Rechtsmissbrauch im Zivilprozess [1 ed.] 9783428556427, 9783428156429

Das Rechtsmissbrauchsverbot ist eine beliebte Argumentationsfigur. Wie aber ist es innerhalb unserer Rechtsordnung dogma

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Rechtsmissbrauch im Zivilprozess [1 ed.]
 9783428556427, 9783428156429

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Schriften zum Prozessrecht Band 253

Rechtsmissbrauch im Zivilprozess Von Tobias Leidner

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS LEIDNER

Rechtsmissbrauch im Zivilprozess

Schriften zum Prozessrecht Band 253

Rechtsmissbrauch im Zivilprozess Von Tobias Leidner

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-15642-9 (Print) ISBN 978-3-428-55642-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85642-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Sommersemester 2017 als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im September 2017 abgeschlossen, so dass Literatur und Rechtsprechung bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt werden konnten. Zu größten Dank bin ich zunächst meinem verehrten Doktorvater Herrn Prof. Dr. Michael Sonnentag verpflichtet, der mir die erforderliche persönliche und wissenschaftliche Freiheit gewährte, um die Arbeit fertig zu stellen, und auf dessen Förderung ich mich stets verlassen konnte. Ebenfalls herzlich danken darf ich Frau Prof. Dr. Inge Scherer für die überaus zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Großen Dank schulde ich ferner Herrn Dr. Patrick Meier, der stets für ein kritisches Gespräch über den Inhalt der Arbeit zur Verfügung stand, sowie meiner Schwester, Frau Dipl. sc. pol. Univ. Katharina Leidner, und meinem Vater, Herrn Rechtsanwalt Gregor Leidner, welche alle drei die Arbeit Korrektur gelesen haben. Bedanken möchte ich mich ferner bei den Kollegen der HellerKratzLemke-Anwaltspartnerschaft, vor allem bei Herrn Rechtsanwalt Hans-Jörg Lemke und Herrn Rechtsanwalt Gerolf Kratz, für den nötigen zeitlichen Freiraum während der Erstellung dieser Dissertationsschrift. Vor allem schulde ich meiner Familie, insbesondere meiner Mutter und meinem Vater Dank, da sie mich stets persönlich und auf meinem Bildungsweg unterstützt haben. Schließlich danke ich meiner lieben Frau Lisa-Marie Leidner für ihre Geduld und ihre stets aufbauenden Worte. Würzburg, im September 2018

Tobias Leidner

Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung in die Thematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 A. Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Erster Teil

Problem- und Materialerfassung

29

Kapitel 1

Stand der Diskussion zum zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbot 29

§ 2 Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 A. Arglistiges Schaffen prozessualer Rechtslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I.

Internationale und örtliche Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Besonderer Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstands nach § 23 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO . . 32 3. Gerichtsstand in Unterhaltssachen, § 232 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 FamFG . . 33 4. Besonderer Gerichtsstand im Scheck- und Wechselprozess, § 603 Abs. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

II. Sachliche Zuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Prozesskostenhilfegesuch nach § 114 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 IV. Kein Erbringen einer Sicherheit nach § 110 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 V. Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 VI. Erschleichung und Vermeidung der Revisionssumme, § 546 Abs. 1 ZPO . . 36 B. Verbot widersprüchlichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I.

Klagerücknahmeversprechen und zeitweilige Unklagbarkeit . . . . . . . . . . . 37

II. Rechtsmittelrücknahme und Rechtsmittelverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Kein Urkundenprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 IV. Klageausschluss in Patentsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 V. Zustellung und Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 VI. Schiedsgerichtsverfahren und Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 C. Verbot des Missbrauchs prozessualer Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

10

Inhaltsverzeichnis I.

Verweigern einer Einwilligung zum Parteiwechsel und zur Parteierweiterung 41

II. Missbräuchliche Richterablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Kostenfestsetzungsantrag nach § 104 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 V. Prozessführung einer insolventen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 D. Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I.

Verwirkung der Klagebefugnis bei der Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . 45

II. Verwirkung des Beschwerderechts bei einem befristeten Rechtsmittel . . . 45 III. Verwirkung der Geltendmachung eines Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 E. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 § 3 Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 A. Anwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I.

Verstoß gegen das Treu-und-Glauben-Prinzip nach § 242 BGB . . . . . . . . . 47

II. Gewohnheitsrechtliche Geltung nach §§ 242 BGB, 12 EGZPO . . . . . . . . . 47 III. Methodische Abstufung von prozessualer Lösung zu § 242 BGB . . . . . . . 48 IV. § 242 BGB als allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Keine Anwendbarkeit von § 242 BGB im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Kapitel 2

Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung 51

§ 4 Historische Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . 51 A. Rechtsmissbrauch im römischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I.

Formen des römischen Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

II. Kategorien des Rechtsmissbrauchs im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Bona fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2. Aequitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Dolus malus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Tatbestand des rechtsmissbräuchlichen Prozessierens . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Methodisches Vorgehen im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 IV. Sanktionierung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im römischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Prozessstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Sacramentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 b) Sponsio und restipulatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 c) Litiskreszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Inhaltsverzeichnis

11

d) Infamia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 e) Ius iurandum calumniae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Exceptio und actio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Exceptio doli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Actio de dolo und in integrum restitutio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 V. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 B. Das Rechtsmissbrauchsverbot im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Civilprozessordnung von 1879 und Reichsgerichtsrechtsprechung . . . . . . . . . . 61 D. Allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot im BGB von 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . 62 E. Missbrauchslehren zur Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I.

Siebert’sche Rechtsmissbrauchslehre: Innenschranken des Rechts . . . . . . 65

II. Rüdys Rechtsmissbrauchskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 F. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 § 5 Rechtsvergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 A. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 B. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 C. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 D. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 E. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 § 6 Europäische Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 A. Harmonisierungstendenz im materiellen europäischen Privatrecht . . . . . . . . . . 76 I.

Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

II. Gesetzgebung und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 B. Rechtsmissbrauchsverbot im europäischen Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . 80 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

Zweiter Teil

Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots im materiellen Zivilrecht und Einordnung in die juristische Methodik

83

Kapitel 1

Das Rechtsmissbrauchsverbot im materiellen Zivilrecht 83

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 A. Begriff der unzulässigen Rechtsausübung und Parameter der Entscheidung . . . 83

12

Inhaltsverzeichnis I.

Begriffe des Rechtsmissbrauchs und der unzulässigen Rechtsausübung . . 84 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Das Verhältnis des Rechtsmissbrauchsverbots zu Treu und Glauben im Rahmen von § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Rechtsethischer Hintergrund eines Missbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . 87 a) Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Privatrechtliches Gebot der Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5. Individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Individueller Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Institutioneller Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Verhältnis der beiden Missbrauchsformen zur juristischen Methodik 92

II. Fallgruppenbildung und Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Bedeutung der Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder Proportionalitätskontrolle? . . . . . . 94 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Rechtstechnik der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Schutzwürdigkeit des Rechtsguts und Intensität der Betroffenheit . 97 b) Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Zurechnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 III. Argumentationskriterien zur Bestimmung des individuellen Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Generelle Vorfragen des Rechtsmissbrauchsverbots: Rechtsakt  – Zeitpunkt – Verschuldensgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Eigenes Verhalten der handelnden Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Mangel an korrespondierendem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Widersprüchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Verwirkung infolge Zeitablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 d) Handeln gegen die Verkehrssitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Fehlende Schutzwürdigkeit des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Fehlen oder Geringwertigkeit des Interesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Überwiegende Interessen der Gegenpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Folgenberücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Geringfügiger Verstoß, weitreichende Folgen . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Schonende Rechtsausübung bei gravierenden Nachteilen der Gegenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 cc) Vereitelung von Rechten der Gegenpartei . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Inhaltsverzeichnis

13

4. Schlussfolgerung: Rechtsmissbrauchsverbot als eigenständiges Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Abgrenzung des Rechtsmissbrauchsverbots zu anderen Rechtsinstituten . . . . . 108 I.

Abgrenzung zum Schikaneverbot des § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Auslegung und Rechtsfortbildung von § 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Reichsgerichtlicher Anknüpfungspunkt: Treu und Glauben . . . . . . . . . 110

II. Verhältnis zum Verstoß gegen die guten Sitten, § 138 BGB . . . . . . . . . . . . 110 III. Abgrenzung des Rechtsmissbrauchs von der Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . 112 C. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 § 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 A. Rechtsfolgen der unzulässigen Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I.

Unmittelbare Wirkung: Modifikation der Rechtsausübung . . . . . . . . . . . . . 114 1. Rechtsvernichtende Einwendung oder Einrede bei Ansprüchen . . . . . . 115 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Umfang der Beschränkung von Rechten und Ansprüchen . . . . . . . . . . . 117 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

II. Mittelbare Wirkung: Anspruchsentstehung bei der Gegenpartei . . . . . . . . . 119 1. Vertraglich und vertragsähnlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 a) § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 c) Das Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB als Schutzgesetz? . 122 d) § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) Keine Erhöhung des Schadensersatzanspruchs aufgrund von Punitive Damages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Quasinegatorischer Schutz: Schikaneverbot und Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Konsequenzen für das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB . . 128 4. Bereicherungsrecht und Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 B. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

14

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Das Rechtsmissbrauchsverbot in der juristischen Methodik und in der Entscheidungsbegründung 130



§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot im deterministischen Rechtsfindungsmodell . . . . . . 130 A. Methodischer Gehalt des Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 I.

Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 B. Auslegung nach dem Determinationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I.

Rechtsfindung nach dem Determinations- oder Rechtserzeugungsmodell . 135 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Rechtserzeugungsmodell als rechtstheoretische Realität . . . . . . . . . 139 b) Determinationsmodell als Paradigma der herrschenden Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

II. Auslegung nach dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Der Sprachgebrauch als Mittel der Wortlautuntersuchung . . . . . . . . . . 142 2. Die Kontext- und Strukturuntersuchung als weitere Mittel der Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 III. Auslegung nach der Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Systematische Auslegung als Auslegungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Systematische Auslegung als Kontrollinstanz des Auslegungsergebnisses 144 3. Einbettung von Generalklauseln in die systematische Auslegung . . . . . 145 4. Präjudizien als systematisches Argument? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Genetische und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 V. Die Reichweite der teleologischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Subjektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. Verfassungskonforme und unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . 155 C. Das Rechtsmissbrauchsargument im Rahmen von Auslegung und Subsumtion: Bekenntnis zur Außenschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I.

Auslegung und Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

II. Subsumtion und Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 D. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 § 10 Das Rechtsmissbrauchsverbot als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung in Entscheidungsfindung und -begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 A. Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Inhaltsverzeichnis I.

15

Rechtsfindung praeter legem: Lückenfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

II. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildungsmittel und ihre Abgrenzung zur Rechtsmissbrauchsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 a) Abgrenzung zum individuellen Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Abgrenzung zum institutionellen Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . 170 2. Teleologische Extension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Analogie, Größen- und Umkehrschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4. Die Gesetzesumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung: Rechtsfindung extra legem, sed intra ius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Rechtsinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Verfassungsrechtliche Grenzen von Rechtsfortbildung und Auslegung . . . 180 V. Abstrakte Rangordnung der Rechtsfortbildungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . 182 B. Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I.

Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 C. Das Rechtsmissbrauchsverbot in der Entscheidungsbegründung . . . . . . . . . . . . 186 I.

Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

II. Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 D. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Dritter Teil Anwendung und dogmatische Grundlagen eines zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbots



190

§ 11 Anwendung des methodischen Grundkonzeptes auf ausgewählte Fallbeispiele . . . 190 A. Arglistiges Schaffen prozessualer Rechtslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I.

Teleologische Reduktion und unzulässige Rechtsausübung am Beispiel der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs und Klage nach § 23 ZPO 191

16

Inhaltsverzeichnis a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 aa) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) Genetische und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 cc) Telos als Auslegungsergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Verbringen von Vermögen ins Inland und Klage nach § 23 ZPO . . . . . . 194 a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 B. Venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I.

Keine vertragliche Nichtangriffsabrede in Patentsachen . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

II. Zustellungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Auslegungsmittel und Auslegungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Subsumtion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 C. Missbrauch prozessualer Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I.

Verweigerung der Zustimmung zum gewillkürten Parteiwechsel . . . . . . . 200 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Genetische und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

II. Der rechtsmissbräuchliche Kostenfestsetzungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Genetische und historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Auslegungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Verwirkung der Beschwerdebefugnis bei unbefristeten Rechtsbehelfen oder nicht angelaufenen Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 I.

Verwirkung des Beschwerderechts bei einem befristeten Rechtsmittel . . . 205 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Historie und Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

II. Verwirkung der Geltendmachung eines Titels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

17

1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Unzulässige Rechtsausübung in Form der Verwirkung . . . . . . . . . . 209 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 E. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 § 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . 212 A. Begründungsansätze in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I.

Kein prozessuales Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

II. Grundlagen der prozessualen Rechtsmissbrauchsschranke . . . . . . . . . . . . . 213 B. Geltungsgründe des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . 214 I.

§ 242 BGB als Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Auslegung von § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Wortlaut und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 d) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Teleologische Extension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

II. Historischer Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 III. Rechtstatsächlicher Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 IV. Verfassungsrechtlicher Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Verbot des Grundrechtsmissbrauchs nach Art. 18 GG . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Treu und Glauben als Verfassungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4. Recht auf ein faires Verfahren als Rechtsschutzstandard . . . . . . . . . . . . 224 5. Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6. Abwägung auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 V. Europarechtlicher Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 VI. Prozessrechtsdogmatischer Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 VII. Rechtsphilosophischer Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 VIII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 C. Einwände gegen ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . 231

18

Inhaltsverzeichnis I.

Unterschied von Privat- zu Prozesshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

II. Formenstrenge des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 III. Vorrang objektiver Prozesszwecke gegenüber dem Individualrechtsschutz 234 1. Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Rechtsgewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Bewahrung der objektiven Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 5. Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 IV. Der Unterschied von Verfahrensgerechtigkeit zu materieller Gerechtigkeit 237 D. Abgrenzung zur Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I.

Genereller Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 E. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 § 13 Prozessinterne und prozessexterne Folgen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . 243 A. Prozessimmanente Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I.

Die Sanktionsmöglichkeiten im Lichte der Prozesshandlungslehre . . . . . . 243 1. Abgrenzung von Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen . . . . . . . . . 243 2. Missbräuchliche Erwirkungshandlungen und ihre Folgen . . . . . . . . . . . 244 a) Unzulässige Prozesshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Potenziell rechtsmissbräuchliche Erwirkungshandlungen . . . . . . . . 245 c) Auswirkungen einer unzulässigen Erwirkungshandlung . . . . . . . . . 245 3. Konkrete Sanktionen bei rechtsmissbräuchlichem Prozessverhalten . . . 246

II. Unzulässige Bewirkungshandlungen und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 III. Maßgeblichkeit der Prozesslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 B. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 C. Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I.

Schadensersatzanspruch aus Prozessrechtsverhältnis: culpa in procedendo 249 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Keine Analogie zur culpa in contrahendo aus § 311 Abs. 2 BGB . . . 250 aa) Kein konkretes Vertrauenselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Fehlendes Willensmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Prozessrechtsverhältnis als Schuldverhältnis im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

II. Schadensersatzanspruch aus Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

Inhaltsverzeichnis

19

1. Anspruchsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Entscheidungsschäden und Begleitschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Haftungsprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Erhebung von Missbrauchsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 E. Rechtsmittel und zwangsvollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . 257 I.

Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

II. Wiederaufnahme des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 III. Abänderungsklage, § 323 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 IV. Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 V. Titelgegenklage § 767 Abs. 1 ZPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 F. Schlussfolgerung: Vorrang prozessualer Sanktionen beim Prozessrechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 G. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 § 14 Prozessuale Redlichkeitspflicht de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 A. Topoi zur Positivierung einer Generalklausel prozessualer Redlichkeitspflichten 263 I.

Argumente für eine prozessuale Redlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Erhöhung der Regelungsdichte in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Re-Konturierung von § 242 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Positivierung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung . . . . . . . . 265 4. Konkretisierung des prozessualen Pflichtenkatalogs . . . . . . . . . . . . . . . 266

II. Argumente gegen eine Generalklausel prozessualer Redlichkeitspflichten 266 1. Entstehungsgeschichte des BGB und der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Versagung von Rechtsschutz durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Rechtsanwendung im Rahmen der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . 268 4. Prozessverzögerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 5. Gefahr der Rechtszersplitterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 6. Deklaratorischer Gehalt der Redlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 III. Schlussfolgerung für das deutsche Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 IV. Prozessuale Redlichkeitsklausel im europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . 271 B. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

20

Inhaltsverzeichnis

Vierter Teil Schluss 273 § 15 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 A. Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Dogmatik des Missbrauchsverbots und methodische Handhabung . . . . . . . . . . 275

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Abkürzungsverzeichnis a. F. alte Fassung Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) ABGB Abs. Absatz AcP Archiv für civilistische Praxis AG Amtsgericht Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AGG AGS Anwaltsgebühren Spezial ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Archiv des öffentlichen Rechts AöR ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Art. Artikel BAG Bundesarbeitsgericht BB Betriebs-Berater Bürgerliches Gesetzbuch BGB BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BinSchGerG Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtssachen BSHG Bundessozialhilfegesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGK Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts CC Code Civil ders. derselbe dies. dieselbe(n) Diss. Dissertation Die Öffentliche Verwaltung DÖV European Company and Financial Law Review ECFR Gerichtshof der Europäischen Union EuGH Charta der Europäischen Grundrechte EuGRCh EuGVVO Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Menschenrechtskonvention EMRK folgend(e) f., ff. FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FamRZ Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG forum historiae iuris: elektronische Zeitschrift für Rechtsgeschichte FHI Fn. Fußnote(n) FS Festschrift

22

Abkürzungsverzeichnis

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GA GG Grundgesetz Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Internationaler Teil GRURInt GRUR-Prax Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Praxis im Immaterialgüterund Wettbewerbsrecht GS Gedächtnisschrift GVG Gerichtsverfassungsgesetz Historisch-Kritischer Kommentar HKK Höchstrichterliche Rechtsprechung HRR Hrsg. Herausgeber Internationales Privatrecht IPR Juristische Arbeitsblätter JA Juristische Blätter JBl Juristische Rundschau JR Juristische Ausbildung JURA Juristische Schulung JuS Juristische Wochenschrift JW JZ Juristenzeitung LG Landgericht Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen LwVG Monatsschrift des deutschen Rechts MDR Neue Juristische Wochenschrift NJW NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NJW-RR Nr. Nummer(n) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG Oberster Gerichtshof der Republik Österreich OGH ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OLG Oberlandesgericht Rechtsprechung der Oberlandesgerichte OLGRspr. Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen OLGZ Obligationenrecht (Schweiz) OR Zivilprozessordnung (Österreich) öZPO p. page(s) Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RabelsZ RAG Reichsarbeitsgericht RG Reichsgericht RGBl Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RGZ Revue internationale des droits de l’antiquité RIDA Recht der internationalen Wirtschaft RIW Revista Jurídica de Cataluña RJC Rn. Randnummer(n) S. Seite(n) Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte der deutschen SeuffArch. Staaten

Abkürzungsverzeichnis

23

StGB Strafgesetzbuch Steuer und Wirtschaft StuW SZ Savigny-Zeitschrift Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht VersR vgl. vergleiche VVdStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wertpapier-Mitteilungen: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM Washington University Law Review WULR Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZEuP Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und RechtsvergleiZfRV chung (Schweizerisches) Zivilgesetzbuch ZGB Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZHR Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für das Juristische Studium ZJS ZPO Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZSR Zeitschrift für Zivilprozess ZZP Zeitschrift für Zivilprozess International ZZPInt

§ 1 Einführung in die Thematik A. Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsinteresse Die Problematik rechtsmissbräuchlichen Prozessverhaltens hat viele Facetten. Diese reichen von Fragen der prozessrechtlichen Dogmatik bis zur juristischen Methodik. Der prozessrechtlich kundige Leser wird sich dennoch berechtigterweise die Frage stellen, weswegen hierzu eine weitere wissenschaftliche Arbeit vonnöten sein soll. Schließlich hat sich insbesondere in den 50er und 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eine Vielzahl an Prozessrechtsspezialisten diesem Thema gewidmet.1 Auch im Nachgang zu diesen Untersuchungen sind weitere Arbeiten zu dieser Thematik insbesondere mit Blick auf den Rechtsmissbrauch und dessen vier anerkannte Fallgruppen erfolgt: Diese sind das arglistige Schaffen prozessualer Rechtslagen, das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, das Verbot des Missbrauchs prozessualer Befugnisse und der Einwand der Verwirkung.2 Vereinzelt konzentrierten sich diese Arbeiten auf diese vier Fallgruppen und deren dogmatische Grundlagen de lege lata und de lege ferenda;3 teilweise wurde das Treu-und-Glauben-Prinzip rechtsvergleichend4 oder im Spiegel der Rechtsprechung5 zum Gegenstand von Abhandlungen gemacht. Anhand der Darstellung des Verhältnisses von Gericht zu Partei wurde die Thematik des prozessualen Rechtsmissbrauchs ebenfalls erörtert.6 Außerdem sind Redlichkeitspflichten im Rahmen des Prozessrechtsverhältnisses analysiert worden.7 Neueren Datums sind zum einen der kritische Beitrag Prüttings8 und zum anderen die Arbeit Kloepfers für ein zivilverfahrensrechtliches Missbrauchsverbot auf europäischer Ebene.9 1

So etwa: Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 89–131; Zeiss, Die arglistige Prozesspartei (1967), passim; Bernhardt, ZZP 66 (1953), S. 77–100. 2 Konzen, Rechtsverhältnisse, 1976; Rüben, Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben zwischen Gericht und Partei im Zivilprozess, 1980; Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozess, 1998; Fleck, Redlichkeitspflichten, 2004; Holthausen, Theorie und Praxis einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke für Prozessparteien – Eine rechtsvergleichende Untersuchung im deutschen und französischen zivilprozessualen Urteilsverfahren, 2005; Prütting, in: FS Stürner, 2013, S. 455–465; Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht, 2016. 3 Etwa Zeiss in seiner Habilitationsschrift: Die arglistige Prozesspartei, S. 17 f. 4 Holthausen, Theorie und Praxis einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke für Prozessparteien – Eine rechtsvergleichende Untersuchung im deutschen und französischen zivilprozessualen Urteilsverfahren. 5 Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozess. 6 Rüben, Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben zwischen Gericht und Partei im Zivilprozess. 7 Konzen, Rechtsverhältnisse; Fleck, Redlichkeitspflichten. 8 Prütting, in: FS Stürner, S. 455–465. 9 Klöpfer, Missbrauch im Europäischen Zivilverfahrensrecht.

26

§ 1 Einführung in die Thematik

Nichtsdestoweniger ist eine erneute Auseinandersetzung mit dem prozessualen Rechtsmissbrauch angezeigt. Die Thematik ist aus Gründen der juristischen Methodik und der Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots zu vertiefen. Gerade mit Blick auf handhabbare Kriterien für die konkrete Rechtsanwendung bleiben die genannten Arbeiten zu vage; ein Modell zur Verwendung des Rechtsmissbrauchsarguments fehlt. Zum einen rechtfertigt die rechtsmethodische Komponente,10 nämlich ob und wie sich ein Verbot der unzulässigen Rechtsausübung generell in den juristischen Methodenkanon einflechten lässt, eine vertiefte Auseinandersetzung. Dabei interessiert insbesondere das Verhältnis von richterlicher Einzelfallkontrolle zu abstrakter Gesetzesanwendung sowie der Subsumtion des Falls unter die Regel. Vor allem stellt sich die Frage, wie sich das Rechtsmissbrauchsverbot zu anderen metho­dischen Mitteln und Instituten wie der teleologischen Reduktion und der – insbesondere aus dem Internationalen Privatrecht bekannten – Gesetzesumgehung verhält; für die Transparenz und die Methodenehrlichkeit gerichtlicher Entscheidungen ist dabei elementar, dass es nachvollziehbare Merkmale für den methodischen Einsatz des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess gibt. Solche anwendungsbezogenen Kriterien werden in der vorliegenden Untersuchung entwickelt. Zum anderen ist die Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots im Allgemeinen und mit Blick auf seine Anwendung im Prozessrecht zu fundieren. Dies betrifft Tatbestand und Rechtsfolgen des § 242 BGB gleichermaßen wie die Frage nach den Geltungsgründen eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots. Die von Prütting geübte Kritik an der Anwendung des § 242 BGB im Zivilprozess11 deckt Schwachstellen der bisherigen Argumentation auf und nötigt zu einer vertieften Ausein­ andersetzung mit den Voraussetzungen und Bedingungen einer prozessualen Missbrauchsschranke. Im Zuge dessen ist auch auf die Rechtsfolgenseite prozessual missbräuchlichen Verhaltens einzugehen. Dies betrifft maßgeblich das Verhältnis prozessimmanenter und prozessexterner Rechtsfolgen. Im Lichte dieser methodischen und dogmatischen Fragen ist es lohnenswert, sich erneut mit der Legitimation des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots auseinanderzusetzen. Die vorliegende Untersuchung wird dadurch eingegrenzt, dass die in der jüngeren Literatur zu diesem Thema vertretene Frage nach treuwidrigem Verhalten des Gerichts gegenüber einer Partei nicht erörtert wird.12 Diese Fragestellung bringt

10 Zu diesen Fragestellungen aus strafprozessualer Sicht: Kudlich, Strafprozeß und allge­ meines Mißbrauchsverbot, 1998, und aus arbeitsrechtlicher Sicht: Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, 2015. 11 Prütting, in: FS Stürner, S. 455–465. 12 Rüben, Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben zwischen Gericht und Partei im Zivilprozess, S. 21 ff.

§ 1 Einführung in die Thematik

27

einen Perspektivenwechsel mit sich, der erst in der grundsätzlichen Konstellation13 dreier Teilnehmer am Verfahren bedeutsam wird. Es wird nicht mehr allein das Parteiverhalten, sondern auch das richterliche Verhalten gegenüber den Parteien im Rahmen des Verfahrens reflektiert. Vertrauensschutz gegenüber staatlicher Exekutive ist dabei ein weithin erörtertes Problem,14 während der Vertrauensschutz des Bürgers gegenüber der Judikative bisher noch nicht umfassend beleuchtet wurde.15 Da sich das wissenschaftliche Interesse der vorliegenden Untersuchung auf das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot der Parteien untereinander aus dogmatischer wie rechtstheoretischer Sicht konzentriert, soll das Verhältnis von Gericht und Partei hier nicht Gegenstand sein. Der Fokus soll vielmehr auf dem methodischen Umgang mit diesem Verbot und dessen generellen Sachnormgehalt im Prozess, sodann dem Bereich der Rechtsfindung und der Entscheidungsbegründung sowie zuletzt auf den mit dem Verbot verbundenen Rechtsfolgen liegen. B. Gang der Untersuchung Ein entscheidender Gesichtspunkt bei einer Abhandlung ist stets, welcher Methode sich der Verfasser zur Klärung der gestellten Frage bedient. Für ein möglichst umfassendes Bild zu der Problematik des prozessualen Rechtsmissbrauchs ist es dienlich, sich einer Vielzahl an Methoden zu bedienen. Am Beginn der Arbeit steht eine Problem- und Materialerfassung, welche den Status quo missbräuchlichen Prozessverhaltens von Parteien in Deutschland laut Rechtsprechung und Literatur darstellt. Im Anschluss daran wird dies historisch, rechtsvergleichend und rechtsvereinheitlichend betrachtet.16 Sodann folgen im zweiten Teil die Auseinandersetzung mit dem zivilrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot, die methodische Einordnung dieser Schranke und eine dezidierte Erörterung der prozessualen Variante des Verbots. Das erste Kapitel des zweiten Teils befasst sich mit der unzulässigen Rechtsausübung im materiellen Zivilrecht sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite. Daran schließen sich methodische Fragen in Bezug auf das Rechtsmissbrauchsverbot an, die sowohl die praktische Entscheidungsfindung als auch die Entscheidungsbegründung betreffen. In diesem zweiten Kapitel wird sich die Darstellung auf das methodische Verständnis des Rechtsmissbrauchsarguments konzentrieren und dieses Institut zu

13 Durch die Klage von mehreren Parteien als streitgenössische Kläger, gegenüber mehreren Parteien als streitgenössische Beklagte sowie der Möglichkeit von Haupt- oder Nebeninvention bzw. Streitverkündung gibt es auch Verfahren mit sehr viel mehr Beteiligten. 14 Bullinger, JZ 1999, S. 905 ff.; Leisner, Kontinuität, S. 475 ff. 15 Baumgärtel, ZZP 86 (1973), S. 370; s. aber eben die Schrift von Rüben, Die Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben zwischen Gericht und Partei im Zivilprozess, passim. 16 Hinsichtlich des Aufbaus dieser Problem- und Materialerfassung ist die Arbeit von Sonnentag, Der Renvoi im Internationalen Privatrecht, Vorbild.

28

§ 1 Einführung in die Thematik

Gesetzesumgehung, Analogie und teleologischer Reduktion, also zu Mitteln der abstrakten Gesetzesanwendung, abgrenzen. Der dritte Teil beginnt mit einer Analyse der Fallgruppen des prozessualen Rechtsmissbrauchs basierend auf dem vom Verfasser dargelegten Methodenkanon. Auch die Begründung der herrschenden Meinung zur Anwendung des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots als notwendige Folge der Einheit der Rechtsordnung wird auf den Prüfstand gestellt.17 Die Rechtsfolgen und Sanktionsinstrumentarien bei einem Verstoß gegen das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot werden ebenfalls behandelt. Abgeschlossen wird der dritte Teil der Arbeit mit der Frage nach der Implementierung einer prozessualen Redlichkeitsklausel in die ZPO de lege ferenda. Den Schluss und vierten Teil der Untersuchung bildet die Zusammenfassung der Ergebnisse.

17

Statt aller Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 2 IV, Rn. 18.

Erster Teil

1,

Problem- und Materialerfassung Die Konstellationen, in deren Zusammenhang das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Zivilprozess eine Rolle spielen kann, sind mannigfaltig. Ausgangspunkt der Darstellung soll daher der Status quo der bisher schwerpunktmäßig diskutierten Fälle in Rechtsprechung und Literatur sein. Eine vollständige Darstellung muss aus Platzgründen unterbleiben. Sie wäre als kasuistische Übersicht auch wissenschaftlich ohne Mehrwert. Die Frage nach dem „Ob“ einer Anwendung dieses Verbots wird in Urteilen regelmäßig lediglich mit einem Hinweis auf bereits ergangene Präjudizien behandelt;1 allein die Literatur setzt sich mit dieser Frage noch auseinander. Kapitel 1

Stand der Diskussion zum zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbot Baumgärtel formte in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1956 als Erster systematisch Fallgruppen des prozessualen Missbrauchsverbots aus:2 Das arglistige Schaffen prozessualer Rechtslagen,3 das Verbot widersprüchlichen Verhaltens4 und das Verbot der missbräuchlichen Ausübung prozessualer Befugnisse.5 Diese Kategorien ergänzte Zeiss später um die Fallgruppe der prozessualen Verwirkung.6 Die daran anschließende Diskussion in der Literatur orientierte sich an diesen vier Fallgruppen, die an das Verhalten der rechtsmissbräuchlich agierenden Partei anknüpfen. Der Einteilung in Fallgruppen haftet dabei naturgemäß an, dass die eine oder andere Konstellation auch anders zugeordnet werden könnte.7 Vor der Prüfung von Einzelheiten zur prozessualen Missbrauchsdogmatik im dritten Teil der Untersuchung8 soll durch die Darstellung des Meinungsstandes in 1

So etwa zuletzt BGH NJW 2013, S. 1369 ff. Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 89 ff., wobei dieser vom Treu-und-Glauben-Prinzip im Prozess sprach. 3 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 108 ff. 4 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 120 ff. 5 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 113 ff. 6 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 51, 123 ff. 7 Zur Problematik der Fallgruppenbildung, Keil, Systematik, S. 92; Weber, AcP 192 (1992), S. 553 f., 559 f. 8 Insbesondere §§ 11–13. 2

30

Teil 1, Kapitel 1

Rechtsprechung und Literatur der konkrete Bezug zum rechtsmissbräuchlichen Verhalten hergestellt werden. Dabei wird nur rechtsmissbräuchliches Partei­ verhalten und nicht vergleichbares gerichtliches Agieren9 beleuchtet; zu diesem Zweck werden zunächst anhand der vier überkommenen Fallgruppen die Annahme von Rechtsmissbrauch, dessen Rechtsfolgen sowie der methodische Weg in der Entscheidungsbegründung der jeweiligen Gerichte nachgezeichnet. Im Anschluss erfolgt die Darstellung der Bewertung der von der Rechtsprechung gefundenen Lösungen durch die Literatur.

§ 2 Rechtsprechung Eine Skizzierung der Rechtsprechung zu den vier Fallgruppen und jeweiligen Einzelkonstellationen ist notwendig, um sich der Anwendungsfälle und -beispiele des prozessualen Rechtsmissbrauchs zu vergewissern.10 Die Argumentation der Rechtsprechung kennzeichnet dabei, dass sie das Rechtsmissbrauchsverbot auch im Zivilprozess auf das Treu-und-Glauben-Prinzip nach § 242 BGB stützt. A. Arglistiges Schaffen prozessualer Rechtslagen Im Schrifttum wie in der Rechtsprechung ist das arglistige Schaffen prozessualer Rechtslagen als eine Fallgruppe des zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbots anerkannt.11 Hierzu zählen insbesondere die Problemkreise des Erschleichens der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit, das treuwidrige Erlangen von Prozesskostenhilfe nach § 114 ZPO und das Nichterbringen einer Sicherheitsleistung nach § 110 ZPO durch Verwendung eines Strohmannes. Auch das Erschleichen und das Verhindern der Revisionssumme dienen als Beispiele. I. Internationale und örtliche Zuständigkeit des Gerichts

Eine Untergruppe des Schaffens arglistiger Prozesslagen betrifft die Fallkonstel­ lationen, in denen der Kläger die örtliche Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts begründen will. Diesbezüglich gibt es mehrere Konstellationen, in denen der Kläger den örtlichen Gerichtsstand zur Verwirklichung einer über die Prozessführung hinausgehenden Motivation nutzt. 9

Hierzu aber knapp: Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 107; Baur, JZ 1955, S. 551. Die verwendeten Fallbeispiele sind zum großen Teil Zeiss, Arglistige Prozesspartei, passim, und Pfister, Treu und Glauben, passim, entnommen. 11 Siehe hierzu nur: Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 52 ff.; Pfister, Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben, S. 33 ff.; Holthausen, Theorie und Praxis, S. 112 ff.; Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 108 ff. 10

§ 2 Rechtsprechung 

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1. Besonderer Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstands nach § 23 ZPO Der besondere Gerichtsstand des § 23 ZPO regelt den Fall, dass bei vermögensrechtlichen Ansprüchen gegen eine im Ausland wohnhafte Person eine Klage in dem inländischen Gerichtsbezirk anhängig gemacht werden kann, in dem sich Vermögen des Beklagten befindet. Die Fälle des § 23 ZPO beziehen sich darauf, dass der Kläger nach den sonstigen Vorschriften über die internationale Zuständigkeit gehalten wäre, im Ausland zu klagen. Er erhebt jedoch gegen den im Ausland wohnhaften Beklagten eine Klage im Inland, die er in Ermangelung der örtlichen und internationalen Zuständigkeit verliert. Aufgrund des hierdurch für den Beklagten entstehenden, prozessualen Kostenerstattungsanspruchs hat dieser eine Forderung im Inland gegen den Kläger und letzterer verklagt den Beklagten nunmehr nach § 23 S. 2 ZPO am Heimgerichtsstand unter Berufung auf dieses Vermögen. Im Jahr 1886 hatte das Reichsgericht eine solche Folgeklage als zulässig angesehen und dies mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen von § 24 ZPO a. F.12 begründet.13 Die Oberlandesgerichte Dresden und Marienwerder lehnten demgegenüber, wenn der Vorprozess arglistig geführt worden war, die Zuständigkeit ab.14 Das OLG Darmstadt15 wählte methodisch eine andere Herangehensweise, indem es eine teleologische Auslegung statt einer Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot vornahm. Auf den Arglisteinwand musste aus Sicht dieses Gerichts daher nicht mehr eingegangen werden.16 Diese Rechtsprechung übernahm der BGH in der Folge methodisch, indem er im Rahmen einer teleologischen Auslegung das Erfordernis eines hinreichenden Inlandsbezuges forderte.17 Die Konsequenz in Konstellationen wie der hier beschriebenen war die Abweisung der Klage als unzulässig. Nur bei der ersten Entscheidung des RG, der Entscheidung 12 § 24 ZPO a. F. entsprach dem heutigen § 23 ZPO inhaltlich mit folgendem Wortlaut: „Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, welche im Deutschen Reich keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirke sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Bei Forderungen gilt als der Ort, wo das Vermögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn für die Forderung eine Sache zur Sicherheit haftet, auch der Ort, wo die Sache sich befindet.“ 13 RGZ 16, 391 (393), allerdings nur mit der Begründung, dass der Arglisteinwand im öffentlichen Prozessrecht nicht greifen könne; hier sei vielmehr nur auf das Vorliegen der gesetzlich gegebenen Voraussetzungen abzuheben. 14 OLG Dresden, SeuffArch. 66, Nr. 216, S. 419 (420); das OLG Marienwerder, OLGRspr. 35, 72 (73) nahm aufgrund des nicht arglistig eingeleiteten Vorprozesses keine arglistige Erschleichung des Gerichtsstandes nach § 23 ZPO an. Beide Gerichte differenzieren nicht näher zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeit, lehnen aber bei Arglist die örtliche Zuständigkeit nach § 23 ZPO ab. 15 OLG Darmstadt JW 1929, S. 121. 16 OLG Darmstadt JW 1929, S. 121. 17 BGHZ 115, 90 (94); hier für den Fall, dass ein ausländisches Unternehmen gegen ein anderes ausländisches Unternehmen im Inland klagen will.

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Teil 1, Kapitel 1

des OLG Darmstadt und der Entscheidung des BGH wurde eine Gesetzesauslegung durchgeführt, bevor auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs zurückgegriffen wurde. Das OLG Marienwerder deutete die Bedeutung des Kostenerstattungsanspruchs als Vermögen und damit eine Auslegung nur an.18 Das OLG Dresden ging zunächst auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung einer prozessualen Arglist­einrede gegen § 23 ZPO ein und prüfte erst dann als weiteres Argument den Sinn des Gesetzes.19 2. Besonderer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO Weitere Rechtsmissbrauchskonstellationen ergeben sich im Zusammenhang mit § 32 ZPO, wonach für Klagen aus unerlaubter Handlung der Ort der Handlung den Gerichtsstand begründet. Die vom LG Düsseldorf entschiedene Konstellation20 behandelte den Fall, dass ein Unternehmen ein anderes Unternehmen aus demselben Gerichtsbezirk zur Bestellung eines Produkts mit einem namensähnlichen Warenzeichen21 bei einem dritten, in einem anderen Gerichtsbezirk gelegenen Unternehmen veranlasst. Dies führte das erste Unternehmen herbei, um die heimische Gerichtsbarkeit in Anspruch nehmen zu können. Das erste Unternehmen verklagte sodann das liefernde Unternehmen im eigenen Gerichtsbezirk nach § 32 ZPO.22 Das LG Düsseldorf kam in einem solchen Fall zu dem Schluss, dass Arglist nicht gegeben sei, da in der konkreten Konstellation die willentliche Kundgabe23 der Belieferung des Bezirks mitangegeben war und nicht allein die Provokation maßgeblich war. Das Verhalten sei daher nicht rechtsmissbräuchlich und somit zu gestatten. Methodisch wurde in diesem Fall allein auf die Arglisteinrede abgehoben und eine Auslegung von § 32 ZPO nicht vorgenommen.

18

OLG Marienwerder OLGRspr 35, 72 (73). OLG Dresden SeuffArch 66, Nr. 216, S. 419 (421). 20 LG Düsseldorf, GRUR 1951, S. 519. 21 Aus der Namensähnlichkeit des Warenzeichens wurde die Wettbewerbswidrigkeit nach dem früheren WZG (heute MarkenG) und damit auch die unerlaubte Handlung hergeleitet. 22 LG Düsseldorf, GRUR 1951, S. 519; das LG Hamburg hatte über einen ähnlichen Fall zu entscheiden, s. GRUR 1951, S. 39: Lieferung einer Ware, welche durch einen Strohmann des Klägers bestellt worden ist, nach Hamburg durch die Beklagte; keine Annahme prozessualer Arglist. 23 LG Düsseldorf, GRUR 1951, S. 519; mit der gleichen Begründung LG Hamburg, GRUR 1951, S. 39. 19

§ 2 Rechtsprechung 

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3. Gerichtsstand in Unterhaltssachen, § 232 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 FamFG § 232 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 FamFG ordnet an, dass für den Antrag eines Kindes, durch den beide Eltern auf Erfüllung der Unterhaltspflicht in Anspruch genommen werden, das Gericht örtlich zuständig ist, das für den Antrag gegen einen Elternteil zuständig ist.24 Das OLG Nürnberg wies in einer Entscheidung zum damals noch geltenden, aber § 232 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FamFG entsprechenden § 35a ZPO25 die Unterhaltsklage eines unterhaltsberechtigten Kindes gegen beide Unterhaltsverpflichtete wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses ab.26 Der Unterhaltsberechtigte hatte die in seinem Gerichtsbezirk wohnhafte Mutter allein deswegen in Anspruch genommen, weil er dort auch einen Gerichtsstand gegenüber dem Vater begründen konnte, den er tatsächlich in Anspruch nehmen wollte. Die unterhaltsverpflichtete Mutter hatte sich jedoch zur Zahlung von Unterhalt bereit erklärt. Letztlich hatte das unterhaltsberechtigte Kind also kein Interesse, seine zahlungswillige Mutter an dem für ihn günstigen Gerichtsstand zu verklagen. Auch hier erfolgte methodisch keine Auslegung des damaligen § 35a ZPO, sondern es wurde sofort auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis abgestellt. 4. Besonderer Gerichtsstand im Scheck- und Wechselprozess, § 603 Abs. 2 ZPO § 603 Abs. 2 ZPO gibt dem Kläger die Option, mehrere Wechsel- oder Scheckverpflichtete am allgemeinen Gerichtsstand eines der Verpflichteten zu verklagen.27 Das Reichsgericht entschied in einer Sachverhaltskonstellation, in der einer der Wechselverpflichteten nur verklagt wurde, um den gewünschten Gerichtsstand zu schaffen, dass diese Klage nur zum Schein erhoben worden sei, und ließ die Arglisteinrede des anderen Wechselverpflichteten durchgreifen.28 Der Wechselverpflichtete, der aus Sicht des Wechselberechtigten den besseren Gerichtsstand

24 § 232 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 FamFG: „Nach Wahl des Antragstellers ist auch zuständig [..] 2. für den Antrag eines Kindes, durch den beide Eltern auf Erfüllung der Unterhaltspflicht in Anspruch genommen werden, das Gericht, das für den Antrag gegen einen Elternteil zuständig ist.“ 25 § 35a ZPO a. F. lautete: „Das Kind kann die Klage, durch die beide Eltern auf Erfüllung der Unterhaltspflicht in Anspruch genommen werden, vor dem Gericht erheben, bei dem der Vater oder die Mutter einen Gerichtsstand hat.“ 26 OLG Nürnberg, FamRZ 1996, S. 172. 27 § 603 Abs. 2 ZPO lautet: „Wenn mehrere Wechselverpflichtete gemeinschaftlich verklagt werden, so ist außer dem Gericht des Zahlungsortes jedes Gericht zuständig, bei dem einer der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.“ 28 RGZ 51, 175 (176).

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hatte, hatte diesen vor dem Prozess bereits vollumfänglich befriedigt, so dass die Klage gegen ihn unzulässig war. Methodisch wurde in diesem Fall auf die Einrede der Arglist abgestellt und nicht eine Auslegung von § 603 Abs. 2 ZPO vorgenommen. Das RG deutete ein Verhältnis von Auslegung und Arglisteinrede nur an, indem es annahm, dass der Sinn von § 603 Abs. 2 ZPO in dieser Konstellation verfehlt werde und deshalb die Arglisteinrede maßgeblich sei.29 II. Sachliche Zuständigkeit des Gerichts

Arglistig kann nach Auffassung des LG Berlin auch die Erhebung mehrerer Teilklagen sein. In dem zugrunde liegenden Fall vor dem LG Berlin aus dem Jahr 193130 machte der Kläger in erster Instanz vor dem AG Berlin einen Anspruch in fünf Teilklagen geltend, um die Zuständigkeit des Landgerichts zu vermeiden.31 Das AG Berlin hatte die Klagen verbunden und abgewiesen. Die Begründung des LG Berlin als Berufungsinstanz lautete, dass die Klage prozessual nicht gerechtfertigt sei, weil die Erschleichung des Gerichtsstandes bezweckt werde und es am Rechtsschutzbedürfnis fehle.32 Allerdings wurde auch auf den prozessualen Arglisteinwand abgehoben.33 Folge des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses war letztlich, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. III. Prozesskostenhilfegesuch nach § 114 ZPO

Eine Erschleichung der Prozesskostenhilfe wird angenommen, wenn eine nicht prozesskostenberechtigte Partei einer mittellosen Partei eine Forderung abtritt. Der Zessionar beantragt sodann Prozesskostenhilfe.34 Die Rechtsprechung nimmt dann, wenn die Abtretung ohne weiteren Grund erfolgt und der Rechtsinhaber nur jemanden vorschiebt, rechtsmissbräuchliches Verhalten an.35 Geschieht die Ab 29

RGZ 51, 175 (176). LG Berlin, JW 1931, S. 1766. 31 Der Anspruch lautete auf 2100 Reichsmark. Nach § 71 Abs. 1 GVG a. F. lag die Zuständigkeitsstreitwertgrenze zum Landgericht bei 800 Reichsmark, vgl. LG Berlin, JW 1931, S. 1766. 32 LG Berlin, JW 1931, S. 1766. 33 LG Berlin, JW 1931, S. 1766 (1767). 34 OLG Breslau, SeuffArch. 51, Nr. 137, S. 302; OLG Stuttgart, SeuffArch. 54, Nr. 250, S. 1056. 35 BGH, NJW 1967, S. 1566 (1567) stellt das diesbezügliche Prozedere dar: zunächst ist auf den Antragsteller hinsichtlich der PKH abzustellen. Falls kein Grund für eine Abtretung an den Antragsteller ersichtlich ist, ist in der Regel von Rechtsmissbrauch auszugehen; ferner: OLG München, FamRZ 1994, S. 1531 (1533); das OLG Köln, VersR 1989, S. 277 nimmt es als Gesetzesumgehung des § 116 Nr. 2 ZPO an, wenn der Alleingesellschafter einer GmbH Ansprüche im eigenen Namen geltend macht. 30

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tretung ausdrücklich unter Hinweis auf die durch eine Abtretung abgelöste Verbindlichkeit, ist der Vorwurf der unzulässigen Rechtsausübung entkräftet. Methodisch wurde auch in einem solchen Fall vom OLG Breslau nicht die Auslegung einer konkreten Norm des Armenrechts36 durchgeführt, sondern auf die Gesetzesumgehung und den dolus des Zedenten abgestellt.37 In einem Beschluss des OLG Stuttgart argumentierte der Senat mit „dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Bestimmungen über das Armenrecht“.38 Der BGH bezog sich auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs in Präjudizien ohne Auslegung des Normtextes.39 Das OLG München nahm demgegenüber im Hinblick auf die Reichweite der Abtretung eine Auslegung von § 91 BSHG vor und argumentierte nicht mit Rechtsmissbrauch.40 Diese Entscheidungen verdeutlichen die unterschiedliche methodische Herangehensweise der Gerichte. IV. Kein Erbringen einer Sicherheit nach § 110 ZPO

§ 110 ZPO regelt für Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, die Leistung einer Prozesskostensicherheit, soweit der Beklagte diese verlangt. Ein vermögensloser Deutscher macht beispielsweise treuhänderisch einen Anspruch für ein amerikanisches Unternehmen geltend; die sonst bei einem ausländischen Kläger notwendige Sicherheitsleistung nach § 110 ZPO entfällt daher. Das OLG Naumburg nahm eine Sittenwidrigkeit der Abtretung nach § 138 Abs. 1 BGB an,41 weil die Umgehung des Gesetzes zur Vereitelung der Kostenerstattung der Beklagten nicht hinnehmbar sei. Das OLG Naumburg legte § 110 ZPO nicht aus, sondern konzentrierte sich auf die Sittenwidrigkeit der Abtretung. Das OLG Stuttgart argumentierte dagegen weder mit der Sittenwidrigkeit der Abtretung noch mit der Vereinbarung einer prozessualen Berechtigung des auftretenden Klägers nach § 138 BGB,42 sondern stellte angesichts der fiduziarischen Natur der Abtretung auf die Rechtsinhaberschaft des Zedenten ab. Damit könne § 110 ZPO auch auf diesen angewendet werden.43 Die beiden Entscheidungen kamen somit zum gleichen Ergebnis und wichen nur in ihrer Begründung voneinander ab.

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Bis zum 01.01.1981 hieß die Prozesskostenhilfe Armenrecht, siehe zur Reform im Jahr 1980 BGBl I 1980, S. 677 ff. 37 So OLG Breslau, SeuffArch 51, Nr. 137, S. 302. 38 OLG Stuttgart, Seuff Arch 54, Nr. 250, S. 1056. 39 BGH, NJW 1967, S. 1566 (1567). 40 OLG München, FamRZ 1994, S. 1531 (1533). 41 OLG Naumburg, ZZP 52 (1927), S. 75, mit kritischer Anmerkung von Kann, ebenda, S. 75. 42 OLG Stuttgart, HRR 1930, Nr. 351. 43 OLG Stuttgart, HRR 1930, Nr. 351.

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V. Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts

Der Fall, in dem die Berufung auf die Unzuständigkeit des Gerichts einen Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben darstellt, soll nach der Rechtsprechung nur bei der Absicht der Prozessverschleppung oder schikanösem Verhalten vorliegen.44 Methodisch verhielt sich etwa das OLG Frankfurt hinsichtlich der Berufung auf die Unzuständigkeit so, dass es keine Auslegung oder Normtextinterpretation vornahm, sondern mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG argumentierte.45 VI. Erschleichung und Vermeidung der Revisionssumme, § 546 Abs. 1 ZPO

Auch das Erschleichen oder das Vermeiden der Revisionssumme wird in der Rechtsprechung zum Teil als rechtsmissbräuchlich angesehen. Die Beibehaltung eines Streitwerts, um die damalige Erwachsenheitssumme46 für die Revision zu erreichen, konnte nach früherer Rechtsprechung dazu führen, dass die Beschwerdesumme für die Revision nicht erreicht wurde.47 Das Reichsgericht verwarf etwa eine Revision als unzulässig, mit der der Revisionskläger – obgleich durch eine anderslautende Rechnung bewiesen – weiterhin auf der Revisionssumme von 1500 Mark beharrte. Es zog zur Begründung das Vorliegen einer Gesetzesumgehung heran.48 In diesen Kontext gehört auch die Reduzierung des Klageantrags durch den Kläger, um gerade die Irrevisibilität einer Entscheidung für den Beklagten herbeizuführen.49 In der streitgegenständlichen Entscheidung wurde die Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens nicht angenommen, da es sich um einen wirksamen Verzicht im Sinne von § 306 ZPO seitens des Klägers handelte. Im Ergebnis wurde die Disponibilität des klägerischen Anspruchs über die etwaige Rechtsmissbräuchlichkeit seines Tuns gestellt. Diese Problematik besteht angesichts des § 26 Nr. 8 EGZPO – wenn auch lediglich im Hinblick auf die Nichtzulassungsbeschwerde – zumindest noch bis zum 30.06.2018 in etwas anderer Form fort, da das Rechtsmittel zum Angriff auf die Nichtzulassung der Revision, die Nichtzulassungsbeschwerde, an den Wert einer 44

Beispielhaft lehnte etwa das OLG Frankfurt, MDR 1980, S. 318 (319) eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung ab. Auch das OLG Düsseldorf entschied in diese Richtung, s. hierzu BB 1977, S. 1523, bei alleiniger Berufung auf die Einrede des Schiedsvertrages. 45 OLG Frankfurt, MDR 1980, S. 318. 46 Erwachsenheitssumme ist die früher übliche Begrifflichkeit für das Erreichen des Beschwerde-, Berufungs- oder Revisionswerts. 47 RGZ 34, 417 ff. 48 RGZ 34, 417 (419). 49 RGZ 139, 221.

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Beschwer in Höhe von 20.000 € gekoppelt ist. Insbesondere für die Berufung mit § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat die Problematik allerdings nichts an Aktualität eingebüßt, weil auch dort eine automatische Erwachsenheitssumme in Höhe von 600 € besteht. B. Verbot widersprüchlichen Verhaltens Die Fallgruppe des Verbots widersprüchlichen Verhaltens missbilligt – wie § 242 BGB in unmittelbarer Anwendung im materiellen Zivilrecht – Verhaltensweisen, die das Gesamtbild eines unvereinbaren Verhaltens ergeben und die Interessen der Gegenpartei als vorrangig schutzwürdig erscheinen lassen.50 I. Klagerücknahmeversprechen und zeitweilige Unklagbarkeit

Der Fall des Klagerücknahmeversprechens – der Kläger verspricht dem Beklagten außergerichtlich die Rücknahme der Klage – wurde durch das Reichsgericht dahingehend gelöst, dass die dennoch fortgeführte Klage aufgrund der exceptio doli generalis und aufgrund von Treu und Glauben als unzulässig abgewiesen wurde.51 In der Konstellation der Vereinbarung einer zeitweiligen Unklagbarkeit hatte der BGH die Abweisung einer Klage als unzulässig für richtig befunden, weil die Parteien zuvor die Anrufung der Landestierärztekammer vereinbart, eine derartige Anrufung jedoch unterlassen hatten.52 Ein Verweis auf Treu und Glauben erfolgte nicht; es wurde vielmehr mit den Mitteln der vertraglichen Auslegung gearbeitet. II. Rechtsmittelrücknahme und Rechtsmittelverzicht

Die Rechtsmittelrücknahme betrifft den Fall, dass der Revisionskläger sich zuvor außergerichtlich verpflichtet hatte, die eingelegte Revision zurückzunehmen. Da eine Rücknahme ausblieb, wurde seine Revision als unzulässig verworfen.53 Ein Rückgriff auf Treu und Glauben erfolgte dabei nicht, sondern das Gericht stellte auf die Einrede des Vertrages ab. Die zweite Konstellation des Rechtsmittelverzichts beinhaltete den Widerruf einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung. Der verhandelte Fall war eine spezielle Angelegenheit aus dem Binnenschifffahrtsrecht, auf das das BinSchGerG Anwendung findet. Der Rechtsmittelführer hatte ein Urteil erst mit einer Berufung zum 50

MünchKommBGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 309. RGZ 102, 217 (222 f.). 52 BGH, NJW 1984, S. 669. 53 BGH, NJW 1984, S. 805. 51

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Landgericht angegriffen, diese zurückgenommen und anschließend eine zweite Berufung beim Oberlandesgericht mit Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags eingelegt. Im Nachgang bemerkte der Rechtsmittelführer, dass in concreto54 auch die Einlegung beim LG ausgereicht hätte und nahm den Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der zweiten Berufung beim OLG zurück. Der BGH sah es als mit Treu und Glauben unvereinbar an, dass sich der Rechtsmittelgegner auf die Rücknahme der Berufung bezieht, und behandelte die Rücknahmeerklärung daher als wirkungslos.55 Maßgeblich sei, dass der Rechtsmittelgegner den Irrtum des Rechtsmittelführers bei der Prozesserklärung erkennen konnte.56 Basierend auf der Argumentation mit Treu und Glauben stufte das Gericht die Berufung auf die Rücknahme als rechtsmissbräuchlich ein. Eine Auslegung der Erklärung oder zivilprozessualer Berufungsvorschriften erfolgte nicht. Eine dritte Spielart betraf einen Fall, in welchem der Korrespondenzanwalt des Klägers gegenüber dem Bevollmächtigten des Beklagten auf die Berufungseinlegung verzichtete. Die dennoch eingelegte Begründung wurde im weiteren Prozessverlauf damit gerechtfertigt, dass der Beklagte seine prozessuale Wahrheitspflicht verletzt habe und somit die Gegeneinrede der Arglist statthaft sei. Die Rechtsprechung folgte dieser Argumentation nicht, sondern verwarf die Berufung des Rechtsmittelführers. Rechtsmissbräuchlich sei die Berufung auf den Rechtsmittelverzicht durch den Beklagten schon deswegen nicht, weil der Kläger anwaltlich beraten und überdies der Verzicht nicht durch den Beklagten veranlasst worden sei.57 Der BGH nahm zunächst eine Auslegung der Erklärung, sodann eine Prüfung der Anfechtung und im Nachgang eine Prüfung des Arglisteinwandes vor.58 Ein konkreter Normtext wurde nicht in Bezug genommen. III. Kein Urkundenprozess

Das Reichsgericht hatte über den Fall zu entscheiden, dass ein Kläger die Verpflichtung übernommen hatte, nicht im Wege des Urkundenprozesses zu klagen. Als er dies dennoch tat, wurde die Klage als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen, wobei das Gericht sich hier auf die exceptio pacti stützte59 und nicht auf Treu und Glauben abstellte. In dieser Entscheidung des Reichsgerichts erfolgte eine Auslegung der §§ 592 ff. ZPO, um die Zulässigkeit der Abstandsvereinbarung zu prüfen.60 54 Es handelte sich um eine Binnenschifffahrtsangelegenheit, in der nach § 13 BinSchGerG das Landgericht von Amts wegen an das OLG verweist. 55 BGH, VersR 1977, S. 574. 56 BGH, VersR 1977, S. 574. 57 BGH, JR 1985, S. 423. 58 BGH, JR 1985, S. 423 (424). 59 RGZ 160, 241 (245–246). 60 RGZ 160, 245.

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IV. Klageausschluss in Patentsachen

Soweit eine vertragliche Nichtangriffsabrede im Hinblick auf patentrechtliche Nichtigkeitsklagen wirksam ist, kann sich der Beklagte gegen eine gleichwohl erhobene Klage nach der Rechtsprechung auf Treu und Glauben berufen;61 bei Fehlen ausdrücklicher vertraglicher Nichtangriffsabreden sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben anzunehmen, wenn eine ergänzende Vertragsauslegung des Lizenzvertrages die Existenz einer Nichtangriffsabrede ergebe.62 Grundsätzlich sei eine Klageerhebung aber auch ohne einen zugrunde liegenden Vertrag unzulässig, wenn besondere Umstände eine Schädigung oder die Sicherung eines unberechtigten Vorteils verhindern sollen.63 Die Patentnichtigkeitsklagen wurden jeweils mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen. Methodisch ging der BGH in diesen Fällen darauf ein, dass zunächst eine ergänzende Vertragsauslegung und bei Fehlen eines Vertrages eine allgemeine Treuwidrigkeitsprüfung erfolgen müsse.64 Ein konkreter Normtext wurde nicht in Bezug genommen. V. Zustellung und Treu und Glauben

Eine Konstellation der rechtsmissbräuchlichen Zustellung betrifft das arglistige Vereiteln der Zustellung,65 indem der Beklagte die Zustellung eines Versäumnisurteils dadurch abwehrte, dass er sich bei der Zustellung verleugnen ließ. Die Notfrist für den Einspruch wurde durch dieses Verhalten nach Auffassung des BGH nicht in Gang gesetzt.66 Methodisch verfuhr der BGH in diesem Fall exakt, indem er vorrangig auf die speziellen Regelungen des allgemeinen Verfahrensrechts abhob und erst dann den Arglisteinwand durchgreifen ließ.67 Eine weitere Konstellation betrifft die Berufung auf Zustellungsmängel, wenn diese durch selbst herbeigeführte Fehler entstanden sind. Der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners hatte ein Empfangsbekenntnis lediglich mit einer Paraphe unterzeichnet und der Antragsgegner selbst zu späterer Zeit – nach Mandats­ entziehung  – die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses als unwirksam gerügt. Diese Berufung auf den Formmangel sei dem Antragsgegner mit Blick auf

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BGH, NJW-RR 1989, S. 120 f. BGH, GRUR 1965, S. 135 (137). 63 BGH, GRUR 1958, S. 177 (178) Ablehnung mangels besonderer Umstände. 64 BGH, GRUR 1958, S. 177 (178). 65 Nicht Gegenstand dieser Fallkonstellationen ist insoweit die Zustellungsverweigerung rechtsmissbräuchlicher Klagen etwa aus den USA, hierzu etwa der Napster-Beschluss des BVerfG, NJW 2003, 2598 ff.; siehe hierzu auch, Zur Nieden, Zustellungsverweigerung, S. 247 ff. 66 BGH, NJW 1978, S. 426. 67 BGH, NJW 1978, S. 426. 62

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Treu und Glauben im Prozess versagt.68 Zunächst legte das OLG Hamm die Heilungsvorschrift des § 187 S. 2 ZPO a. F. aus und hob § 242 BGB als maßgeblichen Hinderungsgrund heraus.69 Eine weitere denkbare Fallvariante ist diejenige, dass die Berufung auf die Arrestanordnung ohne Parteizustellung einen Verstoß gegen Treu und Glauben mit sich bringen kann.70 Auch in diesem Fall wurde methodisch zunächst eine Auslegung durchgeführt und eine Beschränkung der durch die Auslegung gewonnenen Rechtsposition sodann im Wege des Rechtsmissbrauchs vorgenommen71. Schließlich kann sich die Wahl der öffentlichen Zustellung als rechtsmissbräuchlich erweisen. Im zugrundeliegenden Fall erwirkte der Kläger, obgleich er den Aufenthaltsort des Beklagten kannte, eine öffentliche Zustellung nach § 203 Abs. 1 ZPO a. F., § 185 ZPO n. F. Der Beklagte hatte sodann die Einspruchsfrist versäumt und machte die Zustellungsform als rechtsmissbräuchlich geltend.72 Der BGH stellte fest, dass dem Beklagten zumindest Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei.73 Die Bewilligung der öffentlichen Zustellung sei unwirksam. Methodisch wurde in dieser Entscheidung nicht klar zwischen der Auslegung der Zustellungsvorschrift und dem Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs differenziert.74 VI. Schiedsgerichtsverfahren und Treu und Glauben

Eine Fallvariante hatte der BGH im Jahr 1987 zu entscheiden, als sich der Beklagte zunächst auf den Schiedsvertrag berief, um wenig später vor dem Schiedsgericht zu behaupten, dieser sei unwirksam. Er musste sich an seiner Erklärung festhalten lassen, was mit einem Verstoß gegen Treu und Glauben begründet wurde.75 Methodisch wurde nicht eine Auslegung von § 1041 Nr. 1 ZPO vorgenommen, sondern mit dem widersprüchlichen Verhalten der Partei und § 242 BGB argumentiert.76 Eine weitere Konstellation betrifft den Fall der treuwidrigen Schiedsgerichtseinrede gegen die Aufrechnung. In einer Angelegenheit vor dem OLG München hatte der Kläger die Schiedsklausel außer Acht gelassen und vor den ordentlichen Gerichten geklagt, der Verteidigung des Gegners aber die Schiedsklausel entgegengehalten. Darin sah das Gericht einen Verstoß gegen Treu und Glauben.77 68

OLG Hamm, NJW 1989, S. 3289. OLG Hamm, NJW 1989, S. 3289. 70 OLG Celle, OLGZ 1986, S. 489. 71 OLG Celle, OLGZ 1986, S. 489 (490). 72 BGH, NJW 1992, S. 2280 (2281). 73 Dies erfolgt durch die Tatsacheninstanz nach Zurückverweisung, vgl. § 563 Abs. 1 ZPO. 74 BGH, NJW 1992, S. 2280 (2281). 75 BGH, NJW-RR 1987, S. 1194 (1195). 76 BGH, NJW-RR 1987, S. 1194 (1195). 77 OLG München, MDR 1981, S. 766. 69

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Die letzte Fallkonstellation erfasst den Fall, dass die beklagte Partei die Schiedseinrede erhebt und die Klagepartei die Arglisteinrede dahingehend vorbringt, die Beklagte könne die Kosten des Schiedsgerichts nicht aufbringen.78 Wenn die Schiedseinrede nach § 1027a ZPO a. F. trotz fehlender vorhandener Mittel erhoben wird, ist diese arglistig und die Einrede der Arglist greift durch.79 Das Mittel dieser konkreten Arglisteinrede wurde inzwischen durch § 1032 ZPO ersetzt, weil eine Klage vor einem ordentlichen Gericht nur dann zulässig ist, wenn die Schiedsvereinbarung nichtig, unwirksam oder undurchführbar ist.80 C. Verbot des Missbrauchs prozessualer Befugnisse Gegenstand der Fallgruppe des Missbrauchsverbots prozessualer Befugnisse ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben, obgleich formal eine Rechtsgrundlage zum Handeln besteht.81 Dabei ist jedoch zu beachten, dass die zulässige Ausübung einer prozessualen Befugnis beinahe zwangsläufig die Benachteiligung der gegnerischen Partei mit sich bringt. Eine Korrektur durch Treu und Glauben ist daher nur in besonderen Ausnahmefällen angezeigt; das Verdikt des Rechtsmissbrauchs befindet sich damit im Spannungsfeld parteilicher Interessen im Prozess einerseits und im rechtstheoretischen Verhältnis von abstrakt-teleologischer Auslegung zur konkret-individuellen Einzelfallkontrolle durch Anwendung des Treu-und-GlaubenPrinzips andererseits.82 I. Verweigern einer Einwilligung zum Parteiwechsel und zur Parteierweiterung

Ein zur Fallgruppe des Missbrauchsverbots prozessualer Befugnisse entschiedener Sachverhalt betrifft den Fall des Parteiwechsels in der Berufungsinstanz. Hier hatten der als Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG Beklagte und die Gesellschaft den durch den Kläger beantragten Parteiwechsel zurückgewiesen, der BGH hatte die unterbliebene Zustimmung als rechtsmissbräuchlich charakterisiert und den Parteiwechsel als zulässig angesehen.83 Begründet wurde die Rechtsmissbräuchlichkeit der verweigerten Zustimmung damit, dass die Beklagte zu 3) – deren Geschäftsführer der Beklagte zu 1) war  – keine anderslautende Argumentation oder anderslautenden Sachvortrag hätte vorbringen können als der bereits prozessbeteiligte Beklagte zu 1). Methodisch wurde nicht in erster Linie auf den Ein-

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BGH, NJW 1988, S. 1215. BGH, NJW 1988, S. 1215. 80 Hierzu Illmer, Arglisteinwand, S. 28 ff., insbesondere S. 33. 81 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 113. 82 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 113. 83 BGH, NJW 1987, S. 1946. 79

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wand des Rechtsmissbrauchs abgestellt, sondern zunächst die Prozesshandlung ausgelegt.84 Die Variante der Parteierweiterung betrifft den Fall, dass die Zustimmung zu dieser in der Berufungsinstanz verweigert wird.85 Diese Verweigerung wurde als rechtsmissbräuchlich angesehen, da angesichts der Sachverhaltskenntnis und der nicht vorhandenen Bindung86 an die Beweisergebnisse der ersten Instanz eine Verschlechterung der eigenen Position des Beklagten nicht zu erwarten war. Der Verlust einer Instanz verschlechtere die Position des neuen Beklagten insgesamt nicht. Die Parteierweiterung wurde dementsprechend als zulässig angesehen. Methodisch wurde sofort auf den Rechtsmissbrauch abgehoben und nicht zuvor eine Auslegung der Prozesshandlung durchgeführt.87 Ausschlaggebend für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung war, dass mit Parteiwechsel oder Parteierweiterung keine Verschlechterung der prozessualen Stellung eingetreten und der neue Beklagte bereits Kenntnis vom maßgeblichen Sachverhalt hatte.88 II. Missbräuchliche Richterablehnung

Im Hinblick auf die missbräuchliche Richterablehnung kann man vier Fallgruppen unterscheiden: Wird das Ablehnungsgesuch erkennbar zur Prozessverschleppung eingereicht, so kann der abgelehnte Spruchkörper über die Abweisung des rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs selbst befinden.89 Methodisch fand in dieser Entscheidung eine Auslegung spezieller Verfahrensvorschriften nicht statt.90 Auch bei wiederholter Erhebung eines Ablehnungsgesuchs kann das betroffene Gericht dieses als rechtsmissbräuchlich zurückweisen, insbesondere dann, wenn der Antragsteller sich auf dieselben, bereits verbeschiedenen Ablehnungsgründe stützt.91 In der zitierten Entscheidung wurde sofort ein Rechtsmissbrauch des Ablehnungsrechts angenommen, ohne eine Auslegung der §§ 42 ff. ZPO vorzunehmen.92 Gleiches gilt dann, wenn ein Richter aus dem Verfahren gedrängt werden soll, da er eine dem Antragsteller missliebige Rechtsauffassung vertritt. In einem solchen 84

BGH, NJW 1987, S. 1946 (1947). BGH, NJW-RR 1986, S. 356. 86 Für die Rechtsprechung besteht die Möglichkeit des gewillkürten Parteiwechsels auch nach der ZPO-Reform noch, vgl. BGH, NJW 2003, 2172 ff.; BGH, BB 2004, 406; Teile der Literatur sehen den gewillkürten Parteiwechsel in der zweiten Instanz durch § 533 Nr. 2 ZPO abgeschafft, so etwa Nagel, Der gewillkürte Parteiwechsel, S. 253. 87 BGH, NJW-RR 1986, S. 356. 88 Pfister, Treu und Glauben, S. 154. 89 OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1989, S. 569. 90 OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1989, S: 569 (570). 91 KG Berlin, FamRZ 1986, S. 1022. 92 KG Berlin, FamRZ 1986, S. 1022 (1023). 85

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Fall kann das Gericht selbst das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zurückweisen.93 Auch in diesem Fall argumentierte das LSG Hessen nicht mit dem Gesetzeszweck, sondern mit dem Zweck des Instituts, ohne zuvor eine Auslegung vorgenommen zu haben.94 Allein die Verbindung eines Ablehnungsgesuchs mit Beschimpfungen führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit oder Unbegründetheit desselben. Aus diesem Grund kann der Richter das Gesuch daher nicht als rechtsmissbräuchlich zurückweisen.95 Über die Zulässigkeit von Prozesshandlungen dürfe nicht im Rahmen eines Werturteils entschieden werden.96 Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs als rechtsmissbräuchlich wird nach der Rechtsprechung auf das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses gestützt. III. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage im Aktienrecht

Die rechtsmissbräuchliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage97 im Aktienrecht betrifft den Fall, dass der Aktionär sein Anfechtungsrecht nach § 246 AktG mit dem Ziel ausübt, sich die Rücknahme der Klage mit einer Entschädigung „abkaufen“ zu lassen. Die obergerichtliche Rechtsprechung weist eine solche Klage mit der Begründung ab, dass es dem Aktionär materiell-rechtlich an der Ausübung der Klagebefugnis fehle.98 Angesichts dessen, dass nur die Ausübung des Gestaltungsrechts materiell-rechtlich missbräuchlich ist, bestehe für die Anwendung eines Rechtsmissbrauchs auf das Prozessrecht kein Raum. Methodisch argumentierte der BGH mit dem im Rahmen von § 246 Abs. 1 AktG erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzinteresse, ohne jedoch eine konkrete Textinterpretation vorzunehmen.99 Die aktienrechtliche Nichtigkeitsklage ist bei Vorliegen von Rechtsmissbrauch unzulässig, da es sich bei der Frage der Nichtigkeit nur um ein prozessuales, nicht aber um ein materielles Recht handelt.100 Rechtsmissbrauch kann auch hier das Abkaufen der Rücknahme der Klage sein. Methodisch wurde in den meisten Fällen nur auf Rechtsmissbrauch abgestellt; eine Auslegung der §§ 249, 246 AktG erfolgte nicht.101 93

LSG Hessen, MDR 1986, S. 436. LSG Hessen, MDR 1986, S. 436 (437). 95 OLG Stuttgart, OLGZ 1977, S. 107. 96 OLG Stuttgart, OLGZ 1977, S. 107 (108). 97 Hierzu auch eingehend: Slabschi, Rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklage, S. 97 ff.; Pfister, Treu und Glauben, S. 173. 98 BGH, NJW-RR 1992, S. 1388. 99 BGH, NJW-RR 1992, S. 1388 (1389). 100 OLG Stuttgart, NZG 2001, S. 277 (278); OLG Stuttgart, NZG 2003, S. 1170; dies ist insoweit anders als beim Verhältnis von Anfechtungsrecht und Anfechtungsklage – zum Unterschied des materiellen Gestaltungsrechts gegenüber der Gestaltungsklage, OLG Hamm, WM 2015, S. 673. 101 OLG Stuttgart NZG, 2001, S. 278. 94

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IV. Kostenfestsetzungsantrag nach § 104 ZPO

Nach neuerer Rechtsprechung des BGH102 kommt auch die Rechtsmissbräuchlichkeit von Kostenfestsetzungsanträgen in Betracht.103 Dies betrifft Konstellationen, in denen mehrere Kläger ihr Anliegen in einer identischen Angelegenheit durch einen Prozessbevollmächtigten in getrennten Prozessen verfolgen. Auch in diesen Fällen wurde keine Auslegung und Rechtsfortbildung der prozessualen Normen zur Kostenfestsetzung vorgenommen, sondern direkt das Institut des Rechtsmissbrauchs herangezogen.104 Vereinzelt wurde die Auslegung von § 91 Abs. 2 ZPO mit Blick auf das Institut des Rechtsmissbrauchs offen gelassen.105 V. Prozessführung einer insolventen Partei

Das OLG München nahm ein prozessual rechtsmissbräuchliches Verhalten an, weil der Beklagte schon vor Prozessbeginn insolvent war, ein Insolvenzverfahren auch schon eingeleitet war und dies dennoch von dem insolventen Beklagten erst im Stadium der Berufungsinstanz als Einwendung geltend gemacht wurde.106 Das OLG München sprach in einem solchen Fall der gegnerischen Partei einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch zu, weil die Prozessführung über zwei Instanzen trotz eröffneten Insolvenzverfahrens rechtsmissbräuchlich sei.107 Methodisch ging das Gericht in einer derartigen Konstellation von einem Verstoß gegen Treuepflichten im Rahmen des Prozessrechtsverhältnisses aus und verzichtete auf die Auslegung konkreter prozessualer Normen.108 D. Verwirkung Die Verwirkung beinhaltet ein Zeit- und ein Umstandsmoment und bewirkt, dass dem Rechtsinhaber die Ausübung eines Rechts versagt wird, weil er über längere Zeit sein Recht nicht gebraucht und dadurch bei der Gegenseite den Eindruck verursacht hat, er werde sein Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen.109

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BGH, NJW 2013, S. 66; BGH, NJW-RR 2013, S. 337; BGH, NJW 2014, S. 2286. BGH, NJW 2013, S. 66; BGH, NJW-RR 2013, S. 337; BGH, NJW 2014, S. 2286. 104 BGH, NJW 2014, S. 2286. 105 BGH, NJW 2013, S. 66; mit Anmerkung von Schlüter, GRUR-Prax 2012, S. 497. 106 OLG München, Az.: 20 U 3878/09, juris, Rn. 18. 107 OLG München, Az.: 20 U 3878/09, juris, Rn. 18. 108 OLG München, Az.: 20 U 3878/09, juris, Rn. 17. 109 MünchKommBGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 356. 103

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I. Verwirkung der Klagebefugnis bei der Leistungsklage

Die Frage, ob das Klagerecht selbst verwirkt werden kann, hat der BGH dahingehend beantwortet, dass die Klagebefugnis nicht der Verwirkung unterliege, sondern diese nur materiell-rechtliche Positionen betreffe.110 Die Klage sei daher zwar zulässig, jedoch unbegründet. Das Institut der Verwirkung sei auf die Klagebefugnis nicht anwendbar.111 II. Verwirkung des Beschwerderechts bei einem befristeten Rechtsmittel

Bei dem Problemkreis des verwirkten Beschwerderechts hatten die Rechtsnachfolger des Beschwerdeführers, dem eine Entscheidung nicht zugestellt worden war, Jahrzehnte später Beschwerde eingelegt. Diese wurde als unzulässig verworfen, weil der Rechtsvorgänger trotz der Kenntnis des Beschlussinhalts nie ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt hatte.112 Dies führte letztlich dazu, dass trotz nicht erfolgter Zustellung und damit nicht förmlicher Bekanntgabe der Entscheidung die Einlegung der Beschwerde nicht mehr möglich war. Auch in diesem Fall wurde unter Hinweis auf Präjudizien113 der Rechtsmissbrauch angenommen, wobei der BGH114 darauf abhob, dass das Gesetz sich insoweit nicht äußere.115 III. Verwirkung der Geltendmachung eines Titels

In Fällen der Verwirkung eines Titels geht es darum, dass ein Titel bereits vorhanden ist, jedoch über einen Zeitraum von wenigen Jahren nicht in Anspruch genommen wird. Das OLG Hamm hatte im Falle einer vorhandenen Jugendamtsurkunde die Verwirkung der Geltendmachung des Titels angenommen, weil der Titelinhaber das diesbezügliche Recht auch nach 2 ½ Jahren nicht geltend gemacht hatte.116 Eine gesetzestextbezogene Auslegung der Verjährungsvorschriften erfolgte nicht, sondern es wurde eine Verwirkung der Geltendmachung des titulierten Unterhaltsanspruchs angenommen.

110

BGH, NJW-RR 1990, S. 886. BGH, NJW-RR 1990, S. 886 (887). 112 BGH, NJW-RR 1989, S. 768. 113 BGH, NJW 1965, S. 1532. 114 BGHZ 20, 198 (206). 115 BGH, NJW 1965, S. 1532. 116 OLG Hamm, FamRZ 2014, S. 1472 ff. 111

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Teil 1, Kapitel 1

E. Zusammenfassende Würdigung Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Prozessverhaltens unter Bezugnahme auf das Treu-und-Glauben-Prinzip, das Rechtsmissbrauchsverbot sowie das Rechtsschutzbedürfnis tritt in einer Vielzahl von Fällen auf. Dies zeigt, dass die Rechtsprechung diese Korrektive im Prozessrecht grundsätzlich anerkennt. Das argumentative Vorgehen der Gerichte wirkt dabei teilweise, insbesondere im Lichte des Rechtsgrundsatzes „lex specialis derogat legi generali“, diffus. Zwar wird vereinzelt den Lösungen über die Auslegung oder die gesetzesbezogene Rechtsfortbildung gegenüber der Anwendung von § 242 BGB der Vorrang eingeräumt, aber eine systematische Auseinandersetzung mit einer Reihenfolge von Methoden und der Position von § 242 BGB in einer solchen Rangordnung erfolgt nicht. Auch die Antwort auf die Frage, wann ein Verhalten als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, geht nicht eindeutig aus den Entscheidungsgründen der Rechtsprechung hervor. Die Entscheidungen vermitteln nicht konkret, welchem Interesse aufgrund welchen Rechtsgutes Vorrang eingeräumt wird. Insgesamt wirkt der methodische Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot diffus und kasuistisch.

§ 3 Meinungsstand in der Literatur Das Meinungsspektrum in der Literatur zu Geltungsgrund und Anwendungsarten des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess ist breit gefächert. Während die Rechtsprechung, sofern sie einen Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot für angezeigt hält, die jeweiligen Konstellationen stets über das dem Treu-und-Glauben-Prinzip zu entlehnende Rechtsmissbrauchsverbot löst, zieht die Literatur auch andere Lösungsansätze heran. A. Anwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess Geht man mit der herrschenden Meinung117 von der Anwendbarkeit von § 242 BGB und dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess aus, ist damit noch nichts über die konkrete methodische und dogmatische Einordnung dieses Prinzips in das Prozessrecht gesagt. Die maßgeblichen Vertreter dieser herrschenden Meinung im Schrifttum sind Baumgärtel, Zeiss, Pfister und Holthausen.118 Jeder von ihnen repräsentiert einen methodisch und dogmatisch unterschiedlichen Weg. 117 Bernhardt, ZZP 66 (1953), S. 86; Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 89, 92; ders., ZZP 86 (1973), S. 357; Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 18, 203; Pfister, Treu und Glauben S. 29; Holthausen, Theorie und Praxis, S. 49; Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 2 IV Rn. 18; einschränkend Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 254; Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 197. 118 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), passim; ders., ZZP 86 (1973), passim; Zeiss, Arglistige Prozesspartei, passim; Pfister, Treu und Glauben, passim; Holthausen, Theorie und Praxis, passim.

§ 3 Meinungsstand in der Literatur 

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I. Verstoß gegen das Treu-und-Glauben-Prinzip nach § 242 BGB

Baumgärtel, auf den die Systematisierung des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess durch Fallgruppen zurückgeht, hält am Prinzip von Treu und Glauben für die hier vorgestellten Fallgruppen im Prozess grundsätzlich fest.119 Dies gelte für das arglistige Schaffen von Prozesslagen, die schikanöse Ausübung der Rechte, das venire contra factum proprium120 und den Grundsatz der Verwirkung. Für den Richter sei das Treu-und-Glauben-Prinzip Urteilsmaßstab, für die Partei sei es Verhaltensmaßregel.121 Bei Baumgärtel führt der Weg methodisch über eine analoge Anwendung von § 242 BGB. Zwar äußert er sich zur rechtsmethodischen Anwendung des Treuund-Glauben-Prinzips in seinen eigenen Aufsätzen nicht ausdrücklich. Implizit arbeitet er jedoch mit den Mitteln der Analogie, indem er auf eine Sonderverbindung zwischen den Parteien abstellt.122 II. Gewohnheitsrechtliche Geltung nach §§ 242 BGB, 12 EGZPO

Zeiss123, der von der gewohnheitsrechtlichen Geltung des § 242 BGB über § 12 EGZPO124 im Prozess ausgeht,125 ordnet die Fälle der Schaffung arglistiger Prozesslagen hingegen nicht § 242 BGB zu, sondern größtenteils dem Tatbestand der Gesetzesumgehung und damit nach seiner Vorstellung der Gesetzesauslegung.126 Das Verbot des venire contra factum proprium könne nur im Fall des arglistigen Verstoßes bei der Ausübung einer prozessualen Gestaltungsklagebefugnis verletzt werden. Im Übrigen könne mit der Einrede aus dem Vertrag operiert werden.127 Im Bereich der Verwirkung nimmt er die Möglichkeit eines arglistigen Prozessverhaltens an, so dass prozessuale Befugnisse – außer im Bereich der Leistungs- und Feststellungsklagen – verwirkt werden könnten.128 Die Formen des prozessualen institutionellen Rechtsmissbrauchs seien – dies ergebe sich aus der Dogmatik zum Rechtschutzbedürfnis – über das Korrektiv des § 242 BGB zu verhindern.129 119

Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 107. Von dieser Fallgruppe, die Baumgärtel schon in seiner ersten Abhandlung kritisch beleuchtet, rückt er in seinem kurzen Aufsatz, ZZP 86 (1973), S. 365 vollends ab. 121 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 131. 122 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 93. 123 Zeiss hat mit seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1967 eine rechtstheoretische Grundlegung im Umgang mit der prozessualen Generalklausel geliefert. 124 § 12 EGZPO lautet: Gesetz im Sinne der Zivilprozessordnung und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm. 125 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 18, 203. 126 Zeiss, Arglistige Prozesspartei S. 57, 98 f. 127 Zeiss, Arglistige Prozesspartei S. 122; in diese Richtung auch Krüger, Beiträge, S. 224: bei beiderseitiger Willensbetätigung soll die exceptio pacti, bei einseitiger Willensbetätigung soll die exceptio doli greifen. 128 Zeiss, Arglistige Prozesspartei S. 149. 129 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 202. 120

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Teil 1, Kapitel 1

III. Methodische Abstufung von prozessualer Lösung zu § 242 BGB

Pfisters Untersuchung von Treu und Glauben im Zivilprozess führt zu folgenden Ergebnissen: Er setzt sich zum Maßstab, eine prozessgesetzorientierte Lösung für Einzelfälle – durch Auslegung oder nötigenfalls durch Analogie – zu finden, und unterstellt diesem Grundsatz seine rechtliche Bewertung.130 Zwar wird damit das Leitmotiv einer Reihenfolge der Rechtsanwendungsmethoden schon angerissen, eine spezifische methodische Grundlegung bleibt jedoch aus. So hält er beim Schaffen arglistiger prozessualer Situationen nur im Fall des treuwidrigen Anhängigmachens einer Ehesache die Anwendung des Treu-und-Glauben-Prinzips für angemessen.131 Im Hinblick auf das prozessuale venire contra factum proprium pflichtet er Zeiss bei, dass diese Fallgruppe im Rahmen einer vertraglichen Abrede nicht mit § 242 BGB begründet werden könne.132 Vielmehr sei auf die Einrede aus dem Vertrag abzustellen.133 Im Übrigen schildert Pfister jedoch mehrere Fallkonstellationen, in denen ihm der Rückgriff auf Treu und Glauben gerechtfertigt erscheint. Auch beim Verzicht auf die Berufung und der Gegeneinrede der Arglist nach § 242 BGB stimmt er dem BGH in der Anwendung des Prinzips von Treu und Glauben zu.134 Beim Fehlen einer vertraglichen Nichtangriffsabrede in Patentstreitigkeiten soll ebenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben greifen.135 Dies soll etwa im Zustellungsrecht für selbst herbeigeführte Fehler der Partei gelten.136 Der Missbrauch prozessualer Befugnisse mache letztlich auch im Einzelfall, etwa beim gewillkürten Parteiwechsel bzw. der gewillkürten Parteierweiterung137 oder bei missbräuchlichen gesellschaftsrechtlichen Anfechtungsklagen138 die Anwendung von § 242 BGB nötig. Der Verwirkungseinwand greife nicht bei der Klagebefugnis einer Leistungsklage,139 könne aber bei befristeten Prozesshandlungen zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens führen.140

130

Pfister, Treu und Glauben, S. 31. Pfister, Treu und Glauben, S. 54. 132 Pfister, Treu und Glauben, S. 78. 133 Pfister, Treu und Glauben, S. 77. 134 Pfister, Treu und Glauben, S. 97. 135 Pfister, Treu und Glauben, S. 107. 136 Pfister, Treu und Glauben, S. 121. 137 Pfister, Treu und Glauben, S. 154 f. 138 Pfister, Treu und Glauben, S. 194. 139 Pfister, Treu und Glauben, S. 203. 140 Pfister, Treu und Glauben, S. 208. 131

§ 3 Meinungsstand in der Literatur 

49

IV. § 242 BGB als allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke

Holthausen141 zieht dagegen § 242 BGB als allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke heran und differenziert klar zwischen ihrem Tatbestand und ihren Rechtsfolgen. Ihrer Auffassung nach ist auf die unzulässige Ausübung der unterschiedlichsten prozessualen Befugnisse generell allein der Grundsatz von Treu und Glauben anwendbar.142 Das Verbot der Gesetzesumgehung und die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis vermöchten es nicht, die Funktion der allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke zu erfüllen.143 Holthausen versucht sich im Übrigen daran, objektive Kriterien der jeweiligen Fallgruppen herauszuarbeiten. Das arglistige Schaffen prozessualer Rechtslagen könne durch unredliches außerprozessuales Verhalten, die zweckwidrige Ausnutzung einer günstigen prozessualen Konstellation oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen begründet werden.144 Die Prozesslage komme dadurch entgegen dem ihr zugrundeliegenden rechtlichen Zweck zustande.145 Beim Missbrauch prozessualer Befugnisse sei die Berufung auf die formal gegebene Berechtigung zweckwidrig.146 Maßgeblich sei vielmehr, dass die Ausübung der Prozesshandlung vom Rahmen der Rechtsordnung nicht gedeckt sei.147 Dies sei im Falle der Schädigungsabsicht gleichermaßen wie bei Fehlen eines erkennbaren schützenswerten Interesses gegeben.148 Auch die zweckfremde Ausübung von Rechten sei ein objektives Kriterium.149 Das objektive Kriterium des venire contra factum proprium beruhe auf der Wider­sprüchlichkeit des Verhaltens und einem hinzutretenden missbilligenswerten Gesichtspunkt.150 Bei der Verwirkung sei für lange Zeit eine rechtliche Ermächtigung nicht ausgeübt worden und weitere vertrauensbildende Umstände führten zur Verwirkung des Rechts.151

141

Holthausen stellt in ihrer Schrift rechtsvergleichend die Grundlage einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke im Prozess dar. 142 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 44, 49. 143 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 35. 144 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 66 f. 145 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 67; diese verweist hier auf Zeiss, der die Fallgruppe des Schaffens arglistiger Prozesslagen über das Verbot der Gesetzesumgehung löst, vgl. Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 98. 146 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 67. 147 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 67. 148 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 68. 149 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 68 f.. 150 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 70. 151 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 71.

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Teil 1, Kapitel 1

B. Keine Anwendbarkeit von § 242 BGB im Zivilprozess Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess wird in Abgrenzung zur Rechtsprechung von einigen Gegenstimmen152 in der Literatur grundsätzlich abgelehnt. Allerdings handelt es sich um eine gegenüber der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung nur vereinzelt vertretene Auffassung. Grundaussage dieser Lehre ist, dass der Prozess streng formalistisch sei und etwaige Schranken prozessualer Rechtsausübung sich abschließend aus dem positiv gesetzten Zivilprozessrecht ergäben. Prütting etwa lehnt die Anwendung des Treuund-Glauben-Prinzips und des Rechtsmissbrauchsverbots unter dem Blickwinkel der Formenstrenge und des Vorrangs einer spezifisch prozessualen Verfahrensgerechtigkeit gegenüber der materiellen Gerechtigkeit ab.153 Auch § 242 BGB sei aus Gründen der Normlogik nicht auf das Prozessrecht anwendbar.154 C. Zusammenfassende Würdigung Die herrschende Meinung in der Literatur bejaht die Anwendung eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots. Ihre maßgeblichen Vertreter sehen die Geltung des Rechtsmissbrauchsverbots im Zivilprozess auf verschiedene Grundlagen gestützt. Baumgärtel befürwortet eine analoge Anwendung des § 242 BGB, während Zeiss den gewohnheitsrechtlichen Charakter nach § 242 BGB i. V. m. § 12 EGZPO betont. Pfister spricht von der methodischen Abstufung von Auslegung zu § 242 BGB, ohne diese Abstufung jedoch rechtstheoretisch zu konkretisieren. Zum Geltungsgrund äußert er sich nicht näher. Holthausen prägt das Bild einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke, thematisiert deren Handhabbarkeit im Verhältnis zu den tradierten Methoden der Jurisprudenz allerdings nicht. Die Autoren geben also zum Großteil auf die Frage nach dem Geltungsgrund eines zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbots, nicht aber auf dessen konkreten Gebrauch bei der Rechtsanwendung eine tiefergehende Antwort. Die Gegenstimmen in der Literatur richten sich unter Bezugnahme auf die besondere Verfahrensgerechtigkeit, das Prinzip der Rechtssicherheit und den zivilprozessualen Formalismus generell gegen eine Anwendung des Treu-und-GlaubenPrinzips und des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess.

152 Die streng formalistische Sichtweise wurde insbesondere Anfang des 20. Jahrhunderts vertreten: Görres, ZZP 34 (1905), S. 1 ff.; Pollak, ZZP 33 (1904), S. 253; Schneider, Treu und Glauben im Civilprozeß, S. 6; jedoch auch später: Baur, Richtermacht und Formalismus im Verfahrensrecht in: summum ius summa iniuria, betont den rigor iuris, S. 115; Novak, ÖJZ 1949, S. 339; vgl. aber neuerdings wieder Prütting, in: FS Stürner, S. 455 ff. 153 Prütting, in: FS Stürner S. 464. 154 Prütting, in: FS Stürner S. 457 ff.

§ 4 Historische Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess 

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Kapitel 2

Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung § 4 Historische Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, mit welchen dogmatischen und methodischen Mitteln rechtsmissbräuchliches Verhalten im Zivilprozess korrigiert werden kann, ist die Rechtsgeschichte. Denn nur vor dem Hintergrund rechtshistorischer Grundlagen eines prozessualen Missbrauchsverbots kann das Herkommen dieses gleichermaßen rechtsbeschränkenden und -ergänzenden Instituts155 plausibel gemacht werden. Eine rechtstheoretische Betrachtung der Problematik kann diese geschichtliche Darstellung zwar nicht ersetzen, aber dabei helfen, die im Nachgang entstandenen Tendenzen in Rechtsprechung und Literatur zumindest aus historischer Perspektive zu erklären. A. Rechtsmissbrauch im römischen Zivilprozess Zunächst ist das römische Recht zu betrachten, weil es die prägende historische Konstante unseres heutigen Zivilrechts ist. Bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten hielt der römische Zivilprozess für die gegnerische Partei ein breites Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten bereit. I. Formen des römischen Zivilprozesses

In verschiedenen historischen Phasen der römischen Rechtsordnung gab es drei besondere Verfahrensordnungen. In der älteren Zeit war im römischen Prozess das Legisaktionenverfahren maßgeblich, wonach in zwei Verfahrensabschnitten zunächst vor dem Gerichtsmagistrat und später vor dem Privatrichter ein Urteil erlangt werden musste.156 Dieses Verfahren war sehr förmlich ausgestaltet. So mussten die Parteien zwingende Spruchformeln parat haben, die sie zur Geltendmachung ihrer Rechte brauchten; ein Prozess konnte schon an der fehlerhaften Auswahl oder Wiedergabe dieser Spruchformeln scheitern.157 Später, in der klassischen Zeit, war der immer noch zweistufige Formularprozess das maßgebliche Verfahren und die stark formalistischen Legisaktionen, also die strikten Spruch 155

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 186 (Ergänzungsfunktion), 201 (Schrankenfunktion). 156 Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 430 f. 157 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 35.

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Teil 1, Kapitel 2

formeln, wurden durch flexiblere Prozessformeln abgelöst.158 Das spätere Kognitionsverfahren gab die Zweiteilung des Erkenntnisverfahrens auf und das gesamte Verfahren spielte sich nunmehr nur noch vor staatlichen Gerichten ab. Das Kognitionsverfahren war mangels der Notwendigkeit von Formeln noch flexibler als der Formularprozess ausgestaltet.159 II. Kategorien des Rechtsmissbrauchs im römischen Recht

Das römische Prozessrecht kannte folgende Konstellationen missbräuchlichen Prozessierens: Zum einen sprach man davon, wenn ein Kläger ein ihm nicht zustehendes Recht einklagte;160 nach heutigen Kategorien fehlt dem Kläger in einem solchen Fall die Prozessführungsbefugnis oder die Aktivlegitimation. Zum anderen wertete man es als missbräuchlich, wenn der Beklagte wider besseres Wissen das Begehren des Klägers bestritt.161 Letzteres entspricht der heutigen prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO. Für die Frage des Rechtsmissbrauchs orientierte sich das römische Recht generell an der bona fides und der aequitas, also gängigen Rechtsgrundsätzen des römischen Rechts. Zur Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots hilft das Wissen um die Tatsache, dass zur damaligen Zeit das Institut der actio als materielles Recht mit dem prozessualen Recht zu einem Rechtsverhältnis verbunden war.162 Eine Trennung von materiellem und prozessualem Recht existierte nicht. 1. Bona fides Der Begriff der bona fides sagte aus, dass die Parteien normgerechtes Verhalten der jeweiligen Gegenseite erwarten durften.163 Die bona fides diente als richterliches Korrektiv bei rechtsmissbräuchlichem Handeln, aber auch als Auslegungshilfe.164 Dies verdeutlicht, dass diesem Prinzip nicht nur ein materieller Gehalt für die Ausfüllung des Vertrages, sondern darüber hinaus auch ein methodischer durch

158

Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 432. Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 433. 160 Gaius, Institutionen, IV, 174. 161 Gaius, Institutionen, IV, 172; Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 213. 162 Kaufmann, JZ 1964, S. 489; Nörr, Fides, S. 42; zum prozessualen Verständnis des materiellen Rechts: Schultze, Privatrecht und Prozeß, S. 428. 163 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 8. 164 Hierher gehört zum einen die Feststellung, dass diese Berufung auf bona fides dem Honorarrecht zu entnehmen ist. Zum anderen folgt hieraus aber auch die Möglichkeit des Prätors, das strenge ius civile zu korrigieren (adiuvandi, supplendi, corrigendi iuris civilis gratia), Harke, Römisches Recht, S. 9; im übrigen Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 9. Im Allgemeinen dienten diese sozialethischen Wertungen der Auflockerung des ius civile, vgl. Wieacker, SZ 94 (1977), S. 16. 159

§ 4 Historische Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess 

53

Schaffung neuer Rechtsinstitute zu entnehmen ist.165 Besonderen Niederschlag fand der Grundsatz der bona fides in der besonderen Klageform der bonae fidei iudiciae,166 bei der die bona fides Rechtsgrund war. Als materiellem Wert wurden der bona fides im römischen Recht drei Ausprägun­ gen zugeschrieben: Zum einen die altrömische fides,167 welche eine besondere Form der Verbundenheit der Parteien beschrieb, zum anderen die Vorstellung einer allgemeinen Rechtschaffenheit und Redlichkeit und zuletzt das officium des iudex, der den Inhalt der jeweiligen Leistung beurteilte.168 Der Maßstab treugemäßen Verhaltens waren Art und Sitte redlicher Leute und die Rücksicht auf die Verkehrssitte.169 Die bona fides trug dadurch zum Interessenausgleich bei und beugte einer schrankenlosen Durchsetzung von Individualinteressen vor.170 Vor dem Hintergrund dieses Kerngehaltes der fides lässt sie sich auch vom Prinzip der aequitas abgrenzen. 2. Aequitas Das Prinzip der aequitas hatte die Gleichbehandlung ebenso wie die Einzelfallgerechtigkeit zum Ziel. Es wurde in der späteren Rezeption zur Billigkeitserwägung und zum Korrektiv des ius strictum erweitert.171 Wie die bona fides172 fand auch dieses Rechtsprinzip seinen Ursprung im Honorarrecht und wurde vom Prätor dafür verwendet, Härten im Einzelfall zu überwinden.173 Die methodische Bedeutung dieses Prinzips bestand darin, dass die aequitas Ziel einer jeden Auslegung war.174 Der Wortlaut von Vorschriften hatte demgegenüber Nachrang.175 Unter Berufung auf diesen Rechtsgrundsatz wurde von einzelnen klassischen Juristen bisweilen die Anwendung eines Gesetzes für den Einzelfall abgelehnt; damit aber wurde nicht die abstrakt-generelle Vorschrift als solche verworfen.176 Es trat nur ihre Anwendung im Einzelfall zurück. Die aequitas fungierte also als besondere Ausübungsschranke und Beschränkung der Befugnisse im Einzelfall. Die Argumentation mit dem Element der aequitas war letztlich die Abwägung vom Sach-

165

Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 54. Nörr, Fides, S.43. 167 Dieser wird von Waldstein, ANRW 15 II, S.77, nach der die drei praecepta iuris des Ulpian hier als Grundlage gedient haben: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere. 168 Wieacker, SZ 80 (1963), S. 40. 169 Schulz, Prinzipien, S. 154. 170 Baldus, AcP 210 (2010), S. 26; zur Schrankenwirkung Schulz, Prinzipien, S. 107 f. 171 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 12, 13. 172 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 154. 173 Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 32. 174 Kipp, Geschichte der Quellen, S. 7. 175 Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 40. 176 Maifeld, Aequitas, S. 139; Horak, Labeo 29 (1983), S. 184, beide gegen eine rechtskritische Funktion der aequitas zumindest bei Neraz. 166

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Teil 1, Kapitel 2

verhalt und Werten.177 Es ging um eine primär interessengerechte Entscheidung des Einzelfalls unter Würdigung von Güte und Rücksichtnahme auf die andere Partei (benignitas, humanitas).178 3. Dolus malus Neben den beiden Kategorien der Billigkeit und der guten Treue spielt für die Frage nach der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess gerade auch der Begriff der Arglist, also dolus malus, eine Rolle. Bereits die Grenzen dieses Begriffs werfen Fragen auf. Vorsätzliches Handeln war nicht vonnöten, also etwa die Vornahme einer bewussten Täuschung, sondern ein Verstoß gegen die gute Treue reichte aus.179 Schon im römischen Recht hatte also ein Wandel von dem Erfordernis der subjektiven Arglist als bewusster Täuschungshandlung zur Frage nach der Treuwidrigkeit als an objektiven Interessen und Werten gemessener Entscheidung stattgefunden.180 Dolus war damit der negative Komplementär der bona fides.181 Nach Auffassung von Wacke fand sogar eine Relation von Mittel und Zweck bei der Anwendung statt.182 Auch in Vertragsverhältnissen wurde dolus malus als Kehrseite der bona fides verstanden und jedes illoyale Verhalten bereits als Verstoß gegen die objektive Norm der Billigkeit gewertet.183 4. Tatbestand des rechtsmissbräuchlichen Prozessierens Unter dem Blickwinkel der soeben genannten drei Kategorien wurden die Klageerhebung, ohne tatsächlich Rechtsinhaber zu sein, und das Bestreiten der vorgetragenen Tatsachen wider besseres Wissen als treuwidrig eingestuft. Unzulässig war damit leichtsinniges und schikanöses Prozessieren.184 Eine Modifikation des Tatbestands der unzulässigen Rechtsausübung für den Prozess fand allerdings nicht statt. Dies war auch nicht erforderlich, denn angesichts des aktionenrechtlichen Denkens bildeten Prozess- und Privatrecht ein Rechtsverhältnis.

