbringt, und zwar in jenem eisernen Kanon von Pflichtfächern, die bis ins Detail hinein gesetzlich reguliert sind und in denen der Student zum gleichen Zeitpunkt sowohl das Einfachste wie das Schwierigste prästieren muss. Es ist klar, dass sich alle juristischen Fakultäten in Deutschland diesem System fügen müssen und dass keine Fakultät mit der anderen dadurch in Wettbewerb treten kann, dass sie eine Ausbildung anbietet, die eigene Wege geht, den dogmatischen Pflichtstoff reduziert und den Akzent auf eine Öffnung des Fachs zugunsten der Rechtsvergleichung und der anderen Grundlagenfächer legt. Es mag Sie überraschen, dass gerade ein Rechtsvergleicher diese für sein Fach so düstere Prognose stellt. Aber das zeigt vielleicht, wie ernst es mir mit dieser Prognose ist und dass ich meine, was ich sage. Es verhält sich ebenso wie in der Bemerkung, die man dem englischen Mathematiker Hardy zuschreibt: „If the Archbishop of Canterbury says he believes in God, that’s all in the way of business, but if he says he doesn’t one can take it he means what he says.“

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Wissenschaftsrat (Fn.  3), 61 f.

Vergleichende Perspektiven auf die Rolle der Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung Konrad Duden und Jennifer Trinks Die Rechtsvergleichung stellt Wissenschaft und Lehre länderübergreifend vor didaktische Herausforderungen. Daher bietet es sich geradezu an, die Rolle der Rechtsvergleichung in der juristischen Ausbildung auch rechtsvergleichend zu betrachten, gleichsam eine „Rechtsvergleichung der Rechtsvergleichung“ zu wagen. Sie zeigt verschiedene Wege auf, wie rechtsvergleichende und inter­na­tio­ nale Inhalte in den Ausbildungsalltag integriert werden. Damit lädt sie ein, sich den didaktischen Wert der Lehre rechtsvergleichender Inhalte zu vergegenwärtigen und zu hinterfragen, wie dieser in verschiedenen Facetten des Lehralltags verwirklicht werden kann. Rechtsvergleichende Angebote im Studium sind stets im Kontext von Juristenausbildung und juristischer Profession am jeweiligen Studienort zu sehen. Erst eine Einordnung in den Ausbildungsweg ermöglicht es, den didaktischen Beitrag zu bewerten, den solche Inhalte leisten. Aufmerksamkeit gebührt daher zunächst den Eckpfeilern der Juristenausbildung in verschiedenen Ländern (A.). Ausbildungs- und Karrierewege zeigen eine beeindruckende Vielfalt, und mindestens ebenso bunt sind die Studienordnungen an den Hochschulen. Als Trend zeichnet sich ab, dass der Rechtsvergleichung im engeren Sinne nur begrenzte Bedeutung zukommt. Allerdings tragen auch andere Fächer, die sich nicht vorrangig der Rechtsvergleichung widmen, internationale und vergleichende Elemente in die Juristenausbildung (B.). Dies wirft schließlich die Frage auf, inwiefern diese verwandten Disziplinen Lernziele der Rechtsvergleichung abdecken können und welche Lücke das Fehlen originär rechtsvergleichender Kurse hinterlässt (C.).

A. Eckpfeiler der Juristenausbildung Versteht man die Juristenausbildung als den Prozess, den junge Menschen typischerweise durchlaufen, bevor sie klassisch juristische Berufe wie den des ­Anwalts oder Richters ausüben können, genügt der Blick auf das Hochschulstudium regelmäßig nicht. So knüpft vielfach an das universitäre Studium eine

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praktische Lehrzeit, die auf die Berufsausübung vorbereiten soll1. Dieser Zweispurigkeit entsprechend sollen einige Schlaglichter zunächst Grundstrukturen und Modelle des Hochschulstudiums in verschiedenen Rechtsordnungen beleuchten (I.), bevor typische Wege in Anwaltschaft und Richterschaft die rechtsvergleichende Skizze der klassischen Juristenausbildung abschließen (II.). I. Hochschulstudium Die Suche nach internationalen Gemeinsamkeiten in der Ausbildung junger Juristen fördert vor allem eine Konstante zutage: Der Weg in die klassisch juristischen Berufe des Anwalts und Richters führt inzwischen nahezu allerorts über ein Hochschulstudium 2 . Ausnahmen bestätigen allerdings auch diese Regel: Einige Rechtsordnungen erlauben es beispielsweise Personen mit Erfahrung in juristisch geprägten Bereichen, die Anwaltszulassung auch ohne Universitätsstudium zu erwerben. In Schottland können sich etwa Mitarbeiter von Rechtsanwälten berufsbegleitend im Rahmen eines sogenannten pre-PEAT training contract auf die praktische Anwaltsausbildung und die Zulassung zum solicitor vorbereiten 3. Auch in England könnte eine gegenwärtig in Rede stehende Reform ein juristisches Hochschulstudium zumindest auf dem Weg zum solicitor entbehrlich machen4. Einige wenige Anwaltskammern US-amerikanischer Staaten lassen Anwärter zur Prüfung zu, die nicht an einer Hochschule studiert, sondern unter Aufsicht eines Anwalts oder Richters den Umgang mit Recht gelernt haben 5. Im Zuge einer umfassenden Reform seiner Juristenausbildung hat im Jahre 2011 auch Japan die Aufnahmeprüfung für den praktischen juristischen Vorbereitungsdienst zum Anwalt und Richter für Kandidaten geöffnet, die keinen juristischen Studienabschluss haben. Sie können durch eine gesonderte Prüfung Aufnahme in das Juristische Ausbildungs- und Forschungsinstitut in Tokyo erlangen und so den Weg in Anwaltschaft und Rich1  Vgl. auch Raff, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 33, 35. 2  Henssler, in: Schauer/Verschraegen (Hrsg.), General Reports of the XIXth Congress of the International Academy of Comparative Law, 2017, 261, 269. 3  Law Society of Scotland, Alternatives to university, https://www.lawscot.org.uk/qua lifying-and-education/qualifying-as-a-scottish-solicitor/alternatives-to-university/ (zuletzt besucht am 31.05.2018). 4  Vgl. Pressemitteilung der Solicitors Regulation Authority vom 25.04.2017, https://www. sra.org.uk/sra/news/press/2017/sqe-ensure-high-consistent-standards/ (zuletzt besucht am 31.05.2018). 5  So z. B. die State Bar of California, Rules 4.26(B)(1), 4.29 of the State Bar. Vgl. auch Farrell, N.Y. Times vom 30.07.2014, verfügbar unter https://www.nytimes.com/2014/08/03/ education/edlife/how-to-learn-the-law-without-law-school.html (zuletzt besucht am 31.05. 2018). Dieser rein praktische Lehransatz führt die anglo-amerikanische Juristenausbildung letztlich zurück zu ihren Wurzeln, vgl. zur historischen Entwicklung der Juristenausbildung in den USA nur Martinez, 9 Charleston L. Rev. 267, 269 ff. (2015).

Vergleichende Perspektiven: Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung

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teramt einschlagen6 . Ursprünglich richtete sich diese Ausnahmebestimmung primär an Personen, die sich die juristische Ausbildung an einer Hochschule nicht leisten konnten oder wegen einschlägiger Berufserfahrung darauf verzichteten. Praktisch scheinen aber auch Studierende diese Möglichkeit zu nutzen, um die reguläre Studienzeit abzukürzen7. Auf dem Weg ins Richteramt kann auch insbesondere dort ein juristisches Studium entbehrlich sein, wo Richter demokratisch gewählt werden. Die prominentesten Beispiele liefern wohl der Supreme Court der USA und das schweizerische Bundesgericht, deren Richter zumindest nach dem Gesetzestext nicht zwingend eine juristische Vorbildung benötigen8 . In der Praxis der Höchstgerichte schlägt sich dies freilich nicht mehr nieder: Berufen werden in der Regel Juristen, die sich bereits in Praxis oder Wissenschaft in ihrem Fach ausgezeichnet haben. Lediglich in den unteren Instanzen begegnet man hin und wieder Richtern, die ohne juristischen Abschluss ins Amt gekommen sind. In einigen US-amerikanischen Bundesstaaten finden sich beispielsweise Nicht-Juristen unter den Friedensrichtern, die über geringe Vergehen und Rechtsstreite entscheiden9. Letztlich bestätigen diese Ausnahmen aber nur die Regel, dass die Juristenausbildung an einer Hochschule beginnt. Das Studium nimmt in den verschiedenen Rechtsordnungen wiederum unterschiedliche Formen an. Selbst innerhalb Europas unterscheiden sich Studienstruktur und -inhalt merklich zwischen den einzelnen Staaten. Daran hat auch der Bologna-Prozess nicht viel geändert. Zwar haben die meisten Länder ihre Studienabschlüsse auf das Bachelor-Master-System umgestellt10 . In vielen Fällen bedeutete dies aber keine substantielle Reform oder inhaltliche Angleichung der Ausbildung. Nichtsdestotrotz bestehen immerhin in Kontinentaleuropa einige Gemeinsamkeiten. Sie beginnen bei den Studienvoraussetzungen: So ist das Jurastudium dort typischerweise ein grundständiges Studium, d. h. das Studium schließt unmittelbar an den Erwerb der Hochschulreife an11. Das Gegenmodell zum grundständigen Studium, Rechtswissenschaften als postgraduales Studium, 6 

Watson, ZJapanR 41 (2016), 1, 15, 33. Watson (Fn.  6), 33 f.; vgl. auch Nottage, ZJapanR 42 (2016), 31, 32. 8  Vgl. Art.  5 Abs.  2 des schweizerischen Bundesgerichtsgesetzes. Dazu auch die Internetseite des Bundesgerichts: „Eine (umfassende) Rechtsausbildung ist verfassungsrechtlich nicht erforderlich, in der Praxis allerdings unerlässlich.“ https://www.bger.ch/index/federal/fe deral-inherit-template/federal-faq/federal-faq-15.htm (zuletzt besucht am 31.05.2018); auch die Verfassung der USA stellt keine besonderen Anforderungen an die Richter des Supreme Court, vgl. U.S. Const. Art.  3, §  1. 9  Vgl. auch Ford, The Atlantic vom 05.02.2017, https://www.theatlantic.com/politics/archive/2017/02/when-your-judge-isnt-a-lawyer/515568/ (zuletzt besucht am 31.05.2018). 10  Dazu etwa Raff (Fn.  1), 35 ff.; vgl. auch Heringa, 29 Penn St. Int’l L. Rev. 81, 82 (2010). 11  Typischerweise ist das Jurastudium auch in Lateinamerika als grundständiges Studium ausgestaltet, Martinez (Fn.  5), 288; für Brasilien auch Sadi, 62 N.Y. L. Sch. L. Rev. 165, 174 (2017). 7 

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herrscht in den USA vor12: Dort führt der Weg von der Schule zunächst an ein College, das die Studierenden nach drei bis vier Jahren mit dem Bachelor oder einem vergleichbaren Abschluss verlassen. Ihr Studienschwerpunkt liegt bis dahin typischerweise jenseits der Rechtswissenschaften, beispielsweise in den Wirtschaftswissenschaften, in Politik oder Psychologie; spezifisch juristisch ausgerichtete College-Studiengänge gibt es kaum. An eine Law School wechseln die Studierenden erst nach dem Bachelor und absolvieren dort ein dreijähriges juristisches Studium13. Der Dualismus zwischen grundständigem und postgradualem juristischen Studium zeigt sich auch innerhalb Kanadas: Mit Ausnahme der Provinz Quebec handelt es sich dort beim Jurastudium um ein postgraduales Studium14. Da das Rechtssystem in diesen Teilen Kanadas auf dem Common Law basiert, überrascht es gerade aufgrund der geographischen Lage nicht, dass das Ausbildungssystem stark von US-amerikanischen Einflüssen geprägt ist15. Demgegenüber kennt die Provinz Quebec, deren Recht in der Tradition des Civil Law steht, das Jurastudium ähnlich wie in Kontinentaleuropa als grundständiges Studium16 . Einige Rechtsordnungen überlassen es schließlich den Studierenden, zwischen einem grundständigen und einem postgradualen Studium zu wählen. Im Vereinigten Königreich wird das Jurastudium etwa typischerweise als drei- bis vierjähriges grundständiges LL.B.-Studium angeboten17. Daneben ist es in England und Wales sowie in Schottland ebenso möglich, nach einem fachfremden Studium ein verkürztes juristisches Aufbaustudium zu absolvieren und sich dadurch für die weitere praktische Juristenausbildung zu qualifizieren18 . Dieser Umweg über eine andere Fachdisziplin ist im Vereinigten Königreich auch durchaus verbreitet. So hat etwa Lord Sumption, bis Ende 2018 Richter am 12  Insgesamt sind die juristischen Ausbildungswege in den 50 US-amerikanischen Bundesstaaten und dem District of Columbia allerdings sehr vielfältig, vgl. Upham, in: Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education, 2016, 319, 322: „[I]t is extremely difficult to generalise about American legal education.“ Soweit nicht anders erwähnt beziehen sich die Ausführungen zu den USA im Folgenden auf den wohl verbreitetsten Karriereweg über eine der von der American Bar Association akkreditierten Law Schools. 13  Martinez (Fn.  5), 291; Upham (Fn.  12), 328; Zekoll, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 223, 227. 14  Grenon/Glenn/Dedek, in: Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education, 2016, 75, 75 f.; Brierley, 72 Or. L. Rev. 977, 978 (1993). 15  Brierley (Fn.   14), 978; zu gegenseitigen Einflüssen Clarke, 40 Can. L. Libr. Rev. 14 (2015). 16  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 75 f. 17  Trybus, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 77, 78 zu England und Wales, 94 zu Schottland, 93 zu Nordirland). In England und Wales dauert danach das Studium meist 3 Jahre, in Schottland meist 4 Jahre. 18  Zu England: Trybus (Fn.  17), 79; für Schottland: Law Society of Scotland, Accelerated LLB for graduate entry, https://www.lawscot.org.uk/qualifying-and-education/qualify­ingas-a-scottish-solicitor/llb-degree-in-law/accelerated-llb-for-graduate-entry (zuletzt besucht am 31.05.2018).

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UK Supreme Court, vor seiner juristischen Karriere zunächst Geschichte studiert19. Lord Neuberger of Abbotsbury, der bis 2017 Präsident des UK Supreme Court war, studierte zunächst Chemie20 ; der bekannte Lord Denning, Höchstrichter im 20. Jahrhundert, begann seine Karriere in der Mathematik 21. Ein ähnliches Nebeneinander verschiedener Ausbildungswege findet sich in Asien. Japan etwa hat im Zuge der Reform der Juristenausbildung zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein zweispuriges Modell eingeführt 22: Seit 2004 bieten Law Schools nach US-amerikanischem Vorbild einen postgradualen Studiengang an, dessen Abschluss im Regelfall Voraussetzung für die weitere Ausbildung zum Anwalt oder Richter ist. Die Studiendauer beträgt dort grundsätzlich drei Jahre; durch ein rechtswissenschaftliches grundständiges Studium können die Studierenden das anschließende Studium an der Law School allerdings auf zwei Jahre verkürzen 23. Auch Hongkong kombiniert inzwischen Elemente des US-amerikanischen Systems mit dem klassisch britischen Ansatz: Dort können die Studierenden einerseits ein vierjähriges grundständiges LL.B.-Studium belegen. Andererseits können Absolventen eines fachfremden Studienganges entweder ein zwei- bis dreijähriges Postgraduiertenstudium ähnlich dem US-amerikanischen System absolvieren oder ein zweijähriges Aufbaustudium ähnlich dem englischen System 24. Die Ausgestaltung als grundständiges oder postgraduales Studium wirkt sich letztlich auch auf die Studiendauer aus. Während sich bei postgradualen Stu­ dien­gängen drei Jahre – mit den bereits angesprochenen Verkürzungsmöglichkeiten – zum Standard zu entwickeln scheinen, sind grundständige rechtswissenschaftliche Studiengänge häufig auf vier bis fünf Jahre angelegt25. In Deutschland beläuft sich die Regelstudienzeit nach der Vorstellung des Gesetzgebers etwa auf vier Jahre, auch wenn das erste Staatsexamen theoretisch früher abgelegt werden kann 26 , praktisch die Regelstudienzeit jedoch häufig überschritten wird. Auch in Spanien ist das Studium grundsätzlich auf vier Jahre

19  Supreme Court of the United Kingdom, Former Justices, https://www.supremecourt. uk/about/former-justices.html (zuletzt besucht am 31.05.2018). 20  Supreme Court of the United Kingdom, Former Justices, https://www.supremecourt. uk/about/former-justices.html (zuletzt besucht am 31.05.2018). 21  Trybus (Fn.  17), 79. 22  Dazu insbesondere Watson (Fn.  6), 1. 23  Watson (Fn.  6), 22. 24  Lin, in: Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education, 2016, 131, 145; HKU School of Professional and Continuing Education, Law – Common Law and Professional Courses, https://hkuspace.hku.hk/prog/cpe (zuletzt besucht am 31.05.2018). 25  So auch Raff (Fn.  1), 35. Anders allerdings im Vereinigten Königreich, wo das grundständige Studium grundsätzlich drei Jahre dauert, Wilson, 13 Legal Studies 143, 145 (1993); Burridge, 51 Journal of Legal Education 315, 317 (2001). In Kanada dauert das Studium ebenfalls meist drei Jahre, Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 76; Brierley (Fn.  14), 979. 26  So §  5a Abs.  1 S.  1 DRiG.

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ausgelegt 27. In Frankreich berechtigt bereits der Master 1 nach vier Jahren Studium dazu, die Aufnahmeprüfungen der verschiedenen praktischen Ausbildungszweige abzulegen 28 . Häufig verwenden Studierende aber noch Zeit auf die Vorbereitung zu den anspruchsvollen Eingangsprüfungen und verbinden dies mit dem zweiten Masterjahr, dem sogenannten Master 229. Bei der inhaltlichen Ausfüllung der Studienjahre verfügen die Hochschulen regelmäßig über weite Gestaltungsspielräume. Sie entscheiden weitgehend autonom, welche Kurse sie anbieten und welche als Pflichtfächer zu belegen sind, um einen Studienabschluss zu erlangen. Nur wenige Rechtsordnungen regeln die Studieninhalte per Gesetz. Eine solche Regelung findet sich beispielsweise in §  5a des deutschen Richtergesetzes, der zumindest rudimentär die wesentlichen Studieninhalte benennt30 . Fehlt es an solchen staatlichen Regelungen, richten die Universitäten ihr Studienangebot häufig an den Bedürfnissen der Studierenden mit Blick auf deren spätere Berufswahl aus31. Im Zentrum stehen dabei die Zugangsvoraussetzungen zur Anwaltschaft, die in den meisten Rechtsordnungen wohl nach wie vor das zentrale Berufsfeld für Juristen ausmacht. Dadurch bestimmen häufig die Anwaltskammern zumindest mittelbar die Studienpläne, wenn sie Vorgaben für den Zugang zum Anwaltsberuf aufstellen. Besonders deutlich kann dies in den großen Ländern des Common Law beobachtet werden. So haben die Kammern beispielsweise im Vereinigten Königreich maßgebend das universitäre Curriculum geprägt32 . Da sie festlegen, welche Studienfächer zu belegen sind, um zum Praxisstudium zugelassen zu werden, lenken sie nicht nur die Nachfrage der Studierenden auf bestimmte Kurse, sondern steuern auch, welche Kurse die Universitäten anbieten müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben 33. Ähnlich wirkt der Einfluss der Anwaltskammern in Kanada. 27  Gascón Inchausti, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 147, 165. 28  Vgl. beispielsweise für die Anwaltsausbildung Art.  11 Nr.  2 Loi n° 71-1130 du 31 décembre 1971 portant réforme de certaines professions judiciaires et juridiques: „une maîtrise en droit ou de titres ou diplômes reconnus comme équivalents pour l’exercice de la profession“. 29  Walther, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 55, 64. 30  §  5a Abs.  2 S.  3 DRiG: „Pflichtfächer sind die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden und der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen“; vgl. ergänzend die spezifischen Vorgaben im Landesrecht, etwa §  18 der bayerischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO). 31  Jamin/van Caenegem, in: dies. (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education, 2016, 3, 6, 29; so auch für Frankreich Walther (Fn.  29), 72 f.; für Kanada Valcke, 39 R.J.T. 483, 497 (2005). 32  Trybus (Fn.  17), 79; Platsas/Marrani, in: Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education, 2016, 299, 305. 33  Für England und Wales: Schedule 2 Joint Statement issued in 1999 by the Law Society and the General Council of the Bar on the completion of the initial or academic stage of trai-

Vergleichende Perspektiven: Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung

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Dort haben die Kammern der einzelnen Provinzen ihre Vorgaben koordiniert und einheitliche Standards erarbeitet, welche Studieninhalte zum Antritt der praktischen Ausbildung und letztlich zum Eintritt in eine Anwaltskammer qualifizieren 34. In den USA legen die Anwaltskammern der 50 Bundesstaaten und des District of Columbia dagegen noch jeweils eigene Zulassungsvoraussetzungen und Prüfungsinhalte fest. Die Hochschulen berücksichtigten meist die Vorgaben der Anwaltskammern derjenigen Bundesstaaten, in denen ihre Studierenden typischerweise die Anwaltsprüfung ablegen und praktizieren wollen; in der Regel sind dies die Vorgaben der Anwaltskammer des Bundesstaates, in dem die Hochschule angesiedelt ist, und zusätzlich die der Kammern von New York oder Kalifornien 35. II. Berufsbildung Die juristische Ausbildung endet in den meisten Rechtsordnungen nicht an der Hochschule. Bevor junge Juristen von der Universität in die klassisch juristischen Berufe des Anwalts oder Richters wechseln können, sehen zahlreiche Rechtsordnungen eine praktische Ausbildungsphase mit gesonderter Prüfung vor. Diese beiden Berufsgruppen sollen als Prototypen für die juristische Ausbildung und Profession näher in den Blick genommen werden 36 . Mit dem Volljuristen nimmt das deutsche Ausbildungssystem bekanntlich eine Sonderrolle ein 37. Die zweite Staatsprüfung verleiht die Befähigung zum Richteramt, sie ermöglicht aber zugleich die Zulassung als Anwalt 38 . Ähnlich verhält es sich in Japan, wo am Juristischen Ausbildungs- und Forschungsinstitut in Tokyo sowohl Anwälte wie auch Richter und Staatsanwälte auf den Beruf vorbereitet werden. Im Gegensatz zum deutschen System findet eine strenge Auswahl bereits im Vorfeld der praktischen Ausbildung statt: Die Aufnahmeprüfung in den Vorbereitungsdienst besteht regelmäßig nur ein geringer Teil ning by obtaining an undergraduate degree, abrufbar unter https://www.sra.org.uk/students/ academic-stage/academic-stage-joint-statement-bsb-law-society (zuletzt besucht am 31.05. 2018); Trybus (Fn.  17), 80; Platsas/Marrani (Fn.  32), 305. Für Schottland vgl. Trybus (Fn.  17), 94. 34  Federation of Law Societies of Canada, National Requirement, Abschnitte B.3., C.1., abrufbar unter https://flsc.ca/wp-content/uploads/2018/01/National-Requirement-Jan2018-FIN.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018); vgl. Brierley (Fn.  14), 979; Clarke (Fn.  15), 17; Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 77. 35  Vgl. auch Upham (Fn.  12), 319; insgesamt dazu Martinez (Fn.  5), 301 f.; zum Einfluss der American Bar Association auch Zekoll (Fn.  13), 225. 36  Der juristische Studienabschluss eröffnet freilich den Zugang zu weit mehr Berufsfeldern, vgl. Jamin/van Caenegem (Fn.  31), 15; für die USA auch Areen, 50 Ind. L. Rev. 1087, 1099 (2017): „JD-advantaged positions“. 37  Ranieri, JZ 1998, 831, 833; Vgl. Schlosser, NJW 1999, 3003, 3005; ferner Henssler (Fn.  2), 270, demnach ähnlich in Slowenien. 38  §  5 Abs.  1 DRiG, §  4 Nr.  1 BRAO.

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der angetretenen Juristen, 2015 waren dies beispielsweise 1.850 von 8.016 Prüflingen, was einer Quote von nur 23,8% entspricht39. In den meisten anderen Rechtsordnungen legt das Studium zwar noch eine umfassende, die wesentlichen Rechtsgebiete abdeckende Grundlage; danach unterscheiden sich aber die Wege in Anwaltschaft (1.) und Richterschaft (2.)40 .

1. Anwaltschaft Betrachtet man zunächst den Anwaltsberuf, zeigen sich in den verschiedenen Rechtsordnungen überraschende Unterschiede in der Zahl der Schritte, die zwischen dem Abschluss des Studiums und der Zulassung als Anwalt liegen. Zahlreiche Rechtsordnungen verlangen die Ableistung einer Praxisphase, bevor eine abschließende Zulassungsprüfung abgelegt werden kann41. In der Schweiz bedeutet dies beispielsweise, dass angehende Anwälte ein mindestens einjähriges Praktikum ableisten müssen, bevor sie zur kantonalen Anwaltsprüfung antreten können42 . Die einzelnen Kantone können die Anforderungen weiter verschärfen und beispielsweise ein längeres Praktikum oder den Besuch zusätzlichen Unterrichts vorschreiben43. Auch in Kanada müssen nach dem Studium, um in eine Kammer aufgenommen zu werden, eine einjährige praktische Ausbildung sowie ein Examen absolviert werden, das die Anwaltskammern stellen44. In Frankreich wird die Ausbildung zum Anwalt über regionale Anwaltsschulen organisiert, die auf eine staatlich regulierte Zulassungsprüfung vorbereiten sollen45. Auch dort machen Praktika einen wesentlichen Bestandteil der 18 Monate dauernden Ausbildung aus; sie sind bei einem Anwalt und bei einer anderen Stelle abzuleisten, beispielsweise in einem Unternehmen oder in einer ausländischen Kanzlei. Ergänzt werden sie durch berufsbezogenen Unterricht an den regionalen Anwaltsschulen46 . 39 

Watson (Fn.  6), 24. Vgl. auch Schlosser (Fn.  37), 3005. 41  Für einen Überblick vgl. auch Henssler (Fn.  2), 271 f. 42  Art.  7 Abs.  1 b. des schweizerischen Anwaltsgesetzes; das Praktikum kann je nach den kantonalen Vorgaben sowohl bei einem Anwalt wie auch bei Gericht oder einer anderen Stelle abgeleistet werden, vgl. Art.  4 Abs.  2 der Berner Verordnung über die Anwaltsprüfung; Art.  31 Abs.  1, 4 der Genfer Loi sur la profession d’avocat. 43  Vgl. Art.  5 Abs.  1 der Berner Verordnung über die Anwaltsprüfung (18 Monate); Art.  30, 31 der Genfer Loi sur la profession d’avocat (18 bzw. 24 Monate sowie ein Semester vertiefenden Studiums). 44  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 76. 45  Art.  13 Loi n° 71-1130 du 31 décembre 1971 portant réforme de certaines professions judiciaires et juridiques; zu Form und Inhalt der Abschlussprüfung vgl. das Arrêté du 7 décembre 2005 fixant le programme et les modalités de l’examen d’aptitude à la profession d’avocat. 46 Vgl. Walther (Fn.  29), 66 f.; s. auch die Informationen der Anwaltsschulen, beispielsweise der EFB (Ecole de Formation professionnelle des Barreaux de la Cour d’Appel de Paris), verfügbar unter http://www.efb.fr/EC-deroulement-scolarite.php (zuletzt besucht am 31.05. 2018). 40 

Vergleichende Perspektiven: Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung

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England und Wales geben dem berufsbezogenen Unterricht bislang noch mehr Raum: Sie kombinieren ein einjähriges konkret berufsbezogenes Praxisstudium mit einer anschließenden ein- oder zweijährigen Praxisphase in einer Kanzlei47. Auf dem Weg zum solicitor handelt es sich dabei um den Legal Practice Course (LPC), der an einem College der Law Society, aber auch an einigen Universitäten angeboten wird48 . Um sich als barrister – also als Prozessanwalt – zu qualifizieren, muss demgegenüber üblicherweise der Bar Professional Training Course (BPTC) besucht werden49. Der Inhalt beider Kurse ist durch das jeweilige Berufsbild geprägt. Erst nachdem diese Kurse erfolgreich absolviert wurden, findet die praktische Ausbildung entweder zwei Jahre als trainee solicitor in einer Kanzlei oder ein Jahr im Rahmen eines pupillage in einer barrister’s chamber statt50 . In Schottland läuft die praktische Ausbildung sehr ähnlich ab51. Auch Hongkong als ehemalige britische Kolonie folgt diesem Modell52 . Hochschulabsolventen müssen aber nicht in allen Rechtsordnungen eine zusätzliche praktische Ausbildung durchlaufen, bevor sie selbständig als Anwalt arbeiten können. Die US-amerikanischen Bundesstaaten begnügen sich beispielsweise mit einer Zulassungsprüfung, die unmittelbar im Anschluss an das Studium abgelegt werden kann 53. Vor diesem Hintergrund erlangen die prominenten Praxiselemente im dortigen Studium, etwa die studentische Rechtsberatung oder Verhandlungssimulationen, eine ganz andere Bedeutung: Zwar leisten viele Studierende während der Sommerferien Praktika ab, um erste Schritte in Richtung des Arbeitsmarktes zu unternehmen 54. Eine institutionalisierte praktische Ausbildung für den Anwaltsberuf gibt es in den USA aber nicht. Verhandlungssimulationen und studentische Rechtsberatungsprogramme machen damit typischerweise die einzige notwendige Praxiserfahrung junger Juristen aus, bevor sie sich als Anwälte selbständig machen können55. Daher überrascht es nicht, dass solche praktischen Programme in den USA mehr Raum im Studium einnehmen als beispielsweise in Deutschland, wo mit dem Referenda47 

Trybus (Fn.  17), 90 ff. Trybus (Fn.  17), 78, 90. Zu den Reformbestrebungen vgl. bereits oben bei Fn.  4. 49  Bis 2010 Bar Vocational Course (BVC), vgl. insgesamt Bar Standards Board, Bar Professional Training Course, https://www.barstandardsboard.org.uk/qualifying-as-a-barrister/ bar-training-requirements/ (zuletzt besucht am 31.05.2018); vgl. auch Burridge (Fn.  25), 318; Trybus (Fn.  17), 91. 50  Trybus (Fn.  17) 79, 91 f. 51  Wilson (Fn.  25), 176; Trybus (Fn.  17), 94. 52  Lin (Fn.  24), 145. Zur Entwicklung in Kanada vgl. Clarke (Fn.  15), 20. 53  Zekoll (Fn.  13), 233. 54  Upham (Fn.  12), 332; Zekoll (Fn.  13), 231. 55 Dazu auch Clarke (Fn.  15) 20 f.; Upham (Fn.   12), 326: „As for better preparation for practice, the demand for more training in day-to-day technical skills has been a leitmotif of legal education rhetoric since at least the early 1970s when clinical education was widely introduced.“ 48 

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riat eine gesonderte praktische Ausbildung an das Hochschulstudium anschließt. Auch in einigen lateinamerikanischen Ländern, in denen Hochschulabsolventen unmittelbar nach Erwerb ihres Abschlusses die Zulassung zur Anwaltschaft beantragen können56 , steht zu erwägen, ob der Verzicht auf eine praktische Ausbildung möglicherweise anderweitig kompensiert wird: Studierende arbeiten dort häufig bereits während des Studiums in einer Kanzlei und kommen so mit praktischen Abläufen und Herausforderungen in Berührung57.

2. Richterschaft Im Gegensatz zur Anwaltsausbildung prägt den Weg in die Richterschaft weniger die Frage, ob eine praktische Ausbildung gefordert ist oder nicht. Im Vordergrund steht vielmehr die Feststellung, dass keineswegs in allen Rechtsordnungen ein geradliniger Karriereweg in den Richterberuf führt. Aus deutscher Sicht mag dies überraschen: Die zweite Staatsprüfung verleiht ausdrücklich die Befähigung zum Richteramt; junge Juristen können unmittelbar nach Bestehen der Prüfung auf die Richterbank wechseln58 . Auch in Frankreich kann man nach dem Hochschulabschluss direkt den Karriereweg des Richters einschlagen. Nach vier Jahren Hochschulstudium können sich junge Juristen zur Aufnahmeprüfung für die Ecole nationale de la magistrature anmelden. Überstehen sie die sehr selektive Prüfung, durchlaufen sie eine 31 Monate dauernde Ausbildung, die Theorie und Praxis kombiniert und mit einer Abschlussprüfung endet59. Ähnlich setzt auch Österreich ein Prüfungs- und Auswahlverfahren vor die Aufnahme in den dort vier Jahre dauernden Vorbereitungsdienst, der mit der sogenannten Richteramtsprüfung endet60 . Der Umstand, dass junge Juristen direkt nach Abschluss ihres Studiums das Richteramt antreten können, ruft im internationalen Kontext immer wieder Erstaunen hervor. Denn in zahlreichen Rechtsordnungen bedarf es mehrjähriger Berufserfahrung, bevor eine Ernennung zum Richter in Betracht kommt61. Im Vereinigten Königreich speist sich die Richterschaft beispielsweise aus dem Kreis erfahrener Anwälte, die insbesondere als barrister oder advocate ihren

56  Vgl. dazu Jaeger Junior, in: Baldus/Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Bologna und das Rechtsstudium, 2011, 193, 198, 207; für Argentinien vgl. Martinez (Fn.  5), 293. 57  Jaeger Junior (Fn.  56), 219; für Brasilien auch Sadi (Fn.  11), 175 f. 58  Dazu bereits oben Fn.  38. 59  S. Art.  14 ff. Ordonnance n° 58-1270 du 22 décembre 1958 portant loi organique relative au statut de la magistrature; vgl. auch Décret n°72-355 du 4 mai 1972 relatif à l’Ecole nationale de la magistrature. Dazu Walther (Fn.  29), 65: „eine[r] der schwierigsten Wettbewerbe innerhalb des französischen öffentlichen Dienstes“. 60  Vgl. §§  1 ff. des österreichischen Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes. 61  So auch für Brasilien, vgl. Sadi (Fn.  11), 173: mind. dreijährige Berufspraxis.

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juristischen Sachverstand unter Beweis gestellt haben62 . Auch Kanada folgt diesem Modell63. In den USA ist die Besetzung der Richterstellen zudem vielfach politisch determiniert64. Bundesrichter werden dort beispielsweise vom Präsidenten vorgeschlagen und vom Senat bestätigt65. In den Bundesstaaten bestehen teils ähnliche Ernennungsverfahren66 . Andere Richter werden unmittelbar von den Bürgern gewählt67. In Kontinentaleuropa kommt die demokratische Richterwahl wie bereits erwähnt insbesondere in der Schweiz vor. Junge Studienabsolventen können dort allerdings als Gerichtsschreiber unter der Verantwortung eines Richters an der Entscheidungsfindung mitwirken und Entscheidungen des Gerichts entwerfen68 . Dieses Panorama nationaler Besonderheiten könnte noch beliebig erweitert werden. Die ausgewählten Schlaglichter haben aber gewiss illustriert, wie vielfältig die Juristenausbildung in den verschiedenen Rechtsordnungen ist und wie wenig in diesem Kontext als selbstverständlich hingenommen werden kann. Das Erfordernis eines Hochschulstudiums hat sich allerdings als ein gemeinsamer und im Wesentlichen stabiler Kern herausgestellt. Es hat sich zudem gezeigt, dass Hochschulen die Studieninhalte regelmäßig nach den Bedürfnissen der Praxis gestalten. Diese Fokussierung auf die Praxis lässt für die Rolle der Rechtsvergleichung in der Ausbildung wenig Gutes hoffen.

B. Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung Nach unseren Beobachtungen spielt die Rechtsvergleichung im engeren Sinne tatsächlich nur eine vergleichsweise geringe Rolle in der Juristenausbildung. Präsenter sind dagegen Veranstaltungen zum ausländischen und internationalen Recht, und auch dies überrascht angesichts der Praxisorientierung des Studiums nicht. Die zunehmende Globalisierung verändert auch das Berufsbild der Juristen. Sie müssen sich immer stärker in einem internationalen juristischen Kontext zu Recht finden. Dementsprechend vergrößern auch die Hochschulen ihr Lehrangebot in Fächern zum ausländischen und internationalen Recht. Zwar sind diese Veranstaltungen häufig eher auf eine Rechtsanwendung in der 62 

Trybus (Fn.  17), 79. Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 89. 64  Upham (Fn.  12), 319. Vgl. auch New York City Bar, How to Become a Judge, http:// www.nycbar.org/pdf/report/become_a_judge.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018). 65  U.S. Const. Art.  2 , §  2(2). 66  Z. B. in New York für die Richter am Court of Appeals (Ernennung durch Gouverneur mit Zustimmung des Senats, N.Y. Const. Art.  6 , §  2(e)). 67  Z. B. in New York die Richter am Supreme Court (N.Y. Const. Art.  6 , §  6(c)). Insgesamt Upham (Fn.  12), 320; vgl. zur Wahl von Nicht-Juristen bereits oben bei Fn.  9. 68  Vgl. Art.  24 des Bundesgerichtsgesetzes. 63 

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Praxis ausgerichtet, doch sie verwirklichen auch manchen didaktischen Nutzen, welcher der Rechtsvergleichung im engeren Sinne zukommt. I. Rechtsvergleichung im engeren Sinne Als eigenes Fach hat die Rechtsvergleichung nur geringe Relevanz. Gemeint sind damit Veranstaltungen, die über die Rechtsregeln anderer Länder berichten, die diese darüber hinaus aber auch zueinander in Beziehung setzen und eben vergleichen. Sie arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und verorten die Regeln in ihrem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. Im Zuge unserer Recherchen ist uns die Rechtsvergleichung in diesem Sinne in kaum einer Rechtsordnung als Pflichtfach begegnet69. Ob und inwiefern einzelne Dozenten in Vorlesungen zum nationalen Recht vergleichende Elemente einbringen, können wir leider nicht einschätzen. Die eigene Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Hinweise auf Parallelprobleme und Lösungsansätze anderer Rechtsordnungen stark von den eigenen Forschungsinteressen des Dozenten abhängen und insgesamt eher selten bleiben. Daher spielt die Rechtsvergleichung regelmäßig nur als Wahlfach eine spürbare Rolle70 . Zum Teil kann die Rechtsvergleichung als Grundlagenfach im Grundstudium gewählt werden. Häufig können Studierende aber erst im Haupt- oder Masterstudium rechtsvergleichende Veranstaltungen besuchen. Gerade für Austauschstudierende scheinen solche Angebote interessant und nicht selten auch auf sie ausgerichtet zu sein71. Einige Universitäten bieten gar dezidiert rechtsvergleichende und internationalrechtliche Masterstudiengänge an; so gibt es etwa am Trinity College Dublin einen Master-Studiengang in internationalem und vergleichenden Recht72 , an der School of Law der City University of Hongkong einen Master-Studiengang in chinesischem Recht und Rechtsvergleichung73, an der Uni69  Der Studienplan der mexikanischen UNAM sieht beispielsweise für das dritte Semester eine Vorlesung mit dem Titel „Sistemas Jurídicos“ vor, vgl. den Studienplan in der Fassung von 2011, verfügbar unter https://www.derecho.unam.mx/oferta-educativa/licenciatura/nuevoplan2011/Plan2011.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018); vgl. auch die Hinweise bei Jamin/ van Caenegem (Fn.  31), 28. 70  Beispielsweise zu Frankreich: Fauvarque-Cosson, RIDC 2002, 293, 296; zu Hongkong: The Standing Committee on Legal Education and Training, Annual Report 2016, abzurufen unter http://www.sclet.gov.hk/eng/pdf/2016e.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018), S.  12 f., 20 f.; zum Vereinigten Königreich: Platsas/Marrani (Fn.  32), 305 f.; Wilson (Fn.  25), 168. 71 Vgl. Platsas/Marrani (Fn.  32), 305 f. 72  Trinity College Dublin, School of Law, LL.M. International and Comparative Law, ­https://www.tcd.ie/law/programmes/postgraduate/taught/llm-international-comparative (zuletzt besucht am 31.05.2018). 73  CityU School of Law, Master of Laws (LLM), http://www6.cityu.edu.hk/slw/acade mic/postgraduate_llm.html (zuletzt besucht am 31.05.2018); The Standing Committee on Legal Education and Training, Annual Report 2016, abzurufen unter http://www.sclet.gov.hk/ eng/pdf/2016e.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018), S.  21; Lin (Fn.  24), 148.

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versité Paris 1 – Panthéon-Sorbonne einen Master in Rechtsvergleichung 74 und auch an der Université de Lausanne können Studierende einen Master mit Schwerpunkt internationales und vergleichendes Recht erwerben75. II. Nachbardisziplinen der Rechtsvergleichung Mehr Raum als die Rechtsvergleichung im eigentlichen Sinne nehmen Fächer ein, die man als Nachbardisziplinen der Rechtsvergleichung bezeichnen kann, d. h. Fächer, die zwar keine explizite Rechtsvergleichung betreiben, sich aber ausländischem Recht oder der internationalen Dimension des Rechts widmen. Solche Fächer haben im Kielwasser der Globalisierung an Bedeutung gewonnen76 . Sie eint, dass sie den Blick der Studierenden weiten und ein Bewusstsein schaffen, dass Recht jenseits der eigenen nationalen Rechtsordnung existiert und sich in seiner konkreten Ausgestaltung stark unterscheiden kann77.

1. Ausländisches und internationales Recht Die Nachbardisziplinen der Rechtsvergleichung umfassen Einführungen in ausländische Rechtsordnungen, Kurse zu Einheitsrecht, Europarecht und Völkerrecht sowie Kurse aus dem Bereich des internationalen Handelsrechts. Sie wenden sich Recht zu, das nicht vom eigenen nationalen Gesetzgeber stammt, sondern aus einer fremden Rechtsordnung, von einer inter- bzw. supranationalen Organisation oder gar von privaten Akteuren. Ein weiteres Beispiel ist das Internationale Privatrecht. Es ist zwar im Grundansatz national, entstammt aber inzwischen vielfach selbst dem Europa- oder Völkerrecht. Will man es unterrichten, sind zudem Hinweise auf unterschiedliche Regelungen in ausländischen Rechtsordnungen nahezu unumgänglich. Im Gegensatz zur Rechtsvergleichung gehören Kurse aus den Nachbardisziplinen häufig zur Pflichtfachausbildung. Innerhalb der EU und zum Teil sogar darüber hinaus – etwa in der Schweiz – ist das Europarecht meist verpflichtend78 . Auch das Völkerrecht und das Internationale Privatrecht haben es an 74  Université Paris 1 – Panthéon-Sorbonne, Master 2 Indifférencié Droit comparé, vgl. die Beschreibung unter https://www.pantheonsorbonne.fr/ws/ws.php?_cmd=getFormation&_ oid=UP1-PROG48055&_redirect=voir_presentation_diplome&_lang=fr-FR (zuletzt besucht am 31.05.2018). 75  Université de Lausanne, Master of Law (MLaw), mention droit international et comparé, vgl. den Überblick unter https://www.unil.ch/ecolededroit/Master/Droit (zuletzt besucht am 31.05.2018). 76  Siehe nur beispielhaft für Kanada Valcke (Fn.  31), 487: „In Canadian schools of common law, as in other institutions of higher learning around the world, ‚going global‘ is fashionable these days.“; für die USA vgl. auch Zekoll (Fn.  13), 236. 77  Zur Rechtsvergleichung als Lehrmethode gerade mit Blick auf die Rechtsvereinheitlichung siehe den Beitrag von Atamer in diesem Band, 87. 78  Vgl. beispielhaft zu Deutschland §  5a Abs.  2 DRiG. Zum Vereinigten Königreich: Sche-

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zahlreichen Universitäten in den Kanon der Pflichtfächer geschafft79. Größere Bedeutung haben die genannten Fächer jedoch regelmäßig als Wahlfächer oder im Rahmen von Austausch- oder Masterprogrammen80 . Ihre Verbreitung steigt daher mit der Zunahme internationaler Austauschprogramme und Auslandsaufenthalte. Dies lässt sich einerseits am weiterhin wachsenden81 Erasmus-Programm illustrieren, zeigt sich aber auch in den Master of Laws-Programmen, die immer mehr Universitäten anbieten. Sie steigern die Nachfrage und lassen die Zahl der Lehrveranstaltungen zu ausländischem und internationalem Recht kontinuierlich anwachsen82 . Unterstützt wird diese Entwicklung durch Gastaufenthalte von Dozenten auswärtiger Universitäten. Als Beispiele seien nur die NYU Global Law School83 genannt sowie die Schule des deutschen Rechts an der Universität Krakau84. Auch durch solche Programme gelangt ausländisches Recht in nationale Lehrpläne. dule 2 Joint Statement issued in 1999 by the Law Society and the General Council of the Bar on the completion of the initial or academic stage of training by obtaining an undergraduate degree, abrufbar unter https://www.sra.org.uk/students/academic-stage/academic-stage-joint-statement-bsb-law-society (zuletzt besucht am 31.05.2018); Platsas/Marrani (Fn.  32), 305. Zur Schweiz: vgl. etwa die Pflichtvorlesung Droit de l’Union européenne an der Université de Genève (http://wadme.unige.ch:3149/pls/opprg/w_det_cours.debut?p_code_cours= 5343B&p_plan_is=0&p_langue=1&p_frame=N&p_mode=PGC&p_annee=2017&p_suffi xe=&p_grtri=12490, zuletzt besucht am 31.05.2018) oder Art.  3 Abs.  1 lit.  a, Art.  17 Abs.  1 lit.  b des Studienreglements RW der Universität Bern (http://www.rechtswissenschaft.unibe. ch/unibe/portal/content/e152701/e154048/e191232/e191240/e227917/rw_rsl_final_ger.pdf, zuletzt besucht am 31.05.2018). 79  Zu Kanada: Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 81 f. Im Vereinigten Königreich ist etwa die Befassung mit Menschenrechten verpflichtend: Schedule 2 Joint Statement issued in 1999 by the Law Society and the General Council of the Bar on the completion of the initial or academic stage of training by obtaining an undergraduate degree, abrufbar unter https://www.sra. org.uk/students/academic-stage/academic-stage-joint-statement-bsb-law-society (zuletzt besucht am 31.05.2018). Vgl. auch die Studienordnung der Universität Zürich für den Bachelor of Law (http://www.ius.uzh.ch/faculty/rsjur/4.2.1_StudO_BLaw.pdf, zuletzt besucht am 08.09.2019) oder die Kursübersicht der Université Paris II – Panthéon-Assas (https:// www.u-paris2.fr/fr/l3-droit-paris (drittes Studienjahr), zuletzt besucht am 31.05.2018). Siehe zu aktuellen Reformdiskussionen in Deutschland: Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (KOA), Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Bewertung und Empfehlungen, 2016, 43 f.; sowie ders., Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Austausch mit den juristischen Fakultäten, 2017, 49, beide abrufbar unter https://www.justiz.nrw.de/ JM/schwerpunkte/juristenausbildung/bericht_ausschuss/index.php (zuletzt besucht am 31.05.2018). 80  Platsas/Marrani (Fn.  32), 307; Wilson (Fn.  25), 168; Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 82, 84 f. 81  European Commission, Erasmus – Factsheets, http://ec.europa.eu/programmes/eras mus-plus/about/factsheets_en (zuletzt besucht am 31.05.2018). 82  Burridge (Fn.  25), 323; insgesamt dazu und zum Austausch der Lehrkräfte auch Jamin/ van Caenegem (Fn.  31), 7 f., 23 ff. 83 Vgl. NYU Law, Hauser Global Law School Program, http://www.law.nyu.edu/global/ abouthauser (zuletzt besucht am 31.05.2018). 84  Kooperation der Universität Krakau mit den Universitäten Mainz und Heidelberg: Jo-

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Manche Universitäten bieten schließlich spezifische Studiengänge an, die international bzw. auf verschiedene Rechtsordnungen ausgerichtet sind. Hervor sticht dabei die Universität Maastricht, die mit ihrer European Law School ­einen einzigartig integrierten Studiengang entwickelt hat, der das Recht aus vergleichender Perspektive lehrt85. Die meisten anderen internationalen Studiengänge erlauben auf Grundlage des Studiums in verschiedenen Rechtsordnungen und eines integrierten Studienplanes den Erwerb zweier oder gar dreier Abschlüsse aus verschiedenen Ländern. Diese Studiengänge sind nicht per se vergleichend86 , sie vermitteln den Studierenden aber das Recht verschiedener Rechtsordnungen. Solche Kooperationen gibt es beispielsweise zwischen Universitäten in Deutschland und Frankreich87, England und Hongkong88 oder Kanada und den USA89. Auch innerhalb Kanadas existieren ähnliche Programme als Koopera­ tion zwischen Universitäten aus Common Law- und Civil Law-Provinzen90 .

2. Interne Rechtsvielfalt Doch nicht nur die Beschäftigung mit ausländischem Recht oder internationalen Bezügen des Rechts sensibilisiert die Studierenden dafür, dass Recht verschiedene Ursprünge und Ausprägungen haben kann. Vielmehr enthalten einige Rechtsordnungen bereits im eigenen Recht Bezüge zu unterschiedlichen Rechtstraditionen und Rechtssystemen91. Es handelt sich insbesondere um solche Länder, die historisch durch verschiedene ausländische Einflüsse geprägt hannes Gutenberg Universität Mainz, Schule des Deutschen Rechts, http://www.jura.unimainz.de/fink/140.php (zuletzt besucht am 31.05.2018); Universität Heidelberg, Schule des deutschen Rechts, http://www.uni-heidelberg.de/presse/news07/2707krakau.html (zuletzt besucht am 31.05.2018). 85  Siehe dazu den Beitrag von Heringa (Fn.  10), 90 ff. 86  Siehe etwa King’s College London, English Law & French Law LLB and Maitrise en Droit, https://www.kcl.ac.uk/study/assets/PDF/cma/undergraduate/English-Law-andFrench-Law-LLB.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018). Zur Problematik der Vergleichung gerade zwischen Common Law- und Civil Law-Systemen auch Whalen-Bridge, 58 Journal of Legal Education 364, 369 (2008): „Once students receive their first training in the methodology of a particular legal system, they acquire a bias in favor of that system that is difficult to overcome.“ 87 Etwa Universität zu Köln und Université Paris 1, Deutsch-Französische Studiengänge Rechtswissenschaften, http://www.dfr.jura.uni-koeln.de (zuletzt besucht am 31.05.2018), oder etwa der Universität des Saarlandes und der Université de Lorraine, der Université de Strasbourg oder der Université Panthéon-Assas (Paris II), Droit français et allemand (Li­ cence/Bachelor), https://www.uni-saarland.de/studium/vor/studienangebot/grundstaendig/ d/droit.html (zuletzt besucht am 31.05.2018). 88  University of Hong Kong und University College London, HKU-UCL Dual Degree Programme in Law, https://www.law.hku.hk/prospectivestudents/hkuucl.php (zuletzt besucht am 31.05.2018). 89  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 87; für weitere Beispiele internationaler Kooperationen aus Kanada Valcke (Fn.  31), 491 ff.; aus den USA vgl. auch Upham (Fn.  12), 331. 90  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 86. 91  Dazu auch Jamin/van Caenegem (Fn.  31), 19 f.

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wurden. Sofern sich diese Einflüsse noch im geltenden Recht zeigen, schlagen sie sich vielfach in der Ausbildung nieder. Als Beispiel sei zunächst die kanadische Provinz Quebec hervorgehoben92 . Dort trifft die regionale Civil Law-Tradition auf die Common Law-Tradition des restlichen Kanadas93. Besonders deutlich zeigt sich dies im Lehrangebot der McGill University in Montreal. Zunächst bot sie ab 1968 einen Studiengang an, der sowohl zu einem Civil Law- als auch einem Common Law-Abschluss führte. Seit 1999 besteht das Regelstudium dort sogar aus einem integrierten Curriculum mit Kursen, in denen Common Law und Civil Law grundsätzlich gemeinsam unterrichtet werden94. Das Common Law verdeutlich jedoch nicht nur in Mischrechtsordnungen und insbesondere im Kontrast zum Civil Law unterschiedliche Ausprägungen von Recht. Es lädt bereits aus sich heraus dazu ein, Einflüsse fremder Rechtsordnungen zu berücksichtigen. Denn die verschiedenen Common Law-Jurisdiktionen stellen eigenständige Rechtsordnungen dar, die sich in einzelnen Punkten zwar auseinanderentwickelt, aber dennoch einen gemeinsamen Kern bewahrt haben. Daher wird in vielen dieser Rechtsordnungen in Kernfächern auch das traditionelle englische Common Law unterrichtet95. Ebenso werden häufig Urteile aus anderen Common Law-Rechtsordnungen, insbesondere aus England, herangezogen, wenn offene Rechtsfragen im eigenen Recht zu beantworten sind, etwa in Australien96 oder Hongkong97. So scheint gerade jüngeren Common Law-Jurisdiktionen der Blick in andere Rechtsordnungen wegen der gemeinsamen Wurzeln und Rechtsgrundsätze als Orientierungspunkt und Inspiration für die eigene Rechtsfindung zu helfen. Lehrveranstaltungen, in denen sich diese immanente Rechtsvielfalt spiegelt, sind allerdings nicht zwingend rechtsvergleichend im engeren Sinne. Vielmehr zeichnet es schon das jeweils geltende Recht aus, dass es Elemente mehrerer 92  Ähnlich wie in Quebec trifft auch im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana eine Civil Law basierte Rechtsordnung auf Einflüsse aus dem Common Law. Dies schlägt sich auch in den Lehrplänen der Hochschulen nieder, vgl. nur LSU Law School, die im ersten Studienjahr auch einen Kurs zu Civil Law Property sowie zu Legal Traditions vorsieht, Juris Doctor Degree, https://www.law.lsu.edu/academics/files/2014/05/Degree-requirementsfor-Juris-Doctor.pdf (zuletzt besucht am 31.05.2018), während die Tulane Law School ihren Studierenden den Besuch von Veranstaltungen zum Civil Law freistellt, Academics, https:// law-ektron.tulane.edu/tlsAcademicPrograms/index.aspx?id=1732: „Our students are free to choose courses consisting solely of common or federal law“ (zuletzt besucht am 31.05.2018). 93  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 75 f. 94  Grenon/Glenn/Dedek (Fn.   14), 80. Ein ähnliches Programm gibt es seit 2008 an der Universität Ottawa, ibid., 87. 95  Für Kanada vgl. Grenon/Glenn/Dedek (Fn.  14), 85; für Hongkong Lin (Fn.  24), 133, 148. 96 Vgl. Independent Trustee Services Ltd v Morris (2010) 79 NSWLR 425, 430 (Bryson AJ): „Ordinarily a decision of the Court of Appeal of England and Wales on a common law question not affected by statutory interpretation or constitutional or other considerations special to Australia ought be followed unless there is some sound basis for concluding that it was erroneous.“ 97  Lin (Fn.  24), 133, 148.

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Systeme in sich vereint. Damit illustriert es die vielfältigen Erscheinungsformen des Rechts.

C. Genutzte und verpasste Chancen Will man die Bedeutung der Rechtsvergleichung in der juristischen Ausbildung ergründen und vor allem fragen, inwieweit sich ihr didaktisches Versprechen erfüllt, sollte man die Lehrangebote zu Nachbardisziplinen der Rechtsvergleichung mitberücksichtigen. Denn auch solche Kurse weiten den Horizont der Studierenden und öffnen ihren Blick für inter- und transnationale Bezüge von Recht und der eigenen Rechtsordnung. Damit erfüllen sie auch einige Lernziele der Rechtsvergleichung. Kurse wie das Internationale Privatrecht oder das Völkerrecht ordnen die ­eigene Rechtsordnung in einen größeren Kontext ein. Sie zeigen Rahmenbedingungen auf, in denen sich die Einzelstaaten bewegen. Gerade im Internationalen Privatrecht ergeben sich zudem zahlreiche Gelegenheiten, um Regelungen verschiedener ausländischer Rechte vorzustellen. Häufig werden insbesondere abweichende Regelungsmodelle besprochen. Sie verdeutlichen nachdrücklich, welche Unterschiede bestehen, wenn die verschiedenen Rechte Anwendung ­finden. Noch deutlicher vermitteln Kurse zu ausländischem Recht die sehr grundlegende Erkenntnis: Die einzelstaatlichen Rechtsordnungen, mit denen sich die Studierenden primär befassen, existieren weder in einem Vakuum noch sind sie die einzig denkbare Lösung tatsächlicher Probleme. Die Studierenden sehen, dass verschiedene Rechtsordnungen und verschiedene Normgeber existieren. Unterschiedliche Gesetzgeber können Regeln anders strukturieren und Probleme anders lösen. Die Offenheit für andere Denk- und Lösungsansätze, eine gewisse Demut gegenüber anderen Rechtsordnungen sowie das Bewusstsein der Relativität des eigenen Rechts können Studierende damit auch in Kursen lernen, die sich nicht gezielt der Rechtsvergleichung widmen98 . Dennoch bleiben Lücken, wenn Kurse zur Rechtsvergleichung im engeren Sinne fehlen. Zum einen kommt das vergleichende Element zu kurz99: Wo Rechtsordnungen nicht gezielt gegenübergestellt und hinsichtlich bestimmter tatsächlicher Probleme verglichen werden, kann auch keine Systematisierung erfolgen. Allgemeine Rechtsprinzipien drohen verkannt oder zumindest nicht in ihrer vollen Bedeutung erfasst zu werden. Unterschiede, die zur Illustration bestimmter Probleme eingestreut werden, laufen dagegen Gefahr, überschätzt 98  Vgl. auch den Hinweis bei Jamin/van Caenegem (Fn.  31), 22 mit einem weiten Verständnis der Internationalisierung der Juristenausbildung. 99  Kötz, ZEuP 1993, 268, 272; Rheinstein, 5 U. Chi. L. Rev. 615, 616 (1938); vgl. auch Fauvarque-Cosson (Fn.  70), 300; Gordley, 75 Tul. L. Rev. 1003, 1004 f. (2001) m. w. N.

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zu werden. So kann etwa im Internationalen Privatrecht zuweilen der Eindruck entstehen, das islamische Recht erschöpfe sich in der talaq-Scheidung und der Brautgabe, das US-amerikanische Recht in punitive damages. Fehlt der Rahmen der Rechtsvergleichung, fehlt häufig die Einordnung inländischer und ausländischer Regeln in ihren eigenen, aber auch in einen gemeinsamen Kontext. Dies erinnert schließlich daran, dass die Rechtsvergleichung ein Grundlagenfach im weitesten Sinne ist. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen mit Bezügen zum ausländischen und internationalen Recht ist die Rechtsvergleichung weniger anwendungsbezogen. Sie ist nicht primär darauf fokussiert, das anwendbare Recht für einen bestimmten Sachverhalt zu ermitteln; stattdessen trägt die Rechtsvergleichung zum besseren Verständnis dessen bei, was Recht ist und was es sein kann100 . Sie bietet zudem Gelegenheit, sich auch die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bezüge des Rechts bewusst zu machen101. Wie die übrigen Grundlagenfächer eröffnet sie so Horizonte, für die in den stärker anwendungsorientierten Kursen schlicht keine Zeit bleibt. Auch wenn die Globalisierung somit die Befassung mit ausländischem und internationalem Recht fördert, gilt dennoch das alte Plädoyer für mehr Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung fort.

D. Fazit und Ausblick Zusammenfassend muss man daher feststellen: So vielfältig die verschiedenen Modelle der Juristenausbildung sein mögen, gemeinsam scheint ihnen zu sein, dass die Rechtsvergleichung im engeren Sinne eher ein Schattendasein fristet. Im Zuge der Globalisierung nimmt das Angebot an Kursen zum ausländischen und internationalen Recht zwar zu, es vermag die Befassung mit der Rechtsvergleichung im engeren Sinne aber nicht vollends zu ersetzen. Eine abschließende Beobachtung mag diese These noch weiter stützen: Hat die Rechtsvergleichung primär als Wahlfach Bedeutung, hängt es letztlich von der Eigeninitiative jedes Studierenden ab, ob er sich während des Studiums überhaupt mit rechtsvergleichenden Inhalten befasst. Haben Studierende daran kein Interesse, können sie regelmäßig ihre Berufsqualifikation erreichen, ohne jemals mit rechtsvergleichenden Inhalten konfrontiert zu werden. Vielfach fürchten Absolventen um ihre Berufsaussichten und planen ihr Studium vor allem mit Blick auf spätere Karrierechancen. Es drohen daher solche Kurse zu einer Luxusbeschäftigung zu werden, die nicht strikt auf die Steigerung dieser

100  Dabei für die internationale Praxis relevante Erkenntnisse hervorhebend Fauvarque-­ Cosson (Fn.  70), 294 f. 101  Vgl. auch Rheinstein (Fn.  99), 619.

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Karrierechancen ausgerichtet sind102 . Für ein Universitätsstudium wäre dies eine ernüchternde Entwicklung.

102 

Vgl. bereits Kötz (Fn.  99), 272 für „juristische Auslandsstudien“.

Judikative Rechtsvergleichung im/und das Jurastudium zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung Stefan Martini „Rechtsvergleichung hat Konjunktur“,1 hieß es vollmundig auf der Staatsrechtslehrertagung 2017 in Saarbrücken. Die Beobachtung bezog sich auf die Praxis von (zumeist überstaatlichen) Gerichten, auf Fragmentierungen von Rechtsordnungen und -ebenen mit rechtsvergleichender Argumentation zu reagieren. Trotz dieser jüngeren Entwicklung erscheint es zunächst kontraintuitiv, sich – zumal aus der Warte der Rechtsdidaktik – mit Rechtsvergleichung als Ausprägung gerade gerichtlicher Tätigkeit zu befassen. Denn Rechtsvergleichung gilt als hauptsächlich akademischer Zeitvertreib.2 In diesem Sinn kann beispielsweise Christoph Möllers verstanden werden, wenn er der Rechtsvergleichung den Status einer „entscheidungsbegründende(n) Technik“ abspricht.3 Außerdem ist nicht von vornherein evident, dass sich das juristische Studium und die darauf bezogene rechtsdidaktische Reflexion auf ein Praxisphänomen unter vielen einlassen sollten. Entgegen konventioneller Intuition bedient sich indes gerade die nationale Rechtspraxis immer wieder rechtsvergleichender Erkenntnisse. Die pragmatische Seite der Rechtsvergleichung kommt prominent in der Verfassungs- und Gesetzgebung,4 in wohl begrenzter und begrenzt einsichtiger Form in der Verwaltungspraxis sowie seit geraumer Zeit in der gerichtlichen Praxis5 zum Einsatz. Solch angewandte Rechtsvergleichung steht zwar weniger im Zentrum akademischer (Über-)Prüfung als der unmittelbare Zugriff auf (rechtsordnungsrelativ variable) materielle und institutionelle Regelungen im Rechtsver1 

Griller VVDStRL 77 (2018), 237, 277. auch die hohe Anzahl rechtsvergleichender Promotionen trotz geringen Anteils rechtsvergleichender Veranstaltungen im juristischen Studium in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Hobe/Marauhn, Internationalrechtliche Lehre in Deutschland, Österreich und der Schweiz – eine Bestandsaufnahme, 15.6.2016, www.dgfir.de/workspace/media/docu ments/teilergebnisse_ag_lehre2.pdf. 3  Möllers, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd.  I, 2. A., 2012, Rn.  41. 4  C. Fuchs JRP 21/1 (2013), 2; Lupo/Scaffardi (Hrsg.), Comparative Law in Legislative Drafting, 2014. 5  S. nur Andenas/Fairgrieve (Hrsg.), Courts and Comparative Law, 2015; S. Martini, Vergleichende Verfassungsrechtsprechung, 2018. 2 S.

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gleichungsunterricht, zumeist in Form der Auslandsrechtskunde. Vorausgesetzt und unterstellt, das juristische Studium erfolgt zumindest auch mit Blick auf die Praxis, ist allerdings danach zu fragen, wie die Rechtsdidaktik darauf reagieren soll, dass Gerichte – wegen der Vernetzung der Rechtsordnungen in Zukunft gar häufiger6 – aktiv Rechtsvergleichung betreiben. Und damit verknüpft: Wie kann das juristische Studium spezifisch auf judikative komparative Praxis vorbereiten?7 Diese Fragestellung verschaltet auf spezifische Weise drei Komplexe, die bereits für sich genommen eigene Forschungsfelder aufspannen: Zunächst die Bedeutung, Durchführung und Anwendungsfelder gerichtlicher Praxis der Rechtsvergleichung nebst der Durchdringung der unterschiedlichen Gerichtszweige und -instanzen; zweitens die Berücksichtigung juridischer (einschließlich judikativer) Praxen im juristischen Studium, das versucht, sowohl der gesetzlich eingeforderten8 und im Proprium der Rechtswissenschaft angelegten9 Praxisorientierung als auch der akademischen Emanzipation von dieser10 gerecht zu werden; sowie drittens die rechtsdidaktische Rekonstruktion der Rechtsvergleichung. Die Verknüpfung dieser Elemente in diesem Beitrag soll dazu dienen herauszuarbeiten, inwiefern rechtsvergleichende Inhalte und Methodik im juristischen Studium spätere Richterinnen und Richter befähigen können, komparativ zu argumentieren. Dazu schildere ich zunächst (A.), wie relevant komparative Argumentation für die Gerichte ist und gehe auf entsprechende Praxis (A. I.), auf rechtsstrukturelle (A. II.) und rechtliche (A. III.) Gründe für den Einsatz der Rechtsvergleichung sowie auf kollektive Einstellungen in der Justiz (A. IV.) ein. Nachdem ich in einem zweiten didaktisch reflektierten Abschnitt Kompetenzen vorstelle, die der komparativen Gerichtspraxis zugrunde liegen (B.), möchte ich Ideen anreißen, wie Rechtsvergleichung und gerade judikative Rechtsvergleichung sowie der Erwerb komparativer Kompetenzen im juristischen Studium integriert werden können (C.).

6  So jedenfalls die jüngere Tendenz „westlicher“ Verfassungsgerichte Jakab/Dyevre/Itzcovich, in: dies. (Hrsg.), Comparative Constitutional Reasoning, 2016, 761, 790. 7  Voranstellen möchte ich an dieser Stelle eine Horizontbegrenzung: Als jemand, der im öffentlichen Recht forscht (und lehrt), kann ich zum einen nur von außen auf gerichtliche Abläufe blicken sowie zum anderen erst recht nur beschränkt kundig zu den Besonderheiten des Strafrechts und Zivilrechts Stellung nehmen. 8  S. §  5a Abs.  3 Satz  1 DRiG: „Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende, verwaltende und rechtsberatende Praxis …“; entsprechend für die Prüfungsseite: §  5d Abs.  1 Satz  1 DRiG. 9  von Arnauld, in: Funke/Lüdemann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Wissenschaftstheorie, 2009, 65, 68 ff., 84 ff.; Jestaedt JZ 2014, 1, 5. 10  S. z. B. Hufen JuS 2017, 1, 3.

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A. Relevanz komparativer Argumentation für die gerichtliche Praxis Statt dem unschärferen Begriff der Rechtsvergleichung soll operationell spezifischer in diesem Beitrag von komparativer Argumentation die Rede sein. Damit ist sowohl eine konzeptionelle Einschränkung als auch eine potentielle Erweiterung verbunden. Zum einen setzen Gerichte in der Regel sehr knappe rechtsvergleichende Elemente und Verweise zur Begründung ihrer Entscheidungen ein. Damit bleiben sie häufig hinter der Ausführlichkeit, Komplexität und methodischen Rigorosität akademischer Rechtsvergleichung zurück.11 Aufgrund des Anwendungskontextes wird Rechtsvergleichung funktionalisiert und ein Baustein in einer Begründungskette – sie steht nicht für sich wie (häufig) in ­einer akademischen wissenschaftlichen Untersuchung.12 Judikative komparative Argumentation führt damit zu einer pragmatisch variierten Anwendung rechtsvergleichender Inhalte, Arbeitsweisen und Methoden. Zum anderen wiederum kann der Begriff der komparativen Argumentation Begründungselemente der gerichtlichen Praxis erfassen, die – mangels Abgleichs zweier nationaler Rechtsordnungen – nicht im engeren Sinn als Rechtsvergleichung verstanden werden müssen, aber gleichwohl strukturell analog über die autochthone Rechtsordnung hinausweisen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn nationale und überstaatliche Rechtsordnung aufeinander abgestimmt werden (und dies gerichtlich kontrolliert werden kann13), so in der Strukturklausel des Art.  23 Abs.  1 GG. Warum dieses weite Verständnis rechtsvergleichender Argumentation gerade (rechts-)didaktisch sinnvoll ist, soll im Laufe dieses Beitrags mit Blick auf komparative Kompetenzen im Allgemeinen (B.) noch deutlich hervortreten (s. auch III. 3.). Nicht nur nach der Relevanz gerichtlicher Rechtsvergleichung, vorgelagert selbst nach der Relevanz gerade gerichtlicher Praxis für das juristische Studium ließe sich fragen, da nur ein recht geringer Anteil, nämlich ca. 15% der ausgebildeten Juristinnen und Juristen in der Justiz beschäftigt ist.14 Freilich strahlen die Praxis der Gerichte und ihre Argumentationsstrategien auf die anderen juristischen Berufe aus.15 Denn Rechtspraktikerinnen und Rechtspraktiker orientieren sich an Gerichtsentscheidungen bzw. versuchen, deren Zustandekommen 11  S. nur Drobnig, in: ders./van Erp (Hrsg.), The Use of Foreign Law by Courts, 1999, 127, 127, 143. 12  Martini (Fn.  5), 52 ff. 13  BVerfGE 123, 267, 348, 363 ff. (2009) – Lissabon; BVerfGE 102, 147, 163 f. (2000) – Bananenmarktordnung. 14 Zahlen der Bundesagentur für Arbeit von 2011, Strohm LTO, 5.5.2014, www.lto.de/ recht/job-karriere/j/statistik-jura-arbeitswelt-zahlen-fakten-juristenschwemme-gehalt-frau enanteil/. 15  Von der Relevanz von Rechtsvergleichung für den Anwaltsberuf überzeugt Croon-Gestefeld u. a. ZRP 2016, 205, 206.

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in ihrem Sinne zu beeinflussen, da erst diese normative Vorgaben des Gesetzgebers fallabgehoben wie fallspezifisch konkretisieren.16 Zudem herrscht mit dem Ziel der Ausbildung (Befähigung zum Richteramt) weiterhin zumindest nominell eine Justizorientierung in der juristischen Ausbildung17 und steht die Rechtsprechung als zu berücksichtigende Praxis im Studium nicht zufällig an der Spitze vor anderen juristischen Berufszweigen (s. §  5a Abs.  3 Satz  1 DRiG). Die Rückstrahlung der Gerichtspraxis als auch die Vorwärtsbewegung des Studiums sprechen somit dafür, dass sich Anforderungen der Justizpraxis – sei es als Kompetenzziele oder als Studiengegenstand – im juristischen Studium wiederfinden können und auch sollten.18 I. Judikative Praxis komparativer Argumentation Nun kommt es für die Frage, inwiefern gerade judikative Rechtsvergleichung im Studium berücksichtigt werden sollte, darauf an, ob Rechtsvergleichung ein Element der gerichtlichen Praxis ist bzw. ob und in welchen Konstellationen sie Bedeutung erlangen kann.19 Gesicherte empirische Erkenntnisse über Rechtsvergleichung an (deutschen) Gerichten gibt es jedoch wenige sowie lediglich ausschnitthaft für einzelne Gerichte und höchste Instanzen. In meiner Untersuchung zur vergleichenden Verfassungsrechtsprechung, die diese Lücken zu schließen versucht, konnte ich mit Hilfe einer empirischen Analyse für das Bundesverfassungsgericht aufzeigen, dass dieses – ohne wie z. B. das Südafrikanische Verfassungsgericht zu rechtsvergleichender Auslegung in Grundrechtssachen ausdrücklich ermächtigt zu sein (s. Art.  39 Abs.  1 lit.  c Verfassung Südafrika) – auf einem im internationalen Vergleich relativ niedrigen Niveau beständig und seit der Jahrtausendwende sogar ansteigend komparativ argumentiert.20 Nimmt man überstaatliche Bezüge (z. B. zum Unionsrecht) hinzu, weist seit dem Jahr 2000 ca. jede fünfte Entscheidung (die in 16  Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, 1. S. auch Röhl, in: Brockmann/Dietrich/ Pilniok (Hrsg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, 2011, 67, 75. 17  S. §  5 DRiG; zu dieser Orientierung Dylla-Krebs BRJ 2016, 1; Stürner, in: Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education 2016, 115, 117; Haft, Einführung in das juristische Lernen, 7. A. 2015, 23; Keilmann GLJ 7 (2006), 293, 296. Zur (preußischen) Entstehungsgeschichte der spezifischen juristischen Ausbildung Krause, in: Baldus/ Finkenauer/Rüfner (Hrsg.), Juristenausbildung zwischen Tradition und Reform, 2008, 95. 18  Allerdings gegen das Studienziel, auf bestimmte Berufsrollen vorbereiten zu müssen, Bull JZ 2002, 977, 978. 19  S. auch eine Umfrage in der (österreichischen) juristischen Praxis, welche Fachkenntnisse als eher wichtig eingeschätzt werden, Griesbacher/Griesbacher, in: Warto u. a. (Hrsg.), Rechtsdidaktik: Pflicht und Kür?, 2017, 120: Rechtsbestände anderer Staaten (36%) und Rechtsvergleichung (17%); zum Vergleich Bürgerliches Recht (88%) und Rechtsinformatik und -datenbanken (67%) sowie Völkerrecht (10%). 20  Martini (Fn.  5), 91 ff., 88. Bspw. Markesinis/Fedtke, Engaging with Foreign Law, 2009, 170, vermuten hingegen (im Zeitverlauf) einen Abfall komparativer Motivation an deutschen Höchstgerichten.

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den Entscheidungsbänden abgedruckt ist) über die deutsche Rechtsordnung hinaus.21 Im Längsschnitt der Rechtsprechungsgeschichte des Bundesverfassungsgerichts sind es – ohne überstaatliche Bezugnahmen einzubeziehen – 5% rechtsvergleichende Entscheidungen.22 Im Vergleich dazu zitiert das Bundesverfassungsgericht juristische Literatur und eigene Entscheidungen viel häufiger, d. h. mittlerweile in der Mehrzahl aller in der amtlichen Sammlung abgedruckten Entscheidungen.23 Andere Forschungsarbeiten zu Höchstgerichten bieten zumeist zwar reichhaltige, allerdings v. a. anekdotische Darstellungen.24 Zudem kann die Forschung in der Regel nur an der Oberfläche der Entscheidungsbegründungen ansetzen, um rechtsvergleichende Begründungen zu identifizieren. Einblicke in den Maschinenraum der Rechtsprechungsproduktion erhalten wir nur über Zeugnisse der Richter/innen 25 sowie dank qualitativer Studien 26 , von denen wiederum nur wenige existieren. Diese Zugänge befassen sich zudem hauptsächlich nicht mit der deutschen Gerichtsbarkeit und dabei lediglich wiederum mit den höchsten Instanzen der jeweiligen Gerichtsbarkeiten. Erst recht wissen wir daher wenig über autonome Rechtsvergleichung27 an unteren Gerichten, die jenseits der Erhebung und Anwendung ausländischen Rechts bspw. im Rahmen internationalen Privatrechts stattfindet. Vermutlich wird sich – abgesehen von Einzelfällen – die Beschäftigung mit fremdem Recht in Grenzen halten bzw. sich komparative Argumentation noch erheblich unter dem Niveau der Höchstgerichte bewegen.28 Von den ca. 20.000 Richterinnen und Richtern in Deutschland 29 befasst sich somit nur ein Bruchteil (in der hier 21 

Martini (Fn.  5), 94 f. Martini (Fn.  5), 88. Drobnig schätzte 1999 mit 1 % zu niedrig, s. (Fn.  11), 141. 23  Martini (Fn.  5), 89 ff. 24  Z. B. Drobnig (Fn.  11); Markesinis/Fedtke (Fn.  20), 164 ff.; von Busse, Die Methoden der Rechtsvergleichung im öffentlichen Recht als richterliches Instrument der Interpretation von nationalem Recht, 2015. S. allerdings Gelter/Siems Utrecht Law Review 8 (2012), 88; Cárdenas Paulsen, Über die Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009. 25 Für das Bundesverfassungsgericht z. B. P. M. Huber/Paulus, in: Andenas/Fairgrieve (Fn.  5), 281, 293; Kranenpohl, Schleier des Beratungsgeheimnisses, 2010, 92. 26  Z. B. Mak, Judicial decision-making in a globalised world, 2013, 62 ff., mit Hilfe von Interviews. 27  Zum Begriff der autonomen Rechtsvergleichung, der Inbezugnahmen fremden Rechts aufgrund eines harten Rechtsanwendungsbefehls ausschließt, Martini (Fn.  5), 42 ff. 28  Zu einer landgerichtlichen Entscheidung Drobnig (Fn.  11), 134; s. z. B. LG Lübeck, NJW 1953, 906, 907, zum „Rechtsstaat kontinentaleuropäischer Prägung“; OVG NRW, 4 A 775/14, 4.11.2014, Rn.  121; s. auch OLG Celle, NJW 2005, 2160, 2160 f., zur ausführlichen Relativierung komparativer Argumentation in Reaktion auf eine Berufungsbegründung. Nur ein Bruchteil der Richterinnen und Richter nimmt an Austauschen mit anderen Richtervereinigungen teil, s. anekdotisch Markel, in: Festgabe 100 Jahre Deutscher Richterbund, 2009, 367, 369 f. 29  Bundesamt für Justiz, Referat III 3, Richterstatistik 2016, 11.12.2017, www.bundesjus tizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Justizstatistik/Richterstatistik_2016.pdf. 22 

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zugrunde gelegten Weise) regelmäßig mit rechtsvergleichenden Erkenntnissen. Auch die (bereits aus institutionellen Gründen nahe liegende) komparative Praxis europäischer und internationaler Gerichte30 ist nicht repräsentativ für die Masse nationaler gerichtlicher Entscheidungen. Allerdings sollte Berücksichtigung finden, dass untere Gerichte die Bedeutung komparativer Argumentationen höherer und europäischer wie internationaler Gerichte klären und beurteilen können müssen. Jedenfalls als mittelbare Rezipienten komparativer Argumentation sollten daher Richterinnen und Richter über eine gewisse Grundkenntnis rechtsvergleichender Reflexion verfügen. Relativiert wird die Bedeutung komparativer Argumentation schließlich dadurch, dass die deutschen Gerichte – mit der globalen Praxis übereinstimmend – komparative Argumentation im Wesentlichen additiv und affirmativ verwenden; d. h., die konventionellen Auslegungsdimensionen und Argumenta­tions­ figuren stehen eindeutig im Zentrum judikativer Begründungs­anstren­g ungen.31 II. Rechtsstrukturelle Grundlage komparativer Argumentation Freilich sollte man sich von der spärlichen empirischen Ausbeute zu keinem vorschnell vernichtenden Urteil über die Bedeutung komparativer Argumentation der Gerichte verleiten lassen. Anders als einige Stimmen (in der Literatur32) meinen, ist nicht davon auszugehen, dass fortschreitendes Lebensalter einer Rechtsordnung und abnehmende Neigung zur komparativen Argumentation korrelieren. Frei gewählte, komparative Argumentation kann immer wieder hilfreich sein, um die eigene juristische Argumentation zu stützen. Die Motivation zur komparativen Argumentation hat nämlich nur mittelbar etwas mit dem Entwicklungsstand einer Rechtsordnung zu tun (einer im Übrigen zweifelhaften Kategorie), sondern ist vielmehr Ausdruck der unvermeidbaren Un- bzw. Überbestimmtheit von Rechtsnorminhalten sowie der ebenfalls unausweichlichen Prä-Determinationsschwäche der Rechtsanwendung.33 Vergleichbare Argumentationsmuster und Implementationserfahrungen in anderen Rechtsordnungen können insofern dazu beitragen, die Begründungsrationalität einer gerichtlichen Entscheidung zu erhöhen, indem – bildlich gesprochen – unsichere Begründungssprünge verkürzt und Interpretationslücken überbrückt werden. Begründungen können eingespart werden, wenn sich ihre Explikation in den Inbezugnahmen auflösen lässt (Verkürzungspotential); autochthone Begründungen müssen nicht eigens entwickelt werden, wenn sich allochthon Vorgedachtes übertragen lässt (Überbrückungspotential). Komparative Argumentation reduziert Auslegungs- und Anwendungsunsicherheit 30 

S. nur Gless/Martin Bergen Journal of Criminal Law and Criminal Justice 1 (2013), 36. Martini (Fn.  5), 308, 363 f. 32  S. z. B. Fn.  20. 33 S. Martini (Fn.  5), 377 ff. 31 

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und ist somit konventionellen Auslegungsdimensionen und tradierten Argumentformen grundsätzlich funktional äquivalent.34 In diesem Sinne ist auch die – von Peter Häberle geprägte – im besten Sinn plakative Werbeformel von der fünften Auslegungsmethode35 zu verstehen. III. Rechtliche Ansatzpunkte für komparative Argumentation Über diese rechtsstrukturelle Rechtfertigung komparativer Argumentation hinaus, die den komparativen Gebrauch weitgehend in das richterliche Begründungsermessen stellt, sind genuin rechtsnormative Motivierungen von unmittelbarer Relevanz für den Rechtsunterricht. Mit diesen Ansatzpunkten sind freilich nicht spezifisch „weltläufige“ Materien angesprochen, die einen gewissen Bezug zur Grenzüberschreitung in sich tragen, oder Fallkonstellationen, die globale Dimensionen annehmen.36 Auch andere Rechtsprobleme sind gewöhnlicher autonomer Rechtsvergleichung zugänglich, d. h. die zuständigen Richterinnen und Richter entscheiden frei, ob die Besonderheiten des Falles dazu Anlass geben, Rechtsvergleichendes in die Entscheidungsfindung einzubeziehen oder sogar in die Entscheidungsbegründung aufzunehmen.

1. Transnationales Feld der Rechtskommunikation Genuin rechtliche Ansatzpunkte für komparative Argumentation sind vielmehr in Konstellationen anzutreffen, in denen es eine wenigstens weiche rechtliche Verpflichtung oder Verantwortung gibt, nach außen zu blicken und vergleichende Überlegungen anzustellen. Die generelle gesellschaftliche wie rechtliche Verflechtung von Rechtsordnungen weltweit schaut auf den ersten Blick eine solche Verpflichtung nicht zu begründen. Ein sich herausbildendes transnationales Feld der Rechtskommunikation beeinflusst gleichwohl die gegenseitige Öffnungsfähigkeit und -freundlichkeit der autochthonen Rechtsordnung.37 Insofern ist im globalen Vergleich beobachtbar, dass Höchst- und Verfassungsgerichte bei der Interpretation von Grundrechten, bei Verhältnismäßigkeitsüberlegungen sowie bei neuartigen und moralisch umstrittenen Konstellationen besonders häufig komparativ argumentieren.38 Greifen Vernetzung der Rechtsordnungen und endogene Öffnungsbewegungen der autochthonen Ord34  Sie folgt gewöhnlichen Suchbewegungen des Rechts nach Rationalität, Autorität und Konsens, s. Martini (Fn.  5), 529 ff. 35  Häberle JZ 1989, 913. 36  Ebenso wenig gibt es Materien, die sich der Vergleichung prinzipiell entziehen, Gamper, Regeln der Verfassungsinterpretation, 2012, 18. 37  Martini (Fn.  5), 493 ff. S. auch Kadner-Graziano ZeuP 2014, 204, 210 sowie Ranieri Ius Commune XVII (1990), 9, 13, rechtshistorisch zu einem „gesamteuropäischen Argumenta­ tions­zusammenhang“ mit Blick auf das Gemeinrecht. 38  Martini (Fn.  5), 313 ff.

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nung39 ineinander, sind die nationalen Gerichte in pragmatischen Grenzen gehalten, Entwicklungen in anderen Rechtsordnungen zumindest zu verfolgen.40 Diese Aufgabe kann man mit dem unscharfen Begriff der Verantwortung fassen, der diesseits einer rechtlichen Verbindlichkeit verbleibt, allerdings gleichermaßen von rechtlicher Irrelevanz abzuheben ist.

2. Auslegung und Anwendung von Völker- und insbesondere Europarecht In verbindlichere Regionen rechtsvergleichender Argumentation stößt man vor als Richterin (oder Richter) bei der Auslegung und Anwendung des Völkerrechts und insbesondere des Rechts der Europäischen Union.41 Wenngleich es keine völkerrechtliche (und verfassungsrechtliche42) Verpflichtung zur homogenen Umsetzung (multilateraler) völkerrechtlicher Pflichten gibt, nehmen alle beteiligten Rechtsordnungen an der parallelen Interpretation eines gemeinsamen Projekts teil.43 Insofern ist es berechtigt, von ihnen als „sister signatories“ zu sprechen, wie dies der als Isolationist berüchtigte U.S. Supreme Court-Richter Antonin Scalia selbst in einer Urteilsbegründung getan hat.44 Je integrativer bzw. dichter die jeweilige überstaatliche Rechtsordnung angelegt ist, desto stärker wirkt die Pflicht zur Auseinandersetzung mit parallelen Interpretationsakten anderer beteiligten Rechtsordnungen – argumentativ verwirklicht sich diese Rechtspflicht als Abweichungsbegründungslast.45 Ein unionsrechtliches Beispiel für eine solche Verpflichtung findet sich in der Rechtsprechung des EuGH. Seit der Rechtssache C.I.L.F.I.T. von 1982 ist geklärt, dass ein letztinstanzliches mitgliedstaatliches Gericht entgegen der Vorlagepflicht aus Art.  267 Abs.  3 AEUV dem EuGH eine unionsrechtliche Frage 39 Hierzu 40 

Holterhus/Mittwoch/El-Ghazi JuS 2018, 313, 314. S. z. B. zur Beobachtungsverantwortung des Bundesverfassungsgerichts Martini (Fn.  5),

620 f. 41  S. Beiträge in Andenas/Fairgrieve (Fn.  5), 119 ff.; A. Müller (Hrsg.) Judicial Dialogue and Human Rights, 2017; sowie von Bogdandy JZ 2011, 1, 4. In der Rechtspraxis außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit (z. B. anwaltliche Beratung, Schiedspraxis) können grenzüberschreitende private Rechtsetzung und öffentlich-private Rechtsnetzwerke vergleichende Anstrengungen erfordern, s. Berman Southern California Law Review 80 (2007), 1155, 1201; Muir Watt, in: Reimann/R. Zimmermann (Hrsg), Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 579, 606; Zumbansen, in: Adams/Bomhoff (Hrsg.), Practice and Theory in Comparative Law, 2012, 186, 194. 42 Dies ergibt sich bereits aus Verfassungsvorbehalten und parlamentarischer Abweichungsmöglichkeit gegenüber völkerrechtlichen Verpflichtungen, s. BVerfGE 141, 1, 16 (2015) – treaty override: „In ihrem Geltungsbereich bestimmt die Verfassung … über Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht sowie über die Auflösung von Kollisionen.“ 43  von Arnauld, in: Tomuschat/Verhoeven (Hrsg.), The Practice of International Law in France and Germany, 2012, 11, 20; A. Roberts ICLQ 60 (2011), 57; Lutter JZ 1992, 593. 44  U. S. Supreme Court, Olympic Airways v. Husain 540 U.S.  6 44, 658 (2004), Scalia dissenting. 45  Martini (Fn.  5), 621 ff.

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nicht vorlegen muss, wenn es sich (nach Einschätzung des nationalen Gerichts46) um eine offenkundige Interpretation des Unionsrechts – einen acte clair – handelt. Der EuGH fügte allerdings im Interesse der Einheitlichkeit des Unionsrechts47 hinzu, dass das vorlageverweigernde Gericht überzeugt sein muss, „dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewißheit bestünde“48 . Die Konsultation der Rechtsprechung anderer Mitgliedstaaten beeinflusst insoweit die eigene, nationale Rechtsprechung zum Unionsrecht und beruht auf einer unionsrechtlichen Verpflichtung.49 Ob die Positionen der anderen mitgliedstaatlichen Gerichte der eigenen Interpre­ tation des Unionsrechts entsprechen, lässt sich nur mittels vergleichender Bewertungen ermitteln (und setzt dem vorausliegend komparative Kompetenz voraus). Rechtsvergleichung ist im Übrigen zum Verständnis der Bildung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Unionsrecht (s. Art.  6 Abs.  3 EUV) von Bedeutung.50 Denn die verfassungsrechtlichen Traditionen der Mitgliedstaaten (und die EMRK) informieren den EuGH beim Prozess komparativ-wertender Rechtskreation. Zwar verdrängt die Grundrechte-Charta der Europäischen Union die Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze in Grundrechtsmaterien zum großen Teil. Allerdings kommen selbst bei der Interpretation der Grundrechte-Charta Vergleichungsaspekte zum Tragen: So müssen alle mitgliedstaatlichen Gerichte – also auch die Fachgerichte – bei der Interpretation der Charta-Positionen die EMRK sowie die entsprechende EGMR-Rechtsprechung berücksichtigen, sofern sich Charta- und Konventionsrecht entsprechen (s. Art.  52 Abs.  3 GRC). 46 

EuGH (1. Kammer), C-495/03, Intermodal Transports, EU:C:2005:552, Rn.  37. 6.10.1982, C.I.L.F.I.T., 283/81, EU:C:1982:335, Rn.  21, erwähnt die „Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft“. 48  EuGH, 6.10.1982, 283/81, EU:C:1982:335, Rn.  16; kritisch gegenüber dem Konzept des acte clair die Schlussanträge von GA Capotorti in derselben Sache, 13.7.1982, EU:C:1982:267, Slg. 1982, 3415, 3435 ff. Die Vergleichungspflicht erstreckt sich nicht auf rechtliche Einschätzungen von Verwaltungsbehörden anderer Mitgliedstaaten, EuGH (1. Kammer), C-495/03, Intermodal Transports, EU:C:2005:552, Rn.  39. Das Bundesverfassungsgericht überprüft die unionsrechtliche Vorlagepflicht durch den Filter des verfassungsrechtlichen Maßstabs von Art.  101 Abs.  1 Satz  2 GG und nur auf ihre willkürliche Missachtung – das mittelbare Vergleichungserfordernis aus der EuGH-Rechtsprechung erwähnt das Bundesverfassungsgericht sogar in BVerfG, NJW 2010, 1268, 1269 Rn.  20, macht es aber nicht für die Überprüfung der Vertretbarkeit fachgerichtlicher Rechtsprechung fruchtbar (s. auch BVerfG, NVwZ-RR 2018, 169, 170 f. Rn.  23 ff.; BVerfGE 135, 155, 233). 49  In der Folgerechtsprechung hat der EuGH seine Vorgaben konkretisiert (und die mittelbare Vergleichungspflicht abgeschwächt) – eine schlichte Entscheidungsdivergenz hindert noch nicht die Annahme eines acte clair; dies ändert sich, soweit Vorlagen anderer mitgliedstaatlicher Gerichte existieren, EuGH (2. Kammer), C-160/14, Ferreira de Silva e Brito, EU:C:2015:565, Rn.  40 ff. S. auch Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. A. 2016, Art.  267 AEUV Rn.  33; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art.  267 AEUV Rn.  58 (EL 50 Mai 2013). 50  S. nur F. C. Mayer I·CON 11 (2013), 1003. 47 EuGH,

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Soweit Charta-Grundrechte darüber hinaus Verfassungsordnungen anderer Mitgliedstaaten entspringen, sind auch diese in der Auslegung zu konsultieren (Art.  52 Abs.  4 GRC).

3. Relevanz komparativer Kompetenzen für Fachgerichte Dass eine Sensibilität für vergleichende Methodik auch für Gerichte jenseits des Kreises oberster Bundes- und Verfassungsgerichte (und jenseits autonomer Rechtsvergleichung in einem sehr engen Sinn) erforderlich sein kann, zeigt exemplarisch der Fall um die Auslieferung von Carles Puigdemont.51 Da dem – sich in Deutschland aufhaltenden – früheren Regionalpräsidenten Kataloniens u. a. vorgeworfen wird, sich des Straftatbestandes der Rebellion schuldig gemacht zu haben (Art.  472 Abs.  5 und 7 des spanischen Strafgesetzbuches52), musste sich aufgrund eines Europäischen Haftbefehls das zuständige OLG Schleswig u. a. der Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit widmen, um über die Auslieferung Puigdemonts zu entscheiden. Wie man die beiderseitige Strafbarkeit prüft, regeln Art.  2 Abs.  4 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl53 sowie §  3 Abs.  1 IRG54 (i. V. m. §  81 IRG). In einer ersten vorgeschalteten vergleichenden Betrachtung wäre zu prüfen, ob sich unionsrechtliche Vorschrift und deutsche Umsetzungsnorm (Art.  2 Abs.  4 RBEurHb und Art.  3 Abs.  1 IRG) entsprechen.55 Zu vergleichen wären hier bspw. die tatbestandlichen Formulierungen „Handlungen“ (EU) und „Tat“ bzw. „bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts“ (dt.) bzw. „Straftat … darstellen“ (EU) und „Tatbestand … verwirklicht“ bzw. „eine … Tat wäre“ (dt.) – aus dem isolierten Wortlaut lässt sich zunächst kein offenkundiger Widerspruch zwischen nationalem und unionsrechtlichem Recht erkennen; es kommt freilich auf die Auslegung der Tatbestände durch die jeweilig zuständigen Gerichte und sich daraus ggf. ergebende Bedeutungsdifferenzen an. Der EuGH deutet eine analoge unionsrechtliche Vorschrift jedenfalls so, dass geprüft werden muss, „ob dann, wenn die betreffende Straftat im Hoheitsgebiet 51 

Nach §  23 IRG sind hier die Oberlandesgerichte zuständig. S. v. a. Art.  472 Abs.  5: „Son reos del delito de rebelión los que se alzaren violenta y públicamente para cualquiera de los fines siguientes: … Declarar la independencia de una parte del territorio nacional“. 53  „Bei anderen Straftaten … kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat.“ Rahmenbeschluss 2002/584/JI v. 13.6.2002, Abl. Nr. L 190 v. 18.7.2002. 54  „Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die Tat auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, oder wenn sie bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat wäre.“ 55  S. (oberflächlich) durchgeführt von OLG Schleswig, Beschluss vom 12.7.2018, 1 Ausl (A) 18/18 (20/18), S.  7 f. 52 

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des Mitgliedstaats … begangen worden wäre, ein ähnliches, vom nationalen Recht dieses Staates geschütztes Interesse als verletzt gegolten hätte“56 . Es sei zu beurteilen, ob die „Sachverhaltselemente … als solche auch im Vollstreckungsstaat, wenn sie sich in dessen Hoheitsgebiet ereignet hätten, einer strafrechtlichen Sanktion unterliegen würden“57. Die Auslegung des EuGH entspricht damit in der Tendenz dem IRG-Modell der deutschen Strafbarkeit bei (fingierter) Umstellung des Sachverhalts.58 In der konkreten Prüfung des Auslieferungsgesuchs ist – dies ist eine Folge des Ähnlichkeitskriteriums des EuGH – eine zweite vergleichende Operation notwendig, nämlich die Suche nach einem vergleichbaren Straftatbestand im deutschen Strafrecht: In Betracht kommt vor allem der Hochverrat (§  81 ­StGB),59 nach dessen Subsumtion das OLG im konkreten Fall eine hypothetische Strafbarkeit verneinte. 60 Aufgrund der erforderlichen Ähnlichkeit der durch die jeweiligen Straftatbestände geschützten Interessen kann nicht jede etwaige Strafbarkeit (des dem Haftbefehl zugrunde liegenden Sachverhalts) nach dem Recht des Vollstreckungsstaats die Zulässigkeit der Auslieferung begründen.61 Deshalb würde es wohl zu weit gehen, im Fall Puigdemont z. B. die einfache Nötigung (§  240 StGB) zu prüfen.62 Innerhalb der hypothetischen Subsumtion ist eine weitere – der Komparation durchaus verwandte – Übertragungsleistung gefordert, nämlich den vorgetragenen Sachverhalt in einen Sachverhalt des Vollstreckungsstaates zu konvertieren. Hier scheint (unionsrechtlich) noch nicht vollständig geklärt, inwieweit vom konkreten Sachverhalt abstrahiert werden sollte. 63 Für eine gewisse Generalisierung sprechen das gegenseitige Vertrauen 56 EuGH (5. Kammer), 11.1.2017, Grundza, EU:C:2017:4, C-289/15, Rn.   49 (Hervorhebung nicht im Original). Zur Übertragbarkeit auf die beiderseitige Strafbarkeit beim Europäischen Haftbefehl, Heger ZIS 2018, 185, 188. 57 EuGH (5. Kammer), 11.1.2017, Grundza, EU:C:2017:4, C-289/15, Rn.   38 (Hervorhebung nicht im Original). 58 Das OLG Schleswig bestätigt dies (im Grundsatz) implizit, wenn es betont, dass es nicht konkret genug sei, einen ähnlichen Straftatbestand zu identifizieren, der vergleichbare Sachverhalte unter Strafe stellt, NJW 2018, 1699, 1700 f. 59  Es ist freilich keine exakte Übereinstimmung der Tatbestandsmerkmale – hier des spanischen und des deutschen Straftatbestandes – erforderlich, s. GA Bobek, Schlussanträge v. 28.7.2016, C-289/15, Grundza, EU:C:2016:622, Rn.  54; Kubiciel, in: Ambos/König/Rackow, 2015, §  3 IRG, Rn.  26. 60 Das OLG erklärte lediglich die Auslieferung wegen Korruption für zulässig, OLG Schleswig, NJW 2018, 1699; OLG Schleswig, Beschluss vom 12.7.2018, 1 Ausl (A) 18/18 (20/18). Inzwischen ist das Verfahren beendet (und der Auslieferungshaftbefehl wegen Korruption aufgehoben), weil der spanische Ermittlungsrichter auf die Auslieferung verzichtete, s. OLG Schleswig, Beschluss v. 20.7.2018. 61  Kubiciel (Fn.  59), Rn.  26. Anders jedenfalls hypothetisch und unter Verweis auf entsprechende Literatur OLG Schleswig, Beschluss vom 12.7.2018, 1 Ausl (A) 18/18 (20/18), 8 f. 62  Dafür allerdings Heger (Fn.  56), 188. 63  Scharfe Kritik an der (aus seiner Sicht zu) ausführlichen Subsumtion des OLG Schleswig bei Sarmiento Verfassungsblog, 11.4.2018.

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der Mitgliedstaaten, das dem Rahmenbeschluss zugrunde liegt, und auch die Formulierung des EuGH: „Sachverhaltselemente … als solche“64. IV. Komparative Haltung und Relevanzbewusstsein Obwohl – wie eben dargestellt – Anlaufstellen für komparative judikative Argumentation existieren, ist die Realität der deutschen Justiz recht weit von komparativer Aufgeschlossenheit entfernt. Dies ist für einen rechtsdidaktischen Bedarf zumindest insoweit von Bedeutung, als die Relevanz komparativer Argumentation auch erkannt werden muss (s. noch B.). Der Mangel an komparativer Argumentation in der Rechtsprechung ist allerdings – dies scheint evident – zunächst auf die Pragmatik der Entscheidungssituation zurückzuführen: Standardisierte Auslegungen und Konstellationen, permanenter Zeitdruck und letztlich die hohen Aktenstapel sprechen gegen den (vermeintlichen) Luxus der Rechtsvergleichung. Die weitgehende Verbannung der Rechtsvergleichung aus der Justiz ist insoweit verständlich und lediglich durch unterstützende Vorarbeiten der Rechtswissenschaft abzumildern. 65 Jenseits solcher institutionellen Bedingungen versperren weit verbreitete Einstellungen (bzw. Einstellungsleerstellen) den Weg zu vermehrten komparativen Anstrengungen – (positiv ausgerichtetes) komparatives Bewusstsein ist individuell in der Gerichtsbarkeit zu selten verankert. Als exemplarische Stimme sei ein rechtswissenschaftlicher Interviewpartner aus einer rechtsdidaktischen Qualifikationsschrift zitiert, der (wiewohl als Professor) der Rechtsvergleichung „kein hohes Ansehen in der Rechtspraxis“66 bescheinigt. Methodischer Kosmopolitismus findet sich – so nehmen es viele an – eher bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als in der Praxis, 67 was im globalen Vergleich die Neigung zu komparativer Argumentation gerade an Verfassungsgerichten erklärt, die mitunter mit Professorinnen und Professoren besetzt werden. Die Autochthonie der Richterschaft beschränkt sich freilich nicht auf vermeintlich esoterische komparative Argumentation. Selbst dem Unionsrecht bzw. Entscheidungen des EuGH wird von deutschen Richterinnen und Richtern geringe Bedeutung zugemessen. Dies ist jedenfalls das Ergebnis einer Um64  S. auch GA Bobek, Schlussanträge v. 28.7.2016, C-289/15, Grundza, EU:C:2016:622, Rn.  6 4: „Maßgebend ist, ob eine derartige Tat, wenn sie im Hoheitsgebiet des vollstreckenden Mitgliedstaats begangen wird, an sich im Vollstreckungsstaat strafbar wäre.“ (Hervorhebung im Original). In einer etwas anderen Konstellation (s. Art.  3 Abs.  3 RBEurHb) kam der EuGH zum Schluss, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat nicht alle individuellen Voraussetzungen der Strafbarkeit zu prüfen habe, EuGH (Gr. K.), 23.1.2018, C-367/16), Piotrowski, EU:C:2018:27, Rn.  39 ff. 65  S. für Verfassungsrechtsprechungen Martini (Fn.  5), 582 ff. 66  Rzadkowski, Recht wissenschaftlich, 2018, 283. 67  Kischel VVDStRL 77 (2018), 285, 297: „Tendenzen zur methodischen Internationalisierung und Interdisziplinarität“.