177

Hering, in: Fechner (Hrsg.), Aequitas und Toleranz, S. 84. Baldus, Vertragsauslegung II, S. 498. 179 Jörs / Kunkel / Wenger, Römisches Recht, S. 177; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 180. 180 So auch im Ansatz Honsell, Römisches Recht, S. 372; Wacke, RIDA 27 (1980), S. 355. 181 Wieacker, SZ 94 (1977), S. 5. 182 Wacke, SZ 94 (1977), S. 224; Wacke betont dabei auch die Bedeutung der stoischen Philosophie sowie die Relevanz der Sozialmoral. 183 Näf-Hofmann, Actio de dolo, S. 15, 17. 184 Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß – Band II, S. 533. 178

§ 4 Historische Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess 

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III. Methodisches Vorgehen im römischen Recht

Neben diesen Kriterien ist im römischen Recht die kasuistische Methode für den Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsargument bedeutsam. Anders als in einem System, das wie dasjenige des BGB und der ZPO auf abstrakter Begrifflichkeit aufbaut und auf eine abstrahierende Gesetzesauslegungslehre abzielt, ist die römische Methode vom „Denken in Fällen“ geprägt.185 Dieses kasuistische Denken ist aber nicht gleichbedeutend mit einer intuitiven Rechtsfindung,186 sondern das Systematische an römischer Rechtsfindung ergibt sich aus der Verwendung deduktiver oder induktiver Schlüsse sowie dem Ausloten von Prinzipien.187 Zentral für die beiden logischen Schlussformen der Deduktion und der Induktion war der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Formulierung einer Regel auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist Deduktion; wird dagegen das tertium comparationis nicht benannt, so liegt ein induktiver Schluss vor.188 Die Ausprägung von Prinzipien erfolgte durch die Variation von Ausgangsfällen, Bildung von gleichlaufenden Fällen oder Gegenfällen.189 Die bona fides und aequitas waren dabei als sozialethische Wertungen substantielle Argumentationsaspekte; im Hinblick auf die Begründung wurden topische Schlussfiguren und die vorbezeichneten Wertungskriterien herangezogen.190 Es handelte sich bei ihnen um Wertungselemente aus dem äußeren System des Rechts, die systemübergreifend auf die Rechtsfindung einwirkten.191 Als Mittel der Rechtsfortbildung nahm die bona fides eine rechtskritische und rechtsschöpfende Rolle ein.192 Maßgeblich war zudem, dass das römische Recht mit der Berücksichtigung und Bewertung privater wie öffentlicher Interessen eine systemüberschreitende Rechtsfindung beinhaltete und damit fernab von systemimmanenten deduktiven wie induktiven Schlüssen agierte.193 Dieses Vorgehen mit einer inneren und einer äußeren Systematik ist auch Proprium unseres heutigen Privatrechtssystems,194 da dieses zwischen konkret normbezogenen, also systemimmanenten, und abstrakten Rechtsprinzipien, die gesetzesübersteigend Anwendung finden, differenziert. Das methodische Verständnis im römischen Recht ist daher nicht allzu weit von unserem heutigen entfernt. 185 Giaro, SZ 105 (1988), S. 217, dennoch kannten auch die Römer eine – wenn auch nicht einheitliche – Auslegungslehre hinsichtlich ihrer Gesetze, Wesel, Gesetzesauslegung, S. 133; kritisch mit Blick auf die Bedeutung des Normzwecks Medicus, in: FS Kaser, S. 79. 186 So aber insbesondere Kaser, Methode, S. 54 ff. 187 Harke, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, S. 9 ff. 188 Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 16. 189 Knütel, in: GS Heinze, S. 497. 190 Giario, SZ 105 (1988), S. 255. 191 Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, S. 51. 192 Kleiter, Entscheidungskorrekturen, S. 56. 193 Harke, Argumenta Iuventiana – Argumenta Salviana, S. 17. 194 Zu beiden Systemformen knapp Canaris, Systemdenken, S. 18, 19; Heck, Begriffsbildung, S. 142 ff.

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Teil 1, Kapitel 2

IV. Sanktionierung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im römischen Zivilprozess

Im römischen Prozess wurde rechtsmissbräuchliches Parteiverhalten mit einem umfassenden Apparat an Sanktionen belegt. Die Römer hatten den Gedanken, schikanöses oder rechtsmissbräuchliches Verhalten im Prozess zu verhindern, dem griechischen Zivilprozess entlehnt. In diesem sollte durch einen Eid (antomosia), dass nur Richtiges behauptet werde, ein fairer Verfahrensablauf gesichert werden.195 Das römische Recht verarbeitete diese Grundlage zu vielgestaltigen Einzelrechtsfolgen. 1. Prozessstrafen a) Sacramentum Der beidseitige Einsatz des sacramentum verfiel im Falle leichtfertigen Klagens oder Bestreitens – ähnlich einer heutigen Prozesskostenregelung oder Missbrauchsgebühr  – an den Staat.196 Das sacramentum war ursprünglich ein Eid; gleichzeitig mit der Eidesleistung wurde eine Sühnegabe, das sog. piaculum, eingesetzt.197 Die ursprüngliche Funktion des sacramentum war eine Wette der Parteien, welche von ihnen wahrheitsgemäß vortragen werde.198 Erst zu einem späteren Zeitpunkt übernahm das sacramentum auch die Zwecksetzung, leichtfertiges Prozessieren abzuwehren.199 Es handelt sich also um eine finanzielle Bestrafung für missbräuchliches Prozessieren und entspricht somit unseren heutigen Prozesskostenregelungen. b) Sponsio und restipulatio Die Sponsionen – als Versprechen vermutlich eine Nachbildung des sacramentum –,200 die sich die Parteien bei der condictio certae pecuniae201 zu leisten hatten, gab es in Form der sponsio tertiae partis, eines Strafzuschlags in Höhe eines Drittels der Klagesumme, den der Beklagte für den Fall seines Unterliegens dem Kläger zu versprechen hatte.202

195

Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 407. Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 283. 197 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S, 84. 198 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 85. 199 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 85. 200 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 283. 201 Diese Klage beinhaltete den Antrag auf eine bezifferte Geldsumme. 202 Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 213. 196

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Die restipulatio hingegen war die Zahlung eines Betrags durch den Kläger für den Fall, dass der Beklagte prozessual erfolgreich war und keine Interdiktsverletzung begangen hatte.203 Diese wechselseitigen Versprechen waren daher finanzielle Prozessstrafen und hatten den Zweck, grundloses Prozessieren zu unterbinden.204 c) Litiskreszenz Die Litiskreszenz betraf lediglich den Beklagten; hatte dieser das Klagebegehren nicht anerkannt, sondern erfolglos bestritten, wurde er zur Leistung der doppelten Haftungssumme verurteilt. Dies war somit eine besondere Form des Strafschadensersatzes für die Art und Weise der Prozessführung.205 Seinen historischen Ursprung hat die Litiskreszenz in einem deliktischen Anspruch, wonach der Beklagte die bereits unbestrittene Haftungssumme dem Kläger vorenthalten wollte.206 Die Litiskreszenz war zu früherer Zeit besonders in der Vollstreckung bedeutsam207 und blieb auch in der nachklassischen Zeit noch als Prozessstrafe erhalten.208 d) Infamia Die bisher erwähnten Prozessstrafen wurden stets ohne eine nähere Verschuldensprüfung verhängt. Für die Ehrenminderung (infamia)209 bedurfte es dagegen des Vorliegens dolosen Verhaltens. Jedoch waren die Anforderungen an doloses Verhalten nicht besonders hoch; bereits das Verüben eines Delikts oder die Verletzung eines Treueverhältnisses unterlagen dem Vorwurf des dolus.210 Die Infamie hatte zur Folge, dass der Betroffene in seiner Rechtsfähigkeit beschränkt wurde; dieser konnte dann etwa keine Anträge mehr beim Gerichtsmagistrat stellen.211

203

Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 418; Interdikte waren ein besonderes römisches Klageverfahren, in dem in erster Stage ein prätorischer Befehl an die beklagte Partei erging und in zweiter Stage – im Falle des Handelns gegen diese Anweisung – ein Streitverfahren durchgeführt wird, vgl. ebenda, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 408. 204 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 284. 205 Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 213; eingehend zur Litiskreszenz in der Rezeption: Ebert, Pönale Elemente im deutschen Privatrecht, S. 36 f. 206 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht², S. 284 (Fn. 6); Kaser, SZ 100 (1983), S. 133. 207 Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 100. 208 Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 518. 209 Diese wird teilweise auch nicht als Prozessstrafe gehandelt, so Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß – Band II, S. 538; sie hatte zur Folge, dass eine Stimmabgabe, eine Ämterbewerbung und eine gerichtliche Vertretung für den Betroffenen vom Magistrat zurückgewiesen wurden, Mommsen, Strafrecht, S. 495. 210 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht², S. 284. 211 Von Schwind, Römisches Recht, S. 161.

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e) Ius iurandum calumniae Der Kalumnieneid (ius iurandum calumniae) hatte später bis zur Zeit des Zivilprozesses im gemeinen Recht die Warnfunktion vor prozessualer Unredlichkeit.212 Im Prozess der klassischen Zeit konnten die Parteien wechselseitig den Kalumnieneid verlangen, dass der Gegner den Prozess nicht schikanös führen werde.213 Überdies existierte auch der prätorische Kalumnieneid, den der jeweilige Prätor von Amts wegen einer Partei auferlegen konnte.214 Kaiser Justinian ging noch weiter und verlangte den Kalumnieneid sogar von den Anwälten.215 Der Eid war von den Parteien und ihren Vertretern bei der litis contestatio zu leisten.216 Als Prozessstrafe wurden 1/10 oder 1/5 der Klagesumme verlangt. Hiermit sollte eine Klage wider besseres Wissen unterbunden werden. Noch strenger war die Konträrklage in Form des contrarium iudicium, bei der der gutgläubig Klagende auch ohne die Abgabe eines Eides zur Zahlung von 10 bis 20 % des Streitwerts herangezogen werden konnte.217 Gemeinsam ist dem Kalumnieneid mit den Sponsionen, der Litiskreszenz und dem sacramentum, dass er als Prozessstrafe missbräuchliches Prozessieren der Parteien unterbinden sollte. Bedeutsam war dies schon deswegen, weil im Falle redlichen Verhaltens die Prozesskosten erst ab der Zeit des nachklassischen Verfahrens der unterliegenden Partei auferlegt wurden.218 Die Prozessstrafen dienten mithin dazu, die Kosten des Rechtsstreits zu decken. Überdies hatten sie auch den Effekt, dass sich potentielle Prozessparteien eine Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung im Vorhinein wohl überlegten. 2. Exceptio und actio a) Exceptio doli Neben den pekuniären Prozessstrafen diente die exceptio doli der Entkräftung von Rechtsbehelfen im strengen ius civile. Sie wurde der einredewilligen Partei

212

Zeiss, Die arglistige Prozesspartei, S. 26; der Kalumnieeid hatte aber auch eine besondere Bedeutung für den römischen Strafprozess, siehe nur Levy, SZ 53 (1933), S. 153. 213 Gaius, Institutiones, IV, 172 ff.; Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 408; Wenger, Institutionen, S. 98. 214 Harke, Der Eid im klassischen römischen Privat- und Zivilprozessrecht, S. 187. 215 Seidl, Römische Rechtsgeschichte, Rn. 408; zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des Kalumnieeides, Krüger, SZ 45 (1925), S. 45. 216 Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 519; diese litis contestatio war die Eröffnung des Prozesses, welche durch die Erwiderung auf die Klage ausgelöst wurde. Folge der Prozesseröffnung war die Herbeirufung von Zeugen. 217 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 285; ebenso wie das Urteil wegen Verstoßes gegen den Kalumnieeid wurde auch dieses Konträrklage im selben Verfahren anhängig Wlassak, SZ 33 (1912), S. 117. 218 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 632.

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durch den Prätor gewährt219 und konnte sich auch gegen die Klageerhebung richten.220 Die exceptio doli praesentis etwa war Mittel gegen den bei Klageerhebung begangenen dolus,221 während die exceptio doli praeteriti ein früheres Verhalten als rechtsmissbräuchlich qualifizierte. Exceptiones waren zur Zeit des Formularprozesses generell Gegenrechte, mit denen Ansprüche des Klägers zu Fall gebracht werden konnten.222 Der maßgebliche Unterschied dieser Einrede zur Berufung auf bona fides und aequitas bestand darin, dass diese bei speziellen Klageformen (sog. bonae fidei iudicia) als einschränkendes Merkmal eo ipso geprüft wurden.223 Bei Klagen, die diese Beschränkung auf aequitas oder die bona fides nicht bereits automatisch implementiert hatten, musste die exceptio doli als Einrede ausdrücklich erhoben werden.224 Anders als die Prozessstrafen wirkte die Einrede damit unmittelbar gegen die Klage. b) Actio de dolo und in integrum restitutio Die actio de dolo war, wenn der mit rechtsmissbräuchlichem Verhalten belasteten Partei kein anderer Rechtsbehelf zu Verfügung stand, eine Klage als Strafklage auf den einfachen Schadensbetrag.225 Es handelte sich bei ihr um einen nachrangigen Rechtsbehelf, der auch auf prozessuales Fehlverhalten anwendbar war. Allein entscheidend war doloses Verhalten der anderen Partei.226 Die Durchführung eines Aktivprozesses – ebenso wie die Erhebung der exceptio doli im Passivprozess – hatte das objektiv verstandene Element des dolus zur Voraussetzung, weswegen die actio de dolo heutzutage auch als allgemeine Billigkeitsklage bezeichnet wird.227 Trotz ihrer grundsätzlichen Subsidiarität gab es noch ein weiteres Institut neben der actio de dolo: Mit der in integrum restitutio konnten Rechtswirkungen aufgehoben und der status ex ante wiederhergestellt werden.228 Dies entspricht dem heutigen prozessualen Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gleichermaßen 219

Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 26. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht1, S. 194. 221 Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 194. 222 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 260. 223 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 262; Honsell, Quod interest, S. 138; Zimmermann, Law of Obligations, S. 509. 224 Nörr, Rechtskritik, S. 117; zur Wechselwirkung von aequitas und exceptio doli generalis, Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß – Band II, S. 396. 225 Kaser / Knütel, Römisches Privatrecht, S. 70; anders als die exceptio doli kann die actio de dolo auf das Jahr 66 v. Chr. und die Prätur von C. Aquilius Gallus zurückgeführt werden, Honsell, Römisches Recht, S. 173. 226 Honsell, Römisches Recht, S. 174. 227 Wacke, RIDA 27 (1980), S. 384. 228 Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 422; nach war dies allerdings erst zum Zeitpunkt des späteren Kognitionsverfahrens so. Die in integrum restitutio war nach Wacke SZ 88 (1971), S. 123, gegenüber der actio de dolo selbst auch nochmal nachrangig. 220

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wie für das Institut der in integrum restitutio gilt für die actio de dolo, dass in Fällen der prozessualen Arglist beide Sanktionswege nur geringe Bedeutung hatten. Die römischen Juristen versuchten diese Fälle mit den übrigen, oben dargestellten Sanktionen zu lösen.229 V. Schlussfolgerung

Aus der Darstellung des römischen Rechts ergibt sich, dass rechtsmissbräuchliches Verhalten im Prozess zunächst die unberechtigte Klageerhebung, das unberechtigte Bestreiten sowie die Verletzung der Wahrheitspflicht betraf. Das Verständnis des unzulässigen Prozessverhaltens war daher maßgeblich davon geprägt, dass eine Partei nicht unwahr vortragen und nicht zu Unrecht die Gerichte in Anspruch nehmen sollte. Sanktioniert wurde rechtsmissbräuchliches Parteiverhalten meist mit pekuniären Repressalien, wobei auch prozessuale Rechtsfolgen wie die exceptio doli oder das Institut der Ehrenminderung schon damals zur Abwehr rechtsmissbräuchlichen Prozessverhaltens Anwendung fanden. Das Verständnis von der Rechtsmissbräuchlichkeit des Prozessierens unterscheidet sich somit von den heutzutage durch die Gerichte zu entscheidenden Fallkonstellationen: Den sich im römischen Recht stellenden Fällen wird heute mit der prozessualen Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO oder aber den Kostenfolgen nach §§ 91 ff. ZPO begegnet. Auf tatbestandlicher Seite hat das heutige Verständnis vom prozessualen Rechtsmissbrauch in Rechtsprechung und Schrifttum mit den römischen Kategorien daher nur noch wenig gemeinsam. Eine allgemeine Rechtsmissbrauchslehre nach heutigem Verständnis existierte im römischen Recht trotz der dargestellten Figuren nicht. Das Institut der aemulatio als besonderes Rechtsmissbrauchsverbot war im römischen Recht nicht bekannt.230 Vielmehr war die exceptio doli das entscheidende Instrument zur Abwehr dolosen Verhaltens. Gleichwohl fehlte es an einer dogmatischen Durchdringung der exceptio doli als Mittel einer allgemeinen Lehre vom Rechtsmissbrauch. B. Das Rechtsmissbrauchsverbot im gemeinen Recht Im gemeinen Recht war eine allgemeine Rechtsmissbrauchslehre ebenfalls noch nicht etabliert. Zwar wurden einerseits die Grundsätze der bona fides sowie der aequitas rezipiert231 und im Nachbarrecht prägte sich andererseits die aemulatio, das Verbot der Schikane, aus.232 Eine Zusammenführung dieser drei Komponenten zu einer umfassenden Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung erfolgte jedoch 229

Grunwald, Sittenwidrigkeit, S. 67. Die Folgerung aus der Digestenstelle Mac. 50, 10, 3, taugt nur bedingt, da dort aemulatio Wetteifer und nicht Schikane bedeutet, vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, S. 221 [Fn. 1]. 231 HKK / Haferkamp, § 242 BGB Rn. 50. 232 HKK / Haferkamp, § 226 BGB Rn. 3. 230

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nicht.233 Als Beispiel dafür kann die naturrechtliche Kodifikation des preußischen ALR von 1794 dienen. In §§ 27, 28 Tit. 8 des preußischen allgemeinen Landrechts war beispielsweise nur ein besonderes Schikaneverbot implementiert worden:234 „§ 27. Niemand darf sein Eigenthum zur Kränkung oder Beschädigung andrer mißbrauchen. § 28. Mißbrauch heißt ein solcher Gebrauch des Eigentums, welcher vermöge seiner Natur nur die Kränkung eines Andern zur Absicht haben kann.“

Diese Regelung stellt deshalb ein spezielles Missbrauchsverbot dar, weil sie ausdrücklich auf das Eigentum als Rechtsgut Bezug nimmt und auf subjektiver Seite ferner eine Schädigungsabsicht voraussetzt. Demgegenüber nahm die Kodifikation des Prinzips von Treu und Glauben in den Privatrechtsordnungen der Partikularstaaten zunehmend an Fahrt auf. Inhaltlich entwickelte sich dieser Grundsatz infolge der Rezeption der im römischen Recht herausgebildeten Grundsätze der bona fides und der aequitas;235 so wurde das Prinzip in die einzelstaatlichen, partikularen Zivilrechtsbücher Deutschlands, wie etwa in § 858 des sächsischen BGB von 1863 und § 279 ADHGB, aufgenommen.236 Zur Ausbildung einer umfassenden Rechtsmissbrauchslehre führte allerdings auch diese Entwicklung des Treu-und-Glauben-Prinzips nicht. C. Civilprozessordnung von 1879 und Reichsgerichtsrechtsprechung Entsprechend diesen Entwicklungen wurden in der Zivilprozessordnung aus dem Jahr 1879 weder das Treu-und-Glauben-Prinzip noch das Rechtsmissbrauchsverbot verankert. Das Element der Formenstrenge hatte auch vor dem Hintergrund des Anfang des 19. Jahrhunderts aufkommenden Positivismus Einzug gehalten.237 In der Retrospektive trifft auf das Prozessrecht dieser Zeit das von Stein geschöpfte Prädikat als „technisches Recht in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselnden Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte bar“ sicher zu.238 Das Reichsgericht urteilte anfangs unter diesem Paradigma des zivilprozessualen Formalismus. Dies zeigt sich daran, dass der bereits angesprochene Fall der Zu 233 Huwiler, in: Schmidlin (Hrsg.), Vers un droit privé européen? – Skizzen zum gemeineuropäischen Privatrecht, S. 62. 234 Anderer Ansicht Oppenheimer, Gesetzesmißbrauch, S. 70, der ein allgemeines Verbot des Gesetzesmissbrauchs annimmt. 235 Auf den deutschrechtlichen Anteil wird hier jedoch nicht näher eingegangen, vgl. hierzu etwa Strätz, Treu und Glauben, S. 207. 236 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 20, 22. 237 Die Idee des Positivismus wurde Anfang des 19. Jahrhunderts durch Auguste Comté als wissenschaftliche Methode begründet, siehe hierzu Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 16, S. 139; der Formalismus dient dabei der Verwirklichung des Gesetzespositivismus. Zum zivilprozessualen Formalismus aus schweizerischer Perspektive: Troller, Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, S. 11. 238 Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts und Konkursrechts, S. XIV.

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ständigkeitserschleichung nach § 23 ZPO239 angesichts des Vorliegens der Wortlautvoraussetzungen als zulässig angesehen worden war.240 Noch 1904 wurde auf diese strengen Voraussetzungen in einem Fall zum Zustellungsrecht gepocht.241 Die Wende in Richtung einer Materialisierung des Prozessrechts wurde in der Rechtspraxis im Jahr 1921 schließlich dadurch eingeläutet, dass die exceptio doli auch auf das Prozessrecht angewendet wurde.242 D. Allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot im BGB von 1900 Die Teilentwürfe des Obligationenrechts von 1882 berücksichtigten das Treuund-Glauben-Prinzip im Vertragsrecht, indem im Teilentwurf Nr. 20 „Rechte und Pflichten aus Verträgen“ unter § 1 Folgendes geregelt war:243 „Ein Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich als Inhalt seiner Verbindlichkeit aus den besonderen Vertragsbestimmungen und aus der Natur des Vertrages, dem Gesetz oder Herkommen gemäß ergiebt.“

In Teilentwurf Nr. 13 zu den „Wirkungen des Schuldverhältnisses im Allge­ meinen“ hieß es in § 196:244 „Die in einem Schuldverhältnis Stehenden sind sich gegenseitig verpflichtet, die daraus für sie entspringenden Verbindlichkeiten redlich und treu und unter Aufwendung desjenigen Grades an Sorgfalt zu erfüllen, welchen sie versprochen haben oder zu welchem sie gesetzlich verpflichtet sind.“

Nach mehrfacher Redaktion wurde letztlich folgender Vorschlag Gegenstand des dem Reichstag vorgelegten Entwurfes: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“245

239

Siehe oben § 2 A. I. 1. a). RGZ 16, 391 (393): „[…] In dieser Beziehung greift vielmehr der Grundsatz durch, daß die Bethätigung gesetzlich unter bestimmten Voraussetzungen sanktionierter Schritte niemandem versagt werden darf, wenn jene gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.“ 241 RGZ 59, 259 (263). 242 Soweit ersichtlich erstmals RGZ 102, 217 (222): „[…] Dafür, daß eine solche, dem materiellen Vertragsrecht entspringende Einrede einem auf prozessualem Gebiete liegenden Verhalten einer Partei nicht entgegengesetzt werden könnte, bietet die Prozeßordnung keinen Anhalt. Vielmehr muss man annehmen, dass auch das Prozeßrechtsverhältnis der Parteien ebenso wie ihre materiellrechtlichen Beziehungen durch den Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht wird, wie ja auch die für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs anerkannte exceptio doli generalis sich gerade gegen das Verhalten des Gläubigers im Prozesse richtet. Zudem verweisen gerade für die auf der Übereinkunft der Parteien beruhende Klagezurücknahme‘ die Motive zu § 234 des Entwurfs der ZPO (Hahn Bd. 1, S. 263) auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze über Verträge.“ 243 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 Rn. 26. 244 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 Rn. 26, 27. 245 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 Rn. 34. 240

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Das Verbot des Rechtsmissbrauchs selbst wurde partiell durch das besondere Schikaneverbot nach § 226  BGB und die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB in das BGB aufgenommen.246 Der eigentliche Vorläufer des Schikaneverbots, die bereits genannte aemulatio des gemeinen Rechts,247 fand so Eingang in das BGB. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts fand das in § 242 BGB niedergelegte Treu-und-Glauben-Prinzip generell – allerdings unter Verwendung hergebrachter Rechtsfiguren wie der exceptio doli – zum Ausgleich individueller Rechte mit sozialen Anschauungen Anwendung.248 Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum bestand daher um die Wende zum 20. Jahrhundert Uneinigkeit zwischen der Freirechtsschule und der Interessenjurisprudenz über die Frage, ob § 242 BGB an sich zur freien Rechtsschöpfung ermächtige oder nicht.249 Das Manko der neuen Rechtsordnung lag in der fehlenden Normierung einer umfassenden Rechtsmissbrauchslehre. Allerdings hatte der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet. Das gemeinrechtliche Institut der exceptio doli generalis hatte weder Eingang in das BGB noch in die ZPO gefunden.250 § 226 BGB hätte nur im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung zum allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot aufgewertet werden können. Denn ein solches allgemeines Verbot als Bestandteil der exceptio doli generalis existierte vor dieser Zuordnung zu § 242 BGB nur als richterrechtliches Institut.251 Nach den Protokollen und den Motiven zum BGB wurde nämlich von gesetzgeberischer Seite bewusst auf die Implementierung der exceptio doli generalis verzichtet, damit den Richtern nicht zu viel Macht verschafft würde.252 Anders als kurze Zeit später in der Schweiz, nämlich in Art. 2 Abs. 2 ZGB,253 war ein explizites allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot somit nicht in das BGB integriert worden. E. Missbrauchslehren zur Zeit des Nationalsozialismus Aufgrund der Unschärfe des Rechtsmissbrauchsverbots dauerte es in der Zeit des Nationalsozialismus freilich nicht lange, bis die Juristen der nationalsozialistischen Rechtserneuerung die Missbrauchsdogmatik für ihre Motive entdeckten. Der Vorspruch zur Novelle der Deutschen Zivilprozessordnung vom 27.10.1933 stellte folgenden Grundsatz auf: 246

Repgen, Soziale Aufgabe, S. 500. HKK / Haferkamp, § 226 BGB Rn. 3 ff. 248 Luig, in: FS Wiedemann, S. 103. 249 Zu dieser Streitfrage zwischen den beiden Methodenschulen, vgl. Schröder, in: FS Holzhauer, S. 274. 250 Motive I, S. 274; Jakobs / Schubert, Beratung des BGB AT I/2, S. 1173. 251 Wendt, AcP 100 (1906), S. 1; Haferkamp, in: Falk / Mohnhaupt (Hrsg.), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 10 ff. 252 Motive I, S. 274; Nach dem Bericht von Heller (Bayern) über die Sitzung vom 24.03.1896, Jakobs / Schubert, Beratung des BGB AT I/2, S. 1173. 253 Sie hierzu unten unter § 5 A. 247

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Teil 1, Kapitel 2 „Keiner Partei kann gestattet werden, das Gericht durch Unwahrheit irrezuführen oder seine Arbeitskraft durch böswillige oder nachlässige Prozessverschleppung zu missbrauchen. Dem Rechtsschutz, auf den jeder Anrecht hat, entspricht die Pflicht, durch redliche und sorgfältige Prozessführung dem Richter die Findung des Rechts zu erleichtern.“254

Diese Zeilen behandeln nur das Verhältnis zwischen Partei und Gericht und regeln daher nur die Notwendigkeit redlichen Prozessverhaltens in dieser Konstellation, nicht das Verhalten der Parteien untereinander.255 Dabei wird insbesondere die Trichotomie von Wahrheits-, Prozessförderungs- und prozessualen Redlichkeitspflichten betont.256 § 242 BGB avancierte in der Zeit des Nationalsozialismus zum korrektiven Allheilmittel und zur richterlichen Eingriffsbefugnis im Hinblick auf Verträge257 und das Prozessrecht.258 In der juristischen Literatur des Nationalsozialismus wurde die Arglisteinrede im Prozess zwischen „Rechtsgenossen“ als bewusste Abwendung von der „liberalistischen“ Auffassung dargestellt,259 wobei sich die nationalsozialistisch gefärbte Literatur von den Stimmen in Rechtsprechung und Literatur vor ihrer Zeit distanzierte.260 Das Reichsgericht argumentierte auf prozessualer Ebene maßgeblich mit dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses.261 Zur Sicherung redlichen Prozessverhaltens wertete man folglich das Rechtsschutzbedürfnis zur allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzung auf. Insgesamt fand sowohl im materiellen Recht als auch prozessual eine Auflösung liberalistischen Rechtsverständnisses statt.262 Grenzenlose Vergemeinschaftung war fortan das Maß der Dinge.

254

RGBl. I1933, S. 780. Dölle, in: FS Riese, S. 290. 256 Hier wird anders differenziert als bei Fleck, der etwa auch die Wahrheits- und die Prozessförderungspflicht den Redlichkeitspflichten zuordnet, vgl. Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 99. Gemeint ist mit prozessualer Redlichkeit allein treugemäßes Prozessverhalten. 257 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, S. 231–232; diese Entwicklung hatte sich mit der Aufwertungsrechtsprechung des RG aus dem Jahr 1923 RGZ 117, 359 schon abgezeichnet. In der Zeit des Nationalsozialismus gab es einen entscheidenden Bruch mit der zuvor vorherrschenden Lehre des Rechtsmissbrauchs, siehe dazu: Haferkamp, Die heutige Rechtsmissbrauchslehre, S. 340. 258 von Dickhuth-Harrach, Gerechtigkeit statt Formalismus, S. 218. 259 von Poellnitz, Die Arglisteinrede im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses, S. 45–46; auch Siebert hat in seiner Arbeit, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 126, aus dem Jahr 1934 die Anwendung des Treu-und-Glauben-Prinzips im Prozess angenommen. Beide Arbeiten sind jedoch nationalsozialistisch geprägt, und sehen im Rückgriff auf § 242 BGB und eine objektive Rechtsmissbrauchslehre eine Möglichkeit, die nationalsozialistische Weltanschauung zu verwirklichen, kritisch hierzu auch: Haferkamp, AcP 210 (2010), S. 307. 260 Allgemein zur Abwendung der Rechtsmissbrauchstheorie vom Ansatz der Generalklauseln als Außenschranke des Rechts, vgl. hierzu Haferkamp, Heutige Rechtmißbrauchslehre, S. 211. 261 RGZ 155, 72 (75); 156, 372 (378); 160, 204 (208 ff.); 160, 257 (262); 169, 223 (226). 262 Schumann, in: FS Fasching, S. 446. 255

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I. Siebert’sche Rechtsmissbrauchslehre: Innenschranken des Rechts

Federführender Wegbereiter der soeben beschriebenen Entwicklung war Siebert, nach dessen Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung jede Beschränkung eines subjektiven Rechts bereits im jeweiligen Gesetz angelegt war.263 Er vertrat damit die Theorie der Innenschranke jeder Rechtsausübung264 und sah die für die Bestimmung der Unzulässigkeit einer Rechtsausübung durchzuführende Gesamtabwägung von nationalsozialistischen Grundsätzen geprägt.265 Die Lehre Sieberts hatte den Effekt, dass sie eine Vorhersehbarkeit von Entscheidungen erheblich erschwerte.266 Insbesondere die Loslösung von den überkommenen Fallgruppen zur Dogmatik der exceptio doli öffnete der Rechtsunsicherheit Tür und Tor.267 Die Befürwortung und Durchsetzung der Innenschranke bot für die nationalsozialistische Rechtserneuerung den Vorteil, dass sie Begriff und Reichweite des subjektiven und des individuellen Rechts entscheidend einschränkte und dieses beinahe auflöste.268 Die hierdurch erzeugte Wirkung bestand zudem darin, dass die früher mit Hilfe von Wertungsmerkmalen vorgenommene Prüfung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben einer allgemeinen Rechtsmissbrauchslehre wich. Diese sprach vom abstrakten „Wert“ der völkischen Gemeinschaft und Begriffen wie „gesundem Volksempfinden“.269 Die Lösung von dogmatischen Grundgedanken und die damit verbundene Politisierung des Rechtsmissbrauchsverbots dienten der Hinwendung zu einer neuen Privatrechtswissenschaft nationalsozialistischer Prägung.270 Das Reichsgericht griff 1935 diese Lehre in einer Entscheidung zur Stimmrechtsausübung in der GmbH auf, so dass die tradierte Dogmatik zur exceptio doli generalis aus der Rechtsprechung verabschiedet wurde.271 Die theoretischen Ausführungen Sieberts fanden bald auch in der Rechtsprechung Beifall.272 Die entscheidende Nachwirkung seiner Lehre bleibt die Prüfung des Rechtsmissbrauchs von Amts wegen.273 263

Siebert, Unzulässige Rechtsausübung, S. 87; hierzu Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchs­ lehre, S. 185. Siebert hatte in der Kieler Schule der Nationalsozialisten eine noch größere Bedeutung als Larenz, vgl. Thoss, Subjektives Recht, S.65. 264 So aber auch schon Oppenheimer, Gesetzesmißbrauch, S. 91. 265 Siebert, Unzulässige Rechtsausübung, S. 88; Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 198; allerdings geht dieser Ansatz der Innenschranke des Rechts durch eine soziale Pflichtenbindung schon auf Otto von Gierke zurück, siehe Repgen, Soziale Aufgabe, S. 12. 266 Haferkamp, Heutige Rechtmißbrauchslehre, S. 311; Siebert, Unzulässige Rechtsausübung, S. 155 deutet die geringere Bedeutung der Rechtssicherheit aus seiner Sicht an. 267 Haferkamp, Heutige Rechtmißbrauchslehre, S. 312. 268 Siebert, Vom Wesen des Rechtsmissbrauchs, S. 17; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 346; Thoss, Subjektives Recht, S. 64, sieht sogar eine Ersetzung des subjektiven Rechts durch die Pflicht zum gemeinschaftsgemäßen Gebrauch dieses Rechts, ebenda, S. 135. 269 RAG, Urteil vom 07.02.1940, ARS 38, 290 (295); Siebert, Vom Wesen des Rechtsmissbrauchs, S. 26; HKK / Haferkamp, § 242 BGB Rn. 75, 76. 270 Haferkamp, FHI 07/97, Rn. 20 ff. 271 HKK / Haferkamp, § 242 BGB Rn. 76. 272 Haferkamp, Heutige Rechtmißbrauchslehre, S. 224. 273 So etwa BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 Rn. 52; Jauernig / Mansel, § 242 BGB Rn. 36; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 84; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 41; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 320.

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Teil 1, Kapitel 2

II. Rüdys Rechtsmissbrauchskonzeption

Die etwa zeitgleich mit der Arbeit von Siebert erschienene Untersuchung R ­ üdys zum Rechtsmissbrauch stieß dagegen auf relativ geringen Widerhall und wurde in Rezensionen kaum beachtet.274 Rüdy verstand die unzulässige Rechtsausübung vor dem Hintergrund der französischen Lehre zum abus des droits als kontinuierliche Weiterentwicklung der exceptio doli und der mit ihr verbundenen Fallkonstellationen. Er statuierte dabei zwei Fallgruppen unzulässiger Rechtsausübung. Die Rechtsausübung entspreche entweder nicht dem in dem beanspruchten Recht geschützten Rechtsgut. Er differenzierte innerhalb dieser Fallgruppe weiter nach dem Gedanken der Zweckentfremdung,275 dem Fehlen eines schutzwürdigen Interesses276 und der Disproportionalität von Recht und geschütztem Interesse.277 Andernfalls achte die Rechtsausübung nicht auf die schutzwürdigen Interessen der Gegenseite.278 Rüdy hob zum einen die Zweckorientierung und zum anderen die Bedeutung der Interessenabwägung entscheidend hervor. Gerade diese konkreteren Wertungsmerkmale grenzen seine Theorie von der Siebert’schen nationalsozialistisch durchsetzten Lehre wesentlich ab. Der fundamentale Unterschied dieser Theorie zur Siebert’schen Konzeption führte in der Sache dazu, dass Ansprüche und Rechte durch Benennung der konkreten Konflikte von Einzelinteressen gelöst werden sollten.279 Rüdy steht damit in der Tradition der Interessensjurisprudenz. Siebert agierte demgegenüber gegen das Einzelinteresse und im Sinne einer Bewertung kollektiver Interessen.280 F. Zusammenfassende Würdigung Die Geschichte des Rechtsmissbrauchs skizziert die dogmatischen und methodischen Probleme dieses Instituts. Das römische Recht hatte einen speziellen Begriff des Rechtsmissbrauchs und darüber hinaus ein weitreichendes, zumeist pekuniär orientiertes Rechtsfolgensystem. Mit dem sich in der Folge entwickelnden Rechtsmissbrauchsbegriff hatte das römische Verständnis wenig gemein. Im Nationalsozialismus gewann der Grundsatz von Treu und Glauben nachhaltig an Bedeutung, da mit ihm völkische Ideen durchgesetzt werden sollten. Die nationalsozialistische Arbeitsweise durch eine „Flucht in die Generalklauseln“281 274

Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 315. Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 89 ff. 276 Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 105 ff. 277 Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 107 ff. 278 HKK / Haferkamp, § 242 Rn. 69. 279 Rüdy, Rechtsmissbrauch, S. 67 f. 280 Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 315. 281 So der Titel des Werks von Justus Wilhelm Hedemann aus dem Jahr 1933. 275

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war argumentativ dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Rechtsausübung als unzulässig titulierte, wenn diese gegen die ideologische Grundauffassung verstieß. Dies führte ob dieser Formelhaftigkeit zum Verlust von Rechtssicherheit und angesichts der Unterordnung unter die kollektive „Volksgesamtheit“ zur Auflösung subjektiver Rechte. Zwei Grundpfeiler der Missbrauchsdogmatik macht diese historische Skizze deutlich: Vertrauen und das individuelle subjektive Recht. Vertrauen meint dabei abstraktes Vertrauen innerhalb einer Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft; Rücksichtnahme auf das individuelle subjektive Recht zeigt dessen Funktion als Ausprägung von Individualität.282

§ 5 Rechtsvergleichende Betrachtung Die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs und die Entwicklung von Strategien zu seiner Vermeidung sind kein ausschließlich nationales Phänomen. Daher nimmt die rechtsvergleichende Betrachtung die landestypische Behandlung der rechtsmissbräuchlichen Ausübung prozessualer Rechte und die Art und Weise der Sanktionierung eines Rechtsmissbrauchs in den Blick. Dieser Länderbericht soll durch einen knappen Überblick über die Rechtslage in der Schweiz, Österreich, Frankreich und England die Frage nach der Anerkennung des Verbots unzulässiger Rechtsausübung in den jeweiligen Ländern beantworten. Die prozessuale Variante dieses Verbots sowie die sich anschließenden Sanktionen stehen dabei im Mittelpunkt der Betrachtung. A. Schweiz Die Schweiz hat in ihrer Rechtsordnung eine besondere dogmatische Tiefe im Hinblick auf das Rechtsmissbrauchsverbot erreicht. Grundlage für das Verbot des Rechtsmissbrauchs im Schweizer materiellen Recht ist Art. 2 Abs. 2 ZGB.283 Das Verbot wird dabei objektiv gehandhabt, d. h., es findet eine Ermittlung, Bewertung und Abwägung284 der Interessen statt, und ihm kommt normberichtigende Funktion zu.285 282

Peifer, Individualität, S. 537. Diese Vorschrift lautet: Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. Diese Formulierung griffen die nationalsozialistischen Juristen für ihren Entwurf zu einem Volksgesetzbuch auf, maßen ihm jedoch eine völlig andere Funktion bei, indem sie die Rechtsausübung abstrakt dem gesunden Volksbewusstsein oder Volksempfinden unterstellten; kritisch hierzu Schwarz, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, S. 37. 284 Anders aber Forstmoser, Einführung in das Recht, S. 240, der eine Abwägungsmöglichkeit ablehnt. 285 Fleischer, JZ 2003, S. 868; ebenso auch Merz, ZfRV 1977, S. 172; soll nach anderer Auffassung zumindest das subjektive Unrechtsbewusstsein fehlen, Middendorf / Grob in Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Art. 2 ZGB Rn. 3. Zeller, Treu und Glauben und Rechtsmiss 283

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Subjektive Umstände sind nach herrschender Meinung zur Bejahung einer unzulässigen Rechtsausübung gerade nicht erforderlich.286 In der Schweiz existiert seit dem 01.01.2011 durch Einführung einer ZPO auf Bundesebene Rechtseinheit auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts. Die Schweizer Zivilprozessordnung hat als Verfahrensgrundsatz in Art. 52 Schweizer ZPO positiv das „Handeln nach Treu und Glauben“ aufgenommen, wonach „alle am Verfahren beteiligten Personen nach Treu und Glauben zu handeln haben“. Der Grundsatz von Treu und Glauben existiert also im schweizerischen Zivilprozess sogar mit einer eigenständigen Generalklausel, so dass es eines Rückgriffs auf Art. 2 Abs. 2 ZGB nicht bedarf.287 Rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten wird in der Schweiz umfassend sanktioniert. Der handelnden Partei wird unmittelbar Rechtsschutz versagt.288 Im Extremfall werden Lüge und Arglist im schweizerischen Prozess aber auch dadurch abgewehrt, dass der arglistig Handelnde den Prozess verliert;289 ferner können nach Art. 132 Abs. 3 schweizerischer ZPO rechtsmissbräuchliche Eingaben ohne inhaltliche Entscheidung zurückgesendet werden.290 Überdies wird rechtsmissbräuchliches Verhalten bei der Kostenverteilung berücksichtigt. Ordnungsbußen, deliktische Schadensersatzansprüche nach Art. 41 OR291 sowie Delikte nach dem StGB können sich zudem aus rechtsmissbräuchlichem Prozessverhalten ergeben.292 Insgesamt ist die prozessuale Missbrauchsdogmatik in der Schweiz wohldif­ ferenziert.

brauchsverbot, S. 360, definiert dabei Rechtsmissbrauch so: „Rechtsmissbrauch ist der krasse Missbrauch der Regelhaftigkeit des Regelrechts.“ Durch die enge Bezugnahme auf die Regelhaftigkeit ist auch bei ihm der Rechtsmissbrauch maßgeblich von objektiv bestimmbaren Umständen abhängig; ebenso Zeller, ZSR 1990, S. 273. 286 Merz, in: Berner Kommentar, Art. 2 ZGB Rn. 105; Zeller, Treu und Glauben, S. 185; anderer Ansicht: Honsell, in: Basler Kommentar, Art. 2 ZGB Rn. 79. 287 Zeller, Treu und Glauben, S. 213, sieht die Anwendung von Art. 2 ZGB auf den Bereich der Rechtspflege kritisch. Allerdings beleuchtet er insoweit nur das Verhalten des Gerichts gegenüber der Partei, nicht das prozessbezogene Parteiverhalten. 288 BGE 141 III, 210 (216). 289 Oberhammer, in: Kurzkommentar ZPO, Art. 52 Rn. 2; dies bezieht sich aber maßgeblich auf den vollständigen und wahren Sachvortrag, siehe ebenda, Art 52 Rn. 6. 290 Oberhammer, in: Kurzkommentar ZPO, Oberhammer, Art. 52 Rn. 3. 291 BGE 117 II 394 (396). Art. 41 OR lautet: (1) Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet. (2) Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt. 292 Oberhammer, in: Kurzkommentar ZPO, Art. 52 Rn. 4.

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B. Österreich Das materielle Verbot der unzulässigen Rechtsausübung findet sich in Österreich in § 1295 Abs. 2 ABGB.293 Diese Vorschrift rundet die schadensersatzrechtliche Generalklausel des § 1295 Abs. 1 ABGB ab, indem sie eine Schadensersatzpflicht für sittenwidrige Schädigungen statuiert. Aus ihr wird das Schikaneverbot als besondere Form des Rechtsmissbrauchsverbots herausgelesen.294 Teilweise wird die Problematik des Rechtsmissbrauchs auch bei § 1305 ABGB verortet, der aber inhaltlich nicht über § 1295 Abs. 2 ABGB hinausgeht.295 Der Rechtsmissbrauch wird in § 1295 Abs. 2 ABGB neben der Sittenwidrigkeit erwähnt. Eine eigenständige Klausel zum Rechtsmissbrauch wie das schweizerische Recht enthält das österreichische Recht hingegen nicht. Die Schädigungsabsicht muss für das Vorliegen von Rechtsmissbrauch zwar nicht den einzigen Grund der Rechtsausübung darstellen,296 jedoch hat ein unlauteres Motiv die lauteren Motive eindeutig zu überwiegen.297 Dies zeigt vordergründig einen maßgeblichen Unterschied zum schweizerischen Verständnis, bei dem eine objektive Interessenabwägung im Zentrum steht. Bei § 1295 Abs. 2 ABGB nimmt das Element der Sittenwidrigkeit jedoch diese objektive Angemessenheitskontrolle ein.298 Damit ergibt sich de facto kein Unterschied zum schweizerischen und deutschen Verständnis, wenngleich das Rechtsmissbrauchsverbot im österreichischen Recht restriktiver gehandhabt wird. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist in Österreich zudem im Prozessrecht verankert,299 obgleich es nicht ausdrücklich kodifiziert ist. Der Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot im Hinblick auf den Prozess ist dennoch elaboriert, weil insoweit maßgeblich auf die materiell-rechtlichen Erwägungen zu § 1295 Abs. 2 ABGB zurückgegriffen wird: Zwar wird der Rekurs auf das Treu-undGlauben-Prinzip vereinzelt sehr kritisch bewertet,300 jedoch agiert man auch dort

293 § 1295 Abs. 2 ABGB lautet: Auch wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt, ist dafür verantwortlich, jedoch falls dies in Ausübung eines Rechtes geschah, nur dann, wenn die Ausübung des Rechtes offenbar den Zweck hatte, den anderen zu schädigen.; Bydlinski, in: FS Krejci II, S. 1084, bezeichnet dies als missglückten Versuch der Kombination von §§ 226, 826 BGB. 294 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 171. 295 So etwa Reischauer, in: ABGB-Kom, § 1305 ABGB, passim; § 1305 ABGB lautet: Wer von seinem Rechte innerhalb der rechtlichen Schranken (§ 1295, Absatz 2) Gebrauch macht, hat den für einen anderen daraus entspringenden Nachteil nicht zu verantworten. 296 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 180. 297 Karner, in: Kurzkommentar zum ABGB § 1295 ABGB Rn. 22. 298 OGH JBl 1994, 471; so auch Bydlinski in FS Krejci II, S. 1089. 299 OGH JBl 1993, 394; Fasching, Zivilprozessrecht, Rn. 135; Knötzl, JBl 1989, S. 791; Bydlinski, JBl 1986, S. 627; Mader, JBl 1998, S. 683. 300 Das Treu-und-Glauben-Prinzip wird in der österreichischen Literatur und Rechtsprechung auch eher selten zur Begründung herangezogen; eine dahingehende Kritik formuliert insbesondere Koziol, AcP 212 (2012), S. 57.

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mit einem Fallgruppensystem zur weitgehenden Abstraktion der konkreten Fallkonstellationen.301 In Österreich besteht eine Handhabe im Hinblick auf treuwidrige Parteihandlungen in der Weise, dass eine Zurückweisung durch das Gericht erfolgen muss oder die Parteiprozesshandlung widerrufbar ist, wenn der Gesetzesverstoß einen Verstoß gegen Treu und Glauben mit sich bringt.302 Die Pflicht, arglistiges und treuwidriges Verhalten zu unterlassen, wird in Österreich ebenfalls über ein ausgefeiltes Sanktionensystem durchgesetzt. Die Entziehung der Verfahrenshilfe wegen mutwilliger Prozessführung nach § 63 Abs. 1 österreichischer ZPO303, eine Kostenersatzpflicht bei nicht veranlasster Klage nach § 45 österreichischer ZPO304, eine Kostenersatzpflicht für schuldhaft verursachte Kosten des Gegners nach § 48 Abs. 1 österreichischer ZPO305 sind nur einige Beispiele, die eine Entsprechung in der deutschen Zivilprozessordnung finden, jedoch keinen speziellen Zuschnitt auf ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot haben. Eine Besonderheit stellt der Schadensersatz wegen mutwilliger Prozessführung nach § 408 Abs. 1 österreichischer ZPO306 dar. Gerade die letztgenannte Vorschrift statuiert schadensersatzrechtliche Sanktionen für eine mutwillige Prozessführung.307 Außerdem arbeiten die Gerichte mit den Mitteln prozessimmanenter Zurückweisung einer Prozesshandlung. Ferner kann eine Schadensersatzpflicht für die gesamte Prozessführung oder einzelne Verfahrenshandlungen entstehen.308 Das Beispiel Österreichs zeigt 301

Siehe nur Mader, Rechtsmißbrauch, S. 194 ff.; ders., JBl 1998, S. 678. Fasching, Zivilprozessrecht, Rn. 765. 303 § 63 Abs. 1 S, 1 öZPO lautet: Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Be­ einträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.; er entspricht hinsichtlich des gesetzlichen Kriteriums der Mutwilligkeit insoweit dem deutschen § 114 ZPO zur Prozesskostenhilfe. 304 § 45 öZPO lautet: Hat der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage nicht Veranlassung gegeben und den in der Klage erhobenen Anspruch sofort bei erster Gelegenheit anerkannt, so fallen die Processkosten dem Kläger zur Last. Er hat auch die dem Beklagten durch das eingeleitete gerichtliche Verfahren verursachten Kosten zu ersetzen. Diese Vorschrift entspricht inhaltlich § 92 ZPO zur Regelung der Kosten bei sofortigem Anerkenntnis. 305 § 48 Abs. 1 S. 1 öZPO: Werden einer Partei dadurch, daß ihr Gegner schuldhaft tatsächliche Anführungen oder Beweisanbietungen verspätet vorbringt, oder lediglich durch Zwischenfälle, die infolge eines Verschuldens des Gegners oder eines ihm widerfahrenen Zufalles im Laufe des Verfahrens eintreten, Kosten verursacht, so kann ihr das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen den Ersatz dieser Kosten unabhängig vom Ausgange des Rechtsstreites zusprechen.; diese Norm entspricht inhaltlich § 95 ZPO zur Regelung der Kosten bei Säumnis oder Verschulden. 306 § 408 Abs. 1 öZPO: Findet das Gericht, dass die unterliegende Partei offenbar muthwillig Process geführt hat, so kann es dieselbe auf Antrag der siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschädigungsbetrages verurtheilen. Eine gleichlautende Vorschrift findet sich im deutschen Zivilprozessrecht nicht, vgl. hierzu unten § 13 C. 307 Fidler, Schadenersatz, S. 93; zum Verhältnis von § 408 ZPO zu § 1295 Abs. 2 ABGB siehe ebenda, S. 104. 308 Bydlinski, JBl 1986, 626 ff.; Fasching, Zivilprozessrecht, Rn. 135 f.; ders., in: FS Schwab, S. 107. 302

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ebenso wie dasjenige der Schweiz, dass sich an das Vorliegen eines rechtsmissbräuchlichen und sittenwidrigen Prozessverhaltens sowohl prozessimmanente Entscheidungen wie pekuniäre Sanktionen anschließen können. C. Frankreich Die Rechtsmissbrauchsdoktrin in Frankreich hat einen besonderen Stellenwert für die deutsche Dogmatik; die dortige wissenschaftliche Durchdringung dieses rechtstheoretischen Instituts ist sozusagen die Wiege unseres heutigen Verständnisses von Rechtsmissbrauch und unzulässiger Rechtsausübung. In Frankreich wurde die Lehre vom Verbot des Rechtsmissbrauchs (abus de droit)309 zunächst von Dogmatik und Rechtsprechung – nach dem Herkommen aus dem römischen Recht – vertieft.310 Ausgangspunkt war insoweit stets die Deliktsnorm des Art. 1240 CC.311 Die Rezeption dieser Lehren, insbesondere hinsichtlich der diversen Fallgruppen und Funktionen, wurde sodann von der deutschen Rechtswissenschaft übernommen und hat in Rechtsprechung und Lehre entscheidend das Verständnis vom Rechtsmissbrauch geprägt.312 Materiell kommen in Frankreich drei Strömungen für den Maßstab des Rechtsmissbrauchs vor. Allein subjektiven Kriterien verhaftet ist die Ansicht, welche eine Schädigungsabsicht fordert (intention de nuir à autrui).313 Nach einer weiteren Ansicht ist faute notwendig, was sowohl Rechtswidrigkeit als auch einen objektiven Fahrlässigkeitsvorwurf bedeuten kann.314 Den Maßstab bildet dabei ein „normaler, vorsichtiger und vernünftiger Mensch“.315 Des Weiteren existiert die Lehre von der 309

Entscheidend ist, dass ebenso wie in der Schweiz streng zwischen bonne foi und abus de droit differenziert wird. Ein Verstoß gegen bonne foi ist für das Vorliegen einer unzulässigen Rechtsausübung nicht ausreichend, Sonnenberger, in: FS Odersky, S. 712; Klöpfer, Missbrauch, S. 49, sieht das französische Verständnis der bonne foi aber auf den vertraglichen Anwendungsbereich beschränkt. 310 Kennzeichnend ist insoweit die von Josserand vorgenommene Kriterienbildung: Handeln in Schädigungsabsicht, schuldhaftes Fehlverhalten während der Rechtsausübung, Fehlen eines berechtigten Interesses und die Abkehr von der sozialen Funktion des Rechts, Josserand, De L’Esprit des Droits2, S. 366 ff.; hierzu Fleischer, JZ 2003, S. 866.; siehe auch Dondi, in: Taruffo (Hrsg.), Abuse of procedural rights, S. 110. 311 Art. 1240 CC lautet: Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer. Art. 1240 CC hat den inhaltsgleichen Art. 1382 CC mit Inkrafttreten der französischen Vertragsrechtsnovelle zum 01.10.2016 ab­ gelöst. 312 So schon Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 1; ebenso auch Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 68, der aufgrund der nationalsozialistischen Prägung seiner Arbeit aber auch die für die neue Rechtswissenschaft des Nationalsozialismus konformen Schlüsse aus dieser Entwicklung zieht. 313 Ferid / Sonnenberger, Französisches Zivilrecht I, S. 245. 314 Ferid / Sonnenberger, Französisches Zivilrecht I, S. 245. 315 Ferid / Sonnenberger, Französisches Zivilrecht I, S. 245.

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sozialen Zwecksetzung des Rechts.316 Diese von Josserand propagierte Bindung an eine sozial angemessene Rechtsausübung konnte sich jedoch nicht durchsetzen.317 In Frankreich existiert daher auch die Lehre des Verbots einer funktionswidrigen Rechtsausübung (Widerspruch zur finalité sociale).318 Die Rechtsprechung hat sich für keine der vorliegenden Theorien entschieden und stellt wahlweise auf Schädigungsabsicht, faute oder intéret légitime ab.319 In Frankreich begegnet man prozessualem Rechtsmissbrauch nicht mit einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke, sondern mit der Kombination der speziellen Institute des „abus de droit d’agir“ sowie des „abus de procédure“.320 Art. 32–1 Code de procédure civile321 benennt dieses Verbot des Rechtsmissbrauchs im französischen Zivilprozess explizit und sanktioniert diesen sogleich mit einer Geldstrafe. Als Sanktionsmechanismus von treuwidrigem Prozessverhalten existiert zunächst die Möglichkeit der zivilen Geldstrafe, der „amende civile“, wodurch der der staatlichen Gesellschaft entstandene Schaden kompensiert werden soll.322 Damit liegt eine echte Prozessstrafe zugunsten des Staates vor.323 Die Unentgeltlichkeit von Gerichtshandlungen in Frankreich kann als rechtspolitischer Geltungsgrund hierfür angesehen werden.324 Tatsächlich werden derartige Prozessstrafen nur äußerst selten ausgesprochen.325 Ferner besteht die Möglichkeit einer Schadensersatzzahlung gegenüber der betroffenen Partei auf der Grundlage des allgemeinen Deliktsrechts.326 So können etwa im Prozess nicht erstattete Kosten der Parteien geltend gemacht werden.327 Auch die Ersetzung eines immateriellen Schadens ist möglich.328 Daneben gibt es die Auferlegung der Kostentragungspflicht an die

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Josserand, De L’Esprit des Droits1, S. 368 ff. Ferid / Sonnenberger, Französisches Zivilrecht I, S. 246; Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 330; nach Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 35, hat zumindest letzteres großen Einfluss auch auf das französische Verständnis von unzulässiger Rechtsausübung gehabt. 318 Sonnenberger / Classen, Einführung in das französische Recht, S. 155. 319 Ferid / Sonnenberger, Französisches Zivilrecht I, S. 247; eine Tendenz zur Ansicht der faute und damit Betonung des subjektiven Rechts meint jedoch Oberacher, Französisches Recht und § 242 BGB, S. 106, zu erkennen. 320 Dazu eingehend Holthausen, Theorie und Praxis, S. 51 ff., 57 ff. 321 Art. 32–1 Code de procédure civile lautet: Celui qui agit en justice de manière dilatoire ou abusive peut être condamné à une amende civile d’un maximum de 3 000 euros, sans préjudice des dommages-intérêts qui seraient réclamés. 322 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 88. 323 Ferrand, ZZPInt 2 (1997), S. 55. 324 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 88. 325 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 89; Zwickel, Ziviljustiz, S. 332. 326 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 89. 327 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 90; dabei ist sogar eine Geltendmachung im Wege der Widerklage innerhalb des laufenden Prozesses möglich, siehe ebenda, S. 91. 328 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 92; dabei werden anders als in Deutschland sogar die verlorene Zeit und die Sorgen wegen des Rechtsmissbrauchs als Schadenselemente anerkannt. 317

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missbräuchliche Partei über den Teil der Kosten, welche die Parteien selbst zu tragen hätten;329 dies geschieht durch einen Antrag auf Kostentragungspflicht der gegnerischen Partei.330 Bei missbräuchlichem Verhalten kann die Kostenlast sogar die obsiegende Partei treffen.331 Prozessuale Sanktionen infolge der Untätigkeit der Parteien können zur Beendigung des laufenden Verfahrens und der Löschung des Rechtsstreits (radiation) führen.332 Diese „Löschung“ entspricht in ihrer Wirkung dem Ruhen des Verfahrens nach § 251 S. 1 ZPO. Das bisher dargestellte Bild vom Rechtsmissbrauch im schweizerischen und österreichischen Recht wird durch die Darstellung der französischen Doktrin nuancierter. Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung greift im Prozess, äußert sich jedoch hauptsächlich durch pekuniäre Rechtsfolgen innerhalb eines ausgefeilten Sanktionensystems.333 D. England In England gilt im Hinblick auf das materielle Recht der Grundsatz, dass ein gesetzmäßiges Verhalten nicht durch Schädigungsabsicht rechtswidrig wird und sich daher auch kein Haftungsrisiko für den rechtsmissbräuchlich Handelnden ergibt.334 Daraus folgt aber nicht das gänzliche Fehlen eines Verbots unzulässiger Rechtsausübung; rechtsmissbräuchlichem Verhalten wird im Common-Law-Rechtskreis vielmehr mit anderen Rechtsgrundsätzen begegnet.335 Eine grundlegende Theorie des Rechtsmissbrauchs wird in England jedoch abgelehnt.336 Trotz dieser Ablehnung kommen die englischen Richter über andere rechtliche Institute oftmals zu ähnlichen Ergebnissen wie ihre kontinentaleuropäischen Kollegen.337 Im englischen Recht hatte sich schon im 14. Jahrhundert neben dem regulären common law mit dem strengen writ-System auch die Verfahrensmöglichkeit über das Prinzip der equity ausgebildet.338 Dieses Verfahren der equity wurde im

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Holthausen, Theorie und Praxis, S. 93. Holthausen, Theorie und Praxis, S. 94. 331 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 95. 332 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 97. 333 Dondi, in: Taruffo (Hrsg.), Abuse of procedural rights, S. 119. 334 Allen v. Flood [1898] AC 1–181:„An act lawful in itself is not converted by a malicious or bad motive into an unlawful act so as to make the doer of the act liable to a civil action.“; siehe hierzu Green, WULR 12 (1927), S. 290; Klöpfer, Missbrauch, S. 53. 335 Klöpfer, Missbrauch, S. 53; ebenso Siebert, Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, S. 70; für das Vertragsrecht wird dabei auf die reasonable expectations und pragmatic tradition des englischen Rechts abgehoben, Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 48. 336 Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 696. 337 Zumindest bei einem Drittel ihrer Entscheidungen, Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 653. 338 Blechschmidt, ZfRV 1987, S. 6. 330

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19. Jahrhundert in das Common-Law-System implementiert, wobei die Anwendung der Mittel der equity dem Ermessen des jeweiligen Richters anheimgestellt war.339 Die equity übernahm im Hinblick auf die Korrektur des strengen Rechts zwei Funktionen: Zum einen korrigierte es eine Regelung, wenn diese grundsätzlich ordnungsgemäß war und nur im Einzelfall ungerecht wirkte. Hier zeigt sich die Parallelität zur aequitas im römischen Recht.340 Zum anderen konnte eine Vorschrift auch generell zu ungerechten Ergebnissen führen. Dann konnte der Richter bei der Rechtsanwendung durch die Berufung auf ein anderes Prinzip zur Korrektur der Vorschrift beitragen.341 Die Konsequenz dieser Korrekturmöglichkeiten ist bis heute: Trotz fehlender Theorie zum Rechtsmissbrauch werden nach Eigenwertung des Richters als ungerecht empfundene Ergebnisse korrigiert. Das Verfahren über das Prinzip der equity führt sogar dazu, dass richterrechtliche Rechtsfortbildung gegenüber der generellen Rechtsanwendung einer Norm möglich wird.342 Daneben existiert in England  – wie im gesamten Common-Law-Rechtskreis  – in Teilbereichen das promissory estoppel, wodurch die Ausübung von Rechten ausgeschlossen werden kann, wenn sich etwa der sein Recht Ausübende in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzt.343 Dieses Rechtsprinzip gilt allerdings primär für Verträge.344 In England wird dem Verfahrensmissbrauch dennoch entschieden begegnet. So besteht etwa nach Sec. 3.4 (2) (b) Civil Procedure Rules 1998 im Wege einer kodifizierten Regelung („power to strike out a statement of case“) die Möglichkeit, dass der Richter das Verhalten einer Partei kontrollieren kann.345 Auf Rechtsfolgenseite ist die Handhabe des Gerichts ebenfalls relativ weitreichend, da es nach Sec. 3.4 (3) („any consequential order it considers appropriate“) dem Gericht frei steht, jede aus seiner Sicht passende Sanktion zu wählen. Das Element des abuse of process geht vereinzelt sogar so weit, dass die Prüfung, ob ein Prozessbetrug vorliegt, gar nicht erst durchgeführt wird.346 Angesichts dieses Verzichts auf ein subjektives Element zeigt sich die Nähe zur kontinentalen Konzeption eines grundsätzlich objektiven Maßstabs. Abuse of process kann aber auch ein verspätetes Vorbringen im Prozess sein, wie etwa, wenn etwas erst im Folgepro-

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So etwa: Slapper / Kelly, English Law, S. 2; Bailey / Ching / Taylor, The Modern English Legal System, S. 8. 340 Vgl. hierzu § 4 A. II. 2. 341 Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 697. 342 Zur Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung Blechschmidt, ZfRV 1987, S. 11. 343 Benedict, RabelsZ 69 (2005), S. 3; Klöpfer, Missbrauch, S. 54. 344 Es hat neben dem Prinzip der consideration jedoch nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich, Kreße, RIW 2014, S. 100; Benedict, RabelsZ 69 (2005), S. 16. 345 So auch schon: Lüttringhaus, ZZP 127 (2014), S. 32; einführend hierzu auch: Andrews, The Modern Civil Process, S. 88. 346 So in Fällen der Anerkennung ausländischer Urteile, vgl. Regen, Prozeßbetrug, S. 371.

§ 5 Rechtsvergleichende Betrachtung

75

zess und nicht im Erstprozess vorgebracht wird.347 Der Anwendungsbereich dieser Figur ist damit nicht eindeutig konturiert. Auf der Rechtsfolgenseite bietet das law of tort die Möglichkeit, von einer Partei wegen böswilliger Prozessführung Schadensersatz zu verlangen. Jedoch ist dies tatbestandlich dahingehend eingeschränkt, dass nicht jedes prozessuale Fehlverhalten darunter subsumiert werden kann, sondern nur solches Prozessverhalten, das auf improper purpose, also einem missbräuchlichen Zweck fußt.348 E. Zusammenfassende Würdigung Dieser kurze rechtsvergleichende Einblick in vier europäische Rechtsordnungen zeigt die an der Oberfläche aufscheinenden Unterschiede innerhalb Europas. Naturgemäß weicht das Common-Law-System aufgrund des Grundumstandes, dass dort eine ausdifferenzierte Theorie des Rechtsmissbrauchsverbots nicht existiert, dogmatisch von der kontinentaleuropäischen Konzeption eines Verbots der unzulässigen Rechtsausübung ab.349 Aber selbst innerhalb des mitteleuropäisch-kontinentalen Rechtskreises finden sich unterschiedliche Ausprägungen bei der Verhinderung des Rechtsmissbrauchs im Prozess sowie in Reichweite und Ausprägung der Rechtsfolgen für diesen Fall. Der besondere Stellenwert Frankreichs für die Dogmatik des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung in der deutschen Rechtsordnung aufgrund der dortigen wissenschaftlichen Durchdringung gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist besonders erwähnenswert. Der Streit darum, ob die Unzulässigkeit einer Rechtsausübung rein objektiv oder subjektiv zu bestimmen sei, zieht sich durch sämtliche dieser Vergleichsländer. Diese Problematik ist wichtig für das deutsche Verständnis der unzulässigen Rechtsausübung. Nach dieser kurzen rechtsvergleichenden Betrachtung lässt sich konstatieren, dass das Institut des Rechtsmissbrauchsverbots europaweit im materiellen Recht wie auch im Prozessrecht anerkannt wird. Die untersuchten Rechtsordnungen wehren sich dabei gegen unzulässiges Verhalten mit den unterschiedlichsten Mitteln und Sanktionen. Dazu gehören prozessimmanente und über den Prozess hinausgehende pekuniäre Rechtsfolgen. Diese Handhabung steht damit in der römischrechtlichen Tradition der exceptio doli, der zahlreichen Prozessstrafen und der deliktsrechtlichen Rechtsfolgen unzulässiger Rechtsausübung. Die gesamteuro-

347 Allerdings nur im Fall des unjust harassment des Zweitprozesses. Auch ist der Beklagte des Zweitprozesses hinsichtlich des Einwandes darlegungsbelastet, vgl. Landbrecht, Teil-Sachentscheidungen, S. 155. 348 Rogers, On Tort, S. 691. 349 Im Ergebnis wirkt sich dies dennoch nicht gravierend aus, vgl. Zimmermann, Roman law, S. 171. In den Fällen der generellen, aber nicht vollendeten Harmonisierung wich die englische Lösung nur in einem Fall von einer europäisch harmonisierten Lösung ab. Dies trotz aller dogmatischen Verschiedenheit.

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Teil 1, Kapitel 2

päische Untersuchung von Whittaker und Zimmermann im Hinblick auf Treu und Glauben sowie Rechtsmissbrauch zeigt jedoch, dass sich bezüglich der Bewertung eines Verhaltens als missbräuchlich – trotz unterschiedlicher dogmatischer Techniken – zumindest im Ergebnis vergleichsweise selten Unterschiede finden.350

§ 6 Europäische Rechtsvereinheitlichung Die fortschreitende Harmonisierung des europäischen Rechts betrifft auch das Rechtsmissbrauchsverbot. In noch nicht harmonisierten oder teilharmonisierten Bereichen behalten sich die Mitgliedstaaten wechselseitig eine Missbrauchs­ kontrolle etwa hinsichtlich der Anerkennung der Urteile anderer Staaten vor.351 Dies entspricht aber letztlich nur dem üblichen Ordre-Public-Vorbehalt des Internationalen Privat- und Zivilprozessrechts, der dem jeweiligen nationalen Verständnis von unzulässiger Rechtsausübung zur Geltung verhilft. Im Zuge der europäischen Rechtsvereinheitlichung, an deren Ende auf lange Sicht auch die Schaffung eines europäischen Zivilprozessrechts stehen könnte,352 stellt sich dagegen die Frage nach Handhabung und Ausgestaltung eines unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchs­ verbots. A. Harmonisierungstendenz im materiellen europäischen Privatrecht Materiell-rechtlich ist das Unionsprivatrecht von einer zunehmenden Konkretisierung des Rechtsmissbrauchverbots durch den EuGH gekennzeichnet.353 Die früher eher losen Konkretisierungshinweise des EuGH354 wurden durch eine Reihe an Judikaten verdichtet. Dabei greift der Gerichtshof auch auf mitgliedstaatliche

350 Whittaker / Zimmermann, Good Faith, passim, zeigen anhand von 30 Fällen im Vertragsrecht, dass der Grundsatz von Treu und Glauben – trotz verschiedener Rechtsordnungen – in elf Fällen zu denselben Ergebnissen, in neun Fällen zu ähnlichen (grundsätzliche, aber nicht vollendete Harmonisierung) und in weiteren zehn Fällen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führt. 351 Heß, JZ 2001, S. 582. 352 Ein solches europäisches Zivilprozessrecht könnte insbesondere auf dem Entwurf der Storme-Kommission für ein europäisches Gesetzbuch zum Zivilprozessrecht, ZZP 109 (1996), S. 345–371; kritisch hierzu Roth, ZZP 109 (1996), S. 271 ff.; ders., EuZP 1997, S. 567 ff., oder den European Principles of Civil Procedure fußen, siehe hierzu Althammer, ZZP 126 (2013), S. 10. 353 Zur Entwicklung Baudenbacher, ZfRV 2008, S. 205 ff.; Klöpfer, Missbrauch, S. 121; kritisch zur Vereinheitlichung Englisch, StuW 2009, S. 4, 22, der das Rechtsmissbrauchsverbot vielmehr auf den institutionellen Rechtsmissbrauch von Grundfreiheiten, die Umgehung von Unionsrecht, die nationalen Vorschriften als Rechtfertigungsgrund für einen Grundfreiheits­ eingriff und schließlich den individuellen Rechtsmissbrauch aufteilen will. 354 Zu Missbrauchskonstellationen im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten: EuGH, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 (van Binsbergen), Rn. 12; EuGH, Rs. C 148/91, Slg. 1993 (Veronica), I- 487, Rn. 12.

§ 6 Europäische Rechtsvereinheitlichung

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Gemeinschaftsregeln zurück, wenn er den Missbrauch gemeinschaftsrechtlicher Normen bewertet. Der EuGH schreibt dem allgemeinen Rechtsmissbrauch auch das Institut der Gesetzesumgehung zu und fordert zumindest insoweit eine Missbrauchsabsicht.355 I. Rechtsprechung

Grundlegend für die Bewertung eines gemeinschaftsrechtlichen Verbots des Rechtsmissbrauchs356 in der europäischen Rechtsprechung sind die Vorlage­ verfahren Kefalas357 und Diamantis358. Beschäftigt sich der EuGH mit einer Vorlagefrage zum Rechtsmissbrauch, so lautet diese stets, ob es gegen Unionsrecht verstößt, wenn eine innerstaatliche Vorschrift angewandt wird, um zu beurteilen, ob ein sich aus dem Unionsrecht ergebendes Recht missbräuchlich ausgeübt wird.359 In beiden genannten Entscheidungen wurde ein Missbrauch der Rechtsausübung abgelehnt, weil es weder zu einer Schädigung noch zu einem Verstoß gegen die Zwecksetzung der unionsrechtlichen Bestimmung gekommen sei.360 Das Verbot des Rechtsmissbrauchs auf europäischer Ebene beinhaltet also als objektives Element die Zweckwidrigkeit der Ausübung einer Rechtsposition; Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauchsverbot werden dabei als eine Kategorie verstanden361 und insoweit nicht differenziert. Bei der Frage nach dem Rechtsmissbrauch wird außerdem eine folgenorientierte Betrachtung angestellt, ob nämlich das Verhalten zu einem Schaden geführt hat. Neben diesen objektiven Voraussetzungen enthält das unionale Missbrauchsverbot nach herrschender Meinung nicht nur bezüglich der Umgehungsfälle, sondern auch im Übrigen ein subjektives Element.362 Für das Rechtsmissbrauchsverbot auf europäischer Ebene ist demnach stets ein subjektives Element nötig.

355

EuGH, Rs. 229/83, Slg. 1985 (Leclerc), 1 Rn. 27; Klöpfer, Missbrauch, S. 99; Staudinger / Repgen, § 226 BGB Rn. 50. 356 Die erste Entscheidung mit dem Argument Rechtsmissbrauch datiert soweit ersichtlich vom 03.12.1974, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299 (van Binsbergen). 357 EuGH, Urteil vom 12.05.1998, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843, Rn. 20; hierzu etwa Rybarz, Billigkeitserwägungen, S. 166 ff. 358 EuGH, Urteil vom 23.03.2000, Rs. C-373/97, Slg. 2000, I-1723, Rn. 33. 359 Vgl. hierzu die Vorlagefrage aus EuGH, Urteil vom 12.05.1998, Rs. C-367/96, Slg. 1998, I-2843 (Kefalas): „Ist es nach dem Gemeinschaftsrecht unzulässig, daß die nationalen Gerichte eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts anwenden, um zu prüfen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeübt worden ist?“ 360 So zusammenfassend Schmidt-Kessel, in: Zöchling-Jud (Hrsg.), Prinzipien des Privatrechts und Rechtsvereinheitlichung, S. 64. 361 Baudenbacher, ZfRV 2008, S. 214; Schmidt-Kessel, in: Zöchling-Jud (Hrsg.), Prinzipien des Privatrechts und Rechtsvereinheitlichung, S. 69. 362 EuGH, Urteil vom 21.07.2005, Rs. C-515/03, Slg. 2005, I-7355, Rn. 39; Fleischer, JZ 2003, S. 872; Klöpfer, Missbrauch, S. 152.

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Teil 1, Kapitel 2

Die Herleitung des Rechtsmissbrauchsverbots durch den EuGH erfolgt nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.363 Eine Nähe des Rechtsmissbrauchsverbots zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zwar vereinzelt proklamiert.364 Zumindest seit der Entscheidung Kofoed stellt sich das Rechtsmissbrauchsverbot aber als ein eigenständiger allgemeiner Rechtsgrundsatz dar.365 II. Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

Auf europäischer Ebene ist das Verständnis von Gesetzgebung und Rechts­ wissenschaft im Hinblick auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs parallel zu betrachten. Soweit nämlich Rechtsvereinheitlichung in grundlegenden zivilrechtsdogmatischen Fragen auf europäischer Ebene legislativ stattfindet, geht diese regelmäßig auf rechtswissenschaftliche Vorarbeiten – der Kodifizierung des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend – zurück.366 Europäische Rechtswissenschaft und Gesetzgebung gehen insoweit Hand in Hand. Zu diesen gesetzgeberisch-rechtswissenschaftlichen Projekten gehören beispielsweise das Europäische Vertragsrecht,367 der Gemeinsame Referenzrahmen368 und das Europäische Kaufrecht.369 Ein Blick in die Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts und den Gemeinsamen Referenzrahmen legt Regelungen zu Treu und Glauben und zum Verbot des Rechtsmissbrauchs offen. In der Literatur zur Harmonisierung eines europäischen Privatrechts, insbesondere zu den Prin­ ciples of European Contract Law (PECL) und dem Draft Common Frame of Reference (DCFR), finden sich zahlreiche Generalklauseln zu Treu und Glauben wie etwa in PECL Art-1 1:201,370 in DCFR Art  III-1:103371 oder in DCFR 363

Zimmermann, Rechtsmissbrauchsverbot, S. 52. EuGH, Urteil vom 14.11.1984, Rs. C-299/84, Slg. 1985, 3663, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 09.03.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27, 34; hierzu Schmidt-Kessel, in: ZöchlingJud (Hrsg.), Prinzipien des Privatrechts und Rechtsvereinheitlichung, S. 71. 365 EuGH, Urteil vom 05.06.2007, Rs. C-321/05, Slg. 2007, I-5795 Rn. 38 (Kofoed). 366 In diese Richtung auch Mittwoch, Vollharmonisierung, S. 19 ff. 367 Lando / Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law, Parts Iand II, passim. 368 von Bar / Clive / Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, Definitions and Model Rules, passim. 369 Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, http://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011PC0635&from=EN, (Abruf vom 06.09.2016). 370 Art III-1:103 lautet: (1) Each party must act in accordance with good faith and fair dealing. (2) The parties may not exclude or limit this duty. 371 Art III-1:103 DCFR lautet: (1) A person has a duty to act in accordance with good faith and fair dealing in performing an obligation, in exercising a right to performance, in pursuing or defending a remedy for non-performance, or in exercising a right to terminate an obligation or contractual relationship. (2) The duty may not be excluded or limited by contract or other juridical act. (3) Breach of the duty does not give rise directly to the remedies for nonperformance of an obligation but may preclude the person in breach from exercising or relying on a right, remedy or defence which that person would otherwise have. 364

§ 6 Europäische Rechtsvereinheitlichung

79

Art II-3:301372 (Konkretisierung in DCFR Art I-1:103373). Speziell der Gemeinsame Referenzrahmen ist von den Werten des good faith und des fair dealing bei der Auslegung von Vorschriften geprägt, wobei dies maßgeblich eine Botschaft an den englischen Rechtskreis darstellt.374 Aber auch das Rechtsmissbrauchsverbot bleibt nicht unberücksichtigt. In den „underlying principles“ wird der Rechtsmissbrauch als Grenze der Privatautonomie dargestellt und DCFR Art X-7:102375 ermächtigt den Richter, rechtsmissbräuchliche Maßnahmen eines Treuhänders aufzuheben.376 Bezeichnend für den DCFR ist jedoch, dass eine Beschränkung des Treu-und-Glauben-Prinzips durch Fokussierung auf den vertraglichen Kontext geschehen soll.377 Auch ein Seitenblick auf den Entwurf für das europäische Kaufrecht lohnt hinsichtlich der Bewertung des Rechtsmissbrauchsverbots auf gesamteuropäischer Ebene. Im Common European Sales Law (CESL) ist in den Art. 2, 3 der Grundsatz von Treu und Glauben implementiert.378 Dort ist unter anderem festgelegt, dass 372 Art  II-3:301 DCFR Abs. 2 lautet: A person who is engaged in negotiations has  a duty to negotiate in accordance with good faith and fair dealing and not to break off negotiations contrary to good faith and fair dealing. This duty may not be excluded or limited by contract. 373 Art I-1:103 DCFR lautet: (1) The expression ‚good faith and fair dealing‘ refers to a standard of conduct characterised by honesty, openness and consideration for the interests of the other party to the transaction or relationship in question. (2) It is, in particular, contrary to good faith and fair dealing for a party to act inconsistently with that party’s prior statements or conduct when the other party has reasonably relied on them to that other party’s detriment. 374 Eidenmüller / Faust / Grigoleit / Jansen / Wagner / Zimmermann, JZ 2008, S. 536; allerdings ist die Bedeutung dieses Hinweises vor dem Hintergrund der von Whittaker / Zimmermann gefundenen Ergebnisse zur Lösung von Problemen mit „Good Faith“ auf gesamteuropäischer Ebene nicht zwingend, vgl. Whittaker / Zimmermann, Good Faith, S. 653 wonach zumindest bei einem Drittel der Entscheidungen auch im englischen Recht identische Ergebnisse wie im kontinentalen Rechtskreis erzielt werden. 375 Art X-7:102 DCFR lautet: (1) On the application of a party to the trust or a person entitled to enforce performance of an obligation under the trust, a court may review a decision of the trustees or a trust auxiliary whether or how to exercise a power or discretion conferred on them by the trust terms or this Book. (2) A former trustee who has been removed by the trustees or a trust auxiliary without the trustee’s consent has a corresponding right to judicial review of that decision. (3) A court may avoid a decision of the trustees or a trust auxiliary which is irrational or grossly unreasonable, motivated by irrelevant or improper considerations, or otherwise an abuse of power or outside the powers of the trustees or the trust auxiliary. 376 Staudinger / Repgen, § 226 BGB Rn. 51. 377 So in 1:201 PECL, vgl. hierzu Looschelders, AcP 212 (2012), S. 595. 378 Art. 2 CESL lautet: (1) Each party has a duty to act in accordance with good faith and fair dealing. (2) Breach of this duty may preclude the party in breach from exercising or relying on a right, remedy or defence which that party would otherwise have, or may make the party liable for any loss thereby caused to the other party. (3) The parties may not exclude the application of this Article or derogate from or vary its effects. Art. 3 CESL lautet: The parties are obliged to co-operate with each other to the extent that this can be expected forthe performance of their contractual obligations.

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Teil 1, Kapitel 2

bei Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben die Ausübung von Rechten beschränkt wird.379 Der Begriff von Treu und Glauben ist in diesem Kontext von Redlichkeit, Rücksichtnahme und Offenheit geprägt. Ein Verstoß führt nicht nur zum Ausschluss von Rechten, sondern auch zu Schadensersatz als Sanktion.380 Damit findet hier eine Zuordnung des Rechtsmissbrauchsverbots zur Generalklausel von Treu und Glauben statt. Diese Zuweisung widerspricht der prinzipiellen Handhabung des Rechtsmissbrauchsverbots im europäischen Recht. Überwiegend wird nämlich von Seiten des Schrifttums – entsprechend der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung – das Rechtsmissbrauchsverbot als eigenständiger europäischer Rechtsgrundsatz angesehen.381 Diese Tendenz zur Eigenständigkeit – trotz der Zuordnung des Rechtsmissbrauchsverbots zu Treu und Glauben im CESL – ist mittlerweile Stand der Rechtswissenschaft.382 Zunehmend gerät auch der methodische Charakter des Rechtsmissbrauchsverbots in den Fokus. Das Spannungsverhältnis von Rechtsmissbrauchsverbot und teleologischer Reduktion wird anerkannt383 und teilweise auch unter Vorrangstellung der Auslegung aufgelöst.384 Als maßgeblicher Grund wird von Klöpfer richtigerweise angeführt, dass die Ebenen allgemeingültiger Gesetzesauslegung und einzelfallbezogener Rechtsanwendung voneinander zu trennen sind.385 B. Rechtsmissbrauchsverbot im europäischen Erkenntnisverfahren In der Praxis des europäischen Prozessrechts stellt sich die Frage einer Rechtsmissbrauchskontrolle beinahe ausnahmslos im Bereich der Zuständigkeit.386 Häufig 379

Looschelders, AcP 212 (2012), S. 596. Looschelders, AcP 212 (2012), S. 598; von Looschelders selbst wird dem CESL hinsichtlich der Entwicklung des Rechtsmissbrauchsverbots auf europäischer Ebene eine gewisse Pionierwirkung zuerkannt, Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 1254. 381 Basedow, AcP 210 (2010), S. 182; Ranieri, ZEuP 2001, S. 176–177; insbesondere gegen Generalanwalt Tesauro: Dieser sieht die Notwendigkeit des Verbots des Rechtsmissbrauchs als allgemeinen europäischen Rechtsgrundsatz schon deswegen nicht als notwendig an, weil den Mitgliedstaaten bei der Berufung einer Partei auf Unionsrecht die Möglichkeit der Anwendung ihres mitgliedsstaatlichen Rechtsmissbrauchsverbots verbleibe, Schlussantrag Rn. 27 zur Rs. C-367/96; Reuß, Forum Shopping, S. 317. 382 Diese Entwicklung wurde angestoßen durch Brown, in: Curtin / Heukels (Hrsg.), Institutional Dynamics of European Integration, S. 511 ff. 383 Schmidt-Kessel, in: Zöchling-Jud (Hrsg.), Prinzipien des Privatrechts und Rechtsvereinheitlichung, S. 80. 384 Althammer / Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S. 34; Klöpfer, Missbrauch, S. 139. 385 Klöpfer, Missbrauch, S. 144 f. 386 Thole, ZZP 122 (2009), S. 434; für das Vollstreckungsrecht in Form des Insolvenzrechts gibt es aber auch Rechtsmissbrauchskonstellationen in Form des „Forum Shopping“ in der Insolvenz, siehe hierzu Reuß, Forum Shopping, S. 340; kritisch zur Anwendung des Rechtsmissbrauchseinwands Sander / Breßler, ZZP 122 (2009), S. 167. 380

§ 6 Europäische Rechtsvereinheitlichung

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waren dabei insbesondere sogenannte Torpedo-Klagen Stein des Anstoßes:387 Mit diesen wurde im europäischen Zivilverfahrensrecht die Anordnung einer Rechtshängigkeitssperre gemäß Art. 27 Abs. 1 EuGVVO ausgenutzt.388 So erhob etwa der Schädiger eine negative Feststellungsklage, um feststellen zu lassen, dass er nicht Schädiger sei. Dies wurde meist vor europäischen Gerichten in Belgien oder Italien betrieben, da diese Länder für ihre besonders langen Verfahrensdauern bekannt sind.389 Gerichte in Frankreich, Italien, Schweden und Belgien wiesen die Berufung auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung durch den Schädiger, der diese Rechtshängigkeitssperre bewirkt, teilweise als rechtsmissbräuchlich zurück.390 Aus gesetzgeberischer und unionsprivatrechtlicher Rechtsprechungsperspektive, also vor den europäischen Gerichten des EuGH und des EuG, werden diese Fragen bisher ergebnisoffen beantwortet. Der Storme-Entwurf äußert sich zur Frage einer prozessualen Redlichkeitspflicht ebenso wenig wie die deutsche Zivilprozessordnung.391 Der EuGH handhabte die Anwendung eines Korrektivs durch Berücksichtigung des Instituts des prozessualen Rechtsmissbrauchs nach Meinung von Thole restriktiv.392 Ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot als europäischen Rechtsgrundsatz erkennt der EuGH spätestens seit der Kofoed-Entscheidung an393 und wehrt konsequent in ständiger Rechtsprechung die rechtsmissbräuchliche Berufung auf Unionsrecht394 durch die Parteien oder rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten ab.395 Im Zuge der fortschreitenden Harmonisierung wird daher vor allem seitens der Literatur die Ausprägung und Ausbildung eines allgemeinen Missbrauchsver-

387 Die diesbezügliche Problematik ist durch die neu geschaffenen Art. 29, 31 der EuGVVO nur leicht modifiziert, vgl. Thole, NJW 2013, 1192 (1194); Art. 29 EuGVVO, der eine Mitteilungspflicht begründet, lautet: (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) In den in Absatz 1 genannten Fällen teilt das angerufene Gericht auf Antrag eines anderen angerufenen Gerichts diesem unverzüglich mit, wann es gemäß Artikel 32 angerufen wurde. 388 § 27 Abs. 1 EuGVVO a. F. lautete: Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. 389 Siehe zu dieser Problematik auch Sujecki, GRURInt 2012, S. 18. 390 Vgl. Corte di Cassazione, GRUR Int. 2005, 264 f.; Rechtbank van eerste aanleg Brussel GRUR Int. 2001, 170 ff.; Tribunal de grande instance de Paris, GRUR Int. 2001, 173, 175; Högsta Domstolen, GRUR Int. 2001, 178 f. 391 Siehe hierzu den Storme-Entwurf in englischer und französischer Fassung, ZZP 109 (1996), S. 345–371. 392 Mit Blick auf die Zuständigkeitserschleichung: Thole, ZZP 122 (2009), S. 436 393 EuGH, Urteil vom 05.06.2007, Rs. C-321/05, Slg. 2007, I-5795 Rn. 38 (Kofoed). 394 Beispielhaft EuGH Große Kammer, Urteil vom 21.02.2006, Rs. C-255/02, Slg. 2006, I-1609, Rn. 68 ff.; einen Überblick über die Rechtsprechung gibt Reuß, Forum Shopping, S. 231. 395 So Lüttringhaus, ZZP 127 (2014), S. 33.

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bots als Baustein einer europäischen Prozessrechtslehre gefordert.396 Klöpfer hat mit seiner Dissertation einen ersten vertieften Beitrag geleistet, indem er es als einheitliches Konzept zur Antwort auf Missbrauchsfälle systematisiert.397 Diese Ausrichtung auf eine Materialisierung des Prozessrechts als Aufladung mit der materiellen Bewertung von Interessen ist parallel zur Materialisierung des Privatrechts eine entscheidende Klarstellung zur Beschreibung des Verhältnisses von Prozessrecht zu materiellem Recht.398 Gerade vor dem Hintergrund einer etwaigen Einführung prozessualer Mindeststandards als Vorstufe399 zu einem europäischen Zivilverfahrensrecht kann bedeutsam werden, ob in die Standards ein Verbot der unzulässigen Rechtsausübung Eingang findet. C. Zusammenfassende Würdigung Auf europäischer Ebene ist das Rechtsmissbrauchsverbot ein anerkannter allgemeiner Rechtsgrundsatz. Der EuGH verweist zwar entsprechend seiner früheren Rechtsprechung vielfach auf die mitgliedsstaatliche Dogmatik, erkennt jedoch spätestens seit der Kofoed-Entscheidung die Eigenständigkeit des Rechtsmissbrauchsverbots als Rechtsprinzip an. In der Rechtswissenschaft wird das Rechtsmissbrauchsverbot teilweise dem Treu-und-Glauben-Prinzip zugeordnet, teilweise aber entsprechend der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung auch als eigenständiger allgemeiner Rechtsgrundsatz verstanden. Die innere Missbrauchsdogmatik konzentriert sich auf die Elemente Zweckwidrigkeit und Schädigung im Rahmen einer folgenorientierten Argumentation. Ein höherer Konkretisierungsgrad wird nicht erreicht. Methodisch bleiben daher viele Fragen offen. Im Prozessrecht ist das Rechtsmissbrauchsverbot zumeist nur im Hinblick auf die Zuständigkeit und dort insbesondere für die Bewertung sogenannter Torpedoklagen von Bedeutung. Im Zuge der Herausarbeitung prozessualer Mindeststandards eröffnet sich aber die Möglichkeit einer Konstitutionalisierung des Verbotes.

396

Thole, ZZP 122 (2009), S. 436; Cuniberti, in: de la Feria / Vogenauer (Hrsg.), Prohibition of Abuse of Law, S. 286, sieht den Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots im EUProzessrecht noch zu limitiert. 397 Klöpfer, Missbrauch, S. 207 ff. 398 Grundlegend auch in diese Richtung BVerfG NJW 2005, S. 814 [Leitsatz: „Der in Art. 2 Ii.V. mit Art. 20 III GG gewährte Anspruch auf ein faires Verfahren schließt die Verpflichtung der Gerichte ein, das Verfahrensrecht so zu handhaben, dass die eigentlichen materiellen Rechtsfragen entschieden werden und ihnen nicht durch übertriebene Anforderungen an das formelle Recht ausgewichen wird.“]; Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 14; Wagner, ZEuP 2008, S. 18. 399 Althammer, ZZP 126 (2013), S. 10; Wagner, ZEuP 2008, S. 23.

Zweiter Teil

2,

Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots im materiellen Zivilrecht und Einordnung in die juristische Methodik Kapitel 1

Das Rechtsmissbrauchsverbot im materiellen Zivilrecht Der innere Kern des Rechtsmissbrauchsverbots lässt sich nicht allein mit dem „Rechtsgefühl“1 des einzelnen Rechtsanwenders beschreiben. Von eminenter Bedeutung ist die konkrete Argumentation, anhand derer sich das Missbräuchliche eines Verhaltens bestimmen lässt. Für eine begriffliche Präzision ist es dabei schon hinderlich, dass eine unklare Terminologie herrscht, ist doch verschiedentlich von unzulässiger Rechtsausübung,2 individuellem3 oder institutionellem Rechtsmissbrauch4 die Rede. Diese semantische Vagheit gilt es aufzuklären.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB Der erste Schritt zu einer Auseinandersetzung mit der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess führt über deren materiell-rechtliches Verbot. Die Anknüpfung an dieses erfolgt, weil das Rechtsmissbrauchsverbot im materiellen Zivilrecht normlogisch an § 242 BGB festgemacht wird. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem materiell-rechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot ist daher eine notwendige Vorarbeit für die Durchdringung von dessen prozessualer Ausprägung. A. Begriff der unzulässigen Rechtsausübung und Parameter der Entscheidung Die Begrifflichkeiten „Rechtsmissbrauch“ und „unzulässige Rechtsausübung“ werden in Theorie und Praxis nicht eindeutig gehandhabt. Beide Formen werden 1 Zu dessen Stellenwert in den Rechtswissenschaften Eley, in: Lampe (Hrsg.), Das soge­ nannte Rechtsgefühl, S. 147 ff. 2 BGH, NJW 2012, S. 3424 (3425). 3 BGH, NJW-RR 1995, S. 334 (335). 4 BAG, NJW 1984, S. 197 (199).

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Teil 2, Kapitel 1

jedoch § 242 BGB, teilweise aber auch § 226 BGB zugeschrieben. Es scheint so, als herrsche dabei keine eindeutige Unterscheidung zwischen diesen Begriffen. I. Begriffe des Rechtsmissbrauchs und der unzulässigen Rechtsausübung

1. Meinungsstand In der Rechtsprechung existiert im Hinblick auf die Verwendung der Begrifflichkeiten „Unzulässige Rechtsausübung“ und „Rechtsmissbrauch“ keinerlei Systematik.5 Die Begriffe werden ohne klare Differenzierung gebraucht, wobei statistisch ein Übergewicht zugunsten der Bezeichnung Rechtsmissbrauch besteht.6 In der Literatur existieren unterschiedliche Auffassungen zur Abgrenzung: Looschelders / Olzen behandeln die Begrifflichkeiten des Rechtsmissbrauchs und der unzulässigen Rechtsausübung – parallel zur Rechtsprechung – ohne jegliche Differenzierung.7 Nach der Auffassung von Schubert bezeichne Rechtsmissbrauch die missbilligte Inanspruchnahme eines Rechts8 und damit den Tatbestand. Unzulässige Rechtsausübung beschreibe dagegen die Rechtsfolge, wonach die Rechtsausübung aufgrund ihrer Unbilligkeit verwehrt sei.9 Beide Termini seien aber letztlich zu eng gefasst, um die Rechtsentwicklung zu beschreiben.10 Nach anderer Ansicht schließe das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung das Verbot des Rechtsmissbrauchs mit ein, denn der Missbrauch eines Rechts stelle auch stets eine Rechtsüberschreitung dar;11 daher handele es sich beim Rechtsmissbrauchsverbot um eine Unterkategorie des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung.