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frage, die der RolandReport von 2014 enthält und vor allem Einstellungen von Richterinnen und Richtern aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit abbildet. 68 Allenfalls in der Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit wird die EuGH-Rechtsprechung als relevanter eingestuft. Diese Erhebungen deuten darauf hin, dass bereits im Studium das Bewusstsein für die Relevanz normativer Akte jenseits nationaler Grenzen gestärkt werden müsste, damit zukünftige Generationen von Richterinnen und Richtern diese in ihrer Entscheidungstätigkeit jedenfalls berücksichtigen.

B. Komparative Kompetenz-Reflexion Ist man nun davon überzeugt, dass Richterinnen und Richter entweder selbst komparativ argumentieren oder Rechtsvergleichung anderer Gerichte überprüfen und verstehen können sollten,69 ist es erforderlich, didaktisch zu reflektieren, welche entsprechenden Kompetenzen und Fähigkeiten gefördert werden müssen, damit die späteren Richterinnen und Richter die an sie gerichteten Erwartungen erfüllen können. Eine solche Reflexion ist auch sinnvoll, um darauf aufbauend kompetenz- wie praxisgerechte Ideen für das juristische Studium entwickeln zu können (C.). Insofern bewegen sich die folgenden Überlegungen weniger auf einer Metaebene rechtswissenschaftlicher Fachdidaktik70 als vielmehr „mesotopisch“ auf mittlerer Abstraktionshöhe, ausgestattet mit einem instrumentell-pragmatischen Blick, freilich geleitet von einem fachdidaktischen Begriffsset. Insbesondere die Kompetenzorientierung in der Rechtswissenschaft71(sdidaktik) bietet einen konzeptuellen Rahmen an. Kompetenzorientierung betrachtet Lehre als „Lernförderung“72 , die das Augenmerk auf eine spe68  Roland RechtsReport, 2014 http://www.drb.de/fileadmin/pdf/Publikationen/RO LAND_Rechtsreport_2014_Sonderbericht_Richter_und_Staatsanwaelte.pdf, 39. 69  Aufgrund europäischer Integration und der Vernetzung von Rechtsordnungen ebenso Croon-Gestefeld u. a. (Fn.  15), 206: „Prüflinge sollen anhand einfacher Beispiele Rechtsinstitute verschiedener Rechtsordnungen vergleichen und daraus Rückschlüsse für die eigene Rechtsordnung ziehen können.“ 70  S. z. B. Pilniok, in: Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre, 2012, 17, 22 ff. 71  Auflistung von Kompetenzen als Grundlage von Qualitätsmerkmalen der Juristenausbildung in Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung, Bericht über Möglichkeiten und Konsequenzen einer Bachelor-Master-Struktur anhand unterschiedlicher Modelle einschließlich der berufspraktischen Phase unter Berücksichtigung des entwickelten Diskussionsmodells eines Spartenvorbereitungsdienstes, 2011, 149 ff. (Wissen, Fähigkeit zum vernetzten Denken, methodische Fähigkeiten, Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten, Innovationsfähigkeit, soziale Kompetenz, Fremdsprachenkompetenz, Entscheidungskompetenz). 72  Wildt, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 39, 47; s. auch Biggs/Tang, Teaching for Quality Learning at University, 3. A. 2007, 19 ff. Zum interaktiven Aufbau von Wissen und Verständnis zwischen Lehrenden

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zifische Menge an konkreten Problemlösungsfähigkeiten73 legt, die sich Studierende im Laufe ihres juristischen Studiums aneignen sollten.74 In dieser Orientierung drücken sich zwei Absatzbewegungen von (zu) tradierter juristischer Lehre aus: zum einen eine Emanzipation von einer zu starken Fokussierung auf Aneignung umfassenden und detaillierten Wissens75 und zum anderen eine Handelnden- und Handlungsorientierung, die sich auf sachliche wie persönliche Anwendungskontexte rechtlicher Normen bezieht, eine kritische Perspektive nicht ausschließend – durch die Kluft zwischen reflektierender Wissenschaftlichkeit und instrumenteller Praxisausrichtung relativiert sich die Kompetenzorientierung hierbei.76 Zwar ist (in Deutschland) eine gewisse Handlungsausrichtung mit dem vorherrschenden alignment auf die Fallprüfung selbst in der überlieferten juristischen Lehre nicht von der Hand zu weisen. Dennoch wird von Studierenden in diesem Rahmen eher erwartet, den dogmatischen Stoff in der Fallprüfung zu (re-)präsentieren als eine kontextualisierte Anwendung des Stoffes aktiv zu erproben, werden – für die Anwendung und Kritik von Recht unhintergehbare – kreative Freiräume selten geschaffen und wird auf eine Kontextvariation allzu häufig verzichtet.77 Sich stärker an Kompetenzen auszurichten verspricht, Strukturen aufzubrechen, da der (neue) Fokus auf den Studienzielen liegt und die relative Bedeutung eines spezifischen Instruments – der überlieferten Falllösung –, um die übergeordneten Ziele zu erreichen, sinkt.78 Unter anderem die Kompetenz zur rechtsvergleichenden Argumentation kann dieser Neuausrichtung dienen: Sie kann die (hypothetische) Anwendung von Recht sowohl anleiten als auch reflektieren und zudem Gegenstand wie Ziel aktivierender Lernprozesse werden. Im Folgenden wird sie als übergreifende Kompetenz in den für hiesige Zwecke vereinfachenden79 Dreischritt Wissen (I.), und Lernenden Wells/Ball, in: Nygaard/Holtham (Hrsg.), Understanding Learning-Centred Higher Education, 2008, 51, 51 ff. 73  Zum Begriff der Handlungskompetenz im Unterschied zu anderen Kompetenzbegriffen Weinert, in: Rychen/Salganig (Hrsg.), Defining and selecting key competences, 2001, 45, 51. S. auch „(f)unctioning knowledge“, Biggs/Tang (Fn.  72), 72 (Hervorhebung weggelassen). 74  Warto, in: ders. u. a. (Fn.  19), 35, 40; Röhl (Fn.  16), 69. 75  Brockmann/Dietrich/Pilniok, in: dies. (Fn.  72), 276, 289: „Paradigma eines Wissenskanons“; Hassemer, in: Albert/Luhmann/Maihofer/Weinberger (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, Düsseldorf 1972, 467, 475: „verkürztes Problembewußtsein“. S. auch schon Llewellyn Journal of Legal Education 1 (1948), 211, 212. 76  Brockmann/Dietrich/Pilniok (Fn.  75), 289. 77 S. nur Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland, 2012, 56 f.; Klatt/Winter RW 2013, 110, 111; sowie zu einem anderen Projekt, das verspricht, gerade dank seiner aktivierenden Methoden eine bessere Durchdringung des Rechtsstoffs zu ermöglichen, Klatt/Winter, in: Senger (Hrsg.), Kompetenzorientierung in der Hochschullehre, 2012, 294. 78 S. Barr/Tagg Change (27) 1995, 12, 21, sowie 15: „The end governs the means.“; Bull (Fn.  18), 978. 79  Unter Vermeidung eines „Kompetenzrausches“, so zu Lernzielen Hoffmann-Riem, in:

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Bewusstsein (II.) und Kompetenz (III.) aufgespalten.80 Für die Kompetenz-Reflexion ist dabei nicht zwingend ausschlaggebend, dass die zukünftige komparative Praxis bei Gericht stattfinden soll; das Gros komparativer Kompetenz kann unabhängig von der gerichtlichen Perspektive – mit Blick auch auf weitere Einsatzgebiete – erworben werden. I. Komparatives Wissen und Verständnis Unabhängig von einschlägigen Fertigkeiten ist für komparative Argumentation (bei Gericht) stets rechtsvergleichendes Wissen erforderlich, ohne das der Argumentation der Inhalt fehlte.81 Es ist eine individuelle mentale Repräsentation (der Richterinnen und Richter bzw. ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. der anderen Argumentationsmaterial Zuliefernden wie die Verfahrensbeteiligten) davon erforderlich, womit verglichen wird bzw. werden kann, um daraus Argumentationspotential für die eigene Auslegung und Anwendung von Recht zu gewinnen. Alternativ sollte zumindest eine Vorstellung davon existieren, dass diese Wissensgegenstände existieren können, und von der Möglichkeit, diese aufzufinden und methodengerecht auf das eigene Recht zu beziehen. Das Verhältnis von komparativem Wissen und komparativer (Durchführungs-)Kompetenz ist freilich zu schlicht aufgefasst,82 würde man beide lediglich in ein Was und ein Wie trennen und würde man davon ausgehen, beide seien ausschließlich separat oder gestuft zu erwerben. Der didaktische Kompetenzbegriff schließt die Dimensionen Wissen und Können ein.83 Wissen und Fähigkeit, mit diesem Wissen funktionsgerecht umzugehen, sind von vornherein aufeinander bezogen. Aktives Lernen (rechtsvergleichenden Wissens) ist spirales Lernen, das theoretisches Wissen nicht ohne Handlungswissen aufbaut.84 Aufbau lediglich abstrakten komparativen Wissens, das sich von Anwendungskontexten zu stark löst, sollte daher nicht in Lehr- und Lernziele aufgenommen werden, um Motivations- und Aneignungsschwierigkeiten zu vermeiden.85 ders. (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd.  II, 1977, 1, 12. S. zur übergreifenden Unterscheidung von Wissen und Fertigkeiten Bloom (Hrsg.), Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich, 5. A. 1976, 48 f.; sowie zu ausdifferenzierteren Lernzielen ebd., 71 ff., 217 ff.: Wissen, Verstehen, Anwendung, Analyse, Synthese, Evaluation. 80 Ähnlich Chesterman, in: Gane/Hui Huang (Hrsg.), Legal Education in the Global Context, 2016, 77, 79: doctrine, perspectives, skills. 81  Unnötig strikte Trennung bei Weber-Grellet ZRP 2016, 170, 171, 173. Unterscheidung von kompetenz- bzw. problemorientierter im Unterschied zu wissensbasierter Lehre bei Na­ thanson California Western Law Review 34 (1998), 325, 326, was eine ähnliche Unterscheidung wenigstens impliziert. 82  Wissen als Kompetenz bei Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  71), 151. 83  Wildt (Fn.  72), 49. 84  Im Hinblick auf learning outcomes Reis ZDRW 2013, 21, 29 f. 85 S. Gasser, Neoropsychologische Grundlagen des Lehrens und Lernens, 2008, 130, 141.

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Gleichwohl ist eine heuristische Unterscheidung von Wissen und Wissensanwendung sinnvoll, um einerseits das Wissen in unterschiedlichen Kontexten aufgreifen86 und andererseits konkrete Mikroziele und Lernpläne im juristischen Unterricht erarbeiten zu können. Der Aufbau rechtsvergleichenden Wissens über Daten, die in ihrer Vielfalt den Globus abdecken und einer unaufhörlichen Änderungs- und Erweiterungsdynamik unterliegen, kann in der erforderlichen Breite evidenter Maßen weder in der Richter/innen-Ausbildung noch im juristischen Studium geleistet werden. Weder von Lehr- noch von Lernpersonen könnte die Informationsmasse jemals in einem abgrenzbaren Studienabschnitt bewältigt werden; die steigende digitale Verfügbarkeit und Übersetzung komparativen Wissens hilft nur, den situativen Zugriff zu verbessern, ohne unmittelbare Auswirkung auf die Wissensaneignung. Zudem müssen komparative Inhalte fall- und konstellationsabhängig zur Verfügung stehen, was gegen eine Anhäufung kontextspezifischer Informationen in einem biologischen Gehirn spricht. Im juristischen Studium sollte daher im Zentrum stehen, sich Grundstrukturen und Problemlösungstypen repräsentativer Rechtsordnungen und -traditionen anzueignen und diese Wissensbasis mit einzelnen Tiefenbohrungen (z. B. in einer Auswahlordnung) zu versehen, um ein komparatives Orientierungswissen aufzubauen.87 Das im Studium aufzubauende Wissen hat nicht lediglich Faktenwissen über rechtliche Daten in anderen Rechtsordnungen zum Gegenstand. Es muss begleitet und enggeführt werden mit einem Verständnis für die kontextuelle Wirkungsweise von Rechtselementen, die sich fundamental von der autochthonen Rechtsordnung unterscheiden kann. Das erworbene rechtsvergleichende Wissen über eine fremde Rechtsordnung sollte für die jeweilige Rechtsordnung (idealiter) rechtliche Grundstrukturen, soziokulturelle Determinanten, Rechtsverständnis, veranschaulicht von Rechtsfällen, umfassen – aber auch eine Begründung dafür, warum gerade diese Rechtsordnung in Bezug genommen ­werden soll, z. B. die Funktion der Veranschaulichung besonderer rechtlicher Elemente und Strukturen sowie der Aufbau von Distanz zur eigenen Rechtsordnung.88 Nicht nur rechtsordnungsbezogen, sondern auch problemorien-

86  Freilich ist eine Um-Interpretation dieses deklarativen Wissens in einem anderen Kontext als dem ursprünglichen unumgänglich. 87 Entsprechend hält die Koordinierungsgruppe den Erwerb von rechtsvergleichenden „Grundkenntnisse(n)“ für „wünschenswert“, Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  71), 155; s. auch Aubin/Zweigert, Rechtsvergleichung im deutschen Hochschulunterricht, 1952, 39 f.; Kadner-Graziano (Fn.  37), 207, 220. Zum Orientierungswissen Voßkuhle RW 2010, 326, 335; s. auch Tamm, in: Koch u. a. (Hrsg.), Europe. The New Legal Realism, 2010, 747, 755: „‚globalrechtliche‘ Allgemeinbildung“. 88  S. z. B. Peters/Schwenke ICLQ 49 (2000), 800, 830.

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tiert89 kann rechtsvergleichendes Wissen aufgebaut werden, indem unterschiedliche Lösungstechniken für vergleichbare Konstellationen vorgestellt bzw. erarbeitet werden. Schließlich ist auch ein Verständnis für das Spektrum potentieller Systemverschiedenheit und die Vernetzung von Rechtsordnungen Bestandteil komparativen Wissens. Insbesondere die Bandbreite von Wegen und Arten der Rechtsmigration sollten (anhand von Beispielen90) erfahrbar gemacht werden – von der Notiznahme in einer Zeitschrift über die (neo-)koloniale oder freiwillige Transplantation bis zu intentionaler Konvergenz in Projekten rechtlicher Integration, einschließlich der diese Phänomene verbindenden Vernetzung transnationalen Rechts.91 II. Komparatives Kontingenz- und Kontextbewusstsein Die Anreicherung des deklarativen Wissens mit Verständnis deutete schon an, dass der Aufbau komparativen Wissens nicht mit einer schlichten Ansammlung von Daten gleichgesetzt werden kann. Kompetenzen enthalten stets – auch auf Wissen bezogene – volitionale und soziale Momente.92 Darin drückt sich nicht nur aus, dass die Lernperson versteht, wozu das Wissen über fremde Rechtsordnungen nützt und nützlich werden kann.93 Darüber hinaus können (und sollten) evaluative Einstellungen und analytische Prädispositionen zu anderen Rechtsordnungen, zur „eigenen“ Rechtsordnung sowie zum Verhältnis der eigenen zu fremden Rechtsordnungen ausgebildet werden. Fundamentale Rückwirkung auf die autochthone Rechtsordnung kommt durch die Entwicklung juridischen Kontingenzbewusstseins zustande. Im Laufe der Konfrontation mit rechtsvergleichendem Material wird deutlich, dass stets andere Normen, Urteile und Rechtsverständnisse möglich sind.94 Kontingenzbewusstsein steht einer Überzeugung von Überlegenheit und Naturwüchsigkeit autochthoner rechtlicher Elemente entgegen. Überdies kann hieran anknüpfend Aufklärung über die Unvollständigkeit von Recht erlangt werden. Mit komparativem bzw. juridischem Kontingenzbewusstsein eröffnet sich die Möglichkeit, (positive) Haltungen dazu zu entwickeln, inwiefern komparative Argumentation der eigenen Begründung hilfreiche Dienste zu leisten imstande 89  S. zur funktionalen Rechtsvergleichung nur Michaels, in: Reimann/Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 339. 90  „Praxiselemente sind … pädagogisches Essentiale“, Röhl (Fn.  16), 69. 91  Walker, in: Van Gestel/Micklitz/Rubin (Hrsg.), Rethinking Legal Scholarship, 2017, 84, 105: „ a legal education fit for a jurist must take close account of the new interdependencies of transnational and global law“. 92  Weinert, in: Rychen/Salganig (Hrsg.), Defining and selecting key competences, 2001, 45, 60 f. 93 S. Voßkuhle (Fn.  87), 337, zu einem „Gespür für globale Normentwicklungen“. 94  Choudhry, in: ders. (Hrsg.), The migration of constitutional ideas, 2006, 1, 23; Fletcher AJCL 46 (1998), 683.

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ist. Diese Hintergrundkompetenz muss nicht zwingend mit Blick auf Rechtsvergleichung aufgebaut werden.95 Es sollte jedoch im rechtsvergleichenden Unterricht mit Hilfe rechtsvergleichender Beispiele veranschaulicht werden, wie die Kontingenz des Rechts (sowohl im Hinblick auf Grundstrukturen als auf konkrete Problemlagen) gerade im Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander auftritt. Außerdem kann so, darauf aufbauend, der potentielle Wert komparativer Argumentation aufgezeigt werden. III. Komparative Anwendungs- und Vernetzungskompetenzen Der deutschsprachige Terminus „Rechtsvergleichung“ verweist im Unterschied zur Bezeichnung der Unterdisziplin in anderen Sprachen (droit comparé, comparative law) auf eine juridische Aktivität, für die die „Beherrschung disziplinspezifischer Arbeitstechniken“96 erforderlich ist, um zu sinnvollen und anschlussfähigen Ergebnissen zu gelangen. Vor allem die folgenden methodischen Fertigkeiten dienen dazu, Rechtsvergleichung in der akademischen wie gerichtlichen Praxis durchführen zu können. Diesseits der bei Gericht vorausgesetzten Kompetenz zur (pragmatischen) Entscheidung von Einzelfällen anhand juristischer Methoden97 geht es zunächst darum, Fallstellen und Problemlagen erkennen zu können, die sich einer komparativen Analyse öffnen98 . Hier ist vernetztes und abduktives Denken99 gefragt, das auf komparativem Wissen (I.) und Bewusstsein (II.) aufruht sowie auf potentielle Ähnlichkeiten/Distanzen und Verknüpfungen mit Elementen aus anderen Rechtsordnungen reagiert. Erst im Anschluss an diese anfängliche Erkenntnisleistung erfolgt die eigentliche komparative Operation: „The crucial legal skill will be the ability to analyze legal issues from a comparative perspective.“100 Erworben werden sollten über diese Grundlegung hinaus spezifische Kompetenzen, die komparative Argumentation iterativ ermöglichen. Sie werden hier zwar getrennt dargestellt, ergeben jedoch nur in gegenseitiger Verknüpfung komparativen Sinn. Abduktionen überprüfen hilft die Recherche- bzw. Infor-

95 S. Luhmann, Kontingenz und Recht, 2013, 32; thetisch Lahusen, Rechtspositivismus und juristische Methode, 2011, 123. 96  Pilniok (Fn.  70), 21. 97  Zur generellen Begründungskompetenz Lagodny, in: Warto u. a. (Fn.  19), 51, 59 ff. 98  S. auch Röhl (Fn.  16), 68, nach dem es nicht Aufgabe des Studiums ist, „Absolventen auf bestimmte Berufsrollen vorzubereiten“. 99  S. Ausschuss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  71), 155, 160. 100  R. Wernsmann, in: Gane/Hui Huang (Hrsg.), Legal Education in the Global Context, 2016, 233, 238.

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mationskompetenz101, die im komparativen Betrieb unerlässlich ist, um valide und kontextualisierte komparative Informationen zu erlangen, die zum gerade aktuellen Rechtsproblem, zum Fall, zur Akte passen. Auch hier sind Anschlüsse an vorhandenes Wissen möglich; ansonsten sind Wissen über Wissensquellen (bspw. Datenbanken, Anwalts-102 und amicus-curiae-Schriftsätze, akademische und (zwischen-)staatliche Institutionen) sowie Recherchefertigkeiten erforderlich. Eigene oder in Anspruch genommene Fremdsprachenkompetenz ist ebenso nützlich. Über Rechtsvergleichung im engeren Sinne hinaus gehen, wenn man sie isoliert betrachtet, die Kompetenz zur Vergleichung im weiteren Sinn sowie die Kompetenz des Bewertens und Entscheidens.103 Insbesondere die Vergleichungskompetenz ist das Herz der komparativen Rechtspraxis. Hier geht es nach dem grundsätzlichen Erkennen der potentiellen Verknüpfbarkeit um die Verknüpfung von rechtlichen Argumentbausteinen und Rechtselementen selbst. Aus der konkreten Problemlösungssituation heraus müssen Maßstäbe zum einen für Ähnlichkeit und Verschiedenheit – grob gesagt, Vergleichbarkeit – und damit im Verein auch für die Evaluation aus Sicht der autochthonen Rechtsordnung entwickelt werden. Dies kann zwar an rechtsvergleichenden Problemen veranschaulicht werden; Vergleichung findet jedoch auch an anderen Stellen im Recht statt und kann dort die rechtsvergleichende Kompetenz unterstützen bzw. ergänzen, so bei der juristischen Subsumtion im Allgemeinen oder in der Dogmatik des Gleichheitssatzes. Quasi die negative Entsprechung der ausgreifenden Vernetzungskompetenz ist die Fähigkeit, die argumentativen Ein- und Anpassungspotentiale „eingehender“ komparativer Daten zu erfassen.104 Gleichermaßen nicht vergleichungsspezifisch sowie gleichwohl nützlich und hilfreich für komparative Praxis ist die Fähigkeit (vergleichungs-)methodischer Kritik.105 Sie schließt das Bewusstsein ein, dass nicht jede komparative Verknüpfung sinnvoll ist (obwohl auch kontrastive Verwendungen komparativer Argumente durchaus argumentative Leistungen erbringen können). Sie ist notwendig, um sich sowohl die Voraussetzungsfülle sowie die Grenzen und Begrenztheiten komparativer Argumentation im Anwendungsfall vor Augen halten zu können. Sie hilft zudem zu entscheiden, ob komparative Argumente in die Entscheidungsbegründung aufgenommen werden sollten, um darzustellen, 101  Kugler/Robwein, in: Warto u. a. (Fn.  19), 95; Steinhauer, in: Sühl-Strohmenger (Hrsg.), Handbuch Informationskompetenz, 2012, 362, 372. 102  S. z. B. der Verweis auf eine Berufungsbegründung OLG Celle, NJW 2005, 2160, 2160; s. auch Hmbg OVG, 1 Bf 81/17.A, 11.01.2018, Rn.  12. 103 Vgl. Rösler JuS 1999, 1084, 1086. 104  S. auch Voßkuhle (Fn.  87), 337 f., zur Fähigkeit, fremde Regelungen zu kontextualisieren. 105 S. im Zusammenhang einer kritischen Rechtsdidaktik F. Bleckmann, KJ 2016, 305, 310 f.

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welche Argumente die Entscheidung beeinflusst haben, bzw. um Hinweise auf die Interpretation der Entscheidung zu geben.

C. Komparative Argumentation im Studium: Umsetzungsmöglichkeiten Diese Kompetenzen und Wissensanforderungen – erforderlich zum komparativen Heraus- und Hereintreten aus einer sowie in eine Rechtsordnung im Kontext einer juristischen Problemlösungssituation – sind in Lernziele und curriculare Inhalte des juristischen Studiums zu übersetzen, sodass sie wirksam erworben werden können. Zu einem gewissen Grad sind bereits alle angesprochenen Lerninhalte und -ziele (B.) an deutschen Hochschulen, vor allem in der Schwerpunktphase Teil des Curriculums.106 Die Diskussion ist daher weniger durch Revolutionsaufrufe107 als durch Vorschläge geprägt, wie das juristische Studium sub specie Rechtsvergleichung reformiert werden kann.108 So fordern renommierte Institutionen, Rechtsvergleichung (im Verein mit anderen überstaatlichen Rechtsmaterien) noch prominenter im juristischen Studium zu platzieren.109 Damit soll einerseits der angestiegenen Transnationalisierung des Rechts, d. h. der gewachsenen Bedeutung fremden Rechts für das deutsche Recht Rechnung getragen werden; andererseits erhofft man sich ein tieferes Verständnis des deutschen Rechts selbst, ermöglicht durch eine „reflexive Distanz zur eigenen Rechtsordnung“110 . Eine unreflektierte Transplantation von Mehr an Rechtsvergleichung in das juristische Curriculum brächte in der Tat wohl wenig mess-

106  Hufen ZDRW 2013, 5, 13, sieht eher das Problem der geringen Resonanz von Angeboten bei Studierenden. 107  Im nichtdeutschen Kontext das Plädoyer für eine nichtnationalrechtliche Grundausbildung Husa GLJ 10 (2009), 913, 914. S. auch Valcke Journal of Legal Education 54 (2004), 160, 169: „get students to think like global lawyers“ (Hervorhebung weggelassen); sowie für eine genuin a-nationale, europäische Ausbildung mit Blick auf Rechtsharmonisierung Fau­varqueCosson, The Rise of Comparative Law: a Challenge for Legal Education, 2007, 11. 108 S. Radtke, in: Hof/Götz von Olenhusen (Hrsg.), Rechtsgestaltung – Rechtskritik – Konkurrenz von Rechtsordnungen, 2012, 111, 122. 109  Wissenschaftsrat (Fn.  7 7), 61; Resolution des Rats der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht v. 15.3.2017, „Grundelemente“ sollen „zu einem Bestandteil der juristischen Grundausbildung werden“; Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung, Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Austausch mit den juristischen Fakultäten, November 2017, 47. Vgl. auch bereits Neumayer, in: FS Zweigert, 1981, 501, 523; Schmidlin ZfRV 1977, 241. 110  Wissenschaftsrat (Fn.  7 7), 61. S. auch Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, 54, 56.

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bare111 bzw. womöglich sogar nachteilige Effekte112 . Außerdem ist unter den derzeitigen Rahmenbedingungen eines Studiums,113 das auf eine Staatsprüfung zuläuft, eine Reform, die ihr Augenmerk auf die Relativität und Relationalität des geltenden deutschen Rechts legt, von vornherein Umsetzungsschwierigkeiten sowie begrenzten Umsetzungsaussichten (III.) ausgesetzt.114 Folgende Prinzipien und Überlegungen sollten, eingedenk dieses Korridors, reflektierte und auf realistische Umsetzung ausgerichtete Vorschläge zur Verbesserung rechtsvergleichender Lehre im juristischen Studiums anleiten. Zunächst ist, um eine möglichst gute Studierbarkeit anzustreben, der Möglichkeitsraum zwischen den Vektoren Kompetenz- (B.) und Staatsexamensorientierung zu beachten.115 Zudem ist, um viele zukünftige Praktikerinnen und Praktiker zu erreichen, – ohne eine sinnvolle Vertiefung (II.) auszuschließen – eine Vermittlung in die Breite notwendig (I.). Dafür ist es auch erforderlich, Rechtsvergleichung zu ent-esoterisieren. Sie ist ein zwingender Betrachtungspunkt bei der (derzeit) unvermeidlichen Trennung wie Vernetzung von Rechtsordnungen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass keine Lehre denkbar (und notwendig) ist, die eine der Praxis vollkommen kongruente Rechtsvergleichung abbildet. Vielmehr können Einstellungen gefördert und Kompetenzen aktiviert werden, die eine spätere komparative Praxis in der Berufsausübung ermöglichen.116 Und schließlich sollte Rechtsvergleichung nicht (lediglich) isoliert angegangen werden – es ist im Blick zu behalten, dass nicht nur Rechtsordnungen, sondern auch curriculare Inhalte miteinander vernetzt sind. Diese Überlegungen sind auf Rechtsvergleichung im Studium insgesamt bezogen, da es fruchtlos erscheint, die Vermittlung gerichtlicher Rechtsvergleichung gegenüber anderen komparativen Praxen als Lerninhalt zu isolieren. Gleichwohl ist sie als in der Praxis vorkommendes und spätere Juristinnen und Juristen begleitendes Phänomen (A.) in das Studium zu integrieren.

111  Kischel (Fn.  110), 56, weist darauf hin, dass das Hinterfragen nationalen Rechts auch mit einer nur-nationalen Perspektive erlangt werden kann. 112  S. im Hinblick auf die Stoffmengendebatte Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. A. 1996, 22. 113 Dazu Bork, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Fn.  16), 59. 114  G.-P. Calliess, in: R. Zimmermann (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Rechtsvergleichung, 2016, 167, 189, setzt resignierend auf die Graduiertenförderung. 115  S. zur Diskussion der Kriterien der Stoffauswahl in Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (KOA) Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen: Bewertung und Empfehlungen, Herbst 2016, 7 ff. S. auch Zweigert/Kötz (Fn.  112), 21 f. 116 S. Hufen (Fn.  106), 14: „Ausbildung durch Wissenschaft“ (Hervorhebung im Original). S. auch Aubin/Zweigert (Fn.  87), 27.

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I. Komparative Ausbildung in die Breite Damit nicht nur diejenigen Studierenden, die den Schwerpunkt Internationales Privatrecht & Rechtsvergleichung belegen, sondern möglichst viele Studierende von (nicht lediglich privat-)rechtsvergleichender Lehre profitieren können, muss sie in die Grundausbildung der ersten Semester integriert werden.117 Zu beachten ist bei dieser Integrationsaufgabe, dass der (spätere) Prüfungsstoff – in einer Phase, in der eher um seine Reduktion gerungen wird118 – nicht bzw. nicht erheblich erweitert werden kann und sollte. Ohne die Pflichtfachstoffmenge auszweiten, lassen sich auf der Integrations-Spezialisierungs-Skala drei Möglichkeiten unterscheiden, über deren jeweilige Bevorzugung eine gewisse Uneinigkeit besteht.119 Am wenigsten spezialisiert ist die punktuelle Integration rechtsvergleichender Elemente in die Pflichtfachlehre; die Aufmerksamkeit wird fokussierter auf Rechtsvergleichung gerichtet, wenn komparative Argumentation in die bereits etablierten Grundlagenfächer aufgenommen wird, beispielsweise durch eine – aus ressourcenbedingen Gründen nur begrenzte – Diskussion komparativer Auslegung in der juristischen Methodenlehre.120 Vollends spezialisiert wäre die eigenständige Veranstaltung zur Einführung in die Rechtsvergleichung, zumeist als Vorlesung angeboten121 – hier käme eine Ergänzung der Wahlpflicht bei den Grundlagenfächern in Betracht.122 Als ein weiterer Parameter tritt der Zeitpunkt hinzu, zu dem die rechtsvergleichenden Inhalte in den juristische Lehre eingeführt werden sollen. Der Zeitpunkt hängt teilweise unmittelbar mit dem Spezialisierungsgrad zusammen. So kann die Integration der Rechtsvergleichung in den Pflichtstoff des materiellen Rechts bereits ab dem Beginn des Studiums stattfinden. Je spezialisierter die 117 

S. schon Zweigert/Puttfarken ZVglRW 75 (1976), 125, 138. Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  109). 119  Für eine Integration Zweigert/Kötz (Fn.  112), 22; Dauner-Lieb/Hobe, Forschung und Lehre 2018, 226, 228; für Spezialisierung Neumayer (Fn.  109), 509 f.; jedenfalls skeptisch gegenüber dem integrativen Ansatz Kischel (Fn.  110), 54 f.; für ein Pflichtfach für höhere Semester daher ders. (Fn.  67), 313; allerdings ebd., die „vermehrte Berücksichtigung fremder Per­ spektiven in den jeweiligen dogmatischen Fächern, am Beispiel des Verfassungsrechts etwa bei der Meinungs- oder Religionsfreiheit ebenso wie beim Rechtsstaatsprinzip oder der Ewigkeitsklausel“ nicht ausschließend; beispielhaft auch Kende Journal of Legal Education 61 (2011), 310. Beide Varianten durchspielend Örücü, The Enigma of Comparative Law 2004, 65 ff.; nicht exklusiv auch Ault/Glendon Journal of Legal Education 27 (1975), 599, 601. 120  S. unverbindlicher Vorschlag in Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  109), 48. 121  Aubin/Zweigert (Fn.  87), 42 f., mit gleich drei Veranstaltungen. 122 Zumeist wird die Rechtsvergleichung nicht als Grundlagenfach eingeordnet, s. z. B. Sörgel, Die Implementation der Grundlagenfächer in der Juristenausbildung nach 1945, 2014, 148. Noch nicht: Cancik, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Fn.  16), 115, 115; ohne Begründung Grundlagenfach Junker JZ 1994, 921, 927; Stolleis NJW 2001, 200, 200; Kahlo, in: GS Dieter Meurer, 2002, 583, 601; „Sonderfall“, Baldus StudZR 2005, 179, 192. 118  S.

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Rechtsvergleichungslehre wird und je mehr vernetztes Wissen vorausgesetzt wird, desto eher wird sie in spätere Semester aufzunehmen sein. Um rechtsvergleichende Inhalte und Methoden unter den Studierenden möglichst breit zu streuen, sind die großen Pflichtfachvorlesungen als Lernfeld am ehesten geeignet. Durch diesen integrativen Ansatz entstehen zwar didaktische Reibungsverluste; insbesondere könnte rechtsvergleichendes Wissen in Breite und Tiefe nur begrenzt vermittelt werden.123 Allerdings schließt die Integration weitere methodische und inhaltliche Vertiefung in der Pflichtstofflehre nicht aus. Überdies sollte es gerade im Hinblick auf eine höchst variable spätere akademische wie berufliche Tätigkeit eher um grundlegende komparative Orientierung gehen als darum, einen verbindlichen Stoffkatalog der Rechtsvergleichung abzuarbeiten. Daher lassen sich bereits in der Studieneingangsphase124 rechtsvergleichende Irritationen setzen, die gerade durch ihre subversive und hori­ zont­öffnende Wirkung das Kontingenzbewusstsein (B.II.) stärken und (späteres) kreatives komparatives Erkennen fördern.125 Zunächst geht es darum, dass Studierende komparative Potentiale entdecken lernen können; in einem zweiten Schritt können der Aufbau überblicksartigen komparativen Wissens und das Kennenlernen methodischer Standards der Rechtsvergleichung folgen. Der integrative Einsatz der Rechtsvergleichung in der Lehre führt überdies nicht zwangsläufig zu einer Überlastung der Lehrenden (die erste Vorbereitung ausgenommen), sondern fördert vielmehr früh generelle juristische Kompetenzen der Studierenden, die sich beim Kennenlernen anderer spezialisierter Materien bemerkbar machen dürften. Um den Aufwand der Lehrenden zu reduzieren, komparative Kontrastfolien für die (Einführungs-)Vorlesungen zu recherchieren und einzubauen, sollten an den Fakultäten Pools zu Best Practices und ggf. sogar Beispielsdatenbanken vorgehalten werden. Im Rahmen wissenschaftsfreiheitsfreundlicher Abstimmung sollten die Fakultäten überdies in Studienplänen Empfehlungen, zumindest für Einführungsveranstaltungen, erarbeiten, damit Lernzielen unabhängig von den Lehrenden Rechnung getragen werden kann.126 Das Breitenlernen komparativer Kompetenzen kann schließlich noch anderweitig ansetzen. So sollten Lehrende in (einführenden) Veranstaltungen zum Unions- und Völkerrecht die Verflechtungen und Migrationsströme zwischen 123 Auf Missverständnissrisiken aufgrund oberflächlicher Befassung weist hin Kischel (Fn.  110), 54 f. Das mehr oder weniger bewusste Erleben von Missverständnissen scheint mir kein unüberwindbares Problem darzustellen, sofern Kontexte und das Bewusstsein für komparative Fallstricke im Laufe einer Lernbiographie kennengelernt werden können. Im Vordergrund steht die komparative Irritation. 124 S. Krüper, in: Brockmann/Pilniok (Hrsg.), Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, 2014, 274, 288; Kahlo (Fn.  122), 601. 125 Vgl. Zweigert/Kötz (Fn.  112), 20 f. 126  Zur Operationalisierung von Lehr-Lernzielen Brockmann/Dietrich/Pilniok (Fn.  75), 288 f. Vgl. auch Krüper/Pilniok (Hrsg.), Staatsorganisationsrecht lehren, 2016.

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den teilnehmenden Rechts- und Verfassungsordnungen bewusst machen sowie auf variable Interpretationspotentiale hinweisen. Soweit überdies Studierende wissenschaftliches Arbeiten einüben, sollten sie erlernen, wie und wo man Wissen aus komparativen Rechtsordnungen auffindet. Abgesehen von allgemeinen wie spezialisierten Datenbanken wird man immer häufiger zum Einstieg in Verfassungsrechtskommentaren127 fündig – eine solche Tendenz sollte auch bei Lehrbüchern128 einhalten, schon um die Lehrkräfte bei der Lehrvorbereitung zu entlasten. II. Komparative Vertiefungsmöglichkeiten Während in der Grundausbildung ein Mindestlernziel darstellen sollte, dass die Studierenden erstens erfahren, dass (und wie) Rechtsprobleme auf unterschiedliche Weise angegangen werden (können) und dass (und wie) Rechtsvergleichung ein Hilfsmittel für juristische Erkenntnis bilden kann, sollten nach den Akupunkturen in der Grundausbildung für alle Studierende wenigstens punktuell Vertiefungsmöglichkeiten vorgehalten werden. Dies erfüllte den Zweck, das komparative Bewusstsein mit detaillierteren Beispielen anzureichern, den Umgang mit komparativer Argumentation zu professionalisieren und das Verständnis für andere Rechtsordnungen und die Varianz rechtlicher Problemlösungsmöglichkeiten zu vertiefen. Es wäre – angesichts des Anliegens, komparative Kenntnisse in der Breite zu verankern – allerdings kontraproduktiv, die Rechtsvergleichung in auf Rechtsvergleichung fokussierte Schwerpunkte, soweit es sie noch gibt,129 abzudrängen.130 Vielmehr sollten rechtsvergleichende Bezüge in allen Schwerpunkten aufgezeigt werden, ohne auszuschließen, sich im rechtsvergleichenden Studium darüber hinausgehend zu spezialisieren, bspw. mit Konzentration auf eine ausgewählte Auslandsrechtsordnung.131 127  Regelmäßig vorangestellt in Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, z. B. Schulze-Fielitz, in: ebd., 3. A. 2013, Art.  5 Rn.  34 ff. 128  Vgl. z. B. Michael/Morlok, Grundrechte, 6. A. 2017, 132, sowie regelmäßiger Verweis auf europäische Grundrechte. 129 S. Hobe, in: ders./Marauhn (Hrsg.), Lehre des internationalen Rechts – zeitgemäß?, 2017, 11, 21; Rolfs/Rossi-Wilberg JuS 2007, 300. 130  Zumeist entweder in Verbindung mit internationalem Privatrecht oder Rechtsgeschichte sowie teilweise verknüpft mit überstaatlichem Recht, s. z. B. Deutscher Juristen-Fakultäten-Tag, Ergebnisse der Schwerpunktbereichsprüfungen für das akademische Jahr 01.10.2014 - 30.09.2015. In Ausnahmefällen ist ein Rechtsvergleichungsschwerpunkt sogar rechtsgebietsübergreifend angelegt, s. in Würzburg, www.jura.uni-wuerzburg.de/studium/rechts wissenschaft/erste-juristische-pruefung/schwerpunktbereichsstudium/stpro-2008-stand2016/s-5-rechtsvergleichung/. 131  Vertiefung auf die Schwerpunktphase beschränkt, s. Bericht des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung (Fn.  109), 48.

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Eine solche Spezialisierung und nachhaltige komparative Aufgeschlossenheit kann am intensivsten durch einen Auslandsaufenthalt gefördert werden. Dieser integriert sich bspw. durch EU-Austauschprogramme in das juristische Studium, ist allerdings mit teilweise hohen Kosten verbunden. Daher handelt es sich dabei um eine zu eng wirksame Maßnahme, zu der außerdem höchstens private Hochschulen verpflichten können.132 Freilich kann rechtsvergleichende Lehre solche mobilen Vertiefungsmöglichkeiten im Sinne einer Vor- und Nachbereitung unterstützen.133 Selbst ohne Auslandsaufenthalt ist eine (schwache) Spezialisierung für alle Studierenden möglich: So wird bereits jetzt der zwingende Fremdsprachenunterricht mit fachspezifischer Ausbildung verknüpft – alle Studierenden besuchen nach dem Grundmodell des §  5a Abs.  2 Satz  2 DRiG entweder eine fremdsprachige rechtswissenschaftliche Lehrveranstaltung oder einen rechtswissenschaftlich ausgerichteten Sprachkurs. Gerade im Hinblick auf vergleichende Rechtsprechung ist überdies die Förderung hochschuleigener Moot Courts zu empfehlen.134 Sie können in Übungen integriert oder als selbständige Wahlveranstaltung (bspw. zum Erwerb einer Schlüsselqualifikation, §  5a Abs.  3 Satz  1 DRiG) angeboten werden. Zwar erreicht man mit dieser Lehrveranstaltung – je nach Anlage und zur Verfügung stehender Ressourcen – nur einen Teil der Studierenden;135 allerdings handelt es sich um eine der wenigen Lehr- und Lernmethoden, die auf Aktivierung beruhen und tiefes Lernen ermöglichen. In Moot Courts können Studierende juristische Kreativität und Praxisrollen – inklusive der richtenden Rolle136 – einüben, ohne bereits alles wissen zu müssen. Die Aufgabenstellungen der simulierten Verhandlungen müssen dabei nicht auf die eigene Rechtsordnung beschränkt sein; Argumente für die eigene Position können durchaus aus anderen Rechtsordnungen geschöpft werden;137 insoweit ist die Lehre hier freier als die durch das jeweilig anzuwendende Prozess- und Beweisrecht gebundene Praxis. III. Normative Implementation der komparativen Bedeutungssteigerung Die eben dargelegte behutsame Bedeutungssteigerung und Integration der Rechtsvergleichung im juristischen Studium muss nicht auf Pilotprojekte ein132 https://www.law-school.de/jurastudium/studium/studienverlauf/auslandstrimester/. 133 

Kischel (Fn.  110), 54. S. auch Dauner-Lieb/Hobe (Fn.  119), 228; Berkmanas u. a., in: Piana u. a. (Hrsg.), Legal Education and Judicial Training in Europe, 2013, 283, 287; Wahrendorf NWVBl.  2003, 236. Allgemein Barton/Hähnchen/Jost (Hrsg.), Praktische Jurisprudenz, 2011. 135 Vgl. Griebel, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Fn.  72), 220, 222. 136  Henking/Maurer, Mock Trials, 2013, 16 f.; Funke/Eichinger ZDRW 2017, 135, 139, auch zu Schwierigkeiten – so wird ein fiktives Urteil im Nachgang nicht mehr zur Kenntnis genommen; als schriftliche Leistung kann es jedoch didaktische Wirkung entfalten. 137  Entsprechende Quellen könnten entweder mit Hilfestellung recherchiert oder zur Verfügung gestellt werden. 134 

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zelner Fakultäten oder individuelle Vorlieben einzelner Lehrender angewiesen bleiben. Zwei kosmetische Hinzufügungen (s. sogleich die eckigen Klammern) in §  5a Abs.  2 DRiG können sie bundesweit fordern, fördern, anstoßen und absichern: Gegenstand des Studiums sind Pflichtfächer und Schwerpunktbereiche mit Wahlmöglichkeiten. Außerdem ist der erfolgreiche Besuch einer fremdsprachigen rechtswissenschaftlichen Veranstaltung oder eines rechtswissenschaftlich ausgerichteten Sprachkurses nachzuweisen; ... Pflichtfächer sind die Kernbereiche des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen Rechts und des Verfahrensrechts einschließlich der europarechtlichen Bezüge, der rechtswissenschaftlichen Methoden[, ...] der philosophischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen [sowie rechtsvergleichender Per­ spek­tiven]. Die Schwerpunktbereiche dienen der Ergänzung des Studiums, der Vertiefung der mit ihnen zusammenhängenden Pflichtfächer sowie der Vermittlung interdisziplinärer[, rechtsvergleichender] und internationaler Bezüge des Rechts.

Dass ein Absatz eines Gesetzes geringfügig länger wird, löst an den juristischen Fakultäten zwar noch keine umfassenden rechtsvergleichenden Umbrüche aus.138 Allerdings kann die hier begrenzte, vorgeschlagene Gesetzesänderung durch den Anstoß normativer Umsetzungskaskaden gewisse Verbesserungen anregen und auf eine kontinuierliche Grundlage stellen. Ohne die juristische Staatsprüfung weiter zu überfrachten, rückt die rechtsvergleichende Perspektive sowohl in der grundständigen Lehre als auch im Schwerpunktbereich ins Bewusstsein der die Lehre planenden wie umsetzenden Akteure. Die kosmetische Erweiterung ermöglicht es Studierenden, Ansprüche an die Lehre und Lehrenden zu formulieren, und den Fakultäten, bspw. Fortbildungen und Projekte zu legitimieren, die rechtsvergleichende Perspektiven in die konventionellen Lehrveranstaltungen integrieren. Zugleich ließe das neue Gesetz den Fakultäten (sowie den Landesgesetzgebern) freie Hand, wie sie die rechtsvergleichenden Perspektiven verstehen und im Einzelnen umsetzen wollen.

D. Denköffnungen als bescheidenes Ziel Rechtsvergleichende Argumente beschäftigen die Gerichte und damit auch die die Justiz umkreisende Praxis (A.). Die steigende Relevanz komparativer Praxis im nationalen wie überstaatlichen Recht, verbunden mit der Transnationalisierung des Rechts, löst didaktischen Bedarf aus. Denn das juristische Studium ist, trotz seines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit, aufgrund des Staatsexamens und des Gegenstandsbezugs der Rechtswissenschaft mit der Rechtspraxis eng 138  Eine stringente Kompetenzorientierung durch Gesetz hätte einen solchen fundamentalen Effekt. Der Vorschlag beschränkt sich hier auf die Rechtsvergleichung; Kompetenzorientierung ist gleichwohl innerhalb des gesetzlichen Rahmens nicht ausgeschlossen und freilich zu empfehlen.

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verzahnt. Da das juristische Studium bereits durch zahlreiche Erwartungen und Reformwünsche überlastet ist, ist umwälzenden Vorschlägen sofort das immense Risiko des Scheiterns eingeprägt. Allerdings kann das juristische Studium mit rechtsvergleichenden Perspektiven behutsam angereichert werden (C.). Fundamentaler wirkte eine konsequente Kompetenzorientierung (B.), die durchgehend auf aktivierende Lehr- und Lernmethoden setzt. Gerade rechtsvergleichende Fähigkeiten und Fertigkeiten könnten in ein solch kompetenzorientiertes Studium integriert werden, das den Anspruch verfolgt, methodenbewusste, -kritische und -offene Juristinnen und Juristen mit Blick für die Fundamente, Relation(alität)en und Grenzen des Rechts hervorzubringen. Das juristische Studium muss freilich nicht ausschließlich juristische Kosmopoliten hervorbringen.139 Ein solches Ideal kann man als einzelne Lehr- und Lernperson sicherlich verfolgen. Das derzeitige Studium kann sich – jedenfalls mit Blick auf die Kompetenz zur komparativen Argumentation – mit einem bescheideneren Ziel begnügen; es sollte allen Juristinnen und Juristen das In­ stru­mentarium an die Hand geben, um juristische Argumentation und Praxis bewältigen, kritisieren und verbessern zu können.140 Hier hilft Kontingenzbewusstsein oder schlicht offenes juristisches Denken, d. h. die Fähigkeit, die Nicht-Notwendigkeit des normativ Gegebenen zu erkennen und (komparative) Potentiale des geltenden, zu konkretisierenden oder zu schaffenden Rechts argumentativ aufarbeiten zu können: „Was soll ich dem deutschen Verwaltungsrichter oder Verwaltungsbeamten sagen, der nach seinen Rechten und Pflichten in Anbetracht der Diskursdiversität [der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, S.M.] fragt? Er kann sich nur auf seine Ausbildung zurückziehen und nach bestem Wissen und Gewissen das Europarecht so anwenden, wie er es gelernt hat. Wenn er dann beim Lernen unter anderem darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass man vielleicht auch einmal bedenken sollte, wie es ein Franzose sieht, dann hätten wir schon sehr, sehr viel gewonnen und wären einen ganzen Schritt ­weiter.“141

139 S. den Wunsch von Voßkuhle (Fn.   87), 336 ff.; ihm folgend Martinek, in: Bergmans (Hrsg.), Jahrbuch der Rechtsdidaktik 2013/2014, 2016, 11, 29 und 31: „Europa-Jurist als kosmopolitischer Rechtsmanager“. S. auch Aubin/Zweigert (Fn.  87), 27, mit dem Nachkriegshoffen auf die Rechtsvergleichung als „Gegengewicht gegen Positivismus und Nationalismus“. 140 S. Stolleis (Fn.  122), 200. 141  Kischel, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 77 (2018), 346.

Rechtsvergleichung zwischen Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung des Ius-Studiums in der Anwaltstätigkeit* Pascal Hachem Die an mich gerichtete Frage lautet, wie ein Praktiker in einer großen Wirtschaftskanzlei, der sich gelegentliche Ausflüge in die Lehre genehmigt, auf die Rechtsvergleichung in der juristischen Ausbildung blickt. Hein Kötz hat sich bereits mit den Lernzielen der Rechtsvergleichung befasst.1 Mein Beitrag gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil diskutiere ich die beiden aus meiner Sicht zentralen Gründe, aus denen die rechtsvergleichende Ausbildung aus Sicht der Anwaltspraxis von Bedeutung ist. Im zweiten Teil schließe ich an die Erörterung der Lernziele in dem Sinne an, als ich jene Rechtsanwendungskompetenzen umreißen will, welche aus meiner Sicht die Rechtsvergleichung besonders gut vermittelt und in der Praxis von Interesse sind. Kaum ein Anwalt ohne einleitenden Disclaimer – und so nehme auch ich vorweg: Vieles von dem, was ich hier sagen werde, ist nicht neu und wenn Sie Ihren Rabel gelesen und Zweigert/Kötz noch nicht verdrängt haben, werden sie natürlich einiges wiedererkennen.

A. Gründe für die Bedeutung der Rechtsvergleichung in der Ausbildung aus Sicht der anwaltlichen Praxis Ich komme damit zum ersten Teil. Im Ergebnis ist die Rechtsvergleichung in der juristischen Ausbildung aus zwei zentralen Gründen für die Anwaltspraxis von Bedeutung: erstens, um die Innovationsfähigkeit und -kraft der Praxis zu erhalten – und ich betone das Wort „erhalten“; zweitens, um in internationalen Verhältnissen aktive Klientschaft, bzw., mit Blick auf das Familien- und Erbrecht, in internationalen Verhältnissen lebende und sterbende Klientschaft ganzheitlich beraten und vertreten zu können.

*  1 

Die Vortragsfassung des Beitrags wurde beibehalten. Siehe den Beitrag von Kötz, Lernziele der Rechtsvergleichung, in diesem Band.

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I. Rechtsvergleichung zur Erhaltung der Innovationskraft der juristischen Praxis Ich beginne mit der Erhaltung der Innovationskraft der juristischen Praxis. Zugegeben, ich bringe diesen Punkt auch, um einem im derzeitigen Legal-TechRausch ständig anzutreffenden Narrativ entgegenzutreten, das da lautet, Juristen seien innovationsfeindlich. Das, mit Verlaub, ist blanker Unsinn. Innovation wird hier auf eine technische Begrifflichkeit reduziert und offenbar unkritisch synonym zu Fortschritt verwendet.

1. Vorbemerkungen Juristische Innovation bedeutet die Lösung von Rechtsfragen, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen oder bewusst an Wissenschaft und Praxis überantwortet hat, mittels des bestehenden rechtlichen Instrumentariums oder durch Entwicklung eines solchen Instrumentariums innerhalb des durch die juristische Methodenlehre vorgegebenen Rahmens. Über diesen mag man dann meinetwegen trefflich streiten. Gerade aus rechtsvergleichender Sicht lese man einmal den Entscheid des schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahr 2005 zur Frage, ob Unterhaltskosten für ein ungeplantes Kind als Schaden im Rechtssinne anzusehen seien.2 Im zu entscheidenden Fall hatte der betreffende Arzt schlicht die bereits mit der Patientin vereinbarte, im Zuge des Kaiserschnitts beim zweiten Kind vorzunehmende, Eileiterunterbrechung nicht durchgeführt, wovon die Eltern des dann später eintreffenden dritten Kindes aber ausgegangen waren.3 Das Bundesgericht hat einen Schadenersatzanspruch der Eltern bejaht.4 Ebenso wie zuvor höchste Gerichte in anderen Ländern musste das Bundesgericht mit dieser Frage umgehen, ohne dafür ein gesondertes Instrumentarium zur Verfügung zu haben. Fehlt eine gesetzliche Regelung, so soll das Gericht gemäß Art.  1 Abs.  2 des schweizerischen ZGB zunächst nach Gewohnheitsrecht, und in dessen Abwesenheit nach der Regel entscheiden, die es selbst als Gesetzgeber aufstellen würde. Bei alledem folgt das Gericht gemäß Art.  1 Abs.  3 ZGB bewährter Lehre und Überlieferung. Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid dann die in Deutschland, Österreich, England und den Niederlanden ergangene Rechtsprechung gewürdigt und die dort sowie in der ausländischen Lehre anzutreffenden Argumente unter Berücksichtigung der schweizerischen Lehre abgewogen.5 Unabhängig davon, wie man zum gefundenen, m. E. richtigen, Ergebnis steht: Möchte man mir hier ernsthaft weismachen, dies sei kein innovativer Vorgang? 2 

BGE 132 III 359. BGE 132 III 359 ff. 4  BGE 132 III 359, E.4.8. 5  Vgl. insbes. BGE 132 III, 359, E.3. 3 

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Genauso verfolge man auch einmal bei Faust in dessen Dissertation die hervorragend nachgezeichnete Wanderung der Vorhersehbarkeitsregel als Instrument der Begrenzung des Schadersatzanspruches aus dem französischen Code Civil in ein amerikanisches Lehrbuch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, von dort vor amerikanische Gerichte, von dort vor englische Gerichte, vor allem natürlich Hadley v. Baxendale 1854,6 und dann hinein in Artikel 74 S.  2 des UN-Kaufrechts von 1980.7 Soll auch diese Entwicklung keine Innovation gewesen sein? Der nach mir sprechende Kollege Martini möge mir verzeihen, wenn ich hier mit der Hervorhebung rechtsvergleichend ausgearbeiteter Gerichtsentscheide seinen Ausführungen zur Sicht der Gerichtspraxis auf die Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung möglicherweise vorgegriffen haben sollte. Es geht mir hier darum einerseits deutlich zu machen, was juristische Innovation im Kern bedeutet, andererseits, wie die Rechtsvergleichung diese innovativen Vorgänge befördert. Ich erlaube mir, hier Kötz zu zitieren: „Versteht man unter Rechtswissenschaft nicht lediglich eine auf nationale Gesetze, Rechtsprinzipien, ‚rules‘ und ‚standards‘ bezogene Interpretationswissenschaft, sondern die Erforschung von Modellen für die Verhinderung und Lösung sozialer Konflikte, so ist deutlich, dass die Rechtsvergleichung als Methode einen breiteren Fächer von Lösungsmodellen zur Verfügung hat als eine national introvertierte Rechtswissenschaft.“8

Alles das ist nicht neu, aber es scheint mir in der gegenwärtigen Debatte um die Zukunft der juristischen Berufe notwendig, die innovative Arbeit der Praxis, das heißt in Anwaltschaft und bei Gerichten bzw. Schiedsgerichten, und die tragende Rolle der Rechtsvergleichung in Erinnerung zu rufen.

2. Der Bedarf nach Innovationskraft und -fähigkeit in der Praxis Bleiben wir aber bei dieser derzeit laufenden Debatte, schließlich soll es ja um die Rechtsvergleichung in der Ausbildung gehen. Es ist zutreffend, dass sich das Umfeld, vor allem das technologische, der juristischen Dienstleistungen verändert und mit ihm die Instruktionen und Erwartungen der Klienten. Juristisches Wissen wird mit neuen Möglichkeiten und neuen Anbietern anders vorgehalten, bewirtschaftet und nutzbar gemacht (werden). Die Datenbasis für Suchmechanismen ist immer breiter, nicht nur bei den großen Datenbankanbietern, sondern auch durch die fortschreitende Digitali-

6 

156 Eng. Rep.  145 (1854). Faust, Die Vorhersehbarkeit des Schadens gemäß Art.  74 Satz  2 UN-Kaufrecht (CISG), 1996, 75, 78 f., 105. 8  Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 3.  Aufl., 1996, 14. 7 Vgl.

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sierung von Gerichtsentscheiden. Die Suchmechanismen selbst werden intelligenter, differenzierter und zielsicherer. Vorrangiger Anwendungsbereich von Werkzeugen wie künstlicher Intelligenz und damit verbundener predictive analysis wird außerhalb großer Dokumentenreviews (z. B. im Rahmen interner Untersuchungen bei Unternehmen und discoveries) zunächst die juristische Recherche sein, die bisweilen schon heute als kaum oder nicht honorarwürdige, reine Ausbildung jüngerer Anwälte angesehen wird. Über die rechtspolitischen und rechtssoziologischen Implikationen dieser Entwicklung, und vor allem das inskünftige Verständnis von der Idee der Rechtspflege, werden wir übrigens lieber früher als später noch eine sehr ernste Diskussion zu führen haben. Dafür ist heute aber kein Raum. Mein Punkt hier ist, dass sich die Ausrichtung der juristischen Dienstleistung auf die Anwendung des Rechts und die Behandlung neuer rechtlicher Probleme mit maßgeschneiderten, nicht maschinell auffindbaren Lösungen akzentuieren wird. Die wissenschaftliche Fundierung wird – wenn Sie so wollen – weniger Wertschätzung erfahren, schlicht weil – durchaus irrig – vorausgesetzt wird, dass diese schnell und einfach hergestellt werden kann. In diesem Umfeld zwischen der Standardisierung und Digitalisierung einzelner Bereiche der juristischen Dienstleistungen und der Maßschneiderung rechtlicher Lösungen, die (noch) nicht in Kommentaren, Lehrbüchern und Urteilen zu finden sind, wird es einem rechtsvergleichend ausgebildeten Anwalt leichter fallen, Dienstleistungen zu erbringen, die aus Sicht der Klientschaft einen über die standardmäßig vorausgesetzten Dienstleistungen hinausgehenden Mehrwert haben. Ich spitze natürlich aus Zeitgründen zu. Was ich eben beschrieben habe, vollzieht sich natürlich sehr viel differenzierter. Ich werde versuchen, die besondere Bedeutung der Rechtsvergleichung in diesem Umfeld gleich noch etwas deutlicher zu machen. II. Rechtsvergleichung zur ganzheitlichen juristischen Beratung und Vertretung Ich komme damit zum zweiten zentralen Grund, warum die Rechtsvergleichung in der Ausbildung aus praktischer Sicht unabdingbar ist. Besser als Rabel kann ich ihn nicht beschreiben und erlaube mir deshalb, ihn hier zu zitieren: „Das Hauptbedürfnis aber scheint mir, dass ein gesunder Stamm [junger] Juristen um die juristische Mentalität des Auslands wisse. Beim Abschluss von Staatsverträgen und von kommerziellen Abmachungen, von Rechtsstreitigkeiten ausser Gericht und vor heimischen und fremden Gerichten kommt alles darauf an, die Einstellung des andern Teils zu kennen. […] Die juristische Auslandskunde ist aber nächst der nationalökonomischen für die praktischen Wirtschaftsbelange das wichtigste Stück.“9 9  Rabel, Aufgabe und Notwendigkeit der Rechtsvergleichung, in: Leser (Hrsg.), Ernst Rabel – Gesammelte Aufsätze – Band III, 1967, 1, 18.

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Ich habe mir erlaubt, im ersten Teil des Zitats eine kleine Modifikation vorzunehmen. Wo Rabel von einem gesunden Stamm deutscher Juristen sprach, habe ich von einem gesunden Stamm junger Juristen gesprochen. In der Sache ändert das nichts und in jedem Fall hat Rabels Aussage an Richtigkeit und Relevanz seit 1924 nichts eingebüßt.

1. Einfluss unterschiedlicher Rechtsmentalitäten auf den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten Es ist aber nicht nur der jeweils andere Teil im Sinne einer Gegenpartei, deren Rechtsmentalität zu kennen von enormer Wichtigkeit ist, sondern, und ich unterstelle einmal, Rabel hat es so gemeint, es ist auch der andere Teil im Sinne eines Gerichts und – vor allem – eines Schiedsgerichts. Für die forensisch tätige Anwaltschaft sollte unmittelbar einsichtig sein, dass eine ganzheitliche Vertretung sich nicht darin erschöpft, unter dem anwendbaren Recht Argumente zusammenzutragen. Vielmehr gehört die Einschätzung ihrer Überzeugungskraft gerade vor dem rechtskulturellen Hintergrund der Mitglieder des Schiedsgerichts bzw. des Einzelschiedsrichters in internationalen Verfahren zum Kernbestand der Parteivertretung. Ich möchte dies kurz veranschaulichen. Dass Argumente, Rechtsfiguren, Rechte und Ansprüche gestützt auf Treu und Glauben in bestimmten Rechtskreisen auf mehr und in anderen auf weniger Verständnis treffen, dürfte hinlänglich bekannt sein. Ebenso verhält es sich mit auf den subjektiven Willen fokussierenden Vertrags- und Willenserklärungsauslegungen gegenüber einem objektivierten Auslegungsmaßstab. Dass etwa auch der einseitige Erklärungsirrtum zur Anfechtung und Rückabwicklung eines Vertrages führen können soll, werden nicht in dieser Rechtstradition ausgebildete Schiedsrichter durchaus als Stand des von ihnen etwa anzuwendenden Schweizerischen Rechts akzeptieren. Gleichsam ist damit zu rechnen, dass sie im Gegenzug auch schneller ein zur Kompensation der Gegenpartei führendes Verschulden der irrenden Partei annehmen werden. Wenig überraschend schlagen unterschiedliche Rechtsmentalitäten vor allem auch bei der Auslegung und Anwendung offener Rechtsbegriffe durch. Paradebeispiel ist hier natürlich, und Sie werden sicher einsehen, dass ich dieses Beispiel nutze, die nach Art.  39 Abs.  1 UN-Kaufrecht erforderliche Mängelrüge des Käufers innert einer „reasonable time“.10 Bei dieser sind käufer- bzw. verkäuferfreundliche Vorprägungen und darauf gründende unterschiedliche Auffassungen über Sinn und Zweck der Mängelrüge angesichts der Rechtsfolgen einer nicht rechtzeitigen Mängelrüge fallentscheidend. 10  Vgl. dazu Schwenzer, in: Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 7.  Aufl., München/Basel 2019, Art.  39, Rn.  16 f.

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Besondere Bedeutung kommt aber bei der Kenntnis unterschiedlicher Rechtsmentalitäten in internationalen Verfahren Fragen der Beweislast und des Beweismaßes zu. Gerade bei Schadenersatzprozessen wird sich hier regelmäßig der Fall entscheiden. Die Unterschiede in den Rechtstraditionen beginnen hier bereits bei der Frage, ob es sich um prozessrechtliche oder materiellrechtliche Angelegenheiten handelt. Je nach Konstellation kann es dann sein, dass die Parteien unterschiedliche Beweislastverteilungen und Beweismaße aus unterschiedlichen Rechten ableiten und dies letztlich im Endentscheid geklärt werden muss. Die klägerische Seite muss dann vorsichtshalber dem höheren von beiden genügen. Das Problem akzentuiert sich in internationalen Schiedsverfahren, wo es regelmäßig besonders schwierig ist, das geltende Beweismaß zu ermitteln. Selbst wenn es aber gelingt, das anwendbare Beweismaß zu bestimmen, so schlagen natürlich die jeweiligen Rechtsmentalitäten auf dessen Anwendung durch. Wer gewöhnt ist, die volle Überzeugung des Gerichts zu fordern, wie es in der Schweiz notwendig ist, und wo es Kläger außerordentlich schwer haben, mit Schadenersatzforderungen durchzudringen, für den wird auch das nominell niedrigere Erfordernis „reasonable degree of certainty“ später erfüllt sein, als bei jenen, die keinen über jeden Zweifel erhabenen Beweis des geltend gemachten Schadens verlangen. Die Rechtsvergleichung sensibilisiert für die vorgenannten Umstände, für die Auswirkungen nationaler Vorprägungen auf das praktische Ergebnis. Idealiter führt sie in diesem Zusammenhang auch dazu, dass die so ausgebildeten Juristen nicht nur den Splitter im fremden, sondern auch den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen vermögen.

2. Der Rechtsanwalt als Übersetzer und Vermittler zwischen unterschiedlichen Rechtstraditionen Der zweite Aspekt im Zusammenhang mit der Sensibilisierung für unterschiedliche Rechtsmentalitäten durch die Rechtsvergleichung hat nur indirekt mit der Rechtsanwendung als solcher zu tun, sondern betrifft die Rolle des Anwalts in internationalen Verhältnissen. Oftmals wird die Klientschaft zunächst keine detaillierte Beratung zu ausländischem Recht erwarten, die über die Beantwortung einfacher Fragen hinausgeht. Der Anwalt würde eine solche Beratung regelmäßig schon aus Berufshaftungsgründen auch ablehnen. Die Klientschaft wird in der Regel zunächst erwarten, dass der Anwalt einen Korrespondenzanwalt in der betreffenden Rechtsordnung konsultiert, bzw., wenn es sich um eine multinationale Kanzlei amerikanischen oder englischen Zuschnitts handelt, die jeweilige Niederlassung involviert wird.

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Die Klientschaft wird aber erwarten, dass der Anwalt gleichsam als Übersetzer und Vermittler fungiert. Der in der Rechtsvergleichung geübte Anwalt, wird hier in der Lage sein, der Klientschaft den im Ausland eingeholten Rechtsrat verständlich zu machen, der Klientschaft dabei zu helfen, hinsichtlich des vom ausländischen Anwalt vorgeschlagenen weiteren Vorgehens einen informierten Entscheid zu treffen, und etwa auch im Umgang mit ausländischen Behörden der Klientschaft zu erläutern, warum das Verfahren so abläuft, wie es abläuft. Ich möchte klarstellen, dass es sich hier keineswegs um ein Thema handelt, dass sich nur großen Wirtschaftskanzleien stellt. Multinationale Unternehmen verfügen regelmäßig über ein international besetztes Panel von Kanzleien und intern über mittlerweile stark ausgebaute und ebenfalls international besetzte Rechtsabteilungen. Das angesprochene Bedürfnis nach einem Anwalt als Vermittler und Übersetzer besteht im Wirtschaftsleben vor allem dort, wo Klienten aus nur einem Land heraus weltweit operieren. Die Zahl dieser Unternehmen hat sich erhöht und wird sich weiter erhöhen. Digitaler Wandel kombiniert mit der Zunahme von Dienstleistungsanbietern erlaubt heute auch kleinsten Unternehmen, ihre Waren und Dienstleistungen weltweit anzubieten und sich Märkte zu erschließen, die früher den Großunternehmen vorbehalten waren. Ich denke hier etwa an Unternehmen mit einer einstelligen oder niedrig zweistelligen Angestelltenzahl, die über ein Patent verfügen, im Ausland produzieren lassen und die Ware über einen großen Distributor weltweit vermarkten und verkaufen. Ich denke hier auch an den trotz beachtlicher Ausnahmen weiter zu beobachtenden Trend zur Fragmentierung von Wertschöpfungsketten und die immer feiner werdenden Gliederungen in Produktions- und Zulieferketten. Aber auch im Familien- und Erbrecht nehmen die internationalen Verflechtungen zu. Die stärker gewordenen Wanderungsbewegungen in den beiden letzten Jahrzehnten zeigen sich jetzt in der gestiegenen Anzahl der sogenannten gemischt-nationalen Beziehungen, regelmäßig mit weiteren Angehörigen und Vermögenswerten im In- und Ausland. Gerade auch in diesen sensiblen, den persönlichen Lebensbereich der Klientschaft betreffenden Angelegenheiten besteht Bedarf nach rechtsvergleichend ausgebildeten Anwälten, die in der Lage sind, für ihre Klientschaft juristische Übersetzer und Vermittler zu sein.

3. Ergebnis Um diesen Punkt abzuschließen: Die Sensibilisierung für unterschiedliche Rechtsmentalitäten durch die Rechtsvergleichung führt einerseits bei der unmittelbaren Rechtsanwendung zu einer ganzheitlichen und effektiveren Beratung und Vertretung. Andererseits erlaubt sie dem so ausgebildeten Anwalt, seiner Funktion als Vertrauensperson, Berater und Vertreter in internationalen

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Verhältnissen besser gerecht zu werden und der Klientschaft bei der Orientierung zu helfen.

B. Anwendungskompetenzen, welche durch die Rechtsvergleichung in besonderem Maße vermittelt werden I. Orientierung an Sachfragen, Denken vom Problem zur Lösung Es gehört zu den Binsenweisheiten der Rechtsvergleichung, dass ein bloßes buchstäbliches Übersetzen von Rechtsbegriffen oftmals ins Leere führen und zum Verständnis der ausländischen Rechtsordnung nur wenig beitragen wird. Dies gilt natürlich vor allem dann, wenn die betreffende Rechtsordnung einem anderen Rechtskreis angehört. In meiner Praxis geht es meistens um die Unterschiede zwischen Rechtsordnungen des Common Law und schweizerischem bzw. deutschem Recht. Zumeist geht es um die Gewährleistungs- und Rechtsbehelfsregime, lange Bindungswirkungen und Vertragsaufhebungs- bzw. Kündigungsrechte sowie daran geknüpfte termination charges. Zu den Klassikern gehören dabei die Fragen nach den Entsprechungen zu conditions und warranties im schweizerischen Recht und die nach remedies for breach of contract und, davon abgegrenzt, remedies for breach of warranty. Ebenfalls häufig wird gefragt, für welche Schadenstypen unter schweizerischem Recht die Haftung begrenzt oder sogar ganz ausgeschlossen werden kann, dies vor allem hinsichtlich incidental losses, lost profit und consequential losses. Weniger häufig, aber ebenfalls angetroffen habe ich die Frage nach der Bedeutung von consideration unter schweizerischem Recht verbunden mit der Frage, ab wann nach Schweizer Recht ein Vertrag infolge lack of consideration oder insufficient consideration unenforceable sein könnte. Insbesondere wenn es um die Möglichkeit des Ausschlusses der Schadenersatzhaftung geht, kommt es dann in einer zweiten Runde wenig überraschend zu Diskussionen über negligence und deren Verhältnis zu remedies in contract und remedies in tort. In vielen Fällen stellt sich heraus, dass die betreffenden Verträge bereits vor einiger Zeit abgeschlossen worden und seinerzeit in einem späten Verhandlungsstadium, aus immer wieder anderen Gründen, schweizerischem Recht unterstellt worden sind, obwohl offensichtlich auf das englische Recht ausgerichtet. In anderen Fällen ist der Vertrag ausverhandelt, soll jetzt doch noch schweizerischem Recht unterstellt werden und ist zu prüfen, ob einzelne Klauseln unter schweizerischem Recht unwirksam wären. Die Beantwortung der Fragen hängt in allen Situationen ersichtlich davon ab, dass man sich die unterschiedlichen Strukturen der betreffenden Rechtsordnungen bewusst macht und sich fragt, welche Situation mit einer bestimmten Klausel erfasst werden soll, mit welchem Instrument das eigene Recht dieser

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Situation begegnet und in welchem Umfang das eigene Recht abweichende Parteivereinbarungen zulässt. Abgesehen davon, dass in Rechtsvergleichung ausgebildete Studierende mit einigen der genannten Begriffe sicher etwas werden anfangen können, schult die Rechtsvergleichung das Auge für die Sachfrage, die gelöst werden soll. Dies ist in der Praxis deshalb von Bedeutung, weil die eingehenden Anfragen oftmals in der Rechtssprache der ausländischen Rechtsordnung gefasst sein, auf rechtlichen Vorprägungen aufbauen und nach einem Rechtssatz suchen werden. Umgekehrt muss im Gedächtnis behalten werden, wie schwer es sein kann, selbst eine Frage so zu formulieren, dass der ausländische Empfänger versteht, welche Sachfrage angesprochen ist, für die das rechtliche Lösungskonzept in Erfahrung gebracht werden soll. Ich behaupte hier keineswegs, dass die allgemeine Ausbildung keinen Wert darauf legt, die Funktionen rechtlicher Institutionen herauszustellen, d. h. welche Situationen konzeptionell erfasst sein sollen. Didaktisch wird dabei, zumindest nach meiner eigenen Erfahrung auch in der Arbeit mit juristischem Nachwuchs, aber regelmäßig von der betreffenden Norm bzw. vom betreffenden Normenkomplex ausgegangen und dann erläutert, was damit erreicht werden soll. Es wird also gewissermaßen von der Lösung zum Problem gedacht. Damit wird natürlich die teleologische Auslegungsmethode eingeübt, die gerade bei vertragsrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig neben der historischen Auslegungsmethode im Vordergrund steht. Die Rechtsvergleichung, hier in Form der Mikrorechtsvergleichung, geht konzeptionell den umgekehrten Weg, indem sie bei der Sachfrage beginnt und sodann die für die Sachfrage angebotenen Lösungen ermittelt und vergleicht. Für die vertragsrechtliche Beratung liegt der Vorteil dieser Methode darin, dass Ausgangspunkt eben das Geschäft des Unternehmens ist, das juristische Sachfragen aufwirft, die dann bei grenzüberschreitender Tätigkeit unter Berücksichtigung verschiedener Rechtsordnungen anzuschauen sind. Es kann ja am Anfang etwa schon unsicher sein, ob eine Rechtsordnung eine bestimmte Situation vertragsrechtlich, haftpflichtrechtlich oder auf einem Mittelweg löst. Die Frage der Haftung für während der Vertragsverhandlungsphase eintretende Schäden ist dafür ein offensichtliches Beispiel. II. Orientierung an Fakten, stärkere Einübung der Case-Law Methode Ein aus meiner Sicht weiterer Vorzug der rechtsvergleichenden Ausbildung ist die prominentere Rolle der Case-Law Methode. Ich habe die Bedeutung der Orientierung an Sachfragen bereits angesprochen, dies setzt sich hier fort. Insbesondere im Rahmen von internationalen Studentenwettbewerben lässt sich sehr gut beobachten, dass in Common Law Rechtsordnungen ausgebildete Studenten im Ausgangspunkt ihre Argumentationslinien entlang der Fakten aufbauen und dann argumentieren, warum vor diesem Hintergrund eine Rechtsre-

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gel passt oder nicht passt, während ihre Kommilitonen aus den Civil Law Rechtsordnungen im Ausgangspunkt mit der Rechtsregel beginnen und dann argumentieren, warum diese auf den Sachverhalt anwendbar ist oder eben nicht. Das überrascht angesichts der zu Grunde liegenden rechtskulturellen Vorprägungen natürlich nicht. Es zeigt aber, mit welchem Instrumentarium der juristische Nachwuchs an Fälle in der Praxis zunächst herangehen wird. Das ist keineswegs wertend gemeint. Vielmehr geht es darum, wie das Instrumentarium verbreitert werden kann. In der Civil Law Ausbildung liegt das Augenmerk oft auf der Frage, wie das jeweils höchste Gericht die Tatbestandsvoraussetzungen einer Vorschrift versteht. Im Fokus steht also der verallgemeinerungsfähige Rechtssatz einer Entscheidung, weniger die Frage, unter welchen besonderen Umständen das betreffende Gericht die Entscheidung getroffen hat. Freilich gibt es überall eine Reihe von berühmt gewordenen Entscheiden, deren zu Grunde liegender Sachverhalt wenigstens in den Grundzügen zum juristischen Grundwissen gehört. Dass in Civil Law Rechtsordnungen Ausgangspunkt der juristischen Fallbearbeitung in der Ausbildung aber die abstrakt-generelle Rechtsregel ist, zeigt sich auch an der erheblich geringeren Verbreitung von Case Books in der Ausbildungsliteratur.11 Indes ist die genaue Auseinandersetzung mit den Fakten, die höchstrichterlicher Rechtsprechung zugrunde liegen, in der Praxis ein nicht zu unterschätzendes Werkzeug. Dies beginnt etwa bei der Frage, ob der Kläger des entschiedenen Falles letztlich obsiegt hat oder nicht. Falls nicht, wird sich ein potenzieller Kläger fragen müssen, ob er sich auf ein solches Urteil berufen will, wenn ihm zwar die abstrakt-generelle Auslegung eines Tatbestandsmerkmals gelegen kommt, er aber möglicherweise aus den gleichen tatsächlichen Gründen unterliegen könnte, aus welchen der frühere Kläger unterlegen ist. Für die beklagte Seite gilt natürlich umgekehrt dasselbe. Die Anforderung in der Praxis an jüngere Mitarbeiter lautet deshalb oftmals nicht „finde Entscheide, in welchen der BGH / das Bundesgericht dies oder jenes gesagt hat“, sondern „finde Entscheide, in welchen der BGH / das Bundesgericht einen Fall zu entscheiden hatte, in welchem dies oder jenes passiert ist“. In der eigenen Rechtsordnung hat man natürlich oft eine Vorstellung davon, im Dunstkreis welcher Normen sich ein solcher Entscheid finden könnte, was den Einstieg erleichtert. Die Einübung der vorgängigen vertieften Sachverhaltsanalyse steht im rechtsvergleichenden Unterricht im Vordergrund, da auf diesem Weg die Basis für den eigentlichen Vergleich geschaffen wird. Im Rahmen des eigentlichen Vergleichs ist dann noch zu prüfen, ob die Gerichte in verschiedenen Staaten wirklich ­einen identischen Sachverhalt zu entscheiden hatten oder ob es Abweichungen

11  Vgl. aber natürlich für Deutschland Schack/Ackermann, Das Bürgerliche Recht in 100 Leitentscheidungen, das mittlerweile in 7. Auflage (2018) erschienen ist.

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im Sachverhalt gab, die für unterschiedliche Lösungen ausschlaggebend gewesen sein könnten. Es liegt auf der Hand, dass auf diesem kleinteiligeren Weg weniger Stoff bewältigt werden kann, als wenn von einer abstrakt generellen Norm ausgegangen wird, deren Tatbestandsvoraussetzungen erläutert und anhand griffiger Beispielsfälle verdeutlicht werden. In Rechtsordnungen, die in ihrer Grundanlage auf einem System (kodifizierter) abstrakt-genereller Normen aufbauen ist dies auch unerlässlich. Es ändert aber nichts an dem Befund, dass die Rechtsvergleichung unter didaktischen Gesichtspunkten schon aufgrund ihrer Anlage das Anwendungsinstrumentarium verbreitert. Es geht mir deshalb auch nicht darum, hier den Vorzug des einen vor dem anderen zu argumentieren. Die Ausgangsfrage lautete schließlich, wie ein Wirtschaftsanwalt auf die Rolle der Rechtsvergleichung in der Juristenausbildung blickt. Und zumindest meine Perspektive ist, dass ihre Rolle darin besteht, neben Wissen und Erkenntnis Anwendungskompetenzen zu vermitteln, die sie aufgrund ihrer Anlage eben besonders gut vermitteln kann und die aus praktischer Sicht sehr wünschenswert sind.

C. Fazit Die Rechtsvergleichung behält aus meiner Sicht eine wichtige Funktion in der juristischen Ausbildung. Nehmen Sie als Beleg dafür nur einmal die Verbreitung des LL.M. in der heutigen Anwaltschaft, gerade bei den Wirtschaftskanzleien. Ich habe versucht darzulegen, worauf die Rechtsvergleichung besonders gut vorbereitet, ohne damit eine Aussage darüber zu treffen, wie sich die Rechtsvergleichung quantitativ zu anderen Fächern verhalten und wie sie im Stundenplan verankert sein sollte. Das war zum einen nicht die Frage und zum andern könnte ich dazu nichts beitragen. Ich erlaube mir allenfalls darauf hinzuweisen, dass es mir nicht zutreffend erschiene, wenn man bei Studenten den Eindruck erweckte, es handle sich bei der Rechtsvergleichung um eines der sprichwörtlichen vergeistigten Orchideenfächer. Aber wem sage ich das.

Einheitsrecht als Labor für rechtsvergleichenden Unterricht Yeşim M. Atamer1 A. Einführung In einem Tagungsband zur „Rechtsvergleichung als didaktische Herausforderung“ ist es wohl unvermeidbar, dass die Beitragenden ihre eigenen Erfahrungen aus dem Studium, der Fortbildung und dem Beruf einbringen. Die Einschätzungen zur „Bedeutung der Rechtsvergleichung im juristischen Studium“ werden dementsprechend auch etwas unterschiedlich ausfallen, insbesondere wenn man aus einem Rezeptionsland wie der Türkei stammt 2 . Türkische Studierende hören schon in ihrer ersten Vorlesung zur Einführung zum Zivilrecht 3, dass das eigene Zivilgesetzbuch („ZGB“) und Obligationenrecht („OR“) nicht „türkisch“ sind, sondern vor fast 100 Jahren vom schweizerischen ZGB und OR einfach übersetzt und übernommen wurde. Sie erfahren weiter, dass dieser Transfer bis heute anhält, und z. B. das neue ZGB von 2002 und OR von 2012 größtenteils nur wieder die zwischenzeitlich in der Schweiz erfolgten Revisionen umgesetzt haben4. Auch zum neuen Handelsgesetzbuch wird ihnen berichtet, dass es vor allem der Umsetzung der relevanten EU-Richtlinien ins türkische Recht diente und sich im Übrigen weitgehend an rechtsvergleichenden Studien orientiere5. Das gleiche gilt eigentlich für die Mehrzahl der anderen Rechtsgebiete wie das türkische Straf-, Arbeits-, Prozess-, Urheber-, 1 

Alle zitierten Webseiten wurden zuletzt am 31. Oktober 2019 besucht. weiterer wichtiger Unterschied zu Deutschland ist der Aufbau des Jurastudiums. Das Regelstudium in der Türkei beträgt vier Jahre und alle Vorlesungen werden am Ende des Semesters mit einer schriftlichen Prüfung abgeschlossen. Es gibt keine allgemeine Abschlussprüfung, die mit dem Staatsexamen zu vergleichen wäre. Für die Zulassung als Anwalt muss ein Praktikum von einem Jahr, als Richter zwei Jahren abgeleistet werden. Richterkandidaten werden dann am Ende des Praktikums schriftlich und mündlich nochmal geprüft. 3  Wenn in diesem Beitrag vom Unterricht in der Türkei berichtet wird, muss eine gewisse Relativierung vorgenommen werden. Meine Erfahrungen stammen von meiner Studien- und Assistenzzeit an der Istanbul Universität und meiner 18-jährigen Dozentur an der Istanbul Bilgi Universität. Mit großem Bedauern muss ich feststellen, dass in den letzten Jahren gerade in der Qualität der juristischen Ausbildung in der Türkei generell ein starker Rückschritt zu beobachten ist. 4  Atamer, Rezeption und Weiterentwicklung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches in der Türkei, RabelsZ 72 (2008), 723 ff. 5 Vgl. im Detail Atamer/Hopt, Kompatibilität des türkischen und europäischen Wirt2  Ein

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Transport-, Versicherungs- oder Verbraucherrecht. Die Lehrbücher beinhalten sehr oft extensive rechtsvergleichende Verweise, auch wenn es nur zur Literatur der Mutterordnung des jeweiligen Rechtsgebietes ist. Im Unterricht ist eine Darstellung unter Berücksichtigung der Quellen und der Auslegung in der Mutterordnung oft unvermeidlich. Hinzu kommt, dass es besonders an Stiftungsuniversitäten in der Türkei inzwischen verbreitet ist, einen Teil des Jurastudiums (z. B. an der İstanbul Bilgi Universität 30% der Kurse) auf Englisch zu führen, oder wenigstens verschiedene Wahlfächer auf Englisch anzubieten, sei es um der wachsenden Zahl von Erasmus- und Auslandsstudierenden gerecht zu werden, aber auch den Ansprüchen eines Teils der türkischen Jurastudierenden, Vorlesungen auf Englisch zu belegen. Diese werden oft als Vorbereitung für ein Auslandssemester oder für diverse internationale Moot Courts6 angesehen. Fächer, die einen internationalen Hintergrund haben (wie z. B. das Verbraucher-, Urheber- oder Wettbewerbsrecht) eignen sich besonders für solche Vorlesungen, die auch teilweise im Blockformat durch ausländische Dozenten angeboten werden7. In einer solchen Universitätsatmosphäre ergeht es dem angehenden Juristen eigentlich nicht anders als dem Psychologie-, Volkswirtschaft- oder Soziologiestudenten: man studiert Rechtswissenschaft in dem Wissen, dass es in vielen Ländern parallele Probleme und parallele oder gar identische Lösungen gibt, dass man bei genügenden Sprachkenntnissen problemlos ein Auslandssemester oder -jahr verbringen kann, dass die Kurse an den fremden juristischen Fakultäten wenigstens auf die Wahlfächer an der Heimatuniversität angerechnet werden, und dass man sogar durch einen LLM im Ausland, insbesondere in common law Ländern, sich die Chance eröffnet, in dem jeweiligen Land an der Anwaltsprüfung teilzunehmen und dort zu praktizieren. In der Türkei wird das Arbeitsumfeld dieser Studierenden oft durch international vernetzte Rechtsanwaltskanzleien geprägt. Sie sehen sich als Akteure eines globalen Marktes. Natürlich können nicht alle Studierenden von dem ganzen Angebot Gebrauch machen. Es ist wohl ungefähr eine Konstante von etwa 20%, die die gegebenen Möglichkeiten ausschöpft und eine internationale Karriere einschlägt. schaftsrechts - Der neue türkische HGB-Entwurf und benachbarte Rechtsgebiete, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht Nr.  91, Tübingen 2009. 6  Philip C. Jessup International Law Moot Court Competition, Telders International Law Moot Court Competition, The Annual Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot, John H. Jackson Moot Court Competition on WTO Law, European Law Moot Court sind nur einige der renommiertesten in ihren Gebieten. Vgl. dazu Lorenzmeier/Indlekofer, Moot Courts in der juristischen Ausbildung, Zeitschrift für das Juristische Studium 2010, 574, 576 ff. 7  Vgl. in Bezug auf die Erwartungen an die Juristischen Fakultäten im Zeitalter der Globalisierung Basedow, Breeding lawyers for the global village: The internationalisation of law and legal education, in: van Caenegem/Hiscock (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education - The Future Practice of Law, Cheltenham 2014, 1 ff.

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Doch gerade diese Studierendenschaft hat einen starken Übertragungseffekt (spill-over effect), da sie das universitäre Leben prägt, die Erwartungsschwelle erhöht und zukünftige Revisionen des Studiums beeinflusst.

B. Warum und wieweit Rechtsvergleichung im juristischen Studium? I. Unterschiedliche Gewichtung für unterschiedliche Erwartungen Sieht man sich dieses fragmentierte Bild der Studierenden an (und ich meine, dass diese Fragmentierung kein Türkei-spezifisches Phänomen ist), dann muss man erst eine Antwort auf die Frage finden, was eigentlich das Ziel der Rechtsvergleichung im Unterricht sein sollte und wen man konkret ansprechen möchte. Nur wenn man sich darüber einig ist, kann man auch entscheiden, wie man verschiedene Methoden der rechtsvergleichenden Lehre einsetzt8 . Es wäre sinnvoll, erst den kleinsten gemeinsamen Nenner für die ganze Studierendenschaft zu bestimmen und dann die spezifischen Erwartungen der internationalen Gruppe anzugehen. Die Rechtsvergleichung wird unweigerlich bei beiden Gruppen eine unterschiedliche Gewichtung finden. Das hauptsächliche Ziel des rechtsvergleichenden Unterrichts kann sicherlich für keine der beiden Gruppen eine umfangreiche Ausbildung direkt im fremden Recht sein. Es gibt inzwischen sehr erfolgreiche LLB, LLM und auch PhD Programme, die den Studierenden ein Studium in mehr als einem Land ermöglichen und somit auch eine Gewandtheit in mehreren Rechtsordnungen vermitteln9. Doch ist dies vorerst kein verallgemeinerungsfähiges Konzept, da das Interesse von Studierenden, das hauptsächlich durch die Bedürfnisse des Marktes geleitet wird, nur begrenzt bleiben wird10 . Auch wenn diese hochqualifizierten Studierenden eine gute Chance auf dem globalen Markt haben, wird der Großteil der Studierenden den lokalen Markt bedienen müssen11. 8  In diesem Abschnitt versuche ich teilweise auch, auf die von Zwickel, Rechtsdidaktik und Rechtsvergleichung, Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft 2017, 299 ff. aufgeworfenen Fragen an die 7. Jahrestagung des Zentrums für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik (Hamburg) einzugehen. 9  Die Autorin gründete z. B. mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Heinz-Peter Mansel von der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät im Jahre 2010 den in der Türkei ersten internationalen Postgraduiertenstudiengang (LLM) „Deutsches und Türkisches Wirtschaftsrecht“. Siehe dazu: http://www.dtm.jura.uni-koeln.de/. 10  Vgl. auch Stürner, Zwölf Thesen zur Internationalisierung der Juristenausbildung, in: Stumpf/Rainer/Baldus (Hrsg.), Privatrecht, Wirtschaftsrecht, Verfassungsrecht, Baden-Baden 2015, 1476, 1478. 11  Man muss auch sehen, dass als Folge der Globalisierung sehr viele Kanzleien inzwischen international vernetzt sind, Niederlassungen in verschiedenen Ländern haben, oder ausländische Experten beschäftigen, so dass sie sofort die nötigen Informationen zum fremden Recht bekommen können. Ein in verschiedenen Rechtsordnungen trainierter Student hat aber immer den Vorteil, dass er im Vergleichen dieser Rechtsordnungen kompetenter sein wird.

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Ein systematisches Lehren ausländischen Rechts würde auch oft deswegen keinen Sinn machen, weil die Halbwertzeit der Rechtsnormen – wie vom Wissenschaftsrat betont12 – in den letzten Jahrzehnten viel kürzer geworden ist. In einer Phase, wo man rege diskutiert, ob es überhaupt noch Sinn macht, die Fülle der Rechtsnormen des eigenen Rechtssystems im alten Muster weiter zu lehren13, sollte man m. E. nicht den Fehler begehen, das gleiche nun mit ausländischem Recht zu machen. Es erweitert diesbezüglich den Horizont, wenn man sich z. B. kurz die Entwicklungen zum juristischen Studium in England und Wales vor Augen führt. Sicherlich war dort die Stellung des Jurastudiums immer schon weniger betont als in den klassischen civil law Ländern und sogar in den USA. Auch ohne Abschluss von einer juristischen Fakultät war es möglich durch ein Zusatzstudium solicitor zu werden14. Doch soll mit dem neuen System, das voraussichtlich 2020 in Kraft treten wird, die nationale solicitor Qualifikationsprüfung nun ganz im Mittelpunkt stehen. An dieser Prüfung wird man ohne jeglichen Juraabschluss (qualifying law degree) teilnehmen können. Es reicht, wenn die Kandidaten vergleichbare Abschlüsse oder aber auch äquivalente Eignungen vorzeigen können. Das Examen wird aus zwei Teilen bestehen. Im ersten Teil soll juristisches Wissen geprüft werden, hingegen im zweiten Teil fachliche und berufliche Kompetenzen, die der Kandidat schon vor der Prüfung erlangt haben muss. Nach der Prüfung wird dann noch ein 2-jähriges Praktikum absolviert15. Sicherlich braucht man nun mit diesem Beispiel vor Augen nicht gleich das Jurastudium schlechthin zu hinterfragen. Doch muss es auf jeden Fall dazu anregen, darüber nachzudenken, wie man statt simpler Wissensvermittlung die Begabungen zur Wissensaneignung für alle Studierenden fördern könnte. Und gerade hier kann meines Erachtens die Rechtsvergleichung eine wichtige Rolle spielen.

12  Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland. Situation, Analysen, Empfehlungen, 2012, 57 (https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2558-12. pdf). 13  Vgl. z. B. van Klink/de Vries (Hrsg.), Academic Learning in Law, Theoretical Positions, Teaching Experiments and Learning Experiences, Cheltenham 2016; Hochschulrektorenkonferenz, Juristenausbildung heute - Zwischen Berlin und Bologna, Bonn 2014; van Caenegem/ Hiscock (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Education - The Future Practice of Law, Cheltenham 2014; Jamin/van Caenegem (Hrsg.), The Internationalisation of Legal Educa­ tion, Chur 2016. 14  Vgl. die von der Law Society bereitgestellte Information: https://www.lawsociety.org. uk/law-careers/becoming-a-solicitor/solicitor-qualifying-exam/. Allgemein zum Richterund Anwaltsberuf und die Unterteilung zwischen barrister und solicitor Kischel, Rechtsvergleichung, München 2015, 304 ff. 15  Vgl. zu den Details des neuen Systems, das von der Solicitor Regulation Authority eingeführt wurde: https://www.sra.org.uk/sra/policy/sqe.

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II. Rechtsvergleichung als erforderliche fachliche Fähigkeit für alle Jurastudierenden Wenn man wegen der enormen Stofffülle das geltende Recht nicht mehr im alten Modell unterrichten kann, dann muss man wissenschaftliches Arbeiten und Reflexionsvermögen stärken16 . Das deutsche Hochschulrahmengesetz bestimmt die Ziele des Studiums in §  7 folgendermaßen: „Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studiengang entsprechend so vermitteln, dass er zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird.“

Zu lange schon scheint sich das Jurastudium auf die Vermittlung der Fachkenntnisse zu konzentrieren, doch die Entwicklung der Fähigkeiten und Methoden vernachlässigt zu haben. Und gerade hier könnte der Einsatz der Rechtsvergleichung einen wichtigen Beitrag für die international sowie national ausgerichteten Studierenden leisten. Genauso wie das Wissen um die soziologischen, ökonomischen, historischen und auch philosophischen Hintergründe von Rechtsvorstellungen und Rechtsinstituten dient auch das integrative Einbringen von rechtsvergleichendem Wissen dazu, methodische Begabungen wie das kritische Denken zu fördern17. James Gordley drückt es sehr prägnant aus: „A student confronted with only one solution to a legal problem has a tendency to assume it is the right one. When he is confronted with two, he is encouraged to think.“18

Falls es Ziel eines Jurastudiums ist, die intellektuelle Kapazität der Studierenden zu fördern, Neugier zu entfachen, analytische und kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln und auch die ethische Rolle eines Juristen aufzuzeigen19, dann haben wir sehr viel von einem rechtsvergleichenden Unterricht zu lernen. 16  Schaper, Kompetenzorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium, in: Hochschulrektorenkonferenz, Juristenausbildung heute - Zwischen Berlin und Bologna, Bonn 2014, 36, 37. 17  Vgl. auch Stürner (Fn.  10), 1481–1482. 18  Gordley, Comparative Law and Legal Education, 75 Tulane Law Review (2001), 1003, 1008. 19  Australian Law Reform Commission, Managing Justice: A Review of the Federal Civil Justice System (ALRC Report 89), 2000, 153 (https://www.alrc.gov.au/report-89). Vgl. auch Lord Reed, Comparative Law in the Supreme Court of the United Kingdom, RabelsZ 82 (2018), 563 ff. und 574–575: „But the judgments of other courts in other jurisdictions, including systems of civil law, can give us a clearer insight into the state of our own law and let us see our own thinking and its possible deficiencies more clearly. They can make us question received wisdom and can give us ideas about how our law might be developed. As Thomas Mann wrote in Joseph and His Brothers, it is by comparison with others that we discover who we are, and learn what we could be.“

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Rechtsvergleichung ist wichtig für juristisches Argumentieren. Sie ist ein pädagogisches Instrument20 , das man einsetzen kann, um die Studierenden dazu zu bringen, ein gesellschaftliches Problem von verschiedenen Seiten zu beleuchten und zwischen den Alternativen eine begründete Entscheidung zu treffen. Sie fördert eine Debattenkultur, die gerade Juristen von einem „krampfhaften Festklammern am positiven Recht“ abhalten könnte21. Dass dies auch ein viel interessanterer Unterricht ist, der die Neugierde der Studierenden weckt, kann hier aus Erfahrung bestätigt werden 22 . Es ist jedoch nicht nur der erwartete Denkanstoß, der einem rechtsvergleichenden Unterricht Bedeutung verleiht. Die Vorbereitung auf das Tätigkeitsfeld eines Juristen (wie in §  7 Hochschulrahmengesetz vorgegeben) setzt das Wissen um den Erkenntnisgewinn durch die Rechtsvergleichung meines Erachtens voraus. Die Aufgabe der Rechtsdogmatik ist nämlich vor allem, den Sinngehalt des geltenden Rechts herauszuarbeiten 23. Wie weit und unter welchen Voraussetzungen dieses Bemühen eine Wissenschaft ausmachen kann, wird von Ernst Kramer folgendermaßen formuliert: „Zugegeben, eine ‚scientia‘ i. S. der Naturwissenschaften ist die Rechtsdogmatik trotz allen Bemühungen um differenzierte Objektivität nicht, sie ist vielmehr ‚prudentia‘, eben ‚Jurisprudenz‘, der methodisch regelgeleitete, auf ‚vernünftige‘, pragmatische Lösung von gesellschaftlichen Konfliktfällen bezogene Versuch, das geltende Recht sinnvoll und mit Augenmass zu deuten und interpretativ weiterzuentwickeln.“24

Die Aufgabe der Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts kann vom Juristen überzeugend nur wahrgenommen werden, falls die Resultate rationalen und objektiv begründbaren Argumenten folgen. Wenn nun die Studierenden nach dem Hochschulrahmengesetz „wissenschaftliches Arbeiten“ lernen müssen, dann heißt das also, dass sie vor allem lernen müssen, wie Gesetze de lege artis ausgelegt und weiterentwickelt werden und wie ein Gesetzgeber agiert. Es steht heute außer Diskussion, welche wichtige Rolle die Rechtsvergleichung in der Rechtssetzung spielt. Seien es Länder mit einer Geschichte von Rechtstransplantaten oder EU-Mitgliedsstaaten, die sich freiwillig einer gemeinsam zu erschaffenden Rechtsordnung gefügt haben, oder aber auch Länder, die durch einen Wechsel in ihrem politischen/ökonomischen System neue Gesetze einführen müssen – alle bedienen sich der Rechtsvergleichung, um die besten und effizientesten Gesetze einzuführen oder ihre Gesetze zu revidie-

20  Husa, Turning the Curriculum Upside Down: Comparative Law as an Educational Tool for Constructing the Pluralistic Legal Mind, 10 German Law Journal (2009), 913, 920. 21  Stürner (Fn.  10), 1482; siehe auch Gordley (Fn.  18), 1008 ff. 22 So auch Schwenzer/Kessler, Den Lernprozess beflügeln – Werkstattbericht der Swiss International Law School, ZDRW 2018, 88, 89. 23  Kramer, Rechtswissenschaft als Beruf, recht 2011, 49, 50. 24  Kramer (Fn.  23), 51.

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ren 25. Die Aufgabe der Jurisprudenz, das Recht gegebenenfalls fortzubilden 26 , d. h. je nach sich ändernden oder neuen gesellschaftlichen Bedürfnissen neue Regeln zu entwickeln, kann auch nur modo legislatoris vorgenommen werden. Das heißt, dass der Richter, genau wie der Gesetzgeber sich auch der Rechtsvergleichung bedienen muss27. In den Worten von Glenn: „it could be said that law would be recognized as an inherently comparative process, as opposed to a single, universal corpus of rules.“28 Die Erwartung ist sicherlich keine rechtsvergleichende Analyse jedes einzelnen Falles durch Wissenschaftler, Anwälte oder Richter. Doch je mehr die Wissenschaft eine rechtsvergleichende Methode in ihrer Forschung anwendet, desto mehr wird dies in den Unterricht einfließen und auch die zukünftige Anwaltschaft/Richterschaft prägen 29. Eine Auslegung des eigenen Rechts, die die internationalen Entwicklungen zum gleichen Problem mit in Betracht zieht, hat eine weitaus stärkere Überzeugungskraft als eine nur nationale Sichtweise. Denn die juristischen Probleme, die wir in einer globalen Welt zu lösen versuchen, sind fast nie einzigartig. Wie von Lord Bingham sehr richtig betont, kann es sich auch keine andere Wissenschaft leisten, Gedanken nur deswegen zu ignorieren, weil sie aus dem Ausland stammen 30 . Sicherlich eignen sich z.  B. Rechtvereinheitlichungsprojekte wie das UN-Kaufrecht, wie unten weiter ausgeführt werden soll, besser für einen rechtsvergleichenden Unterricht. Doch lassen sich das Vertragsrecht, Deliktsrecht oder z. B. die Straftatbestände, die Grundrechte, die Rechte der Arbeiter oder der Minderheitenaktionäre oder Verbraucher auch ohne weiteres rechtsvergleichend unterrichten. Dies sind keine lokalen Probleme. Sie werden viel25  Glenn, Aims of Comparative Law, in: Smits (Hrsg.), Elgar Encyclopedia of Comparative Law, 2.  Aufl., Cheltenham 2012, 65, 69 und die weiteren Verweise dort. Siehe auch Metzger, Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im Europäischen Privatrecht, 2009, Kapitel 11 zur Rolle der Rechtsvergleichung bei der Ermittlung von Rechtsgrundsätzen. 26  Kramer, Juristische Methodenlehre, Bern, 2016, 249 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3.  Aufl., München 1995, 232 ff. 27  Kramer (Fn.  26), 277 ff. Vgl dazu auch Kadner Graziano, Rechtsvergleichung vor Gericht, legitim, nützlich, praktikabel? RIW 2014, 473 ff.; Lord Bingham, Widening Horizons – The Influence of Comparative Law and International Law on Domestic Law, Cambridge 2010; Andenas/Fairgrieve (Hrsg.), Courts and Comparative Law, Oxford 2015. Vgl. jedoch für eine vernichtende Kritik der Rechtsvergleichung Legrand, Jameses at Play: A Tractation on the Comparison of Laws, 65 Am. J. Comp. L. 1 (2017), 1 ff. 28  Glenn (Fn.  25), 72. 29  Kadner Graziano (Fn.  27), 487. 30  Lord Bingham (Fn.  27), 6: „In no other field of intellectual endeavour – be it science, medicine, philosophy, literature, architecture, art, music, engineering or sociology – would ideas or insights be rejected simply because they were of foreign origin. If, as most of us would probably like to think, the law is a humane science reflecting the product of intellectual endeavour century after century, it would be strange if in this field alone practitioners and academics were obliged to ignore developments elsewhere, or at least to regard them as of no practical consequence. Such an approach can only impoverish our law; it cannot enrich it.“ Zitat gesehen in Kadner Graziano (Fn.  27), 487.