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Beispielhaft BAG, NJW 1984, S. 197 (199) [Institutioneller Rechtsmissbrauch]; BGH, NJW-RR 1995, S. 334 (335) [Individueller Rechtsmissbrauch]; BGH, NJW 2012, S. 3424 (3425) [Unzulässige Rechtsausübung]. 6 Eine Recherche bei juris ergibt bezogen auf die Rechtsprechung 12.301 Einträge für den Begriff „Rechtsmissbrauch“ und 9.507 Einträge für den Begriff „Unzulässige Rechtsausübung“ (Stand: 18.01.2016). 7 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 213. 8 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 202. 9 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 202. 10 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 202. 11 Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 89; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 38; Erman / Böttcher /  Hohloch, § 242 BGB Rn. 101, 128 deutet dieses Verhältnis durch seine Zuordnung des Rechtsmissbrauchs unter die Kategorie der unzulässigen Rechtsausübung an.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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2. Stellungnahme Die letztgenannte Ansicht, wonach das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung das Rechtsmissbrauchsverbot als Unterkategorie einschließt, überzeugt. Klar ist, dass die verwendete Begrifflichkeit für die letztlich durchzuführende rechtliche Prüfung nicht von Belang ist.12 Dennoch muss die Differenzierung der Begriffe am Beginn einer dogmatischen Auseinandersetzung stehen, um Klarheit in der Argumentation zu ermöglichen. Das Unterbleiben einer Differenzierung durch große Teile von Rechtsprechung und Literatur verkennt, dass ein Unterschied zwischen Rechtsmissbrauch und unzulässiger Rechtsausübung schon aufgrund des Begriffs „Missbrauch“ besteht. Das Wort „Missbrauch“ insinuiert semantisch, dass hinter der Rechtsausübung eine bewusste Missbrauchshandlung13 steht. Dies ist bei der Bewertung einer Rechtsausübung jedoch irrelevant, da es allein auf objektive Maßstäbe und nicht auf ein Verschulden des Rechtsinhabers ankommt.14 Sprachlich exakter ist daher die Verwendung des Wortes „unzulässige Rechtsausübung“, da die Frage nach der Zulässigkeit einer Rechtsausübung unabhängig von subjektiven Elementen des Handelnden ist und deren Beantwortung dem Rechtsanwender überlässt. Auch die zweite Ansicht verfängt nicht, soweit diese Rechtsmissbrauch auf den Tatbestand und unzulässige Rechtsausübung auf die Rechtsfolgen beziehen will. Richtig ist dabei der Gedanke, dass in § 226 BGB eine ausschließlich schikanöse Rechtsausübung unzulässig ist und diese sich bei dem Schikaneverbot auf die Rechtsfolge bezieht. Bei § 242 BGB ist die Einordnung in die Kategorien Tatbestand und Rechtsfolge mangels konkreten Normtextes allerdings nicht möglich. Denn von Rechtsmissbrauch und unzulässiger Rechtsausübung ist in § 242 BGB expressis verbis nicht die Rede. Anders als für § 226 BGB, der mit unzulässiger Rechtsausübung die Rechtsfolge kennzeichnet, taugt diese Differenzierung bei § 242 BGB nicht. Geeigneter ist hingegen  – wie bereits ausgeführt wurde  – die letzte der drei Ansichten, welche den Rechtsmissbrauch als Unterkategorie der unzulässigen Rechtsausübung einordnet. Dies ist wiederum im Lichte des oben vorgebrachten semantischen Arguments zu verstehen, dass das Wort „Missbrauch“ eine bewusste Handlung unterstellt, während das Rechtsinstitut ein solches subjektives Element gerade nicht erfordert. Denn die Feststellung der Unzulässigkeit einer Rechtsausübung ergibt sich erst im Fall selbst durch argumentative Auseinandersetzung des

12 In jedem Fall können die Begriffe nur als Arbeitsbezeichnungen dienen, vgl. Mader, Rechtsmißbrauch, S. 20. 13 Dies macht auch die sprachliche Untersuchung von Christensen / Kudlich, in: Feldner / Forgo (Hrsg.), Norm und Entscheidung, S. 194 ff. deutlich. 14 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 39; Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 14; Stau­ dinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 216; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 54.

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Richters.15 Das Untersuchungsinteresse dieser Arbeit konzentriert sich auf die unzulässige Rechtsausübung in toto. Im Folgenden wird dennoch oftmals von Rechtsmissbrauchsverbot gesprochen, um mit den geläufigen Kategorien des institutionellen und des individuellen Rechtsmissbrauchsverbots zu arbeiten und bei tradierten Begriffen wie individuellem oder institutionellem Rechtsmissbrauch keine sprachliche Verwirrung zu stiften. 3. Das Verhältnis des Rechtsmissbrauchsverbots zu Treu und Glauben im Rahmen von § 242 BGB Die Rechtsprechung hat im deutschen Recht das zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot dem Normtext des § 242 BGB zugeordnet.16 § 242 BGB repräsentiert primär17 das Prinzip von Treu und Glauben für das Schuldrecht. Diese Zuordnung ist insofern historisch konstant, als auch im römischen Recht missbräuchliches Handeln anhand der Kategorie der bona fides bewertet wurde.18 Entsprechend der sich dort abzeichnenden Entwicklung des Dolus-Begriffs setzt die Annahme von Rechtsmissbrauch und unzulässiger Rechtsausübung auch heute grundsätzlich keine subjektive Komponente voraus.19 Es genügt ein nach Auffassung des Richters illoyales oder maßloses Verhalten. Unzulässige Rechtsausübung wird meist formelhaft als Verstoß gegen das Prinzip von Treu und Glauben dargestellt.20 Die Argumentation mit Treu und Glauben lässt sozialethische Wertungen in das Recht einfließen und fußt dementsprechend auf überrechtlichen ethischen Prinzipien.21 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist aber nicht als Gegensatz der Billigkeit22 gegenüber dem Rechtssystem, sondern als ein der Rechtsordnung immanentes Institut zu verstehen.23

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Christensen / Kudlich, in: Feldner / Forgo (Hrsg.), Norm und Entscheidung, S. 221. Soweit ersichtlich erstmals RGZ 53, 416 (420); Dette, Venire contra factum proprium, S. 29; den wechselhaften Verlauf der exceptio doli generalis zu § 242 BGB zeichnet Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 125 ff., nach. 17 Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 14; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 3. 18 Siehe oben § 4 A. II. 19 Näf-Hofmann, Actio de dolo, S. 69; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 39; Erman / Böttcher /  Hohloch, § 242 BGB Rn. 14; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 216; MünchKommBGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 54. 20 BGH, NJW 1959, S. 2109 (2110); BGH, NJW 1963, S. 1405; BGH, NJW 2015, S. 1750 (1751). 21 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 142, 143; diesem Normbildungsauftrag an den Richter als Generalklausel wird § 242 BGB als methodische Anweisung zur Gesetzgebung gerecht, anders für die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB, siehe Teubner, Standards und Direktiven, S. 45. 22 Nach dem altgr. επιείκεια = Nachsicht, Billigkeit, und dem lat. aequitas = Gerechtigkeit, Billigkeit. 23 Esser, Grundsatz und Norm, S. 65; anders aber früher das equity-Verfahren in England, gleichzeitig aber auch das römischrechtliche Verständnis des aequitas, ebenda, S. 64. 16

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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Drei Begrifflichkeiten sind dabei für das Verständnis des Treu-und-GlaubenPrinzips maßgeblich: „Treu“ bedeutet konkret Loyalität und Rücksichtnahme als innere Haltung des Schuldners,24 während „Glauben“ das Vertrauen des Gläubigers auf die innere Haltung des Treuepflichtigen darstellt. Zusätzlich ist auch Rücksicht auf die Verkehrssitte, also auf die tatsächliche Übung des jeweiligen Verkehrskreises zu nehmen.25 Diese drei Komponenten sagen über die Anwendung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung allerdings nichts Greifbares aus, so dass zum Zweck der Konkretisierung aus den anerkannten Fallgruppen die maßgeblichen argumentativen Grundgedanken herausgearbeitet werden müssen. Voraussetzung für die unmittelbare Anwendung des zivilrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots des § 242 BGB ist nach herrschender Auffassung zunächst das Vorliegen einer Sonderverbindung,26 weil der dort implementierte Treuegedanke ein besonderes Verhältnis voraussetzt. Hierunter wird jeder qualifizierte Kontakt verstanden.27 Insbesondere kennzeichnet die Privatrechtsordnung des BGB, dass sie anders als etwa das schweizerische Zivilrecht in Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 ZGB nicht zwischen Treu und Glauben und Rechtsmissbrauch durch unterschiedliche Normtexte differenziert.28 Jedoch muss ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot unabhängig von dem engen schuldrechtlich geprägten Verständnis von Treu und Glauben existieren, weil der Missbrauch von Rechten und Rechtsinstituten nicht an das Vorliegen einer Sonderverbindung und besonderes Vertrauen anknüpft.29 Missbrauch von Rechten findet auch losgelöst von Rechtsverhältnissen mit qualifiziertem Kontakt statt. Das Kriterium der Sonderbeziehung ist daher als Ausschlusskriterium für die Frage des Rechtsmissbrauchs nur wenig geeignet. 4. Rechtsethischer Hintergrund eines Missbrauchsverbots Das Rechtsmissbrauchsverbot fußt auf sozialethischen Werten des Privatrechts. Die Fundamentalprinzipien der Privatrechtsordnung sind die Grundsätze gegenseitiger Achtung, der Freiheit, des Sozialen und des Vertrauensschutzes.30 All diese materiellen Werte stehen nur im Hintergrund der Bestimmung rechtsmiss 24

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 140. Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 160; Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 13; allerdings wird dieses Element der Verkehrssitte kaum in der Rechtsprechung verwendet, Al-Shamari, Verkehrssitte, S. 91. 26 BGH, NJW 1988, S. 255 (257); Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 5; BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 Rn. 14; MünchKommBGB / Schubert, § 242 Rn. 93; mit engerem Verständnis nur auf das Schuldverhältnis: Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 127. 27 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 94. 28 Siehe unter § 5 A.; hierzu etwa Zeller, ZSR 1990, S. 273. 29 Dette, Venire contra factum proprium, S. 29; Soergel / Teichmann, § 242 BGB Rn. 32. 30 Einen Überblick geben Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil10, § 10 Rn. 1 ff. 25

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Teil 2, Kapitel 1

bräuchlichen Verhaltens; bei ihnen handelt es sich nicht um die unmittelbaren argumentativen Topoi innerhalb der Interessenabwägung,31 ergeben sich diese doch maßgeblich aus dem Sachverhalt und den prognostizierten Folgen der Rechtsausübung. Diese Prinzipien sind aber die ethischen Grundpfeiler für das Rechtsmissbrauchsverbot innerhalb der Privatrechtsordnung und stehen hinter der konkreten Argumentation als Wertung. Die hier dargelegten Grundwerte sind freilich nicht abschließend, weil eine Konkretisierung des Rechtsmissbrauchsverbots und der ihm zugrunde liegenden Werte erschöpfend nicht möglich ist.32 Ausgangspunkt ist jedoch die grundsätzliche Entscheidung für eine materiale Verantwortungsethik.33 Die Annahme einer solchen basiert darauf, dass formale Freiheit des Individuums nicht schrankenlos gewährt werden kann,34 weil dies sonst die Freiheit anderer in schwerwiegender Weise beschränkt. Konkretisiert wird die Verantwortungsethik durch ethische Grundwerte wie Vertrauen und Rücksichtnahme bei der Rechtsausübung; dennoch darf auch die Verantwortungsethik nicht in paternalistischer Weise die Privatrechtsautonomie aushöhlen, so dass zur Wahrung liberaler Grundgedanken die Schranken der §§ 138, 226, 242 BGB restriktiv anzuwenden sind. a) Vertrauen Ein rechtsethischer Grundwert, der dem Rechtsmissbrauchsverbot zugrunde liegt, ist Vertrauen.35 Dieses Element stützt sich darauf, dass in einer Rechts- und Wirtschaftsordnung gegenseitiges Vertrauen zur Aufnahme und Durchführung von Geschäften mit anderen unabdingbar ist. Erforderlich für die Annahme des zivilrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots sind ein subjektives Vertrauenselement, die Verkehrssitte als objektives Element und der Ausgleich für die Berufung auf eine formale Rechtsposition.36 Allerdings gilt dieses privatrechtliche Vertrauensprinzip nach herrschender Meinung grundsätzlich nicht unabhängig vom Vorliegen einer Sonderverbindung.37 Hierunter ist jedes zwei- oder mehrseitige Rechtsverhältnis zu verstehen, im Rah 31

Zur Bedeutung von Abwägungsentscheidungen, Leisner, Abwägungsstaat, S. 122. Kritisch im Hinblick auf die abschließende Aufführung von Wertungen im Rahmen von Generalklauseln, Auer, Materialisierung, S. 155 f. 33 In diese Richtung auch: Heinrich, Formale Freiheit, S. 361. 34 Für diese formale Freiheitsethik setzt sich aber etwa Reuter, AcP 189 (1989), S. 221 ein. 35 Hierzu Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 202; Larenz, Richtiges Recht, S. 86; aus schweizerischer Perspektive allerdings nur für Treu und Glauben, Zeller, Treu und Glauben, S. 158. Für das deutsche Recht gilt diese Differenzierung von Zeller nur eingeschränkt, weil dort allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot und Treu und Glauben nicht exakt voneinander getrennt werden. 36 Eichler, Vertrauen, S. 22. 37 So auch Heinrich, Formale Freiheit, S. 398 (Fn. 31); Grundlage von Treu und Glauben soll eben der übergeordnete Gedanke des Vertrauensschutzes sein, Kreibich, Treu und Glauben, S. 34; zum Erfordernis der Sonderverbindung: Hueck, Treue, S. 10; Canaris, in: FS Larenz, S. 34; Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 199. 32

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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men dessen sich kraft Bestehens dieses Rechtsverhältnisses besondere Sorgfaltspflichten ergeben.38 Vertrauensschutz ist danach maßgeblich von Erklärungen oder konkludentem Verhalten, also generell von einem begründenden Akt abhängig:39 Entscheidend für dessen Ausbildung ist somit der Erwartungshorizont der Parteien. Ein maßgeblicher Faktor zur Bestimmung von Vertrauen ist ein wertender Vergleich des Vertrauenden mit einem objektiven Maßstab eines verständigen Dritten.40 Nach der hier vertretenen Ansicht reicht mit Blick auf das Rechtsmissbrauchsverbot dagegen auch ein abstraktes Vertrauen im Rechts- und Wirtschaftsverkehr aus, weil der Missbrauch von Rechten nicht von deren Zugehörigkeit zu Rechtsverhältnissen mit qualifiziertem Kontakt abhängt.41 Mit diesem abstrakten Vertrauenselement wird ein tatsächlicher Faktor zur Wertung eingeführt, der durch die Verkehrssitte in § 242 BGB näher auf einen Personenkreis konkretisiert wird. Das Element der Verkehrssitte hat eine besondere Bedeutung, wobei sich insoweit die Problematik ergibt, wie diese tatsächlich ermittelt werden kann. Denn dabei handelt es sich um eine Frage des Sachverhaltes, die nicht ohne Weiteres durch den Richter selbst, sondern entweder durch ein Sachverständigengutachten oder Ergebnisse empirischer Sozialforschung abgeklärt werden muss.42 Die Üblichkeit einer Verhaltensweise ist eng verzahnt mit der Bildung von Vertrauen, da eine Abweichung vom regulären Verhalten zunächst gegen dessen Zulässigkeit spricht. Der damit verbundene Wert des Vertrauens wird durch Erwartung aufgrund der Üblichkeit von Verhalten gestützt. Für die hier zu untersuchende Frage vom Rechtsmissbrauch im Prozess ist ein solches abstraktes Vertrauen elementar: Im Prozess liegt ein drei- oder mehrpoliges Rechtsverhältnis vor, aufgrund dessen jede Partei generell auf die Freiheit von Beeinträchtigungen persönlicher, aber auch materieller Rechte und Schutzgüter wie Eigentum und Vermögen vertrauen darf. Die Schutzwürdigkeit, gleichermaßen also die Rechtfertigung des Vertrauens,43 ergibt sich für beide Parteien aus dem Vertrauen auf die Durchführung eines fairen Verfahrens. Zusätzlich ist zu bedenken, dass die Konstellationen des Rechtsmissbrauchs nicht allesamt konkretes Vertrauen im Rahmen einer Sonderbeziehung verlangen. Für die Bewertung der Interessen und Folgen ist z. B. kein besonderes konkretes Vertrauen zwischen den Parteien nötig.

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Fikentscher, in: Hof / Kummer / Weingart / Maasen (Hrsg.), Recht und Verhalten, S. 176, allerdings mit dem Ansatzpunkt, dass sich aufgrund des besonderen Rechtsverhältnisses die Sorgfaltspflichten ergeben. 39 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 492; Heinrich, Formale Freiheit, S. 411. 40 Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 202; sie wollen hierzu eine Wahrscheinlichkeitsberechnung zu Hilfe nehmen. Wie das konkret vor sich gehen soll, bleibt allerdings offen. 41 Siehe soeben § 7 A. I. 3. 42 Heldrich, AcP 186 (1986), S. 92; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 14. 43 Heinrich, Formale Freiheit, S. 411.

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b) Privatrechtliches Gebot der Rücksichtnahme Dem Rechtsmissbrauchsverbot liegt überdies das Proportionalitätsprinzip als ethischer Wert zu Grunde.44 Dieses Gebot manifestiert sich im Schutz des Schwächeren45 und hat die gegenseitige Rücksichtnahme zum Gegenstand.46 Historisch handelt es sich dabei um das Gebot des civiliter uti, das sich heute in § 1020 BGB wiederfindet.47 Diese Vorschrift aus dem Recht der Grunddienstbarkeiten regelt die schonende Rechtsausübung des Dienstbarkeitsberechtigten. Das Rücksichtnahmegebot gilt allerdings nicht nur für den Grunddienstbarkeitsberechtigten, sondern generell als Element einer schonenden und rücksichtsvollen Rechtsausübung innerhalb der Privatrechtsordnung.48 Als Grundwert steht diese schonende Rechtsausübung neben dem Vertrauensprinzip.49 Dieser Schutz wird nicht über konkrete gesetzliche Schutzinstrumentarien wie etwa im Verbraucherschutzrecht durch Widerrufsrechte oder Informationspflichten erreicht,50 sondern über das Mittel des Rechtsmissbrauchsverbots. Dieses privatrechtliche Gebot der Rücksichtnahme wirkt bei der Prüfung nur innerhalb der Interessenabwägung und insbesondere im Sinne einer „scharfe[n] Entscheidungsregel“51 der Erforderlichkeit. Die Anwendung dieses Gebots schonender und rücksichtsvoller Rechtsausübung entspricht der objektiv-rechtlichen Grundlage einer Rechtsordnung, das rechte Maß der Rechtsausübung auch unter Privaten zu gewährleisten. Es geht also um den Ausgleich von Individualismus und Kollektivismus.52 5. Individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch In Rechtsprechung und Schrifttum werden dogmatisch individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch unterschieden.

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Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 197. Repgen, Soziale Aufgabe, S. 500 f. 46 Canaris, ZHR 143 (1979), S. 128 ff.; Wieacker, Präzisierung, S. 33 ff. allerdings mit Zielrichtung auf subjektive Fehlabwägung. Ferner will Wieacker nicht jedes objektive Missverhältnis ausreichen lassen. 47 Historisch Behrends, in: Avenarius / Meyer-Pritzl / Möller (Hrsg.), Institut und Prinzip, S. 62. 48 So schon Meier-Hayoz / Zweifel, in: FS Westermann, S. 389 ff.; Heinrich, Formale Freiheit, S. 398; erhöhte Rücksichtnahme in der Sonderbeziehung Merz, AcP 163 (1964), S. 342. 49 Zeller, Treu und Glauben, S. 154. 50 So Wolff / Neuner, BGB Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 73; kritisch zur öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeit von Rechtssetzung und Rechtsanwendung vereinzelter Verbraucherschutzrechte Canaris, AcP 200 (2000), S. 362 f. 51 Der Begriff wurde von Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 58, geprägt. 52 Auer, Materialisierung, S. 21. 45

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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a) Individueller Rechtsmissbrauch Der individuelle Rechtsmissbrauch betrifft diejenige Rechtsausübung, die nach einer Abwägung im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstößt53 oder auf ein treuwidriges Verhalten auf Seiten des Handelnden abhebt. Ausgangspunkt dafür ist der Begriff der Arglist.54 Dieser bedeutet im Zusammenhang mit dem Rechtsmissbrauch jedoch nicht verschuldensabhängiges Tun.55 Der Begriff der Arglist hat sich schon im römischen Recht zunehmend von einem subjektiv verstandenen Element zu einer objektiven Angemessenheitskontrolle verschoben.56 Das Element der Angemessenheit der Rechtsausübung ist folglich in den Fokus zur Bestimmung des individuellen Rechtsmissbrauchs geraten.57 b) Institutioneller Rechtsmissbrauch Institutioneller Rechtsmissbrauch liegt vor,58 wenn die Rechtsfolgen eines Rechtsinstituts zurücktreten, da sie durch ihren zweckwidrigen Einsatz ein untrag­ bares Ergebnis mit sich brächten.59 Beschränkt werden nach diesem Verständnis vom Rechtsmissbrauch nicht mehr nur subjektive Rechte. Bezugspunkt sind vielmehr sowohl Rechtsinstitute,60 wie etwa die Kündigung oder die Befristung als soziale Organisationsformen,61 als auch Rechtsnormen.62 Der Begriff des Rechtsinstituts bereitet aber Probleme. Ein Blick ins Rechtswörterbuch hilft nur bedingt weiter: Ein Rechtsinstitut ist der rechtliche Tatbestand einschließlich der auf das

53

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 218. MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 214. 55 Damit unterscheidet sich der Arglistbegriff der unzulässigen Rechtsausübung etwa von dem des Anfechtungsrechts im Rahmen von § 123 BGB, im Rahmen dessen Arglist gleichbedeutend mit Vorsatz ist, MünchKomm-BGB / Armbrüster, § 123 BGB Rn. 17. 56 Siehe oben § 4 A. II. 3.; zudem Honsell, Römisches Recht, S. 372; Wacke, RIDA 27 (1980), S. 355. 57 Rüdy, Rechtsmißbrauch, S. 108; im Ansatz Mader, Rechtsmißbrauch, S. 235; Reuß, Forum Shopping, S. 224; für die Zustellungsverweigerung einer rechtsmissbräuchlichen Klage Zur Nieden, Zustellungsverweigerung, S. 247; eher gegen eine allgemeine Interessenabwägung beim individuellen Rechtsmissbrauchsverbot Heinrich, in: FS Laufs, S. 596. 58 Kritisch hierzu Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 338 (Fn. 286). 59 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 40; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 217; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 212; Heinrich, in: FS Laufs, S. 592. 60 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 145; Wie oben unter § 6 B. III. 1. sind darunter die Gesamtheit an Rechtssätzen und theoretischen Rechtsauffassungen zu einem konkreten Rechtsproblem zu verstehen. 61 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 10 III 1, S. 171; Mader, Rechtsmißbrauch, S. 144; Raiser L., in: summum ius summa iniuria, S. 145 ff.; ders., JZ 1961, S. 465; kritisch zum institutionellen Rechtsdenken Wolf, in: Schelsky (Hrsg.), Theorie der Institution, S. 89. 62 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 40; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 217; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 211. 54

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Rechtsinstitut bezogenen Vorschriften.63 Diese Definition lässt beinahe alle Fragen offen. Es existieren weitere Begriffsbestimmungen. Nach einer Meinung handelt es sich um die rechtliche, als Ordnungsgruppe fungierende Ausgestaltung sozialer Tatsachen.64 Nach anderer Ansicht sind Rechtsinstitute soziale Verhaltensnormen, die nicht notwendigerweise in Normtexten niedergelegt sind und welche die rechtliche Zulässigkeit des Verhaltens von Parteien untereinander strukturieren.65 Aus den beiden letzten Aussagen lässt sich das Rechtsinstitut damit als Systematik rechtlicher und gesellschaftlicher Tatsachen durch eine Gesamtschau von Normtexten oder dogmatisch überlieferter Ordnungsformen beschreiben.66 c) Verhältnis der beiden Missbrauchsformen zur juristischen Methodik Bezugspunkt beim individuellen Rechtsmissbrauch ist das Verhalten des Gläubigers, beim institutionellen Rechtsmissbrauch hingegen Sinn und Zweck des Rechtsinstituts und der hierzu gehörenden Rechtsnormen.67 Aufgrund dieser teleologischen Ausrichtung des institutionellen Rechtsmissbrauchs ergeben sich Abgrenzungsfragen zur überkommenen Auslegungslehre. Entscheidend für eine eigenständige methodische Bedeutung des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist etwa, inwiefern sich Sinn und Zweck des Rechtsinstituts mit dem gesetzgeberisch beabsichtigten Zweck einzelner Rechtsnormen decken68 und ob sich beide Metho­ den voneinander abgrenzen lassen. Aber auch die Rolle und der Standort des individuellen Rechtsmissbrauchsverbots sind fraglich. Dabei geht es um ein klareres Vorgehen in der Argumentation. Das methodische Verhältnis von individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch gegenüber den überkommenen Auslegungs- und Rechtsfortbildungsregeln 63

Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1032. Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 62; Carl Schmitt unterscheidet in seinem Werk „Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens“ Normdenken, Dezisionsdenken oder Ordnungsdenken, ebenda, S. 7 ff. Seine Vorstellung von Ordnungsdenken – die allerdings nationalsozialistisch beeinflusst ist, ebenda, S. 67 – orientiert sich am institutionellen Rechtsdenken, das schon bei den Römern existierte. 65 Raiser T., in: FS Kirchner, S. 1274; zum institutionellen Rechtsdenken Winkler, Studien, S. 437 ff. 66 In diese Richtung auch: Raiser L., in: summum ius summa iniuria, S. 148; Raiser T., in: FS Kirchner, S. 1274; zum institutionellen Rechtsdenken Winkler, Studien, S. 437 ff. 67 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 218; Heinrich, Formale Freiheit, S. 400; für das strafprozessuale Missbrauchsverbot Kudlich, Mißbrauchsverbot, S. 21, der dies jedoch nicht ausdrücklich als institutionelles Rechtsmissbrauchsverbot bezeichnet. 68 Gernhuber, JuS 1983, S. 766, hebt dabei auf die soziale Zweckbestimmung ab; ob diese soziale Zweckbestimmung auf objektiven Kriterien wie dem Element der Sachgerechtigkeit oder subjektiver Kriterien, nämlich der gesetzgeberischen Begründung, fußen soll, wird jedoch nicht problematisiert. 64

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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bedarf schon deswegen der Klarstellung,69 weil eine solche Abgrenzung ein eindeutigeres methodisches Vorgehen ermöglicht und insbesondere auch die eigenständige Stellung des institutionellen Rechtsmissbrauchs hinterfragt. Die Haltbarkeit dieser tradierten Kategorien harrt daher der Überprüfung.70 II. Fallgruppenbildung und Interessenabwägung

Zunächst richtet sich der Blick auf den internen Argumentationsvorgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot und nicht auf dessen externe Stellung innerhalb der Methodenlehre. Das Mittel zur Systematisierung der Einzelfälle ist die Fallgruppenbildung. Die Werkzeuge zur Feststellung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens sind die Abwägung der Interessen oder die sich allein auf das Handeln des Recht­ausübenden beziehende Argumentation. Dabei steht insbesondere im Fokus, inwieweit das beim Rechtsmissbrauchsverbot wirkende Verhältnismäßigkeitsprinzip auf privatautonomes Handeln anwendbar ist. 1. Bedeutung der Fallgruppenbildung Zur Konkretisierung71 des individuellen Rechtsmissbrauchsverbots und zur Feststellung der maßgeblichen Abwägungskriterien wird insbesondere in Kommen­ taren mit der Bildung von Fallgruppen gearbeitet.72 Diese Fallgruppen haben unterschiedliche Bezeichnungen und lauten für die unzulässige Rechtsausübung etwa nach Grüneberg: unredlicher Erwerb der eigenen Rechtsstellung, Verletzung eigener Pflichten, Fehlen eines schutzwürdigen Eigeninteresses, geringfügige Interessenverletzung oder Unverhältnismäßigkeit und widersprüchliches Verhalten.73 Per se hat eine solche Fallgruppenbildung den Vorteil, dass die kasuistische Rechtsprechung kategorisiert und strukturiert wird. Die Fallgruppenbildung dient 69

So auch Gernhuber, JuS 1983, S. 766. Siehe hierzu unter 9 A. und § 10 A. II. 71 Zur Konkretisierung zieht Bydlinski, in: FS Wieacker, S. 203, folgende fünf Konkretisierungsmittel heran: Gesetzliche und verfassungsrechtliche Grundwertungen, rechtsethische Prinzipien, Regeln der Verkehrssitte, Anschauungen der Verkehrssitte und die richterliche Eigenwertung (festes Richterrecht). Konkretisierung mittels der Elemente der Fallgruppenbildung und der Verkehrssitte sollen hier näher betrachtet werden. 72 Kritisch zur Fallgruppenbildung Weber, AcP 192 (1992), S. 553 f., 559 f.; dagegen aber zu Recht Beater, AcP 194 (1994), S. 85. Der Wert der Fallgruppenbildung besteht gerade darin, konkrete Fallkonstellationen durch Zuordnung zu ähnlichen Konstellationen zu strukturieren und damit auch zu abstrahieren; zur präjudiziellen Wirkung der Fallgruppen Ohly, AcP 201 (2001), S. 40. 73 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 42–59; Grüneberg weist auf die uneinheitliche Terminologie in der Kommentarliteratur hin, ebenso: Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn.  86; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 140; Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 105. 70

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Teil 2, Kapitel 1

damit letztlich der Systematisierung von Einzelfällen und kann zur weiteren Ausdifferenzierung von Rechtsinstituten führen. Dies belegt etwa die Entwicklung von Rechtsinstituten wie der Störung der Geschäftsgrundlage oder der culpa in contrahendo.74 Ihnen wurde über die Theorie75, die Zuordnung zu § 242 BGB76, die Fallgruppenbildung77 und die konkrete Normtextsetzung78 im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung dieser Weg geebnet. Bei der Rechtsanwendung hat die Fallgruppenbildung jedoch den Nachteil, dass die Entscheidungskriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs hinter der formelhaften Zuordnung zu einer Fallgruppe zu verblassen drohen.79 In der vorliegenden Arbeit sollen deshalb nicht die Fallgruppen der Kommentarliteratur, sondern die ihnen zu entnehmenden konkreten Bewertungskriterien hervorgehoben werden. Dies betrifft jedoch beinahe ausschließlich das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot. Zur Bestimmung des institutionellen Rechtsmissbrauchs wird allein auf den zweckwidrigen Einsatz des gesamten in Rede stehenden Rechtsinstituts abgestellt, so dass zunächst der Zweck des Rechtsinstituts zu ermitteln und sodann der zweckwidrige Einsatz desselben im konkreten Fall zu würdigen ist. Dabei kommt es auf die soziale Zweckbestimmung an.80 Beim individuellen Rechtsmissbrauchsverbot steht dagegen nicht das Rechtsinstitut, sondern es treten das Verhalten der Beteiligten, die Parteiinteressen und die Folgen des Verhaltens in den Vordergrund. 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder Proportionalitätskontrolle? Rechtsmissbrauchskontrolle bedeutet in beinahe allen Konstellationen die Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalls. Dies ergibt sich daraus, dass letztlich die Interessenbewertung auch innerhalb der anderen Konstellationen im Fokus steht; gleichzeitig wird aber, weil die Abwägung von Interessen im Hinblick auf

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Zur Entwicklung dieser beiden Rechtsinstitute HKK / Harke, § 311 II, III Rn. 1 ff.; HKK /  Meyer-Pritzl, § 313–314, Rn. 1 ff. 75 Wegfall der Geschäftsgrundlage: Windscheid, AcP 78 (1892), S. 201; Köbler, Clausula, S. 95; culpa in contrahendo: Jhering, Gesammelte Aufsätze I, S. 327 ff., wobei sich dessen Abhandlung auf Irrtum und Nichtigkeit bezieht, ebenda, S. 376; Leonhard, Verschulden, S. 87; Canaris, JZ 1965, S. 476; ders, Vertrauenshaftung, S. 534. 76 Wegfall der Geschäftsgrundlage: RGZ 100, 129 (131); RGZ 106, 422 (424); culpa in contrahendo (mit Bezugnahme auf § 242 BGB): BGHZ 60, 221 (224); BGHZ 71, 386 (392). 77 Siehe hierzu Staudinger / Weber, § 242 BGB E 89 ff. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage; ebenda, A 417 ff. zur culpa in contrahendo. 78 Vgl. die Begründungen der Regierung im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung, vgl. Canaris, Schuldrechtsmodernisieriung, S. 720 f. (culpa in contrahendo); 741 ff. (Wegfall der Geschäftsgrundlage). 79 So kritisch Weber, AcP 192 (1992), S. 527, 567, der insbesondere die Offenlegung der Wertung durch den Rechtsanwender als notwendig ansieht. 80 Gernhuber, JuS 1983, S. 766; Mader, Rechtsmißbrauch, S. 101.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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konkretisierte Rechtslagen im Lichte der Privatautonomie besonders brisant ist,81 auch stets die individuelle Reichweite subjektiver Rechte austariert. Beim individuellen Rechtsmissbrauchsverbot wird eine einzelfallbezogene Interessenabwägung durchgeführt. Einen korrigierenden Eingriff in gesetzlich begründete Rechte soll der Richter nur ganz restriktiv vornehmen.82 Bei groben Unbilligkeiten83 oder Grundrechtsbetroffenheit84 kann jedoch eine Ausnahme gemacht werden, wobei insbesondere Beweggründe und subjektive Merkmale der Beteiligten ins Gewicht fallen können. Die Bewertung der objektiven Interessenlage findet anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips statt.85 Dessen Anwendung wirft die Frage auf, ob dieser Grundsatz im Privatrecht ohne Weiteres mit den Kategorien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit geprüft werden kann. a) Meinungsstand Nach einer Auffassung in der Literatur kann eine vollumfängliche Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch im Privatrecht durchgeführt werden.86 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei demnach aus der grundrechtlichen Schutzdogmatik ableitbar und wirke zum Ausgleich von Grundrechtskonflikten. Es könne auch die Zielsetzung privaten Verhaltens durch Kontrolle von Handlungsziel und -mittel überprüft werden.87 Demnach würde das Verhältnismäßigkeitsprinzip mit demselben Kontrollmaßstab von Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit geprüft wie im Öffentlichen Recht. Nach anderer Auffassung wird dagegen nur auf eine Proportionalitätskontrolle, also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne für das Schuldvertragsrecht abgehoben.88 Die Überprüfung einer Rechtsausübung, ob sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinne der Erforderlichkeit und Geeignetheit entspricht, wird vor dem Hintergrund dessen, dass hiermit die Entscheidungshoheit der Betroffenen durch die richterliche Eigenwertung ersetzt würde, abgelehnt.89 Dies sei

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Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 39. MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 438. 83 Anders aber Hubmann, AcP 155 (1956), S. 87, der zwischen groben Unbilligkeiten (Korrektiv: Sittenwidrigkeit) und geringfügigen Interessenunterschieden (Korrektiv: Treu und Glauben) differenziert. 84 BVerfG, NJW 2015, S. 1508. 85 Insoweit noch einstimmig Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 5 ff.; Hanau, Verhältnismäßigkeit, passim; Medicus, AcP 192 (1992), S. 35 ff.; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 346; kritisch zur begrenzten Verwertbarkeit desselben aber Diederichsen, AcP 198 (1998), S. 254 f. 86 Canaris, ZHR 143 (1979), S. 129 f.; Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 141; ebenso Metzner, Verhältnismäßigkeit, S. 70. 87 Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 114. 88 Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 189; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 326, 418. 89 So etwa Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 56. 82

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Teil 2, Kapitel 1

schlechterdings nicht mit dem Grundsatz der Privatautonomie vereinbar.90 Anders könne es sich aber im Bereich außervertraglicher Rechtsverhältnisse verhalten.91 b) Stellungnahme Eine bloße Proportionalitätskontrolle ist mit Blick auf das Vertragsrecht einer umfänglichen Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzuziehen, weil die Berücksichtigung des Proportionalitätsgrundsatzes zur Beschränkung des Vertragsrechtes ausreicht. Die Anwendung einer Zweck-Mittel-Relation würde den privatautonomen und nicht an sozialen Zwecken orientierten Ansatz privater Rechtsausübung verkennen. Beim Element der Erforderlichkeit und der ihr zugehörigen Kategorie der Geeignetheit würde das privatrechtliche Handeln auf das relativ mildeste und ebenso effektive Mittel reduziert.92 Echte Privatautonomie hinsichtlich der auszuwählenden Mittel wäre dann nicht mehr möglich und würde die Willensfreiheit des Handelnden konterkarieren.93 Auch § 226 BGB zeigt, dass primär ein schädigender Zweck zur Schikane und damit zur Unzulässigkeit der Rechtsausübung führt. Auf die Mittel kommt es dabei nicht an.94 Eine Zweck-Mittel-Relation darf angesichts der dadurch bewirkten, zu weitreichenden Beschränkung der Privatautonomie im Rahmen von Vertragsrecht nicht Platz greifen.95 Diese These gilt jedoch nicht nur für das Vertragsrecht, sondern in toto für die Geltendmachung privatrechtlicher subjektiver Rechte.96 Die Frage nach der Mittelauswahl stellt sich daher auch beim Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB nicht auf der Ebene der „scharfen Entscheidungsregel“ der Erforderlichkeit,97 sondern allenfalls auf der Ebene der Abwägung im engeren Sinne. Allein als Abwägungsgesichtspunkt kann das ausgewählte Mittel miteinbezogen werden, wenn es sich um ein in besonderer Weise die Rechte des anderen beeinträchtigendes handelt. Die sonst üblichen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, Geeignetheit und Erforderlichkeit, bleiben damit unberücksichtigt. Für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes innerhalb des Rechtsmissbrauchsverbots gilt dementsprechend, dass nur eine Proportionalitätskontrolle in Form einer Interessenabwägung durchzuführen ist. Nicht anders verhält es sich bei der Ausübung subjektiver prozessualer Rechte.

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Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 50 ff.; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 320. Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 334; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 323. 92 So schon Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 58; das sieht auch Hanau, Verhältnismäßigkeit, S. 118, will aber dennoch das Mittel der Erforderlichkeit anwenden. 93 Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 320. 94 Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 228; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 321 f. 95 Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 98; in diese Richtung auch Medicus, AcP 192 (1992), S. 62. 96 Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 228. 97 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 58; Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 319. 91

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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3. Rechtstechnik der Abwägung Worauf der Rechtsanwender bei der Abwägung zu achten hat, lässt sich abstrakt und rechtstechnisch beschreiben. Hierzu gehört die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des betroffenen Rechtsgutes genauso wie die Intensität der Betroffenheit. Überdies stellen sich Fragen der generellen Risikoverteilung und der Zurechnung.98 a) Schutzwürdigkeit des Rechtsguts und Intensität der Betroffenheit Zunächst muss im Rahmen der Abwägung die Schutzwürdigkeit eines Interesses bewertet werden. Das Urteil über das Vorliegen von Schutzwürdigkeit richtet sich wiederum danach, ob sich beim betroffenen Gegenüber Vertrauen bilden konnte oder wie der Rechtsanwender – vor dem Hintergrund der Verfassung – das Interesse und Rechtsgut einer Partei bewertet.99 Jene Schutzwürdigkeit bemisst sich also nach dem betroffenen Rechtsgut und der Intensität, mit der die Gegenseite durch die Rechtsausübung betroffen ist.100 Abstrakt hochrangige Rechtsgüter sind das Leben, die Gesundheit, die Freiheit, die Ehre, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Eigentum. Anhaltspunkte für die Schutzwürdigkeit eines Interesses können sich überdies aus dem Gesetz ergeben.101 Das Vermögen wiederum hat  – zumindest vor dem Hintergrund der privatrechtlichen Ordnung des BGB – einen geringeren Schutzcharakter. Die Interessenintensität betrifft die Frage, zu welchem Grad die jeweiligen Rechte betroffen sind.102 Sie richtet sich nach der Dauer, der Wirkung und den mit der Betroffenheit zusammenhängenden Folgen aus. b) Risikoverteilung Ebenso wie die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts und die Eingriffsintensität ist die besondere Risikoverteilung des Sachbereichs, in dem sich der zu prüfende Fall bewegt, in die Abwägung miteinzubeziehen. Diese gestaltet sich je nach Sachgebiet103 anders, was sich etwa aus gesetzgeberischen Grundentscheidungen im Rahmen der für die zu beurteilende Konstellation maßgeblichen Rechtsvorschriften herauslesen lässt. In tatsächlicher Hinsicht spielt etwa der Wahrscheinlichkeitsgrad von Rechtsgutsverletzungen eine wichtige Rolle. Die Frage der Verwirklichung einer Gefahr ist dabei prognostisches Element der Abwägungs-

98

Heinrich, in: FS Laufs, S. 600 ff. Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 127; zur Schutzwürdigkeit als Merkmal zur Bestimmung subjektiv-öffentlicher Rechte Rupp, Grundfragen, S. 247. 100 So letztlich auch BVerfG, NJW 2015, 1508. 101 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 98. 102 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 114. 103 Etwa für den Zivilprozess Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 330. 99

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entscheidung.104 Die Risikoverteilung richtet sich somit nach einer systematischteleologischen Betrachtung des Regelungskomplexes. c) Zurechnungsprinzip Neben dem Parameter der Risikoverteilung ist auch die Zurechenbarkeit des Verhaltens der rechtsausübenden Partei für die Abwägung entscheidend. Unterschieden werden Verschuldens- sowie Gefährdungs- und Veranlasserprinzip. Hauptanknüpfungspunkt der deutschen Privatrechtsordnung ist das Verschuldensprinzip.105 Die Zurechnung kann aufgrund von Arglist, Absicht oder Verschulden gegeben sein.106 Konkreter lässt sich die Zurechnungskategorie „Verschulden“ mit dem Element der Sorgfalt beschreiben. Das Prinzip der Sorgfalt gilt unabhängig von einem besonderen Rechtsverhältnis und ist Ausdruck dessen, dass in einer Rechts- und Wirtschaftsgemeinschaft auch ohne besonderen gegenseitigen Kontakt eine wechselseitige Pflicht bestehen kann.107 Diese lässt sich jedoch nicht abstrakt-generell fassen, sondern steht immer konkret in Wechselwirkung mit dem zu schützenden Rechtsgut.108 Maßgeblich strahlt die Pflicht zu allgemeiner Sorgfalt auch in das Rechtsverhältnis aus. In diesem Verkehrskreis gelten die allgemeinen Sorgfaltsund Verkehrspflichten. Der Grad der zu erbringenden Sorgfalt ist objektiv zu bestimmen.109 Zwar wird Sorgfalt als Bestandteil des Verschuldens als ein subjektives Element eingeordnet; angesichts der Bezugnahme des Sorgfaltskriteriums auf einen objektiven Maßstab haftet ihm auch ein objektives Moment an. Unbeschadet von Verschuldensfragen kann für manche Handlungen die Kategorie der Gefährdung oder der Veranlassung für die Zurechnung ausreichen. Insbesondere das Veranlassungsprinzip ist nicht lediglich bloße Kausalität, sondern Verhalten mit Angriffsrichtung auf Werte.110 Das Gefährdungsprinzip verschiebt den Maßstab von einer Pflichtwidrigkeit zu einer Verantwortlichkeit für die geschaffene Gefahrenquelle.111 Entsprechend diesen Schattierungen lässt sich ein Verhalten als rechtsmissbräuchlich oder interessengerecht einordnen.

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Hubmann, AcP 155 (1956), S. 113. Zum Verschuldensprinzip: Deutsch, Erforderliche Sorgfalt, S. 420 ff.; Staudinger / Caspers, § 276 BGB Rn. 3 ff. 106 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 8 II 1, S. 131; Hubmann, AcP 155 (1956), S. 115 ff. 107 Fikentscher, in: Hof / Kummer / Weingart / Maasen (Hrsg.), Recht und Verhalten, S.  179. 108 Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 207. 109 Deutsch, Erforderliche Sorgfalt, S. 347. 110 Hubmann, AcP 155 (1956), S. 121; in diese Richtung etwa die Zustandshaftung nach der Diktion von Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 8 II 6, S. 137 f.; anders aber Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474. 111 Esser / Schmidt, Schuldrecht AT, § 8 II 3, S. 134. 105

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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III. Argumentationskriterien zur Bestimmung des individuellen Rechtsmissbrauchs

Konkreter als durch die abstrakte Beschreibung der Abwägung112 kann eine Annäherung an die Kriterien des individuellen Rechtsmissbrauchsverbots durch die Herausarbeitung der speziellen Argumente, die zur Begründung eines individuellen Rechtsmissbrauchs herangezogen werden, erfolgen. Das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot bedarf hier keiner näheren Diskussion, da bei diesem nur die Zweckwidrigkeit des Parteihandelns gegenüber einem Rechtsinstitut im Fokus steht. Sie orientiert sich damit an systematisch-teleologischen Gesichtspunkten.113 Beim individuellen Rechtsmissbrauchsverbot gibt es angesichts der Bezugnahme auf das konkrete Verhalten vielfältige Argumentationskategorien. Grob unterschieden werden können Rechtsmissbrauch aufgrund Fehlverhaltens der handelnden Partei und Rechtsmissbrauch aufgrund einer Interessenabwägung des Rechteinhabers mit dem Gegenüber.114 Anders als in der fallgruppenorientierten Kommentarliteratur115 werden nachfolgend die zwei großen Linien für rechtsmissbräuchliches Verhalten skizziert.116 Beim Institut des Rechtsmissbrauchsverbots handelt es sich insgesamt um ein Argument, das die Rechtsausübung einschränkt. Bezugspunkt der nachfolgenden Ausführungen ist das in der philosophischen Argumentationstheorie herrschende Toulmin-Schema:117 Eine Argumentation zeich­ net sich demnach dadurch aus, dass durch Daten (grounds) über eine stützende Schlussregel (warrant) eine Konklusion (claim) erreicht wird.118 Die Konklusion im Falle des Rechtsmissbrauchs lautet dann stets: „Die Ausübung oder Begründung des beanspruchten Rechts ist rechtsmissbräuchlich, weil […]“. Die konkreten Argumentationskriterien stellen dabei die stützende Schlussregel dar. Ein Beispiel wäre etwa: Dieses Verhalten ist rechtsmissbräuchlich, weil es nur geringwertige Interessen des Handelnden schützt, aber zu erheblichen Folgen beim Handlungsgegner führt.

112

Vgl. hierzu oben unter 7 A. II. 3. Im Ergebnis so auch Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 90. 114 So auch im Ansatz Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 408 f. 115 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 42–59; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn.  86; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 140; Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 105; siehe hierzu bereits § 7 A. II. 1. 116 Damit besteht angesichts des Fokus auf die Interessenabwägung eine Nähe zu Rüdys Rechts­missbrauchskonzeption, siehe hierzu § 4 E. II. 117 Vorzugswürdig auch nach Auffassung von Hilgendorf, Argumentation, S. 217. 118 Toulmin, The Uses, S. 92 hat dieses Argumentationsschema zusätzlich um den qualifier und das rebuttal ergänzt, um die Stärke der Schlussfolgerung anzugeben und Ausnahmebedingungen zuzulassen, vgl. Toulmin, The Uses, S. 94; zum Toulmin-Schema: Neumann, Argumentationslehre, S. 22 f.; van Eemeren et al. (Hrsg.), Handbook of argumentation theory, S. 218 ff., Kienpointner, Alltagslogik, S. 24 f. 113

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Teil 2, Kapitel 1

1. Generelle Vorfragen des Rechtsmissbrauchsverbots: Rechtsakt – Zeitpunkt – Verschuldensgrad Abstrakte Fragestellungen, die der Rechtsanwender meist implizit bei der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots beantworten muss, sind die Art des Aktes, der Zeitpunkt der Rechtsausübung, subjektive Elemente beim Handelnden und der zugrundeliegende Maßstab bei der Würdigung. Neben den im Nachgang konkret aufgeführten Argumentationskriterien sind zunächst die Eigenheiten des Rechtsmissbrauchsverbots im Allgemeinen herauszuarbeiten. Gegenstand des Rechtsmissbrauchs können alle Rechtsakte sein; zeitlich wird sowohl früheres als auch aktuelles Verhalten berücksichtigt und die Abwägung basiert letztlich auf sozialethischen Wertungen des Richters. Zuletzt stellt sich die Frage nach dem subjektiven oder objektiven Charakter des Rechtsmissbrauchsverbots. Im römischen Recht wurden in zeitlicher Perspektive die exceptio doli praeteriti119 und die exceptio doli praesentis120 differenziert. Die Rechtsausübung – der exceptio doli praesentis nachempfunden – als solche wird missbilligt, wenn Art oder Begleitumstände der Rechtsausübung ungehörig sind, anderweitige Pflichten verletzt werden oder der Ausübende nicht über ein schutzwürdiges Eigeninteresse verfügt.121 Ein typischer Anwendungsfall ist eine Rechtsausübung zur Unzeit.122 Auch die Fallgruppe der exceptio doli praeteriti kann eine Rechtsausübung unzulässig machen, wenn ein vorangegangenes tatsächliches oder rechtliches Verhalten missbilligenswert ist und auf die spätere Rechtsausübung nachwirkt.123 Für die konkrete Rechtsanwendung dieser Fallgruppe des früheren missbilligten Verhaltens bedeutet dies, dass für den Zeitpunkt des Erwerbs des Rechts Anhaltspunkte für rechtsmissbräuchliches Verhalten zu würdigen sind.124 Das Rechtsmissbrauchsverbot wird sowohl bei Rechtsgeschäften als auch bei Realakten, also unabhängig von der Qualität des konkreten Aktes, maßgeblich. Die Rechtsstellung kann missbräuchlich durch Rechtsgeschäft oder kraft Gesetzes begründet worden sein. Dies ist dann der Fall, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen eines Rechts in missbilligenswerter Weise geschaffen worden sind.125 Ob dem so ist, ist in Form einer Interessenabwägung zu klären. 119

Dies betrifft den Rechtserwerb, auch exceptio doli specialis genannt. Dies betrifft die Geltendmachung des Rechts, auch exceptio doli generalis genannt. 121 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 50: Diese Fallgruppe überschneidet sich mit § 226 BGB, dem allgemeinen Schikaneverbot. 122 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 255. 123 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 237. 124 In diese Richtung Mader, Rechtsmißbrauch, S. 128; anderer Ansicht: Staudinger / Schmidt, § 242 BGB Rn. 589. 125 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 250; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 43; Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 108: hier tritt auch insbesondere die Verbindung zu § 162 Abs. 2 BGB zum Vorschein. 120

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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Anknüpfungspunkt hierfür können schwerwiegende Verletzungen von Vertragspflichten oder besonders schwere tatsächliche Verfehlungen sein.126 Letztlich betrifft dies zwar zunächst nur die Frage, wie eine Rechtsstellung begründet worden ist. Ein Argument für die Unzulässigkeit der Rechtsausübung lässt sich nichtsdestoweniger gewinnen, indem der konkrete Akt der Rechtsausübung in den Blick genommen wird. Schon die fehlende objektive Schutzwürdigkeit der Parteiinteressen genügt, während dem inneren Verhalten nur eine Indizfunktion zukommt.127 Angesichts des weiten Dolus-Begriffes128 werden vom Rechtsmissbrauchsverbot objektive Unbilligkeiten ohne Rücksicht auf Arglist, Böswilligkeit und Verschulden der handelnden Partei erfasst. Eine umfassende Arglisteinrede wurde entsprechend der exceptio doli in das BGB zwar nicht implementiert, aber von der Rechtsprechung im Nachgang zum Inkrafttreten des BGB der Vorschrift des § 242 BGB zugeordnet.129 Es kommt mithin nicht auf subjektive, sondern lediglich auf objektive Kriterien zur Bewertung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an. Damit gilt ähnlich wie in Frankreich und der Schweiz ein objektiver Maßstab.130 Die Wertung als Rechtsmissbrauch basiert somit auf der sozialethischen richterlichen Wertung, dass der Rechtsausübung in concreto Schranken gesetzt werden müssen. Neben sozialethischen Wertanschauungen und verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen sind daher insbesondere die in der Rechtsprechung bisher erfolgte Fallgruppenbildung und das Element der Verkehrssitte Grundlagen für die richterliche Entscheidung.131 Die systematisierten Einzelfälle und die Verkehrsüblichkeit des Verhaltens sorgen nämlich für den allgemeinen Vergleichsmaßstab. Die dargestellten abstrakten Kriterien beinhalten das notwendige implizite Vorwissen, das man bei der Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot benötigt. 2. Eigenes Verhalten der handelnden Partei Erster Bezugspunkt der Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot ist das Vorverhalten oder das zum Zeitpunkt der Rechtsausübung vorgenommene Verhalten des Rechtsausübenden. Ausgangspunkt richterlicher Argumentation ist zunächst die Betrachtung des Verhaltens der handelnden Partei unter Berücksichtigung des Verhaltens der betroffenen Partei.

126

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 239. MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 214. 128 Siehe hierzu bereits unter § 4 A. II. 3. dieser Arbeit. 129 RGZ 135, 374 (376). 130 Siehe oben § 5 A. und C. 131 Insoweit muss freilich die Qualität als Generalklausel berücksichtigt bleiben, wonach ein hoher Grad an Konkretisierung schon ob der Offenheit der Norm und des Treu-und-GlaubenPrinzips an sich nicht erreicht werden kann, Mader, Rechtsmißbrauch, S. 98. 127

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Teil 2, Kapitel 1

a) Mangel an korrespondierendem Verhalten Rechtsmissbräuchlich kann bereits ein nicht kongruentes Agieren einer Partei sein. Der Berechtigte zeigt etwa ein Verhalten nicht, das mit dem von ihm gegenüber der anderen Seite beanspruchten Handeln rechtlich korrespondiert. Dies kann die Verletzung einer eigenen Pflicht sein132 oder an ein lediglich tatsächliches Verhalten anknüpfen. Man spricht allgemein auch vom Tu-quoque-Einwand.133 Es handelt sich dabei nicht um widersprüchliches Verhalten, weil nicht isoliert das Verhalten des Handelnden, sondern das Gegenseitigkeitsverhältnis der Parteien von zentraler Bedeutung ist.134 Allein die objektive Zurechenbarkeit ist maßgeblich und ein Verschulden oder ein Rechtsirrtum der anderen Partei nicht erforderlich.135 Anknüpfungspunkt für den Einwand des Rechtsmissbrauchs ist also das Vor­verhalten einer der Parteien. b) Widersprüchliches Verhalten Von venire contra factum proprium spricht man, wenn das Gesamtbild eines Verhaltens widersprüchlich ist136 und die Interessen der anderen Partei vorrangig schutzwürdig sind.137 Verschulden ist nicht erforderlich, allein die objektive Zurechenbarkeit nach dem Risikoprinzip ist maßgeblich.138 Für die Schutzwürdigkeit der Gegenseite spielt meist deren Kenntnis von den tatsächlichen Gegebenheiten eine entscheidende Rolle. Maßgeblich ist grundsätzlich das Vertrauen auf das frühere Verhalten des Handelnden.139 Zentral ist der Gedanke des Vertrauensschutzes auf konsequentes Verhalten:140 Dies führt im Gegenzug dazu, dass sich die Partei – wenn sie nicht Vertrauen auf der Gegenseite begründet hat – durchaus selbst widersprechen darf.141 Zum vertrauensbegründenden Vorverhalten gehört die frühere Preisgabe von Rechten, die der Rechtsinhaber erkennbar und vertrauensbegründend für den Dritten erweckt.142 Auch das Schaffen einer bestimmten Rechtslage durch den Rechtsinhaber, aufgrund dessen die Gegenpartei Vertrauen 132

Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 46. Weller, Vertragstreue, S. 52. 134 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 250. 135 BGH, NJW 1999, 352 (353). 136 Kritisch zum Erfordernis der Regelhaftigkeit eines Verhaltens Liebs, JZ 1981, S. 161 f.; Wieling, AcP 176 (1976), S. 335, etwa sieht den Rechtsverlust als Folge eines Rechtsgeschäftes und verortet es nicht innerhalb von § 242 BGB; kritisch zu diesem rechtsgeschäftlichen Verständnis aus rechtshistorischer Perspektive Wacke, SZ 91 (1974), S. 278; allgemein: Canaris, Vertrauenshaftung, S. 287 ff. 137 Teichmann, JA 1985, S. 501–502. 138 Singer, Verbot, S. 226. 139 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 290. 140 Singer, Verbot, S. 79. 141 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 317. 142 Prozessual etwa durch ein pactum de non petendo BGH NJW 1984, 669. 133

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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gebildet hat, gehört zur Schlussregel, dass widersprüchliches Verhalten zur Beschränkung von Rechten führen kann.143 Ohne Begründung von Vertrauen bei der Gegenpartei kann eine Rechtsausübung nur ausnahmsweise unzulässig sein, wenn das Verhalten inkonsistent war und ein früheres Verhalten in einem unlösbaren Widerspruch zu dem im Nachgang erfolgten Verhalten steht.144 Dies ist etwa der Fall, wenn jemand die Einhaltung einer Rechtsvorschrift begehrt, an die er sich selbst nicht hält. Bei der Inkonsistenz von Tatsachen- und Rechtsbehauptungen muss allerdings ein in sich „unlösbarer Widerspruch“ gegeben sein. Denn die Änderung von Rechts- und Tatsachenbehauptungen ist grundsätzlich zulässig.145 Durch die Unzulässigkeit eines Verbots allein widersprüchlichen Verhaltens ohne Vertrauensbegründung wird der Bereich der Vertrauenshaftung zudem verlassen und der bloße Selbstwiderspruch sanktioniert.146 Ein allgemeines Verbot des Selbstwiderspruchs existiert nicht. c) Verwirkung infolge Zeitablaufs Auch das Institut der Verwirkung wird dem Verbot des venire contra factum p­ roprium zugeordnet.147 Nach herrschender Meinung stellt sie einen Unterfall des widersprüchlichen Verhaltens dar, wobei sich der Widerspruch aus der Gesamtschau von zeitlichem Ablauf und dem konkreten Umstand der Vertrauensbildung ergibt. Gegenstand der Verwirkung sind alle subjektiven Rechte. Es handelt sich nach herrschender Auffassung um die illoyal späte Geltendmachung eines Rechts.148 Erforderlich sind ein Zeitmoment, nämlich die unterbliebene Inanspruchnahme über eine längere Zeitspanne, und ein Umstandsmoment, also eine Gesamtbetrachtung der Interessenlage, welche beide insgesamt zur Unzumutbarkeit der späten Anmeldung des Rechts führen.149 Die Unzumutbarkeit der verspäteten Rechtsausübung ergibt sich dann aus der durch die Gegenpartei getätigten Vertrauensinvestition.150

143

MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 326. Singer, NZA 1998, S. 1311. 145 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 299. 146 Singer, Verbot, S. 15. 147 BGH NJW 1972, 2103; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 87; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 310; kritisch zu dieser Zuordnung Singer, Verbot, S. 223; Salzmann, Verwirkung, S. 62. 148 BGHZ 105, 290 (298). 149 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 300; teilweise wird jedoch kritisiert, dass bloße Untätigkeit keinen Vertrauenstatbestand zu begründen vermag, vgl. Mader, Rechtsmißbrauch, S. 317; Nach herrschender Auffassung ist eine passive Verwirkung also nicht möglich. In diesem Zusammenhang verwendet etwa Piekenbrock, Verschweigung und Verwirkung, S. 362, 504, den Begriff der Verschweigung. 150 Hohmann, JA 1982, S. 115. 144

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Teil 2, Kapitel 1

d) Handeln gegen die Verkehrssitte Ein der Verkehrssitte widersprechendes Verhalten gehört zum Bereich des gegen eine Rechtsausübung sprechenden individuellen Rechtsmissbrauchsarguments. Ihr Bezugspunkt ist die Üblichkeit des Verhaltens im Verkehrskreis der handelnden Parteien. Im Hinblick auf die ausdrückliche Erwähnung der Verkehrssitte im Wortlaut von § 242 BGB müsste ihr prima facie eine große Bedeutung zukommen. Als Kriterium für ein verkehrskonventionswidriges Verhalten können damit die Regeln und die sozialethischen Wertanschauungen des Verkehrskreises herangezogen werden.151 Der Gesichtspunkt der Verkehrssitte hat in der spruchrichterlichen Praxis jedoch nicht die ihm über den Normtext vermittelte Bedeutung erlangt,152 da realiter eine repräsentative Verkehrssitte nur im Wege der empirischen Sozialforschung ermittelbar ist.153 Eine solche kann etwa in Form von Umfragen oder Studien innerhalb eines Gerichtsverfahrens aufgrund der knappen Ressourcen von Zeit und Geld nicht durchgeführt werden. Der Richter setzt daher zumeist an die Stelle der Empirie seine Eigenwertung. Bei der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess erweist sich dies als unschädlich. Denn der Richter kennt im Rahmen des Prozesses die Verkehrserwartungen und den Verkehrskreis an die Verhandlungsdurchführung. Es ist zudem so, dass die Verkehrssitte bei Gericht zumindest den professionellen Prozessbeteiligten hinreichend klar ist. Der Richter kann also ohne Weiteres seine eigene Kenntnis von Erwartungen des Verkehrskreises an die Stelle empirischer Sozialforschung setzen. 3. Interessenabwägung Im Rahmen des individuellen wie auch des institutionellen Rechtsmissbrauchsverbots wird meist eine Interessenabwägung vorzunehmen sein.154 Es kann sich dabei um eine wertungsbezogene oder eine folgenorientierte Interessenabwägung handeln. In seiner Wirkung handelt es sich um Rechtsgewinnung aufgrund von Abwägung. Entsprechend der von Heck ausgearbeiteten Interessenjurisprudenz

151 Die Verkehrssitte ist dabei aber keine Rechtsquelle, sondern nur sachverhaltsrelevantes Element bei der Bestimmung der Üblichkeit eines Verhaltens, im Ansatz so auch Hageböck, Die normative Bedeutung, S. 25. 152 Vereinzelt wird sie als Ausdruck der bürgerlichen Freiheit in Form von Privatautonomie und Vertragsfreiheit verstanden, Al-Shamari, Verkehrssitte im § 242 BGB, S. 214. 153 Es handelt sich dabei letztlich nämlich um eine Sachverhaltsfrage, so auch Heldrich, AcP  186 (1986), S. 92; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 14; siehe hierzu auch § 7 A. I. 4. a). 154 Hierzu aus argumentationstheoretischer Sicht Clemens, Strukturen, S. 98; kritisch Rückert, JZ 2011, S. 923; Wohlrapp, in: Paschen / Wigger (Hrsg.), Schulautonomie als Entscheidungsproblem, S. 55.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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ist der entscheidende Interessenkonflikt aufzuspüren.155 Ausgangspunkt ist für die Bewertung des Rechtsmissbrauchs die Regel, sich redlich oder zumindest maßvoll zu verhalten. a) Fehlende Schutzwürdigkeit des Interesses Ein Interesse ist nicht schutzwürdig, wenn die Art und Weise des Rechtserwerbs einen Pflichtenverstoß darstellt, der Rechtsinhaber unverdiente Vorteile erlangt oder der verfolgte Zweck unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt ist.156 Zu dieser Fallgruppe gehört auch die Konstellation, in der zwar ein schutzwürdiges Interesse besteht, dieses aber überhaupt nicht von der rechtsausübenden Partei verfolgt wird. Auch der Grundsatz des dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est muss dem Bereich des nicht schutzwürdigen Interesses der rechtsausübenden Partei zugeordnet werden.157 Das Fordern einer Leistung, die sofort zurückgewährt werden müsste, ist unzulässig, da der Schuldner unnötig beschwert, mit dem Insolvenzrisiko des Fordernden belastet wird und der Gläubiger wirtschaftlich keinen Vorteil erlangt.158 Die Unzulässigkeit besteht in der wegen der Rückgewährpflicht sachlich nicht zu rechtfertigenden Verlagerung dieses Risikos, ohne dass auf Seiten des Rechtsausübenden ein anerkennungswürdiges Interesse stünde. b) Fehlen oder Geringwertigkeit des Interesses In der Fallgruppe des fehlenden oder geringwertigen Interesses haben sich zwei Kategorien herausgebildet: Die erste betrifft den Fall, dass der Rechtsinhaber kein schutzwürdiges Interesse verfolgt oder das verfolgte Interesse geringwertiger ist als das der Gegenseite.159 Dies ist letztlich eine Folge der Anwendung des Proportionalitätsprinzips, welches die grundsätzlich privatautonome Rechtsausübung beschränkt.160

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Heck, Begriffsbildung, S. 131; hierzu Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82, S. 653. MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 468, 470, 474. 157 So auch Mader, Rechtsmißbrauch, S. 57. 158 Die Originalstelle nach Paul. 6 Plaut. D.44,4,8 lautete: Dolo facit, qui petit quod statim redditurus est. Sic, si heres damnatus sit non petere a debitore, potest uti exceptione doli mali debitor et agere ex testamento. Diese Ausgangskonstellation regelt also den Fall, dass der Erbe verurteilt wurde, nichts vom Schuldner zu verlangen, so dass Schuldner die Arglisteinrede erheben kann und aus dem Testament vorgehen kann: es geht hier um eine Schuldbefreiungsanordnung im Testament; hierzu auch Wacke, JA 1982, 477. 159 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 458. 160 Siehe hierzu bereits § 7 A. II. 2. 156

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Teil 2, Kapitel 1

c) Überwiegende Interessen der Gegenpartei Eine weitere Fallkonstellation betrifft überwiegende Interessen der Gegenpartei. Diese überwiegen, wenn aufgrund der groben Unbilligkeit der Folgen, die aus einer Handlung resultieren, zugunsten der Gegenpartei ein Ausgleich erfolgen muss.161 Der Schwerpunkt dieser Würdigung liegt auf dem relativen Gewicht der betroffenen Interessen. Dabei existieren abstrakt und konkret höherrangige Interessen. Hierzu gehört etwa die Vertrauenserwartung einer Partei. Soweit die abstrakt höherrangigen Interessen nicht in Gesetze implementiert worden sind, ist ihr abstrakter Wert im Rahmen der Interessenabwägung darzulegen und der Vorrang – etwa unter Rückgriff auf verfassungsrechtliche Grundentscheidungen – zu begründen.162 d) Folgenberücksichtigung Das Argument der Folgenberücksichtigung ist ein Hauptaspekt des individuellen Rechtsmissbrauchs, weil es sich mit den Real- und Rechtsfolgen der Rechtsausübung auseinandersetzt und dieser Schranken zieht.163 aa) Geringfügiger Verstoß, weitreichende Folgen Ein Rechtsmissbrauch kann vorliegen, wenn aus geringfügigen Verstößen weittragende Folgen resultieren.164 Der Geringfügigkeit des Verstoßes der Gegenseite wird mit dem Argument der Folgenberücksichtigung begegnet. Dies ist damit Ausprägung des auch im Privatrecht geltenden Proportionalitätsprinzips,165 welche die Schrankenwirkung subjektiver Rechte verwirklicht. 161 Es handelt sich dabei um Interessensdisproportionalität, so auch Rüdy, Der Rechtsmißbrauch, S. 110. 162 Ein Beispiel zur Abhängigkeit dieser Wertvorstellungen von der sozialen Wirklichkeit zei­ gen die Vorrangregelungen bei Rüdy, Der Rechtsmißbrauch, S. 111–112: Vorrang von Allgemein- gegenüber Individualinteressen, im Rahmen der Ehe Nachrang der Individualinteressen gegenüber den Gemeinschaftsinteressen und Vorrang persönlicher gegenüber materiellen Belangen. 163 Zur Anwendung dieses Arguments bei Generalklauseln Lange, Effizienz, S. 123; Zu diesem Argument grundlegend: Deckert, Folgenorientierung, passim, insbesondere auf S. 56 zur Ablösung der objektiv-telelogischen Methode durch Folgenargumentation; dies., JuS 1995, S. 480 ff., allerdings als Teil der Auslegung; Grimm, in: Teubner (Hrsg.), Entscheidungsfolgen als Rechtsgründe, S. 156; kritisch: Böhlk / Unterseher, JuS 1980, S. 327; Hensche, Rechtstheorie 29 (1998), S. 119 f. 164 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 446. 165 Teilweise wird aber auch ein Gegensatz zwischen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Prinzip von Treu und Glauben behauptet, Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 25; differenzierend: Larenz, Richtiges Recht, S. 86, 125; Merz, ZfRV 1977, S. 171.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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bb) Schonende Rechtsausübung bei gravierenden Nachteilen der Gegenseite Die Rechtsausübung ist ferner unzulässig, wenn die Gegenseite durch die Ausübung große Nachteile erleidet und der Berechtigte mildere, aber ebenso effektive Mittel hätte einsetzen können.166 Die schonendste Form der Beeinträchtigung ist zu wählen.167 Das Missverhältnis der Interessen ist dabei selbstverständlich vorab nicht quantifizierbar. Dieses Element der Erforderlichkeit als Bestandteil der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne ist problematisch, weil die Erforderlichkeit der Rechtsausübung nicht geschriebener Bestandteil der Privatrechtsordnung ist.168 Dies ist keine Frage der Erforderlichkeit im Sinne einer scharfen Entscheidungsregel, sondern entspricht dem Gebot der schonenden Rechtsausübung.169 Dieses Element wird daher nur als weiches Argument im Rahmen der Interessenabwägung relevant. cc) Vereitelung von Rechten der Gegenpartei Das Handeln einer Partei kann auch rechtsmissbräuchlich sein, wenn es geeignet ist, die Rechte der Gegenpartei zu vereiteln. Beispielhaft seien etwa die Vereitelung des Zugangs von Willenserklärungen oder das Hervorrufen tatsächlicher Unklarheiten sowie das Ausnutzen von Rechtsgestaltungen erwähnt.170 4. Schlussfolgerung: Rechtsmissbrauchsverbot als eigenständiges Argument Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass das Rechtsmissbrauchsverbot den Charakter eines eigenständigen Arguments hat. Sein innerer Kern besteht aus den aufgeführten Argumentationskriterien, den zugrundeliegenden Wertungen und den Abwägungsparametern. Das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot geht weiter als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil er neben der Möglichkeit einer Interessenabwägung auch einseitig das Verhalten der rechtsausübenden Partei in den Blick nimmt. Das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot hebt dagegen auf die Zwecksetzung des hinter der Norm stehenden Rechtsinstituts ab. Diese Konturen 166

Canaris, JZ 1987, S. 1001; Wieacker, in: FS Fischer, S. 872. Insbesondere sei der Rechtsmissbrauch auf die gerichtliche Verfolgung beschränkt. 167 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 450. 168 Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 226. 169 So auch § 1020 BGB als Gebot der schonenden Rechtsausübung; zum Rechtsgrundsatz des civiliter uti Zeller, Treu und Glauben, S. 152. 170 Jauernig / Mansel, § 242 BGB Rn. 46; MünchKomm / Schubert, § 242 BGB Rn. 302; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 245.

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Teil 2, Kapitel 1

des Rechtsmissbrauchsverbots führen zu seiner Eigenständigkeit als Argument gegenüber normtextbezogenen Argumenten.171 Ethische Grundwerte des Rechtsmissbrauchsverbots sind das Vertrauen und das Gebot schonender Rechtsausübung. Rechtstechnische Parameter einer rationalen Abwägungsentscheidung sind die Schutzwürdigkeit der Interessen, die Intensität der betroffenen Rechtsgüter, die abstrakte Risikoverteilung und die Zurechenbarkeit des Verhaltens. B. Abgrenzung des Rechtsmissbrauchsverbots zu anderen Rechtsinstituten Das Rechtsmissbrauchsverbot wirkt nicht als einzige Schranke im Privatrecht. Sowohl das Schikaneverbot des § 226 BGB als auch die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB zeitigen ebenfalls eine solche Wirkung gegenüber subjektiven Rechten. Ihre Voraussetzungen sind jedoch andere. I. Abgrenzung zum Schikaneverbot des § 226 BGB

Betrachtet man den Allgemeinen Teil des BGB, so kommt einem bei dem Begriff „unzulässige Rechtsausübung“ zunächst § 226 BGB in den Sinn. Das dort geregelte Schikaneverbot spricht im Rahmen der Rechtsfolge ausdrücklich von unzulässiger Rechtsausübung. Das Schikaneverbot stellt jedoch kein allgemeines Missbrauchsverbot dar, sondern hat einen eng begrenzten Anwendungsbereich. Das § 242 BGB zugeschriebene allgemeine Verbot der unzulässigen Rechtsausübung würde man aufgrund seiner allgemeingültigen Wirkweise dagegen nicht im Allgemeinen Schuldrecht verorten. Es stellt sich daher die Frage, weswegen die gesamte Problematik von Rechtsmissbrauch und unzulässiger Rechtsausübung nicht im Rahmen des Schikaneverbots des § 226 BGB diskutiert wird. 1. Auslegung und Rechtsfortbildung von § 226 BGB „Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen“, lautet das Schikaneverbot im BGB. § 226 BGB hat in der Rechtspraxis – trotz anfänglicher Euphorie in der Rechtswissenschaft172 – aufgrund des engen Tatbestandes der Vorschrift, den sie durch 171 Wieacker, Präzisierung, S. 35, spricht von der Bedeutung als selbständiger institutioneller Stellung. 172 Jacubetsky, Gruchots Beiträge 40 (1896), S. 596; Ramdohr, Gruchots Beiträge 46 (1902), S. 577 ff., 806 ff.; schon nicht mehr bei Hager, Schikane, S. 143, der § 242 BGB als normative Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots ansieht; zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen erschienen um die Wende des 19. Jahrhunderts zu dieser Thematik, vgl. die Übersicht bei Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 110.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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die Formulierung „nur den Zweck haben kann“ erhalten hat, keinen besonderen Widerhall gefunden.173 Durch die Formulierung „nur den Zweck“ muss die Schädigung des Dritten der alleinige Zweck des Handelnden sein. Eine teleologische Extension dieser Wendung ist nicht möglich, da sich der gesetzgeberische Wille nur gegen eine ausdrückliche exceptio doli generalis interpretieren lässt.174 Nach den Protokollen und den Motiven zum BGB wurde von gesetzgeberischer Seite ausdrücklich auf die Implementierung der exceptio doli generalis verzichtet, damit dem Richter nicht zu viel Macht verschafft werde.175 Eine Analogie von § 226 BGB auf nicht schon schikanöses, aber rechtsmissbräuchliches Verhalten könnte man annehmen, wenn die Interessenlage des alleinigen Schädigungszecks damit vergleichbar wäre, dass der Rechtsinhaber gerade nicht die Schädigung des Dritten bezweckt. In beiden Situationen wird durch ein unzulässiges Verhalten das Recht des Dritten beeinträchtigt; in beiden Fällen ist eine Abwägung nötig. Die Interessenlage ist insofern vergleichbar, als es maßgeblich an der Schutzwürdigkeit der anderen Partei fehlt. Planwidrig ist die Regelungslücke historisch insoweit, als die Abstimmung des Reichstages über die Aufnahme des Schikaneverbots in das BGB den Antrag von Gröber übernahm, welcher sich wiederum selbst auf § 887 Abs. 2 des Entwurfs berief.176 § 887 Abs. 2 BGB-E lautete: Eine Ausübung des Eigenthums, die nur den Zweck haben kann, einem Anderen Schaden zuzufügen, ist unzulässig. Diese Ausgliederung des Schikaneverbots aus dem Sachenrecht in den Allgemeinen Teil des BGB deutet zumindest an, dass der Gedanke der Schikane für das gesamte Zivilrecht gelten sollte. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Gedanke eines allgemeinen Schikaneverbots durchgesetzt hat, hätte auch die allgemeine Interessenabwägung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung durch einen Rückgriff auf § 226 BGB stattfinden können. Gegen die Planwidrigkeit der Regelungslücke spricht jedoch, dass das gemeinrechtliche Institut der exceptio doli generalis gerade nicht Eingang in das BGB oder die ZPO gefunden hat, sondern das spezielle Schikaneverbot implementiert wurde.177 § 226 BGB hätte daher nur im Wege einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung zum allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot aufgewertet werden 173

Rebe, JA 1977, S. 7; HKK / Haferkamp, § 226 BGB Rn. 18; umfassend insoweit Haferkamp, in: Falk / Mohnhaupt (Hrsg.), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 37. 174 Motive I, S. 275; dennoch gab es auch nach Auffassung der Literatur ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot, vgl. Siber, Schranken, S. 28. 175 Motive I, S. 274; Nach dem Bericht von Heller (Bayern) über die Sitzung vom 24.03.1896, Jakobs / Schubert, Beratung des BGB AT I/2, S. 1173. 176 Wolters, Die Zentrumspartei, S. 235; Jakobs / Schubert, Beratung des BGB AT I/2- §§ 1–240, S. 1171; bei dieser Vorschrift handelte es sich wiederum um eine vom Bundesrat in den Entwurf zum BGB eingeflochtene Regelung zum Verbot der unzulässigen Rechtsausübung mit spezifischer Beziehung zum Eigentum. Der Paragraph stand daher im Sachenrecht und wurde auf den Vorschlag von Gröber hin auf den Allgemeinen Teil des BGB ausgeweitet. 177 Motive I, S. 274; Jakobs / Schubert, Beratung des BGB AT I/2, S. 1173.

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Teil 2, Kapitel 1

können. Denn ein solches allgemeines Verbot als Bestandteil der exceptio doli gene­ralis existierte vor dieser Zuordnung zu § 242 BGB nur als richterrechtliches Institut.178 2. Reichsgerichtlicher Anknüpfungspunkt: Treu und Glauben Angesichts des engen Wortlauts von § 226 BGB suchte sich die Rechtsprechung ihren eigenen Weg. Das Reichsgericht hatte in seinen nach Inkrafttreten des BGB ergangenen Urteilen die exceptio doli generalis an der Wortkombination „Treu und Glauben“ festgemacht.179 Dabei wurde stets auf §§ 157, 242, 826 BGB Bezug genommen und das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung nicht dem speziellen § 226 BGB, sondern dem Treu-und-Glauben-Prinzip des § 242 BGB zugeordnet.180 Diese Entwicklung gestaltet sich anders als in der Rechtsordnung der Schweiz, die in Art. 2 Abs. 1 ZGB von Treu und Glauben spricht und in Art. 2 Abs. 2 ZGB explizit das Rechtsmissbrauchsverbot in den Blick nimmt.181 Im Ergebnis macht es wiederum keinen Unterschied, ob man die historisch gewachsene Dogmatik zur exceptio doli generalis und die in Rechtsprechung und Wissenschaft konkretisierten Fallgruppen auf § 226 BGB oder § 242 BGB projiziert. Es bleibt jedoch dabei, dass § 226 BGB als spezielles Schikaneverbot nur die Rechtsausübung mit dem Ziel der Schädigung verbietet, während das Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB schon treuwidriges Fehlverhalten oder überwiegende Interessen der anderen Partei ausreichen lässt.182 Pointiert lassen sich beide Institute also wie folgt abgrenzen: § 226 BGB ist Verbot der Schädigung, § 242 BGB Verbot des Übermaßes. II. Verhältnis zum Verstoß gegen die guten Sitten, § 138 BGB

Materiell-rechtlich ist auch das Verhältnis der unzulässigen Rechtsausübung zum Verstoß gegen die guten Sitten klärungsbedürftig. Die Abgrenzung der beiden Institute ist notwendig, weil beide Mittel dem subjektiven Recht Schranken ziehen. Bei § 138 BGB handelt es sich um eine Außenschranke der Privatautonomie, während § 242 BGB nach herrschender Auffassung Innenschranke der subjektiven Rechte sein soll.183 Inhaltlich ist § 138 BGB zudem enger konzipiert. Das positivierte Gebot der guten Sitten schützt nach bisweilen vertretener Auffassung in der Literatur nur besondere und qualifizierte Interessen;184 nach anderer Auffassung muss 178 Wendt, AcP 100 (1906), S. 1; Haferkamp, in: Falk / Mohnhaupt (Hrsg.), Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 10 ff. 179 Beispielhaft RGZ 58, 426 (428 f.). 180 Siebert, Treu und Glauben – Erläuterungen zu § 242 BGB, Rn. 27. 181 Siehe hierzu § 5 A. 182 Soergel / Teichmann, § 242 BGB Rn. 125, will daher auf § 226 BGB verzichten. 183 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 131. 184 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 Rn. 132.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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eine besondere Erheblichkeitsschwelle überschritten sein, um von einem Verstoß gegen die guten Sitten auszugehen.185 Die guten Sitten bilden das sozialethische Minimum ab, während ein Verstoß gegen Treu und Glauben an gesteigerte sozialethische Wertungen gekoppelt ist.186 Konkret betrifft die Frage der Abgrenzung der Sittenwidrigkeit gegenüber der Treuwidrigkeit sowohl die Frage nach dem Grad der Intensität des Eingriffs als auch diejenige nach dem betroffenen Personenkreis, für den die Bewertung eines Verstoßes stattfindet. Beispielhaft für solche sozialethischen Grundwerte sind insoweit das für die abendländische Rechtskultur maßgebliche Vertrauen und das Prinzip der Würde des Menschen.187 Die Bewertung des Intensitätsgrads, mit dem diese  a priori bestehenden Grundwerte unserer Rechtskultur betroffen sind, ist letztlich das, was den sozialethischen Wertanschauungen und damit auch der Sozialisation des Rechtsanwenders unterliegt.188 Dies ist Gegenstand eines notwendigen Willensaktes des Richters bei der Bewertung und Gewichtung von Abwägungsfaktoren. Der Richter muss, soweit sozialethische Werte im Übrigen betroffen sind, eine Aussage zur abstrakten Wichtigkeit dieser Werte, der Intensität des Verstoßes und der Angemessenheit des Vorgehens des Handelnden treffen. In jedem Fall darf er sich nicht lediglich hinter der Formel „Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“189 als Formular an Stelle einer argumentativen Auseinandersetzung verstecken.190 Diesem Abgrenzungsmerkmal mangelt es angesichts der schwierigen Feststellung der Eingriffsintensität in die Rechte Dritter nicht selten an der nötigen Trennschärfe. Neben dem Merkmal der Intensität dient auch das Element des abgrenzbaren Personenkreises der Differenzierung. Grundlegend für die Einordnung einer Rechtsausübung als sittenwidrig ist die Vorstellung der gesamtgesellschaftlichen Sozialmoral, für die Einstufung als treuwidrig dagegen die Verkehrssitte; letztere ist somit durch den Verkehrskreis abgrenzbar. Die Sittenwidrigkeit lässt sich also zum einen über den Intensitätsgrad und zum anderen über den betroffenen Personenkreis unterscheiden. Hinzu kommt der zeitliche Gesichtspunkt. Die Sittenwidrigkeit einer Handlung muss nach dem Zeitpunkt ihrer Vornahme beurteilt werden,191 während § 242 BGB sowohl bei der Schaffung eines Zustandes wie auch bei der

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Staudinger / Sack / Fischinger, § 138 Rn. 181. Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 Rn. 365; Mayer-Maly, AcP 194 (1994), S. 171; diese sozialethischen Wertungen unterliegen freilich dem Wertewandel, der auch bei Auslegung und Anwendung der Verfassung durchschlägt, so etwa Eckert, AcP 199 (1999), S. 349. 187 Unter Bezugnahme auf die christlich-abendländische Kultur, Staudinger / Sack / Fischinger, § 138 BGB Rn. 23. 188 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 Rn. 142. 189 Diese Formel ist ohnehin Fiktion, siehe Esser, in: ders. / Stein, Werte und Wertewandel, S. 25; Simitis, Gute Sitten, S. 70. 190 Sack, NJW 1985, S. 768. 191 Staudinger / Sack / Fischinger, § 138 BGB Rn. 94; differenzierend Schmöckel, AcP 197 (1997), S. 48 ff.; Meier, Dopingsanktion, S. 141 f. 186

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Teil 2, Kapitel 1

Ausübung der Rechte zu berücksichtigen ist.192 Diese drei Kategorien müssen bei der Abgrenzung daher in den Fokus gestellt werden. Rechtsmissbräuchlich ist die Rechtsausübung, wenn ihre Einwirkung auf die Rechte Dritter zwar nicht interessengerecht, aber dennoch mit der gesellschaftlichen Sozialmoral vereinbar ist, ein abgrenzbarer Personenkreis als Beurteilungsmaßstab herangezogen wird und zeitlich die Unzulässigkeit nicht schon bei Durchführung der Handlung gegeben war. Aus rechtstatsächlicher Perspektive sind die besser handhabbaren Abgrenzungsmomente der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts und der Vergleichsmaßstab der Sittenwidrigkeit von erga omnes oder Rechtsmissbrauch von inter partes. Realiter wird es sich trotz dieser Abgrenzungsgesichtspunkte freilich oft so verhalten, dass eine Zuordnung eines Verhaltens sowohl zur Sittenwidrigkeit als auch zum Rechtsmissbrauch möglich ist. III. Abgrenzung des Rechtsmissbrauchs von der Rechtswidrigkeit

Neben der Abgrenzung zum objektiven Sittenverstoß stellt sich ferner die Frage, ob ein Unterschied zwischen einer rechtswidrigen und einer rechtsmissbräuchlichen Handlung besteht.193 Zur Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick in die Dogmatik des § 823 Abs. 1 BGB, in dessen Rahmen die Kategorie der Rechts­ widrigkeit ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal darstellt. Grundsätzlich ist nach der herkömmlichen Lehre vom Erfolgsunrecht eine Handlung rechtswidrig, wenn sie zu einer tatbestandsmäßigen Rechtsgutverletzung führt.194 Hierdurch wird die Rechtswidrigkeit der Handlungen des Schädigers indiziert.195 Beim Rechtsmissbrauchsverbot steht dagegen grundsätzlich das Verhaltensunrecht im Mittelpunkt, ohne dass es zu einer Rechtsgutsverletzung kommen muss. Ähnlich wie bei Rahmenrechten – z. B. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb – fallen beim Rechtsmissbrauchsverbot Handlungs- und Erfolgsunrecht zusammen.196 Erst durch die Interessenabwägung wird die Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung und des Rechtsgutserfolges positiv festgestellt.197 Anders als bei Rahmenrechten bedarf es jedoch für den Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot keiner Rechts 192 Siehe hierzu nur die Differenzierung der Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB) und der Ausübungskontrolle (§ 242) bei ehevertraglichen Regelungen, Palandt / Brudermüller, § 1408 BGB Rn. 8, 16. 193 Der Spanier Alguer hat dies im Rahmen seines Beitrags zur buena fe in RJC 1927, S. 517 ff. treffend wie folgt umschrieben: „ Bei der Theorie vom Rechtsmissbrauch kommt es zu einem Konflikt zwischen der formellen Rechtmäßigkeit einer Handlung und ihrer materiellen oder inneren Rechtswidrigkeit; […]“ zitiert nach: Eckl, Treu und Glauben, S. 79 f. 194 Jauernig / Mansel, § 823 BGB Rn. 50. 195 jurisPK-BGB / Lange, § 823 Abs.  1 Rn.  59. 196 MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 Rn. 242. 197 MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 Rn. 241.

§ 7 Das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB

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gutverletzung; entscheidender Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Überschreitung des Rechts des Handelnden. Zentral ist also das Verhaltensunrecht. Auch ohne konkreten Erfolg im Sinne einer Rechtsgutsverletzung ist Rechtsmissbrauch als Verhaltensunrecht rechtswidrig, wenn der Richter nach Durchführung der Abwägung eine Überschreitung des Rechts positiv feststellt. Die Rechtswidrigkeit wird mit der Prüfung des Rechtsmissbrauchs durch den Richter anerkannt; anders als bei der Dogmatik des § 823 BGB bedarf es daher nicht zwingend eines verletzten Rechtsgutes und des Erfolgsunrechts. In praxi fällt Rechtsmissbrauch jedoch oftmals mit dem Vorliegen einer Rechtsgutsverletzung zusammen. C. Zusammenfassende Würdigung Die Lehre der unzulässigen Rechtsausübung bildet sowohl für das individuelle als auch das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot den Rahmen. Das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot bestimmt sich nach früherem oder aktuellem Fehlverhalten des Rechtsausübenden oder nach dem Ergebnis einer Interessenabwägung. Nimmt man nur einseitig das Verhalten des Rechtsausübenden in den Blick, ist dieses entweder widersprüchlich, unüblich oder nicht korrespondierend mit dem Vorgehen der anderen Partei. Die Interessenabwägung ist wertungs- oder folgenbezogen. Das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot dagegen wird nach der Zweckwidrigkeit der Rechtsausübung im Hinblick auf das gesamte Rechtsinstitut ermittelt. Ethische Wesenszüge des Rechtsmissbrauchsverbots sind Vertrauen und das Gebot der Rücksichtnahme als Ausprägung materieller Verantwortungsethik; diese Grundwerte müssen jedoch stets im Widerstreit mit der grundsätzlichen Geltung der Privatautonomie als Ausprägung formaler Freiheitsethik gewürdigt werden. Rechtstechnische Parameter der Interessenabwägung sind die Schutzwürdigkeit der Interessen, die Intensität der betroffenen Rechte, die abstrakte Verteilung der Risiken sowie die Zurechenbarkeit des Verhaltens. Die Interessenabwägung ist im Lichte der genannten Prinzipien und Kriterien vorzunehmen.198 Die Abgrenzung zu § 226 BGB zeigt, dass das Schikaneverbot spezieller ist. Während ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot schon bloßes Fehlverhalten ausreichen lässt, hebt das Schikaneverbot auf den alleinigen Zweck der Schädigung ab. Auch der Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB lässt sich vom Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB unterscheiden, da die guten Sitten auf einen größeren Personenkreis als Maßstab Bezug nehmen, eine höhere Eingriffsintensität erfordern und überdies der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder des Rechtsaktes dessen Sittenwidrigkeit festlegt. Rechtsmissbrauch ist Abweichen formaler Rechtmäßigkeit von materieller Rechtswidrigkeit. Es kommt beim Rechtsmissbrauch primär auf Verhaltensunrecht als Verstoß gegen die Pflicht redlichen Verhaltens an. 198

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 144; Heinrich, in: FS Laufs, S. 591.

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Teil 2, Kapitel 1

Insofern besteht der Zusammenhang von Rechtsmissbrauch und Rechtswidrigkeit darin, dass durch die Abwägung des Rechtsanwenders letztere positiv festgestellt wird. Rechtsmissbrauch erfordert jedoch nicht zwingend eine Rechtsgutsverletzung beim Handlungsgegner.

§ 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs Welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot zeitigt, ist bislang noch unbeantwortet. Zur Klärung dieser Frage kommt es auf die Form des ausgeübten Rechts an, das heißt, ob dieses als subjektives Recht oder als Anspruch geltend gemacht wird; je nachdem kommen verschiedene Wirkungen in Betracht, die sich in unmittelbare und mittelbare differenzieren lassen. Den Vergleichsmaßstab zum deutschen Rechtsfolgensystem des Rechtsmissbrauchsverbots bilden die bereits skizzierten Rechtsfolgensysteme der Schweiz, Österreichs, Frankreichs und Englands.199 A. Rechtsfolgen der unzulässigen Rechtsausübung Die primäre Folge eines Verstoßes gegen das Rechtsmissbrauchsverbot ist, dass die unzulässige Rechtsausübung eine Durchsetzung des Rechts grundsätzlich unmöglich macht.200 Für die Rechtsfolgen müssen die unmittelbare und die mittelbare Wirkung des Rechtsmissbrauchsverbots unterschieden werden. Unmittelbar führt das Vorliegen rechtsmissbräuchlicher Rechtsausübung bei Ansprüchen des Gläubigers zu deren Ausschluss. Mittelbar kann es für den Handlungsgegner der rechtsmissbräuchlich handelnden Partei Ansprüche begründen.201 I. Unmittelbare Wirkung: Modifikation der Rechtsausübung

Bei der unmittelbaren Wirkung der unzulässigen Rechtsausübung muss zwischen Ansprüchen und sonstigen subjektiven Rechten unterschieden werden. Anspruch ist im Sinne von § 194 BGB als Recht zu verstehen, von einem anderen ein Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen. Der Anspruch ist damit eine besondere Form des subjektiven Rechts.202 Der Missbrauch des subjektiven Rechts, welches durch die objektiv-rechtliche Grundlage des Gesetzes gewährleistet wird, kann im Falle seines Missbrauchs verschiedene Wirkungen zeitigen. Bei der Frage nach dem 199

Siehe hierzu § 5. Im Falle des § 226 BGB ist die Rechtsausübung insgesamt unwirksam, MünchKomm-BGB /  Grothe, § 226 BGB Rn. 14. 201 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 204; Jauernig / Mansel, § 242 BGB Rn. 36. 202 Wolf / Neuner, BGB Allgemeiner Teil10, § 20 Rn. 22. 200

§ 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs

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Charakter des Rechtsmissbrauchsverbots geht es maßgeblich um zwei Problemkreise. Der eine betrifft die Einordnung als Einrede oder Einwendung, das heißt, ob der Einwand von der Partei zu erheben oder von Amts wegen zu beachten ist. Der andere betrifft die Wirkung, das heißt, ob die Rechtsausübung vollständig zu versagen ist oder ob der nicht rechtsmissbräuchliche Teil der Rechtsausübung seine Wirkung entfalten kann. 1. Rechtsvernichtende Einwendung oder Einrede bei Ansprüchen a) Meinungsstand Nach einer Ansicht handelt es sich beim Rechtsmissbrauchsverbot um einen von Amts wegen zu beachtenden Umstand.203 Die Gegenseite muss also keine konkrete Einrede erheben, sondern der Richter kann die Feststellung des Rechtsmissbrauchs ohne den konkreten Hinweis einer Partei treffen. Die Beachtung als Einwendung ergebe sich aus dem Wesen des Rechtsmissbrauchsverbots als Innenschranke.204 Nach der insbesondere von Roth vertretenen Gegenauffassung handelt es sich im Rahmen der Korrektur und Begrenzung des Gesetzesrechts um eine Einrede.205 Dies gelte gerade auch für das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung.206 Maßgeblich sei insoweit, dass das subjektive Recht des Ausübenden durch subjektive Empfindungen der anderen Partei eingeschränkt werden solle.207 Die Qualifikation als Einrede sei gerade Folge der Variabilität der durch § 242 BGB gefundenen Abwägungslösungen.208 Nur bei einem Ungleichgewicht, der besonderen Bedeutung des öffentlichen Interesses oder einem Fall der Schikane solle der Einredecharak­ ter zurücktreten.209 b) Stellungnahme Das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot ist, wie Roth richtig ausführt, als Einrede und gerade nicht als Einwendung anzusehen.

203

Jauernig / Mansel, § 242 BGB Rn. 36; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 84; Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 41; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 320. 204 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 84; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 320. 205 Roth, Einrede, S. 266; früher auch schon Planck / Siber, § 242 BGB 3. c). 206 Roth, Einrede, S. 262. 207 Roth, Einrede, S. 261. 208 Roth, Einrede, S. 261, 267. 209 Roth, Einrede, S. 261, 267.

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Historisch lässt sich dies schon damit begründen, dass das Rechtsmiss­ brauchsverbot die konsequente Fortsetzung der exceptio doli darstellt.210 Auch die exceptio doli generalis war als Einrede ausgestaltet und erstmals die Innentheorie Sieberts wertete den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zur Einwendung auf.211 Auch von prozessualer Seite ist die Auffassung Roths vorzuziehen, da durch die Einordnung als materiell-rechtliche Einwendung Spannungen mit der prozessrechtlichen Lage entstehen können. Nach der Innentheorie wirkt die Rechtsmissbrauchsschranke im materiellen Recht nicht von außen auf das Recht ein, sondern gestaltet dieses von innen heraus selbst. Eine derartige Herangehensweise übersieht die prozessuale Perspektive, wonach die Parteien beiderseits durch ihren Konflikt die Ausübungsreichweite des subjektiven Rechts austarieren.212 Der Beitrag der vom Rechtsmissbrauch betroffenen Partei stellt sich damit als eigenständige Gegenargumentation und als echtes Gegenrecht dar. Daher verträgt sich das Rechtsmissbrauchsverbot als Einrede besser mit den Grundsätzen des Zivilprozessrechts.213 Überdies sollen nur die Interessen der beteiligten Parteien geschützt werden,214 was über ihre Befugnis zur Disposition besser erreicht werden kann. Ein Vergleich mit § 138 BGB macht den Einredecharakter von § 242 BGB ebenfalls deutlich, weil die Schranke der Sittenwidrigkeit als rechtshindernde Einwendung nicht allein auf die Interessen der am Streit beteiligten Parteien abzielt, sondern sich auf einen sehr viel größeren Personenkreis bezieht.215 Anders als bei § 242 BGB ist damit der ordre public betroffen.216 Als maßgeblicher Gesichtspunkt für die Annahme einer Einwendung wird angeführt, dass es sich beim Rechtsmissbrauchsverbot um eine „Innenschranke“ handele und in der Konsequenz auch deswegen eine von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung vorliegen müsse. Diese von Siebert in Deutschland geprägte Lehre stellt einerseits einen historischen Bruch mit der Lehre der exceptio doli dar und wird andererseits aus rechtstheoretischen Gründen dem subjektiven Recht nicht gerecht. Nach Auffassung der Innenschranke entsteht das Recht nur unter dem Vorbehalt des fehlenden Rechtsmissbrauchs.217 Ein derartiges Verständ­ nis des subjektiven Rechts verkennt, dass es zunächst der Konkretisierung des subjektiven Rechts bedarf und erst dann Schranken des subjektiven Rechts wirken können. Der Vorbehalt besteht auch in der Behauptung, dass Rechtsmissbrauch

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Roth, Einrede, S. 261. Zur Lehre Sieberts Haferkamp, Heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 189. 212 Wieacker, Präzisierung, S. 46. 213 Roth, Einrede, S. 262. 214 Siehe hierzu § 7 B. II. 215 So auch im Ansatz Roth, Einrede, S. 262, der auch § 226 BGB hinzunimmt. 216 Simitis, Gute Sitten, S. 197. 217 Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 392. 211

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überhaupt keine Rechtsausübung sei.218 Dies verkennt, dass die Grenzen eines Rechts zunächst durch Gesetzesauslegung ermittelt werden. Die Frage nach der Missbräuchlichkeit der Rechtsausübung diskutiert dagegen, ob das bereits definierte subjektive Recht aus anderen Gründen in die Schranken gewiesen werden muss. Erst an dieser Stelle, also nach der Gesetzesauslegung, setzt das Rechtsmissbrauchsverbot an. Diese Schranken werden auch von außen an das geltend gemachte Recht herangetragen219 und sind nicht dem Recht immanent, sondern der Situation der Rechtsausübung. Rechtsmissbrauch ist nämlich keine Frage der Regelbildung, sondern der Korrektur durch gesetzliche Regeln definierten Rechts.220 Im Lichte dieser historischen wie auch rechtstheoretischen Gesichtspunkte ist die Innentheorie insgesamt zurückzuweisen. Für die Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots als Einwendung fehlt es damit an der nötigen Prämisse. Vielmehr gehen die Außentheorie und der Einredecharakter des Rechtsmissbrauchseinwandes Hand in Hand.221 2. Umfang der Beschränkung von Rechten und Ansprüchen a) Meinungsstand Nach einer Ansicht wirkt auf der Rechtsfolgenseite das Alles-oder-Nichts-Prinzip:222 Die Rechtsausübung wird als unzulässig festgestellt und die Ausübung des Rechts des Ausübenden entweder vollständig ausgeschlossen oder der anderen Partei ein Recht vollständig zuerkannt.223 In zeitlicher Hinsicht wird die Rechtsausübung nur für den Zeitraum der unzulässigen Rechtsausübung versagt. Persönlich treten die Wirkungen nur zwischen den am Schuldverhältnis beteiligten Parteien ein. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung hat danach eine faktisch rechtsvernichtende Wirkung.224 Ihr Vorliegen führt nach dieser Meinung zum vollständigen Anspruchs- oder Rechtsausschluss.225 A minore ad maius gilt dies nicht nur für den Anspruch, sondern auch für das subjektive Recht.226 Bei der Geltendmachung von Rechten wird im Hinblick auf die Behauptung eines Alles 218

So auch Mader, Rechtsmißbrauch, S. 114. Haferkamp, Rechtsmißbrauchslehre, S. 353. 220 So auch für das schweizerische Recht Zeller, Treu und Glauben, S. 398. 221 Anders aber PWW / Schmidt-Kessel / Kramme, § 242 BGB Rn. 33, die die Außentheorie zwar annehmen, aber vom Einwendungscharakter ausgehen, ebenda, Rn. 36. 222 BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 BGB Rn. 52; tendenziell in diese Richtung MünchKommBGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 226. 223 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 225. 224 Palandt / Grüneberg, § 242 BGB Rn. 41. 225 BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 BGB Rn. 52; MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn.  226; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 225. 226 Raiser, JZ 1961, S. 471, allerdings mit kritischer Einstellung gegenüber der Konzeption des subjektiven Rechts. 219

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oder-Nichts-Prinzips zumeist auf § 162 BGB analog Bezug genommen, wonach aus einem treuwidrigen Ereignis keine Rechte hergeleitet werden dürfen.227 Diese Ansicht kann sich insbesondere auf folgende Argumente stützen: Prävention ist notwendig, weil verhindert werden soll, dass sich Normadressaten im Vertrauen auf das teilweise Zugeständnis eines Rechts treuwidrig verhalten können.228 Neben diesem präventiven Ansatz verhält es sich oftmals so, dass das subjektive Recht nicht partiell gewährt werden kann. Eine lediglich verhältnismäßige Beschränkung der Rechte kommt daher kaum in Betracht. Nach anderer Ansicht wirkt bei Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs die Einrede dahingehend, dass die Rechtsausübung vom Rechtsanwender auf das zulässige Maß korrigiert wird,229 soweit dies möglich ist. Denn es ist grundsätzlich nur eine Beschränkung der Rechte und der Ansprüche vorzunehmen. b) Stellungnahme Die Ansicht, welche die partielle Gewährung des Rechts ermöglicht, ist dem Alles-oder-Nichts-Prinzip vorzuziehen. Das Rechtsinstitut des § 242 BGB unterscheidet sich von § 138 BGB gerade dadurch, dass nur letztgenannte Schranke aufgrund ausdrücklicher Anordnung zur vollständigen Nichtigkeit führt.230 Ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion gilt bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten nicht, weil nur der das rechte Maß überschießende Teil der Rechtsausübung beschränkt werden soll. Auch bei dieser Frage wird bedeutsam, dass bei § 242 BGB eine Außenschranke vorliegt, welche den Missbrauch eines konkretisierten Rechts begrenzt. Nach der Theorie der Innenschranke sei eine „critique de forme“ vorzunehmen, wonach Rechtsmissbrauch nicht Rechtsausübung sein könne.231 Der Akt des Handelnden sei damit aus rechtlicher Sicht zwangsläufig vollkommen nichtig, handele es sich doch nicht einmal um einen Rechtsakt. Er sei damit ein rechtliches Nullum. Nach der vorzugswürdigen Theorie der Außenschranke, also der Differenzierung von Rechtskonkretisierung und Rechtsausübung, wird die Rechtsausübung nicht insgesamt nichtig, sondern lediglich auf den zulässigen Teil reduziert. Rechtsmissbrauch gestaltet sich als

227 Pauly, Die Auslegung des § 162 BGB, S. 28; dies muss allerdings mit dem Zusatz versehen werden, dass § 242 BGB grundsätzlich nur in seiner Beschränkungsfunktion heranzuziehen ist und außerhalb von Bedingungen § 162 BGB eher restriktiv anzuwenden ist. 228 Dieses Argument entspricht demjenigen bei der geltungserhaltenden Reduktion von allgemeinen Geschäftsbedingungen, siehe hierzu umfassend Uffmann, Verbot, S. 2. 229 RGZ 157, 67 (75); BGH, NJW 2009, 1882 (1885); Erman / Böttcher / Hohloch, § 242 BGB Rn. 130; Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 414. 230 Staudinger / Sack / Fischinger, § 138 BGB Rn. 107; Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 225. 231 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 114.