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leicht anders angegangen, doch von dieser Vielfalt können gerade die Rechtswissenschaft und somit alle, die das Recht anwenden, nur profitieren. III. Vertiefte Rechtsvergleichung und Auslandsrechtskunde für international orientierte Jurastudierende Neben dieser in den allgemeinen Unterricht und die Lehrbücher integrierten Rechtsvergleichung sollten der international orientierten Studierendenschaft auch weitere Möglichkeiten, insbesondere spezielle Kurse zu ausländischen Rechtsordnungen und vertiefende Rechtsvergleichung angeboten werden. Es ist z. B. bemerkenswert zu sehen, dass heute die besten Jurastudierenden noch ein anderes Fach wie Volkswirtschaft, Politikwissenschaften, Soziologie, Psychologie, sogar Informatik als Hauptfach belegen und einen so genannten double major erhalten. Einige schaffen das auch in der Regelstudienzeit von vier Jahren, meist aber in fünf Jahren. Hinzu kommt noch eine zweite größere Gruppe, die diese Fächer mindestens als minor, d. h. als Nebenfach belegt. Da z. B. an der Istanbul Bilgi Universität alle diese Studiengänge auf Englisch unterrichtet werden, können die Jurastudierenden dadurch ihre Sprachkenntnisse erheblich verbessern. Sie scheuen sich dann auch nicht davor, zusätzlich an Moot Courts teilzunehmen, Auslandssemester wahrzunehmen oder spezialisierte Kurse zum ausländischen Recht auf Englisch zu belegen 31. Solche Kurse eignen sich auch besonders dafür, ausländische Professoren, Richter oder Rechtsanwälte einzuladen und den Studierenden somit das Gefühl der „Universalität“ ihres Faches zu vermitteln.

31  Als Beispiel möge eine Studentin stehen, für die ich kürzlich ein Empfehlungsschreiben abgefasst habe: Sie hat in fünf Jahren Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaften im double major studiert, ein Semester an der Bucerius Law School und ein zweites an der Tsinghua University School of Economics and Management in China als Austauschstudentin verbracht, am CISG Vis Moot Court in Wien teilgenommen und eine „honorable mention“ unter ca. 1.200 Studierenden erhalten und während ihres Studiums noch andere auf Englisch angebotene Wahlfächer oder Zertifikatsprogramme zu internationalen und rechtsvergleichenden Themen belegt. Jeden Sommer hat sie in verschiedenen internationalen Kanzleien Praktika absolviert und wurde sofort von einer dieser Kanzleien nach ihrer Graduation eingestellt. Nach zwei Jahren Praxiserfahrung möchte sie nun noch einen LLM im Ausland machen. Als Zuständige für den CISG Moot Court unserer Fakultät habe ich solche Studierende nicht selten gesehen.

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C. Rechtsvergleichung insbesondere anhand von Rechtsvereinheitlichungsprojekten I. Was ist Einheitsrecht? Welches Einheitsrecht? „Einheitsrecht“ wird im Handwörterbuch zum Europäischen Privatrecht folgendermaßen definiert: „Der Begriff des internationalen Einheitsrechts bezeichnet die Gesamtheit von in mindestens zwei Staaten gleichlautend und allgemeinverbindlich geltenden Rechtssätzen, die in diesen Staaten in ein und derselben Art und Weise ausgelegt und angewendet werden sollen. Internationales Einheitsrecht ist das Resultat gezielter Bestrebungen, Rechtsgleichheit auf internationaler Ebene zu schaffen.“32

Die klassische Methode, Recht zu vereinheitlichen, ist sicherlich der völkerrechtliche Vertrag. Doch Alternativen wie Modellgesetze, Leitlinien für Gesetzgeber und sogenannte Grundregeln (Principles) finden in neuerer Zeit vielfach Verwendung33. Einheitsrecht in diesen verschiedenen Varianten kann man heute in sehr vielen Rechtsgebieten, hauptsächlich aber im Bereich des Privatrechts finden: Das allgemeine Vertragsrecht (PICC, Unidroit/PECL, DCFR, EU), spezielle Vertragstypen wie Kauf (CISG, Uncitral/Unidroit), Factoring (Unidroit), Leasing (Unidroit), Franchising (Unidroit); Kreditsicherheiten (Uni­ droit); Deliktsrecht (PETL, EU); Transportrecht (Unidroit/Uncitral/ ICC); Versicherungsrecht (PEICL, EU); Zahlungsverkehr (Uncitral); Urheberrechte (WIPO); Insolvenzrecht (Uncitral); Prozessrecht (ALI/Unidroit); Schiedsgerichtsbarkeit und ADR (Uncitral); Familienrecht (Commission on European Family Law, EU); und natürlich das IPR (Hague Conference/EU) sind nur einige dieser Gebiete. Im folgenden Abschnitt möchte ich gerne das Thema praktischer angehen und versuchen darzulegen, wie man anhand von Rechtsvereinheitlichungsprojekten Studierende an die Rechtsvergleichung heranbringen kann. Einheitsrecht ist oft ein guter Katalysator. Es ist eine Metastufe, wo die Studierenden nicht direkt zum „ausländischen Recht“ greifen. Oft ist es Teil der eigenen Rechtsordnung. Das Studium des Einheitsrechts bietet die Chance, Studierende aus verschiedenen Ländern im Rahmen von Lehrveranstaltungen zusammenzubringen. Es kann problemlos auf Englisch unterrichtet werden, so dass auch Sprachkompetenzen entwickelt werden 34. Es kann in Moot Courts, Seminaren, 32  Ferrari, Einheitsrecht, in: Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch zum Europäischen Privatrecht, München 2009, 376. 33  Für eine umfangreiche Darstellung der verschiedenen Alternativen vgl. Basedow, Internationales Einheitsprivatrecht im Zeitalter der Globalisierung, RabelsZ 81 (2017), 1, 16 ff. Siehe auch Fogt (Hrsg.), Unification and Harmonization of International Commercial Law - Interaction or Deharmonization?, Aalphen an den Rijn, 2012. 34  Stürner (Fn.  10), 1483.

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Gruppenarbeiten, distance learning Methoden zum aktiven Lernen genutzt werden und auch durch ausländische Professoren/Rechtsanwälte unterrichtet werden. II. UN-Kaufrecht als Paradebeispiel für einen rechtsvergleichenden Unterricht Die Lehre des UN-Kaufrecht bietet sich als Einheitsrechtsbeispiel aus verschiedenen Gründen besonders an. Das Kaufrecht ist, wie von Magnus zu Recht festgestellt wurde35 , das Herzstück der Zivilrechtsordnung. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht ist stark dem Kaufrecht entlehnt und deswegen können Erkenntnisse zum Kaufrecht sehr gut verallgemeinert werden. Hinzukommt, dass das CISG inzwischen von 92 Staaten ratifiziert wurde, darunter auch die größten Export- und Importländer der Welt, so dass es als eine der erfolgreichsten Privatrechtsvereinheitlichungen hervorsticht. Meine persönliche Erfahrung im Lehren und Forschen zum CISG ist natürlich ein anderer, subjektiver Grund für diese Wahl36 . Aus diesen Erfahrungen schöpfend, kann ich folgende Feststellungen machen, die ich unten weiter ausführen möchte: – Das Verständnis vom UN-Kaufrecht setzt eine rechtsvergleichende Darstellung der Materie voraus. – Das UN-Kaufrecht kann eingesetzt werden, um das eigene nationale Vertragsrecht kritisch zu würdigen. – Der Willem C. Vis Commercial Arbitration Moot Court-Wettbewerb zum UN-Kaufrecht ist ein Erfolgsmodell.

1. Verständnis vom UN-Kaufrecht setzt eine rechtsvergleichende Darstellung der Materie voraus Es ist Allgemeinwissen, dass das UN-Kaufrecht (CISG) sowie alle Einheitsrechtskonventionen von den Gerichten autonom interpretiert werden müssen 37. D. h. man darf nicht auf die nationale Rechtsordnung greifen oder nationale Auslegungskriterien anwenden, um das UN-Kaufrecht zu verstehen. Die Gefahr, dass nationale Gerichte in einen Trend verfallen, die Konvention im Lichte ihrer eigenen Rechtsordnung zu interpretieren, ist sicherlich gegeben (das so 35  Magnus, Einleitung, N. 2, in: Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Wiener UN Kaufrecht (CISG), Berlin 2018. 36  An der Istanbul Bilgi Universität habe ich über Jahre International Sales Law auf Englisch im LLB Programm angeboten, die Ausbildung des CISG-Moot Court Teams der Istanbul Bilgi Universität betreut und auf Englisch/Türkisch gemischt International and European Contract Law im LLM Programm unterrichtet. Alle diese Kurse wurden im Curriculum als Wahlfächer angeboten. Teilweise habe ich diese Veranstaltungen auch auf Englisch oder Deutsch im Ausland gehalten. 37  Basedow (Fn.  33), 20 ff.; Gruber, Art.  7 CISG, N. 6 ff., in: Münchener Kommentar zum BGB, Band 3, 7.  Aufl., München 2016.

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genannte „Heimwärtsstreben“)38 . Aber das heißt nicht, dass zum richtigen Verständnis des UN-Kaufrechts die Rechtslehre sich den Erkenntnissen der Rechtsvergleichung verschließen muss39. Gerade der Kompromiss-Charakter des UN-Kaufrechts zwischen Civil Law- und Common Law-Ansätzen40 ist es, der es so wertvoll für die Rechtsvergleichung macht. Und m. E. kann man der Versuchung, das UN-Kaufrecht nach der eigenen Rechtsordnung zu interpretieren, nur widerstehen, wenn man auch diese rechtsvergleichenden Bezüge kennt. Die folgenden Beispiele sollen dazu dienen, zu zeigen, wie lehrreich ein rechtsvergleichender Unterricht zum UN-Kaufrecht sein kann: – Teil II der Konvention behandelt den Abschluss des Kaufvertrags durch Angebot und Annahme. Gemäß Artikel 15 Abs.  2 CISG kann ein Angebot zurückgenommen werden, wenn die Rücknahmeerklärung dem Empfänger vor oder gleichzeitig mit dem Angebot zugeht. Ähnliche Bestimmungen lassen sich im BGB, im schweizerisch/türkischen OR, und anderen europäischen Rechtsordnungen finden, so dass Art.  15 für einen civil lawyer leicht verständlich ist. Nun wird aber gleich im folgenden Artikel 16 Abs.  1 ausgesagt, dass nicht bis zum Empfang des Angebots, sondern „bis zum Abschluß des Vertrages […] ein Angebot widerrufen werden [kann], wenn der Widerruf dem Empfänger zugeht, bevor dieser eine Annahmeerklärung abgesandt hat.“ D. h. das Prinzip der Bindung an die Offerte, das in dem Moment eintritt, in dem das Angebot zugeht, wird aufgelockert und die Bindungswirkung wird hinausgeschoben bis zu dem Moment, in dem die Annahmeerklärung verschickt wird41. In Art.  16 Abs.  2 schlägt das Pendel dann jedoch wieder in die Richtung des Empfängers und dem Erklärenden wird das Widerrufsrecht unter bestimmten Bedingungen entzogen. Auf dem ersten Blick ist dieses Hin und Her nicht verständlich, und wie bei allen anderen Rechtsvorschriften muss man auch hier den Studierenden die ratio legis erklären können. Die Begründung für diese Normen liegt in dem Ansatz der angelsächsischen Rechtsordnungen gerade in Bezug auf die Bindung an die Offerte, welcher von dem der kontinentaleuropäischen Rechts-

38  Dazu ausführlich Ferrari, „Heimwärts- und Auswärtsstreben“ in der Rechtsprechung zum UN-Kaufrecht, in: Uwe Blaurock/Felix Maultzsch (Hrsg.), Einheitliches Kaufrecht und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung, Baden-Baden 2017, S.  47 ff. 39  Kadner Graziano, Autonome Auslegung und Rechtsvergleichung – (k)ein Widerspruch? Zu Legitimität und Nutzen richterlicher Rechtsvergleichung im Allgemeinen und im Einheitlichen Kaufrecht im Besonderen, in: Blaurock/Maultzsch (Fn.  38), 13 ff. 40  Siehe dazu Muñoz, Teaching Comparative Contract Law Through the CISG, The Indonesian Journal of International & Comparative Law 2017, 725, 726. 41  Die Rechtsvergleichung ist hier auch von Bedeutung, um den Studierenden darzustellen, dass der in Art.  16 CISG angesprochene Widerruf, keinen Widerruf im Sinne von z. B. §  312g BGB darstellt.

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ordnungen abweicht42 . Im Prinzip ist die Offerte nach angelsächsischem Verständnis nämlich nicht bindend. Und deswegen kam es überhaupt zu dieser Kompromisslösung, in der zwar ein Widerruf bis zur Annahmeerklärung (wie im common law) erlaubt wurde (Abs.  1), dann aber Ausnahmen gemacht wurden (Abs.  2), um den Erwartungen der kontinentalen Rechtsordnungen zu entsprechen. Die Lösung ist also weder ganz civil law noch ganz common law. Ohne eine rechtsvergleichende historische Darstellung dieser Bestimmungen ist es m. E. nicht möglich, die Regeln auch richtig anzuwenden und sich einem Heimwärtsstreben zu widersetzen. Auf der anderen Seite gibt es viele interessante Entscheidungen aus den verschiedenen Rechtsordnungen43, die den Studierenden nahe bringen können, warum diese Unterscheidung von Bedeutung ist, welche Lösung welche der Parteien mehr schützt und wie man den Kompromiss des UN-Kaufrechts im Lichte dieser Auseinandersetzung interpretieren müsste. – Ein weiteres gutes Beispiel sind die Bestimmungen bezüglich der Erfüllungsklage44. Art.  46 CISG gibt dem Käufer das Recht auf Erfüllung zu klagen. Er hat entweder den originären Erfüllungsanspruch, falls der Verkäufer noch gar nicht erfüllt hat, oder aber einen Nacherfüllungsanspruch (auf Reparatur oder Ersatzlieferung), falls die Sache zwar geliefert wurde, aber mangelhaft war. Dies ist für Studierende im kontinentalen Rechtsraum, die mit dem Prinzip pacta sunt servanda arbeiten, eine Selbstverständlichkeit45. Doch in Art.  28 CISG haben die Verfasser der Konvention dieses Prinzip erheblich relativiert. Demnach braucht ein Gericht eine Entscheidung auf Erfüllung in Natur nicht zu fällen, wenn es dies nach seinem eigenen Recht bei gleichartigen Kaufverträgen, die nicht unter das CISG fallen, nicht täte. D. h. auch wenn unter der Konvention ein Recht auf Erfüllung besteht, kann der Käufer dies nicht nutzen, falls das Gericht von seinem Vetorecht unter Art.  28 Gebrauch macht. Diese Norm kann man keinem Studierenden nahebringen, wenn man nicht zuerst darlegt, dass in angelsächsischen Rechtsordnungen ein Anspruch auf specific performance nur in seltenen Fällen gegeben ist46 und deswegen eine 42  Schroeter, Art.  16 N. 1, in: Schwenzer (Hrsg.), Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 6.  Aufl., München 2013. 43  Vgl. z. B. Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, Cases, Materials and Text on Contract Law, Ius Commune Casebooks, 2.  Aufl., Oxford 2010, 263 ff. 44 Detailliert dazu Mak, Performance-Oriented Remedies in European Sale of Goods Law, Oxford 2009. 45 Schwenzer/Müller-Chen (Fn.  42), Art.  28 CISG N. 1-3. 46 Vgl. Atamer, Grenzen des Erfüllungsanspruchs im System des Leistungsstörungsrechts der PICC, PECL und des DCFR im Vergleich zum CISG – Probleme und Änderungsvorschläge, in: Grundmann et al (Hrsg.), Festschrift Klaus J. Hopt, Berlin 2010, 3, 9 ff.; Schwenzer/Hachem/Kee, Global Sales and Contract Law, Oxford 2012, §  43; Gillette, Advanced Introduction to International Sales Law, Cheltenham 2016, §  8.2.

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solche Vorbehaltsklausel eingeführt werden musste, um die Unterzeichnung der Konvention durch common law Länder nicht zu gefährden. Doch ist es interessant zu sehen, dass nach 30 Jahren Anwendung des CISG diese Bestimmung fast nie zu einem forum shopping geführt hat47. Dies wiederum ist eine Tatsache, die gut mit den Studierenden analysiert werden kann. Sie sehen nämlich, dass im Handelsverkehr meist statt einer Klage auf Erfüllung ein Schadensersatzanspruch vorgezogen wird, da entweder die Sache leicht auf dem Markt erhältlich ist oder leicht weiterverkauft werden kann. Sie sehen auch, dass in den Ausnahmefällen, in denen die Erfüllung wichtig wird, weil z. B. der Käufer die Sache selbst nutzen möchte und sich nicht auf dem Markt eindecken kann, auch in common law Ländern ein Anspruch auf Erfüllung gegeben ist. Die Praxis kann sich also in verschiedenen Rechtsordnungen trotz unterschiedlicher Ansätze parallel entwickeln. – Ein letztes Beispiel vielleicht noch zur Rolle der höheren Gewalt im UN-Kaufrecht. Art.  79 Abs.  1 bestimmt, dass der Schuldner im Falle eines außerhalb seines Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrunds, den er vernünftigerweise nicht erwarten und dessen Folgen er auch nicht vermeiden oder überwinden konnte, keinen Schadenersatz wegen Nichterfüllung zahlen muss. So weit so gut. Aber Absatz 5 der gleichen Bestimmung führt dann aus, dass dieser Artikel die Parteien nicht daran hindert, ein anderes Recht auszuüben, also z. B. auf Erfüllung zu klagen. Studierende aus dem deutschen Rechtsraum werden bei „höherer Gewalt“ sofort an die Unmöglichkeit denken und sich fragen, wie denn noch eine Erfüllung möglich sein kann, falls der Schuldner gerade wegen höherer Gewalt von seiner Schadensersatzpflicht befreit ist. Die ratio legis auch dieser Bestimmung kann nur erklärt werden, wenn man zuerst den remedy based approach des UN-Kaufrechts darlegt, was wiederum den angelsächsischen Rechtsordnungen entlehnt ist48 . Somit steht nicht eine Unterteilung nach den verschiedenen Ursachen der Vertragsverletzung wie z. B. die Unmöglichkeit oder der Verzug im Vordergrund, sondern die Nichterfüllung als solche (breach of contract / non-performance). Jede Abweichung von dem vertraglichen Pflichtenprogramm begründet damit eine Vertragsverletzung. Die Rechtsbehelfe, die eingesetzt werden können, sind begrenzt und unterliegen alle ihren eigenen Voraussetzungen. Die höhere Gewalt ist in diesem Rahmen nur ein Entlastungsgrund für die Schadensersatzpflicht49. Das macht auch Sinn, denn ein Anspruch auf Neulieferung muss z. B. nicht untergehen, auch wenn die vertretbare Sache wegen höherer Gewalt untergegangen ist, aber die Gefahr noch nicht auf den Käufer 47  Björklund, Art.  28 CISG N. 2, in: Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas (Hrsg.), UN Convention on Contracts for the International Sales of Goods (CISG), 2.  Aufl., München 2018. 48  Atamer (Fn.  46) 3 ff.; Muñoz (Fn.  40), 746 ff. 49  Atamer, Availability of Remedies other than Damages in Case of Exemption According to Art.  79 CISG, Büchler/Müller-Chen (Hrsg.), in: Festschrift Schwenzer, Zürich 2011, 83 ff.

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übergegangen ist. In diesem Falle muss der Verkäufer neue Ware beschaffen, wird aber wegen einer eventuellen Spätlieferung keinen Schadenersatz zahlen müssen50 . Die Liste der Beispiele kann ohne Probleme verlängert werden. Das UN-Kaufrecht kann eigentlich gar nicht unterrichtet werden, ohne die dahintersteckende jahrzehntelange Rechtsvergleichung und ihre Auswirkungen auf die verschiedenen Bestimmungen mit darzustellen. Die rechtsvergleichende Studie der Materie im Unterricht kann durch den Einbezug der soft law-Instrumente wie die PICC/PECL sogar noch ergänzt werden, da beide Texte, obwohl sie Grundregeln für ein allgemeines Vertragsrecht festlegen, in großen Teilen von den Bestimmungen des UN-Kaufrechts beeinflusst sind.

2. Das UN-Kaufrecht kann dazu eingesetzt werden, das nationale Recht zu hinterfragen Das UN-Kaufrecht und die sich darin widerspiegelnden verschiedenen rechtsvergleichenden Ansätze sind hervorragendes Material, um die Studierenden zu lehren, ihr eigenes Recht kritisch zu hinterfragen und weiterzubilden 51. Der Einfluss des CISG auf verschiedene Schuldrechtsreformen ist bestens bekannt 52 . So diente das UN-Kaufrecht beispielsweise bei den Schuldrechts- und Kaufrechtsreformen in den Niederlanden (1992), Russland (1994), China (2002), Deutschland (2002), Estland (2002), Ungarn (2013), Argentinien (2014) und Frankreich (2016) teilweise als Vorbild53. Doch gibt es auch Länder, wie die Schweiz und die Türkei, die weiterhin mit den nun schon etwas veralteten Konzepten des römischen Rechts arbeiten und wo man nicht genug unterstreichen kann, dass die gesetzlichen Lösungen nicht mehr den Anforderungen des Marktes entsprechen. Es wäre z. B. schon fast verantwortungslos, wenn man den türkischen und schweizerischen Studierenden nicht erklären würde, dass eine Trennung zwischen aliud und peius in sehr vielen Rechtsordnungen heute aufgegeben worden ist, dass auch in den Rechtsfolgen der Gewährleistung für das veräußerte Recht und für Mängel der Sache nicht mehr unterschieden wird oder dass der Rücktritt sehr wohl mit einem Anspruch auf das positive Interesse ku50 

Kröll/Mistelis/Perales Viscasillas/Atamer (Fn.  47), Art.  79 N. 22. Siehe z. B. Atamer/Eggen, Reformbedürftigkeit des schweizerischen Kaufrechts – eine Übersicht, ZBJV 153 (2017), 731 ff. 52  Vgl. für eine detaillierte Übersicht in welchen Ländern die Lösungen des CISG den Gesetzgeber beeinflusst haben Ferrari, The CISG and its Impact on National Legal Systems – General Report, in: Ferrari (Hrsg.), The CISG and its Impact on National Legal Systems, 2008, 471 ff. 53  Castellani, The Three Dimensions of the CISG, in: Adriana Castro Pinzón (Hrsg.), 360° de la Compraventa internacional de Mercaderías, Colombia, 2016, 308 ff., 326; Kröll/Loukas Mistelis/Pilar Perales Viscasillas/Kröll, Introduction to the CISG, N 30. 51 

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muliert werden kann 54. Diese Liste könnte noch erheblich verlängert werden und zeigt auch, wie sehr ein rechtsvergleichendes Wissen für die tägliche Rechtspraxis von Bedeutung sein kann. Durch gut vorbereitete Schriftsätze können nämlich Anwälte die Gerichte, die diese Bestimmungen auslegen müssen, beeinflussen und bei der Entwicklung einer zeitgemäßen Lösung eine Rolle spielen.

3. Der Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot CourtWettbewerb zum UN-Kaufrecht als Erfolgsmodell Wie oben schon erwähnt wurde, sind heute Alternativen zur Vorlesung von besonderer Bedeutung, da die Stofffülle dazu zwingt, das klassische Lehren durch Methoden zu ersetzen, die ein eigenständiges Lernen fördern. Nationale sowie internationale Moot Court-Wettbewerbe sind in dieser Hinsicht schon oft erprobte und sehr erfolgversprechende Modelle. Der Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot zum UN-Kaufrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit hat dieses Jahr mit 366 registrierten Teams aus 84 Ländern in Wien sein 25. Jubiläum gefeiert. Der „Vis East“ in Hong Kong findet inzwischen auch schon seit 15 Jahren statt, dieses Jahr mit 125 Teams. Für jeden, der einmal teilgenommen hat, ist wohl die Aussage nicht übertrieben, dass es eine life-changing experience ist. Die Studierenden forschen über sieben Monate in den Datenbanken verschiedenster Länder nach geeigneten Entscheidungen oder Lehrmeinungen, die sie in ihren Schriftsätzen zitieren können. Natürlich ist es nicht immer reine Rechtsvergleichung, da sie hauptsächlich zum gleichen Recht, d. h. zum UN-Kaufrecht forschen. Doch lernen sie dabei, Datenbanken und Bücher/Zeitschriften und Entscheide aus anderen Ländern auszuwerten und sich mit dem rechtsvergleichenden Hintergrund der Konvention auseinanderzusetzen. Sie lernen selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten, die Recherchefähigkeiten werden gestärkt, mündliche sowie schriftliche Argumentationsfertigkeit und Rhetorik werden ausgebaut55. Insbesondere die Aufgabe, den Fall von Kläger- sowie Beklagtenseite aufzuarbeiten, übt sie in der nötigen Flexibilität. Wie sehr dieser internationale Wettbewerb dazu beiträgt, weltoffene und aufgeschlossene Juristen auszubilden, drückt ein kanadischer Jurist sehr prägnant aus: „In reviewing and evaluating written memoranda prepared by several different teams of law students, and now, hearing oral arguments, I have seen reference to cases and academic writings from, seemingly, half the countries of the world. Yesterday, listening to the team from Harvard argue (I was in the audience; my wife was a member of the arbi54 

Atamer/Egggen (Fn.  51), 749 ff. Lorenzmeier/Indlekofer (Fn.  6), 575 ff.; Henking/Maurer, Mock Trials, in: Hochschulrektorenkonferenz, Juristenausbildung heute – Zwischen Berlin und Bologna, Bonn 2014, 48 ff. 55 

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tral panel), I heard them cite cases from the UK, France, Germany and Australia. Stereotypical characterizations of American lawyers as parochial, based on the likes of Justice Scalia and his oft-articulated dislike for references to foreign law by US jurists, vanish like snow on a warm day after a few minutes of such advocacy.“56

D. Schlussfolgerung: Ein Umdenken in der Rechtswissenschaft ist nötig Um Rechtsvergleichung systematisch in den Unterricht zu integrieren, oder spezielle rechtsvergleichende Kurse/Seminare anzubieten, braucht es auch ein Umdenken in der Rechtwissenschaft. Die Wissenschaftler müssen erst selbst davon überzeugt sein, dass Rechtsvergleichung wichtig und nötig ist und die Rechtswissenschaft ausmacht. Es ist interessant zu sehen, dass die Frage, warum Recht überhaupt eine Wissenschaft ist (oder nicht ist) und falls sie es ist, was sie zu einer Wissenschaft macht, zu wenig problematisiert wird. Viele der Feststellungen in dem Bericht vom Wissenschaftsrat sind deswegen von besonderer Bedeutung. Von einer Verstärkung der Interdisziplinarität bzw. der Intensivierung des Austausches mit den geistes- und sozialwissenschaftlichen Nachbarfächern wird eine Dynamisierung der Forschung erhofft57. „Eine Öffnung der Rechtswissenschaft für die internationalen Dimensionen des Rechts wie seiner Erforschung sowohl auf der Ebene der Forschung selbst als auch auf derjenigen des wissenschaftlichen Personals“ wird als erforderlich erachtet58 . Die Bedeutung der Rechtsvergleichung wird in diesem Rahmen besonders betont. Doch macht ein Satz stutzig. Es heißt dort: „Ob seine Regeln recht, also richtig und gerecht sind, diese Frage zwingt zudem zum Rückgriff auf andere Reflexionsbestände und -verfahren wie diejenigen der Geschichtswissenschaft, Kriminologie, Ökonomie, Philosophie, Politikwissenschaft, Psychologie oder Soziologie.“59 Diese Feststellung kann man im Prinzip nur unterschreiben. Aber es fehlt die Rechtsvergleichung, der gerade vom Wissenschaftsrat so viel Wert beigemessen wird. Sicherlich wäre es falsch, den Schluss zu ziehen, dass eine Regel, die in zehn Ländern angewandt wird, eine Richtigkeitsgarantie aufweist. Doch falls in diesen zehn Ländern das Problem, mit dem man sich gerade befasst, nicht existiert, dann lässt das schon Schlussfolgerungen zu. Rechtsnormen sind dafür da, menschliches Verhalten zu steuern. Falls Erfahrungen zeigen, dass bestimmte Normen diese Steuerungsfunktion besser vollbringen, dann wäre es

56 https://www.llrx.com/2011/05/postcard-from-vienna-the-vis-moot-and-the-triumphof-foreign-and-international-law/. 57  Wissenschaftsrat (Fn.  12), 29, 33 f. 58  Wissenschaftsrat (Fn.  12), 8. 59  Wissenschaftsrat (Fn.  12), 27.

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m. E. unverständlich, sich dieser Erkenntnis zu verschließen. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden60 . Keine andere Wissenschaft kann sich einen solchen Luxus leisten.

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Kadner Graziano (Fn.  27), 486.

Rechtsvergleichung im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht Anne Gladitz Der Beitrag widmet sich dem verkannten Potential von studienbegleitendem Fremdsprachenunterricht als geeignetem Raum für die Thematisierung fachlicher Inhalte. Er geht dabei der Frage nach, inwiefern durch die Beschäftigung mit einer fremden Rechtssprache zugleich die Auseinandersetzung mit fremden Rechtskonzepten bzw. das Nachdenken über vermeintlich gleiche Rechtsvorstellungen angeregt werden kann. Die Erkenntnisse leiten sich unter anderem aus Interviewdaten her, die im Zuge von fachkommunikativen Forschungsworkshops an Universitäten in Budapest, Exeter und Istanbul erhoben worden sind. Abschließend wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten ein reflexiv und soziokulturell orientierter, latent vergleichender Ansatz im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht birgt.

A. wie Auftakt Auf der Jahrestagung zum Thema „Rechtsdidaktik und Rechtsvergleichung“ fehlte es den Rednerinnen und Rednern neben der sachlichen Darstellung einer breiten Themenvielfalt nicht an Apellen, wonach die offenkundigen Vorteile und zahlreichen „Nebeneffekte“ der Rechtsvergleichung stärker zu berücksichtigen und vor allem effizienter in die Lehre bzw. in die Juristenausbildung im Allgemeinen einzubinden seien. Aus den Beiträgen ließen sich im Wesentlichen zehn sich beständig wiederholende Forderungen ableiten. Diese werden im Folgenden zunächst benannt. Insbesondere auf die Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen richtet sich das anschließende Augenmerk. Nach einem Ausflug in die Theorie von Recht und Sprache auf dem Vehikel der Kultur eröffnet der Beitrag Einblicke in die Weite der Forschungslandschaft, um letztlich aufzuzeigen, wie einzelne der geforderten Elemente in einen Lehr- und Lerndiskurs im Rahmen eines studienbegleitenden Fachsprachenunterrichts implementiert werden können.

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I. Weitergehende Ansprüche an rechtsvergleichende Lehre Fast durchgängig ist in den Tagungsvorträgen – beinahe mantraartig – die Notwendigkeit betont worden, neben vergleichenden Betrachtungen von Einzelelementen auch das Recht als solches stärker zu fokussieren, das heißt insbesondere auf seinen Charakter, seine soziale Gebundenheit und die Wechselbeziehungen mit seinen Bezugsdisziplinen abzustellen. Dieser primären Forderung schließt sich als zweite an, dass hiesige Jurastudierende das deutsche Recht als „lediglich“ eine von verschiedenen Lösungsmöglichkeiten für Regelungsbedarfe anerkennen. Hierfür ein Bewusstsein zu schaffen, knüpft an die dritte Forderung an, wonach wiederholt auf das unabdingbare Interesse und die Neugier beim Erforschen des rechtsvergleichenden Feldes verwiesen worden ist. Um dabei Erfolge erzielen zu können, bedürfe es jedoch der Bereitstellung von geeigneten Methoden der Wissensaneignung und Informationsverarbeitung; in eben diesem Mangel der Vermittlung von entsprechenden Lernstrategien wurde das vierte Manko identifiziert. Das wirft natürlich Fragen auf und so kann als fünfter Punkt das Plädoyer der Beitragenden für mehr Fragen und analytisches Denken im Jurastudium gesetzt werden. Als sechstes schließt sich hier die Reflexivität an, die Susanne Baer bereits 2004 in ihrem wegweisenden Aufsatz „Verfassungsvergleichung und reflexive Methode“1 als zentrale Schlüsselkompetenz deklariert hat. Die hinteren Listenplätze werden von vereinzelt eingestreuten Forderungen belegt, die dennoch als durchaus relevant für die Rechtsvergleichung gesehen werden können, und zwar ist das auf Platz sieben der Wunsch nach mehr Kreativität – wahlweise durch Begriffe der Imagination und Irritation zum Ausdruck gebracht – während auf Platz acht das Postulat einer bewussteren Wahrnehmung bzw. eines bewussteren Umgangs mit ethischen wie rechtskulturellen Phänomenen rangiert. An neunter Stelle schließlich steht nochmals das Verlangen nach mehr Interdisziplinarität, wobei ich diese über die tradierten Bezugsdisziplinen hinaus verstanden wissen möchte, um beispielsweise die Fremdsprachendidaktik als Wissenschaftsdisziplin mit einzubeziehen. Gerade den Fremdsprachenkenntnissen – und das verwunderte auf der Tagung am meisten – wird noch immer zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl sie zur manifesten Grundausstattung von Rechtsvergleichenden gehören (sollten). Hier und da wurde zwar auf die sprachliche Gebundenheit von Recht verwiesen, stand die vermeintliche Neutralität von Rechtsbegriffen zur Diskussion und gelegentlich wurde in dem Zusammenhang die Übersetzungsproblematik erwähnt, aber der besondere Stellenwert der (Fremd-)Sprachenkenntnisse bei der Rechtsvergleichung scheint verkannt. Sie schließen also die Liste der Forderungen ab, wenngleich ihnen aufgrund ihrer Relevanz eigentlich der erste Platz gebühren dürfte. 1 

Baer ZaöRV 64 (2004), 735 ff.

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II. Die Bedeutung von Sprache als Vermittlungsinstrument Eine Erklärung für das so eben angemerkte, scheinbare Desinteresse lässt sich womöglich in dem vermeintlich selbstverständlichen Umgang mit der eigenen wie fremden Sprache, dem inhärenten Sprachwissen und den daran bzw. darin gebundenen Rechtskenntnissen finden. Doch wie selbstwirksam können sich Jurastudierende in ihrem Recht äußern? Welcher (fach-)sprachlichen und (fach-)disziplinären Schemata bedienen sie sich dabei? Wem gehört die Sprache, in der sich alles Denken und Handeln ausdrückt? Wer übt hier Deutungshoheit über die Begriffe und Wendungen aus? An welche Bedingungen ist die Sprachverwendung gebunden? Sprache ist ein konventionalisierter Gesellschaftsvertrag, den man nicht aufkünden und nur bedingt verhandeln kann. Sehr anschaulich drückt sich dies in einer Kurzgeschichte von Peter Bichsel aus:2 „Immer derselbe Tisch“, sagte der Mann, „dieselben Stühle, das Bett, das Bild. Und zu dem Tisch sage ich Tisch, zu dem Bild sage ich Bild, das Bett heißt Bett, und den Stuhl nennt man Stuhl. Warum denn eigentlich?“ Die Franzosen sagen zu dem Bett „li“ , zu dem Tisch „tabl“, nennen das Bild „tablo“ und den Stuhl „schäs“, und sie verstehen sich. Und die Chinesen verstehen sich auch. „Warum heißt das Bett nicht Bild“, dachte der Mann [...] „Jetzt ändert es sich“, rief er, und er sagte von nun an zu dem Bett „Bild“. [...] Also: Am Morgen blieb der alte Mann lange im Bild liegen, um neun läutete das Fotoalbum, der Mann stand auf und stellte sich auf den Schrank, damit er nicht an den Füßen fror, dann nahm er seine Kleider aus der Zeitung, zog sich an, schaute in den Stuhl an der Wand, setzte sich dann auf den Wecker an den Teppich, und blätterte den Spiegel durch, bis er den Tisch seiner Mutter fand. [...]

Die Geschichte endet traurig, und zwar damit, dass weder der alte Mann die Leute, noch die Leute den alten Mann mehr verstehen können, woraufhin dieser verstummt (und damit de facto nicht nur seine Stimme und seine Sichtbarkeit in der Gesellschaft verliert, sondern auch seine Fähigkeit am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen). In seiner Problemdarstellung zur Sprachphilosophie fragt Moser, ob denn die Bedeutungen überhaupt vom Sprachgebrauch kämen oder ob sie nicht schon in der Welt wären, bevor sie gebraucht würden? Er resümiert, dass „mit der Frage nach den Bedeutungen [...] auch die Frage nach der Natur der Vernunft auf[tauchte]: Wie verhält sich das Sagbare, wenn es nicht nur zufällig einer Meinung entspricht, zum Erkennbaren? Ist das Verhältnis schon ‚Sachverhalt‘?“3 Zur Veranschaulichung bedient er sich ebenfalls der Literatur. In Lewis Carrolls berühmt-berüchtigtem Werk „Alice hinter den Spiegeln“, das die Sprach- und da2 

Bichsel, in: Bichsel (Hrsg.), Kindergeschichten, 1997, 21 ff. Moser, Sprache. Problemdarstellung, http://wwwu.uni-klu.ac.at/hstockha/neu/Think_ sprache.pdf (10.05.2018), o.J., 1. 3 

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mit Argumentations- wie Denklogik herausfordert, klärt im sechsten Kapitel die Figur des Goggelmoggels die Protagonistin über die Bedeutung sprachlicher Äußerungen und Ausdrücke auf:4 „‚Wenn ich ein Wort gebrauche‘, sagte Goggelmoggel in recht hochmütigem Ton, ‚dann heißt es genau, was ich für richtig halte – nicht mehr und nicht weniger‘. ‚Es fragt sich nur‘, sagte Alice, ‚ob man Wörter einfach etwas anderes heißen lassen kann‘. ‚Es fragt sich nur‘, sagte Goggelmoggel, ‚wer der Stärkere ist, weiter nichts‘.“

Goggelmoggel sei ein Meister der Bedeutung, schreibt Moser, der daran erinnere, dass es keine Bedeutung ohne den Sprechakt gebe, der diese aktualisiert.5 Dabei regle meistens die Gesellschaft die Bedeutung, das heißt „Gogglemoggle darf sagen, was er meint – wenn er die Regeln einhält. Die Regeln können sich ändern, Normen können problematisiert werden. Durch Reflexion und Diskurs. [...] Grundlegend für die Sprechakttheorie ist der Zusammenhang von Sprechsituationen und Lebensform. Wer Bedeutendes sagt, bedeutet auch etwas im Leben.“6 Wer dadurch Einfluss nehmen kann, vermag es gegebenenfalls auch die gesellschaftliche Wirklichkeit neu zu verhandeln und zu gestalten. Vielleicht hat gerade deshalb diese Textpassage nicht nur bei den Sprachwissenschaftlern, sondern auch bei den Juristen Karriere gemacht. Auf Googlemoggels Weisheit berief sich zunächst Lord Atkin in seiner abweichenden Stellungnahme im Urteil des House of Lords zum wegweisenden Fall Liversidge vs. Anderson7 im britischen Verwaltungsrecht, das Verhältnis zwischen Exekutive und Judikative in Zeiten nationalen Notstands betreffend. Später taucht diese Referenz nicht nur in mehreren Urteilen der Commonwealth of Nations wieder auf, sondern hat es sogar bis zum Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika geschafft.8 Bedeutsam scheint insbesondere, was Lord Atkin in seiner Rede dem Zitat aus Carrolls Werk anfügt: „After all this long discussion the question is whether the words ‚If a man has‘ can mean ‚If a man thinks he has‘. I have an opinion that they cannot and the case should be decided accordingly.“9 Die intersubjektive Sprachauslegung und Wahrnehmung der Wirklichkeit eines Juristen nimmt hier demnach Einfluss auf die objektivierte Rechtsfolge. Die Interpretation des sprachlichen Ausdrucks ist nicht nur eine praktische, sondern auch eine reflexive und analytische Fähigkeit, wobei eben nicht nur die 4 

Carroll, Alice hinter den Spiegeln, 1975. Moser, in: FS für Henri Vernay zu seinem 60. Geburtstag, 1979, 245, 250. 6  Ebd., 245, 254. 7  [1942] AC 206, http://www.bailii.org/uk/cases/UKHL/1941/1.html (30.05.2018). 8  Tennessee Valley Authority vs. Hiram Hill et al., 437 U.S.  153 (1978) und Zschernig vs. Miller, 389 U.S.  429 (1968). 9 [1942] AC 206, 245, online unter: http://www.bailii.org/uk/cases/UKHL/1941/1.pdf (30.05.2018). 5 

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eigenen, sondern auch die sprachlich ausgedrückten Meinungen und vor allem Überzeugungen anderer Personen zu berücksichtigen sind. Neben dem Gebrauch von Sprache muss demnach auch die Interpretation der Sprache und ihre Wirkweise (im Rechtsdiskurs) vermittelt bzw. erlernt werden, das heißt wie und auf welcher (soziokulturellen) Grundlage wir einander (und das Recht) interpretieren, und was solche Interpretationen ausmacht.10 Es gilt also sich die Beziehungen zwischen Sprache, Recht und Kultur nochmals zu vergegenwärtigen, um die Veranschaulichung von Möglichkeiten der Einbeziehung rechtsvergleichender Elemente in einen fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht vorzubereiten.

B. Das Dreigestirn Sprache – Recht – Kultur Sprache und Recht seien „Kulturelemente“, heißt es bei Thiel, und als solche aufs Engste miteinander verbunden.11 Zwar werden sie (bedauerlicherweise noch immer) häufig als Einzelphänomene im wissenschaftlichen Kosmos betrachtet, doch umkreisen sie einander beständig. Insbesondere die Sprache und das Recht sind ihrem Wesen nach gravitativ gebunden und beziehen sich beide auf die Kultur als komplexes Gebilde, das sie in wechselseitiger Einflussnahme durchdringen. I. Kultur im Kontext der Rechtsvergleichung Im Fokus dieses Beitrags steht die Sprache, doch ist zumindest exkursartig auch der Zusammenhang von Recht und Kultur aufzuzeigen, der immer wieder – und notwendigerweise – in der Fachliteratur diskutiert wird, wenn es um rechtsvergleichende Betrachtungen und deren inhärente Transferprozesse, insbesondere bei der latenten Übersetzungsarbeit geht.12 Grundsätzlich ist das Recht selbst Teil einer wie auch immer gearteten Gesamtkultur. Die verschiedenen Dimensionen und Konstellationen hier aufzuzeigen, würde jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen.13 Am naheliegendsten scheint deshalb zunächst der Bezug auf den sublimierten Begriff der Rechtskultur. Mankowski merkt in seinem gleichnamigen Werk an, es handele sich dabei um einen den Juristen selbstverständlichen, wenngleich 10 Vgl. Switalla, in: Eisenberg/Klotz (Hrsg.): Sprache gebrauchen – Sprachwissen erwerben, 1993, 35 ff. 11  Thiel, in: Krüper (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 2013, 237, 237. 12 Vgl. Sandrini, in: Sandrini (Hrsg.), Übersetzen von Rechtstexten. Fachkommunikation im Spannungsfeld zwischen Rechtsordnung und Sprache, 1999, 9 ff. 13  Interessierte finden weitergehende Ausführungen in Gladitz, Zur Bedeutung von Kulturwissen im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht, 2008.

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doch „schwierigen, vielschichtigen und vielgesichtigen Begriff“, dem er versucht ist, Kontur und Struktur zu verleihen.14 „Rechtskultur“, so heißt es weiter, gehöre eben „zu den in aller Regel nicht weiter reflektierten Begriffen unbestimmten, nicht eindeutigen Inhalts“, wo gewisse „Vorverständnisse regieren“ würden. Diese seien jedoch nicht von einer bestimmten juristischen Teildisziplin vereinnahmt, sondern vielmehr würde sich im vagen Terminus der Rechtskultur eine Art überwölbender bzw. übergreifender Charakter zeigen.15 In dem so verstandenen Sinn können sich auch Fremdsprachendidaktiker auf dieses Fachgebiet vorwagen, ihre eigenen Ideen und kulturellen Deutungsansätze einbringen und dadurch die Rechtsperspektive erweitern. Unterstützend lässt sich hier zudem die Position von Grundmann und Thiessen heranziehen, welche die Frage nach dem Mehrwert von Interdisziplinarität und einer „rechtsvergleichende[n] Umschau“ für die Rechtswissenschaft und die Rechtspraxis mit dem Erwerb einer breiteren Problemsicht beantworten, wobei diese mögliche Leerstellen in der Dogmatik ausfüllen und „die ganze Vielfalt an Wertungen [...], die dem – insbesondere verfassungsrechtlich etablierten – Wertesystem in modernen pluralistischen Gesellschaften eigen“ sei, reflektieren könne.16 Auf eine solche gesellschaftliche Reflexionsebene zielt de facto auch der (Fach-) Fremdsprachenunterricht mit seinem übergeordneten Lehr- und Lernziel einer interkulturellen kommunikativen Handlungskompetenz (im Fach). Kulturelle Elemente oder gar die Kulturwissenschaft als Bezugsdisziplin in den Rechtsdiskurs einzubringen, ist zudem Häberle seit langer Zeit ein hehres Anliegen, das in seinem Beitrag gipfelt, den vier klassischen Auslegungsmethoden die Rechtsvergleichung als fünfte (und so betriebene Kulturvergleichung) hinzuzufügen.17 Auf seinem Erkenntnisweg spielt vor allem der Verfassungstext eine grundsätzliche Rolle, der zum einen den kulturellen Entwicklungsstand von Gesellschaften reflektiere und zum anderen seiner Form nach selbst Ausdruck und Vermittlung von Kultur sei.18 Dieser Logik folgend stützt sich auch das unter Punkt D vorgestellte Kurskonzept auf das Verfassungsrecht als Ausgangsbasis für einen fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht für Jurastudierende. Hier zeigt sich, dass die klassische Fokussierung der Rechtsvergleichung auf Begriffe und Institutionen unter Einbeziehung der (sozio-)kulturellen Perspektive erweitert werden kann auf Aspekte von Rechtsverständnis und Rechtsbewusstsein. Daraus ergeben sich unter anderem folgende Fragen: Inwieweit wird 14 

Mankowski, Rechtskultur, 2016, V. Ebd., 1. 16  Grundmann/Thiessen, in: Grundmann/Thiessen (Hrsg.), Recht und Sozialtheorie im Rechtsvergleich. Interdisziplinäres Denken in Rechtswissenschaft und -praxis, 2015, 1, 1. 17  Häberle JZ 44 (1989), 913 ff; Häberle, in: Bogner/Wierlacher (Hrsg.), Handbuch interkulturelle Germanistik, 2003, 149, 149: „Der Zugriff auf die ‚Rechtskultur‘ ist nur über ein Verständnis der Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft möglich.“ 18  Häberle, Das GG zwischen Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 1996, 614 f. 15 

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Recht dabei als Instrument gesehen die (Lebens-)Wirklichkeit zu gestalten, das Verhalten von Menschen und institutionellen Akteuren zu steuern, zwischen divergierenden Interessen zu vermitteln und mit Konflikten umzugehen? Inwieweit übernimmt bzw. trägt der Einzelne Verantwortung oder sind juristische Vertreter angehalten sich öffentlich zu positionieren und wie ist es um den gesellschaftlichen Dialog bestellt? Auch Coendet baut seine Argumentation auf der Forderung auf, dass Rechtsvergleichende zunächst das Recht als kulturelles Phänomen und die daraus folgende Verschiedenheit zu akzeptieren hätten, und dass Kultur dabei quasi als Schlüsselbegriff fungiere.19 Er wendet allerdings ein, dass zwar „der functionalist turn [...] in der Methodentheorie der Rechtsvergleichung durch einen cultural turn abgelöst worden“ sei, die Suche nach einzelnen methodischen Aspekten der rechtsvergleichenden Argumentation aber noch weit darüber hinaus gehe.20 Nicht zuletzt mag sich das darauf zurückführen lassen, dass eine genaue Definition dessen, was mit dem cultural turn eigentlich gemeint sei – zumindest in der rechtswissenschaftlichen Literatur – nur schwer zu finden ist. In den Kulturwissenschaften hat Bachmann-Medick den cultural turn, also die „grundsätzliche Umorientierung auf Kultur“, gleich in mehrere Subkategorien zerlegt.21 Im turn sieht sie dabei eine Art Entwicklungsspielraum, der „durchaus auch Rückwenden oder konstruktive Umwege, Verschiebungen der Schwerpunkte, Neufokussierungen oder Richtungswechsel“ zulassen und mit der „Einführung neuer Leitvorstellungen und Kategorien“ zu einem Theoriewandel beitragen kann.22 Allerdings könne man von einem turn „erst sprechen, wenn der neue Forschungsfokus von der Gegenstandsebene neuartiger Untersuchungsfelder auf die Ebene von Analysekategorien und Konzepten „umschlägt“, wenn er also nicht mehr nur neue Erkenntnisobjekte ausweist, sondern selbst zum Erkenntnismittel und -medium wird.“23 Inwieweit dies für die aktuelle Entwicklung auf dem Gebiet der Rechtsvergleichung Gültigkeit besitzt, bleibt an dieser Stelle dahingestellt. Die Stimmen der rechtswissenschaftlichen Literatur vermitteln eher den Eindruck, um es in Bachmann-Medicks Worte zu fassen, dass man vom cultural turn „in dieser Allgemeinheit allenfalls als Anstoß eines dynamischen Prozesses der Kulturreflexion sprechen kann“.24 Ähnlich umschreibt es auch Eser, der im Heranziehen der Kultur lediglich ein Hilfsmittel bei der angestrebten Rechtsvergleichung ausmacht, wenngleich er grundlegend einsieht, „dass sich Rechtsvergleichung nicht mit einer Gegen19  Coendet, Rechtsvergleichende Argumentation. Phänomenologie der Veränderung im rechtlichen Diskurs, 2012, S.  161. 20  Ebd., 161 f. 21  Bachmann-Medick, Cultural Turns, 2010, 13: Es finde eine „grundlegende Neubewertung von Symbolisierung, Sprache und Repräsentation“ statt. 22  Ebd., 12 f. 23  Ebd., 26. 24  Ebd., 33.

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überstellung von Normen und Institutionen begnügen darf, sondern deren jeweilige Funktionen im sozialen Leben miteinander zu vergleichen sind, wobei sich diese kaum anders als unter Berücksichtigung kultureller Hintergründe ermitteln lassen“, denn „ebenso wie das Recht [sei] auch die Rechtsvergleichung nicht nur kulturbezogen [...], sondern geradezu kulturabhängig“.25 Schon die Einbindung des vagen und auslegungsbedürftigen Kulturbegriffs im fachdisziplinären Kontext weicht die sonst vom Recht und insbesondere von der Dogmatik erwarteten Grenzziehungen auf und fordert die Klarheit bzw. Eindeutigkeit normativer Vorgaben heraus. Es scheint sich jedoch der zunehmende Konsens abzuzeichnen, dass es gerade in der Rechtsvergleichung fluider, transzendierender Auslegungsmethoden bedarf – im sprachlichen wie rechtlich interpretativen Sinne. Selbst ein Kritiker wie Bobek, der die im Zuge der Rechtsvergleichung generierte, vermeintlich objektive wissenschaftliche Wahrheit gar in Abrede stellt, vermag dem Prozess der Rechtsvergleichung noch ein inspirierendes Moment abgewinnen.26 Dies erweist sich für die Konzeption von fachkommunikativem Fremdsprachenunterricht als durchaus relevant. II. Sprache und ihre Bedeutung im rechtsvergleichenden Fachkontext Die Bedeutung von Sprache als Vermittlungsinstrument im gesellschaftlichen Kontext wurde bereits ausführlich dargestellt.27 Zudem wurde die eingangs zitierte Mär von der Neutralität der Rechtsbegriffe ein wenig entzaubert. Hingewiesen worden ist ebenso darauf, dass die Beschäftigung mit einem anderen als dem eigenen Recht gewissermaßen immer auch eine vergleichende Betrachtungsweise impliziert.28 Festzuhalten ist demnach, dass Sprache grundsätzlich an gesellschaftlich verhandelte Bedeutung gekoppelt ist, diese jedoch auf einem bestimmten Fachgebiet im Gebrauch variieren kann. So stellt auch die Fachsprache des Rechts kein universell gültiges Begriffssystem, sondern ist an ihren soziokulturellen Kontext gebunden, der sich wiederum auf die Sprach-, Denkund nicht zuletzt Handlungsweise der im Recht tätigen Personen auswirkt. Das gilt einmal mehr im internationalen Feld. Eine der größten Herausforderungen im Sprachgebrauch und demnach bei der inhärenten Übersetzungstätigkeit von Rechtsvergleichenden ist die so genannte Inkongruenz von Terminologien. Diese mangelnde Deckungsgleichheit betrifft nicht nur Begrifflichkeiten verschiedener Sprachen, sondern ist durchaus innerhalb eines Sprachraums anzutreffen, wenn sich dort unterschiedliche 25  Eser ZJapanR 19 (2014), 287, 293; Eser spricht in diesem Zusammenhang auch von „rechtserheblichen Kulturphänomenen“, 292. 26  Bobek, Comparative Reasoning in European Supreme Courts, 2013, 302. 27  S. o. A. I. 28 Vgl. Bräutigam, Rechtsvergleichung als Konfliktvergleich, 2008, 18; vgl. auch Gladitz ZDRW 3 (2016), 327, 331, 336, 338 ff.

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Rechtssysteme ausgeprägt haben.29 Von einem Vergleich des Unvergleichbaren gar schreibt Kjær in ihrer kontrastiven Analyse unbestimmter Rechtsbegriffe wie „Treu und Glauben“ (§  242 BGB), „gute Sitten“ oder „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ (z. B. §  8 Abs.  1 PolG NRW bzw. §  14 Abs.  1 OBG).30 Unvergleichlich können auch die deutsche „Zuverlässigkeit“ (§  4 I Nr.  1 GastG), das „Gewissen“ (Art.  4 Abs.  3 GG) oder die „Würde des Menschen“ (Art.  1 GG) ihrer Natur nach sein. Gerade bei diesen auslegungsbedürftigen Termini ist das Recht als solches, insbesondere aber das Rechtsverständnis einer betreffenden Rechtskultur (und damit der soziokulturelle Kontext) viel stärker in die Deutung einzubeziehen. Auszuweichen auf eine vermeintlich wissenschaftliche Lingua Franca wie die des Englischen als Lösungsansatz für eine globale Verständigung über Rechtssystem- und Sprachgrenzen hinweg, erweist sich nicht zuletzt deshalb als pro­ ble­matisch. Dieser dennoch weit verbreiteten Annahme, eine scheinbar einheitliche Kommunikation würde den Fachdiskurs aller daran beteiligten Menschen vereinfachen, tritt Drumm in ihrem Grundlagenbeitrag zur neueren Fachsprachenforschung argumentativ entgegen, indem sie dafür drei wesentliche Pro­ blem­bereiche identifiziert. Zunächst transportiere die Sprache stets auch kulturelle Konzepte und eigne sich somit per se nicht als neutrale Übermittlerin von Sachverhalten, was auch hier bereits mehrfach betont worden ist. Des Weiteren unterlägen Sprachen einer kontinuierlichen Entwicklung in Abhängigkeit zu ihrem situativen Umfeld und nicht zuletzt verändere sich auch die Sprache, wenn sie in einem bestimmten Bereich lange verwendet würde, d. h. es fänden dann u. a. Bedeutungsverschiebungen und eine abweichende Verwendung von originären Begriffen statt, wobei aber auch Laut- und Wortform divergieren können (wie beispielsweise bei der Vermischung von Stammes- und Kolonialsprachen). Drumm resümiert und warnt entsprechend, dass permanente Übersetzungsprozesse in der Natur der Sache lägen und eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellten, da Sprache, Erkenntnis und Wissen untrennbar zusammenhingen, und dass Fachsprache nicht die geforderte eindeutige Kommunikation gewährleisten könne, wenn sie vereinheitlicht und auf eine Sprache beschränkt würde.31 Nach dieser Ode an die Vielfalt fragt sich, was dies für Übersetzungsprozesse im Recht bzw. für die vergleichende Arbeit mit und am Recht bedeutet. „Im Rahmen der Sprache der Rechtswissenschaft sollte“, so fordert es Pommer, „auch eine Sprache der Rechtsvergleichung definiert werden, dh [sic!] die

19.

29 Vgl. Gladitz (Fn.  28), 336 f.; Pommer, Rechtsübersetzung und Rechtsvergleichung, 2006,

30  Kjær, in: Kjær/Kromann (Hrsg.), Von der Allgegenwart der Lexikologie: Kontrastive Lexikologie als Vorstufe zur zweisprachigen Lexikographie, 1995, 39, 47 ff. 31  Drumm, in: Drumm/Roche (Hrsg.), Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen. Didaktische Grundlagen, 2018, 17, 25.

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Sprache, in der rechtsvergleichende Wertungen ausgedrückt werden können“.32 Gemeint ist hier allerdings keine neutrale oder metasprachliche Ausdrucksweise, auf welche die Funktionalisten unter den Rechtsvergleichenden schwören. Pommer entwickelt für die Methodologie der Rechtsübersetzung ein interdisziplinäres Stufenmodell in Anlehnung an Constantinesco, das im Wesentlichen auf dem Dreischritt „Verstehen-Vergleichen-Transferieren“ besteht.33 Als elementar erweist sich auch hierbei das Verstehen als Ausgangspunkt für jedwede weitere Auseinandersetzung mit Recht, und zwar basiert es auf a) einer linguistischen Analyse, b) einer rechtlichen Interpretation und c) der Rolle des Vorwissens beim Verständnis. Jurastudierende als zukünftig (auch supranationales oder bi- und multilaterales) Recht Anwendende oder dazu Forschende sollten also für diese Grundbedingungen sensibilisiert werden und vor der Verwendung von Fachtermini oder -texten zunächst deren Anwendungsbereich bedenken. Weiterhin gilt es sich die Kategorie bzw. Struktur zu vergegenwärtigen, in die sie – aufgrund ihrer eigenen rechtlichen Vorbildung – einen Begriff automatisch einordnen würden, einschließlich aller Folgen für die so verstandene Bedeutung und den Rechtsfolgen, die jedem Rechtskonzept zugeordnet sind.34 Weniger der Wortlaut von Regeln, als vielmehr die Bedeutung, die den Regeln im rechtlichen sowie soziokulturellen Kontext beigemessen wird, ist zu fokussieren, wie der anschließende Abschnitt veranschaulicht.35 III. Rechtskultur- durch Sprachvermittlung im Zuge der Rechtsvergleichung Als Antithese des im vorliegenden Beitrag propagierten Ansatzes versteht sich Starcks Plädoyer für die Verwendung autonomer Begriffe in der Rechtsvergleichung.36 Er untermauert dieses mit Beispielen, wovon hier einige zur Veranschaulichung auf ihre tatsächliche Neutralität hin befragt werden sollen. So stellt er dem vermeintlich neutralen „deutschen Verwaltungsakt“ den „acte administratif“ im Französischen als inhaltskonform gegenüber. Zu kurz scheint dies auf die Übertragbarkeit in andere Sprachen bzw. andere Rechtsordnungen (selbst in französischer Sprache) gedacht, die grundsätzlich anders organisiert sind und ein möglicherweise abweichendes Verständnis von „Verwaltung“ beispielsweise in Bezug auf Verlässlichkeit bzw. Gültigkeit haben. Weiterhin identifiziert Starck „rechtsvergleichende Metabegriffe“ auf dem Gebiet der allgemeinen Staatslehre wie „Gewaltenteilung“, „Rechtssetzung“, „Rechtsquellen“ oder „Menschenrechte“, „Normenkontrolle“ oder „gerichtlicher Rechtsschutz“. Die Unmöglichkeit solch vermeintlich neutraler und für eine distanzierte Ana32 

Pommer (Fn.  29), 20. Ebd., 140 ff. 34  Pirker, trans-kom 3 (2010), 26, 41. 35 Vgl. Bräutigam (Fn.  28), 19 f. 36  Starck JZ 52 (1997), 1021, 1027. 33 

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lyse in der Rechtsvergleichung angedachte Nutzung zeigt sich u. a. sehr anschaulich bei Letzterem. Der in der BRD existierende Rechtsschutz sichert beispielsweise einer Person die Geltendmachung ihrer Rechte vor unabhängigen Gerichten zu. Dem allgemeinen Justizgewähranspruch fehlt zwar (anders als Art.  19 Abs.  4 GG) die Ausgestaltung als subjektives Grundrecht, er ist aber aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art.  2 Abs.  1 GG herzuleiten und kann deshalb im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden.37 Wie ließe sich mit diesem Verständnis aktuell in der Türkei operieren? Oder in Ungarn, das durch die zusätzlich zur neuen Verfassung von 2012 erlassenen Gesetze nicht nur den Zugang zum Verfassungsgericht, sondern die Rolle des Gerichts an sich eingeschränkt und durch die Personalpolitik selbiges mittlerweile fast weitestgehend neutralisiert hat.38 Die Krux liegt hier im Schutzbegriff, nämlich dem individuellen bzw. staatlichen Ermessen, wer von wem, wann, unter welchen Umständen und in welchem Maß schutzbedürftig ist oder geschützt werden muss. Das heißt auch darüber nachzudenken, welches Menschenbild in einer Gesellschaft existiert und was als schützenswert gilt, um (macht-)politische Interessen beispielsweise aufzuwiegen. Hier enthüllt sich ziemlich unmissverständlich, dass es keine neutrale Metasprachebene geben kann, auf der rechtliche Begriffe oder Konzepte verhandelt bzw. miteinander verglichen werden können. An den statuierten Exempeln wird deutlich, wie sehr das Recht in der gesellschaftlichen Realität gefangen sein kann und ihrem Wandel bzw. ihrer (willkürlichen) „Neugestaltung“ unterliegt. Gerade im öffentlichen Recht spiegelt sich auch ein großes Maß der Rechtskultur und vielmehr noch als in anderen Rechtsgebieten zeigt sich hier das Rechtsbewusstsein der Bürger in ihrem (Rechts-)Staat. Es bedarf also des vermehrten Nach- und Hinterfragens, um bei rechtsvergleichenden Betrachtungen, wie Tschentscher es formuliert, „die Unverbindlichkeit zu überwinden und eine größere analytische Tiefe zu erreichen“.39 Eine Zunahme an Beiträgen zur Didaktik des kritischen Denkens an Hochschulen weist damit sicher schon in die richtige Richtung.40 Zugleich spricht sich Tschentscher für eine „kreativitätsfördernde Methodik“ in seinem Vorschlag 37  Papier, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VIII: Grundrechte: Wirtschaft, Verfahren, Gleichheit, 2010, 492 ff. 38  Bánkuti/Halmai/Scheppele Journal of Democracy 23 (2012), 138 ff.; Fröhlich, in: Jovanovic (Hrsg.), Constitutional Review and Democracy, 2015, 269, 75, 281 ff.; Jakab/Fröhlich, in: Jakab/Dyevre/Itzkovich (Hrsg.), Comparative Constitutional Reasoning, 2017, 394 ff.; Kelemen, in: Geisler/Hein/Hummel (Hrsg.), Law, Politics, and the Constitution. New Perspectives from Legal and Political Theory, 2014, 63 ff. 39  Tschentscher JZ 62 (2007), 807, 809. 40 Vgl. Kruse die hochschule 19 (2010), 77 ff.; Kruse verweist in diesem Zusammenhang auf den 2008 vom Europäischen Parlament und dem Europäische Rat verabschiedeten „Europäischen Qualifikationsrahmen für Lebenslanges Lernen“ (EQR), der kritisches Denken als zentrale Zielkategorie der höheren Bildung definiert.

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zur dialektischen Rechtsvergleichung im Sinner einer Methode der Komparistik aus.41 Zur Generierung von Erkenntnissen über die Zusammenhänge von Recht und Kultur im Zuge der Rechtsvergleichung empfiehlt er eine bewusst wertende Herangehensweise bereits bei der Beschreibung entgegen der tradierten Praxis des systematischen Methodenideals. Auch Großfeld erweist sich als Skeptiker, was die herkömmlichen Methoden der Rechtsvergleichung betrifft, wie Hoog in seiner Rezension festhält. Er schreibe: „... wir haben keine Sicherheit in der Methode. Ich halte es lieber mit den alten Tugenden des Juristen: Beobachtung, Einfühlung, Phantasie und Augenmaß.“42 Neben dieser affektiven Komponente spielt für Großfeld aber immer auch der immanente Rechtskulturbezug eine Rolle.43 Besonderes Augenmerk richte er zudem, so Hoog, auf die Sprache als spezifische Herausforderung der Rechtsvergleichung mit der Quintessenz – frei nach Wittgenstein, dass die Grenze unserer Sprache vielfach auch die Grenze unseres Verstehens sei.44 Bei all dem setzt auch der konzipierte Forschungsworkshop zur Vermittlung der Rechtssprache und des Rechtssystems bzw. das prinzipielle Vorgehen im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht an. Jeder interaktiven Aufgabe folgt eine Reflexionsphase, in der die Studierenden nicht nur sich selbst befragen (und ihre Wahrnehmung bzw. ihr Empfinden darlegen), sondern auch das Verhalten und die Reaktionen innerhalb der Gruppe reflektieren und ihre Erkenntnisse auf den gesellschaftlichen Kontext und die eigene Sozialisation rückbeziehen. Dies scheint umso leichter zu gelingen, je mehr das Nachdenken über einen Gegenstand von seiner Sach- auf eine kreative Ebene geholt wird, wie u. a. die nachfolgenden Auszüge aus den empirischen Interviewdaten zeigen.

C. Interludium Bekanntlich macht ja der Ton die Musik und empirisch generierte Erkenntnisse tragen zur Komposition neuer Theorien bei, wirken aber zugleich darüber hinaus auch wieder Ton angebend in die Praxis hinein. Die folgende Darstellung gewährt exemplarische Einblicke in Interviewdaten, die im Anschluss an die Durchführung von Forschungsworkshops im Rahmen eines Promotionsvorhabens erhoben worden sind. Entwickelt wurde ein 15 Stunden umfassender Fachsprachenkurs zur Einführung in das Recht und die Rechtssprache Deutschlands für internationale Jurastudierende; der Ansatz lässt sich jedoch relativ problemlos auf jede andere fachkommunikative Fremd41 

Ebd., 810. Hoog AVR 27 (1989), 250, 250 f. 43  Großfeld, Macht und Ohnmacht der Rechtsvergleichung, 1984, 24 f.; ders.: Kernfragen der Rechtsvergleichung, 1996, 11 f. 44  Hoog (Fn.  42), 251. 42 

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sprachenvermittlung für deutsche Studierende bzw. Jurastudierende jeglicher Couleur übertragen. Gerade der Fachsprachenunterricht Recht gestaltet sich oft „konservativ“, das heißt sehr textlastig und rezeptiv fertigkeitsbezogen, sprachsystematische Aspekte fokussierend und scheinbar endlose, zweisprachige Wortlisten anbietend. Wie auf diesem Weg dem übergeordneten Lehr- und Lernziel der Herausbildung einer interkulturellen kommunikativen Handlungskompetenz im Fach entsprochen werden soll, will sich nicht recht erschließen. Am stärksten ausgeprägt findet sich die Ebene der Fachkompetenz, das heißt die Ebene des Wissens. Pragmatische Lernziele wie Methodenkompetenz siedeln auf der Ebene des Könnens und finden noch teilweisen Eingang in tradierte Lehrkonzepte. Mit der Entwicklung von Selbst- und Sozialkompetenz auf der affektiven Lernzielebene an die Einstellungen und Haltungen von Lernenden zu appellieren, mutet dann schon etwas exotisch an und ist keine Selbstverständlichkeit. Daraus entwickelte sich die Forschungsfrage, wie ein reflexiv und soziokulturell orientierter, latent vergleichender Ansatz im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht zu konzipieren sei und welcher tatsächliche Mehrwert sich hierbei für die Studierenden ergibt.45 Das Unterrichtskonzept basiert zunächst auf den Prinzipien der vereinfachten Fachinhalte und gründet sich thematisch auf dem öffentlichen Recht. Weiterhin kommt der mündlichen Ausdrucksfähigkeit ein verstärktes Augenmerk zu. Der handlungsorientierte Ansatz bietet zudem viel Raum für Kreativität und Reflexion. Mehr zu den didaktischen Implikationen findet sich im gleichnamigen Kapitel des vorliegenden Beitrags. Der Fachsprachenkurs fand als mehrtägiger Workshop an Universitäten in Exeter (GB), Budapest (HU) und Istanbul (TR) statt. Teilnehmende waren in der Regel Jurastudierende verschiedener Studienjahre, aber auch Promovierende und bereits Praktizierende, mit denen am Ende jeweils leitfadengestützte Interviews durchgeführt wurden, die (vergleichende) Aspekte zum Rechtssystem bzw. der Rechtskultur, Fragen zur Selbsterfahrung und die Evaluation der Kurs­inhalte beinhaltet haben. Bei den Interviews stand den Teilnehmenden die Sprachwahl frei, so dass einige sich für Deutsch, viele für ihre jeweilige Muttersprache Englisch, Ungarisch oder Türkisch und manche für eine Mischung aus beiden entschieden haben. Aufgrund der Praktikabilität und Verständlichkeit beschränken sich in diesem Beitrag die nachfolgenden Beispiele auf englischund deutschsprachige Interviewdaten. In der Darstellung werde ich mich des Weiteren auf drei Ergebniskategorien beschränken, und zwar, was wird 1) auf der Metaebene über Rechtsvergleichung gesagt, wie wird 2) der Lernprozess bzw. didaktische Ansatz des For45  Mehr dazu bzw. zu den identifizierten Desiderata in der Fachfremdsprachenausbildung findet sich bei Gladitz (Fn.  28), 327, 340 ff.

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schungsworkshops beschrieben und 3), welche signifikanten Einsichten hat die „alternative“ Lernerfahrung mit sich gebracht? In den Forschungsworkshops selbst wurden keine explizit rechtsvergleichenden Aufgabenstellungen bearbeitet, aber auf der Reflexionsebene ließen sich regelmäßig Bezüge zwischen der eigenen und der deutschen Rechtsordnung herstellen. Oft zeigten sich die Studierenden hier scheinbar informiert, ohne jedoch tatsächlich zu wissen, wie es um das fremde (hier deutsche) Recht bestellt ist. Die stereotypisierenden Aussagen geben zugleich Rückschluss auf vorhandene Autostereotype, die das (meist unreflektierte) Denken der Studierenden und die (oft einseitige) Wahrnehmung der eigenen Rechtswirklichkeit widerspiegeln. So meinen Jurastudierende der Fallgruppe Exeter beispielsweise, in Deutschland stünde alles im Grundgesetz oder BGB und da man ja lesen könne, sei es wohl auch einfach zu verstehen. Alles sei logisch, strukturiert, übersichtlich, vernünftig und klar – „in true German fashion“.46 Im Gegensatz dazu sei das Englische Recht „...so case heavy. Everything is through reading cases and that’s how they develop the law. So it’s quite weird then when you go and do a German essay, I mean it’s a completely different style and you don’t really read cases. Like in English law we were always told: PEE: point, example, explain and you backed up the case. In German law it’s Gutachtenstil, it’s completely different.“

Nicht selten wurden im Vergleich auch solche formalen bzw. methodischen Aspekte benannt oder haben sich die Studierenden auf Differenzen in der Rechtskultur bzw. dem Rechtsbewusstsein berufen. Interessant war dabei zu beobachten, mit welchem juristischen Selbstbewusstsein dies geschah. Deutete sich in Exeter ein gewisses Überlegenheitsgefühl aufgrund der zu bewältigenden Komplexität und der langen Rechtstradition an und wurden hauptsächlich die verschiedenen Aspekte der juristischen Profession thematisiert, so hielten es die Teilnehmenden in Budapest und Istanbul mehrfach für nötig darauf hinzuweisen, dass die Menschen in ihrem Land in Ermangelung entsprechender Kenntnisse ihr Recht noch „suchen“ (Ungarn) oder ihm „hinterherlaufen“ (Türkei) würden. Für die funktionierende Rechtsordnung Deutschlands klang leise Bewunderung an, wenngleich vereinzelt auch Unverständnis geäußert wurde, wie beispielsweise von einer ungarischen Studentin gegenüber der Obsession Deutschlands mit seiner Geschichte (und der daraus folgenden Verankerung der Menschenwürde im GG). Man muss sich auch darüber im Klaren sein, wie sehr die eigene Lehrpersönlichkeit bzw. der eigene Stil, die Methodik, Didaktik sowie die Auswahl und Gewichtung des Lehrmaterials die Wahrnehmung der Teilnehmenden beeinflusst, was sich sehr deutlich in der Aussage einer anderen ungarischen Studentin zeigt: „Ja, das, dass die deutsche Rechtskultur ziemlich Verfassungsrecht und innerhalb von Verfassungsrecht Grundrechte orientiert 46 

Im Original: „logic“, „structured“, „organized“, „reasonable“ und „clear“.

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ist.“ – Aus der konkreten, das heißt unmittelbaren Workshoperfahrung wird hier ein vermeintlich allgemeingültiger Schluss gezogen. Für den Lernprozess selbst und den didaktischen Ansatz ist zunächst positiv hervorgehoben worden, dass der Unterricht sehr abwechslungsreich gewesen sei, die Information u. a. durch Schemata, anschauliche Beispiele oder Simplifizierungen aufgebrochen und in kleinen „Häppchen“ präsentiert worden waren, was sehr zum Verständnis beigetragen hätte. Auch hätte das (anwendungsbezogene) Wiederholen von Gelerntem in kreativen Übungsformen und den damit einhergehenden kognitiven Pausen zu einer besseren Aufnahmekapazität und Verarbeitungsweise von Wissen geführt. Darauf ließ sich zudem die von den Studierenden in den Interviews beteuerte Verbesserung der Motivation sowohl für den Fachsprachenerwerb als auch für die vertiefende Beschäftigung mit Fachinhalten zurückführen. Insbesondere kam aber auch dem Sprechen und dem Austausch in der Gruppe eine wichtige Rolle bei der Lernerfahrung zu, wie sich in der folgenden Äußerung zeigt: „The fact that it sort of included so many different types of learning, I think, was quite useful, because I would normally just approach things from reading. It’s helpful in the fact that, you know, there are different methods of learning. I mean obviously some of them are more easier to apply in a group context“.

Vor allem die Möglichkeit eigene Gedanken und Meinungen in einer offenen und vertrauensvollen Umgebung zu äußern und die eigenen Überzeugungen zur Disposition zu stellen, wurde sehr geschätzt: „We were all able to express our ideas so openly and I really enjoyed just having a conversation about different issues and different things concerning German law, just be in a room full of people talking about it.“

Mehrfach waren die universitären Studienbedingungen kritisiert worden, die viel zu sehr von Anonymität geprägt seien und zu falschen Annahmen über die Kommilitoninnen und Kommilitonen verleiten würden, weil jeder sich vorerst als Einzelkämpfer verstehen würde. Die soziale Komponente und die damit einhergehenden Erkenntnisse über das eigene wie das Denken der Anderen wurde somit von den meisten als größter Zugewinn betrachtet, wie sich am Beispiel eines Studenten aus Exeter zeigt: „the discussion for me was probably my favourite part just being able to express our ideas. […] that discussion, we don’t have that aspect of the course and for me that’s really important, because it’s really interesting to know what other people are thinking at the same time and our ideas were sometimes really similar but then at the same time they were really different“.

In den Interviews offenbarte sich eine Vielzahl zum Teil sehr persönlicher Einsichten. Wiederholt wurde jedoch der Zusammenhang von Sprache bzw. mündlicher Ausdrucksfähigkeit und Selbstvertrauen betont. Durch die Möglichkeit

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des Mitteilens eigener Gedanken (und der Überraschung etwas zu sagen zu haben und dies tatsächlich – auch in der Fremdsprache – zu können) und einem positiven (Gruppen-)Feedback, wurde das Selbstwertgefühl der Teilnehmenden gestärkt, wodurch die Workshoperfahrung sicher auch grundsätzlich zum Studien- und allgemeinen Lernerfolg beitragen kann. Auch die Beschäftigung mit dem Begriff des Rechts an sich und anderen grundlegenden Termini hat zum Nachdenken über die Grenzen der juristischen Ausbildung hinaus geführt, wie folgendes Beispiel zeigt: „man hat vielleicht eine Idee von was Gerechtigkeit ist oder was die Justitia sein soll. Es wird sich immer ändern, es wird nie richtig sicher sein und das Vorbild… man kann Vorbilder vielleicht anstreben, aber die sind auch nicht perfekt“. Somit wurde auch das Amt des Richtenden dahingehend entzaubert, als gefragt wurde, inwieweit sie gerecht zu entscheiden vermögen in Abhängigkeit von einem möglicherweise ungerechten Rechtssystem. Bewegt hat die Studierenden auch die Frage nach dem Zugang zum Recht, und zwar nicht nur ihrem eigenen, sondern dem der Menschen, deren Interessen sie später zu vertreten beabsichtigen. Der Austausch über den Einfluss von Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen hat das eigene Rollenverständnis in das Zentrum der (selbst-)kritischen Betrachtung gerückt. Auf die Frage, was ihm vom Workshop bleiben würde, formulierte ein Student demnach selbstkritisch: „dass ich bisschen mehr offen sein muss, also im Gedanken. Was mir richtig auffiel war, dass ich habe meine Meinung und ich sage, ich bin bereit, um andere Meinungen zuzuhören, aber ich höre immer zu mit dem Einfluss, ja, ich glaube ich bin sowieso richtig“. Das erzielte „Ausmaß“ des sozio-kulturell, reflexiven, latent rechtsvergleichenden Ansatzes im Forschungsworkshop zur Vermittlung der Fachsprache Recht wird im Interview mit einer Jurastudentin aus Exeter sehr deutlich: „It was just good... learning this pretty interesting things about, how sort of different legal cultures do influence people’s decision making [...] I learned that maybe I do a sort of have more ingrained beliefs and things than I perhaps realized… maybe I do have a sort of more grounded like stereotypes than I realized. […] each person is responsible for their own actions. So I think I learned that about myself. […] I think, most of all it would just sort of teach me to think twice about assuming that my legal perspective is the right one, because there are so many different cultures, legal cultures as well as ordinary cultures that effect everyone’s decision-making and so I probably think twice about assuming that just because it’s my legal culture is not everyone’s and that doesn’t mean that everyone else’s is wrong. It just means that we all have two perspectives because of the way we’ve lived our lives.“

Die Frage lautet nun: Wie generiert man solche Einsichten bzw. Erkenntnisse? Darauf soll im Folgenden anhand konkreter Unterrichtsvorschläge aus meiner persönlichen Forschungspraxis eingegangen werden.

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D. Der Weg in die Praxis – Didaktische Implikationen In den Interviews zeigt sich die Vielfalt der Bilder im Kopf, die einerseits durch die Aktivitäten im Workshop evoziert worden sind, nicht selten aber auch in den Workshop hineingedacht wurden, obwohl sie bereits zuvor existierten. Diese immanenten Vorstellungen bzw. Vorannahmen über das eigene Selbst, das Dasein in der Welt des Lebens-, Studien- und Berufsalltags sowie die Wahrnehmung all dessen, was an Einflüssen prägend wirkt, gilt es ins Bewusstsein zu holen. Erst dadurch wird die Erfahrung greifbar, wird das Erlebte anschaulich und kann sich einem analytisch-kritischen Reflexionsprozess stellen. Erst dann setzt ein Verstehensprozess ein, in dem tradierte Denk- und Handlungsmuster aufgebrochen und überkommene bzw. festgefahrene monoperspektivische Vorstellungen allmählich demontiert werden können. I. Bildungsverständnis, Lehr- und Lernziele Im Beschluss des Bundeskongresses der Europa-Union Deutschland (EUD) von 2008 heißt es, dass Sprachenlernen eine persönliche Chance sei, die ein besseres Verstehen der Lebensumwelt eröffne, und dass die Fähigkeit, Fremdsprachen zu sprechen und zu verstehen zur Bildung gehöre.47 Demnach sei Sprache viel mehr als Kommunikation, denn mit den fremden Worten seien oft divergierende Wertaussagen verbunden, so dass der Umgang mit der fremden Sprache zunächst Respekt vor dem Wort verlange, mehr noch aber Respekt vor den Menschen als Teil einer anderen Sprachgemeinschaft. Der Spracherwerb befördere damit zugleich kulturelle Lernprozesse und könne somit die Menschen zusammenführen.48 Das juristische Weltbild ist vornehmlich an die nationale Rechtsordnung gebunden und findet seinen Niederschlag im entsprechenden Begriffskosmos und den dazugehörigen Sprachhandlungen. Sich darin zurechtzufinden bzw. sich dieses im Rahmen der Sozialisation der juristischen Ausbildung anzueignen, geht mit einem Verständnis von Lernen einher, das auf „Selbstorganisation und Selbstaktivierung, die Unterordnung persönlicher Interessen und die Anpassung an die Prüfungsbedingungen, Leistungsbereitschaft und die Erzeugung höchster Produktivität, das Aushalten und Kanalisieren von Druck, Stress und einer maximalen Ungewissheit“49 die berufliche Zukunft betreffend gerichtet 47  Europa-Union Deutschland: Sprachen in Europa: Kommunikation – Partizipation – Identität. Beschluss des Bundeskongresses vom 22.11.2008, https://www.europa-union.de/ fileadmin/files_eud/PDF-Dateien_EUD/EUD_Beschluesse/Buko_2008_Saarbruecken/ Sprachen_in_Europa-_Kommunikation_-_Partizipation_-_Identitaet.pdf (25.05.2018), 1. 48  Ebd., 3. 49  Böning, Jura studieren. Eine explorative Untersuchung im Anschluss an Pierre Bourdieu, 2017, 162.

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ist. Eine so verstandene Bildung, in der vermeintliche „Werte“ wie Effizienz und Leistungsorientierung dominieren, steht dem zuvor postulierten Verständnis einer autonomen Persönlichkeitsbildung diametral gegenüber. Der Anspruch im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht changiert irgendwo zwischen diesen beiden Welten. Tenorth kommt ihm mit seiner Beschreibung vielleicht am nächsten. Er distanziert sich von dem der Logik der Ökonomisierung und der damit einhergehenden Homogenisierung unterworfenen Individuum und macht Bildung nicht primär als Wissen aus, sondern als Aneignung von Kompetenzen, Haltungen und einem adäquaten Verhalten „der Welt, sich selbst und anderen gegenüber“. Dazu bedürfe es neben kognitiver Fähigkeiten auch ästhetisch-expressiver Kompetenzen, dazu gehörten aber ebenso „normative Erwartungen, die sich historisch und politisch stellen, durch den Wertekanon unserer Gesellschaft und Kultur, um tolerant gegenüber anderen Kulturen, politisch urteilsfähig und in Anerkennung der Gesetze zu handeln, bereit, sich selbst [zu] engagieren.“50 Nun lässt sich fragen, inwieweit dem der fachkommunikative Fremdsprachenunterricht nachkommen kann bzw. welche Rolle dies für die Ausgestaltung eines Kurskonzeptes spielt. Wie bereits erwähnt, ist das übergeordnete Lehrund Lernziel die interkulturelle kommunikative Handlungskompetenz im Fach.51 Dabei soll, so betont es Bister-Broosen, das Attribut des Interkulturellen vornehmlich das (Miss-)Verständnis von Kommunikationsfähigkeit als einer universalen Fähigkeit beschränken.52 Fremdsprachenvermittlung, die vermeintlich universelle Sprechakte fokussiere, sei deshalb problematisch. Die Sublimität der Bedeutungshorizonte von Sprache wurde im vorliegenden Beitrag bereits ausführlich geschildert. Es gilt demnach stets zu differenzieren und so rehabilitiert Krumm den Ansatz der kommunikativen Kompetenz auch dahingehend, dass man durchaus „in der Begegnung mit einer anderen Kultur die Grenzen des eigensprachlichen und eigenkulturellen Verhaltens“ erkenne und sich auf andere Verhaltensweisen einzulassen habe.53 Inwieweit sich Jurastudierende auf den fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht und dessen Angebot einlassen, hängt davon ab, mit welcher Motivation bzw. Zielsetzung sie einen Fachsprachenkurs besuchen und welche Erwartungen sie damit verknüpfen. Handelt es sich dabei um eine institutionalisierte, curricular implementierte Vorgabe oder verbinden sie damit tatsächlich ein rein fachliches oder wissenschaftliches Interesse? Geht es ihnen mehr um 50  Tenorth, Bildung – Zwischen Ideal und Wirklichkeit, 2013, http://www.bpb.de/gesell schaft/kultur/zukunft-bildung/146201/bildungsideale (08.02.2018). 51  S.o. B. I. 52  Bister-Broosen, in: Ammon/Dittmar/Mattheier/Trudgill (Hrsg.), Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft, 2004, 2378; Vgl. Kramsch, Context and Culture in Language Teaching, 1993. 53  Krumm, in: Bausch/Christ/Krumm (Hrsg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht, 1995, 156, 157.

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die Vorbereitung eines anstehenden Studien- oder Praktikumsaufenthaltes oder besuchen sie den Kurs vorausschauend in Hinblick auf zukünftige Karriereoptionen beispielsweise in internationalen Unternehmen bzw. Kanzleien oder Institutionen wie der EU? Die Antworten wirken sich dahingehend aus, dass beispielsweise für letzteren Fall verstärkt auf die interkulturelle Vermittlung institutioneller Konzepte und die Herausbildung einer berufsfeldübergreifenden Handlungskompetenz mit der Entwicklung arbeitsplatz- wie berufsbezogener mündlicher und schriftlicher Kommunikationsfähigkeit abzustellen wäre.54 Im Duktus des vorliegenden Beitrags sollen sich Jurastudierende jedoch zunächst grundsätzlich im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht neben sprachsystem-immanenten Phänomenen mit verschiedenen, möglichst elementaren Rechtskonzepten auseinandersetzen und dabei durch einen reflexiven, sozio-kulturellen und latent vergleichenden Ansatz unterstützt werden. II. Kurskonzeption Bei der Planung und Durchführung eines adäquaten Fachfremdsprachenangebots für Jurastudierende gehören neben den bisher formulierten Einflussgrößen insbesondere die im Folgenden vorzustellenden Parameter in Anlehnung an Buhlmann/Fearns’ einschlägige Darstellung berücksichtigt.55 Als erstes muss die Zielgruppe bestimmt werden, um daraus die Gewichtung fachlicher und sprachlicher Inhalte, affektiver Komponenten und strategischer Kompetenzen abzuleiten. Die potentiellen Kursteilnehmenden unterscheiden sich nicht nur in ihren individuellen Fremdsprachenkenntnissen, sondern auch in ihren fachlichen Voraussetzungen und den Lerngewohnheiten. Letztere fallen noch mehr ins Gewicht, wenn es sich um sogenannte Bildungsausländer handelt, die in anderen Lehr- und Lern- oder Wissenschaftstraditionen sozialisiert worden sind. Entscheidend ist auch die Bestimmung der Handlungsziele, das heißt welche Absicht bzw. Interessen verfolgen die Studierenden und welche Art von Lernzuwachs erwarten sie sich vom Kurs. Die zweite Konstante bildet der Zeitpunkt des Unterrichts, und zwar in Abhängigkeit von den eben benannten Handlungs- und Lernzielen, sowie der Fachkompetenz der Lernenden. Für die Rechtssprache wird aufgrund ihrer Komplexität und Nuanciertheit in der Regel ein gutes allgemeinsprachliches Mittelstufenniveau vorausgesetzt (ab B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens). Der dritte Punkt bezieht sich auf die institutionellen bzw. organisatorischen Rahmenbedingungen. Nicht nur gilt es zu klären, wie viele Semesterwochen54 

Gladitz et al., in: Ferraresi/Liebner (Hrsg.), SprachBrückenBauen, 2014, 149, 153. Buhlmann/Fearns, Handbuch des fach- und berufsbezogenen Deutschunterrichts DaF, DaZ, CLIL, 2018, 244 ff. und 289 ff. 55 

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stunden (obligatorisch) vorgesehen sind und wie die Popularität eines bestimmten Zeitslots die Zahl der Teilnehmenden beeinflussen könnte, wie es um die räumliche Ausstattung bestellt ist und wie viel Freiraum bzw. Einschränkung sich dadurch beispielsweise bei den Arbeits- und Sozialformen ergibt; auch eine eventuelle Prüfungsrelevanz, die Anerkennung von Studienleistungen bzw. Leistungspunkten oder die Anschlussfähigkeit an weiterführende Angebote sind Faktoren, denen eine entsprechende Aufmerksamkeit gebührt. Als viertes steht die Lehrperson im Mittelpunkt. Auf diesem Gebiet herrscht noch immer große Unsicherheit, was den Spezialisierungsgrad der Fachkraft betrifft. Genügt hier eine fremdsprachendidaktische Ausbildung oder braucht man ein Mindestmaß an Expertenwissen? Krekeler beispielsweise sieht keine großen Bedenken einen Fachsprachenunterricht zu planen und zu erteilen, auch wenn man selbst nicht fachkompetent sei. Dies setze lediglich eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Sprachbedarf, den Materialien und der eigenen Lehrerrolle voraus.56 Doch als ideale Lösung wird eher das Teamteaching vorgeschlagen oder zumindest eine vorbereitende Kooperation zwischen Fachund Fachsprachenlehrenden. Wie sich die betroffenen Akteure dazu äußern und welchen Herausforderungen sich eine solche Konstellation zu stellen hat, schildert Zalipyatskikh in einer empirischen Studie, in der sie die Asymmetrie der Fachkommunikation analysiert.57 An fünfter Stelle richtet sich das Augenmerk auf die Unterrichtsmaterialen. In der Regel eignen sich gängige Fachsprachenlehrwerke aufgrund der in Punkt eins benannten Faktoren nicht als kurstragend. Dazu kommt die einhellige Forderung nach der Verwendung authentischer Texte, welche die Denk- und Mitteilungsstrukturen des Faches vermitteln, typische Argumentationsstrukturen und stilistische Merkmale aufweisen und nicht zuletzt hohe Verständlichkeitswerte haben. Dies kann sogar auf vergleichender Ebene geschehen (bspw. beim Aufbau von Gerichtsurteilen). Im Sinne eines soziokulturell orientierten und kreativ-reflexiven Ansatzes scheint es allerdings auch legitim zur vertiefenden Erklärung von Rechtsphänomenen bzw. einem besseren Verständnis der Rechtskultur gelegentlich interdisziplinäre oder gar fachfremde, wie journalistische, fiktive bzw. literarische der anderweitig künstlerische Texte einzubeziehen. Sie können provozieren, irritieren, inspirieren und über die Herstellung persönlicher Betroffenheit bzw. individueller Anknüpfungspunkte zum wechselseitigen Austausch anregen und zum Perspektivenwechsel einladen. Die sechste Position widmet sich der inhaltlichen Progression. Hier zeigt sich die kaum allein zu bewältigende Herausforderung für fachdisziplinär nicht vorgebildete Fremdsprachenlehrende. Die fachliche Notwendigkeit und Dring56  Krekeler, in: Harsch/Krings/Kühn (Hrsg.): Inhalt und Vielfalt – Neue Herausforderungen für das Sprachenlernen und -lehren an Hochschulen, 2017, 55 ff. 57  Zalipyatskikh, Didaktik der technischen Fachkommunikation. Methodologien, Konzepte, Evaluationen, 2017.

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lichkeit bestimmter Denkelemente und Termini nehmen maßgeblich Einfluss auf die Kursgestaltung, und zwar nach qualitativen und nicht quantitativen Gesichtspunkten. Allerdings haben Fachsprachenlehrende die Möglichkeit elementbezogen vorzugehen, d. h. punktuell-strukturell fachliche Gegenstände auszuwählen und vereinfachend darzustellen. Natürlich sollen sie dabei nie aus ihrem Gesamtzusammenhang gelöst und isoliert betrachtet werden. In diesem Sinne ordnet sich hier auch die linguistische Progression den Fachinhalten unter. Für das Recht steht also die Terminologiearbeit vor der textstrukturellen und grammatischen Arbeit. Den siebenten Platz belegen die Arbeitstechniken und Lernstrategien. Auch hier spielen die Lerngewohnheiten u. a. neben Rezeptions- und Produktionsstrategien oder study skills wie Recherche- und Übersetzungstechniken eine Rolle. Zuletzt müssen die Entscheidungen für das didaktisch-methodische Vorgehen getroffen werden, aus denen sich später die Arbeits- und Sozialformen ableiten. Seiner Natur nach ist der didaktische Ansatz erfahrungs- und anschauungsbezogen, wobei er zum einen an die individuellen Vorbedingungen bzw. die persönliche Disposition der Studierenden anknüpft und zum anderen möglichst vielartige visuelle Hilfen einbezieht, worunter im Rechtssprachenunterricht vornehmlich Fallbeispiele zu verstehen sind. Fachsprachenunterricht gestaltet sich zudem sprachhandlungsbezogen in Hinblick auf die verschiedenen Kommunikationsverfahren und fertigkeitsbezogen betreffend die vier sprachlichen Grundfertigkeiten Hören, Lesen, Sprechen und Schreiben, die in Abhängigkeit zu den jeweiligen Lernzielen unterschiedlich zu gewichten sind. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist außerdem die interkulturelle Sensibilisierung, die auf Beobachtung bzw. Wahrnehmung, (selbst-)kritischem Nachdenken und Reflexion beruht. Gerade diese affektive Lernzielebene wird systematisch vernachlässigt und bietet zugleich das größte Potential für die Entwicklung der Selbst- und Sozialkompetenz unter Einbezug kreativer Methoden und des eigenen kreativen Geistes. Letzteren preist Del Mar als treibende Kraft für die Sprache des Rechts, die erst in der Vorstellungskraft ganz lebendig werde und im interaktiven Aushandeln von Bedeutung.58 III. Übungsformen In der Fremdsprachendidaktik gibt es einen ganzen Fundus an Handreichungen zur Unterrichtsgestaltung; exemplarisch genannt sei hier das wohl am meisten geläufige Aufgaben-Handbuch von Häussermann/Piepho mit dem Abriss einer

58  Del Mar aeon 2017, https://aeon.co/essays/why-judges-and-lawyers-need-imagina­t ionas-much-as-rationality (05.04.2018).

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Aufgaben- und Übungstypologie.59 Im Gegensatz zu dem an variantenreichen Lehrmaterialien überbordenden Markt für den allgemeinsprachlichen Unterricht, hat sich in der Nische für juristische Fremdsprachenlehrwerke kaum etwas getan. Möchte ich gleich ein Beispiel aus dem mir vertrauten Bereich der deutschen als fremder Rechtssprache geben, so zeigen die relativ regelmäßigen Streifzüge durch Bibliotheken, Fachbuchhandlungen und Internet auch keine signifikanten Verbesserungen für das Englische oder Französische. Die vorhandenen Textbücher sind schlicht gehalten, oft mit repetitivem Charakter und laden auf wenig lustvolle Weise zum weiterführenden Selbststudium ein. Fachsprachenkurse nehmen in der Regel aus den im vorherigen Kapitel angeführten Gründen Abstand von einem kurstragenden Lehrwerk und konzipieren sich vielmehr aus einem Sammelsurium an selbsterstellten Texten, Übungen und Aufgabenblättern. Die im vergangenen Jahr mittlerweile in sechster Auflage erschienene und damit durchaus als geläufigstes Standardwerk zu bezeichnende „Einführung in das deutsche Recht und die deutsche Rechtssprache“ von Funk-Baker und Simon60 enthält seit der dritten Auflage von 2006 auch sogenannte „rechtsvergleichende Anregungen“ im Übungsteil. Sie muten jedoch etwas wahllos zusammengestellt an und nach Erklärungen hält man vergeblich Ausschau. Eher noch scheinen sie als offene Impulsgeber gedacht. Viele der Fragestellungen erweisen sich bei genauer Betrachtung als problematisch, vor allem in Hinsicht auf die im vorliegenden Beitrag immer wieder hervorgehobene Relation zwischen Sprachgebrauch und Deutungshorizont im soziokulturell determinierten Fachkontext. So verweist der Begriff des „Rechtsinstituts“ lediglich auf das BVerfG, nicht aber beispielsweise auf das rechtstheoretische Verständnis von Familie (S.  64, Aufg. 10). Später geht es um „Minderjährige“, ohne diesen Begriff in seiner Dimension (Altersgrenze, Rechtsstatus etc.) näher zu definieren (S.  82, Aufg. 13/1). Auch der „Opfer“-Terminus gibt keine Auskunft darüber, wer, wann, unter welchen Umständen als solches gilt, welche Sichtbarkeit Opfern im öffentlichen Diskurs zugesprochen wird, wie mit ihnen umgegangen wird oder welche rechtlichen Möglichkeiten den Betreffenden offen stehen (S.  139, Aufg. 13/3). Wie drückt sich hier das Rechtsbewusstsein einer Gesellschaft aus, (wie) wird stigmatisiert? Schon in der Formulierung der Frage schwingt eine gewisse Wertung mit, wobei doch gerade hier eine möglichst objektive Darstellung geboten sei. Wie unfrei das Autorenduo sozusagen selbst bzw. wie sehr es ihrem eigenen Denken und Wahrnehmen verhaftet ist, zeigt sich u. a. bei dem Ausdruck, der Einzelne „wehre“ sich. Dieser knüpft an unser wehrhaftes Demokratieverständnis an; andere Jurastudierende weisen aber möglicherweise nicht nur 59  Häussermann/Piepho, Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache: Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie, 1996. 60  Funk-Baker/Simon, Einführung in das deutsche Recht und die deutsche Rechtssprache, 2009.

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ein anderes Rechtsbewusstsein aufgrund ihrer Sozialisation auf, sondern verknüpfen auch mit dem Erwehren andere und möglicherweise weniger positive Assoziationen. Alternative Zugänge nicht nur zu rechtsvergleichenden Fragestellungen können kreative Aufgaben- und Übungsformen sein, die ein aktives Mitwirken der Studierenden am Problemlöseprozess und der Verhandlung von sprachlichen wie fachlichen Bedeutungskontexten erwirken. Zunächst kann man sich elementaren Rechtstermini annähern, indem beispielsweise verschiedene Abbildungen der Allegorie der Gerechtigkeit verteilt werden, die über eine Diskus­ sion zum Anfertigen einer eigenen Gerechtigkeitsallegorie im Austausch mit anderen Kursteilnehmenden führen. Die so entstandene Bildergalerie kann dann Einsicht in die Bedingungen des Denkens und Entscheidens der Akteure geben, wenn nicht nur nach dem Gegenstand selbst, sondern auch nach der Gruppendynamik und der eigenen Verortung gefragt wird. Möglich wäre zudem die Darstellung weiterer Rechtsbegriffe wie „Vertrag“, „Familie“ oder „Gericht“ zum Beispiel durch Standbilder. Abschließend gilt es dann zu reflektieren: Wie positionieren sich die Personen zueinander und was sagt das möglicherweise über sie aus? Entspricht das eigene Verständnis dem, was anderen aus der Außenperspektive auffällt bzw. was einem (fremd) zugeschrieben wird? Körperlich bleibt bzw. wird es auch bei der Darstellung von Macht in einer spielerischen Adaption des von Augusto Boal entwickelten „Theaters der Unterdrückten“ (1985). 61 Mehrere Stühle, ein Tisch und eine Flasche sind so anzuordnen, dass sich daraus die möglichst größte, allen ersichtliche Machtkon­zen­tra­ tion ergibt. Alle Beteiligten sind nicht nur in den stummen Aushandlungsprozess eingebunden – und sei es nur durch ihre stillschweigende Zustimmung, sondern sind angehalten sich in einem zweiten Schritt innerhalb des Bildes einzuordnen, und zwar möglichst so, dass sich durch ihr Hinzukommen das sichtbare Machtgefüge zu ihren Gunsten verschiebt. Ein wesentlicher Grundsatz in Boals Methoden ist die Stärkung und Aktivierung aller Beteiligten, die aufgrund dieser ungewöhnlichen Erfahrung ihrem Drang zum Austausch in einer abschließenden Reflexionsrunde nachgeben können. Diese Gesprächsrunde kann dann durch gezieltes Nachfragen in eine bestimmte Richtung gesteuert werden und lässt so überraschende Transfereffekte auf andere Rechtsgebiete zu. Möglich wäre hier u. a. der Gerichtsaufbau oder auch die grundsätzliche Gewaltenteilung. Während Moot-Court-Settings in der juristischen Ausbildung oftmals Großprojekte darstellen, lassen sie sich im Kleinen als Minisimulationen auf die Unterrichtsebene holen. Entscheidend ist hier die Wahl eines relevanten und durchaus streitbaren Themas, das sich dankbarerweise im Rahmen des For61  Eine mögliche, schrittweise Anleitung findet sich in Jugend in Europa – Deutsche Agentur Jugend in Aktion, Interkulturelles Lernen. T-Kit 4, 2002, 87.