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Rechtsüberschreitung, so dass – soweit dies im Hinblick auf den Anspruch oder das Recht möglich ist – eine partielle Gewähr des subjektiven Rechts möglich bleibt. Insoweit kann wiederum auf die Differenz von § 138 BGB zu § 242 BGB verwiesen werden. Ansatzpunkt einer Interessenabwägung bei § 242 BGB sind die Beziehungen inter partes und nicht wie bei § 138 BGB die Feststellung der Nichtigkeit erga omnes.232 Hinzu kommt, dass es sich bei einem Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot um eine Verletzung der Pflicht zu redlichem oder rücksichtsvollem Verhalten handelt. Das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die anders als § 138 BGB nicht den ordre public berührt,233 führt nicht zur Nichtigkeit, sondern unmittelbar nur zur Unzulässigkeit des pflichtverletzenden, nicht aber des pflichtgemäßen Teils. Dies entspricht auch dem Rechtsfolgensystem des Privatrechts im BGB. Insbesondere für teilbare Ansprüche wie diejenigen auf Geldleistung muss dies gelten.234 Anders als die Nichtigkeit im Sinne der §§ 134, 138 BGB führt der Rechtsmissbrauch damit nicht zu einem Totalverlust des Anspruchs. Ein Auseinanderhalten des Geldleistungsanspruchs in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil entspricht dem Proportionalitätsprinzip am ehesten: Nicht nur das „Ob“ der Beschränkung durch die unzulässige Rechtsausübung, sondern auch die Frage des „Wie“ sind im Rahmen einer Interessenabwägung im Hinblick auf die Rechtsfolgen zu würdigen. II. Mittelbare Wirkung: Anspruchsentstehung bei der Gegenpartei

Aus dem Vorliegen einer unzulässigen Rechtsausübung auf der Rechtsfolgenseite kann sich nicht nur eine Beschränkung ergeben,235 sondern es besteht auch die Möglichkeit der Entstehung von Ansprüchen für den Handlungsgegner. Hierzu gehören etwa Auskunftsansprüche, wenn sich infolge der unzulässigen Rechtsausübung die andere Partei in entschuldbarer Ungewissheit befindet.236 Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung wird zwar zumeist als bloßes Abwehrrecht der anderen Partei verstanden, kann bei Entstehung eines Schadens aber auch Ansprüche pekuniären Inhalts oder Abwehransprüche in Form von Unterlassung oder Beseitigung nach sich ziehen. Eine unzulässige Rechtsausübung zeitigt jedoch nicht automatisch finanzielle Wirkungen, sondern bedarf erst des Vorliegens zusätzlicher Voraussetzungen.237 Einen Anspruch aus § 242 BGB direkt ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen kann man demnach nicht herleiten. 232

Siehe bereits oben § 7 B. II. Roth, Einrede, S. 262. 234 So die etwa summenmäßige Beschränkung der Haftung eines schwarzarbeitenden Handwerkers nach früherer Rechtsprechung, OLG Celle, VersR 1973, 1122, nunmehr aufgrund der Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der Anwendung von § 242 BGB zu diesem Problemkreis aber BGH, NJW 2014, 1805. 235 Siehe hierzu § 8 A. I. 2. b). 236 BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 BGB Rn. 53; 237 So auch BGH, NJW 1981, 1779; für den prozessualen Rechtsmissbrauch Holthausen, Theorie und Praxis, S. 86. 233

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1. Vertraglich und vertragsähnlich In einem bestehenden Schuldverhältnis und innerhalb vertragsähnlicher Gebilde führt ein Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung zu einem Schadensersatzanspruch, wenn kausal ein Schaden bei der anderen Partei entstanden ist. Dies ist Ausprägung von § 242 BGB in Verbindung mit dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB. Zumeist wird aber entsprechend dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ ein Verstoß gegen vertragliche Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB anzunehmen sein.238 Gleiches gilt, soweit die Voraussetzungen der culpa in contrahendo nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB vorliegen, da auch dort § 242 BGB oder § 241 Abs. 2 BGB als Maßstab für eine Pflichtverletzung herangezogen werden können. Bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag kann im Falle rechtsmissbräuchlichen Handelns, soweit nicht bereits das Handeln im Interesse des Geschäftsherrn ab­ gelehnt worden ist, eine Übernahme- oder Ausführungspflichtverletzung begründet sein.239 2. Deliktsrecht Ohne vertragliche Grundlage kann das Rechtsmissbrauchsverbot auf der Rechtsfolgenebene im Deliktsrecht Anwendung finden, da bei Fehlen einer Sonder­ verbindung das Recht der unerlaubten Handlung entweder als Ausprägung wechselseitiger Sorgfalt oder als Verantwortung für eine Gefahrenquelle maßgeblich ist.240 a) § 823 Abs. 1 BGB Führt die rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung zu einer Rechtsgutsverletzung an einem absoluten oder sonstigen Recht in Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, kann die andere Partei auf die deliktische Grundnorm des BGB zurückgreifen. Der missbräuchlich Handelnde hat dann den kausal hierdurch entstandenen Schaden zu kompensieren. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass jede rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung im Falle der positiven Feststellung durch den Richter zugleich rechtswidrig ist.241 Zum anderen betrifft die Frage der rechtsmiss 238

Dies ist schon deswegen so, weil § 241 Abs. 2 BGB maßgeblich von der Rechtsprechung auf Grundlage von §§ 242, 157 BGB entwickelt worden ist, vgl. Palandt / Grüneberg, § 241 BGB Rn. 1. 239 Zum Ausführungsverschulden generell: BeckOK-BGB / Gehrlein, § 681 BGB Rn. 2; Erman / Dornis, § 677 BGB Rn. 47; Jauernig / Mansel, § 677 BGB Rn. 9; jurisPK-BGB / Gregor, § 677 BGB Rn. 39; MünchKomm-BGB / Seiler, § 677 BGB Rn. 56; Palandt / Sprau, § 677 BGB Rn.  12; Staudinger / Bergmann, § 677 BGB Rn. 30 ff. 240 Deutsch / Ahrens, Deliktsrecht, § 1 Rn. 5 ff.; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, S. 3. 241 Siehe oben die Abgrenzung von Rechtswidrigkeit zu Rechtsmissbrauch unter § 7 B. III.

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bräuchlichen Rechtsausübung nur die Art und Weise der Verletzungshandlung. Die Verletzung des Rechtsmissbrauchsverbots stellt eine Verletzung von Verhaltensstandards und damit stets Verhaltensunrecht dar. Folgt man der Lehre des Verhaltensunrechts, ergibt sich schon dadurch eine rechtswidrige Verletzungshandlung.242 Für § 823 Abs. 1 BGB bedarf es aber zur Tatbestandsverwirklichung der Verletzung eines absolut geschützten Rechts oder Rechtsguts, so dass eine rechtsmissbräuchliche Verletzungshandlung nicht ausreicht. Probleme ergeben sich dann nur auf der Ebene des Verschuldens, da eine unzulässige Rechtsausübung weder des Vorsatzes noch der Fahrlässigkeit bedarf 243 und damit gerade nicht dem Verschuldensprinzip folgt. b) §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226 BGB Vor einer Würdigung des Schutzgesetzcharakters von § 242 BGB ist zuvörderst der Blick auf § 226 BGB als spezielles Rechtsmissbrauchsverbot zu richten. Daraus können Anhaltspunkte für den Schutzgesetzcharakter von § 242 BGB resultieren. In der Rechtsprechung wurde bereits entschieden, dass ein Verstoß gegen das Schikaneverbot aus §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226 BGB einen deliktischen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen kann, weil die Rechtsausübung nach § 226 BGB widerrechtlich sei und damit § 823 Abs. 2 BGB direkt Anwendung finde.244 Das Reichsgericht prüft in seiner Entscheidung die Voraussetzungen des Schutzgesetzes nicht. Für § 226 BGB liegen diese jedoch vor. Mit § 226 BGB wird der Schutz der anderen Partei vor allein schädigendem Verhalten des Handelnden bezweckt; der jeweils Betroffene gehört zum geschützten Personenkreis und sein Interesse, Freiheit vor schädigendem Verhalten, wird durch die Norm geschützt.245 Allerdings ist § 226 BGB als besonderes Schikaneverbot nicht mit dem allgemeinen Verbot der unzulässigen Rechtsausübung gleichzusetzen. Die der Vorschrift des § 226 BGB von der Rechtsprechung zugeschriebene Bedeutung beschränkt sich gerade auf das Verbot der objektiven Schadenszufügung; das Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB hat mithin einen weitergehenden Anwendungsbereich, da hierunter eine Abwägung der objektiven Wertigkeit von Interessen fällt, eine Folgenberücksichtigung stattfindet und widersprüchliches sowie nicht schutzwürdiges Verhalten erörtert werden. Selbst wenn das alleinige Interesse an der Schädigung des anderen ebenfalls objektiv bestimmt wird,246 ist das Schikaneverbot ein besonderer Spezialfall des Rechtsmissbrauchsverbots. Bei letzterem führt der Proportionalitätsgrundsatz der beiderseitigen Interessen zur Unzulässigkeit, bei Schikane ist zumindest

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Wilhelmi, Risikoschutz, S. 112 ff. Siehe oben § 7 A. III. 1. 244 RGZ 58, 214 (216); Staudinger / Repgen, § 226 BGB Rn. 37. 245 Jauernig / Teichmann, § 823 BGB Rn. 45; MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 BGB Rn. 389 ff. 246 MünchKomm-BGB / Grothe, § 226 BGB Rn. 4. 243

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Vorsatz im Hinblick auf Handlung und Erfolg erforderlich, ohne dass jedoch eine Schädigungsabsicht notwendig wäre.247 Entscheidendes Kriterium für die Einordnung des § 226 BGB als Schutzgesetz durch das Reichsgericht ist somit das Fehlen eines jeglichen schutzwürdigen Interesses nebst vermutetem Vorsatz,248 während es beim allgemeinen Verbot der unzulässigen Rechtsausübung auf subjektive Kriterien nicht ankommt und schon eine objektive Geringwertigkeit der Interessen zur Annahme des Rechtsmissbrauchs­ verbots genügt.249 c) Das Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB als Schutzgesetz? Soweit § 226 BGB vom Reichsgericht als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB aufgefasst wird, ist über das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB nichts Konkretes gesagt. Denn § 226 BGB erfasst nur konkret schikanöses Verhalten, während das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung schon bei der Wahrnehmung geringfügiger Interessen Platz greift. Dennoch könnte über ein argumentum  a fortiori der Schluss gezogen werden, dass der Schutzgesetzcharakter nicht nur das spezielle, sondern auch das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot erfassen soll. Ob das in § 242 BGB implementierte Verbot der unzulässigen Rechtsausübung ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellt, kann nur anhand der Kriterien des Schutzgesetzcharakters geklärt werden. Ein Schutzgesetz muss Verbotscharakter mit dem Ziel des Individualschutzes haben. Dem Einzelnen muss durch Schutzmaßnahmen gegen den Störer selbst Rechtsmacht an die Hand gegeben werden.250 Des Weiteren muss der Individualschutz durch die Norm bezweckt und nicht lediglich objektivrechtlicher Natur sein. Die Norm muss das betroffene Rechtsgut und das Gesetz vor dem verwirklichten Risiko schützen wollen.251 Schutzgesetzstatus hat das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung dann, wenn es Gebots- bzw. Verbots- und individualschützenden Charakter hat.252 § 242 BGB erfüllt diese Anforderungen an ein Schutzgesetz nicht. Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung hat zwar Verbotscharakter und dient dem Schutz der anderen Partei vor einer unzulässigen Ausübung zuvor konkretisierter Rechte und Befugnisse. Das Verbot hat auch nicht nur objektiv-rechtlichen Gehalt, da die Missbräuchlichkeit einer Rechtsausübung sich meist erst aus der Betroffenheit von Drittinteressen ergibt. Ein konkretes Rechtsgut soll durch das Institut der unzu­ 247

MünchKomm-BGB / Grothe, § 226 BGB Rn. 5. RGZ 58, 214 (216). 249 Siehe hierzu § 7 A. III. 3. 250 Staudinger / Hager, § 823 BGB G Rn. 21. 251 Staudinger / Hager, § 823 BGB G Rn. 27. 252 jurisPK-BGB / Hans, § 823 Abs. 2 Rn. 5 f. 248

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lässigen Rechtsausübung aber gerade nicht geschützt werden. Es fehlt also am Ge­sichtspunkt der Bestimmtheit, weil auf Seiten des Handlungsgegners kein konkretes Rechtsgut betroffen sein muss und zur Bejahung eines Verstoßes gegen § 242 BGB keine konkreten Folgen notwendig sind. Darin unterscheiden sich § 242 BGB und § 226 BGB. Denn die letztgenannte Norm soll konkrete Schäden von den Rechtsgütern des Handlungsgegners abwenden. Gegenüber § 826 BGB bietet §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226 BGB den Vorteil, dass insoweit an die subjektiven Voraussetzungen nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden.253 Hinsichtlich der Schutznormverletzung ist lediglich Fahrlässigkeit notwendig. Gerade die Qualität des Verschuldens ist es jedoch, die dazu führen kann, dass nicht jeder Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung eine pekuniäre Rechtsfolge nach sich ziehen kann. Reichte eine solche Verletzung als Grundlage für eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus, würde die ursprüngliche gesetzgeberische Konzeption unterlaufen. Durch das Deliktsrecht soll ein umfassender Vermögensschutz nämlich gerade nicht erreicht werden.254 § 823 Abs. 2 BGB kommt insoweit grundsätzlich nur Konkretisierungsfunktion gegenüber § 823 Abs. 1 BGB und § 826 BGB255 zu und soll nicht das Deliktsrecht auf einen umfassenden Vermögensschutz erweitern. Eine Ausweitung des deliktischen Vermögensschutzes auf § 242 BGB würde die Grundgedanken des deutschen Schadensrechtes verkennen, wodurch eine dem Art. 1240 CC256 in Frankreich und dem § 1295 Abs. 1 ABGB257 in Österreich ähnliche Generalklausel geschaffen würde. d) § 826 BGB Materiell-rechtlich kommt auch ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB in Betracht. Hierbei handelt es sich um eine schadensersatzrechtliche Generalklausel hinsichtlich des Vermögensschutzes wie in Österreich mit § 1295 ABGB und Frankreich mit Art. 1240 CC. Jedoch sind bei § 826 BGB die Anforderungen zur Erfül 253

Staudinger / Repgen, § 226 BGB Rn. 37. Jansen, Haftungsrecht, S. 524 ff.; Kötz / Wagner, Deliktsrecht, S. 74; MünchKomm-BGB /  Wagner, Vor § 823 BGB Rn. 15; aus diesem Grund wurde anders als in den Naturrechtsgesetzbüchern des ALR, Code Civil und ABGB auch keine schadensersatzrechtliche Generalklausel implementiert, Harke, Allgemeines Schuldrecht, Rn. 262; zur restriktiven Handhabung der deliktischen Schadensersatzpflicht vgl. Materialien bei Mugdan, BGB II – Recht der Schuldverhältnisse, S. 1075. 255 Canaris, in: FS Larenz, S. 48. 256 Art. 1240 CC lautet: Tout fait quelconque de l’homme, qui cause à autrui un dommage, oblige celui par la faute duquel il est arrivé à le réparer. Art. 1240 CC hat den inhaltsgleichen Art. 1382 CC mit Inkrafttreten der französischen Vertragsrechtsnovelle zum 01.10.2016 abgelöst; siehe hierzu bereits unter § 5 C. 257 § 1295 Abs. 1 ABGB lautet: Jedermann ist berechtigt, von dem Beschädiger den Ersatz des Schadens, welchen dieser ihm aus Verschulden zugefügt hat, zu fordern; der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein. 254

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lung der Tatbestandsvoraussetzungen weitaus höher als in Frankreich, wo bereits ein Verstoß gegen das Verbot des abus de droit genügt, um eine Schadensersatz­ pflicht annehmen zu können;258 in Österreich findet sich die schadensersatzrechtliche Generalklausel in § 1295 Abs. 1 ABGB. Für § 1295 Abs. 2 ABGB gelten mit einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung259 ähnliche Grenzen wie für § 826 BGB in Deutschland,260 sodass für das Vorliegen einer sittenwidrigen Schadenszufügung ein besonders verwerfliches Verhalten und ein Schädigungsvorsatz von Nöten sind.261 Rechtsmissbrauch an sich erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB nicht, sondern es bedarf eines Verstoßes gegen die guten Sitten.262 Die Anforderungen bei Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs sind insoweit höher, als es auf subjektiver Ebene eines bedingten Schädigungsvorsatzes im Hinblick auf die Schadensfolgen bedarf.263 Der treuwidrig Handelnde muss die Schädigung des Dritten gerade wünschen. Entscheidend für die Erkenntnis dieses Vorsatzes ist der Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers.264 Diese hohen Anforderungen an § 826 BGB und das enge Verständnis von § 226 BGB vermitteln die dogmatische Grundentscheidung. Nach deutscher Dogmatik ist die Notwendigkeit eines pekuniären Ersatzes bei Vorliegen eines Verstoßes gegen die unzulässige Rechtsausübung – soweit keine Sonderverbindung vorliegt – nicht anerkannt. Anders als in Frankreich oder Österreich existiert im deutschen Recht keine derart weitreichende schadensersatzrechtliche Generalklausel, die allein auf einer Verletzung des Vermögens beruht.265 Im deutschen Recht scheitert der Schadensersatzanspruch damit meist schon auf der Tatbestandsseite, wenn kein Rechtsgut des § 823 Abs. 1 BGB verletzt wurde und weil § 242 BGB kein Schutzgesetz im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB darstellt. e) Keine Erhöhung des Schadensersatzanspruchs aufgrund von Punitive Damages Auf der Rechtsfolgenseite findet keine Erhöhung des Schadensersatzanspruchs durch ein dem Grundsatz der Punitive Damages folgendes pönales Element statt. Ein Strafschadensersatz in der Weise, dass der Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot neben der Kompensation eigenständig sanktioniert würde, existiert nach deutscher schadensrechtlicher Dogmatik nicht. 258

Sonnenberger / Classen, Einführung in das französische Recht, S. 155. Zu den Tatbestandsmerkmalen Mader, Rechtmissbrauch, S. 171 f. 260 Kletecka / Schauer / Kodek, § 1295 ABGB Rn. 77. 261 Palandt / Sprau, § 826 BGB Rn 4, 10. 262 Jauernig / Teichmann, § 826 BGB Rn. 4; MünchKomm-BGB / Wagner, § 826 BGB Rn. 8; Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 24. 263 MünchKomm-BGB / Wagner, § 826 BGB Rn. 8; Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 77. 264 MünchKomm-BGB / Wagner, § 826 BGB Rn. 29; Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 99. 265 Jauernig / Teichmann, Vorb v § 823 BGB Rn. 2; jurisPK-BGB / Lange, § 823 Abs. 1 BGB Rn.  2; MünchKomm-BGB / Wagner, Vorb v § 823 BGB Rn. 15. 259

§ 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs

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Zwar ergeben sich über § 15 AGG266 oder die Gebührenverdopplung im Schadens­ ersatz des Urheberrechts Tendenzen zu einer Verhaltenssteuerung durch das Schadensersatzrecht,267 sodass Strafschadensersatz nicht per se dem deutschen ordre ­public widerspricht. Der Grundgedanke des Strafschadensersatzes ist der deutschen Dogmatik  – bei nicht ausdrücklicher Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder einer gesetzgeberischen Anordnung – trotz dieser Ausnahmen im Grundsatz dennoch wesensfremd:268 Dies zeigt auch der Ordre-public-Vorbehalt in Art. 26 der Rom-II-Verordnung sowie in Erwägungsgrund 32 der Rom-II-Verordnung, der auf das deutsche Bereicherungsverbot im Schadensrecht wörtlich wie folgt Bezug nimmt: „Gründe des öffentlichen Interesses rechtfertigen es, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten unter außergewöhnlichen Umständen die Vorbehaltsklausel (ordre public) und Eingriffsnormen anwenden können. Insbesondere kann die Anwendung einer Norm des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts, die zur Folge haben würde, dass ein unangemessener, über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehender Schadensersatz mit abschreckender Wirkung oder Strafschadensersatz zugesprochen werden könnte, je nach der Rechts­ ordnung des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts als mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) dieses Staates unvereinbar angesehen werden.“269

Selbst wenn man das Schadensersatzrecht durch Sanktionsinstrumente beeinflusst sieht,270 ist auf der Ebene der Rechtsfolgen weiterhin grundsätzlich vom schadensrechtlichen Bereicherungsverbot auszugehen.271 Insbesondere für das Verbot des Rechtsmissbrauchs muss gelten, dass es – soweit nicht die Grenzen der guten Sitten von § 826 BGB überschritten sind – an einer konkreten Verhaltensregel fehlt. Letztlich entscheidet die Abwägung und Bewertung des Richters, ohne dass die Reichweite der zulässigen Rechtsausübung hinreichend bestimmt wäre. Selbst für den Fall, dass man punitive damages als mit deutschem Recht vereinbar ansehen wollte, kann ein Strafschadensersatz für das Rechtsmissbrauchsverbot nicht eingreifen. Denn bei einer nicht konturierten Verbotsnorm wie dem Rechtsmissbrauchsverbot können maßgebliche Funktionen des Strafschadensersatzes wie Abschreckung und Sanktionierung nicht erreicht werden.

266

Hierzu Küster, Strafschadensersatz, S. 301. Ebert, Pönale Elemente, S. 528. 268 Gregor, Das Bereicherungsverbot, S. 252; Wagner, Neue Perspektiven im Schadensersatzrecht, A 72. 269 Zur Problematik des nicht kompensatorischen Schadensersatzes MünchKomm-BGB / Junker, Art. 26 Rom II-VO, Rn. 5 ff.; dies galt auch für die deutsche Vorgängernorm Art. 40 EGBGB. 270 So Ebert, Pönale Elemente, S. 530; Müller, Punitive Damages, S. 361. 271 Zur Irrelevanz moralischer Gesichtspunkte für das Schadensersatzrecht Gisawi, Totalreparation, S. 235; auch für den Umfang Löwe, Prävention, S. 121. 267

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Teil 2, Kapitel 1

3. Quasinegatorischer Schutz: Schikaneverbot und Rechtsmissbrauchsverbot Ein Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot kann auch Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zeitigen, wenn ein Rechtsgut durch rechtsmissbräuchliches Tun verletzt worden ist oder verletzt zu werden droht; der Betroffene kann sich dann auf einen quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach §§ 823 Abs. 1 in Verbindung mit 1004 Abs. 1 BGB analog berufen. Insoweit verhält sich der quasinegatorische Schutz parallel zum Deliktsrecht. Fraglich ist jedoch, ob § 242 BGB nicht einen eigenständigen Abwehranspruch gegen rechtsmissbräuchliches Verhalten begründet.272 Für § 226 BGB als spezielles Rechtsmissbrauchsverbot ist dies umstritten. a) Meinungsstand Es gibt Stimmen, die einen solchen Beseitigungs-273 und Unterlassungsan­ spruch274 für den Anwendungsbereich von § 226 BGB direkt aus dieser Vorschrift herleiten wollen. Die Begründung stützt sich maßgeblich darauf, dass § 226 BGB einen ethischen Rechtsgrundsatz verkörpere und diesem mit allen Mitteln zur Geltung zu verhelfen sei; dies sei daher nicht nur im Wege der Einrede, sondern auch im Wege der Klage – also eines Anspruches – zu gewähren. Eine Bestimmung wie § 1297 Abs. 1 BGB,275 die die Klage ausdrücklich ausschließt, gebe es nicht.276 Nach anderer Ansicht soll ein quasinegatorischer Schutzanspruch aus § 226 BGB direkt nicht hergeleitet werden können, weil ein solcher nur bei Verstoß gegen ein absolutes Recht vorliege.277 § 226 BGB gehe über den Anwendungsbereich der Unterlassungsklage hinaus.278 Hierfür spreche zum einen die Auslegung von § 226 BGB, weil die Norm nur die Unzulässigkeit der Rechtsausübung anordne, eine darüber hinausgehende anspruchsbegründende Wirkung aber in der Vor-

272 § 242 BGB kann in jedem Fall einen eigenständigen Auskunftsanspruch begründen, vgl. hierzu Palandt / Grüneberg, § 260 BGB Rn. 4 ff.; hierzu aber kritisch zuletzt BVerfG, NJW 2015, 1506 (1508). 273 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 162–163. 274 RGZ 72, 251 (254); Erman / Wagner, § 226 BGB Rn. 10; Hübner, Allgemeiner Teil, Rn. 410; MünchKomm-BGB / Grothe, § 226 BGB Rn. 14; Staudinger / Repgen, § 226 BGB Rn. 36; Staudinger11/Werner, § 226 BGB Rn. 8; unklar BeckOK-BGB / Dennhardt, § 226 BGB Rn. 7. 275 § 1297 Abs. 1 BGB lautet: Aus einem Verlöbnisse kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden. 276 RGZ 72, 251 (254). 277 So schon von Blume, AcP 112 (1912), S. 423 ff.; Soergel / Fahse, § 226 BGB Rn. 12; Staudinger12/Dilcher, § 226 BGB Rn. 17. 278 Soergel / Fahse, § 226 BGB Rn. 12.

§ 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs

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schrift nicht niedergelegt sei.279 Zum anderen bedürfe es des Verstoßes gegen ein absolutes Recht.280 b) Stellungnahme Die Annahme eines quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs ist konsequent. Zwar ergibt sich ein solcher Anspruch nicht direkt aus § 226 BGB, der quasinegatorische Schutz folgt aber aus §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226, 1004 Abs. 1 BGB analog. Das ausschlaggebende Kriterium gegen einen quasinegatorischen Unterlassungs­ anspruch aus § 226 BGB direkt ist, dass der Wortlaut die Annahme eines Anspruchs aufgrund der gängigen Begriffsverwendungen nicht zulässt.281 Für das spezielle Rechtsmissbrauchsverbot ist dieser Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch vielmehr auf §§ 1004 Abs. 1 i. V. m. 823 Abs. 2 analog, 226 BGB zu stützen, da allein über diese Paragraphenkette der Anspruchscharakter zum Ausdruck kommt. Gerade vor dem Hintergrund der gewachsenen Dogmatik zu den quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen ist es nicht notwendig, der Vorschrift des § 226 BGB selbst Anspruchscharakter zuzuschreiben. Insofern ergibt sich ein Unterschied zum Auskunftsanspruch aus § 242 BGB;282 an einem allgemeinen Auskunftsanspruch fehlt es aber, so dass die Zuordnung des Auskunftsanspruchs zur Vorschrift über Treu und Glauben als privatrechtlicher Redlichkeitsklausel konsequent ist. Dass es einen quasinegatorischen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen schikanöses Verhalten geben muss, zeigt ferner das generelle rechtstechnische Vorgehen bei quasinegatorischen Abwehransprüchen. Es wird nämlich nicht der Tatbestand des § 1004 BGB um die Rechtsgüter aus §§ 823 Abs. 1, 2, 824 BGB erweitert, sondern die Rechtsfolgen der §§ 12, 862, 1004 BGB werden analog auf die deliktischen Tatbestände angewendet.283 Zwar erfahren damit die deliktischen Schadensersatzansprüche eine Erweiterung ihrer Rechtsfolge, so dass man das Wortlautargument einwenden könnte. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die deliktischen Schadensersatzansprüche anders als § 226 BGB Anspruchscharakter haben und nicht bloße Gebots- oder Verbotsnormen darstellen. Der Verstoß gegen das Schikaneverbot begründet einen quasinegatorischen Anspruch nicht erst dann, wenn Individualrechtsgüter konkret bedroht sind.284 Ansonsten gäbe es schlichtweg keinen Unterschied zwischen § 823 Abs. 1 BGB 279

Von Blume, AcP 112 (1912), S. 424. Staudinger12/Dilcher, § 226 BGB Rn. 17. 281 Von Blume, AcP 112 (1912), S. 424. 282 Palandt / Grüneberg, § 260 BGB Rn. 4 ff. 283 Grundlegend insoweit RGZ 60, 6 (7); auf dem allgemeinen Rechtsgedanken der Abwehr von rechtswidrigen Eingriffen fußend, RGZ 116, 151 (153). 284 Funcke, Actio quasinegatoria, S. 446. 280

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Teil 2, Kapitel 1

und § 823 Abs. 2 BGB. Dennoch muss die Frage nach der konkreten Gefahr eines drohenden Schadens diskutiert werden. Nur wenn ein solcher durch das schikanöse Tun zu befürchten wäre, kann ein Abwehranspruch geltend gemacht werden. Dies wiederum hängt damit zusammen, dass der Unterlassungsanspruch ein Anspruch im Vorfeld der Restitution ist und deshalb die konkrete Gefahr einer Einbuße gegeben sein muss. c) Konsequenzen für das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB Stützt man den quasinegatorischen Unterlassungsanspruch für konkrete Vermögensschäden auf §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 226, 1004 Abs. 1 BGB analog, so folgt daraus, dass § 242 BGB ohne Bedrohung eines absoluten Rechts oder Erreichen der hohen Hürde der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des § 826 BGB für Vermögensschäden keinen quasinegatorischen Anspruch begründet. Denn angesichts dessen, dass ein Verstoß gegen § 242 BGB gerade keine Verletzung eines Schutzgesetzes darstellt, kann auch bei einem drohenden Vermögensschaden quasinegatorischer Schutz auf der Grundlage von §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 242, 1004 Abs. 1 BGB nicht begehrt werden. Dies entspricht letztlich dem Gleichlauf von deliktischem und negatorischem Schutz.285 4. Bereicherungsrecht und Rechtsmissbrauch Das durch einen Rechtsmissbrauch Erlangte kann der Entreicherte im Wege der allgemeinen Nichtleistungskondiktion herausverlangen, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB. Hierfür ist aber der Eingriff in den Zuweisungsgehalt einer geschützten Rechtsposition erforderlich.286 Geschützte Rechtspositionen sind tangiert, wenn die unzulässige Handlung zu einem Vermögenserwerb des Schuldners mit Hilfe der Rechtsgüter eines anderen führt.287 Eine Besonderheit ergibt sich durch die Feststellung des Rechtsmissbrauchsvorwurfs daher nicht. Eine besondere bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlage existiert für die unzulässige Rechtsausübung ebenfalls nicht; für den Anspruch aus § 817 Satz 1 BGB reicht ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Empfängers nicht aus, sondern es muss sich um einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen ein gesetzliches Verbot handeln.288 Gleiches gilt für den Anspruchsausschluss nach § 817 Satz 2 BGB. Im Falle des Bestehens einer Rechtsmissbrauchseinrede kann der Leistende nach § 813 Abs. 1 Satz 1 BGB die Herausgabe des Erlangten verlangen, wenn ihm gegen 285

Wilhelmi, Risikoschutz, S. 102. Palandt / Sprau, § 812 BGB Rn. 40 f. 287 MünchKomm-BGB / Schwab, § 812 BGB Rn. 246. 288 Erman / Buck-Heeb, § 817 BGB Rn. 6; Jauernig / Stadler, § 817 BGB Rn. 6; MünchKommBGB / Schwab, § 817 BGB Rn. 4. 286

§ 8 Rechtsfolgen des Rechtsmissbrauchs

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den Leistungsempfänger eine dauerhafte Einrede entgegenstand und er dennoch geleistet hat.289 Das Rechtsmissbrauchsverbot begründet eine solche peremptorische Einrede,290 so dass im Fall einer erfolgten Leistung das Erlangte zurückverlangt werden kann. B. Zusammenfassende Würdigung Der Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot zeitigt unterschiedliche Wirkungen. Unmittelbar führt er zur Beschränkung eines Anspruchs oder eines Rechts des Handelnden. Diese Begrenzung folgt jedoch nicht dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, sondern einer proportionalen Reduzierung. Nur eine solche Reduzierung, nicht ein vollständiger Ausschluss lässt eine Maßhaltung privatautonomer Rechtsausübung zu. Der mittelbare Wirkbereich ist betroffen, wenn sich aus dem Rechtsmissbrauch für die andere Partei ein Nachteil oder Schaden ergibt. Ein eigenständiger Anspruch aus § 242 BGB selbst steht der anderen Partei nur als Auskunftsanspruch zur Seite. Daneben können sich Unterlassungs-, Beseitigungs-, Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche ergeben. Diese resultieren aber nie aus § 242 BGB direkt, sondern nur in Zusammenwirkung mit echten Anspruchsgrundlagen. Das Rechtsmissbrauchsverbot begründet keinen derartigen eigenständigen Anspruch aus § 242 BGB. Schadensersatzansprüche ergeben sich nur bei einer Verletzung eines deliktisch geschützten Rechts oder im Rahmen vertragsähnlicher Verhältnisse, da aus Gründen der Schadensrechtsdogmatik im deutschen Recht ein umfassender Vermögensschutz nicht gewollt ist. Eine Möglichkeit, Strafschadensersatz zu verlangen, besteht nach deutschem Recht nicht, da ein derartiges Konzept nicht mit dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot zu vereinbaren wäre. Ein Schadensersatz für einen Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot ohne die Verletzung eines absoluten Rechts oder außerhalb eines Vertragsverhältnisses ist daher nur möglich, wenn die hohe Hürde des § 826 BGB genommen wird. Dies ist aber nicht schon bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten der Fall, sondern es bedarf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Sowohl das Verschuldensprinzip als auch die Intensität des Verstoßes sind daher entscheidend für die Bejahung eines deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs.

289

MünchKomm-BGB / Schwab, § 813 BGB Rn. 7. Siehe oben § 8 A. I. 1. b).

290

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Teil 2, Kapitel 2

Kapitel 2

Das Rechtsmissbrauchsverbot in der juristischen Methodik und in der Entscheidungsbegründung Methodik beschreibt die Möglichkeiten eines Rechtsanwenders, ein rechtliches Ergebnis herauszuarbeiten. Dogmatik beschäftigt sich dagegen mit der Frage, ob die vom Rechtsanwender gewählte methodische Möglichkeit auch innerhalb des aktuellen Rechtssystems zugelassen werden kann.291 Das Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchsverbots ist zum Austarieren der argumentativen Möglichkeiten auch von Seiten der Methodenlehre zu betrachten. Denn innerhalb einer Rechtsordnung, die normtextorientiert ist, stellt sich die Frage nach der Verortung von rechtlichen Schranken im Allgemeinen und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs im Besonderen. Rechtsprobleme im Zusammenhang mit dem Rechtsmissbrauch sind auch Methodenprobleme, wenn die Anwendung eines diesbezüglichen Verbots die Beschränkung einer Rechtsposition und infolgedessen eine Einwirkung auf die konkrete Rechtslage mit sich bringt.

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot im deterministischen Rechtsfindungsmodell In den Fokus gerät bei der methodischen Betrachtung die rechtstheoretische Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung.292 Durch die Vergegenwärtigung der Mittel einer juristischen Methodenlehre wird eine Abgrenzung der einzelnen Instrumente auch im Hinblick auf das Rechtsmissbrauchsverbot möglich.293 Zweck dieser Verortung des Rechtsmissbrauchsverbots ist die Erhöhung von Transparenz und Vorhersehbarkeit richterlicher Entscheidungen durch die Offenlegung des methodischen Vorgehens.294 Mittel zur Erreichung dieser Transparenz soll die Bindung des Richters an Gesetz und Recht sein,295 insbesondere durch die Darstellung der angewendeten Argumente an den entscheidungserheblichen Stellen. 291

Adrian, Grundprobleme, S. 85. Die Unterscheidung Auslegung / Rechtsfortbildung wird vereinzelt im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als irrelevant eingeordnet, da für die Bewertung der Rechtsgewinnung generell Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 und 3 GG den Maßstab bilde, Pieroth / Aubel, JZ 2003, S. 506. 293 Die Bedeutung der Methodenlehre im Sinne einer hermeneutischen Auslegungslehre wird von Rechtspraktikern teilweise kritisch reflektiert, Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), S. 21. 294 So auch insbesondere Raisch, Vom Nutzen, S. 82. 295 Nach Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 217, existieren insoweit drei Faktoren, welche die Gesetzesbindung des Richters ausmachen: Der Normtext als Ausgangs- und Zurechnungsgröße, die Rangfolge methodischer Instrumentarien für die Bedeutungsbestimmung und der prozessrechtliche Rahmen und dessen Kritik durch das juristische Schrifttum. Ganz entscheidend ist nach dem herrschenden Sprachverständnis von Wortlautgrenze und Bindung des Gesetzestextes die Rechtserkenntnis mittels anerkannter Methoden, Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rn. 120; auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 102. 292

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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Für eine kritische Analyse des Rechtsmissbrauchsverbots im Zivilprozess ist die Darlegung des methodischen Rahmens notwendig, weil dann die einzelnen Mittel klarer voneinander unterschieden werden können. Eine solche Differenzierung lassen die bisherigen Arbeiten zum in Rede stehenden Untersuchungsgegenstand größtenteils vermissen. Pfister betont lediglich den Vorrang der prozessualen Lösung296 und Baumgärtel297 sowie Zeiss298 legen das ihrer Abgrenzung zugrunde liegende Verständnis der Gesetzesinterpretation nicht offen. Auch Holthausen grenzt nur zu den Instituten der Gesetzesumgehung und des Rechtsschutzbedürfnisses ab,299 bleibt eine Stellungnahme zur methodischen Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots jedoch schuldig. Kudlich bezieht zum ungeschriebenen Missbrauchsverbot im Strafprozess aus Sicht der Methodenlehre Stellung und ordnet dieses – für das Determinationsmodell – als Element gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ein.300 Die im Jahre 2016 erschienene Arbeit von Klöpfer widmet sich der Frage aus europäischer Perspektive.301 A. Methodischer Gehalt des Rechtsmissbrauchsverbots Die Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots in einen methodischen Rahmen ist nur dann notwendig, wenn diesem Rechtsinstitut ein eigenständiger methodischer Gehalt zukommt. Diese Frage wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum nicht einheitlich beantwortet. I. Meinungsstand

Die Qualifikation des Rechtsmissbrauchsverbots als methodisches Instrument wird von einer Ansicht kritisch betrachtet. Das Verbot sei bereits Produkt einer angewandten Methode, nicht aber eine solche selbst.302 Es fehle an einer Lücke als notwendiges Element einer Rechtsfortbildung303 und auch sonst habe das Rechtsmissbrauchsverbot keinen methodischen Charakter, weil es sich nur um eine Sachnorm handele.304

296

Pfister, Treu und Glauben, S. 31. Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 98, betont nur allgemein den Vorrang spezieller Regelungen. 298 Zeiss prüft zwar die Fälle im Wege der Gesetzesinterpretation, Arglistige Prozesspartei, S. 57, durch; ein methodisches Grundkonzept ist aus seiner Sicht nicht nötig, S. 59. 299 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 34 f. 300 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 93; dies freilich für eine Methodik Larenzscher Prägung. 301 Klöpfer, Missbrauch, S. 146. 302 Mader Rechtsmißbrauch, S. 86. 303 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 85. 304 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 85; im Ergebnis so auch Fikentscher / Heinemann, Schuldrecht, Rn. 199, 221. 297

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Teil 2, Kapitel 2

Dagegen vertritt Kudlich differenzierend die Auffassung, dass das Missbrauchsverbot kein methodisches Instrument im engeren Sinne sei, sondern, dass es lediglich eine Norm vorrangig anhand ihres eigenen Inhalts modifiziere.305 Er zweifelt eine generelle Loslösung des Rechtsmissbrauchsverbots aus der Methodik jedoch an.306 Nach einer weiteren Auffassung in der Literatur sei zumindest das zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB und mit ihm das Treu-und-GlaubenPrinzip Ausgangspunkt für richterliche Rechtsfortbildung im Bereich der Lückenfüllung.307 Es habe damit auch methodischen Gehalt, weil es der Rechtsausübung Schranken setze. Innerhalb dieser Auffassung gibt es wiederum unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf die konkrete Ausprägung des methodischen Gehaltes. Teilweise wird § 242 BGB als eine – anderen Spezialnormen gleichwertige – Verhaltensnorm angesehen, nur in Form einer Generalklausel.308 Teilweise wird in ihr lediglich eine Ermächtigungsnorm zur Rechtsgestaltung gesehen;309 vereinzelt wird sie auch als „Hilfsfigur der Methodenlehre“ bezeichnet.310 Bei der Rechtsanwendung selbst repräsentiere das Treu-und-Glauben-Prinzip als Element von Gesetz und Recht mit seinem Fallkanon und seinen Fallgruppen ein ethisches Rechtsprinzip, anhand dessen eine Interessenabwägung durch den Richter erfolgen könne.311 Es gebe zwei Formen der Rechtsfortbildung: Eine über die spezielle Norm und eine über § 242 BGB. Rechtsfortbildung anhand einer speziellen Rechtsnorm komme nur in Betracht, wenn sich diese aus der einschlägigen Rechtsnorm ergebe. Die Abgrenzung solle danach erfolgen, wie groß die Nähe zu einer speziellen Vorschrift sei.312 Die maßgebliche Frage sei letztlich, ob die Gründe für die Entscheidung mehr auf der speziellen Norm oder den Grundgedanken von § 242 BGB beruhen.313 305

Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 95. Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, Fn. 135 auf S. 95 unter kritischer Bezugnahme auf Mader, Rechtsmissbrauch, S. 84. 307 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 24; ebenso Roth, Einrede, S. 256; Siebert, Verwirkung, S. 91; Roth, in: FS Bosch, S. 573, 579; anderer Auffassung aber insoweit Mader, Rechtsmissbrauch, S. 85. 308 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 114. 309 Lehmann, JZ 1952, S. 12 kritisiert insoweit Kegel und Creifelds, vertritt aber selbst nur die Theorie, dass es sich um eine materielle Sachnorm handele. Als prozessuale Ermächtigungsnorm wäre die Vorschrift einzustufen, wenn der Richter – wie von Kegel und Creifelds vertreten – im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Teilung der Leistung stattfinden müsse. 310 Schmidt, in: FS Wieacker, S. 231, 243. 311 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 121; die Bedeutung der Fallgruppen besteht gerade darin, § 242 BGB zu präzisieren, vgl. Weber, JuS 1992, S. 634. 312 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 344, wonach die teleologische Reduktion am Normtext, § 242 BGB näher am Einzelfall ansetzt. Ein Rückgriff auf § 242 BGB ist nicht nötig, wenn der konkrete Sachverhalt unter den konkreten Regelungszweck (eben nicht Normtext) subsumiert werden kann; im Ergebnis auch Staudinger / Honsell, Einl. Zum BGB, Rn. 127. 313 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 127; Roth, JuS 1975, S. 619, hebt diesbezüglich darauf ab, dass es letztlich keine Rolle spiele, auf welcher Ebene die Abwägung der prog 306

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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II. Stellungnahme

Die letztgenannte Auffassung, wonach das Rechtsmissbrauchsverbot methodi­ schen Gehalt in Form einer Rechtsfortbildung habe, ist vorzuziehen, weil sie dem methodischen Gehalt des Rechtsmissbrauchsverbots gerecht wird. Dieser besteht in seiner Wirkung als Schranke. Als korrigierendes Rechtsinstitut ermöglicht das Rechtsmissbrauchsverbot neben der Interpretation des Gesetzes eine Argumentation, sodass neben der Auslegung einer Spezialnorm auch Wertungsgesichtspunkte zum Tragen kommen.314 Diese Kontrollfunktion315 von § 242 BGB ergibt sich aufgrund der gewachsenen Fallgruppen, gerade auch zur Schrankenfunktion316 des Rechtsmissbrauchsverbots. Ebenso wie eine einschränkende Auslegung oder eine teleologische Reduktion zieht das Rechtsmissbrauchsverbot eine Grenze gegenüber dem durch das Gesetz konkretisierten Recht. Die Schrankenfunktion zeigt sich rechtstatsächlich daran, dass die Rechtsprechungspraxis bei der Beschränkung von Rechten auf dieses Institut abstellt.317 Aus der Perspektive der Rechtsprechungspraxis besteht ein Bedürfnis zur Korrektur und Kontrolle unbeschadet weiterer Auslegungs- und Rechtsfortbildungsmittel. Als Veränderungsmöglichkeit einer Rechtslage oder Beschränkung eines Rechts für den Richter als Rechtsanwender ist das Verbot methodisch, weil die Ausübung eines nach Auslegung und Subsumtion zuzuerkennenden Rechts durch richterliche Anordnung rechtstatsächlich beschränkt wird. Die Herbeiführung einer Schrankenwirkung durch ein Institut hat somit stets methodischen Charakter, weil sie methodisch konkretisierte Rechte in ihrem Umfang modifiziert. Aus historischer Perspektive wird der methodische Gehalt der Schrankenwirkung deutlich: Neben der Methode der restriktiven Auslegung war das Element der Billigkeit in der Rechtsgeschichte stets ein Mittel der Schranke von Rechten. So wurde etwa um das Jahr 1600 neben einer restriktiven Interpretation von Gesetzen stets das Mittel der aequitas herangezogen.318 Da die Billigkeit ein Vorläufer und Bestandteil des Treu-und-Glauben-Prinzips und letztlich des Rechtsmissbrauchsverbots ist, greift diese historische Parallelität für das Rechtsmissbrauchsverbot. Neben der restriktiven Auslegung oder teleologischen Reduktion stellt das Rechts-

nostizierten unterschiedlichen gesellschaftlichen Auswirkungen stattfinde. § 242 BGB ordnet er als Einfallstor für die richterliche Rechtsfortbildung ein, vgl. Roth, in: FS Bosch, S. 833. 314 Fischer, Topoi, S. 544. 315 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 316; zur Kontrollfunktion kam es nicht schon im römischen Recht, sondern erst später, weil bona fides und exceptio doli diesen Status noch nicht erreicht hatten, ebenda, S. 319. 316 Vgl. auch zur Schrankenfunktion und dem allgemeinen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 419. 317 So für den Zivilprozess RGZ 102, 217 (222); BGH, NJW 2013, S. 66. 318 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 66.

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Teil 2, Kapitel 2

missbrauchsverbot als Ablösung der Billigkeitskorrektur über das Mittel der aequitas ein weiteres Instrument zur Beschränkung von Rechtslagen dar.319 Insbesondere ist ein Nebeneinander mehrerer als Schranke wirkender methodischer Mittel von Auslegung und Rechtsfortbildung möglich. Diese Parallelität ergibt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht dadurch, dass die nationale Rechtsordnung mit Art. 20 Abs. 3 und 97 GG zwar das Primat des Gesetzes und die richterliche Bindung an dasselbe erklärt, jedoch Rechtsfindung jenseits der Interpretation des Normtextes möglich ist und nötig bleibt. Dies folgt aus der Formulierung „Gesetz und Recht“, überdies aber aus der argumentativen Unvollkommenheit eines allein normtextgestützten Systems.320 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist nämlich der Kategorie „Recht“ zuzuordnen. Letztlich sind damit Institute ohne konkrete Grundlage im Gesetzesrecht hiervon erfasst, soweit mit der Rechtsanwendung im Wege einer Auslegung prinzipielle Gerechtigkeitsansprüche nicht erreicht werden.321 Denn diese Formel von der Bindung an Gesetz und Recht sollte eben nicht nur Gewohnheitsrecht322 – wobei hierunter die Arglisteinrede zu subsumieren wäre – in sich aufnehmen, sondern ferner naturrechtliche Vorstellungen innerhalb der Verfassung repräsentieren.323 Zu diesen naturrechtlichen Grundannahmen gehört das Treu-und-Glauben-Prinzip324 als Grundlage des Rechtsinstituts Rechtsmissbrauchsverbot.325 Ob für die Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots etwa als gesetzesimmanente Rechtsfortbildung – wie von Mader gefordert326 – eine Wertungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit erforderlich ist, muss für die Frage des methodischen Gehalts des Rechtsmissbrauchsverbots nicht entschieden werden. Denn die methodische Wirkung des Rechtsmissbrauchsverbots besteht in seiner Schranken- und Kontrollwirkung, die gerade nicht in der konkreten Norm selbst wurzelt, sondern über § 242 BGB an die konkrete Norm herangetragen wird. Unbeschadet der Voraussetzungen einer Rechtsfortbildung ergibt sich damit durch 319 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 318; allerdings fehlte es bezüglich der Fortsetzung von aequitas im allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot an methodischer Kontinuität, ebenda, S. 319. 320 Dies hängt wiederum mit dem herrschenden positivistischen Paradigma zusammen, dass das Gesetz als dem Sachverhalt vorgeordnete Norm (gerade nicht Normtext) verstanden wird; nur dann ist die hier dargestellte Lückenfeststellung möglich, Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 63. 321 Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 165; Sachs, in: ders., Art. 20 GG6, Rn. 104. 322 So die ursprüngliche Konzeption der Formel „Gesetz und Recht“, Grzeszick in Maunz / Dürig, Art. 20 Abs. 3 GG Rn. 63; anderer Ansicht aber: Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 138. 323 Grzeszick, in: Maunz / Dürig, Art. 20 Abs. 3 GG Rn. 64; allerdings zu konkretisieren mit der Radbruchschen Formel, Hoffmann, Gesetz und Recht, S. 163. 324 Von seiner Grundkonzeption ist das Treu-und-Glauben-Prinzip im Sinne der hellenistischen Philosophie naturrechtlich, siehe hierzu aus römisch-rechtlicher Sicht Behrends, in: Avenarius /  Meyer-Pritzl / Möller (Hrsg.), Institut und Prinzip, S. 106. 325 Reuß, Forum Shopping, S. 200. 326 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 85.

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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das Rechtsmissbrauchsverbot eine Modifizierung des Rechts und der Gesetzesanwendung. Die Modifizierung subjektiver Rechte durch Beschränkung oder Erweiterung ihres Umfangs ist stets Methodik. Damit ist die Ansicht Maders insgesamt zurückzuweisen. B. Auslegung nach dem Determinationsmodell Die seit Savigny327 anerkannten Auslegungsmethoden des Wortlauts, der Historie, der Systematik und des Telos sind Ausgangspunkt juristischer Gesetzesauslegungslehre.328 Als Vorfrage zur Arbeit mit diesen Auslegungselementen ist jedoch die Wahl zwischen den unterschiedlichen Rechtsfindungsmodellen maßgeblich. I. Rechtsfindung nach dem Determinations- oder Rechtserzeugungsmodell

Bei grober Betrachtung existieren innerhalb der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre zwei große Denkrichtungen: Das Determinations- und das Rechtserzeugungsmodell.329 Nach dem Rechtserzeugungsmodell löst der Richter mit der Entscheidung, welche Bedeutung er dem Wort, dem Satz oder einem längeren Text eines Normtextes durch Argumentation beimisst, den Konflikt um die Bedeutung des Gesetzes zugunsten eines für den konkreten Fall maßgeblichen Wortsinns auf.330 Dies entspricht den Auffassungen von Esser 331 und Müller / Christensen.332 Das herrschende Paradigma in Rechtsprechung und Literatur geht dagegen von einem Determinationsmodell der Rechtsfindung aus. Determination bedeutet in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer abstrakten, der Rechtserkenntnis zugänglichen und dem Normtext  a priori immanenten Wortlautgrenze. Rechtserzeugung bedeutet im Gegensatz dazu Bildung von Rechts- und Entscheidungsnorm durch den Richter während der Rechtsfindung.333 Diese Form des Rechts­ erzeugungsmodells greift insbesondere die Entwicklungen in der Linguistik des 20. Jahrhunderts auf, wonach der Text nicht mit der aus ihm gewonnenen Bedeu-

327 Von Savigny stammt ursprünglich folgender Methodenkanon für „gesunde Gesetze“: das grammatische, das logische, das historische und das systematische Element der Auslegung, Savigny, System I, S. 213 f.; Den Gedanken der Teleologie bringt er nur für Gesetze in mangelhaftem Zustand vor; Savigny, System I, S. 222 ff.; siehe hierzu Huber, JZ 2003, S. 5 f. 328 Ursprung sind diesbezüglich wiederum die Digesten des römischen Rechts, welche eine Vielzahl an Interpretationsregeln bereithielten, Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 53. 329 Die Begrifflichkeiten stammen von Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 67; zu den beiden Modellen generell Somek / Fórgo, Nachpositivistisches Rechtsdenken, S. 81 ff. 330 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 347. 331 Esser, Vorverständnis, S. 72. 332 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 526. 333 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 533.

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tung identisch ist.334 Die Rechtsnorm steht nicht im Gesetzestext, sondern es handelt sich bei diesem um ein bloßes Formular. Im Rahmen der Entscheidungsfindung bildet der Rechtsanwender durch argumentative Auseinandersetzung aus diesem Formular die Rechtsnorm heraus. Für das Methodenverständnis und die Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots in ein methodisches Schema ist gerade diese Differenzierung von Determinationsmodell335 und Rechtserzeugungsmodell336 im Hinblick auf die abstrakte Wortlautgrenze a priori eine erste Wegscheide. Je nachdem, ob man diese Grenze als von vornherein abstrakt determiniert anerkennt oder ablehnt, muss sich auch der Prüfungsstandort des Rechtsmissbrauchsverbots als Rechtsfindungsmethode verschieben. Denn im Modell der Rechtserzeugung handelt es sich bei dem Rechtsmissbrauchsargument um ein Konkretisierungselement für die Rechtsnorm.337 Das heißt, dass das Rechtsmissbrauchsargument innerhalb der Normprogrammgrenze Anwendung findet. Es steht als Konkretisierungselement auf gleicher Ebene wie die Auslegungscanones.338 Das Missbrauchsargument gehört nach dem Rechtserzeugungsmodell zur Bildung der Rechtsnorm,339 während es nach dem Determinationsmodell nach seiner Funktionsweise und Stellung ein methodisches Korrektiv gegenüber dem durch den Gesetzeswortlaut begründeten Recht mit sich bringt. Auch vor dem Hintergrund der lediglich im Rahmen des Determinationsmodells vorgenommenen Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung ist daher die Abgrenzung notwendig.340 1. Meinungsstand Eine Auffassung geht von einer solchen abstrakten Wortlautgrenze a priori aus.341 Die Wortlautgrenze wird des Öfteren auch als Wortsinngrenze bezeichnet und soll 334

Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 531; Busse, Juristische Semantik, S. 239; Felder, Juristische Textarbeit, S. 232, aus philosophischer Sicht grundlegend: Wittgenstein, Philo­ sophische Untersuchungen, § 43: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ 335 Dessen bekannteste Vertreter in der Methodenliteratur sind Larenz / Canaris und Rüthers. 336 Als dessen maßgebliche Vertreter sind insbesondere Müller / Christensen anzusehen. 337 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 111, spricht im Zuge dessen von graduellen, nicht qualitativen Unterschieden in der Zurechnung des Missbrauchsarguments. 338 Kölbel, GA 152 (2005), S. 49; Fahl, Rechtsmißbrauch, S. 124, allerdings bezogen auf den institutionellen Rechtsmissbrauch; Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 73, sehen das Rechtsmissbrauchsargument im Hinblick auf seine Grenzziehungsfähigkeit generell kritisch. 339 Nicht eindeutig, allerdings in Ablehnung des deterministischen Sprachmodells Christensen / Kudlich, in: Feldner / Forgo (Hrsg.), Norm und Entscheidung, S. 205. 340 Anderer Ansicht Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 109, der die folgende Abgrenzung im Ergebnis offenlässt. Dennoch deutet er zumindest die Wirkungen beider Lehren hinsichtlich des Rechtsmissbrauchsarguments an, ebenda, S. 111. 341 Rechtsprechung: BGH, NJW 2015, 2901 (2902); BGHZ 179, 27 (34); BVerfG, NJW 2009, 2805; BVerfGE 129, 78 (96); BVerfGK 18, 365 (371); Schrifttum: Bydlinski, Methodenlehre, S. 468; Larenz, Methodenlehre6, S. 322; Zippelius, Methodenlehre10, S. 47; Staudinger / Honsell,

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die äußere Grenze der Auslegung bilden.342 Eine überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und der dogmatischen Literatur vertritt diese These einer abstrakten Wortlautgrenze, die vom Richter lediglich erkannt werden müsse: Der BGH vertritt sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen dieses Paradigma.343 Auch das Bundesverfassungsgericht verwendet die Wortlautgrenze.344 Ferner existiert auch in weiten Teilen des verfassungsrechtlichen Schrifttums die Wortlautgrenze, wird dort jedoch mit Blick auf das Zivil- und Verwaltungsrecht nicht so streng gehandhabt wie im Strafrecht.345 Nur im Rahmen von Art. 103 Abs. 2 GG und der hierbei notwendigen Abgrenzung von Auslegung zur Analogie wird sie konsequent verfolgt. Hiernach ist der Wortsinn Grenze der Auslegung und maßgeblich ist der für den Adressaten erkenn- und verstehbare Wortlaut.346 Der Wortlautgrenze liegt die Annahme zu Grunde, dass es eine objektiv bestimmbare Grenze der Auslegung des Wortlautes eines Normtextes gibt. Diese entspricht dem nach dem Sprachgebrauch noch möglichen Wortsinn.347 Ein Richter könne sein Urteil also mit der Grenze dieses Wortlautes begründen. Diese ergibt sich dann in jedem konkreten Einzelfall aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ante casum. Das ist nach einer innerhalb dieses Paradigmas vertretenen Ansicht etwa dann möglich, wenn durch Wortgebrauchsregeln eine semantische Grenze gezogen werden könne.348 Diese Wortlautgrenze ist für die Abgrenzung von Auslegung und Rechtsfortbildung von maßgeblicher Bedeutung. Nach der anderen Auffassung, dem sog. Rechtserzeugungsmodell, ist diese Grenzziehung unter Berufung auf einen trennscharfen Wortlaut nicht möglich;349 allerdings ist für dieses Verständnis von Normtext und Sprachgrenzen vor allem ein Einl BGB Rn. 126; Klatt, Wortlautgrenze, passim; ders., in: Lerch (Hrsg.), Die Sprache im Recht II, S. 343; Rüthers / Höpfner, JZ 2005, 21 ff.; Meier / Jocham, JuS 2016, S. 393, einschränkend Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 743; differenzierend: Fischer, Topoi, S. 558, zieht die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung über den erkennbaren historischen Normzweck und lehnt die Wortlautgrenze ab. 342 Vom Wortsinn spricht etwa Larenz, Methodenlehre6, S. 322; anders aber: Klatt, Wortlautgrenze, S. 280; differenziert: Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 351a. 343 Beispiele hierfür nur: BGHZ 169, 98 (105); BGHZ 179, 27 (34) (übliche Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung); ein schönes Beispiel gibt auch BGHZ 192, 148 (159) wonach der Begriff „Liefern“ im Rahmen der Wortlautgrenze auch den Ausbau und Abtransport der mangelhaften Kaufsache mitenthalte. Siehe auch: Pötters / Christensen, JZ 2011, S. 388. 344 BVerfGE 129, 78 (96) (inländische juristische Person); BVerfG NJW 2010, 754 (756) (Musizieren als Lärm); BVerfGK 2, 174 (175) (Vereitelung des dinglichen Arrests als strafprozessualer Maßnahme = Strafvereitelung nach § 258 StGB). 345 Statt aller Jarass, in: ders. / Pieroth: GG, Einl. Rn. 7. 346 Degenhart in Sachs, Art. 103 GG Rn. 69; eine Loslösung vom allgemeinen Sprachgebrauch soll vermieden werden, Schulze-Fielitz, in: Dreier: GG, Art. 103 II Rn. 46. 347 Bydlinski, Methodenlehre, S. 468; Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 143. 348 Klatt, Wortlautgrenze, S. 281, kritisch hierzu: Christensen / Kudlich, ARSP 2007, S. 128. 349 Busse, Juristische Semantik, S. 191 f.; Müller / Christensen / Sokolowski, Rechtstext und Textarbeit, S. 129 f. Müller / Christensen, Juristische Methodik I11 Rn. 526; Kudlich, Allgemeines Miss­brauchsverbot, S.  105.

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Perspektivwechsel nötig. Dieser geht mit einem anderen Verständnis von Normtext und von Gesetzesbindung, insbesondere aber von Sprache, einher. Danach sollen Normtext und Norm nicht identisch sein, weil der Text nur ein Formular sei und erst durch den Leser an Bedeutung gewinne. Müller / Christensen formulieren im Lichte dieser nachpositivistischen Rechtslehre, dass der Richter bei der Herstellung des Entscheidungsobersatzes allein verfassungsrechtlichen argumentativen Standards unterliege,350 nicht aber einer a priori feststehenden Wortlautgrenze. Diese argumentativen Standards gelte es einzuhalten, nicht aber eine in der Realität nicht existente semantische Grenze des Wortlauts. Die Linie zulässiger Anwendung ziehe der Rechtsanwender somit durch argumentative Herstellung der Rechtsnorm aus dem Normtextformular selbst. Die Rechtsnorm entstehe damit prozedural im Verfahren.351 Müller / Christensen bezeichnen sie gemäß ihrer Begrifflichkeiten daher als Normprogrammgrenze.352 Auch im Strafrecht komme der Verwendung im Alltagssprachgebrauch lediglich eine besondere, nicht aber die alleinige Stellung zu.353 Das Ergebnis ist eine lex in casu, nicht die „lex ante casum“354 der Vertreter einer abstrakten Wortlautgrenze a priori. 2. Stellungnahme Der Standpunkt zu den Rechtsfindungsmodellen muss zwischen rechtstheore­ tischer Vorzugswürdigkeit und dem herrschenden rechtsdogmatischen Paradigma unterscheiden. Dies hängt mit dem Gegenstand dieser Untersuchung zusammen, die sich auf das Rechtsmissbrauchsverbot im Zivilprozess konzentriert. Zwar ist die Ansicht des Rechtserzeugungsmodells aus rechtstheoretischer Perspektive der Betrachtung richterlichen Tuns vorzuziehen. Denn sie beschreibt als echte Theorie der Praxis,355 was die Gerichte – anders als sie es vorgeben – tun.356 Dennoch wird aus pragmatischen und dogmatischen Gründen für die hier gegenständliche Untersuchung das in der Rechtsprechung vorherrschende Paradigma verwendet. Zu unterscheiden sind also das rechtstatsächliche Tun der Gerichte und ihre methodische Vorstellung, unter der sie ihre Entscheidungen treffen.357

350

Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 347. Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 549. 352 Beispielhaft Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 312. 353 Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 186. 354 Diese Formulierungen stammen von Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 471. 355 Christensen / Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, S. 276; Christensen / Sokolowski, Rechtstheorie 32 (2001), S. 328; auch Bordieu spricht von Theorie der Praxis, vgl. hierzu Conradin-Triaca, Pierre Bordieus Rechtssoziologie, S. 33. 356 Siehe hierzu sogleich unter § 9 B. I. 2. a). 357 Über das Verhältnis von Sollen und Sein, Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 38. 351

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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Die hier auf die Verwendung des Rechtsmissbrauchsarguments im Zivilprozess konzentrierte Kritik muss sich schließlich mit dem herrschenden Paradigma auseinandersetzen, um nicht durch den Perspektivwechsel der Strukturierenden Rechtslehre358 den gesamten Rahmen des Rechtsmissbrauchsverbots zu verschieben. Im Fokus der hier geübten Kritik steht nämlich Rechtsmissbrauch im Zivilprozess im Rahmen des von der Rechtsprechung praktizierten Paradigmas. a) Rechtserzeugungsmodell als rechtstheoretische Realität Die Auffassung des Rechtserzeugungsmodells ist jedenfalls aus rechtstheore­ tischer Sicht vorzugswürdig, weil sie das richterliche Tun in tatsächlicher Hinsicht beschreibt. Die Vorzugswürdigkeit der Normprogrammgrenze der strukturierenden Rechtslehre und die Kritik an der Wortlautgrenze ergeben sich dadurch, dass die strukturierende Rechtslehre den argumentativen Vorgang der Bedeutungsfestsetzung durch den Rechtsanwender beschreibt. Klar ist aus semantischer Sicht nach dem sog. linguistic turn359, dass es eine abstrakte, vom Kontext des Sachverhalts losgelöste Wortlautgrenze und daher auch eine objektiv richtige Interpretation des Wortlauts nicht geben kann. Vielmehr ist die Existenz einer Grenze vor der Argumentation nicht möglich, sondern sie wird erst durch die Argumentation gezogen.360 Die Fiktion einer Objektivität des Wortlauts kann rechtstatsächlich nicht verhindern, dass stets der Rechtsanwender der Norm subjektiv ihre Bedeutung im konkreten Einzelfall gibt.361 Dennoch führt diese Grundannahme des Rechtserzeugungsmodells nicht zur Beliebigkeit, sondern allein zu der Erkenntnis, dass nicht die objektive Richtigkeit der Wortlautauslegung, sondern ihre argumentative Vertretbarkeit Maßstab sein muss.362 Durch Offenlegung des methodischen Vorgehens wird die rechtsstaatlich notwendige Methodentransparenz geschaffen. Das richterliche Tun ist also Rechtserzeugung. Was „richtig“ und „falsch“ ist, ergibt sich im Ergebnis lediglich aus der Deutungshoheit des letztinstanzlichen Gerichts.363 Als Abbild der tatsächlichen Arbeit des Rechtsanwenders verdient dieser sprachwissenschaftliche Ansatz der strukturierenden Rechtslehre somit zwar rechtstheoretisch und als rechtstatsächliche Beschreibung des richterlichen Tuns den Vorzug,364 358 Dies ist die Bezeichnung der Müllerschen Methodenschule, vgl. etwa Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 548 ff. 359 Als linguistic turn wird die Änderung des Verständnisses in der Sprachtheorie und -philosophie verstanden, wonach Worte keinen ontologischen Status haben, sondern auf den Gebrauch in der Sprache abzustellen ist, Adrian, Wissenschaftstheorie, S. 66 (Fn. 88). 360 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 533. 361 Felder, in: Bäcker / Klatt / Zucca-Soest (Hrsg.), Sprache – Recht – Gesellschaft, S. 152–153. 362 Christensen / Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, S. 441. 363 Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 217, sprechen vom Prozess der „Verendlichung“. 364 Im Ergebnis so auch Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 105; den Gewinn der Strukturierenden Rechtslehre für das Zivilrecht deuten Laudenklos / Rohls / Wolf, in: Rückert / Seinecke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts an, S. 559.

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nicht aber bei der hier vorgenommenen Bewertung des Rechtsmissbrauchsverbots unter dem herrschenden Paradigma. Denn die richterliche Arbeit findet ex ante unter dem positivistischen Paradigma statt, wobei ex post genau die argumentative Praxis im Rahmen des Semantisierungsvorgangs vor sich geht, welche die strukturierende Rechtslehre als nachpositivistische Rechtslehre vertritt. b) Determinationsmodell als Paradigma der herrschenden Rechtsdogmatik Für diese Untersuchung soll dennoch  – wie bereits dargelegt wurde365  – das richterliche Vorstellungsbild vom Gehalt der methodischen canones mit feststehendem Wortlaut  a priori zugrunde gelegt werden.366 Denn Analysegegenstand der hier untersuchten Thematik des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess ist gerade das in der Rechtsprechung vorherrschende Paradigma. Dieses entspricht aber ausweislich der Rechtsprechungspraxis dem Determinationsmodell und arbeitet mit der Wortlautgrenze. Das vorherrschende Vorstellungsbild der Fachgerichte bei ihrer Entscheidung ist von diesem Schema geprägt; sie gehen – was sich aus den Entscheidungen einer Vielzahl von Gerichten ersehen lässt367 – von objektiven Wort- und Satzbedeutun­ gen vor einer argumentativen Auseinandersetzung mit diesen aus. So judiziert etwa das Bundesverfassungsgericht, dass die Grenze des Wortsinnes aus Sicht des Bürgers zu bestimmen sei.368 Damit wird aber vorausgesetzt, dass diese ex ante bereits gegeben ist. Grundlage für diesen Maßstab ist die Annahme einer objektiven Sprache und Bedeutung. Der Richter erkennt nach diesem Modell die Grenze des gesetzgeberisch vermittelten Wortlauts, er zieht sie nicht selbst. Auch die ZPO, das GG und eine Vielzahl anderer Gesetze nehmen dieses positivistische Paradigma369 an: Dazu gehören aus verfassungsrechtlicher Sicht Art. 20 Abs. 3 GG, 97 Abs. 1 GG und 103 Abs. 2 GG. Die Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG und das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG setzen einen solchen objektiven Sprachgebrauch einer lex ante casum voraus. Dies zeigt sich beispielhaft auch am Verständnis der Repräsentanten des Parlamentarischen Rates, welche von der bloßen Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung der Rechtsprechung gerade auch für Art. 20 Abs. 3 GG ausgingen.370 Die ZPO arbeitet mit 365

Siehe hierzu bereits § 9 B. I. 2. Beispielhaft für das Arbeitsrecht Vogel / Pötters / Christensen, Richterrecht der Arbeit, S. 139. 367 BGH, NJW 2015, 2901 (2902); BGHZ 179, 27 (34); BVerfG, NJW 2009, 2805; BVerfGE 129, 78 (96); BVerfGK 18, 365 (371); zusammenfassend zum Paradigma von BGH und BAG, vgl. Pötters / Christensen, JZ 2011, S. 388. 368 BVerfGE 87, 209 (224); 126, 170 (197 f.); 130, 1 (43). 369 Haverkate, Gewißheitsverluste, S. 184 spricht in diesem Zusammenhang – basierend auf Kelsen – von einer „Fiktion“. 370 Becker, in: Parlamentarischer Rat XIV/1, S. 746; Dehler, in: Parlamentarischer Rat XIV/2, S. 1179; in dieser Diskussion ging es auch um die Formulierung hinsichtlich der Gesetzesbindung im GVG; Von Mangoldt, in: Parlamentarischer Rat XIV/1, S. 119. 366

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141

der Annahme in § 546 ZPO, das Recht könne richtig angewendet werden, ebenfalls nach diesem Paradigma. Zuletzt ergibt sich durch dieses Axiom einer objektiven Sprache auch der Umstand, dass eine Unterscheidung von Auslegung und Rechtsfortbildung durchgeführt werden kann und muss. Denn nach dem Rechtserzeugungsmodell existiert grundsätzlich nur der Vorgang der Normkonkretisierung, so dass eine Differenzierung in Auslegung und Rechtsfortbildung nach diesem Modell gerade nicht erfolgt. Auch diese Differenzierung entspricht jedoch dem Paradigma der Rechtspraxis371 und der herrschenden Rechtsdogmatik des Art. 103 Abs. 2 GG. Das Verfolgen des deterministischen Ansatzes hat also – vor dem Hintergrund einer Rechtsprechungsanalyse zum Rechtsmissbrauch im Zivilprozess  – zur Grundlage, dass die Strukturierende Rechtslehre und die linguistische Pragmatik in die Vorstellungswelt der entscheidenden Richter nicht vorgedrungen sind. Das bedeutet letztlich, dass das mit dieser Arbeit verfolgte Interesse – nämlich die kritische Betrachtung der gerichtlichen Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot im Zivilprozess –372 nur unter Bezugnahme auf die gesetzgeberisch und gerichtlich praktizierte, objektive Wortlautgrenze erreicht werden kann. Die Analyse der hier gegenständlichen Rechtsprechung zu § 242 BGB im Zivilprozess kann das Rechtserzeugungsmodell somit nicht berücksichtigen, weil die Instanz- und die höchsten Gerichte einer positivistischen Sprachtheorie und damit einem anderen Paradigma verhaftet sind. Im Rahmen dieser praktizierten Sprachtheorie ist daher auch der methodische Standort des Rechtsmissbrauchsverbots zu situieren. Der Gedanke, dass die Sprache und die Grenze einer Sprachverwendung realiter nicht objektivierbar sind und die Rechtsnorm aus dem Normtext durch den Rechtsarbeiter mittels einer Vielzahl an Konkretisierungselementen erst erzeugt werden kann, führt als Fundamentalkritik des Rechtsfindungsparadigmas noch weiter. Umfassend wird danach nicht nur die Behandlung des Rechtsmissbrauchsarguments im Schema der Rechtsdetermination, sondern das gesamte Paradigma der Determination an sich bewertet. Damit entfernte sich diese Untersuchung aber zu weit von ihrem Gegenstand.373 Mit Blickrichtung auf die Frage dieses Kapitels, an welchem Ort sich ein Rechtsmissbrauchsverbot in eine Methodik von Auslegung und Rechtsfortbildung einfügt, muss im Lichte einer kritikfokussierten Arbeit daher das positivistische Paradigma der Rechtsanwender zugrunde gelegt werden. Die rechtstheoretisch vorzugswürdige nachpositivistische Rechtslehre Müllers, die bisher nur vereinzelt

371

BGHZ 169, 98 (105); BGHZ 179, 27 (34); BGHZ 192, 148 (159). Siehe hierzu unter § 1 A. 373 Treffend formuliert dies Kotsoglou, Forensische Erkenntnistheorie, S. 212: „Man verbessert einen Diskurs nicht, indem man alles auf einmal in Zweifel zieht, sondern verlässt ihn.“ 372

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in die Rechtspraxis – dort aber meist unreflektiert – vorgedrungen ist,374 ist damit nicht Gegenstand der weiteren methodischen Verortung. II. Auslegung nach dem Wortlaut

Grundlage des methodischen Vorgehens innerhalb des Determinationsmodells ist die Differenzierung von Auslegungsmittel in Wortlaut, Historie und Systematik und vom Auslegungsziel, dem sog. Telos. Diese Unterscheidung geht maßgeblich auf Rüthers zurück.375 1. Der Sprachgebrauch als Mittel der Wortlautuntersuchung Unter dem Blickwinkel des bei den Gerichten vorherrschenden Determinationsparadigmas gestaltet sich Auslegung abgestuft. Ausgangspunkt im Hinblick auf die Auslegung des Gesetzes ist der Text des Gesetzes, wobei seitens des Normunterworfenen zunächst auf den allgemeinen Sprachgebrauch376 zurückgegriffen werden muss. Dieser kann empirisch, also etwa im Wege einer Sprachgebrauchsanalyse,377 nicht auf ökonomische Weise gewonnen werden. Mittel und Erkenntnisgrundlage hierfür können jedoch allgemeine Wörterbücher der deutschen Sprache oder die eigene Sprachkompetenz sein.378 Auch historische Wörterbücher zum Zeitpunkt des Erlasses des jeweiligen Gesetzes können Aufschluss über den Sprachgebrauch geben. Die Abbildung des allgemeinen Sprachgebrauchs durch ein Wörterbuch ist jedoch schon dadurch begrenzt, dass es nicht abschließende Gebrauchsbeispiele beinhaltet.379 Dennoch ist das Heranziehen derartiger Werke nützlich, um aus einem Nicht-Normtext als Quelle ein Gebrauchsbeispiel anzuwenden.380 Eine Sprach­

374 Zum Begriff des Normbereichs etwa BVerfGE 74, 289 (350 ff.) [Landesmediengesetz Baden-Württemberg]. 375 Die Differenzierung folgt hier der Lehre von Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 725 ff.; die Gefahr der Vermengung dieser Auslegungsmittel und des Auslegungsziels besteht in der nicht kenntlich gemachten möglichen Rechtsfortbildung durch den Rechtsanwender. Diese Differenzierung wird ebenfalls von Mennicken, Ziel der Gesetzesauslegung, S. 104, vertreten. 376 Der sprachanalytische Ansatz Alexys besagt insoweit folgendes: Es gibt keine abstrakt feststehenden Linien einer Wortlautgrenze, sondern semantische Grenzen einer Wortlautauslegung. Der Unterschied von Auslegung und Rechtsfortbildung bestehe in dem Befolgen von Wortgebrauchsregeln, siehe hierzu Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, S. 280 f.; hierzu kritisch: Christensen / Kudlich, ARSP 2007, S. 142. 377 Hamann, in: Vogel (Hrsg.), Zugänge zur Rechtssemantik, S. 200. 378 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 738; Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 140. Kritisch zur Verwendung des Wörterbuchs Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 351d, die den bloßen Beispielcharakter der Verwendung von Wörterbüchern hervorheben. 379 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 351d; anderer Ansicht Jacobi, Methodenlehre der Normwirkung, S. 28, der von der Normativität von Wörterbüchern ausgeht. 380 So auch Kudlich / Christensen, JR 2011, S. 151.

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verwendungsgrenze  a priori im Sinne einer befehlsähnlichen Gesetzesbindung ergibt sich hieraus jedoch nicht. In diesem Rahmen stellt sich ferner die Problematik, ob die Worte entstehungszeitlich oder geltungszeitlich ausgelegt werden müssen. Stellt man das historische gesetzgeberische Verständnis eines Wortes in das Zentrum einer Textauslegung, ist die entstehungszeitliche Auslegung maßgeblich; der Schwerpunkt liegt freilich auf dem heutigen Sprachverständnis – hiervon geht der Rechtsanwender bei der Lektüre des Textes aufgrund seiner sprachlichen Sozialisation aus, sodass die geltungszeitliche Auslegung vorrangig ist.381 Der allgemeine Sprachgebrauch erlebt überdies Durchbrechungen, indem ihn der besondere Sprachgebrauch der Adressaten und Rechtsbetroffenen im Rahmen eines besonderen Normbereichs ablösen kann. Auch der juristische Sprachgebrauch durchbricht die allgemeine sprachliche Übung. Für eine Abstufung hinsichtlich der Berücksichtigung des Sprachgebrauchs bei der Auslegung vertritt etwa Bydlinski folgendes Schema: Zunächst ist der juristische Sprachgebrauch, dann sind der Sprachgebrauch des Adressatenkreises und im Anschluss daran der allgemeine Sprachgebrauch als Maßstab anzulegen.382 Die Rechtsprechung selbst arbeitet in Entscheidungsbegründungen primär mit dem Laien- und nicht mit dem Fachsprachengebrauch,383 was aus Gründen der Adressatenstellung des Normalbürgers auch rechtsstaatlich am besten vertretbar ist. 2. Die Kontext- und Strukturuntersuchung als weitere Mittel der Wortlautauslegung Neben dieser Untersuchung des Wortes an sich sind auch die Untersuchung des Textumfeldes und die Einordnung des einzelnen Ausdruckes in das Textumfeld notwendig. Die sog. Kontextuntersuchung ist dabei Teil der Wortlautauslegung.384 An diese schließt sich die Untersuchung der Satzstruktur an, da sie Aufschluss über das Verhältnis von Tatbestandsmerkmalen zueinander geben kann, sog. Strukturuntersuchung.385 Die Verzahnung mit der systematischen und historischen Auslegung wird deutlich, da diese für das Wortverständnis maßgeblich sind.386 Man kann die 381

Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 88, geht sogar noch weiter, da er die Differenzierung von geltungszeitlicher und entstehungszeitlicher Auslegung davon abhängig macht, ob Fachsprache (entstehungszeitlich) oder allgemeine Sprache (geltungszeitlich) in Rede stehen. 382 Bydlinski, Methodenlehre, S. 439, schlägt diese Hierarchie vor. 383 Hamann, in: Vogel (Hrsg.), Zugänge zur Rechtssemantik, S. 193 hat bei 282 Entscheidungen ein Verhältnis von 165 Verwendungen von Laiensprachgebrauch zu 62 Verwendungen von Fachsprachengebrauch ausgemacht (bei 55 unklaren Verwendungen). 384 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 141 differenzieren die grammatische Ausle­ gung weiter in Wortlaut-, Kontext- und Strukturuntersuchung 385 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 144; diese Normtextorientierung steht auch im Einklang mit der Strukturierenden Rechtslehre, da hiernach im Zweifel das normtextnähere Argument den Vorrang genießen soll, so Christensen, ARSP 1987, S. 92. 386 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 737.

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Kontextuntersuchung auch als Teil der systematischen Auslegung einordnen, weil der unmittelbare Kontext auch sachlich-inhaltlich auf Kohärenz überprüft wird. III. Auslegung nach der Systematik

Die systematische Auslegung ist einerseits Auslegungshilfe für den Gesetzeswortlaut und gleichermaßen selbständiges Auslegungsmittel. Grundgedanke hierbei ist, dass die Einordnung eines Gesetzes auf dem einheitlichen Regelungsplan eines gewissen Normkomplexes fußt.387 Was die systematische Auslegung und die Reichweite des „Systems“ anbetrifft, herrscht innerhalb der Methodenlehre Uneinigkeit. 1. Systematische Auslegung als Auslegungsmittel Unterscheiden lässt sich die systematische Auslegung in eine äußere und eine innere Systematik.388 Bei der äußeren Systematik kommt es darauf an, welche Überschrift die streitgegenständliche Norm trägt, in welchem Abschnitt sie steht und wie das Gesetz aufgebaut und gegliedert ist. Diese Auswertung des Normkontextes muss sich aber darauf beschränken, den Wortlaut der entsprechenden Normen darzulegen, indem man eine konkrete Wortverwendung festlegt. So können etwa Gebrauchsbeispiele für Wortverwendungen im Textfeld, das die auslegungsbedürftige Norm umgibt, ein Indiz für die konkrete Verwendungsweise eines Begriffs geben. 2. Systematische Auslegung als Kontrollinstanz des Auslegungsergebnisses Maßgeblich ist für die systematische Auslegung die innere Systematik, ob also die Wertungen der untersuchten Norm  – als Ergebnis der Auslegung  – mit den Wertungen anderer Vorschriften übereinstimmen.389 Diesen Schritt kann man erst gehen, wenn das Auslegungsergebnis der in Bezug genommenen Normen bereits feststeht. Denn ein Vergleich mit den Wertungen anderer Gesetze kann denklogisch erst im Anschluss an die Ermittlung des konkreten Zwecks der zum systematischen Vergleich herangezogenen Norm stattfinden.

387

Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 746. So insbesondere Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 55. Diese Differenzierung geht auf Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, S. 137 ff. (hier insbesondere zur inneren Sys­tematik) zurück. 389 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 63. 388

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Es bietet sich an, die systematische Auslegung im Wege einer umgekehrten Normenhierarchie zu verfolgen; das führt dazu, dass man ausgehend von einer Betrachtung der Sätze und Absätze390 im unmittelbaren Umfeld der maßgeblichen Vorschrift systematisch Wertungen heranzieht. Diesen Schritt erweitert man eine Ebene weiter auf die direkt im Komplex befindlichen Regelungen, wiederum eine Ebene weiter auf das gesamte einfache Recht im Kontext der in dem Rechtsgebiet maßgeblichen Vorschriften und sodann auf die Verfassung sowie das Unionsrecht. Auf der Ebene der Systematik kann dadurch die Überprüfung der gefundenen Wertung anhand gleichrangiger Gesetze, bei weitem Verständnis der systematischen Auslegung auch die Wertung der Verfassung und des Unionsrechts, zum Tragen kommen. Eine abstrakte Grenze für die Reichweite der systematischen Auslegung existiert grundsätzlich nicht; Schranken setzt hier allein die Pflicht des Richters zu einer Entscheidung in bestimmter Zeit und das Erfordernis der Einhaltung argumentativer Standards.391 Zwar könnte man eine normtextbezogene Auslegung darauf beschränken, dass der den Text unmittelbar umgebende Normtext eine entscheidende Grenzmarke bildet. Abstrakt lässt sich diese Schranke jedoch nicht ziehen. Im Bereich des Zivilprozessrechts wäre nach dieser Auffassung das Ende der systematischen Auslegung der Gesetzestext der ZPO. Ein Rekurs auf andere Prozessgesetze enthielte dagegen schon die Einbeziehung analoger oder dogmatischer Gesichtspunkte und wäre gerade nicht mehr streng normtextsystematisch bezüglich einer Textinterpretation. Eine systematische Auslegung auf normhierarchisch gleicher Ebene ist zumindest für einfache, formelle Gesetze sinnvoll. Hierdurch wird die systematische Argumentation nicht zu stark eingeschränkt. 3. Einbettung von Generalklauseln in die systematische Auslegung Konkret auf diese Untersuchung bezogen stellt sich die Frage, ob die Generalklausel des § 242 BGB als Referenznormtext für das Rechtsmissbrauchsverbot nicht schon Gegenstand einer systematischen392 oder verfassungskonformen Auslegung ist. Zunächst könnte man von einer Anwendung des § 242 BGB oder des in dieser Vorschrift verorteten Rechtsmissbrauchsverbots im Rahmen einer systematischen Auslegung ausgehen, da es sich als einfaches, formelles Gesetz um einen systematisch auslegbaren Normtext handelt. Die systematische Auslegung basiert maßgeblich auf der Bezugnahme einfacher Gesetze. Berücksichtigt man jedoch, dass Generalklauseln wie §§ 138, 242 BGB als Elemente der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten die Privatrechtsordnung für eine Abwägung von Werten und In-

390

Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 368, sprechen ab dem Zeitpunkt der Verknüpfung zweier Normtexte zu einem Argument von systematischer Auslegung. 391 Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 217. 392 Diese Problematik der Einordnung der Generalklausel von § 242 BGB in die Methode der systematischen Auslegung deuten mit Blick auf Alexys Prinzipientheorie Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 756d, an.

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teressen öffnen,393 ist angesichts der Ergebnisoffenheit einer solchen Abwägung im Rahmen einer systematischen Auslegung kein Raum für § 242 BGB. Denn letztlich werden bei einer solchen Abwägung dogmatische und prinzipielle Erwägungen auf der Grundlage konkret-individueller Tatsachen angestellt, so dass ein hinreichend unmittelbarer Normtextbezug fehlt. Rechtsprinzipien, auch wenn sie einfachgesetzlich normiert sind, sind grundsätzlich nicht Gegenstand einer systematischen Auslegung.394 Bis auf eine Wertungsgrundlage lässt sich eine hinreichend konkrete Normaussage und damit eine konkretisierte gesetzgeberische Wertentscheidung nicht aus ihnen herauslesen. Hinzu kommt, dass ein anderes Verständnis den Grundsatz lex specialis derogat legi generali aushebelte. Um eine Begrifflichkeit nachvollziehbar zu machen, bringt der Rekurs auf ein Mittel der Abwägung keinen konkreten Informationsgewinn mit sich, wenn nicht zuvor konkret bestimmbare Rechtsbegriffe ausgewertet worden sind. Generalklauseln zeichnen sich durch ihre besondere Offenheit395 und geringere Kontrollierbarkeit der Bedeutungsbestimmung aus.396 Spezielle Vorschriften sind daher im Rahmen der systematischen Auslegung vor Generalklauseln zu prüfen. Das Rechtsmissbrauchsverbot bleibt dagegen auf Ebene der systematischen Auslegung außen vor. 4. Präjudizien als systematisches Argument? Die Argumentation mit Präjudizien, also Urteilen anderer Gerichte in ähnlich gelagerten Sachverhalten, gehört ebenfalls nicht zur systematischen Auslegung. Nach teilweise vertretener Ansicht handelt es sich um eine andere Rechtsquelle,397 zumindest aber um eine andere Rechtserkenntnisquelle.398 Präjudizien entfalten in der deutschen Rechtsordnung gerade keine Bindungswirkung, haben aber für die Wahl einer bestimmten Auslegung Argumentationscharakter.399 Grundlage hierfür ist der Vertrauensschutz des Verfahrensbeteiligten in die Gerichtspraxis.400 Bei Zitierung früherer, ähnlich gelagerter Rechtsprechung in einer späteren Ent 393

Nach der Differenzierung von Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 308, in offene und rechtssatzförmige Prinzipien dürfte es sich bei Treu und Glauben um ein solches offenes Prinzip handeln. 394 In diese Richtung auch Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 185; die systematische Auslegung versucht aus dem Gesamttext eines Gesetzes bzw. der Gesetze den Regelungsplan zu erschließen, während Generalklauseln bzw. Prinzipien erst noch eine Abwägung von Werten erfordern, Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 756d. 395 Auer, Materialisierung, S. 55. 396 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 318. 397 Vogel, Methodik, S. 83 f.; anderer Ansicht: Effer-Uhe, Präjudizien, S. 69. 398 Larenz, in: FS Schima, S. 262. 399 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 540; Vogel / Christensen / Pötters, Richterrecht der Arbeit, S: 208; zur Geschichte der Präjudizientheorie Weller, Präjudizien, S. 60 ff. 400 Vogel / Christensen / Pötters, Richterrecht der Arbeit, S. 209.

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scheidung muss keine neue Argumentation entwickelt werden.401 Dies führt zur Effizienz dieses Arguments. Bei der Argumentation mit Präjudizien handelt es sich um einen Ähnlichkeitsvergleich von Fällen untereinander und in seiner Wirkung um ein argumentum ab auctoritate. Ziel ist eine kohärente Auslegung auf der Basis der Beobachtung der eigenen Rechtsprechung und der Rechtsprechung anderer Gerichte.402 Eine Einordnung als Element der systematischen Auslegung des Gesetzes ist daher nicht möglich.403 Präjudizien können allenfalls als Autoritätsargumente herangezogen werden.404 Die Beiziehung von Präjudizien kann jedoch als argumentum a simile gerade auf der Ebene der Subsumtion stattfinden, wenn es um die wertende Zuordnung eines Falls unter die konkrete Regel geht. Die Rechtsprechung bedient sich im Hinblick auf die Frage des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess dieses Arguments der Präjudizien als Einführung des Rechtsmissbrauchsverbots in die Entscheidungsgründe, meist ohne jedoch zuvor eine konkrete Auslegung spezieller Normen vorgenommen zu haben. Das Präjudiz bezieht sich nach der Rechtsprechung nur auf die Frage, ob das Institut des Rechtsmissbrauchs allgemein im Erkenntnisverfahren Anwendung finden darf.405 Die inhaltliche Prüfung des Rechtsmissbrauchs wird dadurch nicht entbehrlich. IV. Genetische und historische Auslegung

Unterschieden werden ferner die genetische und die historische Auslegung. Die genetische Auslegung arbeitet mit Nicht-Normtexten wie etwa amtlichen Begründungen und Parlamentsreden, während die historische sich auf Normvorbilder und Normvorläufer, also Normtexte, konzentriert.406 Neben dem Wortlaut des auszulegenden Textes ist die Entstehungsgeschichte des Textes in vielen Fällen von zentraler Bedeutung. Die historische Auslegung hat in zeitlicher Hinsicht den Kontext der Vorgeschichte, die Entstehungs- sowie Entwicklungsgeschichte des Gesetzestextes zum Gegenstand.407 Diese Vorgeschichte nimmt beispielsweise die

401 Vogel / Christensen / Pötters, Richterrecht der Arbeit, S: 210; mit Hinweis auf den präsumtiven Charakter von Präjudizien Gröschner, JZ 1987, S. 904. 402 Müller / Christensen, Juristische Methodik II, S. 308; zur diesbezüglichen EuGH-Spruchpraxis Pötters / Christensen, JZ 2012, S. 290. 403 Bydlinski, Methodenlehre, S. 510; Henninger, Europäisches Privatrecht, S. 446, ordnet Präjudizien trotz Rechtsquellencharakters für die Auslegung als systematisches Argument ein. 404 Fischer, Topoi, S. 543. 405 Siehe zuletzt BGH, VersR 2013, 1283 (1284): „Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts unterliegt jede Rechtsausübung – auch im Zivilverfahren – dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2007 – V ZB 83/06, BGHZ 172, 218 Rn. 13 f.; vom 2. Mai 2007 – XII ZB 156/06, NJW 2007, 2257 Rn. 12 f.; Urteil vom 19. Dezember 2001 – VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 323; BVerfG, NJW 2002, 2456, jeweils mwN).“ 406 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 360. 407 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 65–67.

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Betrachtung von Vorgängerregelungen sowie dokumentierte Äußerungen im vorparlamentarischen Raum in das Blickfeld.408 Die Konzentration bei der genetischen Auslegung selbst erfolgt mit Blick auf die gesetzgeberischen Materialien, also den Referenten- sowie den Regierungsentwurf, die Bundestags- und Bundesratsdebatte sowie die Ausschussprotokolle.409 Maßgebend soll nach einer teilweise vertretenen Ansicht nicht die Gesetzesbegründung, sondern lediglich die dokumentierte Vorstellung im Rahmen der Beratungen sein.410 Dies gilt zum einen für den historisch-gesellschaftlichen, zum anderen für den dogmengeschichtlichen Kontext sowie den historischen Regelungswillen des Gesetzgebers.411 Für den soziohistorischen Anteil ist die Klärung des historischen und sozialen Rahmens hilfreich, der dogmengeschichtliche Teil widmet sich dagegen der Auslegung der Begriffe und deren Wandel.412 Bei der historischen und genetischen Auslegungsmethode handelt es sich nach Rüthers um den zentralen Schritt der richterlichen Vorgehensweise im Anschluss an die Feststellung des Wortlauts413, da die Erkenntnis des gesetzgeberischen Willens aufgrund der richterlichen Bindung an die Gesetze ein verfassungsrechtliches Gebot sei.414 Das Bundesverfassungsgericht sieht das Element der historischen Auslegung als zumindest gleichwertigen Auslegungsfaktor an.415 Bei Heranziehung von nicht im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren erstellten Quellen, insbesondere unter Berücksichtigung des historisch-gesellschaftlichen Kontextes, wird dagegen nach anderer Auffassung die Ebene der juristischen Hermeneutik überschritten.416 Hat sich durch den Zeitablauf zwischen Erlass und Anwendung des Gesetzes der Normbereich oder die zugrunde liegende Wertvorstellung geändert, so ist diese Veränderung durch den Richter in seiner Entscheidungsbegründung zunächst darzustellen; erst dann kann er – allerdings im Wege der Rechtsfortbildung, nicht in Form einer Auslegung – über den konkreten Einzelfall entscheiden.417 In diesem Fall liegt eine Wertungslücke vor. 408

Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 65. Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 66; Kischel, Die Begründung, S. 291, differenziert insoweit zwischen formeller Begründung (amtliche Begründung, Leitvorschriften) und informeller Begründung (Willenskundgabe in Materialien). 410 Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 150. 411 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 795; die Bedeutung der Entstehungsgeschichte betonen auch Reinicke G. / Reinicke D., NJW 1952, S. 1036. 412 Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 78, S. 619. 413 Eine derartige „Feststellung“ ist wiederum nur nach einem Sprachverständnis möglich, wonach das im Normtext verwendete Wort ein Behältnis darstellt; siehe hierzu bereits unter § 9 B. I. 2. 414 Fischer, Topoi, S. 489, 492; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie8, Rn. 794. 415 BVerfGE 58, 45 (57). 416 Bydlinski, Methodenlehre, S. 451. 417 Die Frage nach geltungs- oder entstehungszeitlicher Auslegung stellt sich damit erst, wenn der ursprüngliche Gesetzeszweck ermittelt worden ist, Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie8, Rn. 795. 409

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V. Die Reichweite der teleologischen Auslegung

Gängig ist  – wie bereits ausgeführt wurde418 die Lehre von vier Auslegungsmethoden, nämlich Wortlaut, Systematik, Historie und Telos. Eine abstrakte Rangfolge dieser Auslegungsmittel wird zwar häufig diskutiert,419 ist aber für die sich hier stellende Frage der methodischen Einbettung des Rechtsmissbrauchsverbots nicht von Belang. Unter dem für diese Untersuchung zugrunde gelegten deterministischen Paradigma bricht stets der Streit zwischen subjektiv-teleologischer und objektiv-teleologischer Auslegung auf.420 Für die Frage der Einordnung des Rechtsmissbrauchsverbots ist dies bedeutsam, da bei einem weiten Verständnis der objektiv-teleologischen Auslegung mit Argumenten wie genereller Sachgerechtigkeit und -gemäßheit sämtliche Missbrauchsfälle automatisch in den Bereich der Auslegung fielen.421 Die Hypothese des Rechtsmissbrauchsverbots als eigene Methode müsste bei konsequenter Anwendung dieses Gedankens entfallen. 1. Objektive Theorie Ein Großteil der Literatur und Rechtsprechung favorisiert die objektiv-teleologische Auslegungstheorie. Die teleologische Auslegung eines Gesetzes orientiert sich an der ratio legis und will den Gesetzeszweck anhand des Wortlauts ermitteln.422 Der durch den Gesetzeserlass objektivierte Wille des Gesetzgebers stehe im Mittelpunkt, nicht der subjektive Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus Gesetzesbegründungen und anderen Unterlagen ergebe.423 Die objektiv-teleologische Auslegung versteht sich als Teil der Rechtsanwendung und kennt – als abstrakte jedem Gesetz innewohnende  – Kriterien wie Sachgemäßheit, Friedenssicherung und gerechte Streitentscheidung.424 Entweder existiert hinsichtlich des Gesetzeszwecks eine eigene Regelung oder es ist auf die amtliche Begründung zurückzugreifen. Gelingt das nicht, ist der konkrete Gesetzeszweck aus der Regelung selbst zu erschließen.425 418

Siehe hierzu bereits unter § 9 B. Canaris, in: FS Medicus, S. 58; Henninger, Europäisches Privatrecht, S. 61 ff.; Walz, ZJS 2010, S. 487 f. 420 Die Rechtsprechung selbst ist sich uneinig darüber, ob nun der Wille des Gesetzgebers (subjektiv-teleologisch) oder der Wille des Gesetzes (objektiv-teleologisch) maßgeblich sein soll. Einen guten Überblick gerade aus linguistischer Perspektive liefert Busse, in: Müller / Wimmer (Hrsg.), Neue Studien zur Rechtslinguistik, S. 78, 79. 421 Für das Rechtsmissbrauchsverbot zumindest partiell als Bestandteil der Auslegung, Reuß, Forum Shopping, S. 213. 422 Binding, Strafrecht, S. 454 ff.; Kohler, GrünhutsZ 13 (1886), S. 1 ff.; Wach, Civilprozessrecht, S. 254 ff.; Palandt / Grüneberg, Einl. Rn. 46; dies setzt aus sprachphilosophischer Sicht jedoch voraus, dass aufgrund einer geregelten Sprache der streitgegenständliche Sachverhalt bereits klassifiziert ist, Christensen / Kudlich, ARSP 2002, S. 233. 423 Brütt, Rechtsanwendung, S. 50; Reichel, Gesetz, S. 75. 424 Larenz, Methodenlehre6, S. 333. 425 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 69. 419

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Die objektiv-teleologische Auslegung arbeitet daher mit Gesetzesmaterialien, hat jedoch ein weiteres Verständnis von Textauslegung. Sie nimmt nämlich Bezug auf abstrakte Gesetzeszwecke, die nicht in den Materialien gefunden werden können. Ihre maßgeblichen Interpretationsmittel sind die teleologisch-systematische Auslegung, das argumentum ad absurdum und die Beachtung der „Natur der Sache“.426 Der Rückgriff auf abstrakte Zwecke von Regelungen an sich wie Sachgerechtigkeit, Folgenkontrolle, Sinnzusammenhang, Effektivität, Praktikabilität und den Gleichheitssatz ist bei objektiver Auslegung möglich.427 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zunächst für die objektivierte Auslegung des Gesetzestextes anhand des Wortlauts ausgesprochen.428 Mittlerweile hat es die Entscheidung für die objektive Auslegung schon mehrfach abgeschwächt, da es maßgeblich die Entstehungsgeschichte und Gesetzesmaterialien herangezogen hat.429 Die für den Untersuchungsgegenstand maßgebliche Zivilgerichtsbarkeit folgt grundsätzlich dieser objektiv-teleologischen Auslegungslehre, obgleich Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gesetzeszwecks meist die Gesetzesbegründung ist.430 2. Subjektive Theorie Nach der subjektiv-teleologischen Ansicht ist insbesondere die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens von Bedeutung. Maßgeblich handelt es sich um historische Normzweckforschung.431 Das geschichtliche Interesse des Gesetzgebers ist zentral für die Auslegung432 und es gilt, dieses über den Normtext durch aktu 426

Bydlinski, Methodenlehre, S. 454. Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 69–71; ebenso darstellend Mennicken, Ziel der Auslegung, S. 25. 428 BVerfGE 1, 299 (312): „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe, oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung.“ 429 BVerfGE 54, 277 (297 f.); 79, 127 (143 f.); Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 27. 430 So etwa BGH, VersR 2013, 1513 (Gesetzesbegründung zur Form eines Widerrufsrechts bei einem Versicherungsvertrag); BGHZ 198, 242 (245 f.) (Gesetzesbegründung zur Qualität von § 1613 BGB als Rechtsgrundverweisung); BGHZ 198, 216 (220 f.) (zwischen Gesetzesbegründung und Telos von § 10 Abs. 1 ZVG zumindest teilweise differenzierend); die häufigste Erkenntnisquelle laut Reichelt, Teleologische Argumente, S. 147. 431 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 780 ff.; kritisch aber insoweit Kaspers, Philosophie – Hermeneutik – Jurisprudenz, S. 170–171, der die Vagheit der Interpretation bei der historischen Normzweckforschung nur auf ein anderes Feld verschoben – damit also als weiterhin vorhanden  – sieht. ebenso Herbst, in: Bäcker / Klatt / Zucca-Soest (Hrsg.), Sprache  – Recht  – Gesellschaft, S. 175, der die Rekonstruktion des gesetzgeberischen Willens aus Einzelaussagen und Stellungnahmen nicht als möglich ansieht. 432 Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 79, S. 627; Heck, AcP 112 (1914), S. 59; EnnecerusNipperdey, Bürgerliches Recht, S. 320; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 789; Christen 427

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elle und genetische Auslegung, Nicht-Normtexte und die Systematik dieser Normtexte zu entschlüsseln. Insbesondere Gesetzesmaterialien433 werden herangezogen; äußere Grenze ist im Rahmen dieser Ansicht die oben erwähnte Wortlautgrenze.434 Aus verfassungsrechtlicher Warte sprechen für die Anwendung der subjektiven Theorie das Prinzip der Gewaltenteilung und das Primat des Gesetzgebers.435 3. Vereinigungstheorien Neben der rein objektiven und der rein subjektiven Theorie existiert eine Vielzahl an Vereinigungstheorien, die beide Ansätze miteinander in Einklang bringen wollen: Nach einer Auffassung sei die subjektive Theorie Hilfsmittel der objektiven Theorie.436 Eine andere Ansicht hebt auf den Willen des Gesetzgebers zur geltungszeitlichen Auslegung des Gesetzes, objektiv nach dem Willen des Gegenwartsgesetzgebers oder subjektiv nach dem Gegenwartsgesetzgeber ab.437 Ferner existieren Stufentheorien, wonach erst der ursprüngliche Sinn ermittelt werden, auf zweiter Stufe die Gebotsberichtigung und auf letzter Stufe die Gebotsanpassung stattfinden soll.438 Hervorzuheben ist eine weitere Auffassung, welche die Synthese der Auslegungsziele von subjektiver und objektiver Teleologie verfolgt. Prominente Vertreter dieser Ansicht sind etwa Larenz, Schreier und Schneider.439 Insbesondere Larenz formuliert, dass der Auslegende von den Zwecksetzungen des Gesetzgebers auszugehen hat.440 Auf der Ebene der objektiven Teleologie führt er die objektiven Zwecke Sachgerechtigkeit, Friedenssicherung und gerechte Streitentscheidung ein.441 4. Stellungnahme Die Methode der stufenweisen Vereinigung von subjektiver und objektiver Methode ist für die Durchführung einer Auslegung vorzugswürdig, soweit sie neben dem Wortlaut die Ermittlung des historisch-gesetzgeberischen Schutzzwecks als sen / Kudlich, ARSP 2002, S. 232, machen deutlich, dass dieses Verständnis dem „Eigengewicht“ der Sprache nicht gerecht wird. 433 Mennicken, Ziel der Auslegung, S. 22. 434 Siehe hierzu bereits § 9 B. I. 1. 435 Mennicken, Ziel der Auslegung, S. 22. 436 Bydlinski, Methodenlehre, S. 454; Jeschek, Studium generale 12 (1959), S. 113. 437 Bartholomeyczik, Gesetzesauslegung, S. 46. 438 Zimmermann, JBl 1953, S. 587; Liver, Wille des Gesetzes, S. 28; Siebert, Gesetzesauslegung, S. 46. 439 Larenz, Methodenlehre6, S. 316; Schreier, Interpretation, S. 60; Schneider, VVDStRl 20 (1963), S. 51. 440 Larenz, Methodenlehre5, S. 318. 441 Larenz, Methodenlehre6, S. 333.

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zentral hervorhebt. Nur wenn dies nicht möglich ist, darf subsidiär allein auf Wortlaut und Systematik zur Ermittlung des Telos der Norm abgehoben werden.442 Am nächsten kommt diesem Verständnis eine Kombination der Lehren von Larenz und Rüthers, wobei die von Rüthers gesetzte Grenze des historischen Normzwecks443 nicht absolut sein kann und die von Larenz eingeführten objektiv-teleologischen Kriterien der Friedenssicherung und Sachgemäßheit444 zu weit für die Methode der Auslegung geraten. Nur durch ein derartiges Vorgehen können unter der Theorie einer feststehenden Wortlautgrenze die Anforderungen von Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG verwirklicht werden. Die Besinnung auf gesetzgeberische Äußerungen im Rahmen der gesetzlichen Regelung ist innerhalb dieses Paradigmas notwendig, wenn der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht leerlaufen soll. Allerdings hat die Befürwortung dieser subjektiven Theorie nicht zur Folge, dass die Auslegungsergebnisse die Autorenintention des stets heterogenen Gesetzgebers identisch abbilden könnten.445 Der Vorrang der subjektiven Theorie führt vielmehr nur zu einer Beschränkung der maßgeblichen Erkenntnisgrundlagen für die Auslegung und zu einer Begrenzung der Argumente für die Subsumtion.446 Für ein solches Verständnis spricht, dass die Rechtsprechung sich zwar formal zur objektiven Theorie bekennt, jedoch bei der Rechtsanwendung zur Begründung der ratio legis selbst maßgeblich Gesetzesbegründungen und -materialien zur Entscheidung heranzieht.447 Die streng objektive Theorie der Gesetzesauslegung vermag nicht zu erklären, wie der Zweck des Gesetzes anders als mit den bereits dargestellten Erkenntnismitteln nachvollzogen werden soll. Die Wirkung eines Zirkelschlusses entsteht, wenn man das Ziel eines Gesetzes gleichermaßen als Mittel und als Ergebnis zur Festlegung des abstrakten Gesetzeszwecks anwenden will. In Anbetracht dieses – schon mehrfach aufgedeckten – Zirkelschlusses448 ist die subjektive Auslegungstheorie zu favorisieren. Wenn nur Wortlaut, Systematik und Historie Auslegungsmittel sind,

442

BGHZ 66, 388 (390); Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 182; kritisch Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 813; auf diese Auslegungsmethoden ist der Rechtsanwender dann aber auch beschränkt, Kuntz, AcP 215 (2015), S. 449. 443 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 821. 444 Larenz, Methodenlehre6, S. 333. 445 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 443. 446 Für den Fokus auf Entstehungszusammenhang auch Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, S. 199. 447 Reichelt, Teleologische Argumente, S. 183; so auch BVerfGE 128, 193 f.: „Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen.“ 448 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 364; Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 730a; anderer Ansicht: Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 153; für diese sind die teleologischen Kriterien Friedenssicherung, Ausgewogenheit und Sachgerechtigkeit als Kriterien der Auslegung maßgebend.

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die ratio legis aber lediglich das Auslegungsziel ist, sind die Erkenntnisgegenstände des Gesetzeszwecks transparent. Diese Hypothese macht deutlich, dass sich Auslegung auf die richterliche Begründung dieses Auslegungsziels mit Hilfe der dargestellten Mittel als Erkenntnisgrundlagen konzentrieren muss. Die teleologische Auslegung ist in der Praxis eine Schlussfolgerung des Rechtsanwenders aus der Auswertung des Wortlauts, der Rechtsprechung, der Gesetzesmaterialien, der Literatur und der Systematik,449 wobei gerade beim Rückgriff auf Rechtsprechung und Literatur Auslegung und Subsumtion vermengt werden. Diese Schlussfolgerung auf die ratio legis ist freilich nicht deduktiv, sondern erfolgt induktiv oder abduktiv durch argumentative Auseinandersetzung.450 Auf der Ebene der Subsumtion kann dagegen die teleologische Auslegung als Argumentationsmittel herangezogen werden. Das Abstellen auf einen Willen des Gesetzes durch die objektive Theorie auf der Grundlage abstrakter Kriterien wie Sachgerechtigkeit genügt einem demokratietheoretischen und gewaltenteilungsgrundsätzlichen Anspruch einer Methodenlehre nicht. Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht stellen aber einen solchen Anspruch an die Arbeit der Gerichte.451 Der Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG räumen nämlich dem Normtext und dem darin gesetzgeberisch implizierten Willen den Vorrang vor Erwägungen der Sachgerechtigkeit und anderen abstrakt-generellen Wertungen durch den Rechtsanwender ein. Der entscheidende Schluss vom Normtext auf den Gesetzeszweck oder allgemeine Gesetzeszwecke452 ist ein eigenständiger, unter anderem auch vom Vorverständnis und der Sozialisation des Rechtsanwenders geprägter Willensakt.453 Argumente wie Sachgerechtigkeit oder Friedenssicherung, die einen ermittelbaren gesetzgeberischen Willen unberücksichtigt lassen, verkennen dieses gesetzgeberische Primat.454 Eine rein objektive Theorie, welche die historische Entwicklung des Rechtinstituts und die Äußerungen des Gesetzgebers unberücksichtigt lässt, übersieht ferner die historische Einbettung des Kanons von Savigny.455 Im 18. und 19. Jahrhundert war stets die Konkretisierung des gesetzgeberischen Gedankens das Ziel der Auslegung.456 Es ging um das Zusammenspiel von Text und Interpret, nicht 449 So beispielhaft für die BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen, Reichelt, Teleologische Argumente, S. 93. 450 Zum induktiven Schließen Mastronardi, Juristisches Denken, Rn. 114; zum abduktiven Schluss Jandach, Expertensysteme, S. 48 f.; mit Hinweis auf die Rolle der Abduktion in der Subsumtion Lege, in: Gabriel / Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, S. 274. 451 Grzeszick, in: Maunz / Dürig: Art. 20 GG Teil B Rn. 17. 452 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 69–71. 453 Jakob, in: ders. / Rehbinder (Hrsg.), Beiträge zur Rechtspsychologie, S. 152. 454 BVerfGE 128, 193 (210); BVerfGK 19, 89 (99). 455 Siehe hierzu bereits unter § 9 B. 456 Schröder, Theorie der Gesetzesinterpretation, S. 27; andere Ansicht: Herzog, Auslegung, S. 88.

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aber um die völlige Freiheit des Interpreten.457 Erst mit Binding, Kohler und Wach wurde die objektive Theorie salonfähig.458 Der Methodenkanon diente ursprünglich diesem Zusammenspiel von fremder, gesetzgeberischer Wertung und dem Eigenanteil des Auslegenden, nicht aber einer ratio legis ohne Rücksichtnahme auf den legislativen Willen.459 Gegen die subjektive Theorie wird von Seiten der Objektivisten vorgebracht, dass allein der Normtext Bindungswirkung entfalten könne, der eigentliche Gesetzgeber nicht ermittelbar sei und die Gesetze durch ein derartiges Vorgehen – gerade bei strikter Anwendung eines entstehungszeitlichen Verständnisses – in Starrheit verfielen.460 Die vermeintlich ausschließliche Bindung an den Normtext verfängt nicht, weil auch bei der objektiven Theorie der Normtext nicht den Ausschlag gibt. Dies ist der Nachteil beider Theorien, weil sie von einer abstrakten Wortlautgrenze ante casum ausgehen. Letztlich entscheiden im Rahmen beider Theorien Argumente; durch die Bezugnahme auf die Materialien wird aber bei der subjektivteleologischen Auslegung ein konkreter Anknüpfungspunkt für die Begründung geschaffen, während sich die objektive Theorie auf abstrakte Topoi wie z. B. die Sachgerechtigkeit bezieht. Jene Argumentation orientiert sich ebenso wie diejenige der objektiven Theorie an der Wortlautgrenze. Durch dieses Vorgehen mit konkreter Anknüpfung an den gesetzgeberischen Willen wird daher eine höhere Rückbindung an die gesetzgeberische Interessenslage erzeugt als durch eine isolierte Bezugnahme auf den Wortlaut des Gesetzestextes ohne weitere Erkenntnismittel. Bewertungsgegenstand ist bei der subjektiven Theorie maßgeblich Nicht-Normtext-Material; anders als bei der objektiven Theorie ist die Argumentationsquelle damit kontrollfähig, denn mit dem abstrakten Argument der Sachgerechtigkeit kann jede Entscheidung begründet werden. Ob sich aber der gesetzgeberische Wille aus den vorliegenden Erkenntnismitteln schlussfolgern lässt, kann durch Würdigung der diesbezüglich vorgebrachten Argumente in der nächsten Instanz geprüft werden. Den Kritikern der subjektiven Theorie ist entgegenzuhalten, dass der eigentliche Gesetzgeber auch ermittelbar ist. Zum einen macht sich aber die Mehrheit die Begründung des Initiators einer Gesetzgebungsmaßnahme zu eigen. Zum anderen verhält es sich so, dass wiederum Gesetzesmaterialien und -begründungen konkrete Erkenntnisse eines heterogenen Gesetzgebers liefern. Die abstrakten Argumentationstopoi der objektiven Theorie erreichen nicht diesen Grad an Unmittelbarkeit in der Begründung, weil sie sich nicht auf eine verfügbare Erkenntnisgrundlage berufen. Dass bei der subjektiven Theorie noch unbekannte Zwecksetzungen beim Gesetzgeber vorliegen mögen, schwächt das verfügbare Erkenntnismaterial nicht ab. 457

So auch Meder, Verstehen, S. 128. Binding, Strafrecht, S. 454 ff.; Kohler, GrünhutsZ 13 (1886), S. 1 ff.; Wach, Civilprozessrecht, S. 254 ff.; hierzu insbesondere Schröder, Theorie der Gesetzesinterpretation, S. 27. 459 Meder, Verstehen, S. 130; anderer Ansicht Herzog, Auslegung, S. 86. 460 Kritisch insoweit Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 79, S. 628. 458

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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Durch die historische Zweckforschung verfallen die Gesetze nicht in Starrheit. Einerseits besteht nach der subjektiven Theorie bei der Bildung des Obersatzes die Möglichkeit der Rechtsfortbildung, so dass etwa durch Analogie und teleologische Reduktion die Rechtsanwendung flexibel bleibt.461 Andererseits gilt: Da der Gesetzgeber ohnehin nur prototypische Konstellationen vor Augen hatte, besteht der Anteil des Rechtsanwenders stets in der Zurechnung des zu entscheidenden Falls zum gegebenen Normtext, seiner Systematik und seiner Entstehungsgeschichte. Das ist aber letztlich eine Frage der Subsumtion.462 Diese wiederum ist Argumentation463 und logisches Folgern.464 Die Zuordnung des Falls zur bereits ausgelegten Regel ist damit Subsumtion durch Argumentation,465 so dass Starrheit der Rechtsanwendung nicht zu befürchten ist. 5. Verfassungskonforme und unionsrechtskonforme Auslegung Die Prüfung des Auslegungsergebnisses anhand des Verfassungs- und Europarechts kann lediglich Korrektiv für die Auslegung sein.466 Schließlich verlangt dieses Korrektiv, bei der Möglichkeit verschiedener Normdeutungen der verfassungsgemäßen Lösung den Vorrang einzuräumen.467 Die unionsrechtskonforme Auslegung ist mit der verfassungsrechtlichen Auslegung vergleichbar, da auch bei dieser vor dem Hintergrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts eine Kontrolle des Auslegungsergebnisses erfolgt.468 Unterschiede ergeben sich jedoch dadurch, dass die unionsrechtskonforme Auslegung nur Anwendungskontrolle, die verfassungskonforme Auslegung wirkliche Normenkontrolle ist.469 Das heißt, dass das Europarecht – im Falle eines Verstoßes des Auslegungsergebnisses gegen dieses – Vorrang bei der Anwendung genießt. Ergibt sich das gleiche Ergebnis aufgrund eines Konfliktes mit Verfassungsrecht, greift bei alternativen Auslegungsergebnissen die verfassungskonforme Auslegung. Dementsprechend darf der Richter das nicht verfassungskonforme Auslegungsergebnis verwerfen. Gibt es nur ein verfassungswidriges Auslegungsergebnis, muss er im Wege der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgehen. Letztlich sind beide methodischen Institute zur Kontrolle des Auslegungsergebnisses erst im Anschluss an die Canones zu verwenden. Ihre Funktion besteht 461

Siehe hierzu insbesondere § 10 A. II. Gröschner, in: ders. / Gabriel (Hrsg.), Subsumtion, spricht bei der Zuordnung von Alltagsbegriffen unter Rechtsbegriffe von Subordination, S. 451. 463 Gast, Rhetorik, Rn. 257. 464 Lege, in: Gabriel / Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, S. 278. 465 Siehe hierzu § 9 C. 466 Gast, Rhetorik, S. 265; Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 103. 467 BVerfGE 119, S. 247 [274]. 468 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 428b; diese Auslegungsmethode kann noch weiter in richtlinien- und unionsrechtskonform differenziert werden. 469 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 428b. 462

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darin, systematisch wie verfassungs- und unionsrechtsorientiert die Ergebnisse der richterlichen Normdeutung zu beschränken. Beide Auslegungskriterien sind Vorzugsregeln,470 also eine besondere Kategorie der systematischen Auslegung. Der Unterschied zu der oben dargestellten systematischen Auslegung471 besteht nur darin, dass diese dort grundsätzlich unmittelbar mit den Normtexten auf derselben Normebene arbeiten. Die Anwendung der verfassungskonformen Auslegung durch den BGH wird generell nur restriktiv durchgeführt. Dies ergibt sich schon dadurch, dass der Zivilgerichtsbarkeit gegenüber der Verfassungsgerichtsbarkeit die Anwendung des einfachen Rechts auferlegt ist.472 Das Bundesverfassungsgericht ist dagegen in seinem Prüfungsmaßstab auf die spezifische Verfassungswidrigkeit der einfachgesetzlichen Rechtsanwendung beschränkt.473 Die Konzentration auf die Auslegung der einfachen Gesetze und verfassungsrechtlich gebundene Rechtsschöpfung machen die Divergenz von verfassungs- zu unionsrechtskonformer Auslegung aus. Diese restriktive Handhabung muss insbesondere vor dem Hintergrund des Normverwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden.474 Überdies handelt es sich ohne besonderes Vorbringen der Parteien meist lediglich um eine Evidenzkontrolle des Gerichts, da für verfassungsrechtliche Fragen vor dem Hintergrund der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG nur ein begrenzter Anwendungsbereich verbleibt. Die Instanzgerichte befassen sich eo ipso primär mit dem einfachen Gesetzesrecht ihres Gerichtszweiges und nicht mit darüber hinausgehenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen. C. Das Rechtsmissbrauchsargument im Rahmen von Auslegung und Subsumtion: Bekenntnis zur Außenschranke Die Auslegung zur Bildung eines Obersatzes475 findet in Form von deduktiven, induktiven sowie abduktiven Schlüssen statt. Durch die Auslegungsmittel wird zunächst der Telos im Sinne des historischen Normzweckes zu klären versucht. Die Subsumtion selbst als Zuordnung476 des Falls zum Tatbestand der Norm geschieht auch nicht allein deduktiv, sondern folgt zumindest einer Wertung. Für 470

Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 102. Siehe hierzu § 9 B. III. 472 Voßkuhle, AöR 2000, S. 196. 473 BVerfGE 18, 85 (93): „[…] der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.“ 474 Höpfner, Systemkonforme Auslegung, S. 203. 475 So auch Engisch, Logische Studien, S. 14; Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 42; von Schlieffen, in: Gabriel / Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, S. 401; vereinzelt werden Auslegung und Subsumtion aber auch gleichgesetzt, etwa Becker, in: FS Lehmann, S. 72. 476 Kaufmann bezeichnet die Subsumtion als Argumentation im Rahmen des Typus, Kaufmann, Analogie, S. 59; im Übrigen geht Kaufmann aber von einer gleichzeitigen Ober- und Unters­atzbildung aus, ebenda, S. 40. 471

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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diese wird aber eine systematische Argumentation477 nebst induktiven sowie abduktiven Schlüssen im Rahmen der Subsumtion notwendig. Sie verbindet Untersatz und Obersatz durch die Verwendung der historischen, genetischen, systematischen, grammatischen und teleologischen Argumente.478 Der entscheidende Schritt der Rechtsanwendung auf den Fall wird auf der Ebene der Subsumtion geleistet. Eine solche Zuordnung der Argumentation zum Subsumtionsschluss wirkt sich nicht auf die Revisibilität des Urteils aus, weil die diesbezügliche rechtliche Argumentation als Rechtsfrage in vollem Umfang überprüfbar bleibt.479 Da mit einem rein deduktiven Schlussverfahren konkret-individuelle Fälle nicht bearbeitet werden können, bleibt sowohl auf der Ebene der Obersatzbildung als auch auf der Ebene der Zuordnung des Untersatzes zum Obersatz Raum und Notwendigkeit zur Argumentation. Ob diese Öffnung eine Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot auf der Ebene von Auslegung und Subsumtion ermöglicht, bedarf der Klärung. I. Auslegung und Rechtsmissbrauchsverbot

Die Anwendung der subjektiven Theorie480 zu der Ermittlung der gesetzgeberischen Gedanken im Rahmen der Auslegung bedeutet, dass weder das individuelle noch das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot im Rahmen der teleologischen Auslegung als Argument herangezogen werden können.481 Denn mit der Dar­ legung des historischen Normzwecks ist das maßgebliche Wertungskriterium für die Anwendung der speziellen Norm festgelegt. Zentral ist der historische Normzweck, der sich aus der Argumentation mit den dargelegten Auslegungsmitteln ergibt.482 Für die Obersatzbildung eignet sich das individuelle Rechtsmissbrauchs­ argument daher nicht, weil es zum einen eine neue, eigenständige Wertung mit sich bringt und zum anderen Rückschlüsse auf die konkrete gesetzliche Wertung des in Rede stehenden Normtextes nicht zulässt.483 Allenfalls das Argument des institutionellen Rechtsmissbrauchs könnte auf der Ebene der Auslegung greifen, wenn systematisch-teleologisch die Zwecksetzung des gesamten Rechtsinstituts mit in die Auslegung des Normtextes einfließt. Dann fehlte es dem Verbot des institutio 477

Hierzu Mastronardi, Juristisches Denken, Rn. 894 ff.; Hilgendorf, Argumentation, S. 217, etwa hält das Toulmin-Schema zur Argumentation für brauchbar; Rückert, in: ders. / Seinecke (Hrsg.), Methodik des Zivilrechts, Rn. 1507 priorisiert auch die Subsumtionsmethode gegenüber der Abwägungsmethode; ebenso, Amado, Rechtstheorie 40 (2009), S. 41. 478 Die meisten Vertreter nehmen die Konkretisierung der Norm beim Obersatz vor, Engisch, Einführung, S. 65 f.; Zippelius, Methodenlehre, S. 99. 479 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, § 546 ZPO Rn.  11; MünchKomm-ZPO / Krüger, § 546 ZPO Rn. 4; in diese Richtung auch Nierwetberg, JZ 1983, S. 240. 480 Siehe hierzu § 9 B. V. 2. 481 Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 103; andere Ansicht: Reuß, Forum Shopping, S. 213. 482 So auch von Arnauld, Freiheitsrechte, S. 63. 483 Ähnlich auch Canaris, Systemdenken, S. 160, der vom verstehenden Nachvollzug bereits gesetzter Wertungen spricht; ähnlich wie hier Reuß, Forum Shopping, S. 212.

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nellen Rechtsmissbrauchs an Eigenständigkeit; die im Rahmen dessen verwendete systematisch-teleologische Auslegung erhielte nur zusätzlich das Prädikat „Rechtsmissbrauch“. Das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot kann also nicht in die Auslegung integriert werden, das institutionelle Rechtsmissbrauchsargument nur dann, wenn sich die Zwecksetzung des Rechtsinstituts aus einer systematisch-teleologischen Auslegung der konkreten Rechtsnorm ergibt. II. Subsumtion und Rechtsmissbrauchsverbot

Derjenige Rechtsanwendungsschritt, bei dem sich die Frage nach der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots vor allem stellt, ist die Subsumtion. Diese wird vorliegend aber nicht justizsyllogistisch im Sinne der Unterordnung von Tatsachen unter eine Norm durch einen bloß deduktiv-logischen Schluss verstanden,484 sondern als logisches Folgern mit Argumentation. Das Argumentieren zur Vornahme der Subsumtion entspricht der Rechtspraxis, wobei diese Auslegung und Subsumtion nicht klar trennt.485 Die Subsumtion, in deren Rahmen die wertende Zuordnung zum Obersatz erfolgt,486 muss sich nämlich eng an dem speziellen Wertungskriterium der konkreten Norm orientieren und darf mit dem Rechtsmissbrauchsargument kein weiteres Wertungskriterium einführen.487 Die im Rahmen der Subsumtion notwendige Verbindung von Untersatz zu Obersatz geschieht durch Argumentation488 in Kombination mit logischen Schlussverfahren. Rein deduktivlogische Schlüsse ohne Argumentation helfen dagegen nicht weiter. Eine Anwendung des individuellen Rechtsmissbrauchsverbots auf der Ebene der Subsumtion kann nicht stattfinden, weil es sich um eine eigenständige rechtliche Kategorie handelt, die außerhalb der Auslegungscanones als argumentativer Anknüpfungspunkt steht. Das individuelle Rechtsmissbrauchsargument stellt einen selbstständigen Grund gegen die Ausübung des Rechts dar, der aufgrund der Einführung einer weiteren, im Hinblick auf den konkreten Normtext nicht kontextorientierten Wertung489 nicht gesetzesimmanent bleibt. Es stellt damit einen innerhalb von Auslegung und wertender Subsumtion490 unzulässigen Topos dar. Denn 484

So auch von Schlieffen, in: Gabriel / Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, S. 397. Exemplarisch: BGH AnwZ (Brfg) 54/13, juris, Rn. 9 ff.; BGH WM 2014, 1685 (1688); BGHZ 195, 375 (380 f.). 486 Nach Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 45, erfolgt dagegen eine Abwägung nur bei normativen Tatbestandsmerkmalen. 487 Andere Ansicht: Pestalozza, Formenmissbrauch, S. 63, der Rechtsmissbrauch als Fehlschlag der Subsumtion versteht. 488 Bayer, Rechtstheorie 25 (1994), S. 243; Gantner, Theorie der juristischen Formulare, S. 63; Gast, Rhetorik, Rn. 297; ders. in Soudry (Hrsg.), Rhetorik, S. 39; Horn, Rechtsphilosophie, Rn. 195. 489 Damit verhält es sich mit dem Rechtsmissbrauchsargument anders als mit dem systematischen Argument, da dieses sowohl bei Auslegung als auch bei Subsumtion eine kontextorientierte konkrete Wertung mit sich bringt. 490 Weinberger, Norm, S. 190. 485

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die Dogmatik des Rechtsmissbrauchsverbots als selbstständiges Rechtsinstitut setzt eine Grenzziehung der Argumentation auf der Ebene der Zuordnung des Falls zur Norm voraus. Eine an den Auslegungscanones orientierte systematische Begründung ist gegenüber freier topischer Argumentation vorrangig.491 Wird systematischteleologisch mit dem Rechtsinstitut argumentiert, ist ein Verstoß gegen dessen gesamte Zwecksetzung auf der Ebene der Subsumtion feststellbar. Nur besteht dann zwischen institutionellem Rechtsmissbrauch und systematisch-teleologischer Auslegung kein Unterschied.492 Das bedeutet gleichzeitig, dass Auslegung und Subsumtion mit formaler, also konkret-systematischer Argumentation ablaufen müssen. In die Bewertungsentscheidung, den konkret-individuellen Sachverhalt der abstrakt-generellen Rechtsnorm zuzuweisen,493 ist das Rechtsmissbrauchsargument nicht zu integrieren, weil eine derartige Zuordnung formalen Kriterien nicht genügte. Die Beschränkung der Argumentation auf die Canones sichert so ihren formalen Ablauf im Rahmen von Auslegung und Subsumtion. Hinzu kommt, dass das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot ein originäres Rechtsinstitut ist und damit auch einen eigenständigen argumentativen Gehalt bereithält.494 Eine solche Schrankenwirkung erzielen andere methodische Mittel nur mit anderen Argumentationskriterien. Der abstrakt-generellen Anwendung einer Norm kann das Rechtsmissbrauchsverbot zumindest auf der Ebene der Auslegung noch nicht entgegenstehen, weil dann bereits konkret-individuelle Abwägungsumstände miteinfließen würden, die sich nicht an der speziellen Gesetzeswertung orientieren. Das institutionelle Rechtsmissbrauchsargument ist insoweit besonders, weil dieses Argument auf die Zwecksetzung des Rechtsinstituts abhebt und damit eine systematisch-teleologische Argumentation darstellt. Gleichermaßen existiert mit dem zivilrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot auch ein normativer Anknüpfungspunkt, der eine systematische Argumentation nicht möglich macht. Denn eine konkrete kontextuale Wertung, die Rückschlüsse auf die Zielsetzung des in Streit stehenden Spezialgesetzes liefert, gibt das über § 242 BGB in das Zivilrecht einwirkende Rechtsmissbrauchsverbot gerade nicht. Für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsarguments muss das Recht entstanden sein. Als subjektives Recht wird dafür die dem Einzelnen verliehene Rechtsmacht zur Befriedigung bestimmter Interessen verstanden.495 Zur Ermittlung dieser Rechtsmacht ist aber zunächst die Auslegung des konkreten Gesetzes vorzunehmen.

491

Mastronardi, Juristisches Denken, Rn. 899. Siehe hierzu § 9 C. I. 493 Muthorst, Grundlagen, S. 95. 494 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 135. 495 Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil10, § 20 Rn. 6; die pragmatische Handhabbarkeit dieses Ansatzes lässt etwa Auer, AcP 208 (2008), S. 600, offen. 492

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Teil 2, Kapitel 2

Im Rahmen des deterministischen Modells496 ergibt sich erst durch die Auslegung des Wortes, Satzes oder Textes das Recht oder die Befugnis einer Person. Berücksichtigte man das Rechtsmissbrauchsargument bereits auf der Ebene der teleologischen Auslegung respektive bei der Subsumtion des Falls unter die Norm, würde dem Rechtsausübenden – schon bevor eine Aussage dazu getroffen ist, ob er überhaupt Rechtsinhaber ist – ein Missbrauch eines noch nicht konkretisierten Rechts vorgeworfen.497 Der zweite Schritt wird dadurch in den ersten integriert. Etwas zu missbrauchen, das vorher nicht hinreichend konkretisiert ist, macht das Rechtsmissbrauchsargument aber zu einem Instrument, das einem nicht definierten Gegenstand Grenzen ziehen will. Um die damit einhergehende Konfusion zu vermeiden, ist folgende Abfolge einzuhalten: Erst ist das Recht durch Auslegung und Subsumtion zu konkretisieren, dann kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs greifen.498 Für die damit notwendige Abgrenzung, ob etwas unter den konkreten Normzweck subsumiert werden kann oder nicht, kann das Regel-Ausnahme-Prinzip Aufschluss geben.499 Für jedes einzelne Rechtsinstitut kann die Reichweite der Subsumtionsmöglichkeit danach bemessen werden, ob der konkrete Sachverhalt dem gesetzgeberisch gewollten Regelfall entspricht oder eine Ausnahme darstellt. Die spezifischen Argumentkonstellationen des Rechtsmissbrauchsverbots dürfen jedoch nicht eingreifen, weil sie Wertungen außerhalb des in Streit stehenden Spezialgesetzes mit sich bringen. Eine Einhaltung dieser Abfolge zeigt auch, dass die Theorie der Innenschranke verfehlt ist.500 Denn das Recht muss schon definiert und existent sein, damit dessen Missbrauch eingewendet werden kann. Die Schranke entfaltet ihre Wirkung also nicht parallel zur Konkretisierung des Rechts,501 sondern erst im Nachgang als 496

Aber auch nach dem Rechtserzeugungsmodell ist für einen Konkretisierungsvorgang das am Normtext ausgewiesene Argument maßgeblich, Christensen / Kudlich, in: Feldner / Somek (Hrsg.), Norm und Entscheidung, S. 222. 497 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 69; anders aber wohl: Chelidonis, JURA 2010, S. 731; Eidenmüller, ECFR 2009, S. 9. 498 In diese Richtung trotz vieler Divergenzen auch Mader, Rechtsmißbrauch, S. 134; ebenso Brinkmann, ZIP 2014, S. 198; Neuner, Rechtsfindung contra legem, S. 168, spricht im Zusammenhang mit der Korrektur treffend von Gesetzesderogation. 499 So für die Grundrechte von Arnauld, Freiheitsrechte, S. 16, 41; für das subjektive Recht generell, Bucher, Subjektives Recht, S. 53; Rödig, in: Bund / Schmiedel / Thieler-Mevissen (Hrsg.), Schriften zur juristischen Logik, S. 99; vereinzelt wird auch auf das argumentum a simile zu typisch unter den Tatbestand gehörenden Fällen gesprochen, Engisch, Logische Studien, S. 37. Mangels gesetzgeberisch aufgezählter Fallbeispiele ist ein solches Vorgehen freilich nur bedingt tauglich. 500 Siehe hierzu unter § 4 E. I. 501 Im Ergebnis ebenfalls so: Haferkamp, Rechtsmissbrauchslehre, S. 353; Larenz / Wolf, Allgemeiner Teil8, § 16 Rn. 16; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil10, § 20 Rn. 70; aus rechtsphilosophischer Perspektive: Legaz y Lacambra, Rechtsphilosophie, S. 714 f. andere Ansicht Raiser in: summum ius summa iniuria, S. 152; Mader, der einerseits von einem zweistufigen Vorgehen ausgeht, Rechtsmißbrauch, S. 69, gleichzeitig aber die Innentheorie bejaht, ebenda S. 116; MünchKommBGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 84; differenzierend Reuß, Forum Shopping, S. 217.

§ 9 Das Rechtsmissbrauchsverbot 

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Korrektiv, Kontrollmechanismus und Ausübungsschranke. Eine immanente Begrenzung der Norm stellt das Rechtsmissbrauchsverbot nach alledem nicht dar, sondern lediglich eine von außen einwirkende Begrenzung.502 D. Zusammenfassende Würdigung Das Rechtsmissbrauchsverbot hat einen methodischen Gehalt. Dieser besteht darin, dass es Rechten und Befugnissen eine Schranke zieht. Dass das Verbot eine Grenze begründet, sagt nichts darüber aus, auf welcher Ebene diese bedeutsam wird. Zur Beantwortung dieser Frage kommt es zunächst auf die Wahl des Rechtsfindungsparadigmas an. Determination und Rechtserzeugung sind dabei die beiden großen Linien. Rechtstheoretisch muss das Rechtserzeugungsmodell an sich den Vorzug erhalten, weil es abbildet, wie die Rechtspraxis argumentiert. Das wäre Rechtserzeugung unter Rücksicht auf die lex in casu. Für diese Untersuchung erhält jedoch das dogmatisch herrschende Determinationsmodell den Vorzug, weil sich die Kritik am Rechtsmissbrauchsargument im Zivilprozess darauf fokussiert, wie die Gerichte unter dem herrschenden Paradigma – sei dieses auch Fiktion – ihre Entscheidungen begründen. Diese am Paradigma der Praxis orientierte Lösung redet damit der lex ante casum das Wort. Die Konsequenz des Determinationsmodells ist, dass man sich der Problematik um die subjektive und die objektive Auslegungstheorie stellen muss. Die objektive Auslegungstheorie geht zu weit, wenn sie einer Vielzahl abstrakter Gesetzeszwecke wie Sachgerechtigkeit, Effizienz und Friedenssicherung Bedeutung für die Auslegung geben will. Eine derartige Auslegungstheorie würde auch das Rechtsmissbrauchsargument ad acta legen, da ein sachgerechtes Gesetz Missbrauchskonstellationen generell im Wege einer objektiven Teleologie ausschalten würde. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist eine subjektive Theorie zu bevorzugen, die die Auslegungsmittel Wortlaut, Historie-Genese und Systematik zur Ermittlung der ratio legis heranzieht. Dieses Vorgehen entspricht in weiten Teilen der Rechtsprechungs­praxis. Überdies ist der rechtstheoretische Vorzug der subjektiven Theorie ihre kontrollfähige Erkenntnisgrundlage. Das Rechtsmissbrauchsargument kann auf der Ebene der Auslegung nicht greifen, da zur Bestimmung des Normzwecks die tradierten Canones der Auslegung ausreichen. Bei der Subsumtion des Falls unter den Normtext ist das Rechtsmissbrauchsverbot nicht anwendbar, da bei diesem Schritt erst der Streit um die Begründung des Rechts ausgetragen wird. Erst nach der Auslegung des Gesetzes und der Zuordnung des Falls zum ausgelegten Gesetz ist das subjektive Recht oder eine Befugnis begründet; im Anschluss daran stellt sich erst die Frage nach der Rechtsmissbrauchsschranke. 502

Siehe hierzu unter § 8 A. I. 1. b).

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Teil 2, Kapitel 2

§ 10 Das Rechtsmissbrauchsverbot als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung  in Entscheidungsfindung und -begründung Das methodische Wesen des Rechtsmissbrauchsverbots ist durch das vorige Kapitel nicht abschließend behandelt. Nur seine Verwendung auf der Ebene von Auslegung und Subsumtion wurde verneint. Damit bleiben die konkreten Rechtsfortbildungsmittel und der Standort des Rechtsmissbrauchsverbots innerhalb der Methodik von Interesse. Zudem ist die Frage unbeantwortet, inwiefern der gesamte Entscheidungsfindungsprozess auch in der Entscheidungsbegründung abzubilden ist. Dieser Perspektivenwechsel von der Methodenlehre zu der Rechtsprechungstheorie betrifft die Begründungslast der Gerichte,503 auf welche Weise also das Rechtsmissbrauchsargument Eingang in die Entscheidungsbegründung finden muss. Dieser Teil der Rechtsprechungslehre steht im Fokus, da die Gerichte in den für die Frage des prozessualen Rechtsmissbrauchs maßgeblichen Fällen in ihrer Entscheidungsbegründung meist ohne vorherige Auslegung des Gesetzes und Konkretisierung des jeweiligen Rechts auf das Rechtsmissbrauchsverbot abstellen.504 Eine konkrete Auslegung spezialgesetzlicher Normtexte unterbleibt beinahe durchgehend.505 A. Rechtsfortbildung Rechtsfortbildung506 findet statt, wenn die Auslegung zu keinem für den Rechtsanwender befriedigenden Ergebnis507 geführt hat. Entweder liegt eine Wertungslücke des Gesetzes vor, dann folgt eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung; oder es liegt keine Lücke vor, das Auslegungsergebnis ist aber aus anderen Gründen korrekturbedürftig; dementsprechend folgt eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung.508

503

Hierzu auch Krebs, AcP 195 (1995), S. 171 ff. Treu und Glauben selbst wurden dabei insbesondere vom Reichsgericht selten zitiert, vgl. Mertens, AcP 174 (1974), S. 363; anderes gilt aber für die exceptio doli generalis, die vom RG sehr häufig zur Entscheidung bemüht wurde, Brenner, Exceptio doli, S. 100 ff. 505 vgl. hierzu nur die neueste Rechtsprechung des BGH zum Rechtsmissbrauch durch Kostenfestsetzungsanträge BGH, NJW 2013, 66. 506 Wie oben unter § 9 B. I. 1. bereits dargestellt existiert nach der Strukturierenden Rechtslehre die Grenze der Auslegung zur Rechtsfortbildung nicht, da es eine objektive Wortlautgrenze nicht gibt. Die Normprogrammgrenze der Strukturierenden Rechtslehre setzt die Durchführung einer Konkretisierung voraus, Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 147. 507 Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 69. 508 Diktion und Aufbau folgen hier Larenz, Methodenlehre6, S. 370 ff., 413 ff. 504

§ 10 Rechtsmissbrauchsverbot als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung 

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I. Rechtsfindung praeter legem: Lückenfeststellung

Voraussetzung für die Durchführung einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung (Rechtsfindung praeter legem) ist das Vorliegen einer Lücke im Gesetz.509 Bei dieser handelt es sich nach herrschender Meinung um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des Wortsinnes des Normtextes, die sich anhand des erkennbaren gesetzgeberischen Willens ergibt.510 Ablaufgemäß werden nach herrschender Meinung der Vorgang der Lückenfeststellung und Lückenausfüllung voneinander getrennt, da erst die Feststellung einer Lücke die Notwendigkeit mit sich bringt, diese Lücke auszufüllen. Allerdings ist diese Aufspaltung von Lückenfeststellung und Lückenfüllung umstritten. Es handelt sich bei fehlenden Regelungen um Gesetzeslücken, wenn eine Inkohärenz des rechtlichen Systems durch das Fehlen der Vorschrift begründet wird.511 Diese Inkohärenz bezieht sich auf das Vorliegen einer Wertungslücke. Die Funktion der Lückenfeststellung besteht letztlich darin, dem Richter den Weg zur ergänzenden Rechtsfortbildung zu eröffnen.512 Hierdurch sollen die Wertungslücken geschlossen werden. 1. Meinungsstand Unter welchen Voraussetzungen eine solche Gesetzeslücke vorliegt, ist oftmals schwierig zu ermitteln513 und die Charakterisierung verschiedener Lückenarten ist überdies umstritten. Hauptanwendungsfall ist die unbewusste Lücke, die entweder schon bei Inkrafttreten des Gesetzes vorlag oder durch einen Wandel der Rechts­ tatsachen oder des Normumfeldes entstanden ist.514 Unterschieden werden ferner offene und verdeckte Gesetzeslücken:515 Fehlt eine Regelung, die nach dem Gesetzeszweck zu erwarten gewesen wäre, so ist die Lücke offen. Verdeckt ist die Lücke, wenn das Gesetz eine Ausnahmevorschrift nicht enthält, die es nach seinem Zweck

509

BVerfGE 34, 269 (287 ff.). Nach Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 198; für diesen ist jedoch Anknüpfungspunkt die planwidrige Unvollständigkeit im Rahmen der gesamten Rechtsordnung. Hier kommt das objektiv-telelologische Verständnis von Canaris zum Tragen; ein anderes Lückenverständnis vertreten Vogel / Pötters / Christensen, Richterrecht der Arbeit, S. 167, wonach entweder eine nachvollziehbare planwidrige Regelungslücke vorliegt oder aber eine höherrangige Norm eine Rechtslücke aufzeigt. 511 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 282. 512 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 873. 513 Kritisch zur Lückenfeststellung generell, Christensen / Kudlich, JZ 2009, S. 947. 514 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 83; die bewusste Lücke eines Gesetzes liegt nur dann vor, wenn der Gesetzgeber in den Materialien ausdrücklich kundgetan hat, dass und weswegen er von einer Regelung abgesehen hat. 515 So etwa Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 136; Canaris selbst nimmt eine Unterscheidung bei den Arten der Lückenfeststellung vor, wonach es Rechtsverweigerungslücken, teleologische Lücken und Prinziplücken gibt, ebenda, S. 142. 510

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Teil 2, Kapitel 2

enthalten sollte.516 Für offene Lücken ist das Rechtsfortbildungsmittel die Analogie, für verdeckte Lücken die teleologische Reduktion.517 Anlass für Gesetzeslücken können das Alter einer Norm, tiefgreifende Veränderungen der Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen sein. Eine Lücke kann sich ferner durch neue Handlungsund Einwirkungsmöglichkeiten ergeben. Auch der unzureichende Schutz grundrechtlich gewährleisteter Rechtsgüter gehört dazu.518 Nach der Einteilung von Canaris wird weiter differenziert in Rechtsverweigerungs-, Funktions- und Prinziplücken. Bei letzteren handelt es sich um Lücken, deren Feststellung mit Hilfe allgemeiner Rechtsprinzipien erfolgt.519 Nach einer weiteren Auffassung geht es nicht um planwidrige Regelungslücken, sondern um wertungs-, grundsatz- oder zweckwidrige Lücken, die es durch die Ergänzung des Regelungswerkes zu beheben gilt.520 Nach anderer Auffassung sind lediglich planwidrige Regelungslücken, also offene und verdeckte Lücken, und Rechtslücken, wonach höherrangige Normen zur Begründung einer Lücke im niederrangigen Recht herangezogen werden, anzuerkennen.521 2. Stellungnahme Letztere Auffassung, wonach lediglich Regelungs- und Rechtslücken existieren, ist bezüglich des Lückenbegriffs vorzugswürdig, weil sie erkennbare Argumentationsgrundlagen für das Vorliegen einer Lücke bereithält. Die Annahme einer solchen bei erkennbarem Widerspruch des Normtextes mit der Entstehungsgeschichte ist gerade im Lichte der hier favorisierten subjektiven Auslegungstheorie522 bedeutsam, da bei Aufdecken einer dahingehenden Dis­k repanz die erkennbare gesetzgeberische Intention zur Anwendung gebracht werden muss. Auch die Berücksichtigung der Normenhierarchie bietet den Vorteil, auf der Grundlage eines systematisch erkennbaren Argumentationsgegenstandes eine ­Lücke auf einfachgesetzlicher Ebene zu ermitteln. Für das Rechtsmissbrauchsverbot stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Lücke notwendig ist. Der Begriff der Lücke bedeutet, dass eine Fallkonstellation nicht gesetzlich geregelt ist. Beim Rechtsmissbrauch ist es jedoch so, dass lediglich für 516

Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 198. Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 83. 518 Pieroth / Aubel, JZ 2003, S. 508. 519 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 141. 520 Heyder, Analogie, S. 30. 521 Christensen / Kudlich, JZ 2009, S. 947. 522 Siehe hierzu unter § 9 B. V. 4. 517

§ 10 Rechtsmissbrauchsverbot als gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung 

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jede einzelne Norm eine konkrete Regelung fehlt, welche den Missbrauch des durch Auslegung ermittelten Rechts verbietet.523 Beim Rechtsmissbrauch ist der Schutzzweck der Norm erreicht, nur die Ausübung des Rechts ist aufgrund entgegenstehender Gründe zu versagen. Einer Lücke bedarf es daher nicht, denn eine allgemeine Missbrauchslücke genügt nicht den Anforderungen an den Begriff der konkreten Wertungslücke. II. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildungsmittel und ihre Abgrenzung zur Rechtsmissbrauchsschranke

Die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung wird so bezeichnet, weil sie sich gerade an den Normtexten der Gesetze orientiert und damit einen konkreten Gesetzesbezug aufweist. Entweder wird an Regelungen mittels Ausdehnung oder Einschränkung des Wortlauts – in Form von Extension oder Reduktion – operiert oder aber es wird die Rechtsfolge einer im Gesetz vorhandenen Norm auf einen gesetzlich nicht geregelten Fall im Wege der Analogie übertragen.524 Diese Rechtsfortbildungsmittel haben für die Verortung und Darstellung des Rechtsmissbrauchsverbots in der Entscheidung praktische Auswirkungen. In Rechtsprechung und Praxis kursieren immer wieder Verweise auf weitere korrigierende methodische Figuren wie die Gesetzesumgehung und die teleologische Reduktion. Deren thematische Nähe zum Einwand des Rechtsmissbrauchs macht eine Abgrenzung nötig. 1. Teleologische Reduktion Die teleologische Reduktion eines Gesetzes setzt eine Regelungslücke voraus,525 bei der ein Sachverhalt vom Wortsinn der Norm gedeckt ist, aber nicht vom Normzweck erfasst wird.526 Sie ist daher lediglich bei verdeckten Regelungslücken anwendbar. Bei der teleologischen Reduktion werden der Anwendungsbereich des Tatbestandes oder ihrer Rechtsfolge zur Wahrung der gesetzgeberischen Wertent-

523 Mader, Rechtsmißbrauch, S. 85. Die Figur des Rechtsmissbrauchs als methodisches Mittel würde eine „Gesamtlücke“ voraussetzen. 524 In alten Kodifikationen wurden Lückenfüllungen anders gehandhabt: in Preußen (ALR) musste der Richter grundsätzlich an die Gesetzeskommission vorlegen; das ABGB hat dagegen in den §§ 6–7 ABGB ein Lückenfüllungskonzept für den Richter vorgelegt; auch in Frankreich wurde in Art. 4 CC ein Rechtsverweigerungsverbot verankert und damit – ohne konkrete Vorgaben – eine Lückenschließungskompetenz geschaffen; vgl. hierzu umfassend Höltl, Die Lücken­füllung der klassisch-europäischen Kodifikationen, S. 109, 153, 205. 525 Kritisch aber Brandenburg, Die teleologische Reduktion, S. 77, der statt Lücken im Gesetz von für bestimmte Fallgruppen fehlerhaftem Normtext sprechen will. Dies ist letztlich aber lediglich eine andere Bezeichnung desselben Problems. 526 Palandt / Grüneberg, Einl. Rn. 49; hier ist insbesondere der gesetzgeberische Wille entschei­ dend BVerfGK 13, 108 (112).

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scheidung eingeengt.527 Dies erfordert zunächst anhand der oben dargelegten Auslegungsmittel528 Wortlaut, Systematik und Historie-Genese die Darstellung eines Auslegungsergebnisses und sodann die Aufführung von Argumenten, inwiefern der konkrete Sachverhalt eine teleologische Reduktion rechtfertigt. Konkret ist eine solche etwa notwendig, wenn der Schutzzweck der Norm durch die Anwendung in sein Gegenteil verkehrt würde.529 Larenz erweitert die Teleologie sogar auf den Zweck einer anderen Norm, die Natur der Sache oder ein vorrangiges Prinzip.530 Die Reduktion des Wortlautes wird dergestalt durchgeführt, dass eine Vorschrift auf eine oder wenige Begriffe reduziert wird. Der Wortlaut wird vom Rechtsanwender um weitere Tatbestandsmomente erweitert, so dass die Rechtsfolge nur bei Vorliegen dieses selbständigen Tatbestandsmerkmals eintreten kann.531 Die teleologische Reduktion ist nach herrschender Auffassung Teil der abändernden Rechtsfortbildung.532 Diese Schrankenwirkung der teleologischen Reduktion macht eine Abgrenzung zu derjenigen des Rechtsmissbrauchsverbots nötig.533 Beide methodischen Institute haben die Eigenschaft, dass sie zu einer Beschränkung von Rechten und Normen führen. Die teleologische Reduktion beschränkt den Wortlaut des Gesetzes, das Rechtsmissbrauchsverbot beschränkt ein durch Auslegung ermitteltes Recht. Es handelt sich bei diesem Abgrenzungsproblem nicht um eine neuartige Problematik, da das Verhältnis von einschränkender Auslegung zum Prinzip der Billigkeit im Hinblick auf die Begrenzung von Rechten schon im 16. Jahrhundert unklar war.534 Die hinsichtlich teleologischer Reduktion und § 242 BGB bisher ergangene Rechtsprechung des RG und des BGH sowie der Instanzgerichte problematisiert dieses Konkurrenzverhältnis meist nicht näher; die Gerichte wenden zum großen Teil § 242 BGB ohne Erwähnung einer Abfolge des methodischen Vorgehens an. Dies mag darin begründet liegen, dass das Rechtsmissbrauchsverbot mit seinen Vorläufern der exceptio doli und aequitas eine längere Geschichte hat als die am

527

Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 262; Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 211; Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 78, S. 621 (sehen diese als Teil der teleologischen Auslegung); Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 903, sehen die teleologische Reduktion als Teil der Rechtsfortbildung. 528 Siehe hierzu § 9 B. II-V. 529 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 87. 530 Larenz, Methodenlehre6, S. 392. 531 Brandenburg, Teleologische Reduktion, S. 77; Diederichsen, in: FS Wieacker, S. 334. 532 Siehe dazu: Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 279, 304; Heyder, Gültigkeit und Nutzen der besonderen juristischen Schlussformen in der Rechtsfortbildung, S. 121, sieht die teleologische Reduktion und in der Konsequenz auch die Extension als Interpretation, die Analogie dagegen als Schlussform. Insgesamt anders bewertet die Angelegenheit von Fischer, Topoi, S. 51, indem er danach differenziert, ob die gesetzgeberische Interessenbewertung (Auslegung) oder der äußerst mögliche Wortsinn (Rechtsfortbildung) als maßgeblich angesehen wird. 533 MünchKomm-BGB / Roth / Schubert, § 242 BGB Rn. 122; hierzu sogleich unter § 10 A. II. 1. 534 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 66.

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Grundsatz cessante ratione legis cessat lex ipsa535 ausgerichtete restriktive Interpretation als Vorgängerin der teleologischen Reduktion.536 Die Abgrenzung dieser Methoden ist – unbeschadet dieser möglichen historischen Erklärung – notwendig zur Erhöhung der Rationalität der Entscheidungsfindung. In der Literatur gibt es hierzu verschiedene Vorschläge der Auflösung. a) Abgrenzung zum individuellen Rechtsmissbrauch aa) Meinungsstand Honsell fordert,537 dass die teleologische Reduktion das Verbot des Rechtsmissbrauchs bei der Rechtsanwendung ablösen müsse. Das Rechtsmissbrauchsverbot sei damit auf besonders krasse Einzelfälle zu beschränken.538 Verbunden wird damit das Ziel, einer teleologisch freieren Rechtsfindung nach der ratio legis Rechnung zu tragen. Die überkommene Lehre der unzulässigen Rechtsausübung sei durch dieses neue, weite Auslegungsverständnis abgelöst worden.539 Etwas moderater verfährt Schubert in seiner Kommentierung zu § 242 BGB, wonach die Argumentation für eine beschränkende Entscheidung entweder einer speziellen Norm oder aber dem Grundgedanken des § 242 BGB zuzuordnen sein soll.540 Soweit darauf abgehoben wird, dass die Einschränkung in der Norm selbst wurzeln muss, kann damit – unter Zugrundelegung des hier maßgeblichen Auslegungsverständnisses – nur der im Wege der historischen Zweckforschung ermittelte Gesetzeszweck gemeint sein. Dagegen dürfen Elemente wie Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit nicht als bloße abstrakte Kriterien verwendet werden. Letztlich wird damit ein Nebeneinander von teleologischer Reduktion und § 242 BGB behauptet, wobei eine Orientierung am Gesetzeszweck den Rückgriff auf die teleologische Reduktion und im Übrigen mit Blick auf den Grundgedanken von § 242 BGB auf das Rechtsmissbrauchsverbot gestattet. Looschelders / Olzen grenzen danach ab, dass die teleologische Reduktion eingreife, wenn von dem gesetzgeberischen Regelungswillen auch dieser Sachverhalt von der streitgegenständlichen Norm erfasst werden sollte. § 242 BGB greife dagegen ein, wenn dies 535 „Fällt der Sinn eines Gesetzes weg, so fällt das Gesetz selbst weg“, vgl. hierzu Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust, S. 421 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 232 ff.; Löwer, Cessante ratione, passim. 536 Zum Vergleich der aequitas und der restriktiven Auslegungsregel Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 153 ff. 537 Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 385, allerdings mit Konzentration auf das schweizerische Recht, in dem im Schrifttum die Doktrin dahin ging, dass eine teleologische Reduktion das Rechtsmissbrauchsverbot des Art. 2 Abs. 2 ZGB abgelöst hat, vgl. Jaun, Teleologische Reduktion, S. 227. 538 Ebenso Jaun, Teleologische Reduktion, S. 241. 539 Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 369. 540 MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 127.

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nicht der Fall sei und sich die Notwendigkeit in der Abwägung der im Einzelfall maßgeblichen Tatsachen ergebe.541 Kudlich differenziert etwas anders:542 Bei engem Verständnis der teleologischen Reduktion ergebe sich die Schranke zwingend aus der Normlogik, beim Missbrauch eröffne sie ein Ermessen. Bei der teleologischen Reduktion werde der Schutzzweck der Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt, beim Missbrauch liege das Verhalten nicht mehr innerhalb des Schutzzwecks.543 Wird nicht die Kehrseite der ratio legis betroffen, sondern lediglich der Telos nicht erreicht, sei nach weitem Verständnis für eine teleologische Reduktion kein Raum. Allerdings greife bei Nichterreichen des Schutzzwecks das Element des Rechtsmissbrauchs nur dann, wenn die erreichten Folgen nicht hinnehmbar seien.544 bb) Stellungnahme Keine der bisher zum Verhältnis von individuellem Missbrauchsverbot und teleologischer Reduktion geäußerten Auffassungen überzeugt gänzlich. Teleologische Reduktion ist nämlich nur dann möglich, wenn eine dem Wortlaut entsprechende Rechtsanwendung den konkreten Schutzzweck der Norm verfehlt. Individueller Rechtsmissbrauch findet dagegen Anwendung, wenn die ratio legis zwar formal erreicht wird, aber aus Verhaltensgründen des Handelnden oder im Lichte einer Abwägung der Parteiinteressen die Berufung auf das Recht versagt wird. Mit dieser Grundunterscheidung geht automatisch ein enges Verständnis von teleologischer Reduktion einher. Zur Illustration dieser Abgrenzung kann man die teleologische Reduktion des § 181 BGB heranziehen:545 Dessen Telos geht dahin, Interessenkonflikte von Vertretenem und Vertreter zu vermeiden. Ist das Geschäft aber für den Vertretenen lediglich rechtlich vorteilhaft, kann ein Interessenkonflikt nicht entstehen. Das Verbot des Selbstkontrahierens verfehlte den konkreten, gesetzgeberisch gewollten546 Schutzzweck. Die Vorschrift ist daher um eine weitere Alternative, nämlich die des lediglich rechtlichen Vorteils, zu erweitern.547 Ein individueller Rechtsmissbrauch liegt nicht vor, weil schon der konkrete Schutzzweck der Norm nicht erreicht wird.

541

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 345. Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 21 arbeitet jedoch allein mit der Hypothese eines institutionellen Rechtsmissbrauchsverbots. 543 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 87. 544 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 88. 545 So auch Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 86 (Fn. 101). 546 BVerfGK 13, 108 (112); BVerfGK 19, 89 (100). 547 BGHZ 94, 232 (235); BGH, NJW 2011, 918 ff.; Palandt / Ellenberger, § 181 BGB Rn. 2, 9; Wolf / Neuner, Allgemeiner Teil, § 49 Rn. 117. 542

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Verfassungsrechtlich greift hier das Element der Gesetzesbindung. Bei der teleo­ logischen Reduktion findet eine Schrankenziehung hinsichtlich des Wortlauts statt, weil dieser zu weit geht. Beim Rechtsmissbrauchsverbot ist der Fall vom konkreten Schutzzweck und vom Wortlaut der Norm gedeckt, jedoch führen andere Gründe dazu, dass der Ausübende sich nicht auf das Recht berufen kann. Eine auf Treu und Glauben basierende Abwägung im Rahmen von § 242 BGB wird dem als nachrangige Rechtsfindungsregel gerecht, muss aber zunächst auf die Ermittlung des historischen Normzwecks Rücksicht nehmen.548 Ob im Einzelfall der konkrete Schutzzweck verfehlt worden ist, also der Fall einer teleologischen Reduktion vorliegt, oder ob weitere Argumente bei erreichtem Schutzzweck gegen die Anwendung sprechen, also das Rechtsmissbrauchsverbot heranzuziehen ist, kann nur im Rahmen der Subsumtion geklärt werden. Auf diese kommt es entscheidend an, weil sie festlegt, ob der konkrete Fall unter den in Rede stehenden Rechtsbegriff untergeordnet werden kann. Die konkrete Abgrenzung zwischen Rechtsmissbrauch und teleologischer Reduktion findet daher auf unterschiedlichen Ebenen statt. Der Rechtsanwender ermittelt durch die Interpretation von Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte den situativen Zusammenhang und Ausgangspunkt des Normtextes. Ist die Zielsetzung, also das Telos der Norm, argumentativ festgestellt und lässt sich der Fall unter die Norm zwar vom Wortlaut, nicht jedoch vom Schutzzweck der Norm her subsumieren, bedarf es der teleologischen Reduktion. Die teleologische Reduktion greift damit nur, wenn eine Wertungslücke besteht. Erfassen der Schutzzweck sowie der Wortlaut der Norm den konkreten Fall abstrakt-generell, kann er also unter den konkreten Normzweck subordiniert werden, ist die Befugnis oder das Recht zugunsten der handelnden Partei grundsätzlich entstanden. Aus Gründen der Vermeidung von Widersprüchlichkeit, der entstehenden Folgen oder anderer argumentativer Gesichtspunkte des Rechtsmissbrauchsverbots kann jedoch durch die Begründung mit diesem die Ausübung des Rechts versagt werden. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist daher, ob die konkreten Gesetzeszwecke auch auf den zu entscheidenden Sachverhalt zutreffen. Diese Begründung der Ähnlichkeit von konkretem Sachverhalt zu gesetzgeberischem Zweck ist der erste Schritt, der bei der Subsumtion vorgenommen werden muss. Die maßgebliche Grenze von teleologischer Reduktion zum Rechtsmissbrauchsverbot verläuft über die Subsumtionsmöglichkeit des konkreten Sachverhaltes unter den gesetzgeberischen Schutzzweck. Greift sie sowohl hinsichtlich des Schutzzwecks als auch des Wortlauts, begrenzt nur noch das Rechtsmissbrauchsverbot die Ausübung. Liegt nur eine Subsumtionsmöglichkeit unter den Wortlaut, nicht aber unter den Schutzzweck vor, ist die teleologische Reduktion heranzuziehen. 548 Generell kritisch zur Möglichkeit, die Autorintention zu ermitteln, Busse, Juristische Semantik, S. 30; ders., Sprachverstehen, S. 47.

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b) Abgrenzung zum institutionellen Rechtsmissbrauch Schließlich stellt sich bei einer Abgrenzung vom Rechtsmissbrauchsverbot zur teleologischen Reduktion die Frage, wie es sich zum Institut des institutionellen Rechtsmissbrauchs verhält. Der institutionelle Rechtsmissbrauch begrenzt Normen und Rechtslagen, indem bei einem Verstoß gegen Sinn und Zweck des Rechtsinstituts dessen Rechtsfolgen eingeschränkt werden.549 Es wird von der Rechtspraxis etwa hinsichtlich eingerichteter Befugnisse und Institute wie Befristungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen bemüht.550 Insoweit birgt dieses Institut methodisch Konfliktpotential mit der teleologischen Reduktion, da beide zu einer Beschränkung von Rechten aufgrund des Sinn und Zwecks führen. Im Hinblick darauf, dass beide Mittel auf den Sinn und Zweck der Norm abstellen, ist ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot in Form des institutionellen Rechtsmissbrauchs nicht notwendig. Dasselbe Ergebnis wird nämlich mit der teleologischen Reduktion der das Recht begründenden Norm ebenfalls gewährleistet, wenn die ermittelbare gesetzgeberische Zielsetzung in diese Richtung weist. Kudlichs Differenzierung, wonach bei der teleologischen Reduktion der Schutzzweck der Vorschrift in ihr Gegenteil verkehrt würde, beim Missbrauch das Verhalten nicht mehr innerhalb des Schutzzwecks liege,551 ermöglicht zwar eine Unterscheidung. Diese Differenzierung schafft für die Rechtspraxis aber dadurch Schwierigkeiten in der Handhabung, weil die Bestimmung des Gegenteils552 und das Nichterreichen des Schutzzwecks nur schwer voneinander zu trennen sind. Entscheidend für das Verhältnis der beiden methodischen Mittel ist zum einen, wie das jeweilige Institut normqualitativ ausgestaltet ist; wird es durch einen Normtext repräsentiert, ist die teleologische Reduktion maßgeblich. Handelt es sich dagegen um ein richterlich oder gewohnheitsrechtlich geschaffenes Institut, ist das Mittel der teleologischen Reduktion nicht anwendbar, da es an der hierfür notwendigen gesetzgeberischen Aussage fehlt. Zum anderen kann der institutionelle Rechtsmissbrauch greifen, wenn sich zwar das Verhalten unter den Schutzzweck der Norm subsumieren lässt, jedoch der Zweck des gesamten Rechtinstituts durch die konkrete Rechtsanwendung ausgehöhlt würde. Als Ergebnis kann folglich festgehalten werden, dass der institutionelle Rechtsmissbrauch weiterhin als eigenständige Kategorie neben der teleologischen Reduktion bestehen bleibt. Sein Anwendungsbereich ist dabei zum einen auf nicht gesetzliche Rechtsquellen beschränkt. Zum anderen hat das institutionelle Rechts 549

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 217. BeckOK-BGB / Sutschet, § 242 BGB Rn. 51. 551 Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 87. 552 Schon die Bestimmung des Gegenteils ist schwierig, weil sich perfekte Gegensätzlichkeit nur mit mathematischer Semiotik beschreiben lässt, Kaufmann, Analogie, S. 29. 550

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missbrauchsverbot die Kontrolle des konkreten Normzweckergebnisses im Hinblick auf das gesamte Rechtsinstitut zur Folge. Gerade letzteres führt aber angesichts des häufigen Gleichlaufs von konkretem Normzweck und dem Zweck des gesamten Rechtsinstituts nur in wenigen Situationen zu unterschiedlichen Lösungen, so etwa bei der Handhabung von Ausnahmevorschriften im Rahmen eines Rechtsinstituts. Eine maßgebliche Konsequenz dieser Hypothese ist, dass der Anwendungsbereich der dogmatischen Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs im Prozessrecht nur ganz selten gegeben sein wird. Soweit im Prozess nicht auf Prozessrechtsnormen, sondern auf richterliche oder gewohnheitsrechtliche Rechtsquellen abgestellt wird oder das prozessuale Institut insgesamt betrachtet wird, verbleibt auch im Verfahren ein Anwendungsbereich für den institutionellen Rechtsmissbrauch. Ein Beispiel sind etwa der Parteiwechsel und die Parteierweiterung, da es sich durch Zuordnung zur Klageänderung nach §§ 263 ff. ZPO um ein richterrechtliches Institut handelt.553 2. Teleologische Extension Die teleologische Extension stellt ein Mittel der abändernden Rechtsfortbildung dar, wobei man damit zunächst den Wortsinn auf der Ebene des Tatbestandes und der Rechtsfolge erweitern könnte.554 Die teleologische Extension weist inhaltlich eine große Nähe zur Analogie auf;555 eine trennscharfe Abgrenzung wird aber dann möglich, wenn man mit der teleologischen Extension nur die Rechtsfolgen erweitert und die Analogie für die zusätzliche Erstreckung des Tatbestandes heranzieht.556 Der maßgebliche Unterschied zur Analogie besteht überdies darin, dass die Vergleichbarkeit der Interessenlage bei der teleologischen Extension nicht von Bedeutung ist. Vielmehr ermöglichen Sinn und Zweck der extensivierten Vorschrift die Rechtsfortbildung.557 Die teleologische Extension ist damit ebenfalls Teil einer abändernden Rechtsfortbildung.558 Gearbeitet wird mit der Operation einer Begriffserweiterung, indem nicht nur die bisher gefundenen Bedeutungen als maßgeblich angesehen werden, sondern dem gesetzlichen Begriff eine weitere Bedeutung zugeschrieben wird.559 Durch Argumente muss dargelegt werden, weswegen das gefundene Auslegungsergebnis durch Erweiterung des Wortgebrauchs einschlägig sein soll.

553

Ständige Rechtsprechung seit RGZ 11, 339 (341). So ohne nähere Differenzierung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge, Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 216. 555 Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 218. 556 So explizit Meier / Jocham, JuS 2015, S. 495; dies., JuS 2016, S. 394. 557 Würdinger, AcP 206 (2006), S. 965. 558 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 268. 559 Diederichsen, in: FS Wieacker, S. 334; eine solche Figur ist freilich nur im deterministischen Rechtsfindungsmodell möglich, weil nur dieses von einer a-priori-Wortlautgrenze ausgeht. 554

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3. Analogie, Größen- und Umkehrschluss Die Analogie ist die Übertragung einer in einer Vorschrift niedergelegten Rechtsfolge560 bei vergleichbarer Interessenlage und planwidriger Regelungslücke auf einen ähnlich gelagerten Sachverhalt.561 Wird nur eine einzelne Vorschrift herangezogen, um eine Gesetzeslücke zu schließen, spricht man von Gesetzesana­ logie.562 Die Rechtsanalogie setzt dagegen voraus, dass aus mehreren Vorschriften ein gemeinsamer Grundgedanke entwickelt und dieser Grundgedanke auf den konkret-individuellen Einzelfall übertragen wird.563 Maßgeblich für die Analogie ist das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 GG, da dieses vorschreibt, dass Gleiches gleich behandelt werden muss und Ungleiches „seiner Eigenart entsprechend verschieden“564 oder ebenfalls gleich behandelt werden kann. Dies bezieht sich namentlich auf eine Gleichheit von Lebenssachverhalten, die unter Berücksichtigung des Normzwecks eine Gleichbehandlung notwendig machen.565 Die von Looschelders / Roth vorgenommene Abstufung dahingehend, dass im Bereich wertungsmäßiger Identität sowie wertungsmäßiger wesentlicher Gleichheit ein Analogiegebot, im Bereich der wertungsmäßigen Ähnlichkeit weder ein Analogiegebot noch -verbot besteht und im Bereich der wertungsmäßigen wesentlichen Ungleichheit ein Analogieverbot besteht, führt zumindest dazu, dass die Analogiebildung strukturiert wird.566 Die damit einhergehende wertungsbedingte Offenheit einer Einordnung in die jeweilige Kategorie ist hinzunehmen, solange sie durch den Richter in seiner Entscheidungsbegründung argumentativ dargestellt wird. Die 560

Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 269, 304. Palandt / Grüneberg, Einl. Rn. 48; auf eine besondere Analogieermächtigung wurde beim BGB bewusst verzichtet, da eine besondere Rechtsgrundlage hierfür nicht erforderlich sei, vgl. nur Raisch, Juristische Methoden, S. 152 unter Hinweis auf die Protokolle von Mugdan. 562 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 85. 563 Wank, Auslegung von Gesetzen, S. 87; die Differenzierung wird vereinzelt als zweifelhaft angesehen; einzelne Stimmen sehen die Rechtsanalogie als Induktionsschluss, die Gesetzesanalogie dagegen als Schluss von einem besonderen Fall auf einen anderen besonderen Fall; die andere Ansicht sieht beide Analogien als Verallgemeinerungsverfahren an, vgl.: Heyder, Gültigkeit und Nutzen der besonderen juristischen Schlussformen in der Rechtsfortbildung, S. 53. 564 BVerfGE 3, 58 (135); statt vieler Jarass / Pieroth / Jarass, Art. 3 GG Rn. 8; in diesem Punkt anderer Ansicht: Bonner Kommentar / Rüfner, Art. 3 GG Rn. 9 f. 565 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 304; Würdinger AcP 206 (2006), S. 952. Hierzu gehört auch die viel zitierte Regel, dass Ausnahmevorschriften nicht analogiefähig seien. Ein derartiges Verständnis verstößt gegen Art. 3 GG, weil es das Recht des Betroffenen auf Gleichbehandlung unterläuft, siehe ebenda, S. 975; so auch Sonnentag, Renvoi, S. 99; ders., Rückgewährschuldverhältnis, S. 294; etwas unschärfer Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 217. 566 Diese Differenzierung verwenden Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 309; fruchtbringend ist aber insoweit auch gerade der Ansatz von Heyder, Gültigkeit und Nutzen der besonderen juristischen Schlussformen in der Rechtsfortbildung, S. 99 ff., da er einen formallogischen Argumentationsverlauf anhand von sieben Prämissen erstellt. Eine derartige Vorgehensweise aufgrund logischer Operationen fördert die Transparenz der Entscheidung; die Bedeutung der Wertentscheidung beim Analogieschluss aufzeigend und dessen Abstraktionseignung verneinend, Schneider, Logik für Juristen, S. 149. 561

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Analogie ist als juristische Schlussform anders als Extension und Reduktion zumindest ein Stück weit der Formallogik zugänglich.567 Häufig werden in einem Atemzug mit der Analogie noch der Erst-recht-Schluss und der Umkehrschluss genannt. Bei beiden Wertungen handelt es sich weniger um eine Methode als um konkrete Argumentationsformen. Der „Erst-recht“-Schluss ist ein Sonderfall des Analogieschlusses und kann „a maiore ad minus“ und „a minore ad maius“ vorgenommen werden.568 Grundannahme beider Schlussformen ist es, dass eine Vorschrift für einen nicht geregelten Lebenssachverhalt eher gegeben sei als für den geregelten Lebenssachverhalt.569 Eine rein logische Operation stellt dies nicht dar, sondern die Annahme der Sachverhaltsähnlichkeit ist wiederum Ergebnis einer Wertung im Anschluss an die eigene Argumentation. Gegenstück des Analogieschlusses ist der Umkehrschluss. Die Nichtregelung eines Lebenssachverhaltes führt dazu, dass unter Bezugnahme auf den Normzweck keine Lücke im Gesetz ausgemacht werden kann und so kein Regelungsbedarf besteht.570 Umkehrschlüsse auf der Grundlage des Analogieverbots und solche, die im Einzelfall die Rechtsfolgenübertragung nach der ratio legis bestreiten, sind die plausibelsten Formen des argumentum e contrario.571 Konfliktlagen mit dem Rechtsmissbrauchsverbot ergeben sich entsprechend der Situation zur teleologischen Reduktion nicht, weil für die Analogie eine Wertungslücke erforderlich ist. 4. Die Gesetzesumgehung Ein in der Rechtswissenschaft neben dem Rechtsmissbrauchsverbot weit verbrei­ tetes argumentatives Instrument ist die Gesetzesumgehung.572 Sie hat insbesondere im Internationalen Privatrecht eine besondere Bedeutung.573 Die Gesetzesumge 567

Kritisch insoweit Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 202; der formallogische Anteil bei der Analogie besteht nach Heyder darin, dass sie die Frage beantwortet, welche Voraussetzungen man für die Rechtfertigung einer Aussage bejahen muss, Heyder, Gültigkeit und Nutzen, S. 43. 568 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 897. 569 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 898; Heyder, Gültigkeit und Nutzen, S. 148–149 sieht zumindest ein enges Verwandtschaftsverhältnis zwischen Größen- und Analogieschluss. Der Anwendungsbereich ist aber nicht nur im Rahmen der Rechtsfortbildung, sondern als Argumentationsfigur auch bei der Rechtsanwendung gegeben. 570 Rüthers / Fischer / Birk, Rechtstheorie9, Rn. 899. 571 Heyder, Gültigkeit und Nutzen, S. 135. 572 Der Grund, weswegen hier speziell auf die Gesetzesumgehung eingegangen wird, ist, dass Zeiss, Die arglistige Prozesspartei, S. 58, 98 f. gerade auf dieses Element abhebt, wenn es um die Lösung der Fallgruppe „Arglistiges Schaffen von Prozesslagen“ geht; zur Geschichte des Instituts im 19. und 20. Jahrhundert, Schröder, Gesetzesumgehung, S. 13 ff. 573 Vgl. hierzu Kropholler, Internationales Privatrecht, S. 157, ebenso Erwägungsgrund 26 der EuErbVO: Diese Verordnung sollte ein Gericht nicht daran hindern, Mechanismen gegen die Gesetzesumgehung wie beispielsweise gegen die fraude à la loi im Bereich des Internationalen

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hung stammt wie der Rechtsmissbrauch aus dem römischen Recht und wurde dort als fraus legis bezeichnet.574 Gesetzesumgehung bedeutet, dass eine Partei den Zweck eines Rechtssatzes vereiteln will, indem sie deren Tatbestand durch künstliche Ausnutzung von Gestaltungsmöglichkeiten vermeidet oder verwirklicht.575 Die Form der Gesetzesumgehung, in welcher der Tatbestand einer Vorschrift durch Handeln einer Partei gerade herbeigeführt werden soll,576 gibt es somit auch. Man unterscheidet demnach die Formen der Tatbestandsvermeidung und der Tatbestandserschleichung.577 Es geht nicht allein um die Frage von § 134 BGB, die Umgehung von Verbotsnormen, sondern gleichermaßen um die Umgehung von Befugnisnormen. Bei der Annahme des Instruments einer allgemeinen Gesetzesumgehung werden aus normtheoretischer Perspektive nicht nur Verbotsnormen, sondern auch Erlaubnisnormen erfasst.578 Nach richtiger Ansicht von Benecke ist die Gesetzesumgehung nicht dazu geeignet, im Wege einer Auslegung der Norm abgewehrt zu werden.579 Denn die Prüfung einer Gesetzesumgehung beginnt erst, wenn nicht bereits Auslegung und Subsumtion den streitgegenständlichen Sachverhalt erfassen.580 Die Gesetzesumgehung ist auf Ebene der Lückenausfüllung damit in Form der Tatbestandsvermeidung ein Problem der Analogie,581 in Form der Tatbestandserschleichung dagegen ein Unterfall der teleologischen Reduktion.582 Der Gesetzesumgehung liegt ein Perspektivenwechsel gegenüber dem Rechtsmissbrauch zugrunde. Der Bürger oder sein rechtlicher Vertreter versuchen einen gesetzlich geschützten Erfolg dadurch herbeizuführen, dass sie das Eingreifen von Tatbestand oder Rechtsfolge einer Vorschrift gezielt umgehen oder deren Voraussetzungen herbeiführen. Die Gesetzesumgehung führt dazu, dass eine Aufdeckung einer Gesetzeslücke möglich wird.583 Diese kann entweder dadurch gelöst werden, dass das umgangene Gesetz analog Privatrechts anzuwenden. Daneben wird mit ihr auch häufig im Arbeitsrecht argumentiert, so etwa BAG NJW 1961, 798; BAG NZA 2009, 1207. 574 Behrends, Fraus legis, S. 109. 575 Römer, Gesetzesumgehung, S. 19. 576 Grundlegend Vetsch, Gesetzesumgehung, S. 231; Römer, Gesetzesumgehung, S. 34; Maday, Gesetzesumgehung, S. 29. 577 Vetsch, Gesetzesumgehung, S. 220, 231; Römer, Gesetzesumgehung, S. 34; Maday, Gesetzesumgehung, S. 29; Mader, Rechtsmissbrauch, S. 137 f. 578 Tamussino, Gesetzesumgehung, S. 58, zu Erlaubnisnormen Kelsen, Theorie der Normen, S. 78; es kann sich dabei auch um derogierende Erlaubnisnormen handeln; hierzu auch Walter in Rechtstheorie Beiheft 1 (1979), S. 300; zur Normentheorie Kelsens auch Heidemann, Norm als Tatsache, S. 344. 579 Benecke, Gesetzesumgehung, S. 87; anders aber Teichmann, JZ 2003, S. 765. 580 Benecke, Gesetzesumgehung, S. 84. 581 Benecke, Gesetzesumgehung, S. 80; zur Tatbestandsvermeidung Teichmann, Gesetzesum­ gehung, S. 50 ff. 582 Klöpfer, Missbrauch, S. 61; Schick, Gesetzesumgehung, S. 199; Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 61 (dort unter Fn. 51); zur Terminologie: Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 48; in diese Richtung auch, Römer, Gesetzesumgehung, S. 35. 583 Klöpfer, Missbrauch, S. 66.

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angewandt oder die Vorschrift teleologisch reduziert wird. Um das Verhältnis von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauchsverbot herrscht Streit. a) Meinungsstand Nach einer Ansicht wird dem Tatbestand des Rechtsmissbrauchs teilweise Vorrang gegenüber der Gesetzesumgehung eingeräumt, weil die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs enger584 oder eher anerkannt seien.585 Vereinzelt wird darauf abgestellt, dass das Rechtsmissbrauchsverbot die Gesetzesumgehung mitumfasse.586 Eine andere Auffassung differenziert zwischen institutionellem und individuellem Rechtsmissbrauch: Institutioneller Rechtsmissbrauch und Gesetzesumgehung seien identisch.587 Hinsichtlich der Abgrenzung zum individuellen Rechtsmissbrauch wird innerhalb dieser Ansicht Verschiedenes vertreten. Nach von Lackum unterscheide sich Rechtsmissbrauch insoweit von der Gesetzesumgehung, weil letztere auf allgemeinen Rechtsanwendungsgrundsätzen beruhe, ersterer dagegen nicht.588 Teichmann sieht demgegenüber keine Abgrenzungsproblematik, weil der individuelle Rechtsmissbrauch nur das Verhalten zwischen den Parteien beleuchte und nicht die Berufung auf eine Norm in den Blick nehme.589 Römer hält fest, dass Rechtsmissbrauch die unzulässige Ausübung eines beste­ henden Rechts betone, die Gesetzesumgehung schaffe dagegen erst die für den Tatbestand notwendigen Voraussetzungen.590 Nach einer weiteren Auffassung genieße die Gesetzesumgehung als Teil der Analogie respektive der teleologischen Reduktion schon von der Prüfungsreihenfolge her Vorrang vor dem Rechtsmissbrauchsverbot.591 b) Stellungnahme Keine der dargelegten Ansichten überzeugt in vollem Umfang. Vorzugswürdig ist vielmehr die Anerkennung der Wesensverschiedenheit von Gesetzesumgehung und Rechtsmissbrauch innerhalb des Rechtsfindungsvorgangs. Während die Geset 584

Benecke, Gesetzesumgehung, S. 148. Maday, Gesetzesumgehung, S. 34. 586 Reuß, Forum Shopping, S. 221. 587 Klöpfer, Missbrauch, S. 70; Mader, Rechtsmissbrauch, S. 138; Teichmann, Gesetzesum­ gehung, S. 77; differenzierend Tamussino, Gesetzesumgehung, S. 112; ebenso DommermuthAlhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 158, der dies allerdings nur für die Tatbestandserschleichung annehmen will. 588 Von Lackum, Gesetzesumgehung, S. 65. 589 Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 76. 590 Römer, Gesetzesumgehung, S. 57; ähnlich auch: Schnitzer, Handbuch IPR I, S. 256. 591 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 65; im Ansatz auch Heeder, Fraus legis, S. 115. 585

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zesumgehung als Argument innerhalb der Subsumtion die Wertungslücke aufdeckt, bedarf der Rechtsmissbrauch keiner Lücke, deckt eine solche jedoch auch nicht auf. Das Verhältnis zur Gesetzesumgehung ist dadurch gekennzeichnet, dass bei dieser der Schutzzweck der Norm verfehlt wird. Während sie zwar vom Wortlaut, aber nicht vom konkreten Schutzzweck umfasst wird, sind beim Rechtsmissbrauch sowohl der konkrete Schutzzweck der Norm als auch der Wortlaut erfasst.592 Eine Rechtsausübung scheitert gleichwohl an den argumentativen Kategorien des Rechtsmissbrauchs, indem auf das Verhalten der Partei, die in Rede stehenden Interessen oder den Zweck des gesamten Rechtsinstituts abgehoben wird. Das Verhältnis ist damit dasselbe wie das zwischen teleologischer Reduktion und Rechtsmissbrauch.593 Zuzugeben ist, dass sich die überkommenen Vorstellungen von institutionellem Rechtsmissbrauch und teleologischer Reduktion weitestgehend decken.594 Allerdings kann von Lackum595 nicht darin zugestimmt werden, dass allein die Gesetzesumgehung auf allgemeinen Rechtsanwendungsgrundsätzen basieren soll. Das Rechtsmissbrauchsverbot beruht auf dem Treu-und-Glauben-Prinzip und damit einem anerkannten und gleichsam fundamentalen Rechtsgrundsatz der deutschen Privatrechtsordnung. Soweit mit Rechtsanwendungsgrundsatz gemeint sein soll, dass allein die Gesetzesumgehung methodischen Charakter habe, kann dem angesichts der festgestellten Schrankenwirkung des Rechtsmissbrauchsverbots nicht beigepflichtet werden.596 Das Verhältnis des Rechtsmissbrauchsverbots zur Gesetzesumgehung zeichnet sich daher nicht durch einen Vorrang der Analogie597 oder der teleologischen Reduktion, sondern durch eine Wesensverschiedenheit aus. Die damit alternative Anwendung von Rechtsmissbrauchsverbot und Analogie sowie teleologischer Reduktion verstößt nicht gegen das Primat des Gesetzes im Rahmen der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung von Exekutive und Legislative, Art. 20 Abs. 3 GG. Mit dem typischen Fall des Rechtsmissbrauchs gerät die Analogie nämlich kaum in Konflikt, weil für die Analogie zumindest eine Wertungslücke vorliegen muss. Ein weiterer Gesichtspunkt ist, dass die Gesetzesumgehung keine eigenständige methodische Kategorie ist,598 weil sie mit den Mitteln der Analogie oder der teleo-

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Anders aber wohl Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 157. Siehe hierzu unter § 10 A. II. 1. a) bb). 594 So auch Mader, Rechtsmissbrauch, S. 138. 595 Von Lackum, Gesetzesumgehung, S. 65. 596 Siehe hierzu bereits oben § 9 A. II. 597 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 350; so auch Bydlinski, in: Symposion Wieacker, S. 203 Fn. 40; einschränkend Larenz, Schuldrecht I, S. 120, zum Ausnahmecharakter von Treu und Glauben. 598 Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 179; Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 78, 105; Mader, Rechtsmissbrauch, S. 140 f.; anderer Auffassung Schick, Gesetzesumgehung, S. 205. 593

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logischen Reduktion gelöst werden kann und die gezielte Umgehung einer gesetzlichen Rechtsfolge bloß das Verhalten des Handelnden ausdrückt. Soweit die Gesetzesumgehung in Form der Tatbestandserschleichung eine teleologische Reduktion darstellt, greift das oben zu diesem Verhältnis der methodischen Mittel Gesagte:599 Hält man die teleologische Reduktion nur dann für anwendbar, wenn zwar der Wortlaut der konkreten Vorschrift getroffen, aber der Schutzzweck der konkreten Vorschrift verfehlt wird,600 liegt eine Gesetzesumgehung nur vor, wenn durch das Handeln der Partei diese gegenteilige Wirkung erzielt wird. III. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung: Rechtsfindung extra legem, sed intra ius

Nach dem vorgestellten Auslegungsverständnis ist das Rechtsmissbrauchs­ verbot weder Teil der Auslegung noch der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, sondern Teil der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung.601 Wenn eine Regelungslücke nicht vorliegt, das Auslegungsergebnis aber dennoch korrekturbedürftig scheint, bedarf es der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung. Fehlt es an einer speziellen Normtextgrundlage zur Regelung des Sachverhalts, müssen andere Aspekte zur Argumentation herangezogen werden. Für eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bedarf es nicht des Vorliegens einer normlogischen Lücke, weil es auf planwidriges Handeln des Gesetzgebers nicht ankommt.602 Vielmehr ist das Bedürfnis zur wertungsmäßigen Korrektur einer Rechtslage entscheidend. Hierzu ist ein Rechtsfindungsmittel nötig, das im Wege von Abwägung und Argumentation ein Korrektiv zur Auslegung bereithält. Im Zentrum stehen anerkannte dogmatische Rechtsinstitute und Rechtsprinzipien603 vor dem Hintergrund der Recht­sprechungspraxis und ihrer wissenschaftlichen Durchdringung. Der Bereich gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung ist Sektor argumentativer Abwägung; mit Hilfe dieser Rechtsinstitute und Rechtsprinzipien geht eine Loslösung vom konkreten Normtext einher.

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Siehe hierzu unter § 10 A. II. 1. a) bb). Siehe hierzu § 10 A. II. 1. 601 Ebenso Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 109; Kudlich, Allgemeines Missbrauchsverbot, S. 92; Larenz, Methodenlehre6, S. 422; ansatzweise auch Mader, Rechtsmissbrauch, S. 86; andere Auffassung: Reuß, Forum Shopping, S. 213. 602 Larenz, Methodenlehre6, S. 413. 603 Larenz, Methodenlehre6, S. 413 ff.; die von ihm weiter verwendeten Rechtsfortbildungsmittel extra legem wie „Natur der Sache“, ebenda, S. 417 ff., und „Bedürfnisse des Rechtsverkehrs“, ebenda, S. 414 ff., werden hier nicht näher behandelt, da sie anders als das die Kategorie der Rechtsinstitute und Rechtsprinzipien nicht konkret fassbar sind; insoweit verfährt Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 106 ff. anders, indem er lediglich auf das Kriterium „Bedürfnisse des Rechtsverkehrs“ abstellt. 600

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1. Rechtsinstitute Rechtsinstitute sind soziale Verhaltensnormen, die nicht notwendigerweise in Normtexten niedergelegt sind und welche die rechtliche Zulässigkeit des Verhaltens der Parteien untereinander ordnen.604 Abstrakt handelt es sich dabei um eine Anzahl an Rechtssätzen oder theoretischen Rechtsauffassungen – man kann insofern auch von Wissensrahmen605 sprechen –, die ein konkretes Rechtsproblem behandeln.606 Vielfach werden auch weitere607 dogmatische Elemente des Rechts als Instrumentarien einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung verwendet. Der Begriff der Dogmatik enthält die Aussagen einschlägiger Rechtsprechung und Literatur.608 Diese dienen als Erkenntnisquellen609 und werden etwa von Müller / Christensen als Mittel identifiziert, durch die eine Festsetzung von Bedeutung und Inhalt definiert wird.610 Auch das Rechtsmissbrauchsverbot ist ein solches Rechtsinstitut, weil sowohl mit der individuellen wie auch der institutionellen Ausprägung konkrete Argumentationsmuster einhergehen.611 Neben diesen haben alle dogmatischen Elemente die Gemeinsamkeit, dass ihnen ein unmittelbarer Normtextbezug fehlt und sie lediglich Rechtserkenntnisse des Rechtspraktikers und des Rechtstheoretikers bezüglich des Gegenstands „Recht“ abbilden.612 Methodischer Standort des Rechtsmissbrauchsverbots muss nach dem Determinationsparadigma von Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung sein.613 Denn zum einen fungiert das Rechtsmissbrauchsverbot als weitere Schranke neben der teleologischen Reduktion, hat aber anders als diese keinen konkreten Bezug zum Normtext. Zum anderen erfordern im Determinationsparadigma sämtliche Rechtsfortbildungsmaßnahmen am Normtext eine konkrete Wertungslücke. Daher besteht aufgrund der unterschiedlichen 604 Raiser L., in: summum ius summa iniuria, S. 148; Raiser T., in: FS Kirchner, S. 1274; zum institutionellen Rechtsdenken Winkler, Studien, S. 437 ff. 605 Busse, Recht als Text, S. 282. 606 Tilch / Arloth, Rechtslexikon II, S. 2334. 607 Nach Bumke, JZ 2014, S. 645 sind weitere rechtsdogmatische Figuren die Theorie, der Typus, das Leitbild und der Schlüsselbegriff. 608 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 400. 609 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 400. 610 Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 406. 611 Siehe für den individuellen Rechtsmissbrauch § 7 A. III., für den institutionellen Rechtsmissbrauch § 7 A. I. 5. 612 Diese Loslösung wird als kritisch angesehen, Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 18; als Argument kann ein Rechtsinstitut jedoch dann herangezogen werden, wenn eine Auslegung konkreter Rechtssätze kein für den Rechtsanwender befriedigendes Ergebnis erreicht. Erst ist der Argumentationsaufwand an der Norm zu erbringen, dann darf auf institutionelle Argumente zurückgegriffen werden. 613 Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 109; Kudlich, Allgemeines Missbrauchs­ verbot, S. 92 f.; Larenz, Methodenlehre6, S. 422; im Ansatz Mader, Rechtsmissbrauch, S. 86; andere Auffassung: Reuß, Forum Shopping, S. 213.

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Voraussetzungen von teleologischer Reduktion und Rechtsmissbrauch Alternativität zwischen beiden Rechtsfortbildungsmitteln. Der Rechtsanwendungsschritt, an dem die Entscheidung relevant wird, ist die Subsumtion. Dieser Standort der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung gilt gleichermaßen für das individuelle und das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot, da sowohl eine Berücksichtigung individueller Umstände als auch die Zweckwidrigkeit im Hinblick auf das gesamte Ordnungsgefüge nur als korrektive Kontrolle greifen können. Das Rechtsmissbrauchsverbot ist lediglich ein Rechtsinstitut und kein Rechtsprinzip, da sich der Rechtsmissbrauch als Verstoß gegen Treu und Glauben und damit gegen dieses fundamentale Rechtsprinzip darstellt.614 Das Treu-und-GlaubenPrinzip ist folglich zumindest Basis des Rechtsmissbrauchsverbots im Zivilrecht.615 Rechtsinstitute sind anders als rechtsethische Prinzipien unmittelbar auf den Einzelfall anwendbare Regeln.616 Sie verfügen anders als Rechtsprinzipien über greifbarere Argumentationsmuster.617 Sind sämtliche normtextorientierten Methoden ausgeschöpft, kann sich erst die Frage nach dem Rechtsmissbrauch stellen. Das Bundesverfassungsgericht judiziert ausdrücklich, dass die Generalklausel des § 242 BGB die Möglichkeit zur Rechtsfortbildung eröffnet.618 Sie bringt Schutzgebote der Grundrechte zur Geltung. Gleiches gilt aber für das durch § 242 BGB vermittelte Rechtsmissbrauchsverbot, da es ohne konkreten Normtextbezug eine Schrankenwirkung zulasten der Rechtsposition einer der beiden Parteien bewirkt.619 2. Rechtsprinzipien Rechtsprinzipien sind grundlegende Kriterien und Werte einer Gesellschaft, die diese entweder selbst festlegt oder die maßgeblich aufgrund rechtsethischer Grundlage620 axiomatisch für eine Gesellschafts- und Rechtsordnung gelten.621 Bezugspunkt622 beim Rückgriff auf rechtsethische Prinzipien ist die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes in der Rechtsordnung, der entweder nur partiell oder überhaupt nicht normiert ist.623 Es ist Aufgabe des Richters, die Wertent 614 In diese Richtung für das Verhältnis Rechtsinstitut zu Rechtsprinzip weisend: Canaris, Systemdenken, S. 50; Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 40. 615 Siehe hierzu oben unter § 7 A. I. 3. 616 In diese Richtung differenzierend Larenz, Methodenlehre6, S. 421 f.; Larenz bezeichnet Rechtsinstitute als „rechtstechnische Prinzipien“; nicht so eindeutig Bydlinski, Methodenlehre, S. 482. 617 Siehe zu diesen Argumentationsmustern des Rechtsmissbrauchsverbots § 7 A. III. 618 BVerfG, NJW 2015, 1506 (1508). 619 BVerfG, NJW 2015, 1506 (1508). 620 Bydlinski, Fundamentale Rechtsgrundsätze, S. 26. 621 Zur Systembedeutung von Rechtsprinzipien Canaris, Systemdenken, S. 48. 622 Der Aufbau folgt hier demjenigen von Larenz, Methodenlehre, S. 421 ff. 623 Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S 312.

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scheidungen hinter dem Rechtsprinzip herauszuarbeiten624 und im Rahmen einer Abwägung der Rechte, Güter und Interessen der beteiligten Parteien zu ermitteln, zu bewerten und zu gewichten. Die daraus herrührenden Gründe hat der Richter zum Zwecke der Transparenz und als Ausfluss seiner Begründungspflicht625 ausführlich darzulegen. Rechtsprinzipien sind ferner dogmatische Elemente, die einen Rechtsgedanken verkörpern.626 Diese Voraussetzungen verkörpert der Treu-undGlauben-Grundsatz als rechtsethisches Prinzip. Zielrichtung einer Rechtsfortbildung mittels rechtsethischer Prinzipien ist es, Einzelfallgerechtigkeit am Maßstab eines materiellen und dabei notwendigerweise auch subjektiven Gerechtigkeitsmaßstabs in das System einzuführen.627 In ihrer Anwendung unterscheiden sich Rechtsprinzipien mithin von Rechtsinstituten dadurch, dass letztere als rechtstechnische Begrenzung bestimmter Rechtsprobleme konkreter umrissen sind und so regelartig Anwendung finden können.628 IV. Verfassungsrechtliche Grenzen von Rechtsfortbildung und Auslegung

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet die Frage, wann eine richterliche Rechtsfortbildung mittels der vorbezeichneten Elemente das verfassungsrechtlich zulässige Maß übersteigt, so dass das Gewaltenteilungsund das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG verletzt sind, mit einer am Gesetz orientierten Grenzziehung. Zu bedenken ist, dass das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungsfindung der Fachgerichtsbarkeit nur danach beurteilt, ob die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung überschritten sind, ob bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts die Bedeutung der Grundrechte grundlegend verkannt wurden und ob das Fachgericht gegen das Willkürverbot verstoßen hat.629

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Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S 313. Treffend insoweit Christensen / Kudlich, Theorie richterlichen Begründens, S. 326; die richterlichen Begründungspflichten rühren aus grundrechtlichen Garantien (Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG), gerichtsbarkeitsbeschreibenden Vorschriften (Art. 97 Abs. 1 GG) sowie Staatszielbestimmungen her. 626 Bumke, JZ 2014, S. 645 (Fn. 37). 627 Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 240; rein rechtstatsächlich wird die Verwendung eines selbständigen Ergebniskorrektivs nach dem Auslegungsvorgang in der Rechtsprechung – dies selbst bei deduktiver Rechtsfindung – nicht praktiziert, vgl. Seiler, Höchstrichterliche Entscheidungsbegründungen, S. 203. Dies vermag deshalb nicht so recht zu überzeugen, da die Wertung innerhalb der Normtextauslegung normtextbezogen, diejenige im Rahmen der Rechtsfortbildung normtextgelöst vollzogen werden muss. Der Wertungsspielraum im Rahmen der Auslegung ist daher beschränkter. 628 Larenz, Methodenlehre6, S. 421, nimmt diese Abgrenzung anders vor, indem er zwischen rechsethischen und rechtstechnischen Prinzipien differenziert. 629 So dezidiert: Pieroth / Aubel, JZ 2003, S. 509; eine besonders restriktive Prüfungsdichte im Zivilrecht soll nach Auffassung dieser Autoren gerade nicht erfüllt sein. 625

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Verfassungsrechtlich unzulässig wird eine richterliche Rechtsfortbildung, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortsinn dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft.630 An diesem Punkt stellt sich verfassungsrechtlich stets die Frage der Überschreitung richterlicher Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG. Das Gesetz gesteht dem Richter eine Lückenschließungsbefugnis im Wege der Rechtsfortbildung zwar nicht ausdrücklich zu, jedoch ist diese vor dem Hintergrund des Begriffs „Recht“ in Art. 20 Abs. 3 GG631 und der Schutzpflichtendimension der Grundrechte im Rahmen des deterministischen Paradigmas möglich und nötig. Es ergibt sich allerdings ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf für die Entscheidungsbegründung. Für die fachgerichtliche Entscheidungsfindung gilt generell, dass das Auslegungsergebnis im Rahmen der herkömmlichen Auslegungsmittel gewonnen werden muss.632 Die zulässige Grenze ist überschritten, wenn einem nach Wortlaut und Zweck eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn entnommen wird.633 Rechtsfortbildung soll etwa unzulässig sein, wenn ihr im juristischen Schrifttum die Zustimmung versagt wird.634 Auch die Art und Weise der Lückenfüllung wird lediglich dann überschritten, wenn sie sich außerhalb der anerkannten Dogmatik bewegt und nicht auf anerkannte methodische Figuren zurückgreift.635 Beim Rechtsmissbrauchsverbot handelt es sich jedoch um eine anerkannte dogmatische Figur mit Schrankenfunk 630

BVerfG, NJW 2012, 669 (672). Looschelders / Roth, Juristische Methodik, S. 252; dennoch betont das BVerfG im Hinblick auf die Analogiebildung das Element der Rechtssicherheit unter Hinweis auf den Vorrang des Gesetzes, vgl. etwa BVerfG, NJW 1979, 305. Grundlegend insoweit der Soraya-Beschluss des BVerfGE 34, 269 (287): „Richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten; seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen. Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den ‚fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft‘.“ 632 Kuntz, AcP 215 (2015), S. 449. 633 Pieroth / Aubel, JZ 2003, S. 508. 634 Etwa BVerfGE 49, 304 (324); 65, 182 (195). 635 Grundlegend insoweit BVerfGE 96, 375 (394 f.): „Der Richter darf sich dabei allerdings nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, diesen unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. Handelt es sich bei den veränderten Bedingungen um neuartige, durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt geschaffene Handlungs- oder Einwirkungsmöglichkei­ ten, so wird die Rechtsfindung in der Regel in einer Ausweitung des Anwendungsfeldes einer bereits geläufigen Auslegung bestehen. Die Zwecksetzungsprärogative des Gesetzgebers wird dadurch regelmäßig nicht berührt.“ Zur teleologischen Reduktion, BVerfGE 88, 145 (167) (teleo­logische Reduktion von § 60 Abs. 1 KO). 631

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tion; die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots als Korrektiv gegenüber ausgelegten Rechten und Befugnissen übersteigt die Grenzen der Rechtsfortbildung nicht, wenn eine rationale Argumentation erfolgt.636 Diese Rechtsprechung wird durch ein neueres Judikat des Bundesverfassungsgerichts zum Auskunftsanspruch des Vaters nach § 242 BGB schärfer konturiert.637 Demnach reicht nicht nur rationale Argumentation aus, sondern die Rechtsfortbildung hat sich am Grundrechtsschutz der Beteiligten zu orientieren.638 Sofern eine Grundrechtsbetroffenheit nicht gegeben ist, ist eine Contra-legem-Entscheidung folglich unzulässig. V. Abstrakte Rangordnung der Rechtsfortbildungsmittel

Für die Auslegung wurde bereits dargelegt,639 dass es auf eine abstrakte Rangfolge der Auslegungsmittel im Kontext des Rechtsmissbrauchsverbots nicht ankommt, sondern im Ergebnis der Streit durch Argumente über Wort-, Satz- und Textbedeutung entscheidet.640 Anders gestaltet sich die Bedeutung einer Rangfolge jedoch im Rahmen der Rechtsfortbildung. Lässt sich der konkrete Sachverhalt nicht dem Normtext zuordnen, hat der Richter die Möglichkeit, das Nichtbestehen der Normvoraussetzungen festzustellen oder über die argumentativen und stilistischen Mittel der Rechtsfortbildung fortzufahren. Die Entscheidung dafür, warum man im konkreten Fall eine Lücke des Gesetzes annimmt und kumulativ das Bedürfnis einer Rechtsfortbildung bejaht, muss der Richter offenlegen. Dies – wie etwa Brink es vorschlägt – 641 auf Grundlage einer verfassungsrechtlichen Wertungsklausel über Elemente wie Freiheit, Gleichheit, Sicherheit und Menschenwürde wahrzunehmen, bietet den Vorteil, dass der Richter eine verfassungsrechtliche Ausrichtung seiner zugrunde liegenden Entscheidung vornimmt. Doch auch ohne eine verfassungsrechtliche Grundorientierung muss der Richter zumindest im Rahmen einer rationalen Argumentation den rechtlichen Beweggrund und die rechtliche Zielsetzung der Rechtsfortbildung aufgreifen. Die Darstellung der Wertungslücke hat daher eigenständig zu erfolgen. Als Ansatzpunkt ist die Larenz’sche Konzeption von gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung heranzuziehen, wonach beide methodi­

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BVerfGE 34, 269 (287); Neuner, Rechtsfindung contra legem, S. 171, hebt dagegen darauf ab, ob eine besondere Abweichung vom Normaltypus vorliegt und die Entscheidung mit umfassender gesellschaftlicher Akzeptanz rechnen kann. 637 BVerfG, NJW 2015, 1508. 638 BVerfG, NJW 2015, 1508; Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 112; kritisch dagegen: Reuß NJW 2015, S. 1510 f. 639 Siehe hierzu bereits unter § 9 B. V. 640 Felder, Der Staat 2010, S. 544. 641 Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, S. 268.

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schen Mittel alternative Anknüpfungspunkte haben.642 Dies ist gleichzeitig auch der methodische Wechsel der textgebundenen Abwägungs- und Argumentationsjurisprudenz zu einer normtextgelösten Abwägungsjurisprudenz. Letztere führt über Rechtsprinzipien und dogmatische Rechtsinstitute eine Entscheidung des Einzelfalls herbei. Auf diese Ebene gehört auch das Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchsverbots. Es handelt sich um ein konkretes Element der Billigkeit, das erst auf späterer Stufe als Kontrolle gefundener Auslegungsergebnisse geprüft werden sollte.643 Schon die Heranziehung dieses dogmatischen Elements bedarf einer besonderen Begründung; denn nach der normtextorientierten Verfassungssituation kann der Richter den Fall nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG primär nur nach dem Gesetz entscheiden. Über das Rechtsmissbrauchsverbot kommt dagegen ein unbestimmtes Kriterium in die juristische Argumentation, mit dem sich diese wesentlich vom Normtext entfernt und Sachfragen sowie Wertungselemente für den Rechtsfall über eine konkret-individuelle Interessenabwägung entscheidungsbestimmend werden. Letztlich verschiebt sich der abwägungslenkende Obersatz vom speziellen Normbezug zur freieren Abwägung der widerstreitenden Interessen.644 B. Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung Die in § 9 und § 10 erörterten methodischen Vorfragen zum Rechtsmissbrauchsverbot lassen noch offen, welche Teile der konkreten Entscheidungsfindung in der Entscheidungsbegründung abzubilden sind. Die Verortung des Rechtsmissbrauchsverbots in den Entscheidungsgründen des Zivilurteils wirft die Frage auf, welchem Verständnis der Rechtsanwender von der richterlichen Entscheidungsfindung und der diesbezüglichen Entscheidungsbegründung unterliegt. Was sich vom Entscheidungsfindungsprozess in der Entscheidungsbegründung wiederfinden soll, ist umstritten. Diese Problematik geht auf die von Popper und Reichenbach getroffene wissenschaftstheoretische Unterscheidung des Entdeckungs- und Begründungszusammenhangs645 zurück. I. Meinungsstand

Eine Möglichkeit, das Verhältnis von Entscheidungsfindung zu Entscheidungsbegründung abzubilden, ist das Mittel der rekonstruierten Begründung.646 Rekonstruiert ist diese, weil allein die Qualität der Argumente und nicht der Gang der 642

Larenz, Methodenlehre, S. 413 ff. Hattenhauer, Kritik, S. 130; anders aber die Verortung des Billigkeitsarguments innerhalb der Auslegung, ebenda, S. 110. 644 Zur damit zusammenhängenden Topik sowie dem beweglichen System Wilburgs, Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 31. 645 Popper, Logik der Forschung, S. 87. 646 Differenzierung geht auf Brink, Richterliche Entscheidungsbegründung, S. 14 zurück. 643

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Entscheidungsfindung im Rahmen der Entscheidungsbegründung bedeutsam ist.647 Nach der Gedankenführung Poppers ist es nicht notwendig, den Gang der Entscheidungsfindung, sondern allein die die Erkenntnis stützende Begründung darzulegen. Letztlich sind bei konsequenter Anwendung dieses Verständnisses auch nicht die gewählten Methoden in die Entscheidungsgründe mitaufzunehmen. Allein die das Ergebnis rechtfertigende Argumentation ist von Bedeutung. Nach anderer Auffassung existiert das Modell einer rekonstruierenden Begründung, das heißt, der Entscheidungsgang soll durch die Entscheidungsbegründung nachvollziehbar gemacht werden.648 Teilweise wird innerhalb dieser Ansicht vertreten, dass neben der Offenlegung der methodischen Entscheidungsfindung auch moralische Kriterien mit in die Begründung einzuschließen sind.649 Die andere Auffassung innerhalb dieser Ansicht geht nicht so weit und ordnet den Entscheidungsgründen lediglich die Darlegung der angewendeten Methoden mit Beschränkung auf eine rechtliche Argumentation zu.650 Die Entscheidungsbegründung soll lediglich im Hinblick auf die gefundene Lösung und nicht auf sämtliche Nebenfragen oder Alternativkonzepte transparent sein und einem gewissen Grad an deduktiver Kohärenz genügen.651 II. Stellungnahme

Die zuletzt genannte Auffassung der rekonstruierenden Begründung ist vorzugswürdig, weil sie den methodischen Findungsprozess richterlicher Arbeit offenlegt und damit Aufschluss über die verwendeten Methoden und die Güte der Argumentation gibt.652 Dies wiederum verhilft der Entscheidung zu Akzeptanz und zu Rechtsstaatlichkeit aufgrund der besseren Nachprüfbarkeit. Die Problematik wird insbesondere im Lichte von Generalklauseln virulent.653

647

In diese Richtung Grunsky, in: Sprung / König (Hrsg.), Entscheidungsbegründung, S. 77 f.; Esser, in: Perelman / Foriers (Hrsg.), La Motivation, S. 157, wendet sich gegen eine deduktive Begründung. Schmitt, Gesetz und Urteil, S. 18, will die psychologische Entscheidung in den Hintergrund treten lassen. Allerdings ist er auch Gegner einer Gesetzesauslegungslehre, ebenda, S. 115; besonders kritisch auch Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, S. 344, der aber ohnehin jegliche Rationalität der Entscheidungsfindung ablehnt; hierzu auch: Roßmanith, Rechtsgefühl, S. 89. 648 Gottwald, ZZP 98 (1985), S. 115, 129; Brink, Richterliche Entscheidungsbegründung, S. 14, 214. Dreier, Recht-Moral-Ideologie, S. 113, konzentriert sich insoweit auf die Differenzierung zwischen normativer und deskriptiver Entscheidungsfindung, nicht die Entscheidungsbegründung. 649 Buchwald, ARSP 79 (1993), S. 35; im Ansatz auch von Mettenheim, Rationalität, S. 99; gegen die Aufnahme psychologischer Bestandteile aus sozialpsychologischer Sicht Löschper, Bausteine, S. 348. 650 Schlüter, Obiter dictum, S. 104; Brüggemann, Richterliche Begründungspflicht, S. 129. 651 Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 118. 652 Fischer, Topoi, S. 221. 653 Schlüter, Obiter Dictum, S. 95.

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Der maßgebliche Zweck einer Entscheidungsbegründung besteht in der Transparenz des Methodischen der prozeduralen Entscheidungsfindung an relevanter Stelle. Es geht dabei vor allem darum, die prozeduralen Mittel, also die Rechtsgewinnungsmethoden, der Entscheidungsfindung zu präsentieren. Dabei ist die Darlegung psychologischer Argumente nicht von Bedeutung, weil diese letztlich nicht zur rechtlichen Überprüfung gestellt werden können, soweit nicht vollkommen sachfremde Motive relevant waren. Es geht allein um ein Aufzeigen des methodischen Vorgehens und der diesbezüglichen Argumentation.654 Auch die entscheidungserhebliche Wertung hat der Richter zu entfalten. Ein Qualitätskriterium des Urteils stellt dar, dass der Richter seine Gründe für die Bevorzugung einer rechtlichen Lösung in seiner Entscheidung mitteilt.655 Neben der Darlegung der Methoden ist die richterliche Wertung ein ebenso notwendiger Bestandteil, welcher zumindest teilweise im Rahmen der Begründung den Gang der Entscheidungsfindung nachzeichnet.656 Unbeschadet dieser Bedeutung der Transparenz der Entscheidungsgründe hinsichtlich des methodischen Vorgehens und der richterlichen Wertung ist auch die Berücksichtigung des Spezialitätsgrundsatzes in den Gründen von erheblicher Bedeutung. Der Richter muss bei der entscheidungserheblichen problematischen Frage nicht nur in prozeduraler Weise methodisch agieren, sondern auch den Lex-specialis-Grundsatz achten und in der Begründung vermitteln. Eine strikte Trennung von Entscheidungsfindung und -begründung ist in diesem Punkt nicht rechtsstaatlich haltbar, weil nur die Ableitung der Entscheidung aus dem Spezialgesetz dieses Normenkollisionsprinzip wahrt. Überdies hat die Rechtsprechung die Pflicht, erst Streitstände bei der Auslegung der lex specialis zu lösen,657 bevor auf das die Einzelfallumstände berücksichtigende Rechtsmissbrauchsverbot abgehoben wird.658 Eine diese Anforderungen einhaltende Form der Begründung sichert die Rechtsstaatlichkeit des Urteils selbst.659 Für die Rechtsfragen um das Rechtsmissbrauchsverbot konkret bedeutet dies, dass der Richter die von ihm gewählten Methoden offenlegen und das Verhältnis des beschränkenden Rechtsmissbrauchsverbots zu den Gesetzesauslegungsmethoden darstellen muss.660 Schließlich ist das Primat der Legislative zu beachten. Somit

654 In diese Richtung auch Neumann, in: Lerch (Hrsg.), Die Sprache des Rechts II, S. 382; ders., Rechtstheorie 32 (2001), S. 255. 655 Brink, Richterliche Entscheidungsbegründung, S. 278. 656 Brink, Richterliche Entscheidungsbegründung, S. 219; Kötz, Über den Stil, S. 26. 657 Schumann, ZZP 81 (1968), S. 80. 658 Zu diesem Verhältnis auch Soergel / Teichmann, § 242 BGB Rn. 114. 659 Christensen / Kudlich, Gesetzesbindung, S. 216. 660 Letztlich wird man dabei aber zwischen unteren Instanzgerichten und oberen Instanzgerichten bis zur höchstrichterlichen Rechtsprechung differenzieren müssen, Fischer, Topoi, S. 224. Das hier postulierte Anforderungsprofil an die Begründung richtet sich an letztere, weil diese für gewöhnlich dem Einzelfall mehr Zeit widmen können.

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Teil 2, Kapitel 2

hat das Rechtsmissbrauchsverbot in der Begründung erst im Nachgang zu Auslegung und Subsumtion zu erfolgen. C. Das Rechtsmissbrauchsverbot in der Entscheidungsbegründung Die Aspekte der Prüfungsreihenfolge von Auslegung und Rechtsfortbildung und die aufgezeigten Konfliktlagen machen in den Entscheidungsbegründungen der Gerichte auch die Offenlegung dieser Abgrenzungsfragen nötig. Dies führt zu der Frage, welche Anforderungen man an die jeweiligen Entscheidungsbegründungen von primär mit Tatsachen befassten Instanzgerichten und eher mit Rechtsfragen befassten Revisionsgerichten stellen darf. I. Instanzgerichte

Für die Instanzgerichte ist – im Lichte des in der Rechtsprechung und Gesetzgebung vorherrschenden Determinationsparadigmas – eine Darlegung der methodischen Entscheidungsfindung an der entscheidungserheblichen Stelle maßgeblich: Eine Korrektur über § 242 BGB soll unbillige Ergebnisse im Einzelfall verhindern, nicht aber generell zur Modifikation unbilliger gesetzlicher Vorschriften herangezogen werden.661 Die Eigenschaft des Rechtsmissbrauchsverbots als Rechtsinstitut bringt es mit sich, dass die Anwendung desselben nur ultima ratio sein darf.662 Dieser Aspekt der Entscheidungsfindung ist in den eingangs behandelten Entscheidungsbegründungen der Rechtsprechung zu § 242 BGB im Zivilprozess nicht erkennbar, da die Methodenrangfolge nicht erörtert oder offen gelegt, sondern punktuell unter Verweis auf die grundsätzliche Anwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots die Abwägung über § 242 BGB durchgeführt wird. Dass diese methodische Abgrenzung von Auslegung zu Rechtsfortbildung aber Aufgabe einer Entscheidungsbegründung ist, wurde eben beantwortet.663 Letztlich stellt sich den Instanzgerichten die Aufgabe, das Ergebnis zunächst über eine normtextorientierte Auslegung und Rechtsfortbildung zu finden. Erst im Anschluss daran kann auf Rechtsinstitute – seien diese auch über gesetzliche Generalklauseln vermittelt – zurückgegriffen werden. Die Kritik an den diesbezüglichen Urteilen zum Rechtsmissbrauch im Zivilprozess geht aus diesem Grund dahin, dass diese Abfolge nicht eingehalten wird. Sie muss sich jedoch aus der Entscheidungsbegründung ergeben. Erst auf dieser Ebene können die Präjudizien 661 Looschelders / Roth, JZ 1995, S. 1034 (1043); so auch im Ansatz zum schweizerischen Recht: Honsell, in: FS Mayer-Maly, S. 387. 662 Zum Verhältnis zur teleologischen Reduktion siehe § 10 A. II. 1; zum Verhältnis zur Analogie auch Larenz, Allgemeines Schuldrecht § 10 I, sowie im Ergebnis auch Staudinger / Olzen /  Looschelders, § 242 BGB Rn. 350, MünchKomm-BGB / Schubert, § 242 BGB Rn. 127. 663 Siehe dazu § 10 B. II.

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zu § 242 BGB als Argument herangezogen werden.664 Dabei geht es nicht darum, die Anwendung von § 242 BGB für den Zivilprozess neu zu begründen, sondern vor dem Rückgriff auf das Institut des Rechtsmissbrauchsverbots und Treu und Glauben dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ zu genügen. Seine Einhaltung ist im Lichte einer rechtstaatlichen Rechtsanwendung von elementarer Bedeutung, weil bei Normen die konkrete gesetzgeberische Wertung im Zentrum steht. Für die Berufungsinstanz stellt sich die Frage, ob eine diesen Anforderungen nicht genügende, rechtliche Einordnung als Rechtsmissbrauch ohne Rückgriff auf eine Spezialregelung einen Rechtsfehler darstellt. Die Aufhebung eines Urteils erfolgt grundsätzlich nur, wenn die Entscheidung auf dem behaupteten Rechtsfehler beruht. Wird also die methodische Abfolge nicht eingehalten, führt die Argumentation mit dem Institut des Rechtsmissbrauchsverbots aber zum identischen Ergebnis wie eine Subsumtion unter die spezielle Norm, bedarf es keiner Aufhebung des Urteils. Es fehlt an der notwendigen Rechtsverletzung. Nur falls Auslegung, Subsumtion oder gesetzesimmanente Rechtsfortbildung einer Spezialvorschrift zu einem anderen Ergebnis führen, kommt es zur Aufhebung der Entscheidung. In der Berufungsinstanz ist die Entscheidungserheblichkeit Maßstab dafür, ob zur Methodenwahl der ersten Instanz Stellung genommen werden muss. II. Revisionsinstanz

Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit die Revisionsinstanz in ihren Entscheidungen auf die Frage der methodischen Reihenfolge und die Einordnung institutioneller Argumente wie des Rechtsmissbrauchsverbots einzugehen hat. Maßgeblich ist, ob das hier geforderte Vorgehen665 in den Gründen den Prozess bei der Entscheidungsfindung abbilden muss. Nach dem oben zur Entscheidungsbegründung Gesagten sollte dies in jedem Fall im Rahmen eines Rechtfertigungstextes (rationes decidendi) des entscheidungserheblichen Teils erfolgen. Dies ist nicht nur dann nötig, wenn das Revisionsgericht die Annahme eines Rechtsmissbrauchs durch die Vorinstanz anders bewertet. Im Rahmen eines obiter dictum666 muss eine dahingehende Darlegung zwar nicht erfolgen; rechtspraktisch findet die Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot zumeist auf der Ebene des Rechtfertigungstextes, also im ergebnisrelevanten Teil, statt. Das methodische Vorgehen der rationes decidendi muss sich daher in den Gründen finden.

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In diese Richtung auch Krebs, AcP 195 (1995), S. 211. Siehe hierzu unter § 10 A. V. 666 Kritisch dazu generell Kanzler, DStR 2013, S. 1509; Kischel, Begründung, S. 392. 665

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Teil 2, Kapitel 2

Speziell § 561 ZPO667 als Vorschrift des Revisionsrechts zeigt, dass das Gericht in seiner Entscheidung zu der Frage Stellung nehmen muss, ob die konkrete Rechtsanwendung des Gerichts überkommenen Auslegungsgrundsätzen genügt und ob sie per se rechtmäßig ist. Denn nach dieser Vorschrift hat das Gericht, falls eine Verletzung des konkreten Gesetzes vorliegt, das Urteil nur dann aufzuheben, wenn es sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Solche anderen Gründe sind die vorrangigen Mittel der Auslegung oder die alternativen gesetzesimmanenten Rechtsfortbildungsmittel. Dass eine Korrektur durch die Revisionsinstanz erfolgen kann, setzt eine Prüfung der Gesetzesverletzung voraus. Das Ergebnis der Prüfung hat die Revisionsinstanz zumindest zur Klarstellung in die Entscheidung mitaufzunehmen. D. Zusammenfassende Würdigung Auf der Ebene der Rechtsfortbildung sind gesetzesimmanente und gesetzesübersteigende Rechtsfortbildungsmittel zu unterscheiden. Erst auf Ebene der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung greift das Rechtsmissbrauchsverbot. Daher ist eine Abgrenzung zu den gesetzesimmanenten Rechtsfortbildungsmitteln der teleologischen Reduktion und dem Institut der Gesetzesumgehung geboten. Konkret ergeben sich im Hinblick auf das Rechtsmissbrauchsverbot Konfliktlagen mit der methodischen Figur der teleologischen Reduktion und dem Instrument der Gesetzesumgehung. Letztere stellt kein eigenständiges methodisches Institut dar. Das Rechtsmissbrauchsverbot erfüllt anders als die beiden Abgrenzungsgegenstände den Schutzzweck der speziellen Norm, die Rechtsausübung scheitert aber aus Gründen des Verhaltens der handelnden Partei, einer Interessenabwägung zu Lasten der handelnden Partei oder der Zweckwidrigkeit des Einsatzes des gesamten Rechtsinstituts. Die Entscheidungsbegründung muss die Entscheidungsfindung zumindest mit Blick auf die Methodenwahl und die Prüfungsreihenfolge abbilden. Nur insoweit ist eine Identität des „context of discovery“ und des „context of justification“ nötig, während psychische Vorgänge außen vor bleiben müssen. Der Richter hat ausgehend von der Auslegung sein diesbezügliches Ergebnis darzustellen und die Wertung zu bezeichnen, aufgrund derer er eine Rechtsfortbildung für notwendig erachtet. Dies ist nicht nur für eine methodisch transparente Arbeitsweise notwendig, sondern hat auch den verfassungsrechtlichen Zweck, Rechtsanwendungsgleichheit nach Art. 3 GG zu gewährleisten. Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG gestattet es dem Richter nicht, einem „Methodensynkretismus“668 Vor 667 § 561 ZPO lautet: Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen. 668 Rüthers, JZ 2006, S. 56; Müller / Christensen, Juristische Methodik I11, Rn. 536, sprechen insoweit auch treffend von einem Vorgehen nach dem Prinzip „anything goes“. Dieser Aus-

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schub zu leisten. Methode heißt insbesondere Auslegung und Subsumtion der speziellen Vorschrift vor der Heranziehung eines Instituts wie dasjenige des Rechtsmissbrauchsverbots. Indem Rücksicht auf den Spezialitätsgrundsatz669 genommen wird, wird eine Erhöhung der Transparenz juristischer Methodik geleistet. Der Grad der für die Entscheidungsbegründung notwendigen Argumentationssättigung wird durch dieses Vorgehen erreicht. Dies wiederum erhöht die für einen Rechtsstaat notwendige Plausibilität der Entscheidungen.670 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist somit rechtsfortbildendes Korrektiv.

spruch geht wiederum auf Paul Feyerabend in seinem Werk „Wider den Methodenzwang“, S. 45, zurück. 669 Hierzu auch Larenz, Methodenlehre6, S. 267. 670 Christensen, Rechtshistorisches Journal 2001, S. 500.

Dritter Teil

3

Anwendung und dogmatische Grundlagen eines zivilprozessualen Rechtsmissbrauchsverbots § 11 Anwendung des methodischen Grundkonzeptes auf ausgewählte Fallbeispiele Die methodische Verortung des Rechtsmissbrauchsverbots im Rahmen gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung und bei der Entscheidungsbegründung bedarf einer konkreten Analyse am Fall. Hierfür bietet es sich an, die oben entfalteten Gedanken zu Methode und Argumentation1 aufzugreifen und vor dem Hintergrund der in der Rechtsprechung behandelten Fälle zum prozessualen Rechtsmissbrauchsverbot praktisch zu erproben. Diese konkrete Analyse konzentriert sich auf die Kriterien der Offenlegung der Entscheidungsfindung und des Argumentationsganges sowie auf das Prinzip der richterlichen Begründungspflicht. In rechtsmethodischer Hinsicht ist diese Darstellung freilich nur beispielhaft und soll ihrem inhaltlichen Anspruch nach nicht die Quantität und Qualität einer möglichen Entscheidungsbegründung simulieren. Ausgangspunkt sind die von Baumgärtel gebildeten Fallgruppen.2 Eine dogmatische Auseinandersetzung mit dem prozessualen Verbot der unzulässigen Rechtsausübung erfolgt auf dieser Stufe noch nicht.3 A. Arglistiges Schaffen prozessualer Rechtslagen Die oben aufgestellten Anforderungen an die Entscheidungsfindung4 mit dem Rechtsmissbrauchseinwand sollen zuerst an der Fallgruppe des arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen plastisch gemacht werden. Eine Übertragung der gefundenen Ergebnisse zum Vorgehen des Richters bei Darlegung seiner Begründung soll am Beispiel des § 23 ZPO erfolgen. Gerade die Grenze von teleologischer Reduktion zu § 242 BGB muss vom Richter in jedem Fall neu gezogen werden.

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Siehe hierzu unter §§ 9, 10. Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 89 ff. und unter § 2 dieser Arbeit. 3 Siehe hierzu aber unten unter § 12 B. 4 Siehe hierzu § 9 C., § 10 A. II.–III. und § 10 B. 2

§ 11 Anwendung auf ausgewählte Fallbeispiele

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I. Teleologische Reduktion und unzulässige Rechtsausübung am Beispiel der internationalen Zuständigkeit

Das Verhältnis von teleologischer Reduktion und Rechtsmissbrauchsverbot wird insbesondere an den Streitfällen zur internationalen Zuständigkeit greifbar.5 1. Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs und Klage nach § 23 ZPO Die maßgebliche Konstellation betrifft folgenden Sachverhalt:6 Der Beklagte hat nur einen Wohnsitz im Ausland, der Kläger möchte ihn aber im Inland verklagen und wählt folgendes Vorgehen: Er erhebt zunächst gegen den ausländischen Beklagten eine Klage im Inland, die in Ermangelung der internationalen Zuständigkeit abgewiesen wird. Aufgrund des damit aufgedrängten Kostenerstattungsanspruchs hat der Beklagte eine Forderung im Inland und der Kläger erhebt gegen den ausländischen Beklagten unter Berufung auf diese Forderung des Beklagten im Inland eine weitere Klage.7 a) Auslegung Fraglich ist, ob § 23 ZPO auf die zweite Klage im Inland anwendbar ist. Maßgeblich hierfür ist zunächst, ob der Kostenerstattungsanspruch vom Begriff des Vermögens umfasst ist. Anknüpfungspunkt ist damit zunächst der Begriff des Vermögens und nicht das Verhalten des Klägers. aa) Wortlaut und Systematik Vermögen bedeutet bei grammatischer Auslegung unter Zuhilfenahme des Dudenwörterbuches Besitz, Eigentum sowie Hab und Gut.8 Der Kostenerstattungsanspruch ist als Forderung grammatisch nicht dem Vermögen zuzurechnen, weil Besitz und Eigentum die Körperlichkeit der Gegenstände insinuiert. Die Formulierung in § 23 Satz 2 Alt. 1 ZPO lautet: „Bei Forderungen gilt […] der Wohnsitz des Schuldners […]“; systematisch-logisch kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch Forderungen und damit auch Kostenerstattungsansprüche vom Begriff des Vermögens in § 23 ZPO erfasst sein sollen. Systematisch sind Forderungen schon deswegen § 23 ZPO zuzuordnen, weil sie immense wirtschaftliche Bedeutung haben. 5

Beide Fälle entsprechen den von Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 70 ff. ausgewählten. Siehe hierzu bereits § 2 A. I. 7 OLG Dresden, SeuffArch. 66, Nr. 216, S. 419 (420); OLG Marienwerder, OLGRspr. 35, S. 72 (73). 8 Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1372, Stichwort: Vermögen. 6

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Teil 3 

bb) Genetische und historische Auslegung Historisch sind die Normvorgänger von § 23 ZPO folgende Paragraphen:9 § 34 des Anhangs zur AGO: „Jeder Ausländer, welcher in den preußischen Staaten bewegliches oder unbewegliches Vermögen besitzt, kann von einem preußischen Unterthan, bei demjenigen Gerichte, unter welchem sich dieses Vermögen befindet, auch wegen persönlicher Forderungen zum Zwecke der Befriedigung aus dem im Lande befindlichen Objekte in Anspruch genommen werden.“

§ 52 I 2 des Entwurfs einer Prozeßordnung von 1842: „Außerdem können Ausländer, auch wenn sie in den Königl. Landen keinen persönlichen Gerichtsstand haben, darin aber bewegliches oder unbewegliches Vermögen besitzen, von diesseitigen Unterthanen bei demjenigen Gerichte, in dessen Bezirk sich dieses Vermögen befindet, auch wegen persönlicher Forderungen zum Zweck der Befriedigung aus den in hiesigen Landen befindlichen Vermögensstücken in Anspruch genommen werden.“

§ 5 des preußischen Entwurfs von 1864: „Klagen, durch welche ein vermögensrechtlicher Anspruch geltend gemacht wird, können gegen eine Person, welche weder im Inlande, noch in einem Deutschen Bundesstaate einen Wohnsitz hat, auch bei dem Gericht anhängig gemacht werden, in dessen Bezirk die Person Vermögen hat.“

§ 67 des Redaktionsentwurfs von 1869/1870: „Durch Anlegung eines Arrestes wird das Gericht, in dessen Bezirke derselbe erfolgt ist, für die Hauptsache zuständig, wenn der Arrestbeklagte im Inlande keinen Wohnsitz hat. Auch ohne Anlegung eines Arrestes ist für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, welche im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht zuständig, in dessen Bezirke sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Bei Forderungen gilt als der Ort, wo sich Vermögen befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn für die Forderung eine Sache zur Sicherheit haftet, auch der Ort, wo die Sache befindlich ist.“

§ 23 des Entwurfs I zur CPO von 1871 (= § 24 des Entwurfs II von 1872, § 24 des Entwurfs III von 1874): „Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, welche in Deutschland keinen Wohnsitz hat, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Bei Forderungen gilt als der Ort, wo das Vermögen sich befindet, der Wohnsitz des Schuldners und, wenn eine Sache zur Sicherheit haftet, auch der Ort, wo die Sache sich befindet.“

Genetisch geben die Materialien damit Aufschluss darüber, dass § 23 ZPO das forum arresti ersetzen sollte. Gewünscht war der Schutz des Gläubigers „vor dem im Ausland wohnenden und sich im Inland ohne Domizil umhertreibenden Schuldner“.10 9

Insoweit als hilfreiche Quelle Hubig, Die historische Entwicklung des § 23 ZPO, S. 150. Hahn / Mugdan, Materialien – Band II/1, S. 154.

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cc) Telos als Auslegungsergebnis Aufgrund der Ergebnisse der historisch-genetischen, systematischen und grammatischen Auslegung kann als ratio legis festgehalten werden, dass § 23 ZPO im Hinblick auf den Wortlaut auch Kostenerstattungsansprüche mitumfassen soll, wenn dem Schutz des Klägers gedient wird. Als unbefriedigend wird dieses Ergebnis jedoch dann empfunden, wenn zur Überzeugung des Richters nach § 286 ZPO feststeht,11 dass der Kläger das Vorverfahren nur zur Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs geführt hat. b) Subsumtion und Rechtsfortbildung Fraglich ist, ob sich der Fall unter den Wortlaut und Schutzzweck des Gesetzes subsumieren lässt. Dafür spricht, dass im Ergebnis durch die Begründung des Kostenerstattungsanspruchs dem Schutz des Klägers gedient ist und Kostenerstattungsansprüche vom Wortlaut erfasst werden. Gegen die Zuordnung des Falls zum konkreten Zweck der Norm spricht aber, dass die Regeln der Zuständigkeit systematisch vom Grundsatz der Zuständigkeit des Beklagtenwohnorts ausgehen und es überdies Regeln der internationalen Gerichtszuständigkeit gibt. Diese würden durch ein derartiges Vorgehen ausgehöhlt. Mit dem systematisch-teleologischen Gesetzeszweck von § 23 ZPO als Ausnahmeregelung ist das Verhalten der klägerischen Partei nicht vereinbar. Trotz der Subsumtion des Falls unter den Wortlaut stellt sich die Frage, ob § 23 ZPO teleologisch zu reduzieren ist. Im Wege der Rechtsfortbildung ist es nämlich möglich, ein nach Auffassung des Rechtsanwenders nicht vom Gesetzeszweck gedecktes Ergebnis der Wortlautauslegung zu korrigieren. Anknüpfungspunkt für die Entscheidung zur Rechtsfortbildung ist das Verhalten des Klägers.12 Die korrekturbedürftige Lücke des Gesetzes ergibt sich in den Fällen, in denen der Vorprozess allein zur Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs geführt wird. Es ist daher zwischen Argumenten für eine Reduktion und gegen die Reduktion der Norm abzuwägen. Der gesetzgeberische Normzweck besteht darin, dass der Kläger durch den Inlandsgerichtsstand geschützt werden soll. Anknüpfungspunkte sind daher die Schutzbedürftigkeit und die Schutzwürdigkeit des Klägers vor einem fremden Rechtssystem. Gegen eine teleologische Reduktion spricht, dass es sich zunächst nur um eine Prozessstrategie zur Begründung des Heimgerichtsstandes handelt und damit formal genau dieser Schutz des Klägers hergestellt werden soll. 11

Fehlen dahingehende Verdachtsmomente, muss freilich die zweite Klage zugelassen werden. Hier wird nunmehr unterstellt, dass die Begründung des Kostenerstattungsanspruchs allein zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit nach § 23 ZPO erfolgt ist und dem Gericht dies bekannt ist. Indiz dürfte die Anknüpfungstatsache sein, dass ein anderer Grund für das Vorgehen nicht ersichtlich ist. 12

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Teil 3 

Für eine teleologische Reduktion ist anzuführen, dass die Zuständigkeit nach § 23 ZPO bei Auslandsbezug generell den klagenden Inländer schützen soll. Eines Schutzes bedarf er aber nicht, wenn der ausländische Beklagte über die Regeln des internationalen Zivilprozessrechts einen vollstreckbaren Titel erhalten kann und der Beklagte etwa eine Klagemöglichkeit in Deutschland nicht selbst vereitelt hat. Darüber hinaus ist im Sinne einer Folgenberücksichtigung zu beachten, dass bei Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ein Ausländer immer in Deutschland am Wohnsitz des Klägers verklagt werden könnte. Die letztgenannte Auffassung für eine teleologische Reduktion ist deswegen überzeugender, da sie das Verhalten des Klägers vor dem Hintergrund seiner geringeren Schutzwürdigkeit sanktioniert.13 Teleologisch reduziert müsste die Vorschrift lauten: […], wenn nicht der Kläger Vermögen des Beklagten im Inland mit dem Ziel veranlasst hat, einen Gerichtsstand im Inland zu begründen.“14 Eines Rückgriffs auf ein weiteres korrektives Institut wie das Rechtsmissbrauchsverbot bedarf es damit nicht, weil die Schutzkonzeption des Klägers über normtextbezogene Rechtsanwendung ermittelt werden kann. 2. Verbringen von Vermögen ins Inland und Klage nach § 23 ZPO Problematisch im Hinblick auf § 23 ZPO ist ferner folgende Konstellation: Der Beklagte hat nur einen Wohnsitz im Ausland, der Kläger möchte ihn aber im Inland verklagen und wählt folgendes Vorgehen: Er befindet sich mit dem Beklagten in laufenden oder abgeschlossenen Geschäftsbeziehungen und veranlasst ihn, Vermögensgegenstände von sich ins Inland zu verbringen. Nachdem der Beklagte dies getan hat, wird er vom Kläger unter Berufung auf dieses Vermögen nach § 23 ZPO verklagt.15

13 Im Ergebnis auch Zeiss, Die arglistige Prozesspartei, S. 73, wobei dieser noch folgende Entscheidungsnorm für die teleologische Reduktion formuliert: „Vermögen im Sinne des § 23 Satz 1 ZPO ist nicht ein Kostenerstattungsanspruch des Ausländers gegen den Inländer, wenn dieser Anspruch aus einer Klage vor einem unzuständigen inländischen Gericht herrührt.“ Insoweit kann Zeiss jedoch nicht gefolgt werden, denn die teleologische Reduktion kann entfallen, wenn der Sachverhalt nur ein wenig modifiziert ist: Hat etwa der Ausländer selbst arglistig gehandelt, indem er nur einen vermeintlichen Wohnsitz im Ausland hat und tatsächlich an einem vollständig anderen Ort gemeldet ist, so kann dieser Satz in seiner Extremform nicht bestehen bleiben. Die Schutzwürdigkeit des Einzelnen richtet sich eben gerade auch nach den maßgeblichen Tatsachen als Abwägungskriterien. Die teleologische Reduktion entfällt dann und die teleologische Auslegung ist maßgeblich. 14 Hier wird dem Versuch entsprochen, die einzelnen Fallgruppen der Entstehung oder Einführung von Vermögen des Ausländers im Inland möglichst abstrakt-generell entgegenzutreten, Riehm, Abwägungsentscheidungen in der praktischen Rechtsanwendung, S. 22. 15 BGE 83, II, 345 ff.

§ 11 Anwendung auf ausgewählte Fallbeispiele

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a) Auslegung Bei dem ins Inland verbrachten Vermögen handelt es sich um solches im Sinne von § 23 ZPO; Auslegungsschwierigkeiten im Hinblick auf den Begriff bestehen nicht. Insoweit kann auf die oben durchgeführte Auslegung verwiesen werden;16 umfasst wird grundsätzlich auch solches Vermögen, das auf Veranlassung des Klägers in den Bereich der internationalen Zuständigkeit nach § 23 ZPO verbracht worden ist. b) Subsumtion und Rechtsfortbildung Vor dem Hintergrund, dass das Verbringen des Vermögens in das Inland allein auf Veranlassung des Klägers erfolgt ist, stellt sich die Frage, ob der Fall im Hinblick auf den Wortlaut und systematisch-teleologische Gesichtspunkte der Norm des § 23 ZPO zugeordnet werden kann. Vom Wortlaut der Vorschrift wird das in das Inland verbrachte Vermögen erfasst. Ob der konkrete Schutzzweck der Vorschrift diesen Fall erfasst, ist fraglich. Dagegen spricht, dass das Versenden der Ware ins Inland nur mit dem Ziel geschehen ist, eine Klage zu ermöglichen. Dafür spricht, dass dem Schutz des inländischen Klägers durch das Versenden des Gegenstandes gerade entsprochen wird. Insbesondere wird der Gerichtsstand nicht durch einseitiges Tun einer Partei begründet.17 Dem Grunde nach handelt es sich um einen Fall, der sowohl vom Wortlaut als auch vom konkreten Schutzzweck der Norm erfasst wird. Eine teleologische Reduktion könnte nur dann vorgenommen werden, wenn unter Hinweis auf den historischen Normzweck der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Klägers auch für den Fall, dass der Beklagte vom Kläger zur Verbringung von Gegenständen ins Inland veranlasst wurde, die Norm ein solches nicht umfasst. Insoweit könnte wie bei Zeiss versucht werden, eine abstrakte Norm zu bilden und auf Grundlage dessen § 23 ZPO teleologisch zu reduzieren.18 Angesichts dessen, dass sowohl der Wortlaut als auch der konkrete Schutzzweck der Norm erfasst sind, ist ein Rückgriff auf die teleologische Reduktion nicht möglich. Um einem derartigen Vorgehen Schranken zu ziehen, kann daher nur das Rechtsmissbrauchsverbot herangezogen werden. Hier kommt ein rechtsmiss 16

Dieses Vorgehen entspricht dem richterlichen Umgang mit Präjudizien als Argument für eine abstrakte Auslegungsvariante, siehe hierzu bereits oben unter § 9 B. III. 4. 17 So auch Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 73; Die gemeinsame Schaffung von Voraussetzungen des Gerichtsstandes wird durch die ZPO nicht verboten. Entscheidend für die Erfüllung des konkreten Schutzzwecks der Norm ist also, ob eine gemeinsame (dann § 242 BGB) Begründung des Gerichtsstandes stattgefunden hat oder ob diese lediglich einseitig (teleologische Reduktion) war. 18 Siehe § 11 A. I. 1. a) aa), b): […] wenn nicht der Kläger Vermögen des Beklagten im Inland mit dem Ziel veranlasst hat, einen Gerichtsstand im Inland zu begründen.“

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Teil 3 

bräuchliches Verhalten des Klägers in Betracht, weil er kein schutzwürdiges Interesse an der Klage hat. Für ihn hat sich diese Möglichkeit deshalb eröffnet, weil er unter dem Vorwand des vertraglichen Austauschs Gegenstände nach Deutschland hat importieren lassen. Eine Abwägung der Parteiinteressen führt folglich dazu, dass dem klägerischen Handeln die Einrede des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden muss. II. Zwischenergebnis

Beide Beispiele zeigen die Schwierigkeit einer Trennlinie zwischen dem Rechtsmissbrauchsverbot und der teleologischen Reduktion. Gerade der Fokus einer Argumentation mit Blick auf den Gesetzeszweck oder die Wertung von Treu und Glauben macht eine abstrakte Abgrenzung kaum möglich. Entscheidend für die richterliche Begründung ist jedoch stets, dass der Richter die für seine Entscheidungsfindung maßgeblichen Wertungen und die Methodenabfolge offenlegt. Ebenso wie im bisherigen Schrifttum wird hinsichtlich der dargestellten Fälle daher differenziert: Zeiss behandelt den ersten Fall als solchen der teleologischen Reduktion, den zweiten als solchen des individuellen Rechtsmissbrauchs.19 Baumgärtel löst diese Fälle jeweils über § 242 BGB analog.20 Die Ansicht von Zeiss überzeugt im zweiten Fall angesichts der Erfüllung des konkreten Schutzzwecks der Norm und der somit eingreifenden Rechtsmissbrauchsschranke. Eine Wertungslücke liegt in dieser Konstellation gerade nicht vor. B. Venire contra factum proprium Die Fallgruppe des venire contra factum proprium bedarf nur insoweit keiner weiteren Erörterung, als etwa Klagerücknahmeversprechen oder Versprechen der Durchführung eines Verfahrens in einer bestimmten Prozessform jeweils mit vertraglichen Einreden (exceptio pacti) lösbar sind.21 Die in § 2 dargelegten Fälle22 deuten darauf hin, dass es im Bereich von Schiedsabreden, Verträgen über Urkundenprozesse, Klagerücknahme und zeitweiliger Klagbarkeit stets nur der Einrede bedarf, dass ein prozessbeeinflussender Vertrag gegeben ist und dem Kläger momentan eine Führung des Prozesses nicht möglich ist. Eines Rückgriffes auf das Rechtsmissbrauchsverbot bedarf es überhaupt nicht, weil die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (exceptio pacti) durch die mit dem vertragswidrigen Verhalten

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Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 73 f. Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 110; ders., ZZP 86 (1973), S. 363. 21 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 107, 122; Baumgärtel., ZZP 86 (1973), S. 364. 22 Siehe hierzu § 2 B. I.-III. 20

§ 11 Anwendung auf ausgewählte Fallbeispiele

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überzogene Partei zu erheben ist.23 Dies gilt auch bei einer ausdrücklichen oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnenen Nichtangriffsabrede.24 Die Prozesshandlung der betroffenen Partei besteht dann lediglich in der Erhebung der Einrede aus dem Vertrag. Dennoch kann die methodische Abfolge und die Dar­ legung der Wertungen am Beispiel der Patentnichtigkeitsklage und des Zustellungsrechts überprüft werden, weil dort die exceptio pacti nicht eingreift. I. Keine vertragliche Nichtangriffsabrede in Patentsachen

Ausgangspunkt bei einer fehlenden vertraglichen Nichtangriffsabrede in Patentstreitigkeiten ist folgender Sachverhalt: Bezüglich des bestehenden und lizensierten Patents liegen weder eine Nichtangriffsabrede noch andere vertragliche Zusatzabreden wie z. B. ein Arbeits-, Dienst- oder Gesellschaftsvertrag zu Grunde, aus dem sich eine Nichtangriffsabrede ableiten ließe. Der Patentinhaber überlässt einem Lizenznehmer unentgeltlich ein Patent zur Verbesserung. Der Lizenznehmer erhebt die Nichtigkeitsklage.25 1. Auslegung Normativer Anknüpfungspunkt ist § 81 PatG.26 Eine Auslegung von § 81 PatG, wonach die Klage auf Erklärung der Nichtigkeit des Patents eingeleitet werden kann, führt nicht weiter, da die Nichtigkeitsklage nach dem Wortlaut und der Systematik ohne weitere Einschränkungen erhoben werden kann. Angesichts dessen, dass der Lizenznehmer das Patent unentgeltlich zur Verfügung erhalten hat, bedarf es aus der Sicht des Rechtsanwenders einer Korrektur. Denn die unentgeltliche Lizensierung begründet sowohl einen wirtschaftlichen wie rechtlichen Vorteil auf Seiten des Klägers. Die Auslegung dieser Vorschrift ergibt insoweit keine Einschränkung, so dass grundsätzlich sämtliche Patentnichtigkeitsklagen erhoben werden können.

23 Im Ansatz bereits Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 122; klarer dann ders., ZZP 86 (1973), S. 364; Pfister, Treu und Glauben, S. 77; Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 106. 24 Pfister, Treu und Glauben, S. 106; Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 107. 25 BGH LM § 9 PatG Nr. 6 26 § 81 Abs. 1 PatG lautet: Das Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats oder wegen Erteilung oder Rücknahme der Zwangslizenz oder wegen der Anpassung der durch Urteil festgesetzten Vergütung für eine Zwangslizenz wird durch Klage eingeleitet. Die Klage ist gegen den im Register als Patentinhaber Eingetragenen oder gegen den Inhaber der Zwangslizenz zu richten. Die Klage gegen das ergänzende Schutzzertifikat kann mit der Klage gegen das zugrundeliegende Patent verbunden werden und auch darauf gestützt werden, daß ein Nichtigkeitsgrund (§ 22) gegen das zugrundeliegende Patent vorliegt.

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2. Subsumtion und Rechtsfortbildung In Betracht kommt eine teleologische Reduktion von § 81 Abs. 1 PatG. Diese Vorschrift hat zum Ziel, dem Dritten eine Überprüfungsmöglichkeit des Patents zu geben, da mit dem Patent Ausschließungswirkungen einhergehen.27 Grundsätzlich handelt es sich um eine Popularklage, die jeder – quivis ex populo – erheben kann, vgl. § 22 Abs. 1 PatG.28 Eine teleologische Reduktion von § 81 PatG kann angenommen werden, wenn der Grundgedanke einer nur beschränkt erhebbaren Klage in der Vorschrift selbst wurzelt. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, da § 81 Abs. 1 PatG zunächst nur ein Klageverfahren schaffen will und dies näher ausgestaltet. Wortlaut und Schutzzweck von § 81 Abs. 1 PatG sind damit erfüllt. Zentral für die Rechtsfortbildung ist also nicht der Zweck des § 81 Abs. 1 PatG, sondern nur die konkrete Interessenabwägung im Einzelfall. Anhaltspunkte für eine einschränkende Wertentscheidung durch den Gesetzgeber sind nicht ersichtlich. Will man als Rechtsanwender eine Grenze ziehen, muss das Rechtsmissbrauchsverbot zulasten des Klägers eingreifen. Zentraler Inhalt ist die Überprüfung des Patentes, nicht der Schutz des Klägers. Die Nichtigkeitsklage ist daher nach § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich anzusehen,29 weil der Kläger das Patent unentgeltlich vom Beklagten als Lizenzgeber erhalten halt. Es liegt ein Fall widersprüchlichen Verhaltens vor, weil der Kläger erst das Patent unentgeltlich vom Patentinhaber erhält und trotz dieser Nutzungsbefugnis den Bestand des Patents angreift. Der Lizenznehmer will einerseits vom Lizenzgeber unentgeltlich ein Patent erhalten, dieses aber andererseits angreifen. Ein solches Verhalten ist folglich als widersprüchlich zu qualifizieren. II. Zustellungsrecht

Methodisch analysiert werden soll ferner der Sachverhalt, dass der für die insolvente GmbH auftretende Insolvenzverwalter vom Beklagten Zahlung verlangt. Der Insolvenzverwalter kennt zwar den Aufenthaltsort des Beklagten, gibt ihn gegenüber dem Gericht jedoch nicht bekannt. Die Klage kann nicht zugestellt werden, so dass das LG die öffentliche Zustellung bewilligt. Der Beklagte erscheint im anberaumten Termin nicht und sein Einspruch, der Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufung zum OLG werden verworfen und zurückgewiesen.30 Der BGH gewährt hingegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Rechtsmissbrauchs.31

27

Vgl. nur Mes, PatG, § 81 Rn. 1. Hierzu Halfmeier, Popularklagen im Privatrecht, S. 52. 29 Ebenso im Ergebnis, jedoch mit Treu und Glauben argumentierend: BGH, GRUR 1965, S. 135 (137); Pfister, Treu und Glauben, S. 107. 30 Nach BGHZ 118, 45 (46). 31 BGHZ 118, 45 (46); siehe hierzu unter § 2 B. V. 28

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1. Auslegungsmittel und Auslegungsziel Im Zustellungsrecht der ZPO ist § 185 Nr. 1 ZPO32 für die öffentliche Zustellung anzuwenden. Fraglich ist, ob § 185 Nr. 1 ZPO dahingehend ausgelegt werden kann, dass trotz Kenntnis des Aufenthaltsortes die öffentliche Zustellung bewirkt werden kann. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss der Aufenthaltsort unbekannt sein. Auch die Systematik der Zustellungsvorschriften mit ihrer abstufenden Vorgehensweise und der öffentlichen Zustellung als ultima ratio33 stützt diese Auslegung. Historisch ist der Vorgänger von § 185 ZPO die Bestimmung des § 186 CPO 1877 a. F.: „Ist der Aufenthalt einer Partei unbekannt, so kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen. Die öffentliche Zustellung ist auch dann zulässig, wenn bei einer im Auslande zu bewirkenden Zustellung die Befolgung der für diese bestehenden Vorschriften unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht.“

Genetisch ist es das Ziel der öffentlichen Zustellung, dem Kläger die Möglichkeit einer Durchsetzung seiner Rechte zu geben, wenn sich der Beklagte einem Verfahren zu entziehen versucht. Die gesetzgeberische Zielsetzung war also die Gewähr effektiven Rechtschutzes.34 2. Subsumtion Die Motivation des Zustellungsveranlassers, trotz Kenntnis des Aufenthaltsortes öffentlich zustellen zu lassen, wird von der gesetzgeberischen Konzeption nicht geschützt, so dass eine Zustellung trotz Kenntnis nicht von § 185 Nr. 1 ZPO erfasst wird und schon nach Auslegung der Norm hierunter zu fassen ist.35 Der Fall der Kenntnis des Sachverhalts lässt sich daher ohne Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots unter die Regel subsumieren, so dass eine öffentliche Zustellung nicht möglich ist. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO ist ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsargument nicht nötig, weil die unverschuldete Verhinderung des Beklagten schon bei der Auslegung des § 185 Nr. 1 ZPO greift.

32 § 185 Nr. 1 ZPO lautet: Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn 1. der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist […]. 33 Stein / Jonas / Roth, § 185 ZPO Rn. 1. 34 Musielak / Voit / Voit, § 185 ZPO Rn. 1; Zöller / Stöber, § 185 Rn. 1. 35 Wie hier wohl auch Pfister, Treu und Glauben, S. 129, der in der Folge die Wiederein­setzung in den vorigen Stand jedoch nicht als ausreichend ansieht.

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III. Zwischenergebnis

Der Abschnitt zum venire contra factum proprium zeigt, dass sich die Grenzziehung zwischen gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfort­bildung am gesetzgeberischen Zweck der Spezialnorm orientieren muss. Sind Wortlaut und Schutzzweck der konkreten Vorschrift erfüllt und besteht dennoch ein Bedürfnis für die Schranke, kann ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot als Korrektiv erfolgen. C. Missbrauch prozessualer Befugnisse Beim Missbrauch prozessualer Befugnisse geht es hauptsächlich um die Abgrenzung von gesetzesimmanenter und gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung. Die erste hier dargestellte Fallgruppe betrifft den gewillkürten Parteiwechsel. Der rechtsmissbräuchliche Kostenfestsetzungsantrag soll an einem weiteren Beispielsfall erläutert werden. I. Verweigerung der Zustimmung zum gewillkürten Parteiwechsel

Bei den Sachverhalten um die verweigerte Zustimmung zum gewillkürten Parteiwechsel steht folgende Konstellation im Raum: Der Beklagte zu 1) hatte im Vorfeld des Prozesses gegenüber dem Kläger unter der Firmierung „Einzelkaufmann“ korrespondiert. Tatsächlich firmierte der Beklagte zu 1) nicht mehr als Einzelkaufmann, sondern als GmbH & Co. KG (= Beklagte zu 2). Der Beklagte zu 1) war Gesellschafter der Beklagten zu 2). Das LG sah aufgrund des Rechtsscheins die Klage gegen den Beklagten zu 1) als begründet an. Das OLG wies die Klage als unbegründet ab und sah den Versuch des Parteiwechsels auf die GmbH & Co. KG als Beklagte zu 2) als unzulässig an, da die Beklagte zu 2) ihre Zustimmung versagt habe.36 Der BGH revidierte dieses Urteil unter Verweis auf das Rechtsmissbrauchsverbot.37 1. Auslegung Als notwendiges Vorwissen bedarf es der Kenntnis der Rechtsprechung des BGH zum Beklagtenwechsel und zur Beklagtenänderung, wonach beides im Wege der Klageänderung nach §§ 263 f., 267 f. ZPO zu behandeln ist.38 Zulässig ist diese 36

BGH, NJW 1987, 1946. BGH, NJW 1987, 1946 (1947). 38 Dies ist aber zwischen Rechtsprechung und Schrifttum umstritten: Klageänderung nach Rechtsprechung: BGH NJW 1962, 347 (Beklagtenwechsel); BGH, NJW 1996, 2799 (Kläger 37

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jedoch nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung nur bei Zustimmung durch den bisherigen Beklagten, vgl. § 269 Abs. 1 ZPO. Die Zustimmung des neuen Beklagten ist erforderlich, wenn es sich um eine Parteiänderung oder einen Parteiwechsel in der zweiten Instanz handelt.39 a) Wortlaut und Systematik Der Wortlaut von § 263 ZPO spricht klar von einer Einwilligung des Beklagten oder Sachdienlichkeit. Die Parteiänderung und der Parteiwechsel sind nach grammatischer Auslegung nicht erwähnt, da nur von der Änderung der Klage die Rede ist. Nach einem fachsprachlichen Lexikon bedeutet „Klage“ bei Gericht beantragter Rechtsschutz und die Geltendmachung eines Anspruchs durch ein gerichtliches Verfahren.40 Semantisch ist die Partei vom Klagebegriff nicht erfasst. Vielmehr richtet sich die Klage gegen die Parteien, so dass diese nur Bezugspunkt des Begriffs Klage sind. Weder aus der äußeren noch der inneren Systematik der ZPO lässt sich eine ausdrückliche Aussage zu Parteiänderung und Parteiwechsel herauslesen. b) Genetische und historische Auslegung Historischer Vorläufer der Vorschrift war § 235 Abs. 2 Nr. 3 CPO, der wie folgt lautete: „Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet. Die Rechtshängigkeit hat folgende Wirkungen: 1. wenn während der Dauer der Rechtshängigkeit von einer Partei die Streitsache anderweit anhängig gemacht wird, so kann der Gegner die Einrede der Rechtshängigkeit erheben; 2. die Zuständigkeit des Prozeßgerichts wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt; 3. der Kläger ist nicht berechtigt, ohne Einwilligung des Beklagten die Klage zu ändern.“

Mit den Gesetzesnovellen 1898 und 1924 erfuhr die Vorschrift eine Änderung zu § 264 ZPO: „Nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit ist eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet.“

Historisch wurde die Vorschrift zunächst dahingehend erweitert, dass dem Kläger eine Änderung der Klage möglich wurde, wenn sich hierdurch die Verteidigung wechsel); Rechtsinstitut sui generis nach Schrifttum: MünchKomm-ZPO / Becker-Eberhard, § 263 ZPO Rn.  67; Musielak / Voit / Foerste, § 263 ZPO Rn. 13; Zöller / Greger, § 263 ZPO Rn. 3; differenziert: Thomas / Putzo / Hüßtege, Vorb § 50 ZPO Rn. 15. 39 BGH, JZ 1956, 761; NJW 1974, 750. 40 Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 734.

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des Beklagten nicht erschwert. Mit der Gesetzesnovelle 1924 wurde diese Befugnis zu Klageänderung auch bei Sachdienlichkeit möglich.41 Ein Bezug zur Partei wurde vom Gesetzgeber nicht hergestellt. Vom Telos des § 263 ZPO ist also allein die Änderung der Klage erfasst, so dass eine Parteiänderung und der Parteiwechsel nicht direkt von den Klageänderungsvorschriften erfasst sind. Parteiwechsel und Parteiänderung sind damit richterrechtliche Institute. 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung Geht man mit der Rechtsprechung davon aus, dass § 263 ZPO für Parteiänderung und -wechsel maßgeblich ist, ist grundsätzlich in der zweiten Instanz Sachdienlichkeit oder die Zustimmung des Beklagten erforderlich.42 Eine teleologische Extension der Vorschrift, wonach unter das Wort Klageänderung die Parteiänderung zu fassen sei, ist nicht überzeugend, da die Parteiänderung und der Parteiwechsel vom Gesetzgeber in die ZPO nicht integriert worden sind. Eine am historischen Normzweckgedanken orientierte teleologische Extension führt daher nicht weiter. Geht man nun davon aus, dass die Parteiänderung und der Parteiwechsel einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, aber von § 263 ZPO nicht direkt erfasst sind, ist zunächst an eine Analogie zu denken. Dieses methodische Mittel kann aber nur an einem Normtext operieren. Es wurde bereits dargelegt, dass Parteiwechsel und -änderung als Analogie richterrechtlich konstitutiert sind.43 Der methodische Umgang mit Richterrecht kann sich nicht auf die normtextbezogenen methodischen Mittel zurückziehen, sondern es bedarf anderer Mittel zur Schrankenziehung. Eine teleologische Reduktion dieses Ergebnisses kann letztlich nicht erfolgen, da ein gesetzgeberischer Normzweck nicht ermittelbar ist. Im Hinblick auf das richterrechtliche prozessuale Rechtsinstitut stellt sich jedoch die Frage, ob das Zustimmungserfordernis ohne jede Einschränkung aufrechterhalten werden kann. Für ein dahingehendes schrankenloses Zustimmungserfordernis streitet, dass der neue Beklagte ansonsten eine Tatsacheninstanz verlöre. Dies verletzt Art. 3 Abs. 1 GG, weil dem Beklagten eine korrigierende Instanz genommen würde. Zentral ist also die Zwecksetzung der Schutzwürdigkeit des Beklagten in der zweiten Instanz.44 Entscheidend für die Frage, ob dieses Zustimmungserfordernis greift, sind die 41

Stein / Jonas / Roth, § 263 ZPO Rn. 19. Durch das neue Berufungsrecht wird zudem § 533 ZPO maßgeblich: Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nur zulässig, wenn 1. der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und 2. diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hat. 43 Siehe § 11 C. I. 1. b). 44 Anders aber auch insoweit BGHZ 21, 285, der die Vorschriften über die Klageänderung gerade nicht anwenden will. 42

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tatsächlichen Feststellungen. War der neue Beklagte mit dem Sachverhalt betraut, indem er schon erstinstanzlich am Prozess beteiligt war, kann er keine Behinderung seines Sachvortrages durch das erstmalige Auftreten in der zweiten Instanz geltend machen. Eine Schutzwürdigkeit des neuen Beklagten ist nicht gegeben. Das Verhalten ist mangels konkret schutzwürdigen Interesses im Hinblick auf das gesamte Rechtsinstitut institutionell rechtsmissbräuchlich.45 In einer solchen Situation besteht keine schutzwürdige Position der neuen Partei, so dass auf das richterrechtlich postulierte Zustimmungserfordernis verzichtet werden kann. II. Der rechtsmissbräuchliche Kostenfestsetzungsantrag

In der neueren Rechtsprechung geht es mit Blick auf den Rechtsmissbrauch um die Stellung von Kostenfestsetzungsanträgen:46 Der Anwalt von fünf Mandanten verfolgt fünf Unterlassungsansprüche gegen einen Beklagten in fünf Verfahren. Dieser hat die Kläger zuvor in einem einheitlichen Lebensvorgang beleidigt. Nach Abschluss der einzelnen Verfahren stellt der Anwalt der jeweiligen Kläger in jedem Verfahren einen Kostenfestsetzungsantrag mit je einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. In einem anhängigen Verfahren mit fünf Klägern hätte sich die Verfahrensgebühr von 1,3 nach Nr. 1008 VV RVG um jeweils 0,3 auf insgesamt 2,5 Gebühren erhöht. Geltend gemacht wurden aber insgesamt 6,5 Verfahrensgebühren. Der Antragsgegner im Kostenfestsetzungsverfahren erhebt den Rechtsmissbrauchseinwand. Der Rechtspfleger sprach die 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG zu; das Beschwerdegericht KG Berlin47 hielt diese Entscheidung, weil sich der Erstattungsanspruch aus der Kostengrundentscheidung ergebe. Der BGH nahm demgegenüber die Rechtsmissbräuchlichkeit des Kostenfestsetzungsantrags an.48 1. Auslegung a) Wortlaut und Systematik Nach dem Wortlaut von § 91 Abs. 1 HS. 2 ZPO werden nur Rechtsverfolgungskosten ersetzt, die zur zweckentsprechenden Verfolgung der Rechte der Naturalpartei notwendig sind. Dies ist bei solchen Kosten der Fall, ohne die die Rechte der Naturalpartei nicht verfolgt werden können.

45 Im Ergebnis ebenso, aber ohne Differenzierung zwischen individuellem und institutionellem Rechtsmissbrauch: BGH, NJW 1987, 1946 (1947); Pfister, Treu und Glauben, S. 154 f. 46 BGH, NJW 2013, S. 66. 47 KG Berlin, AGS 2012, 146. 48 Siehe hierzu unter § 2 C. IV.

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b) Genetische und historische Auslegung Historisch ist der Vorläufer von § 91 ZPO § 87 CPO a. F.: „Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit dieselben nach freiem Ermessen des Gerichts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsvertheidigung nothwendig waren. Die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts jedoch nur insoweit, als die Zuziehung nach dem Ermessen des Gerichts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsvertheidigung nothwendig waren. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind insoweit nur zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste.“

Schon dieser historische Wortlaut zeigt, dass grundsätzlich nur die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erstattet werden können. Genetisch ergibt sich aus der diesbezüglichen Gesetzesbegründung, dass bereits nach Abs. 1 die Kostenerstattungspflicht im Rahmen des richterlichen Ermessens mit Bezug auf die zweckentsprechende Rechtsverfolgung Beschränkungen unterliegt. Denn es ist dabei insbesondere zu würdigen, ob Streitgenossen genügende Veranlassung hatten, mehrere Anwälte zu bestellen.49 c) Auslegungsziel Auslegungsziel von § 91 ZPO ist für die Höhe der Kosten, dass die nur für die Rechtsverfolgung notwendigen Kosten verlangt werden können. 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung Subsumiert man den konkreten Fall unter die Regel, stellt sich die Frage, ob die Rechtsverfolgung im Hinblick auf die Kosten durch das Führen von fünf parallelen Verfahren unerlässlich ist. Dafür spricht zum einen, dass bei der Möglichkeit zur Geltendmachung in einem Verfahren dies auch für mehrere Verfahren gelten muss. Zum anderen gilt § 91 ZPO grundsätzlich nur für das jeweilige Verfahren und nicht für mehrere Prozesse insgesamt. Dagegen lässt sich einwenden, dass der Zweck der Norm nur die notwendigen Kosten der gesamten Rechtsverfolgung ersetzen soll. Systematisch ergibt sich das aus der Pflicht zu Geringhaltung der außergerichtlichen Kosten, nämlich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Regelungen der Klagehäufung nach § 260 ZPO zeigen zudem die Möglichkeit der Verhandlung in einem Verfahren auf. Auch aus gebührenrechtlicher Sicht 49

Hahn / Mugdan, Materialien – Band II/1, S. 197.

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besteht nach Anl. 1 Nr. 1008 VV-RVG50 die Möglichkeit, eine 1,3-Verfahrensgebühr bei mehreren Beteiligten um jeweils 0,3 zu erhöhen. Schließlich zeigt der Rechtsgedanke des § 254 Abs. 2 BGB, dass angesichts der Schadensvertiefung durch die Kostenfestsetzung eine Pflicht des Klägers zur Geringhaltung des Schadens besteht. Nach alledem ist der Fall nicht unter die Regel des § 91 ZPO zu subsumieren, weil keine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten verlangt werden. Eine Notwendigkeit zur Rechtsfortbildung besteht nicht, da eine Lücke nicht existiert und aus Wertungsgründen auch keine Rechtsfortbildung nötig ist. Zudem erübrigt sich ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot, weil sowohl der Wortlaut als auch der Schutzzweck der konkreten Norm erfüllt sind und kein Korrekturbedürfnis besteht. III. Zwischenergebnis

Auch die Fallgruppe des Missbrauchs prozessualer Befugnisse zeigt Möglichkeiten, wie sich die einzelnen methodischen Mittel voneinander abgrenzen lassen. Der Parteiwechsel ist im Wege des institutionellen Rechtsmissbrauchs und die Problematik um den Kostenfestsetzungsantrag im Wege der Auslegung zu lösen. Ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot ist in diesen Fällen nicht nötig. Gerade die zweckwidrige Ausübung einer prozessualen Befugnis bedarf nicht der Heranziehung von Treu-und-Glauben. Sie kann bei Vorliegen eines konkreten Normtextes über die Figur der teleologischen Reduktion beschränkt werden. D. Verwirkung der Beschwerdebefugnis bei unbefristeten Rechtsbehelfen oder nicht angelaufenen Fristen Das Prinzip der Verwirkung hat Eingang in die Fallgruppen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess gefunden. Es handelt sich – wie bereits beschrieben51 – um ein Korrekturelement über den Zeitfaktor. I. Verwirkung des Beschwerderechts bei einem befristeten Rechtsmittel

Verdeutlichen lässt sich diese Fallgruppe zum einen an folgender Konstellation: Im Jahr 1949 wird dem Verfahrensbeteiligten O in Landwirtschaftssachen ein Beschluss des Amtsgerichts nicht zugestellt, der mit einer Auflage versehen ist. Im 50 Text von Anl- Nr. 1 1008 VV-RVG: Auftraggeber sind in derselben Angelegenheit mehrere Personen – Die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr erhöht sich für jede weitere Person um 0,3 oder 30 % bei Festgebühren, bei Betragsrahmengebühren erhöhen sich der Mindest- und Höchstbetrag um 30 %. 51 Siehe hierzu § 7 A. III. 2. c).

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Jahr 1987 wird von den Beteiligten zu 1) und 2) sofortige Beschwerde eingelegt, wobei sich der Beteiligte zu 3) gegen deren Zulässigkeit positioniert.52 1. Auslegung a) Wortlaut und Systematik Gemäß § 22 Abs. 1 LwVG war nach früherem Recht gegen den Beschluss des Amtsgerichts die sofortige Beschwerde statthaft. Die Rechtsmittelfrist begann spätestens fünf Monate nach der Zustellung, § 21 Abs. 2 Sätze 1 und 3 LwVG. Heute ist über § 9 LwVG, eventuell i. V. m. § 1 Abs. 1 HöfeVfO das Recht über die Beschwerde nach § 58 FamFG anwendbar auf Beschwerden in Landwirtschaftssachen. Maßgeblich ist nach neuem Recht § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG, wonach ein Monat Beschwerdefrist mit der Zustellung zu laufen beginnt. Nach dem Wortlaut beginnt die Frist nur bei schriftlicher Bekanntgabe, überdies ohne eine solche, wenn diese nicht bewirkt werden kann. Systematisch-logisch soll maßgeblicher Anknüpfungspunkt die ordnungsgemäße Bekanntgabe sein. b) Historie und Genese Historisch ist die Vorgängernorm § 19 FGG a. F.: „(1) Gegen die Verfügungen des Gerichts erster Instanz findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt. (2) Über die Beschwerde entscheidet das Landgericht.“

Der Gesetzgeber hat sich von der unbefristeten Beschwerde abgewandt.53 Historisch wurde als Ziel von § 63 Abs. 1, 3 FamFG die Verfahrensbeschleunigung und das Erreichen von Rechtsklarheit ausgegeben.54 Bei nicht erfolgter schriftlicher Kundmachung wird die Frist nach fünf Monaten in Gang gesetzt.55 Dies ist jedoch nur dann so, wenn der Aufenthaltsort des Beteiligten unbekannt ist.56 Das bedeutet, dass eine Frist nicht in Gang gesetzt werden kann, wenn der Aufenthaltsort der Beteiligten bekannt ist und eine schriftliche Bekanntgabe unterbleibt. Zweck der Anknüpfung der Beschwerdefrist an den Zeitpunkt der Kundmachung ist die schnelle Erledigung der Streitigkeit. Der Gegenstand der Beschwerde, der

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BGH, NJW-RR 1989, 768. BT-Drucks. 16/6308, S. 205. 54 MünchKomm-FamFG / Fischer, § 63 FamFG Rn. 1. 55 BT-Drucks. 16/6308, S. 206. 56 MünchKomm-FamFG / Fischer, § 63 FamFG Rn. 32. 53

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nicht formell mitgeteilt worden ist, muss von diesem Zweck erfasst werden. Damit greift § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht. Da die Voraussetzungen von § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG, die ordnungsgemäße Bekanntgabe mangels Kenntnis des Aufenthaltsortes zu bewirken, nicht vorliegen, muss es grundsätzlich beim Recht zur Beschwerde im Rahmen der Frist verbleiben. Die ratio legis des § 63 FamFG geht also dahin, dass die Frist einer Beschwerde bei bekanntem Aufenthaltsort der Beteiligten erst mit dem Zeitpunkt einer Bekanntgabe zu laufen beginnt. 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung Der konkreten ratio legis kann auch im Falle einer zeitlich späten Beschwerde noch entsprochen werden. Wortlaut und konkreter Schutzzweck der Vorschrift sind erfüllt. Der Fall einer teleologischen Reduktion ist nicht gegeben, weil der Sachverhalt dem Wortlaut des konkreten Gesetzes und dem konkreten Normzweck zugeordnet werden kann. Eine gesetzesbezogene Rechtsfortbildung ist nicht möglich. Soll der Beschwerdeeinlegung dennoch eine Grenze gezogen werden, geht dies nur im Wege der allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke. Aus zeitlicher Sicht sind das Zeit- und das Umstandsmoment zu würdigen.57 Im vorliegenden Fall sind knapp 38 Jahre seit der Entscheidung vergangen. Im Hinblick auf die konkreten Umstände war diese bereits vollzogen und damit den Beschwerdeführern bekannt. Da angesichts der Kenntnis und des langen Zeitablaufs beim Entscheidungsbegünstigten Vertrauensschutz entstanden ist, kann der Rechtsbehelf der Beschwerde wegen Verwirkung nicht mehr eingelegt werden.58 Für diese Lösung spricht der Rechtsgedanke der Heilungsvorschrift von Zustellungsmängeln gemäß § 189 ZPO,59 der trotz des Zustellungserfordernisses auf den tatsächlichen Zugang eines Dokuments abhebt. Ein solcher ist zwar nicht nachgewiesen, jedoch haben alle Beteiligten zumindest erwiesenermaßen Kenntnis erlangt. Ein Rückgriff auf das Rechtsmissbrauchsverbot als Schranke setzt der Einlegung der Beschwerde damit Grenzen.

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Siehe hierzu § 7 A. III. 2. c). BGH, NJW-RR 1989, 768; Pfister, Treu und Glauben, S. 208. 59 § 189 ZPO lautet: Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. 58

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II. Verwirkung der Geltendmachung eines Titels

Um das Verhältnis von Auslegung und Rechtsmissbrauchsverbot noch etwas klarer darzustellen, soll die Verwirkung der Geltendmachung eines Titels betrachtet werden. Diese Materie bewegt sich an der Schnittstelle von Prozessrecht zu materiellem Recht.60 Der Fallgruppe der Verwirkung eines Titels liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit Urkunde des Jugendamtes aus dem Jahr 2001 verpflichtete sich der Antragsteller zur Zahlung von Kindesunterhalt. Die Antragsgegnerin machte sodann zwischen 2005 und 2008 keine Unterhaltsansprüche aus dem Titel geltend. Mit Vollstreckungsgegenantrag begehrte der Antragsteller im Jahr 2011 die Abwehr der Durchsetzung von Zahlungen aus dieser Vollstreckungsurkunde.61 1. Auslegung Als maßgebliche Rechtsgrundlage kann auf § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB rekurriert werden. Die Verjährung eines Titels – auch einer vollstreckbaren Urkunde – tritt erst nach 30 Jahren ein. Nach dem Wortlaut kann die Einrede der Verjährung nur bis zum Ablauf von 30 Jahren erhoben werden. Systematisch-logisch soll diese konkrete Einwendung mit Hinweis auf die verstrichene Zeit abschließend durch diese Regelungen getroffen werden. Dies ergibt ein Umkehrschluss zu den anderen Vorschriften im Kontext des Verjährungsrechtes, wonach sehr viel kürzere Fristen als diejenigen in § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB geregelt sind und überdies die Möglichkeit von Verjährungsvereinbarungen nach § 202 BGB besteht. Genetisch ist auf die beinahe inhaltsgleiche Vorschrift des § 218 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. Bezug zu nehmen,62 wonach bei Titeln eine dreißigjährige Verjährung gilt. Das Verjährungsrecht seit der Schuldrechtsmodernisierung fußt auf dem Gedanken, dass der Schuldner nicht in Beweisnot kommen sollte, wenn er aufgrund seines Vertrauens keine Vorsorgemaßnahmen getroffen hat und er keinen Regress geltend machen kann. Für den Schuldner soll sich eine faire Chance ergeben, das Bestehen der Forderung zu erkennen, ihre Berechtigung zu prüfen und Beweis 60

Dabei ist insbesondere im kontinentalen Rechtskreis das Institut der Verjährung materiellrechtlich, im Common-law-Rechtskreis prozessrechtlich ausgestaltet, Schütze, Ausgewählte Probleme, S. 121. Eine Schnittstelle ergibt sich hier deswegen, weil die Durchsetzung des Titels nur im Wege der Zwangsvollstreckung möglich ist. 61 OLG Hamm, FamRZ 2014, 1472 ff. 62 Normtext von § 218 Abs. 1 BGB a. F.: Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch verjährt in dreißig Jahren, auch wenn er an sich einer kürzeren Verjährung unterliegt. Das Gleiche gilt von dem Anspruch aus einem vollstreckbaren Vergleich oder einer vollstreckbaren Urkunde sowie von einem Anspruche, welcher durch die im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden ist.

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mittel zusammenzutragen. Ziel der Verjährung generell ist Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Verjährung.63 Bei § 197 Abs. 1 Nr. 3–5 BGB ist auch deswegen eine 30-jährige Verjährungsfrist eingeräumt, damit der Gläubiger bei fehlender aktueller Vollstreckungsfähigkeit über einen langen Zeitraum Rechte gegen den Schuldner geltend machen kann.64 § 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB soll also grundsätzlich abschließend für 30 Jahre zeitliche Einwendungen gegen Ansprüche aus vollstreckbaren Urkunden regeln. 2. Subsumtion und Rechtsfortbildung Fraglich ist, ob dieses abstrakte Auslegungsergebnis einer strikten dreißigjährigen Verjährungsfrist auch in Rechtsgebieten mit einem schnelleren Bedürfnis zur Abwicklung von Ansprüchen gegeben ist. a) Teleologische Reduktion Für eine Reduktion des Begriffs Urteil, Vergleich und vollstreckbare Urkunde oder der angeordneten Zeitdauer von 30 Jahren spricht, dass sich der Verpflichtete angesichts des langen Zeitablaufes ohne Durchführung der Zwangsvollstreckung auf die Nicht-Geltendmachung einrichten durfte. Gegen eine Einengung nach dem Telos streitet, dass Zweck der Verjährungsregelungen das Setzen einer klaren zeitlichen Grenze ist. Diese ratio legis kann aber nicht zur zeitlichen Begrenzung der Geltendmachung des Titels herangezogen werden. Die gesetzgeberische Wertung würde ansonsten unterlaufen. Die Subsumtion ergibt daher, dass Wortlaut und Schutzzweck der konkreten Vorschrift erfüllt sind. b) Unzulässige Rechtsausübung in Form der Verwirkung Im Rahmen des Verbots der individuellen unzulässigen Rechtsausübung kann eine Korrektur auf der Grundlage des Instituts der Verwirkung erfolgen, da das notwendige Zeit- und Umstandsmoment vorliegt. In zeitlicher Hinsicht waren zwischen Erlangung des Titels und seiner Vollstreckung zweieinhalb Jahre gelegen. Obgleich in den Jahren 2005 bis 2008 andere Ansprüche im Rahmen des Unterhaltsverhältnisses geltend gemacht wurden, wurde der titulierte Anspruch nicht weiter verfolgt. In zeitlicher Hinsicht ist aufgrund des Ablaufs von zweieinhalb Jahren ein hinreichend langer Zeitraum für den Vollstreckungsgläubiger gegeben, seinen titulierten Anspruch zu vollstrecken. Im Hinblick auf das Umstandsmoment ist von Bedeutung, ob der Vollstreckungsschuldner Vertrauen dahingehend bilden 63

Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 599. Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, S. 618.

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konnte, dass der Anspruch nicht mehr verfolgt werde. Über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren wurden Unterhaltsansprüche aus einer Jugendamtsurkunde aus dem Jahr 2005 nicht geltend gemacht. Als Umstandsmoment kann angeführt werden, dass in der Zwischenzeit Schriftverkehr bezüglich anderer Unterhaltsansprüche ohne Hinweis auf diejenigen aus dem Jahr 2005 stattgefunden hat. Der geschuldete Differenzbetrag wurde jedoch nicht – nicht einmal im Vollstreckungsverfahren – geltend gemacht. Aufgrund der unterbliebenen Kommunikation des Anspruchs hinsichtlich der Unterhaltsdifferenz durfte der Vollstreckungsschuldner daher davon ausgehen, nicht mit weiteren Ansprüchen überzogen zu werden. Die Entscheidung extra legem, sed intra ius kann sich aufgrund der besonderen Situation im Unterhaltsrecht mit dem Ziel einer schnellen Befriedigung von Ansprüchen ergeben und unter Hinweis auf die Notwendigkeit eines Korrektivs im Einzelfall begründet werden. Dieser materielle Gehalt des Unterhaltsrechts setzt sich an dem titulierten Anspruch prozessual fort. Der Unterhaltsberechtigte ist auf den Unterhalt in den meisten Fällen kurzfristig angewiesen, so dass die lange dreißigjährige Verjährungsfrist nicht sachgerecht erscheint.65 Aus dogmatischer Sicht ist eine derartige Lösung freilich höchst bedenklich, weil damit das formelle Recht der Fristen nicht angewendet wird. Trotz der festen zeitlichen Grenzen des Verjährungsrechts ist eine Durchbrechung im Einzelfall für diesen speziellen Fall im Unterhaltsrecht vorzugswürdig. Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots hat wegen ihres Einzelfallbezugs stets die Wirkung eines Ausbruchs aus der Dogmatik. Sie stellt als Rechtsfortbildungsmittel gerade das Einzelfallkorrektiv zu einer abstrakten und dogmatisch orientierten Lösung eines Rechtsfalls dar. Der Verwirkungseinwand greift daher. III. Zwischenergebnis

Die Beispiele aus der Fallgruppe der Verwirkung prozessualer Rechte zeigen, dass die Besonderheiten der konkreten Normen besser zur Geltung kämen, wenn die Zielsetzung des Gesetzgebers durch eine teleologische Reduktion beachtet würde. Hier stellt sich die Frage, ob eine Korrektur der gesetzgeberischen Entscheidung im Einzelfall überhaupt erfolgen darf. Sowohl der Fall zur Beschwerdebefugnis als auch der Fall zur späten Geltendmachung eines Titels verdeutlichen, dass in Ausnahmefällen mit der Schranke der unzulässigen Rechtsausübung gearbeitet werden kann.

65 Dies wird auch an dem gemeinrechtlichen Rechtsgrundsatz „In praeteritum non vivitur“ deutlich, wonach für die Vergangenheit grundsätzlich keine Alimentierung stattfinden soll; statt aller MünchKomm-BGB / Born, § 1613 BGB Rn. 1.

§ 11 Anwendung auf ausgewählte Fallbeispiele

211

E. Zusammenfassende Würdigung Die problematischen Gesichtspunkte des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots im System des herrschenden Determinationsmodells der Rechtsfindung werden durch die durchgeführte Fallanalyse deutlich. Die Beispiele des arglistigen Schaffens prozessualer Rechtslagen – Begründung eines Kostenfestsetzungsantrags mit Klage nach § 23 ZPO und Verbringen von Vermögen ins Ausland – sind einerseits mit der teleologischen Reduktion, andererseits mit dem individuellen Rechtsmissbrauchsverbot lösbar. Der Klage nach § 81 PatG bei fehlender Nichtangriffsabrede (Venire contra factum proprium) kann das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot entgegengehalten werden, während sich die Konstellation zur öffentlichen Zustellung durch die Auslegung von § 185 ZPO lösen lässt. Die unterbliebene Zustimmung beim gewillkürten Parteiwechsel führt bei fehlender Schutzwürdigkeit des neuen Beklagten dazu, dass auf diese verzichtet werden kann. Als methodisches Mittel dient das institutionelle Rechtsmissbrauchsverbot. Der rechtsmissbräuchliche Kostenfestsetzungsantrag ist dagegen kein Fall des Missbrauchs prozessualer Befugnisse, da er sich über eine teleologische Auslegung des § 91 ZPO lösen lässt. Bei der Fallgruppe der Verwirkung bestätigen sich die von der Rechtsprechung gefundenen Lösungen zur Beschwerdebefugnis und späten Geltendmachung eines Unterhaltstitels über das individuelle Rechtsmissbrauchsverbot. Die praktische Erprobung der abstrakten Ausführungen zur Argumentation mit der Rechtsmissbrauchsschranke demonstriert: Zum einen ist das Argument des Rechtsmissbrauchs methodisch nur dann anzuwenden, wenn zuvor durch die Auslegung das Recht im konkreten Einzelfall definiert worden ist. Nur wenn Wortlaut und konkreter Schutzzweck der Norm den Fall erfassen, kann im Falle des Bedürfnisses einer Schranke das Rechtsmissbrauchsverbot greifen. Schon aus diesem Grund reduziert sich der Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsarguments zwangsläufig. Auch eine gesetzesbezogene teleologische Reduktion oder Analogie ist aufgrund des strengen Bezuges zur gesetzgeberischen Grundentscheidung nicht immer möglich. Die rechtsmethodische Fallanalyse zeigt den Bedarf für ein Instrument zur Einzelfallentscheidung, das nicht allein normtextorientiert ist. Nach dem bevorzugten Weg der subjektiv-teleologischen Auslegungslehre verbleibt zwar für die Anwendung dieses korrigierenden Rechtsinstituts Raum. Angesichts der vorrangigen Prüfung von Wortlaut und Schutzzweck hat das Rechtsmissbrauchsverbot jedoch nur einen geringen Anwendungsbereich,66 wenn zuvor schon eine Argumentation mit dem konkreten Zweck des Gesetzestextes zur Eingrenzung des Rechts oder einer prozessualen Befugnis geführt hat. Dennoch ist unter dem positivistischen Paradigma der Gesetzesanwendungslehre ein Anwendungsbereich eröffnet, der mit Hilfe von Rechtsinstituten und Rechtsprinzipien gelöst werden kann.

66 Auch Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 254 sieht den Anwendungsbereich von § 242 BGB lediglich noch bei den Fallgruppen der Verwirkung und des Missbrauchs prozessualer Befugnisse als gegeben an.

212

Teil 3 

Für das Verhältnis von teleologischer Reduktion und prozessualem Rechtsmissbrauch gilt allgemein, dass die teleologische Reduktion an der konkreten Norm anknüpft und neben sich ein weiteres korrektives Institut mit beschränkender Wirkung wie das Rechtsmissbrauchsverbot zulässt. Durch die Rücksichtnahme auf die dogmatische Konzeption des jeweiligen gesamten Rechtsinstituts findet keine vollkommen freie, topische Abwägung statt. Die Überprüfung der gewählten Parameter und Wertungen sowie deren Gewichtung nehmen die weiteren Instanzen vor. In jedem normtextkonzentrierten System besteht für den Fall einer Regelungslücke der Bedarf an alternativen Lückenfüllungsmöglichkeiten.

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots Die Frage nach den Geltungsgründen eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbotes wurde in dieser Arbeit bislang nicht behandelt. Als Rechtsinstitut hat dieses zwar ob seiner Schrankenwirkung eigenständigen methodischen Gehalt.67 Die Zulassung der Methode und des Arguments „Rechtsmissbrauchsverbot“ im System des Prozessrechts bedarf dennoch einer dogmatischen Fundierung. Insofern gilt das Dictum Adrians, dass die methodischen Möglichkeiten letztlich durch die Dogmatik des jeweiligen Systems begrenzt werden.68 Die Anwendung des § 242 BGB als Referenznormtext für das zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot bildet den Ausgangspunkt. Dialektisch sind die zentralen Geltungsgründe des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots herauszuarbeiten. Dabei ist eine Auseinandersetzung mit den insbesondere von Prütting ausdrücklich formulierten Einwänden69 angezeigt, weil er den Diskurs über die Geltungsgründe wieder neu eröffnet hat. Seine Argumente gegen das Rechtsmissbrauchsverbot im Prozessrecht sind fehlende Rechtssicherheit, der Unterschied von Privat- zu Prozesshandlungen, die Formenstrenge des Prozesses sowie die Verschiedenheit von Verfahrensgerechtigkeit gegenüber materieller Gerechtigkeit.70 A. Begründungsansätze in Rechtsprechung und Literatur Literatur und Rechtsprechung vertreten unterschiedliche Begründungsansätze hinsichtlich der Geltungsgrundlage eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots.71 Dies spiegelt sich im Streit darum, ob das Rechtsmissbrauchsverbot überhaupt im Prozess Anwendung finden kann. 67

Siehe hierzu bereits § 9 B. II. Adrian, Grundprobleme, S. 85; so auch Zweites Kapitel vor § 9. 69 Prütting, in: FS Stürner, S. 464. 70 Prütting, in: FS Stürner, S. 464. 71 Siehe hierzu bereits unter § 3. 68

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

213

I. Kein prozessuales Missbrauchsverbot

Prütting nimmt methodisch eine Auslegung und Rechtsfortbildung von § 242 BGB vor und begründet damit die Nichtanwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess unter Anwendung der Regeln juristischer Methode.72 Novak sieht in der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots eine signifikante Gefährdung der Rechtssicherheit und lehnt dessen Anwendung aus diesem Grund ab.73 II. Grundlagen der prozessualen Rechtsmissbrauchsschranke

Das Reichsgericht judizierte erstmals 1921, dass das Prozessrechtsverhältnis ebenso wie die materiell-rechtlichen Rechtsverhältnisse von Treu und Glauben beherrscht werde. Dies ergebe sich auch aufgrund der Wirkung der im Bürgerlichen Gesetzbuch anerkannten exceptio doli generalis gegen das Handeln des Gläubigers im Prozess.74 Dem folgend ist der BGH der Auffassung, dass im Zivilverfahrensrecht jede Rechtsausübung dem aus Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot unterliege.75 Die Rechtsprechung bezieht den Rechtsmissbrauch damit nicht nur auf den Einwand hinsichtlich materieller Rechte im Prozess, sondern weitet ihn auf den Missbrauch des Prozessrechts aus. Baumgärtel geht von der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Zivilprozess aus, weil Treu und Glauben dort gelten. Die Anwendbarkeit beruhe auf der Einheit der Rechtsordnung.76 Geboten sei dies zum Schutze der Parteien voreinander und zur Verfügbarmachung eines Kontrollmaßstabes für den Richter.77 Nach Baumgärtel gilt das gesamte Treu-und-Glauben-Prinzip und auf der Grundlage dessen das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Nach Ansicht von Zeiss beruht die Normqualität des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots auf Gewohnheitsrecht.78 Über dieses sei daher das Rechtsmissbrauchsverbot im Prozess anwendbar. Pfister folgt hinsichtlich der Anwendbarkeit des Treu-und-Glauben-Prinzips insbesondere der Ansicht von Baumgärtel und demonstriert an einzelnen Vorschriften und Urteilen, dass der Zivilprozessordnung der Grundsatz von Treu und Glauben nicht fremd sei.79 Holthausen spricht 72

Prütting, in: FS Stürner, S. 458 ff. Novak, ÖJZ 1949, S. 339. 74 RGZ 121, 217 (222). 75 BGHZ 1, 181 (185 f.) unter Berufung auf § 826 BGB und die guten Sitten [Zwangsvollstreckung]; BGHZ 43, 289; BGHZ 48, 351 (354); BGH NJW 1992, 569; BGHZ 172, 218; BGH NJW-RR 2011, 959–961 [Pfändung] BGH, NJW 2013, 66 (67); BGH, NJW 2013, 2826 [Kostenfestsetzung]; BPatG, WRP 2013, 87 ff. [Löschungsverfahren]. 76 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 91; dieses Argument geht wiederum auf Siebert, Verwirkung und unzulässige Rechtsausübung, S. 126, zurück. 77 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 92. 78 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 18, 203. 79 Pfister, Treu und Glauben, S. 29 f. 73

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von einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke auf der Grundlage des Treuund-Glauben-Prinzips.80 Trotz der oben genannten Gegenstimmen geht die Literatur zum großen Teil von der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots aus, stützt dieses auf das Treu-undGlauben-Prinzip und gründet die Anwendung von letzterem auch im Prozess auf die Einheit der Rechtsordnung.81 B. Geltungsgründe des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots Nach herrschender Auffassung soll die Einheit der Rechtsordnung Geltungsgrund des Rechtsmissbrauchsverbots im Zivilprozess sein.82 Dieses Argument ist jedoch schon deswegen auf die Probe zu stellen, da die Einheit der Rechtsordnung durchaus Differenzierungen innerhalb der jeweiligen Systeme des materiellen Rechts und des Prozessrechts zulässt. Von diesen Durchbrechungen wird die Rechtsordnung maßgeblich geprägt.83 Neben dem Wertungsargument „Einheit der Rechtsordnung“ ist eine Vielzahl weiterer möglicher Geltungsgründe des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots anzusprechen. I. § 242 BGB als Geltungsgrund

Auslegung und Rechtsfortbildung von § 242 BGB können aus methodischer Sicht Aufschluss darüber geben, ob das dieser Vorschrift zugeordnete zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot Anwendung auf den Prozess finden kann.84 1. Auslegung von § 242 BGB § 242 BGB in seiner heutigen Fassung regelt, dass der Schuldner verpflichtet ist, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

80

Holthausen, Theorie und Praxis, S. 49. Siebert, Verwirkung und unzulässige Rechtsausübung, S. 126.; Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 91; Holthausen, Theorie und Praxis, S. 41. 82 Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 91; Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozessrecht, § 2 IV Rn. 18. 83 Brüning, NVwZ 2002, S. 37 (zum Topos der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung); Koch, JZ 2006, S. 278 (Durchbrechung durch europäisches Recht); zur Bedeutung hinsichtlich Wertungswidersprüchen, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, S. 249 ff.; Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 93, allerdings mit nationalsozialistischer Ideologie im Hintergrund. 84 Auch Prütting, in: FS Stürner, S. 458 ff. will durch eine Auslegung der Vorschrift die Nichtanwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots auf den Prozess demonstrieren. 81

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

215

a) Wortlaut und Systematik Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift mit offenen Tatbestandsmerkmalen85 können nur Schuldner einer Leistung zu Treu und Glauben verpflichtet sein. Die Partei eines Prozesses ist in ihrer Funktion als Verfahrensbeteiligter jedoch nicht Schuldner einer Leistung, sondern nur mit prozessualen Lasten und Pflichten hinsichtlich der Verfahrensführung betroffen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Schuldner nur derjenige, der einem anderen etwas schuldet. Prozessparteien schulden einander jedoch im Rahmen des Prozessrechtsverhältnisses nichts.86 Von der äußeren Systematik steht die Norm im Schuldrecht, so dass die Vorschrift nur in diesem Bereich direkt Anwendung findet. Aus der inneren Systematik ergibt sich nichts anderes, weil Bezugspunkt der jeweils im unmittelbaren Umfeld der Vorschrift liegenden Normtexte das Schuldverhältnis ist. Dies ist nur anders, wenn die Parteien bereits vor dem Prozess durch Vertrag miteinander verbunden sind. Dann kann § 242 BGB direkt greifen, weil unbeschadet der Frage der Prozess- und Privathandlung gegenseitige Rücksichtnahme erforderlich ist. b) Historie Historisch existierte  – ausgehend vom badischen und rheinischen Landrecht (1810/1814) – der Grundsatz redlichen Verhaltens im Code Civil mit folgendem Textinhalt (Art. 1135 Abs. 3 Rheinisches Recht):87 „Die Verträge müssen redlich vollzogen werden.“

§ 858 des BGB für das Königreich Sachsen von 1865, auf den sich von Kübel in seinem Teilentwurf Obligationenrecht für das Bürgerliche Gesetzbuch bezog,88 lautete wie folgt: „Die Erfüllung eines Vertrages hat Dasjenige zu fassen, was nach der besonderen Verabredung der Beteiligten, nach den gesetzlichen Vorschriften über den in Frage stehenden Vertrag und überhaupt nach Treu und Glauben und nach der Handlungsweise eines redlichen Mannes zu leisten ist“ (§ 858 BGB für das Königreich Sachsen von 1863).89

85

Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 122. Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 227; ders., JR 2008, S. 360; anderer Ansicht aber: Lüke, ZZP 108 (1995), S. 445. 87 Die Darstellung folgt hier Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 19, 20, 25 ff. 88 Der württembergische Obertribunalsdirektor von Kübel hatte diesen Teilabschnitt zugewiesen bekommen und hatte viele andere Gesetze und Gesetzesentwürfe verwendet, hierzu AlShamari, Verkehrssitte im § 242 BGB, S. 11. 89 Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 20. 86

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Die Vorgängerfassungen in den Entwürfen lauteten: „Der Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte, sowie mit Rücksicht auf Treu und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergiebt“ (als § 359 des E I, 1888).90 „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältniss ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken“ (Obligationenrecht Nr. 13 Teilentwurf § 196).91 „Die Leistung ist so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“ (als § 224 nach der Redaktion durch das Reichsjustizamt, 1891).92 „Der Schuldner ist zur Bewirkung der Leistung in solcher Weise verpflichtet, wie es Treu und Glauben und der Verkehrssitte entspricht“ (als § 224 und Diskussionsgrundlage in der 2. Kommission von 1891–1895).93 „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“ (als § 236 E III dem Reichstag am 17.1.1896 vorgelegt).94

Der Bezugspunkt dieser Entwürfe zum Grundsatz von Treu und Glauben war nach dem historischen Wortlaut stets das Schuldverhältnis, nicht aber die anderen Bücher des BGB oder noch darüber hinausgehend das Verfahrensrecht. Das historische Argument streitet somit dafür, dass es sich auch inhaltlich um eine Regelung handelt, die direkt nur im Schuldrecht Anwendung finden soll. c) Genese Hinsichtlich der Genese des Gesetzes ist im Rahmen der Beratungen folgender Antrag zur Aufnahme des Treu-und-Glauben-Prinzips in das BGB – vorgelegt im Rahmen der Redaktionskommission – von Bedeutung:95 „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“

Ziel dieses Antrags war es, die Maßgeblichkeit von Treu und Glauben auf andere Verträge innerhalb des BGB zu erweitern.96 Dies ist mit § 157 BGB so geschehen, so dass § 242 BGB in seinem direkten Anwendungsbereich nicht weiterreichen soll als im Schuldrecht. Die Ausweitung von § 242 BGB zu einer exceptio doli generalis wurde vom Gesetzgeber abgelehnt und der Vorschlag der 2. Kom-

90

Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 31. Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 32. 92 Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 32. 93 Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 34. 94 Zitiert nach Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 34. 95 Mugdan, BGB II – Recht der Schuldverhältnisse, S. 521. 96 Mugdan, BGB II – Recht der Schuldverhältnisse, S. 522. 91

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

217

mission ohne weitere Änderung – trotz dahingehender Anträge im Reichstag – übernommen.97 d) Teleologie Als Auslegungsergebnis kann festgehalten werden, dass § 242 BGB direkt für das prozessuale Verfahren nicht eingreift, weil nach dem historischen Normzweck die konkrete Vorschrift nur auf den Bereich von Schuldverhältnissen Anwendung finden sollte. Hierfür sprechen der Wortlaut, die Systematik sowie die Historie und die Genese des Gesetzestextes. Ratio legis ist damit der Schutz von Vertragspartnern und nicht lediglich von durch ein Prozessrechtsverhältnis verbundenen Parteien. 2. Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Eine Wertungslücke im Gesetz könnte sich dadurch ergeben, dass der Richter kein Korrektiv im Einzelfall für rechtlich unzulässiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten hätte, wenn man allein aus der Vorschrift des § 242 BGB das Rechtsmissbrauchsverbot gewinnen wollte. Diesbezüglich besteht ein Bedürfnis zur Vornahme einer Lückenfüllung, weil der verfassungsrechtliche Auftrag die Bindung des Richters an das Recht postuliert, Art. 20 Abs. 3 GG. Zur Auflösung von rechtsmissbräuchlichen Zuständen im Prozess bedarf es eines Einzelfallkorrektivs. Zur Anwendung der Norm des § 242 BGB müssen daher zunächst die gesetzesimmanenten Rechtsfortbildungsmittel der teleologischen Extension sowie der Analogie herangezogen werden. a) Teleologische Extension Im Rahmen der teleologischen Extension stellt sich die Frage, ob die Generalklausel des § 242 BGB angesichts einer planwidrigen Regelungslücke des Gesetzgebers auch auf das prozessuale Verfahren erweitert werden kann. Die Erweiterung des Tatbestandes hat dadurch zu erfolgen, dass die Formulierung von § 242 BGB wie folgt zu lesen ist: „Der Verfahrensbeteiligte in einem Prozess ist verpflichtet, seine Prozesshandlungen so vorzunehmen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Für eine solche teleologische Extension ist es jedoch einerseits erforderlich, dass der Gesetzgeber seinem bestehenden Willen zur schuldrechtsübergreifenden Anwendung von § 242 BGB Geltung verschafft hat.98 97 Die Debatten insbesondere um die Figur der exceptio doli generalis zusammenfassend, HKK / Duve / Haferkamp, § 242 BGB Rn. 47 ff. 98 Siehe hierzu bereits unter § 9 A. II. 2.

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Dies ist ausweislich der Begründung in den Gesetzesmaterialien zum BGB nicht der Fall,99 weil § 242 BGB gezielt auf das Schuldverhältnis beschränkt werden sollte. Hält man die teleologische Extension zudem nur für Rechtsfolgen anwendbar,100 hilft sie als Rechtsfortbildungsmittel nicht weiter, weil die Anwendbarkeit im Zivilprozess eine Frage des Tatbestandes ist. b) Analogie Neben der teleologischen Extension der Vorschrift besteht die Möglichkeit einer Analogie, wenn das Prozessrechtsverhältnis eine vergleichbare Interessenlage wie das Schuldverhältnis betrifft und eine planwidrige Regelungslücke in der Zivilprozessordnung vorliegt. Bei der Analogie werden anders als bei der teleologischen Reduktion auf einen vergleichbaren Sachverhalt die Rechtsfolgen einer Vorschrift übertragen.101 Die in § 242 BGB niedergelegte Interessenlage der Vertragspartner geht dahin, dass sie voneinander loyales Verhalten erwarten dürfen. Vergleichbar ist die Interessenlage insoweit, als das Prozessrechtsverhältnis eine besondere Beziehung zwischen zwei Personen begründet.102 Andersartig ist dieses, weil es nicht wie die Sonderbeziehung im Rahmen eines schuldrechtlichen Vertrages in ein staatlich geregeltes Verfahren eingebettet ist. Das Prozessrechtsverhältnis ist überdies nicht nur ein zweiseitiges, sondern ein dreiseitiges, öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen den Parteien und dem Gericht.103 Dem Prozessrechtsverhältnis mangelt es aber insbesondere an den für ein Schuldverhältnis kennzeichnenden Forderungsrechten. Ein Schuldverhältnis besteht dann, wenn eine Sonderverbindung zwischen zwei oder mehreren Personen zustande kommt, kraft derer die eine von der anderen eine Leistung zu fordern berechtigt ist.104 Das Prozessrechtverhältnis ist kein Schuldverhältnis, weil das Verhältnis von Kläger zu Beklagtem nicht dazu führt, dass einer von dem anderen etwas fordern könnte. Das Verfahrensrecht verschafft den Parteien nur prozessbezogene Befugnisse, Pflichten und Lasten,105 die sie sich nicht wechselseitig schulden, sondern die der Förderung des Verfahrens und dem fairen Verfahrensablauf dienen.106 Es 99

HKK / Duve / Haferkamp, § 242 BGB Rn. 47 ff.; Jakobs / Schubert, Allgemeiner Teil II, S. 1172. Meier / Jocham, JuS 2015, S. 495; dies., JuS 2016, S. 394. 101 Siehe hierzu bereits unter § 9 A. II. 2. 102 Ebenso Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 93; Holthausen, Theorie und Praxis, S. 44. 103 Schumann, JA 1976, S.215; Lüke, ZZP 108 (1995), S. 434; differenziert Braun, Lehrbuch, S. 33; Häsemeyer, ZZP 118 (2005), S. 268. 104 Palandt / Grüneberg, Einl. vor § 241 BGB Rn. 3; die Differenz von Schuldverhältnis ieS und iwS darstellend, Staudinger / Olzen, § 241 BGB Rn. 36 ff.; MünchKomm-BGB / Bachmann, § 241 BGB Rn. 4. 105 Diese Trichotomie in die Kategorie Pflicht auflösend, Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 174. 106 So ebenfalls  – allerdings nicht zwischen gesetzlichem und rechtsgeschäftsähnlichem Schuldverhältnis differenzierend – Prange, Materiell-rechtliche Sanktionen, S. 48; Zeiss, NJW 1967, S. 707. 100

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219

handelt sich um Pflichten, die inter et erga omnes gelten. Daher fehlt es an dem Kriterium einer zumindest teilweisen Exklusivität des Schuldverhältnisses.107 Ferner liegt eine Unvollständigkeit des Gesetzes in planwidriger Weise nur dann vor, wenn der Gesetzgeber unbewusst auf eine solche Möglichkeit der Einzelfallkontrolle im Verfahrensrecht verzichtet hat. § 242 BGB selbst sollte nach gesetzgeberischer Vorstellung nur auf das Schuldrecht Anwendung finden; anderslautende Vorschläge zur Installation einer exceptio doli generalis in das BGB wie derjenige des Abgeordneten von Dziembowski wurden vom Reichstag gerade nicht angenommen.108 Das Ziel der Ausweitung auf das Verfahrensrecht kann aus den Materialien zur Gesetzgebung nicht geschlossen werden. A minore ad maius ergibt sich, dass das Rechtsmissbrauchsverbot, wenn es nach gesetzgeberischer Auffassung schon auf das Schuldrecht beschränkt werden sollte,109 nicht auf das Verfahrensrecht angewendet werden kann. Im Prozessrecht wurde vor dem Hintergrund des zivilprozessualen Formalismus damit bewusst auf eine solche Regelung verzichtet. 3. Ergebnis Auslegung und Behandlung einer möglichen Rechtsfortbildung von § 242 BGB zeigen, dass sich unter Anwendung formaler methodischer Kriterien § 242 BGB generell weder direkt, analog noch im Wege der teleologischen Extension auf das Prozessrecht heranziehen lässt. Dies ist nur dann anders, wenn ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Will man die Generalklausel des § 242 BGB mit dem Ziel methodischer Transparenz handhaben, kann seine Anwendung als Normtextgrundlage im Prozess nicht greifen.110 Mit der teilweisen Ablehnung der normlogischen Heranziehung des § 242 BGB auf den Prozess ist aber nicht abschließend über das Rechtsmissbrauchsverbot als prozessuale Schranke entschieden.

107

Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 227; ders., JR 2008, S. 360; anderer Ansicht zumindest für die Prozessförderungs- und die Wahrheitspflicht, Kawano, in: FS Henckel, S. 420. 108 „Der Verpflichtete kann einer solchen Ausübung der Rechte widersprechen, die nach dem eigenen Verhalten oder nach den Erklärungen des Berechtigten gegen Treu und Glauben verstießen“, vgl. Mugdan, BGB II – Recht der Schuldverhältnisse, S. 1310; die Regierung selbst ging allerdings für das BGB wohl generell davon aus, dass dieses aufgrund mehrerer Vorschriften sowie des ausdrücklichen Schikaneverbots auf dem Gedanken einer exceptio doli generalis beruhe, so zumindest von Dziembowski, vgl. Mugdan, ebenda, S. 1311. 109 Zumindest das Familienrecht sollte ausgespart bleiben, Jakobs / Schubert, BGB Allgemeiner Teil II, S. 1173. 110 Im Ergebnis so auch Prütting, in: FS Stürner, S. 461; mit vollkommen anderer Begründung: Hassemer in FS Meyer-Goßner, S. 139, der die Deduktion eines Rechtsmissbrauchsverbots auf Grundlage prozessualer Befugnisse als unmöglich ansieht.

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Teil 3 

II. Historischer Geltungsgrund

Wie oben bereits dargestellt,111 wurde das Institut der exceptio doli generalis historisch durch das Reichsgericht, welches den Übergang vom gemeinen Recht zum BGB zu bewältigen hatte, auch nach Einführung des BGB fortgeführt und insbesondere unter §§ 242, 826 BGB subsumiert. Dies ist der historische Entwicklungsgrund für die Anwendung von § 242 BGB als Version der exceptio doli gene­ ralis unter dem Regime des BGB. Denn die Anwendung der Arglisteinrede für das materielle Recht griff trotz der gesetzgeberisch beabsichtigten Beschränkung von § 242 BGB auf das Schuldrecht Platz. Über einen Vergleich des Schuldverhältnisses mit dem Prozessrechtsverhältnis wurde diese Einrede durch das Reichsgericht im Prozess angewendet.112 Historisch-rechtstatsächlich besteht der Geltungsgrund des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots daher in der reichsgerichtlichen Gleichsetzung von Prozessrechtsverhältnis und Schuldverhältnis.113 Der Unterschied zur oben diskutierten Frage einer Anwendung von § 242 BGB im Prozess114 besteht letztlich darin, dass die nach 1900 richterrechtlich geprägte exceptio doli nicht auf schuldrechtliche Sonderverbindungen beschränkt war. Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots ist damit aus historischer Sicht eine richterrechtliche Rechtsquelle.115 Unbeschadet dieser Entwicklung in der Rechtsprechung ist zu beachten, dass die Trennung der römisch-rechtlichen actio in den materiell-rechtlichen Anspruch und das prozessuale Klagerecht erst im 19. Jahrhundert stattgefunden hat.116 Die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess war bis zu dieser Ausdifferenzierung des Prozessrechts stets möglich, da materielles Recht und Prozessrecht parallel in der actio und exceptio wirkten.117 Das Rechtsmissbrauchsverbot im Rahmen des materiellen Rechts zuzulassen und ihm im Prozess die Anerkennung zu versagen, würde einen Bruch mit der historischen Kontinuität im Umgang mit Klagen und Einreden darstellen. Es ist inkonsequent, die exceptio doli als ursprünglich prozessuales Mittel des römischen Rechts für das materielle Recht zu übernehmen, gleichermaßen jedoch dessen Wirkung als Schranke innerhalb des Prozessrechts abzulehnen.

111

Siehe hierzu bereits unter § 7 B. I. 2. zur Entscheidung zwischen § 226 BGB und § 242 BGB. RGZ 102, 217 (222); diese Entscheidung bedeutete eine Rechtsprechungsänderung gegenüber der aus dem Jahr 1886 herrührenden Rechtsprechung zum prozessualen Rechtsmissbrauchsverbot, vgl. RGZ 16, 391 (393). 113 RGZ 102, 217 (222). 114 Siehe hierzu unter § 12 B. I. 115 Durch die Anknüpfung der exceptio doli generalis an § 242 BGB, soweit ersichtlich erstmals RG JW 1903, S. 431. 116 So auch Zöllner, AcP 190 (1990), S. 473; insbesondere Wach versuchte stets die Einheit von Privat- und Prozessrecht herzustellen, siehe hierzu Vossius, Rechtsschutzlehre, S. 224. 117 Zur actio Kaser, Römisches Privatrecht, S. 224; zur exceptio: ebenda, S. 226. 112

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Überdies sind die Aufgabe des aktionenrechtlichen Denkens und die Aufspaltung der actio in Anspruch und Klagerecht nicht mit dem Ziel erfolgt, den nunmehr prozessualen Bestandteil schrankenlos zu gewähren. Vielmehr diente die Differenzierung der Klarstellung, dass die römische actio demjenigen entsprach, was das Gericht einer Partei zusprach. Nach Windscheids Verständnis des Klagerechts entstand dieses bei Verletzung der Berechtigung einer Partei durch einen Dritten.118 Die Lösung vom aktionenrechtlichen Denken war das Ziel der Trennung von Privat- und Prozessrecht. Die Herauslösung der exceptio doli aus dem Prozess und für prozessuale Rechte sollte damit jedoch gerade nicht erreicht werden. III. Rechtstatsächlicher Geltungsgrund

Ob die Berufung auf die „normative Kraft des Faktischen“ als Geltungsgrund für das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot taugt, ist durch die Betrachtung der Rechtsprechung zu klären. Nimmt man Oliver Wendell Holmes’ Spruch aus dem Jahre 1897 zur Grundlage, dann ist die Prognose, wie die Gerichte entscheiden werden, Recht.119 Der Geltungsgrund von Recht kann sich also auch auf das richterliche Tun stützen und wirkt so normativ. Die Richterschaft hält neben dem methodischen Instrumentarium der Auslegungscanones und Rechtsfortbildungsmittel das Rechtsmissbrauchsverbot als weiteres Korrektiv für nötig. Damit ist der Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot durch die Gerichte „law in action“. Allerdings ist die Heranziehung dieses Geltungsgrundes ein Fehlschluss vom Sein auf das Sollen.120 Als Geltungsgrundlage für das Rechtsmissbrauchsverbot taugt daher dessen Verwendung in der Praxis nur bedingt, da die Argumentation ein solches Verbot schon voraussetzt. Der von Zeiss formulierte Gedanke einer gewohnheitsrechtlichen Entwicklung ist dagegen ein plausibler rechtstatsächlicher Ansatz,121 weil er die historische und rechtspraktische Entwicklung unter den beiden Voraussetzungen einer dauerhaften Übung (longa consuetudo) und einer gemeinsamen Rechtsmeinung (opinio iuris) beschreibt.122 Rechtstatsächlich ist daher das Gewohnheitsrecht einer der Geltungsgründe, ohne die Grundlage jedoch vollständig zu umreißen.

118

Windscheid, Abwehr, S. 7. Holmes, Harvard Law Review 110 (1997), 991 (994) berühmtes Dictum: „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law.“ 120 Hierzu Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 15, S. 129; gegen die „normative Kraft des Faktischen“ auch Kaufmann, Analogie, S. 13. 121 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 203. 122 Statt aller Larenz / Canaris, Studienausgabe, S. 258. 119

222

Teil 3 

IV. Verfassungsrechtlicher Geltungsgrund

Dogmatisch ist auch das Verfassungsrecht dafür heranzuziehen, ob es einen Geltungsgrund für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots bereithält. Diese Rücksichtnahme auf die Verfassung macht der Stufenbau der Rechtsordnung notwendig. Ob sich aus dem Grundgesetz ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot herleiten lässt, vermag nur eine Bewertung verfassungsrechtlicher Regelungen zu beantworten. Bei der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots auf den Zivilprozess würde es sich dann um ein das Verfassungsrecht durchziehendes Prinzip handeln; anders als etwa in Art. 25 Abs. 3 der griechischen Verfassung, die ein Rechtsmissbrauchsverbot ausdrücklich anordnet,123 findet sich im Grundgesetz expressis verbis kein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot. 1. Verbot des Grundrechtsmissbrauchs nach Art. 18 GG Das Grundgesetz kennt ein konkretes Verbot des Rechtsmissbrauchs. Art. 18 GG statuiert, dass der Gebrauch von bestimmten Grundrechten zur Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung rechtsmissbräuchlich und Konsequenz eines solchen Gebrauchs die Verwirkung dieser Grundrechte ist.124 Damit wird klar, dass auch die Verfassung das Verbot des Rechtsmissbrauchs kennt, ihn ausdrücklich jedoch nur auf den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung konzentriert.125 Für ein allgemeines Rechtsmissbrauchsverbot lässt sich daher aus Art. 18 GG nichts gewinnen, weil es sich bei dieser Vorschrift nur um ein spezielles Rechtsmissbrauchsverbot mit dem Schutzgut der freiheitlich demokratischen Grundordnung handelt. Diese Zielrichtung beschreibt den Unterschied zum allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot. 2. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat zur Grundlage, dass jede Rechtsausübung einer Schranke bedarf. Gemäß seiner Herkunft aus dem Polizeirecht greift dieses Element für das Handeln aller staatlicher Gewalt.126 Im Verfassungs- und im öffentlichen Recht kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Stellung als Metaprinzip zu;127 durch seine Anwendung werden die Grundrechte und Verfassungsgrundsätze austariert. Hergeleitet wird es verfassungsrechtlich aus dem 123

Art. 25 Abs. 3 griechische Verfassung lautet: Rechtsmissbrauch ist nicht gestattet. Dürig / Klein, in: Maunz / Dürig: Art. 18 GG Rn. 44; Schliesky, in: HdBStR, § 277 Rn. 28. 125 Gallwas, Mißbrauch, S. 118. 126 Voßkuhle, JuS 2007, S. 429. 127 So Stürner, Verhältnismäßigkeit, S. 296. 124

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

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Rechtsstaatsprinzip,128 aus der Wesensgehaltgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG,129 aus Art. 3 Abs. 1 GG oder dem Willkürverbot,130 dem Wesen der Grundrechte131 oder dem grundrechtlichen Prinzipiencharakter.132 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist insofern mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz methodisch verwandt, als beide ein Übermaßverbot statuieren.133 Während der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Verfassungsrecht nach herrschender Auffassung über eine Mittel-Zweck-Relation mit prinzipiengeleiteter Abwägung das Übermaßverbot sicherstellt,134 wird maßloses Verhalten beim Rechtsmissbrauchsverbot über das Abstellen auf das treuwidrige Verhalten des Handelnden, eine Interessenabwägung oder den zweckwidrigen Einsatz des gesamten Rechtsinstituts erreicht. Ein materielles Rechtsprinzip stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch nicht dar, da nur die Methoden Mittel und Zweck in Relation zueinander gesetzt werden.135 Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fehlt es daher an materiellem Gehalt. Überdies gilt der strenge Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unter Privaten grundsätzlich nicht. Denn zur Wahrung privatautonomer Rechtsausübung muss die scharfe Entscheidungsregel der Erforderlichkeit außen vor bleiben.136 Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann das Rechtsmissbrauchsverbot für den Prozess damit nicht hergeleitet werden. 3. Treu und Glauben als Verfassungsprinzip Nach teilweise im verfassungsrechtlichen Schrifttum vertretener Auffassung handelt es sich beim Treu-und-Glauben-Prinzip um einen eigenständigen Grundsatz des Verfassungsrechts, der sich dem Rechtsstaatsprinzip entnehmen lässt.137 Legt man Treu und Glauben als Element der Rechtsstaatlichkeit aus, muss nach der überkommenen Gleichsetzung von Verstoß gegen Treu und Glauben und Rechtsmissbrauchsverbot138 schon aus Gründen der Normenhierarchie ein Verstoß gegen diesen Grundsatz im Prozess greifen. Versteht man Treu und Glauben als besondere 128

BVerfGE 23, 127 (133); 38, 348 (368); 69, 1 (35); Grabitz, AöR 98 (1973), S. 584. Dürig, AöR 81 (1956), S. 146 f. 130 Wittig, DÖV 1968, S. 821. 131 BVerfGE 19, 342 (348 f.); BVerfGE 65, 1 (44). 132 Von Arnauld, JZ 2000, S. 279. 133 Ähnlich Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82, S. 656. 134 Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 82, S. 655; anderer Ansicht Vogel / Christensen, Rechtstheorie 44 (2013), S. 44, 60. Diese arbeiten mittels computergestützter Analysesoftware heraus, dass eine Abwägung von Prinzipien nicht stattfindet, sondern eine „lokale semantische Elaboration“ Platz greift. Abwägung findet danach in zwei Stufen statt: Erst wird die abstrakte Wertigkeit der Rechtsgüter und dann im Wege der lokalen semantischen Ausarbeitung die konkrete Eingriffsintensität behandelt, ebenda, S. 46. 135 Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 33, S. 283. 136 Siehe hierzu § 7 A. II. 2. 137 Schmidt-Aßmann, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), HStR II3, § 26 Rn. 22; Maurer, in: Isensee /  Kirchhof (Hrsg.), HStR IV3, § 79 Rn. 12: „Grundzug der Rechtsordnung“; ebenda, Rn. 156. 138 Zur Kritik hieran siehe unter § 7 A. I. 3. 129

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Ausprägung der gesamten Rechtsordnung, ist eine Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip nur konsequent. Als Grundzug der Rechtsordnung wird das Treu-und-Glauben-Prinzip insbesondere auch vom Bundesverfassungsgericht angenommen.139 Anders als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt das Treu-und-Glauben-Prinzip ein materielles Rechtsmoment dar. Damit kann auf der Ebene des Verfassungsrechts das Rechtsmissbrauchsverbot aus dem Treu-und-Glauben-Prinzip abgelei­tet werden, weil rechtsmissbräuchliches Verhalten einen Verstoß gegen dieses begründet.140 Rechtsmissbrauch ist damit wie schon im römischen Recht141 der komplementäre Verstoß gegen das Treu-und-Glauben-Prinzip. 4. Recht auf ein faires Verfahren als Rechtsschutzstandard Grundlage für das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist ferner der Rechtsschutzstandard des Rechts auf ein faires Verfahren. Dieses ist ein Axiom der grundgesetzlichen Werteordnung, ein allgemeines Prozessgrundrecht142  a priori. Teilweise wird auch vertreten, dass die Fairnessmaxime im Prozess als prozessuale Generalklausel fungiere.143 Das Rechtsmissbrauchsverbot auch für den Zivilprozess zu gewähren, ist dabei eine besondere Ausprägung prozessualer Fairness und Waffengleichheit.144 Diesem Rechtsschutzstandard kann speziell für das Verfahren die Notwendigkeit eines Korrektivs im Einzelfall entnommen werden, welches wiederum auf dem Rechtstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG fußt.145 Nur ein faires Verfahren – sowohl vom Gericht gegenüber den Parteien als auch zwischen den Parteien – führt dazu, dass die Schutzpflichtendimension des Staates im Hinblick auf die Menschenwürde hinreichend gewahrt wird, Art. 1 Abs. 1 GG.146 Dies macht es notwendig, dass der Richter eine Möglichkeit zur Einzelfallkorrektur von grundsätzlich legalem, materiell aber unzulässigem Parteiverhalten nach Durchführung einer Abwägung hat,147 wenn er mit den übrigen Mitteln der Entscheidungsfindung 139

BVerfGE 104, 220 (232); BVerfG, NJW-RR 2010, 421 (422). Nicht zu verwechseln ist diese Komplementärstellung zu Treu und Glauben mit dem für das Rechtsmissbrauchsverbot nicht gegebenen Erfordernis einer Sonderverbindung im Rahmen der schuldrechtlichen Treu-und-Glaubensregelung des § 242 BGB, siehe hierzu § 7 A. I. 3; ablehnend gegenüber der Begründung „prozessualer Grundpflichten“ durch Treu und Glauben, Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 197. 141 Siehe hierzu unter § 4 A. II. 3. 142 BVerfGE 109, 13 (34), differenzierend zwischen Straf- und Verwaltungsverfahren und dem weniger interventionsbedürftigen Zivilverfahren Benda, ZZP 98 (1985), S. 376. 143 Karwacki, Der Anspruch der Parteien auf einen fairen Prozeß, S. 45. 144 Insbesondere mit Konzentration auf das Beweisrecht Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, S. 39, 41. 145 Diese Bestandteile sind die Grundlage dieses Rechts auf ein faires Verfahren, Jarass / Pieroth, Art. 20 GG Rn. 31a, 96. 146 Jarass / Pieroth, Art. 1 GG Rn. 14. 147 So auch Marczak, Das Fairneßgebot im Prozeß, S. 170; Henckel, in: FS Matscher, S. 192. 140

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

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nicht zur Richtigstellung eines aus seiner Sicht interessenwidrigen Ergebnisses gelangt. Zwar gibt die Pflicht zur Gewährung eines fairen Verfahrens dem Richter die Eingriffsbefugnis, Prozessverhalten einer Partei als unzulässig zu verbieten. Dieses Mittel bedarf vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Verantwortung für das Prozessrecht jedoch restriktiver Anwendung, da die Berufung auf das Fairnessgebot nur bei der Verletzung fundamentaler Verfahrensgerechtigkeit eingreift.148 Dies zeigt, dass die Bezugnahme auf das Fairnessgebot Ausnahmecharakter hat. Es kann jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht Geltungsgrundlage für das Rechtsmissbrauchsverbot im Prozess sein, weil dieses lediglich Fälle besonderer Atypik und grobe Verstöße zur Grundlage hat. 5. Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Neben den bereits thematisierten Geltungsgründen ergibt sich die Eingriffsbefugnis des Richters, rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten der Parteien zu unterbinden, aus der Tatsache, dass er aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte die Bürger auch untereinander zu schützen hat.149 Die mittelbare Drittwirkung ist Ausprägung der richterlichen Bindung an die Grundrechte. Generalklauseln sind damit ein möglicher Ort, an dem die Grundrechte in die Privatrechtsordnung Eingang finden;150 die Grundrechte sind darüber hinaus Grundlage dafür, dass Schranken der Rechtsausübung in jedem systematischen Teilbereich der Rechtsordnung gelten müssen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützt die mittelbare Drittwirkung auf die objektiv-rechtliche Bedeutung der Grundrechte als Ausprägung des Wertesystems.151 Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung wird durch Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe aufgenommen.152 Die mittelbare Drittwirkung hat zudem ihren Grund im a priori gegebenen, staatlichen Gewaltmonopol, wonach der Staat einen faktischen Konflikt seiner Bürger konkret

148

Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, S. 64; zur Konkretisierungsnotwendigkeit des Anspruchs auf ein faires Verfahren, Vollkommer, in: GS Bruns, S. 215. 149 Canaris, AcP 1984 (184), S. 245; für die Geltung dieses Grundsatzes auch im außervertraglichen Bereich zusammenfassend, Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 391; diese mittelbare Drittwirkung auf das Privatrecht und die damit einhergehende Konstitutionalisierung wird auch sehr kritisch – als Gefahr für die zivilrechtliche Dogmatik – beleuchtet, siehe nur Fn. 2 bei Simon, AcP 204 (2004), S. 264. Diese Auffassung geht jedoch fehl, da zivilrechtliche Dogmatik und Grundrechtswirkung nicht im Widerstreit stehen, sondern die zivilrechtliche Dogmatik im Lichte der Grundrechte durch die Vorgabe von Abwägungswertigkeiten geprägt wird. 150 Grundlegend aus verfassungsrechtlicher Perspektive: BVerfG 7, 198 (206); Dreier / ders., Art. 20 GG Rn. 98. 151 Papier, in: Merten / ders., Handbuch der Grundrechte III, S. 982. 152 Jarass / Pieroth, Art. 1 GG Rn. 55; so insbesondere aber auch Henckel, Prozeßrecht, S. 64; ders., in: GS Bruns, S. 127; Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 235.

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zu regeln hat.153 Umstritten ist insoweit lediglich,154 in Kombination mit welchen verfassungsrechtlichen Prinzipien der Staat rechtswidrige Beeinträchtigungen seiner Bürger unterbinden muss. Dies wird meist der Schutzpflichtendimension der Grundrechte zugeordnet.155 Der Rechtsschutz suchende Bürger ist bei Versagung desselbigen in der Schutzgebotsfunktion seines Grundrechts betroffen; dessen Gegner, dem Rechtsschutz gewährt wird, ist in der Abwehrfunktion seines Grundrechtes betroffen.156 Letztlich kann die Grundlage der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte dahinstehen, denn entscheidend ist lediglich, dass die Lehre anerkannt ist und der Richter dies sowohl bei der Gesetzesauslegung als auch bei der Anwendung von Generalklauseln zu beachten hat.157 Wirkkraft erreicht die mittelbare Drittwirkung in den konkret zu behandelnden Fällen dadurch, dass sie die Eingriffsbefugnis für den Richter schafft, das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Prozessrecht anzuwenden. In diese Richtung weist auch eine neuere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Rechtsfortbildung mittels § 242 BGB insbesondere die wechselseitige Grundrechtsbetroffenheit in den Blick zu nehmen hat.158 Ein Merkmal für das Überschreiten der Schutzschwelle ist gegeben, wenn etwa präventiv wirkende Vorschriften wie Unterlassungsansprüche ebenfalls eingriffen. Diese Schwelle der Intensität ist für jeden Einzelfall neu zu bestimmen.159 Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte schafft damit im Bereich der Rechtsfortbildung eine Ermächtigung für den Richter, die Einzelfallkontrolle im Wege einer konkretisierten Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. 6. Abwägung auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG? Kommt man aufgrund der verfassungsrechtlichen Grundlage von Treu und Glauben, dem Recht auf ein faires Verfahren und der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zur Notwendigkeit eines Einzelfallkorrektivs, stellt sich die Frage, 153

So zumindest die neuere Literatur zur mittelbaren Drittwirkung, vgl. Papier, in: Merten / ders., Handbuch der Grundrechte III, S. 982; übereinstimmend zumindest im Hinblick auf die Grundlage, vgl. Möllers, Staat als Argument, S. 276; Poscher, Grundrechte als Abwehrrecht, S. 182. 154 Streit besteht insoweit zu der Frage, ob dies mit Hilfe der Grundrechte als Abwehrrechte oder staatlicher Schutzpflichten geschehen soll, siehe zu dieser Diskussion: Poscher, Grundrechte als Abwehrrecht, S. 194. 155 So etwa Poscher, Grundrechte als Abwehrrecht, S. 192. 156 Nannen, Grundrechte und privatrechtliche Verträge, S. 56; anderer Ansicht Poscher, Grundrechte als Abwehrrecht, S. 194. 157 Papier, in: Merten / ders., Handbuch der Grundrechte  II, S. 1336; so auch Langner, Die Problematik der Grundrechte zwischen Privaten, S. 161. 158 BVerfG, NJW 2015, 1506 (1508); hierzu Dommermuth-Alhäuser, Arbeitsrechtsmissbrauch, S. 109 f. 159 Langner, Die Problematik der Grundrechte zwischen Privaten, S. 114.

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

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weswegen nicht auf das allgemeine Rechtsstaatsprinzip für die konkrete Abwägung der maßgeblichen Umstände im Einzelfall zurückgegriffen werden kann. Denn die Durchführung einer Abwägung des Richters nach seiner Feststellung, dass der konkrete Sachverhalt sich nicht unter den vorhandenen Normenapparat subsumieren lasse, kann grundsätzlich auch unter der Vorschrift des Art. 20 Abs. 3 GG mit Hinweis auf die Bindung des Richters an das Recht erfolgen. Gegen einen Rekurs allein auf das Rechtsstaatsprinzip sprechen jedoch zwei Gründe. Dafür ist zum einen der rechtshistorische Kontext des Rechtsmissbrauchsverbots von Bedeutung. Der gewachsene Kontext von Fallgruppen – gerade auch vor dem Institut der über Jahrhunderte gepflegten Handhabung der exceptio doli generalis –160 hat insbesondere durch die dadurch entstandene Dogmatik zu einer Präzisierung dieses Verbots geführt. Zum anderen findet beim Rechtsmissbrauchsverbot anders als bei Art. 20 Abs. 3  GG keine freie topische Abwägung statt. Vielmehr sind abwägungslenkende Obersätze aufgrund der durch Wissenschaft und Rechtsprechung heraus­ gearbeiteten argumentativen Kriterien sowie mit Rücksicht auf die Verkehrssitte161 gegeben. Diese abwägungslenkenden Obersätze bieten konkrete Anhaltspunkte für die Argumentation.162 Die Kriterien innerhalb der Interessenabwägung sind somit spezifischer. Die Einzelfallabwägung vor dem Hintergrund des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung ist insbesondere im Lichte der Fallgruppen konturenreicher als eine topische Abwägung im Rahmen von Art. 20 Abs. 3 GG. Diese präzisere Form der Prüfung sollte aufgrund ihrer Koppelung an einen solchen konkreteren abwägungslenkenden Obersatz Vorrang genießen. Hinzu kommt, dass das Rechtsmissbrauchsverbot nicht nur die beiderseitigen Interessen in den Blick nimmt, sondern auch einseitig auf das Verhalten der rechtsausübenden Partei abstellt. V. Europarechtlicher Geltungsgrund

Das Europarecht hilft für die Frage des Geltungsgrundes eines prozessualen Rechtsmissbrauchs ebenfalls weiter. Legt man den Fokus auf europäische Grundrechte, geben Art. 54 EuGRCh und Art. 17 EMRK Auskunft über das Rechtsmissbrauchsverbot. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach Art. 54 EuGRCh bezieht sich auf die Abschaffung und Einschränkung der Grundrechte innerhalb der Charta.163 Normadressat ist dabei nicht nur derjenige, der die Grundrechte in seiner 160 Schon vor dem Hintergrund der insoweit erfolgten Reichsgerichtsrechtsprechung um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurde diese exceptio doli generalis von der Justiz bei § 242 BGB verortet; hierzu Haferkamp, Die heutige Rechtsmißbrauchslehre, S. 134; Wacke, SZ 90 (1973), S. 223. Ein Beispiel der Rechtsprechung ist RGZ 135, [374] 376. 161 Siehe bereits oben § 7 A. III. 162 Riehm, Abwägungsentscheidungen, S. 31; siehe auch § 7 A. IV. 163 Art. 54 EuGRC lautet: Keine Bestimmung dieser Charta ist so auszulegen, als begründe sie das Recht, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung vorzunehmen, die darauf abzielt, die

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Funktion als Hoheitsträger auslegt, also Legislative, Judikative und Exekutive. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs trifft insbesondere den Privaten als Grundrechtsberechtigten, weil nur er aus der Charta Grundrechte herleiten kann.164 Mit dem Bezugsobjekt der Grundrechte wird ein Großteil der verliehenen Rechte in Bezug genommen. Gleichermaßen erkennt der EuGH spätestens seit der Kofoed-Entscheidung165 das Rechtsmissbrauchsverbot auch als allgemeinen eigenständigen Rechtsgrundsatz an.166 Spezifisch für das Erkenntnisverfahren wurde das Rechtsmissbrauchsverbot nur für die Torpedoklagen verwendet. Ohne Binnenmarktrelevanz eines Sachverhaltes ist eine Berufung auf den unionsrechtlichen Rechtsgrundsatz vom Rechtsmissbrauchsverbot zwar nicht direkt möglich, allerdings zeigt die Verwendung der Figur auf europäischer Ebene, dass das Rechtsmissbrauchsverbot eine anerkannte Ausübungsschranke ist.167 Schon aus Gründen der Normenhierarchie im Sinne eines Anwendungsvorrangs muss der Grundsatz damit im nationalen Prozessrecht gelten. VI. Prozessrechtsdogmatischer Geltungsgrund

Der Geltungsgrund des Rechtsmissbrauchsverbots besteht prozessrechtsdogmatisch darin, dass nur durch seine Anwendung einer Wertungsparallelität von materiellem und Prozessrecht Geltung verschafft werden kann. Der Prozess ist nämlich letztlich nicht nur der Weg, das materielle Recht durchzusetzen,168 sondern dient zur Beilegung eines Rechtsstreits.169 Die Notwendigkeit eines solchen Wertungsgleichklangs ergibt sich dadurch, dass die Funktion des Verfahrensrechts nur zum Teil in der Verwirklichung und Durchsetzung des materiellen Rechts liegt.170 Insoweit geht es um die Parallelität von Wertungskriterien im nicht-verfahrensrechtlichen wie im verfahrensrechtlichen Bereich.171 Prozessrechtlicher Grund ist das Ziel, den Rechtsstreit durch das Verfahren beizulegen.172 Dann aber muss das Prozessrecht für Fehlverhalten dieselben Abwehrinstrumente bereithalten wie das materielle Recht. Denn die Beilegung eines Rechtsstreits wird nicht gelingen, in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten abzuschaffen oder sie stärker einzuschränken, als dies in der Charta vorgesehen ist. 164 Jarass, Art. 54 EuGRCh Rn. 3; Meyer / Borowsky, Art. 54 EuGRCh, Rn. 13; gegen eine Anwendung auf die Hoheitsträger: Calliess / Ruffert / Kingreen, Art. 54 EuGRCh Rn. 2. 165 EuGH, Urteil vom 05.06.2007, Rs. C-321/05, Slg. 2007, I-5795 Rn. 38 (Kofoed). 166 Siehe hierzu bereits § 6 A. II. 167 Rybarz, Billigkeitserwägungen, S. 178. 168 Henckel, Prozeßrecht, S. 64; zum Verhältnis von actio und Anspruch Windscheid, Pandektenrecht I, S. 99; hierzu aus rechtshistorischer Perspektive Vossius, Rechtsschutzlehre, S. 123 ff.; Simshäuser, Zum Verhältnis, S. 149. 169 Braun, Lehrbuch, S. 11. 170 Noch restriktiver Braun, Lehrbuch, S. 11. 171 Costede, ZZP 82 (1969), S. 447. 172 Braun, Lehrbuch, S. 11.

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

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wenn im materiellen Recht die Ausübung von Ansprüchen und Befugnissen Schranken unterliegt, während dagegen im Prozess schrankenlose Rechtsausübung gestattet ist.173 Dadurch wird eine spezifische Form der Verfahrensgerechtigkeit gewährleistet. Das Missbrauchsverbot dient ferner der Effektivität der Zivilrechtspflege, weil mit ihm prozessuale Exzesse von Parteien vermieden und damit staatliche Ressourcen geschont werden. Dem damit einhergehenden Gedanken der Prozessökonomie kann mit dem prozessualen Rechtsmissbrauchsverbot Wirkung verschafft werden. Besonders die Parteien sind Adressaten des Einwands fehlender Prozessökonomie einer konkreten Prozesshandlung.174 Der Verfahrensgrundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit ermöglicht eine Grundlage für das Rechtsmissbrauchsverbot aus spezifisch prozessrechtlicher Perspektive, da exzessives und in seiner Wirkung prozessunwirtschaftliches Parteihandeln abgewehrt werden kann. Prozessrechtsdogmatisch sprechen damit für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess die Notwendigkeit einer Wertungsparallelität von Prozess- zu Privatrecht und das Prinzip der Verfahrensökonomie. VII. Rechtsphilosophischer Geltungsgrund

Öffnet man die Flanke der Rechtsphilosophie, geht es um Letztbegründungen:175 Der rechtsphilosophische Geltungsgrund des Rechtsmissbrauchsverbots ist nicht nur das Beruhen auf einem höherrangigen Rechtsgrundsatz innerhalb des gesamten Rechtssystems,176 sondern auch die Notwendigkeit einer Grenze allen menschlichen Handelns. Jener höherrangige Rechtsgrundsatz besteht für das prozessuale System im Anspruch auf ein faires Verfahren und dem Treu-und-Glauben-Prinzip als der Verfassung immanenten Grundzügen der Rechtsordnung. Diese Herangehensweise entspricht der schon früher im Schrifttum vertretenen Argumentation mit der Einheit der Rechtsordnung zur Vermeidung von systematischen Wertungswidersprüchen innerhalb der Rechtsordnung.177 Rechtsphilosophisch beruht die Beschränkung prozessualer Befugnisse auf der Notwendigkeit einer Schranke für alles menschliche Tun. Denn beim Gebrauch von Rechten oder Dingen ist auch ihr Missbrauch als besonderer Exzess oder 173

Henckel, Prozeßrecht, S. 409. Pflughaupt, Prozessökonomie, S. 278; zum Verfahrensgrundsatz der Prozessökonomie generell Hofmann, ZZP 126 (2013), S. 99 ff. 175 Gegen die Möglichkeit der Letztbegründung aus erkenntnistheoretischer Perspektive Albert, Wissenschaft und Fehlbarkeit, S. 61 ff., mit dem Münchhausen-Trilemma. Man könne danach für eine Letztbegründung nur zwischen einem infiniten Regress, einem Zirkel in der Deduktion oder einem Abbruch des Begründungsverfahrens wählen. 176 Legaz y Lacambra, Rechtsphilosophie, S. 715. 177 Siebert, Verwirkung, S. 126; zur Einheit der Rechtsordnung generell Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 56, S. 451. 174

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maßloses Handeln denkbar. Exzessivem und übermäßigem Handeln müssen bei Gefahr einer Drittbetroffenheit Grenzen gesetzt werden. Als Letztbegründung taugen hierfür die Friedens- und die Ausgleichsfunktion des Rechts.178 Recht soll Sicherheit und Frieden gewährleisten, wozu Schranken wie das Rechtsmissbrauchsverbot dienen. Recht hat überdies zwischenmenschliche Konflikte zu lösen,179 wofür die Beschränkung privater Rechtsausübung ebenfalls notwendig ist. Diese Grenze kann durch das Rechtsmissbrauchsverbot erreicht werden. Sie ist zur Beilegung des Rechtsstreits daher auch im Prozess zu ziehen. VIII. Ergebnis

Das Rechtsmissbrauchsverbot im Prozess beruht auf mehreren Geltungsgründen. Als Geltungsgründe für dessen Anwendung im Prozess taugen der Normtext des § 242 BGB und die rechtstatsächliche Verwendung des prozessualen Verbots durch die Gerichte nur bedingt. § 242 BGB wirkt ausschließlich zwischen den Parteien, wenn diese schon vor dem Prozess durch einen Vertrag miteinander verbunden sind. Rechtstatsächlich zeigt sich die Wirkung durch eine gemeinsame Rechtsüberzeugung über einen längeren Zeitraum als Gewohnheitsrecht. Allem voran auf verfassungsrechtlicher Ebene fußt die Anerkennung des Rechtsmissbrauchs­ verbots als allgemeines Institut auf Treu und Glauben, dem Recht auf ein faires Verfahren sowie auf der Bindung der Rechtsprechung an die Grundrechte. Die Historie streitet für den Einsatz des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess, weil sie die Trennung von actio in Anspruch und Klagerecht berücksichtigt und für beide Formen ein Schrankenbedürfnis besteht; die Prozessrechtsdogmatik fordert einen Wertungsgleichklang von Prozess- und materiellem Recht aufgrund der Funktion des Verfahrensrechts, den Rechtsstreit beizulegen. Vor dem Hintergrund der Prozessökonomie soll exzessives Parteiverhalten unterbleiben. Auf der Ebene der Rechtsphilosophie wirkt als ein Element auch die Einheit der Rechtsordnung.180 Daneben kommt es aus rechtsethischer Sicht auf den Schutz eines Grundvertrauens innerhalb eines Rechtsverhältnisses an. Aus den genannten Gründen ist für das Verfahrensverhältnis der Parteien außerhalb eines Vertrages das Institut einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke zu favorisieren.181 Zu § 242 BGB ist eine Analogie weder möglich noch nötig. Man kann diese Schranke einerseits wie Zeiss auf Gewohnheitsrecht zurückführen.182 Normlogischer Anknüpfungspunkt ist andererseits der Rechtsgedanke des Rechtsmissbrauchsverbots innerhalb des § 242 BGB. Die Argumentation mit einem all 178

Koller, Theorie, S. 58. Koller, Theorie, S. 60: „Es erscheint daher notwendig, dem Missbrauch des Rechts Grenzen zu setzen.“ 180 Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 56, S. 451. 181 Im Ergebnis so schon Holthausen, Theorie und Praxis, S. 49. 182 Zeiss, Arglistige Prozesspartei, S. 18, 203. 179

§ 12 Geltungsgründe eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots 

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gemeinen Rechtsgedanken ist mit einer Analogie nicht gleichzusetzen, weil es bei der Begründung mit einem allgemeinen Rechtsgedanken anders als bei der Analogie nicht auf die Vergleichbarkeit der Interessenlagen ankommt.183 Vielmehr ist ein Rechtsgedanke anders als die konkrete Analogie allgemeiner gehalten und gegenüber dieser subsidiär.184 Die allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke ist über Richter- und Gewohnheitsrecht damit ob der genannten Gründe am Rechtsgedanken des Missbrauchsverbots in § 242 BGB festzumachen. Das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot ist folglich nur mittelbar in das Normensystem eingebettet. C. Einwände gegen ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot Eine Begründung, die sich nicht mit den Einwänden beschäftigt, ist nur monologisch. Um aus Thesen Synthesen zu gewinnen, müssen die Gegenargumente widerlegt oder zumindest in die stützenden Argumente integriert werden.185 Die Auseinandersetzung mit den insbesondere von Prütting zusammengetragenen Einwänden der fehlenden Rechtssicherheit, des Unterschieds von Privat- zu Prozesshandlungen, der Formenstrenge des Prozesses sowie der Verschiedenheit von Verfahrensgerechtigkeit gegenüber materieller Gerechtigkeit ist folglich nötig.186 I. Unterschied von Privat- zu Prozesshandlungen

Ein Einwand, dem sich die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess stellen muss, ist der Unterschied von Privat- zu Prozesshandlungen. Letztere sind auf die Prozessentwicklung gerichtete Handlungen der Parteien untereinander187 zu Beginn oder während eines Prozesses. Die Abgrenzung zu Privathandlungen besteht darin, dass sie gerade nicht im Rahmen eines Prozesses, sondern außerhalb eines Verfahrens vorgenommen werden. Diese strikte Differenzierung ist maßgebliche Ausprägung des Trennungsdogmas von materiellem und Prozessrecht.188 Das Dogma besagt, dass das Zivilprozess- vom materiellen Recht funktional zu trennen ist, nämlich als die Durchsetzung der Rechte, die die materielle Privatrechtsordnung gewährt.189 183

Guckelberger, Verjährung, S. 279. Von Heinegg, NVwZ 1992, S. 527; insoweit entspricht der Terminus auch dem allgemeinen Rechtsprinzip unter § 9 A. III. 2. Die teilweise in der Literatur vertretene Differenzierung von allgemeinem Rechtsgrundsatz und allgemeinem Rechtsgedanken wird hier folglich nicht geteilt, hierzu Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 25 Rn. 10. 185 Dies ist die Grundform dialektischer Argumentation, hierzu Soudry, in: ders. (Hrsg.), Rhetorik, S. 93. 186 Diese werden etwa von Prütting, in: FS Stürner, S. 464, dargestellt. 187 MünchKomm-ZPO / Rauscher, Einl. Rn. 372. 188 Eine prägnante Darstellung findet sich hierzu bei Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 48 ff. 189 Kaufmann, JZ 1964, S. 482. 184

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Teil 3 

Der geltend gemachte Unterschied von Privat- zu Prozesshandlungen, der insbesondere in der früheren Literatur zum Thema prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot häufig bemüht wurde,190 verkennt zunächst zum einen, dass dem Verfahrensrecht eine dienende Funktion zukommt.191 Das staatliche Gewaltmonopol ist nicht Selbstzweck, sondern erlangt seine Legitimation dadurch, dass ein objektives, rechtsstaatliches Verfahren durchgeführt wird.192 Hierzu bedarf es auch der Möglichkeit eines Korrektivs durch den Richter im Einzelfall. Zum anderen ist der postulierte Unterschied von Privat- und Prozesshandlungen deswegen nur marginal, da sich die Parteien im Zivilprozess in einem staatlichen Verfahren befinden. Wenn schon außerhalb solcher staatlicher Vorgänge das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung greift, muss dies innerhalb eines staatlichen Verfahrens erst recht gelten. Nur so können dem Prozesszweck des Rechtsfriedens und dem Vertrauens­ prinzip als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips193 Geltung verschafft werden; das Gericht ist Ort der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit194 und unterliegt nach Art. 1 Abs. 3 GG der Grundrechtsbindung. Im Hinblick auf die Beziehung von materiellem zu prozessualem Recht ist generell zu berücksichtigen, dass beide Rechtsbereiche gemeinsamen Wertungen unterliegen,195 nämlich der Durchsetzung der subjektiven privaten Rechte einer Partei. Für beide Rechtsbereiche müssen daher Schranken ähnlicher Wirkmächtigkeit gelten. II. Formenstrenge des Zivilprozesses

Die Formenstrenge des Zivilprozessrechts, das als Verfahrensrecht ein Teilbereich des öffentlichen Rechts ist,196 spiegelt sich darin wieder, dass die Vorschriften grundsätzlich ius cogens sind.197 Sie unterliegen nicht der Parteidisposition. Diese Formalisierung bringt es mit sich, dass nach dem Primat des Gesetzgebers durch Ausnahmevorschriften besondere Werte abstrakt-generell geregelt werden 190 Zum Trennungsdogma von Privat- zu Prozeßrecht etwa Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 81; dogmengeschichtlich insbesondere zu von Bülow und Wach: Vossius, Rechtsschutzlehre, S. 161. 191 Ebenso Gaul, AcP 168 (1968), S. 27; Simshäuser, Entwicklung, S. 152.; andere Ansicht Braun, Lehrbuch, S. 11; ohne Argumentation mit dem materiellen Recht wird dennoch die Beilegung des Rechtsstreits nicht gelingen; in diese Richtung auch Häsemeyer, ZZP 118 (2005), S. 266. 192 Zur Funktion des Gewaltmonopols als Ausschluss privater Gewaltanwendung, Braun, Lehrbuch, S. 16. 193 Schachtschneider, Prinzipien, S. 360. 194 MünchKomm ZPO / Rauscher, Einl. Rn. 9; auch das Prozessrecht ist auf materielle Rechtsprinzipien ausgerichtet, Henckel, Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen, S. 25. 195 Henckel, Prozeßrecht, S. 409; Koussoulis, in: Gottwald / Greger / Prütting (Hrsg.), Dogmatische Grundfragen, S. 9; beide Rechtsgebiete sind privatrechtlich motiviert, Arens, AcP 173 (1973), S. 252, 254. 196 Prütting / Gehrlein / Prütting, Einl. ZPO Rn. 4; Schumann, JA 1976, S. 215; differenziert Braun, Lehrbuch, S. 33, 45; anderer Ansicht: Puttfarken, JuS 1977, S. 499. 197 MünchKomm-ZPO / Rauscher, Einl. Rn. 23.

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können.198 Formalisierung steht der Anwendung einer prozessualen Missbrauchsschranke entgegen, weil diese nicht einfachgesetzlich niedergelegt ist. Wie bereits dargestellt, ist vor dem Hintergrund der gerichtlichen Pflichten, sowohl verfahrensrechtliche Garantien als auch die Grundrechte zur Geltung zu bringen,199 eine Durchbrechung dieser zwingenden Vorschriften in Ausnahmefällen nötig.200 Die teilweise Überlagerung der Formenstrenge des Zivilprozessrechts ist vor dem Hintergrund des oben dargestellten Rechtsschutzstandards eines fairen Verfahrens201 notwendig, da nur so dem Gesichtspunkt materieller Einzelfallgerechtigkeit Rechnung getragen werden kann. Für den Topos der Formenstrenge des Prozesses gilt das zum Unterschied von Privat- und Prozessrecht Gesagte gleichermaßen. Diese Formenstrenge erfüllt keinen Selbstzweck,202 sondern ihre Funktion besteht darin, durch Formalien wie Fristen und Formen Rechtssicherheit, Wahrheitsfindung und einen zügigen Verfahrensablauf zu ermöglichen. Anders als bei diesen Anforderungen an den formellen Ablauf des Verfahrens besteht gerade für verfahrensbestimmende Prozesshandlungen das Bedürfnis, dass diese nicht zur Übervorteilung einer Partei führen und so die prozessuale Rechtslage ad absurdum führen. Unbeschadet der materiellen Rechtslage ist es unpassend, wenn prozessuale Befugnisse schrankenlos ausgeübt werden können. Dem Ziel einer Beilegung des Rechtsstreits203 ist durch eine derartige Handhabung prozessualer Befugnisse nicht gedient. Hinzu kommt aus rechtstatsächlicher Perspektive, dass der Formalismus im Prozessrecht in der Geschichte der Zivilprozessordnung bereits viele Durchbrechungen erlebt hat. Bestes Beispiel hierfür ist die freiere Auslegung von Prozesshandlungen heutzutage gegenüber der strengen, am buchstäblichen Sinn des Wortes haftenden Auslegung zu früherer Zeit.204 Grundlegend ist insoweit auch, dass vor dem Hintergrund einer Berücksichtigung des „Zwecks im Recht“205 eine Differenzierung von formellem zu materiellem Prozessrecht notwendig ist.206 Formelles Prozessrecht ist solches, das den äußeren Ablauf des Verfahrens regelt. Materielles beinhaltet dagegen die Regelung von Befugnissen der Parteien. Das prozessuale Verbot der unzulässigen Rechtsausübung

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Prütting, in: FS Stürner, S. 464. Siehe hierzu § 12 B. IV. 200 MünchKomm-ZPO / Rauscher, Einl. Rn. 28. 201 Siehe hierzu § 12 B. IV. 4. 202 Henckel, Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen, S. 10; kritisch sieht die Berufung auf die Zwecksetzung des Prozessrechts Gaul, AcP 168 (1968), S. 38. 203 Braun, Lehrbuch, S. 11. 204 Grundlegend Henke, ZZP 112 (1999), S. 434. 205 Unter Bezugnahme auf die „prozessualistische Gerechtigkeit“, Jhering, Zweck im Recht, S. 309. 206 Auf Grundlage der Interessensjurisprudenz, Kollmann, Begriffsgeschichte, S. 642. 199

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ist – anders als die Form- und Fristvorschriften207 – dem weniger formstrengen, materiellen Prozessrecht zuzuordnen. Der grundsätzliche Formalismus kann daher der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots nicht entgegengehalten werden. III. Vorrang objektiver Prozesszwecke gegenüber dem Individualrechtsschutz

Teilweise wird der Vorrang objektiver Prozesszwecke gegenüber dem Individualrechtsschutz als Argument bemüht.208 Dieser Einwand greift ebenfalls nicht.209 Dies soll im Folgenden anhand der objektiven Prozesszwecke der Rechtssicherheit, der Rechtsgewissheit, der Bewahrung der objektiven Rechtsordnung, der Wahrheitsfindung und der Rechtsfortbildung beleuchtet werden. 1. Rechtssicherheit Nach dieser Auffassung bringe die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess den Verlust von Rechtssicherheit mit sich.210 Durch die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots müsse eine Gesamtbetrachtung der Prozesszwecke wie der Schutz von Allgemeininteressen, Bewahrung der Rechtsordnung und Rechtsgewissheit sowie die Rechtsfortbildung dazu führen, dass die Anwendung von Treu und Glauben zu unterbleiben habe.211 Diese Meinung überzeugt in dieser Pauschalität – die Anwendung der Generalklausel sei gleichbedeutend mit purer Dezision – nicht. Die Vorstellung, durch die Implementierung einer speziellen, methodisch zu handhabenden Norm werde absolute Rechtsklarheit geschaffen, ist jedoch eine bloße Chimäre.212 Die richterliche Gesetzesanwendung im Zusammenspiel von Normtext und Lebenssachverhalt sowie insbesondere die permanente und notwendige Argumentation für das Verständnis dieses oder jenes Textteiles konterkarieren einen solchen Anspruch an das Element der Rechtssicherheit schon im Ansatz.213 Zu konzedieren ist dieser Auffassung zwar, dass eine Entscheidung vom Norm 207 Auch diese sind aber stets im Widerstreit von Rechtsbewährung und Rechtssicherheit in Abwägung zu bringen, Hagen, JZ 1972, S. 506. 208 Prütting, in: FS Stürner, S. 464. 209 Nach Auffassung von Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, S. 8, kann über das Argument der Prozesszwecke ohnehin nichts zum Verhältnis von materiellem zu prozessualem Recht gesagt werden. Vielmehr bedinge das Wesen des Prozesses den Inhalt übergreifender Wertungen in Prozess- wie materiellem Recht, ebenda, S. 23. 210 Zum Gedanken der Rechtssicherheit: Henkel, Rechtsphilosophie, S. 436 ff.; Herrschel, JZ 1967, S. 727 ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 36; Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 166. 211 Prütting, in: FS Stürner, S. 464. 212 Siehe hierzu bereits § 9 C. 213 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 137.

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text als Erkenntnisgegenstand ausgehen muss und durch rationale Argumentation das Für und Wider einer Position darlegen soll. Diese Orientierung am Normtext kann jedoch nicht abschließend sein, da der Richter durch die Beschränkung in seinen Rechtsfindungsregeln ausschließlich auf den Normtext nicht der Bindung an das Recht, Art. 20 Abs. 3 GG, genügen kann. Dies wiederum geht mit der Unvollständigkeit eines normtextbasierten Systems einher. Rechtssicherheit mit dem Fokus darauf, dass der Richter eine methodische Arbeitsweise mit dem Normtext als Ausgangspunkt nimmt und sich an Abwägungsmaßstäbe hält, ist dagegen realisierbar und letztlich auch rechtsstaatlich.214 Der Einwand fehlender Rechtssicherheit führt damit nicht weiter, da das Element der Rechtssicherheit nicht nur das Vertrauen in die Ermittlung der einfach-gesetzlichen und positivierten Befugnis des Handelnden ist, sondern auch die Schranken von Rechten und Befugnissen in den Blick nehmen muss. 2. Rechtsgewissheit Der Prozesszweck der Rechtsgewissheit wird durch das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess nicht tangiert. Rechtsgewissheit bedeutet verbindliche Entscheidung der von den Parteien vorgelegten Rechtsfrage.215 Maßgebliches Element der Rechtsgewissheit ist etwa die materielle Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO. Diese wird aber durch einen Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung nur dort tangiert, wo aufgrund einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 Abs. 1 BGB eine Rechtskraftdurchbrechung stattfindet.216 Indem das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung auch für den Prozess anerkannt wird, wird der Rechtsgewissheit kein Abbruch getan. Eine Folge der Nichtachtung der Rechtsmissbrauchsschranke im Prozess wäre, dass mehr Verfahren nach § 826 BGB durchgeführt würden. Denn soweit im Vorfeld eines Prozesses überhaupt ein gewisser Grad an Prognosesicherheit erreicht werden kann, wird dieser durch eine individuelle Interessenabwägung nicht konterkariert. 3. Bewahrung der objektiven Rechtsordnung Auch ein Rekurs auf die Bewahrung der objektiven Rechtsordnung streitet nicht gegen eine Korrektur des Einzelfalls mittels des Rechtsmissbrauchsverbots. Denn Individualrechtsschutz und Bewahrung der objektiven Rechtsordnung sind keine sich ausschließenden Gegenpole. Der Prozess als Verfahrenseinrichtung dient 214

Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung besteht dabei darin, dass die Arbeitsweise des Richters eine gewisse Kontinuität aufweist, Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 134. 215 Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 14. 216 Siehe hierzu MünchKomm-BGB / Wagner, § 826 BGB Rn. 179; von Dickhuth-Harrach, Ge­rechtigkeit statt Formalismus, passim.

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dem Schutz subjektiver Rechte217 und ist nicht bloßer Rechtsreflex der objektiven Rechtsordnung.218 Tauglich ist ein dahingehender Einwand daher nicht, da durch die Gewährung von Individualrechtsschutz die Bewahrung der objektiven Rechtsordnung stattfindet. 4. Wahrheitsfindung Das Element der Wahrheitsfindung gerät auch nicht mit dem prozessualen Rechtsmissbrauchsverbot in Konflikt. Zum einen ist im Zivilprozess die Wahrheitsfindung nur als Mittel zum Zweck der Beilegung eines Rechtsstreites zu kategorisieren,219 zum anderen verhält es sich so, dass die Frage des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung nicht mehr eine Frage der Wahrheit,220 sondern eine solche nach rechtlich zulässigem oder unzulässigem Verhalten ist.221 Darüber hinaus wird durch die Zulassung einer prozessualen Redlichkeitspflicht die Wahrheitspflicht weder betroffen noch berührt. Denn § 138 Abs. 1 ZPO gilt unabhängig davon, ob man das prozessuale Verhalten dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung unterstellt. Es handelt sich um unterschiedliche Bereiche. Die Wahrheitspflicht betrifft die Frage, ob die Aussage zur Verneinung oder Bejahung eines Anspruchs wahr ist und das Rechtsmissbrauchsverbot beschäftigt sich damit, ob die Art und Weise der Vornahme einer Prozesshandlung nach Durchführung einer Interessenabwägung zulässig oder unzulässig sein soll. Über die Wahrheit oder Wahrhaftigkeit einer Aussage wird dabei nicht geurteilt. Dies stellt den bereits oben angesprochenen maßgeblichen Unterschied zum römischen Recht dar.222 5. Rechtsfortbildung Zweck des Prozesses ist überdies die Fortbildung des Rechts.223 Dies wird im Revisionsrecht dadurch deutlich, dass eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts erfolgen kann, vgl § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Für die Effektivität dieses Prozesszweckes ist es dienlich, dass dem Richter im Wege der Rechtsfortbildung ein Mittel zur Korrektur rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verbleibt. Das Rechtsmissbrauchsverbot ist dabei Folge und nicht Voraussetzung eines Bedürfnisses zur einzelfallgerechten Lösung.224 Durch die Möglichkeit, mittels des Verbots der un 217

So auch Jauernig, JuS 1971, S. 331. Zusammenfassend: Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 12. 219 Anderer Ansicht: Henckel, Prozeßrecht, S. 298. 220 Anders noch im römischen Recht § 4 A. II. 221 Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 25. 222 Siehe hierzu § 4 A. II. 223 Anders aber – wohl ob des unterschiedlichen Verständnisses zur Rechtsanwendung – im Grundsatz: Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 24. 224 Auer, Materialisierung, S. 62. 218

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zulässigen Rechtsausübung Prozessstrategien als zulässig oder unzulässig zu qualifizieren, wird dem Richter ein Mittel gegeben, das vom Gesetzgeber gesetzte Recht im Zivilprozess und mit Blick auf den rechtsmissbräuchlichen Einsatz eines Rechts fortzuentwickeln. Ein Widerspruch zu diesem Prozesszweck ergibt sich daher nicht. IV. Der Unterschied von Verfahrensgerechtigkeit zu materieller Gerechtigkeit

Der Unterschied zwischen Verfahrensgerechtigkeit und materieller Gerechtigkeit wird bemüht, um die Nichtanwendbarkeit des Rechtsmissbrauchsverbots auf den Prozess zu bekräftigen. Die strikte Einhaltung von Verfahrensregeln sei Teil einer prozeduralen Gerechtigkeit und eigenständig gegenüber Mitteln materieller Gerechtigkeit.225 Zum einen steht die Verfahrensgerechtigkeit nicht isoliert neben der materiellen Gerechtigkeit. Die Erhebung der Fakten zum Fall und die korrekte Anwendung der Normen zur Bildung von Regeln werden als materielle Verfahrensgerechtigkeit, grundwertekonformes Zustandekommen der Entscheidung und effektive Verfahrensteilhabe als formale Verfahrensgerechtigkeit verstanden.226 Damit existiert also nicht nur eine formelle, sondern auch materielle Verfahrensgerechtigkeit. Ebenso wie der zivilprozessuale Formalismus erfüllt die Verfahrensgerechtigkeit keinen Selbstzweck,227 sondern dient der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit; dies geschieht durch die Berücksichtigung von Werten und Prinzipien wie Rechtssicherheit, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsgarantien228 und führt zu Konfliktlösung, Rechtsfrieden und Rechtsbewährung. Außerdem dient das Prozessrecht der Durchsetzung materieller Ansprüche, die ihrerseits dem generellen Gebot materieller Gerechtigkeit unterliegen. Der Gedanke einer isolierten Verfahrensgerechtigkeit vermag es daher nicht, die besondere Stellung der materiellen Gerechtigkeit im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips zu überwinden. Das Bundesverfassungsgericht schließt in das Recht auf ein faires Verfahren mit ein, dass die materiellen Rechtsfragen entschieden und nicht durch ein Ausweichen auf formelles Recht der Rechtsschutz entwertet wird.229 Daran ändert nichts, dass der materiell-rechtliche Anspruch vom prozessualen Klagerecht grundsätzlich zu unterscheiden ist.230 Denn das Recht auf ein faires Verfahren bezieht sich gerade auf dieses prozessuale Klagerecht. 225

Prütting, in: FS Stürner, S. 464. Nach Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit, S. 32, 64. 227 Im Ansatz schon Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 195. 228 Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 168; so im Ansatz auch Henckel, Vom Gerechtigkeitswert, S. 25. 229 BVerfG, NJW 2005, S. 814; zur Materialisierung des Verfahrensrechts Heinze, JZ 2011, S. 716, Wagner, ZEuP 2008, S. 18. 230 Windscheid, Abwehr, S. 26; Wagner, Prozessverträge, S. 413. 226

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Überdies fügt sich das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot in die Verfahrensgerechtigkeit ein. Diese wird nämlich durch folgende Grundsätze bestimmt: Die Angelegenheit wird durch einen neutralen Dritten, im Prozess den Richter, entschieden. Die andere Partei erhält die Möglichkeit der Anhörung, die Auseinandersetzung wird strukturiert und die wesentlichen Entscheidungsparameter werden den Parteien offen gelegt.231 Diese verfahrensrechtliche Grundlage wird durch Parteipflichten und -lasten erweitert, zu denen das Rechtsmissbrauchsverbot gehört. Entscheidend für das Einfügen des prozessualen Missbrauchsverbots in diese Verfahrensgerechtigkeit ist daher die Anreicherung dieser Grundsätze durch materielle Gerechtigkeitselemente.232 Das Rechtsmissbrauchsverbot ist damit notwendiges Element von Verfahrensgerechtigkeit. D. Abgrenzung zur Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis Angesichts der dargestellten Ergebnisse ist eine Abgrenzung des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots zum Rechtsschutzbedürfnis nötig. Auf das Rechtsschutzbedürfnis wird durch die Rechtsprechung bei der Ablehnung von Rechtsschutzbegehren oder Prozesshandlungen immer wieder rekurriert.233 Unmittelbar besteht ein Zusammenhang mit der Lehre von der unzulässigen Rechtsausübung nicht; denn Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Frage, ob Rechtsbewährung und Rechtsfrieden nicht auch durch einfachere, schnellere oder günstige Mittel erreicht werden können.234 Der primäre Anwendungsbereich der Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis sind damit weder die Treuwidrigkeit der Klageerhebung noch unzulässige Handlungen im Prozess. Diese Doktrin nimmt aber von ihrer Wirkweise her ebenso wie das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung eine Schrankenfunktion ein, indem es die Möglichkeit der Erhebung einer Klage oder der Ausübung einer prozessualen Befugnis begrenzt. Das Rechtsschutzbedürfnis beschreibt die Berechtigung des Interesses eines Bürgers, ein Gericht in Anspruch zu nehmen; so fehlt dieses etwa, wenn ein einfacherer und billigerer Weg gegeben ist.235 Gefahren, dieses Prinzip auch auf prozessuales Verhalten oder Prozesshandlungen anzuwenden, ergeben sich dadurch, dass es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, die Generalklauselartigkeit zur Unbestimmtheit führt und die Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch die Ge-

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Nach Braun, Lehrbuch S. 12. So auch Zöllner, AcP 190 (1990), S. 477. 233 Auch die Literatur sieht es teilweise im Bereich des prozesszweckwidrigen Verhaltens als notwendig an, die Figur des Rechtsschutzbedürfnisses zu bemühen, Thannhäuser, Neuere Recht­ sprechung zum Rechtsschutzbedürfnis, S. 97. 234 Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 1035, Stichwort: Rechtsschutzbedürfnis. 235 Musielak / Foerste, vor § 253 ZPO Rn. 7 f.; diese Definition hat im Ansatz die kollektivistische Prozesszwecklehre zur Grundlage, wonach Rechtsbewährung und Rechtsfrieden Grundlage des Rechtsschutzinteresses sind, Schönke, Das Rechtsschutzbedürfnis, S. 13. 232

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richte bedroht ist.236 Damit sind die Risiken weitestgehend parallel zu denen des Rechtsmissbrauchsverbots. Eine besondere Nähe ergibt sich dadurch, dass beide generalklauselartig ausgeformt sind und beide Institute die zweckwidrige Ausübung von Rechten verhindern sollen.237 I. Genereller Anwendungsbereich

Anwendungsbereich des Rechtsschutzbedürfnisses sind primär die Prozess- und Sachentscheidungsvoraussetzungen.238 Daneben ist das Rechtsschutzbedürfnis zumin­ dest aus dogmatischer Perspektive Erfolgsvoraussetzung von Prozesshandlungen.239 Die Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis kennzeichnet sich240 dadurch, dass die Klage auf Erfüllung des Prozesszwecks gerichtet sein muss, das Klageziel noch erreichbar ist und kein anderer Weg zum Klageziel offen steht.241 Dem auf Grundlage einer prozessualen Befugnis Handelnden fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzwillen, wenn er ausschließlich aus rechtlich missbilligten Zielen handelt.242 Gerade letzteres beschreibt die Schnittstelle mit dem Verbot der unzulässigen Rechtsausübung, so dass eine Abgrenzung der beiden Institute notwendig wird. Die Bedeutung des Rechtsschutzbedürfnisses besteht nach alledem insgesamt darin, dass es eine Schrankenfunktion und Schrankenwirkung gegenüber Prozesshandlungen und der Erhebung von Klagen hat.243 II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Soweit man sich beim Rechtsschutzbedürfnis auf prozesszweckfremde Ziele und rechtsmissbräuchliches Vorgehen konzentriert, stellt sich allein bei den einzelnen Prozesshandlungen die Abgrenzungsfrage zu dem im Prozessrecht nach herr 236 Roth nennt diese Kritikpunkte im Hinblick auf die allgemeine Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses, die sich aber ohne Weiteres auf das Rechtsschutzbedürfnis bei einer Prozesshandlung übertragen lassen, Stein / Jonas / Roth, vor § 253 Rn. 133 ff. 237 So auch Brehm, in: Canaris / Schmidt / Heldrich / Roxin (Hrsg.), 50  Jahre Bundesgerichtshof – Band III, S. 103. 238 Wieser, Das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Zivilprozess, S. 13. 239 Wieser, Das Rechtsschutzinteresse, S. 14; ebenso Schönke, Das Rechtsschutzbedürfnis, S. 13; anderer Ansicht: Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 101, wonach das Rechtsschutzbedürfnis sich nur auf das Rechtsschutzbegehren als Ganzes beziehe. 240 Aufbauend auf der grundlegenden Arbeit von Schönke, Das Rechtsschutzbedürfnis, S. 34, 51, 62. 241 Zusammenfassend: Wieser, Das Rechtsschutzinteresse, S. 16–17. 242 Wieser, Das Rechtsschutzinteresse, S. 241. 243 Kritik wird jedoch deswegen an dem Institut des Rechtsschutzbedürfnisses geübt, da allein die floskelhafte Verwendung dieser Begrifflichkeit eine Abwägung von Interessen oder Rechten nicht ersetzen kann, Brehm, in: Canaris / Schmidt / Heldrich / Roxin (Hrsg.), 50  Jahre Bundesgerichtshof – Band III, S. 107.

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schender Meinung geltenden Rechtsmissbrauchsverbot. Die Abgrenzung ist nur scheinbar müßig244 und wird lediglich vereinzelt als eine Frage terminologischer Natur behandelt.245 Für die Einordnung als allein terminologischer und gerade nicht qualitativer Unterschied von Rechtsschutzbedürfnis zum Rechtsmissbrauchsverbot spricht, dass die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in beiden Fällen gleich ist. Bei einer Berufung auf eine treuwidrige Prozesshandlung ist der Einredeführer darlegungsund beweisbelastet. Gleiches gilt außer im Falle der gesetzlichen Regelungen eines besonderen rechtlichen Interesses im Rahmen der Nebenintervention gemäß § 66 Abs. 1246, der Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO247 sowie des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO248 auch für das Rechtsschutzbedürfnis einer Prozesshandlung. Anders als in den genannten Sonderfällen muss der Gegner einer Prozesshandlung darlegen, dass für diese das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Damit handelt es sich um eine negative Prozessvoraussetzung.249 Neben dieser Gemeinsamkeit aus beweisrechtlicher Sicht ergibt sich ein Unterschied schon aus der Eigenschaft des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachentscheidungsvoraussetzung. Das Rechtsschutzbedürfnis ist von Amts wegen zu prüfen, während das Rechtsmissbrauchsverbot als bloße Außenschranke der Rechtsordnung erst auf eine Einrede hin eingreift.250 Gegen diese Einordnung als bloß terminologische Variation eines fehlenden Rechtsschutzinteresses spricht ferner, dass die Institute des Rechtsschutzbedürfnisses und des Rechtsschutzinteresses im Hinblick auf Gesuche und Anträge der 244

Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 99. Stein / Jonas / Roth, Vor 253 ZPO, Rn. 154; Pohle in FS Lent, S. 195, 221, 227; anderer Ansicht: Thannhäuser, Neuere Rechtsprechung zum Rechtsschutzbedürfnis, S. 97, will dagegen das Treu-und-Glauben-Prinzip dogmatisch im Rechtsschutzbedürfnis verorten. 246 § 256 Abs. 1 ZPO lautet: Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. 247 § 66 Abs. 1 ZPO lautet: Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, kann dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. 248 § 485 Abs. 2 ZPO lautet: Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass 1. der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, 2. die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels, 3. der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. 249 Pohle, in: FS Lent, S. 209. 250 So bereits oben § 9 C. 245

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Partei primär die Überlastung der Gerichte abwehren wollen. Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung dagegen hat nicht allein den Schutz des Gerichts vor Überlastung zum Gegenstand, sondern dient als Hindernis für exzessiven Gebrauch prozessualer Rechte zum Schutz der gegnerischen Partei. Die Zielrichtung des Rechtsschutzbedürfnisses geht damit ausschließlich auf die Schonung staatlicher Interessen,251 die des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung nimmt dagegen private und öffentliche Interessen in den Fokus.252 Schließlich verhält es sich so, dass das Rechtsschutzbedürfnis besonders vom Prinzip der Subsidiarität, das Rechtsmissbrauchsverbot dagegen vom Grundsatz der Proportionalität geprägt wird. Es geht bei der Frage des Rechtsschutzinteresses zuvörderst um die Fragen einfacheren Rechtsschutzes, der tatsächlichen Erledigung der Angelegenheit oder der Verbesserung der Rechtsstellung des Einzelnen.253 Das Rechtsmissbrauchsverbot nimmt dagegen konkret die Interessenlage der Parteien und des Staates in den Blick und versucht, einen Ausgleich zwischen diesen drei Polen herzustellen.254 Beide sind damit voneinander abgrenzbar und können nebeneinander Anwendung finden. Das Rechtsschutzinteresse basiert auf dem Gedanken der Subsidiarität, das Rechtsmissbrauchsverbot auf dem Prinzip der Proportionalität. E. Zusammenfassende Würdigung Der Normtext des § 242 BGB ist nur insoweit Geltungsgrund des Rechts­ missbrauchsverbots im Zivilprozess, als ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Weil weder Auslegung noch eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung die Anwendung des Gesetzestextes auf den Prozess ermöglichen, gilt dies nicht für außervertragliche Rechtsverhältnisse. Damit fällt eine normlogische Begründung des Rechtsmissbrauchsverbots für den Prozess zunächst aus; das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot hat seine Grundlagen in der Rechtsgeschichte, der Prozessrechtsdogmatik, der Rechtsphilosophie und insbesondere der Verfassung. Für die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots sprechen der Rechtsschutzstandard auf ein faires Verfahren, das Treu-und-Glauben-Prinzip als verfassungsrechtlicher Grundzug der Rechtsordnung und die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte. Auch im Prozessrecht gilt wie in jedem Gebiet des Rechtssystems, dass Rechte und Befugnisse nicht schrankenlos gewährt werden dürfen. Denn die Rechtsausübung ohne Schranken führt mit großer Wahrscheinlichkeit dazu, dass 251

Klöpfer, Missbrauch, S. 201. Dies ist kein Widerspruch zum unter § 12 B. VI. aufgeführten Geltungsgrund: in erster Linie schützt das Verbot private, nachrangig öffentliche Interessen. 253 Kienemund, in: Brandt / Sachs (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, S. 389 f. 254 Einschränkend Klöpfer, Missbrauch, S. 202, der im Hinblick auf die staatlichen Interessen lediglich eine mittelbare Beeinträchtigung durch das Rechtsmissbrauchsverbot sieht. 252

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ein Rechtsstreit zwischen den involvierten Parteien nicht beigelegt wird. Zwar ist nicht die Analogie, jedoch der allgemeine Rechtsgedanke aus dem Rechtsmissbrauchsverbot in § 242 BGB Anknüpfungspunkt einer allgemeinen Rechtsmissbrauchsschranke. Das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot lässt sich aber nicht nur behauptend begründen, sondern die bisher im Schrifttum vorgebrachten Haupteinwände gegen seine Anwendung lassen sich entkräften oder zumindest in die dogmatische Argumentation integrieren. Das Prozessrecht ist kein von materiellen Rechtsprinzipien isolierter Teilbereich innerhalb des Rechtssystems, bei dem weder grundrechtliche noch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen wirken. Die Rechtsprinzipien und die Rechtsidee von Rechtsfrieden und Gerechtigkeit sind maßgeblich.255 Gerade vor dem Hintergrund des staatlichen Gewaltmonopols und der damit einhergehenden Pflicht zur Gewähr von Rechtsstaatlichkeit ist der Geltungsgrund des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess verfassungsrechtlicher Natur. Als Mittel findet der Grundsatz der Proportionalität256 Anwendung auf unzulässiges und unangemessenes Prozessverhalten. Der maßgebliche Unterschied zwischen Rechtsschutzbedürfnis und Rechtsmissbrauch besteht darin, dass das erstere für einen bestimmten Rechtsbehelf nur fehlt, wenn ein Recht schneller, einfacher und billiger verfolgt werden kann;257 das rechtsmissbräuchliche Verhalten dagegen bezieht sich auf eine rücksichtslose oder exzessive Maßnahme im Rahmen einer Prozesshandlung. Das Rechtsschutzbedürfnis wird vom Gedanken der Subsidiarität, das missbräuchliche Vorgehen vom Gedanken der Proportionalität bestimmt. Die Stoßrichtung beider Institute ist eine andere; es handelt sich um eigenständige Kategorien. Ein eigenständiger Anwendungsbereich des Rechtsschutzbedürfnisses verbleibt vor dem maßgeblichen Hintergrund der Subsidiarität sowohl für die Klageerhebung als auch für die einzelne Prozesshandlung. Ist das Prozessverhalten einer Partei unverhältnismäßig im Sinne einer fehlenden Proportionalität, findet im Anschluss an die Rechtsfindung mittels der besonderen prozessualen Norm die Heranziehung einer Interessenabwägung im Rahmen der prozessualen Rechtsmissbrauchsschranke statt. Ganz entscheidend ist der Unterschied zwischen beiden Instituten im Lichte der betroffenen Interessen: Das Rechtsschutzbedürfnis schützt das Gericht vor unverhältnismäßiger Inanspruchnahme, das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung schützt die Parteien und das Gericht vor unverhältnismäßiger Rechtsausübung.

255

Henckel, Vom Gerechtigkeitswert, S. 25. Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 55. 257 Götz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche, S. 156. 256

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243

§ 13 Prozessinterne und prozessexterne Folgen des Rechtsmissbrauchs Im Prozess existieren mehrere Möglichkeiten, rechtsmissbräuchliches Verhalten zu sanktionieren.258 Im Verfahren kommen jedoch andere Mechanismen zum Tragen als die oben beim Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB dargestellten.259 A. Prozessimmanente Entscheidung Durch den Richter werden unzulässige Prozesshandlungen zurückgewiesen oder für unwirksam erklärt.260 Dies führt dazu, dass das von der missbräuchlich handelnden Partei begehrte Ziel bereits im Prozess verfehlt wird. I. Die Sanktionsmöglichkeiten im Lichte der Prozesshandlungslehre

Für die Reichweite des prozessualen Sanktionenregimes ist die Unterscheidung der Prozesshandlungslehre in Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen bedeutsam. Diese Unterscheidung enthält die geläufigen Kategorien der herrschenden Prozesshandlungslehre in der Literatur.261 Von entscheidender Bedeutung ist diese im Hinblick auf die Sanktionierung unzulässiger Rechtsausübung im Prozess, wenn sich auch aus der Differenzierung der Prozesshandlungen unterschiedliche Rechtsfolgen herleiten lassen. Diese wiederum definieren maßgeblich das Entscheidungsprogramm der Richters. 1. Abgrenzung von Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen Eine Prozesshandlung dient dazu, die Rechte der Parteien im Prozess auszuüben. Definiert wird sie nach dem herrschenden funktionellen Begriff als jedes gewollte äußere Verhalten einer Partei, das nach seinem erkennbaren Sinn darauf abzielt, eine für die Handlung charakteristische prozessrechtliche Wirkung herbeizuführen.262 Insoweit existieren einseitige Formen wie etwa die Klageerhebung, die

258

Zur Handhabung im römischen Recht siehe § 4 A. IV. Siehe hierzu unter § 8. 260 Ein Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung hat dagegen keine strafrechtliche Relevanz, da ein Angriff auf das Rechtsgut Treu und Glauben nicht vom Betrugstatbestand erfasst wird, siehe hierzu Eisenberg, in: FS Salger, S. 19. 261 MünchKomm-ZPO / Rauscher, Einl. ZPO Rn. 394 ff.; Musielak / Voit / Musielak, Einl. ZPO Rn. 61. 262 Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozesshandlung, S. 291. 259

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Behauptung, die Klagerücknahme oder die Vorlage einer Beweisurkunde,263 aber auch mehrseitige wie Gesamtakte264 und Prozessverträge.265 Neben dieser Differenzierung wird die gängige und anerkannte Auffassung vertreten, welche zwischen Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen unterscheidet.266 Diese Differenzierung befasst sich explizit mit ihrer Wirkung. Erwirkungshandlungen sind demnach solche, mit denen die Partei vom Gericht eine bestimmte Entscheidung begehrt oder den Stoff zu deren Begründung liefert. Hierunter fallen Anträge, Gesuche, Behauptungen und der Beweisantritt.267 Die Wirkung wird also durch eine Entscheidung vermittelt. Bewirkungshandlungen dagegen sind solche Prozesshandlungen, welche unmittelbar prozessuale Rechtswirkungen erzeugen. Zu letzteren gehören verfahrens- oder verfahrensabschnittseröffnende Erklärungen oder Anträge sowie alle Erklärungen, die Dispositionsakte über prozessuale Rechte beinhalten.268 Eine exakte Abgrenzung dieser beiden Prozesshandlungsarten ist nicht durchgehend durchführbar, da vereinzelt Erwirkungshandlungen auch Bewirkungshandlungscharakter haben und umgekehrt. Dennoch ist die Unterscheidung in Ansehung der Rechtsfolgen von wesentlicher Bedeutung,269 da im Hinblick auf Erwirkungshandlungen der Richter eine Entscheidung treffen soll, während bei Bewirkungshandlungen der gewünschte Zustand grundsätzlich eo ipso eintritt. Im Hinblick auf das prozessuale Verbot der unzulässigen Rechtausübung stellt sich jedoch die Frage, welche Sanktionsinstrumentarien im deutschen Zivilprozess zulasten der Partei bestehen, deren Prozesshandlung nach richterlicher Bewertung eine unzulässige Rechtsausübung darstellt. 2. Missbräuchliche Erwirkungshandlungen und ihre Folgen Welche Rechtsfolgen rechtsmissbräuchliche Erwirkungshandlungen nach sich ziehen, ist bislang noch nicht hinreichend untersucht.270 Dennoch spielt die Frage nach den Folgen unzulässiger Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen für den weiteren Fortgang des Verfahrens eine bedeutende Rolle. Nicht Gegenstand der

263

Stein / Jonas / Leipold, vor § 128 ZPO Rn. 218. Gesamtakte sind Prozesshandlungen mit materiell-rechtlicher und prozessualer Wirkung wie der Prozessvergleich. 265 Wagner, Prozessverträge, S. 46. 266 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 364. 267 Stein / Jonas / Leipold, vor § 128 ZPO Rn. 222. 268 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 456. 269 Stein / Jonas / Leipold, vor § 128 ZPO Rn. 224. 270 Kritisch zur Vermengung von Tatbestand und Rechtsfolge hinsichtlich treuwidriger Prozesshandlungen durch Literatur und Rechtsprechung Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 236. 264

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245

folgenden Untersuchung sind dagegen Willensmängel im Rahmen von Prozesshandlungen, da diese nicht die Frage des Rechtsmissbrauchs betreffen.271 a) Unzulässige Prozesshandlungen Die Erwirkungshandlung lässt sich zunächst negativ abgrenzen. Im Bereich des Schaffens arglistiger Prozesslagen handelt es sich grundsätzlich um Bewirkungshandlungen des treuwidrig Handelnden, da die Klageerhebung einen verfahrenseröffnenden Umstand darstellt. Auch im Bereich der Fallgruppe des venire contra factum proprium liegen zum großen Teil Bewirkungshandlungen vor, da eine unmittelbar auf die Prozesshandlung folgende Entscheidung des Richters durch den treuwidrig Handelnden nicht immer begehrt wird. Dazu gehört etwa das Zustellungsrecht.272 b) Potenziell rechtsmissbräuchliche Erwirkungshandlungen Erwirkungshandlungen sind etwa das missbräuchliche Ablehnungsgesuch273 und die mit großem Zeitablauf eingelegte Beschwerde274. An diese Stelle gehören auch die Klageänderung sowie Parteiwechsel und Parteiänderung275, da das Gericht über deren Zulässigkeit entscheidet. Beide Prozesshandlungen sind auf den Erhalt einer richterlichen Entscheidung gerichtet und können nicht eo ipso zur Veränderung der Prozess- und Rechtslage führen. c) Auswirkungen einer unzulässigen Erwirkungshandlung Die Auswirkungen einer rechtsmissbräuchlichen Erwirkungshandlung sind unterschiedlich. Bei Sach- und Prozessanträgen führen verfahrensrechtliche Mängel zur Unzulässigkeit, fehlende inhaltliche Voraussetzungen zur Unbegründetheit des Begehrens.276 Bei Beweisanträgen und Behauptungen wird dagegen nur zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit unterschieden.277 In jedem Fall kommt es aber zunächst zu einer prozessimmanenten Entscheidung. Wenn durch die Prozesshandlung gegen § 226 BGB verstoßen worden ist oder der Grad einer sittenwidrigen

271

Hierzu ausführlich: Orfanides, Willensmängel im Zivilprozeß, S. 23. Siehe hierzu unter § 2 B. V. und § 11 B. II. 273 Siehe hierzu unter § 2 C. II. 274 Siehe hierzu unter § 2 D. II. und § 11 D. I. 275 Siehe hierzu unter § 2 C. I. und § 11 C. I. 276 Sauer, Prozessrechtslehre, S. 217. 277 Stein / Jonas / Leipold, vor § 128 Rn. 296. 272

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Schadenszufügung nach § 826 Abs. 1 BGB erreicht ist,278 können auch prozessexterne Sanktionen eintreten. 3. Konkrete Sanktionen bei rechtsmissbräuchlichem Prozessverhalten Den Entscheidungen über Sach- und Prozessanträge sowie Behauptungen und Beweisanträge ist jedoch gemeinsam, dass ihre Wirkung grundsätzlich prozessimmanent bleibt. Dies bedeutet, dass sie nicht über den Kreis und das Verfahren des Prozessrechts und des konkreten Streitverhältnisses hinauswirken. Der Richter trifft eine Verfahrensentscheidung, aufgrund derer dem Begehren der Partei entweder entsprochen oder ihr eine positive Entscheidung versagt wird. Die rechtsmissbräuchliche Erwirkungshandlung entfaltet damit grundsätzlich nur inner­ prozessuale Wirkung. II. Unzulässige Bewirkungshandlungen und ihre Folgen

Die durch eine Bewirkungshandlung unmittelbar eingetretene Verfahrenslage ist nach Auffassung von Brehm nicht schon deswegen automatisch unwirksam, weil sie treuwidrig herbeigeführt wurde.279 Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, dass allein Erwirkungshandlungen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen können.280 Tragendes Argument hierfür ist, dass mangels richterlicher Entscheidung über Bewirkungshandlungen eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit entstehen könne. Dies gelte etwa für die arglistig veranlasste oder erhobene Klage, die treuwidrig veranlasste Zurücknahme eines Rechtsmittels, die arglistig hervorgerufene Untätigkeit und das Erschleichen der öffentlichen Zustellung. Entscheidend komme es auf die einzelnen Prozessrechtsinstitute an.281 Diese Auffassung ist jedoch schon deswegen zurückzuweisen, weil das Erfordernis einer Entscheidung nichts über die Qualität der Rechtsausübung aussagt. Zu unterscheiden ist die Frage, ob angesichts der Vornahme einer Entscheidung über Erwirkungshandlungen eine richterliche Feststellung der Unzulässigkeit erfolgt. Bei Bewirkungshandlungen ist Ort der Entscheidung das Urteil und nicht eine Zwischenentscheidung. Zudem kann der Richter im Vorfeld nach § 139 ZPO auf die aus seiner Sicht gegebene Rechtsmissbräuchlichkeit eines Prozessverhaltens hinweisen. Stellt der Richter diese auf Einrede der Gegenseite fest, hat er von der Unwirksamkeit der Bewirkungshandlung auszugehen.

278

Siehe hierzu unter § 8 A. II. 2. b) und d). Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 237. 280 Stein / Jonas / Leipold, vor § 128 Rn. 294. 281 Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 238. 279

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247

III. Maßgeblichkeit der Prozesslage

1. Meinungsstand Für den Umgang mit rechtsmissbräuchlichen Entscheidungen kommt es oftmals auf die Prozesslage an. Nach einzelnen Stimmen in der prozessualen Lehre wird auch von Rechtslage gesprochen.282 Erkennt das Gericht die Treuwidrigkeit vor seiner Entscheidung über die Erwirkungshandlung, kann es diese unter Zurückweisung oder Abweisung des Begehrens oder Antrags abwehren.283 Bei einer Kenntnisnahme nach Entscheidung über die Erwirkungshandlung ist diese etwa nach Meinung von Brehm für den Verlauf des Verfahrens in dieser Instanz bindend und kann nur im Wege eines Rechtsmittels über die nächste Instanz aufgehoben werden.284 Konsequent ist nach der Endentscheidung des Gerichts auch nur der Angriff im Wege des Rechtsmittels möglich. Durch eine treuwidrige Bewirkungshandlung gerät die Rechtslage nach herrschender Meinung grundsätzlich nicht in das Stadium der Unwirksamkeit. Die arglistig erhobene Klage bleibt anhängig und die treuwidrig veranlasste Rücknahme des Rechtsmittels wirksam.285 2. Stellungnahme Der Ansicht, nach der eine rechtsmissbräuchliche Erwirkungshandlung innerhalb der Instanz nicht mehr korrigiert werden kann, ist nicht zuzustimmen. Diese Auffassung ist aus ökonomischer wie prozessökonomischer Perspektive abzulehnen. Prozessökonomisch ist es wenig sinnvoll, erst die nächste Instanz über die Unzulässigkeit der Prozesshandlung entscheiden zu lassen. Die eigene Wertung und Erkenntnis des Richters nach Feststellung der diesbezüglichen Tatsachen reicht grundsätzlich aus, um eine von ihm getroffene Entscheidung auch innerhalb des Verfahrens zu korrigieren.286 Ist diese Korrektur entscheidend für den Ausgang des Verfahrens, ist die Anrufung einer weiteren Instanz zur Klärung dieser Frage schlichtweg prozessunökonomisch. Sie dient weder der Entlastung der Gerichte noch des individuellen Verfahrens.

282

Kohler, Prozess als Rechtsverhältnis, S. 62 ff., spricht insoweit von „rechtlicher Situation“; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 253 ff. 283 Schumann, JA 1976, S. 224. 284 Stein / Jonas / Brehm, Vor § 1 ZPO Rn. 237. 285 Schumann, JA 1976, S. 224; allerdings mit der Einschränkung, dass eine Berufung auf die Rücknahme durch den Gegner dann treuwidrig ist, wenn die Rücknahme auf einem offenkundigen Irrtum beruht, Stein / Jonas / Althammer, § 516 ZPO Rn. 7. In der Rechtsfolge kann dies aber auch gerade mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelöst werden. 286 In diese Richtung auch Musielak / ders., Einl. Rn. 65.

248

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Aus ökonomischer Perspektive der Parteien ist das starre Festhalten an innerprozessual getroffenen Entscheidungen nicht plausibel. So muss die Partei, die tatsächliche Anhaltspunkte für ein unzulässiges Prozessverhalten der Gegenpartei vorträgt, das ökonomische Wagnis eingehen, die Unzulässigkeit der Prozesshandlung in der nächsten Instanz überprüfen zu lassen. Dies kann ihr trotz bestehender Korrekturmöglichkeit in der Vorinstanz aber nicht zugemutet werden. Hinsichtlich der Entscheidungen, die der Richter in der ersten Instanz trifft, entsteht nicht die Wirkung der materiellen Rechtskraft. Eine Rechtsgewissheit besonderer Qualität wird daher mit diesen Entscheidungen nicht erzielt. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, ist eine besondere Schutzwürdigkeit der sich unzulässig verhaltenden Partei nicht gegeben. All diese Argumente müssen letztlich dazu führen, dass der Richter zumindest im Hinblick auf Erwirkungshandlungen eine Korrekturmöglichkeit im selben Verfahren hat. Denn über Bewirkungshandlungen entscheidet der Richter zwar erst im Urteil, jedoch in derselben Instanz. Wird ihm nach seiner Entscheidung über eine Erwirkungshandlung gewahr, dass dieser ein unzulässiges Verhalten vorausgegangen ist, muss er diese Abänderung entweder noch im Urteil oder vorab durch einen richterlichen Hinweis durchsetzen können. Letzteres bietet den Vorteil, dass sich eine vermeintlich rechtsmissbräuchlich handelnde Partei nicht auf eine Überraschungsentscheidung berufen kann. Denn eine solche kann eine Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG begründen.287 Dies darf freilich nur für Zwischenentscheidungen gelten, die nicht unter § 318 ZPO subsumiert werden können. Denn das Gesetz ordnet insoweit die Bindung an Zwischen- und Endurteile an. Damit ist die dargestellte Argumentation nur für Entscheidungen denkbar, die keine Urteile im Sinne von § 318 ZPO sind.288 Beispiele hierfür sind etwa Beweisbeschlüsse und Entscheidungen über Ablehnungsgesuche. B. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche Neben den soeben aufgeführten verfahrensimmanenten Lösungen rechtsmissbräuchlicher Prozesshandlungen gibt es die Möglichkeit prozessexterner Ansprüche als Folge rechtsmissbräuchlichen Prozessverhaltens. Zwar stellt sich die Frage, ob der mit unzulässigem Verhalten überzogenen Partei ein Unterlassungs- oder Widerrufsanspruch noch im Prozess zusteht und dieser klageweise geltend gemacht werden kann.289 Hauptargument ist das Eingreifen dieser Nachfolgeklage in den Erstprozess und die Gefahr der Vorgreiflichkeit für den Erstprozess;290 der Haupt 287

BVerfG, NJW 2003, S. 2524. MünchKomm-ZPO / Musielak, § 318 ZPO Rn. 1; Musielak / Voit / Musielak, § 318 ZPO, Rn. 2; Thomas / Putzo / Reichold, § 318 ZPO Rn. 2; Zöller / Vollkommer, § 318 ZPO Rn. 8. 289 So im Fall BGH, NJW 1962, S. 243 (244). 290 Baumgärtel, in: FS Schima, S. 49; ähnlich BGH, NJW 1962, S. 243 (244). 288

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prozess würde überdies möglicherweise zersplittert.291 Die Entscheidung des Nachfolgeverfahrens könnte überdies zu spät kommen. Die Partei ist daher auf prozessimmanente Maßnahmen zu verweisen.292 Der Unterschied zum materiellen Recht besteht also lediglich darin, dass der Anspruch zwar entstehen kann, aber aus dem konkreten Prozessrechtsverhältnis herausgehalten werden soll. C. Schadensersatzansprüche Hat die unzulässige Prozesshandlung zu einer Verurteilung geführt, kann die andere Partei einen Schadensersatzanspruch gegen den unzulässig Handelnden geltend machen. Zunächst gilt es, auf einen Schadensersatzanspruch aus dem Prozessrechtsverhältnis, im Übrigen auf einen solchen aus Deliktsrecht einzugehen.293 Das Bereicherungsrecht bedarf keiner Vertiefung, da sich keine Besonderheiten gegenüber dem bereits zum materiellen Zivilrecht Dargestellten ergeben.294 I. Schadensersatzanspruch aus Prozessrechtsverhältnis: culpa in procedendo

1. Meinungsstand Zum einen wird mit einem Anspruch wegen culpa in procedendo295 argumentiert, wonach das Prozessrechtsverhältnis296 nicht nur prozessuale Schutzpflichten mit sich bringen, sondern diese Schutzpflichten auch die andere Partei vor Schäden bewahren sollen.297 Das Prozessrechtsverhältnis solle aufgrund des gesteigerten sozialen Kontakts vertragsähnlichen Charakter haben. Vor einem solchen Hinter 291 Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 302; allerdings lediglich mit Bezug auf Anschuldigungen im Prozess. 292 Baumgärtel, in: FS Schima, S. 58. 293 Allein für die unberechtigte Verfahrenseinleitung bestehen für den Gläubiger erhebliche Haftungsunterschiede gegenüber dem Schadensersatz wegen Durchführung der Vollstreckung nach § 717 Abs. 2 ZPO. Mit dieser Diskrepanz befasst sich Lindemann, Die Haftung des Gläubigers, S. 174. 294 Siehe oben § 8 B. II. 4. 295 Soweit ersichtlich wird diese Begrifflichkeit erstmals von Görres, ZZP 35 (1906), S. 340, verwendet. Görres setzt allerdings den Schwerpunkt darauf, ob jemand objektiv zu Unrecht in den Prozess eingetreten ist oder den Eintritt des Gegners objektiv zu Unrecht veranlasst hat, ebenda, S. 344; weitergehend für einen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht Titze, in: FS Schlegelberger, S. 184. 296 Von Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 228, wird die Existenz eines Prozessrechtsverhältnisses verneint, da es sich beim Prozess nur um Funktion handele. Zumindest ein faktisches Prozessverhältnis besteht aber in jedem Fall, da es insoweit nur darauf ankommt, dass Realakte untereinander wirken. Ein Rechtsverhältnis ist es auch deswegen, weil es sich zumeist um Rechtsakte handelt. 297 Lüke, ZZP 108 (1995), S. 446; Berges, NJW 1965, S. 1508.

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grund – der Vergleich zum Institut aus culpa in contrahendo liegt nahe – könne es der Verstoß gegen eine solche Pflicht mit sich bringen, dass ein Schadensersatzanspruch auch im außerdeliktischen Bereich allein ob des Verstoßes gegen eine prozessuale Pflicht gegeben sei.298 Nach anderer Auffassung ist ein solcher Anspruch dem Prozessrechtsverhältnis nicht zu entnehmen, da zwischen den Parteien durch die Aufnahme eines Prozesses keine Sonderverbindung begründet werde.299 2. Stellungnahme a) Keine Analogie zur culpa in contrahendo aus § 311 Abs. 2 BGB Angesichts dessen, dass für die culpa in contrahendo in Anspruch genommenes konkretes Vertrauen grundlegend ist,300 bezüglich des prozessualen Verfahrens ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien aber nicht besteht, stellt sich die Frage nach einer vergleichbaren Interessenlage. aa) Kein konkretes Vertrauenselement Für eine Analogie zur culpa in contrahendo fehlt es am notwendigen konkreten Vertrauensmoment. Grundlage dieses nunmehr positivierten Instituts ist zum einen das Vertrauenselement, das sich in dessen konkreter Inanspruchnahme niederschlägt.301 Neben dem Moment des Willens ist auch Vertrauen ein maßgeblicher Gesichtspunkt der Haftung aus culpa in contrahendo.302 Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass die Verkehrssitte im Prozess ein derartiges Vertrauensmoment nur an der Grenze zu einem Verstoß gegen das faire Verfahren und vor dem Hintergrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zulässt. Für die Haftung aus einem vertragsähnlichen Schuldverhältnis ist aber ein gesteigertes Vertrauen wie bei geschäftlichen Kontakten von Nöten.303 An diesem maßgeblichen Grundgedanken fehlt es im Zivilprozess. Eine besondere Redlichkeitserwartung304 kann nicht auf das Prozessrechtsverhältnis übertragen werden, so dass letzteres in keinem Fall ein Rechtverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2 BGB ist. 298

So auch Hellwig, NJW 1968, S. 1076. Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 227; ders., JR 2008, S. 360. 300 BT-Drucks. 14/6040, S. 163; Schultz-Süchting, Dogmatische Untersuchungen, S. 24; gegen die Aufgabe des Vertrauensmoments: Soergel / Harke, § 311 BGB Rn. 17; anderer Ansicht ohne Rücksichtnahme auf die gesetzgeberische Begründung BGHZ 190, 89 (94). 301 BT-Drucks. 14/6040, S. 163; MünchKomm-BGB / Emmerich, § 311 BGB Rn. 41. 302 Siehe nur Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532; Staudinger / Feldmann / Löwisch, § 311 BGB Rn. 99. 303 MünchKomm-BGB / Emmerich, § 311 BGB Rn. 41. 304 Der Begriff stammt von Larenz, Schuldrecht I, S. 106. 299

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bb) Fehlendes Willensmoment Es entspricht dem Wesen geschäftlicher Kontakte, dass zumindest zu einem gewissen Grad ein willensbildendes Element auf Seiten beider Parteien bei der Kontaktaufnahme besteht. Anders ist dies aber im Prozess, bei dem grundsätzlich nur der Kläger die Kontaktaufnahme zur Durchführung des Prozesses begehrt. Für die Begründung eines rechtsgeschäftsähnlichen Schuldverhältnisses ist von herausragender Bedeutung, dass zumindest eine beiderseitige privatautonome Willensbetätigung vorliegt. Das ist aber beim Prozessverhältnis nicht der Fall, da die Begründung desselben nur auf der Willensbetätigung einer Partei beruht.305 Schon damit geht eine heteronome Bestimmung des Verhaltens der anderen Partei einher. Dies muss aber gerade dazu führen, dass jedenfalls § 311 Abs. 2 BGB auf das Prozessrechtsverhältnis nicht angewendet werden kann. b) Prozessrechtsverhältnis als Schuldverhältnis im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB Letztlich verbleibt nur die Prüfung, ob das Prozessrechtverhältnis Schuldverhältnis im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB ist. Man muss sich die Kriterien für ein Schuldverhältnis vor Augen führen und darüber klar sein, dass beide Institute nicht vom Gesetzgeber definiert worden sind. Teilweise wird das Prozessrechtsverhältnis zwar nicht als rechtsgeschäftsähnliches, aber dennoch als prozessrechtlich statuiertes Schuldverhältnis dargestellt.306 Mangels gesetzlicher Regelung handelt es sich beim Prozessrechtsverhältnis um ein dogmatisches und in praxi um ein richterrechtliches Institut. Das Prozessrechtsverhältnis ist zunächst eine dreiseitige, öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen den Parteien und dem Gericht.307 Es ist gerade kein Schuldverhältnis. Ein solches besteht, wenn eine Sonderverbindung zwischen zwei oder mehreren Personen zustande kommt, kraft derer die eine von der anderen eine Leistung zu fordern berechtigt ist.308 Das Prozessrechtverhältnis ist jedoch kein Schuldverhältnis, weil die Sonderverbindung von Kläger zu Beklagtem nicht dazu führt, dass der eine von dem anderen etwas fordern könnte. Das Prozessrecht be 305 Der gesetzliche Regelfall der culpa in contrahendo sind schließlich Verhandlungen und geschäftliche Kontakte; es wird also von einer gewissen Bereitschaft ausgegangen, eine vertragliche Grundlage zu schaffen; MünchKomm-BGB / Emmerich, § 311 BGB Rn. 54. 306 So etwa Dölle, in: FS Riese, S. 292. 307 Prütting / Gehrlein / Prütting, Einl. ZPO Rn. 4; Schumann, JA 1976, S. 215; gegen die undifferenzierte Einordnung als öffentlich-rechtlich: Braun, Lehrbuch, S. 33; Puttfarken, JuS 1977, S. 499; gegen die Theorie des Prozessrechtsverhältnisses: Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 228. 308 BeckOK-BGB / Sutschet, § 241 BGB Rn. 3; Jauernig / Mansel, § 241 BGB Rn. 1; MünchKommBGB / Bachmann, § 241 BGB Rn. 4; Palandt / Grüneberg, Einl. vor § 241 BGB Rn. 4; Staudinger /  Olzen, § 241 BGB Rn. 36 ff.

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legt die Parteien vereinzelt mit prozessualen Pflichten und Lasten,309 die sie aber nicht einander schulden, sondern die der Förderung des Verfahrens und dem fairen Verfahrensablauf dienen.310 Es handelt sich um Pflichten, die inter et erga omnes gelten und es daher an dem Kriterium einer zumindest teilweisen Exklusivität des Schuldverhältnisses fehlen lassen.311 Hinzu kommt, dass  – anders als bei Schuldverhältnissen  – die prozessualen Lasten und Pflichten nicht zur Disposition der Parteien stehen. So kann etwa über Prozessförderungspflichten und Wahrheitspflichten nicht durch privatautonome Gestaltung der Parteien disponiert werden.312 Überdies existiert keine Kooperationsmaxime der Parteien im Prozess,313 während eine solche im Rahmen von Schuldverhältnissen gerade üblich ist. Insgesamt wird daher ersichtlich, dass ein Schadensersatzanspruch aus der culpa in procedendo als vertragsähnliches Institut oder dem Prozessrechtsverhältnis als Schuldverhältnis nicht zur Geltung gelangen kann. Die in unserer Rechtsordnung maßgeblichen Elemente des Vertrauens- und des Willenselements fehlen für die Annahme eines vertragsähnlichen Instituts und im Hinblick auf das Vorliegen eines Schuldverhältnisses nach § 241 BGB die Exklusivität der Sonderverbindung sowie die Disponibilität der Rechtsgüter. Im Ergebnis führt das dazu, dass eine missbräuchliche Prozesshandlung auf der Rechtsfolgenseite innerhalb eines Vertragsregimes anders wirkt als im Falle eines bloßen Prozessrechtsverhältnisses. Das unbefriedigende Ergebnis, dass sich so unterschiedliche Schutzniveaus für Vertragspartner einerseits und anderweitige Parteien andererseits ergeben, ist aber letztlich eine Folge dessen, dass die Vertragspartner sich ursprünglich durch einen beiderseitigen Willensakt aneinander gebunden haben. II. Schadensersatzanspruch aus Delikt

Im deliktischen Bereich sind für die Frage nach Pflichtverletzungen aus dem Prozessrechtsverhältnis damit folgende Gesichtspunkte von Relevanz:

309 Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 174, sieht prozessuale Befugnisse und Lasten gänzlich im Begriff der Pflicht aufgelöst. Hier werden dennoch die Kategorien der Last und der Befugnis beibehalten. 310 So ebenfalls – allerdings nicht zwischen gesetzlichem und rechtsgeschäftsähnlichem Schuldverhältnis differenzierend – Prange, Materiell-rechtliche Sanktionen, S. 48; Zeiss, NJW 1967, S. 707. 311 Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 227; ders., JR 2008, S. 360; anderer Ansicht zumindest für die Prozessförderungs- und die Wahrheitspflicht, Kawano, in: FS Henckel, S. 420. 312 So auch Wagner, Prozessverträge, S. 65. 313 Koch, Mitwirkungsverantwortung, S. 351; allenfalls ist eine „Kooperation“ gegenüber dem Gericht denkbar, so auch Hahn, Kooperationsmaxime, S. 300; Ren, Wahrheitspflicht und Kooperationsmaxime, S. 97.

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1. Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 1 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus, wenn das verletzte Rechtsgut der Gegenpartei kein absolutes Recht ist und daher nicht vom Tatbestand der Norm umfasst ist. Ein Rückgriff auf § 823 Abs. 1 BGB kann nur bei der Verletzung absoluter Rechte im Prozess stattfinden. Durch das unredliche Prozessverhalten muss etwa das Eigentum oder das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betroffen sein. § 823 Abs. 2 BGB kann allerdings eingreifen, wenn der Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot zugleich einen solchen gegen eine Schutznorm darstellt. Hierzu ist aber erforderlich, dass eine Schutznorm vorliegt. § 242 BGB ist zumindest mit Blick auf das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung kein Schutzgesetz.314 Allein § 226 BGB wird als solches angesehen.315 Vereinzelt wird auch nur auf § 826 BGB abgehoben, so dass sich die Begleithaftung auf vorsätzlich sittenwidrig schädigendes Verhalten beschränken soll.316 Die Haftungsbeschränkung ergibt sich damit bereits tatbestandlich durch die Wahl der Haftungsgrundlage.317 2. Schaden Im Hinblick auf die Rechtsfolge ist zu differenzieren: Im Bereich des Verstoßes gegen prozessuale Pflichten sind auf der Rechtsfolgenseite bis zu drei verschiedene Schadenskategorien denkbar. Es handelt sich dabei um Entscheidungs-, Verzögerungs- und Begleitschäden.318 Entscheidungsschäden sind solche, die unmittelbar aus der Entscheidung herrühren; Begleit- und Verzögerungsschäden ergeben sich dagegen adäquat kausal aus der Einleitung oder Durchführung des Verfahrens. a) Entscheidungsschäden und Begleitschäden Anwendungsbereiche von Entscheidungsschäden können im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung die Manipulation des gegnerischen Streitverhaltens, das Erschleichen einer Entscheidung und Störungen der prozessualen Waffengleichheit sein.319 Bei Begleitschäden sind streitun­ abhängige Rechte betroffen, welche unabhängig vom Prozessausgang zu einem 314

Siehe schon oben unter § 8 A. II. 2. c). Siehe hierzu § 8 A. II. 2. b). 316 Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, S. 142. 317 Holthausen, Theorie und Praxis, S. 84 f. 318 Fleck, JR 2008, S. 358; oftmals wird aber lediglich zwischen den Kategorien Entscheidungs- und Begleitschäden differenziert, so etwa, Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, S. 7 ff., 139 ff. 319 Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, S. 129. 315

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Schadensersatzanspruch führen können.320 Es handelt sich nur um mittelbare Schadenspositionen. b) Haftungsprivilegierung Vor dem Hintergrund des Rechts jeder Partei auf Rechtsschutz, welches von der BGH-Rechtsprechung zum „Recht auf Irrtum“321 ausgeht, wird die Notwendigkeit einer generellen Haftungsprivilegierung für die am Prozess beteiligten Parteien diskutiert.322 Das eröffnet die Frage, ob nicht auch für den Verstoß gegen die Pflicht zum redlichen Prozessverhalten eine generelle Haftungsbegrenzung auf Rechtsfolgenseite greifen muss. aa) Meinungsstand Eine Ansicht favorisiert eine Haftungsprivilegierung für die am Prozess beteiligten Parteien bei Pflichtverstößen.323 Als sachliche Grundlage für diese Privilegierung wird zumeist angeführt, dass die Handlungs- und Entschlussfreiheit der auf die Rechtsschutzeinrichtungen vertrauenden Normadressaten gewahrt werden soll. Überdies existieren bereits Kostenerstattungsvorschriften und Verfahrensgarantien zugunsten der schutzwürdigen Partei,324 so dass ein darüber hinausgehendes Interesse an Schadensersatz nicht besteht. Vereinzelt wird eine Haftungsbegrenzung dadurch versucht, dass auf der Ebene der Rechtswidrigkeit eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen wird.325 Andere Autoren wiederum wollen auf der Ebene des Verschuldens bei einfacher Fahrlässigkeit eine Haftungsprivilegierung der Prozesspartei zulassen.326 Die Gegenansicht lehnt eine derartige Privilegierung ab, weil die Divergenz von außergerichtlicher Rechtsverfolgung mit regulärer Verschuldenshaftung und gerichtlicher Rechtsverfolgung mit der gewünschten Haftungsprivilegierung kaum zu erklären sei.327 Des Weiteren sei das Recht auf Irrtum nicht als eindeutige Kategorie auszumachen.328

320

Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit, S. 7. BGHZ 74, 9; 95, 10; BGH, NJW 2004, 446. 322 Siehe hierzu zusammenfassend Thole, AcP 209 (2009), S. 508. 323 BGHZ [GS] 164, 1 (6); kritisch Thole, AcP 209 (2009), S. 511 ff. 324 BGHZ [GS] 164, 1 (6); kritisch Thole, AcP 209 (2009), S. 511 ff. 325 Henckel, Prozeßrecht, S. 304 f.; für das Verhalten des Klägers während des Verfahrens Hopt, Unberechtigte Verfahrenseinleitung, S. 257. 326 Insbesondere Zeiss, NJW 1967, S. 705; in diese Richtung ebenfalls: Fenn, ZHR 132 (1969), S. 367; Esser, ZZP 83 (1970), S. 351; Götz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche, S. 199. 327 MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 BGB Rn. 610. 328 MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 BGB Rn. 610. 321

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bb) Stellungnahme Eine Privilegierung für rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten ist abzulehnen. Zum einen ist nicht einzusehen, weswegen die außergerichtliche Rechtsverfolgung einer regulären Verschuldenshaftung unterliegen soll, die gerichtliche Rechtsverfolgung dagegen nicht.329 Dies stellt eine Benachteiligung derjenigen Partei dar, die zunächst ohne Inanspruchnahme der Gerichte die Angelegenheit einer Lösung zuführen möchte. Zum anderen wird eine Prozessführung nicht alleine dadurch schuldhaft, dass der Prozess ein anderes Ergebnis findet, als von der unterliegenden Partei angenommen. Es besteht damit kein Bedürfnis für eine Privilegierung. Notwendig ist nämlich ein konkreter Sorgfaltspflichtverstoß, der sich auf der Ebene des Verschuldens an den überkommenen Kategorien des Fahrlässigkeitsmaßstabes orientiert.330 Im Hinblick auf Tatsachen- und Rechtsirrtümer ist der agierenden Partei stets nach dem Verschuldensnachweis des Anspruchsinhabers die Möglichkeit der Exkulpation eingeräumt.331 Für das rechtsmissbräuchliche Prozessverhalten muss eine solche Haftungsbegrenzung deswegen abgelehnt werden, weil in einem solchen Fall stets Verhaltensunrecht vorliegt.332 A minore ad maius gilt die dargestellte Argumentation im Rahmen gerichtlicher Rechtsverfolgung somit in jedem Fall für rechtsmissbräuchliches Verhalten, weil bereits im Rahmen gewöhnlicher Verfahrensführung eine derartige Privilegierung zu versagen ist. Hinzu kommt, dass der Verstoß gegen die Pflicht redlichen Prozessverhaltens im Vorhinein für die handelnde Partei oftmals nicht ersichtlich ist. Eine vorhersehbare Abgrenzung zwischen zulässiger Prozessstrategie und unzulässiger Rechtsausübung ist aufgrund der richterlichen Abwägung der Interessenlage nur schwer möglich,333 sodass selten eine schadensersatzbegründende Fahrlässigkeit des rechts­ missbräuchlich Handelnden zu beweisen sein wird. Einer gesonderten Haftungsprivilegierung bedarf es daher nicht.

329

MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 BGB Rn. 610; so auch Thole, AcP 209 (2009), S. 525. MünchKomm-BGB / Wagner, § 823 BGB Rn. 610. 331 Thole, AcP 209 (2009), S. 533. 332 Siehe hierzu unter § 7 B. III. 333 Althammer / Löhnig, ZZPInt 9 (2004), S. 34; Krusche, MDR 2000, S. 681. 330

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D. Erhebung von Missbrauchsgebühren Neben den Konsequenzen des allgemeinen Deliktsrechts können auch kostenrechtliche Missbrauchsgebühren gegen die Partei erhoben werden.334 Ein Beispiel hierfür ist § 38 GKG,335 wonach bei Verzögerung des Rechtsstreits der verzögernden Partei eine besondere 1,0-Gebühr auferlegt werden kann. Derartige Sanktionsmaßnahmen haben meistens den Bezug zu verspätetem Vortrag oder der Notwendigkeit, einen weiteren Termin durchzuführen.336 Die Missbrauchsgebühr fällt grundsätzlich nicht an, wenn die Partei gegen ihre Pflicht zur redlichen Prozessführung verstößt, ohne dass hierdurch eine zeitliche Verzögerung entsteht. Denn entscheidend ist nach dem gesetzgeberischen Zweck die Prozessförderungspflicht der Parteien, nicht aber die faire Prozessführung. Resultiert aus der treuwidrigen Verfahrensführung337 als erheblich prozessordnungswidriges Verhalten aber eine solche relevante338 in § 38 GKG sanktionierte Verzögerung, so kann das Gericht eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 0,3–1,0 erheben. Der Rechtsmissbrauch muss daher, damit die Gebühr nach § 38 GKG erhoben werden kann, mit einer Prozessverzögerung zusammentreffen. Insgesamt ist die Stellung und Funktion von § 38 GKG kritisch zu bewerten, da diese kostenrechtliche Regelung letztlich eine Form des der deutschen Dogmatik wesensfremden Strafschadensersatzes darstellt.339 Nur bei einem tatsächlichen gerichtlichen Mehraufwand sollte diese kostenrechtliche Sanktion verhängt werden, weil sie dann einen echten Ausgleich darstellt. Vor dem Hintergrund der Entschädigungsvorschrift in § 198 Abs. 1 GVG,340 wonach bei unangemessen langer 334

Kritisch aus anwaltlicher Perspektive Reinelt, ZAP 2000, S. 500. § 38 GKG lautet: Wird außer im Fall des § 335 der Zivilprozessordnung durch Verschulden des Klägers, des Beklagten oder eines Vertreters die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig oder ist die Erledigung des Rechtsstreits durch nachträgliches Vorbringen von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, Beweismitteln oder Beweiseinreden, die früher vorgebracht werden konnten, verzögert worden, kann das Gericht dem Kläger oder dem Beklagten von Amts wegen eine besondere Gebühr mit einem Gebührensatz von 1,0 auferlegen. Die Gebühr kann bis auf einen Gebührensatz von 0,3 ermäßigt werden. Dem Kläger, dem Beklagten oder dem Vertreter stehen gleich der Nebenintervenient, der Beigeladene, der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundes­verwaltungsgericht und der Vertreter des öffentlichen Interesses sowie ihre Vertreter. 336 So nach § 38 GKG, grundlegend hierzu Winker, Die Missbrauchsgebühr, S. 49. Dies kann sich bei teleologischer Extension als taugliches Mittel gegen so genannte Torpedoklagen erweisen. 337 So beispielhaft für einen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht zu § 34 GKG a. F., Völker, MDR 2001, S. 1331. 338 10–14 Tage wird man angesichts des strafähnlichen Charakters nicht als ausreichend ansehen können, vgl. Schmidt, MDR 2001, S. 311. 339 So Winker, Die Missbrauchsgebühr, S. 141; kritisch ebenso, Schneider, JurBüro 1976, S. 18. 340 § 198 abs. 1 GVG lautet: Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. 335

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257

Verfahrensdauer eine Entschädigung fällig wird, hat in heutiger Zeit auch der Prozessbeteiligte die Möglichkeit, Verzögerungen zu unterbinden. Denn mittlerweile können auch die Parteien bei Verzögerung durch das Gericht im Verfahren eine Entschädigung verlangen.341 Für das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot kann die Missbrauchsgebühr aber mangels Aufführung im Normtext – anders als etwa in Frankreich die amende civile342 – nicht fruchtbar gemacht werden. E. Rechtsmittel und zwangsvollstreckungsrechtliche Rechtsbehelfe Neben den instanzinternen und pekuniär orientierten Rechtsfolgen existiert ein umfassendes System an Rechtsbehelfen, um einem Verstoß gegen prozessuale Redlichkeitspflichten nach Abschluss der ersten Instanz zu begegnen. I. Rechtsmittel

Zunächst besteht naturgemäß die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels unter Hinweis darauf, dass ein unzulässiges Verhalten der Partei im Prozess vorgelegen habe. Kommt der Richter erster Instanz in seiner im Rahmen des Rechtsmissbrauchsverbots vorgenommenen Abwägung dazu, dass ein Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung nicht gegeben ist, so ist für die Berufung und die Revision folgender Prüfungsmaßstab maßgeblich: Die Entscheidung über das Vorliegen von Rechtsmissbrauch unterliegt sowohl im Hinblick auf die Tatsachen- als auch die Rechtsfragen vollständig der Nachprüfung der Berufungs- und Revisionsinstanz.343 Insbesondere bei Bewirkungshandlungen ist das Rechtsmittel der Berufung nötig. Bei Erwirkungshandlungen kommt es darauf an, ob der Richter auf die Rechtsmissbrauchseinrede hin einen Verstoß angenommen hat.344 Hat er auf den Einwand der betroffenen Partei hin die Zwischenentscheidung zu Lasten des rechtsmissbräuchlich Handelnden versagt, verbleibt allein dieser die Möglichkeit der Berufung unter Bezugnahme auf die richterliche Entscheidung. II. Wiederaufnahme des Verfahrens

Nach Eintritt der Rechtskraftwirkung besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Wiederaufnahme nach § 580 ZPO. Allerdings wird das Verbot des unzulässigen Prozessverhaltens hiervon nicht erfasst; bei § 580 ZPO handelt es sich um einen abschließenden Katalog, der nicht um das Verbot rechtsmissbräuchlichen Prozessierens erweitert werden kann. Dies ergibt schon ein Umkehrschluss zu § 580 Nr. 3 341

Eingehend hierzu: Steinbeiß-Winkelmann / Sporrer, NJW 2014, S. 180. Siehe hierzu bereits unter § 5 C. 343 Staudinger / Looschelders / Olzen, § 242 BGB Rn. 331. 344 Siehe hierzu unter § 13 A. III. 342

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und 4 ZPO, der allein Wahrheits- und Aufklärungspflichten von Zeugen umfasst.345 Auf andere Verstöße als diejenigen gegen die Wahrheits- und Aufklärungspflichten als Restitutionsgrund kann daher nicht rekurriert werden. III. Abänderungsklage, § 323 ZPO

Eine Abänderungsklage kommt zumeist schon deswegen nicht in Betracht, weil Tatsachen, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung entstanden waren, nicht mit diesem Rechtsbehelf geltend gemacht werden können.346 Daher kann lediglich ein nachträglicher Verstoß gegen das materielle Verbot der unzulässigen Rechtsausübung zu einer signifikanten Änderung der Sach- und Rechtslage führen. Ein Anwendungsbereich für den prozessualen Rechtsmissbrauch ergibt sich dagegen nicht. IV. Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 BGB

Der Hauptanwendungsbereich prozessualen Rechtsmissbrauchs neben den soeben aufgeführten Rechtsmitteln ist § 826 BGB. Eine auf diese Vorschrift gestützte Klage erweist sich als Angriffsmöglichkeit gegen eine bereits rechtskräftige Entscheidung. Nach Auffassung der Rechtsprechung und einem Teil der Lehre ist mit einer Klage auf der Grundlage von § 826 BGB ein Vorgehen gegen die Rechtskraftwirkungen möglich.347 Dabei handelt es sich um einen Fall der Rechtskraftdurchbrechung. Diese Rechtsprechung wird in der Literatur erheblich kritisiert.348 Aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit und der unflexiblen Restitutionsklage fungiert sie dennoch als Korrektiv.349 In der Rechtsfolge hat diese Klage zweierlei Wirkungen: Sie führt einerseits zur Einstellung der Zwangsvollstreckung sowie der Herausgabe des Titels. Andererseits kann der im Vorprozess Unterlegene seinen entstandenen Schaden geltend machen.350 Die Wirkung der Rechtskraft für 345 Im Ergebnis so auch BGHZ 101, 380 (383); Prütting / Weth, Rechtskraftdurchbrechung, Rn. 101. 346 Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 488. 347 RGZ 61, 359 (365); RGZ 69, 277; RGZ 75, 213; RGZ 78, 389; RGZ 155, 55; BGH, NJW 1951, 759; BGHZ 40, 130; BGH NJW 1964, 1673; BGHZ 50, 115; BGH, NJW 1974, 557; BGH, NJW-RR 1987, 1032; BGH, NJW-RR 1993, 1013; Geißler, NJW 1987, S. 169; Kohte, NJW 1985, S. 2230. 348 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Einf §§ 322–327 ZPO Rn.  30 ff.; Prütting / Gehrlein / Völzmann-Stickelbrock, § 322 ZPO Rn. 49; Prütting / Weth, Rechtskraftdurchbrechung, Rn. 299; Münzberg, NJW 1986, S. 362; Reinicke, NJW 1952, S. 6. 349 In diese Richtung auch Braun, Rechtskraft und Restitution, S. 301 ff.; teilweise auch Thumm, Die Klage aus § 826 BGB, S. 69; Walker, in: FS Stürner, S. 830. 350 MünchKomm-ZPO / Gottwald, § 322 ZPO Rn. 228; Musielak / Voit / Musielak, § 322 ZPO Rn.  93; Prütting / Gehrlein / Völzmann-Stickelbrock, § 322 ZPO Rn.  48; Thomas / Putzo / Reichold, § 322 ZPO Rn. 50; Zöller / Vollkommer, Vor § 322 ZPO Rn. 75.

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259

die Zwangsvollstreckung wird damit durchbrochen und gleichzeitig eine pekuniäre Sanktionierung des durch den Verstoß gegen die redliche Prozessführung entstandenen Schadens gegeben.351 Die sogenannte Arglistklage nach § 826 BGB hat eine Urteilserschleichung durch doloses Verhalten der Partei zur Voraussetzung.352 Die Feststellung der Arglist bei der obsiegenden darf durch die unterliegende Partei jedoch erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen erfolgen,353 sonst würden die ordentlichen Rechtsmittel umgangen. Anwendungsfall ist etwa die Erschleichung eines Titels dadurch, dass die klagende Partei vorgibt, den wahren Aufenthaltsort der gegnerischen Partei nicht zu kennen und über den Weg der öffentlichen Zustellung ein Versäumnisurteil herbeiführt.354 Auch Fallkonstellationen über die unbillige Einflussnahme auf den Gegner und dessen Verteidigungschancen im Prozess sind bei § 826 BGB zu verorten.355 Ausgangspunkt auf subjektiver Ebene ist zumindest Leichtfertigkeit und die Zielsetzung, die andere Partei zu schädigen.356 Allein ein objektiver Verstoß gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung reicht nicht, sondern auf der Ebene des Verschuldens ist Vorsatz erforderlich. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung geht somit über den gewöhnlichen Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchs­ verbot hinaus. V. Titelgegenklage § 767 Abs. 1 ZPO analog

Eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 Abs. 1 ZPO direkt gegen rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten scheitert daran, dass die Frage des Rechtsmissbrauchs unmittelbar Prozessgegenstand und damit eine Frage der normalen Rechtsmittel ist.357 Einem Vorbringen mit dieser vollstreckungsrechtlichen Klage müsste sich der Kläger den Präklusionseinwand nach § 767 Abs. 2 ZPO entgegenhalten lassen, wonach nur Einwendungen zugelassen werden, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.

351

Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 512. Von Dickhuth-Harrach, Gerechtigkeit statt Formalismus, S. 230. 353 Palandt / Sprau, § 826 BGB Rn. 52. 354 RGZ 78, 389; BGH, NJW 1971, 2226; dieser Fall zeigt jedoch schon, dass der Großteil dieser Fallkonstellationen beim Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO zu verorten ist, Schreiber, ZZP 105 (1992), S. 144; hier zeigt sich, dass neben der Möglichkeit der Auslegung von § 185 ZPO auch die Argumentation mit dem Rechtsmissbrauchsverbot Bedeutung erlangen kann, vgl. hierzu § 11 B. II. 355 Staudinger / Oechsler, § 826 BGB Rn. 500. 356 MünchKomm-BGB / Wagner, § 826 BGB Rn. 193. 357 Siehe hierzu § 13 E. I. 352

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Die Titelgegenklage als Gestaltungsklage sui generis ist eine Rechtsfortbildung des Bundesgerichtshofs, mit der auch die unzulässige Rechtsausübung in Zusammenhang mit nicht rechtskraftfähigen Titeln wie etwa vollstreckbaren Urkunden und Vergleichen geltend gemacht werden kann.358 Dem Grunde nach bezieht sich das jedoch nur auf die Unvollstreckbarkeit eines formell ordnungsgemäßen Titels oder die materiell-rechtliche Unrichtigkeit des Titels. Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn eine Möglichkeit der früheren Geltendmachung nicht bestanden hat.359 Gerade vor dem Hintergrund der besonderen Praxisrelevanz von Vergleichen muss auch die Herbeiführung eines Vergleichs über ein prozessual unzulässiges Verhalten berücksichtigt werden. Für den Anwendungsbereich des Verstoßes gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung verbleibt nur insoweit Raum, als die Einleitung der Zwangs­ vollstreckung selbst ein solch unzulässiges Verhalten darstellen kann. Für rechtsmissbräuchliches Verhalten im Erkenntnisverfahren greift die Titelgegenklage dagegen nicht.360 F. Schlussfolgerung: Vorrang prozessualer Sanktionen beim Prozessrechtsmissbrauch In Deutschland genießen beim Rechtsmissbrauch im Prozess prozessuale vor pekuniären Sanktionen Vorrang. Denn der Anwendungsbereich von Schadensersatzansprüchen und Missbrauchsgebühren ist nur unter engen Voraussetzungen eröffnet.361 Besonders die Prüfung des Schadensersatzes unterliegt hohen Darlegungs- und Beweisanforderungen hinsichtlich der Kausalität des rechtsmissbräuchlichen Prozesshandelns für die damit verbundene Vermögenseinbuße. Der Nachweis eines konkreten Pflichtenverstoßes des zwar rechtsmissbräuchlich, aber nicht sittenwidrig Handelnden gestaltet sich zudem schwierig.362 Das deutsche Rechtsfolgenregime mit primär prozessualen Sanktionen ist deswegen von Vorteil, weil prozessintern eine größere Rechtssicherheit durch Berücksichtigung der materiellen Wahrheit geschaffen werden kann. Außerdem führt es zu einer wirkungsstärkeren Ad-hoc-Maßnahme. In Frankreich etwa stehen pekuniäre Sanktionen im Mittelpunkt, so dass dort allein eine finanzielle Kompensation des erlittenen Schadens eintritt, eine Maßnahme im Prozess selbst aber gerade nicht erfolgt.363 Während die Wahl einer primären Sanktion im deutschen Prozess auf 358

BGHZ 124, 164 (170): Thomas / Putzo / Seiler, § 767 Rn. 8a. Diese Klage findet ihren Anwendungsbereich hauptsächlich jedoch gegenüber notariellen Urkunden, vgl. Schultheis, Rechtsbehelfe bei vollstreckbaren Urkunden, S. 428. 360 So auch generell gegen die Korrektur des Erkenntnisverfahrens im Vollstreckungsstadium Walker, in: FS Stürner, S. 829. 361 Siehe hierzu § 13 C und D. 362 Siehe bereits oben § 13 C. II. 2. b) bb). 363 Siehe bereits oben § 5 C; Holthausen, Theorie und Praxis, S. 109. 359

§ 13 Prozessinterne und prozessexterne Folgen des Rechtsmissbrauchs 

261

grund der damit verbundenen, größeren Unmittelbarkeit als vorteilhaft angesehen werden kann, können drohende finanzielle Nachteile eine größere Abschreckungswirkung mit sich bringen.364 Eine mögliche Erklärung hinsichtlich der rechtsvergleichend unterschiedlich gelösten Rechtsfolgensystematik ist, dass das deutsche Prozessrecht auf dem Gedanken der Realkondemnation, also der Einklagung des Rechts in Natur, beruht.365 Anderes gilt in Rechtsordnungen mit Pekuniarkondemnation, in denen statt Leistung oder Unterlassung stets Schadensersatz in Geld verlangt werden kann.366 Dies ist etwa in England der Fall.367 Zwar bezieht sich der Grundsatz der Real- und Pekuniarkondemnation grundsätzlich nur auf den Inhalt des Urteils und nicht auf den Umgang mit Prozesshandlungen; dennoch lässt sich daraus, ob eine Rechtsordnung eher zur Verurteilung in Geld oder in Natur tendiert, ableiten, wie diese mit missbräuchlichen oder unzulässigen Prozesshandlungen zu verfahren geneigt ist. Zur präventiven Abschreckung vor missbräuchlicher Prozessführung einer Partei reicht die bestehende vertragsrechtliche wie deliktsrechtliche Systematik aus, da hinreichend zwischen dem Schutz im Vertragsbereich und im Deliktsbereich differenziert wird. Hinzu kommt, dass das Zivilrecht und das Zivilprozessrecht anders als das Strafrecht nicht primär Sanktionscharakter haben. G. Zusammenfassende Würdigung Die Rechtsfolgen rechtsmissbräuchlicher Prozesshandlungen sind vielgestaltig. Zum einen sind für rechtsmissbräuchliches Prozessverhalten prozessimmanente Entscheidungen möglich, indem Erwirkungshandlungen in der Zwischenentscheidung und Bewirkungshandlungen im Urteil als unzulässig und rechtsmissbräuchlich abgelehnt werden. Auswirken können sich der Zeitpunkt des rechtsmissbräuchlichen Verhaltes innerhalb des Prozesses respektive die Kenntnisnahme davon durch das Gericht oder durch die andere Partei. Bei Erwirkungshandlungen muss dem Gericht aber innerinstanzlich die Möglichkeit der Entscheidungskorrektur gegeben werden. Zum anderen existieren prozessexterne Rechtsfolgen pekuniärer Natur in Form von Missbrauchsgebühren und Schadensersatzansprüchen. Mithin handelt es sich um finanzielle ordnungsrechtliche und kompensatorische Optio-

364

Zur Präventionswirkung der Sanktion einführend: Röhl / Röhl, Allgemeine Rechtslehre, § 25, S. 219; gleichzeitig wird hier auch die Problematik des Strafschadensersatzes angesprochen, S. 221; ferner Röhl, Rechtssoziologie, S. 206; auch Wagner äußert sich in seinem Aufsatz im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts zu dieser Problematik für das materielle Recht, AcP 206 (2006), S. 352 (464). 365 Mit Blick auf den materiell-rechtlichen Erfüllungsanspruch Weller, JZ 2008, S. 764; Braun, AcP 205 (2005), S. 138. 366 Braun, Lehrbuch, S. 43; so aber auch im römischen Recht des Formularprozesses, Kaser / Hackl, Das römische Zivilprozessrecht2, S. 372. 367 Braun, Lehrbuch, S. 44.

262

Teil 3 

nen.368 Prozessexterne Sanktionen in natura sind die Korrektur über Rechtsmittel im Erkenntnisverfahren oder Rechtsbehelfe im Vollstreckungsverfahren. Für die pekuniären Rechtsfolgen gilt, dass das Prozessrechtsverhältnis selbst kein Schuldverhältnis  – weder aus culpa in procedendo noch als gesetzliches Schuldverhältnis – darstellt. Nur das Deliktsrecht oder ein bereits bestehendes Vertragsverhältnis zwischen den Parteien können als Grundlage für Schadensersatzansprüche herangezogen werden; schließlich wird die Frage erörtert, inwiefern sich bei einem Verstoß gegen die prozessuale Redlichkeitspflicht eine Haftungsbeschränkung ergeben muss. Diese aus dem Recht der Einleitung eines Zivilverfahrens übernommene Haftungsprivilegierung ist mit Blick auf ihre Grundlage fraglich. Insgesamt zeigt sich, dass in Deutschland bei der Sanktionierung missbräuchlichen Verhaltens die prozessualen Rechtsfolgen vorrangig einzusetzen sind. Die Frage nach der Vorhersehbarkeit eines Pflichtverstoßes spricht gegen eine weitergehende Sanktionierung. Eine zuverlässige Abgrenzung zwischen zulässiger Prozessstrategie und unzulässiger Rechtsausübung ist aufgrund der richterlichen Abwägung der Interessenlage nur schwer möglich. Ein schadensersatzbegründendes Verschulden  – ebenso vor dem Hintergrund einer denkbaren Haftungsprivilegierung für den Bereich der Geltendmachung der Rechte wie auch ihrer Rechtsverfolgung – wird sich daher kaum ausmachen lassen. Ein ex ante absehbares konkretes Pflichtengebot fehlt, so dass das Sanktionsregime mit prozessualen Mitteln vollkommen ausreichend ist.

§ 14 Prozessuale Redlichkeitspflicht de lege ferenda? De lege lata sind der Geltungsgrund, die Qualität als Rechtsfindungsregel und die Rechtsfolgen des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots beleuchtet worden. Schon Zeiss369 hatte die Frage aufgeworfen, ob nicht auch die gesetzliche Implementierung eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots notwendig ist. Bis heute existiert keine prozessuale Generalklausel. Die Vor- und Nachteile einer derartigen Normierung sowie das Bedürfnis nach einer solchen Generalklausel bedürfen der Untersuchung.370

368

Klamaris, in: FS Baur, S. 502. Schon Zeiss, Die arglistige Prozesspartei, S. 17 stellte das Postulat einer prozessualen Generalklausel auf. 370 Die Bedeutung einer normvorschlagenden Jurisprudenz darf nicht unterschätzt werden, da sie nicht Bestandteil einer lediglich beschreibenden Rechtswissenschaft ist, vgl. Steininger, NJW 2015, S. 1073. 369

§ 14 Prozessuale Redlichkeitspflicht de lege ferenda?

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A. Topoi zur Positivierung einer Generalklausel prozessualer Redlichkeitspflichten Die Frage nach der Schaffung einer prozessualen Redlichkeitsklausel soll durch eine Gegenüberstellung der etwaigen Vor- und Nachteile beantwortet werden. Dabei sollen topische371 Argumente verwendet werden, um sich der Frage nach einem Regelungsbedürfnis für eine Generalklausel prozessualer Redlichkeitspflichten anzunähern. Eine Gesetzgebungspflicht besteht auf der Basis des Verfassungsrechts grundsätzlich nur bei ausdrücklicher Anordnung durch das Grundgesetz oder aus europäischer Sicht bei unionsrechtlichen Regelungen; im Bereich der Regulierung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung gibt es somit eine Pflicht zum Gesetzeserlass nicht.372 Ob und wann ein Gesetz erlassen wird, hängt von wirtschaftlichen und politischen Erwägungen des Gesetzgebers ab. Diese stehen in pflichtgemäßem Ermessen des Gesetzgebers,373 bei dem aber auch Schutzpflichten wegen der Grundrechte von Bedeutung sein können. Die nachfolgenden Gesichtspunkte können daher für diese gesetzgeberische Ermessensentscheidung maßgeblich sein. Wie bei der Frage um die Geltungsgründe des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots ist ein dialektisches Vorgehen angezeigt.374 I. Argumente für eine prozessuale Redlichkeitsklausel

Zunächst sind die Vorteile zur Positivierung einer prozessualen Redlichkeitsklausel zu betrachten, also ob de lege ferenda nicht das ausdifferenzierte System zum Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess in Gesetzesform gegossen werden sollte. 1. Erhöhung der Regelungsdichte in der ZPO Die Implementierung einer prozessualen Redlichkeitsklausel stellt sich insoweit als vorteilhaft dar, als sich die Regelungsdichte der Zivilprozessordnung erhöhen kann. Dies entspricht zum einen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt.375 Zum anderen ist die damit verbundene erhöhte Bestimmtheit des Gesetzes vorteilhaft für die Normadressaten, da ihnen die Notwendigkeit 371

Die Topik vermag insoweit eine gewisse Systemoffenheit in eine streng dogmatische oder strikt systematische Diskussion einzuführen, etwa Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, S. 156; ähnlich Viehweg, Topik und Jurisprudenz, S. 109. 372 Pieroth, in: Jarass / ders., Art. 70 GG Rn. 22. 373 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu / Hohmann / Henneke, Vorb. v. Art. 70 GG Rn. 16. 374 Zum dialektischen Vorgehen siehe bereits unter § 12 B und C. 375 Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn.  278; Maunz / Dürig / Grzeszick, Art. 20 GG Rn. 106; zur Wechselwirkung von Parlamentsvorbehalt und Regelungsdichte: Ohler, Kollisionsordnung, S. 273.

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redlichen Verhaltens im Prozess unmittelbar – und nicht erst über die Darlegung der Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauchsverbot auf der Grundlage von Treu und Glauben – vor Augen geführt wird. Aus Sicht der Gesetzgebungslehre bringt die Implementierung einer prozessualen Generalklausel den Vorteil mit sich, dass die Grundentscheidung für die Anwendung von Treu und Glauben im Zivilprozess positiviert wird. Dies kann insbesondere für die professionellen Normadressaten zu einer Vergewisserung der eigenen Prozesshandlungen führen, weil sie diese an einer konkreten prozessualen Norm messen können. Die Erhöhung der Regelungsdichte kann aber auf der anderen Seite zur Zersplitterung des Rechts und zu einem Verlust an Systematik in der Rechtsordnung führen. Das Recht kann dabei seine Grenzsteuerungsfähigkeit verlieren,376 das heißt, dass ein weiteres Gesetz zur unzulässigen Rechtsausübung das gesetzlich gewünschte Verhalten – nämlich Rechtskonformität – nur noch bedingt steuert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn bei mehreren Rechtsmissbrauchsverboten im Prozess- und materiellen Recht mit konkretisierten Fallgruppen von den Normadressaten Differenzierungsgründe zwischen den einzelnen Verboten je nach rechtlichem Gegenstandsbereich behauptet werden. 2. Re-Konturierung von § 242 BGB Die Schaffung einer prozessualen Redlichkeitsklausel ermöglicht es, das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung im Rahmen von § 242 BGB auf das BGB oder zumindest das materielle Recht zu begrenzen. Dies kann den Informations- und Sachgehalt von § 242 BGB aufgrund des abgegrenzten Regelungsbereichs erhöhen, da sich die erfassten Sachverhalte konturenreicher von anderen Redlichkeitsvorschriften abgrenzen lassen.377 Dem wiederum kann entgegengehalten werden, dass der Sachnormgehalt von § 242 BGB – auch bei Ausschluss dieses Verbots der unzulässigen Rechtsausübung im Prozess – aufgrund der Eigenheit als generelle Schranke ohnehin keinen hinreichend objektiven Maßstab gewährleistet.378 Wird nun das prozessuale Verbot der unzulässigen Rechtsausübung aus dem Regelungsbereich von § 242 BGB herausgenommen, gewinnt § 242 BGB dadurch nicht zwingend mehr Kontur. Allein die Zuordnung prozessual unredlichen Verhaltens als Unterart des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung findet dann nicht mehr zur Vorschrift des § 242 BGB, sondern zur prozessualen Redlichkeitsklausel statt.

376

Lammer, in: Mantl (Hrsg.), Effizienz der Gesetzesproduktion, S. 86. Schmidt, in: FS Wieacker, S. 252. 378 Esser, Grundsatz und Norm, S. 150–151, sieht diese Wertprinzipien allein als „starting point“ richterlicher Normbildung. 377

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3. Positivierung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung Eng mit der Re-Konturierung von § 242 BGB verknüpft ist die Frage, ob nicht die Notwendigkeit besteht, die Rechtsfortbildung des Reichsgerichts im Hinblick auf das materielle Institut des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung zu posi­ tivieren.379 In der Schweiz ist eine solche Normierung des Rechtsmissbrauchsverbots durch Art. 2 Abs. 2 ZGB erfolgt.380 Die Zuordnung von Rechtsinstituten zu § 242 BGB hat Methode und Geschichte. Neben dem Institut des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung waren in der Vergangenheit etwa der Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die culpa in contrahendo Beispiel für eine solche Entwicklung.381 Diese wurden zu eigenständigen Vorschriften ausgebildet, nachdem sie fallgruppenartig durch die Gerichte strukturiert und abstrahiert worden waren.382 Diese Positivierung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung als allgemeines Prinzip redet allerdings nicht der Implementierung einer speziellen prozessualen Redlichkeitsklausel das Wort. Vielmehr kann dieses ohne besondere prozessuale Variante in das BGB niedergelegt werden – etwa als Erweiterung des § 226 BGB um die Fallgruppe der objektiv geringwertigen Interessenlage. Dann könnte dieser neue Tatbestand des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung entweder analog, jedenfalls aber im Wege einer Rechtsfortbildung, auf den Prozess angewendet werden.383 Zum einen würde durch ein solches Vorgehen das Kodifikationsdenken an sich in Frage gestellt. Denn eine gesetzliche Implementierung, die von vornherein auf Rechtsfortbildung angelegt ist, verliert ihren Sinn. Zum anderen ist bei einer Erweiterung des § 226 BGB der Informationsgewinn für den Rechtsanwender von untergeordneter Bedeutung, da die Fallgruppen ohnehin nicht treffsicherer unter diese Redlichkeitsklausel subsumiert werden können.

379 Für eine scharfe Trennung von Treu und Glauben und unzulässiger Rechtsausübung zumindest im öffentlichen Recht tritt Knödler, Missbrauch von Rechten, S. 230, ein. Der Schwerpunkt seiner Argumentation liegt dabei allerdings auf der nicht gegebenen Übertragbarkeit von Treu und Glauben auf das öffentliche Recht. 380 Siehe hierzu unter 5 A. 381 Siehe hierzu unter § 7 A. II. 1. 382 Siehe dazu insbesondere Beater, AcP 194 (1994), S. 85; in diese Richtung ebenfalls mit Fokus auf die präjudizielle Wirkung der Fallgruppen Ohly, AcP 201 (2001), S. 40. 383 Nach Esser können auch Rechtsprinzipien wie das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung schon dann positives Recht sein, wenn sie sich als „intentionale[r] Rechtsschöpfungsakt sozialen Handelns mit Rechtserfolg“ darstellen, Grundsatz und Norm, S. 137. Dieses Verständnis führt freilich dazu, dass es einer Positivierung im Sinne eines Gesetzes hier nicht mehr bedarf. Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung wird hierfür schon hinreichend praktiziert.

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Teil 3 

4. Konkretisierung des prozessualen Pflichtenkatalogs Für die Einführung einer prozessualen Redlichkeitsklausel spricht ferner, dass die Positivierung im Gesetz der Ausdifferenzierung eines prozessualen Pflichtenkatalogs dienen kann. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Fallgruppenbildung für das Rechtsmissbrauchsverbot bei § 242 BGB als Zuordnungsvorschrift384 beinahe normgleichen Charakter hat. Die Fallgruppen werden ähnlich wie Gesetzestexte vom Rechtsanwender als Leitsätze herangezogen. Zum anderen ergibt sich der Bedarf einer Aufnahme des Rechtsmissbrauchsverbots in die ZPO dadurch, dass das Zivilprozessrecht als Verfahrensrecht für den Bürger die gesetzliche Niederlegung der zu leistenden Prozesspflichten notwendig macht. Dies dient dazu, den prozessualen Pflichtenkatalog abzustecken. Prozessförderungspflichten und Wahrheitspflichten sind in § 138 Abs. 1 ZPO und § 296 ZPO statuiert, nicht aber prozessuale Redlichkeitspflichten.385 Insoweit ist die Positivierung hinsichtlich des Regelungsgehalts zwar nicht konstitutiv, steckt aber deklaratorisch nochmals das Verbot für den Prozess ab. Dem prozessualen Formalismus wird dabei zumindest ein Stück weit entgegengekommen. Die bloße Existenz einer Redlichkeitsklausel sagt letztlich nichts über deren Handhabung aus, allerdings würde sie zumindest in den ohnehin schmalen Pflichtenkanon der Prozessparteien integriert. Dadurch ist dem Ziel der Rechtsklarheit für die Rechtsunterworfenen gedient. Außerdem wird durch eine gesetzliche Formulierung der prozessualen Pflichten dem Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 20 Abs. 3 GG genügt, dem die Justiz aufgrund des Gesetzmäßigkeitspostulats ihres Handelns ebenfalls unterliegt. II. Argumente gegen eine Generalklausel prozessualer Redlichkeitspflichten

Drohende Gefahren einer Positivierung der prozessualen Redlichkeitsklausel sind neben den bereits aufgeführten Kritikpunkten etwa die Entstehung einer Rechtszersplitterung und eine eventuell voreilige Zurückweisung von Anträgen und Begehren auf der Grundlage dieser Generalklausel. Aus gesetzgebungstechnischer

384 Anders wohl Kamanabrou, AcP 202 (2002), S. 682; demnach sei etwa das Rechtsinstitut durch Rechtsfortbildung aus § 242 BGB entstanden; dies kann nicht richtig sein, da das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung nicht durch Fortbildung von § 242 BGB entstanden, sondern durch Rechtsfortbildung § 242 BGB zugeordnet worden ist. Richtig mag ein solches Verständnis dann sein, wenn man gewisse Rechtinstitute als Ergebnis der Entwicklung der exceptio doli generalis ansieht, so etwa Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 62. 385 Verwendet wird hier ein engerer Begriff als von Fleck, der etwa auch die Wahrheits- und die Prozessförderungspflicht den Redlichkeitspflichten zuordnet, vgl. Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 99. Gemeint ist hier allein treugemäßes Prozessverhalten; hinsichtlich der Treuwidrigkeit als prozessuale Kategorie generell kritisch, Fleck, Redlichkeitspflichten, S. 197.

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Sicht spricht entscheidend gegen eine Generalklausel, dass sich inhaltlich ein Mehrwert durch die Normierung dieser prozessualen Redlichkeitspflicht nicht ergibt. 1. Entstehungsgeschichte des BGB und der ZPO Angesichts der Entstehungsgeschichte des BGB ist fraglich, ob die Einführung einer prozessualen Redlichkeitsklausel – trotz der Entscheidung gegen die exceptio doli generalis – nicht dem historischen gesetzgeberischen Willen zuwiderläuft.386 Dies ist allerdings insoweit ein schwaches Argument, als die Rechtsprechung dieses allgemeine Verbot der unzulässigen Rechtsausübung seit jeher für das materielle Recht anerkennt und auch auf den Prozess anwendet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ergibt sich ob der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wie auch dem Recht auf ein faires Verfahren das Bedürfnis nach einem Korrektiv.387 Daneben sprechen die oben aufgeführten prozessrechtsdogmatischen und rechtsphilosophischen Geltungsgründe für ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot.388 Dies durch ein speziell prozessuales Verbot der unzulässigen Rechtsausübung zu gewährleisten, ergibt sich aber aus der historischen und verfassungsrechtlichen Entwicklung nicht zwingend. Darüber hinaus obliegt es der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative, frühere anderslautende gesetzgeberische Entscheidungen ändern zu können und eine vom historischen Gesetzgeber nicht gewollte gesetzliche Regelung nunmehr zu implementieren.389 2. Versagung von Rechtsschutz durch die Gerichte Die Einführung einer prozessualen Redlichkeitsklausel könnte es ferner mit sich bringen, dass die Gerichte Rechtsschutz unter Verweis auf diese Klausel besonders häufig versagen und damit ein „Missbrauch des Rechtsmissbrauchs“390 stattfindet. Das diesbezügliche Gefahrenpotential dürfte allerdings nur gering sein, da die bloße Vertextung einer Redlichkeitsklausel noch nichts über den Anwendungsumfang der Gerichte aussagt. Vielmehr würde lediglich die Notwendigkeit prozessualer Redlichkeit weiter in das Bewusstsein der Prozessbeteiligten vordringen. Dies muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das prozessuale Ver-

386

Siehe hierzu § 7 B. I. 1.  Siehe hierzu § 12 B. IV. 388 Siehe hierzu § 12 B. VI., VII. 389 Zur Einschätzungsprärogative Maunz / Dürig / Grzeszick, Art. 20 GG Rn. 14 f. 390 Zu einem Beispiel aus dem Strafprozessrecht siehe Christensen / Kudlich, in: Feldner / Forgo (Hrsg.), Norm und Entscheidung, S. 211 ff. 387

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bot der unzulässigen Rechtsausübung schon seit der Rechtsprechung des Reichsgerichts existiert.391 3. Rechtsanwendung im Rahmen der Rechtsvergleichung Ferner zeigen Beispiele aus dem europäischen Ausland, dass die Statuierung prozessualer Redlichkeitspflichten nicht zu einem normativen Gewinn führt. So ist etwa in der schweizerischen ZPO wie auch in Frankreich eine prozessuale Redlichkeitspflicht ausdrücklich geregelt.392 Die Erfahrung zeigt dort, dass materiell der Sachgehalt der Vorschrift nicht substantiell anders als bei der jeweiligen materiellen Redlichkeitspflicht bewertet wird.393 Ein spezifischer und neuartiger Informationsgehalt lässt sich aus einer prozessualen Redlichkeitspflicht damit schlicht nicht herleiten. 4. Prozessverzögerungen Durch das für die prozessuale Generalklausel geschaffene Bewusstsein können sich nicht unerhebliche Prozessverzögerungen ergeben, wenn sich die Parteien bei jeder subjektiv als unfair empfundenen Situation auf die Redlichkeitsklausel berufen. Diese Gefahr ist deswegen nicht erheblich, da die Prozesspraxis bereits jetzt vom Vorliegen einer prozessualen Redlichkeitspflicht ausgeht und extreme Prozessverzögerungen durch deren Anwendung nicht auftreten. Das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung durchzieht nach herrschender Meinung das gesamte Recht, so dass allein eine Bewusstseinsschärfung der Rechtsanwender und Normadressaten, aber nicht eine Verschärfung der Berufung auf diese Vorschrift stattfinden würde. 5. Gefahr der Rechtszersplitterung Weiterhin stellt sich auch die Gefahr einer Rechtszersplitterung, wenn neben dem allgemeinen Verbot der unzulässigen Rechtsausübung für das Privatrecht ein eigenes für den Prozess geschaffen wird. Ein solches legislatives Handeln wider 391

Soweit ersichtlich erstmals RGZ 102, 217 (222). Siehe bereits § 4 A., C. 393 So wird etwa im BGE 141 III, 210 (216), nicht klar zwischen dem Rechtsmissbrauchsverbot materiell-rechtlicher Provenienz und dem prozessualen Treu-und-Glauben-Grundsatz unterschieden: „Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst es gegen Art. 2 ZGB (respektive Art. 52 ZPO), formelle Rügen, die in einem früheren Prozessstadium hätten geltend gemacht werden können, bei ungünstigem Ausgang noch später vorzubringen (BGE 135 III 334 E. 2.2; Urteil 5A_837/2012 vom 25. Juni 2013 E. 5 mit zahlreichen Hinweisen).“ 392

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spricht dem Ziel der Rechtswissenschaft, der zunehmenden Normenflut Einhalt zu gebieten.394 Diese führt nämlich wiederum dazu, dass die Überschaubarkeit und damit auch die Verständlichkeit sowie die Systematik der Gesetze bei den rechtsunterworfenen Bürgern noch mehr als bisher leiden. Andererseits entspräche eine eigenständige Redlichkeitsklausel im Prozess dem Trennungsdogma von Zivilrecht und Zivilprozessrecht.395 Diese Unterscheidung zwischen dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht zur Durchsetzung des materiellen Rechts vermag  – wie oben dargestellt396  – in einem entscheidenden Punkt nicht zu überzeugen. Die Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht dient nicht einem Selbstzweck. Der Anspruch und seine Durchsetzung sind im Hinblick auf die Frage unzulässigen Verhaltens mit denselben Wertungen zu behandeln.397 Dies ist nicht nur so, weil ein anderes Verständnis die unter anderem von Windscheid vorgenommene Trennung von actio in Anspruch und Klagerecht überdehnen würde; deren Ziel war nicht die schrankenlose Gewähr des Klagerechts.398 Diese scharfe Trennung ist auch im Hinblick auf Funktion und Wirkmächtigkeit des subjektiven Rechts an sich bedeutsam. Gelten für die Durchsetzung des Anspruchs – abgesehen von notwendigen Form- und Fristvoraussetzungen – prozessual nicht dieselben Abwehrmöglichkeiten, wird dieses subjektive Recht letzten Endes faktisch beschnitten. Außerdem führt schrankenlose Gewährung prozessualer Rechte nicht zur Befriedung des Rechtsstreits. 6. Deklaratorischer Gehalt der Redlichkeitsklausel Die Frage nach dem Bedürfnis für eine prozessuale Redlichkeitsklausel stellt sich im Besonderen, da diese vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung ohnehin nur deklaratorischen Charakter haben könnte. Das Rechtsmissbrauchsverbot auf Grundlage des Treu-und-Glauben-Prinzips wird in der Rechtsprechung häufig zitiert und ist damit gesicherter Bestandteil des Rechts, sodass es nicht notwendig erscheint, hierfür extra eine prozessuale Generalklausel in die Prozessordnung zu implementieren.399 Beizupflichten ist diesem Einwand, dass die prozessuale Generalklausel nicht konstitutiv Redlichkeit und das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung in den 394 Von Arnauld, in: ders. (Hrsg.), Recht und Spielregeln, S. 270; Scholz / Meyer-Teschendorf, ZRP 1996, S. 404 ff.; weniger kritisch Zimmermann, DÖV 2003, S. 946. 395 Zu diesem Trennungsdogma Rosenberg / Schwab / Gottwald, § 1 VI Rn. 23; Konzen, Rechtsverhältnisse, S. 81. 396 Siehe hierzu unter § 12 C. 397 Zur Reintegration von Anspruch und Klagerecht Wagner, Prozeßverträge, S. 402; generell zu Materialisierungstendenzen des Verfahrensrechts ders., ZEuP 2008, S. 18. 398 Siehe hierzu bereits § 12 B. II. 399 In diese Richtung als generelle Vorfrage eines Gesetzgebungsverfahrens auch Schäffer, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Rechtssetzung, S. 233.

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Teil 3 

Prozess integrieren würde. Die Aufnahme von Treu und Glauben in die gesamte Rechtsordnung hat das Reichsgericht bereits vorgenommen. Als Argumentation für das Bedürfnis nach einer solchen prozessualen Generalklausel muss aber wiederum der Normadressat herangezogen werden: Im Rahmen eines Gesetzesstaats mit dem grundsätzlichen Primat des Gesetzes vor der Rechtsprechung ist es notwendig, dass die Rechtsunterworfenen von ihren Pflichten – seien diese auch nur verfahrensrechtlicher Natur – Kenntnis haben.400 Dies kann aber besser und sicherer mit einem Gesetz als mit der bloßen Niederlegung der rechtlichen Handhabung in der Rechtsprechung geschehen.401 Ein dahingehendes Bedürfnis ist nicht gegeben, da dem Grundsatz der Rechtsklarheit schon nach dem Status quo der Rechtslage Geltung verschafft wird. Die tatsächliche Gesetzeslektüre durch den Normadressaten hält sich gerade in einem Bereich wie dem Prozessrecht in Grenzen, weil dieser Rechtsbereich eine spezifische Materie für die Rechtsanwender behandelt.402 Maßgeblich ist hervorzuheben, dass das materiell-rechtliche Verbot unzulässiger Rechtsausübung zentral § 242 BGB zugeordnet ist. Die prozessuale Klausel eines dahingehenden Verbots wäre vor dem Hintergrund des oben angesprochenen Wertungsgleichklangs von Prozessrecht zu materiellem Recht redundant.403 III. Schlussfolgerung für das deutsche Zivilprozessrecht

Die dargelegten Argumente sprechen dafür, von der gesetzlichen Positivierung einer prozessualen Redlichkeitsklausel abzusehen. Die Problematik ist in der Rechtsprechung und in der Rechtswissenschaft anerkannt; auch die Art und Weise der Handhabung einer solchen Norm ist im deutschen Zivilprozess durchaus geläufig. Schließlich kann der jeweilige Richter insoweit auf einen umfangreichen Fallkatalog zurückgreifen und ihn zur Klärung weiterer Fragen einsetzen. Gerade vor dem Hintergrund drängenderer Gesetzgebungsvorhaben in Bereichen des materiellen Rechts wie etwa im Arbeits- und Familienrecht404 ist es auch aus der Perspektive des gesetzgeberischen Entschließungsermessens wenig sinnvoll, eine prozessuale Redlichkeitsklausel zu positivieren. Denn letztlich käme einer solchen über den bisher richterrechtlich ausgeprägten Gehalt kein weiterer Erklärungsgehalt zu.

400

Dies soll allerdings nach Röhl, Rechtssoziologie, S. 284, nur für Verhaltensnormen gelten. Eine Erhöhung der Rechtskenntnisse geht mit den Prinzipien der Gesetzesökonomie, der sprachlich verständlichen Fassung, der systematischen Ordnung und der adäquaten Kundma­chung einher, vgl. Röhl, Rechtssoziologie, S. 286 ff. 402 In diese Richtung auch Röhl, Rechtssoziologie, S. 284. 403 Siehe bereits oben § 12 B. VI.; zur Notwendigkeit der Reduzierung von Normtexten, vgl. auch Vogel, Rechtliche Normgenese, S. 435. 404 Beispielhaft für das Arbeitsrecht Bauer, NZA 2014, S. 889 f. 401

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Dies muss auch im Lichte dessen betrachtet werden, dass das Prozessrecht als spezifische Materie der Rechtsanwender ohnehin vom Nichtjuristen kaum gelesen und ob der abstrakten Gesetzessprache auch selten verstanden wird. IV. Prozessuale Redlichkeitsklausel im europäischen Recht

Anders als im deutschen Zivilprozessrecht gestaltet sich das Bild auf europäischer und internationaler Ebene:405 Nachdem der schwerpunktmäßig verfahrenstechnische Storme-Entwurf 406 eine derartige prozessuale Redlichkeitsklausel überhaupt nicht enthielt und derzeit prozessuale Mindeststandards für den europäischen Zivilprozess als Vorstufe zu einem Europäischen Zivilverfahrensgesetz in der Diskussion stehen,407 ist die Aufnahme einer derartigen prozessualen Redlichkeitsklausel eine sinnvolle Ergänzung und Klarstellung dieses Standards auf gesamteuropäischer Ebene. Dass auch im Zivilprozess des kontinentalen Rechtskreises, das heißt in den Mitgliedstaaten, derartige prozessuale Rechtsmissbrauchsverbote vorhanden sind,408 ändert daran nichts. Die bewusste Implementierung des prozessualen Missbrauchsverbots in ein europäisches Prozessgesetzbuch setzt zum einen symbolisch im Rahmen einer Konstitutionalisierung ein deutliches Zeichen an die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Bedeutung dieser prozessualen Schranke. Zum anderen ist das entscheidende Argument für die Positivierung des prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots, dass eine noch entstehende Rechtsordnung im kontinentalen Rechtskreis ob der Konzentration auf das Gesetzbuch409 stets einer derartigen Niederlegung bedarf. Eine Kodifikation muss bei der Harmonisierung mehrerer zu einer neuen Rechtsordnung einen derartigen Standard deswegen einhalten, weil auf der gemeinsamen Ebene ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot noch nicht systematisiert ist.410 Vor dem Hintergrund des Rechtsschutzstandards eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK411 und aus rechtsphilosophischer Perspektive ist diese Systematisierung und Abwägung der beiderseitigen prozessualen Rechte, Interessen und Befugnisse notwendig. Im Gleichlauf damit ist daher auf europäischer Ebene der methodische Gehalt des Rechtsmissbrauchsverbots zu situieren. Diese Systematisierung und Dogmatik muss nicht von vornherein der 405

Siehe hierzu § 6 B. Vgl. hierzu den Entwurf der Storme-Kommission für ein europäisches Gesetzbuch zum Zivilprozessrecht fußen, ZZP 109 (1996), S. 345–371; kritisch hierzu Roth, ZZP 109 (1996), S. 271 ff.; ders., EuZP 1997, S. 567 ff. 407 Althammer, ZZP 126 (2013), S. 3 ff., 10. 408 Siehe hierzu § 4. 409 Koch / Magnus / von Mohrenfels, Rechtsvergleichung, § 14 Rn. 2. Dies gilt sowohl für den deutschen als auch für den romanischen Rechtskreis. Im deutschen Rechtskreis sind das im Zivilrecht das BGB, das ABGB und das ZGB. Im romanischen Rechtskreis gilt dies jedenfalls für Code Civil (Frankreich), Codice civile (Italien) und Codigo civil (Spanien). 410 Von rechtswissenschaftlicher Seite hat diese Systematisierung instruktiv und umfassend bisher lediglich Klöpfer, Missbrauch, passim, vorgenommen. 411 Siehe hierzu § 12 B. IV. 4. 406

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Teil 3 

Rechtsprechungspraxis überlassen werden, da zumindest nach dem Verständnis des Grundgesetzes der Legislative das rechtspolitische Entscheidungsprimat gebührt.412 In Deutschland war die Rechtsprechung bereits ausführlich tätig, so dass sich das Gesetzgebungsbedürfnis aus den genannten Gründen in Grenzen hält. B. Zusammenfassende Würdigung Der Zustand de lege lata, nämlich der Zuordnung des Instituts des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung über das Treu-und-Glauben-Prinzip des § 242 BGB auch für den Prozess, muss nicht gesetzgeberisch implementiert werden. Für das deutsche Recht ist das nicht notwendig, weil nicht einmal das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung als ausdrückliches Institut im BGB niedergelegt worden ist. Für eine prozessuale Redlichkeitsklausel besteht kein Bedürfnis, da die Existenz dieses Verbots weder in Rechtsprechung noch im Schrifttum umstritten ist. Eine von der Positivierung in der ZPO erhoffte Präzisierung des Tatbestands prozessualer Unredlichkeit ist zwar möglich, jedoch wird diese nicht durch die Positivierung dieser Klausel erreicht. Präzision in der Anwendung ist auf der Grundlage methodischer Genauigkeit besser zu erzielen. Auf europäischer Ebene stellt sich die Frage der Konstitutionalisierung dagegen. Einerseits setzt die Positivierung einer prozessualen Rechtsmissbrauchsschranke ein Zeichen, da den Mitgliedstaaten dessen Bedeutung vor Augen geführt wird. Andererseits kann die Aufnahme einer prozessualen Redlichkeitsklausel in ein Gesetzbuch zu einer weitergehenden Systematisierung und Ausdifferenzierung bereits auf der Ebene der Kodifikation führen. Die Dogmatik zum Rechtsmissbrauchsverbot muss nicht der Rechtsprechung überlassen werden.

412

Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 20 GG (Rechtsstaat) Rn. 72.

Vierter Teil

4

Schluss § 15 Zusammenfassung der Ergebnisse Das facettenreiche Rechtsmissbrauchsverbot ist rechtstheoretisch und prozessrechtsdogmatisch fundiert worden. Die Rechtspraxis bedarf bei der Anwendung dieses Korrektivarguments im Rahmen der Entscheidungsfindung methodischer Klarheit. A. Grundlagen des Rechtsmissbrauchs im Zivilprozess Die Rechtsprechung korrigiert prozessual rechtsmissbräuchliche Verhaltensweisen über das aus Treu und Glauben hergeleitete Rechtsmissbrauchsverbot. Eine methodische Rangfolge durch Darstellung von gesetzesbezogener Auslegung und Rechtsfortbildung zum Rechtsmissbrauchsverbot wird in den Urteilen der Rechtsprechung nicht gewahrt. Auch wird bei der Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots selbst nicht durchgehend eine Abwägung von Interessen durchgeführt, sondern oft formelhaft die Treuwidrigkeit der prozessualen Verhaltensweise als Passus in die Entscheidungsbegründung aufgenommen.1 Die herrschende Meinung in der Literatur nimmt an, dass das Treu-und-Glauben-Prinzip nach § 242 BGB im Prozess Anwendung findet. Sie hat hierzu die vorhandenen Fallkonstellationen in vier Fallgruppen aufgeteilt: das arglistige Schaffen von Prozesslagen, widersprüchliches Verhalten im Prozess (venire contra factum proprium), die missbräuchliche Ausnutzung prozessualer Befugnisse und die Verwirkung. Zur methodischen Lösbarkeit dieser Fallgruppen werden verschiedene Lösungsansätze vertreten, wonach § 242 BGB entweder analog, gewohnheitsrechtlich oder als allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke im Prozess wirkt. Eine früher häufiger, heute nur noch vereinzelt vertretene Auffassung in der Literatur lehnt die Anwendung von § 242 BGB im Prozess dagegen ab, da die Norm weder methodisch anwendbar sei noch mit dem Erfordernis der prozessualen Formenstrenge in Einklang gebracht werden könne.2 Schon im römischen Recht galten die Rechtsprinzipien der bona fides und der aequitas. Der Gegenbegriff zur bona fides war zu späterer Zeit in Rom dolus 1

Siehe hierzu § 2 E. Siehe hierzu § 3 B.

2

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Teil 4 

malus. Der Dolus-Begriff, heutzutage als Arglist geläufig, wandelte sich schon im römischen Recht von der subjektiven Täuschung zur objektiv bestimmbaren Treuwidrigkeit. Ein subjektives Moment war nicht mehr erforderlich.3 Einem prozessualen Verstoß gegen diese Prinzipien konnte im Klageverfahren mit einer Vielzahl an Prozessstrafen, der Erhebung prozessualer Einreden und Schadensersatzansprüchen begegnet werden. Allerdings knüpften diese Mittel an den Verstoß gegen die Wahrheitspflicht, die Geltendmachung eines nicht bestehenden oder das Bestreiten eines bestehenden Rechts an.4 Im Nationalsozialismus hatte das Treu-und-Glauben-Prinzip und besonders die Generalklausel des § 242 BGB aufgrund ihrer Wertoffenheit eine hohe Bedeutung für die Rechtsanwendung im materiellen Recht wie auch im Prozess. Die Begründung wurde formelhaft auf die nationalsozialistische Rechtsanschauung gestützt. Für die dogmatische Bedeutung des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung kennzeichnend war die maßgeblich von Siebert vertretene und durchgesetzte Lehre, aufgrund der sozialen Funktion der Rechtsausübung unterliege diese stets einer inneren Schranke.5 Dies ist der Grund für die auch heute noch maßgeblich vertretene Prüfung des § 242 BGB von Amts wegen. Das Rechtsmissbrauchsverbot wird im mitteleuropäischen Rechtsraum im Prozess angewendet. In Frankreich hat die Rechtsmissbrauchslehre eine besondere wissenschaftliche Durchdringung erfahren, so dass die dortigen Lehren auch in anderen Ländern besonders rezipiert wurden.6 Dies gilt für das materielle wie prozessuale Recht. Die Folgen eines Verstoßes im Prozess werden jedoch unterschiedlich sanktioniert; insbesondere bestehen in Frankreich, der Schweiz und Österreich weitreichende Schadensersatzverpflichtungen und Strafen für missbräuchliches Prozessverhalten. Im Zuge der Rechtsvereinheitlichung ist die Anerkennung eines allgemeinen europäischen Rechtsmissbrauchsverbots stark vorangeschritten. Sowohl der EuGH als auch die rechtswissenschaftliche Literatur arbeiten mit einem unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot als Billigkeitserwägung.7 Dieses zeichnet sich auf europäischer Ebene dadurch aus, dass der Zweck und die Folgen der Rechtsausübung betrachtet werden. Für ein Missbrauchsverbot sind im Prozessrecht bisher Torpedoklagen und das Forum Shopping in der Insolvenz bedeutsam geworden.8 Das Verbot des unzulässigen Prozessverhaltens erweist sich mithin als Bestandteil der europäischen Rechtsordnung.

3

Siehe § 4 A. II. Siehe § 4 A. III. 5 Siehe § 4 E. I. 6 Siehe § 5 C. 7 Siehe § 6 A. 8 Siehe § 6 B. 4

§ 15 Zusammenfassung der Ergebnisse

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B. Dogmatik des Missbrauchsverbots und methodische Handhabung Untersucht man die Begriffe unzulässige Rechtsausübung, individueller und institutioneller Rechtsmissbrauch im Einzelnen, so erweist sich die unzulässige Rechtsausübung als Oberbegriff. Individueller Rechtsmissbrauch ist der Missbrauch des Rechts aufgrund eines konkreten Verhaltens; institutioneller Rechtsmissbrauch die zweckwidrige Rechtsausübung im Hinblick auf ein Rechtsinstitut insgesamt. Die Einflechtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Mittel des Rechtsmissbrauchsverbots folgt bei der Prüfung an sich nur einer Angemessenheitsprüfung, während die „scharfe Entscheidungsregel“ der Erforderlichkeit im Lichte der Privatautonomie nicht gilt. Für das Rechtsmissbrauchsverbot folgt daraus, dass nur eine Interessenabwägung durchgeführt wird. Betrachtet man die einzelnen Argumentationskriterien dieses Rechtsmissbrauchsverbots, zeigen sich unabhängig von der Fallgruppenbildung zwei große Linien: Einerseits kann einseitiges Fehlverhalten der rechtsmissbräuchlich handelnden Partei vorliegen; andererseits ergibt sich der Rechtsmissbrauch aus der Bewertung der beiderseitigen Interessen. Für beide Linien ist eine Abwägung der Interessen nötig, wobei im Bereich des einseitigen Fehlverhaltens der Fokus auf dem Verhalten des rechtsmissbräuchlich Handelnden liegt. Die zugrunde liegenden Wertungen sind das Vertrauen und gerade auch ein wechselseitiges Gebot der Rücksichtnahme. Die rechtstechnischen Abwägungsparameter sind die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts, die Intensität der Rechtsbetroffenheit, die Risikoverteilung sowie Zurechnungskriterien. Insbesondere werden Abgrenzungen zum spezielleren Schikaneverbot des § 226 BGB und zur Sittenwidrigkeit als Bestandteil des ordre public vorgenommen.9 Rechtsmissbrauch ist schließlich positiv festgestelltes Verhaltensunrecht. Die Sanktionierung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im materiellen Recht geschieht unmittelbar mit Einwendungen und Einreden, die aber nicht zum vollständigen Ausschluss des Rechts führen müssen.10 Es kann eine Beschränkung auf das zulässige Maß der Rechtsausübung ausreichen. Mittelbar werden durch den Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot auch Ansprüche begründet. Insbesondere das Deliktsrecht zeigt, dass sich ein Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot des § 242 BGB für sich genommen deliktsrechtlich weder dem Grunde noch der Höhe nach auswirkt. Die vorhandene deliktsrechtliche Systematik von § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 i. V. m. § 226 BGB und § 826 BGB ist tatbestandlich ausreichend. Auf der Rechtsfolgenseite verbietet das schadensrechtliche Bereicherungsverbot eine Erhöhung des Schadensersatzanspruchs wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.11 Der methodische Gehalt des Rechtsmissbrauchsverbots besteht in der Öffnung der Rechtsfindung für eine Interessenabwägung und in der Korrektur eines durch 9

Siehe § 7 B. I. und II. Siehe § 8 A. I. 11 Siehe § 8 A. II. 2. 10

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Teil 4 

den Normtext bereits konkretisierten Rechts. Das deterministische Rechtsfindungsmodell ist in Rechtsprechung und Literatur herrschend, differenziert Auslegung und Rechtsfortbildung und nimmt seinen Ausgang bei der Wortlautgrenze einer lex ante casum. Das Rechtserzeugungsmodell nach der Strukturierenden Rechtslehre arbeitet dagegen mit der Normprogrammgrenze, verzichtet auf die Differenzierung von Auslegung und Rechtsfortbildung und bildet bei der Rechtsfindung die lex in casu. Dieser Streit wird in der vorliegenden Untersuchung allein im Lichte der auf die Prozessrechtsdogmatik fokussierten Kritik am Rechtsmissbrauchsverbot in der Rechtsprechung der Gerichte zugunsten des Determinationsmodells entschieden.12 Im Rahmen des deterministischen Rechtsfindungsmodells ist die Vereinigungstheorie der rein subjektiven und rein objektiven Theorie vorzuziehen, da durch ein solches Vorgehen der gesetzgeberischen Zwecksetzung und damit dem Grundsatz der Gewaltenteilung gefolgt werden kann.13 Dennoch ist ablaufgemäß die subjektive Theorie zuerst zu prüfen. Der Rechtsanwendungsschritt, an dem sich die Frage nach einem individuellen Rechtsmissbrauchsverbot oder anderen methodischen Mitteln entscheidet, ist die Subsumtion. Die argumentative Zuordnung des Falls zur Regel mit Hilfe der genannten Auslegungsmittel macht nämlich die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots nur möglich, wenn der Sachverhalt mit den Mitteln der Auslegung der Regel zugeordnet werden kann.14 Rechtsmissbrauch erfordert die Möglichkeit der Subsumtion unter den Wortlaut und den konkreten Schutzzweck der Norm. Die Ausübung des Rechts scheitert am Verhalten der Partei oder an der Zweckwidrigkeit im Hinblick auf das gesamte Rechtsinstitut. Gleichzeitig ist die Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung. Zu den gesetzesimmanenten Rechtsfortbildungsmitteln der Analogie, der teleologischen Reduktion und der Gesetzesumgehung in Form der Tatbestandserschleichung, die allesamt eine Lücke erfordern, kommt die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ohne ein solches Lückenerfordernis hinzu. Die Abgrenzung von teleologischer Reduktion zum Rechtsmissbrauch zeigt, dass die teleologische Reduktion greift, wenn zwar der Wortlaut erfüllt ist, nicht aber der Zweck der Norm den Fall erfasst. Rechtsmissbrauch kann jedoch nur wirken, wenn der Wortlaut und der Zweck der Norm erfüllt sind. Nur dann entsteht das Recht, das missbräuchlich ausgeübt wird. Institutioneller Rechtsmissbrauch kann angesichts der Zweckorientierung und der Nähe zur systematisch-teleologischen Auslegung nur dann greifen, wenn der Gegenstand der Rechtsausübung kein Normtext ist.15 Gleichermaßen lässt sich das Rechtsmissbrauchsverbot auch von der Gesetzesumgehung in Form der Tatbestandserschleichung abgrenzen. Diese führt zur Anwendung des Wortlauts der Norm, ist jedoch mit dem Zweck des konkreten Normtextes nicht vereinbar.16 Eine Parallelität ergibt sich dadurch, dass die Geset 12

Siehe § 9 B. I. 2. Siehe § 9 B. V. 4. 14 Siehe § 9 C. 15 Siehe § 10 A. II. 1. 16 Siehe § 10 A. II. 4. 13

§ 15 Zusammenfassung der Ergebnisse

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zesumgehung in Form der Tatbestandserschleichung der teleologischen Reduktion als Methode zuzuordnen ist. Die Fallanalyse ausgewählter Konstellationen im Prozess zeigt dreierlei: Zum einen ist ein Großteil der Fälle durch Auslegung der speziellen Normen und Subsumtion lösbar. Zum anderen muss vor dem Einsatz einer Schranke wie des Rechtsmissbrauchsverbots erst der Weg der Auslegung und der normtextbezogenen Rechtsfortbildung gegangen werden. Zuletzt zeigt sich, dass eine Notwendigkeit zur Beschränkung prozessualer Befugnisse über Auslegung und gesetzesimmanente Rechtsfortbildung hinaus besteht. Für die entwickelten Fallgruppen lassen sich zumindest auch gewisse Tendenzen eines Anwendungsbedürfnisses des Rechtsmissbrauchsverbots ausmachen: Das arglistige Schaffen von Prozesslagen kann meist im Wege der Auslegung oder der teleologischen Reduktion gelöst werden. Das Verbot des venire contra factum proprium hat ob der oftmals einschlägigen Einrede des Vertrags einen geringen Anwendungsbereich. Die rechtsmissbräuchliche Ausübung prozessualer Befugnisse kann mittels der Methodenrangfolge gelöst werden und der Grundsatz der Verwirkung im Prozess ist über das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot zu lösen. Geltungsgrund des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess ist dennoch nur teilweise die Normlogik des § 242 BGB, weil weder Auslegung noch Analogie des Normtextes eine Erweiterung auf den Prozess für alle Fälle möglich machen. Nur bei vorhandenem Vertrag greift § 242 BGB direkt ein. Dennoch sprechen historisch folgende Gründe für ein prozessuales Rechtsmissbrauchsverbot: Einerseits existiert das praktische Bedürfnis der Rechtsprechung zur Anwendung der exceptio doli generalis. Andererseits sollte die Trennung von actio in Anspruch und Klagerecht nicht zur Schrankenlosigkeit der prozessualen Durchsetzung des Anspruchs führen.17 Verfassungsrechtlich sind zwar nicht der Grundrechtsmissbrauch und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, aber der Rechtsschutzstandard des fairen Verfahrens nach Art. 20 Abs. 3 GG, das Treu-und-Glauben-Prinzip sowie die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots im Prozess.18 Prozessrechtsdogmatisch ist insbesondere im Lichte des Prozessziels der Beilegung eines Rechtsstreites die Wertungsparallelität von materiellem und Prozessrecht ausschlaggebend. Dahingehend hat die prozedurale Gerechtigkeit gleichermaßen wie die materielle zu wirken.19 Zuletzt weist aber auch die Rechtsphilosophie den Weg zur Anwendung eines Rechtsmissbrauchsverbots. Denn der Möglichkeit zum Gebrauch eines Rechts ist ihr Missbrauch immanent. Zur Herstellung von Rechtsfrieden darf es daher keinen schrankenfreien Bereich des Rechts geben.20 Es existiert also eine allgemeine Rechtsmissbrauchsschranke, die ihren normlogischen Anknüpfungspunkt nur mittelbar im allgemeinen Rechtsgedanken 17

Siehe § 12 B. II. Siehe § 12 B. IV. 19 Siehe § 12 B. VI. 20 Siehe § 12 B. VII. 18

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Teil 4 

des § 242 BGB findet. Die gegen die Anwendung dieses Prinzips vorgebrachten Argumente der Formenstrenge, der Prozesszwecke, des Trennungsdogmas von Privat- und Prozessrecht und der Verfahrensgerechtigkeit greifen angesichts dieser Aspekte nicht durch.21 Die Abgrenzung zum prozessualen Institut des Rechtsschutzbedürfnisses22 zeigt zudem: Das Rechtsschutzbedürfnis ist die verfahrensrechtliche Ausprägung dafür, dass ein Ziel schneller, einfacher oder mit anderen Mitteln erreicht werden kann und daher für die gewünschte Rechtsschutzart kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Eine Überschneidung zwischen den Instituten Rechtsmissbrauch und Rechtsschutzbedürfnis besteht kaum, weil dieses maßgeblich eine Frage des Zugangs zu gewissen Rechtsschutzformen im Sinne einer Subsidiarität mit Blick auf ein fortbestehendes Interesse des Handelnden gerichtet ist, während das Rechtsmissbrauchsverbot als materielles Rechtsinstitut die Berufung auf prozessrechtliche Befugnisse über die Prüfung der Proportionalität beschränkt.23 Auf der Rechtsfolgenseite gibt es mehrere Möglichkeiten, einen Verstoß gegen das prozessuale Rechtsmissbrauchsverbot zu sanktionieren. Prozessimmanent wirkt sich dabei die Unterscheidung von Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen aus. Je nach Prozesslage wird der Rechtsmissbrauch entweder instanzintern berücksichtigt oder es bedarf der Rechtsmitteleinlegung durch den Handlungsgegner des rechtsmissbräuchlich Handelnden.24 Pekuniärer Natur sind Missbrauchsgebühren wie § 38 GKG und insbesondere das deliktische Schadensersatzrecht. Das ausdifferenzierte Deliktsrecht reicht zur Sanktionierung unzulässigen Prozessverhaltens aus. Würde man einen Verstoß gegen das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot mit einer generellen Schadensersatzpflicht belegen, bestünde die Gefahr, dass die Prozessbeteiligten gewisse Prozesshandlungen in Anbetracht des Risikos schadensersatzrechtlicher Inanspruchnahme durch den Gegner nicht mehr erheben. Diese Beschränkung muss insbesondere deswegen gelten, weil das Ergebnis der maßgeblichen Interessenabwägung ex ante mangels konturierten Pflichtengebots für die Prozessbeteiligten nicht absehbar ist. Eine weitergehende Regelung auf Rechtsfolgenseite hätte strafschadensersatzrechtlichen Charakter und widerspräche damit der deutschen Schadensrechtsdogmatik.25 Bei den Rechtsbehelfen ist insbesondere § 826 BGB hervorzuheben, der bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung eingreift. Ein Verstoß gegen das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot reicht dafür jedoch nicht aus.26 Im letzten Passus der Arbeit wird die Frage beantwortet, ob es vor dem Hintergrund der gefundenen Ergebnisse notwendig ist, eine prozessuale Redlichkeitsklausel in die Zivilprozessordnung aufzunehmen. Dies ist zu verneinen, da angesichts der überwiegenden Meinung von Rechtsprechung und Literatur zwar nicht 21

Siehe § 12 C. Siehe § 12 D. 23 Siehe § 12 D. II. 24 Siehe § 13 A. 25 Siehe § 13 C., sowie § 8 A. II. 2. e). 26 Siehe § 13 E. IV. 22

§ 15 Zusammenfassung der Ergebnisse

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gesetzgeberisch positiviertes Recht, aber zumindest eine richterrechtlich geprägte und über sehr lange Zeit anerkannte Rechtsmeinung besteht. Da ein Rückfall hinter diesen prozessualen Standard innerhalb der Zivilprozessordnung nicht zu erwarten ist, besteht auch kein Bedarf für die Implementierung einer Vorschrift in der nationalen Prozessordnung.27 Anders ist dies auf europäischer Ebene. Hier erscheint die Implementierung eines prozessualen Mindeststandards, der die unzulässige Rechtsausübung im Prozess verbietet, notwendig. Denn gesichertes Recht besteht insoweit auf Unionsebene nicht; dies gilt zum einen für das Institut des prozessualen Missbrauchs vor dem EuGH und gleichzeitig im Hinblick auf die Ausprägung prozessualer Standards auf europäischer Ebene. Gesamtergebnis der Untersuchung ist daher, dass das Rechtsinstitut des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots als methodisches Mittel im Rahmen einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung auch im Zivilprozess zu berücksichtigen ist. Die schon im Privatrecht wirkenden Materialisierungstendenzen gewährleisten den notwendigen Interessenausgleich zwischen privaten Parteien auch im verfahrensrechtlichen Bereich. Die Anwendung eines prozessualen Rechtsmissbrauchsverbots muss sich daher nicht systematisch auf das Argument der Einheit der Rechtsordnung beschränken. Vielmehr geht es um die Friedensfunktion des Rechts. Diesem Fundament des Rechts wird nur dann entsprochen, wenn das Verbot des Missbrauchs von Rechten und Rechtslagen für alle Subsysteme der Rechtsordnung gilt. Der juristischen Methodenrangfolge in Form des Vorrangs gesetzesbezogener Auslegungsmittel hat der Rechtsanwender dennoch zu genügen.

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Siehe § 14 A. III.

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Sachverzeichnis actio  52, 220 f., 230, 269 –– de dolo  59 f. aequitas  52, 53 f., 59 ff., 133 f., 166 Analogie  47 f., 109, 137, 172 f., 218 f., 230 f., 250 Arglistiges Schaffen prozessualer Rechts­ lagen  30 ff., 190 ff. Bewirkungshandlung  243 ff., 257 bona fides  52 ff., 59, 86 culpa in procedendo  249, 252, 262 Determinationsmodell  131, 135 ff., 140 ff. dolus  35, 54, 59, 86, 101 Einrede –– der Arglist  31 ff., 38, 41, 48, 64, 101, 134, 220 –– des Rechtsmissbrauchs  115 ff., 129 –– der Schiedsvereinbarung  40 f. –– der Verjährung  208 –– des Vertrags  37, 47 f., 196 f. England  73 ff., 114, 261 Erwirkungshandlung  243 ff., 247 f. exceptio doli  58 ff., 62 f., 65 f., 100, 109 f., 116, 166, 213, 220 f., 227, 267 –– generalis  37, 63, 65, 100, 109 f., 116, 213, 219 ff., 227, 267 –– praesentis  59, 100 –– praeteriti  59, 100 Formalismus  50, 61, 219, 233 f., 237, 266 Frankreich  71 ff., 81, 101, 123 f., 257, 260, 268 Gebot der Rücksichtnahme  90, 113 Genetische Auslegung  147 ff., 151, 192, 201, 204, 206 f., 216 Gesetzesumgehung  26, 35 f., 47, 77, 131, 165, 173 ff., 188

Haftungsprivilegierung  254 f., 262 Historische Auslegung  147, 192, 201 f., 204, 206 f., 215 f. Individuelles Rechtsmissbrauchsverbot  83, 86, 91 f., 99, 104, 106, 113, 115, 157 ff., 167 ff., 175, 179, 196, 209 ff. Institutionelles Rechtsmissbrauchsverbot  83, 86, 91 ff., 99, 104, 107, 113, 157 ff., 170 f., 175 f., 179, 203, 205, 211 Kofoed(-Entscheidung des EuGH)  78, 81 f., 228 Kostenfestsetzungsantrag  44, 203 ff., 211 Missbrauch prozessualer Befugnisse  41 ff., 49, 200 ff. Missbrauchsgebühr  56, 256 f., 260 Normprogrammgrenze  136, 138 f., 276 Österreich  69 ff., 123 f. Parteiwechsel  41 f., 200 ff., 245 Pekuniäre Rechtsfolgen  58, 71, 73, 123, 260 ff. Präjudizien  29, 146 f., 186 f. Prozesshandlung  42, 49, 70, 197, 229, 236, 239 f., 243 ff., 248, 252 Prozessrechtsverhältnis  25, 213, 217 f., 220, 249 ff. Punitive Damages  124 f. Rechtserzeugungsmodell  135 ff., 139 f., 141, 161 Rechtsfortbildung –– gesetzesimmanent  134, 158, 162 f., 165 ff., 177, 182, 187 f., 200, 217 ff. –– gesetzesübersteigend  55, 63, 131, 177 ff., 182, 200

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Rechtsinstitut  53, 85 f., 91 f., 99, 107, 118, 130, 157, 171, 178 f., 202, 246 Rechtsprinzip  53, 74, 132, 179 f., 223 Rechtsschutzbedürfnis  33 f., 49, 64, 238 ff. Sanktion  28, 56 ff., 67 ff., 124 f., 243 ff. Schikane  96, 109, 115, 121 –– verbot  61, 63, 69, 85, 108 ff., 121 f., 126 f. Schutzgesetz  121 ff., 128, 253 Schweiz  63, 67 ff., 87, 101, 110, 265, 268 Sittenwidrigkeit  35, 69, 110 ff., 116 Subsumtion  26, 137, 146, 152, 155 ff., 169, 176, 186, 193, 195, 198 f., 202, 204, 207, 209 Systematische Auslegung  144 ff., 150 Teleologische Auslegung –– objektive Theorie  149 f., 152 ff. –– subjektive Theorie  150 f., 154 f., 161 Teleologische Extension  109, 171, 202, 217 ff. Teleologische Reduktion  133, 155, 165 ff., 191 ff., 209

Treu und Glauben  25, 30, 36 ff., 46 ff., 61 ff., 65, 78, 86 f., 110 f., 132 f., 169, 179 f., 213 ff., 223 f., 229, 269 Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch  126 ff., 248 f. Unzulässige Rechtsausübung  66, 83 ff., 108, 114, 243 f., 246, 260 venire contra factum proprium  47 ff., 102 f., 196 ff., 245 Verfahrensgerechtigkeit  50, 212, 225, 229, 231, 237 f. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  78, 94 ff., 107, 222 f. Verwirkung  44 f., 47 ff., 103, 205 ff., 222 Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach §  826 BGB 63, 123 f., 258 f. Wortlautgrenze  135 ff., 140 ff., 152 f. Zuständigkeit  30 ff., 36, 62, 80, 191 ff. Zustellung  39 f., 48, 62, 198 ff., 245, 259