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schungsworkshops zum Föderalismus gefunden hat. Die beteiligten Parteien sollten sich jeweils mit den Vorzügen oder Nachteilen des Föderalismus als zukünftig möglicher, alternativer Staatsorganisationsform für das eigene Land auseinandersetzen und versuchen die gegnerische Seite mit überzeugenden, realitätsnahen Argumenten niederzuringen. Selbstverständlich erfolgte im Anschluss ein Austausch sowohl über die Befindlichkeiten bei der Rollenverteilung als auch über die Vorlagen, derer man sich bei der Argumentation bedient und sie entsprechend den eigenen gesellschaftlichen Bedürfnissen angepasst hatte. Auf Konsens zielt auch die Adaption des sogenannten Fischer- und Verfassungsspiels, das auf der „Tragödie der Gemeingüter“ („Allmendeklemme“) beruht. 62 Zunächst sollen die Strukturen des Problems, nämlich die Gründe für die Verknappung lebenswichtiger Ressourcen, erkannt werden, um dann gemeinsam nach einer institutionalisierten Lösung aus dem Dilemma zu suchen. Die Studierenden verstehen sich als „Verfassunggebende Versammlung“ und entwerfen eine für alle geltende Satzung: eine Präambel und drei oder vier Artikel. Auf der Vergleichsebene wird dann nach gemeinsamen Prinzipien, Normen, Regeln sowie Verhaltens- und Entscheidungsroutinen geschaut. Die Reflexionsebene setzt wiederum bei den immanenten Vorbildern und inhärenten Denkmustern an. Auch hier verspüren die Beteiligten in aller Regel den Drang sich zu äußern, Dinge „richtig“ zu stellen, sich zu rechtfertigen und zu verteidigen. Zum einen wird dabei die Rechtswirklichkeit herausgefordert, zum anderen die Kooperations- und Konfliktfähigkeit. Abschließen soll dieses Unterkapitel mit einer stark auf Wertungsapriori basierenden Übung. Es handelt sich dabei um die fiktive Geschichte von Abigale. 63 Zunächst bekommen alle Studierenden den Text und sind angehalten das Verhalten der auftretenden Personen zu bewerten. Sie sollen eine Liste anlegen, an deren oberster Stelle die Person steht, die sich am schlechtesten verhalten hat. Anschließend werden diese Auflistungen paarweise verglichen, wobei sich auf eine (neue) Rangfolge zu einigen ist. Diese so zusammengetragene (ver-)urteilende Reihung geht in der nächsten Runde in eine Kleingruppe mit der gleichen Aufgabenstellung. Am Ende werden die Listen der verschiedenen Gruppen verglichen und es wird im Plenum ausgewertet, wo Übereinstimmungen, wo Unterschiede festzustellen sind und überlegt, worauf sich diese gegebenenfalls zurückführen lassen. Damit sollen die Begründung der erfolgten Bewertung sowie die Parameter für die Beurteilung „guten“ und „schlechten“ Verhaltens offen gelegt und diskutiert werden. Zu thematisieren sind auch die Werte, welche die Studierenden in der Geschichte identifiziert zu haben meinen. Wurde diesen eine eigene Rangfolge zugesprochen und woran hat sich der innere mo62 

63 

Ziefle, in: Breit/Schile (Hrsg.),Werte in der politischen Bildung, 2000, 396 ff. Jugend in Europa – Deutsche Agentur Jugend in Aktion, (Fn.  61), 57 f.

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ralische Kompass bei der Aufgabe ausgerichtet? Als inwieweit involviert haben sich die Teilnehmenden selbst erlebt und wie gut ist es ihnen gelungen, in der Gruppe ihren eigenen Standpunkt zu vertreten bzw. ihre Sichtweise durchzusetzen? Auf dieser Metaebene kann auch gefragt werden, welche sozialen Aushandlungsprozesse in der Interaktion abliefen und inwieweit man sich mit dem erzielten Ergebnis zufrieden zeigt. Bei den vorgestellten Aufgaben stoßen viele der Studierenden in mehrfacher Hinsicht an ihre eigenen Grenzen, aber durch den Moment der Irritation und persönlichen Betroffenheit generieren sie kostbare Einsichten. IV. Erkenntniswert Als Ergebnis einer umfassenden Literaturrezeption, des permanenten Austauschs in Kollegium sowie (interdisziplinärer) Fachgemeinschaft und von Erfahrungswerten, die in der eigenen mehrjährigen, internationalen Lehrtätigkeit begründet liegen, ist das Konzept der Forschungsworkshops entstanden, das in der Interviewstudie evaluiert wird. Daraus lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten. Die thematische Auseinandersetzung mit dem fremden Fachgegenstand findet stets in der Auseinandersetzung mit der Fremdsprache statt. Die Studierenden werden dabei mit ihrer eigenen „Beschränktheit“ konfrontiert, was zur Selbsterkenntnis beiträgt. Die vertrauensvolle Atmosphäre unter der geringen Anzahl von Teilnehmenden in einer Sprachkursgruppe bzw. der Fremdsprachenunterricht als eine Art geschützter kleiner Raum jenseits von Perfor­manz­ ansprüchen der Fachdisziplin, hilft den Studierenden sich zu öffnen und aktiver einzubringen, sich und ihre (inneren) Grenzen bereitwilliger auszutesten, sowie Hemmungen aufgrund von Status quo und institutionalisiertem fachdisziplinären Habitus abzulegen bzw. zu überwinden. Für sie ist damit ein Zugewinn an Selbstsicherheit verbunden. Auch wirkt sich das Kursformat positiv auf die Neugier der Jurastudierenden aus und geht mit einem Motivationsschub einher für a) die fremde Sprache, b) das Fach bzw. rechtsvergleichende Aspekte, sowie c) die Erkundung einer anderen Rechtskultur – bestenfalls perspektivisch im Zielsprachenland selbst. Von seinem didaktischen Ansatz her bietet der fachkommunikative Fremdsprachenunterricht per se mehr Freiraum für Kreativität und die Möglichkeit, soziale als interkulturelle Kompetenz entwickeln und kritisches (Nach-)Denken befördern zu können. Bei der Kursgestaltung ist es deshalb von besonderer Bedeutung an persönliche Erfahrungen bzw. die Lebenswelt der Studierenden anzuknüpfen. Zudem brauchen Fachsprachenlehrende keine Angst vor Simplifizierungen zu haben, um das Verstehen zu sichern und dadurch Reflexionsprozesse anstoßen zu können. Sie sind ein Stück weit von fachlichen Zwängen befreit, weil sie mit ihrem Unterrichtsdiskurs andere Ziele verfolgen.

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Das Vergleichen findet sich als Kommunikationsverfahren nicht nur bei der mehr oder weniger stark institutionalisierten Rechtsvergleichung in der juristischen Ausbildung, sondern klassischerweise auch bei interkulturellen Aufgabestellungen. Beide Bereiche zeichnen sich traditionellerweise durch ein hohes Maß an Kontrastivität aus. Allerdings bedeutet Vergleichen nicht nur kontrastives Beschreiben und Bewerten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten, sondern auch das Aushandeln und Kompromisse schließen, das Erkennen und Erstaunen, das Entdecken und Schöpfen; es ist vielmehr eine Synthese und beruht weniger auf rein faktischer Analyse als vielmehr auf der Sensibilisierung für gegebene Verhältnisse, dem richtigen Fragestellen und Beobachten, der Wahrnehmungsschulung, aber auch dem gelungenen Austausch im Plenum und der Einsicht in die eigene Abhängigkeit von Anderen, dem (Rechts-)System und der Gesellschaft als solcher. Der Weisheit letzter Schluss ist die Erkenntnis, dass es einer stärkeren interdisziplinären Vernetzung und einer gegenseitigen Wertschätzung der jeweiligen Expertise bedarf, was auch den Mut zur (Fach-)Lücke bedeutet. Sie ist Ausdruck einer authentischen Komplexität, für die auch das Recht keine einfachen bzw. eindeutigen und schon gar nicht immer einvernehmlichen Lösungen für eine vielschichtige und durch divergierende Interessen charakterisierte Wirklichkeit bereithält.

E. Das Ende vom Anfang Der Fremdsprachenunterricht verfolgt neben der Sprachvermittlung auch das Ziel die Persönlichkeit zu bilden, und zwar aufgrund der soziokulturellen Reflexion und Sensibilisierung für Wahrnehmungs- und Deutungsunterschiede, für die Bewusstwerdung eigener kontextgebundener Denk- und Handlungsschemata. Er bietet seiner Natur nach zudem einen recht freien und spielerischen Raum, weil er insbesondere im Fachsprachenbereich von fachlichen Zwängen weitgehend befreit scheint, weil der disziplinäre Habitus abgelegt werden kann, weil der Mensch Sprache bzw. Spracharbeit per se als etwas unumstößlich Individuelles, aber auch elementares Merkmal seiner Selbst sieht, durch das er mit der Welt und seinen Mitmenschen in Verbindung tritt, das heißt kommuniziert, sich identifiziert, und zwar auf eine ihm ganz eigene, persönliche Weise. Diese persönliche Bezugsebene soll im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht beibehalten werden. An das eigene Erfahrungs- und Handlungswissen ist mit fachlichen Inhalten anzuknüpfen, um die Motivation und das Interesse nicht nur am Lerngegenstand, sondern auch am Austausch darüber lebendig zu halten. Diesem Ziel näher kommt man durch einen kreativen sowie (selbst)kritisch-reflexiven, didaktisch-methodischen Ansatz, der zwischen Sprache und Fach im soziokulturellen Kontext vermittelt und damit

Rechtsvergleichung im fachkommunikativen Fremdsprachenunterricht

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nicht nur (fach-)sprachlich versierte, weitsichtige und interkulturell kompetente Recht(swissen)schaffende bildet, sondern auch auf deren Persönlichkeit, das heißt ihren Charakter und ihre Überzeugungen einwirkt. Das ist es, was wir in dieser globalen Welt mit all ihrem Konfliktpotential brauchen, für die das Recht Lösungen anzubieten sucht. Wie hat es Erich Fromm so treffend formuliert? Ein Mensch denke mehr oder weniger, was auch andere denken. Diese Tendenz zur Anpassung nenne man Meinung. Diese könne sich jedoch leicht ändern und gelte nur solange, wie die Umstände dieselben blieben. Es käme aber darauf an zu fragen, was man tun würde, wenn die Umstände plötzlich andere wären, wie man leben und handeln würde. Dieses Handeln hinge vom Charakter ab, der sich in Überzeugungen ausdrücke. Die Überzeugung stamme aus dem, was ein Mensch sei. Nur darin würde sich auch die Möglichkeit zur Veränderung ausdrücken, die Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung der Welt in Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung. 64

64 

Fromm, Über die Liebe zum Leben, 2011, 151 f.

Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive* Julian Krüper A. Einführung Betrachtet man das Ansinnen der Rechtsvergleichung vom Standpunkt eines selbstgenügsam-schlichten Rechtspositivismus aus, muss es provozierend erscheinen. Denn das Recht, die konkrete Rechtsnorm, will gelten, klar, eindeutig und unmissverständlich. Sie ist von einem gesunden Geltungsegoismus gekennzeichnet. Ihre normative Aussage will die Rechtsnorm nicht aus dem Bezug auf andere, weniger noch aus fremd- oder gar nicht-staatlichen Normen beziehen. Erst recht soll nicht offenkundig werden, dass man innerhalb desselben Rechtssystems den gleichen Sachverhalt mit anderen Rechtsfolgen versehen oder gar ungeregelt lassen könnte. Schon deswegen muss solcher Sichtweise der Sinn einer föderal gegliederten Rechtsordnung verborgen bleiben. Und in der Tat, so hat man den Eindruck, ist in der politischen Diskussion ein tiefergehendes Verständnis für den Eigenwert und die Eigenlogik eines föderal diversifizierten Normsystems eher schwach ausgeprägt. Im Zweifel wird die föderale Differenz stets als Zersplitterung beklagt und die Vereinheitlichung als rational und vorzugswürdig begrüßt. Es verwundert daher auch nicht, dass in der juristischen Ausbildung die Norm und ihr Geltungsanspruch eher selbstgenügsam behandelt werden. Rechtsvergleichung spielt keine prominente Rolle. Dabei wissen wir, etwa mit Peter Häberle, dass die Rechtsvergleichung als fünfte Auslegungsmethode Aufschluss geben kann über die normativen Gehalte eines Rechtssatzes1. Aber die Rechtsvergleichung im Ausbildungsalltag zu praktizieren fällt jenseits dazu speziell angebotener Vorlesungen in allen Fachsäulen doch immer noch schwer. Rechtsvergleichung hat in der universitären Ausbildung cum grano salis allein eine Bedeutung als Variante der Methodenlehre, wird aber – insofern ähnlich wie die Methodenlehre – in den einzelnen Veranstaltungen zum materiellen Recht kaum rechtserkenntnisrelevant: Man weiß

*  Es handelt sich um die geringfügig erweiterte und mit Nachweisen versehene Fassung des ursprünglichen Vortrags, dessen Duktus weitgehend beibehalten wurde. 1  Grundlegend Häberle JZ 1989, 913 ff.

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bestenfalls, wie man es machen würde, wenn man es machen wollte, aber man will eben meist nicht 2 . Das hat in der juristischen Lehre nicht selten banale praktische Gründe der Verfügbarkeit und Bereitstellung notwendiger Vergleichsmaterialien, nicht zuletzt in der Prüfung. Und weil auch hier der didaktische Grundsatz gilt, dass Lehren und Lernen von der Prüfung her praktiziert werden – assessment drives learning –, ist es mit einer integralen Rechtsvergleichung im Pflichtfach des juristischen Studiums regelmäßig nicht weit her. Dabei könnte es unter Prüfungsaspekten reizvoll sein, verschiedene föderale Regelungsansätze zum Vergleich vorzulegen, weil sich aus dem kompetenten Vergleich von Normen und Regulierungskonzepten durchaus Rückschlüsse auf das juristische Urteilsvermögen der Studierenden ziehen ließen. Stellt man die allfälligen Praktikabilitätsvorbehalte für einen Moment zurück, rückt die Sache selbst und mit ihr die didaktische Dimension der Rechtsvergleichung in den Blick. Dabei geht es hier konkret um die intraföderale Rechtsvergleichung und also um die Frage: Warum und zu welchem Ende sollten wir intraföderale Rechtsvergleichung betreiben? Was ist ihr didaktischer Mehrwert? Dabei haben beide Fragen erkennbar eine Dimen­ sion des „Ob“ und eine Dimension des „Wie“. Die Antwort auf beide Fragen soll hier in dreierlei Hinsicht gesucht werden, nämlich in lerntheoretischer Hinsicht, in sachgegenständlicher Hinsicht und keineswegs zuletzt, sondern vielleicht sogar vorrangig in curricularer Hinsicht. Was ist damit jeweils gemeint? – In lerntheoretischer Hinsicht ist zu fragen: Wie verhält sich Rechtsvergleichung zum Prozess des Lernens, welche Art von Lernen regt sie an und wie ist das zu beurteilen? – In sachgegenständlicher Hinsicht ist zu fragen: Was können und was sollten Gegenstände intraföderaler Rechtsvergleichung sein? Wo ist sie womöglich wissenschaftlich sinnvoll, aber nicht didaktisch? – In curricularer Hinsicht ist schließlich zu fragen, wo intraföderale Rechtsvergleichung ihren Ort hat. Wie verhält sie sich zum dominierenden Curriculum? Ist die Forderung nach ihr nicht eigentlich eine Forderung nach einer Reform des Curriculums an Kopf und Händen? Der Beitrag möchte zu allen drei Aspekten einige tentative Überlegungen beisteuern, deren Schwerpunkt auf den curricularen Fragen vor allem des Verwaltungsrechts liegt. Zunächst aber einige knappe Überlegungen zur Verortung der intraföderalen Rechtsvergleichung.

2  Zur fehlenden Rechtfertigungsbedürftigkeit der Rechtsvergleichung Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, 47: „…sie scheint akademischer, weniger praxisnah zu sein“.

Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive

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B. Intraföderale Rechtsvergleichung als Rechtsvergleichung? Bezogen ist der Begriff der Rechtsvergleichung zumeist auf die Vergleichung deutschen Rechts mit ausländischem Recht 3. Dahinter stehen zwei Vermutungen: erstens die, dass in Gesellschaften unabhängig von ihrer jeweiligen kulturellen Prägung vergleichbare soziale Probleme bestehen, die nicht faktisch, ökonomisch, autoritativ oder religiös, sondern eben rechtlich gelöst werden; zweitens die Vermutung, dass Rechtsordnungen jeweils Teil einer spezifischen kulturellen Tradition wenn nicht eines Landes, so doch wenigstens eines kulturell grundierten Rechtskreises sind und deswegen auf vergleichbare soziale Probleme spezifische rechtliche Antworten geben4. Die (rechts-)kulturellen Unterschiede zwischen den zu vergleichenden Rechtsordnungen führen dazu, dass der Rechtsvergleich kein im deutschen rechtswissenschaftlichen Sinne Dogmatikvergleich und schon gar kein Normstrukturvergleich ist, sondern auf den Vergleich juristischer Lösungen sozialer Probleme abzielt, also auf die Funktion des Rechts für die Problemlösung5 bzw. weitergehend auch auf die Rolle und die Funktion des Rechts bei der Konstituierung eines Problems. Es geht also um funktionale Rechtsvergleichung6 . Je größer dabei die kulturelle – und im Übrigen auch die sprachliche – Distanz der zu vergleichenden Rechtskreise ist, umso allgemeiner muss die Vergleichsperspektive werden. Dazu bildet die hier im Mittelpunkt stehende intraföderale Rechtsvergleichung schon auf den ersten Blick einen Kontrast, weil sie gleich in verschiedener Hinsicht die Prämissen klassischer Rechtsvergleichung unterläuft. Die zu vergleichenden Rechtsordnungen teilen zunächst die gemeinsame Sprache – das ist bei einem Vergleich von deutschem, österreichischem und schweizerischem Recht allerdings auch der Fall, die man gleichwohl vergleicht. Sie entspringen darüber hinaus aber auch einem gemeinsamen kompetenziellen Gesamtrahmen der geltenden Verfassungsordnung, was keineswegs allein eine Formalie ist, weil über die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen zugleich Zuständigkeiten und Nicht-Zuständigkeiten über Lebensbereiche und letztlich auch materielle Zuordnungen zum Privatrecht, zum Öffentlichen Recht oder zum Strafrecht zugewiesen werden, die eine Vereinheitlichung der föderalen Teilrechtsordnungen befördern. Sicher am wichtigsten aber ist, dass alle zu vergleichenden Teilrechtsordnungen ein gemeinsames dogmatisches Fundament und einen gemeinsamen rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Resonanzraum haben, der zu erheblichen begrifflichen, dogmatischen, 3 Konstitutiv für die Rechtsvergleichung ist die Unterscheidung von Rechtskreisen, s. dazu Augenhofer, in: Krüper (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2017, §  10 Rn.  35 ff. 4  Weitergehend zu allgemeinen Zwecken der Rechtsvergleichung Kischel (Fn.  2), 49 ff., insbes. 49 f. zu (rechts)kulturellen Unterschieden. 5  Kischel (Fn.  2), 93 ff. 6  Augenhofer (Fn.  3), Rn.  17 ff.

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normstrukturellen und gesetzessystematischen Angleichungen führt. In der Perspektive der klassischen Rechtsvergleichung steht bei der intraföderalen Rechtsvergleichung gewissermaßen kaum etwas zum Vergleich. Sie begegnet also von vornherein gewissen komparatistischen Zweifeln. Erledigt hat sich das Thema damit freilich nicht, notwendig werden allerdings nicht unerhebliche Anpassungen im Verständnis von und den Erwartungen an eine intraföderale Rechtsvergleichung. Sie ist notwendigerweise kaum mehr eine funktionale Rechtsvergleichung im eigentlichen Sinne, sondern – jedenfalls in den Kernmaterien des ohnehin dominierenden Öffentlichen Rechts der Länder – eine Rechtsetzungsvergleichung bis hin zu konkreter Normsetzungsvergleichung. Sie ändert damit ihre Funktion in grundlegender Weise. Während der Anspruch der klassischen Rechtsvergleichung der eines juridisch vermittelten Problemlösungsvergleichs mit methodischem Bezug ist7, ist der Anspruch einer intraföderalen Rechtsvergleichung eher der einer komparatistischen Ergänzung einer je nach gewähltem Rechtsgebiet besonderen Rechts- und Normstrukturlehre. Das macht sie zwar vom Standpunkt der klassischen Rechtsvergleichung eher uninteressant, didaktisch indes führt diese Reduktion im Anspruch keineswegs zu einer Bedeutungsminderung.

C. Intraföderale Rechtsvergleichung in lerntheoretischer Perspektive I. Lerntheoretische Vergewisserung Lernen ist für die Zwecke dieses Beitrags zu verstehen als ein Prozess des Erkennens von Zusammenhängen. Es geht also nicht um bloß intuitiven oder emotionalen Nachvollzug, sondern um kognitive Aneignungsprozesse im Sinne von Konstruktion, Reproduktion, Applikation und Analyse im Sinne einer geistigen Leistung8 . Lernen im Sinne von Wissenserwerb kann dabei als Aufbauleistung im Sinne einer mentalen Repräsentation und als fortlaufende Modifikation von Wissensrepräsentationen verstanden werden9. Organisiert ist das Wissen dabei typischerweise in Schemata, die bestimmte Wissensbestände ordnen. Beispiele aus der Ausbildungspraxis mögen das verdeutlichen. Aus dem Polizeirecht kann etwa der Begriff „polizeiliche Generalklausel“ ein Schema sein, in dem Gefahren- und Schutzgutsdefinitionen auf Tatbestandsseite und Ermessen auf der Rechtsfolgenseite gebündelt und mental verfügbar werden. Der Begriff der „polizeilichen Generalklausel“ chiffriert die7  Zur methodischen Dimension der Rechtsvergleichung eingehend etwa Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, Rn.  381 ff. 8  Steiner, in: Krapp/Weidemann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, 5.  Aufl. 2006, 163. 9  Steiner (Fn.  8), 163.

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ses Wissen und macht es kommunikationsfähig, im Reden über „die Generalklausel“ erfährt also eine bestimmte rechtliche Konfiguration von Tatbestand und Rechtsfolge eine kommunikative Abbreviatur. Zusammen mit anderen Schemata, in diesem Zusammenhang etwa dem Schema „Ermächtigungsgrundlage“, „Vorbehalt des Gesetzes“ oder „polizeiliche Standardmaßnahme“ aus dem Polizeirecht oder auch den Begriffen und Konzepten der Handlungsformenlehre des allgemeinen Verwaltungsrechts, bildet es semantische Netzwerke, in denen das Wissen organisiert ist10 . Die Schematisierung und die ihr zugrundeliegende Verdichtung hilft beim Erwerb neuen Wissens, weil das Arbeitsgedächtnis entlastet und in die Lage versetzt wird, an die vorhandenen Wissensrepräsentationen neues Wissen anzuknüpfen, ohne zugleich die ganze inhaltliche Komplexität des schematisierten Wissensbestandes präsent halten zu müssen11. Die Schematisierung des Wissens dient damit der kognitiven Komplexitätsreduktion und der ökonomischen Entwicklung neuer Wissensbestände. Welcher Art dieses Wissen ist, wie es strukturiert ist und appliziert wird, ist dabei von Disziplin zu Disziplin unterschiedlich. Charakteristisch für juristisches Wissen ist, dass es zwar nicht in sich, also in der Form der mentalen Repräsentation, aber seinem Gegenstand nach normatives Wissen ist, eben weil es normative Aussagen des Rechts kognitiv repräsentiert. Alternative Normativitäten sind danach nicht nur vom Standpunkt eines selbstgenügsamen Rechtspositivismus aus, sondern auch aus didaktischer Perspektive eine erhebliche Irritation. Die Pluralität normativer Ordnungen ist nicht nur rechtswissenschaftlich, sondern auch lerntheoretisch eine echte Herausforderung. II. Lernen durch Irritation Der Lernvorgang lässt sich aber auch noch anders beschreiben bzw. anders akzentuieren. Lernen kann nämlich verstanden werden als die Irritation vorhandener Wissensbestände und deren Anpassung aufgrund der erfolgten Irritation. Irritation verlangt insofern etwas Neues und Fremdes, das erwartbare, „bekannte“ Neuheit oder eine substantiell neuartige, befremdende Erfahrung sein kann12 . Übertragen auf den vorliegenden Zusammenhang zeigt sich dabei schnell, dass in einem hochgradig systematisierten kognitiven System wie dem Recht, zumal wenn es wie das Öffentliche in qualifizierter Weise dem Vorrang der Verfassung unterliegt, für echte befremdliche Neuheit wenig Platz ist. Der 10  Wentura/Frings, Kognitive Psychologie, 2013, 31 ff.; Anderson, Kognitive Psychologie, 6.  Aufl. 2007, 185 ff.; s. auch Helbig, Wissenserwerb und die Semantik der natürlichen Sprache, 2.  Aufl. 2008. 11  Wentura/Frings (Fn.  10), 135 ff. zur Wissensrepräsentation durch Schemata; s. auch Anderson (Fn.  9), 186 f. 12  Schäffter, Irritation als Lernanlass, abrufbar unter: https://www.erziehungswissen schaften.hu-berlin.de/de/ebwb/team/ehemalige-mitarbeiterinnen/schaeffter/downloads/ III_34_Irritation_als_Lernanlass_Endv.pdf.

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Irritationsgrad einer intraföderalen Rechtsvergleichung sollte daher nicht überschätzt werden, sieht man einmal von Arabesken wie dem unbegrenzten Gefährdergewahrsam ab, wie ihn etwa der Freistaat Bayern ins Werk gesetzt hat13. Für die Frage nach dem Zweck intraföderaler Rechtsvergleichung gibt diese gewissermaßen irritationstheoretische Lesart des Lernvorgangs bereits einen ersten Hinweis, nämlich den auf eine curriculare Verortung. Dort, wo etwas irritiert werden soll, hier also kognitive Repräsentationen von bundesstaatlichem Recht, muss etwas vorhanden sein, das irritiert werden kann. Das legt nahe, intraföderale Rechtsvergleichung jedenfalls dann nicht integral in der grundständigen Lehre zu verankern, wenn man an den gegenwärtigen Curriculumsstrukturen im Öffentlichen Recht festhalten will. Das führt zur sachgegenständlichen Perspektive.

D. Intraföderale Rechtsvergleichung in sachgegenständlicher Perspektive I. Anwendungsfelder intraföderaler Rechtsvergleichung Das Hauptanwendungsfeld der didaktisch motivierten intraföderalen Rechtsvergleichung dürfte erkennbar im Öffentlichen Recht liegen. Dies hat vorrangig kompetenzielle Gründe, weil das „Bürgerliche Recht“ ebenso wie das „Strafrecht“, die „Gerichtsverfassung“ und das „gerichtliche Verfahren“ nach Art.  74 Abs.  1 Nr.  1 GG dem Bund als konkurrierende Gesetzgebungsmaterien zugewiesen sind. Mit dem Vereinsrecht, Art.  74 Abs.  1 Nr.  3 GG, dem Arbeitsrecht und der Betriebsverfassung, Art.  74 Abs.  1 Nr.  12 GG, sowie dem Kartell- und Wettbewerbsrecht, Art.  74 Abs.  1 Nr.  16 GG, sind weitere wichtige und (jedenfalls zum Teil) ausbildungsrelevante Materien ebenfalls in der konkurrierenden Bundeskompetenz. Außerdem weist Art.  73 GG dem Bund sogar die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über den gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht, Abs.  1 Nr.  9, zu, womit den Ländern in diesen Bereichen nur schmale und jedenfalls kaum ausbildungsrelevante Materien des Zivilrechts zur eigenen Rechtsetzung verbleiben. Wiewohl auch im Bereich des Öffentlichen Rechts eine nach wie vor starke Neigung zu bundeseinheitlichen Regelungen besteht, bleiben doch zentrale Rechtsbereiche traditionell in der Hand der Länder, die zudem noch die Kompetenz zum Vollzug des Bundesrechts haben. Hier soll die Frage nach der intraföderalen Rechtsvergleichung nicht im Hinblick auf einzelne Rechtsinstitute, sondern eher gesamthaft in den Blick genommen werden. Intraföderale Vergleichung des Öffentlichen Rechts kann dabei 13 

S. dazu etwa Kuch DVBl.  2018, 343 ff.

Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive

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offenkundig eine Verfassungs- und Verwaltungsrechtsvergleichung sowie eine Mehrebenenvergleichung sein, die das Unionsrecht mit einbezieht. Während im internationalen Vergleich aufgrund des Rechtskreis-, Kulturund Sprachunterschieds das Auffinden und das Beschreiben des zu vergleichenden Problems eine besondere methodische Herausforderung bildet, liegt es bei der intraföderalen Rechtsvergleichung eher anders. Aufgrund der Rechtskreisgleichheit der Materien, des Vorrangs der Verfassung, der Pfadabhängigkeit verwaltungsrechtlicher Normen – Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht14 ­–, und aufgrund wirkmächtiger Rechtsangleichungsprozesse durch Rechtsprechung und Musterentwürfe von zentralen Verwaltungsrechtskodifikationen, ist die Beschreibung des je im Fokus stehenden Problems und das Auffinden der einschlägigen Normen nicht das zentrale Problem. Eher wird es einer intraföderalen Rechtsvergleichung darum gehen müssen, das vergleichende Mikroskop so scharf zu stellen, dass trotz gleichem oder ähnlichem Normbestand Unterschiede erkennbar werden. Insofern mag der ohnehin hohe Stellenwert der Rechtsprechung und der Behördenpraxis für eine funktionale Rechtsvergleichung in intraföderaler Perspektive noch zunehmen. Vor allem aber lenken diese Vorbedingungen den Blick tendenziell weg von der Analyse und Beschreibung des jeweiligen sozialen Problems und seiner Lösung hin zu den Techniken und Mechanismen der Lösung selbst. Aus der Rechtsvergleichung als einer auch soziologischen Analysedisziplin wird unter den Vorzeichen der föderalen Ordnung des Grundgesetzes in ihrer verfassungsrechtlichen und politischen Bedingtheit ein Unternehmen der dogmatischen Feinanalyse. Es geht also im Sinne der etablierten Rechtsvergleichungsmethodik vorrangig um Mikrorechtsvergleichung bis hinunter zum konkreten Normstrukturvergleich. Von besonderem Interesse mögen dabei Materien sein, die über interföderale Koordinationsmaßnahmen wie Musterentwürfe oder Staatsverträge jedenfalls rechtspolitisch einem erhöhten Angleichungsdruck unterliegen. Rechtspolitisch sind aktuell etwa die Konkretisierung, der Vollzug und der Rechtsschutz im Bereich des Glücksspielrechts von hoher Anschaulichkeit und grundrechtlicher Relevanz. Mit den Glücksspielstaatsverträgen von 2008 und 2012 haben sich die Länder einem politisch eindringlich formulierten Vereinheitlichungsregime im Bereich der Glücksspielregulierung unterworfen, dessen Umsetzung auf gesetzlicher, exekutiver und judikativer Ebene erhebliche Schwankungen aufweist15. Rechtsvergleichung in diesem Bereich kann insofern auch ein Bewusstsein für die Differenz von law in the books und law in action schaffen, die auch didaktisch wertvoll sein kann.

14 

15 

Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd.  1, 3.  Aufl. 1924, dort im Vorwort. S. etwa Uwer/Koch LKV 2018, 433 ff.; Krüper ZfWG 2018, 81 f.

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Ähnliches gilt, wenn auch unter etwas anderen rechtsmethodischen Vorzeichen, für das Landesverfassungsrecht. Dass es zwischen föderalen Teilrechtsordnungen, im Schul-, Kommunal- oder auch im Umweltrecht, durchaus zu größeren Abweichungen kommen mag, ist dabei nicht in Abrede gestellt. Grundlegende Systemdifferenzen werden sich aber auch hier eher in Grenzen halten. Was kann nun Gegenstand einer solchen intraföderalen Rechtsvergleichung sein? II. Gegenstände intraföderaler Rechtsvergleichung

1. Verfassungsrechtsvergleichung einschließlich des Unionsrechts Im Bereich des Verfassungsrechts kann man intraföderale Rechtsvergleichung als Vergleichung des formellen und des materiellen Verfassungsrechts betreiben. Curricular mag das seinen Ort in eigenen Rechtsvergleichungsveranstaltungen („Landesverfassungsrechtsordnungen in vergleichender Perspektive“) haben, aber auch im Pflichtfach, etwa als Vertiefung des bundesverfassungsrechtlichen Homogenitätsprinzips als Teil der Veranstaltungen zum Organisationsverfassungsrecht. Formelle Verfassungsrechtsvergleichung wird dabei verfassungsrechtlich unterschiedliche Strukturen der Polity in den Blick nehmen und insofern Berührungspunkte zu vergleichender Regierungslehre in der Politikwissenschaft haben. Angesichts doch weitgehend parallelisierter Verfassungsorganstrukturen in den Ländern mag die Ausbeute hier, vor allem nach Abschaffung des bayerischen Senats, gering sein. Eine Ausnahme bildet der Bereich „plebiszitäre Demokratie“, der in den Ländern deutlich größere Bedeutung hat als im Bund und durch eine durchaus variantenreiche Rechtsprechung der zuständigen Landesverfassungsgerichte unterschiedlich gelebt wird16 . Formelle Verfassungsrechtsvergleichung kann selbstverständlich auch ebenenübergreifend stattfinden. Trotz der offensichtlichen Parallelen und Differenzen der politischen Institutionen auf Ebene der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union, die etwa eine Querschnittsvorlesung zur Organisationsverfassung der Politik nahelegen würden, sind die ausbildungspraktischen Ansätze in diese Richtung, soweit ersichtlich, spärlich. Indes wurde jüngst durch Gernot Sydow und Fabian Wittreck ein Lehrbuch „Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht I“ vorgelegt, das sich diesem Anliegen verschreibt17. Aufgrund der hohen Bedeutung, die die Absicherung von Vorlesungen durch Lehrbuchliteratur in der deutschen juristischen Ausbildungstradition hat, darf

16  S. etwa Klatt Der Staat 50 (2011), 3 ff. zur Frage nach der Zulässigkeit finanzwirksamer Plebiszite. 17  Sydow/Wittreck, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht I, 2019.

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man hoffen, dass damit ein über die Fakultät der Autoren hinausgehender Impuls gesetzt ist. Ein die Eigenheiten des deutschen Föderalismus besonders zutage bringender Vergleich mag schließlich eine Betrachtung der in den Landesverfassungen niedergelegten Verfassungsziele bringen18 . Sie können über unterschiedliche Staatsverständnisse, politische und soziale Pfadabhängigkeiten und kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern Auskunft geben19. Dies gilt besonders, wenn man diachron die Landesverfassungen der alten mit denen der neuen Bundesländer vergleicht. Peter Häberle hat beispielsweise mit dem Vergleich von Erziehungszielen im Landesrecht Pionierarbeit geleistet 20 . Im materiellen Verfassungsrecht mag eine Wahlrechtsvergleichung weiterführend sein, sowohl was das Landtags- als auch das Kommunalwahlrecht betrifft. Hier sind die Unterschiede nicht nur im Detail zum Teil erheblich, denkt man an die dem Bundestagswahlrecht mehr oder weniger nachgebildeten Landtags- und Kommunalwahlrechtsordnungen einerseits und die hochkomplexen Systeme eines Mehrstimmenwahlrechts einschließlich der Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens, wie sie sich etwa in Süddeutschland finden, andererseits. Hier läge ein besonderer Reiz darin, hinter der hohen Technizität der Wahlrechtsnormen gemeinsame und unterschiedliche Vorstellungen von demokratischer Teilhabe und staatlicher Organisation durch Wahlen zu analysieren, auch und gerade in historischer Perspektive. Pflichtfachstoff ist das freilich nicht, sondern gegebenenfalls in Schwerpunktbereichsveranstaltungen zu verorten. Die Beispiele zeigen also, dass die Frage nach dem „Ob“ einer intraföderalen Rechtsvergleichung nicht vorrangig die nach der sachgegenständlichen Sinnhaftigkeit, sondern nach der Möglichkeit der curricularen Verortung ist. Die genannten Themen stellen sich ausnahmslos als Erweiterung und Vertiefung des etablierten Curriculumkatalogs dar, der nach allgemeiner Wahrnehmung nicht an einer Unterversorgung, sondern an einer Überfrachtung leidet. Das lenkt bereits den Blick auf die Verwaltungsrechtsvergleichung. 2. Verwaltungsrechtsvergleichung Denn mehr noch als im Verfassungsrecht ist die Frage nach dem didaktischen Mehrwert der intraföderalen Rechtsvergleichung im Verwaltungsrecht auf das Engste mit den herrschenden curricularen Strukturen verknüpft. Daher soll dieser Aspekt hier deswegen im folgenden Punkt E. aufgehen, der sich sachge18 

Diesen Hinweis verdanke ich der Kollegin Eva Julia Lohse. Lohse, Verwaltungsrechtliche Steuerung von schulischem Bildungserwerb, 2015,

19 Dazu

49 ff. 20 Früh schon Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981.

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genständlich allein mit einer intraföderalen Verwaltungsrechtsvergleichung beschäftigt.

E. Intraföderale Rechtsvergleichung im curricularen Kontext Die Frage nach der intraföderalen Rechtsvergleichung aus didaktischer Per­ spektive zu stellen, bedeutet nicht allein, sie aus der Sache heraus zu betrachten und Anwendungsbeispiele in den Blick zu nehmen. Es bedeutet vor allem auch, den Kontext in den Blick zu nehmen, in dem eine solche Rechtsvergleichung realisiert werden kann, soll oder muss. Der curriculare Kontext ist dabei ein zweigliedriger: Einmal müssen die curricularen Ziele in den Blick genommen werden, sodann aber auch die bestehende curriculare Struktur insgesamt. Der Curriculumsbegriff bündelt insofern die vorangehenden Überlegungen und ergänzt sie um eine stärker institutionelle Dimension. I. Curriculare Ziele Die Frage nach den curricularen Zielen zu stellen, bedeutet nicht weniger, als nach den Zielen der universitären Juristenausbildung schlechthin zu fragen. Jenseits tradierter Formelkompromisse – „Befähigung zum Richteramt“, „wissenschaftliche Juristenausbildung“21 – besteht über diese Ziele alles andere als Einigkeit. Die 2017 durch den inspirationslosen KOA-Bericht der Justizministerkonferenz angestoßene Diskussion legt davon beredtes Zeugnis ab22 . Es ist insofern auch kein Zufall, dass etwa §  1 JAG NRW gar nicht erst den Versuch unternimmt, zu definieren, was die Befähigung zum Richteramt bzw. zum höheren Verwaltungsdienst sein soll, sondern ihr Vorliegen durch das Bestehen der beiden Staatsprüfungen indiziert sieht. Gleichwohl scheint deutlich, dass jenseits des legislatorischen Ziels des zum Richteramt befähigten Volljuristen eine Art Leitbild des Idealjuristen liegt: Ein versatiler Rechtsingenieur, universell einsetzbar, dogmatisch sattelfest und mit der Befähigung zum Richteramt der gut geölten Fall-Lösung23. Die Primärerwartung an diesen Typus von Idealjuristen ist es, eine Stabilisierung des Rechtssystems zu leisten und also die Erwartungen der Bürger an die Normativität des Rechts zu sichern. Die normative Logik, die hinter diesem Leitbild liegt, ist die der eingangs bemühten ‚geltungsegoistischen‘ Norm, die Teil eines Rechtssys-

21 

S. dazu Pernice-Warnke NWVBl.  2014, 449 ff. S. aber die Beiträge von Jäger, Lorenz, Michael, Brockmann/Schmidt ZDRW 2017, 66 ff., 73 ff., 77 ff., 83 ff. 23 Dazu eingehender Krüper, in: Brockmann/Pilniok, Studieneingangsphase in der Rechtswissenschaft, 2014, 274 ff. 22 

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tems ist, das als praktische Ordnung ein System zur Vermittlung rechtlicher und sozialer Sicherheit sein soll. Das bedeutet nicht, dass die in diesem System Handelnden keine Vorstellungen von den Grenzen des Rechts und seiner Steuerungsfähigkeit haben, dass ihnen die Kontingenz staatlicher Normsetzung nicht bewusst und sie nicht auch mit Zweifelsfällen des Rechts konfrontiert wären. In der Tendenz spielen diese Aspekte aber nur eine untergeordnete Rolle, sie werden in der Praxis aus Funktionserhaltungsgründen vielmehr systematisch marginalisiert 24. Das Rechts­ system als ein System normativer Unsicherheit, als Ordnung von Ambivalenz und Kontingenz zu erfahren, ist dabei nur insoweit eingepreist, wie ein mehr oder minder internalisierter Methodenbestand die Irritation durch die Hintertür der richterlichen Entscheidung des Hauses des Rechts verweisen kann. In der gerichtlichen Entscheidung verschwindet diese Ambivalenz dann gnädig hinter der Differenz von Herstellung und Darstellung der richterlichen Entscheidung25. Im unmittelbaren Ansatz unterläuft Rechtsvergleichung diese Tendenz: Sie reichert Komplexität an, sie verunsichert und liefert alternative Normativität, jedenfalls aber alternative Systematizität und tritt damit dem Geltungsegoismus der Rechtsnorm entgegen. Dass eine Auseinandersetzung mit ihren Ergebnissen am Ende durchaus wieder Sicherheit und Orientierung stiften kann, allerdings keineswegs muss, ist transitorisch nur um den Preis der Verunsicherung zu haben. Die in diesem Sinne sekundäre normative Beruhigung folgt der primären normativen Irritation also nach. Das ist in Kauf zu nehmen und gegen etwaige Nachteile abzuwägen, auch und gerade in der juristischen Ausbildung. Es stellt sich insofern die Frage, die sich bei Grundlagenfächern des Rechts generell stellt: Ist die curricular verankerte Irritation, die vergleichende Relativierung, die soziologische Verunsicherung, die historische Ernüchterung und die ökonomische Aufklärung über das geltende Recht gewollt und wichtig – oder nicht? Der Wissenschaftsrat hat 2012 solche gezielten Irritationen durch stärkere Orientierung an den Grundlagen vehement gefordert 26 , Wirklichkeit in der universitären Fläche ist sie aber nach wie vor und auf absehbare Zeit noch nicht, die Diskussion darum erhält aber durch die aktuelle Forderung nach der gezielten Berücksichtigung von NS- und DDR-Unrecht in der Juristenausbildung wieder neue Nahrung27. Es ist insofern wohl auch kein Zufall, dass Uwe Kischel die Funktion der Rechtsvergleichung in der Lehre unter dem Begriff der 24 

Krüper, in: ders. (Hrsg.), Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2017, §  14 Rn.  27 ff. Darauf zielt die Differenz von Herstellung und Darstellung juristischer, insbes. richterlicher Entscheidungen, s. etwa v. Schlieffen, in: Gabriel/Gröschner (Hrsg.), Sub­sum­tion, 2012, 379 ff. 26  Wissenschaftsrat, Perspektiven der Rechtswissenschaft in Deutschland, 2012, 56 ff., abrufbar unter https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2558-12.pdf. 27  S. etwa Funke NJW 2018, 1930 ff. 25 

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„Rechtsbildung“ erörtert 28 . Nimmt man indes zeitgenössische Studien- und Hochschulreformdebatten in den Blick, wird man es kaum als Übertreibung ansehen dürfen, im Begriff der Bildung, hier also der Rechtsbildung, den prononcierten Gegenbegriff zur alles dominierenden Kompetenzorientierung zu sehen 29. Welche Bedeutung dies für den Sinn oder Unsinn einer intraföderalen Rechtsvergleichung hat, erschließt sich indes nur, wenn man zugleich auch die curriculare Struktur der Ausbildung in den Blick nimmt. II. Curriculare Sachstruktur Aus sachlichen Gründen soll es hier nur um die Struktur des verwaltungsrechtlichen Curriculums gehen 30 , wie es durch die Juristenausbildungsgesetze der Länder überwiegend geformt wird. Zunächst zu dessen status quo.

1. Status quo des Verwaltungsrechtscurriculums Nimmt man, schon in intraföderaler Vergleichsperspektive, das Verwaltungsrechtscurriculum in den Blick, so zeigt sich, mit Abweichungen im Detail, der Vierschritt aus Allgemeinem Verwaltungsrecht, Polizeirecht, Baurecht und Kommunalrecht. Man kann diese Grundstruktur ohne weiteres didaktisch plausibilisieren, deswegen hält sie sich seit Jahrzehnten unverändert. Das „Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee“31 ist dabei das Fundament, auf dem die Verwaltungsrechtsordnung aufbaut. Jenseits aller verwaltungsorganisationsrechtlichen Differenzen zwischen den Bundesländern besteht im Allgemeinen Verwaltungsrecht materiell-rechtlich doch allergrößte Ähnlichkeit zwischen den jeweiligen Landesrechtsordnungen einerseits sowie den Landesrechten und dem Bundesrecht. Das Allgemeine Verwaltungsrecht ist der Schlüssel, mit dem sich die Materien des Besonderen Verwaltungsrechts des Bundes wie der Länder öffnen. Es ist offensichtlich unverzichtbar in Praxis und in der ­Lehre, nicht nur, weil es Verwaltungshandeln erst ermöglicht und strukturiert, sondern weil es dieses Handeln rechtsstaatlich bindet und flankiert. Ob das für die klassischen Materien des Besonderen Verwaltungsrechts allerdings in gleicher Weise gilt, ist so klar nicht. Indes folgt die etablierte curriculare Struktur im Besonderen Verwaltungsrecht einer Logik des exemplarischen Lernens an typischen Materien.

28 

Kischel (Fn.  2), 54 ff. S. etwa Dörpinghaus, Zu einer Didaktik der Verzögerung, in: Schlüter (Hrsg.), Aktuelles und Querliegendes zu Didaktik und Curriculumsentwicklung, 2003, 24 ff. 30  S. dazu etwa Franzius ZDRW 2015, 93 ff.; Krüper, Strukturfragen eines Verwaltungsrechtscurriculums, in: Dekan der Juristischen Fakultät der HHU Düsseldorf (Hrsg.), Wissenschaftsrecht und Wissenschaftspraxis, 2013, 195 ff. 31  Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2.  Aufl. 2006. 29 

Intraföderale Rechtsvergleichung in didaktisch-curricularer Perspektive

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Exemplarisch ist am Polizeirecht seine Reinrassigkeit als Eingriffsverwaltungsrecht. An ihm – und seinen gewöhnlich gut überschaubaren Fällen – lassen sich die Grundfragen eines rechtsstaatlich gebundenen Verwaltungsrechts anschaulich erörtern; auch verwaltungsrechtsgeschichtlich ist es von Rang, weil der Wandel der Staatsaufgaben von der „guten Polizey“ des absolutistischen Obrigkeitsstaats zur Gefahrenabwehrbehörde des demokratischen Verfassungsstaats hier greifbar wird. Exemplarisch im eigentlichen Sinne ist auch das Kommunalrecht, das nicht zuletzt aufgrund seiner historischen Bedeutung in Deutschland schon zu vorverfassungsstaatlichen Zeiten bis heute im Curriculum steht. Ob das Kommunalrecht als geltend-rechtliche Materie allerdings wirklich einen zwingenden Platz im Curriculum haben muss, ist so klar nicht. Womöglich wäre es besser aufgehoben in einer ebenenübergreifenden Veranstaltung zum Organisationsverfassungsrecht, in der es als besonderes Organisationsrecht der Kommunen einen eigenen, indes knapper bemessenen Platz haben könnte. Bleibt schließlich das Baurecht, dessen curriculare Verankerung man verstehen muss als Ausdruck eines Gegenbildlichkeitsprinzips: Determinierte Eingriffsverwaltungsrechtsnormen hüben im Polizeirecht, offene Planungsnormen drüben im Baurecht. Im Zusammenklang mit dem Polizeirecht demonstriert das Baurecht exemplarisch die typologische Varianz des rechtlich gesteuerten Verwaltungshandelns. Die eminent gestaltende Kraft der Verwaltung, die durch die Begriffe der Exekutive bzw. der vollziehenden Gewalt mehr verschleiert als hervorgekehrt wird, kann hier deutlich gemacht werden. Für eine echte intraföderale Rechtsvergleichung bedeutet dieser status quo folgendes: Anerkennt man die erheblichen Angleichungstendenzen zwischen den Landesrechtsordnungen, so hat unter den aktuellen curricularen Voraussetzungen eine echte, intensiv betriebene intraföderale Rechtsvergleichung wenig Sinn. Denn die Diskriminierungskraft ihrer Ergebnisse wäre auch dann mäßig, wenn man sich von anspruchsvollen Zielen einer funktionalen Rechtsvergleichung weitgehend verabschieden würde und sich mehr auf eine kleinteilige Normstrukturvergleichung verlegte. Lerntheoretisch gewendet würden also die durch die Vergleichung erzeugten Irritationen mutmaßlich so gering ausfallen, dass nicht zuletzt unter zeitlichen Gründen die didaktische Sinnhaftigkeit einer solchen Rechtsvergleichung in Frage stünde. Anders mag das allerdings aussehen, nimmt man das Curriculum aus einer Reformperspektive in den Blick.

2. Reformperspektiven des Verwaltungsrechtscurriculums Schaut man auf die Ordnungsprinzipien des rechtswissenschaftlichen Curriculums insgesamt und auf die des Verwaltungsrechts im Speziellen, so zeigt sich folgendes: Die Curriculumsstruktur ist von einem materiellen Geschlossenheits- und Vollständigkeitsparadigma bestimmt. Es wird in Teilfächern gedacht

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und nicht in verbindenden Strukturen zwischen diesen Fächern. Die curriculare Ordnungsstruktur ist also vertikal orientiert und grenzt juristische Teilfächer nach Kodifikationen, nicht aber nach realen Handlungslagen ab. Deswegen heißt die Vorlesung Polizeirecht, nicht „Strukturen des Eingriffsverwaltungsrechts“, die Vorlesung heißt Baurecht und nicht „Handlungsformen der planenden und gestaltenden Verwaltung“, und im Wirtschaftsverwaltungsrecht werden vielerorts eben nicht rechtsgebietsübergreifend „Formen und Strukturen staatlicher Wirtschaftsregulierung“ erörtert, von fachsäulenübergreifenden Ansätzen eines „privaten und öffentlichen Wirtschaftsrechts“ ganz zu schweigen. Wollte man, auch im Sinne einer höheren Rechtswirklichkeitsnähe des verwaltungsrechtlichen Curriculums, dessen Ordnung von einer vertikalen Teilfachordnung auf eine horizontale Sachbereichsordnung umstellen, kommt das Vergleichende gleichsam automatisch. Denn wenn man etwa die Eingriffsermächtigungen des klassischen Polizeirechts neben die des Nachrichtendienstrechts legt, zeigen sich bereits erhebliche Unterschiede, funktionaler und qualitativer Art. Nimmt man dann noch – durchaus im Sinne der funktionalen Rechtsvergleichung – behördliche und gerichtliche Praxis als Vergleichsmaterien hinzu, entsteht ein wirklichkeitsnahes und differenziertes Bild von Strukturen eines rechtlich geordneten Gesamtbereichs. In einem solchermaßen strukturierten Curriculum, das seiner Anlage nach durch den Vergleich Erkenntnisse schafft und das normative Abbild eines rechtlich geordneten Lebensbereichs entstehen lässt, hätte eine intraföderale Rechtsvergleichung einen natürlichen Platz. Setzt man diesen Gedanken fort, kann aus den verschiedenen Achsen des Vergleichs eine Matrix entstehen, die das Curriculum formt. Neben die sachgegenständliche Vergleichsperspektive – also etwa Polizeirecht und Nachrichtendienstrecht – könnte die diachrone Rechtsvergleichung treten, die die Entwicklung des jeweiligen Normbestandes in den Blick nimmt, und schließlich könnte durch die intraföderale Rechtsvergleichung eine Ausdifferenzierung des regulativen Bildes im Detail erfolgen.

F. Ausblick Die Curriculumsstrukturfrage ist von der Curriculumszielfrage nicht zu trennen. Studierende, die ein vertikal strukturiertes Curriculum durchlaufen haben, mögen sich in der Systematik einer einzelnen Kodifikation weniger gut zurechtfinden als Studierende, die im klassischen Zugriff die „vier Säulen des Verwaltungsrechts“ bearbeitet und erlernt haben. Auch Prüfungsformate würden sich dem anpassen müssen. Verabschiedet man sich indes von der Fiktion, das Curriculum in seiner gegenwärtigen Form bereite auf eine spezifische praktische Berufstätigkeit vor, als Polizeipräsidentin, als Bauamtsleiter oder als Oberbürgermeisterin, mag der Verlust verschmerzbar sein, den eine Umstel-

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lung von vertikaler Curriculumsstruktur auf horizontale mit sich bringt. In der institutionalisierten Irritation, die die Vergleichsperspektive eines horizontal strukturierten Curriculums darstellen würde, hätte eine intraföderale Rechtsvergleichung jedenfalls einen angestammten Platz.

Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung Michael Fehling A. Einführung Mein Thema betrifft eine besondere Art von Rechtsvergleichung (wenn man diesen Begriff hier überhaupt verwenden will). Es geht nicht um unterschiedliche Rechtsordnungen im engeren Sinne (international oder intraföderal1), sondern um einen Vergleich zwischen den drei Fachsäulen – oder anders ausgedrückt: den drei Teilrechtsordnungen – innerhalb des eigenen (deutschen) Rechts. Durch Herausarbeitung von Unterschieden, vor allem aber von Gemeinsamkeiten in bestimmten Grundstrukturen von Öffentlichem Recht, Privatrecht und Strafrecht hofft man, das Rechtssystem als Ganzes wie auch in seinen Ausdifferenzierungen besser zu verstehen und in der Lehre besser verständlich zu machen. Diese Hoffnung auf einen didaktischen Mehrwert intradisziplinärer Rechtsvergleichung fußt auf verschiedenen Überlegungen und Prämissen, die es kritisch zu hinterfragen gilt. Dazu soll in einem ersten Schritt meine Vorstellung von intradisziplinärer Rechtsvergleichung näher erläutert, ausdifferenziert und mit Beispielen belegt werden (B.). Sodann sind in einem zweiten Schritt und Hauptteil zuerst die wissenschaftlichen und dann die didaktischen Ziele dieser Art von Vergleichung zu benennen. Dabei geht es besonders um Möglichkeiten und Grenzen der Systembildung in der Lehre und in der Ausbildungsliteratur. Im Hintergrund spielen hier nicht zuletzt wissenschaftliche Grundvorstellungen über das Verhältnis der drei Teilrechtsordnungen zueinander eine prägende Rolle (C.). Auf dieser Basis lassen sich in einem dritten und letzten Schritt bestimmte Gelingensbedingungen für solche atypische Rechtsvergleichung identifizieren. Dies mündet in ein differenziertes – man könnte aber auch sagen: ein Stück weit desillusioniertes – Ergebnis zu Art und Umfang des didaktischen Nutzens intradisziplinärer Vergleichung (D.).

1  Zur Vergleichung des Rechts der verschiedenen Bundesländer im (deutschen) Bundesstaat als besondere, nämlich intraföderale, Form der Rechtsvergleichung siehe Krüper, in diesem Band, S.  183 ff.

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B. Pragmatischer Zugang und weites Verständnis von intradisziplinärer Rechtsvergleichung Wie schon erwähnt bezieht sich intradisziplinäre Rechtsvergleichung zuvörderst auf die drei Fachsäulen Öffentliches Recht, Privatrecht und Strafrecht2 . Ausgeblendet bleibt damit der Vergleich zwischen bloßen Teilrechtsgebieten innerhalb einer einzelnen Fachsäule. Im Forschungsdiskurs wurde Intradisziplinarität gelegentlich gegen Interdisziplinarität in Stellung gebracht. Dabei klingt teilweise eine gewisse Skepsis gegenüber einer Öffnung der Rechtswissenschaft zu benachbarten Disziplinen an, weil damit das Risiko des Methodensynkretismus einhergehe. Demgegenüber biete ein intradisziplinärer Blickwinkel den Vorteil, sich bei gleichzeitiger Perspektivenerweiterung des Selbststandes, der Eigenrationalität der Rechtswissenschaften vergewissern zu können 3. Diese Polarisierung überzeugt indes nicht. Rechtswissenschaftler können und sollten die unterschiedlichsten Zugänge zum Recht nutzen, weil in einer Pluralität der Ansätze und Blickwinkel Innovation am besten gedeiht. In der Lehre führt die Zeitknappheit allerdings dazu, dass Ansätze tendenziell umso bessere Resonanz versprechen, je mehr sie aus studentischer Perspektive zum Verständnis speziell des Prüfungsstoffes beitragen. Dies kann, rein pragmatisch betrachtet, ein intradisziplinärer Blickwinkel didaktisch wohl eher leisten als prononcierte Interdisziplinarität4. Um den didaktischen Nutzen zu erhöhen, empfiehlt sich ein weites Verständnis intradisziplinärer Vergleichung. Dabei lassen sich vier verschiedene, allerdings eng verwandte „Spielarten“ unterscheiden.

2  Zum auch didaktisch-methodischen Wert rechtsgebietsvergleichender Betrachtung von Gesetzes- und Normstrukturen siehe Michael, in: Schilcher/Koller/Funk (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, 267 ff. 3  Ein Stück weit in diese Richtung mit einem Plädoyer für an den Grundlagenfächern anknüpfende Intradisziplinarität im Gegensatz zur US-amerikanischen Interdisziplinarität Lepsius, in: Schulze-Fielitz (Hrsg.), Staatsrechtslehre als Wissenschaft, Die Verwaltung, Beiheft 7, 319, 361 ff., insb. 364; vgl. Jestaedt, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, 185, 189, 192 ff. 4 Mit dieser bloßen Beschreibung des „typischen“ studentischen Erwartungshorizonts soll der Nutzen einer dosierten Einbeziehung von Nachbarwissenschaften auch im Studium keineswegs bestritten werden; dazu die Beiträge in Hoffmann-Riem (Hrsg.), Sozialwissenschaften im öffentlichen Recht, 1981. Dies leistete früher ein Stück weit (jedenfalls in Hamburg) die leider eingestellte einstufige Juristenausbildung, dazu etwa Hoffmann-Riem, Zum Stand der reformierten Juristenausbildung, Recht und Politik 1978, 127 ff.

Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung

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I. Vergleichender Blick auf Grundstrukturen in den drei Fachsäulen/ Teilrechtsgebieten Am grundsätzlichsten geht intradisziplinäre Rechtsvergleichung vor, wenn sie ohne Beschränkung auf spezifische Themenfelder Grundstrukturen vergleichend in den Blick nimmt. Auf Initiative meines Strafrechtskollegen Thomas Rönnau und zusammen auch mit Florian Faust aus dem Privatrecht hatten wir dazu zu dritt vor einigen Jahren in der JuS drei mit „Durchblick“ betitelte Beiträge publiziert, in denen jeweils eine Grundsatzfrage aus dem Blickwinkel aller drei Teilrechtsordnungen und mit einem vergleichenden Fazit beleuchtet wurde. Den Anfang machte „Kausalität und objektive Zurechnung“5 , gefolgt von „Der Irrtum und seine Folgen“6 und schließlich „Grund und Grenzen des Eigentums- und Vermögensschutzes“ 7. Weitere Folgen haben wir nicht mehr verfasst – zum einen aus Gründen zeitlicher Überlastung, zum anderen aber auch deswegen, weil es schwieriger wurde, ausbildungsrelevante Themen zu finden, die für alle drei Fachsäulen gleichermaßen von Interesse sind. Bei einer Beschränkung des Vergleichs auf nur zwei Teilrechtsordnungen wäre dies leichter möglich. In Betracht gezogen hatten wir etwa das Thema „Willenserklärungen und deren Auslegung“. II. Fachsäulenübergreifende Sachgebiete Enge Verwandtschaft besteht zur Beschäftigung mit Sachgebieten, die nebeneinander öffentlich-rechtliche und privatrechtliche (seltener: strafrechtliche) Anteile aufweisen. Das Paradebeispiel ist hier der Nachbarschutz zwischen öffentlichem (Bau-)Recht und privatrechtlichem Nachbarrecht (insb. §§  906, 1004 BGB) 8 . Zu denken ist ferner etwa an Möglichkeiten und Grenzen der Wettbewerbsteilnahme öffentlicher Unternehmen zwischen (kommunalem) öffentlichem Wirtschaftsrecht und Wettbewerbsrecht sowie Gesellschaftsrecht9. Insoweit steht weniger der Vergleich im engeren Sinne im Vordergrund als die Frage, welchen Beitrag die involvierten Teilrechtsordnungen mit ihrer Eigenrationalität zur Bewältigung spezifischer Sachprobleme zu leisten vermögen. Aus dem Schwerpunktbereich „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ lässt sich in den Netzwirtschaften das schwierige Nebeneinander, ja Konkurrenzverhältnis 5 

Rönnau/Faust/Fehling JuS 2004, 113 ff. Rönnau/Faust/Fehling JuS 2004, 667 ff. 7  Rönnau/Faust/Fehling JuS 2005, 18 ff. 8 Dazu ausbildungsbezogen Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnung- und Landesplanungsrecht, 6.  Aufl. 2015, §  27 Rn.  51 ff. 9  Dazu ausbildungsbezogen z. B. Storr, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 4.  Aufl. 2015, §  8; vertiefend etwa die Beiträge in Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2: Kommunale Wirtschaft, 3.  Aufl. 2011. 6 

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von sektorspezifischer Regulierung und funktionsähnlichen kartellrechtlichen Instrumenten nennen10 . Insoweit kann man die Betrachtung auf die noch grundsätzlichere Strukturfrage erweitern, inwieweit die wettbewerbsbezogene Regulierung von Bahn, Energiewirtschaft und Telekommunikation als Sonderkartellrecht begriffen werden sollte11. Auf der Schnittstelle von Strafrecht und öffentlichem Recht angesiedelt sind verwaltungsakzessorisch ausgestaltete Strafnormen, wie sie etwa im Umweltstrafrecht weit verbreitet sind. Mangels echten Nebeneinanders lässt sich hier allerdings von Vergleichung kaum mehr sprechen. Wohl aber kann man auch solche Koppelungen dazu nutzen, um über unterschiedliche Ziele und Systemrationalitäten der involvierten Teilrechtsordnungen zu reflektieren. III. Vergleich der Rechtswege und Rechtschutzsysteme Die intradisziplinäre Rechtsvergleichung hat auch eine prozessuale Seite, wenn nämlich verwaltungsgerichtliches und zivilgerichtliches Vorgehen gegenübergestellt werden. Zum einen geht es dabei um behördliche (und dann vor den Verwaltungsgerichten überprüfbare) versus private Rechtsdurchsetzung12 – wieder einmal ein Beispiel aus dem öffentlichen Wirtschaftsrecht. Zum anderen kann man unterschiedliche Rechtsschutzsysteme in eng verwandten Sachgebieten in ihrer Leistungsfähigkeit vergleichen. So ist z. B. der Rechtsschutz im Energiewirtschaftsrecht kartellrechtlich ausgestaltet, im Telekommunikationsrecht ist dagegen Verwaltungsrechtsschutz einschlägig, obwohl doch in beiden Fällen eng verwandte Verwaltungsmaßnahmen der Bundesnetzagentur betroffen sind13.

10  Ausbildungsbezogen angedeutet von Fehling JuS 2014, 1057, 1059; eingehend Petersen Die Verwaltung 48 (2015), 29, 31 ff.; I. Sennekamp, Der Diskurs um die Abgrenzung von Kartell- und Regulierungsrecht, 2016, 16 ff. 11  Vgl. etwa Fehling, in: Hill (Hrsg.), Die Zukunft des öffentlichen Sektors, 2006, 91, 98; Masing, Soll das Recht der Regulierungsverwaltung übergreifend geregelt werden?, Gutachten D zum 66. DJT, 2006, D 163 f.; näher Sennekamp (Fn.  10), insb. 160 ff. 12 Dazu Alexander, in: Säcker/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Grundfragen des Regulierungsrechts, 2015, 119 ff., für das Eisenbahnrecht allerdings mittlerweile überholt durch §  33 Abs.  2 S.  3 ERegG, der nun eine eigenständige zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle von (Netzzugangs-)Entgelten ausschließt. Vgl. ferner aktuell EuG, Beschluss v. 4.5.2018 – T-197/17: Mangels Rechtsgrundlage Abweisung einer Sammelklage auf Schadensersatz wegen Verschlechterung der Atemluft durch übermäßige, Grenzwerte der VO (EU) 2016/646 überschreitender Feinstaubemissionen von Fahrzeugen. 13 Dazu bereits Masing (Fn.   11), D 161 ff.; eingehend Christiansen, Optimierung des Rechtsschutzes im Telekommunikations- und Energierecht – Vereinheitlichung oder systemimmanente Reform, 2013.

Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung

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IV. Intradisziplinärer Blick auf Methodenfragen Besonders nahe liegt ein fachsäulenübergreifender Zugriff bei Fragen der juristischen Methodik, die eng mit dem Verständnis von Rechtsdogmatik verknüpft sind. Dementsprechend werden jedenfalls die klassischen Auslegungsmethoden in Lehrbüchern und teilweise auch in der Ausbildung – in einem vorgeschalteten Propädeutikum oder einer späteren Vorlesung zur Methodenlehre – oftmals abstrakt-verallgemeinernd abgehandelt. Hier liegt die Herausforderung eher in der Identifizierung von Unterschieden aufgrund der verschiedenen Eigenrationalitäten der drei Teilrechtsgebiete. So kann und muss man sich etwa fragen, ob die besondere Abstraktionshöhe des Verfassungsrechts und sein Charakter als politikleitende Rahmenordnung teilweise andere Methoden der Konkretisierung notwendig macht als „rechtstechnischer“ geprägtes einfaches Gesetzesrecht aus anderen Fachsäulen, aber auch aus dem Verwaltungsrecht14. Beim Unionsrecht, das freilich keiner einzelnen Fachsäule zuzuordnen ist (und deshalb wohl besser in die intraföderale Perspektive passt), führt nicht zuletzt die Mehrsprachigkeit zu spezifischen Methodenproblemen15. Um die Schwerpunkte dieses Beitrags nicht zu verschieben, werden die rechtsmethodischen Vergleichsaspekte im Folgenden weitgehend ausgeklammert.

C. Wissenschaftliche und didaktische Prämissen Wenn man sich von den verschiedenen Spielarten intradisziplinärer Rechtsvergleichung einen Lernerfolg bei den Studierenden verspricht, so stehen dahinter bestimmte Grundannahmen. Sie betreffen zunächst einmal das Rechtssystem und die juristische Dogmatik aus wissenschaftlicher Perspektive, damit eng verbunden aber auch Ziele und Aufgaben einer didaktisch reflektierten juristischen Lehre. Wie zu zeigen sein wird, fußt dabei allerdings manches auf mehr oder minder weitreichenden Idealisierungen. Deshalb sollte man sich vor einer überoptimistischen Einschätzung des didaktischen Mehrwerts intradisziplinärer Vergleichung hüten. 14  Zu den Besonderheiten der Verfassungsauslegung als Konkretisierung vor dem Hintergrund des Postulats der Einheit der Verfassung klassisch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20.  Aufl. 1999, Rn.  53 ff.; zu Unterschieden bei der Methodik in den unterschiedlichen Teilrechtsordnungen und dem Verfassungsrecht siehe die Andeutungen bei Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd.  I, 11.  Aufl. 2013, Rn.  500; zur methodischen „Pluralität des Rechtsdiskurses“ in den unterschiedlichen Rechtsgebieten und Fachsäulen vgl. Jahn, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.) Rechtswissenschaftstheorie, 2008, 175, 180 ff. 15  Vgl. etwa Müller/Christensen, (Fn.  14), Rn.  8 ff.

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I. Systematisierung des Rechtsstoffes und Herausarbeitung allgemeiner Strukturen als Proprium deutscher Rechtswissenschaft Der Vergleich zwischen den Teilrechtsordnungen oder Fachsäulen soll einerseits strukturelle Gemeinsamkeiten zu Tage fördern, andererseits aber auch das Bewusstsein für deren unterschiedliche Eigenrationalitäten schärfen. Dies gilt zwar im Grundsatz auch für klassische internationale Rechtsvergleichung. Während dort aber angesichts (rechts)kultureller Unterschiede schon die Frage der Vergleichbarkeit zweifelhaft sein kann16 , liegt der intradisziplinären Vergleichung die Prämisse eines zwar ausdifferenzierten, aber letztlich doch von gemeinsamen Prinzipien und dogmatischen Grundstrukturen geleiteten Rechtssystems zugrunde. Zugespitzt formuliert: Internationale Rechtsvergleichung entfernt sich notwendig von der rechtsdogmatischen Arbeit zugunsten einer funktionalen Betrachtung17, intradisziplinäre Rechtsvergleichung vertieft dagegen die dem deutschen Recht eigene rechtsdogmatische Systembildung18 . Zwar hat man sich mit guten Gründen von der Vorstellung einer in sich geschlossenen widerspruchsfreien Rechtsordnung verabschiedet19 und auch kodifikatorische Großprojekte besitzen angesichts punktuellen politischen Problemdrucks nur noch wenig Realisierungschancen 20 . Doch immerhin setzt das Willkürverbot einem Auseinanderdriften verschiedener Rechtsmaterien in eine zusammenhanglose Kasuistik äußerste Grenzen, mag auch ein substantielleres Konsequenzgebot für die Gesetzgebung21 angesichts der Notwendigkeit politischer Kompromisse zu weit gehen 22 . Zudem bildet die Verfassungs- und speziell Grundrechtsordnung eine verbindende Brücke zwischen Öffentlichem Recht, Strafrecht und Privatrecht; dies gilt sogar dann, wenn man dem Postulat einer allumfassenden Werteordnung23 skeptisch gegenübersteht.

16  Ganz grundsätzlich in Frage gestellt etwa von Legrand Maastricht Journal of European and Comparative Law 4 (1997), 111 ff.; ders., in: Nelken/Feest (Hrsg.), Adapting Legal Cultures, 2001, 55, 57. 17  Zur funktionalen Ausrichtung der Rechtsvergleichung statt vieler Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, 3.  Aufl. 1996, 33 ff.; Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, §  3 Rn.  33 ff. 18  Eine Gegenüberstellung von rechtsdogmatischem Arbeiten und funktionaler Betrachtung findet sich in etwas anderem Zusammenhang auch bei Bumke, Rechtsdogmatik, 2017, 47. 19  Vgl. etwa Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, insb. 23 ff. 20  Paradigmatisch insoweit das Scheitern eines Umweltgesetzbuchs, dazu im Überblick Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, 10.  Aufl. 2017, §  4 Rn.  4 ff.; Seelinger/Wrede NuR 2009, 679 f. 21  In diese Richtung BVerfGE 121, 317, 359 ff. u. 369 ff.– Rauchverbot; Überblick über die Rspr. etwa bei Nußberger, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8.  Aufl. 2018, Art.  3 Rn.  98 ff. 22  Berechtigte Kritik insb. im Sondervotum Bryde, BVerfGE 121, 378 ff.; ferner Dann Der Staat 49 (2010), 630, 640; Grzeszick VVDStRL 71 (2012), 49, 59. 23  Grundlegend BVerfGE 7, 198, 205 ff. – Lüth; kritisch zum Postulat einer solchen Werteordnung etwa Böckenförde Der Staat 29 (1990), 1 ff.

Der didaktische Mehrwert „intradisziplinärer“ Rechtsvergleichung

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In diesem Möglichkeiten wie Grenzen einschließenden Sinne bleibt die rechtsdogmatische Systembildung eine zentrale Aufgabe der deutschen Rechtswissenschaft 24. Dieses Anliegen steht auch und gerade hinter intradisziplinärer Rechtsvergleichung. Besonders deutlich wird dies, soweit strukturelle Gemeinsamkeiten der Teilrechtsordnungen erkundet werden, also gleichsam nach einem allgemeinen Teil des deutschen Rechts gesucht wird. Aber auch bei der Herausarbeitung von Unterschieden dient das Systemdenken insoweit als Kompass, als es wissenschaftlichen Rechtfertigungsbedarf für vermeintliche Systembrüche generiert. Solche Überlegungen finden sich auch in der Diskussion um das Verhältnis der drei Teilrechtsordnungen zueinander wieder. Inwieweit sich dabei Sys­tem­ unter­schiede durch verschiedene Eigenrationalitäten, namentlich von Öffentlichem Recht und Privatrecht, wissenschaftlich rechtfertigen lassen, ist bekanntlich umstritten 25. Aus international rechtsvergleichendem Blickwinkel kann die kontinentaleuropäische Trennung der Fachsäulen als übersteigert und künstlich erscheinen 26 . Eine historisch-kritische Sicht mag dagegen gute Gründe auch für Systemunterschiede liefern, wenngleich sich die Rechtswegspaltung in ihren vielen einzelnen Ausprägungen auch insoweit nur als Produkt historischer Zufälligkeiten wird deuten lassen 27. Soweit grundlegende dogmatische Divergenzen vor diesem Hintergrund Sinn ergeben, müssen sie aber aus rechtswissenschaftlicher Sicht idealiter auch durchgängig und konsequent Berücksichtigung finden. Unterschiede wie Gemeinsamkeiten müssen berücksichtigt werden, wenn es um die vieldiskutierte Frage geht, inwieweit Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen taugen 28 . All dies zu testen, das ist gerade die zentrale Aufgabe einer wissenschaftlich betriebenen intradisziplinären Rechtsvergleichung. Hinzu kommt selbstverständlich auch die praktische Überlegung, dass für alle Akteure im Rechtssystem (Gesetzgeber, Verwaltung, Gerichte, Anwalt24 Klassisch H. J. Wolff Studium Generale 5 (1952), 195, 205: „Rechtswissenschaft zumindest ist systematisch oder sie ist nicht“; für das Privatrecht vertiefend etwa Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983; für das Verfassungsrecht etwa Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, 97 ff.; für das Verwaltungsrecht statt vieler Schulze-Fielitz Die Verwaltung 36 (2003), 421, 423 f., 426, 431 f.; kritisch Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, 81 ff.; abgewogen v. Arnauld VVDStRL 74 (2015), 39, 61 f. mit Bevorzugung der Kettenroman-Metapher. 25  Vgl. etwa Bullinger, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, 239, 241 ff. 26  Vgl. etwa Robbers, An Introduction to German Law, 7.  Aufl. 2019, Rn.  6 , wonach die Trennung zwar historisch gerechtfertigt, jedoch angesichts neuerer Entwicklungen „increasingly questionable“ sei. 27  Für das öffentliche Wirtschaftsrecht ausbildungsbezogene Beispiele bei Fehling (Fn.  10), 1060 f. 28  Grundlegend Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996.

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schaft) jedenfalls ein Mindestmaß übergreifender Orientierung im immer unübersichtlicheren Dickicht der Gesetzesmassen geschaffen werden muss. Gewiss ist in unserem ausdifferenzierten Rechtssystem Spezialisierung und Kenntnis der jeweiligen Kasuistik unverzichtbar. Doch ist das Recht dynamisch und man kann längst nicht überall auf eine gefestigte Rechtsprechung zurückgreifen. Für Orientierung im Neuland ist und bleibt fachsäulenübergreifendes Problem- und damit Systemverständnis auch für die Rechtspraxis unverzichtbar29. Das wiederum muss primär die Rechtswissenschaft leisten. II. Eingeschränkte Übertragbarkeit auf die wissenschaftliche Lehre und Ausbildung Auf den ersten Blick scheinen sich diese Überlegungen auf die juristische Lehre, die ja eine rechtswissenschaftliche zu sein hat, ohne Weiteres übertragen zu lassen. Bei näherem Hinsehen greift diese einfache Folgerung indes zu kurz. Die Vorstellung von der Einheit von Forschung und Lehre war schon historisch eine idealistische Übersteigerung. So wichtig die Befruchtung der Lehre durch die Forschung bleibt30 , so wenig ist doch beides deckungsgleich. Denn die wissenschaftliche Lehre wird gerade im Fach Rechtswissenschaft durch einen spezifischen Ausbildungsauftrag überlagert31, wodurch die effiziente Wissensvermittlung für Prüfungen gegenüber dem Erkenntnisinteresse stärker in den Vordergrund rückt.

1. (Intradisziplinäre) Systembildung als Mittel zur Beherrschung der Stoffmenge Zweifelsohne ist Systemverständnis eine wichtige Fähigkeit, um sich im Studium nicht in der schier unübersehbaren Stoffmenge32 zu verlieren. Dies deuten 29 Die Notwendigkeit des fachsäulenübergreifenden Verstehens von Problemen in der Rechtspraxis mit Konsequenzen für eine didaktisch geschulte Lehre betont Warto, in: Warto/ Zumbach/Lagodny/Astleitner (Hrsg.), Rechtsdidaktik – Pflicht oder Kür?, 2017, 35, 43. 30  Dies betrifft primär die Lehrenden und deren fachlichen Horizont, was zur Vertiefung, Aktualität und nicht zuletzt Lebendigkeit der Lehre beiträgt; zu den – doch relativ eng begrenzten – Möglichkeiten des forschenden Lernens in der Endphase des juristischen Studiums, besonders in den Schwerpunktbereichen, siehe Broemel/Muthorst, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Methoden des Lernens in der Rechtswissenschaft, 2012, 89 ff., speziell zum Schwerpunktstudium 98. 31  Dazu in etwas anderem Kontext Fehling Die Verwaltung 35 (2002), 399, 403. Aus didaktischer Sicht als Spannungsverhältnis zwischen Bildung und Ausbildung rekonstruiert von Berka, in: Warto/Zumbach/Lagodny/Astleitner (Hrsg.), Rechtsdidaktik – Pflicht oder Kür?, 2017, 17, 25 ff. 32  Dies ist freilich keine Besonderheit des Jurastudiums, sondern kennzeichnet fast jedes (wissenschaftliche) Studium, vgl. etwa Lehner, Viel Stoff – wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle, 3.  Aufl. 2011.

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auch die einschlägigen Ausbildungsgesetze33 zumindest an. Nach §  2 Abs.  1 Satz  1 des Hamburger Juristenausbildungsgesetzes (HmbJAG) und ähnlich den Ausbildungsgesetzen der anderen Bundesländer sind im Studium neben Kenntnissen der rechtlichen Regelungen und deren Entstehung auch die „systematischen Zusammenhänge“ und Methodenkompetenz zu vermitteln. Dementsprechend ist Zweck der ersten Prüfung festzustellen, ob „der Prüfling das Recht mit Verständnis erfassen und anwenden kann und über die hierzu erforderlichen Kenntnisse verfügt“ (§  6 Satz  2 HmbJAG – Hervorhebung vom Verfasser). Gerade diese zuletzt zitierte Formulierung macht deutlich, dass konkrete Kenntnisse und Systemverständnis nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern zusammengehören. Der Schwerpunkt der geforderten Kenntnisse liegt nicht in der Anhäufung von Detailwissen 34, sondern auf der Fähigkeit, sich auf der Basis von relativ allgemeinem Grundwissen durch System- und Methodenkompetenz juristisch zurechtzufinden 35. Gerade zum Erwerb dieser Qualifikationen kann es beitragen, wenn auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Teilrechtsordnungen hingewiesen wird. Dies zeigt sich besonders bei Problemfeldern, bei denen sich die leitenden Gesichtspunkte meist unterhalb des studentischen Radars bewegen und deshalb oft zu unreflektiert bloßes Inselwissen erworben wird. So lernen Studierende beispielsweise bei strafrechtlichen Fahrlässigkeitsdelikten etwas zum Schutzzweck der Norm, im Zivilrecht etwas zur Adäquanztheorie und im Ordnungsrecht das eine oder andere zur Theorie unmittelbarer Verursachung. Die intradisziplinäre Rechtsvergleichung kann dahinter allgemeine Probleme wertender Zurechnung aufzeigen und gleichzeitig verdeutlichen, warum in den Fachsäulen insoweit unterschiedliche, aber bei näherem Hinsehen eben doch eng verwandte Ansätze favorisiert werden. Sollte ein Studierender dann etwa beim enteignungsgleichen Eingriff keinerlei Kenntnis zu diesem Problemkomplex besitzen, wird er oder sie dennoch in der Lage sein, die Notwendigkeit einer über die Äquivalenztheorie hinausgehenden wertenden Zurechnung zu erkennen. Darüber hinaus könnte er oder sie leichter auf den Gedanken einer Parallele zum Polizei- und Ordnungsrecht kommen und sich dort wie auch beim enteignungsgleichen Eingriff vor dem Fehler hüten, die unmittelbare Ver33  Das Deutsche Richtergesetz ist insoweit wenig aussagekräftig; allenfalls könnte man aus der Erwähnung der Methodenlehre (§  5a II 3 DRiG) und der Betonung von Schlüsselqualifikationen (§§  5a III, 5 d I 1 DRiG) mittelbar auf einen „kompetenzorientierten“ statt rein wissensorientierten Ansatz schließen, so Steffahn, Methodik und Didaktik der juristischen Problemlösung, Diss. Erlangen 2014, 23 f. 34  Besonders betont etwa von Dauner-Lieb, in: Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre - Erfahrungen und Denkanstöße, 2012, 41, 46. 35 Statt vieler Dauner-Lieb/Wessel/Pernice-Warnke, in: Brockmann/Dietrich/Pilniok (Hrsg.), Exzellente Lehre im juristischen Studium, 2011, 185, 187; Steffahn (Fn.  33), 26; vgl. auch Bull JZ 2002, 977, 980; v. Arnauld (Fn.  24), 66 mit dem Hinweis, dass die Ordnung von Normen „den Rechtsstoff leichter lehr- und lernbar macht“.

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ursachung als reine Kausalitätslehre im Sinne einer Beschränkung auf das letzte Glied der Ursachenkette misszuverstehen 36 . Denn die fachsäulenübergreifende Systembildung hätte ihm oder ihr ja gerade bewusst gemacht, dass es grundsätzlich einer wertenden Betrachtung bedarf. Durch intradisziplinäre Brückenbildung eröffnen sich zudem neue Möglichkeiten des exemplarischen Lehrens und Lernens, wie es schon aus Zeitgründen unverzichtbar ist 37. Im klassischen Stoffkanon werden bestimmte Grundstrukturen schwerpunktmäßig in einer der drei Fachsäulen vermittelt, obwohl sie auch in den anderen Teilrechtsordnungen von Bedeutung sind. So konzentriert sich die Lehre von den Willenserklärungen auf das Privatrecht, obwohl diese als Grundbausteine auch im Verwaltungsrecht38 und teilweise sogar im Strafrecht 39 aufzufinden sind. Wird dies in der Ausbildung verdeutlicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Studierende Auslegungsprobleme etwa auch bei Verwaltungsakten identifizieren und sich darüber hinaus – wenn sie sehr gut sind – vielleicht sogar noch die Frage stellen, ob die Auslegung nach dem objektivierten Empfängerhorizont bei belastenden Verwaltungsakten gegenüber rechtsgeschäftlichen Erklärungen im privatrechtlichen Gleichordnungsverhältnis modifiziert werden muss40 . Auch und gerade aus studentischer Perspektive kann der intradisziplinär geschulte Blick zudem dabei helfen, sich eine neue Rechtsmaterie schneller zu erschließen. Ein banales Beispiel dafür ist das Recht des öffentlich-rechtlichen Vertrags. Mit einer bloßen Übertragung der privatrechtlichen Strukturen auf das Verwaltungsrecht ist es dabei allerdings nicht getan. Wie regelmäßig bedarf es auch hier eines vertieften Verständnisses der unterschiedlichen Eigenrationalitäten dieser beiden Teilrechtsgebiete, wenn es etwa darum geht, welche BGB-Vorschriften lückenfüllend (über §  62 S.  2 VwVfG) analog anwendbar sind41. Im Ansatz durchaus ähnlich, aber weitaus komplexer gestaltet sich die Systembildungsaufgabe, wenn es – wie etwa beim Regulierungsrecht der Netzwirtschaften – darum geht, Elemente aus verschiedenen Teilrechtsordnungen mit unterschiedlichen Strukturen zu identifizieren und zu einem neuen Subsystem zusammenzufügen. Hier würde es sich vor allem um (Sonder-)Kartellrecht (auf der Grenze zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht angesiedelt), um das genuin öffentlich-rechtliche Ordnungsrecht sowie um Sondervergaberecht 36 

Zum Ganzen Rönnau/Faust/Fehling (Fn.  5), 117 f. Allgemein z. B. Wagenschein, Verstehen lernen: genetisch – sokratisch – exemplarisch, 1999; für die Rechtswissenschaft statt vieler Steffahn (Fn.  33), 49 ff.; Berka (Fn.  31), 21. 38  Siehe etwa Ernst, Die Verwaltungserklärung, 2008, 88, 103, 124. 39  Vgl., insb. zu Willensmängeln bei der Einwilligung, Amelung ZStW 109 (1997), 490 ff.; Paeffgen/Zabel, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen (Hrsg.), StGB-Kommentar, 5.   Aufl. 2017, §  228 Rn.  24. 40  Dazu erneut Ernst (Fn.  38), 413 ff. 41 Statt vieler Fehling, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Handkommentar Verwaltungsrecht, 4.  Aufl. 2016, §  62 VwVfG Rn.  8 ff. 37 

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(wiederum mit einer umstrittenen Zwischenstellung) handeln42 . Wer, nachdem er oder sie bereits Vergaberecht gehört hat, im Ausschreibungswettbewerb um eine Marktprämie für erneuerbare Energien parallele Strukturen zu identifizieren in der Lage ist43, wird sich mit diesem neuen Rechtsregime gewiss leichter tun. Wer Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Systemrationalitäten von privatrechtsnahem Kartellrecht und sektorspezifischer wettbewerbsbezogener Regulierung44 ansatzweise verstanden hat, wird besser dazu in der Lage sein, Unterschiede und Gemeinsamkeiten etwa von der kartellrechtlichen Essential Facilities-Doktrin einerseits und den sektorspezifischen Netzzugangsrechten Dritter andererseits45 zu ergründen. Das letztgenannte Beispiel zeigt zugleich, dass ein intradisziplinärer Blickwinkel dabei helfen kann, sich gerade im Wahlschwerpunkt gänzlich neue Rechtsgebiete systematisch zu erschließen. Unter den gegenwärtigen curricularen Rahmenbedingungen etwas weniger ausbildungsrelevant dürfte prozessrechtsbezogene Intradisziplinarität sein. Denn das Zivilprozessrecht spielt im ersten Staatsexamen eine weitaus geringere Rolle als das (m. E. etwas überbetonte) Verwaltungsprozessrecht46 . Im Schwerpunktstudium kann dies selbstverständlich anders sein. Beim Pflichtstoff ließe sich beispielsweise das Rechtschutzbedürfnis für eine verwaltungsgerichtliche Nachbarklage im Baurecht besser prüfen, wenn man Grundkenntnisse nicht nur zu parallelen zivilrechtlichen Rechtschutzmöglichkeiten, sondern auch zu deren Systemunterschieden und daraus resultierenden Vor- und Nachteilen besitzt. Weiß jemand aus dem Zivilprozessrecht etwas mit präjudizieller Rechtskraft anzufangen, wird er oder sie bei Vermittlung eines intradisziplinären Problembewusstseins eher in der Lage sein, im Verwaltungsrecht das Problem der Tatbestandwirkung eines Verwaltungsakts47 überhaupt als solches zu identifizieren und – wenn es sehr gut geht – im Bewusstsein der Systemunterschiede zwischen Verwaltungsakt und gerichtlichem Urteil auch ohne Spezialkenntnisse eine vertretbare Lösung vorzuschlagen.

42 Knapp Ruffert, in: Säcker/Schmidt-Preuß (Hrsg.), Grundfragen des Regulierungsrechts, 2015, 11, 15 f.; vgl. ferner, allerdings unter Ausklammerung des Vergaberechts Mohr, in: Säcker/Schmidt-Preuß a. a. O., 94, 114 ff.; siehe ferner bereits oben Fn.  10. 43 Dazu Bahmer/Loers GewArch 2017, 406, 407 ff.; vgl. auch Fehling (Fn.  10), 1059. 44  Dazu mit unterschiedlicher Akzentuierung etwa Ruffert, in: Fehling/Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010, §  7 Rn.  42; Säcker EnWZ 2015, 531 ff.; Sennekamp (Fn.  10), 16 ff. 45 Dazu etwa Kühling, Sektorspezifische Regulierung in den Netzwirtschaften, 2004, 219 ff.; knappe Andeutungen bei Masing (Fn.  11), D 108 f. u, D 194; Fehling, in: Fehling/Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010, §  20 Rn.  15 f. 46 Anders im Zweiten Staatsexamen, siehe dafür intradisziplinär prozessrechtsvergleichend Chatziathanasiou/Hartmann Jura 2015, 911 ff. und 1036 ff. 47  Dazu etwa Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19.  Aufl. 2017, Rn.  20, zu prozessualen Parallelen vgl. Rn.  14.

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2. Einschränkungen So weit, so gut – in der Theorie. Allein, die Umstände, sie sind nicht (ganz) so. Erstens sind juristische Lehre und Didaktik ganz wesentlich von hohem Zeitdruck geprägt. Dies gilt nicht nur für die Lehrveranstaltungen, wo viel zu viel Prüfungsstoff in viel zu wenigen Stunden unterzubringen ist, sondern auch für die Ausbildungsliteratur (Lehrbücher und Aufsätze). Denn ein unrealistisch vollgepackter Stundenplan (anders als etwa in den USA) sowie Praktika und Hausarbeiten in der vorlesungsfreien Zeit lassen nur sehr begrenzten zeitlichen Spielraum für die doch so zentrale eigene Lektüre. Das Recht ist auch im Prüfungsstoff immer ausdifferenzierter und umfangreicher geworden48 , ohne dass man – aus begreiflichen Gründen – das Studium entsprechend massiv hätte verlängern können und wollen. Auf den ersten Blick scheint der Zeitdruck das Bedürfnis nach übergreifender Systembildung noch zu erhöhen49. Doch die psychologischen Mechanismen wirken oftmals anders. Studierende suchen Zeit durch weitestmögliche Schematisierung zu sparen50 , statt zunächst einmal mehr Zeit in die Erarbeitung übergreifender Strukturen zu investieren, was sich erst längerfristig entlastend rentieren kann. Verstärkt wird diese Tendenz zum kurzfristigen Denken durch ständig nahende, kleinteilige Vorlesungsabschlussklausuren. Dagegen didaktisch anzugehen, ist notwendig, aber sehr schwierig, und meist nur bei besonders fähigen Studierenden erfolgreich. Etwas erleichtern lässt sich diese Aufgabe durch eine – freilich rechtswissenschaftlich stets mit etwas schlechtem Gewissen behaftete – grobe Vereinfachung bis hin zur Schematisierung auch des intradisziplinären Vergleichs. Insoweit hat man es – endlich einmal – in der Lehre etwas einfacher als in der Forschung, weil die Lehre aus didaktischen Gründen in gewissem Umfang Vereinfachungen verzeiht51, welche in der Forschung das vernichtende Verdikt der Oberflächlichkeit nach sich ziehen müssten. Hinzu kommt, dass intradisziplinäre Vergleichung zunächst einmal Grundkenntnisse der zu vergleichenden Teilrechtsordnungen im jeweils relevanten Bereich voraussetzt. In einem Ausbildungsaufsatz kann man dies adäquat ein48  Die (bedauernswerte) Zurückdrängung der (insbesondere historischen) Grundlagenfächer wird durch den Bedeutungsgewinn des Europarechts, aber auch durch die (leider auch im Studium) zunehmende Kasuistik und Ausdifferenzierung der Dogmatik weit mehr als nur aufgewogen; dies betont etwa Wessel, in: Griebel/Gröblinghoff (Hrsg.), Von der juristischen Lehre – Erfahrungen und Denkanstöße, 2012, 69, 72 ff., insb. 73. 49  Vgl., mit Blick gerade auch auf die Lehre, Hufen ZDRW 2013, 5, 17: „Rechtswissenschaft ist Strukturwissenschaft“. 50  Die Klagen darüber sind ebenso weit verbreitet wie die Ratlosigkeit im Umgang mit diesem Missstand, siehe nur Weigand ZDRW 2015, 41, 43. 51  Siehe bezogen auf Rechtsdogmatik Müller, Strukturierende Rechtslehre, 2.  Aufl. 1994 Rn.  316 und zur wissenschaftlichen Didaktik allgemein Stary, Das didaktische Kernproblem, 4 f., abrufbar unter: https://blogs.fu-berlin.de/wp-includes/ms-files.php?path=/stary/&file= 2011/05/A-1-2._Das-didaktische-Kernproblem.pdf.

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beziehen, wenn auch um den Preis der Verlängerung des Textes. In einer Vorlesung oder Übung hat man als Lehrender dagegen kaum die Zeit, Stoff aus einer anderen Fachsäule erst einmal zusammenfassend zu wiederholen. Man verlässt sich vielmehr oftmals notgedrungen darauf, dass nach dem Vorlesungsplan die Studierenden „davon eigentlich schon etwas gehört haben sollten“. Nicht selten erweist sich dies als Illusion – sei es, weil der für die Vergleichung wichtige Aspekt in der anderen Lehrveranstaltung ganz oder weitgehend der Zeitknappheit zum Opfer gefallen ist, sei es, weil die Studierenden diese Veranstaltungen nicht besucht oder die dortigen Erörterungen wieder vergessen haben. Statt im Vergleich mit Bekanntem neuen Stoff besser verständlich zu machen, kann es schnell dazu kommen, dass man Unbekanntes mit Unbekanntem erklärt und dadurch das geistige „Abschalten“ der Studierenden provoziert. Dies habe ich selbst immer wieder bei meinem schon oben referierten Beispiel zur Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten erfahren müssen: In unserem Examensvorbereitungsprogramm will ich anhand eines Falles teils erklärend, teils fragend den Blick der Teilnehmenden darauf lenken, dass die Tatbestandswirkung enge Verwandtschaft zur präjudiziellen Rechtskraft von Gerichtsurteilen aufweist – in der Hoffnung, dass die Studierenden wegen ihrer Grundvorlesung und der Examensvorbereitung zum Zivilprozessrecht damit wenigstens ansatzweise etwas verbinden können. Allein, diese Vorstellung geht immer wieder fehl. Ich versuche, die Situation dann durch einige knappe nachgeschobene Erläuterungen zur präjudiziellen Rechtskraft zu retten, erreiche damit aber nur noch eine kleine Minderheit, weil die meisten schon wegen Überforderung „abgeschaltet“ haben. Wie stets in der Lehre bedarf es auch hier eines schwierigen Balanceaktes zwischen Unter- und Überkomplexität. Hinzu kommt noch eine dritte Hürde. Mehr noch als die Rechtsordnung selbst ist der Vorlesungskanon jedenfalls im Pflichtstoff streng nach Fachsäulen getrennt. Dies muss wohl auch so sein, wenn und weil die Examensprüfungen ebenfalls streng jeweils einer der drei Teilrechtsordnungen zugeordnet sind. Durchbricht man nun in Vorlesungen oder Übungen dieses Korsett, so verlieren viele bereits wegen vermeintlich mangelnder Examensrelevanz das Interesse, bevor sie auf einem höheren Abstraktionsniveau den Nutzen der intradisziplinären Rechtsvergleichung auch für das Examen begreifen können. In den Wahlschwerpunkten ist die Fakultät beim Zuschnitt natürlich freier, doch allzu oft scheitern Versuche eines intradisziplinären Zuschnitts an Fachsäulen-Eitelkeiten der verantwortlichen Professoren. Manch eine(r) möchte seinen eigenen „Vorgarten“ eben nicht gerne mit Fach(säulen)fremden teilen. Letztlich ist das Fachsäulenkorsett am leichtesten in Seminaren zu sprengen, wo typischerweise auch etwas mehr Zeit zur Verfügung steht und die Studierenden als „Freiwillige“ häufig besonders motiviert sind.

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D. Fazit: Didaktische Einkleidung und Gelingensbedingungen für intradisziplinäre Rechtsvergleichung Was lässt sich aus dem bislang Gesagten als Voraussetzungen für gelingende intradisziplinäre Rechtsvergleichung in didaktisch reflektierter Lehre herauskristallisieren? Insoweit muss ich mich auf eine thesenartige Zusammenfassung beschränken. 1. Intradisziplinäre Rechtsvergleichung ist in der Ausbildungsliteratur (und vielleicht auch in digitalen Lehrangeboten) leichter „unterzubringen“ als in Präsenz-Lehrveranstaltungen, wo die Zeitrestriktionen und die Fokussierung auf nur eine Fachsäule besonders spürbar sind. Von den klassischen Lehrformaten eignen sich am besten Seminare für eine entsprechende Erweiterung des Blickwinkels, doch erreicht man damit nur relativ wenige Studierende. Deshalb sollte man auch in anderen Veranstaltungsformen gelegentlich fachsäulenübergreifende Aspekte einflechten, denn trotz aller notwendigen Relativierungen bleibt übergreifendes Systemverständnis für den Ausbildungserfolg unverzichtbar. 2. Das Vorgerücktenstudium und dabei ganz besonders die Wahlschwerpunkte52 sowie die Examensvorbereitung bieten für derartige Vergleichung bessere Voraussetzungen als das Anfängerstadium, wo den Studierenden in noch weit stärkerem Maße die notwendigen Vorkenntnisse und der Überblick fehlen. Bei Anfängern kann man allenfalls versuchen, im Vorgriff auf spätere Veranstaltungen schon einmal ein erstes rudimentäres Problembewusstsein anzustoßen, in der Hoffnung, später möge sich rückblickend ein „Aha-Effekt“ einstellen. So sinnvoll diese Lehr- und Lernstrategie theoretisch auch ist, nach eigener Erfahrung gelingt dies leider nur sehr selten. Wie fast immer in der Lehre muss gerade im Vorgerücktenstadium große Mühe darauf verwandt werden, die Examensrelevanz (sei es für den Pflichtstoff oder den Wahlschwerpunkt) möglichst plakativ deutlich zu machen, bevor die Studierenden „abschalten“. In der Ausgestaltung bedarf es einer Gratwanderung zwischen Über- und Unterkomplexität. Wie allgemein mag visuelle Unterstützung helfen, aber nur, wenn sie sehr gut konzipiert und nicht überladen ist. Vertiefende Lektüre zur Vor- oder Nachbereitung ist selbstverständlich sinnvoll, doch sollte man realistisch davon ausgehen, dass nur eine kleine Minderheit von diesem Angebot Gebrauch macht. 3. Man darf nicht an der Veranstaltungszeit (oder bei einer Schriftfassung: an dem Raum) sparen, um die jeweiligen Grundlagen aus den zu vergleichenden Teilrechtsgebieten zu wiederholen. Sonst fehlt realistischerweise bei den aller52  Deren Potential wird bekanntlich unterschiedlich eingeschätzt; als Chance für mehr Wissenschaftlichkeit (und, so ließe sich folgern, insoweit auch mehr Intradisziplinarität) sieht sie etwa Hommelhoff ZDRW 2013, 62, 65; kritisch wegen des zusätzlich zu bewältigenden Stoffs dagegen Wessel (Fn.  48), 72 ff.

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meisten Studierenden die Basis für das Verständnis. Diese Zeit wird man im Vorlesungsalltag zwar nur selten erübrigen können. Doch ist der seltene, aber überlegte Einsatz intradisziplinärer Rechtsvergleichung grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber vielen kleinen Andeutungen, die bei den Studierenden typischerweise „vorbeirauschen“ und letztlich vor allem der Gewissensberuhigung des Lehrenden dienlich sind. Zwar kann auch eine geschickt platzierte bloße Irritation zur Reflexion anregen und so einen Lernerfolg anstoßen. Überspannt man aber den Bogen, so wird man eher lähmende Verunsicherung produzieren. Allerdings wäre es hier wie allgemein in der Lehre ohnehin eine Illusion, alle Veranstaltungsbesucher tatsächlich erreichen zu können. Intradisziplinäre Rechtsvergleichung ist bei noch so raffinierter didaktischer Einkleidung notwendig so voraussetzungs- und anspruchsvoll, dass davon stets nur eine qualifizierte Minderheit der Studierenden in vollem Umfang wird profitieren können. Dass es wenigstens nicht nur eine Handvoll sein wird, dies immerhin bleibt uns zu hoffen übrig.

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Atamer, Yeşim M. Prof. Dr. Dr. h.c., Ordentliche Professorin für Privatrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universität Bern sowie Außerordentliche Professorin, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Istanbul Bilgi Universität. Brockmann, Judith Jun.-Prof. Dr., Maître en Droit, Juniorprofessur für Arbeitsrecht mit sozialrechtlichen Bezügen und rechtswissenschaftliche Fachdidaktik, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg. Duden, Konrad Dr., LL.M. (Cambridge), Wissenschaftlicher Referent, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg. Fehling, Michael Prof. Dr., LL.M., Lehrstuhl Öffentliches Recht III – Öffentliches Recht mit Rechtsvergleichung, Bucerius Law School, Hamburg. Gladitz, Anne Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld. Hachem, Pascal Dr. iur., Rechtsanwalt bei Bär & Karrer, Zürich. Kötz, Hein D. Prof. Dr. Dr. h.c. mult., M.C.L., F.B.A., Emeritierter Direktor am Max-Planck-­ Institut für ausländisches und internationales Privatrecht sowie ehemaliger Präsident der Bucerius Law School, Hamburg. Krüper, Julian Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und Interdisziplinäre Rechtsforschung, Juristische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Martini, Stefan Dr. iur., Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand, Walther-Schücking-­ Institut/Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Schmidt, Mareike Jun.-Prof. Dr., LL.M. (Tsinghua, China), Juniorprofessur für Zivilrecht und rechtswissenschaftliche Fachdidaktik, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg. Trinks, Jennifer LL.M. (Yale), Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg.