Rechtsgebietsübergreifende Normenkollisionen: Ein Lösungsansatz am Beispiel der Schnittstelle von Zivil- und Sozialversicherungsrecht im Gesundheitswesen. Habilitationsschrift 9783161591068, 9783161591075, 3161591062

Soll das Recht dem Sozialleben einen tragfähigen Rahmen bieten, bedarf es der Bildung eines Systems zur Vorbereitung ant

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Rechtsgebietsübergreifende Normenkollisionen: Ein Lösungsansatz am Beispiel der Schnittstelle von Zivil- und Sozialversicherungsrecht im Gesundheitswesen. Habilitationsschrift
 9783161591068, 9783161591075, 3161591062

Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen
I. Themeneinführung und Problemaufriss
II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht
1. Das Prinzip der Eigenverantwortung
2. Wirtschaftliche Aufklärung und gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen
3. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab
4. Kostendruck und Standard
III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung
1. Kollision
2. Teilrechtsgebiet/Teilrechtsordnung
a) Gewachsene Strukturen und gelebte Einteilungen – Das äußere System und die benannten Lebensbereiche als Anhaltspunkt
b) Extrapolationsfähige Zweckverfolgung – Das innere System der Rechtsordnung als taugliches Abgrenzungsmoment?
IV. Zentrale Thesen und Leitgedanken zur Gesetzesauslegung im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen
V. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes
VI. Gang der Darstellung
§ 2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis
I. Vorbemerkungen
1. Warum Rechtssoziologie?
2. Das deduktiv verfasste, induktiv lernende System
II. Die Perspektive der Sozialwissenschaften – Konfliktlage zwischen Rechtswissenschaft und Sozialforschung
III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen
1. Grundunterscheidung nach hergebrachten Rechtsgebietseinteilungen
2. Zivil- vs. Sozialrecht
3. Eingeführte Gerichtsbarkeiten
4. Leitbilder hinter den gewachsenen Strukturen
a) Markt vs. Staat
b) Der historische Blick auf das öffentliche Gesundheitssystem in Deutschland
c) Die Spannungslage im Medizinrecht de lege lata
§ 3 Methodischer Unterbau
I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen
1. Beschreibung des dogmatischen Ansatzes
2. Systemdenken als zentrale Grundlage
a) Der Systembegriff
aa) Vorbemerkung – Relevanter Blickwinkel
bb) Einheit und Ordnung – Abstrakte Grundsätze des allgemeinen Systembegriffs
cc) Systemdenken im Recht
(1) Bausteine des Rechtssystems
(2) Bausteine wissenschaftlicher Systeme
(3) Grundsätzliche Kategorisierung von Auslegungsvorschlägen und denkbare Abweichungsmuster
b) Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung
aa) Der Normwiderspruch
bb) Wertungswidersprüche
(1) Der Wertungswiderspruch – Eine Gegenstandsbetrachtung
(2) Keine Forderung der Rechtsordnung zum Gleichlauf der Teilrechtsordnungen
(a) Die Einheit der Rechtsordnung als ungeschriebenes Prinzip
(b) Der allgemeine Gleichheitssatz
(c) Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips
(d) EU-Recht
(3) Differenzierungsmöglichkeit/Differenzierungsnotwendigkeit – Eine Frage der Normanwendung und Normentwicklung
II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons sowie anerkannter Kollisionsrechtsregeln
1. Die Aufgabe der Auslegung
2. Interpretation des Rechts und judikative Rechtserzeugung
3. Die zentralen Ansätze hergebrachter Methodik der Auslegung und Anwendung
a) Gesetzgeberische Linien, ihre Grenzen und ihre Lücken – die subjektive Teleologie als demokratischer Maßstab und die objektive Teleologie als geronnene Vernunft
aa) Subjektive vs. objektive Theorie
(1) Der verfassungsrechtlich verbürgte Vorranganspruch subjektiver Teleologie
(2) Ermittlung des gesetzgeberischen Willens als Problem
(a) Der Gesetzgeber
(b) Der Weg zum Willen des Gesetzgebers
bb) Das Zirkelschlussproblem
cc) Teilrechtsgebietsübergreifende Bezüge, Zwischenfazit und Einpassung der Folgeerwägungen
b) Systematik – Das äußere und innere System
aa) Lex superior derogat legi inferiori
bb) Lex posterior derogat legi priori
cc) Lex specialis derogat legi generali
dd) Aussagegehalt des äußeren Systems der Rechtsordnung bei der systematischen Interpretation
4. Weitergehende Vorschläge zum Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen
a) Wechselseitige Auffangordnungen
b) Formelle und materielle Normrelationen – Konsistenz und Kohärenz als Leitmotive der Auslegung
c) Die Delegationstheorie des Bundesarbeitsgerichts als Erkenntnisquelle?
d) Die Doppelnormtheorie
e) Speziell für die Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht: Die Ordnungsansätze von Deinert
f) Ausstrahlungsthese und Optimierungsgebot – Sicherung praktischer Konkordanz im Recht und der Wert sorgfältigen prozeduralen Vorgehens
5. Zwischenfazit
§ 4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie – Überlegungen zwischen Theorie und Praxis
§ 5 Normenkollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts in ausgewählten Problemkomplexen
I. Vorbemerkungen
II. Das Prinzip der Eigenverantwortung
1. Grundsätzliche Erwägungen zur Kollisionslage (Vorprüfung) – Eine intransparente Gemengelage
2. Eigenverantwortlichkeitserwägungen im Sozialversicherungs- und Entgeltrecht vs. haftungsrechtliche Ansätze (1. Stufe)
a) Zivilrechtliche Anknüpfungspunkte patientenseitiger Pflichten
aa) Haftungsrechtliche Zusammenhänge der Entgeltfrage
bb) Exkurs: Zivilrechtliche Behandlungspflicht trotz Ablehnung oder Kündigung
(1) Vorgaben der Berufsordnungen
(2) Die Behandlungspflichten der Leistungserbringer im Recht der zugelassenen Krankenhäuser und im Vertragsarztrecht
(3) Behandlungspflichten nach Landeskrankenhausrecht
(4) Sonderfall: Medizinische Einrichtungen in öffentlichrechtlicher Hand
(5) Kontrahierungszwang nach allgemeinen Regeln
(6) Fortwirkende Garantenstellung und folgende Garantenpflichten
cc) Zwischenfazit
b) Eigenverantwortung im Sozialrecht
aa) Grenzen der kassenseitigen Leistungspflicht
(1) Verschuldensprinzip, Sanktionscharakter, sozialrechtliche Erziehung, Solidarprinzip
(2) Zwischenergebnis zur Eigenverantwortung der Versicherten
bb) Lastentragung
3. Die Gegenüberstellung der Metanormebenen (2. Stufe)
a) Erwägungen zum Arztrecht – Systemverständnis und Zweckrichtung
b) Prinzipien des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
c) Kollisionserwägungen auf Metaebene
4. Begleitendes Nebeneinander und wechselseitige Schonung (3. Stufe)
5. Wesentliche Ergebnisse der Diskussion um die Eigenverantwortung
III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen
1. Problembeschreibung und rechtsgebietsübergreifende Normenkollision (Vorprüfung)
2. Sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen im Kontext des § 630c Abs. 3 S. 1 BGB (1. Stufe)
a) Ausgangsnorm und Praxisproblematik
b) Wortlautinterpretation
c) Systematische Einfassung und teleologische Erwägungen
3. Die sozialversicherungsrechtliche Perspektive
a) Normstruktur und fehlende gesetzliche Erfassung der Informationsproblematik
b) Verhältnis von Krankenkassenträgern zu den Versicherten und den Leistungserbringern
c) Teleologie der Zuzahlungsverpflichtungen
d) Zwischenfazit
4. Systemerwägungen im Sozialversicherungsrecht vs. Mechanismen des zivilrechtlich regulierten Behandlungsvertrages (2. Stufe)
a) Teleologie der Metaebenen
b) Kollision der Metaebenen
5. Ausgestaltung verbindender Schnittstellen (3. Stufe)
6. Wesentliche Ergebnisse
IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab
1. Ein offenkundiges Problem kollidierender Teilrechtsordnungen (Vorprüfung)
2. Grundsatzwertungen im arztrechtlichen Standard vs. sozialversicherungsrechtliches Gefüge der Qualitätssicherung (1. Stufe)
a) Leitgedanken zu § 630a Abs. 2 BGB und dem zivilrechtlichen Haftungsansatz
aa) Der Standardbegriff nach der gesetzlichen Konzeption
bb) Judikative Wertausfüllung
cc) Vergleich der angeführten Judikatur
dd) Stellungnahme
b) Erwägungen zum GKV-System und zu den §§ 135 ff. SGB V
aa) Regelungsstruktur und die Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses
bb) Adressatenkreis des Regelungskonzepts
cc) Grundgedanken zu den §§ 2, 12, 135 ff. SGB V
dd) Sonderproblem: Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses
3. Kollidierende Metaebenen (2. Stufe)
a) Zivilrechtlicher Haftungsmaßstab und sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben als Einheit?
b) Berücksichtigungsfähigkeit der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses
4. Erkenntnisse für die konkreten Normenkollisionen – Ausstrahlungsthese (3. Stufe)
a) Sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite
b) Vorgaben des § 630h BGB
c) Beweiserhebung, Beweiswürdigung – Parallele zu Unfallverhütungsvorschriften vs. Leitlinienansatz
5. Wesentliche Ergebnisse
V. Kostendruck und Standard
1. Grundlegender Diskussionsansatz und Kollisionsfeststellung (Vorprüfung)
a) Unerkannte Eileiterschwangerschaft – Befunderhebung und Wirtschaftlichkeit
b) Ausgereiztes Budget
c) Liposuktion – Nicht anerkannte Methode mit Standardpotential
d) Nähere Beschreibung der rechtsgebietsübergreifenden Kollisionslage
2. Sozialversicherungsrechtliche Ökonomisierung des Gesundheitssektors vs. zivilrechtliches Haftungsrecht (1. Stufe)
a) Das sozialversicherungsrechtliche Qualitätsverständnis
b) Der zivilrechtliche Haftungsmaßstab
c) Kollisionserörterung – Verhaltensvorgaben aus zivil- und sozialrechtlicher Sicht
aa) Kostentragung und Schutzkonzept der Aufklärungspflichten – Keine eigenmächtige Standardunterschreitung im Zivilrecht
bb) Standardunterschreitung durch Vereinbarung
(1) Rechtsgeschäftliche Vereinbarung gemäß § 630a Abs. 2 2. HS. BGB
(a) Gesetzeswortlaut und subjektive Teleologie
(b) Hergebrachte Judikatur als Näherung der subjektiven Teleologie
(c) Weitere Ansätze
(2) Einwilligung gemäß § 630d Abs. 1 BGB – deliktische Einwilligung
cc) Grenzen der Behandlungsverweigerung ohne Modifikationen des Sorgfaltsmaßstabs – Die Parallele zum Kontrahierungszwang
dd) Zulässigkeit ökonomischer Motive
3. Die Metaebene im Kostenstreit (2. Stufe)
a) Haftungsrecht als Freiheitsrecht
b) Ergänzungen aus sozialrechtlicher Perspektive
4. Lösungsvorschläge aus kollisionsrechtlicher Sicht (3. Stufe) und wesentliche Ergebnisse
§ 6 Verfahrensrechtliche Absicherung
I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative
1. Vortragsrecht, Recht auf Rechtsgespräch und Sachverständigenbefragung
2. Besorgnis der Befangenheit
3. Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere Einlegen von Rechtsmitteln
4. Judikative Begründungspflicht
II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht
1. Revision, Nichtzulassungsbeschwerde und absolute Revisionsgründe
a) Revision und Nichtzulassungsbeschwerde
b) Erfolg des Rechtsmittels und absolute Revisionsgründe
aa) Grundsätze des Rechts auf rechtliches Gehör
bb) Die richterliche Begründungspflicht als Brücke in die fachgerichtliche Überprüfung
2. Die in der Rechtsprechung anerkannten Maßstäbe zur rügefähigen Unvollständigkeit und Unvollkommenheit von Entscheidungsgründen
3. Einpassung des Problems rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen
a) Differenzierung nach Parteiverhalten und Umfang richterlicher Begründung
b) Analyse
aa) Fallvariante (i)
(1) Grundsätzliches Gebot der Aufnahme in die Entscheidungsgründe
(2) Gehörsverletzung und erwägenswerte Zulassungsgründe
bb) Fallvariante (ii)
(1) Erfassung der Problemstellung
(2) Stellungnahme
cc) Fallvariante (iii)
dd) Fallvarianten (iv)–(vi)
§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Literatur- und Quellenverzeichnis
Sachregister

Citation preview

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 240

Jens Prütting

Rechtsgebietsübergreifende Normenkollisionen Ein Lösungsansatz am Beispiel der Schnittstelle von Zivil- und Sozialversicherungsrecht im Gesundheitswesen

Mohr Siebeck

Jens Prütting ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht und geschäftsführender Direktor des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen der Bucerius Law School Hamburg.

ISBN 978-3-16-159106-8 / eISBN 978-3-16-159107-5 DOI 10.1628/978-3-16-159107-5 ISSN 0940-9610 / eISSN 2568-8472 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Na­tio­nal­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Stempel Garamond gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Es wurde von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 als Habilitationsschrift an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen. Allem voran gilt größter Dank meinem akademischen Lehrer Marc-Philippe Weller, der mir mit Rat und Tat stets zur Seite stand und dessen unbezahlbare Freundschaft mich über die Jahre begleitet hat. Herzlich möchte ich mich auch bei den weiteren Gutachtern Markus Stoffels und Peter Axer bedanken, welche die große Mühe auf sich genommen haben, in einem kurzen Zeitraum mein Werk zu durchdringen und zu bewerten. Die hierbei erteilten konstruktiven Hinweise haben Eingang in die abschließende Schriftfassung gefunden. Und Stefan Geibel möchte ich herzlich für die Unterstützung im Rahmen der abschließen Habilitationsprüfung danken. Zudem gilt mein Dank der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung, die das Werk mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Darüber hinaus muss deutlich betont werden, dass die Zeit der Erstellung der Habilitationsschrift mit Blick auf die sonstigen zahlreichen Aufgaben und Dienstpflichten nicht ansatzweise so gut verlaufen wäre, wäre ich nicht von zahlreichen Personen unterstützt worden. Daher gilt mein besonderer Dank Paul Schirrmacher, Christian Bochmann, Sebastian Höppner, Daniel Jarzembowski, Marie-Theres Merrem, Denis Kaspras, Wiebke Winter, Tom Wolk, ­K ilian Friedrich, Alexander Heß, Yannick Klix, Mats Leverenz, Teresa Karl, Niklas Wolf, Lukas Tiling, Lena Walter, Klara Lübbers und dem Team des Lehrstuhls Weller. Zudem waren die letzten Jahre an der Bucerius Law School Hamburg von Freundschaftlichkeit und Kollegialität im Kreis der dortigen Kolleginnen und Kollegen sowie des gesamten Hochschulpersonals und der Studierenden gekennzeichnet. Ich danke dieser Hochschule und all ihren Mitgliedern für die wunderbare Atmosphäre und freundschaftlichen Verbindungen. Und schließlich standen sehr gute Freunde und eine liebende Familie zu jeder Zeit hinter mir, was durch nichts zu ersetzen ist. Mein ganz besonderer Dank gilt daher meinen Eltern, Dorothea und Hanns, meiner Schwester Christine und meiner Frau Behnush, die diesen beruflichen Werdegang und das vorliegende Werk möglich gemacht haben. Jens Prütting

Halstenbek, 26.01.2020

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen . . . . . . . . . 1 I. Themeneinführung und Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung . . . . . . . . 14 IV. Zentrale Thesen und Leitgedanken zur Gesetzesauslegung im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen . . . . . . 22 V. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . 25 VI. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis . . . . . 29 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Die Perspektive der Sozialwissenschaften – Konfliktlage zwischen Rechtswissenschaft und Sozialforschung . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen . . . . . . . . . 39

§  3 Methodischer Unterbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons sowie anerkannter Kollisionsrechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . 91

§  4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie – Überlegungen zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . 131 §  5 Normenkollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts in ausgewählten Problemkomplexen 135 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Das Prinzip der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

X

Inhaltsübersicht

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 V. Kostendruck und Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht . . . . . . . 270

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . 289 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen . . . . . . . . . 1 I. Themeneinführung und Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Das Prinzip der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Wirtschaftliche Aufklärung und gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4. Kostendruck und Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung . . . . . . . . 14 1. Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Teilrechtsgebiet/Teilrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 a) Gewachsene Strukturen und gelebte Einteilungen – Das äußere System und die benannten Lebensbereiche als Anhaltspunkt 17 b) Extrapolationsfähige Zweckverfolgung – Das innere System der Rechtsordnung als taugliches Abgrenzungsmoment? . . . 20 IV. Zentrale Thesen und Leitgedanken zur Gesetzesauslegung im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen . . . . . . 22 V. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . 25 VI. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis . . . . . 29 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Warum Rechtssoziologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Das deduktiv verfasste, induktiv lernende System . . . . . . . . 32 II. Die Perspektive der Sozialwissenschaften – Konfliktlage zwischen Rechtswissenschaft und Sozialforschung . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen . . . . . . . . . 39 1. Grundunterscheidung nach hergebrachten Rechtsgebietseinteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Zivil- vs. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Eingeführte Gerichtsbarkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4. Leitbilder hinter den gewachsenen Strukturen . . . . . . . . . . 49 a) Markt vs. Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Der historische Blick auf das öffentliche Gesundheitssystem in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 c) Die Spannungslage im Medizinrecht de lege lata . . . . . . . . 53

§  3 Methodischer Unterbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Beschreibung des dogmatischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . 59 2. Systemdenken als zentrale Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Der Systembegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 aa) Vorbemerkung – Relevanter Blickwinkel . . . . . . . . . 60 bb) Einheit und Ordnung – Abstrakte Grundsätze des allgemeinen Systembegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 cc) Systemdenken im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 (1) Bausteine des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . 64 (2) Bausteine wissenschaftlicher Systeme . . . . . . . . . 66 (3) Grundsätzliche Kategorisierung von Auslegungsvorschlägen und denkbare Abweichungsmuster . . . 67 b) Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung . . . . 71 aa) Der Normwiderspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 bb) Wertungswidersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) Der Wertungswiderspruch – Eine Gegenstandsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (2) Keine Forderung der Rechtsordnung zum Gleichlauf der Teilrechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (a) Die Einheit der Rechtsordnung als ungeschriebenes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (b) Der allgemeine Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . 83 (c) Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips . . . . . . . . . 88 (d) EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (3) Differenzierungsmöglichkeit/Differenzierungsnotwendigkeit – Eine Frage der Normanwendung und Normentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons sowie anerkannter Kollisionsrechtsregeln . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Die Aufgabe der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Interpretation des Rechts und judikative Rechtserzeugung . . . 93

Inhaltsverzeichnis

XIII

3. Die zentralen Ansätze hergebrachter Methodik der Auslegung und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Gesetzgeberische Linien, ihre Grenzen und ihre Lücken – die subjektive Teleologie als demokratischer Maßstab und die objektive Teleologie als geronnene Vernunft . . . . . . . . 97 aa) Subjektive vs. objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 97 (1) Der verfassungsrechtlich verbürgte Vorranganspruch subjektiver Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (2) Ermittlung des gesetzgeberischen Willens als Problem 99 (a) Der Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (b) Der Weg zum Willen des Gesetzgebers . . . . . . 101 bb) Das Zirkelschlussproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Teilrechtsgebietsübergreifende Bezüge, Zwischenfazit und Einpassung der Folgeerwägungen . . . . . . . . . . . 107 b) Systematik – Das äußere und innere System . . . . . . . . . . 108 aa) Lex superior derogat legi inferiori . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Lex posterior derogat legi priori . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Lex specialis derogat legi generali . . . . . . . . . . . . . . 113 dd) Aussagegehalt des äußeren Systems der Rechtsordnung bei der systematischen Interpretation . . . . . . . . . . . 114 4. Weitergehende Vorschläge zum Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Wechselseitige Auffangordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Formelle und materielle Normrelationen – Konsistenz und Kohärenz als Leitmotive der Auslegung . . . . . . . . . . . . 120 c) Die Delegationstheorie des Bundesarbeitsgerichts als Erkenntnisquelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 d) Die Doppelnormtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) Speziell für die Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht: Die Ordnungsansätze von Deinert . . . . . . . . . . . . . . . 125 f) Ausstrahlungsthese und Optimierungsgebot – Sicherung praktischer Konkordanz im Recht und der Wert sorgfältigen prozeduralen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

§  4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie – Überlegungen zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . 131

XIV

Inhaltsverzeichnis

§  5 Normenkollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts in ausgewählten Problemkomplexen 135 I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Das Prinzip der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Grundsätzliche Erwägungen zur Kollisionslage (Vorprüfung) – Eine intransparente Gemengelage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Eigenverantwortlichkeitserwägungen im Sozialversicherungsund Entgeltrecht vs. haftungsrechtliche Ansätze (1. Stufe) . . . . 141 a) Zivilrechtliche Anknüpfungspunkte patientenseitiger Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 aa) Haftungsrechtliche Zusammenhänge der Entgeltfrage . . 141 bb) Exkurs: Zivilrechtliche Behandlungspflicht trotz Ablehnung oder Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Vorgaben der Berufsordnungen . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Die Behandlungspflichten der Leistungserbringer im Recht der zugelassenen Krankenhäuser und im Vertragsarztrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (3) Behandlungspflichten nach Landeskrankenhausrecht 151 (4) Sonderfall: Medizinische Einrichtungen in öffentlichrechtlicher Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (5) Kontrahierungszwang nach allgemeinen Regeln . . . 154 (6) Fortwirkende Garantenstellung und folgende Garantenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Eigenverantwortung im Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Grenzen der kassenseitigen Leistungspflicht . . . . . . . 160 (1) Verschuldensprinzip, Sanktionscharakter, sozialrechtliche Erziehung, Solidarprinzip . . . . . . 161 (2) Zwischenergebnis zur Eigenverantwortung der Versicherten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Lastentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Die Gegenüberstellung der Metanormebenen (2. Stufe) . . . . . . 167 a) Erwägungen zum Arztrecht – Systemverständnis und Zweckrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Prinzipien des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung 170 c) Kollisionserwägungen auf Metaebene . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Begleitendes Nebeneinander und wechselseitige Schonung (3. Stufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5. Wesentliche Ergebnisse der Diskussion um die Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

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XV

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Problembeschreibung und rechtsgebietsübergreifende Normenkollision (Vorprüfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen im Kontext des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB (1. Stufe) . . . . . . . . . . 175 a) Ausgangsnorm und Praxisproblematik . . . . . . . . . . . . . 175 b) Wortlautinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Systematische Einfassung und teleologische Erwägungen . . 177 3. Die sozialversicherungsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . 184 a) Normstruktur und fehlende gesetzliche Erfassung der Informationsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Verhältnis von Krankenkassenträgern zu den Versicherten und den Leistungserbringern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Teleologie der Zuzahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . 188 d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Systemerwägungen im Sozialversicherungsrecht vs. Mechanismen des zivilrechtlich regulierten Behandlungsvertrages (2. Stufe) . . 189 a) Teleologie der Metaebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Kollision der Metaebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5. Ausgestaltung verbindender Schnittstellen (3. Stufe) . . . . . . . 192 6. Wesentliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Ein offenkundiges Problem kollidierender Teilrechtsordnungen (Vorprüfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Grundsatzwertungen im arztrechtlichen Standard vs. . . . . . . sozialversicherungsrechtliches Gefüge der Qualitätssicherung (1. Stufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Leitgedanken zu §  630a Abs.  2 BGB und dem zivilrechtlichen Haftungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 aa) Der Standardbegriff nach der gesetzlichen Konzeption . 196 bb) Judikative Wertausfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Vergleich der angeführten Judikatur . . . . . . . . . . . . 201 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Erwägungen zum GKV-System und zu den §§  135 ff. SGB V . 203 aa) Regelungsstruktur und die Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Adressatenkreis des Regelungskonzepts . . . . . . . . . . 206 cc) Grundgedanken zu den §§  2, 12, 135 ff. SGB V . . . . . . 207 dd) Sonderproblem: Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

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3. Kollidierende Metaebenen (2. Stufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Zivilrechtlicher Haftungsmaßstab und sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben als Einheit? . . . . . . . . . . . . 213 b) Berücksichtigungsfähigkeit der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Erkenntnisse für die konkreten Normenkollisionen – Ausstrahlungsthese (3. Stufe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite . . . . . . . . 216 b) Vorgaben des §  630h BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 c) Beweiserhebung, Beweiswürdigung – Parallele zu Unfallverhütungsvorschriften vs. Leitlinienansatz . . . . . . 220 5. Wesentliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 V. Kostendruck und Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Grundlegender Diskussionsansatz und Kollisionsfeststellung (Vorprüfung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Unerkannte Eileiterschwangerschaft – Befunderhebung und Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Ausgereiztes Budget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Liposuktion – Nicht anerkannte Methode mit Standardpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Nähere Beschreibung der rechtsgebietsübergreifenden Kollisionslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Sozialversicherungsrechtliche Ökonomisierung des Gesundheitssektors vs. zivilrechtliches Haftungsrecht (1. Stufe) . 231 a) Das sozialversicherungsrechtliche Qualitätsverständnis . . . 231 b) Der zivilrechtliche Haftungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Kollisionserörterung – Verhaltensvorgaben aus zivil- und sozialrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Kostentragung und Schutzkonzept der Aufklärungspflichten – Keine eigenmächtige Standardunterschreitung im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Standardunterschreitung durch Vereinbarung . . . . . . 239 (1) Rechtsgeschäftliche Vereinbarung gemäß §  630a Abs.  2 2. HS. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 241 (a) Gesetzeswortlaut und subjektive Teleologie . . . . 242 (b) Hergebrachte Judikatur als Näherung der subjektiven Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (c) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Einwilligung gemäß §  630d Abs.  1 BGB – deliktische Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

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cc) Grenzen der Behandlungsverweigerung ohne Modifikationen des Sorgfaltsmaßstabs – Die Parallele zum Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 dd) Zulässigkeit ökonomischer Motive . . . . . . . . . . . . . 253 3. Die Metaebene im Kostenstreit (2. Stufe) . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Haftungsrecht als Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Ergänzungen aus sozialrechtlicher Perspektive . . . . . . . . 258 4. Lösungsvorschläge aus kollisionsrechtlicher Sicht (3. Stufe) und wesentliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Vortragsrecht, Recht auf Rechtsgespräch und Sachverständigenbefragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Besorgnis der Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 3. Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere Einlegen von Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 4. Judikative Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht . . . . . . . 270 1. Revision, Nichtzulassungsbeschwerde und absolute Revisionsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Revision und Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . 270 b) Erfolg des Rechtsmittels und absolute Revisionsgründe . . . 271 aa) Grundsätze des Rechts auf rechtliches Gehör . . . . . . . 272 bb) Die richterliche Begründungspflicht als Brücke in die fachgerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Die in der Rechtsprechung anerkannten Maßstäbe zur rügefähigen Unvollständigkeit und Unvollkommenheit von Entscheidungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Einpassung des Problems rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Differenzierung nach Parteiverhalten und Umfang richterlicher Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Fallvariante (i) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (1) Grundsätzliches Gebot der Aufnahme in die Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Gehörsverletzung und erwägenswerte Zulassungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 bb) Fallvariante (ii) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

XVIII

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(1) Erfassung der Problemstellung . . . . . . . . . . . . . 283 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 cc) Fallvariante (iii) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 dd) Fallvarianten (iv)–(vi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . 289 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen I. Themeneinführung und Problemaufriss „Einheit der Rechtsordnung“ – Unter dieser Überschrift schwelt seit vielen Jahren ein Streit in der Rechtswissenschaft über den Umgang mit einander in Widerspruch stehenden Rechtsnormen.1 Während es Überlegungen gibt, die unter diesem und ähnlichen terminologischen Ansätzen ein allumfassendes einheitliches System der Kollision von Rechtsnormen erwägen,2 dürfte es heute mit Blick auf die Vielgestaltigkeit der zu regelnden Materien überwiegende Ansicht sein, dass allein die vier klassischen Auslegungskriterien 3 und Geltungserwägungen4 der Komplexität rechtlicher Zusammenhänge nicht gerecht werden können.5 Gleichwohl ist diese Erkenntnis nicht geeignet, um Systemdenken zu Gunsten eines unüberschaubaren Konvoluts nebeneinanderstehender Einzelfallentscheidungen in den Hintergrund treten zu lassen oder vollständig aufzugeben. 6 Systemdenken im Recht bietet weit mehr, als die Kritiker entsprechender Ansätze mit ihren diskussionswürdigen Einwänden anerkennen wollen.7 1 Grundlegend Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  53 mit der Aussage: „Es kann nicht dasselbe Verhalten zugleich verboten und geboten oder verboten und erlaubt sein“. Was aus diesem Ansatz jedoch folgen soll, ist in höchstem Maße strittig, vgl. die monographische Behandlung bei Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998. 2  So etwa zur Einwilligungslehre Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  109, 110 ff. mwN. 3 Grundlegend von Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  I , 1840, S.  213 ff. S.a. Bumke, JZ 2014, 641, 646 f.; Adomeit, Jahrbuch Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd.  II, 1972, S.  503 ff.; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  31 f. 4  Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S.  51. Demgegenüber muss für den Begriff der Rechtsnorm der Geltungsanspruch als wesentliches Charakteristikum vorausgesetzt werden, grundlegend Alexy, a. a. O., S.  47; s. a. Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  23, 24 ff., 31 f. 5  Für die Einteilung von Zivil-, Straf- und öffentlichem Recht unter Hinzuziehung rechtssoziologischer Betrachtung treffend Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt – Plädoyer für ihre intradisziplinäre Relationierung und Relativierung, in: FS Stürner 2013, S.  917, 929 f. 6  Den grundlegenden Wert des Systemdenkens für das Ziel eines gerechten Rechts betont Stürner, AcP 214 (2014), 7, 11. 7  Ehrlich, Die juristische Logik, 1918, S.   136 ff. Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S.  1, 36 f.; ders., Die Verwaltung, Beiheft 10 (2010), S.  179, 194 ff.; ders., Der Staat 52 (2013), S.   157, 184 f.; Möllers, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-­ Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR, Bd.  I, 2012, §  3 Rn.  36 f.; ders., in: FS Battis, 2014, S.  101 ff., 116.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

Die stete Möglichkeit, ein bereichsspezifisch genutztes System auf seine Konsistenz8 , seine Begründbarkeit9, seine Bestandteile mit Blick auf Einheit (inkludierendes Element)10 und Ordnungskriterien (strukturierendes Element)11 sowie seine Belastbarkeit gegenüber Angriffen hin zu analysieren und entsprechend zu argumentieren, bildet im Kontext von Rechtsverständnis zusammen mit einem geordneten, rechtsstaatlichen Maximen genügenden Verfahren eine Gewähr dafür, eigene Belange effektiv verteidigen und verfolgen zu können.12 Sie ist damit bedeutsamer Teil individueller Freiheit und Voraussetzung des Gelingens eines geordneten und funktionalen Soziallebens.13 Eine „Richtigkeitsgewähr“ hinsichtlich des Ergebnisses im Einzelfall14 – also bei der konkreten Normanwendung in einem spezifischen Streit – wird es ebenso wenig geben können15 wie die Erfüllung des Desiderats einer perfekten, in sich schlüssigen und allseits gerechten Rechtslage, die abstrakt-generell Gültigkeit beanspruchen würde.16 Systemdenken im Recht und rund um alle relevanten Aspekte der Rechtsanwendung ist jedoch – neben der nicht erreichbaren Vorstellung der optimal gerechtigkeitsorientierten Entscheidungsinstanz im Einzelfall – der zen­ trale Hoffnungsträger, wenn es um transparente und alle schutzwürdigen Interessen einbeziehende Ergebnisse der praktischen Rechtsanwendung geht.17 8  Auf Basis der sinnvollen Grundunterscheidung von Rechtssätzen und wissenschaftlichen Sätzen Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  38 ff., 64 ff. 9 Hierzu Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S.   318, 320 ff.; Klement, Verantwortung, 2006, S.  39 f., 43 f., 91. 10  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  9 f. 11  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  10 f. 12  Die Schwierigkeit umfassender Systemwürdigung zeigt sich jüngst besonders deutlich bei dem eingehenden Versuch einer Maßstabsbildung zum Rechtfertigungsprinzip durch Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip, 2014, passim. 13  Vgl. hierzu Stürner, AcP 214 (2014), 7, 11 mwN. 14  Vgl. hierzu Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S.  488; ders., ZfA 2002, 215, 221 ff. 15  Vgl. BVerfGE 95, 28, 38 = NJW 1997, 386; 119, 247, 274 = NVwZ 2007, 1359; Gusy, JöR 55 (2007), 41, 58; so auch schon Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S.  346 ff.; in diese Richtung auch Häberle, AöR 102 (1977), S.  27, 36 f.; Schlink, Der Staat 19 (1980), 73, 105. Eine Besprechung zu der nur auf den ersten Blick gegenteiligen Ansicht von Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S.  47 ff. bietet Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  31 Fn.  84. 16  Dieser Zustand ist schon deshalb nicht zu erreichen, weil seine zentrale Prämisse, die Bestimmung des exakten Inhalts des Konzepts „Gerechtigkeit“ nicht geklärt werden kann. An Versuchen fehlt es freilich nicht, vgl. die Übersichten bei Mieth/Neuhäuser/Pinzani, in: Goppel/Mieth/Neuhäuser (Hrsg.), Handbuch der Gerechtigkeit, 2016, S.  20 ff. und Hartmann, a. a. O., S.  60 ff. Einzelne Gerechtigkeitskonzeptionen werden sodann a. a. O., S.  182 ff. vorgestellt. 17  In diesem Kontext sind auch die Ausführungen von Rüthers, JZ 2006, 53, 60 von Bedeutung, der zutreffend einen wirklichkeitsnahen Methodenrealismus anmahnt.

I. Themeneinführung und Problemaufriss

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Dass ein gewünschter Optimalzustand nicht zu erreichen ist, kann jedoch kein Argument gegen fortgesetzte Entwicklungsbemühungen in dessen Richtung sein. Das Grundsatzproblem tritt bei jeder Normanwendung auf, deren materieller Inhalt respektive extrapolationsfähiger Rechtssatz nicht eindeutig ist. Dies ist allerdings weniger Ausnahme denn Regelfall, da Inhalt und Grenzen von Rechtsnormen überwiegend Interpretationsspielraum belassen und auch der Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen vielfach nur bedingt weiterzuhelfen vermag.18 Dies beruht darauf, dass Probleme der in Streit stehenden Vorschrift entweder nicht (oder nicht in dieser Form) bedacht worden sind oder aber sich ein eindeutiger gesetzgeberischer Wille kaum belastbar herleiten lässt,19 was viele Ursachen haben kann.20 Gleichwohl beanspruchen die Erwägungen zur subjektiven Teleologie vor dem Hintergrund von Art.  20 Abs.  3, 97 GG einen besonderen Stellenwert bei jeder Norminterpretation und verlangen zur Vermeidung unzulässiger Selbstermächtigung21 des Normanwenders auch in vorab nicht bedachten Konstellationen eine bestmögliche Nähe zum gesetzgeberischen Willen.22 Ein Beispiel mag §  2 BGB sein, wenn es um den unvollständigen Rechtssatz23 der definitorischen Bestimmung der Volljährigkeitsgrenze geht und wie diese in praxi zu verstehen ist. Wobei der juristische Laie selbst an dieser Stelle mit Blick auf die Begrifflichkeit der „Vollendung“24 des 18. Lebensjahres seine Schwierigkeiten haben mag, was sich jedoch in einem fachlichen Diskurs rasch auflösen lassen sollte. Anders sieht es bereits mit Fragen der korrekten Bestimmung der „erforderliche[n] Sorgfalt“25 aus, wie diese in §  276 Abs.  2 BGB aufgenommen und in §  630a Abs.  2 BGB mit dem Begriff des „Standards“26 für Tätigkeiten im Rahmen eines Behandlungsvertrages präzisiert wird. Ein solcher Terminus ist schon im Rahmen der reinen Normlektüre schwer zu fassen. Der Komplexitätsgrad wird gesteigert, wenn andere Vorschriften ihrem Wortlaut und extrapola18  Vgl. statt vieler den deutlichen Ansatz bei Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S.  120 ff. zu den Verständnisansätzen bei terminologischen Ergänzungen. 19 Hierzu Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, 1989, S.  255 ff., 300 ff.; Gusy, JZ 1991, 213, 217. 20  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  31 Fn.  84. 21 Vgl. Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, 2012, S.  85, 110. Näher hierzu §  3, I. 2. a) cc). 22 Vgl. Fischer, ZfA 2002, 215, 223 f. Ausführlich hierzu unter §  3, II. 1.-3. 23 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, Rn.  129; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd.  I, 1894, S.  71 f., 87 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.  Aufl. 1991, S.  257 f. 24 Zur Präzisierungsnotwendigkeit auch unter Rechtswissenschaftlern und Anwendern selbst mit Blick auf eine solch simpelgestrickte unvollständige Rechtsnorm, vgl. BeckOK/ Bamberger, BGB, 47. Ed. 2018, §  2 Rn.  5. 25  Vgl. die Literaturübersicht bei MüKo/Grundmann, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  276 vor Rn.  1. 26  Ausführlich zur Terminologie und dem dahinterstehenden Konzept BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  146 ff. mwN.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

tionsfähigen Inhalt gemäß dafür in Betracht kommen, die genannten Rechtsnormen zu beeinflussen, sei es durch Modifikation, durch Wertausfüllung, im Wege der Ergänzung oder auch Verdrängung.27 Dabei haben sich innerhalb der bisherigen rechtswissenschaftlichen Erörterung und rechtspraktischen Umsetzung noch weithin tragfähige Analyse- und Entscheidungsfindungskriterien aufzeigen lassen, wenn solche Kollisionsnormen aus demselben Teilrechtsgebiet stammen, dem die interpretationsbedürftige Vorschrift angehört.28 So ist §  630a Abs.  2 BGB mit seiner Beschreibung des „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ eine Präzisierung der Erfordernisse des §  276 Abs.  2 BGB, welcher im Anwendungsbereich von §  630a Abs.  2 BGB keinen weitergehenden Erkenntniswert liefert und daher auch mit Blick auf seine systematische Stellung im Allgemeinen Schuldrecht keine Relevanz zeitigt.29 Die Erörterung könnte um die Anwendung des gesamten Methodenkanons ausgeweitet und mit zahlreichen interdisziplinären Erwägungen bestückt werden, was letztlich zum selben Ergebnis führen würde. Die nachfolgende Analyse widmet sich daher auf der abstrakten Systemebene und auch im Hinblick auf einen umgrenzten Bereich auf der konkreten Normanwendungsebene den bis heute weithin ungelösten Problemlagen, die zum Vorschein kommen, wenn Vorschriften verschiedener Teilrechtsgebiete kollidieren,30 deren Gesamtkonzeption nicht aufeinander abgestimmt ist.31

II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht Besonders für die vorliegende Untersuchung geeignet und mit Blick auf die bestehenden Unsicherheiten von Relevanz für die Rechtspraxis ist die Schärfung 27 Hierzu Barczak, JuS 2015, 969 ff. Instruktiv für den Bereich der IPR-rechtlichen Anpassung MüKo/v. Hein, Einleitung zum IPR, 7.  Aufl. 2018, Rn.  245 ff. 28 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3.  Aufl. 1995, S.  141 ff., 145 ff. 29 BT-Drucks. 17/10488, S.   19, wo allerdings von „ergänzen“ mit Blick auf §  276 Abs.  2 BGB die Rede ist, was nach zutreffender Kritik jedoch keinen erhellenden Wert in sich trägt, vgl. Katzenmeier, MedR 2012, 576, 579. 30  Zu den Definitionen §  1, III. 31  Zum Problem bereits J. Prütting, MedR 2018, 291 ff.; Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  257 ff. Versuche der Schaffung einer solchen Grundsatzdogmatik finden sich im Aufsichtsrecht für Banken und Kapitalmarkt, vgl. Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluss, 1989, S.  7 f.; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, 2001, S.  185 ff.; Rothenhöfer, in: Baum/Hellgardt/Fleckner/Roth (Hrsg.), Perspektiven des Wirtschaftsrechts, Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung, 2008, S.  55 ff.; Podewils/Reisich, NJW 2009, 119 f.; Preuße/Schmidt, BKR 2011, 270; Assmann/Schneider/ Koller, WpHG, 6.  Aufl. 2012, vor §  31 Rn.  3; Herresthal, ZIP 2013, 1055 f.; Forschner, Wechselwirkungen zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht, 2013, S.  134, 140 ff.; Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 5.  Aufl. 2017, §  17 Rn.  37; Fuchs/Fuchs, WpHG, 2.  Aufl. 2016, vor §§  31 ff. Rn.  79 ff.

II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht

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und Koordinierung von Rechtsnormen des Zivil- und des Sozialversicherungsrechts im Bereich des Gesundheitswesens. Vier spezifische Problembereiche mögen dies verdeutlichen und damit zugleich in das Thema einführen.

1. Das Prinzip der Eigenverantwortung §  1 SGB V betont in S.  3 die Eigenverantwortlichkeit der Versicherten für ihre Gesundheit, die sowohl die Prävention als auch das Verhalten im Krankheitsfall betreffen soll.32 Die Vorschrift wird von Gesetzgeber und Literatur als „Einweisungsnorm“33 bezeichnet. Sie bildet mithin einen Programm-, weniger einen klaren Rechtssatz, den Versicherte in Umsetzung befolgen müssten oder für welchen der Versicherungsträger oder Dritte Versicherte zur Verantwortung ziehen könnten. So wird auch überwiegend gefolgert, dass die Nichtbeachtung keine sozial(versicherungs)rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehe,34 wobei Ausnahmen durchaus zur Diskussion stehen.35 Schärfer kommt der Gedanke der Eigenverantwortung in den §§  27 Abs.  2, 52, 52a SGB V und 60 ff. SGB I zum Tragen, wobei die Rechtspraxis im Hinblick auf die Tragbarkeit der Leistungskürzung und Nachweisbarkeit von Krankheitskausalitäten zurückhaltend ist, wenn es um die Anwendung dieser Vorschriften geht.36 Ungeklärt ist demgegenüber die Frage, wie das sozialversicherungsrechtliche Eigenverantwortungsprinzip im Kontext zivilrechtlichen Haftungsrechts zu lesen und zu bewerten ist. Dabei sind unterschiedliche Konstellationen denkbar. So könnten unverantwortlicher Umgang mit der eigenen Gesundheit und damit Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Ansätze mit ärztlichem Fehlverhalten zusammentreffen und innerhalb etwaiger Complianceverstöße37 gemäß §§  630c Abs.  1, 254 BGB gegenüber der Arzthaftung nach den §§  630a, 280 Abs.  1 BGB oder im Rahmen der haftungsbegründenden objektiven Zurechnung Berücksichtigung finden.38 Rechtlich deutlich komplexer ist allerdings der Fall, wenn 32 Hierzu

Becker/Kingreen, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  1 Rn.  7 f. BT-Drucks. 18/4282; S.a. BeckOK/Geene/Heberlein, SGB V, 50. Ed. 2018, §  1 Rn.  2. 34  So schon Zipperer, BABl.  4/1989, 4, 5. 35 BeckOK/Geene/Heberlein, SGB V, 50. Ed. 2018, §  1 Rn.  14 f. 36  Süß, Die Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter unter besonderer Berücksichtigung der Risiken wunscherfüllender Medizin, 2014; Mihm, NZS 1995, 7; Rompf, SGb 1997, 105. Zur Kritik an der verfassungsrechtlichen Tragfähigkeit Bernzen, MedR 2008, 549. Für die Privatversicherungswirtschaft zentral BGH, VersR 2016, 720. Die Rechtsprechung zeigt hier die besondere Zurückhaltung bei Annahme etwaiger vorsätzlicher Selbstschädigung. 37  Zum in der Gerichtspraxis schweren Stand des Einwands eines patientenseitigen Complianceverstoßes BGHZ 96, 98, 100 = NJW 1986, 775; BGH, VersR 1997, 449, 450; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611, 612; OLG Stuttgart, NJW-RR 2002, 1544; Spickhoff, NJW 2003, 1701, 1706 f. 38  Dieser Frage wird in der ausführlichen Analyse unter §  5 II. letztlich keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt, da Haftungsrecht und Sozialversicherungsrecht insoweit keine Schnittmengen aufweisen, die eine relevante wechselseitig modifizierende Beeinflussung be33 

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

durch patientenseitiges Fehlverhalten die Notwendigkeit einer erweiterten Heilbehandlung hervorgerufen wird, der sozialversicherungsrechtlich jedoch keine Erhöhung der Vergütung gegenübersteht (so insbesondere im Rahmen der Verlängerungsnotwendigkeit von Krankenhausaufenthalten/-behandlungen bei erschöpften DRGs (diagnosis related groups)). Dies verlangt nach Erwägungen, ob solche Mehrkosten der Behandlungsseite dem Patienten in Rechnung gestellt werden dürfen, was allem voran unter dem Blickwinkel der Vertrags­pflicht­verletzung oder mit Blick auf eine selbst zu zahlende Behandlungserweiterung betrachtet werden könnte. Der zuletzt genannte Ansatz könnte aber wiederum mit den besonderen Form- und Aufklärungspflichten für individuelle Gesundheitsleistungen konfligieren. Schließlich stellt sich die Frage, ob Verantwortlichkeitseinschränkungen nach zivilrechtlichen Grundsätzen auch in der sozialversicherungsrechtlichen Ressourcenverteilung Konsequenzen haben können und dürfen oder ob insoweit von einer strikten Trennung der wirtschaftlichen und rechtlichen Teilbereiche ausgegangen werden muss. Im Rahmen steigender Kosten im Gesundheitssektor39 sind diese Fragen von zunehmender Relevanz. Abstrakt – ungeachtet des speziellen Zusammenhangs von Zivil- und Sozialversicherungsrecht – seien hierzu die treffenden Worte von Auer zur Erfassung des Individuums im sozialen Gefüge zitiert: „Der Mensch muss sich in der modernen Gesellschaft als Individuum definieren, gerade weil es kein singuläres gesellschaftliches Funktionssystem mehr gibt, das ihn als Gesamtperson in die Gesellschaft inkludiert. Es sind die Mosaiksteine der divergierenden Bereichslogiken unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme mit ihren jeweils unterschiedlichen Anschlussbedingungen, die den Menschen als Individuum konditionieren.“40

Dieses Individuum tritt denn auch einerseits im haftungsrechtlichen Gefüge dem Behandler als Vertragspartner gegenüber und erscheint andererseits als zur Eigenverantwortung und Gesunderhaltung zu erziehender Part der Solidargemeinschaft im Krankenversicherungssystem,41 in welches die Behandlungsseite als Leistungserbringer über Gesamtverträge eingebunden und mit dem System des SGB V in ein komplexes Gefüge integriert ist,42 welches eigenständige Ideen­ansätze zur Disziplinierung seiner Teilnehmer kennt, die nicht auf das bürgerlich-rechtliche System abgestimmt sind. gründen könnten. Das Beispiel dient somit nur dem Grundfall begleitenden Nebeneinanders der Teilrechtsgebiete. 39  Die Gesundheitsausgaben werden für das Jahr 2017 auf 374,2 Milliarden Euro geschätzt, vgl. destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Gesundheitsausgaben/Ge sundheitsausgaben.html (Abrufdatum: 16.09.2018). 40  Auer, Der privatrechtliche Diskurs der Moderne, 2014, S.  5 4. 41  BSG, NJW 2010, 1993 Rn.  19 ff. mwN. 42  Vgl. BVerfGE 11, 30 (Kassenarzt-Urteil) = NJW 1960, 715.

II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht

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2. Wirtschaftliche Aufklärung und gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen Als weiterer Kollisionsbereich sei folgende Frage formuliert: Erfasst die vertragliche Pflicht wirtschaftlicher Aufklärung, wie diese heute in §  630c Abs.  3 S.  1 BGB normiert ist, auch die Fälle gesetzlich angeordneter Zuzahlungsverpflichtungen bei gesetzlich versicherten Patienten im Sinne der §§  43c, 61 SGB V (so etwa im Fall der Abgabe von Heilmitteln, Bädern, Massagen oder Krankengymnastik gemäß §  32 Abs.  2 S.  1 und 2 SGB V)? Hat also die jeweilige Behandlungsseite iSd §  630a BGB vor Verschreibung und Veranlassung der Maßnahme den Patienten darüber aufzuklären, dass dieselbe Kosten bedeutet? §  630c Abs.  3 S.  1 BGB geht auf die hergebrachten Rechtsprechungsgrundsätze zur wirtschaftlichen Aufklärung43 zurück und zeitigt bei erfülltem Tatbestand die Rechtsfolge der Schadensersatzverpflichtung der Behandlungsseite gegenüber dem Patienten wegen Nebenpflichtverletzung.44 Die Höhe entspricht nach der Rechtsprechung dem Kostenanteil, über welchen der Patient hätte belehrt werden sollen, so dass der Patient diesen Anteil zur Aufrechnung bringen kann und damit letztlich das Honorar nicht entrichten muss.45 In der ambulanten Praxis ist bislang keine ständige wirtschaftliche Aufklärungspraxis hinsichtlich Zuzahlungsverpflichtungen ersichtlich.46 Die jeweilige Behandlungsseite beruft sich überwiegend darauf, dass Zuzahlungen von Gesetzes wegen geschuldet seien und der Patient – anders als etwa bei IGeL-Leistungen – „sowieso“ zahlen müsse,47 wohinter sich das Argument zu verstecken scheint, dass gesetzlich angeordnete Zahlungsverpflichtungen in jenen Bereich fallen sollen, über den der Patient sich selbst informieren möge und der diesen gerade unabhängig von Belehrungspflichten des Leistungserbringers treffen solle. In wenigen Fällen wird von der befragten Behandlungsseite auch ausgeführt, man sei nur Zahlstelle48 und müsse den vereinnahmten Zuzahlungsanteil ohnehin weiterleiten, weil sich andernfalls die Krankenkasse das Geld autonom besor-

43 

Vgl. BGH, NJW 1983, 2630; 2000, 3429. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 mVa. BGH, NJW 2000, 3429. 45  Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2004, 1608; OLG Stuttgart, VersR 2013, 583. 46 Soweit ersichtlich, existieren demgegenüber im stationären Sektor in nennenswerter Zahl vorgefertigte Formulare, die auch den Hinweis auf Zuzahlungsverpflichtungen enthalten. Auch hier kann aber keinesfalls von lückenloser Aufklärung des Patienten gesprochen werden. 47  Diese Reaktion ergab sich im Rahmen einer telefonischen Erörterung durch den Verfasser bei insgesamt 47 von 54 befragten Physiotherapiepraxen im Zeitraum vom 01. November–14. Dezember 2017. 48  Dies hat auch das BSG mit eben der Formulierung „Einzugs- bzw. Inkassostelle“ so gesehen, vgl. BSG, NJW 2010, 1993. 44 

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

ge.49 Die Krankenkassen – befragt wurden Mitarbeiter der AOK 50 und der KKH Allianz51 – scheinen das Prinzip wirtschaftlicher Aufklärung bislang nicht in ihre Vorgehenserwägungen einbezogen zu haben und gaben in der Erörterung an, dass sie einerseits den – nunmehr erstmals zur Kenntnis genommenen – §  630c Abs.  3 S.  1 BGB im Bereich sozialversicherungsrechtlich angeordneter Zuzahlungsverpflichtungen nicht für anwendbar hielten und dass es außerdem nicht Sache des Krankenkassenträgers sein könne, die jeweilige Behandlungsseite zu einer wirtschaftlichen Aufklärung anzuhalten oder diese zu überwachen. Das übliche Herangehen des Rechtspraktikers wird auf Basis der Problembeschreibung nunmehr unvermittelt in den Auslegungs- und Abwägungsprozess führen und ein Ergebnis in die eine oder andere Richtung hervorbringen. Dabei ist dem jeweiligen Rechtspraktiker zumeist nur in engen Grenzen oder ggfls. nicht bewusst, dass schon seine eigene Vorprägung als Zivil- oder Sozialrechtler, als Spieler des Sozialversicherungssystems oder als Entscheidungsinstanz im Zivilrechtsstreit wesentlichen Einfluss auf das zu erwartende Auslegungsergebnis bedeutet.52 Zudem leitet die unmittelbare Betrachtung der Normenkollision potentiell in die Irre, da es an einer Betrachtung des Systems und der Funktionalität beider betroffener Teilrechtsordnungen fehlt. Während der Zivilrechtler mit angelernter Sicherheit belastbare Kenntnisse über Ausgleichsmechanismen bei Vertragspflichtverletzungen, Risikozuweisungselemente und auszugleichende Informationsgefälle in die Betrachtung einbringt, liegt es dem Sozialrechtler nahe, Erziehungs- und Finanzierungsgedanken im komplexen System der Sozialversicherung in die Argumentation einzupflegen sowie Art und Reichweite der wechselseitigen Pflichtzuweisungen und strukturellen Beziehungen zwischen Versicherer, Leistungserbringer und Versicherungsnehmer adäquat zu würdigen. Es fehlt ein Procedere, das zur Einbeziehung dieser entscheidungsrelevanten Aspekte anhält.

49  Diese Antwort boten die übrigen 7 von 54 durch den Verfasser befragten Physiotherapiepraxen im Zeitraum vom 01. November–14. Dezember 2017 an. Natürlich handelt es sich bei der befragten Stichprobe lediglich um einen minimalen Ausschnitt der insgesamt in Deutschland rund 189.000 gemeldeten Physiotherapeuten, vgl. https://www.physio-deutsch land.de/fileadmin/data/bund/news/pdfs/Faktenblatt_Physiotherapie_2017 (Abrufdatum: 12.09.2019), jedoch erscheint die Erkenntnis signifikant, dass innerhalb der Stichprobe nicht ein Ansatz geliefert worden ist, dass §  630c Abs.  3 S.  1 BGB beachtlich sein könnte. 50  Befragung durch den Verfasser in der Zeit vom 13. Oktober–25. Oktober 2017. 51  Befragung durch den Verfasser in der Zeit vom 26. September–13. Oktober 2017. 52  Ausführlich hierzu unter §  2 III 2, 3.

II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht

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3. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab53 Ein bislang in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung ebenfalls wenig beachteter Schnittstellenbereich findet sich im Kern der Behandlungsfehlerdogmatik, die zusammen mit der Aufklärungsrüge das Zentrum der Arzthaftung bildet. Ein Behandlungsfehler ist danach die nicht durch medizinische oder durch zulässige Patientenwünsche (§  630a Abs.  2 BGB) induzierte Unterschreitung des Standardniveaus in der jeweiligen Behandlungssituation.54 „Standard in der Medizin repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“55 Ungeachtet dieser mit Abgrenzungsschwierigkeiten und Unschärfen besetzten Definition56 des erforderlichen Sorgfaltsniveaus sowie der prozeduralen57 und materiellrechtlich 58 zutreffenden Bestimmung im Streitfall existieren auch – neben den schon angerissenen wirtschaftlichen Einflüssen – spezifische Beschreibungs- und Anforderungsmodelle im SGB V, die weder in der Haftungsrechtsprechung der Zivilgerichte noch in der zugehörigen Literatur derzeit ernsthaft rezipiert werden. Wesentlicher Ansatz sind die Bestimmungen der §§  136 ff. SGB V, durch welche der Gesetzgeber Qualitätssicherungsmechanismen im Sozialversicherungsrecht angelegt und weitreichende Ausformungsund Durchsetzungselemente statuiert hat.59 Die Feinjustierung soll durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und ein speziell hierfür gegründetes Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) erfolgen, §§  136 ff., 137a SGB V. Die im Detail behandelten und noch in der Zukunft 53 

Problemaufriss bereits bei J. Prütting, RW 2018, 289, 302 f. Vgl. BGH, NJW 1987, 2289, 2291; 2001, 1786; 2011, 375. 55  Carstensen, DÄBl 1989, B-1736, 1737. Diese Definition hat sich bis heute gehalten, vgl. BGHZ 113, 301 = NJW 1991, 1535; BSGE 81, 182 = NJW 1999, 1811, 1812. Eingehend zu Bestimmung, Gegenstand und Hintergrund auch Taupitz, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S.  63, 70 ff. mwN. S. a. Jansen, der Medizinische Standard, 2019. 56 Hierzu Wagner, VersR 2012, 789, 791. Mit Konkretisierungsbemühungen Dumbs, GesR 2014, 513 ff.; Verwerfung der Definition durch Köbberling, Der Begriff der Wissenschaft in der Medizin, https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Die_AWMF/Service/Gesamt archiv/AWMF-Konferenz/Der_Begriff_der_Wissenschaft_in_der_Medizin.pdf (Abrufdatum 11.09.2019). Das BSG, SGb 2018, 500 Rn.  16 stellt ebenfalls für den sozialrechtlichen Standardbegriff auf die medizinische Wissenschaft ab, wobei diese in den Kontext fachlicher Erfahrung und Akzeptanz gestellt wird, was dem zivilrechtlich anerkannten Terminus in seinen anderen beiden Definitionsmerkmalen nahekommt. 57 Hierzu ausführlich Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. XII. 58  Vgl. BGHZ 144, 296, 305 f. = NJW 2000, 2737 mwN; hierzu BT-Drucks. 17/10488, S. 19; s. a. BGH, VersR 2009, 1405, 1406; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  277. 59  Vgl. BT-Drucks. 17/5178, S.  21, wobei es um die Verknüpfung mit §  137 SGB V geht, während insbesondere die Hygienevorgaben bereits mit dem IfsGÄndG vom 28.07.2011 eingeführt worden sind, vgl. BGBl.  I, S.  1622. 54 

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

zu behandelnden Sachfragen sind vielgestaltig und reichen von abstrakten Ansätzen zu einrichtungsinternen und einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherungsmaßnahmen (vgl. §  136 Abs.  1 S.  1 Nr.  1, S.  3 SGB V), über Vorgaben für Indikatoren zu Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (vgl. §§  136 Abs.  1 S.  1 Nr.  2 und 136c Abs.  1 S.  1 SGB V) bis hin zu spezifischen Darstellungen relevanter medizinischer Maßnahmen (vgl. §§  4 und 5 der Kinderherzchirurgierichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses). Für die Einhaltung dieser sozialrechtlichen Vorgaben kann der Gemeinsame Bundesausschuss gemäß §  137 Abs.  1 S.  2 SGB V „angemessene Durchsetzungsmaßnahmen“ ergreifen. Diese sind nach §  137 Abs.  1 S.  3 SGB V insbesondere „(…) 1. Vergütungsabschläge, 2. der Wegfall des Vergütungsanspruchs für Leistungen, bei denen Mindestanforderungen nach §  136 Abs.  1 S.  1 Nr.  2 nicht erfüllt sind, 3. die Information Dritter über die Verstöße, 4. die einrichtungsbezogene Veröffentlichung von Informationen zur Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen.“ Es steht die Frage im Raum, ob der Gemeinsame Bundesausschuss sowie das von diesem kontrollierte IQTIG durch ihre Vorgaben zugleich den haftungsrechtlich zentralen Standardbegriff regulieren und ein Verstoß gegen entsprechende Richtlinien60 stets zugleich einen Behandlungsfehler in der konkreten Durchführung mit Blick auf das Arzt-Patient-Verhältnis bedeutet. 61 Ebenso wäre es abgestuft möglich, eine unzulässige Standardabweichung hierdurch als rechtlich vermutet oder lediglich indiziert zu erachten. Und mangels gesetzgeberischer Hinweise kann auf den ersten Blick auch vertreten werden, dass eine Einflussnahme auf den zivilrechtlich geformten Haftungsbegriff des Behandlungsfehlers nicht erfolgt und die Wirkung gerade auf den Bereich des Sozialversicherungsrechts und die dort genannten Disziplinierungskonsequenzen beschränkt ist. 62 Neben dem Ansatz über den haftungsrechtlich relevanten Standardbegriff sind schließlich auch andere Einfallstore wie die eigenständige Herausbildung von Vertrags- und Organisationspflichten sowie die Erwägung der Schutzgesetzeigenschaft iSd §  823 Abs.  2 BGB anzudenken. Das Ob und ggfls. Wie eines denkbaren Durchschlags im privatrechtlichen Haftungsrecht ist jedoch letztlich keine Frage der konstruktiven Umsetzbarkeit, sondern vielmehr Gegenstand des korrekten Normverständnisses vor dem Hintergrund von Ausgestaltung und Funktion der Teilrechtsgebiete und der dort jeweils zur Entscheidung berufenen Akteure. So kann das aufgeworfene 60  Zum Konstrukt der medizinischen Leitlinie und ihrer rechtlichen Beurteilung in Abgrenzung zum Richtlinienbegriff Taupitz, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S.  63, 84 ff. mwN. 61  So wohl BGH, GesR 2008, 361. A. A. etwa OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044. Differenzierend OLG Köln, BeckRS 2011, 26595 unter 1.a. mVa. OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94 nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff. Eine ausführliche Erörterung findet unter §  5 IV. statt. 62  So wohl OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044.

II. Zivil- und Sozialversicherungsrecht

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Problemspektrum nicht ohne einen Blick auf den Gemeinsamen Bundesausschuss, dessen demokratische und rechtsstaatliche Legitimation sowie dessen Blickwinkel bezüglich etwaiger mittelbarer Folgen im Zivilrecht gelöst werden. Setzte man demgegenüber ausschließlich bei der singulären Betrachtung der §§  91, 92, 136 ff. SGB V und der auf dieser Basis erschaffenen Richtlinien als Einflussfaktoren für den zivilrechtlichen Haftungsmaßstab an, so drohte ein vorschnelles, den gewachsenen Strukturen und der Teleologie der Teilrechtsgebiete potentiell zuwiderlaufendes Ergebnis. Ansätze wie die Schutznormlehre des §  823 Abs.  2 BGB in ihrer Funktion als „Transmissionsriemen“63 nehmen diese Problematik in ihren Tatbestand auf,64 bieten jedoch keine tragfähigen Lösungs- oder wenigstens Erörterungsmechanismen. Die Vorschrift verfolgt maßgeblich die privatrechtliche Teleologie nachvollziehbarer Güterallokation, muss demgegenüber aber für das Verständnis der Schutznorm auf den jeweiligen Spezialbereich verweisen65 und bietet kein Recht gebietsübergreifender Normenkollisionen an. Wenn der BGH bezüglich §  823 Abs.  2 BGB feststellt, dass nur die einzelne verletzte Norm und nicht das jeweilige Gesetz, in welchem diese Norm zu finden ist, Individualschutz aufweisen muss, 66 so kann dem unmittelbar zugestimmt werden. Damit geht jedoch keinesfalls die Aussage einher, dass das konstruktive Umfeld des jeweiligen Schutzgesetzes nicht relevant für die Entscheidung pro oder contra Individualschutz mit Schadensersatzrechtsfolge ist.

4. Kostendruck und Standard Schließlich ist ganz im Gegensatz zu den bislang geschilderten Problemlagen das Spannungsfeld von zivilrechtlichem Haftungsmaßstab und sozialversicherungsrechtlicher Leistungsbegrenzung spätestens seit den 90er Jahren Gegenstand einer breiten Auseinandersetzung gewesen, die bis heute andauert. 67 Auf 63 

BGHZ 122, 1, 8 = NJW 1993, 1580, 1581 f. Ausführlich MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  823 Rn.  475 ff. mwN.  S. a. Staudinger/ Hager, BGB, 2009, §  823 Rn. G 2. 65  BGHZ 192, 90 Rn.  21 = ZIP 2012, 318; BGHZ 176, 281 Rn.  51 = ZIP 2008, 1222; BGH, NJW 2004, 1949; BGH, NJW-RR 2005, 673; BGH, VersR 2005, 238. S.a. die ausführliche Besprechung bei Schmiedel, Deliktsobligationen im deutschen Kartellrecht, S.  159 ff. zum Kartellrecht. 66  BGHZ 186, 58 Rn.  27 = NJW 2010, 3651; BGH, ZIP 2012, 318 Rn.  23. 67  Monographisch erfasst bei Arnade, Kostendruck und Standard, 2010; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, 2000; Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, 2000; Röfer, Zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Überlegungen bei der Festlegung arzthaftungsrechtlicher Sorgfaltsanforderungen, 2000; Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, 1999; Nagel/Fuchs, So­ zia­le Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, 1993; Künscher, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992; Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, 1989. S.a. AG Rae MedR, Die ärztliche Behandlung im Spannungsfeld zwischen kassenärztlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung, 1992; dies., Die Bud64 

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

den Punkt gebracht, geht es um den Widerstreit von Bezahlbarkeit und Machbarkeit in einem sich fortwährend entwickelnden System ärztlicher Leistungen. 68 Die Krankenkassen haben auf Basis der vereinnahmten Beiträge sowie des seit dem 01. Januar 2009 in Deutschland eingeführten Gesundheitsfonds69 begrenzte Ressourcen zur Verfügung, mit denen das Versprechen der §§  1, 2 Abs.  1 S.  3, 12 SGB V einer notwendigen, zweckmäßigen, ausreichenden und wirtschaftlichen medizinischen Versorgung im Wege des Sachleistungsprinzips70 gegenüber allen Anspruchsberechtigten erfüllt werden muss. Demgegenüber ist der einzelne Leistungserbringer (Vertragsarzt, zugelassenes Krankenhaus etc.) im Rahmen des konkreten Behandlungsverhältnisses gemäß §  630a BGB dem Patienten verpflichtet und schuldet gemäß §§  630a Abs.  2, 276 Abs.  2 BGB standardgerechtes Vorgehen.71 Dies führt zu einer scharfen und viel diskutierten Normenkollision72 der Begrenzungsansätze in §  12 SGB V auf das Ausreichende, Zweckmäßige, Notwendige und Wirtschaftliche, dessen Überschreitung eine Abrechnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassenträger verbietet,73 und dem Umstand, dass der BGH im Rahmen von Haftungsverfahren der Bezahlbarkeit respektive den im Einzelfall zur Verfügung stehenden Ressourcen kaum Bedeutung beimisst,74 wobei privatrechtlich auf mehrere getierung des Gesundheitswesens – Wo bleibt der medizinische Standard?, 1997; Steffen, in: FS Geiß, 2000, S.  487 ff.; Taupitz, in: Kick/Taupitz (Hrsg.), Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, 2005, S.  21 ff.; Schirmer/Fuchs, Rationierung, ihre kritischen Wirkungen für die ärztliche Berufsausübung, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S.  121 ff.; Stöhr, MedR 2010, 214 ff.; Gaßner/ Strömer, MedR 2012, 159 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  342 ff. 68 Hierzu Hart, MedR 2002, 321, 325; Kempter, Medizinische Sorgfaltsstandards, 2005, S.  182; Kreße, MedR 2007, 393, 399; Franke/Hart, ZaeFQ 2001, 732 f. 69  Eingeführt mit dem GKV-WSG, BGBl.  I , S.  378. 70  Zur Übersicht BeckOK/Joussen, SGB V, 50. Ed. 2018, §  2 Rn.  5 ff. 71  Vgl. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  96 ff.; BeckOGK/Walter, BGB, 2017, §  630a Rn.  71 ff.; BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48, Ed. 2018, §  630a Rn.  145 ff. Zum Standardbegriff Carstensen, DÄBl.  1989, B-1736, B-1737; ders., in: AG Rae MedR, Die Budgetierung des Gesundheitswesens, S.  11, 13; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  278; Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  173 Fn.  3 mzN; Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, 2000, S.  60. 72  Ohne erkennbares Problembewusstsein die Gesetzesbegründung, wonach kein Widerspruch, sondern ein Ergänzungsverhältnis vorliege, vgl. BT-Drucks. 11/2237, S.  163 f.; Huster, VSSR 2013, 327 ff.; Enderlein, VSSR 1992, 123 ff. 73  Vgl. BGHZ 154, 154, 168 = NJW 2003, 1596, 1599. Prägnant zu den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  189 ff. mwN. 74  Vgl. BGH, NJW 1954, 290: Auf die Kosten soll es solange nicht ankommen, als der betriebene Aufwand nicht außerhalb jeden Verhältnisses zur abzuwendenden Gefahr steht. BGH, NJW 1975, 43 f.: Der Kostenaspekt soll Berücksichtigung finden können und ist in die Gesamtbetrachtung des gebotenen Behandlungsstandards einzubeziehen; aber BGH, NJW 1983, 2080: Abkehr von der Ernstnahme des Kostenaspekts bei der Standardbestimmung. Dagegen OLG Köln VersR 1993, 52 f.; 1999, 847. Zur Literatur Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  32 ff.

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betroffene Vorschriften abzuheben sein kann (§§  630a Abs.  2, 630c Abs.  1 und Abs.  3 S.  1, 630e Abs.  1 S.  3). Dieses Kollisionsfeld ist sowohl de lege lata mit Blick auf die sozial- und haftungsrechtliche Spannungslage mit zahlreichen Lösungsvorschlägen bedacht, als auch de lege ferenda rechtspolitisch weitreichend diskutiert worden.75 Dabei scheint vor dem Hintergrund zahlreicher Argumentationslinien die Erkenntnis gewonnen worden zu sein, dass Sozialversicherungs- und Haftungsrecht unterschiedliche Teilrechtsgebiete mit anders gelagerten Strukturen und Zwecksetzungen sein dürften, die überwiegend voneinander unabhängig gewachsen sind – wobei Deinert mit Recht auch auf bedeutsame historische Verflechtungen hinweist.76 Es wurde jedoch bislang nur selten angemerkt, dass dies zu der Frage führen muss, ob zur Auflösung etwaiger Konfliktlagen eine dogmatische Grundsatzdurchdringung derartiger Normenkollisionen von Nöten sein könnte.77 Bedenkt man nunmehr die Kosten der Einrichtungs- und Machbarkeitsexplosion im Gesundheitswesen (2016 mit einem Volumen von 356,5 Milliarden Euro und 2017 von 374, 2 Milliarden Euro)78 , zu dem die Kosten des Haftpflichtwesens hinzutreten (rund 200 Millionen Euro im Jahre 201279 als bloßer Zusatzaufwand für Haftpflichtfälle) 80 , stellt sich die Frage, an welchem Punkt sinnvolle Rationalisierungs- 81, Rationierungs- 82 , Priorisierungs- 83 und sonstige Sparsamkeitsmechanismen ansetzen können, die zugleich für die Patienten tragbar sind. Das Recht muss diese bedeutsame Verschränkung der Wirtschaftssektoren im Blick behalten, um im Rahmen des Gesetzesverständnisses den im Sozialrecht mit §  12 SGB V angelegten Zielen nicht zu widersprechen. Ob es sich hierbei letztlich aber um ein Rechtsproblem oder nicht vielmehr um Rechtspolitik handelt, wird zu er­ örtern sein.84

75  Eine umfassende Darstellung bietet Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  193 ff. mwN. 76 Ausführlich Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  67 ff. 77  Treffend erkannt von Schäfers, in: Intra- und Interdisziplinarität im Zivilrecht, GJZ-Tagungsband 2018, S.  257 ff. 78  Vgl. destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Gesundheitsausgabe n/Gesundheitsausgaben.html (Abrufdatum: 28.08.2019). 79  Heidermann, in: Ehlers/Broglie (Hrsg.), Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2013, Rn.  397. 80  Verlässliche Zahlen der jüngeren Jahre sind kaum zu ermitteln, da die Versicherer diese nicht preisgeben. Ausführlich zur Thematik Püster, Entwicklungen der Arzthaftpflichtversicherung, 2013, S.  74 ff. (Haftpflichtfälle), S.  81 ff. (Haftpflichtsummen). 81 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  286; Francke, in: FS Laufs, 2006, S.  793 ff. 82  Zentrale Ethikkommission bei der BÄK, Priorisierung medizinischer Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), 2007, S.  3 f. 83  Hierzu ausführlich Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  2 ff. mwN. 84  Näher §  5 V.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung Die vorliegende Untersuchung operiert im Wesentlichen mit den Begriffen der Kollision und der Teilrechtsordnung.85 Da diese Termini und ihr Verständnis sowohl Teil der zu erörternden rechtlichen Problemlagen als auch Gegenstand vorgeschlagener Lösungswege sind, bedarf es näherer Ausführungen, die vor die Klammer gezogen werden.

1. Kollision Der zentrale Begriff der Kollision soll an dieser Stelle die schon angerissene Problematik schlagwortartig beschreiben, dass Normen, die in derselben Rechtsordnung zum selben Zeitpunkt mit Geltungsanspruch86 erkannt werden, ihrem Aussagegehalt nach aufeinander Einfluss haben können. 87 Die Kollision, auch wenn dem Terminus stets ein widerstreitendes Element anzuhaften scheint, bezeichnet dabei aber neben dem Moment der Verdrängung gerade auch das Moment der Kooperation oder des beeinflussenden Nebeneinanders. Kollision im hier erörterten Sinne ist somit jede Form von Berührungspunkt, da der mitklingende widerstreitende Ansatz in jede Prüfung einzufließen hat, in der mehr als eine Rechtsnorm für eine spezifische Fragestellung zur Anwendung kommt, auch wenn die jeweilige Berührung nur im Rahmen mittelbarer Auswirkungen ersichtlich wird. 88 Demgegenüber wäre es verfehlt, stets an Widersprüche zu denken, wenn Normenkollisionen zur Diskussion stehen, da ein Widerspruch erst dann gegeben ist, wenn nach Anwendung des anerkannten Auslegungskanons sich die Kollision zeigt und nicht durch das Spektrum ebenfalls metho-

85 

Diese Definition wurde bereits erwogen bei J. Prütting, RW 2018, 289, 291 ff. Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  24 ff. mwN. Zu den Grundlagen der Systembildung und ihren Elementen unter §  3 I. 2. a). 87  Der grundlegend andere Ansatz, wonach es bei Normkonkurrenzen darauf ankommen soll, dass wenigstens zwei Normen auf denselben Sachverhalt Anwendung finden können, erfasste die hier zu erörternde Problematik nicht hinreichend, da Untersuchungsgegenstand auch Fallgestaltungen mit der Anwendung solcher Vorschriften sein sollen, die Wechselwirkung entfalten, selbst wenn nur eine Norm konkret zum Zuge kommt. Vgl. zum Ansatz der Erfassung einer Fallgestaltung durch mehrere Normen die Hinweise bei Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  39 f. Fn.  51. 88  So etwa zur Schnittstelle von §  630c Abs.  3 S.  1 BGB und der sozialrechtlichen Zuzahlungsproblematik iSd §§  43c, 61 f. SGB V vor dem Hintergrund der jeweils eine Zuzahlung anordnenden Vorschriften J. Prütting, MedR 2018, 291 ff. 86 Ausführlich

III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung

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disch anerkannter89 Kollisionsregeln negiert werden kann.90 Diese Feststellung ist für die weitere Untersuchung von Bedeutung, da die Rechtsordnung gerade mit Blick auf die verschiedenen Teilrechtsgebiete eine kaum überschaubare Vielzahl von Kollisionen und letztlich auch (Wertungs-)Widersprüchen aufweist.91 Betrachtete man dabei aber neben den tatsächlich intensiv zu erörternden echten Widersprüchen sämtliche Kollisionsfälle als Schwächen der Rechtsordnung, geriete die sinnvolle Aufgabenverteilung im Staat durcheinander, nach welcher das Gros aller Kollisionsfälle nicht nach gesetzgeberischer Feinjustierung, sondern nach in praxi methodisch wie im gewissen Rahmen einzelfallorientierter judikativer Wertentscheidung unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Vorarbeiten zu behandeln wäre. Selbstverständlich widmet sich eine Theorie der rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen auch jenen Fällen, die widerspruchsfrei, jedoch mit Blick auf Art und Umfang der wechselseitigen Einflussnahme rechtspraktisch relevant sind, wenn diese nicht ohne Zuhilfenahme tragfähiger Kollisionsregeln sogleich ohne Weiteres gelöst werden können. Dementsprechend erlauben die bereits vorgeführten Beispielsfelder gezielt einen Blick auf Fragen kooperativer Wechselwirkung (Eigenverantwortlichkeitsdebatte, s. o. II.1.) bei wechselseitiger Beeinflussung (Diskussion um die haftungsrechtliche Standardbestimmung durch Qualitätsvorgaben des Sozialversicherungsrechts sowie das Element der wirtschaftlichen Aufklärung im Licht sozialversicherungsrechtlicher Zuzahlungsverpflichtungen, s. o. II.2. und 3.) bis hin zu denkbaren – ggfls. derzeit nicht vollauf aufzulösenden – Widerspruchslagen, die auf der Grenze zur Rechtspolitik rangieren (Kostendruck und Standard, s. o. II.4.).

2. Teilrechtsgebiet/Teilrechtsordnung Die Beschreibung der Begrifflichkeiten Teilrechtsgebiet und Teilrechtsordnung bringt weit größere Probleme mit sich, da diese Termini unscharf sind. Mit Blick auf zu erörternde Kollisionslagen kann dies, anders als bei dem unschädlicherweise sehr weiten Kollisionsbegriff, nicht in beliebiger Form belassen werden. Eine Kollisionserörterung zwischen Teilrechtsgebieten kann nicht ge89  Welche Geltungskraft die Auslegungsmethoden besitzen, ist im Ausgangspunkt eine Frage der Systemzuordnung (Teil des Rechtssystems oder etwas von außerhalb als Nutzungsangebot Herangetragenes) und auf zweiter Stufe entweder innerhalb des Rechtssystems eine Frage von dessen Einordnung oder innerhalb des wissenschaftlichen Systems eine Frage der Überzeugungskraft. Zum Hintergrund des Systemdenkens und der Merkmalseinstufung Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  31 ff. 90 Zutreffend Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  16. Ein wesentlich weiterer Widerspruchsbegriff findet sich demgegenüber bei Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  45, wodurch in der Sache nichts gewonnen wird. 91 Hierzu Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  51 ff.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

lingen, wenn die bestehenden Unschärfen es verbieten, sorgfältige grammatische, historische, systematische und teleologische Erwägungen anzustellen, die einem jedenfalls hinreichend umrissenen Teil der Rechtsordnung zuzuordnen sind. Tatsächlich agieren Rechtswissenschaft und Praxis hier im Wesentlichen nach dem Prinzip „I know it, when I see it“.92 Das Schweigen der Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker im Übrigen ist durchaus nachvollziehbar, ist doch eine klare Abgrenzung vielfach kaum zu bewerkstelligen, da zahlreiche Rechtsmaterien miteinander interagieren oder ineinanderlaufen respektive aufeinander zurückgreifen. Der vorliegend gewählte Untersuchungsbereich kann bereits deshalb als Fall unterschiedlicher Teilrechtsordnungen erkannt werden, da das private Arztrecht Teil des bürgerlichen Rechts und das Sozialversicherungsrecht Teil des Sozial- und damit des öffentlichen Rechts93 ist.94 Demgegenüber fällt aber die Aussage darüber schwerer, ob die Modifikationen, Ergänzungen und Durchbrechungen des BGB, die mit der einzelfallbezogenen Anwendbarkeit des Regelungskonvoluts des HGB einhergehen, zu der Erkenntnis führen können, dass es sich beim Handelsrecht um ein eigenständiges Teilrechtsgebiet handelt.95 Gleichermaßen ist nach jeder Differenzierung innerhalb des BGB die entsprechende Fragestellung von Bedeutung. Dies zeigt sich bei den Differenzierungen nach den Büchern des BGB, im Schuldrecht sodann auch zwischen unterschiedlichen Vertragstypen und spezifischen gesetzlichen Schuldverhältnissen und sogar in Detailabgrenzungen eines vermeintlich geschlossenen und zusammengehörigen Teilbereichs des BGB (so etwa in der unterschiedlichen Struktur von Verschuldens- und Gefährdungshaftungstatbeständen im Bereich des Deliktsrechts96). Im öffentlichen Recht bietet sich ebenfalls ein vielgestaltiges und zerklüftetes Bild. So wird mit einiger Berechtigung das Bauplanungs- vom Bauordnungsrecht getrennt,97 wird nach spezifischen 92  Dass dies nicht genügen kann, kritisiert Jestaedt mit Recht, vgl. Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt – Plädoyer für ihre intradisziplinäre Relationierung und Relativierung, in: FS Stürner 2013, S.  917, 923 mVa. Locus Classicus: US Supreme Court of Justice Potter Stewart, concurring opinion, in: Jacobelis v. Ohio 378 U.S.  184 (1964). 93  Zur nach wie vor umstrittenen Abgrenzung von Öffentlichem und Privatrecht Schoch/ Schneider/Bier/Ehlers, VwGO, 26. EL. 2014, §  40 Rn.  220 ff.; Eyermann/Rennert, VwGO, 13.  Aufl. 2010, §  40 Rn.  41 ff.; Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, 14.  Aufl. 1955, 2. hBd.  §  34; Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968; Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates, 1973, S.  166; D. Schmidt, Die Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht, 1985, S.  107, 149; Ipsen, JuS 1992, 809; Röhl, VerwA 1995, 531, 534; Hoffmann-Riem/Schmidt-­ Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996; Bydlinski, in: FS Raisch, 1995, S.  7, 14; Brohm, NJW 1994, 281; Manssen, Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt, 1994; Schliesky, DÖV 1994, 114. 94  Zur Befassung mit den rechtswissenschaftssoziologischen Unterschieden unter §  2. 95  So ohne jeden Zweifel und damit allerdings auch ohne Erörterung Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  99 ff. 96  Hierzu MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2017, vor §  823 Rn.  17 ff. 97  Vgl. auszugsweise BeckOK/Dirnberger, BauGB, 42. Ed. 2018, §  1 Rn.  3 –3.5.

III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung

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Teilbereichen des allgemeinen und besonderen Gefahrenabwehrrechts98 differenziert und werden die vielgestaltigen Thematiken unterschiedlicher Lebensbereiche sondergesetzlich erfasst (Gewerbe- und Handwerksrecht, Umweltrecht, hier aber wiederum unter eigenständiger Betrachtung des Wasserhaushaltsrechts etc.). Auch wenn eine detailgenaue Abgrenzung wohl nicht stets auf den ersten Blick gelingen wird, so lassen sich doch Aspekte extrapolieren, die es als Bestimmbarkeitserwägungen ermöglichen, methodisch sinnvoll Kollisionslagen herauszuarbeiten, zu erörtern und einer Lösung zuzuführen. Sobald aber diese Ansätze gegeben sind, ist es dem Rechtspraktiker verwehrt, eventuelle Kollisionslagen außer Acht zu lassen, soll der gesetzgeberische Wille Beachtung finden.99 Im Vorgriff auf rechtswissenschaftssoziologische Gedanken100 sollen an dieser Stelle daher die tragenden Erwägungen des Teilrechtsordnungsverständnisses für die vorgelegte Analyse aufgezeigt werden. Es sei noch an den Anfang gestellt, dass ausschließlich für die Ausgangsfrage der Teilrechtsgebietsunterteilung letztlich ein Übergewicht einer formalen Betrachtung nach dem äußeren System und den benannten Lebensbereichen, die von den gesetzlichen Vorschriften reguliert werden, befürwortet wird. Die Begründung ergibt sich unmittelbar aus der komplexen Erfassung des inneren Systems der Rechtsordnung (soweit jeweils vorhanden101) und den damit einhergehenden Unschärfen, die für eine Strukturierung zunächst kaum hilfreich sind. a) Gewachsene Strukturen und gelebte Einteilungen – Das äußere System und die benannten Lebensbereiche als Anhaltspunkt Die nationale Rechtsordnung ist bei genauer Betrachtung in eine kaum überschaubare Vielzahl kleiner Teilbereiche zersplittert, was der Vielfalt zu regelnder Lebenssachverhalte geschuldet ist.102 Das Gesetzesrecht ist das Lenkungsund Machtwerkzeug der in Deutschland bestehenden parlamentarischen Demokratie und damit erster Anlaufpunkt für eine rechtliche Strukturanalyse.103 Es ist dem Gesetzgeber überlassen, anstehende Problemlagen und gewünschte Veränderungen für alle Rechtsunterworfenen verbindlich zu regeln, solange dies im Rahmen der Verfassung geschieht oder der verfassungsändernde Gesetzgeber Modifikationen herbeiführt. Zugleich finden sich für nahezu jeden Lebensbereich bereits Rechtssätze, sei dies in Form von formellem oder materi98  Hierzu BVerfG, NJW 1977, 772. S.a. BeckOK/Möstl, POR NRW, 10. Ed. 2018, Systematische Vorbemerkungen zum Polizeirecht in Deutschland, vor Rn.  1. 99  Zur methodischen Grundsatzerörterung des dahinterliegenden Systems unter §  3. 100  Näher unter §  2. 101  Hierzu ausführlich mit Herleitung des Systembegriffs §  3 I. 1. 102  Zur Übersicht Rehbinder, Rechtssoziologie, 8.  Aufl. 2014, S.  184 ff. 103  Auf Gegenstand und Bestimmungsmöglichkeiten subjektiver Teleologie wird unter §  3 II. 3. a) aa) (2) noch vertieft eingegangen.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

ellem Gesetzesrecht, Gewohnheitsrecht, Richterrecht oder anderen Kategorien, die jedenfalls geeignet sind, die Rechtsunterworfenen zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Nun wird niemand ernsthaft behaupten wollen, dass bei jeder Veränderung des Rechts – was in kleinen Dosierungen jeden Tag durch die gelebte Rechtspraxis und im großen Rahmen bei parlamentarisch veranlassten Reformen geschieht – der Blick des jeweiligen Normgebers auf die gesamte Rechtsordnung gerichtet wäre. Selbstverständlich sind weitreichende Bemühungen zu verzeichnen, wonach etwa im bürgerlichen Recht mit dem BGB jedenfalls in den dortigen ersten drei Büchern in vielen Strukturen gültige Regeln vor die Klammer gezogen werden.104 Ähnlich verhält es sich im allgemeinen Verwaltungsverfahren mit dem VwVfG von Bund und Ländern oder im Finanzrecht mit der Abgabenordnung. Gleichwohl wachsen diese Systeme und Strukturen sowohl mit Blick auf die rechtswissenschaftliche Theorie als auch die gelebte Praxis (Anwaltschaft, Gerichte, Kautelarpraxis etc.) eigenständig und weithin voneinander unabhängig. Sie folgen dabei ihrer unmittelbaren Struktureinheit, die sich vielfach aus dem Gesetz selbst ersehen lässt, teilweise jedoch auch erst auf Basis eines weitreichenden Hintergrundwissens erschlossen werden kann.105 Einen ersten Fingerzeig vermag die Dreiteilung der juridischen Welt in Öffentliches, Privat- und Strafrecht zu geben.106 Diese Differenzierung genügt jedoch nicht, um den Begriff der Teilrechtsordnung vor dem Hintergrund beachtlicher Kollisionsfälle zu beschreiben. Zur näheren Eingrenzung finden sich die Demarkationslinien einerseits in einer strukturellen Betrachtung mit rechtswissenschaftssoziologischem Einschlag, welche die jeweils betrachteten konkreten Rechtssätze in einen größeren Kontext einordnet und dementsprechend herausarbeitet, welche Gesetzes- und sonstigen Rechtsvorschriften zu dieser Teileinheit gehören. Die Strukturregeln, nach denen diese Analyse verläuft, sind vielgestaltig und reichen von Kompetenzzuweisungen über Erkennung bereits bestehender oder Schaffung spezifischer Verfahren bis hin zur Bestimmung des Betroffenenkreises und seiner Merkmale. Wie eine solche Detailbestimmung im Einzelnen funktionieren

104 Das BGB ist mit der Idee eines geschlossenen Systems erschaffen worden und zielt ­ arauf ab, logisch-deduktiv entweder lückenlos zu sein oder belassene Lücken bewusst ausd zuweisen und somit an die Judikatur zu delegieren. Vor diesem Hintergrund erhalten die Auslegungsmethoden wie auch logische Analogieschlüsse einen besonderen Stellenwert, vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  173; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  475. 105 Prägnant Stürner, AcP 214 (2014), 7, 12 f., der allerdings bereits innere Systembezüge inkludiert, da es Stürner an dieser Stelle um den Systemwert insgesamt geht. Seine Deskription zeichnet jedoch treffend auch die Bedeutung äußerer Kategorisierungen. Zur Kritik auch sogleich im Anschluss Stürner, a. a. O., 17 ff. 106 Hierzu Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt – Plädoyer für ihre intradisziplinäre Relationierung und Relativierung, in: FS Stürner 2013, S.  917.

III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung

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kann, wird unter §  5 bereichsspezifisch illustriert und ist damit Teil der näheren Analyse, die an dieser Stelle nur vorbereitet werden soll. Andererseits ist im Vorgriff auf die Systemerwägungen in §  3 der vorgelegten Abhandlung schon hier zu konstatieren, dass wesentliche Ansätze der Teilrechtsgebietseinteilung durch das äußere System der Rechtsordnung vorgezeichnet werden.107 Wenn der parlamentarische Gesetzgeber einen Bereich im Recht regelt, so wird dieser an einer bestimmten Schnittstelle unter einer möglichst sinnvollen Überschrift in einem zugehörigen Kapitel und Gesetzbuch eingefügt oder als neuer Bereich geschaffen, so dass die entsprechende Regelung bestenfalls mit allen zugehörigen Aspekten auffindbar und logisch einsortiert erscheint. Diese Kategorisierung des äußeren Systems ist gerade auch mit Blick auf den zu regelnden Lebenssachverhalt (Arzt-Patient-Beziehung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Polizei, Verkehr etc.) verfasst108 und soll den Zugang zum Recht erleichtern. Das Recht will verstanden werden,109 was unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet werden kann,110 da der Gesetzgeber hierdurch der verfassungsrechtlichen Vermutung unterliegt, für den Rechtsunterworfenen erkennbares und befolgbares Recht schaffen zu wollen (vom BVerfG herausgearbeiteter Grundsatz der Normenklarheit und Normenwahrheit).111

107  Zum Ansatz des äußeren Systems und seiner Beschreibung Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  49 ff. 108 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.   Aufl. 2008, S.  438 f. Gleichermaßen wird das äußere System als Unterteilung in abstrakte juristische Kategorien verstanden, wobei allerdings zutreffend festgestellt worden ist, dass dies keinen Gegensatz zur Sachgebietsunterteilung darstellt, da der Gesetzgeber letztlich auch bei Kategorienbildung auf Sachverhalte und Realitäten reagiert und dabei begrifflich nach Sachgebieten gliedert, vgl. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  76; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  4; Häberle, AöR 102 (1977), 27, 44, 53 ff.; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  53 f. 109  BVerfGE 108, 1, 20 = NVwZ 2003, 715; 112, 304, 315 = NJW 2005, 1338; 114, 196, 236 f. = NVwZ 2006, 191. 110  BVerfGE 114, 196, 236 f = NVwZ 2006, 191.; 114, 303, 312 f. = NVwZ 2006, 322 hierzu Drüen, ZG 2009, 60, 68. 111 Daraus folgt nicht die Verfassungswidrigkeit einer jeden intransparenten Regelung. Vielmehr wird man mit Blick auf den zu Staatslenkungszwecken gebotenen weitreichenden Spielraum des Gesetzgebers, der im Demokratieprinzip wurzelt, nur im Rahmen des Gesetzesverständnisses als Vermutungsregel annehmen dürfen, dass unter mehreren gleichermaßen vom Gesetzgeber akzeptierten Zielerreichungsvarianten immer jene den Vorzug genießen sollte, die für den Rechtsunterworfenen weniger einschneidend (Verhältnismäßigkeitsprinzip) und zugleich verständlich sowie befolgbar ist. Verfassungswidrigkeit ist erst anzunehmen, wenn kein normenklarer Gesetzeszweck mehr verfolgt wird, vgl. BVerfGE 108, 1, 12 = NVwZ 2003, 715.

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

b) Extrapolationsfähige Zweckverfolgung – Das innere System der Rechtsordnung als taugliches Abgrenzungsmoment? Für eine möglichst präzise Teilrechtsgebietsbestimmung im Kollisionsgefüge wären neben den oben genannten äußerlich ersichtlichen Elementen letztlich die Herausarbeitung der wesentlichen Ziele des Normgebers und deren Verfolgungsstrategien von Bedeutung. Die innere Logik und Konsistenz einer jeden Parzelle im Recht misst sich an dem ihr unterlegten Zweck,112 wobei es mit Blick auf die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats stets zunächst auf noch gültige und zeitgemäße Erwägungen des legitimierten Normgebers ankommen muss.113 Tatsächlich sind es aber gerade der Zweck und die Mechaniken zur Zielerreichung, die eine Teilrechtsordnung prägen und die in Konkurrenz zu anderen Gebieten treten. Wenn das bürgerliche Haftungsrecht im allgemeinen Schadensrecht dem Grundsatz des Bereicherungsverbots114 verpflichtet ist, handelt es sich um ein solch tragendes Element, welches etwa vor dem Hintergrund privatautonomer vertraglicher Vereinbarungen den Rahmen bildet, was den Parteien im Haftungsfall maximal zustehen soll.115 Das Sozialversicherungsrecht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung scheint gegenüber diesem Ansatz zunächst blind. Es stellt a priori nicht die Frage der Begrenzung durch das Bereicherungsverbot, sondern ist darum bemüht, knappe Mittel im Gesundheitssystem nach Behandlungsnotwendigkeiten und anerkannten Heilverfahren zu verteilen.116 Dabei muss es stets seine eigene Finanzierbarkeit117 im Blick behalten, was wiederum dem bürgerlich-rechtlichen Ausgleich zwischen streitenden Privatrechtssubjekten nicht naheliegt. Es muss offen bekannt werden, dass mit diesem Vereinigungsansatz des äußeren und inneren Systems (soweit ad hoc erkennbar) dem Rechtspraktiker zugemutet wird, die Rechtsordnung im Groben stets zu überblicken und sich ­ggfls. aus den zahlreichen Quellen (Gesetzesmaterialien, Literatur, veröffent112 Prägnant

Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  23. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, 14.  Aufl. 1955, 2. hBd.  §  54 II; monographisch Siebert, Die Methode der Gesetzesauslegung, 1958; s. a. Heun, AöR 116 (1991), 185; Jabloner, in: FS Schambeck, 1994, S.  4 41; Panosch, Rechtstheorie 25 (1994), 118. Soweit das BVerfG im Wesentlichen auf die Grundsätze objektiver Teleologie zurückgreift, vgl. BVerfGE 1, 299, 312 = NJW 1952, 737; ebenso BVerfGE 8, 307; 10, 244 = NJW 1998, 519; 11, 130 = NJW 1960, 1563; 19, 354, 362 = WM 1966, 394; 62, 1, 45 = JZ 1983, 244, weist MüKo/Säcker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Einleitung Rn.  125 zutreffend darauf hin, dass dies stets unter weitreichender Erörterung des jeweiligen gesetzgeberischen Willens geschieht, dem gerade Geltung in rationaler Form verschafft werden soll. Hierzu auch Rüthers, Staat 1967, 107; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsnorm, 1965, S.  376. 114  Vgl. BGHZ 30, 29, 30 = NJW 1959, 1078; BGHZ 118, 312, 345 = NJW 1992, 3096, 3103; Gregor, Das Bereicherungsverbot, 2012, S.  1; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 2003, S.  10. 115  BGHZ 118, 312, 345 = NJW 1992, 3096, 3103. 116  Vgl. §§  1 2 Abs.  1 S.  3, 12 SGB V sowie die Ansätze der §§  135 und 137c SGB V. 117 Grundlegend zur Sozialversicherung BVerfGE 21, 245, 249 = NJW 1967, 971. S.a. BVerfGE 77, 84, 107 = NJW 1988, 1195. 113 Vgl.

III. Die Begriffe der Kollision und der Teilrechtsordnung

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lichte Rechtsprechung) darüber zu informieren, welchen Bereichslogiken möglicherweise kollidierende Vorschriften unterliegen. Diese Forderung ist jedoch eingedenk des Grundsatzes „iura novit curia“118 mit der Folgerung „da mihi facta, dabo tibi ius“119 wie auch der Rechtsprechung des BGH zum gebotenen Kenntnisstand des Anwalts120 nicht neu und auch nicht ungewöhnlich. Wesentlich problematischer ist jedoch die Erkenntnis, dass die erste Erfassung dessen, was ein Teilrechtsgebiet einrahmt und jene Argumente und Denksowie Prüfstrukturen, die im Anschluss zur Kollisionserörterung herangezogen werden, sich notwendigerweise weithin überschneiden. Es ist unmöglich, formale oder materiale Aussagen über eine Rechtsgebietsbegrenzung zu treffen, ohne dabei nicht auf die Spezifika des äußeren und inneren Systems der Rechtsordnung wenigstens im Ansatz einzugehen. Genau betrachtet, ist dies aber gerade der Grund dafür, dass Rechtsgebietseinteilungen vom Rechtsanwender derart intuitiv nach dem Ansatz „I know it, when i see it“ vorgenommen werden. Man entzieht sich damit der Erkenntnis oder flüchtet gar bewusst vor dieser, dass schon das Verständnis grundlegender Strukturierung des Rechts – und nicht etwa des wissenschaftlichen Ansatzes, den der jeweilige Betrachter ggfls. vorziehen möchte! – ein vielfach komplex gelagerter Erkenntnisprozess ist. Er ist letztlich wegen der großen Zahl unterschiedlicher Normsetzer, des auf Kompromissfindung angelegten Gesetzgebungsprozesses, der häufig undurchsichtigen Hermeneutik bei Entstehung von Richterrecht und der vielfach fehlenden inneren Logik zwischen Teilbereichen des Rechts deutlich weniger ergiebig, als dies zunächst den Anschein haben mag. Daraus folgt, dass im Rahmen der Abgrenzung von Teilgebieten der Differenzierung nach der Regulierung von Lebenssachverhalten und dem äußeren und damit unmittelbar erkennbaren System der Rechtsordnung (s. o. (a.)) stets dann für die Kollisionsprüfung unmittelbar gefolgt werden kann, sofern Ziel und Zweck der jeweiligen Normsetzer nicht evident sind oder aus zuverlässigen Quellen klar erarbeitet werden können.121 Dieser Rückzug auf die formale, äußerlich ersichtliche Konzeption des 118  Vgl. MüKo/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 Rn.  2. Zur Entwicklung Oestmann, Die Grenzen richterlicher Rechtskenntnis, in: Colloquia Academica, 1999, S.  37, 48 ff. Zu den Grenzen vgl. Feurer, Statuta novit curia?, ZZP 123 (2010), 427; Broggini, Die Maxime „iura novit curia“ und das ausländische Recht, AcP 155 (1956), 469. 119  Vgl. MüKo/Säcker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Einleitung Rn.  8 . Zum modernen Verständnis des Zivilprozesses Gaier, NJW 2013, 2871. 120  Vgl. BGH, DB 2010, 2325; BGH, NJW 2010, 73; 1993, 3323; 1995, 449. S.a. für den Fall der Mitursächlichkeit judikativen Verhaltens BVerfG, NJW 2009, 2945; BGH, NJW 2009, 987. 121  Von der anderen Richtung gesehen beschreibt Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 40 das Problem für die konkret zu interpretierende Rechtsnorm so, dass es Aufgabe des Interpreten sei, eine Aufschlüsselung bis zu einem Grad der Evidenz vorzunehmen. Da ein Mehr dementsprechend für die judikative Entscheidung auch durch eingehende methodisch sorgfältige Auslegung nicht zu erzielen ist, kann gleichsam ein Ausgehen von den a priori evidenten Zwecksetzungen für die Rechtsgebietsunterteilung nicht methodisch fehlerhaft sein – sofern die ge-

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

Gesetzes bei der Teilrechtsgebietseinteilung hat insbesondere den analytischen Vorteil, dass stets im Rahmen der Argumentation um das innere System der Rechtsordnung klar und unmissverständlich bekannt wird, dass bereits der Boden gesicherter Erkenntnis um gesetzgeberische Wertungen verlassen worden ist. Der wissenschaftliche Betrachter wird hierdurch davon abgehalten, im Zuge bewusster oder unbewusster Selbstermächtigung122 dem Gesetz die eigene Wertung unterzuschieben, obgleich einzig der verfassungsmäßig hierzu berufene Normsetzer legitimiert ist.123

IV. Zentrale Thesen und Leitgedanken zur Gesetzesauslegung im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen124 Eingedenk des bisherigen Problemaufrisses sollen ein paar wesentliche Leitgedanken in Form eines prozeduralen Problemlösungsansatzes bei der Auslegung von kollidierenden Vorschriften unterschiedlicher Teilrechtsgebiete an den Beginn der Bearbeitung gestellt werden. Im Zentrum steht ein methodischer Prüfungsansatz, der allem voran von der Judikative im Rahmen konkreter Entscheidungsfindung eingehalten werden sollte. In abstrahierter Form lässt sich für Normenkollisionslagen generell ausführen: 1. Teilrechtsordnungen folgen regelmäßig einer inneren Logik, die rechtswissenschaftssoziologisch betrachtet auf gewachsene Strukturen und unterschiedliche teleologische Ansätze des Gesetzgebers und der Rechtsanwendung zurückzuführen ist. Diese Hintergründe sind bei der konkreten Norminterpretation und der Behandlung erkannter Normenkollision in den Erörterungsprozess einzubeziehen, um einem einseitigen Blickwinkel vorzubeugen. 2. Die juristische Methodenlehre ist im Bereich der Auslegungskriterien regelmäßig darauf bedacht, Vorschriften für die konkrete Fallanwendung respektive für die konkrete Problemlösung zu analysieren und zu interpretieren. Dementsprechend werden auch Kollisionen mehrerer Vorschriften aus unterschiedlichen Teilrechtsgebieten ohne vorherige Analyse des Teilrechtsgebiets wählte Methodik einen rechtspraktischen Wert aufweisen soll –, da weitergehende Erkenntnisse wegen des Evidenzgrades ohnehin kaum noch zu erwarten sind. Die verbleibende Fehleranfälligkeit muss hingenommen werden, da andernfalls keine erdenkliche Rechtsgebietsunterteilung möglich wäre und jeglicher Systematisierungseffekt verloren ginge. Dies hätte keinen erkenntnisstiftenden Nutzen. 122 Hierzu Lepsius, Die Verwaltung, Beiheft 10 (2010), 179; Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S.  81 ff.; ders., in FS H. Mayer, 2011, S.  169, 184 f.; Klement, JöR 61 (2013), 115, 153. 123  Vgl. die Ausführungen des wohl härtesten Kämpfers in dieser Sache: Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, S.  175 ff.; ders., JZ 2002, 365, 367 ff. und 2003, 995 ff. 124  Die Idee bereits prägnant vorgestellt in J. Prütting, RW 2018, 289, 290 f.

IV. Zentrale Thesen und Leitgedanken zur Gesetzesauslegung

23

selbst behandelt. Dieses Vorgehen ist weder dazu geeignet, dem gesetzgeberischen Willen mit Blick auf alle betroffenen Vorschriften der in Rede stehenden Teilrechtsordnungen adäquat Geltung zu verschaffen, noch den für die nationale Rechtsordnung bedeutsamen Systemgedanken im Recht zu wahren und gegen übergriffige Ansätze nicht legitimierter wissenschaftlicher Behauptungen vor dem Hintergrund fehlender normativer Kraft derselben abzuschirmen. 3. Es fehlt ein sorgfältiger Interpretations- und Abwägungsprozess auf der Metanormebene sowie die prozedural belastbare Extrapolation der Meta­norm­ ebene selbst, was nicht zuletzt Folge des bereits vorab erwähnten Strebens jeder Fachgerichtsbarkeit zur eigenen, regelmäßig verstärkt erlernten Materie ist.125 Kollidieren Vorschriften aus unterschiedlichen Teilrechtsordnungen, so bedarf es eines dreistufigen Auslegungsprocederes: a. Auf der ersten Stufe der Auslegung sind die kollidierenden Vorschriften der gewachsenen Struktur ihrer jeweiligen Teilrechtsordnung zuzuordnen und vor eben jenem Hintergrund mit Blick auf Inhalt und Bedeutung sowie Aussagekraft und Funktionserfüllung zu interpretieren (Erfassung der Norm und ihrer Metanormebene). b. Auf der zweiten Stufe müssen die Funktionen und Zwecke der Teilrechtsordnungen selbst als Gesamtgefüge einander gegenübergestellt werden (Interpretation und Kollisionsverständnis der Metanormebene). c. Auf der dritten und letzten Stufe sind die konkret kollidierenden Vorschriften mit Blick auf das Optimierungsgebot126 in der Anwendung dahingehend aufeinander abzustimmen (Ausstrahlungsthese), dass die Funktionserfüllung beider Systeme aufrechterhalten, mithin der gesetzgeberische Ansatz bestmöglich gewahrt wird (Auflösung der konkreten Normenkollision). 4. Dieser Ansatz ist mit dem prozessualen Vehikel der Überprüfbarkeit der Entscheidungsbegründung in der spruchrichterlichen Praxis dergestalt zu verbinden, dass im Falle teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen das Gericht seine Erwägungen nach dem obigen Muster in den Entscheidungsgründen wenigstens im Überblick darlegen muss, damit nicht von einem rechtsmittelfähigen Verfahrensfehler im Sinne der Rechtsprechung zur Lückenhaftigkeit und Unverständlichkeit der Entscheidungsgründe127 auszugehen ist. Demgemäß wird an dieser Stelle vorgeschlagen, den absoluten Revisionsgrund der §§  547 Nr.  6 ZPO, 138 Nr.  6 VwGO, 119 Nr.  6 FGO, 202 S.  1 SGG iVm 547 Nr.  6 ZPO, 338 Nr.  7 StPO stets für gegeben zu erachten, wenn im Fall teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen das erkennende Gericht in den Grün125 

Ein näherer Blick hierauf erfolgt unter §  2. Näher hierzu §  3 II. 3. a). 127 BGHZ 32, 17, 24 = NJW 1960, 866; BGHZ 39, 333, 338 = NJW 1963, 2272; BGH, GRUR 1967, 543, 546; 1970, 258, 259; BAG, NJW 2014, 2382 Rn.  17; BSGE 76, 233, 234 = BeckRS 1995, 30756157; BSG, NZS 2017, 518; BVerwG, NJW 2003, 1753. 126 

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

den nicht aufzeigt, dass es die subjektive Teleologie und deren Optimierungsgedanken hinter jeder der betroffenen Vorschriften und Teilbereiche erkannt und somit in die Entscheidung einbezogen hat. Hinzu tritt in jedem Fall entsprechender Lückenhaftigkeit der Entscheidungsbegründung die Annahme einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art.  103 Abs.  1 GG, was nach hier vertretener Auffassung selbst dann gelten muss, wenn zugehörige Parteirügen oder entsprechender Parteivortrag ausbleiben.128 Im Arbeitsgerichtsprozess ist die Besonderheit des §  72 Abs.  2 Nr.  3 ArbGG zu beachten, was zur entsprechenden Anwendung des §  72b ArbGG129 oder zur Erfassung als Gehörsverletzung führt130 , die in jedem Fall aber revisibel ist. Hierdurch werden keine lehrbuchartigen oder monographischen Ausführungen zum Gegenstand ordnungsgemäßer judikativer Entscheidungstechnik erhoben. Vielmehr wird das erkennende Gericht des Einzelfalls dazu gezwungen, wenigstens einmal vor Urteilserlass aktiv von den gesetzgeberisch avisierten Maßstäben aller relevanten Normbereiche Kenntnis zu nehmen. Gleichermaßen fällt in Berufung und Revision respektive ggfls. Nichtzulassungsbeschwerde sogleich auf, wenn ein derartiger Ansatz übergangen oder unerkannt geblieben ist.131 5. Nicht benötigt wird ein eigenständiges Auslegungsmerkmal oder gar ein übergeordnetes singuläres Prinzip, dem generell der Vorzug bei der Kollision von Teilrechtsordnungen zuzuweisen wäre, um Widersprüche oder Anwendungsschwierigkeiten zu bereinigen, wie dies teilweise dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zugeschrieben wird.132 Dies dürfte mit Blick auf die Vielgestaltigkeit derartiger Kollisionsprobleme und vor dem Hintergrund der Mannigfaltigkeit der Regelungsmuster der Teilrechtsordnungen unter Beachtung der unterschiedlichen Lebensbereiche auch nicht möglich sein. Bemühungen darum versperrten allenfalls den Blick für die Erkenntnis, dass Teilrechtsordnungen durch den Gesetzgeber vielfach gerade ohne den Gedanken einer einheitlichen, in allen Facetten aufeinander abgestimmten Rechtsordnung geschaffen werden und es Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung überlassen bleiben muss, Schnittstellenprobleme sinnvoll und mittels eines beweglichen

128 

Ausführlich §  6 II. 1. b) aa) und II. 3. b) dd). dahingehend vom Gesetzgeber gewollt, vgl. BR-Drucks. 663/04, 50; hierfür BeckOK/Klose, ArbGG, 47. Ed. 2018, §  72b Rn.  9; S. zudem BAG 16.6.1998, AP ZPO §  543 Nr.  3. A. A. GMP/Müller-Glöge, ArbGG, 9.  Aufl. 2017, §  72b Rn.  23 mVa. die Verfolgbarkeit durch Revisionsbegründung und Nichtzulassungsbeschwerde nach den Ausführungen in BAG, NZA 2007, 226; 2014, 742 Rn.  17, HWK/Bepler/Treber, ArbGG, 8.  Aufl. 2018, §  72b Rn.  4b. 130 So Bepler, RdA 2005, 65, 72; problematisch diesbezüglich BVerfG, NJW 2001, 2161. 131  Ausführlich hierzu §  6 . 132  Vgl. zur Übersicht Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  5 ff. mwN. Zur Auseinandersetzung mit diesem Topos §  3 I. 2. b) bb) (2) (a). 129 Wohl

V. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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Systems abzufedern. Dadurch bleibt die teilbereichsspezifische Steuerungsfähigkeit erhalten.133

V. Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes Die vorgelegte Bearbeitung ist vor dem Hintergrund der Vielgestaltigkeit der Rechtsordnung und der kaum überschaubaren Menge von Teilrechtsgebieten zwangsläufig gehalten, die vorgenannten Leitgedanken und diesen zu Grunde liegenden Systemerwägungen an Hand eines ausgewählten Kollisionsfeldes zu erörtern. Dabei ist die Wahl bewusst auf die Teilrechtsordnungen des zivilrechtlichen Arzt- und des öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsrechts im Bereich der Krankenversicherung gefallen, da es sich um Rechtsmaterien handelt, die in vielfacher Weise miteinander verwoben, aber – insbesondere in jüngerer Zeit – weithin unabhängig voneinander gewachsen sind.134 Zudem treten Grundsatzfragen des öffentlichen und des Privatrechts einander gegenüber,135 was den Aspekt der unterschiedlichen Sozialisierung der Rechtssetzer und Rechtsanwender sowie dessen Bedeutung zum Vorschein bringt.136 Soweit vorliegend ein Beitrag geleistet wird, in abstrakter Form Regeln für den rechtspraktischen Umgang mit Kollisionen von Teilrechtsordnungen generell zu entwerfen, muss offen bekannt werden, dass es nach hier vertretener Ansicht im Rahmen einer einzelnen Monographie nicht möglich sein dürfte, die gefundenen Ergebnisse und Methodiken an Hand jeglicher in der Rechtsordnung aufzuwerfender Kollisionsfragen in ihrer Validität und Reliabilität auch nur ansatzweise zu überprüfen und eine für jegliche Kollisionsfallgestaltung unmittelbar funktionale Auslegungsregel ohne weitergehenden Anpassungsbedarf zu konstruieren. Daher nimmt der vorliegende Ansatz auch nicht für sich in Anspruch, die Gesamtdebatte beenden zu können. Vielmehr soll ein tragfähiger Beitrag zur methodischen Herangehensweise geboten werden, welcher spezialisiert an den hier gewählten Problemfeldern entwickelt wird und ggfls. für andere Problembereiche teilrechtsgebietsspezifisch noch der ein und ande133 Vgl.

Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  145. das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 hat daran nichts geändert, da die einzige sozialversicherungsrechtliche Abstimmung mit dem zivilrechtlichen Arztrecht in §  66 SGB V als nunmehr eingeführte „Soll-Vorschrift“ besteht, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  7. Inwieweit in der Änderung des §  137c SGB V ein Abstimmungsvorgang mit dem Zivilrecht gesehen werden kann, wird eigenständig bei der Debatte um die §§  136 ff. SGB V und deren Einfluss diskutiert. 135  Vgl. für die Grundidee Schäfers, Ad Legendum 2015, 340 ff. mwN. 136 Einen ersten Ansatz hierzu unternehmen Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  7 ff. und Thaten, Die Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht am Beispiel der Corporate Governance von Versicherungen, 2016, S.  84 ff. Das Problem ist in diesen Arbeiten jedoch bei Weitem noch nicht gelöst worden. 134  Auch

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§  1 Einleitung, Definitionen und zentrale Thesen

ren Nachschärfung bedarf. Das methodische Rüstzeug des vorgeschlagenen prozeduralen Auslegungstrias in Verbindung mit der verfahrensrechtlichen Berücksichtigungs- und Erläuterungspflicht im Rahmen der Entscheidungsgründe, welche das Herzstück der vorliegenden Arbeit bilden, sind jedoch als Part eines hypothetisch noch anwachsenden allgemeinen Teils der Kollision von Teilrechtsordnungen zu begreifen und durchweg vom Rechtsanwender zu beachten. Schließlich sei zur Einordnung in einen größeren Kontext darauf hingewiesen, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Kollisionslagen im Recht gibt: 1. Es steht zunächst der international-vertikale Konflikt zwischen einer transnational-einheitsrechtlichen oder völkerrechtlichen Rechtsordnung einerseits und einer nationalen Rechtsordnung andererseits im Raum. Hier wird das internationale Regime entweder als spezielles Gesetz aufgrund eines innerstaatlichen Anwendungsbefehls angewandt137 oder aber die nationale Rechtsordnung kann völkerrechtsfreundlich ausgelegt werden138 . 2. Weiterhin lässt sich der international-horizontale Konflikt zwischen verschiedenen Rechtsordnungen abgrenzen, die potentiell alle auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt zur Anwendung kommen können. Hier entscheiden die Metanormen des Internationalen Privatrechts („Kollisionsnormen“) den Konflikt, indem sie mittels der Verweisungstechnik den Sachnormen einer Rechtsordnung den Anwendungsbefehl erteilen. 3. Drittens kann es zu international-diagonalen Konflikten kommen. Überlagert wird der international-horizontale Konflikt zwischen Privatrechtsordnungen durch Einwirkungen des Unionsrechts (Art.  21 AEUV und europäische Grundfreiheiten). Hier wirkt das übergeordnete EU-Recht auf die Metanormen des Kollisionsrechts ein und korrigiert diese.139 4. Auf nationaler Ebene fällt sodann zunächst der innerstaatlich-vertikale Konflikt ins Auge, insbesondere zwischen der Verfassung und dem einfachen Gesetzesrecht oder dem Bundesrecht und dem Landesrecht. Hier setzt sich typischerweise die übergeordnete Norm durch, wobei rechtsvergleichend verschiedene Vorrangtechniken in Frage kommen, etwa die Nichtigkeitslösung, der Anwendungsvorrang oder die verfassungskonforme Auslegung. 5. Sodann ist der intertemporale Konflikt abzugrenzen. Die Anwendbarkeit von Rechtsnormen ist nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit zu sehen. Dies kann zu einem „Nacheinander“ der Anwendung verschiedener Rechtsregeln auf einen Sachverhalt führen. In der Regel wird der Konflikt aber dahingehend gelöst, dass die zeitlich nachfolgende Norm anwendbar sein soll, sofern

137 

Vgl. Art.  3 EGBGB, z. B. das Montrealer Übereinkommen bei Flugzeugunfällen. So etwa das Privatrecht im Lichte der EMRK. 139  Vgl. etwa EuGH NJW 2009, 135 – Grunkin-Paul. 138 

VI. Gang der Darstellung

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nicht der Sachverhalt unter einer vorangegangenen Norm begründet worden ist (Prinzip der lex temporis actus).140 6. Schließlich gibt es den für die vorliegende Untersuchung zentralen innerstaatlich-horizontalen Konflikt zwischen Teilrechtsgebieten, wie diese bereits beschrieben worden sind. Die vorgelegte Untersuchung behandelt ausschließlich die nationalen Konflikte, auch wenn sich nach Ansicht des Verfassers das Konzept letztlich mit Modifikationen auf die internationalen Konfliktlagen übertragen lassen dürfte.

VI. Gang der Darstellung Die nähere Analyse beginnt mit den rechtssoziologischen Hintergründen (§  2), da in diesen (auch) die Erkenntnis verborgen liegt, weshalb Normenkollisionen zwischen Teilrechtsgebieten auftreten, welche Bedeutung ihnen beizumessen ist und worin anwendungsbedingte Schwierigkeiten begründet liegen, ihrer system- und wertungsgerechten Auflösung in der rechtspraktischen Handhabung unter bestmöglicher Zurückdrängung willkürlicher Ergebnisse den Boden zu bereiten. Sodann bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem bisherigen juristischen Handwerkszeug zur Gesetzesinterpretation und zur Auflösung von Normenkollisionen, wobei Gedanken zu Gegenstand und Notwendigkeit der Systembildung im Recht von tragender Bedeutung sind und daher am Beginn dieser Ausführungen stehen müssen. Zudem wird in diesem Part der Frage näher nachgegangen, ob übergreifende Auslegungs- und Rechtsanwendungsregeln die Problematik bereits zu lösen vermögen (§  3). Nach einer prägnanten Gegenüberstellung rechtssoziologischer und dogmatischer Erkenntnisse (§  4) wird der Blick auf die materiell- und verfahrensrechtlichen Aspekte der konkret in die Betrachtung genommenen Teilrechtsgebiete gerichtet und das anfänglich vorgeschlagene Procedere an den in der Einleitung vorgestellten Problemfeldern erprobt (§  5). In einem letzten analytischen Part wird die verfahrensrechtliche Absicherung des vorgeschlagenen judikativen Vorgehens begründet (§  6). Die Arbeit endet mit der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse (§  7).

140 Vgl.

Hess, Intertemporales Recht, 1998, passim.

§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis I. Vorbemerkungen 1. Warum Rechtssoziologie? Es sei zu Beginn auf den primär antizipationsfähigen Einwand der Kritiker rechtssoziologischer Betrachtungen eingegangen: Welchen Wert kann der soziologische Blickwinkel für eine (rechts-)dogmatische Arbeit haben? Die Antwort liegt dem selbstreflektierenden Rechtspraktiker, insbesondere den amtierenden Richtern und Anwälten, teilweise nahe – auch wenn dies nicht gern eingeräumt wird, da andernfalls der Herrschaftsanspruch des Rechts gefährlich zu wanken drohte –, während Betrachter aus der Wissenschaft sich dieser Erkenntnis teilweise zu verschließen suchen.1 Rechtsdogmatik kann nicht vollauf von der lebenden Rechtsordnung gelöst werden, für die und aus der dieselbe entwickelt und gedacht wird.2 Schon der Rechtsdogmatiker selbst ist Kind seiner Zeit, Umwelt und juristischen Erziehung.3 Zugleich sind dogmatische Lösungsmodelle auf Nutzungs- und Umsetzungsmöglichkeiten der Praxis angewiesen, wollen sie mehr als ein dauerhaft rein fiktives Konstrukt darstellen. Daher soll der rechtssoziologische Ansatz Verständnis wecken und die Aufmerksamkeit auch darauf lenken,4 wie Gesetzgeber und Rechtspraktiker, die in einer Teilrechtsordnung spezialisiert sind (soweit dies für den Normgeber zutreffen kann, was keineswegs selbstverständlich ist), den jeweiligen Teilbereich angehen und interpretieren, welche Methodiken sie vorziehen, welche Teleologien aus ihrer Sicht tragend sind und inwieweit es aus ihrer Perspektive angebracht und sinnvoll erscheint, erkannte oder künftig aufkommende Normenkollisionen einer Auflösung zuzuführen.5 1  Der wohl bekannteste Widerspruch geht auf Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  2 f. zurück. 2 Vgl. Baldus, in: Baldus/Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  5, 21. Ähnlich Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  25 mit einer entsprechenden Begründungslinie aus Sicht der Beschreibung der Rechtsdogmatik. 3 Vgl. Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 49 ff. mwN.  S. a. J. Prütting, MedR 2018, 291, 292 f. 4  Zur Rolle der Grundlagenwissenschaften Stürner, AcP 214 (2014), 7, 30 ff. mwN. mit speziell kritischem Blick auf die Heranziehung wissenschaftlicher Ansätze außerhalb der Jurisprudenz, S.  37 ff. 5  Eingehend zum verhaltensbezogenen Blickwinkel und den Antrieben der Person Hof,

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

Konkret für die vorliegend ins Visier genommenen Teilrechtsordnungen gesprochen: Wie ist der spezialisierte Sozialversicherungsrechtler in seiner Gedankenwelt strukturiert, dessen Blick stetig auf der Funktionalität des gesetzlichen Krankenversicherungssystems ruht? Welche Erwägungen stellt demgegenüber der zivilrechtliche Arztrechtler an, der zwischen all den komplexen Verästelungen des nationalen Gesundheitssystems den Kern der Arzt-Patient-Beziehung beurteilt? Und zu guter Letzt: Sind aus den unterschiedlich gelagerten Betrachtungsweisen Ansätze erkennbar, welche die Vermutung abweichender rechtlicher Beurteilung von vergleichbaren Sachverhalten oder die Vernachlässigung der Mitbetroffenheit anderer Regelungsmaterien erkennen lassen, obgleich ggfls. eine spürbare Wirkung für den Rechtsunterworfenen nicht verneint werden kann? Diese letzte Frage impliziert insbesondere den Untersuchungsgegenstand, ob rechtsdogmatische Vorgaben und so erlangte Erkenntnisse tatsächlich das (einzig) zentrale Entscheidungskriterium der praktischen Rechtsfindung bilden oder ob soziale Einflüsse nicht möglicherweise eine wesentliche Rolle spielen. Ist Justitia auch blind für ihr eigenes Rollenverständnis?6 Die Rechtssoziologie nutzt eine verallgemeinernde Herangehensweise, die mit der sachgedanklichen Schärfe und Präzision der dogmatischen Analyse und Argumentation im Rahmen der Lösung von Detailproblemen nicht Schritt halten kann.7 Sie bei der Beurteilung der Kollision von Teilrechtsordnungen zu vernachlässigen oder außen vor zu lassen, bedeutete jedoch, eine unvollkommene Theorie unter Missachtung der Rechtsrealität anzubieten.8 Ihre Einbeziehung zielt somit auf eine rechtsrealistische Sensibilisierung,9 die Eingang in das konkrete Auslegungsprocedere finden kann, um deren denkbare negative Ein-

Rechtsethologie, 1996, S.  25 ff., speziell im Hinblick auf die Normsetzung S.  77 ff. und zur Fortentwicklung von Rechtsnormen durch den Anwender S.  82 f. 6  An dieser Stelle wird nicht die Grundsatzdebatte um die Vorverständnisfrage geführt, sondern auf einigen ihrer Erkenntnisse für die in dieser Analyse betrachteten Bereiche interessierenden Erwägungen aufgebaut. Zur Vorverständnisdebatte Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970; ders., AcP 172 (1972), 97, 101 ff.; Picker, JZ 1988, 1 ff.; Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S.  119 ff. 7  Treffend herausgestellt von Markovits, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht, 2010, S.  43, 45 ff. 8  Vgl. etwa die kritischen Erwägungen zum richterlichen Sozialprofil und seiner Konsequenzen bei Rehbinder, Rechtssoziologie, 8.  Aufl. 2014, S.  136 ff. S.a. Wrase, Recht und soziale Praxis – Überlegungen für eine soziologische Rechtstheorie, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht, 2010, S.  113, 127 ff. weist unter Bezugnahme auf die Forschung von Rottleuthner, Zur Ausdifferenzierung der Justiz – Einige theoretische Folgerungen, in: ders. (Hrsg.), Rechtssoziologische Studien zur Arbeitsgerichtsbarkeit, 1984, S.  342 darauf hin, dass Rechtstheorie und Rechtspraxis in ihrem Streben nach interner Machtperpetuierung und Eigen­gesetzlichkeit sich von dem Vorhalt, selbst ein soziales Phänomen darzustellen, abgrenzen. 9 Näher Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  348 ff. mwN.

I. Vorbemerkungen

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flüsse für die Rechtspraxis zu minimieren.10 Dabei fällt die vorliegende Erörterung nicht dem naturalistischen Fehlschluss anheim, die Behauptung aufzustellen, der Ist-Zustand determiniere für sich genommen die Sollens-Regelungen.11 Vielmehr wird im Rahmen der Findungsbemühungen um tragfähige Norm­ inter­ pretationsansätze beachtet, dass auch die rechtssoziologischen Grundstrukturen eine Realität bedeuten, die nur mittels erheblicher Umerziehungsbemühungen über größere Zeiträume geändert werden kann12 und der sich die Rechtswissenschaft bei der Theoriebildung stellen muss, will sie rechtspraktische Relevanz erlangen. Es ist aber von zentraler Bedeutung, dass mit allen Erwägungen zur Rechtssoziologie die verfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenzordnung des Staates in keiner Form angetastet wird.13 Dementsprechend wird im Rahmen der Analyse unter §  3 zum methodischen Unterbau von einem rechtspositivistischen Ansatz ausgegangen, da alle außerrechtlichen Einflüsse nicht legitimierter Entitäten auf das Recht mit Blick auf Geltungsanspruch, Belastbarkeit, Änderbarkeit und Vertrauensschutz anderen Maximen unterstehen, als dies im Fall von legitimierten Normgebern entsprechend der verfassungsrechtlichen Ordnung vorgegeben ist.14 Rechtsrealismus und Rechtssoziologie dürfen keine Instrumente oder vermeintliche Erkenntnismuster der Zersetzung der Kompetenzordnung sein,15 sondern sollen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis darüber aufklären, dass im System der Rechtssetzung und Rechtsanwendung (insbesondere der Interpretation von Normen, um die es in der vorliegenden Analyse geht) Kräfte wirken, die jedes sorgfältig erdachte Theoriegebäude versagen lassen können, die jedoch auch vom legitimierten Normgeber gewünschte Effekte zu stützen und verstärken vermögen.16

10  Wrase, Recht und soziale Praxis – Überlegungen für eine soziologische Rechtstheorie, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht, 2010, S.  113, 115 ff. 11 Zum insofern ebenfalls beachtlichen Beziehungsgeflecht von Rechtssoziologie und Rechtsdogmatik, vgl. T. Raiser, Über Beziehungen zwischen Rechtssoziologie und Rechtsdogmatik, in: Raiser (Hrsg.), Beiträge zur Rechtssoziologie, 2011, S.  144, 149 f. 12  Grundlegend zur sog. Hysteresis auf Basis des von Bordieu entwickelten Habitus-Konzepts, vgl. Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, 1976, S.  170; Rehbein, Die Soziologie Pierre Bourdieus, 3.  Aufl. 2016, S.  93. 13  Auch beschrieben als „rechtsrealistische[s] Missverständnis“, vgl. Thomale, in: Baldus/ Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  189, 193 f. 14 Zur Einbindung aus dogmatischer Sicht etwa Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  77 f. 15  Zum Hintergrund um den Gesetzespositivismus Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  301 ff. mwN. 16 Vgl. Rehbinder, Rechtssoziologie, 8. Auf. 2014, S.  9 ff. mwN.

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

2. Das deduktiv verfasste, induktiv lernende System Die deutsche Rechtordnung verfolgt einen primär deduktiven Ansatz. Vom Grundgedanken wird nach dem Vorbild des Syllogismus17 über jeden Lebenssachverhalt schematisch die abstrakte Regelsetzung gelegt, auf dass bestenfalls zu jeder rechtlich relevanten Situation eine eindeutige Entscheidung gefunden werde.18 Unüberschaubare Gemengelagen werden mittels Generalklauseln und entsprechender Machtübertragung an die zur Entscheidung berufene Instanz – Gerichte, Schiedsgerichte, Schlichtungsstellen etc. – im Einzelfall delegiert.19 Lückenschließung erfolgt – soweit erforderlich und an Hand der herrschenden dogmatischen Vorgaben als tragfähig erachtet20 – durch Normextension und Analogieschluss,21 wobei nach Möglichkeit die Leitbilder und Prinzipien der Verfassung als Erkenntnisquelle und Werteordnung22 oder sogar als Lückenfüller23 herangezogen werden. Aufgrund fehlender Perfektion aller am Gesetzgebungsverfahren Beteiligter ebenso wie aufgrund der Imperfektion des Verfah­rens selbst – hinter keiner der beiden Feststellungen verbirgt sich ein Versagensvorwurf an den Rechtsstab24 , da optimale, gedacht als perfekt interessengerechte Gesetzgebung nach menschlichem Ermessen bislang außerhalb jeder Reichweite ist – muss das System ohne Unterlass lernen, soll es den Rechtsunterworfenen dienlich sein, wofür es geschaffen worden ist. Verfassung und Erhaltung einer friedlichen Koexistenz aller Individuen im Staat unter Wahrung größtmöglicher Freiheit des Einzelnen zur Entfaltung der Persönlichkeit und Verteilung gegebener und verwaltungsfähiger Ressourcen nach zu 17 

Nach dem aristotelischen Vorbild, vgl. Aristoteles, Topik I 1, 100a25–27. der strengen juristischen Umsetzung bei Engisch, Einführung in das juristische Denken, 2010, S.  104 f. 19  Ausführlich mit Hintergrundanalyse Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S.  225 ff. 20  Ausführlich zu den Hintergründen und zur Entwicklung in der Herangehensweise und den Methoden der Rechtsfindung Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S.  137 ff. 21 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  66. 22  Grundlegend zur Werteordnung BVerfGE 7, 198 (Lüth) = NJW 1958, 257. 23  So insbesondere die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, vgl. BVerfG, NJW 2006, 3409; 2000, 1021 (wobei sich die verfassungsrechtliche Ausprägung des APR mit Blick auf ihren primär abwehrrechtlichen Charakter anders darstellt, als die zivilrechtliche Einbeziehung, vgl. MüKo/Riexecker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Anhang zu §  12 Rn.  8), BGHZ 169, 193 Rn.  13 f. = NJW 2007, 684; BGH, NJW 2000, 2195 entgegen der Entscheidung des historischen Gesetzgebers, vgl. Prot. II S.  6 41; Mugdan II S.  1297; S.a. LG Münster, NJW 1978, 1329 zur Ergänzung des deliktischen und quasinegatorischen Unterlassungsschutzes in den §§  823 Abs.  1, 1004 BGB um das Rechtsgut der Pressefreiheit aus Art.  5 GG. Ausführlich zur Entwicklung Wagner, in: Willoweit (Hrsg.), Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur im 20. Jahrhundert, 2007, S.  181, 192 ff. 24  Diese rechtssoziologisch geprägte Terminologie, die alle Gewalten im Staat umschreibt, weist gezielt auf die hier eingenommene Perspektive hin, nach der der vorliegende Untersuchungsgegenstand nicht allein juristisch-dogmatisch erfasst, sondern vielmehr nur interdisziplinär korrekt beschrieben und gelöst werden kann. 18  Nach

I. Vorbemerkungen

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bildenden Maßstäben entsprechend der Situation der Rechtsunterworfenen bedeuten die Schaffung einer Sozialordnung.25 Dazu stehen aus Sicht des Rechtsstabes unterschiedliche Erkenntnisansätze zur Verfügung, die mit Blick auf die transportierten Informationen aus unterschiedlichen Quellen gespeist werden. Von zentraler Bedeutung ist zunächst – von der demokratisch-hierarchisch höchsten Ebene aus gedacht – der parlamentarische Gesetzgeber mit seinen Erkenntnissen. Informationen werden in dieser Institution bei der Anbahnung, Durchführung bis hin zur Verkündung und ggfls. Verteidigung von Gesetzen im verfassungsgerichtlichen Verfahren 26 gewonnen.27 Hier können im Wesentlichen mit kritischen Analysen und vor dem Hintergrund bereits erworbener Erkenntnisse künftige Entwicklungen antizipiert werden, um letztlich im Rahmen abstrakt-genereller Anordnung trial and error28 unter Nutzung gesetzgeberischer Einschätzungsprärogativen 29 zu betreiben. Je nach Vorlaufzeiten, Erfahrungswerten und Testmöglichkeiten, sei es über Expertengremien oder andere Prüf- und Analyseeinrichtungen, können Art und Ausmaß denkbarer Wirkungen bei Staat und Rechtsunterworfenen eingeschätzt werden. Dabei ist der kritische Hinweis der Rechtssoziologie zu beachten, dass die Frage, welchen Hinweisen auf denkbare Effekte letztlich im Parlament Gehör zu schenken ist, wenn es um Durchsetzung von Veränderungen geht, regelmäßig von der Stärke des jeweils dahinterstehenden Interessenverbandes abhängt.30 Dies gilt sogar 25 Vgl. Zacher, Grundtypen des Sozialrechts, in: ders. (Hrsg.), Abhandlungen zum Sozialrecht, 1993, S.  257. 26  Zu diesem letzten Aspekt sei beachtet, dass die vom BVerfG gesetzten Impulse letztlich ihrerseits starken Einfluss auf die nachfolgende Gesetzgebung haben, vgl. die Untersuchung bei Landfried, Bundesverfassungsrecht und Gesetzgeber, 1984. 27  Dieser Blick auf das soziologische Phänomen „Gesetzgebung“ ist für die später zu erörternde Bestimmung des gesetzgeberischen Willens (subjektive Teleologie) von Bedeutung, vgl. hierzu §  3, II. 3. a) aa) (2). 28  Wissenschaftstheoretisch auf den Falsifikationismus im Sinne der Lehren von Popper und Lakatos gestützt ist dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber – ökonomisch gedacht – gleich einer Managementebene ein breiter Beurteilungsspielraum eröffnet, in dessen Rahmen und unter Beachtung der Grenzen der Verfassung Wagnisse eingegangen und Fehler gemacht werden dürfen, ohne dass dies das Urteil des rechtswidrigen Staatshandelns verdiente. Den zentralen ideengeschichtlichen Hintergrund der verstehenden – in Abgrenzung zur ordoliberalistischen – Ökonomik zeichnet Ebner, Ökonomie als Geisteswissenschaft?, in: Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XXVIII, 2014, S.  73 ff. mwN. trefflich nach. 29  Grundlegend zum Schutz des Gesetzgebers vor verfassungsgerichtlicher Kontrolle der erforderlichen Einschätzungsprärogative und des damit einhergehenden Gestaltungsspielraums BVerfGE 118, 212, 234 = NJW 2007, 2977. Vgl. aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Gestaltungsspielraum im Arbeitsrecht etwa BVerfGE 134, 204 = NJW 2014, 46, 47; BVerfGE 103, 293, 307 ff. = NZA 2001, 777, 779 und hierzu Ulber, NZA 2016, 619 ff. 30 Näher Böhret/Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung, 2001, mit der Gegenüberstellung von begleitender (S.  89 ff.) und retrospektiver (S.  255 ff.) Gesetzesfolgenabschätzung. Interessant hierzu sind auch die Untersuchungen zu Gegenstand und Wirkung von Gesetzgebungsoutsourcing, vgl. Kloepfer, in: Hochhuth (Hrsg.), Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen, 2012, S.  65 ff.; monographisch Leven, Gesetzesoutsourcing, 2013.

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

für hinzugerufene Fachleute und Expertenansichten.31 Aufgrund des umfangreichen Spektrums schwer zu bestimmender Variablen – Kenntnisnahme gegebener oder veränderter Rechtslage durch die Rechtsunterworfenen, Wirk­ samkeit von Sanktionsandrohungen, Effektivitätsniveaus verhaltensleitender Mechanismen in Form von Haftungsandrohungen, Rechtebeschränkungen, korrekte Bestimmung der gebotenen Anreizsetzung uVm – ist der gesetzgeberische Ansatz stets von zahlreichen Rückschlägen, gepaart mit der Notwendigkeit rasch aufeinanderfolgender Aktions- und Reaktionsgebote, gezeichnet und zum Schutz gegen lähmend ausufernde Detailarbeit auf andere Kontroll- und Entscheidungsmechanismen im Rechtsstab angewiesen. Dementsprechend schafft die Legislative ein System äußerer Ordnung für einzelne Teilbereiche und orientiert sich hierbei zentral an den zu regelnden Lebensbereichen. Dies lässt sich an Hand der §§  630a ff., 611 ff. BGB für den speziellen dienstvertraglichen Bereich des Arztrechts, in den Berufsordnungen der Ärzte und Zahnärzte, im SGB V mit der sozialversicherungsrechtlichen Einkleidung sowie in den §§  203, 263, 299a, b StGB und zahlreichen weiteren Ansätzen (HWG, UWG, AMG, MPG, TPG, TFG, IfSG etc.) für das Gesundheitssystem und der vielen Ansätze zur Berufsausübung des Arztes in unterschiedlichen Funktionen und Kompetenzbereichen nachvollziehen. Dabei werden teilbereichsspezifisch unterschiedliche Zwecke verfolgt, ohne dass eine abschließende Feinjustierung aus Sicht des Gesetzgebers möglich erschiene. Rechtssoziologisch erscheint daher allem voran die Judikatur als verlängerter Arm der Legislative zur Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit und Umsetzung.32 So verständlich diese Vorgehensweise am Beginn wachsender Erkenntnis über ein regelmäßig nicht vollauf erschlossenes und in ständiger Bewegung befindliches Sach- und Rechtsgebiet erscheinen mag, so sehr wird trotz wissenschaftlicher Bemühungen um Rechtsprechungssammlungen, Entscheidungsanmerkungen bis hin zu monographischen Erörterungen dabei außer Acht gelassen, dass die entstehende „Einzelfallgerechtigkeit“ vom Standpunkt des Rechtsrealisten häufig nicht viel mehr ist, als die Durchsetzung der jeweiligen richterlichen Vorstellungswelt. Goethe hätte mit den Worten des Faust hervorgehoben: „Was Ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren ei31  Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, 5.  Aufl. 1980; Hugger, Gesetze. Ihre Vorbereitung, Abfassung und Prüfung, 1983, S.  75 ff. 32  Detailuntersuchungen der tatsächlichen Umsetzungen finden sich etwa bei Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, 1979, S.  56 ff. Für den Bereich der praktischen Handhabung medizin- und gesundheitsrechtlicher Vorschriften sind solche Untersuchungen nicht in belastbarer Form vorhanden, da allem voran im Bereich des öffentlichen Gesundheitsrechts die Flut von Gesetzesänderungen relevante Langzeitbetrachtungen massiv stört. Einzelne frühe Versuche finden sich im Sammelwerk Ferber/Kaufmann (Hrsg.), Soziologie und Sozialpolitik, 1977, deren Erörterung jedoch an dieser Stelle nicht weiterführt, da die nachfolgend aufgegriffenen Fragestellungen hierin vielfach bereits aufgrund anderer Rechtslage noch nicht diskutiert wurden.

I. Vorbemerkungen

35

gener Geist, In dem die Zeiten sich bespiegeln“.33 Ginge man in der Situation des Entscheiders eines konkreten Falles mit Blick auf die verantwortungsvolle Stellung des Richters davon aus, dass das Gros der Richterschaft im Bereich der Tatsacheninstanzen stets den Spagat zwischen Erschaffungsgebot eines in sich schlüssigen, tragfähigen Systems, welches Vertrauensschutz für die Rechtsunterworfenen bietet, und hinreichender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu meistern suchte, so sollten zahlreiche Enttäuschungen schon deshalb erwartet werden, weil es der Richterschaft bereits aus Mangel an Zeit und mit Blick auf einen prozessökonomischen Umgang kaum möglich sein dürfte, die eigenen Entscheidungen unter maximaler Gewissensanstrengung auf Systemkonformität hin zu überprüfen oder gar zur Systemerrichtung beizutragen.34 Anders mag die Situation in der Revisionsinstanz als reiner Rechtsinstanz gerade auch mit Blick auf die zivilprozessualen Entwicklungs- und Sys­ tem­ideen, die der Grundsatzbedeutung, der Fortentwicklung des Rechts und der Einheitlichkeitssicherung gemäß §  543 ZPO immanent sind,35 zu beurteilen sein. Jedoch kann es keinen Zweifel daran geben, dass die überwiegende Zahl der Einzelfallbetrachtungen bei der Auslegung von Vorschriften und – sofern erkannt – bei der Auflösung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen über die Tatsacheninstanz hinausgehen, was sicherlich auf unterschiedlichen Gründen beruhen mag.36 Hinzu tritt der berechtigte Zweifel, ob die Mehrzahl der Entscheider die Fähigkeit zu einer entsprechenden Systembildung mitbringt. Dies dürfte beim klassischen Juristen bereits mangels gesonderter soziologischer und ökonomischer Ausbildung auch nicht zu erwarten sein. Das lernende System benötigt aber im Bereich der Reglementierung zu fordernder Eigenverantwortlichkeit rahmengebende Prinzipien und Argumentationsmuster, die ihrerseits die Richterschaft in der konkreten Entscheidungsfindung anleiten und von Einschätzungen ex cathedra abhalten, um eine richterliche Willkürherrschaft in diesem Bereich bestenfalls zu unterbinden, jedenfalls aber überprüf- und beschränkbarbar werden lassen.

33 

von Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Szene: Nacht, Faust zu Wagner. Baldus, in: Baldus/Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  5, 12 f. 35  Zur Bedeutung wegen Klärungsbedürftigkeit aufgrund einer Vielzahl von Fällen und damit gegebener Systemrelevanz, vgl. amtl. Begr. des ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722, S.  104; BGHZ 159, 135, 137 = NJW 2004, 2222; BGHZ 152, 182, 191 = JZ 2003, 263 m. Anm. Schlosser; BGHZ 151, 221, 223, 225 = NJW 2002, 3029. Zur Frage allgemeiner Bedeutung MüKo/ Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  543 Rn.  6 ff.; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  6 ff.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.  Aufl. 2018 Rn.  6 ff. 36  Es kann der jeweils unterlegenen Partei mit Blick auf wirtschaftliche Risiken zu gefährlich sein, den Rechtsstreit weiter zu verfolgen, die Berufungssumme von 600 € kann unterschritten sein und das Gericht erkennt die Zulassungsvoraussetzungen nicht an, die Prozessdauer begrenzt den Verfolgungswillen oder ein geschlossener, wenn auch unausgewogener Vergleich wird zur weiteren Risiko- und Streitvermeidung akzeptiert. 34 Deutlich

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

Eine letzte Bemerkung zu den im Rechtssystem angelegten Unschärfen soll den Blick noch auf das temporale Moment lenken. Welcher legitimierte Normgeber im Einzelfall auch am Werk gewesen sein mag, es ist doch in jedem Fall Recht für gerade jene Zeit gesetzt worden, in der die Entscheidung gefallen ist (und seien die damit verbundenen Ideen im Einzelfall auch noch so zukunfts­ orientiert). Daraus ergeben sich zwei Problemlagen: Wird eine Vorschrift im Rahmen eines bestimmten Teilsystems des Rechts geschaffen, so ist ihre Zweckbestimmung auf die aktuelle Rechtslage gerichtet. Ändern sich sodann in Bezug genommene Teile der Rechtsordnung, so stellt sich regelmäßig die Frage, wie der legitimierte Normgeber die Vorschrift nunmehr aufgefasst hätte,37 welcher Wert ihr noch beizumessen sein kann und ob dieselbe ggfls. sogar zu streichen sein könnte.38 Es darf nicht aus den Augen verloren werden, dass allem voran Gesetzesrecht immer ein Stück „geronnene Politik“39 ist und niemals ohne Zweckbestimmung im Raum steht.40 Darüber hinaus bringen unterschiedliche Normsetzer vielfach voneinander abweichende Ideen, Hintergründe und Ziele mit sich.41 Je nachdem, auf welchen Normgeber hinsichtlich einer subjektiv-teleologischen Betrachtung also abgestellt wird, ist häufig auch ein anderes Normverständnis zu erwarten.42 Obwohl es sich scheinbar um eine originär rechtsdogmatische Gemengelage handelt, fällt deren Durchschlagskraft doch erst deutlich auf, wenn durch die rechtssoziologische Brille die hiermit wachsende Macht der Judikative und die zugleich drohende Zerklüftung der Systemidee im Recht erkannt wird.43

37  Die andere konsequente Erwägung aus Sicht der Rechtsordnung selbst behandelt Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  166 ff., wenn er die Reaktionsmöglichkeiten und -weisen vorstellt, die das Gesetz zur Anpassung an veränderte Umstände bereithält. 38  Dies geht bis hin zu der Erwägung, dass eine vormals akzeptierte Norm später als verfassungswidrig erkannt wird, vgl. BVerfGE 88, 203, 309 f. = NJW 1993, 1751. 39  Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  23. 40  Vgl. BVerfGE 35, 263, 279 = DÖV 1973, 643; Ebsen, Gesetzesbindung und „Richtigkeit“ der Entscheidung, 1974, S.  31 ff. 41 Hierzu Jarass AÖR 126 (2001), 588; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  12 f.; R. Schmidt, Widerspruchsfreiheit als rechtlicher Maßstab, FS Canaris, Band II, 2007, S.  1353; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 6.  Aufl. 2005, S.  477; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  55. 42 Hierzu Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen im Zivilrecht, 2007, S.   487 f.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  4 46 f.; Rüthers/Höpfner, JZ 2005, 21 ff. 43  Diese Wandlungsfähigkeit betont auch das BVerfG, vgl. BVerfGE 34, 269, 286 ff. = NJW 1973, 1221, 1225 f.

II. Die Perspektive der Sozialwissenschaften

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II. Die Perspektive der Sozialwissenschaften – Konfliktlage zwischen Rechtswissenschaft und Sozialforschung Nun stehen aber die empirischen Sozialwissenschaften in Konflikt zum juristischen Selbstverständnis, was die Reflexion zu behindern geeignet ist.44 Die rechtswissenschaftliche Dogmatik hat spätestens seit Herausbildung eines rechtstheoretischen Denkens den Anspruch der Autonomie gegenüber anderen Disziplinen erhoben.45 Das ist für den Rechtspraktiker bereits deshalb einsichtig – und auch bequem –, weil jegliche sonstige Sichtweise stets zum interdisziplinären Blick auf juristisch zu beurteilende Sachverhalte zwingen würde, wollte man das Recht korrekt anwenden. Selbstverständlich soll auch an dieser Stelle nicht in Abrede gestellt werden, dass ein Rechtssystem, welches sich in jeglicher Hinsicht der unbegrenzten Öffnung für interdisziplinäre Ansätze dergestalt verschriebe, dass juristische Bewertungen aus einer eigenständigen rechtswissenschaftlich gestalteten Dogmatik heraus nicht möglich wären, nicht arbeitsfähig sein kann. Die Anforderungen an Ausbildung und praktische Handhabung im juristischen Alltag überstiegen das individuell Zumutbare und wären allenfalls für eine kleine, hoch akademisierte Personengruppe in Nuancen einzuhalten. Allerdings kann es um einen solch übertriebenen Ansatz der Einflechtung interdisziplinärer Erwägungen sinnvollerweise auch nicht gehen. Das Recht muss seinen Autonomieanspruch verfolgen, um ein Recht für die Gesellschaft zu bilden, selbst wenn es nicht immer das Recht der Gesellschaft46 sein kann. Strebt das Recht aber – und dies muss axiomatisch unterstellt werden – immer danach, das bestmögliche Recht für die Gesellschaft zu sein, darf es die Erkenntnisse anderer Disziplinen nicht ignorieren.47 Die Inkorporation in das Recht selbst leistet der Jurist sodann über argumentative Berücksichtigung in

44 Vgl. Wrase, Recht und soziale Praxis – Überlegungen für eine soziologische Rechts­ theorie, in: Cottier/Estermann/Wrase (Hrsg.), Wie wirkt Recht, 2010, S.  113, 114, 127 ff. 45  Zum Streitstand unterschiedlicher Modelle van de Loo, Interview mit Hoffmann-Riem und Rinken, Die Ausbildung von Juristinnen und Juristen im Widerstreit. Die einstufige Juristenausbildung in Bremen und Hamburg – Rückblick, Reflexion und Ausblick, in: Kritische Justiz, Streitbare JuristInnen, 2016, S.  589. 46  Zum Hintergrund Kocher, RW 2017, S.  153 ff.; s. a. Rehbinder, Rechtssoziologie, 8.  Aufl. 2014, S.  2 f. 47  In diese Richtung auch BVerfGE 34, 269, 288 f. = NJW 1973, 1221 für die Auslegung von Gesetzen mit Blick auf die Möglichkeit eines Bedeutungswandels: „Die Auslegung einer Gesetzesnorm kann nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben. Es ist zu berücksichtigen, welche vernünftige Funktion sie im Zeitpunkt der Anwendung haben kann. Die Norm steht ständig im Kontext der sozialen Verhältnisse und der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, auf die sie wirken soll; ihr Inhalt kann und muss sich unter Umständen mit ihr wandeln. Das gilt besonders, wenn sich zwischen Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen so tiefgreifend geändert haben wie [im zwanzigsten] Jahrhundert“.

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

offenen Normen48 , im Rahmen der Auslegung49, bei der Tatsachenfeststellung (insbesondere auch durch Sachverständigenrat, etwa §§  402 ff. ZPO) und dem Tatsachenverständnis50 sowie bei der maßvollen Rechtsfortbildung51 und de lege ferenda bei der rechtspolitischen Einbeziehung. So verstanden darf die Autonomie der Rechtstheorie dann jedoch nicht in eine Arroganz desjenigen umschlagen, der aufgrund der staatlichen Struktur- und Lenkungsmechanismen, die über Gesetze funktioniert,52 mit seiner Dogmatik faktisch das letzte Wort hat und dementsprechend die anderen Disziplinen als weniger beachtenswert oder gehaltvoll ansähe. Rechtssoziologie soll dementsprechend (i) durch empirische Erkenntnisse die Rechtssetzung und Rechtsanwendung stützen, (ii) eine zielführende und sachgerechte Steuerung der Gesellschaft durch Recht fördern, (iii) das Recht und seine Umsetzung konstruktiv kritisieren und (iv) die eingeschränkte Sicht des Rechtswissenschaftlers bei Zeiten irritieren, um neue Impulse für Innovationen zu setzen.53 Sämtliche dieser Ansätze sind bedeutsame Erwägungen bei der Analyse von Normenkollisionen, da das Recht gerade im Rahmen dieses Untersuchungsgegenstands an die Grenzen seines systematischen Selbstverständnisses stößt und äußere Blickwinkel eine Hilfestellung bieten können. Das Recht selbst wird zum Forschungsgegenstand erklärt und muss sich einer kritischen Analyse stellen.54 Zwar bleibt die Soziologie im Bereich der Hilfswissenschaft,55 jedoch ist es der Rechtswissenschaft anzuraten, die integrativen Bemühungen der Sozialforschung ernst zu nehmen und zu rezipieren (Ehrlich56 , Sinzheimer 57).

48 

Vgl. BVerfGE 7, 215 = NJW 1958, 257 zur Ausfüllung des Sittenwidrigkeitsverdikts. BVerfGE 34, 269, 286 ff. = NJW 1973, 1221, 1225 f. 50 Hierzu monographisch Philippi, Tatsachenfeststellungen des Bundesverfassungsgerichts, 1971. Aus der Rspr. BVerfGE 108, 282 Rn.  52 = NJW 2003, 3111, 3114; BGH, NZV 2005, 137, 138. 51 Vgl. Fischer, ZfA 2002, 215, 233 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  508 ff. 52  Zur Idee des Rechts als Instrument der legitimen Herrschaftsverwirklichung in der Gesellschaft, Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1914, S.  124 f. 53 Vgl. Kocher, RW 2017, 153, 155. 54 Vgl. Baer, Rechtssoziologie, 3.  Aufl. 2017, §  2 Rn.  61 ff. 55 Vgl. Bora, Responsive Rechtssoziologie, ZfRSoz 36 (2016), S.  261, 265. Im Gegensatz dazu der US-amerikanische legal realism, vgl. Röhl, Rechtssoziologie, 1987, Kap.  1 §  9. 56  E. Ehrlich/H. Kelsen, Rechtssoziologie und Rechtswissenschaft, ARSP 1915, 839; 1916, 844, 850; 1916/17, 609, 611. 57  H. Sinzheimer, Die soziologische Methode in der Privatrechtswissenschaft, 1909. 49 

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen Der vorab beschriebene Blickwinkel des gedacht außerhalb der Rechtsordnung stehenden Betrachters bringt für die anstehende Detailanalyse die nachfolgenden Erkenntnisse.

1. Grundunterscheidung nach hergebrachten Rechtsgebietseinteilungen Auf oberster Hierarchieebene findet sich eine Dreiteilung der juridischen Welt, die Jestaedt mit Recht als „Tiefengrammatik unseres gesamten Rechtsdenkens und Rechtshandelns“58 bezeichnet hat. Der Privatrechtler wird in der nationalen Rechtsordnung als Privatrechtler sozialisiert, der Öffentlichrechtler eben als solcher und der Strafrechtler desgleichen. Die Teilrechtsordnungen erfahren – ohne dass es dabei zu einer klaren Definition gekommen wäre, welche Vorschriften und Teilbereiche des Rechts exakt zu welchem der drei obersten Ansätze zu rechnen wären – eine allgemein anerkannte Grundunterscheidung im Denken des Juristen.59 Dabei ist schon die Unterteilung selbst mit Zweifeln besetzt, ist doch bspw. das Strafrecht eine klassische Form hoheitlichen Eingriffsrechts und damit dem öffentlichen Recht zuzuordnen60 und selbstverständlich finden sich auch im gesamten Bereich des öffentlichen Rechts klassische Koordinationserwägungen unter gleichgeordneten Rechtssubjekten61, Schadensersatz- 62 und sonstige Ausgleichsfragen63 sowie die Regulierung des gebotenen rechtsgeschäftlichen Verhaltens (teilweise unter Rückgriff auf zivilrechtliche 58  Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt – Plädoyer für ihre intradisziplinäre Relationierung und Relativierung, in: FS Stürner 2013, S.  917 f. 59 Zur historischen Entwicklung Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordina­ tions­aufgabe, 2004, S.  8 ff. 60 Vgl. MüKo/Joecks, StGB, 3.   Aufl. 2017, Einleitung Rn.  7 f. mit weiterer Unterteilung nach den drei Säulen des Strafrechts sowie unter Abgrenzung sonstigen öffentlich-rechtlichen Sanktionenrechts. 61  So insbesondere im Fall der Streitigkeiten zweier Kommunen. Nicht zuletzt diese Erkenntnis hat für die Abgrenzung im Rahmen der Rechtswegeröffnung zur heute herrschenden modifizierten Subjektstheorie oder Sonderrechtslehre als jene geführt, die auf die Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm abstellt und es somit primär dem Gesetzgeber überlässt, eine Grundeinschätzung zu finden (und falls diese fehlt, es der Judikative anheimstellt, durch Auslegung die Rechtsnatur zu ermitteln), vgl. nur BeckOK/Reimer, VwGO, 47. Ed. 2018, §  40 Rn.  45 ff. Zur Grundsatzdebatte s. a. Gemeinsamer Senat, Beschl. v. 10. April 1986 – GmSOGB 1/85, BGHZ 97, 312, 313 f. [BGH 10.04.1986 – GmS-OGB 1/85] = NJW 1986, 2359 mwN. 62  Allem voran in Form von Amtshaftungsansprüchen nach §  839 BGB iVm Art.  34 GG, deren Streit vor die ordentliche Gerichtsbarkeit zwingt, Art.  34 S.  3 GG. 63 So etwa der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, dessen Geltendmachung den Verwaltungsrechtsweg (oder den der Sache nach korrekten sonstigen öffentlich-rechtlichen Rechtsweg) verlangt, vgl. BVerwGE 108, 364 f. = NVwZ 2000, 77. Eine Auflistung zu den spezialgesetzlich angeordneten Fällen mit Details findet sich bei Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6.  Aufl. 2013, S.  534 ff.

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

Strukturen, vgl. etwa §§  62 VwVfG, 69 Abs.  1 S.  3 SGB V). Die begonnene Beispielsauflistung könnte in kaum überschaubarer Vielzahl fortgesetzt werden. Die Auswirkungen dieser gleichwohl erfolgten, grundlegenden Differenzierung sind in sämtlichen Bereichen des Rechts zu spüren. Für die zentrale Analyse in dieser Arbeit erfolgt daher nur eine Übersicht zu den Erwägungen im Zivil- und Sozialrecht (hier mit Blick auf die sozialversicherungsrechtliche Komponente der gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V). Wird das vorgeschlagene Procedere rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen in anderen Bereichen angewendet, ist es Teil des rechtssoziologisch kritischen Blicks, entsprechende Erwägungen anzustellen. Dies gilt etwa für ggfls. weniger einschneidende Differenzierungen zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrechtler64 aufgrund der überwiegenden (Basis-)Zugehörigkeit beider zum Zivilrecht oder nahezu komplementär ineinander gewachsene Ansätze unterschiedlicher Teilbereiche wie das öffentlich-rechtliche Immissionsschutzrecht und die privatrechtliche Rechtsverteidigung nach §§  1004, 906 BGB. 65

2. Zivil- vs. Sozialrecht Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker sind weithin daran gewöhnt, zwischen Sozialrecht als Teilkategorie des öffentlichen Rechts und Zivilrecht zu unterscheiden. 66 Zwingend ist diese Differenzierung freilich nicht. 67 Der Umstand aber, dass dieselbe dem Juristen und auch manchem außerjuristischen Berufszweig in Fleisch und Blut übergegangen ist – nach der Kuhnschen Phasenlehre kann ohne Weiteres von einem wissenschaftlichen Paradigma gesprochen werden68 –, zeitigt für die vorliegende Erörterung bedeutsame Konsequenzen. Für die Unterscheidung nach Funktionen benennt Schmidt-Aßmann zum Bereich des öffentlichen Rechts die Zertifizierung-, Stabilisierungs-, Vorklärungs-, Artikulations-, Droh- und Durchsetzungsfunktion, während im Privatrecht Verkehrs-, Fein-, Nachsteuerungs-, Flexibilisierungs- und Integra­ tions­funktion auszumachen seien. 69 Dieser nähere Kategorisierungsversuch, der weder abschließend ist noch dahingehend verstanden werden darf, dass die 64 Treffend Schmidt, ZIP 2018, 853 mit der Beschreibung beider Teilrechtsgebiete als zweier eifersüchtiger Schwestern, die ein gemeinsames Haus bewohnen und gleichwohl kleinlich über die Abgrenzung ihrer jeweiligen Gartenanteile wachen, passend aufgegriffen mit Blick auf die Diskussion den Begriff der freiberuflichen Tätigkeit von Ziegler, MedR 2018, 645, 651. 65  Ausführlich hierzu MüKo/Brückner, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  9 06 Rn.  69 ff. mwN. 66  Jestaedt, Die Dreiteilung der juridischen Welt, in: FS Stürner, Bd.  I , 2013, 917, 920 ff. 67  Deutlich zu ersehen an Hand der Abgrenzungsschwierigkeiten, die bei der Diskussion um die Rechtsnatur der jeweils streitentscheidenden Norm entstehen, vgl. MüKo/Zimmermann, GVG, 5.  Aufl. 2017, §  13 Rn.  5 ff. mwN. 68  Sog. Wissenschaftsparadigma, vgl. Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 13.  Aufl. 1996, S.  25 ff. 69  Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S.  7, 26 f.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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erkannten Elemente eines Bereichs nicht durchaus auch im anderen vorkommen und tragen können, verdeutlicht, dass die Rechtswissenschaft unterschiedliche Ansätze und Bereichslogiken verinnerlicht hat und diese auch zu benennen sucht. So sind bereits die studientechnisch trainierten Denkstrukturen im Zivilrecht im Vergleich zum Sozialrecht andere.70 Das Zivilrecht tendiert zu einem Analyseblickwinkel, welcher sich auf Privatautonomie, rechtsgeschäftliche, gesellschaftsrechtliche und gesetzlich vorgezeichnete Durchführungsstrukturen und Haftungsmechanismen konzentriert.71 Die Welt ist für das Zivilrecht gleichsam nach Ordnungsmechanismen konstruiert, die eine sinnvolle und überprüfbare Güterallokation sicherstellen sollen, was auch die besondere Affinität zur ökonomischen Analyse des Rechts erklärt.72 Was im Rahmen rechtsgeschäftlicher (regelmäßig vertraglicher) Freiheit dabei nicht vernunftgeleitet zwischen etwa gleich starken Verhandlungspartnern erreicht werden kann, wird mittels gesetzlicher Kontrollmechanismen (Auslegung, das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, nicht disponibles Vertragsrecht, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzrecht, das Schutzrecht für Minderjährige und Geschäftsunfähige und eben auch das Schutzrecht des Patienten gegenüber dem wissens- und situationsbedingt überlegenen Arzt73)74 nach durchaus unterschiedlichen Gerechtigkeitsansätzen75 verfolgt. Das heutige Zivilrecht ist damit das erkennbare Produkt der sinnvollen Entwicklung vom Statusrecht, über ein liberalisiertes Kontraktrecht hin zum rollenbasierten76 Ausgleichsversuch zwischen Freiheitssicherung und Schaffung von Waffengleichheit der jeweiligen Parteien in ihrer spezifischen sozialen Rolle.77 Das moderne Zivilrecht möchte dem Grunde nach in einem ordoliberalen Sinne den Rahmen zur Selbstregulierung durch die Marktkräfte und aller beteiligten In70 

Hierzu auch Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  30. etwa die unterschiedliche Strukturierung und Herangehensweise bei D. Prütting/ J. Prütting, Medizin- und Gesundheitsrecht, 2018 im Rahmen der Darstellung des öffentlichen Gesundheitsrechts und des privaten Arztrechts. Als klassisches Beispiel für die Vorgehensweise im Zivil- und Gesellschaftsrecht möge auch Weller/Prütting, Handels- und Gesellschaftsrecht, 9.  Aufl. 2016 dienen. 72  Statt vieler Calabresi, The Costs of Accidents, 1970; Posner, Economic Analysis of Law, 9.  Aufl. 2014, S.  191 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114; Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S.  105 ff.; MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2017, vor §  823 Rn.  51 ff. 73 Speziell hierzu lesenswert Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  6 ff. 74 Eingehend aufgezeigt an Hand des Wettbewerbs- und Regulierungsrechts Mohr, Si­ cherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S.  175 ff., 418 ff., 657 ff. 75 Eine Strukturierung und Erörterung gängiger Konzepte bieten Goppel/Mieth/Neuhäuser (Hrsg.), Handbuch der Gerechtigkeit, 2016. S.a. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  214 ff. mwN. 76  Zum Hintergrund des im bürgerlichen Recht aufgenommenen Menschenbildes näher Kähler, RW 2018, 1, 3 ff. 77  Näher beschrieben bei Rehbinder, Rechtssoziologie, 8.  Aufl. 2014, S.  65 ff. mwN. 71  Vgl.

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dividuen schaffen. Es erkennt daher an, dass je nach Situation ein Rechtssubjekt teilweise hinreichend für seinen eigenen Schutz sorgen kann und teilweise staatlicher Unterstützung bedarf, um nicht ausgebeutet und anderweitig, etwa durch Gefahren des Rechts- bis hin zum Unrechtsverkehr übermäßig belastet zu werden.78 Dieselbe Person, die im Rahmen ihrer Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer einer ihr Marktsegment beherrschenden GmbH eine starke Verhandlungsposition für unternehmensbezogene Verträge mit Dritten hat, die ggfls. sogar zum Schutz anderer Marktteilnehmer qua Kartellrecht (§§  19, 20 GWB, Art.  102 AEUV) und Wettbewerbsrecht (insbesondere §§  3 ff. UWG) kontrolliert werden muss, ist als Patient in Krankheit gegenüber dem jeweiligen Arzt mangels Expertenwissens und mit Blick auf das körperliche Gebrechen unbestreitbar schutzwürdig und schutzbedürftig. Das Zivilrecht versucht dieser Vielzahl zu bedenkender Gegebenheiten mit einem weitreichenden Geflecht aus spezifischen Vertragskonzepten mit partiell zwingendem und partiell dispositivem Recht (§§  433 ff., 516 ff., 535 ff., 611 ff., 630a ff., 631 ff., 651a ff. BGB etc.) zur vorrangigen Nutzung der Schwarmintelligenz79 der Marktteilnehmer und zur effektiven Berücksichtigung millionenfacher Individualinteressen80 , die von staatlicher Seite keinesfalls entsprechend antizipiert und berücksichtigt werden könnten, 81 beizukommen. Sie sollen in ihrer letztlich vielfach verbleibenden Lückenhaftigkeit um ein System aus gesetzlichen Schuldverhältnissen ergänzt werden. Dies zeigt sich wiederum im heutigen System des bürgerlichen Rechts mit dem Konzept quasivertraglicher, dinglicher, deliktischer und bereicherungsrechtlicher Schuldverhältnisse, 82 deren strukturierte Anwendung im Hinblick auf das Konkurrenzsystem den Studierenden der Rechtswissenschaft und damit dem gesamten Nachwuchs der juridischen Welt vom ersten Semester an ebenfalls als eine Form von Tiefengrammatik eingepflanzt wird. Dementsprechend kommt auch dem Systemgedanken im Privatrecht eine herausragende

78 

Vgl. hierzu auch die typisierenden Erwägungen bei Kähler, RW 2018, 1, 14 ff. Gassmann, Crowdsourcing: Innovationsmanagement mit Schwarmintelligenz, 2.  Aufl. 2012; Howe, Crowdsourcing: Why the Power of the Crowd Is Driving the Future of Business, 2009. Dargestellt an Hand der Wirkung eines ordnenden Vertragsrechts Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 440 ff. 80  Letztlich ist hierdurch dem in der Ökonomie vorherrschenden methodologischen Individualismus mit der Anerkennung der Konsumentensouveränität auch für die rechtliche Betrachtung Bahn gebrochen. 81  Hierzu bereits v. Hayek, The Use of Knowledge in Society, 35 The American Economic Review, 1945, 519 ff.; s. a. Grundmann, in: Grundmann/Micklitz/Renner (Hrsg.), Privatrechtstheorie, 2015, S.  968 ff. 82  Und auch innerhalb dieses Systems treten laufend Brüche auf, vgl. den Hinweis bei Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  38 Fn.  48 zu §§  241a vs. 985 BGB mVa. Sosnitza, BB 2000, 2317, 2320 ff. 79 Vgl.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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Bedeutung zu.83 Dieses System will und muss aber nicht nur ordnend, sondern auch innovationsoffen und innovationsfördernd sein. 84 Die Privatrechtsakteure sind dabei in ihren Zielen nur durch den äußeren Rechtsrahmen begrenzt und im Übrigen nach Möglichkeit autonom. Der Ansatz des Sozialrechts ist – ausgehend von der Strukturierung des besonderen Verwaltungsrechts – zunächst der Sichtweise staatlicher Aufgabenerledigung, allem voran der in ihr zum Ausdruck kommenden „geronnenen Sozial­politik“85 verpflichtet. 86 Es soll im Großen und Ganzen um die „Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung“87 gehen. Daraus folgt – grundlegend anders als im Bereich des Zivilrechts, dass der öffentlich-rechtliche Ansatz von inhaltlichen Zielvorgaben durchdrungen ist.88 Mit einem deutlich geschärften Blick für die Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern sowie einem weitreichenden Sinn für Verhaltensweisen im grundrechtsrelevanten Raum und der Wahrung von Rechtsstaats-89 und Demokratieprinzip90 blickt das Sozialrecht auf die Strukturen des jeweiligen Sozialversicherungsoder sonstigen Verteilungs- sowie staatlichen Unterstützungsbereichs. Dabei scheint man im Sozialrecht, schon mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben, abgesehen von ein paar Ausnahmen weniger einer allumfassenden Theorie des Sozialrechts insgesamt nachzuspüren – solche Ansätze finden sich im Wesentli-

83  Sehr lesenswert die prägnante Darstellung bei MüKo/Säcker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Einleitung Rn.  24 ff. mwN.  S.a. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996; Stürner, JZ 1996, 741; Habermeier, AcP 195 (1995), 283. 84  Hoffmann-Riem, in: Eifert/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Innovation und rechtliche Regulierung, 2002, S.  32 ff. 85  Becker, in: Ruland/Axer/Becker (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, 6.  Aufl. 2018, §  1 Rn.  30. 86  Dementsprechend geht auch die typische Herangehensweise von der Bestimmung der Aufgabenerfüllung aus, vgl. Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  34. 87  Kaufmann, Sozialpolitisches Denken im Horizont der Differenz von Staat und Gesellschaft – Die deutsche Tradition, in: Masuch/Spellbrink/Becker/Leibfried (Hrsg.), 2014, Bd.  1, S. 21. 88 Vgl. Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  21; Brückner, Die Trennung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, 1985, S.  41. 89  Insbesondere sieht der Sozialrechtler stets wenigstens eine Seite als Grundrechtsverpflichteten und hat den Umgang mit öffentlichen Mitteln nach den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu bewerten, vgl. hierzu Giese, NDV 1968, 89; Jerusalem, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder Rechtmäßigkeit der Verwaltung?, 1938; Jezler, Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, insbesondere im Bund, 1967. 90  In höchstem Maße angegriffen freilich bei der Beurteilung des GBA, vgl. Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung: Ein Beitrag zu den Voraussetzungen und Grenzen untergesetzlicher Normsetzung im Staat des Grundgesetzes, 2000; s. a. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2012.

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chen bei Eichen­hofer 91, Fuchs 92 , Nef 93, Zacher 94 und Deinert 95 –, als vielmehr parzellierten sozialrechtlichen Fragestellungen gerecht werden zu wollen, also um eine themenspezifische Logik bemüht zu sein. Das folgt vielfach aus den unterschiedlichen Bereichslogiken der zwölf Sozialgesetzbücher, die das sozialrechtliche Denken gesetzesinduziert steuern. In der heutigen Gesetzesstruktur ist dabei nicht übersehen, dass mit den Sozialgesetzbüchern I und X ein Allgemeiner Teil und ein verfahrensrechtlicher Rahmen geschaffen und mit dem Sozialgesetzbuch IV ein weiterer Allgemeiner Teil in Bezug auf den Bereich der So­zial­ver­sicherung strukturell angelegt sind.96 Gleichwohl sind die einzelnen Politiken des Sozialrechts überwiegend innersystematisch eigenständig verfasst und gewachsen.97 Im SGB V ist das Programm denn auch mit §  1 SGB V recht deutlich vorgegeben und durch die Vorschriften zu Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit sowie die Regelungen zum Leistungsumfang näher definiert. Die Idee ist, eine Solidargemeinschaft98 unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel99 zwischen all jenen Personen im Staat zu erzwingen (Versicherungspflicht nach §  5 SGB V), die nicht aus enumerativ aufgezählten Gründen einen entsprechenden Schutz für sich zurückweisen dürfen (§§  6–8 SGB V). Diese Gemeinschaft soll per Beitragszahlung die Mittel zur Verfügung stellen, um die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbes91  Eichenhofer, Sozialrecht, 10.  Aufl. 2017, S.  9, 30 ff., 79 ff., 92 ff.; ders., VSSR 1993, 159 ff., der erhebliche Zweifel an der Schaffung eines in sich schlüssigen Systems durch den Gesetzgeber anmeldet, 163. 92  Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, 1992, S.  83 ff. 93  Nef, SJZ 1981, 17 ff. 94  Zacher, in GS Constantinesco, 1983, S.  943 ff., insbesondere S.  969 ff. 95  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  56 ff., 67 ff. mit dem Versuch induktiver Prüfung gefundener Prinzipien, S.  98 ff. 96 Der heute überwiegend verfolgte innere Systematisierungsversuch geht auf Zacher, Grundtypen des Sozialrechts, in: ders. (Hrsg.), Abhandlungen zum Sozialrecht, 1993, S.  257 ff. zurück, der nach den Leitgedanken der Vorsorge, Entschädigung, Förderung und Hilfe die unterschiedlichen Ansätze der Sozialgesetzbücher materiell kategorisiert. Auch gibt es natürlich wechselseitigen Zugriff und Anpassungen an die einzelnen Politiken. So muss etwa das Recht der Grundsicherung und der Sozialhilfe entsprechende Regelungen für den Krankheitsfall vorsehen, was mit §  26 Abs.  1 SGB II in Form der Bezuschussung zur privaten oder gesetzlichen Krankenversicherungsbeitragspflicht geschieht, während mit §  48 S.  1 SGB XII der Weg unmittelbarer trägergebundener Leistungspflicht entsprechend SGB V, also nach den Prinzipien des Sachleistungsgrundsatzes, eingeräumt wird, sofern kein Krankenversicherungsschutz besteht, §  48 S.  2 SGB XII. Gegenstand und Umfang entscheidet sich jedoch ausschließlich nach den Vorgaben des SGB V, vgl. BeckOK/Siebel-Huffmann, SGB XII, 50. Ed. 2018, §  48 Rn.  6 f. mit verfassungsrechtlichen Bedenken der Gleichstellung. 97 Übersichtlich Eichenhofer, Sozialrecht, 10.  Aufl. 2017, S.  147 ff. 98  Zu Begriff und Hintergrund Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  1 Rn.  4. 99  Insbesondere die Beteiligung des Bundes an der Mittelaufbringung nach §  2 21 SGB V ist hier zu nennen. Näher zum Zweck Krauskopf/Vossen, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 96. EL 2017, §§  221 Rn.  1 ff.; Becker/Kingreen/Mecke, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  221 Rn.  2 ff.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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sern, §  1 S.  1 SGB V. Um die damit einhergehende Sammlung und Umverteilung von Ressourcen respektive deren effizienten Einsatz für eine ausreichende, notwendige, zweckmäßige und wirtschaftliche Krankenversorgung (§§  2 Abs.  1 S.  3, 12, 27 ff., 70 Abs.  1 SGB V) sorgfältig zu gestalten, ist ein komplexes System mehreren einflussreichen Beteiligten entstanden (GBA, Beratungsgremien und Institute, Krankenkassen, kassenärztliche Vereinigungen, Bundesverbände der Letztgenannten etc.).100 Ob dem Effizienzkriterium mit Blick auf die Zielsetzung des §  1 S.  1 SGB V durch dieses System genügt wird, soll an dieser Stelle nicht bewertet werden. Hervorzuheben ist vielmehr, dass Denk- und Zielrichtung anders als im Zivilrecht gelagert sind. Selbst Überschneidungsbereiche wie der Rückgriff der Krankenkassen gegen Schädiger bei körperlicher Schadensverursachung zu Lasten eines Versicherten wegen anschließender Heilbehandlungskosten nach §  116 Abs.  1 SGB X sind im Hinblick auf den Anspruchsteller und dessen Interessenverfolgung gegenüber einem geschädigten Zivilrechtssubjekt partiell anders ausgestaltet.101 Dass sogar der BGH dies in Teilen von zivilrechtlicher Seite anzuerkennen scheint, ist spätestens mit der Privilegierung im Verjährungsrecht erwägenswert geworden, wo die Kenntnis der Leistungsabteilung eines Krankenkassenträgers nicht zugleich die Kenntnis des Trägers selbst bedeuten soll, sondern es vielmehr um die Erfassung in der Regressabteilung102 oder wahlweise um den Nachweis erheblicher Organisationsmängel bei der Wissensweitergabe103 gehe.104 Mit der zivilrechtlichen Idee der Wissenszurechnung nach dem Gleichstellungsgedanken105 ist dies nur schwer zu vereinbaren.106 Eine zentrale Erkenntnis über das Sozialrecht lautet daher, dass es – eingedenk der in diesem Bereich regulierten Lebenssachverhalte – allem voran auf der oberen Makroallokationsebene und deren rechtlicher Regulierung (Haushaltsrecht)107 um die systemgerechte Abstimmung der verschiedenen sozialrechtlichen Felder geht. Wenn also auf die verschiedenen Sozialrechtsmaterien Mittel der Haushalte verteilt werden und die Entscheidung fällt, ob und inwieweit eine Rück- oder Umverteilung erfolgen darf, so muss auch der Sozialrecht100  Zur Übersicht D. Prütting, in: D. Prütting/J. Prütting (Hrsg.), Medizin- und Gesundheitsrecht, 2018, S.  11 ff. 101  Vgl. BeckOK/von Koppenfels-Spies, SGB X, 47. Ed. 2017, §  116 Rn.  5 ff. 102  BGH, NJW 2012, 447 f.; 2011, 1799 f. 103  Insbesondere das Problem des aktenmäßig festgehaltenen Wissens, vgl. BGH, NJW 1996, 1339, 1341; 2001, 359, 360; 2012, 1789, 1790. 104  Die Privilegierung innerbehördlicher Abläufe deutlich werden lassend BGHZ 117, 104 = NJW 1992, 1099. 105  So hat der BGH bei privater Filial- und Arbeitsaufteilung die vorgenannten Privilegien nicht in gleicher Intensität und Reichweite angenommen, vgl. BGH, NJW 1989, 2879, 2881. S.a. BGHZ 117, 104, 106 f. = NJW 1992, 1099; Richardi AcP 169 (1969), 385, 398. 106 Hierzu Püster, MedR 2013, 31 ff. 107 Zur prägnanten Darstellung klassisch unterschiedener Allokationsebenen im haushaltsrechtlichen Sinne Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  43 f.

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ler genau auf das Gesamtkonstrukt blicken. Jedoch handelt es sich hierbei weniger um bestehendes Recht als vielmehr um Rechtspolitik. Für das Sozialrecht in der Rechtsanwendung wesentlich bedeutsamer können demgegenüber schon etwaige Verschränkungen der Sozialgesetzbücher wirken, wenn es etwa um das Zusammenspiel von Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung geht (SGB IV, V, VI, VII). Dies gilt insbesondere für die Klärung der Frage, welcher Sozialversicherungsträger nach welchen Maßstäben eintrittspflichtig ist, was deutlich in den zahlreichen Rechtsstreitigkeiten um die Eintrittspflicht der Unfallversicherungsträger zum Vorschein kommt.108 Dies hat bislang allerdings weniger zu einer rechtswissenschaftlichen Theorie eines in sich schlüssigen Gesamtkonzepts des Sozialrechts als vielmehr zu einzelnen Abgrenzungsstreitigkeiten geführt.109 Systemdenken liegt dem Sozialrecht daher innerhalb einzelner Sozialrechtsbereiche nahe, wobei die vom Gesetzgeber im vorliegend interessierenden SGB V dargelegte Konzeptualisierung nur wenig präzise Abstimmungsbemühungen erkennen lässt. Schnittstellenerwägungen hin zum Zivilrecht sind kaum vorhanden (vgl. beispielhaft §§  66 SGB V110 , 104 ff. SGB VII, 116, 119 SGB X). Deinert weist zudem darauf hin, dass die rechtsgebietsimmanente Aufgabenzuweisung bei gebietsübergreifenden Erwägungen stets allenfalls Aussagen zu den aufgabenspezifischen Wirkungsfeldern ausweisen wird, jedoch keine grundlegenden Prinzipien anbietet, nach denen Zivil- und Sozialrecht einander gegenübertreten.111 Anders als die vorliegende Untersuchung geht Deinert diesem materiell-rechtlichen Bestimmungsversuch nach, worauf in §  3 zurückzukommen sein wird.112

3. Eingeführte Gerichtsbarkeiten Trotz der angeführten rechtswissenschaftssoziologisch geprägten Unterteilung von Rechtsgebieten sind die Gerichtsbarkeiten nicht konsequent hiernach gebildet. So sind die Strafgerichte Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit und damit direkt neben den Zivilgerichten angesiedelt, was in der Sozialisierung der Judikative dazu führt, dass Zivilrichter sich grundsätzlich darauf einzustellen haben, auch eine Zeit lang einem Strafgericht anzugehören und umgekehrt. Eine vergleichbare Vermischung der Bereichslogiken durch Mehrfachsozialisierung 108  Vgl. BeckOK/Marschner, SGB VII, 50. Ed. 2017, §  8 Rn.  5 ff. mwN. (hier zum zentralen Begriff des Arbeitsunfalls). 109  Als Ausnahmeerscheinung mag ggfls. die übergreifende Fragestellung der Differenzierung zwischen Arbeitnehmer und freiberuflich tätiger Person anerkannt werden, vgl. Diepenbrock, NZS 2016, 127 ff.; Schlegel, NZS 2000, 421; Preis, NZA 2000, 914 (hier allerdings mit Fokus auf die übergreifende Diskussion des bürgerlichen Arbeitsrechts). 110  Ausführlich hierzu Katzenmeier/Jansen, GKV-Unterstützung bei Behandlungsfehlerverdacht, 2018, S.  30 ff. mwN. 111  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  34. 112  Näher §  3 II. 4. e.).

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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ist demgegenüber in den anderen Gerichtsbarkeiten aufgrund der Rechtswegzuweisungen de lege lata (§§  13 GVG, 40 VwGO, 51 SGG, 33 FGO, 2 ff. ArbGG) keine ständige Übung. So sind die sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten der in der vorliegenden Analyse untersuchten Art (Versagung von Sozialversicherungsleistungen wegen Verstoßes gegen das Eigenverantwortlichkeitsprinzip; Beanspruchung von Sozialversicherungsleistungen, die nicht als hinreichend wirtschaftlich iSd §  12 Abs.  1 SGB V erkannt worden sind; Streit über gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen zwischen Krankenkasse und Patient) gemäß §  51 Abs.  1 Nr.  2 und 5 SGG den Sozialgerichten kompetenziell zugeordnet, während Zivilrechtsstreitigkeiten (Medizinschadensprozesse; Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Arzt und Patient) gemäß §  13 GVG vor den ordentlichen Gerichten ausgetragen werden.113 Der Zivilrichter im Haftungssenat hat jedoch gerade mit Blick auf die oben erwähnte fachliche Erziehung eine andere Herangehensweise als der Sozialrechtler.114 Das Sozialgericht unterliegt auch einem anderen prozessualen Regelwerk. So sei pars pro toto der vor dem Sozialgericht geltende Amtsermittlungsgrundsatz (§  103 SGG) und das Gebot der Suche nach materieller Wahrheit im Rahmen des zumutbaren Ressour­cen­ ein­satzes von Beteiligten und Richterbank genannt,115 während der Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz und dem Prinzip formeller Wahrheit des Parteivortrags sowie von Beweislastentscheidungen bei Unaufklärbarkeit lebt.116 Insoweit ist anzumerken, dass gerade der Arzthaftungsprozess vor dem Hintergrund des Waffengleichheitsgebots117 aber erhebliche Tendenzen in Richtung Amtsermittlung aufweist.118 Eine Verbindungslinie sucht §  148 ZPO zu bieten, 113  Anderes dürfte auch vor dem Hintergrund von §  76 Abs.  4 SGB V nicht zu halten sein, da nach h. M. für §  51 Abs.  1 Nr.  2 und Abs.  2 S.  1 SGG ein Schwerpunkt in Sozialrechtsspezifika liegen müsse, vgl. BGH, NJW 2008, 1389; BSG, NJW-RR 1995, 1275; BeckOK/Mink, SGG, 50. Ed. 2018, §  51 Rn.  5 114  Eine gewisse Verschränkung bringt allenfalls die partielle Zuständigkeit der Sozialgerichte in drittbetreffenden Angelegenheiten des Krankenversicherungsrechts nach §  51 Abs.  2 S.  1 SGG. 115  §  103 SGG ist insoweit die judikative Verlängerung des Amtsermittlungsgrundsatzes der Verwaltung nach §  42 SGB X und somit ähnlich wie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Wirksamkeitsverschaffung der wahren Rechtslage verpflichtet, vgl. BeckOK/Hintz, SGG, 47. Ed. 2017, §  103 Rn.  1. Dies korreliert mit dem Verschaffungsgedanken aus §  2 Abs.  2 HS.  2 iVm HS.  1 SGB I, wenn dieser auch nichts an der Notwendigkeit des Erreichens des für jedes Tatbestandsmerkmal erforderlichen Beweismaßes ändert, vgl. BSG, SozR 1500 §  128 Nr.  35 mwN. Natürlich muss es auch im Sozialrecht bei Nichterweislichkeit eine Beweislastentscheidung geben, vgl. BSG a. a. O. Zur Reichweite des zu betreibenden Aufklärungsaufwandes BSG, NZS 2001, 663 f. Der Sachvortrag einer Partei muss eine zulässige Ermittlungsrichtung zumindest nahelegen, vgl. BSG, SozR §  166 SGG Nr.  42. 116  Vgl. BGHZ 7, 208, 211 = NJW 1952, 1410; BGHZ 156, 269, 272 f. = NJW 2004, 164; BGH, NJW 1999, 2890, 2892; OLG Saarbrücken, BeckRS 2011, 17414. 117  Grundlegend BVerfGE 52, 131 = NJW 1979, 1925 und hierzu eingehend Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  378 ff. mwN. 118  So etwa das Anhalten des klagenden Patienten zu einem Mindestmaß substantiierten Vortrags bis hin zum Nachgehen selbst bei weithin fehlender Substantiierung, vgl. BGH,

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

welcher dem Zivilgericht die Möglichkeit eröffnet, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung eines anderen anhängigen Verfahrens auszusetzen, sofern dieses für den Zivilrechtsstreit vorgreiflich sein sollte.119 Dies hilft aber nur unter der Vor­ aussetzung, dass der laufende Zivilrechtsstreit tatsächlich in seinem konkreten Ausgang von einem anhängigen Sozialrechtsstreit abhängt, was insbesondere für die Fragen rund um die wirtschaftliche Aufklärung de lege lata nicht der Fall ist. Der Streit vor den Sozialgerichten nutzt mangels Streitverkündungsmöglichkeit für etwaige zivilrechtliche Folgeprobleme zwischen Patient und Behandlungsseite das Element der Beiladung als Verschränkung der Prozesse mit weithin entsprechender Wirkung,120 jedoch werden hierdurch die materiell-rechtlichen Verschränkungsprobleme nicht aufgelöst. In die Gegenrichtung ist die Möglichkeit der Streitverkündung im Zivilprozess mit beschränkter Interventionswirkung innerhalb des Sozialprozesses anerkannt worden,121 wobei die Beschränkung der Anerkennung gerade in den unterschiedlichen Prozessmaximen wurzelt.122 Dieser Idee beschränkter Interventionswirkung folgen jedoch keineswegs alle Gerichtszweige, sodass der BGH für die Zivilgerichtsbarkeit zum Schutz ausschließlicher Zuständigkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit – obgleich auch dort der Beibringungsgrundsatz gilt – die Interventionswirkung vollständig abgelehnt hat,123 während das BVerwG einen Grundsatz der „Einheit der rechtssprechenden Gewalt und der Gleichrangigkeit der Rechtswege“ postuliert.124 Eine besondere Verbindungslinie bieten die Art.   95 Abs.   3 GG, §§   11 ff. RsprEinHG mit der Möglichkeit der obersten Gerichtshöfe, in Fragen kollidierender Rechtsprechung ohne tragfähige Chance einseitiger Auflösung den gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe durch Vorlage der Rechtsfrage anzurufen und entweder mit Blick auf dessen Beratungen einen eigenständigen Rechtsprechungswandel im Wege vorauseilenden Gehorsams herbeizuführen VersR 2016, 1328; NJW 2004, 2825 f. Daneben auch das selbstständige Anfordern aller Patientenunterlagen, vgl. OLG Saarbrücken, GesR 2003, 243. Das OLG Brandenburg, OLGR 2005, 489 spricht sogar ausdrücklich von „Amtsermittlung“ im Arzthaftungsprozess. Gleichwohl gibt es auch bedeutsame Aspekte der Verhandlungsmaxime, so die patientenseitige Notwendigkeit, in erster Instanz aktiv auch die Aufklärungsrüge zu erheben, sollte diese neben etwaigen Behandlungsfehlervorwürfen geltend zu machen sein, da andernfalls Präklusion droht, vgl. BGH, GesR 2013, 50. 119  Hierzu ausführlich Korves, Privatrechtsnachfolge durch Hoheitsakt und ihre prozessuale Bewältigung, in: Tagungsband junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  155 ff. 120  BSGE 111, 137 = NZS 2013, 22. 121  BSGE 109, 133 = NJW 2012, 956 mAnm Regenfus. 122  Zum Streit um die Reichweite der Interventionswirkung monographisch Ziegert, Die Interventionswirkung, 2002. 123  Vgl. BGHZ 123, 44, 48 f. = NJW 1993, 2539. Zur Kritik Regenfus, Komplexe Prozessführung, 2007, S.  248 ff.; Häsemeyer, ZZP (107) 1994, 232, 234 f.; Wax, NJW 1994, 2331, 2333. 124  BVerwG Urt. v. 16.12.1966 – VII C 180/65, BeckRS 1966, 31301866 mVa. Bötticher, Die Bindung der Gerichte an Entscheidungen anderer Gerichte, Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Juristentagsfestschrift 1960 Bd.  I, S.  511, 535.

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(§  14 RsprEinHG) oder aber der Abschlussentscheidung des gemeinsamen Senats nach §  16 RsprEinHG unterworfen zu werden. Allerdings wird dieses arbeitslastige und damit schwerfällige Vehikel – rechtspraktisch durchaus nachvollziehbar – zurückhaltend zum Einsatz gebracht. Schnittstellenüberlegungen im vorliegend untersuchten Sinne werden mittelbar insbesondere im Rahmen von Zuständigkeitsstreitigkeiten erfasst. Dies legt Zeugnis davon ab, dass der Judikative partiell durchaus bewusst ist, dass die Kompetenzentscheidung vielfach als vorgezogene Sachentscheidung (oder jedenfalls Tendenz) zu werten sein dürfte125 und somit der richterlichen Sozialisierung ein erhebliches – wenn auch häufig nicht auf den ersten Blick ersichtliches – Gewicht zukommt.126

4. Leitbilder hinter den gewachsenen Strukturen a) Markt vs. Staat Sowohl hinter den materiell-rechtlichen Ansätzen als auch hinter den gewachsenen Strukturen der Gerichtsbarkeit verbergen sich Ideen und Leitbilder von Markt und Staat. Je stärker der Ruf nach der freien Marktordnung und liberalem Denken ist, desto mehr fällt der Blick auf eine bloß begleitende Privatrechtsordnung, aus der sich allem voran vertragsgerechte Konsequenzen ergeben sollen.127 Umso eher hierbei jedoch ein Marktversagen erkannt wird, desto schneller kommt der Ruf nach dem regulierenden128 Staat,129 was sowohl ausdifferenzierte privatrechtliche Schutzvorschriften als auch staatliches (öffentlich-rechtliches) Regulierungsrecht hervorbringt.130 Ähnlich wie aber der Markt, so kann auch der Staat versagen, was insbesondere bei den ökonomisch

125  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  40 spricht treffend von dem Problem der Auseinandersetzung mit der Bedeutung eines fremden Gebiets „im eigenen Haus“. 126  Vgl. den Zuständigkeitsstreit um Rechtswegeröffnung zwischen nichtärztlichen Leistungserbringern und Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung über die Vergütung medizinischer Badeleistungen, GmSOGB, Beschl. v. 29.10.1987, GmSOGB 3/86 und 5/86, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben, und zwar unabhängig davon, ob die Beziehungen zwischen Leistungserbringern und Versicherungsträgern auf vertraglicher Grundlage beruhen oder nicht. 127 Zum Grundverständnis des ordoliberalen Verständnisses von Markt und staatlicher Intervention Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S.  35 ff. mit dezidierter Besprechung der Gedanken von Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft, ORDO XVII, 1966, S.  75 ff. 128  Zu Begriff und Hintergrund von Regulierung ausführlich Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  15 ff. mwN. 129 Ausführlich Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 2001, S.  50 ff., 68 ff. sowie Folgeuntersuchung sozialer Faktoren im bürgerlichen Recht de lege lata, S.  123 ff. 130  Plastisch am Beispiel des schweizerischen Bankaufsichtsrechts vorgeführt von Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  122 ff.

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§  2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

strikt gegeißelten direkten staatlichen Verteilungs- und Struktureingriffen der Fall ist, da diese überwiegend Wohlfahrtsverluste nach sich ziehen.131 In diesem Kontinuum wechselseitiger Ablösung spiegeln sich auch die aktuellen Strukturen des öffentlichen Sozialversicherungsrechts im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und des privaten Arztrechts. Der lange Weg zu bezahlbarem Krankenversicherungsschutz im Rahmen eines öffentlich-rechtlich organisierten Verteilungssystems ist paradigmatisch für dieses Ringen und soll nachfolgend paraphrasiert Erwähnung finden, um ein besseres Verständnis für die heutige Struktur zu gewährleisten. b) Der historische Blick auf das öffentliche Gesundheitssystem in Deutschland Vom Blickwinkel des Arztes ausgehend hatte das gesamte Feld der Heilberufler insbesondere vor der Zeit der Einrichtung eines Krankenversicherungswesens eine herausgehobene Stellung in der Gemeinde ihrer Niederlassung. Die Gemeindebevölkerung war auf das medizinische Können des Arztes angewiesen, konnte diesen aber zugleich vielfach – außerhalb des wohlhabenden Bürgertums und des Adels, letztere verfügten sogar zumeist über eigenständige Hof­ ärzte132 – nicht adäquat bezahlen.133 Zugleich sah sich die Ärzteschaft bis auf einige große Einrichtungen selten in der Lage, innerhalb eines geregelte Einkünfte sichernden Systems mit Blick auf die kleine Praxisversorgung größere Einrichtungen autonom zu unterhalten oder medizinische Forschung hinreichend zu initiieren. Hinzu traten schon in dieser (vorsystemischen) Phase die extremen Qualitätseinbrüche in der ländlichen Versorgung. Den entscheidenden Umbruch brachte das auf Otto von Bismarck zurückgehende „Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter“ vom 15. Juni 1883,134 welches am 01. Dezember 1884 in Kraft getreten ist.135 Hierdurch wurde eine nach dem Solidarprinzip136 ausgerichtete Krankenversicherung für alle Personen unterhalb der Einkommensgrenze von 2.000 Mark eingerichtet. Für die niedergelassene Ärzteschaft bedeutete dies einen vollkommen neu gedachten Versorgungsansatz über den gesamten Querschnitt der Bevölkerung, die sich jedenfalls den Basisstandard medizinischer Versorgung nunmehr leisten konnte, da dem jeweiligen Arzt als Kostenschuldner die Gemeinschaft der Prä131  Die Problematik treffend geschildert am speziellen Problemfeld staatsnaher Sektoren und ihrer Regulierung Mayntz/Scharpf, in: Mayntz/Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S.  9 ff. Speziell für den Gesundheitssektor Döhler/ Manow, in: Mayntz/Scharpf (Hrsg.), a. a. O., S.  140 ff. 132  Zurückgehend auf die Riege königlicher Leibärzte (Archiatros), monographisch aufgearbeitet von Pohl, De Graecorum medicis publicis, 1905. 133 Näher Hänlein/Tennstedt, in: v. Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), SRH, 5.  Aufl. 2012, §  2 Rn.  5. 134  RGBl.  S .  417. 135 Hierzu Zuck, in: Quaas/Zuck (Hrsg.), Medizinrecht, 3.  Aufl. 2014, §  4 Rn.  4 ff. 136 Vgl. Fischer, SGb 2008, 461 f.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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mienzahler gegenüberstand,137 die sich schon zu Beginn aus Arbeitnehmern, Arbeitgebern und staatlichen Zuschüssen zusammensetzte. Es entfiel zugleich die privatrechtliche Abrede zwischen Arzt und Patient, an deren Stelle ein reiner Versorgungsanspruch nach dem Sachleistungsprinzip getreten ist.138 Hinzu kam der Umstand, dass die Zahl der Versicherten sprunghaft anstieg und die Krankenkassen sich alsbald zu Verbänden zusammenschlossen und so der Ärzteschaft mit erheblicher Marktmacht gegenüberstanden.139 Die Freiheit und scheinbar unanfechtbare Bedeutung der Stellung der Ärzteschaft ging zunehmend in einem immer komplexer regulierten Versicherungssystem auf, welches über den maßgeblichen Teil der Ressourcen für den Einsatz in der Krankenbehandlung verfügte. Die Ärzte traten dem schließlich mit einer „gewerkschaftsähnlichen Solidarisierung“140 entgegen. Ärzteschaft und Krankenkassen haben in der Folgezeit erbittert um die wirtschaftlichen Verhältnisse der nationalen Versorgung gerungen.141 Trotz dieser Unruhen sollte auch die Kodifikation der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Jahre 1911 keine Abhilfe bringen, so dass die Ärzteschaft mit einem flächendeckenden Streik drohte, der durch das „Berliner Abkommen“142 abgewendet werden konnte.143 Aus diesem Verfahrensabkommen gingen die ersten Ansätze von Selbstverwaltungskörperschaften im System der gesetzlichen Krankenversicherung hervor, die in der heutigen Regulierung vorerst ihren Höhepunkt gefunden hat. Sie ist um ein spezifisch zur Qualitäts- und Zulassungsprüfung und damit zur Verteilung berufenes Gremium, den Gemeinsamen Bundesausschuss, herum gewachsen.144 Es handelt sich um eine Institution, welche auf Basis des heute geltenden SGB V zum Erlass von Richtlinien ermächtigt ist (§  92 SGB V), die im Rahmen der ambulanten Versorgung zwingend a priori geboten sind, damit ein Vertragsarzt (früherer Kassenarzt) mit Vertragsarztsitz zu Lasten der GKV Leistungen erbringen darf (§  135 SGB V). Im Gegensatz dazu gilt für den stationären Sektor, dass zugelassene Krankenhäuser nach den §§  107 ff. SGB V gemäß §  137c SGB V 137 Vertragsabschlüsse erfolgten zu jener Zeit zwischen Krankenkassen und einzelnen Ärzten, vgl. Schiller, in: Schnapp/Wigge (Hrsg.), Handbuch des Vertragsarztrechts, 3.  Aufl. 2017, §  5 Rn.  1; Schneider, Kassenarztrecht, 1983, Rn.  25. 138 Vgl. Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S.  339, 342; Schneider, Kassenarztrecht, 1983, Rn.  22. 139 Vgl. Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2012, S.  11 mwN. 140 Vgl. Hänlein, Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht, 2001, S.  307. Gründung des Verbandes für Ärzte in Deutschland zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen, späterer „Hartmann-Bund“, vgl. Schneider, Kassenarztrecht, 1983, Rn.  31. 141 Hierzu Axer, in: von Wulffen/Krasney (Hrsg.), FS 50 Jahre BSG, S.  339, 343. 142  Abgedruckt in PrHMBl.  1914 Nr.  5, S.  85 ff. 143 Vgl. Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  2 2 Rn.  4. 144 In seiner heutigen Form eingeführt mit dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl.  I 2003, S.  2190. Hierzu Auktor, in: Kruse/Hänlein (Hrsg.), Das neue Krankenversicherungsrecht, 2004, Rn.  524; Hiddemann/Muckl, NJW 2004, 7, 11; Orlowski/Wasem, Gesundheitsreform 2004, 2003, S.  133 f.

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auch nicht vorab zugelassene diagnostische und Therapieverfahren anwenden dürfen, wenn diese sich letztlich als im Einzelfall ausreichend, notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich erweisen,145 also den Grundsätzen der heutigen §§  2 Abs.  1 S.  3, 12 SGB V folgen.146 Die Konzentration der Macht liegt daher nunmehr beim GBA,147 allem voran für den ambulanten Sektor, und – soweit keine Beschränkungen durch Richtlinienerlass vorliegen – bei den Sozialgerichten im Rahmen von Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Kassen und Kliniken für den stationären Sektor.148 Aus dem einstmals zerstreuten System, dessen Dreh- und Angelpunkt das Verhältnis von Arzt und Patient gewesen ist, wurde ein komplexes Gefüge, welches den Arzt in ein, wie es das BVerfG bezeichnet, „subtil organisiertes öffentlich-rechtliches System“149 von Rechten und Pflichten einordnet. Deinert150 hat auf Basis der weitreichenden Vorarbeiten von Fuchs151 für seine Gesamtgegenüberstellung von Zivil- und Sozialrecht im Rahmen historischer Wurzeln darauf hingewiesen, dass zwischen diesen beiden sehr weit gezogenen Rahmengebieten seit jeher erhebliche Näheverhältnisse zu konstatieren sind, da die zentralen Fragestellungen des Sozialrechts letztlich vielfach auch Ausgleichs- und sozialstaatliche Aspekte des Privatrechts betreffen (Beiträge zu den Sozialversicherungen, Arbeits-, Unfall-, Krankenschutz, Betriebsfrieden vs. zivilrechtliche Schadensersatzansprüche uvm). Gleichermaßen sind wiederholt bis heute sozialrechtliche Erwägungen in den Kern des Privatrechts selbst aufgenommen worden, so etwa Elemente des Wohnraummietrechts (insbesondere beim Kündigungsrecht nach §  569 Abs.  3 Nr.  2 BGB), Interessenabwägungen und besonderer Kündigungsschutz durch das KSchG sowie außerordentliche Haftungsanordnungen (bspw. §§  829 und 906 Abs.  2 S.  2 BGB). Aus dieser Betrachtung folgert Deinert unter Beachtung der gebotenen Zurückhaltung, dass eine gewisse Vermutung zu Gunsten inhaltlicher Wertungs- und Systemkon145 Vgl. BSG, NZS 2018, 694 mAnm Schifferdecker trotz Änderung des §   137c Abs.  3 SGB V. Zur scharfen Kritik am 1. Senat des BSG Krasney, SGb 2018, 261 ff.; Hambüchen, Das Krankenhaus 2017, 978 ff. 146  Es kann im Hinblick auf den Wortlaut des heutigen §  137c Abs.  3 SGB V jedoch auch erwogen werden, dass der Standardbegriff in §  137c Abs.  3 SGB V von den Vorgaben der §§  2 Abs.  1 S.  3 und 12 SGB V abweichen könnte, da die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nur das Potential der Versorgungsverbesserung in sich tragen müsse, jedoch wird überwiegend angenommen, dass die Grundsätze aus §  12 SGB V hierdurch nicht ausgeschaltet sind, vgl. Axer, GesR 2015, 641; Felix, MedR 2016, 93. Zur verfahrensrechtlichen Überprüfbarkeit von Krankenhausleistungen im Übrigen Felix, MedR 2011, 67, 69 f.; dies., MedR 2014, 283, 286 ff. Jedenfalls im Hinblick auf die Voraussetzung des evidenzbasierten Standards dürften nach dem jüngst formulierten gesetzgeberischen Willen Abstriche zulässig sein, vgl. BT-Drucks. 17/6906, S.  86. Dem hat sich jedoch BSG, NZS 2018, 694 explizit entgegengestellt. 147 Von Fischer, MedR 2006, 509 als „zentrale korporative Superorganisation“ bezeichnet. 148  Deutlich BSG, NZS 2018, 694. 149  Vgl. BVerfGE 11, 30 = NJW 1960, 715. 150  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  67 ff. 151  Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, 1992, S.  13 ff.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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gruenz (letztlich zu Gunsten der Annahme von Widerspruchsfreiheit) im Raum stehe, die allerdings unter den Vorbehalt zu stellen sei, dass durch die Eigenständigkeit bis dato gewachsener Strukturen eine solche Näheerwägung noch aufrechterhalten werden könne.152 So berechtigt der Hinweis auf die gemeinsamen historischen Wurzeln ist, so sehr muss für die folgende Vermutung wertungsmäßiger Kongruenz darauf verwiesen werden, dass die Befürchtung von Deinert sich hinsichtlich abweichend voneinander gewachsener Systeme jedenfalls im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung weithin eingestellt haben dürfte, worauf bei den einzelnen inhaltlichen Diskussionen unter §  5 zurückzukommen sein wird. Hinzu tritt die oben erörterte erhebliche Abweichung in der rechtswissenschaftlichen und rechtspraktischen Sozialisierung von Zivil- und Sozialrechtlern. Zwar finden sich allem voran unter Wissenschaftlern, aber partiell auch unter Praktikern Personen mit echter Doppelqualifikation, jedoch handelt es sich um eine verschwindend geringe Minderheit. c) Die Spannungslage im Medizinrecht de lege lata Das Medizinrecht findet sein Epizentrum im Arzt-Patient-Verhältnis. Diese Situation, die auf einer Hilfsbedürftigkeit des Patienten beruht,153 ist privatrechtlich mit vertrags-154 und deliktsrechtlichen Ansätzen weithin umspannt,155 berufsrechtlich durch eine Selbstkontrolle der Ärzteschaft gestützt156 und strafrechtlich mit Blick auf bestimmte Verhaltensweisen streng umgrenzt.157 Die zentral beschreibenden Merkmale dieser Situation sind in der strukturellen (wissens- und willensbasierten) Unterlegenheit des Patienten158 und der Kollisi152 

Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  71. Anders freilich in der Sondersituation wunschmedizinischer Anliegen, denen eine andere Grundsatzbeurteilung zuteil werden muss, vgl. J. Prütting, medstra 2016, 78 ff.; ders., MedR 2011, 275 ff.; ders., Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  210 ff. 154  Nunmehr auch spezialgesetzlich in den §§  630a–h BGB geregelt. 155 Vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  1 ff. mwN. 156 Hierzu Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.   Aufl. 2015, Kap. II Rn.  23 ff., 29 ff. 157 Vgl. Ulsenheimer, Hdb-Arztstrafrecht, 5.  Aufl. 2015, mit umfassender Darstellung der vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Strafbarkeitsaspekte von Akteuren im Medizinalwesen und unter Betrachtung des einzelnen Arztes, so insbesondere Rn.  43 ff., 620 ff., 652 ff. 158  Der BGH konstatierte in BGHZ 29, 46 = NJW 1959, 811, „daß das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein starkes Vertrauen voraussetzt, daß es in starkem Maße in der menschlichen Beziehung wurzelt, in die der Arzt zu dem Kranken tritt, und daß es daher weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung ist“. Andererseits formuliert das BVerwG gewissermaßen als Schattenseite dieser weitreichenden Verantwortung: „In den entscheidenden Augenblicken seiner Tätigkeit [befindet sich der Arzt] in einer unvertretbaren Einsamkeit, in der er – gestützt auf sein fachliches Können – allein auf sein Gewissen gestellt ist.“ BVerwGE 27, 303 = NJW 1968, 218. 153 

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on medizinisch vernunftgeleiteter und situationsbedingt durchaus gegenläufiger Selbstbestimmungsentscheidungen zu erblicken. Zugleich ist jede individuelle Begegnung von Arzt und Patient dazu geeignet, das Vertrauen der Menschen in diesen Berufsstand zu stärken, es im Fall ärztlicher Fehler oder gar vorsätzlichen Fehlverhaltens aber auch massiv zu gefährden.159 Werden diese Gedanken auf eine makroökonomische Ebene gehoben, bedeutete ein Vertrauensverlust der Betroffenen potentiell verlängerte Krankheitszeiten, fehlende Prävention und mögliche Zustandsverschlimmerungen. Wer aber krank ist, kann vielfach nicht arbeiten, ist vom sozialen Leben abgeschnitten und verursacht im System der sozialen Sicherung erhebliche Kosten. Das im Mikrokosmos betrachtete Arzt-Patient-Verhältnis erhält mit dieser Betrachtung eine systemrelevante Komponente, auch wenn Laufs stets – nicht ohne Berechtigung – angemahnt hat, dass der Arzt „zuerst Helfer des einzelnen Kranken“ und „nicht Anwalt des Gemeinwohls“ sei.160 Im diese Fragen primär umspannenden System regulierter Verteilung durch Kranken-, Unfall- und Rentenversicherungsschutz sind Strukturelemente gerechter Verteilung und effizienter Umgang mit knappen Ressourcen sowie Aspekte der Ressourcenbeschaffung von zentraler Bedeutung.161 Auf all diesen Ebenen werden zunehmend Schnittstellen zur privatrechtlichen Ordnung des Arzt-Patient-Verhältnisses deutlich. Der vielfach diskutierte Weg zum ärztlichen Dienstleister162 setzt sich in einer Art dezentralisierter Vermögensverwaltung der Ressourcen des Versicherungswesens und seiner Prämienzahler fort,163 selbst wenn der Arzt in der jeweiligen Behandlungssituation stets vorrangig zur Behandlung der konkreten Leiden seines Patienten berufen sein muss. Das so täglich aufs Neue entstehende Spannungsverhältnis ist dazu geeignet, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient erheblich zu belasten. Katzenmeier hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Umgangsproblematik mit knappen Ressourcen im Rahmen des Arzt-Patient-Verhältnisses auf der falschen Alloka­ tions­ebene ausgetragen wird und nach besten Kräften auf eine höhere politische (Verteilungs-)Ebene zu ziehen ist.164 Zentrale Erwägungen sind die Schaffung von Rationalisierungsmaßnahmen in Arztpraxen und Krankenhäusern sowie 159 Hierzu J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  210 ff. (hier zu wunschmedizinischen Eingriffen). S.a. ders., medstra 2016, 78, 80 f. 160  Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. I Rn.  18. 161 Vgl. Eichenhofer, Sozialrecht, 10.  Aufl. 2017, S.  30 ff., 79 ff. 162  Statt vieler Laufs, Die jüngere Entwicklung des Arztberufs im Spiegel des Rechts, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S.  9, 12 ff.; Ratzel/Lippert, MedR 2004, 525. 163  Markant in diesem Zusammenhang ist die Diskussion um eine Vermögensbetreuungspflicht des Vertragsarztes gegenüber den Krankenkassen, bejaht von BGHSt 49, 17 = NJW 2004, 454; BGH, NJW 2016, 3253. Hierzu Hoven, NJW 2016, 3213. 164  Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.   Aufl. 2015, Kap. X Rn.  24 f., 26 ff. mwN.; monographisch Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  37 ff.; s. a. Krämer, MedR 1996, 1, 5; Richter, EthikMed 1997, 3, 11 ff.; Huster et al., MedR 2007, 703, 705.

III. Eingeführte Differenzierungen und Konsequenzen

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mit Blick auf die sinnvolle Verteilung zwischen städtischer und ländlicher Versorgung und zur Bekämpfung nicht zu bewältigender Versorgungslücken auch Rationierungs-165 und Priorisierungsmaßnahmen166 .

165 

Vgl. hierzu Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  37 ff., 55 ff., 129 ff. mit internationalem Vergleich Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  7 ff., 21 ff., 95 ff. 166  Ausführlich

§  3 Methodischer Unterbau Die bisherigen Erwägungen haben ein Bild der gewachsenen Strukturen gezeichnet. Sie zeigen auf, dass diese selbst eine bei der jeweiligen Einzelentscheidung im Schatten liegende Vorprägung des Normsetzers und des Rechtsanwenders bedingen, die nur selten und keinesfalls in der vorgeführten Reichweite in das Bewusstsein tritt. Hinzu kommt der Umstand, dass die lex scripta der jeweiligen Teilgebiete überwiegend ohne Blick auf etwa betroffene Rechtsgebiete außerhalb des bestellten Feldes verfasst worden ist oder – selbst wenn bestimmte Überschneidungen erkannt worden sind oder auf gemeinsame historische Wurzeln zurückgeführt werden können – jedenfalls regelmäßig nicht erwartet werden kann, dass jegliche Schnittstellenproblematik a priori vom Gesetzgeber herausgearbeitet und bedacht wurde.1 Dieser Befund beinhaltet jedoch noch keine Aussage darüber, wie die Rechtsordnung hiermit de lege lata verfahren kann und sollte. Im Folgenden sei der Blick daher auf die Grundlagen juristischer Systembildung und Dogmatik 2 gelenkt, um die Basis für rechtsgebietsübergreifende Normenkollisionen in der inhaltlichen Diskussion herauszuarbeiten und zentrale Problempunkte juristischer Systembildung zu verdeutlichen, die im Rahmen späterer Erörterung Beachtung finden müssen. Im Mittelpunkt stehen Gedanken zum Postulat der Wertungswiderspruchsfreiheit3 und Folgerichtigkeit4 von Normen, zur Selbstermächtigungsproblematik 5 des nicht zur Entscheidung berufenen Betrachters (insbesondere des Rechtswissenschaftlers) sowie zur Versteinerungs- 6 und zur Vergröberungs-

1  Vgl. hierzu Neumann, NZS 1998, 401, 403; Deinert, Privatrechtsgestaltung durch So­ zialrecht, 2007, S.  45 f. 2  Zu den Grundfesten der Dogmatik Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 34 ff. mwN.  S.a. Stürner, AcP 214 (2014), 7, 8 ff. 3 Hierzu Hilbert, Systemdenken, 2015, S.  74 f. mit dem zentralen Hinweis, dass die Systemidee des Anlegens auf einheitliche Behandlung der Systemelemente nach dem Einheitskriterium keineswegs inhaltliche Widerspruchsfreiheit nach sich zieht. 4 Zu diesem Gedanken insbesondere Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  59 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  112 ff.; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  243. 5 Treffend Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein…, 2006, S.   81 ff.; ders., in: FS Mayer, 2011, S.  169, 184 f.; Hilbert, Systemdenken, 2015, S.  121 ff.; Klement, JöR 2013, 115, 153. 6 Hierzu Schwarze, DVBl.   1974, 893, 895; Möllers, NJW 2005, 1973, 1978; Lepsius, in: Kirchhof/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S.  39, 61.

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§  3 Methodischer Unterbau

gefahr 7. Systembildung im Recht ist schon in der Einleitung als Errungenschaft bezeichnet worden.8 Diese Bemerkung soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit ihr auch Irrwege auf den Plan treten, deren Verfolgung es zu vermeiden gilt. Der methodische Unterbau zielt schlussendlich auf eine erste Besprechung der gewachsenen Methodik zum sachgerechten Umgang mit Normenkollisionen und soll diese Dogmatik kritisch beleuchten. Die Analyse wird zugleich zu Tage fördern, weshalb der zentrale Beitrag der vorliegenden Arbeit eine prozedurale Einkleidung von dogmatischen und inhaltlichen Überlegungen ist. Die Spanne vertretbarer materiell-rechtlicher Ansätze und Lösungswege ist vielfach sehr weit und die präzise Ergebnisfindung entsprechend unscharf, so dass in einer erheblichen Anzahl denkbarer Kollisionsfälle ungeachtet argumentativer Bemühungen nicht zu erwarten ansteht, der Judikative klare, unumstößliche Lösungsangebote in der jeweiligen Sachdebatte unterbreiten zu können, die als einzig überzeugende Interpretation des Rechts erkannt werden müssten. Gleichwohl oder auch gerade deshalb muss die sachlich-inhaltliche Diskussion und ihre dogmatische Herleitung fortwährend geführt, müssen ihre Instrumente ohne Unterlass optimiert werden,9 wobei der Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis nicht zuletzt darin liegt, dass das Gericht im Anwendungsfall einem Entscheidungszwang unterliegt.10 Ein rechtstechnisch kluges und rechtsstaatlich nachvollziehbares Procedere auf dem Weg zur konkreten Entscheidung zu nutzen, ist daher unerlässlich, um im Sinne der Sicherung gebotener Rechtsstaatlichkeit Räume für willkürliches judikatives Vorgehen zu begrenzen, wenn diese schon nicht negiert werden können.

7 Vgl. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, 2009, Rn.   567; Kischel, AöR 1999, 174, 204. Zurückhaltend gegenüber dieser Kritik von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S.  35 mit Hinweis darauf, dass Komplexitätsreduktionen durchaus in Teilen notwendig und erwünscht sein können. Mit sorgsamer Analyse in eine ähnliche Richtung Hilbert, Systemdenken, 2015, S.  119, der hervorhebt, dass ein anfängliches Ausblenden einer Detailüberfrachtung nicht die endgültige Nichtberücksichtigung bedeuten muss. 8  Demgegenüber an dem Gelingen einer schlüssigen Systembildung insgesamt zweifelnd Eichenhofer, VSSR 1993, 159, 163. 9 Zu entsprechendem Selbstbild und damit einhergehender selbstgesetzter Aufgabe der Rechtsdogmatik Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 36 ff. 10 Dies steht in Zusammenhang mit der Vollständigkeitsannahme der Rechtsordnung, worauf Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 38 f. zutreffend mit Blick auf die Kerntätigkeit des Rechtsdogmatikers und der sinnhaften Zuarbeit an die Gerichte hinweist.

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen 1. Beschreibung des dogmatischen Ansatzes Wird die Problembeschreibung von der rechtswissenschaftssoziologischen Erörterung11 weg- und dogmatischen Erwägungen zugeführt, so beinhaltet bereits dieser Übergang ein Bekenntnis zur Systemsuche.12 Tatsächlich zeichnet sich die nationale Jurisprudenz insbesondere durch Bemühungen um Systembildung13 und damit einhergehende Stärkung der Transparenz des Rechtsfindungsprozesses aus.14 Während also die gebietsübergreifende Normenkollision innerhalb der rechtswissenschaftssoziologischen Betrachtung als Phänomen im Wesentlichen beschrieben und ihr Umfeld bedacht worden ist, bieten dogmatische Grundsatzerwägungen die Basis für Modelle und Theorien, durch welche sachgerechte Verfahren für erkannte Kollisionsfälle angeboten (nicht gesetzt!) werden können. Da somit das Systemdenken das unabdingbare Fundament der Suche nach tragfähigen Kollisionserwägungen zwischen Normen unterschiedlicher Rechtsgebiete ist, lohnt vor der Erörterung der bislang anerkannten Auslegungscanones und den Verfahrensvorschlägen für Normenkollisionen eine Reflexion zu Systemdenken und Systembildung in ihren Grundfesten. Was an dieser Stelle weder geleistet werden kann noch soll, ist die Erarbeitung einer eigenständigen Grundlegung juristischen Systemdenkens. Vielmehr bieten die in diesem Bereich bereits vorliegenden weitreichenden Vorarbeiten15 eine be11 

S. o., insbesondere §  2 III. auch Bumke, Relative Rechtwidrigkeit, 2004, S.  24: „Die Rechtsdogmatik muss sich nicht für oder gegen das Systemdenken entscheiden. Einer solchen Wahl bedarf es nicht, weil die Vorstellung vom Recht als einem sinnvoll geordneten Ganzen allem rechtsdogmatischen Arbeiten zugrunde liegt.“ Zum Wert des Systemdenkens in der Dogmatik als zentraler Ansatz für Gerechtigkeit im Recht, vgl. Stürner, AcP 214 (2014), 7, 11. 13  Zur Entwicklung vgl. die breite Auflistung bei Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  23 Fn.  1. 14  Besonders deutlich ist dies im Bereich des bürgerlichen Rechts, vgl. MüKo/Säcker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Einleitung Rn.  24 ff., insbesondere Rn.  25 Fn.  56 mVa. Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1818, S.  67, die Gesetzgebung müsse „ihre Bestimmungen klar, unzweideutig und erschöpfend“ aufstellen; näher zu dem von der positivistischen Rechtsanwendungstheorie aufgestellten Dogma der Lückenlosigkeit des „positiven“ Rechts Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  173; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  475. 15  Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2.  Aufl. 1991; ders., System und Prinzipien des Privatrechts, 1996; ders., Die „Elemente“ des beweglichen Systems: Beschaffenheit, Verwendung und Ermittlung, in: Schilcher et al. (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S.  9 ff.; ders., Zum Verhältnis von äußerem und inneren System im Privatrecht, in: Heldrich et al. (Hrsg.), FS Canaris, Bd.  II, 2007, S.  1017 ff.; Hilbert, Systemdenken, 2015; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978; ders., Begriff und Geltung des Rechts, 1992; ders., Zur Struktur der Rechtsprinzipien, in: Schilcher et al. (Hrsg.), Regeln, Prinzipien und Elemente im System des Rechts, 2000, S.  31 ff.; Anter, Die Macht der 12  So

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§  3 Methodischer Unterbau

lastbare Grundlage, auf die zurückgegriffen werden kann und auf die aufgebaut wird. Da jedoch die bisherige Systemdebatte unterschiedliche Auswüchse hervorgebracht hat, bedarf es einer expliziten Kaprizierung auf wesentliche Kern­ ele­mente, die für die vorliegende Analyse prägend sind.

2. Systemdenken als zentrale Grundlage a) Der Systembegriff aa) Vorbemerkung – Relevanter Blickwinkel Bei Savigny ist zu lesen, dass in der „Erkenntnis und Darstellung des inneren Zusammenhangs oder der Verwandtschaft, wodurch die einzelnen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verbunden werden“ „das Wesen der systematischen Methode“16 liege. Stoll beschreibt das juristische System als „eine Zusammenfassung von Rechtssätzen und Rechtsbegriffen zu einem einheitlich geordneten Ganzen“17. Von Danwitz sieht den Systembegriff „als Mittel zur Verwirklichung seiner wertungsmäßigen Folgerichtigkeit und inneren Ordnung, 2007; Höpfner, Systemkonforme Auslegung, 2008; Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004; ders., Der Staat 49 (2010), 77 ff., ders., in: Verein Deutscher Verwaltungsgerichtstag e.V. (Hrsg.), 16. Deutscher verwaltungsgerichtstag, 2010, S.  143 ff.; Bäcker, Der Syllogismus als Grundstruktur des juristischen Begründens?, Rechtstheorie (40) 2009, 404 ff.; Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995; Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998; Battis, in: FS Ipsen 1977, S.  11 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935; Bracker, Kohärenz und juristische Interpretation, 2000; Bulygin, Zwei Systembegriffe in der rechtsphilosophischen Problematik, ARSP 53 (1967), 329 ff.; Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, 1978; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983; ders., Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983; Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976; Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, 2014; Dreier, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, in: Kaulbach/Krawietz (Hrsg.), FS Schelsky, 1978, S.  103 ff.; Eckhoff/Sundby, Rechtssysteme, 1998; Ehrlich, Die juristische Logik, 1918; Grasnick, „Einheit der Rechtsordnung“. Zur Zukunft einer Illusion, 2001; Ennecerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15.  Aufl. 1959; Jestaedt, Braucht die Wissenschaft vom Öffentlichen Recht eine fachspezifische Wissenschaftstheorie, in: Funke/Lüdemann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Wissenschaftstheorie, 2009, S.  17 ff.; ders., Wissenschaftliches Recht. Rechtsdogmatik als gemeinsames Kommunikationsformat von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, in: Jabloner et al. (Hrsg.), FS Mayer, 2011, S.  169 ff.; Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934; ders., Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2.  Aufl. 1960; ders., Allgemeine Theorie der Normen, aus dem Nachlass hrsgg. v. Ringhofer/Walter, 1979; Luhmann, Rechtssystem und Dogmatik, 1974; ders., Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, 1984; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1993; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968; Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966; Habermas, Faktizität und Geltung, 5.  Aufl. 1997; Fikentscher, Methoden des Rechts, 1975–1977 (5 Bände); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960; Zippelius, Das Wesen des Rechts, 5.  Aufl. 1997. 16  Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band I, 1840, S. XXXVI. 17  Stoll, Begriff und Konstruktion in der Lehre der Interessenjurisprudenz, FS Heck, Rümelin, Schmidt, 1931, S.  60, 77.

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Einheit durch Bildung einheitlicher Rechtsinstitute und allgemeiner Grundsätze“18 . Lepsius sieht im Systemdenken ein Moment „gegenstandserzeugender Begriffsbildung“19. Die Auflistung interessanter Beschreibungsversuche könnte lange weitergeführt und mit unterschiedlichen Herangehensweisen unterfüttert werden. Zentral ist daher vor jeglicher Vertiefung die Feststellung, dass es in der vorliegenden Analyse der Ausarbeitung von Höpfner 20 und dem Ansatz von Wieacker 21 gleichlaufend um einen Systembegriff und entsprechenden einflussnehmenden Gehalt gehen soll, der für die Rechtsanwendung herangezogen werden kann. Es erscheint ohnehin wenig zielführend, mit aller Macht einen „richtigen“, allumfassenden Systemansatz für die nationale Rechtsordnung hervorbringen zu wollen. Dies folgt einmal aus dem Umstand, dass der Nachweis, dem Rechtssystem liege de lege lata ein bestimmter, scharf umrissener Systemgedanke zu Grunde, bislang nirgends gelungen, sondern allenfalls partiell erwogen worden ist.22 Weiterhin haben Schmidt-Aßmann und Bumke mit Recht darauf hingewiesen, dass gerade die Unterteilung der Rechtsordnung in zahlreiche Rechtsgebiete zu sinnvoller Reduzierung der Komplexität und zur Steigerung der Steuerungsfähigkeit führt.23 Da hierdurch aber auch unterschiedliche Bereichslogiken mit anders gelagertem systematischen Fundament akzeptiert werden und eine Abstimmung auf die übrige Rechtsordnung durch den jeweiligen Gesetzgeber nicht bei jeder Veränderung vorab erfolgt – auch nicht mit Blick auf ein zu wahrendes Systemdenken(!) –, dürfte die Erfassung eines übergeordneten allumspannenden, aber zugleich feinsteuernden Systems in einer Gesamtrechtsordnung kaum jemals mehr als Utopie sein.24 Schließlich wäre 18 

v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und europäische Integration, 1996, S.  28. Lepsius, Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Parlamentarismus, in: Bertschi et al. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S.  123, 149 ff.; ders., Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, 2002, S.  433 ff. 20  Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  7 ff. 21  Wieacker, Rechtstheorie, S.  1970, 107, 108. 22  Beachtliche Versuche finden sich etwa bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983 mit dem Versuch des Nachweises eines prinzipiengeleiteten Systems, welches von oben die Ausformung der Rechtsordnung übernimmt. Eine besondere Verschmelzung von Rechtsordnung und Wissenschaft schlägt Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2.  Aufl. 2006, vor, der es der Wissenschaft anheimstellt, die Strukturen des Rechts herauszuarbeiten und an einer umfassenden Ordnungsidee mitzuwirken, um Harmonisierungs- und Optimierungserwägungen stets dem legitimierten Gesetzgeber vorzulegen und innerhalb des rechtspolitischen Diskurses auf eine widerspruchsfreie Rechtsordnung hinzuwirken. Für ein formales Systemverständnis ist insbesondere die Stufenbaulehre von Kelsen, Reine Rechtslehre, 1934, S.  62 ff., 73 ff. in Anbetracht der Grundlegung von Merkl, Das Recht im Lichte seiner Anwendung, 1917, S.  5 ff., 22 ff. hervorzuheben. 23  Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Reformbedarf und Reformansätze, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundlagen, 1993, S.  46 ff.; Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  145. 24  Dies schließt das Nachdenken über ganzheitliche Systeme keineswegs aus und nimmt 19 

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es für eine notgedrungen stets bewegliche Rechtsordnung, die sich immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen und auf diese angemessen reagieren muss, auch nicht tragfähig, wenn ein spezifisches Systemdenken zu einem straffen Korsett dergestalt wachsen würde, dass sich Veränderungen immer einer gesonderten Begründunglast ausgesetzt sähen (Versteinerungsgefahr).25 Diese Gedanken sollen jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass jeder Systemansatz bekämpft werden würde und es nur noch um einzelfallspezifisches Problemdenken ginge.26 Vielmehr ergeben sich hieraus zwei Leitlinien der Gedankenführung, die bei jeglichem Systemdenken in der Jurisprudenz Beachtung finden müssen. i. Systemerwägungen in einer Rechtsordnung dürfen daher nur in zwei Formen angestrengt werden. Zum einen sollen sie entweder nachweislich Teil der Rechtsordnung selbst sein und daher von dieser gefordert werden, bis der insoweit legitimierte Gesetzgeber sich entschließt, diese zu modifizieren oder abzuschaffen. Zum anderen sollen sie den legitimierten Gesetzgebungsund Entscheidungsinstanzen Probleme, Grenzen und Lücken aufzeigen und Angebote für den vernunftgeleiteten Umgang unterbreiten, ohne hierbei der Selbstermächtigungsproblematik oder der Versteinerungsgefahr anheim zu fallen, also die fehlende Bindungswirkung ihrer Vorschläge transparent gestalten.27 ii. Systemerwägungen, die auch zur Feinjustierung und im konkreten Normverständnis sowie in der konkreten Normanwendung zum Einsatz kommen sollen, haben für ihre praktische Tauglichkeit zwingend die Notwendigkeit der bereichsspezifischen Komplexitätsanpassung und der Steuerungsnotwendigkeit zu beachten. Andernfalls drohen sie den Belangen von Legislative und Judikative entgegenzuwirken und entpuppen sich als Fremdkörper dessen, was sie ordnen und stützen sollen.

entsprechenden Ansätzen auch nicht eventuelle Erkenntniswerte über nachvollziehbare Muster und sinnvolle Strukturentscheidungen. Nur muss jeder Konstrukteur solcher Systembildungen im steten Bewusstsein der faktischen Unmöglichkeit einer endgültigen Zielerreichung agieren, um gleichsam die Grenzen der Erkenntnis solcher Modelle für die Rechtspraxis nicht zu verkennen. 25  Treffend kritisiert von Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  85. 26  In diese Richtung aber Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1934, S.  101 f., 148 ff.; Häberle, Die Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S.  1 ff.; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts. Rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 1956, S.  348. 27  Hierzu treffend Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 39.

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bb) Einheit und Ordnung – Abstrakte Grundsätze des allgemeinen Systembegriffs Die Grundsätze der Systembildung hat jüngst Hilbert für die gesamte Debatte noch einmal herausgearbeitet und dabei mit zentralen Missverständnissen aufgeräumt, deren Verbannung es auch in der vorliegenden Erörterung zu beachten gilt.28 Jedes System zeichnet sich durch wenigstens ein inkludierendes (Einheit) und wenigstens ein strukturierendes (Ordnung) Moment aus.29 Dabei dürfen, wenn es um die Grundpfeiler der Systembildung geht, diese Elemente gerade noch nicht durch Wertungen des Betrachters aufgeladen werden, wie dies den Ansätzen von Canaris mit Blick auf dessen terminologische Herleitung vorgeworfen wird.30 Letztlich ist in neutraler, ohne vorgreifende Wertungen belasteter Form zu konstatieren, dass – wie Peine es treffend herausgearbeitet hat – ein System aus mehreren Teilen besteht und Auswahl und Verknüpfung dieser Teile nach einem Prinzip erfolgen, das eine Aussage über ihre Zugehörigkeit zum System und ihr Verhältnis zueinander im System trifft.31 Sodann ist es am Konstrukteur eines jeden Systemgedankens, sowohl die Systemelemente als auch Einheit und Ordnung sorgsam zu benennen und die jeweiligen Bewertungsmomente für den Betrachter möglichst unmissverständlich herauszuarbeiten. cc) Systemdenken im Recht Dieser in jeder Form allgemein gehaltene und daher von einem hohen Abstraktionsgrad gezeichnete Ansatz des Systemdenkens ist am Beginn der vorliegenden Überlegungen zu beachten, um im Rahmen einer Konkretisierung und Übertragung auf Systeme im Rechtsdenken den Blick dafür zu schärfen, was genau konstruiert wird, wer sich als Konstrukteur aufschwingt und welche Systemelemente welchem Bereich zugeordnet werden. Dies erlaubt später bei der Diskussion über die Belastbarkeit methodischen Vorgehens im Fall von rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen und im Hinblick auf die Bewertung der Durchsetzungskraft widerstreitender Argumente eine präzisere Beurteilung der Letztentscheidungsgewalt und damit zugleich der Differenzierung nach bloßen Norminterpretationsangeboten gegenüber verbindlichen Vorgaben der jeweils legitimierten Normsetzer.

28  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, insb. S.  3 ff., 63 ff., 109 ff. 29  Terminologisch zumeist gestützt auf die Ausführungen bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  11 ff. 30  Mit Sortierung und berechtigter Kritik an der hergebrachten begrifflichen Belastung durch Canaris Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  4 f. 31  Peine, Das Recht als System, 1983, S.  58.

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(1) Bausteine des Rechtssystems Systemelemente des Rechtssystems können nur solche Bezugspunkte sein, denen de lege lata Normqualität zuzuordnen ist,32 so dass das inkludierende Einheitskriterium unmittelbar mit dem rechtspositivistischen Normbegriff verwoben ist.33 Ein System, das klar und eindeutig zu jedem Moment offenlegen will, wer mit welcher Legitimation schöpferisch, modifizierend oder interpretierend eingreift, muss zwangsläufig rechtspositivistisch denken. Tatsächlich führt jeder überpositivistische Grundsatz a priori dazu, die Grenzen zwischen Wissenschaft sowie sonstigen Beobachtern und Anwendern im Vergleich zu der Riege der legitimierten Rechtssetzer zu missachten und letztlich einzureißen.34 Dies geschieht durch Hinweise auf eine denkbare Prinzipienrückführung,35 durch Einbindung rechtsphilosophischer Forderungen,36 mittels interdisziplinärer Betrachtungen 37 oder durch Einbringung von nicht durch berufene Normsetzer in das Recht inkorporierte Methodiken.38 Dabei ist es für die vorliegende 32  Deutlich mit entsprechender Erörterung des Geltungsbegriffs Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  24 f. Dagegen Kelsen, Reine Rechtslehre, 1960, S.  51 ff. mit der Forderung, dass Rechtsnormen stets auch Zwangsbewährung bieten müssten. Dem ist allerdings schon deshalb entgegenzutreten, da andernfalls Wertungen aus Kompetenz- oder Konstruktionsnormen nicht als klassisch inhärenter Teil der Rechtsordnung gewertet würden und dementsprechend nur an wissenschaftlichen Systemen teilnähmen, ihnen also gleichsam die vermittelte Staatsmacht über den legitimierten Normsetzer abgeschnitten würde. 33 Zum Hintergrund Hart, Der Positivismus und die Trennung von Recht und Moral, 1957; Pawlik, Die reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H.L.A. Harts, 1992; Hoerster, Was ist Recht?, 2006, S.  65 ff.; Merkl, Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaus. In: Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht. FS Kelsen zum 50. Geburtstag, 1931, S.  252 ff. 34  Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass etwa interdisziplinäre Ansätze im Rahmen der vorliegenden Erörterung ignoriert würden. Wie bereits §  2 der Untersuchung zeigt, ist das Gegenteil der Fall. Das rechtspositivistische Denken, auf welches vorliegend rekurriert wird, stellt lediglich sicher, der Selbstermächtigungsproblematik aller außerrechtlichen Maßstäbe entgegenzuwirken. 35 Vgl. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S.  51 ff. 36 Eingehend Habermas, Faktizität und Geltung, 4.  Aufl. 1994, S.  135 ff. S.a. J. Prütting, JZ 2014, 381 ff. 37  Statt vieler Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S.  169 ff., 397 ff. Vgl. auch die Ausführungen bei Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  48 ff. 38  Vgl. BVerfGE 95, 28, 38 = NJW 1997, 386: „Dem von ihm (LAG) angenommenen betriebsverfassungsrechtlich geschützten Interesse des Betriebsrats, den Arbeitgeber als betrieblichen Gegenspieler aus der Kommunikation zwischen Belegschaftsmitgliedern und Betriebsrat völlig herauszuhalten, kommt jedenfalls kein solches Gewicht zu, dass die Pressefreiheit trotz ihrer großen Bedeutung für einen möglichst umfassenden und offenen Kommunikationsprozess dahinter unter allen Umständen zurücktreten müsste.“; 119, 247, 274 = NVwZ 2007, 1396: „Auf dem Gebiet des Beamtenrechts können daher nicht die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als besondere verfassungsrechtliche Kriterien für die Weiterentwicklung geltender Rechtsvorschriften mit der Begründung außer Acht gelassen werden, dass das Vorhaben der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips Rechnung trage.“; Kelsen, Reine Rechtslehre, 2.  Aufl. 1960, S.  346 ff.; Gusy, JöR 2007, 41, 58; Hassemer, ZRP 2007, 213, 216 ff.

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Analyse unerheblich, wie der Ausgangspunkt rechtspositivistischer Überlegungen zu begründen wäre, so dass eine Erörterung um den Ansatz der reinen Rechtslehre oder anderer Begründungsmuster hier unterbleibt.39 Vielmehr kann für die Erörterung einer rechtspraktischen Handhabung der nationalen Rechtsordnung im methodischen Unterbau festgestellt werden, dass es einen Bereich gibt, der durch äußere gesetzte Rahmenregeln umrandet wird und von diesen ausgeht. Es kann insoweit aber nicht mehr nur auf die Verfassung verwiesen werden, da jedenfalls die Einflüsse des EU-Rechts mit der gewählten supranationalen Struktur, insbesondere der eigenständigen primärvertraglichen Geltungsgrundlage, einen autonomen Rahmen stecken.40 Er findet seinerseits Grenzen im Wesentlichen in den Prinzipen der begrenzten Einzelermächtigung41, der Subsidiarität42 und den verfassungsrechtlich unantastbaren Kernbestandteilen der Art.  1, 20, 79 Abs.  3 GG.43 Zentrales inkludierendes Element für das Rechtssystem ist somit der Geltungsanspruch des Normsatzes.44 Der jeweilige Normsatz beansprucht im Widerstreit mit anderen Begründungsmustern im Konfliktfall Vorrang.45 Davon unabhängig muss für die vorliegende Betrachtung demgegenüber die Frage der Akzeptanz, Befolgung oder konkreten Durchsetzung des Normsatzes sein.46 Hierauf darf es schon deshalb nicht ankommen, weil andernfalls im Rahmen der Kollisionserörterung nicht mehr davon die Rede sein kann, dass der Wille

39  Mit guten Argumenten greift Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit, 2004, S.  25 ff. mwN. eine strenge Trennungsthese an, jedoch hat dies keinen Einfluss auf präzise dogmatische Überlegungen zum Rechtssystem selbst, da kein vernünftiger Rechtspraktiker die zahlreichen äußeren Einflüsse auf das Recht bestreiten würde, sondern es im konstruktiven Bereich vielmehr darum geht, exakt herauszuarbeiten und zu beachten, welcher Akteur im Rechtsstaat welche Kompetenz für sich in Anspruch nehmen kann. 40  Pars pro toto sei verwiesen auf die Analyse von Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts, 2003, dort etwa hinsichtlich des Systems der Einwirkungsmechanismen S.  119. Konsequent ist zu folgern, dass eine Anpassung europarechtlicher Vorgaben an das nationale Recht im Wege der Auslegung unzulässig ist, da der EU-rechtlich autonom zu bestimmende Ansatz Anwendungsvorrang genießt, vgl. MüKo/Säcker, BGB, 7.  Aufl. 2015, Einleitung Rn.  225. 41  Art.  5 Abs.  2 EUV. Näher hierzu Calliess/Ruffert/Calliess, EUV/AEUV, 5.  Aufl. 2016, Art.  5 EUV Rn.  6 ff. mwN. 42 Art.   5 Abs.  3 EUV. Grundlegend Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, 1968, S.  71; für das Europarecht Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S.  25 ff. 43  Eingehend Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 83. EL 2018, Art.  79 Rn.  60 ff. mwN. 44 Näher Meyer, Juristische Geltung als Verbindlichkeit, 2011, S.  19 ff. und zur Herleitung S.  223 ff. 45  Hoerster JuS 1987, 181, 184; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  25. 46  Zur Diskussion Lippold, Rechtstheorie, 1988, 463, 472 ff.; Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S.  137 ff.; Meyer, Juristische Geltung als Verbindlichkeit, 2011, S.  2 ff., 24 ff.

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des legitimierten Rechtssetzers ernst genommen würde.47 Es käme bereits im Rahmen der konkreten Systemzuordnung zu einer Ausmusterung mangels akzeptierten oder mangelnd befolgten Rechts oder solcher Vorschriften, deren Anwendungsbereich im beobachtbaren Rechtsleben verschwindend gering ist. (2) Bausteine wissenschaftlicher Systeme Dem Vorschlag von Hilbert folgend werden aus Gründen der klaren und präzisen Darstellung einerseits und der Wahrung der verfassungsrechtlich verbürgten Herrschaft des durch den demokratisch legitimierten Normgeber geschaffenen Gesetzes andererseits dem Rechtssystem wissenschaftliche Systeme gegenübergestellt.48 Es kommt dabei nicht darauf an, eine präzise Definition oder auch nur Eingrenzung des Begriffs des wissenschaftlichen Satzes zu finden. Es entscheidet allein die Feststellung, dass jeder analysefähige Satz entweder Rechtssatz mit normativem Geltungs- und Vorranganspruch ist und somit in das Rechtssystem gehört oder aber solchen Anspruch nicht erheben kann und damit den wissenschaftlichen Systemen zuzurechnen ist.49 Durch die Kategorisierung als wissenschaftlicher Satz ist zunächst nichts über dessen Qualität mit Blick auf die wissenschaftliche Debatte ausgesagt. Allein das Fehlen des normativen Geltungsanspruchs ist ein qualitätsprägendes Merkmal. Daraus folgt aller­dings, dass wissenschaftliche Sätze auch nicht den Anforderungen des inkludierenden Merkmals der Rechtssätze unterworfen sind. Sie können grundsätzlich von jedem verfasst werden und sind einzig zu messen an ihrer Überzeugungskraft.50 Solange wissenschaftliche Sätze nicht in das Rechtssystem inkorporiert werden, können sie auch – trotz Anwendung über einen bestimmten Zeitraum – wieder fallengelassen oder im Einzelfall missachtet werden. Ohne Verrechtlichung durch einen legitimierten Normsetzer genießen wissenschaftliche Sätze keinen Bestandsschutz und der Betrachter oder Betroffene gleichermaßen keinen Vertrauensschutz, wenn es um den Erhalt und die gegenwärtige oder künftige Beachtung geht.51 Mit dieser letzten Bemerkung soll allerdings 47  Zur Problematik subjektiver Teleologie, ihres Vorrangs und ihrer Bestimmung s. u. §  3 II. 3. a.). 48  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  30 ff. 49  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  30. 50  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  185 f. Kahl schreibt wissenschaftlichen Systemen zudem sechs Funktionen zu: Speicherund Entlastungsfunktion, Komplexitätsbewältigungsfunktion, (Re-)Integrationsfunktion, Freilegungs- und Verknüpfungsfunktion, rechtspolitische Begleitungs- und Kritikfunktion sowie Rezeptionsleitungs-, Vermittlungs- und Akzeptanzfunktion, vgl. Kahl, Die Verwaltung, Beiheft 2010, S.  39, 46 ff. 51  Zur Kritik an der Differenzierung nach Rechts- und wissenschaftlichen Systemen Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  25, 232; Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, 1996, S.  5 ff. Diese kritischen Ansätze wollen überpositive Elemente (Gerechtigkeit,

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noch keine Bewertung einhergehen, ob und inwieweit derartige Mechanismen bei Rechtssätzen greifen. (3) Grundsätzliche Kategorisierung von Auslegungsvorschlägen und denkbare Abweichungsmuster Bei der Erfassung und Ermittlung von Bearbeitungs- und Lösungsmechanismen im Bereich rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen stehen Auslegungsvorschläge im Mittelpunkt. Rechtsnormen, die einander im hier erwogenen weiten Kollisionssinne52 zu berühren geeignet sind, sollen interpretatorisch erfasst und für die Rechtsanwendung bereit gemacht werden. Die Antwort auf die Frage, ob es sich bei derartigen Auslegungsvorschlägen um Rechts- oder um wissenschaftliche Systemelemente handelt, scheint auf den ersten Blick leicht zu fallen. Da die bekannten und anerkannten Auslegungsvorschläge überwiegend im geschriebenen Recht nicht in Form eines allgemeinen methodischen Teils oder in der Verfassung festgehalten sind, handelt es sich überwiegend um wissenschaftliche Sätze.53 Eine Ausnahme mag man – je nach Normverständnis – etwa in Art.  31 GG erblicken, welcher weithin als positivrechtliche Kollisionsregel eingestuft wird,54 so dass die Rechtsordnung insofern möglicherweise Rechtssicherheit etc.) gleichermaßen als Rechtsstoff betrachten und sehen daher keine tragbare Differenzierungsmöglichkeit zwischen den Systemen. Damit geht jedoch stets ein überpositivistischer Ansatz einher, der nach hier vertretener Auffassung die Gefahr verfassungswidriger Überhöhung wissenschaftlicher und damit demokratisch nicht legitimierter Ansichten in der konkreten Rechtsanwendung signifikant erhöht, da der mahnende Charakter des Verlassens des Rechtssystems unzureichend Betonung findet. So verständlich die Hinweise der Autoren damit sind, so sehr muss ihnen strukturell der Eigenwert starker Bastionen gegen die Selbstermächtigungsproblematik entgegengehalten werden. 52  S. o. §  1 III. 1. 53  A. A. Basedow, Anforderungen an eine europäische Zivilrechtsdogmatik, in: FS Seiler, 1999, S.  79 ff. mit Hinweis darauf, dass im Rechtssystem die Ordnungsidee durch Dogmatik und Methode angelegt sei und der Dogmatik somit eine vom Rechtssystem selbst vorausgesetzte und ihm inhärente systembildende Funktion zukomme. Basedow ist zuzugeben, dass jegliche Systemidee im Recht nach Ordnungsmechanismen verlangt, jedoch sind diese nur zu einem kleinen Teil festgeschrieben und im Übrigen als bewegliches wissenschaftliches System belassen. Dies führt allerdings zu immenser Macht der höchsten Gerichte, wie Rüthers treffend herausgearbeitet hat, vgl. Rüthers, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik unter dem Einfluß des Richterrechts, 2003, S.  17 ff. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass diese Macht kaum geringer sein dürfte, folgte man der Ansicht von Basedow, da in diesem Fall die höchsten Gerichte die Dogmatik für das Rechtssystem erhellen würden. Es käme allerdings zu vermehrter Anrufung des GmS-OBG, da die zahlreichen dogmatischen Aberrationen der obersten Gerichtshöfe sich vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Erwartung festgelegter Methode im Rechtssystem gleichermaßen hierüber verstärkt würden einigen müssen. 54 Grundlegend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3.  Aufl. 2008, S.  585. Differenzierend mit eingehender Erörterung Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  43 f. mit Hinweis auf den Unterschied zwischen Normenwiderspruch und Bindungswirkung sowie speziell hinsichtlich der Art.  31 GG-Diskussion den zentralen Aspekt der staatlichen Kompetenzordnung und damit der Gleichordnung von Bund und Ländern hervorhebend. Zu Lit. und Rspr. hinsichtlich Art.  31 GG vgl. Bumke, a. a. O., S.  43 Fn.  23.

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partiell ihren Stufenbau55 erläutert.56 Auch Art.  103 Abs.  2 GG könnte mit Blick auf die Wortlautgrenze als eine derartige Regel verstanden werden, wobei der erhebliche Einfluss des zu Grunde gelegten Sprachverständnisses maßgebend ist.57 Von zentraler Bedeutung ist die Beachtung des gesetzgeberischen Willens vor dem Hintergrund von Art.  20 Abs.  3, 97 GG,58 die im Folgenden eigenständig behandelt wird.59 Derartige Vorgaben sind verfassungsrechtlich bindend. Auslegungsvorschläge der Jurisprudenz wären demgegenüber Angebote an die zur Entscheidung berufene Instanz – allem voran die Gerichte –, bestimmte Verständnisschwierigkeiten im normativen Bereich methodisch präzise aufzulösen. 60 Dieser Grundsatz ist zunächst auch notwendig, weil hierdurch verhin55  Der Stufenbaugedanke drückt sich durch bedingtes und bedingendes Recht aus, welches auf einen extrapolationsfähigen und letztlich axiomatisch gesetzten Ausgangspunkt als ersten Ansatz hinausläuft, vgl. Kelsen, Hauptprobleme der Staatslehre, 2.  Aufl. 1923 S. XV f.; Bierling, Juristische Prinzipienlehre, Bd.  I, 1894, S.  107 ff., 327 f. Als „Erzeugungszusammenhang“ bezeichnet und erörtert bei Merkl, in: FS Kelsen, 1931, S.  252 ff. 56 Gegen die Annahme, es handele sich um ein Stufenbauelement mit guten Gründen Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  44 f.; s. a. Maunz/Dürig/Korioth, GG, 84. EL. 2018, Art.  31 Rn.  8 ff. 57 Im Kontext der Normenklarheit und Kalkulierbarkeit etwaiger Strafandrohung BVerfGE 126, 170, 195 = NJW 2010, 3209: Vorhersehbarkeit von Verhalten und Strafe. Zurückhaltender demgegenüber BVerfGE 92, 1, 12 = NJW 1995, 1141: Erkennbarkeit des Risikos einer Strafandrohung. Strenger BVerfGE 109, 133, 158 = NJW 2011, 1931: Klares Voraugentreten der Grenzen des straffreien Raumes. Maunz/Dürig/Remmert, GG, 83. EL 2018, Art.  103 Abs.  2 Rn.  92 ff. mwN. S.a. Herzberg, in: Hefendehl/Roland/Bottke/Wilfried (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, 2005, 31 ff. 58 Auch wenn aufgrund der deskriptiven Entgleisungen in der Judikatur teilweise der Fehlschluss gezogen wird, zentral sei einzig ein objektiv teleologischer Ansatz, vgl. BVerfGE 1, 299, 312 = NJW 1952, 737: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung.“; in ständiger Rechtsprechung seitdem: BVerfGE 8, 307 = NJW 1959, 475; 10, 244 = MDR 1960, 198; 11, 130 = NJW 1960, 1563; 19, 362 = MDR 1966, 568; 62, 1, 45 = JZ 1983, 244; BGHZ 33, 330 = NJW 1961, 725; 36, 377 = JZ 1963, 176; 37, 60 = NJW 1962, 1719; BGH, NJW 1967, 346; BGHSt 17, 23 = NJW 1962, 598; 20, 107 = NJW 1965, 593; BFHE 205, 566 = ZfZ 2004, 341; 169, 3 = DB 1992, 2377; 174, 435 = DB 1994, 1857; 46, 74, 76; 49, 221, 223; FFM NJW 2004, 165, 166. Dies wird treffend angegriffen von MüKo/Säcker, BGB, 8.  Aufl. 2018, Einleitung Rn.  125 Fn.  335 mwN. Nunmehr deutlich auch das BVerfG selbst, vgl. BVerfG, NZA 2018, 774, 780 Rn.  74: „Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art.  76 II 2 GG) und Bundesregierung (Art.  76 III 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen.“. 59  §  3 II. 1. und 3. a.). 60 Vgl. Klement, Verantwortung, Funktion und Legitimation eines Begriffs im Öffentlichen Recht, 2006, S.  94 f., 190.

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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dert wird, dass sich jeder Teilnehmer der juristischen Diskussion mit Thesen von hoher Überzeugungskraft zum faktischen Gesetzgeber erklären kann (Selbstermächtigungsproblematik). 61 Dieses scheinbar naheliegende Ergebnis erscheint jedoch Zweifeln ausgesetzt zu sein, wenn insbesondere die Judikative als Normsetzer in Erscheinung tritt. Pars pro toto sei aus den schon in den §§  543, 544 ZPO für den Zivilprozess ersichtlichen Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdegründen der Fortbildung des Rechts, der Grundsatzbedeutung und der Einheitlichkeitssicherung entnommen, dass es auch nach geltendem Gesetzesrecht den Gerichten im Rahmen der Verfassung – insbesondere im Hinblick auf den demokratischen Wesentlichkeitsvorbehalt und auf die Grundsätze des Rechtsstaatsprinzips – möglich sein soll, Recht jedenfalls im Rahmen einer Fortentwicklung und Lückenfüllung zu konkretisieren und maßvoll fortzuschreiben (Richterrecht).62 Dazu gehört nach heute herrschender Ansicht auch die Entscheidung darüber, ob bestimmte wissenschaftliche Sätze zur Systematisierung des Rechts als Teil der Rechtsordnung selbst anerkannt werden sollen. 63 Tatsächlich lassen sich im Rahmen der Analyse der Judikatur einige Stellen finden, die für eine solche Inkorporation bestimmter Mechanismen sprechen. 64 Die Details hierzu werden bei den einzelnen Auslegungsvorschlägen und Leitmotiven diskutiert. 65 Zudem wird auf den Ansatz von Payandeh zurückzukommen sein, worum es sich bei judikativer Rechtserzeugung (Richterrecht) im Kern handelt. 66 Ein weiterer Inkorporationsansatz bietet sich hinsichtlich grundsätzlicher Systematisierungserwägungen aus der Verfassung heraus an, wobei allem voran 61  Picker, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht, 2012, S.  85, 110; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  121 ff. 62 Zur Übersicht Wiedemann, NJW 2014, 2407. Monographisch Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017. Die Gegenrichtung der Überlegungen zur Gewaltenteilung bildet einen Teil der Erörterung um die richterliche Unabhängigkeit, vgl. Säcker, NJW 2018, 2375, 2376. 63 Vgl. Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, 1975, S.  168; Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, 1971, S.  27; Müller, DB 1981, 93; Sendler, NJW 1983, 1449, 1454; Kissel, NJW 1982, 1777; Kirchhoff, Rechtsphilosophische Fundierung des Richterrechts, in Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, 2012, S.  71 ff.; MüKo/Säcker, BGB, 8.  Aufl. 2018, Einleitung Rn.  77. In die Richtung auch BGH-Mitteilung, NJW 1967, 816: „Darüber ist jedenfalls unter Juristen kein Zweifel möglich, dass in allen übersehbaren Zeiträumen das verwirklichte Recht eine Mischung aus Gesetzesrecht und Richterrecht gewesen ist.“ 64  BVerfG, NJW 2016, 1295, 1298 Rn.  50: „Für ranggleiches innerstaatliches Recht gilt im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori, es sei denn, die ältere Regelung ist spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex posterior-Grundsatzes wird abbedungen.“; S.a. die Ausführungen in BVerwG, NVwZ 2012, 1250 f., wonach die Auslegung eine „Gesamtschau von Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dieser Gesetzesbestimmung“ sei. 65  §  3 II. 3. c.). 66  S. u. §  3 II. 2.

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an den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art.  3 Abs.  1 GG,67 an das Rechtsstaatsprinzip und dessen Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes68 sowie an die Selbstbindung des jeweiligen Normsetzers69 zu denken ist. Solcher Art normative Ansätze werden zudem mit Blick auf das EU-Recht diskutiert.70 Diese Erwägungen werden im Zusammenhang mit dem vielerörterten Leitmotiv der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung erörtert.71 Und schließlich stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen eines zu unterstellenden sachgedanklichen Mitbewusstseins bei jeglicher Normschaffung den impliziten Wunsch in sich trägt – oder derselbe dem Gesetzgeber aus tragenden Gründen zu unterstellen sein könnte –, mittels einer transparenten Methodik bestmöglich in seinen Zielsetzungen verstanden zu werden und im ggfls. nicht beachteten Widerstreit mit den Vorgaben anderer Normsetzer mit seinen Zielen bestmöglich zur Geltung zu kommen.72 Kehrt man nunmehr als gedankliches Zwischenfazit zum Ausgangspunkt zurück, so stellt sich die Erkenntnis ein, dass die zentrale Schnittstelle des Umgangs mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen – die Norminterpretation – auf einer vagen und schwer zu fassenden Grenzlinie zwischen der Einstufung als Rechts- oder wissenschaftlichem Satz liegt und somit im Rahmen näherer Betrachtung erhebliche Unsicherheit73 verbleibt. Die Frage ist nicht beantwortet, welchen Geltungsanspruch die im täglichen Auslegungsprocedere der Gerichte verwendeten Methoden für sich in Anspruch nehmen können respektive welchen Vertrauensschutz der Rechtsunterworfene mit Blick auf die Wiederholungssicherheit und Zukunftsfestigkeit zur Entscheidung angebrachter Argumentationsstrukturen genießt.74 Es ist ebenfalls Ziel der vorlie67  Ausführlich mit speziellem Blick auf die Erwägungen zur systematischen Folgerichtigkeit Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 84. EL 2018, Art.  3 Abs.  1 Rn.  404 ff. 68  Ausführlich zu diesem Ansatz im Hinblick auf die Forderung nach Wertungswiderspruchsfreiheit Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  369 ff. 69 Vgl. Kloepfner, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), 63, 86 f.; Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts in der BRD, Bd.  3, 2.  Aufl. 1996, §  60; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz entwickelt am Beispiel des deutschen Privatrechts, 1969, S.  106 ff. 70 Näher Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  160 ff. mwN. 71  S. u. §  3, I. b) bb) (2). 72  In diese Richtung das schweizerische Bundesgericht, vgl. BGE 120 II 112 (114), zitiert nach Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  114 Fn.  437. Ebenfalls, jedoch mit anderer Gewichtung im Rahmen von „Schonungs-“ und „Akzeptanzprinzip“, Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  83, 88. S.a. Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, 257 ff. mwN. aus der bank- und kapitalmarktrechtlichen Literatur und dem dort verfolgten Optimierungsgebot. 73  Dies wird auch im Rahmen der Ausbildungsliteratur zur Methodik deutlich, vgl. Beck, Jura 2018, 330 ff. 74  Auf eine umfassende Darstellung aller Literaturansätze wird an dieser Stelle verzichtet und auf die ausführliche Besprechung bei Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  110 ff. verwiesen.

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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genden Systemerfassung, sich der Kategorisierung de lege lata wenigstens zu nähern, wenn schon eine bis in das letzte Detail gesicherte Bestimmung aufgrund fehlender klarer Aussagen der legitimierten Normsetzer nicht zu erreichen ist. b) Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung Felix bringt die Quintessenz des Einheitsgrundsatzes für Teilrechtsordnungen treffend wie folgt auf den Punkt, dass damit gefordert werde, „[...] in den Teilrechtsordnungen eine begriffliche Kontinuität zu wahren, […] die Rechtmäßigkeit eines Verhaltens nur einheitlich beurteilt werden [könne] und (…) eine Teilrechtsordnung die Zielsetzungen der anderen nicht beeinträchtigen [dürfe].“75 Dieser Ansatz hat – nicht zuletzt durch Felix selbst76 – massive Kritik erfahren, wenn es um ein Leitbild oder die Findung einer zentralen Metanorm für Kollisionsfragen zwischen Teilrechtsordnungen geht.77 Die Diskussion nimmt ihren Ausgang bei der Differenzierung nach unterschiedlich starken Widerspruchs- oder allgemeinen Kollisionslagen. Nachfolgend sollen von der bereits in der Einleitung erfassten allgemeinen Kollisionslage die zwei zentralen Formen des Widerspruchs inhaltlich getrennt werden. Die weiteren Kategorien der teleologischen und Prinzipienwidersprüche, die Engisch in seinem Leitwerk hierzu erwogen hat,78 führt Höpfner überzeugend auf den Wertungswiderspruch zurück.79 Zugleich bringt Höpfner die Kritik an, dass es letztlich auch nicht um Norm- oder Wertungswiderspruch gehen könne. Es sei vielmehr jeder Norm- ein Wertungswiderspruch ist. Die wesentliche Frage aber sei darin zu sehen, ob Widersprüche auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite aufträten oder im Bereich zweier sich im konkreten Anwendungsbereich nicht schneidender Normen erkennbare Wertungen in einer Vergleichsbetrachtung nicht schlüssig durchgehalten würden.80 Obgleich dieser Kritik wegen ihrer Überzeugungskraft mit Blick auf die klare Rückführung auf den gesetzgeberischen Willen als ein Stück geronnene Politik mit spezifischer Zwecksetzung auch an dieser Stelle im Grunde zugestimmt wird, ist es für die nachfolgende Debatte dennoch sinnvoll, den Normwiderspruch zunächst ter75  Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  399 zum Postulat von der Einheit der Rechtsordnung. 76  Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  399 f. 77 Vgl. Damm, Risikosteuerung im Zivilrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1998, S.  85, 134 mit wörtlichem Zitat von Sach, Genehmigung als Schutzschild, 1994, S.  288; s. a. Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1998, S.  272. 78  Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.   63 f. Partiell anders gewichtet bei Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  116. 79  Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  19 ff. 80  Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  24.

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§  3 Methodischer Unterbau

minologisch vom (allgemeineren) Wertungswiderspruch abzuspalten. Hierdurch können äußere Grenzen unerträglicher Widerspruchssituationen von vornherein ausgeschieden werden, die im Rahmen der geltenden Rechtsordnung, insbesondere der Verfassung indiskutabel sind. Über die verbleibenden widerspruchsbehafteten Kollisionslagen ist sodann eine Diskussion denkbarer Bestehensverbote oder Auflösungsgebote zu führen. aa) Der Normwiderspruch Einigkeit konnte in der bisherigen Debatte nur insoweit erreicht werden, dass echte Normwidersprüche aufzulösen sind. 81 So wäre im Hinblick auf die vorliegend untersuchten Teilbereiche festzustellen, dass es für eine Rechtsordnung und jeden betroffenen Rechtsunterworfenen unerträglich sein dürfte, wenn eine zivilrechtliche Verhaltenspflicht dem Arzt ein bestimmtes Eingreifen gebietet, die zugleich sozialrechtlich mit einem klaren Unwerturteil und dort mit einem in unauflösbarem Widerspruch auftretenden Verbot behaftet wäre. Das Verbot solcher Normwidersprüche ist als Rechtssatz und damit als inhärenter Teil der Rechtsordnung aufzufassen, da es zwingende Folge des Rechts­staats­ prinzips ist.82 Vom Rechtsunterworfenen kann nicht im selben Moment etwas gefordert werden, was ihm zugleich in unauflösbarem Widerspruch verboten ist.83 Solche Normwidersprüche sind jedoch selten und auch die extrapolierten Beispielsbereiche der Einleitung84 weisen Entsprechendes nicht auf. Nicht hinreichend geklärt ist letztlich allein der Umgang mit erkannten Normwidersprüchen, die weder durch Auslegung noch durch gesetzlich explizierte oder ungeschriebene Regeln vermieden werden können. Es wird in diesen Fällen im Wesentlichen vorgeschlagen, dass die normativ angeordneten widerstreitenden Verhaltenspflichten als eine generelle Vermeidepflicht85 der zu Grunde liegenden Situation verstanden werden könnten oder aber, dass der Normwiderspruch zur Aufhebung der gegenläufigen Verhaltenspflichten führe und eine ausfüllungsbedürftige Lücke entstehe,86 die von der Rechtsordnung ohne Anschauung der entfallenen Vorgaben zu schließen sein soll. Der erste Ansatz, den Bumke mit dem plastischen Beispiel der Vorgabe, am Grab des X einen Hut zu tragen und zugleich, am Grab von X keinen Hut zu tragen, dahin als partiell 81 

Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  38. Neuner, Rechtsfindung contra legem, 2.  Aufl. 2005, S.  124. Ausführlich mit Abgrenzung zu naheliegenden Fallgruppen und Erwägungen zur Auflösung Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  39 ff., 48 ff. 83  Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  26. Zum Hintergrund Maunz/Dürig/Grzeszick, GG 83. EL 2018, Art.  20 Rn.  51 ff. mwN. 84  S. o. §  1 II. 85  Philips, Der Handlungsspielraum. Untersuchung über das Verhältnis von Norm und Handlung im Strafrecht, 1974, S.  68 ff. 86  Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz. Eine methodologische Studie über Voraussetzungen und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung praeter legem, 1964, S.  65. 82 

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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auflösungsfähig akzeptiert, dass Hüte nicht zum Grab des X mitzunehmen sind,87 erscheint zwar vom Grundgedanken her tragfähig, jedoch sind derartige Ausweginterpretationen stets abseits vom gesetzgeberischen Willen verortet.88 Andernfalls hätte der Gesetzgeber im Hut-Beispiel niemals ein Gebot des Huttragens am Grab des X geschaffen, sondern a priori das Mitbringen des Huts verboten. Lassen sich Ausweichmechanismen aber nur in einer Form finden, die im Hinblick auf den konkreten Normwiderspruch evident vom gesetzgeberischen Willen entfernt sind, so vermag die Feststellung der Kollisionslücke in der Tat keine Erklärung dafür zu bieten, wie im Anschluss mit ihr zu verfahren ist. Hierfür bedarf es eines gesonderten Gesetzesinterpretationsprocederes mit Blick auf die lückenhafte Teilrechtsordnung im Übrigen. Der Normanwender bekennt offen, dass der Normwiderspruch nicht im Sinne des Gesetzes zu beherrschen ist. Jedes weitere Vorgehen bedeutet eine Rechtsfortbildung, für welche es einer systemimmanenten Legitimation im oben genannten Sinne bedarf oder aber jeglicher Ansatz ist nur ein Vorschlag an den legitimierten Normsetzer – in diesen Fällen regelmäßig die höchstrichterliche Judikatur. Demgegenüber suggeriert der Ansatz der Vermeidepflicht als Auslegungsergebnis, die Rechtsanwendung bewege sich im Bereich der Interpretation des Gesetzes, was vor dem Hintergrund des unüberwindbaren Normwiderspruchs nicht im Rahmen des Möglichen liegt. bb) Wertungswidersprüche Bedeutsamer für die vorliegende Untersuchung sind denkbare Wertungswidersprüche im Recht. Soweit Kollisionen als Wertungswidersprüche erkannt werden – wobei bereits die exakte Erfassung des Wertungswiderspruchs problematisch ist89 – wird sich bei näherer Betrachtung zeigen, dass weder von Verfassungs wegen noch im Hinblick auf Gesetze der Logik stets zu verlangen ist, dass diese zu bereinigen wären.90 Tatsächlich dürfte der Regelfall genau umgekehrt liegen. Schäfers hat hierzu treffend angeführt, dass die jeweilige Argumentationslast bei den Befürwortern einer solchen Forderung anzusiedeln sein dürfte.91 In eine ähnliche Richtung weisen auch das Schonungs- und Akzeptanzprinzip

87 

Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  50 f. denn auch Bumke mit dem Hinweis, dass es sich um eine „(…) neue, im Wege der Interpretation gewonnene Regel“ handele, vgl. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  51. 89  Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  51 f. 90  So auch die spätere Haltung von Kelsen, vgl. hierzu Fischer-Lescano, Monismus, Dualismus? – Pluralismus. Selbstbestimmung des Weltrechts bei Hans Kelsen und Niklas Luhmann, in: Brunkhorst/Voigt (Hrsg.), Rechts-Staat. Staat, internationale Gemeinschaft und Völkerrecht bei Hans Kelsen, 2008, S.  203 ff. 91 Vgl. Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  257 ff. 88  So

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§  3 Methodischer Unterbau

nach Deinert.92 Jede Theorie, die einen Gleichlauf der Wertungen zwischen Teilrechtsgebieten oder einzelnen Vorschriften unterschiedlicher Teilrechtsgebiete verlangt, muss überzeugend begründen, weshalb dieser geboten ist. Diese Argumentationslast liegt in negativer Hinsicht darin begründet, dass weder aus Art.  3 Abs.  1 GG noch aus dem Rechtsstaatsprinzip, der Selbstbindung des Normsetzers oder EU-Recht folgt, dass Wertungen unterschiedlicher Rechtsgebiete identisch sein müssten.93 In positiver Hinsicht ist darzulegen, dass mit Blick auf die vielfach unterschiedlichen Gesetzgeber zu anderen Zeiten andere und teils gegenläufige Teleologien verfolgt werden und auch verfolgt werden müssen, um dem zentralen Gedanken der bereichsspezifischen Komplexitätseingrenzung und Steuerungsfähigkeit zu genügen.94 Zugleich führte der gegenteilige Ansatz in eine massive Versteinerungsproblematik.95 Sie würde den jeweils amtierenden, legitimierten Normsetzer – allem voran den demokratisch gewählten Parlamentsgesetzgeber – in seiner politischen Entscheidungsfreiheit unzulässig beschränken, da sich jede Veränderung einer erhöhten Argumentationslast ausgesetzt sähe.96 Auch könnte eine hinreichende Absicherung des Erlasses von wertungswiderspruchsfreiem Recht nur dadurch erfolgen, dass der jeweilige Gesetzgeber vorab die Rechtsordnung sorgfältig auf denkbare Widersprüchlichkeiten analysierte, was bei naheliegenden Kollisionserwägungen auch partiell im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geschieht. Beim Gros der Fälle dürfte allerdings die Aufarbeitung denkbarer Kollisionen aus Gründen begrenzter zeitlicher und personeller Ressourcen nicht realistisch sein. (1) Der Wertungswiderspruch – Eine Gegenstandsbetrachtung In der systemrelevanten Ergründung dessen, was einen Wertungswiderspruch zwischen Normen ausmacht, liegt eine Gefahr voreiliger Schlussfolgerung durch den Betrachter. Man ist geneigt anzunehmen, dass Wertungswidersprüche dort nicht vorliegen, wo durch Auslegung ein Widerspruch zwischen den Zielsetzungen der Normen vermieden wird. Ein solcher Ansatz würde Wer92 Vgl. Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  83, 88. Hierauf wird an späterer Stelle vertieft zurückzukommen sein, S. §  3 II. 4. e). 93  Hierzu sogleich im Einzelnen §  3 I. 2. b) bb) (2). 94 Eingehend Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  145, 147 ff., 163 ff. 95  Zum grundsätzlichen Versteinerungseinwand in der Systembildung Schwarze, DVBl.  1974, 893, 895; Möllers, NJW 2005, 1973, 1978; Lepsius, in: Kirchhof/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S.  39, 61. 96 Vgl. Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  125 mVa. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2.  Aufl. 2006, 1. Kap. Rn.  7. Hilbert hebt zutreffend die zentralen Ansätze absoluter Konzeptund Systembildungen sowohl im Rechts- als auch in wissenschaftlichen Systemen hervor, verweist aber zugleich ebenso zustimmungswürdig darauf, dass entsprechende Versteinerungstendenzen keineswegs ausschließlich Produkt der Systembildung, sondern gleichermaßen auch Auswuchs etwaigen Traditionsdenkens und der Beibehaltung überkommener Ansichten – beinahe aus Nostalgie heraus – geschuldet sind, Hilbert, a. a. O. S.  126 ff.

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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tungswidersprüche nur insoweit zulassen, als alle betroffenen Normen bereits eingehend ausgelegt und aufeinander abgestimmt worden sind, dass danach ein Widerspruch mit Blick auf das extrapolierte Regelungsziel des Gesetzgebers aller betroffenen Vorschriften verbliebe.97 Höpfner hat darauf hingewiesen, dass die Terminologie des Widerspruchs auf etwas Unerwünschtes hindeute und daher ein entsprechender Vorrang der Auslegung geboten sei,98 während alle sonstigen Konstellationen als Kollisionsfälle anzusehen seien. Auch wenn ihm bezüglich des terminologischen Einwands aus einer ex post-Sicht zuzustimmen sein dürfte, sei trotzdem angemerkt, dass ein vorangehendes umfassendes Auslegungsprocedere den Blick dafür versperren kann, dass Wertungswidersprüche bereits im Sinne des jeweiligen Betrachters mittels möglicherweise angreifbarer Kriterien und Maximen beseitigt worden sind. Sie wären ggfls. anders behandelt und gewichtet worden, wenn die jeweilige Analyse zunächst einen Wertungswiderspruch per definitionem akzeptiert hätte, um eine Auflösung im Rahmen der Kollisionserörterung zu erreichen. Daher dient die Erstbewertung eines Normvergleichs auch einer Warnfunktion für den Rechtsanwender im Rahmen der Auslegung a priori. Der Begriff des Widerspruchs mit seinem Hinweis auf eine unerwünscht konfligierende Rechtslage zeigt also, dass es naheliegende Verständnisvarianten gibt, die derartige Konflikte hervorbringen. Ihnen sollte entgegengewirkt werden. Wenn somit auch Höpfners Kritik letztlich nicht unmittelbar widersprochen werden soll, so wird an dieser Stelle im Hinblick auf die Funktionalität der Auslegung in der Rechtsanwendung dafür eingetreten, die Terminologie des Widerspruchs lediglich zu verbannen. Dies gilt umso mehr, als sich schon aus dem äußeren System und den evident erkennbaren Zwecksetzungen in wechselseitiger Abstimmung ergibt, dass es um eine allgemeine, nicht wechselseitig hemmende Konfliktlage von Normen geht, sondern auch um sonstige die jeweiligen Zwecksetzungen nicht negativ beeinflussende Faktoren.99 Zur konkreten Herausarbeitung ist weiterhin zu beachten, dass widersprüchliche Wertungen zwischen Normen ausschließlich dann auffallen, wenn Materien miteinander verglichen werden, und es einen, woher auch immer bezogenen, Maßstab gibt.100 Da Wertungen von Normen – außerhalb echter Normwidersprüche, wie diese vorab ausgeführt – nur mittels Auslegung auf Ziel und Zweck untersucht werden können, um die Grundlage für eine Analyse eines denkbaren Wertungswiderspruchs zu erhalten, kommt der Rechtsanwender 97 

Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  15 f. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  16. 99  Dies entspricht dem eingangs hervorgehobenen Verständnis teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen, welches dieser Analyse zu Grunde liegt, vgl. §  1 III. 2. 100  Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004 kategorisiert nach möglichem Einfügen in den Regelungszusammenhang, S.  52 ff., Widersprüche in Folge einer Ungleichbehandlung, S.  55 f., Abstimmung zwischen Regelungskomplexen, S.  56 ff. und Widersprüche aufgrund uneinheitlicher Rechtswidrigkeitsurteile, S.  69 ff. 98 

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§  3 Methodischer Unterbau

nicht umhin, zunächst in gewissem Rahmen interpretatorisch tätig zu werden. Insoweit wird auch der Blickwinkel von Höpfner an dieser Stelle befürwortet. Die am ehesten tragfähige Lösung für einen anwendungstauglichen Umgang mit der Rechtsordnung liegt jedoch beim ersten Herangehen erneut in der Betrachtung des äußeren Systems in Verbindung mit der Benennung evident zu Tage liegender, bereichsspezifischer Zwecksetzungen. Dies bedeutet eine Parallele zur anfänglich dargelegten Überprüfung von Teilrechtsgebieten generell, die kollidierend einander gegenübertreten. Das Mehr gegenüber der Generaldefinition der Kollision liegt darin begründet, dass aus dieser ersten Schnittstelle wenigstens die nicht evident auszuscheidende Möglichkeit wechselseitiger Hemmung hervortreten muss. Hilbert bringt dies treffend auf den Punkt: „Problematisch ist viererlei: Es muss eine Auswahl getroffen werden, was in den Vergleich einzubeziehen ist. Es muss ein Vergleichsmaßstab festgelegt werden. Auf dieser Grundlage muss ein Vergleichsergebnis festgelegt werden. Und das Ergebnis des Vergleichs muss beurteilt werden. Alle vier Schritte sind subjektiv geprägt.“101

Hinsichtlich des Aspekts des Teilrechtsgebietsübergriffs ist jede Vorschrift zunächst ausschließlich in ihrem Rechtsbereich zu betrachten und mit Blick auf den dort erkennbaren Willen des Normsetzers einzuordnen. Andernfalls werden zahlreiche Wertungswidersprüche nicht auffallen, da die evidenten Zielund Zwecksetzungen der Teilbereiche nicht auf die jeweilige Vorschrift bezogen sind, bevor es zum Abgleich gekommen ist.102 Im Rahmen dieses Prozesses kann die Einbeziehung einer Vorschrift eines anderen Teilrechtsgebiets zunächst nur dann relevant sein, wenn diese Vorschrift ebenfalls in den erkennbaren gesetzgeberischen Willen aufgenommen worden ist. Als ein solches Beispiel kann §  66 SGB V dienen. Die Vorschrift ist im Rahmen des Patientenrechtegesetzes zum 20.02.2013103 dahingehend angepasst 101  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  73, der als Gegenstimme auf die wohl anders gelagerten Erwägungen von Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  75 f. verweist. Möglicherweise ist Bumke hier jedoch partiell missverstanden worden, da nach Lesart des Verfassers Bumke den Gedanken verfolgt, Wertungsgesichtspunkte nach rechtsstaatlichen Kriterien auf eine möglichst sachliche Diskussionsebene zu heben, die, weil sie nun einmal in der Rechtsordnung selbst aufgefunden worden sind und somit Irritationen des Soziallebens bewirken können, letztlich schon aus Gründen der Funktionalität der Rechtsordnung auf eine objektivierte Ebene gezogen werden müssen. Dass hierbei laufend auch unsichtbare subjektive Einschläge des jeweiligen Rechtsanwenders Berücksichtigung finden, würde wohl auch Bumke nicht bestreiten. Vor diesem Hintergrund ist an dieser Stelle kein wesentlicher Unterschied zwischen den Ansätzen der Autoren gegeben und in der Sache tatsächlich beiden in aufeinander aufbauender Weise zuzustimmen. 102 Zu einem näheren Konzeptionierungsversuch s.  a. Haack, Widersprüchliche Regelungskonzeptionen im Bundesstaat, 2002, S.  51 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S.  13 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.  Aufl. 1991, S.  334 ff. 103  BT-Drucks. 17/10488, S.  32.

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worden, dass die Krankenkassenträger nicht wie früher nur bei der Durchsetzung eventueller Haftpflichtansprüche ihrer Versicherungsnehmer gegen eine Behandlungsseite unterstützen „können“, sondern dies fortan sogar tun „sollen“.104 Das inkorporierte Muss des Regelfalls im SGB V ist innerhalb desselben Gesetzes wie die §§  630a – h BGB eingeführt und in das unmittelbare Bewusstsein des parlamentarischen Gesetzgebers aufgenommen worden.105 Sähe man hierin – insbesondere vor dem Hintergrund des auch in §  630c Abs.  1 BGB angesprochenen Zusammenwirkungsgebots – ein Konfliktpotential zur regulierten Dreiecksbeziehung zwischen Krankenkassen, Behandlungsseite und Pa­ tien­ten, so wäre bereits bei der ersten Zweckerörterung der §  66 SGB V innerhalb des bürgerlich-rechtlichen Gefüges einzubeziehen. Analoge Überlegungen gelten für den Umgang im Rahmen noch nicht abgeschlossener Behandlungen vor dem Hintergrund eines etwa zu begründenden Vertrauensverlustes bei einer außerordentlich fristlosen Kündigung unter Entgeltfortfall nach den ­ §§  630b iVm 628 Abs.  1 S.  1, 2 BGB. Wie festgestellt, ist dies die Ausnahme. Auf die inhaltlichen Bezüge und denkbaren Systemerwägungen wird unter §  5 bei der jeweiligen Schnittstellendiskussion zurückzukommen sein. Es bleibt der Verständnisansatz, dass Wertungswidersprüche im Rahmen rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen stets schon dann anzunehmen und einer weitergehenden Erörterung zuzuführen sind, wenn wenigstens zwei Regelungen in einem Vergleichsverhältnis einander gegenüberstehen. Nach dem äußeren System der Rechtsordnung und einer Evidenzprüfung mit Blick auf extrapolationsfähige Zwecksetzungen sind sie den unterschiedlichen Teilrechtsgebieten zuzurechnen und vor dem Hintergrund ihres jeweiligen Wirkungsbereichs wenigstens dazu geeignet, einander zu hemmen.106 Ebenso kann auch nur eine Regelung für einen Sachverhalt heranzuziehen sein, die jedoch möglicherweise durch wenigstens eine andere Norm auf der Tatbestands- oder der Rechtsfolgenseite drosselnd wirken kann. (2) Keine Forderung der Rechtsordnung zum Gleichlauf der Teilrechtsordnungen Gerade im Hinblick auf die anfänglichen Systemerwägungen und die damit einhergehende Belastbarkeit und Absicherung der jeweiligen Vorgaben ist die zentrale Fragestellung an dieser Stelle, inwieweit die Rechtsordnung selbst nach einem bestimmten Umgang mit Wertungswidersprüchen nach spezifischen Normen in unterschiedlichen Rechtsgebieten verlangt. Kritisch erscheint der 104  Zum Hintergrund Katzenmeier/Jansen, GKV-Unterstützung bei Behandlungsfehlerverdacht, 2017, S.  1 f. 105  So erkennbar die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  32 in Konnex mit den S.  17 ff. 106 S.a. die Kategorisierungsbemühungen bei Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  238 ff.

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Umstand, dass das BVerfG einen weitreichenden Grundsatz der Widerspruchsfreiheit107 für die Sach- und die Steuergesetzgebung erkennen will.108 Das hätte jedoch nicht in dieser Form für die konkrete Entscheidung begründet werden müssen. Auch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Herleitung wird dies nicht erklärt. Daher haben diese Ansätze des Verfassungsgerichts zurecht Kritik erfahren.109 (a) Die Einheit der Rechtsordnung als ungeschriebenes Prinzip Soweit der im positiven Recht nicht festgehaltene Gedanke der Einheit der Rechtsordnung als Postulat des Hinwirkens auf eine widerspruchsfreie Rechtsordnung gesehen wird,110 kann er allenfalls als auslegungsleitendes Prinzip111 einbezogen werden. Er vermag entgegen teilweise angeführter Ansätze in der 107  Zur Frage des Wertungswiderspruchs in dem verfassungsrechtlich entschiedenen Fall zur Verpackungssteuer (BVerfGE 98, 106 = NJW 1998, 2341: „Sachkompetenz und Steuerkompetenz werden vom Grundgesetz bereits in der Weise aufeinander abgestimmt, dass grundsätzlich der Sachgesetzgeber Verhaltenspflichten, der Steuergesetzgeber Zahlungspflichten regelt. Das Nebeneinander dieser Kompetenzen und ihre Wahrnehmung führen insoweit nicht zu sachlichen Widersprüchen. Begründet der Steuergesetzgeber aber Zahlungspflichten, die den Adressaten zur Vermeidung des steuerbelasteten Tatbestandes veranlassen sollen, so kann diese Lenkung Wirkungen erreichen, die den vom zuständigen Sachgesetzgeber getroffenen Regelungen widersprechen. Der Gesetzgeber darf deshalb aufgrund einer Steuerkompetenz nur insoweit lenkend und damit mittelbar gestaltend in den Kompetenzbereich eines Sachgesetzgebers übergreifen, als die Lenkung weder der Gesamtkon­zep­ tion der sachlichen Regelung noch konkreten Einzelregelungen zuwiderläuft.“) vgl. Sendler, NJW 1998, 2875, 2878; Lücke, ZG 16 (2001), 1, 17; Jarass, AöR 126 (2001), 588, 601. 108  Vgl. BVerfGE 98, 106, 118 f. = NJW 1998, 2341 (Verpackungssteuer) und hierzu ausführlich Bumke, ZG 14 (1999), 376 ff.; BVerfGE 98, 83, 97 = NJW 1998, 2346: „Besteht eine Kompetenz sowohl für ein Bundes- als auch für ein Landesgesetz, so kann sich ein Widerspruch dennoch ergeben, wenn einerseits der Bundesgesetzgeber eine Sachregelung trifft, andererseits der Landesgesetzgeber eine Abgabe erhebt. (...)[...] Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes und dem Rechtsstaatsprinzip darf der Abgabengesetzgeber aufgrund ­einer Abgabenkompetenz nur insoweit lenkend in den Kompetenzbereich eines Sachgesetzgebers übergreifen, als die Lenkung weder der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung noch konkreten Einzelregelungen zuwiderläuft“ (Abfallabgabe). 109  Zur fehlenden verfassungsrechtlichen Begründbarkeit Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  168 ff. 110  BVerfGE 98, 106, 118 f. = NJW 1998, 2341: „Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet alle rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen.“; BVerfGE 98, 83, 97 = NJW 1998, 2346; maßvoller in der Terminologie (Folgerichtigkeit), aber mit derselben Forderungsreichweite BVerfGE 115, 276, 317 = NJW 2006, 1261: „Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt dabei jedoch insbesondere die Frage, ob die angewandten Rechtsvorschriften mit dem ihnen durch die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen zu Grunde gelegten Inhalt mit höherrangigem Recht vereinbar sind und ob die Beachtung des Grundgesetzes ggfls. eine verfassungskonforme Auslegung gebietet.“ 111  In diese deutlich abgeschwächte Richtung letztlich auch Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  26 ff., 102 ff.

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Rechtsprechung des BVerfG112 bei der Frage, ob die Rechtsordnung Wertungswiderspruchsfreiheit strikt verlangt, nicht zu tragen. Das Gericht hat sich später wohl implizit von dieser Auffassung distanziert113, wobei man diese Reaktion auch als Beschränkung auf die Steuergesetzgebung einstufen114 könnte. Allerdings wäre zu erwägen, ob das Recht in seiner Gesamtschau oder die hinter dem Recht liegende Rechtsidee115 ein solches Prinzip oder gar eine konkret auszubuchstabierende Rechtsregel verlangt. Um dies bewerten zu können, sei die Überlegung in den Raum gestellt, was ein solches Einheitsprinzip konkret besagen und welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde. Die drei wesentlichen Elemente, die das Einheitsprinzip auf sich vereinigen soll, sind – die Abwesenheit terminologischer Aberrationen zwischen den Teilrechtsordnungen,116 – die einheitliche Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines bewerteten Verhaltens117 und – das wechselseitig störungsfreie Nebeneinander der Zweckentfaltung.118 112  Vgl. speziell zur Erwägung des Gleichheitsverstoßes BVerfGE 13, 331, 339 ff. = NJW 1962, 435: „Wenn es schon bei jeder derartigen Anknüpfung nicht nur im Interesse der Klarheit und Einheit, sondern vor allem der inneren Autorität der Rechtsordnung liegt, die Entsprechung von Privat- und Steuerrecht durchgehend zu wahren, also die Ordnungsstruktur des Zivilrechts zu achten, so ist es besonders bedenklich, wenn die benützte zivilrechtliche Ordnung vom Steuerrecht gerade an der Stelle durchbrochen wird, die ihre eigentliche rechtliche Bedeutung ausmacht“; BVerfGE 15, 313, 318 = NJW 1963, 851; BVerfGE 17, 122, 132 = MDR 1964, 292. Für ein grundsätzliches Gebot der Folgerichtigkeit BVerfGE 105, 73, 125 = NJW 2002, 1103, 1108: „Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird für den Bereich des Steuerrechts und insbesondere für den des Einkommensteuerrechts vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit.“; BVerfGE 107, 27, 46 f. = NJW 2003, 2079; 116, 164, 180 f. = NJW 2006, 2757. Ausführlich dargestellt und zutreffend kritisiert bei Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  169 ff. mwN. 113  Vgl. BVerfGE 122, 1, 36 = NVwZ-RR 2009, 655: „Zwar bleibt er (der Staat) auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Das bedeutet aber nur, dass er seine Leistungen nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten verteilen darf. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt.“ 114  In diese Richtung Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  170. 115 Vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  16; in dieselbe Richtung Hirsch, ZRP 2006, 161. Zurecht mit scharfer Kritik und Verweis auf die Nutzung dieses Ansatzes im Nationalsozialismus Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  38 f. 116 Hierzu Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  189 ff. 117  Plastisch zu diesem Bereich Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  69 ff., 89 ff. 118 Näher Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  133 f. mwN.

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In der Konsequenz dürften auf der logisch-sprachlichen Ebene einmal besetzte Termini nur dann doppelte Anwendung finden, wenn sichergestellt werden kann, dass sie nicht mit abweichendem Inhalt besetzt sind. Schon dies stellte den Gesetzgeber vor ein kaum zu überwindendes Hindernis. Damit wäre entweder vor jeglichem Legislativakt die gesamte Rechtsordnung nach der Nutzung einer spezifischen Begrifflichkeit zu durchsuchen,119 um diese an der ggfls. aufgefundenen Stelle ihrem Inhalt nach zu analysieren und sich im Rahmen der Nachfolgegesetzgebung daran zu orientieren oder aber das alte Recht zu ändern. Die Alternative wäre, Regelungen ohne eine solche Prüfung zu schaffen, die im späteren Erkennensfall terminologischer Aberrationen mit Blick auf eine Vorschrift eines anderen Teilrechtsgebiets anzugleichen oder abzuschaffen sein müssten.120 Gleichermaßen könnte dann die andere Vorschrift etwa nach dem lex posterior-Gedanken121 von der Einebnung betroffen sein. Es dürfte an dieser Stelle zwar noch keine durchschlagende Kritik bilden, auf ein hierdurch gestörtes Sprachverständnis zu verweisen. In der Rechtsordnung muss es für die Regelungsbelange möglich sein – und in der Sache ist es auch geboten –, ein autonomes begriffliches Repertoire zu unterhalten.122 Alles andere würde zu einer nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen kaum zu rechtfertigenden und zugleich ungeschriebenen Machtverlagerung auf die Sprachwissenschaft führen.123 Darüber hinaus ist aber auch mit Blick auf eine terminologische Vereinheitlichung innerhalb aller Parzellierungen des Rechts anzumerken, dass hierdurch – selbst in Zeiten effektiven technischen Supports durch Such- und Finde-Algorithmen124 – nicht nur der Gesetzgeber vor einer kaum zu bewältigenden Recherche- und Formulierungsaufgabe stünde. Es würde bereits durch diesen logisch-textlichen Ansatz jegliche auf den zu regelnden Lebensbereich und die verfolgte Zwecksetzung angepasste Teilbereichsregelungsautonomie unterminiert.125 Die verschiedenen Gesetzgeber im Laufe der Zeit sowie die unterschiedlichen sachlichen Regelungsbereiche gerieten in eine wechselseitige Ab-

119  S. hierzu auch Müller-Erzbach, Die Relativität der Begriffe und ihre Begrenzung durch den Zweck des Gesetzes, Jherings Jb. 61 (1912), 343 ff. 120  Konkret zur terminologischen Aberration Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  144. 121  Zur Tragfähigkeit des lex posterior-Gedankens s. u. §  3 II. 3. c) bb), mit entsprechender Kritik. 122 Vgl. Binding, Handbuch des Strafrechts, 1885, S.  463; Kudlich/Christensen, JR 2011, 146 f.; Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S.  35 f., 40 f., 55 ff.; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  55. 123  Näher zur Problematik Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  142 ff., 150 f. mwN. 124 Allein die bekannten Datenbanken wie juris und beck-online haben wesentlich zur Beschleunigung und Optimierung der juristischen Arbeit beigetragen. 125  Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  143 weist mit Recht auf die Kontextabhängigkeit der Terminologie hin, die gleichermaßen für unterschiedliche Rechtsbereiche gilt.

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hängigkeit, die eine Regulierung noch vor der inhaltlichen Betrachtung verfolgter Zwecke und deren Umsetzung statisch werden ließe. Der zweite Ansatz einheitlicher Rechtswidrigkeitsurteile kann spätestens mit der Analyse von Bumke126 als überholt betrachtet werden. Es ist gerade Ausdruck unterschiedlicher Teilrechtsgebiete, bestimmte Verhaltensweisen in Relation zum Regelungsgegenstand und zur Zweckverfolgung auch unterschiedlich zu beurteilen. Die zentralen Gedanken hinter dieser Relativität sind die Verselbstständigung und Anpassung der teilbereichspezifischen Komplexität, der inneren Verständlichkeit eines Regelungskomplexes, der effektiven Zweckverfolgung vor dem Hintergrund gesetzgeberischer Intensionen und der Initiierung und Erhaltung der hierfür notwendigen Steuerungsfähigkeit. Die Grenze ist jedenfalls dort zu sehen, wo echte Normwidersprüche im oben vorgeführten Sinne vorliegen oder aber die wechselseitige Hemmung erkannter Zweckverfolgung dazu führt, dass wenigstens ein gesetzgeberisch verfolgtes Ziel in keiner Form mehr erreicht werden kann. Letzteres führte zu dem Pro­ blem toten Rechts, dessen Erkennung sich durch die Judikative aufgrund der Gesetzesbindung nur dann rechtfertigen ließe, wenn die Abschaffung der überalterten Norm erkennbar vom Gesetzgeber planwidrig unterlassen worden ist. Wegen der Gesetzesentwicklung hätte sie veranlasst werden müssen. Mit einer solchen Conclusio ist in höchstem Maße zurückhaltend zu verfahren, was die Diskussion um die subjektiv- vs. objektiv-teleologische Auslegung verdeutlichen wird.127 Mit dieser Erwägung ist die Brücke zum dritten Aspekt, der wechselseitigen Hemmung verfolgter Zwecke im Sinne der Einheitstheorie, zu schlagen. Teilbereiche werden an ihren jeweiligen Berührungspunkten immer wieder in unterschiedlicher Art und Weise dazu geeignet sein, einander in ihrer Entfaltung zur fortgesetzten Zweckverfolgung zu behindern. Ein besonders treffendes Beispiel bietet die Rechtsprechung zur teilrechtsgebietsübergreifenden Steuerungswirkung des Steuerrechts auf die Zweckverfolgung bestimmter Sachmaterien.128 So mag der Gesetzgeber mit einer (fiktiv gedachten) Regelung die Abschaffung von Dieselfahrzeugen intendieren, um in den gesetzgeberischen Willen zugleich deutlich aufzunehmen, dass die Industrie und die Verbraucher sich auf Herstel126 Vgl.

Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  95 ff. Hierzu §  3 II. 3. a). 128  Vgl. BVerfGE 98, 106, 118 f. = NJW 1998, 2341: „Im Rahmen eines auf Mitwirkung angelegten Verwaltens kann ein Steuergesetz verhaltensbeeinflussende Wirkungen erzielen. Es verpflichtet den Steuerschuldner nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten, gibt ihm aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden.(…). […] Eine steuerrechtliche Regelung, die Lenkungswirkungen in einem nicht steuerlichen Kompetenzbereich entfaltet, setzt keine zur Steuergesetzgebungskompetenz hinzutretende Sachkompetenz voraus.“; BVerfGE 98, 83, 97 = NJW 1998, 2346. 127 

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lung respektive den Kauf von Elektroautos besinnen mögen. Werden jetzt aber besonders hohe Steuern – oder als Parallelgedanken besonders hohe Zölle auf die Rohstoffe – für Komponenten oder Elektrofahrzeuge erhoben, die die Elektromobilität nicht massenverkehrstauglich, weil unwirtschaftlich erscheinen lassen, so hätte das Steuerrecht, jedenfalls ab einer bestimmten Grenze, den Zweck des Sachgesetzgebers unterminiert. Dieser Überblick sollte bereits ausreichen, um zu verdeutlichen, dass der Einheitsgedanke zur Einebnung unterschiedlicher Teilrechtsgebiete nicht tragen kann. Die rechtsstaatliche Intention sowie die systembildende Faszination für den Einheitsgrundsatz können leicht nachvollzogen werden, erscheint die Rechtsordnung hierdurch doch als in sich geschlossenes Ganzes. Das zentrale Gegenargument soll daher auch an dieser Stelle nicht sein, dass besagter Ansatz zu verwerfen wäre oder als auslegungsleitendes Moment unter vielen in wechselseitiger Abwägung nicht besprochen werden könnte und mit Blick auf die rechtsstaatlichen Forderungen nach einem transparenten und für den Rechtsunterworfenen nutzbaren Recht nicht ernst zu nehmen wäre. Entscheidend ist vielmehr, dass mit einer Verortung des Einheitsgrundsatzes als zwingendem – gar verfassungsrechtlich inkorporierten – Prinzip zur Kontrolle der Rechtsordnung deren Funktionalität und Sicherheit für den Rechtsunterworfenen in ­Frage gestellt würde. Der deutlich mildere, im Einheitsgedanken enthaltene Gedanke kohärenter und folgerichtiger Erwägungen im Recht wird im Zusammenhang mit den detaillierteren Lösungsvorschlägen für den Umgang mit teilrechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen aufgegriffen.129 Es sei jedoch schon an dieser Stelle erwähnt, dass die Rechtsprechung mehrfach vermeintlich den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung bemüht und diesen auch explizit benennt.130 Tatsächlich findet sich jedoch kein Judikat, welches nach Anführung des Einheitsgrundsatzes eine in sich schlüssige oder gar zwingende dog129 

Hierzu §  3 II. 4. d). Vgl. speziell zum in dieser Analyse aufgegriffenen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSGE 113, 241 = NZS 2013, 861 Rn.  23: „Gegenteiliges bedeutete, unter Missachtung des Zwecks der GKV (vgl. §  1 S.  1 SGB V) die Einheit der Rechtsordnung zu gefährden.“; BSGE 115, 95 = BeckRS 2014, 67311 Rn.  17; BSG, MedR 2009, 353 Rn.  52. Vgl. zu anderen Bereichen aber durch den BGH abgeurteilt BGH NZG 2007, 545: „Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach §  92 III AktG, §  6 4 II GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt“; als existierender Grundsatz vorausgesetzt bei BGH, NJW 2018, 1083 Rn.  22: „Ebenso sprechen systematische Erwägungen nicht für eine einschränkende Auslegung des Begriffs der Entfernung der Sachen. Eine solche ist insbesondere nicht aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung in Bezug auf Tatbestände des rechtsgeschäftlichen Mobiliarpfandrechts geboten.“ Eine weitergehende Übersicht zu anderen Bereichen bietet Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  16 ff. (zum Umweltstrafrecht), S.  57 ff. (zur Bedeutung strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe für die Rechtmäßigkeit hoheitlichen Handelns), S.  83 ff. (zum öffentlichen und privaten Nachbarrecht, vgl. hierzu auch Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  62 ff.) und S.  110 ff. (zum Steuerrecht, auch hierzu Bumke, 130 

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matische Basis anböte. Ebenso wenig sind die Gerichte in der Lage, die oben erörterten Grundsatzprobleme eines strikten Einheitsgedankens aufzulösen, was nach hier vertretener Auffassung auch nicht möglich sein dürfte. Daher sollte die wiederholte judikative Berufung auf den Einheitsgedanken als das gelesen werden, was sie ist: Der jeweils problembasierte und lösungsorientierte Hinweis auf ein Konsequenz- und Kohärenzdenken für die zu entscheidende spezifische Steuerungslage. Sie soll im konkreten Fall gebietsübergreifend nach Ansicht des Gerichts einer möglichst konsistenten und damit widerspruchsfreien Lösung zugeführt werden. Hätte das Gericht den so beschrittenen, judikatsspezifischen Weg nicht für rechtlich zutreffend erachtet, hätte es sich – wie ebenfalls in einer Vielzahl von rechtsgebietsübergreifenden Fällen ersichtlich – entsprechender Ausführungen zum Einheitsgedanken enthalten und argumentativ der einen oder anderen Sichtweise den Vorzug eingeräumt.131 (b) Der allgemeine Gleichheitssatz Große Anstrengungen werden in der rechtswissenschaftlichen Literatur unternommen, wenn es darum geht, den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art.  3 Abs.  1 GG entweder für die Untermauerung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung132 oder als eigenständige, tragende Säule für den Gedanken der Widerspruchsfreiheit133 fruchtbar zu machen. Tatsächlich scheint die Erwägung zunächst nahezuliegen, das nach der Ausformung des BVerfG bestehende verfassungsrechtliche Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, dahingehend zu interpretieren, dass hierdurch widersprüchliche Wertungen in der Rechtsordnung vermieden werden.134 Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass der Gleichheitssatz mit Blick auf WerRelative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  70 ff.). S.a. die Nachweise und Diskussion bei Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  166 ff. 131  Hierzu das obiter dictum in BGH, GesR 2008, 361 zu Richtlinien, ohne jeden Hinweis auf tragfähige Gedanken zur Einheit der Rechtsordnung und unter Rückzug auf eine angeblich verbindliche Anordnung im Recht. Zur Thematik mit gegenteiligem Ergebnis OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044. In anderer Sache aber deutlich für eine spezifische Sachabwägung eintretend und den Einheitsgrundsatz außen vor lassend BGH, NJW 2016, 1887 mAnm Heyers. 132  Vgl. etwa Morgenthaler, in: Mellinghoff/Palm (Hrsg.), Gleichheit im Verfassungsstaat, 2008, S.  51, 64 f. 133 Eingehend Kischel, AöR 124 (1999), 174, 193 ff.; Payandeh, AöR 136 (2011), 578, 589 ff. 134  Zum entsprechend überwiegend angenommenen Indizcharakter BVerfGE 81, 156, 207 = NZA 1990, 161, 168: „Wenn aber plausible Gründe für eine gesetzliche Regelung sprechen, scheidet ein Verstoß gegen Art.  3 I GG in jedem Falle aus. In der Regelung des §  128 AFG ist auch kein Wertungswiderspruch zum Arbeitsrecht zu erblicken. Wie oben dargelegt, ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, ein arbeitsrechtlich zulässiges Verhalten, das er als unerwünscht ansieht, nicht zu verbieten, sondern stattdessen mit finanziellen Lasten auf dem Gebiet des Sozialrechts zu belegen.“; BVerfGE 104, 74, 87 = VIZ 2002, 85, 87; BVerfGE 118, 1, 28 = NJW 2007, 2098, 2102.

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tungswidersprüche zwischen Normen unterschiedlicher Teilrechtsordnungen nur einen begrenzten Einflussbereich haben kann und keinesfalls ein allgemeines Einheits- oder Widerspruchsfreiheitsprinzip im vorgenannten Sinne zu stützen geeignet ist. So ist der allgemeine Gleichheitssatz tatbestandsmäßig an ein oder mehrere Vergleichsmerkmale (vergleichende Eigenschaftssammlung) gebunden, die es erlauben, Gleiches und Ungleiches voneinander zu scheiden, indem der Sachargumentation zugängliche Verhältnisse aufgezeigt werden.135 Sofern es um echte Normwidersprüche geht, erscheint die Extrapolation des Vergleichsmoments unproblematisch, sofern diese als Gleichheitsproblem eingeordnet werden, da das Spektrum der Voraussetzungen von konfligierendem Ge- und Verbot stets an wenigstens einem unausweichlichen Punkt identisch sein muss. Jedoch verstoßen echte Normwidersprüche ohnehin gegen das Rechtsstaatsprinzip und sind damit ungeachtet dessen verfassungswidrig,136 ob daneben ein flankierender Verstoß gegen Art.  3 Abs.  1 GG angenommen wird. Wenn allerdings nach dem äußeren System der Rechtsordnung und der hier vorgeschlagenen Evidenzbetrachtung der zu Grunde liegenden Zwecksetzung der jeweiligen Normen von einem Wertungswiderspruch aufgrund wechsel­ seitiger Hemmung gesprochen werden sollte, so erscheint es häufig als problembehaftet, die zu vergleichenden Eigenschaften sinnvoll und nachvollziehbar herauszuarbeiten. Deren Festsetzung folgt überwiegend den Regeln überzeugungskräftiger Diskussionsstandards, denn weniger rechtlich a priori ersichtlicher Vorgaben, was nicht zuletzt auf dem – seinem Abstraktionsgrad angemessenen – Fehlen spezifischer Ausprägungen des verfassungsrechtlich verbürgten Gleichheitssatzes selbst basiert, soweit nicht ausnahmsweise ein spezieller Gleichheitssatz eingreift (Art.  3 Abs.  2, 3, 6 Abs.  1, 5, 33 Abs.  1–3 etc.).137 Gerade unterschiedliche Teilrechtsordnungen zeichnen sich per definitionem dadurch aus, dass nach zu regelnden Lebenssachverhalten konstruierte voneinander überwiegend getrennte Sachmaterien einander gegenübertreten, die tatsächlich wie normativ nur bedingte Schnittmengen haben. Ihnen Vergleichsmomente und entsprechende Eigenschaften zuzuordnen, heißt in die nähere Betrachtung 135  Nicht zu verlangen ist demgegenüber für jeden Fall ein spezifischer Topos als tertium comparationis, der den zentralen Vergleichsmaßstab bilden würde. Vielmehr lassen sich alle Personen und Gegenstände der Welt miteinander vergleichen und es muss eine Sammlung zu vergleichender Eigenschaften stattfinden, die im Rahmen der Rechtfertigungserwägungen zueinander in ein Verhältnis und gegeneinander abgewogen werden, vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S.  362; Maunz/Dürig/Kirchhof, GG, 84. EL. 2018, Art.  3 Abs.  1 Rn.  73; BeckOK/Kischel, GG, 36. Ed. 2018, Art.  3 Rn.  15. Anders mit dem Verlangen nach einem spezifisch benanntem Bezugspunkt Kingreen/Poscher, StaatsR II, 34.  Aufl. 2018, Rn.  485 ff.; Manssen, StaatsR II, 15.  Aufl. 2018, Rn.  827. 136 Vgl. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  244 ff.; Payandeh, AöR 136 (2011), 578, 583. 137  Vgl. die Übersicht bei BeckOK/Kischel, GG, 36. Ed. 2018, Art.  3 Rn.  1.1.

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der Wertungswidersprüchlichkeit selbst einzusteigen, so dass sich der Gleichheitssatz lediglich als Ausgangspunkt gebotener Einzelfallabwägung darstellte. Ob letztlich eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vorliegt, erscheint als äußere Begrenzung des Argumentationsspektrums und damit als verfassungsrechtliche Kontrolle der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative gegen gleichheitsrechtlich inakzeptable Wertungen.138 Diese als im jeweiligen Fall erreicht anzusehen, bringt aber stets die Sorge mit sich, den demokratisch legitimierten Gesetzgeber ggfls. über Gebühr durch das Verfassungsgericht rechtspolitisch zu kontrollieren. Gerade mit Blick auf die – je nach Blickwinkel des Betrachters – oft weitreichenden Unterschiede in der sachlichen Bewertung ist bei der Annahme solcher äußeren Grenzen Zurückhaltung geboten und der gewählten Volksvertretung der Vorrang zu belassen. Dies sei an Hand von einem der gewählten Einleitungsbeispiele illustriert. Wenn der arzthaftungsrechtliche Standardbegriff aus den §§  630a Abs.  2, 276 Abs.  2 BGB dem sozialrechtlichen Gebot notwendiger, zweckmäßiger, ausreichender und wirtschaftlicher Versorgung nach §  12 Abs.  1 SGB V im Wege der Sachleistung gegenübergestellt wird, so ließe sich als Vergleichsmoment anführen, dass beide Bereiche jedenfalls eine Aussage darüber treffen, wie Art und Umfang medizinischer Leistungen beschaffen sind, die dem Patienten je nach Krankheitsbild konkret zu Gute kommen sollen. Andererseits – wie es für Vorschriften unterschiedlicher Teilrechtsgebiete gerade typisch ist – beschränkt sich der äußere Systemansatz wie auch die evident erkennbare Zwecksetzung eines jeden Teilbereichs auf grundlegend unterschiedliche Regelungsaspekte. So soll im arzthaftungsrechtlichen Bereich über die Frage entschieden werden, auf welche Behandlungsqualität der Patient sich verlassen können muss respektive was von einem Facharzt im Hinblick auf das jeweilige Krankheitsbild vor dem Hintergrund der jeweils zeitadäquaten Machbarkeit verlangt werden kann.139 Will der Arzt dahinter zurückbleiben, so ist dies nach §  630a Abs.  2 BGB nur im Einvernehmen mit dem Patienten und bis zur Grenze der Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit denkbar.140 Der angelegte Maßstab klammert also nach dem ersten Eindruck des Teilrechtsgebiets den Aspekt der Finanzierung des jeweiligen ärztlichen Vorgehens aus und verweist lediglich auf einen zu bestimmenden Kostenschuldner, §  630a Abs.  1 BGB, und ggfls. auf wirtschaftliche Aufklärung durch den Behandler, §  630c Abs.  3 S.  1 BGB. 138  Dies gilt auch für die Gesetzesauslegung, vgl. BVerfGE 58, 369, 373 ff. = NJW 1982, 694, 695: „Diese Verfassungsnorm gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normenadressaten im Vergleich zu anderen Normenadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.“; BVerfGE 70, 230, 239 ff. = NVwZ 1985, 731. 139  Vgl. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  96 ff. mwN. 140  Hierzu BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  189 ff. mwN.

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Der sozialversicherungsrechtliche Ansatz bildet mit den Regelungen zur Deckung der Behandlungsleistungen nach den §§  1, 2 Abs.  1 S.  3, 12, 27 ff. SGB V einen im äußeren System erkennbaren Bereich, der evident auf eine in sich geschlossene Verteilungsregulierung gegebener Ressourcen im Krankenversicherungssystem gerichtet ist.141 Dessen Maximen muss der Betrachter auch nicht erst mühsam extrapolieren. Sie werden in den §§  1 und 12 SGB V ausdrücklich genannt. Anders als im bürgerlichen Haftungsrecht ist hier der wirtschaftliche Umgang mit knappen Ressourcen explizit einbezogen. Den Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes nunmehr auf diese Problematik allein mit dem Hinweis anzuwenden, dass es letztlich um die praktische Durchführung spezifischer medizinischer Behandlung und Verteilung von Leistungen gehe, ist zwar unbestreitbar verfassungsrechtlich möglich und zu diskutieren, erweist sich aber als weitestgehend inhaltsleer. Art.  3 Abs.  1 GG wäre insofern nicht mehr als ein Aufhänger der vertiefungsfähigen Diskussion, ob Sozialversicherungs- und Arzthaftungsrecht in ihren Zwecksetzungen einander zu hemmen geeignet sind.142 Ein echter Erkenntniswert könnte sich erst dort einstellen, wo Art.  3 Abs.  1 GG entsprechende Differenzierungen verfassungsrechtlich untersagen würde, was bei einer wie hier rein sachbezogenen Differenzierung, die weder unmittelbar noch mittelbar einen Bezug zu bestimmten oder bestimmbaren Personengruppen aufweist, an der Willkürformel143 des BVerfG zu messen wäre und dieser ohne Weiteres standhielte. Auch außerhalb dieses Beispiels verändert sich an der Grundaussage nichts, wenn die normative Differenzierung verstärkt in den personenbezogenen Bereich übergeht und nach dem BVerfG unter dem Stichwort der Neuen Formel im Wesentlichen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung für die erkannte Gleich-/ Ungleichbehandlung innerhalb der Rechtfertigung zu fordern ist.144 Erkenntniswert ist dem verengten Gestaltungsrahmen für Normgeber und Rechtspre141 

Vgl. BSG, SozR 4-2500 §  2 Nr.  4 Rn.  23; Kirchhof, NZS 2015, 1 f. Vgl. die Ansätze in §  5 II. und V. 143  Vgl. BVerfGE 83, 1, 23 = NJW 1991, 555, 558: „Der Gesetzgeber ist grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, welche differenzierenden Regelungen er für zweckmäßig hält. Das Willkürverbot ist erst dann verletzt, wenn sich kein sachlich vertretbarer Grund für eine Unterscheidung anführen lässt.“; BVerfGE 55, 72, 89 = NJW 1981, 271, 272. 144  Hierzu BVerfGE 88, 87, 96 = NJW 1993, 1517: „Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art.  3 I GG nur festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Dagegen prüft das BVerfG bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, im Einzelnen nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können.“; BVerfGE 101, 275, 290 = NJW 2000, 418, 419. Da die klassische dreistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vollständig auf Gleichheitserwägungen übertragbar erscheint, nimmt das BVerfG eine in der Literatur als „Entsprechensprüfung“ benannte Abwandlung vor, vgl. Huster, Rechte und Ziele, 1993, S.  142 ff. 142 

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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chung beizumessen. Ein Gebot innerer Wertungseinheit unterschiedlicher Teilrechtsordnungen ergibt sich daraus aber nicht. Vielmehr ist der – möglicherweise bindenden – Auslegung145 des BVerfG von Art.  3 Abs.  1 GG sogar eindeutig zu entnehmen, dass es gerade nicht als verfassungswidrig zu bewerten ist, rechtfertigungsfähige Gleich-/Ungleichbehandlungen in der Gesamtrechtsordnung vorzunehmen, selbst wenn diese zur wechselseitigen Hemmung unterschiedlicher gesetzgeberischer Ziele führen.146 Neben der Rahmenvorgabe für Gestaltungsfreiheiten der Staatsgewalt tritt somit die Erkenntnis einer breiten Wertungsoffenheit des Grundgesetzes gegenüber sachgerechten Ungleichbehandlungen von wesentlich Gleichem und Gleichbehandlungen von wesentlich Ungleichem.147 Ergänzend ist der Einwand von Bumke anzuführen, dass die Verfassung keine Versteinerungsaussage hinsichtlich einer einmal getroffenen gesetzlichen Wertung kennt,148 der jeweils demokratisch legitimierte Gesetzgeber sich also nach seinen politischen Vorstellungen für kleine wie auch grundlegende Systemänderungen entscheiden kann.149 Damit kann allerdings in einer solchen Veränderung kein Gleichheitsverstoß gesehen werden, da andernfalls das BVerfG Kontrollinstanz eben einer dieser verfassungsrechtlich nicht angelegten Perpetuierung wäre. Zudem – selbst wenn an der ein und anderen Stelle tatsächlich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz erkannt würde – ist es dem Gesetzgeber vorbehalten, wie dieser ausgeräumt werden soll. Bumke weist zutreffend darauf hin, dass die verfassungswidrige Regelung abgeschafft, eine neue Verfassungs-

145  So wohl das angedeutete Selbstverständnis des Verfassungsgerichts, vgl. BVerfGE 1, 184, 195 = NJW 1952, 497: „Wird also die Gültigkeit irgendeiner Rechtsverordnung wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit in Frage gestellt, so haben alle höchsten Exekutivorgane – und zwar unabhängig voneinander – die Möglichkeit, das BVerfGer. als Hüter der Verfassung anzurufen.“; BVerfGE 40, 88, 93 = NJW 1975, 1355. Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  310 weist jedoch darauf hin, dass hierfür kein zwingender Ansatz ersichtlich sei und auch das Verfassungsgericht keinen konkreten Ausspruch eines etwaigen Abweichungsgebots aufgestellt habe. Allerdings führt die von Payandeh herausgearbeitete Autoritätswirkung des Verfassungsgerichts letztlich zu rechtspraktisch vergleichbaren Ergebnissen, näher hierzu unter §  3, II. 2. 146  Soweit dies gegenteilig gesehen würde, müsste zudem begründet werden, weshalb gerade der allgemeine Gleichheitssatz sodann als allgemeines Einheitsprinzip zu verstehen wäre, da dessen abwehrrechtliche Dimension nicht bei jeder wechselseitigen Widersprüchlichkeit betroffen ist. 147  Zum notwendigen Gestaltungsspielraum der Legislative vgl. BeckOK/Kischel, GG, 38. Ed. 2018, Art.  3 Rn.  53 ff. (Grundsätze), 121 ff. (Typisierungen). 148  Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  86 mit Verweis darauf, dass das Grundgesetz nur Kompetenz- und Verfahrensvorschriften für Gesetzesänderungen beinhaltet. Somit sind solche Änderungen zulässig, die im Übrigen nicht gegen die materiell-rechtlichen Prinzipien, insbesondere gegen die Werteordnung der Grundrechte, verstoßen. 149  Keine Selbstbindung des Gesetzgebers, vgl. BeckOK/Kischel, GG, 38. Ed. 2018, Art.  3 Rn.  118.

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§  3 Methodischer Unterbau

gemäße geschaffen oder der Adressatenkreis der Ursprünglichen in verfassungsgemäßer Weise erweitert werden kann.150 (c) Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips Schließlich können auf Verfassungsebene noch weitere Ansätze angedacht werden, um den Begründungsversuch eines Gebots der Widerspruchsfreiheit zu unternehmen. Diese sind sämtlichst treffend unter dem Dach des Rechtsstaatlichkeitsgebots erfasst.151 An dieser Stelle sei, ohne sie grundlegend aufzuarbeiten, darauf hingewiesen, dass keine seiner anerkannten Ausformungen ein Gebot der Widerspruchsfreiheit zu tragen vermag. Ein solches allumfassendes, gar übergeordnetes Gebot könnte vielmehr gerade im Sinne der Rechtsstaatlichkeit ein rationale Sachentscheidungen unterminierender Faktor sein.152 So könnte einerseits die rechtsstaatliche Erwartungshaltung aller Rechtsunterworfenen angeführt werden, nur von zumutbar zu befolgenden, also verständlichen Regularien des Soziallebens (ob durch öffentliches oder Privatrecht kann insoweit dahinstehen) betroffen sein zu können. Insofern bilden Wertungswidersprüche jedoch keinen Störfaktor. Kollidieren normative Wertungen, ohne dass ein echter Normwiderspruch vorliegt – und nur dieser Grenzfall ist rechtsstaatswidrig – so ist die Befolgung des Normbefehls ohne Weiteres möglich. Derselbe mag ggfls. nicht effizient im Hinblick auf das zu erreichende Steuerungsziel sein, aber er bleibt befolgbar. Andererseits könnte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bemüht werden. Es ließe sich scheinbar auf den ersten Blick argumentieren, dass im grundrechtsrelevanten Raum Über- und Untermaßverbot auch Ausdruck eines Wertungswiderspruchsfreiheitsgedankens sein könnten.153 Die Widersprüchlichkeit läge sodann darin begründet, dass dem jeweiligen Normgeber grundsätzlich unterstellt würde, im optimalen Sinne den Grundrechten und der von ihnen aufgespannten objektiven Werteordnung zur Entfaltung zu verhelfen und dass Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sich als allumspannende Aussage des Verbots normativer Widersprüchlichkeit bei jedem Ansatz hiergegen darstellten. Bei näherer Betrachtung ist dieser Denkansatz nicht nur eine Neuumschreibung des Verhältnismäßigkeitsgedankens, sondern darüber hinausgehend gefährlich und für die verfassungsmäßige Ordnung nach hier vertretener Auffassung kaum tragbar.154 In dem Versuch, Gebote der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit in höchsten staatlichen Prinzipien zu erkennen, 150 

Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  79 f. Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  50 ff. 152  Diskutiert im Zusammenhang mit Gleichheits- und gesetzgeberischen Selbstbindungserwägungen bei Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  82 ff. 153  In diese Richtung Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  369 ff. 154 Dagegen auch Peine, Systemgerechtigkeit. Die Selbstbindung des Gesetzgebers als Maßstab der Normenkontrolle, 1985, S.  296 f.; Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  86; 151 Eingehend

I. Normenkonkurrenz, Normenkollision – dogmatische Grundsatzüberlegungen

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steckt immer zugleich auch die Gefahr, das ungeschriebene und vermeintlich extrapolierte Prinzip sogleich zu überhöhen und mit einer Vorrangwirkung besetzt alle anderen Wertungskriterien hieran zu messen.155 Dies hat Rationalitätsverlust in der Sachdebatte zur Folge und ist nicht Ausdruck der Verfassung.156 (d) EU-Recht Schließlich sei noch ein Blick auf supranationale Einflüsse geworfen. Unionsrecht ist im Hinblick auf den Stufenbau der Rechtsordnung und des heute innerhalb der Rechtsordnung selbst anerkannten Anwendungsvorrangs bei nationalen Vorschriften, die dem Unionsrecht zuwiderlaufen, das höherrangige Recht.157 Innerhalb seines Einflussbereichs ist zugleich anerkannt, dass nationales Recht unionsrechtskonform interpretiert werden muss.158 Somit wäre eine Regelung des EU-Primär- oder Sekundärrechts, die Wertungswiderspruchsfreiheit verlangte, zwingend umzusetzen. Allerdings findet sich eine solche Regelung für den nationalen Normgeber – anders als dies mit Blick auf den unionalen Normgeber gesehen werden kann159 – nicht. Hilbert diskutiert einen denkbaren Ansatz aus der Rechtsprechung des EuGH, wonach im Rahmen der Beschränkung von Grundfreiheiten auf der Ebene der Schranken-Schranken gefordert wird, dass das vom nationalen Normgeber verfolgte Ziel in kohärenter und systematischer Weise umgesetzt wird.160 Es ist diesem Ansatz darin beizupflichten, dass dies nicht als generelle Vorgabe an die nationalen Normgeber Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, 1976, S.  18. 155  In dieselbe Richtung Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  171 mit dem berechtigten Hinweis auf BVerfGE 60, 16, 43 = NJW 1982, 1635: „Auch der Gedanke der Systemgerechtigkeit, dessen Anliegen es ist, in einem bereits geregelten Lebensbereich die vom Gesetzgeber selbst gewählten Vernünftigkeitskriterien und Wertungen folgerichtig zu konkretisieren, darf nicht zur Verkrustung einer Gesellschaftsordnung führen […]“. 156  Zur an dieser Stelle nicht weiter zu verfolgenden Debatte um die Selbstbindung des Gesetzgebers, aus der sich ebenfalls kein Gebot der Widerspruchsfreiheit ergeben kann, Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  82 ff. mit zahlreichen Hinweisen auf die gegenteiligen Bemühungen in der Literatur. 157 Ausführlich Callies/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5.   Aufl. 2016, Art.   1 AEUV Rn.  16 ff. mwN. 158 Vgl. Jarass/Beljin, NVwZ 2004, 1 f.; dies., JZ 2003, 769, 774 ff.; Beljin, EuR 2002, 351, 358; Heukels, ZeuS 1999, 313, 317 ff. 159 Näher Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  160 ff. unter Heranziehung der Art.  7, 13, 181 Abs.  1, 196 Abs.  1 UAbs.  2 lit.  c, 334 AEUV, Art.  21 Abs.  3 UAbs, 2 EUV wobei dies nicht für die Judikatur auf Unionsrechtsebene gelten soll, Hilbert a. a. O., S.  161. Dieser Aspekt wird für die vorgelegte nationale Analyseperspektive nicht weiterverfolgt. 160  Vgl. näher Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  160 mwN.

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§  3 Methodischer Unterbau

zur Schaffung einer wertungswiderspruchsfreien Rechtsordnung zu sehen sein kann. Eine solche Vorgabe verletzte bereits offenkundig das Subsidiaritätsprinzip des Art.  5 Abs.  3 EUV und wäre zudem aus Sicht des Unionsgesetzgebers sowie der unionalen Rechtsprechung auch keineswegs geboten, da sich das Unionsrecht selbst im Fall von nicht zu Gunsten zulässig verfolgter unionaler Ziele auf verschiedenen Wegen durchsetzt (Anwendungsvorrang, effet utile, prozessuale Vorlagepflicht und Vorabentscheidungsverfahren). Zudem arbeitet Hilbert präzise heraus, dass im Rahmen der Kohärenzeinbindung durch den EuGH Gegenstand ausschließlich die Rechtfertigungsprüfung eines jeweils passenden nationalen Rechtfertigungstatbestandes bildet.161 Wenn aber das jeweilige na­ tio­nale Recht an dieser Stelle den Kohärenzvorgaben des EuGH nicht genügt, so kann hieraus keinesfalls generelle Unionsrechtswidrigkeit abgeleitet werden. Die Norm genügt für diese Rechtfertigungsprüfung nicht den Voraussetzungen der Beschränkungssystematik, die der EuGH verlangt. (3) Differenzierungsmöglichkeit/Differenzierungsnotwendigkeit – Eine Frage der Normanwendung und Normentwicklung Bislang ist Ausgangspunkt des methodischen Unterbaus denkbarer Systemerwägungen die Frage gewesen, ob die Rechtsordnung aus einem übergeordneten rechtlichen Blickwinkel Widerspruchsfreiheit verlangt, so dass sich letztlich jeder Verstoß als rechtswidrig, weil mit höherrangigem Recht unvereinbar darstellte. Eine solche Generalbeschränkung hat sich an keiner Stelle bestätigen lassen. Kehrt man gedanklich zum Ausgangspunkt der Systemerwägungen im Recht zurück, so kann nach den bisherigen Erwägungen nicht nur festgehalten werden, dass ein allumspannendes Ordnungselement in Form einer Einheit und Widerspruchsfreiheit der nationalen Rechtsordnung nicht existiert, sondern auch, dass teilrechtsgebietsspezifische Wertungsunterschiede bis hin zu Wertungswidersprüchen kaum zu vermeiden sein dürften, selbst wenn dies a priori erwünscht wäre. Ob letztlich eine Differenzierungsnotwendigkeit besteht oder inwieweit Zurückdrängung bis hin zur Vermeidung wechselseitiger Hemmung zwischen Normen unterschiedlicher Teilrechtsgebiete in der Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung, insbesondere im Rahmen judikativer Rechtserzeugung162 erfolgen kann und soll, ist keine originäre Frage von Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, sondern Gegenstand der Feinabstimmung im Rahmen der Gesetzesauslegung, sofern dies bei der Gesetzgebung nicht hinreichend detailliert Berücksichtigung gefunden hat. Zwar besteht hier weit mehr Raum für Kohärenz- und Anpassungsgedanken, jedoch begibt sich der Betrachter auf das nur mit großen Schwierigkeiten zu durchdringende Feld im Grenzbereich nor161  Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  164 ff. 162  S. u. §  3 II. 2.

II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons

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mativer Inkorporation (Auslegungsmethoden als inhärenter Teil des Rechtssystems) und Interpretationsvorschlägen der Wissenschaft (wissenschaftliche Systeme ohne Geltungs- oder Durchsetzungs- respektive Erhaltungsanspruch). Die Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist damit ein Ziel, dessen Wertigkeit gerade bereichspezifisch und bereichsübergreifend auszumachen, weil an den Zielen und Schutzmomenten des jeweiligen Teilbereichs zu messen ist.163 Sie kann somit eine Erwägung unter vielen sein, nicht jedoch ein vorrangiges Prinzip.

II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons sowie anerkannter Kollisionsrechtsregeln 1. Die Aufgabe der Auslegung Die Auslegung bereitet die konkrete Subsumtion des Lebenssachverhalts unter das abstrakt gehaltene Gesetz vor.164 Sie ist ideengemäß zuvörderst die Brücke zwischen der lex scripta und der konkreten Normanwendung und damit das alles entscheidende Fundament des Rechts in seiner Umsetzung.165 In einer perfekt konstruierten Rechtsordnung, in der das gesamte Normengefüge lückenlos ist und sich für jeden denkbaren Sachverhalt nahtlos ineinanderfügt,166 hätte die Auslegung nur die Aufgabe, diese Perfektion dem Betrachter und Rechtsanwender für jeden Einzelfall erneut und mit vollkommener Präzision vor Augen zu führen. Sie wäre weder Systemelement noch inkludierendes oder strukturierendes Muster, sondern reine Erkenntnisquelle für all jene Systemparameter und -bestandteile, die bereits in ihrer Vollkommenheit existieren. In der Realität der imperfekten und vielfach unstimmigen Gesamtrechtsordnung167 mit ihren divergierenden Teilrechtsgebieten übernimmt die Auslegung demgegenüber eine gatekeeper-Funktion, deren Einfluss auf die Gesamtrechtsordnung nach hier vertretener Ansicht nicht hoch genug geschätzt werden kann, wenn auch mit Recht darauf hingewiesen wird, dass die Rechtspraxis den rechtsstaatlichen und demokratischen Stellenwert sorgfältiger Methodik häufig nicht hinreichend würdigt und die Methode des Öfteren als Mittel zur Begrün163  Daher auch die treffende Kritik von Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  86 an dem Ansatz von Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998, S.  369 ff. 164 Vgl. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd.  III, 1976, S.  690. 165 Hierzu Ennecerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des BGB, S.  323. 166  Zu dieser Forderung Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1818, S.  67. Näher zu dem von der positivistischen Rechtsanwendungstheorie aufgestellten Dogma der Lückenlosigkeit des „positiven“ Rechts Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  173; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2.  Aufl. 1967, S.  475. 167 Vgl. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2.  Aufl. 1983, S.  17.

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dung des einzelfallbezogen gewünschten Zwecks begreift.168 In Bewusstsein des Umstands, dass, je nach Blickwinkel und Hintergrund des Betrachters, Wissensstand und Informationsbeschaffungsmöglichkeit zur Fragestellung sowie Art und Zahl denkbarer Ergebnisalternativen, die konkrete Gestalt der Conclusio unterschiedlich ausfallen kann, ist am Rechtserkenntnismechanismus der Auslegung dafür Sorge zu tragen, dass alle bedeutsamen systemtragenden Erwägungen in den konkreten Verständnisprozess und damit in das Auslegungsergebnis – also die letzten Endes erkannte Normaussage – Eingang finden und im Sinne erkannter Systemerwägungen einer soweit möglich sachlichen, vor der Willkür des auslegenden Rechtssubjekts abgeschirmten Abwägungsentscheidung zugeführt werden.169 Das BVerfG formuliert: „Die Auslegung […] hat den Charakter eines Diskurses, in dem auch bei methodisch einwandfreier Arbeit nicht absolut richtige, unter Fachkundigen nicht bezweifelbare Aussagen dargeboten werden, sondern Gründe geltend gemacht, andere Gründe dagegengestellt werden und schließlich die besseren Gründe den Ausschlag geben sollen.“170

Dieser vom BVerfG beschriebene Diskurs ist damit aber auch zugleich Auswahl- und Entscheidungsprozess bei widerstreitenden/konkurrierenden Zielund Zweckvorstellungen, um zwischen diesen zu einem Kompromiss zu gelangen, der möglichst den zeitgeistlich tragenden Gerechtigkeitsvorstellungen genügt und nutzenoptimierend171 wirkt.172 Wenn somit aber heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden kann, dass Auslegung kein reiner Rezeptions-, ­sondern auch ein Kreationsprozess ist,173 spiegelt die Methodik der Auslegung nicht zuletzt die verfassungsrechtliche Begrenzung besagten Schaffensprozesses. Methodenfragen sind allem voran Verfassungsfragen,174 da nur der sorgfältig angeleitete und logisch-sachlich überprüfbare Diskurs nach transparenten Regeln die Judikative mit Blick auf die zentrale Gesetzesbindung des Art.  20 Abs.  3 GG kontrollierbar macht.175 168 Vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S.   37 ff.; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S.  1 ff., 149 ff. 169 Hierzu Reimer, in: FS Schnapp, 2008, S.  4 43. 170  BVerfGE 82, 38 f. = NJW 1990, 2457. 171 Hierzu Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, 1977, S.  16 ff., 145 ff. 172 Treffend Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11.  Aufl. 2012, §  10 V. 173  So zutreffend Sauer, Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2017, S.  181. 174  Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, Rn.  704 ff.; Sauer, Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2017, S.  184; Michael, Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme, 1997, S.  4 4. 175 Vgl. Sauer, Grundlagen des Rechts, 3.  Aufl. 2017, S.  184 mVa. BVerfGE 34, 269, 292 = NJW 1973, 1221: „Den Großen Senaten der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat der Gesetzgeber selbst die Aufgabe der ‚Fortbildung des Rechts‘ ausdrücklich zugewiesen (s. z. B. §  137 GVG). In manchen Rechtsgebieten, so im Arbeitsrecht, hat sie infolge des Zurückbleibens der Gesetzgebung hinter dem Fluss der sozialen Entwicklung besonderes Gewicht erlangt. Fraglich können nur die Grenzen sein, die einer solchen schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzes-

II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons

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2. Interpretation des Rechts und judikative Rechtserzeugung Der Blick ist dementsprechend auch auf die Grundsatzfrage zu richten, inwieweit eine gerichtliche Rechtsauffassung eine, über die der Entscheidung des zugrundeliegenden Einzelfalls hinausgehende normative Wirkung für Parallelund Folgefälle entwickeln kann. Mithin steht im Raum, welchen Beitrag die Judikative zur Konkretisierung und Fortbildung des Rechts leistet. Der Fokus verschiebt sich damit in einem prägnanten Exkurs weg vom Prozess der Erkenntnisgewinnung durch Auslegung, hin zur Begutachtung des Ergebnisses und seiner Folgewirkungen. Anders formuliert, beschreibt das Phänomen der judikativen Rechtserzeugung, dass durch Interpretation geltenden Rechts „neues Recht“ – besser würde möglichweise von einem bislang unbekannten Umgang mit dem geltenden Recht gesprochen werden, selbst wenn dieser jeglichen Ansatz der lex scripta sprengen mag – entsteht, welches Bindungswirkungen entfaltet. Gerade die Frage der Bindungswirkung bedarf dabei eingehenderer Betrachtung, da es sich bei dem Richterspruch prima facie nicht um eine verbindliche abstrakt-generelle Rechtsnorm handelt (anders nur in den Fällen der Gesetzesdelegation nach §  31 Abs.  2 BVerfGG) und vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung auch nicht handeln kann.176 Die judikative Rechtserzeugung ist nicht deckungsgleich mit reiner Normeninterpretation, sondern geht darüber hinaus. Judikative Rechtserzeugung, verstanden als über die Auslegung im Einzelfall hinausgehende Konkretisierung und Fortbildung des Rechts mit Wirkung für zukünftige Entscheidungen, stellt denn auch nach der überzeugenden Analyse von Payandeh eine Funktion der rechtsprechenden Gewalt dar, die neben diejenige des Streitentscheids auf individueller Ebene tritt177: „Judikative Rechtserzeugung setzt dabei bereits begrifflich voraus, dass Gerichte normative Spielräume zur Erzeugung neuen Rechts haben. Die Funktion der Judikative zur Rechtserzeugung ist damit vor dem Hintergrund der mangelnden Determinierungskraft von Rechtsnormen und der nur eingeschränkten Steuerungskraft der juristischen Methodik zu betrachten. Spielräume richterlicher Tätigkeit können sich zum einen daraus ergeben, dass der Gesetzgeber einzelne Regelungsbereiche bewusst einer Ausgestalbindung der Rechtsprechung gezogen werden müssen. Sie lassen sich nicht in einer Formel erfassen, die für alle Rechtsgebiete und für alle von ihnen geschaffenen oder beherrschten Rechtsverhältnisse gleichermaßen gälte.“; BVerfGE 49, 304, 322 = NJW 1979, 305; BVerfGE 69, 315, 372 = NJW 1983, 39; BVerfGE 82, 6, 12 = NJW 1990, 1593. 176  Vgl. zur Rechtsfortbildung BVerfGE 34, 269, 286 ff. = NJW 1973, 1221: „Diese Aufgabe und Befugnis zu ‚schöpferischer Rechtsfindung‘ ist dem Richter – jedenfalls unter der Geltung des Grundgesetzes – im Grundsatz nie bestritten worden.“; BVerfGE 59, 330, 334 = NJW 1982, 1635; BVerfGE 69, 315, 371 f. = NJW 1985, 2395; BVerfGE 71, 354, 362 f. = NJW 1986, 2242; BVerfGE 88, 145, 166 f. = NJW 1993, 2861. S.a. BVerfGE 138, 377, 392 ff. = NJW 2015, 1506. 177  So eindrücklich Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  24 f.; 494; vgl. zur Notwendigkeit judikativer Rechtserzeugung auch Mülbert, AcP 214 (2014), 188, 194 f.

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tung durch die Rechtsprechung überlässt. Sie können sich zudem aus den strukturellen Besonderheiten von Normen ergeben, wie etwa aus einer besonders offenen Textur [...].“

Die Funktion setzt in einem zweiten Schritt voraus, dass die richterliche Entscheidung auch tatsächlich über den Einzelfall hinaus Wirkung entfaltet. Diese Vermutung liegt nahe und wird durch den Befund gestützt, dass der gemeine Rechtsanwender nicht allzu selten dazu neigt, Entscheidungssätze unreflektiert wie Gesetzesrecht zu verwenden, einzig nicht eine Gesetzesstelle zitierend, sondern die Fundstelle des Urteils.178 Das Anerkenntnis der faktischen Bedeutung judikativer Rechtserzeugung ist jedoch zu trennen von ihrer verfassungsrechtlichen Akzeptanz als eigene, möglicherweise neben das geschriebene und das Gewohnheitsrecht tretende zulässige Rechtsquelle sowie ihrer genauen Wirkweise.179 Eingedenk dieser Frage ist zu berücksichtigen, dass das Phänomen judikativer Rechtserzeugung über die Diskussion der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hinausgeht, die sich auf die Frage der Zulässigkeit und nicht der Wirkungen richterlicher Entscheidungen bezieht und insbesondere die Wirkungen auf den Einzelfall im Blick hat.180 Eine einzelfallbezogene Bindungswirkung iSd Rechtsfortbildung bezieht sich folglich immer auf das Ergebnis eines Rechtsanwendungsprozesses, so dass die angeordnete Rechtsfolge, die durch richterliche Rechtsfortbildung ermittelt worden sein mag, im Einzelfall verbindlich ist, nicht aber darüber hinaus.181 Die judikative Rechtserzeugung soll demgegenüber aber mehr als eine bloße Anleitung zur Rechtsfindung im Einzelfall sein, die innerhalb der juristischen Methodenlehre zu verorten wäre. Sie stellt die abstrakt-generellen Folgewirkungen in den Mittelpunkt der Betrachtung.182 Die eingehende Analyse von Payandeh zeigt, dass die Wirkweise der geschaffenen Präjudizien entscheidend vom Konzept der Autorität abhängt und diesen mithin deshalb eine normative Bedeutung zukommt, weil ihnen in der Rechtsordnung und im Rechtsdiskurs eine autoritative Wirkung beigemessen wird.183 Anders gesprochen, finden die Produkte der judikativen Rechtserzeugung, die Präjudizien, ihren normativen Geltungsgrund nicht in staatlicher Anordnung, 178 Eindrücklich Coing, JuS 1975, 277; ferner mit Blick auf die judikative Rechtserzeugung im Gesellschaftsrecht Fleischer, NZG 2018, 241, 245: „Ein Beispiel bildet die rasche Übernahme des BGH-Urteils zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR unter Verzicht auf Sachargumente und ausschließlicher Berufung auf das höchstgerichtliche Präjudiz.“ 179  Zur Übersicht Wiedemann, NJW 2014, 2407 ff. 180 Vgl. Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  55. 181  Vgl. zur Rechtsfortbildung bereits die frühen Werke von Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978 sowie Gölder, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, 1969; ferner Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995. Nach Larenz stellt die Rechtsfortbildung eine Fortsetzung der Auslegung dar, ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.  Aufl. 1991, S.  366. 182  Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  50. 183 Dezidiert Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  142 ff.

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sie stellen mithin keine eigenständigen Rechtsnormen dar, sondern sie entfalten Wirkungen für Folgeentscheidungen, weil sie im Zusammenspiel mit den geltenden Gesetzesnormen überzeugend wirken und deshalb vom Rechtsanwender aufgenommen, akzeptiert und angewendet werden. Plastisch entsteht die jeweils aktuelle Rechtslage in ihrer Gesamtheit nicht allein durch primäre Entscheidungen des Gesetzgebers, sondern erhält ihr differenziertes Gepräge im Wege einer „arbeitsteiligen Normativitätsproduktion“ zwischen Legislative und Judikative.184 Die judikative Rechtserzeugung nimmt eine Mittlerfunktion zwischen den Gesetzesnormen und den tatsächlichen Lebenssachverhalten ein, indem sie die Unbestimmtheit der ersteren mit Wirkung über den Einzelfall hinaus reduziert. Dies bedeutet für die Systemerfassung als Teil des Rechtssystems oder als wissenschaftliches System die Beurteilung eines Grenzfalls. Da diese autoritative Wirkung jedoch gezielt vom Gesetzgeber in den Verfahrensordnungen, in unbestimmten Rechtsbegriffen und gezielten Freiräumen angelegt worden ist, ist letztlich eine Grundsatzzuordnung zum Rechtssystem korrekt. Der genaue Umgang und die bei der Fortbildung von der Judikative genutzte Methodik ist jedoch vom Gesetzgeber nicht vorgegeben, so dass es sich hier weiterhin um wissenschaftliche Systemansätze handelt, die dementsprechend einfacher überprüf- und veränderbar bleiben. Allerdings müssen etwaige Selbstermächtigungsvorwürfe zurückhaltend zum Einsatz kommen, solange die Judikative innerhalb der Rechtserzeugung alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um dem Gesetzgeberwillen gerecht zu werden und außerhalb legislativ erkannter Lücken maßvoll Anpassung zu betreiben. Die Reichweite judikativer Rechtserzeugung ist also nicht grenzenlos und muss sich stets die Frage nach der demokratischen und rechtsstaatlichen Legitimation stellen.185 Gleichwohl dass dabei ein Defizit an legitimatorisch wirkender Fremdkontrolle besteht, stellt die Beschränkung der Judikative auf rechtliche Maßstäbe und Argumente eine wesentliche Legitimationsquelle dar, welche eine Rückkoppelung der richterlichen Tätigkeit an demokratisch legitimierte Maßstäbe ermöglicht und subjektive Entscheidungsspielräume einengt.186 Eine solche Auffassung wird nicht zuletzt durch Art.  95 Abs.  3 GG gestützt, welcher zum Ausdruck bringt, dass den obersten Gerichtshöfen eine besondere Bedeutung bei der Konkretisierung und damit Fortbildung des Rechts zukommt, die von anderen Gerichten grundsätzlich zu beachten ist und somit Wirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet.187 Cum grano salis ist festzuhalten, dass sich einer184 

Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  499. Voßkuhle/Sydow, JZ 2002, 673. 186  Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  2 20 ff., welcher ferner herausarbeitet, dass die judikative Rechtserzeugung auch zur Stärkung demokratischer Legitimationszusammenhänge beiträgt. 187 Ausführlich zum Rechtseinheitsauftrag vgl. Maunz/Dürig/Jachmann, GG, 84. EL. 2018, Art.  95 Rn.  17 ff. 185 Ausführlich

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seits eine strikte Bindung an Präjudizien aus der Verfassung nicht ableiten lässt, diese aber andererseits der Existenz judikativer Rechtserzeugung und ihrer Berücksichtigung nicht entgegensteht188 und die judikative Rechtspraxis von dieser Offenheit Gebrauch macht. Für die nachgeordneten Gerichte einer Fachgerichtsbarkeit ergibt sich der rechtstatsächliche Befund, dass Aberrationen der eigenen Judikatur unter Verstoß gegen höchstrichterlich ausgesprochene, verallgemeinerungsfähige Erwägungen das Damokles-Schwert der Aufhebung und Zurückverweisung mitsichbringen. Auch die Fachöffentlichkeit reagiert in Form von Beiträgen, Anmerkungen und öffentlichen Stellungnahmen. Dementsprechend ist die gelebte Autorität, die vom Gesetzgeber selbst in das System getragen worden ist, gewaltig. Wenn im Folgenden also vertieft auf die Bindungen und berücksichtigungspflichtigen Erwägungen seitens der Judikative eingegangen wird, so ist die dargestellte Autorität der Ausgangspunkt der Bedeutsamkeit dieser Kontrolle.

3. Die zentralen Ansätze hergebrachter Methodik der Auslegung und Anwendung Vor dem Hintergrund der weithin fehlenden legislativischen Regelung einer Normenkollisionsdogmatik und der vorab dargestellten systemimmanent anzuerkennenden Möglichkeit judikativer Rechtserzeugung im Rahmen verfassungsrechtlicher Grenzen stellt sich nunmehr die für die vorliegende Analyse entscheidende methodische Frage, welche Auslegungs- und Kollisionserwägungen bislang erwogen und eingeführt oder seitens der Literatur für eine künftige Nutzung angeboten worden sind, die dem Anwender einen sachgerechten Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen ermöglichen könnten. Hierbei bedarf es im Sinne des anfänglich aufgezeigten Systemdenkens sowohl einer analytischen Betrachtung der Methode im Hinblick auf ihre Qualität und Überzeugungskraft als auch einer Zuordnung zum Rechtsoder zu wissenschaftlichen Systemen, um eine Aussage über den Geltungsanspruch und die Möglichkeit zur Modifikation treffen zu können. Selbst wenn ein bestimmtes methodisches Vorgehen nicht überzeugend erscheint und ggfls. verworfen werden sollte, ist die Zuordnungsbeurteilung zum Rechts- oder zu wissenschaftlichen Systemen gleichwohl von Bedeutung, da hiermit offengelegt wird, ob trotz mangelhafter Überzeugungskraft de lege lata eine Bindungswir188  Payandeh spricht hier insoweit sogar von einer – wenn auch normativ schwachen – Berücksichtigungspflicht, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten lässt und zur Folge hat, dass eine Pflicht zur Ermittlung und Kenntnisnahme, zur argumentativen Auseinandersetzung sowie eine Pflicht zur grundsätzlichen Befolgung bestehe, von der nur unter Berufung auf überzeugende sachliche Gründe abgewichen werden könne, vgl. ders., Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  259 ff. (mit umfänglichen Nachweisen in Fn.  457); dagegen wohl Mertens, in: Liber Amicorum Günther Jaenicke, 1998, S.  965, 970 f.

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kung zu beachten sein könnte, die der legitimierte Normgeber angehen müsste, soll eine Modifikation oder Derogation erwogen werden. a) Gesetzgeberische Linien, ihre Grenzen und ihre Lücken – die subjektive Teleologie als demokratischer Maßstab und die objektive Teleologie als geronnene Vernunft Regeln mit normativem Geltungsanspruch sind ausnahmslos zweckgebunden.189 Eine Regularie ohne jedwede zugrundeliegende Zielvorstellung, sei diese auf ein bestimmtes Verhalten des Rechtsunterworfenen, auf das Kompetenzgefüge oder auf definitorische Hilfsaspekte gerichtet, hat in einer vernunftgeleiteten Rechtsordnung, die im Diskurs stets mindestens in irgendeiner – wenn auch noch so marginalen Form – Begründbarkeit staatlicher Intervention verlangt, keinen Platz. Eben jene Sinnsuche ist das zentrale Ziel des Auslegungsprocederes, wenn es um die Anwendung abstrakter Regeln auf Einzelfallkonstellationen oder um die Erkenntnis bestehender und zu schließender Regelungslücken geht.190 Auf dem Weg der Erkenntnis finden sich allerdings zwei zentrale Problemlagen, über die seit jeher Streit herrscht und die für Erwägungen zu rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen ein gesteigertes Fehlbewertungspotential im Vergleich zur Auslegung von Vorschriften innerhalb ­einer zusammengehörigen Teilrechtsordnung mitsichbringen. Auf die Begründung der als These formulierten Verschärfung wird sogleich nach kurzer Darstellung der Problemfelder zurückzukommen sein. aa) Subjektive vs. objektive Theorie (1) Der verfassungsrechtlich verbürgte Vorranganspruch subjektiver Teleologie So steht an erster Stelle der langjährig geführte Streit um den Vorrang der subjektiv- vs. objektiv-teleologischen Auslegung,191 dessen vollständige Nachvollziehung an dieser Stelle nicht gewinnbringend ist.192 Vielmehr werden folgende, aus langer Debatte gewonnene – nach wie vor in Streit stehende – Erkenntnisse der vorliegenden Analyse zu Grunde gelegt, wobei sowohl die Art der Darstellung als auch die Conclusio ein klares Bekenntnis des Verfassers zur verfassungsrechtlich herausragenden Bedeutung der Bindung an den Willen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers darstellen, sofern dieser sich in den Grenzen der Werteordnung des Grundgesetzes bewegt: 189 Prägnant

Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  439. Im Zusammenhang mit dem Gedanken des inneren Systems der Rechtsordnung Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  71 f. 191 Hierzu Rüthers, JZ 2006, 53; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 11.  Aufl. 2010, S.  160 f. In Form einer Kurzbesprechung bereits J. Prütting, RW 2018, 289, 296 ff. 192  Eine eingehende Übersicht bietet Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  83 ff. mwN. 190 

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Der Wille des legitimierten Normgebers, sofern dieser bestimmt werden kann,193 genießt von Verfassung wegen Vorrang bei der Auslegung, Art.  20 Abs.  3 GG. Diese Gesetzesbindung wird auch nicht von der im Übrigen anzuerkennenden richterlichen Unabhängigkeit nach Art.  92, 97 GG berührt.194 Der gewählte Gesetzgeber ist das einzige Staatsorgan mit unmittelbarer demokratischer Legitimation, welches auf Zeit durch das Staatsvolk zur Herrschaft berufen wird.195 Der erkennbare gesetzgeberische Wille geht somit zwingend selbst dann vor, wenn verfolgte Zwecke durch den Rechtspraktiker im Einzelfall – allem voran durch den zur Entscheidung berufenen Richter – als unvernünftig, mangelnd effektiv oder anderweitig untunlich erkannt wird. Die Grenze bildet allem voran die Verfassungswidrigkeit der gesetzgeberischen Entscheidung, wobei auch dann nur im Rahmen vorkonstitutioneller Gesetze eine Verwerfungskompetenz besteht,196 während nachkonstitutionelle Gesetze nach Art.  100 Abs.  1 GG vorzulegen sind.197 Dem objektiven Ansatz sind ausschließlich all jene Einflussmomente zuzugestehen, die sachlich oder temporal aus diesem Rahmen herausfallen und formal so argumentiert werden, dass die dienende Funktion des objektiven Ansatzes ersichtlich gewahrt wird.198 Insoweit kann mit dem herrschenden Verständnis des BVerfG von einer Kombinationstheorie gesprochen werden.199 Sachlich kann ein Gesetz offen formuliert, nicht abschließend oder ohne klar erkennbare gesetzgeberische Zielrichtung sein, wenngleich es Interpretationsmöglichkeiten gibt, die die entsprechende Rege-

193 

Hierzu sogleich unter §  3 II. 3. a) aa) (1). BeckOK/Morgenthaler, GG, 38. Ed. 2018, Art.  97 Rn.  7 ff. mwN. 195 Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen des BVerfG zum Parlamentsvorbehalt, BVerfGE 104, 151, 208 = NJW 2002, 1559: „Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stellt dem Bundestag ausreichende Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung auch im Hinblick auf die Fortentwicklung eines Systems der gegenseitigen kollektiven Sicherheit zur Verfügung. Die Bundesregierung hat bereits auf Grund allgemeiner parlamentarischer Kontrollrechte Rede und Antwort zu stehen für ihr Handeln in den Organen der Nato, Art.  43 I GG. Darüber hinaus ist wegen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts jeder Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Nato sowohl zur kollektiven Verteidigung als auch zur Krisenreaktion von der Zustimmung des Bundestags abhängig.“; BVerfGE 121, 135 = NJW 2008, 2018. 196  Vgl. BVerfGE 2, 124 = NJW 1953, 497: „Der Normenkontrolle durch das BVerfG nach Art.  100 Abs.  1 Satz  1 GG unterliegen nicht solche Gesetze, die vor dem Inkrafttreten des GG, dem 24.5.1949, verkündet worden sind.“; S.a. Zimmermann, JA 2018, 249 ff. 197  Ausführlich Maunz/Dürig/Dederer, GG, 84. EL 2018, Rn 76 ff. mwN. 198 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  496 ff.; Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  122 ff., 173 ff. 199  Vgl. bereits BVerfGE 54, 277, 297 = ZIP 1980, 1137, aber aus jüngerer Zeit insbesondere BVerfGE 128, 193 = NJW 2011, 836 und BVerfGE 133, 168 = NJW 2013, 1058, mit einer deutlichen Aufwertung der Bedeutung zentraler Grundsatzentscheidungen und Willensrichtungen des Gesetzgebers. Diese Judikatur ist in Verbindung mit BVerfG, Beschl. v. 06.06.2018, 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14 = NZA 2018, 774 zu sehen, wo der Rückgriff auf die Gesetzesmaterialien als bedeutsam und erforderlich betont wird. 194  Vgl.

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lung sinnvoll erscheinen lassen.200 Temporal kann sich der einmal gesetzte Zweck aufgrund tatsächlicher Umstände überholen, 201 wobei immer zuvörderst eine im gesetzgeberischen Willen angelegte Anpassung zu prüfen ist. Und formal muss die objektive Auslegung stets im Dienste der demokratischen und rechtsstaatlichen Gesetzesbindung stehen und daher maßvoll eine Annäherung an die Linien der aus vorgenannten Gründen nicht mehr streng zu haltenden subjektiv-teleologischen Linie suchen.202 Allem voran wird an dieser Stelle die richterliche Einflussmöglichkeit bis hin zu rechtspolitischer Willkür kontrollierbar begrenzt, indem verfassungsrechtlich das zwingende Gebot transparenter Erläuterung der gefundenen Abweichung und der vorangehenden Überprüfung extrapolationsfähiger subjektiver Teleologie aus der Gesetzesbindung des Art.  20 Abs.  3 GG deduziert wird. Damit ist zugleich die Frage der Systemzugehörigkeit beantwortet, da Existenz und Vorrang des subjektiv-teleologischen Auslegungsansatzes eine verfassungsrechtlich zwingende Forderung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sind. Jede gegenteilige Grundansicht wäre geeignet, die effektive Herrschaft des gewählten Gesetzgebers zu unterminieren. Allerdings bringt die zentrale Forderung der Beachtung subjektiver Teleologie auch sogleich eine Bestimmungsproblematik mit sich. (2) Ermittlung des gesetzgeberischen Willens als Problem Wer genau ist der Gesetzgeber und welche Quellen vermögen dessen Willen aufzuzeigen und für den Rechtspraktiker transparent zu machen? Soweit Transparenz nicht herzustellen ist, muss vor dem Hintergrund des vorab beschriebenen verfassungsrechtlichen Vorrangs und der damit einhergehenden Bedeutung subjektiver Teleologie erwogen werden, welche Anforderungen an die Judikative bei zu veranlassenden Mühen um die Ergründung jenes Willens zu fordern sind. Da dieses Themenfeld ohne Weiteres geeignet ist, eine eigenständige Monographie zu füllen, muss es bei einem prägnanten Überblick und einem entsprechenden Aufbau auf den weitreichenden Forschungsbemühungen anderer Wissenschaftler verbleiben. (a) Der Gesetzgeber Die Verfassung führt den Gesetzgeber, Art.  20 Abs.  2 S.  2 GG, und die gesetzgebende Gewalt, Art.  122 GG an und bietet durch das Gesetzgebungsverfahren eine Beschreibung des zugehörigen Procederes, Art.  76 ff. GG, welches ergänzend durch die Geschäftsordnungen der beteiligten Kollegialorgane ausgeformt 200 Plastisch

Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  133. Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  165, insb. Fn.  9. 202  Jüngst ausdrücklich hervorgehoben von BVerfG, NZA 2018, 774. 201 Hierzu

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wird.203 Der formelle Gesetzgeber, um den es vorliegend einzig gehen soll, setzt sich danach im Wesentlichen aus den Kollegialorganen Bundestag und Bundesrat zusammen, die je nach Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz unterschiedlich stark an der Gesetzgebung beteiligt sind. Daraus folgt allerdings immer noch keine präzise Beschreibung einer wie auch immer gedachten Person oder Personenmehrheit, auf deren Willen nachfolgend abgestellt werden könnte. Das BVerfG formuliert:204 „Die Kompetenzen des Bundestages lassen sich nicht als ein Bündel inhaltsgleicher Kompetenzen der Abgeordneten verstehen. Der Bundestag ist nicht lediglich die Summe seiner Mitglieder; er ist selbst Organ und als solches originärer Inhaber von Kompetenzen. Nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament als Ganzes im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder übt als ‚besonderes Organ‘ (Art.  20 Abs.  2 GG) die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus.“

Daraus folgt, dass die Abgeordneten als Organwalter des Kollegialorgans agieren, 205 das Parlament selbst jedoch die Kompetenz hält.206 Der Bundesrat tritt wegen seiner beschränkten Kontroll- und Widerstandsrechte daneben nur in untergeordneter Funktion auf. Die Willensbildung dort ist allem voran im Bereich der Zustimmungsgesetze von Bedeutung.207 Da innerhalb der Kollegialorgane nach Mehrheitsprinzipien entschieden wird, die Kollegialorgane als Ganzes aber einzig die Entscheidungskompetenz haben, findet notwendigerweise eine Zurechnung des Mehrheitsentscheids im Hinblick auf das gesamte Organ statt,208 welches somit als Gesetzgeber (oder Teil des Gesetzgebers) erkannt wird. Diese scheinbar umständliche Beschreibung ist von Bedeutung für die Ergründung des gesetzgeberischen Willens, da mit ihr inkludierende und exkludierende Erwägungen berücksichtigungsfähiger Einflüsse, Vorarbeiten und Verhaltensweisen einhergehen.209 203  Eine detaillierte Auflistung im Hinblick auf die dabei entstehenden Materialien bietet Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  26 ff. 204  BVerfGE 90, 286, 342 f. = NJW 1994, 2207. 205  Vgl. auch die prägnanten Ausführungen bei Baldus, in: Baldus/Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  5, 7. 206 Vgl. Steiger, Organisatorische Grundlagen, 1973, S.  67 ff.; Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  24. 207  Ausführlich zum Bundesratsverfahren Schwarz, in: Kluth/Krings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, S.  381 ff. und Risse/Wisser, a. a. O., S.  429 ff. 208  Zur Zurechnungstheorie Frieling, JbJZ 25 (2014), 37, 48 f.; ders., Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  135. 209  Im Zentrum steht dabei die Materialienfrage, also die Verwertung von Protokollen, Mitschriften, Gesetzesbegründungen und Beschlüssen auf dem Weg zum Gesetzeserlass. Das BVerfG geht bereits seit längerer Zeit davon aus, dass etwa ein Vorlagebeschluss nach Art.  100 Abs.  1 GG unzulässig sein kann, wenn das vorlegende Gericht sich im Rahmen der Vorlageerwägungen nicht mit den Gesetzesmaterialien auseinandergesetzt hat, vgl. BVerfGE 78, 201, 204 = MDR 1988, 831. Anders demgegenüber noch BFHE 77, 337, 344 = BeckRS 1963, 21005797 mit Ablehnung der althergebrachten sog. „Paktentheorie“ und damit gegen die Bedeutung von Gesetzesmaterialien, vgl. zur Herkunft der Paktentheorie Wächter, Abhandlun-

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(b) Der Weg zum Willen des Gesetzgebers Der Wille des Gesetzgebers erscheint zunächst als schillerndes Konstrukt, da ähnlich der Willensbildung bei einer natürlichen Person rein psychologisch an den Prozess der Willensentschließung und Willensbetätigung gedacht werden könnte.210 Das ist bei den vielköpfigen Kollegialorganen Bundestag und Bundesrat nicht sinnvoll möglich.211 Baldus zeigt zudem überzeugend auf, weshalb der Kommunikationsprozess zwischen Gesetzgeber und Rechtsunterworfenen nicht mit der privatrechtlichen Verständnissituation in Bezug auf Willenserklärungen gleichgesetzt werden kann.212 Dementsprechend geht die heute überwiegende Ansicht davon aus, dass es um eine wertende Zurechnung konkret-sprachlicher Entäußerungen hin zum Gesetzgebungsorgan gehen muss.213 Diese Zurechnung zerlegt Frieling treffend in zwei Schritte. Stufe 1 ist die Zurechnung der Äußerung des einzelnen Organwalters an das Kollektiv aller Organwalter des jeweiligen Kollegialorgans. Daraus folgt bei Gelingen der normativen Zuschreibung ein gemeinsames Verständnis. Stufe 2 muss dann die Frage beantworten, ob dieses gemeinsame Verständnis im Rahmen normativer Zurechnung dem Gesamtbild „Gesetzgeber“ als Willen zugeschrieben 214 werden gen aus dem Strafrechte, 1835, S.  249 ff.; ders., Handbuch Privatrecht, 1842, S.  147 ff.; ders., Das Königlich Sächsische und das Thüringische Strafrecht, 1857, S.  109 ff.; ders., Pandekten I, 1880, S.  134; Mohl, AdC 1842, 214, 246; ders., Staatsrecht I, 1860, S.  122; Goldschmidt, ZHR 10 (1866), 40, 42 ff. 210  Mit diesem Ansatz denn auch eine verbreitete kritische Strömung in der Literatur, die die Existenz eines gesetzgeberischen Willens weithin ablehnt, vgl. die Zusammenstellung nach Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  131 Fn.  1: Schaffrath, Theorie der Auslegung, 1842, S.  18; Binding, Strafrecht I, 1885, S.  454; Bekker, JherJb 34, 1895, 1, 74; Reichel, Gesetz und Richterspruch, 1915, S.  68; LK/Mezger, StGB, 1954, Einleitung 1.b.; Wüstendörfer, Zur Hermeneutik der soziologischen Rechtsfindungstheorie, 1915, S.  162, abgedruckt in: M. Rehbinder (Hrsg.), Zur Methode soziologischer Rechtsfindung, 1971; Schwalm, Der objektivierte Wille des Gesetzgebers, in: FS Heinitz, 1972, S.  50; Gropp, Die Rechtsfortbildung contra legem, 1974, S.  74 f.; Schlink, Der Staat 19, 1980, 73, 102; Thienel, Rechtsbegriff der Reinen Rechtslehre, in: FS Koja, 1998, S.  178 f.; LK/Dannecker, StGB, 2007, §  1 Rn.  315. 211 Vgl. Wischmeyer, Zwecke im Recht, 2015, S.   245; Würdinger, JuS 2016, 1, 5. Weitere Nachweise bei Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  132 Fn.  2 und 3. 212 Vgl. Baldus, in: Baldus/Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  5, 8 f. 213  Vgl. auszugsweise Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S.  46; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung, 1999, S.  355; Waldhoff, Begründungspflichten, in: FS Isensee, 2007, S.  331; Röhl/H. C. Röhl, Rechtslehre, 2008, S.  628; Hopf, Gesetzesmaterialien, in: FS 200 Jahre ABGB, 2011, S.  1066 f.; Fleischer, NJW 2012, 2087, 2089. 214  Kritisch zu der Frage, ob und inwieweit eine solche Zuschreibung gelingen kann und welche externen Einfluss- und Erwägungsmomente (Stellungnahmen von und Formulierungen durch Verbände, gesetzesvorbereitende Dritte etc.) in den Willen des Gesetzgebers aufgenommen sein könnten, vgl. Baldus, in: Baldus/Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  5, 11 f.

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kann.215 Mit Stufe 2 wird zustimmungswürdig der Umstand aufgenommen, dass das BVerfG zwischen dem Kollektiv aller Organwalter und dem jeweiligen Verfassungsorgan differenziert und letzteres normativ betrachtet als ein „mehr“ einstuft.216 Nun existieren mehrere Ansätze, um allem voran Schritt 1 mit Leben zu füllen und sodann eine Überleitung zu Schritt 2 zu erwägen. Für die Debatte kann zunächst eine Sammlung erfolgen, welche diskutablen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen. Das sind der Gesetzestext selbst, wie dieser letztlich beschlossen worden ist, die Gesetzesbegründung, die Protokolle über Beratungen und Entscheidungen der Kollegialorgane und der Ausschüsse sowie sämtliche Stellungnahmen, die im Vorlauf sowie im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens abgegeben worden sind.217 Dieses Konvolut denkbarer Informationsquellen musste zwangsläufig in einen Streit sowohl darüber führen, welche Quellen als belastbarer Verständnishorizont der Gesamtheit der Mitglieder des jeweiligen Kollegialorgans herangezogen werden dürfen, 218 als auch, welches methodische Vorgehen für das Verständnis dieser Quellen zu gelten hat.219 Unter Rückgriff auf die tiefgreifende Untersuchung von Frieling kann an dieser Stelle für den Fortgang der Analyse festgehalten werden: i. Der Gesetzestext bedient sich der Sprache als Kommunikationsmittel, die zwar ihrerseits vielfach auslegungsfähig und interpretationsbedürftig ist, 220 sich jedoch im praktischen Gebrauch als weithin taugliches Mittel der Verständigung erwiesen hat.221 Sprachliches Verständnis wird damit verfassungsrechtlich

215 

Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  135. Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  135 mVa. BVerfGE 44, 308, 315 f. = NJW 1977, 1767: „Bei der Bildung des staatlichen Willens im parlamentarischen Bereich ist das Volk nur dann angemessen repräsentiert, wenn das Parlament als Ganzes an dieser Willensbildung beteiligt ist. Auch wenn das Grundgesetz den einzelnen Abgeordneten als ‚Vertreter des ganzen Volkes‘ bezeichnet, so kann er dieses doch nur gemeinsam mit den anderen Parlamentsmitgliedern repräsentieren. Denn nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament als Ganzes im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder, als ‚besonderes Organ‘ (Art.  20 II GG), übt die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus.“; BVerfGE 56, 396, 405 = NJW 1981, 1831; BVerfGE 80, 188, 217 f. = NJW 1990, 373, BVerfGE 90, 286, 342 f. = NJW 1994, 2207. 217  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  27 ff. mwN. 218  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  51 ff. mwN. 219  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  140 ff. 220  Anschaulich zum Grundproblem Wesel, Fast Alles was Recht ist – Jura für Nicht-Juristen, 9.  Aufl. 2014, S.  3 ff. 221 Vgl. Schünemann, Gesetzesinterpretation, in: FS Klug, 1983, S.   177. Siehe aber auch Kirchhof, Auftrag des Grundgesetzes, in: FS 600 Jahre Universität Heidelberg, 1986, S.  34 ff. Insbesondere der Einwand von Verständigungsunsicherheiten auf Basis interdisziplinärer Forschung scheitert letztlich bereits an dem zwingenden Moment der Notwendigkeit eines intersubjektiven Kommunikationsmittels, um die Herrschaft des Gesetzes und damit die zeitlich begrenzte Herrschaft des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu gewährleisten. Vgl. hierzu Christensen, Gesetzesbindung, 1989, S.  108 ff.; Koch, Sprachphilosophische 216 

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im demokratischen Rechtsstaat vorausgesetzt.222 Zudem ist auch im Hinblick auf das Selbstverständnis von Recht als effektives Herrschaftsinstrument des demokratisch legitimierten Gesetzgebers in der gewählten Terminologie und deren Bedeutung eine linguistische Autonomie des jeweiligen Normsetzers zwingend zu akzeptieren, 223 die ihre Grenzen in den verfassungsrechtlichen Vorgaben von Normenwahrheit 224 und Normenklarheit 225 findet. ii. Allerdings gilt die Eindeutigkeitsregel,226 also die Annahme, der Gesetzestext biete eine klare, unbestreitbare Regelung, heute allgemein als unvertretbar.227 Dies widerspricht Erwägung (i) nicht, sondern verweist auf die NotwenGrundlagen, in: Alexy/Koch/Kuhlen/Rüßmann (Hrsg.), Begründungslehre, 2003, S.  123 ff. Ein wenig humoristisch Canaris, VersR 2005, 577, 579. 222  Looschelders/Roth, Methodik, 1996, S.   71 f.; Jestaedt, Grundrechtsentfaltung, 1999, S.  305; Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004, S.  110. 223 Vgl. M. Jestaedt, Das mag in der Theorie richtig sein …, 2006, S.  35 f., 40 f., 55 ff.; Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  55. 224  BVerfGE 107, 218, 256 = NVwZ 2003, 1364: „Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Normenwahrheit hat zur Folge, dass sich der Gesetzgeber an dem für den Normadressaten ersichtlichen Regelungsgehalt der Norm festhalten lassen muss“; ­BVerfGE 108, 1, 20 = NVwZ 2003, 715. 225  BVerfGE 113, 348, 375 ff. = NJW 2005, 2603: „Der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden“; BVerfGE 120, 378, 407 f. = NJW 2008, 1505; BVerfGE 133, 277, 336 = NJW 2013, 1499 Rn.  140. 226  Hierzu RG, JW 1912, 69; BVerfGE 4, 331, 351 = NJW 1956, 137; BGH, NJW 1956, 1553: „Aus dem Schweigen des Gesetzes über die Befugnis zur nichtöffentlichen Aufführung geschützter Werke kann bei dieser Sachlage entgegen der vom BerGer. vertretenen Auffassung nicht eine Gesetzeslücke entnommen werden, die von der Rspr. nach den Grundsätzen einer ergänzenden Rechtsfindung geschlossen werden könnte. Eine Gesetzeslücke liegt in Ansehung der nichtöffentlichen Aufführung nicht vor, weil die Rechtsnorm, die die ausschließlichen Benutzungsrechte des Urhebers abschließend regeln will, den Ausschließlichkeitsbereich des Urhebers in Bezug auf die Aufführung von Werken der Tonkunst ausdrücklich auf die öffentliche Aufführung beschränkt, obwohl dem Gesetzgeber bereits bei Erlaß des Ges. die Möglichkeit, Werke der Tonkunst im Rahmen von nichtöffentlichen Aufführungen für gewerbliche Zwecke auszuwerten, bekannt war (vgl. Enneccerus-Nipperdey, 1952, Allg. Teil des bürg. Rechts, §  58). (…) Wenn das BerGer. aus §  11 LitUrhG in Verb. mit den §§  15 Abs.  2, 27 Abs.  2 LitUrhG folgert, der Gesetzgeber habe dem Urheber auch außerhalb der ihm ausdrücklich vorbehaltenen Nutzungsrechte allein das Recht zur gewerblichen Auswertung seines Werkes vorbehalten wollen, so steht dieser Auffassung schon entgegen, daß der Gesetzgeber, wie dies die Gesetzesmaterialien klar ergeben, sogar die Freistellung des öffentlichen Vertrages erschienener Werke der Literatur von einer Urhebergebühr selbst für den Fall bewußt in Kauf genommen hat, daß es sich um gewerbsmäßige Veranstaltungen handelt (RT-Verhandl. 10. Legislaturperiode II. Session 1900/1902 2. AnlBd.  A ktenstück 214 S.  1278/ 79).“; Ramm, ArbuR 1962, 356; Bachof, JZ 1963, 697; Burckhardt, Methode und System des Rechts, 1936, S.  271. 227  Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, S.  123, 253; Herschel, in: FS Molitor, 1962, S.  166; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S.  361; Claus, JZ 1961, 660; Rittner, Verstehen und Auslegen als Probleme der Rechtswissenschaft, in: Verstehen und Auslegen, 1968, S.  63; Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, S.  153; Honsell, ZfPW 2016, 106, 127; MüKo/ Säcker, BGB, 8.  Aufl. 2018, Einleitung Rn.  116.

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digkeit, zur Extrapolation des gesetzgeberischen Willens einen gewissen Nachforschungs- und Erwägungsaufwand des Rechtsanwenders, allem voran der Judikative, zu fordern.228 iii. Die Wortlautgrenze, sofern diese nicht von Verfassungs wegen nach Art.  103 Abs.  2 GG bereits eine besondere Begrenzungswirkung mit sich bringt, bildet die Trennlinie zwischen Norminterpretation und Rechtsfortbildung.229 Mit ihr kann jedoch nach heute h. M. nicht die Aussage einhergehen, dass es auf den vorangegangenen Willensbildungsprozess und die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens nicht ankäme. Die früher vertretene Andeutungstheorie230 findet in der Verfassung keinen Anknüpfungspunkt und ist zudem ob ihrer extremen Vagheit auch nicht sinnvoll einsetzbar.231 iv. Es ist aber sowohl nach der Art der Materialien als auch nach Gegenstand und Inhalt der Interpretationsäußerung zu differenzieren. Den überzeugenden Ausführungen von Frieling folgend, werden bei den inhaltlichen Debatten unter §  5 folgende Materialien und Verhaltensweisen sowie Inhalte als grundsätzlich für die Eruierung des gesetzgeberischen Willens beachtenswert eingestuft: 1. Materialien:232 Der Text der Gesetzesbegründung233, Protokolle der jeweils befassten Fachausschüsse und des Vermittlungsausschusses234 und Plenarprotokolle (diese aber nur insoweit, als sie Äußerungen von Abgeordneten dokumentieren, die Einfluss auf den Gesetzestext hatten, und zurechenbar von der Mehrheit im Parlament übernommen worden sind) 235.

228 

So denn auch die Forderung in BVerfG, NZA 2018, 774. Vgl. BVerfGE 18, 111 = NJW 1964, 1563 „Jede verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde“; BVerfGE 54, 299 f. = NJW 1981, 39. 230  Nachweise bei Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  74. 231  Deutlich schon Heck, AcP 112 (1914), 1, 155; Muscheler, Entstehungsgeschichte, in: FS Hollerbach, 2001, S.  129; Zimmermann, NJW 1956, 1262 f.; Schneider, MDR 1963, 276, 278; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  145. 232 Für den höchst bedeutsamen Blickwinkel des BVerfG sind die erheblichen Trendschwankungen durch die Zeit zu beachten, mit der auch die jeweilige Anerkennung von einer frühen starken Zurückdrängung der Bedeutung der Materialien bis zu einer jüngst weitreichenden Heranziehungspflicht der Gerichte reicht. Die Entwicklung ist sorgfältig nachgezeichnet bei Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  68 ff. sowie S.  85 ff. 233  Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  205 f. sowie die Auseinandersetzung mit dem personellen Argument, der Text stamme nicht von den Abgeordneten, sondern von Ministerialbeamten, S.  166; ebenso Wischmeyer, Zwecke im Recht, 2015, S.  390. 234  Zu den Protokollen der Ausschüsse auch Wedel, Entstehungsgeschichtliche Argumente, 1988, S.  36 ff. 235  BVerfGE 2, 124, 134 = NJW 1953, 497: „Die Äußerungen des Abgeordneten Zinn und v. Brentano, die beide als Berichterstatter des Parl. Rats tätig waren, lassen erkennen, dass…“; Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  207, 208. 229 

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2. Inhalte: Konkrete Normvorstellungen 236 , explizierte Zielvorstellungen 237 sowie Aufträge an den Rechtsanwender238 . 3. Anderweitig laufende und in Zusammenhang stehende Gesetzgebungsvorhaben und gescheiterte Gesetzesinitiativen, 239 „Schweigen des Gesetzgebers“, 240 sofern und soweit eine Explikation hätte erwartet werden können, 241 verworfene Änderungsanträge242 und ersichtliche Irrtümer243. 4. Fleischer ist zudem darin beizupflichten, dass nachträgliche Äußerungen einzelner Abgeordneter – etwa, wenn diese im Rahmen eines Gerichtsverfahrens entgegen dem Grundsatz „iura novit curia“244 als Beweismittel für die Rechtsfindung gehört oder zulässig durch eine Partei als Stütze ihres Rechtsvortrag eingebracht würden 245 – aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung kein taugliches Mittel der Aufklärung über den Willen des Gesetzgebers sein können.246 v. Einzig bei der Berücksichtigungsfähigkeit von Rechtsauffassungen und eingefügten Beispielsfällen wird an dieser Stelle über den Ansatz von Frieling partiell hinausgegangen.247 Frieling weist zwar mit Recht darauf hin, dass der Gesetzgeber nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung und nach den zurechen236  Hierzu schon Larenz, Methodenlehre, 1991, S.  387, allerdings mit dem Hinweis fehlender Bindungswirkung. Beachtlichkeit bestehe nur, wenn vernünftige Erwägungen zu Grunde lägen. Näher Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  106 ff. 237  Hierzu BVerfGE 54, 277, 298 = NJW 1981, 39: „Hauptanliegen des Änderungsgesetzes 1975 ist es, über eine Neugestaltung des Zugangs zur Revisionsinstanz das Revisionsgericht zu entlasten…“, Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  108 ff. 238 Näher Schnorbus, AcP 201 (2001), 860; Brodführer, Bewusste Lücken im Gesetz und der Verweis auf „Wissenschaft und Praxis“, 2010, S.  30 ff. 239 Vgl. Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  123 ff. mwN. aus der Rspr. speziell für den Fall erwägenswerter richterlicher Rechtsfortbildung während eines die Lücke betreffenden laufenden Gesetzgebungsverfahrens Wank, RdA 2012, 361, 364; ders., Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S.  229 ff. 240  Die Figur wird auch in der Rechtsprechung wiederholt implizit genutzt, vgl. BGH, NJW 2018, 1322: „Aus dieser durch das Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMug) und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19.10.2012 geschaffenen Regelung lässt sich nicht auf ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers schließen, das es verbieten könnte (…)“; BVerfG, NJW 2007, 1193; BGH, NJW 2015, 2053. 241  Dieses „beredte Schweigen“ ist für sich genommen bereits Ergebnis einer Auslegung des beobachteten Verhaltens im parlamentarischen Procedere und daher mit der Schwierigkeit besetzt, dass ein Rückgriff auf diese Argumentationsfigur belastbarer Indizien bedarf, dass die zu Grunde liegende Fragestellung erkannt und gezielt nicht behandelt worden ist, vgl. Brodführer, Bewusste Lücken im Gesetz und der Verweis auf „Wissenschaft und Praxis“, 2010, S.  42; Fischer, Auslegungsziele und Verfassung, in: FS Tiepke, 1995, S.  203. 242  Vgl. zu den übernommenen Änderungsanträgen Bleckmann, JuS 2002, 942, 945. 243 Vgl. Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  126 ff. mwN. 244  Statt vieler MüKo/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 Rn.  5. 245  Entsprechend zurückgewiesen durch OLG Frankfurt a. M., ZIP 2012, 725, 727. 246 Vgl. Fleischer, NJW 2012, 2087, 2090. 247  Im Einzelnen Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  111 ff. mwN.

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baren Inhalten einzelner Äußerungen zum Plenum weder zum Lösen konkreter Fälle berufen ist 248 noch die korrekte Beachtung etwa europarechtskonformer Gesetzesanwendung in Rede steht.249 Dennoch erlauben beide Arten von Bemerkungen in den Materialien Rückschlüsse auf das gesetzgeberische Zielverständnis, was sich insbesondere dann deutlich zeigt, wenn damit einhergehende Zielvorstellungen wegen fehlender Beachtung gebotener Europarechtskonformität nicht oder nicht in gewünschtem Maße verfolgbar sind. vi. Abschließend ist zu betonen, dass weder der Streit um die Materialienfrage noch die Auseinandersetzung um die Modi ihrer Einbeziehung in den Auslegungsprozess zur verfassungsrechtlich geforderten Berücksichtigung subjektiver Teleologie als erledigt betrachtet werden können. Die Zusammenstellung und prägnante Befassung mit diesem Thema hat daher allem voran die Aufgabe der Sensibilisierung des Rechtsanwenders für Erkenntnisquellen und deren Beachtung. Das Ziel ist gleichsam ein verstärktes Hinwirken auf einen rationalen Umgang mit den Gesetzesmaterialien und ihrem Inhalt im Rahmen der konkreten Normauslegung. Je nach Betrachterblickwinkel im Einzelfall unterschiedliche Gewichtungen werden sich niemals vermeiden lassen, so dass Rationalitätsgewinne den bestmöglichen Näherungsversuch begründen. bb) Das Zirkelschlussproblem Vor Erfassung der rechtsgebietsübergreifenden Bezüge ist noch ein Seitenblick auf einen Themenkreis zu werfen, der eng mit der Gesetzesbindung und der obigen Debatte zu subjektiver vs. objektiver Teleologie verwoben ist. Gerade weil die rechtssoziologische Beobachtung, dass Methodenlehre im Sinne von Goethe in der Form zu handhaben sein könnte („Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr´s nicht aus, so legt was unter!“250), als vielfach zutreffend anerkannt werden muss, 251 wird der objektiv-teleologische Ansatz als Suche von Sinn und Zweck des Gesetzes durch die hausgemachte Begründung von Sinn und Zweck des Gesetzes des jeweiligen Normanwenders ersetzt.252 Tautologisch befragt der Rechtsanwender in diesen Fällen gleichsam den Sinn und Zweck des Gesetzes, um seinen Sinngehalt zu ergründen. Derartige Ansätze tragen nur den Erkenntniswert in sich, wie die gesetzliche Regelung vom zur Einzelfallentscheidung berufenen Richter aufgefasst wird und welche Modifi248 

Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  171. Frieling, Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers, 2017, S.  172. 250  von Goethe, Zahme Xenien, 2. Buch, 1821. 251  Humoristisch erfasst auch Giradoux, Der trojanische Krieg findet nicht statt, (Theaterstück), 1935, das Problem, wenn er einbringt: „Die Phantasie trainiert man am besten durch juristische Studien. Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie der Jurist die Wirklichkeit.“ 252  Deutlich hierzu Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2.  Aufl. 2016, S.  186 ff. 249 

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kationen dieser für erforderlich erachtet. So offenkundig aber, wie diese tautologische Betrachtungsweise mit Blick auf die obigen Ausführungen zum Vorrang der subjektiven Teleologie als verfassungswidrig zu geißeln sind, so deutlich tritt gleichermaßen zu Tage, dass dieser Ansatz dem Rechtsanwender stets dann naheliegt, wenn eine Vorschrift in einen Kontext einzuordnen ist, für den sie gesetzgeberseitig nicht geschaffen worden ist. cc) Teilrechtsgebietsübergreifende Bezüge, Zwischenfazit und Einpassung der Folgeerwägungen Die Vertreter der objektiv-teleologischen Theorie dürften sich trotz aller Vorranghinweise des Gesetzgeberwillens mit Blick auf die vorliegende Analyse in ihrem stets geäußerten Problembewusstsein bestätigt sehen, dass eine klare subjektive Teleologie häufig nicht herauszuarbeiten ist253 und im Zweifel für einen breiten Bereich der Rechtsordnung möglicherweise fehlt.254 Gerade vor dem Hintergrund der Parzellierung des Rechts in themenbezogene Teileinheiten unter weithin fehlender gesetzlich vorgesehener Kollisionsdogmatik spricht zunächst einiges dafür, dass es sich tatsächlich bei den intradisziplinären Schnittstellen um Fragen handelt, die der Gesetzgeber entweder nicht bedacht oder aber stillschweigend der Rechtsentwicklung durch rechtspraktische Handhabung überlassen hat, was nicht zuletzt im Hinblick auf die Grenzen möglicher Antizipation notwendiger Kollisionsregelungen verständlich erschiene.255 Dies verschärft nun aber den anfänglich beschriebenen Konflikt, da der objektive – letztlich also der rechtspraktische Entscheiderwillen – ein nahezu unkontrolliertes Wesen erhält und der Gesetzgeber im Anschluss allenfalls mit kassatorischer Legislation gegensteuern kann. Eben diese Conclusio ist jedoch vor dem Hintergrund der Gesetzesbindung und deren Konsequenzen nicht in dieser Form zu billigen. Die Ergründung subjektiver Teleologie ist genau betrachtet auch in den ungeregelten Schnittstellenbereichen nicht überholt oder außer Acht zu lassen. Vielmehr haben kollidierende Vorschriften in jener Teilrechtsordnung, für die und in der sie verfasst sind, eine gesetzgeberisch beigelegte Zweckrichtung. Deren – wechselseitig – optimale Verfolgung trägt eine Schnittstellenaussage in sich, da jegliche Einflussnahme durch eine kollidierende Vorschrift eines anderen Teilbereichs per definitionem hemmend oder anderweitig modifizierend wirken kann,256 was die gesetzgeberisch avisierte Art und Weise 253 

Vgl. zu dem Problem der Ermittlung §  3 II. 3. a) aa) (1). Das Problem ist prägnant herausgearbeitet bei Honsell, ZfPW 2016, 106, 121 ff. mwN. 255 Ebenso Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  51 f. 256  Derartige Optimierungsgebote werden zumeist im Rahmen von Verfassungsvorgaben diskutiert, vgl. statt vieler Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S.  283 ff. Die Differenzierung wird vielfach auch mit Blick auf die Grundunterscheidung von Regeln und Prinzipien erörtert, vgl. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, S.  39 ff., da nur Prinzipien als Leitbilder aufgefasst, während Regeln 254 

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der Zweckverfolgung wenigstens in ihrer konkreten Ausgestaltung in Frage stellt.257 Subjektive Teleologie hinter einer Norm, sofern diese extrapoliert werden kann, bildet somit immer auch eine implizite Leitlinie für gebietsübergreifende Normenkollisionen dergestalt, dass die gesetzgeberischen Zwecksetzungen aller betroffenen Kollisionsnormen darauf zu befragen sind, ob nach den gesetzgeberischen Vorstellungen externe Einflüsse zugelassen werden können und falls ja, innerhalb welcher Grenzen diese denkbar sind. Diese Forderung wird gestützt von den in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannten Grundsätzen der Normenklarheit 258 und Normenwahrheit.259 Als Zwischenfazit sei festgehalten, dass die vor dem Hintergrund zweckgerichteter Gesetzgebung einleuchtende Vorrangstellung teleologischer Erwägungen mit Augenmaß vom Primat subjektiver Herleitung zu allenfalls maßvoll ergänzender objektiver Lückenfüllung reichen sollte. Zur Ergründung einpassungsfähiger Teleologie sind dabei aber auch weitere Auslegungserwägungen heranzuziehen, zu denen im Folgenden noch ein paar Ausführungen geboten sind. Dies bezieht sich allem voran auf die inhaltlichen Bemühungen um teilrechtsgebietsübergreifende Lösungsstrategien und ihre Überzeugungskraft. b) Systematik – Das äußere und innere System Wendet sich der Blick im Rahmen der Auslegung auf das Rechtssystem in seiner Struktur, so wird grundlegend zwischen inneren und äußeren Systemansätzen unterschieden, wobei die Abgrenzung so verläuft, dass alles, was analytisch den Bereich der äußeren Systembetrachtung übersteigt, als innere Systemerwägung zu werten ist.260 Äußere Systeme zeichnen sich durch ihre Darstellungs-, Ordnungs- und Sammelleistung aus. Sie erscheinen im Recht in Form von juristi-

angewandt werden könnten, Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, 52 ff. S.a. Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, S.  22 ff. Dies trifft jedoch für den Bereich nicht geregelter Schnittstellenerwägungen nicht in entsprechender Weise zu, da diese nach der Gesamtbetrachtung ihres Bereichs und des Kollisionsbereichs ggfls. erweitert, zurückgeschnitten oder modifiziert werden müssen, worin sich neuerlich der zentrale Wert der in der vorliegenden Analyse vorgeschlagene Aufbau der Auslegung zeigt. S.a. die Ausführungen von Möllers, ERCL 2018, 101 ff. Zu Grundrechten als Optimierungsgebote Alexy, Theorie der Grundrechte, 3.  Aufl. 1996, 71 ff. 257  In diese Richtung auch Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, S.  170 f. 258  BVerfGE 113, 348, 375 ff. = NJW 2005, 2603; BVerfGE 120, 378, 407 f. = NJW 2008, 1505; BVerfGE 133, 277, 336 = NJW 2013, 1499 Rn.  140. 259  BVerfGE 107, 218, 256 = NVwZ 2003, 1364; BVerfGE 108, 1, 20 = NVwZ 2003, 715. 260 Vgl. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  19, 35; Braun, Einführung in die Rechtswissenschaft, 4.  Aufl. 2011, S.  359.

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scher Begriffs- und Kategorien-/Klassenbildung.261 Innere Systemansätze sind der Versuch, über den erkennbaren äußeren Zusammenhang hinaus Konnexe zwischen Vorschriften, innerhalb von und letztlich auch zwischen Teilrechtsgebieten herauszustellen und hieraus Rückschlüsse für die Norminterpretation zu ziehen.262 Speziell für die vorliegende Analyse von Interesse sind dabei weithin bekannte und überwiegend mangelnd reflektierte, jedoch gleichwohl anerkannte Kollisionsrechtsregeln, deren Darstellung und Kritik nach vorne gezogen werden, um ihren defizitären Gehalt aufzuzeigen. In der Folge kann näher erörtert werden, welche tragfähigen Ansätze aus dem systematischen Ansatz hervorgehen können. aa) Lex superior derogat legi inferiori Die nationale Rechtsordnung weist einen Stufenbau263 aus, dem das EU-Recht als supranationales Recht übergestülpt worden ist.264 Mit Blick auf den normativ anerkannten Anwendungsvorrang des supranationalen Rechts, 265 den Geltungsvorrang266 des Grundgesetzes für das nationale Recht sowie den Aussagegehalt des Art.  31 GG lässt sich – unter Außerachtlassung des sonstigen Völkerrechts, aber unter Einbeziehung der Aussagen des BVerfG zum zwingenden

261  Bydlinski, in: FS Canaris, Bd.  II 2007, S.  1017 f.; Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  73; Schmidt, in: Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung?, 1994, S.  9, 12; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S.  84, 142 f. 262  Eine gute Übersicht zu den zerklüfteten Beschreibungsversuchen innerer Systeme mit sorgfältiger Kategorisierung bietet Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  60 f., 75 ff. 263  Treffend dargestellt von Lepsius, JuS 2018, 950, 951 ff.; näher Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S.  198 ff. S.a. MüKo/Säcker, BGB, 8.  Aufl. 2018, Einleitung Rn.  141 mwN. 264  Grundlegend EuGH 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269: „Dem aus dem Vertrag als einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht können wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.“; 106/77, Slg. 1978, 629 Rn.  17 f. Kritisch Hwang, EuR 2016, 355 ff. 265  Vgl. EuGH Slg. I 1998, 6307 Rn.  21 = NJW 1999, 201: „Das nationale Gericht muss aufgrund seiner Verpflichtung, eine innerstaatliche Regelung, durch die eine gemeinschaftsrechtswidrige Abgabe eingeführt worden ist, unangewendet zu lassen, Anträgen auf Erstattung dieser Abgabe grundsätzlich stattgeben.“ 266 Hierzu Zimmermann, JA 2018, 249 ff. mit Erörterung der Grundlage etwaiger Rechtswidrigkeitsfolgen.

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Schutzniveau auf Unionsrechtsebene267 – folgende Normenpyramide als der Rechtsordnung de lege lata gegebener Stufenbau 268 beschreiben: Auf oberster Ebene stehen die Art.  1, 20, 79 Abs.  3 GG, denen das EU-Recht im Rahmen des Anwendungsvorrangs für spezifische rechtliche Kollisionen folgt,269 welchem wiederum die übrige Verfassung nachgeht, wobei das nationale Recht mit Blick auf den Anwendungs- (nicht Geltungs-) Vorrang lediglich im Rahmen eines zu beseitigenden, nicht aufzulösenden Konflikts zu Gunsten des EU-Rechts gebrochen, nicht jedoch vollständig derogiert wird.270 Die äußere Grenze wird durch die bereits erwähnte Judikatur des BVerfG zum notwendigen Schutzniveau gezogen.271 Das Grundgesetz beansprucht im Stufenbau Geltungsvorrang vor dem übrigen nationalen Recht, 272 welches sich nach vielfach vertretener Auffassung auch über Art.  31 GG als gestuftes273 Bundes- und darunter Landesrecht zeigen 267  Vgl. grundlegend BVerfGE 89, 155 ff. = NJW 1998, 1934 „Das Grundgesetz anerkennt und rechtfertigt in Art.  23 I 1 eine Mitwirkung Deutschlands bei dieser Entwicklung der Europäischen Union. Als das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992 (BGBl.  I, S.  2086) der europäischen Integration in Art.  23 GG eine ausdrückliche Verfassungsgrundlage gegeben hat, stand dem verfassungsändernden Gesetzgeber als nächster Integrationsschritt die Entscheidung für eine Europäische Währungsunion vor Augen (BT-Dr. 12–3338, S.  5). Art.  88 S.  2 GG bringt den Willen des Verfassungsgebers zum Ausdruck, eine Übertragung der Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank auf eine Europäische Zentralbank unter der Voraussetzung zuzulassen, dass die Europäische Zentralbank unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet. Die so verfassungsrechtlich legitimierte Fortbildung der Europäischen Union ist auf eine Entscheidung über den Eintritt in die Währungsunion unter bestimmten Teilnehmerstaaten angelegt.“ und die eingehende Erörterung bei Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, 83. EL 2018, Art.  20 Rn.  270 ff.; BVerfG, NJW 1987, 577 mAnm Vedder NJW 1987, 526. 268 Näher Lepsius, JuS 2018, 950 ff. 269  Vgl. hierzu die verfassungsrechtlichen Anforderungen bei Mitwirken und Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland in der EU, BVerfG, NJW 2009, 2267, 2270 und hierzu Ruffert, DVBl 2009, 1197 ff.; zu beachten sind die Vorgaben von BVerfGE 89, 155, 182 = NJW 1993, 3047. S.a. Maunz/Dürig/Herdegen, GG, 84. EL. 2018, Art.  79 Rn.  96. Ausführlich Dreier, Gilt das Grundgesetz ewig?, 2009. 270  Grundlegend anerkannt seit EuGH Slg. I 1998, 6307 Rn.  21 = NJW 1999, 201. 271  Die Stellung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts nach Art.  25 GG sollen vorliegend nicht thematisiert werden, da diese für die vorliegende Betrachtung keine Relevanz haben. 272 Eingehend Zimmermann, JA 2018, 249 ff. mwN. 273 Das BVerfG sieht Art.   31 GG als wesentliches Element der bundesstaatlichen Ordnung, vgl. BVerfGE 96, 345, 364 = NJW 1998, 1296: „Art.  31 GG regelt als eine grundlegende Vorschrift des Bundesstaatsprinzips die Lösung von Widersprüchen zwischen Bundes- und Landesrecht. Er bestimmt das Rangverhältnis für alle Arten von Rechtssätzen jeder Rangstufe, nicht aber für Einzelfallentscheidungen, auch nicht der Gerichte.“ Dagegen mit präziser Erörterung Bumke, Relative Rechtswidrigkeit, 2004, S.  4 4 f. Bumke weist darauf hin, dass es sich bei Art.  31 GG um eine Kollisionsregel handele, die durchaus auch zu Gunsten der Länder hätte ausfallen können und dass Art.  31 GG kein Verhältnis von Über- und Unterordnung statuiere. S.a. Maunz/Dürig/Korioth, GG, 84. EL. 2018, Art.  31 Rn.  8 ff. mit ebenfalls präziser Kategorisierung.

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soll.274 Innerhalb des Bundes- und Landesrecht beansprucht zudem das formelle Parlamentsrecht Geltungsvorrang vor dem bloß materiellen Gesetzesrecht.275 Eine weitergehende Verfeinerung dieses Bildes ist vorliegend nicht erforderlich, da mit dieser Hierarchisierung zwar ein Ansatz mit Blick auf Normenkollisionen gegeben ist, die auf unterschiedlicher Stufe stehen, jedoch bleibt selbst in diesen Fällen die Auslegungsproblematik, inwieweit die jeweils höherrangige Vorschrift die Niederrangige verdrängen will. Soweit beide Normen kompetenzgerecht erlassen worden sind, bedarf es jeweils eines eigenständigen gebietsspezifischen Auslegungsprocederes – allem voran mit Blick auf die höherrangige Norm –, um Erkenntnisse darüber zu sammeln, ob eine die jeweilige Thematik betreffende abschließende Regelung, eine partielle oder weitergehende Öffnung oder ggfls. sogar eine wechselseitige Modifikation zugelassen werden sollte.276 Besonders deutlich wird dies bei Betrachtung des Vorrangs der Verfassung gegenüber einfachem Recht. Die dort mit den Grundrechten und den Staatsstrukturprinzipien verorteten wesentlichen Grundsätze der nationalen Rechtsordnung sind von einem hohen Abstraktionsgrad gekennzeichnet, was die Bestimmung der Verfassungswidrigkeit einer spezifischen Regelung regelmäßig als Auslegungs- und Wertungsfrage von höchster Komplexität erscheinen lässt, sofern die jeweilige Norm nicht evidente und eklatante Mängel in formeller oder materieller Hinsicht aufweist. Genau betrachtet, ist es somit aber nicht die Hierarchisierung, die letztlich Klarheit bringen soll, sondern es kommt auf das Auslegungsergebnis an. Die Hierarchisierung legt lediglich fest, dass das Auslegungsergebnis des höherrangigen Rechts entscheidet. Zudem kann die lex superior-Regel nicht bei Vorschriften auf derselben Stufe helfen, wo ein Großteil relevanter Kollisionen zu verorten ist, was im Wesentlichen 277 auch den hier betrachteten Schnittstellenbereich zwischen Zivil- und Sozialversicherungsrecht betrifft. 274  Ob es in der Rechtsfolge um Anwendungs- oder Geltungsvorrang mit vollständiger Derogation geht, ist nicht abschließend geklärt. Das BVerfG hat bislang jedenfalls für den Fall kollidierenden Landesverfassungsrechts keine Derogation, sondern Suspension angenommen, BVerfGE 36, 342, 363, 367 = NJW 1974, 1181; BVerfGE 96, 345, 364 = NJW 1998, 1296. 275 Gemeint sind an dieser Stelle die für die vorliegende Analyse nicht bedeutsamen Rechtsverordnungen iSd Art.  80 GG (vgl. zum Anwendungsbereich des Art.  80 GG BeckOK/ Uhle, GG, 38. Ed. 2018, Art.  80 Rn.  1 ff. mwN.) sowie das Satzungsrecht (etwa im Kommunalrecht auf Basis von Art.  28 Abs.  2 GG oder auf Basis einfachgesetzlicher Ermächtigung). Im Stufenbau nennt Lepsius, JuS 2018, 950 f. zurecht als letzte Stufe die exekutivischen Einzelakte, insbesondere Verwaltungsakte auf Basis gesetzlicher Ermächtigung, jedoch handelt es sich im Hinblick auf die abgestufte Gesetzesstruktur eben nicht mehr um abstrakt-generelle Regeln (vgl. §  35 S.  1, 2 VwVfG) und somit nicht um Gesetze. Demgegenüber gesetzesähnlich wirken Tarifverträge auf Basis einer Allgemeinverbindlicherklärung, vgl. BVerfGE 44, 322, 349 = NJW 1977, 2255; BVerfGE 55, 7, 20 = NJW 1981, 215. 276  Deutlich im Rahmen der Erörterung um die landesrechtliche Möglichkeit der Schaffung einer aufdrängenden Sonderzuweisung durch Landesrecht im Hinblick auf §  40 Abs.  1 VwGO, vgl. nur BeckOK/Reimer, VwGO, 46. Ed. 2018, §  40 Rn.  223 ff., 224.1. 277  Ausnahmen bilden relevante Vorschriften des Berufsrechts gemäß den Landesheilbe-

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Die lex superior-Regel ist, soweit ihr nach dem Vorgenannten Relevanz zukommt, als Systemeinheit der Rechtsordnung selbst anerkannt. Es handelt sich um einen der wenigen Ansätze, die sich partiell aus dem Gesetz selbst ergeben (Art.  20 Abs.  3278 , 23 Abs.  1, 30, 31, 70 ff., 80 Abs.  1 GG) und aus dem einfachen Recht (bspw. Art.  55, 56 EGBGB).279 bb) Lex posterior derogat legi priori Der Vorrang des späteren Gesetzes verlangt vom Normanwender durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Regelung, die später als eine hiermit in Norm- oder Wertungswiderspruch rangierende Vorschrift erlassen worden ist, die Aussage enthält, die Ältere zu derogieren.280 Für echte Normwidersprüche erscheint dieser Ansatz hilfreich, da der spätere Gesetzgeber die Möglichkeit haben muss, nach seinen politischen Vorstellungen das Recht umzugestalten 281 und ein echter Normwiderspruch – ob dieser vom Normgeber gesehen worden ist, dürfte zunächst nachrangig sein – sich per definitionem nicht im Rahmen gesetzgeberischer Vorstellungen auflösen lässt. In krassen Fällen ersichtlich nicht erwünschter Abschaffung der möglicherweise zunächst übersehenen und dementsprechend nicht aufgehobenen Kollisionsvorschrift kann aber sogar dieses Ergebnis in Frage gestellt werden. Im Fall von Wertungswidersprüchen erscheint die lex posterior-Regel jedoch kaum noch hilfreich. Der Umstand, dass ein mehr oder weniger gewichtiger Wertungswiderspruch zu einem früheren, nicht zugleich aufgehobenen Gesetz erkannt wird, führt nicht zu der gesicherten Erkenntnis, dass diese Widersprüchlichkeit in Form vollständiger Verdrängung aufzulösen wäre, solange dies nicht aus dem gesetzgeberischen Willen des späteren Normgebers hervorgeht.282 Tatsächlich kommt es auch hier erkennbar auf das Auslegungsergebnis

rufsgesetzen und den Berufsordnungen als Kammergesetzen sowie den Landeskrankenhausgesetzen. 278  Vgl. BVerfG, NJW 2016, 1296, 1298 Rn.  5 4: „Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Unterschied zu Exekutive und Judikative gem. Art.  20 III GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, nicht jedoch an einfachrechtliche Regelungen gebunden ist. Diese soll er – innerhalb der verfassungsrechtlichen Bindungen – durchaus ändern und neugestalten können. Für ihn sollen daher gerade keine einfachgesetzlichen Bindungen bestehen.“. 279  Vgl. im Übrigen Barczak, JuS 2015, 969 ff. 280 Hierzu Vranes, ZaöRV 2005, 391 ff. mwN. 281  „Demokratie ist Herrschaft auf Zeit“, BVerfG, NJW 2016, 1296, 1298 Rn.  53 mVa. Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000, S.  174; Rust, Die Hinzurechnungsbesteuerung, 2007, S.  108; Rust/Reimer, IStR 2005, 843, 847. 282  Statt vieler Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, S.  298, der nüchtern feststellt, dass sich vielfach per Auslegung ein Ergebnis finden lassen dürfte. Sollte dies nicht gelingen, verweist Reimer auf Konkordanzbemühungen entsprechend verfassungsrechtlicher Erwägungen. Dies entspricht weithin dem hier verfolgten Ansatz inhaltlichen Umgangs mit Normenkollisionen.

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der später erlassenen Vorschrift an.283 Analog zu den Feststellungen der Hierarchisierung hilft die lex posterior-Regel letztlich nur bei der Frage, welchem Auslegungsergebnis der Vorrang einzuräumen ist, sofern nach Analyse der jüngeren Vorschrift eine spezifische Conclusio mit Blick auf die gebotene Entfaltung dort inkorporierter Wertungen angenommen werden kann. Ist dies nicht der Fall und wird auch die ältere Vorschrift in ihrem Kontext und ihrer Teleologie nicht als überholt erkannt, so erweist sich die lex posterior-Regel weniger als nützliche Kollisionserwägung, denn vielmehr als gefährliches Instrument voreiliger Schlussfolgerungen. Die vorgenannten Bedenken werden, soweit ersichtlich, von der Judikatur nicht geteilt. Das BVerfG geht ohne vertiefte Erörterung davon aus, dass der lex posterior-Grundsatz nach der Maxime in der Rechtsordnung anzuwenden sei, dass „[f]ür ranggleiches innerstaatliches Recht (…) im Fall der Kollision der Grundsatz lex posterior derogat legi priori [gelte], es sei denn, die ältere Regelung [sei] spezieller als die jüngere oder die Geltung des lex posterior-Grundsatzes [werde] abbedungen.“284 Somit kann von einer dem Rechtssystem immanenten Regel kraft judikativer Anerkennung ausgegangen werden, die bei näherer Betrachtung jedoch nur sehr selten einen eigenständigen Anwendungsbereich hat. Da ihre Bedeutung nach den obigen Erwägungen letztlich für die komplexen wertungstechnischen Erwägungen im Bereich rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen verschwindend gering ist, wird der Debatte um diesen Ansatz nicht weiter nachgegangen.285 cc) Lex specialis derogat legi generali Der Vorrang des spezielleren Gesetzes zielt auf all jene Fälle, in denen am Ende einer Auslegung eine Vorschrift als allgemeiner hinter einer anderen zurücktreten soll.286 Diese Fälle sind weithin eindeutig, wenn etwa das strafrechtliche Beispiel von Grundtatbestand und Qualifikation nach den §§  223 und 224 StGB bemüht wird.287 In derartigen Fällen ist die allgemeine Vorschrift mit allen Tatbestandsmerkmalen stets auch dann erfüllt, wenn die Speziellere eingreift, nur 283  Kramer, Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  113 f. weist zudem darauf hin, dass eine Auslegung, nach der eine Vorschrift eine andere, nicht durch den Gesetzgeber aktiv aufgehobene Norm nach Möglichkeit nicht derogieren sollte. Kramer postuliert insofern eine Art Schonungsgebot der im Gesetz fortbestehenden Regelungen. Hierbei beruft er sich auf Bydlinskis Aussage, wonach es höchst unwahrscheinlich sei, dass jemand unanwendbare oder sonst zwecklose Vorschriften erlassen wolle, Bydlinski, Grundzüge der juristischen Methodenlehre, 2.  Aufl. 2011, Rn.  4 44. 284  BVerfG, NJW 2016, 1295, 1298 Rn.  50. 285  Vertieftere Bedeutung misst Hummel, IStR 2005, 35 ff. den Kollisionsregeln bei, s. a. ders., IStR 2016, 335. Diese Erwägungen führen vorliegend nicht weiter und werden deshalb keiner gesonderten Erörterung zugeführt. 286 Vgl. Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  116 ff. mwN. 287  AllgM., s. nur MüKo/Hardtung, StGB, 3.  Aufl. 2017, §  2 24 Rn.  1.

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dass diese wenigstens ein weiteres erfülltes Merkmal verlangt. Für dermaßen klare, vom Gesetzgeber vorgesehene Abstufungsfälle bedarf es allerdings keiner näher zu diskutierenden Kollisionsrechtsregel, da jeder andere Umgang statt der vollständigen Verdrängung in klarem Widerspruch zum Willen des Normgebers steht.288 Demgegenüber liegt die kritische Fragestellung sonstiger Fälle allgemeiner und besonderer Regelungen darin verborgen, dass es gerade unsicher erscheint, ob zwei Vorschriften in diesem Verhältnis zueinander stehen.289 Insbesondere für den vorliegend interessierenden Bereich teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen ist dies regelmäßig nicht erkennbar, da die Vorschriften keinen aufeinander bezogenen Zuschnitt aufweisen, der die eine oder andere als spezieller auswiese. Man mag diesen Grundsatz daher generell am Ende erfolgter Auslegung aller auf Kollisionskurs rangierender Vorschriften heranziehen, sollte sich einmal das Ergebnis einer spezielleren Vorschrift einstellen. Echter Erkenntniswert im Rahmen des problematischen Parts des Auslegungsprocederes und der sachgerechten Bewertung der Verschränkung von Teilrechtsgebieten geht hiermit nicht einher. Soweit das Gesetz selbst wie im genannten Strafrechtsbeispiel und vergleichbaren Fällen Vorschriften konstruiert hat, die vollständig in anderen Normen aufgehen, welche wenigstens einen Zusatz verlangen, ist der lex specialis-Grundsatz als gesetzlich vorgegebener Teil der Rechtsordnung erkennbar. Ob derselbe darüber hinaus als Rechtssatz gesehen werden kann, erscheint fraglich. Zwar wird der Vorrang des spezielleren Gesetzes verschiedentlich von der Rechtsprechung aufgegriffen, jedoch führen die inhaltlichen Diskussionen – so diese im Einzelfall stattfinden – stets den Kampf um die Frage, ob sich ein Spezialitätsverhältnis erkennen lässt.290 Die Konsequenzen der Spezialität sind daher als – allerdings sehr stabiler – Satz der Wissenschaft und dort als Element zwingender Logik eingestuft worden.291 dd) Aussagegehalt des äußeren Systems der Rechtsordnung bei der systematischen Interpretation Nach den vorab besprochenen, von erheblicher Übereilungsgefahr geprägten Kollisionsregeln, die das Problem rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen weder im Fall von Wertungswidersprüchen noch mit Blick auf andere, nicht 288 Zusätzliche Überlegungen stellt Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.   Aufl. 2016, S.  118 f. mVa. Merz, in FS Guhl, 1950, S.  94 ff. an und erörtert die Möglichkeit der Alternativität, die jedenfalls für die Situationen ungünstigerer Rechtsfolgen der engeren (spezielleren) Regelung nicht möglich sei. 289  Mit geschärftem Blick Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  117 mwN. 290  Eine besonders plastische Streitigkeit rankt sich um die Selbstvornahme im Kaufrecht mit Blick auf die (analoge) Anwendung des §§  326 Abs.  2 S.  2, Abs.  4, 346 Abs.  1 BGB oder anderer denkbarer Anspruchsgrundlagen des Käufers, vgl. ausführlich BeckOGK/Höpfner, BGB, 2018, §  437 Rn.  97 ff. mwN. 291 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S.  267.

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wechselseitig hemmende, aber gleichwohl relevante Einflusslagen lösen können, lohnt der Blick auf das äußere System der Rechtsordnung.292 Hierunter ist jede Kategorisierung und Darstellung gefasst, die an Hand abstrakter juristischer Begriffsbildung Rechtssätze zusammenfasst und diese innerhalb der gebildeten Klasse oder mit Blick auf andere Klassen in eine Struktur bringt.293 Dazu gehört auch der oben beschriebene Stufenbau der Rechtsordnung, jedoch erfüllt dieser zunächst nur die dort beschriebene Hierarchisierungsaufgabe, die allem voran im Hinblick auf Normen derselben Hierarchieebene keine Hilfestellung beim Gesetzesverständnis bietet. Der Blick auf das äußere System gewährt aber in der nationalen Rechtsordnung erste Systematisierungs- und Analysemöglichkeiten, die das Normverständnis im Bereich rechtsgebietsübergreifender Kollisionen zu stützen geeignet sind.294 Es muss allerdings vorausgeschickt werden, dass diese Ansätze nicht mehr als einen ersten Eindruck und ein Indiz unter vielen auf der Suche nach dem Gesetzeszweck und der konkreten Normanwendung begründen können.295 i. Darstellungs- und Vermittlungsfunktion:296 Der Gesetzgeber hat mit dem letzten Endes erlassenen Gesetzeswerk eine bestimmte Darstellung als Ordnungsstruktur gewählt. Die Art und Weise der Darstellung bildet die Einkleidung der Kommunikation in Richtung aller Rechtsanwender und Rechtsunterworfenen. So wird bspw. vielfach auf Verständlichkeit für den juristischen Laien verzichtet, um ein spezifisches Ziel im Bereich der Explikation zu erreichen. Dieses Ziel mag bei näherer Betrachtung dann etwa in einer gewünschten Präzision/Konkretisierung (vgl. §  136a SGB V für Qualitätssicherungsrichtlinienermächtigungen in ausgewählten Bereichen), in einer Ausformungsdelegation an die Judikative mit der denkbaren Möglichkeit einzelfallspezifischer Korrektur (vgl. §§  138 Abs.  1, 254 Abs.  1, 276 Abs.  2, 630a Abs.  2 BGB) oder in anderen Erwägungen liegen. Die denkbaren Ansätze und hierzu passenden Beispiele sind Legion. ii. Strukturbildungs- und Ordnungsfunktion:297 Die im Gesetz ersichtliche Klassifizierung bietet dem Betrachter eine Ansicht juristischer Begriffsbildung im Hinblick auf Gattungen und Bezugspunkte.298 Schlicht formuliert, ordnet 292  Zur grundsätzlichen Beschreibung äußerer Systeme Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  49 ff. mwN. 293 Anschaulich für das schweizerische Privatrecht Kramer, Juristische Methodenlehre, 5.  Aufl. 2016, S.  98 ff. 294  Zum äußeren System als Auslegungsansatz Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S.  70 f. 295 Ebenso Höpfner, Die systemkonforme Auslegung, 2008, S.  85. 296 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 4.  Aufl. 2018, S.  438 f. 297  Verdeutlicht bei Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.  Aufl. 2018, S.  456 f. 298 Hierzu Hilbert, Systemdenken in Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtswissenschaft, 2015, S.  50 ff.

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der Gesetzgeber die Vertragstypen unter der Gattung Verträge ein, stellt diesen Regelungen das Konzept der Willenserklärung voran und ordnet das Ganze unter dem Konstrukt rechtsgeschäftlicher Verhaltensweisen und Fähigkeit zu denselben ein. Es entsteht im bürgerlichen Recht zwangsläufig zur Vermeidung von Wiederholungen und gemeinsamen Verständnismöglichkeiten ein System aus allgemeinem und besonderem Recht. Selbstverständlich ist gerade die Kategorienbildung im Bereich teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen mit Vorsicht einzuflechten, sofern der Gesetzgeber dies nicht selbst veranlasst hat (vgl. §§  69 Abs.  1 S.  3 und 76 Abs.  4 SGB V). Unterschiedliche Rechtsgebiete können selbst bei identischer Bezeichnung oder vergleichbarem Aufbau in ihrer Kategorienbildung signifikante Unterschiede aufweisen, wie der Streit um den Arbeitnehmerbegriff belegt.299

4. Weitergehende Vorschläge zum Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen Die Diskussion um den Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen ist auch über die klassischen Auslegungsvorschläge und eingeführten Kollisionsregeln hinaus darum bemüht, methodische Ansätze zur Problemlösung zu entwickeln. Hierzu ist bereits die oben vorgezogene Erörterung um den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu rechnen,300 welcher aufgrund seines vermeintlichen Universalanspruchs an den Beginn der Erörterung ­gestellt worden ist. Bezeichnenderweise basieren die weiteren Bemühungen nahezu durchweg auf der eingeführten Unterscheidung von öffentlichem und Privat­recht, da überwiegend in dieser Differenzierung die wesentlichen Antagonien vermutet werden.301 Die wechselseitige Beeinflussung wird jedoch maßgeblich von – rechtswissenschaftssoziologisch betrachtet – Seiten der Wissen299  Als Exempel sei auf die Herausnahme des GmbH-Geschäftsführers aus dem Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der §§  611a ff. BGB, 5 Abs.  1 S.  3 ArbGG verwiesen (zur früheren Rechtslage BGH, NJW-RR 1990, 349: „Denn ebenso wie schon die Verordnung über die Behandlung von Erfindungen von Gefolgschaftmitgliedern (…) geht auch das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (…) vom arbeitsrechtlichen Begriff des Arbeitnehmers aus. Es findet auf Erfindungen eines Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung weder unmittelbar noch im Wege einer erweiterten Auslegung Anwendung, weil der Geschäftsführer die Gesellschaft gesetzlich vertritt und infolgedessen nicht zu den sozial abhängigen Arbeitnehmern zählt (…)“; NJW 1968, 396, die bis heute h. M. ist, vgl. BeckOK/Wisskirchen/ Kuhn, GmbHG, 36. Ed. 2018, §  6 Rn.  70 mwN.), während das BSG für die sozialversicherungsrechtliche Kategorisierung Abweichungen für zulässig erachtet, vgl. BSG, NJW 2018, 2662 Rn.  16 ff., 18 mwN „Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (…) Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH.“ 300  S. o. §  3 I. 2. b) bb) (1) (a). 301  Plastisch zur generellen Gegenüberstellung Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht in Geschichte und Gegenwart, in: FS Rittner, 1991, S.  69 ff.

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schaftler, die ihre akademischen Wurzeln im öffentlichen Recht haben, erörtert und so offenbart auch ein näherer Blick auf die dabei geschaffenen Theoriegebäude, dass öffentlich-rechtlichen Einflüssen eine gewisse Vorrangwirkung zuzukommen scheint,302 für die es jedenfalls nach verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen ersichtlichen Grund gibt.303 Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass die vorgebrachten Überlegungen, die maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – wissenschaftlichen Systemen zuzuordnen sind, gedanklich weiterführend sind und Berücksichtigung finden müssen. Nach hier vertretener Ansicht – wie auch sogleich im Rahmen näherer Betrachtung begründet wird – ist jedoch der Anwendungsbereich solcher Metaansätze stets nur in eingeschränktem Maße hilfreich, da einheitliche Metanormen für alle Formen teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen im Zweifel nicht gefunden werden können und es je nach Gegenstand und Umfang der Kollisionslage unterschiedlicher Mechanismen bedarf, um dem zentralen Auslegungsansatz e­ iner jeden Rechtsnorm letztlich gerecht zu werden: Der Optimierung des gesetzgeberischen Willens unter maßvoller Ergänzung durch zurückhaltende, stets an der subjektiven Teleologie orientierte objektiv-teleologische Erwägung. a) Wechselseitige Auffangordnungen Einen interessanten Ansatz verfolgen die Vertreter der Idee wechselseitiger Auffangordnungen,304 welche die beiden großen Teilrechtsordnungen (Zivilund öffentliches Recht) von ihrer Funktionalität her begreifen, ihre unterschiedlichen Instrumente erkennen und darauf basierend den potentiellen wechselseitigen Nutzen 305 durch gegenseitige qualitative Aufwertung heben wollen.306 Öffentliches und Privatrecht treten nach diesem Ansatz grundsätzlich erst einmal unbehelligt nebeneinander auf und werden im Rahmen entstehender Lücken oder ungelöster Problemlagen durch Anleihen oder Verweise von der jeweils anderen Teilrechtsordnung ergänzt.307 Der Gesetzgeber selbst hat dieses Modell an ein paar Stellen in der Rechtsordnung gewählt, wie etwa 302 Vgl. Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  257 ff.; ders., Ad Legendum 2015, 340 ff. mwN. 303 Hierzu Zacher, Aufgaben und Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Scheuner (Hrsg.), Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S.  549 ff., 590 f.; Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  13 ff. 304 Grundlegend Hoffmann-Riem, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.   261  ff. und Schmidt-Aßmann, in: dies. (Hrsg.), S.  8 ff. 305 Vgl. Kirchner, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  63 ff. und Hoffmann-Riem, in: dies. (Hrsg.), S.  261 ff. 306 Vgl. Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), 590, 624. 307 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  7, 12 f., 25 ff.

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§§  62 S.  2 VwVfG, 69 Abs.  1 S.  3 SGB V und 61 S.  2 SGB X belegen. Gleichermaßen können solche Erwägungen in ungeregelten Bereichen fruchtbar sein, wenn es etwa um die Statuierung eines besonderen verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses analog §  280 BGB308 im öffentlichen Recht geht. Schmidt-Aßmann unterscheidet zwischen vier Verbindungsarten: Systemgedanken 309, Normenverbindungen 310 , Rechtmäßigkeitsbedingungen 311 und wechselseitige Nutzung von eingeführten Instrumenten 312 .313 Diese Ergänzungsidee trifft zunächst keine unmittelbare Aussage über im Einzelfall denkbare Vorrangverhältnisse und eröffnet gezielt den Weg in eine parzellierte Rechtsordnung, die aufgrund der Vielgestaltigkeit und Komplexität zu regulierender Lebenssachverhalte die Feinsteuerung dort belässt, wo ihre Regulierung nach dem äußeren System der Rechtsordnung diese allokiert und vorrangig innere Systemansätze berücksichtigt, die nach der Verfolgung des gesetzgeberischen Willens erkennbar hervortreten.314 Allerdings bietet dieser Ansatz auch nur ein theoretisches Gerüst für den Fall, dass bei erkannten Normenkollisionen auffüllungsfähige Lücken verbleiben. Wann jedoch eine solche wechselseitige Auffüllung zulässig ist und nach welchen Maximen sie erfolgen kann, wird hierdurch nicht geklärt. Dies kann wie im Fall der §§  69 Abs.  1 S.  3 SGB V, 61 S.  2 SGB X und 62 S.  2 VwVfG durch den Gesetzgeber selbst angeordnet werden, jedoch sind diese Fälle im Vergleich zur Gesamtzahl denkbarer teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen selten. Und selbst die genannten Fälle gesetzlicher Normierung der Ergänzung bedürfen mit Blick auf Gegenstand und Umfang einbeziehungsfähiger privatrechtlicher Institute der näheren Befassung mit dem Recht des öffentlich-rechtlichen Vertrages und dessen Teleologie sowie etwaiger Besonderheiten wie dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Grundrechtsbindung wenigstens einer Vertragspartei. Pars pro toto möge dies durch einen näheren Blick auf §  69 Abs.  1 S.  3 SGB V erhellt werden. Diese Vorschrift ordnet die ergänzende Anwendbarkeit des bürgerlichen Rechts an, stellt dies jedoch unter den Vorbehalt spezieller Vorgaben des §  70 SGB V sowie sonstiger Erwägungen des Kapitels. Daraus sowie im 308 Fallgruppen und Nachweise bei MüKo/Papier/Shirvani, BGB, 7.   Aufl. 2017, §  839 Rn.  76. 309  Gezielt übergreifende Systemerwägungen wie etwa das Kartell-, das Energievertragsund das Datenschutzrecht. 310  Spezielle Anordnungen im Gesetz wie §  62 S.  2 VwVfG. 311  Allem voran gebietsübergreifende Tatbestandsbestimmungen, so die Eigentümerstellung im Recht der Zustandsstörerhaftung. 312 Die Nutzung des bürgerlich-rechtlichen Vertragsregimes im öffentlichen Recht, so Einwendungen und Einreden, Vertragsmodalitäten etc. 313  Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  7, 9 f. 314 Hierzu Damm, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  86 ff.

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Hinblick auf §  37 SGB I und einer Gesamtschau der §§  69 ff. SGB V folgt nach überwiegender Ansicht eine doppelte Spezialität.315 Die §§  69 ff. SGB V werden als leges speciales zu den §§  53 ff. SGB X 316 und als leges speciales zu den Vorschriften des BGB angesehen.317 Gleichwohl sieht der Gesetzgeber in den §§  69 ff. SGB V Lücken, die gezielt insbesondere durch das BGB und dessen Instrumentarium geschlossen werden sollen. Der Vorzug dieser Regelungstechnik ist vor dem Hintergrund der oben erörterten Bedeutsamkeit subjektiver Teleologie die Möglichkeit des Rechtsanwenders, feinsinnig anhand der Spezialregelungen den Extrapolationsversuch zu unternehmen, das gesetzgeberisch gewollte Auffüllungsmoment im Sinne wechselseitiger Auffangordnungen zu erkennen und diesem zur Durchsetzung zu verhelfen. Der Gesetzgeber hat insoweit wenigstens Ansätze belastbarer Schnittstellenaussagen für die Rechtsfindung im Einzelfall formuliert. Dennoch kann selbst in einem solchen Bereich nicht von eindeutig im Gesetz angelegten Ergebnissen gesprochen werden. Vielmehr muss auch hier qua sorgfältiger Auslegung detailliert ermittelt werden, wie weit die Schnittstellenaussage des Gesetzgebers reicht und welche rechtlichen Instrumente des bürgerlichen Rechts im Leistungserbringerrecht des SGB V sinnvoll eingepasst werden können. Und so erachtet es das BSG über den Gesetzestext hinaus für zutreffend, die Verweisung in §  69 Abs.  1 S.  3 SGB  V restriktiv zu verstehen und nur dann zum Zuge kommen zu lassen, wenn sich weder auf Basis einer Durchschau des gesamten SGB V einschließlich ungeschriebener sozialversicherungsrechtlicher Prinzipien blockierende Erwägungen finden 318 noch sich Widersprüche bürgerlich-rechtlicher Regelungen im Hinblick auf das besondere Verhältnis von Krankenkassen und Leistungserbringern ergeben.319 Dieses judikative Herangehen und die entsprechende methodische Diskussion 320 legen Zeugnis davon ab, dass selbst bei gesetzlicher Vorgabe des Prinzips wechselseitiger Auffangordnungen eine erhebliche Unsicherheit über Zulässigkeit, Gegenstand und Reichweite der Kollisionslage und -auflösung bestehen bleibt.321 315 Becker/Kingreen/Becker/Kingreen,

SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  69 Rn.  39 ff. mwN. Boerner, SGb 2000, 389, 392; Papst, SGb 2002, 475, 477. 317 KassKomm/Krasney, SGB V, 100. EL 2018, §  69 Rn.  19 mwN. 318  BSG, MedR 2006, 43. 319  BSGE 99, 208 = BeckRS 2008, 53023. 320  Eine Liste der zahlreichen Judikate mit entsprechenden Hinweisen auf Gegenstimmen bietet KassKomm/Krasney, SGB V, 100. EL 2018, §  69 Rn.  20 ff. 321  Selbstverständlich haben die Vertreter der Theorie wechselseitiger Auffangordnungen auch ehebliche Bemühungen um die Schnittstellenlösung selbst ins Werk gesetzt. So weist Schmidt-Aßmann darauf hin, dass zentrale Begründungslinien für einen Rückgriff auf die jeweils andere Teilrechtsordnung darin liegen können, dass die Lösung allein im öffentlichen oder allein im Privatrecht mit übermäßigem und durch wechselseitiges Stützen vermeidbaren Aufwand als ineffizient erkannt wird oder wenn es um die Sicherung rechtlicher Vorgaben geht, die nur durch Nutzung beider Teilrechtsordnungen erreicht werden kann, vgl. Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches und Privat316 Hierzu

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Die Theorie wechselseitiger Auffangordnungen wird mit Blick auf die genannten Kritikpunkte bei den Sachdebatten der Kollision von Regelungen des Sozialversicherungsrechts nach SGB V und dem privatrechtlichen Arztrecht nach den §§  630a ff. BGB daher nur insoweit Nutzen zur Erkenntnis stiften können, als es um wechselseitige Regelungsergänzung im Fall erkannter Zulässigkeit wechselseitiger Einwirkung geht (Stufe 3).322 Bei der zentralen Grundsatzfrage des Umgangs mit einer erkannten Kollision wird diese Theorie jedoch wenig Hilfestellung bieten können. Soweit dieser Theorieansatz aber herangezogen wird, ist außerhalb gesetzlicher Anordnungen stets von einer Zuordnung zu wissenschaftlichen Systemen auszugehen, da die Rechtsordnung an keiner Stelle – bis eben auf die wenigen genannten Anordnungen – nirgends eine Aussage aufstellt, wie sich bestimmte Teilrechtsgebiete zueinander verhalten, insbesondere nicht, wie generell öffentliches und Privatrecht zueinander stehen. Von einer Inkorporation in das Rechtssystem kraft judikativer Rechtserzeugung kann keine Rede sein. b) Formelle und materielle Normrelationen – Konsistenz und Kohärenz als Leitmotive der Auslegung Ein Grundsatzmodell für das Aufeinandertreffen von öffentlichem und Privatrecht sucht Emmenegger unter der Differenzierung von formellen und materiellen Normrelationen zu entwickeln.323 Dabei wird unter dem Stichwort der formellen Normrelation eine Sammlung aller Ansätze verstanden, wie Rechtsnormen mit Geltungsanspruch einander gegenübertreten können (Rechtsfolgenwiderspruch, Rechtsfolgendivergenz, Rechtsfolgenidentität), um sodann darauf hinzuweisen, dass eine einseitige Derogation ausschließlich im Fall des echten Normwiderspruchs (bei Emmenegger „Rechtsfolgenwiderspruch“) geboten sei, während es im Übrigen die Möglichkeiten der Kumulation, Alternativität und Neutralisierung gebe.324 Emmenegger selbst weist darauf hin, dass hiermit allerdings nur eine grundsätzliche Systematisierungsaufgabe erfüllt wird, da es bei der formellen Normrelation nur darum gehe, ob eine Vorschrift für eine Fallkonstellation zum Einsatz kommen und sich mit einer anderen überschneiden könne, während erst die materielle Normrelation die Frage des „Wie“ der wechselseitigen Einflussnahme behandele.325 Als zentrale technische Prinzipien werden eine Geltungsvermutung zu Gunsten der „anderen“ – also der von außen potentiell einwirkenden – und eine Widerspruchsmöglichkeit der recht als wechselseitige Auffangordnungen, 1995, S.  7, 12 (s. a. S.  16 f., 18 ff., 23 ff.). Diese Gedanken sind der Auffangdogmatik jedoch sämtlichst vorgelagert. Nur die grundsätzliche Idee des wechselseitigen Rückgriffs als Regelungsoption muss bereits a priori einbezogen werden. 322  S. o. §  1 IV. 323  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  87 ff. 324  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  94 ff. 325  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  102.

II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons

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betroffenen Teilrechtsordnung formuliert. Dieser Zweischritt wird sodann auf die abstrakt gedachten Fälle der Begriffsparallelisierung, der Regelungsparallelisierung, der Verweisungstechnik und auf die gesetzlichen Generalklauseln angewendet.326 Konsequent hält Emmenegger fest, dass Begriffe identisch und Regelungen denselben materiellen Inhalt haben können, dass jedoch stets vor gleichgerichteter Anwendung der Vorbehalt der Systemkompatibilität in der letztlich betroffenen Teilrechtsordnung zu prüfen sei. Für die Verweisungstechnik als drittem Verbindungsgeflecht wird zudem darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit jeder Verweisung die aktive normative Inkorporation der Vorschriften einer Teilrechtsordnung in eine andere vornehme, was zur Veränderung und damit subsidiären Anpassung der Rechtsnatur der übertragenen Normen führe. Dennoch bleibe der Regelungsinhalt des übertragenen Anteils der Teilrechtsordnung seiner Herkunft verpflichtet und sei grundsätzlich nur wegen der gesetzgeberischen Vermutung adäquater Problemlösung herangezogen.327 Den Fall der Generalklauselausfüllung sieht Emmenegger schließlich unter dem Vorbehalt eines besonderen Näheverhältnisses von „Generalklauselordnung“ und „Konkretisierungsordnung“.328 Parameter für das Vorliegen einer solchen besonderen Nähe werden jedoch nicht genannt. Schließlich rundet Emmenegger ihren Systematisierungsvorschlag mit dem Hinweis auf die stets erforderliche Einbeziehung der Rationalitätskriterien der Kohärenz und Konsistenz ab. Unter Berufung auf die Aussage des schweizerischen Bundesgerichts – „[D]em Gesetzgeber [ist] das Streben nach Folgerichtigkeit und nach Vermeidung von Widersprüchen zu unterstellen“329 – wird eine schlüssige Abstimmung kollidierender Teilrechtsordnungen auf der konkreten Normenkollisionsebene verlangt, die koordinativ danach auszurichten sei, dass teilrechtsfremde Lösungserwägungen einbezogen, jedoch zugleich dysfunktionale Blockaden zu vermeiden sein sollen.330 Es muss kritisch angemerkt werden, dass mit der formellen Normrelation nichts Neues eingebracht, sondern nur entsprechend der schon bislang nicht bezweifelbaren Notwendigkeit, die verschiedenen Kollisionsmomente zu kategorisieren und in merkmalsbezogene Gruppen einzuteilen, eine Grundordnung hergestellt wird. Aber auch inhaltlich erscheint es im Rahmen der Behandlung konkreter Normenkollisionen schwierig, einen durchschlagenden Mehrwert auf Basis der eingebrachten Erwägungen zu erkennen. Obgleich Emmenegger selbst erkennt, dass die Vielfalt unterschiedlicher Normgeber vom Grundsatz

326 

Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  102 ff. Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  109. 328  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  112. 329  BGE 120 II 112 (114), zitiert nach Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  114 Fn.  437. 330  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  114 f. 327 

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der Einheit der Rechtsordnung wegführen muss,331 scheint derselbe im Rahmen ihrer Kohärenz- und Konsistenzansprüche eine nicht unerhebliche Renaissance zu erleben.332 Dabei sei Emmenegger darin zugestimmt, dass dem Gesetzgeber partiell in die Richtung der Formulierung des schweizerischen Bundesgerichts auch in Deutschland etwas daran liegen sollte, ein in sich stimmiges System zu verfolgen, wobei schon vorab darauf hingewiesen worden ist, dass es sich nur um ein Auslegungskriterium unter vielen, nicht um ein vorrangig zu berücksichtigendes Prinzip handeln darf.333 Gleichermaßen erkennt Emmenegger aber selbst an, dass solche Erwägungen stets unter dem Vorbehalt der teilrechtsspezifischen Systemkompatibilität stehen müssen. Dann jedoch stellt sich die Frage, warum sie explizit für ihre Theorie in Anspruch nimmt, einen anderen Ansatz als die Anwendung des klassischen methodischen Vorgehens gewählt zu haben.334 Genau betrachtet, wird Emmenegger gerade auf diesen für jegliche Frage der Systemkompatibilität wie auch jeglicher Form von Einpassung bei den materiellen Normrelationen zurückgreifen müssen, so dass derselbe im Zentrum jeder judikativen Entscheidungsfindung steht. Mit ihren Grundsätzen zu materiellen Normrelationen nimmt Emmenegger letztlich also die auch von ihr entsprechend zitierten Grundsätze wechselseitiger Auffangordnungen auf und versucht diesen Prinzipien zur Seite zu stellen, die jedoch nach hier vertretener Auffassung über das erforderliche Auslegungsprocedere hinaus keinen tragenden Erkenntniswert mit sich bringen. c) Die Delegationstheorie335 des Bundesarbeitsgerichts als Erkenntnisquelle? In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung hat sich für die Frage der normativen Geltung von Tarifverträgen, gestützt auf §  4 Abs.  1 TVG, und Betriebsvereinbarungen, gestützt auf §   77 Abs.   4 S.   1 BetrVG, die Delegationstheorie durchgesetzt.336 Diese ist mithin kein originärer Ansatz rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen, sondern eine Begründungslinie für die rechtliche Befolgungspflicht des Tarif- oder Betriebsvereinbarungsgebundenen. Es handelt sich dementsprechend um eine normative Ermächtigungs- und Anerken-

331 

Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  27 f. Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  102 ff. 333  S. o. §  3 I. b) bb) (1) und (2). 334  Emmenegger, Bankorganisationsrecht als Koordinationsaufgabe, 2004, S.  87. 335  Vgl. BAGE 1, 258, 262 = NJW 1955, 684: „Die normative Wirkung der Regeln des Tarifvertrages geht also letztlich doch auf hoheitliche Gewalt zurück. Ist diese an die Verfassung gebunden, so muss das gleiche für diejenigen gelten, die auf Grund staatlicher Delegation Rechtssetzungsbefugnisse haben.“; BAGE 4, 240, 252 = NJW 1957, 1376. 336  Eine Übersicht zu den Kritikern bietet Axer, Normsetzung in der Exekutive, 2000, S.  50 Fn.  172. 332 

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nungsaussage in Richtung der vertragschließenden Parteien für einen gesetzlich vorgesehenen umgrenzten Bereich.337 Gleichwohl schimmert auf den ersten Blick eine diskussionswürdige Aussage für den Umgang mit Normenkollisionen durch. Würde die Delegationserwägung im Kollisionsfall auf das modifizierende oder eine andere Vorschrift blockierende Gesetz angewendet, so wäre vom Inhalt der damit als delegationsgleicher Norm erkannten Vorschrift zu fordern, dass diese ihrer Teleologie entsprechend die Kollision und deren Ergebnis regeln sollte und dabei einen klar erkennbaren Rahmen vorgeben könnte. Eine bloß zufällige oder unerkannte Betroffenheit würde gerade nicht hinreichen. Der Delegationsthese wohnte damit eine ähnliche Aussage wie dem Ansatz wechselseitiger Auffangordnungen inne, jedoch wäre die Delegationsthese schärfer, da im überwiegenden Teil aller Kollisionsfälle außerhalb unerträglicher Norm- und Wertungswidersprüche ohne klar erkennbaren teilrechtsgebietsübergreifenden Bezug eine Einflussnahme der delegationsgleichen Norm generell ausschiede. Eine solche Ausdehnung der Delegationsidee als allgemeingültiges Postulat lässt sich der Rechtsordnung nicht entnehmen. Auch ist es nach hier vertretener Auffassung nicht haltbar, ein solches Postulat ungeachtet sonstiger bereichsspezifischer und kollisionsspezifischer Erwägungen anzubringen und damit präjudiziell den Blick zu verengen. Sofern ein vorab erfolgtes Interpretationsprocedere dies aber zulässt oder ausschließt, ist die Analyse bereits erfolgt, so dass auch diesem Ansatz ohne bereichsspezifische Vorgabe des Gesetzgebers kein Eigenwert für die Auflösung der Kollisionsfrage zukommen kann. d) Die Doppelnormtheorie Eine weitere Überlegung einer Schnittstellendogmatik bildet die Doppelnormtheorie. Diese im Bereich öffentlich-rechtlicher Vorschriften entwickelte Figur beinhaltet die Aussage, Vorschriften sowohl öffentlich- als auch privatrechtlichen Charakter beizumessen, um der Wertung Ausdruck zu verleihen, dass eine Vorschrift beide prägenden Charakteristika in sich aufgenommen haben soll.338 Die Konsequenz wäre insbesondere, dass als solche erkannte Normen einerseits unmittelbar im privaten Rechtsverhältnis, etwa im Vertragsverhältnis gleich einer privatautonom eingefügten Klausel oder im Wege der Vertragsauslegung Anwendung fänden,339 340 demgegenüber aber gerade mit Blick auf den Aspekt 337 Vgl. Boecken/Düwell/Diller/Hanau/Bepler, Gesamtes Arbeitsrecht, TVG, 2016, §   4 Rn.  21 ff. mwN. 338  Ausführlich diskutiert auf der Schnittstelle des Bankaufsichtsrechts und des privaten Bankrechts Lang, Doppelnormen im Recht der Finanzdienstleistungen, ZBB 2004, 289, 294 f.; Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, 2006, S.  467 ff. 339  In diese Richtung für die Einbeziehung bankaufsichtsrechtlicher Vorschriften in den Vertrag zwischen Kunde und Bank BGH, NJW 2014, 2947, 2949 f. 340  So gedacht stellt die Doppelnormtheorie eine Erweiterung des Ausstrahlungsgedan-

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der Autonomie der Vertragsparteien von anderer Funktionalität wären, da allem voran eine Abbedingung gerade wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters regelmäßig nicht möglich wäre.341 Der hoheitlich avisierte Zweck würde gleichsam in das Privatrechtsverhältnis hineingetragen, was letztlich eine vorrangige Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Belange bedeutete.342 Mangels belastbaren – verfassungs- oder europarechtlich induzierten – ent­ gegenstehenden Erwägungen ist es dem einfachen Gesetzgeber durchaus überlassen, Normen mit einer solchen Struktur zu schaffen. Ergibt sich aus sub­ jektiv-teleologischen Erwägungen, dass Vorschriften hoheitlicher Natur das Privatrechtsverhältnis mitregulieren sollen, so sind die entsprechenden Konsequenzen im Rahmen der Verfassung zu akzeptieren. Die Doppelnormtheorie aber voreilig auf öffentlich-rechtliche Normen anzuwenden, denen dieser Charakter nicht mit hinreichender Sicherheit von Gesetzes wegen beigelegt ist, um den jeweils verfolgten Gesetzeszweck effektiv auch im Privatrecht zu sichern, würde ohne ersichtlichen Sachgrund einen grundsätzlichen Hegemonialanspruch des öffentlichen Rechts statuieren.343 Da jedoch nicht ersichtlich ist, dass privatrechtliche Zweckverfolgung, bei welcher bereits – anders als typischerweise im zweckorientierten öffentlichen Recht – die Zwecksetzung ureigene Angelegenheit der Privatrechtssubjekte selbst ist, in irgendeiner Weise grundsätzlich gegenüber öffentlich-rechtlichen Zielsetzungen nachrangig wäre, kann ein solcher pauschaler Ansatz keine tragfähige Kollisionslösung bieten. Im Rahmen der konkreten Diskussion wird auf Erwägungen der Doppelnormtheorie also nur insoweit zurückzukommen sein, als Vorschriften tatsächlich eine entsprechend zielgerichtet übergriffige Wirkung von Gesetzes wegen beigemessen werden kann. Ist dies der Fall, hat der Gesetzgeber selbst Kollisionsdogmatik geschaffen, die schon nach den Geboten des Vorrangs subjektiver Teleologie beachtlich ist. Darüber hinaus kann die spezifische erkennbare gesetzgeberische Zweckverfolgung einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift als Argument in

kens dar, da letzterer in der aufsichtsrechtlichen Diskussion im Wesentlichen als Einflussmoment über Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe gebietsübergreifender Fragestellungen verstanden wird, vgl. Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, S.  7 f.; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, 2001, S.   185 ff.; Rothenhöfer, in: Baum/Hellgardt/ Fleckner/Roth (Hrsg.) Perspektiven des Wirtschaftsrechts, Beiträge für Klaus J. Hopt aus Anlass seiner Emeritierung, 2008, S.  55 ff.; Podewils/Reisich, NJW 2009, 119 f. 341  So könnten etwa die §§  31 ff. WpHG als Schutzpflichten iSd §  241 Abs.  1 BGB erscheinen. Hierfür Dieckmann, Öffentlich-rechtliche Normen im Vertragsrecht, AcP 213 (2013), 1, 28 ff. 342 So etwa Michael, in: Dörner/Ehlers/Pohlmann/Schulze-Schwienhorst/Steinmeyer (Hrsg.), 32. Münsterischer Versicherungstag, 2015, S.  37 ff. für das Bankaufsichtsrecht. S.a. Lang, ZBB 2004, 289, 294 f.; Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, 2006, S.  467 ff. 343  Mit dieser Kritik zurecht Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  257, 263 f.

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die Kollisionsdebatte eingebracht werden, um dieses mit etwaigen anderen Belangen in eine Abwägung einzustellen.344 e) Speziell für die Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht: Die Ordnungsansätze von Deinert Einen vertiefenden materiell-rechtlich ausgerichteten Vorschlag speziell zur Versöhnung von Zivil- und Sozialrecht bietet Deinert. In seiner Untersuchung entwickelt er Prinzipien als Leitgedanken 345 zur Behandlung des Aufeinandertreffens rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen in diesem Bereich und nimmt dabei explizit nicht für diese in Anspruch, Kollisionsfälle zwingend in die eine oder andere Richtung strikt zu lösen.346 Diese Leitgedanken ruhen auf dem Fundament einer Ordnung und Strukturierung der Schnittstellenerwägungen, die Art und Intensität wechselseitiger Einwirkungsmechanismen zu beschreiben suchen (unmittelbar, transformierend, influenzierend, faktischrahmen­gebend).347 Deinert formuliert die folgenden Prinzipien, die er anschließend induktiv an Hand von zahlreichen Schnittstellenfragen überprüft:348 aa) Schonungsprinzip: „Zivilrecht und Sozialrecht akzeptieren einander als nebeneinanderstehende Rechtsgebiete, wobei sie Wertungswidersprüche zum jeweils anderen Rechtsgebiet vermeiden und dieses daher weitestgehend schonen.“349 bb) Akzeptanzprinzip: „Sozialrecht akzeptiert zivilrechtliche Rechtssubjekte, -objekte und -verhältnisse in ihrer zivilrechtlichen Gestalt. Insbesondere akzeptiert es die Vornahme zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte bzw. den Verzicht auf deren Vornahme sowie die Ausübung von Rechten – auch soweit sie manipulierenden 350 Charakter haben. Die wirksame Begründung bürgerlich-rechtlicher Rechtsverhältnisse bzw. der Verzicht darauf ist auch dann möglich, wenn diese sozialrechtlich unerwünscht sind.“351 cc) Vermögenswertprinzip: „Sozialleistungen, Sozialleistungsanwartschaften und -ansprüche sind zivilrechtlich wie Vermögenswerte zu behandeln, soweit 344  In diese Richtung kann auch die Erörterung des BGH um die Berücksichtigung der aufsichtsrechtlichen Regelungen in den §§  31 ff. WpHG im Rahmen des Beratungsvertrages zwischen Bank und Kunden verstanden werden, vgl. BGH, NJW 2014, 2947, 2949 f. 345  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.   51 mVa. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3.  Aufl. 1995, S.  240 sowie Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, S.  50 ff. 346  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  51. 347  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  56 ff. 348  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  98 ff. 349  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  83. 350  Hier weist Deinert auf das begriffliche Verständnis entsprechend einer vorherigen Fn. folgenden Inhalts hin: „Wie hier auch Eichenhofer, VSSR 1991, 185, 186; anders freilich seine Diktion in: GS Heinze, 2005, S.  145, 153.“ 351  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  88.

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die Zweckbestimmung einer Sozialleistung dem nicht ausnahmsweise entgegensteht.“352 dd) Gleichstellungsprinzip: „Nehmen Sozialleistungsträger am bürgerlichen Rechtsverkehr teil, so sind sie wie Privatrechtssubjekte zu behandeln. Sozialrechtliche Rechtsobjekte und Rechtsverhältnisse der Sozialleistungsträger werden dem zivilistischen Regime untergeordnet, als wäre an Stelle des Sozialleistungsträgers ein Bürger beteiligt.“353 Die Untersuchung von Deinert geht für den Wechselwirkungsbereich von Zivil- und Sozialrecht deutlich weiter als die vorgenannten Basisansätze dies unternommen haben. Unter Nutzung des gesamten Spektrums juristischer Methodenlehre versucht Deinert der Gesetzeskonstruktion de lege lata (hier im Jahr 2007, was verdeutlicht werden muss, da es seither in beiden Bereichen zahlreiche Reformen gegeben hat) und im Hinblick auf die Ideen und erkennbaren Muster, nach denen dieses Ordnungsgefüge gewachsen ist, grundlegende Ideen zum wechselseitigen Miteinander abzuringen. Auf Basis der bedeutsamen Erkenntnis, dass auch das Zivilrecht – obgleich es sich an den meisten Stellen unabhängig vom Sozialrecht der Reichsversicherungsordnung sowie dem Bundessozialhilfegesetz einerseits und der heutigen Struktur in 12 Sozialgesetzbüchern andererseits entwickelt hat – vielfach soziales Recht beinhaltet354 und die Verortung sozialrechtlicher Strukturen in einigen Bereichen nicht zwingend erscheint, gibt es doch im Hinblick auf die ausgewogene Regulierung des gesamten Soziallebens der Menschen ineinander verwobene Materien. Deinert überprüft seine Thesen und mit diesen verbundene materiell-rechtliche Ansätze an Hand einer Vielzahl von Schnittstellenerwägungen355 und greift auch mehrere Themen des Gesundheitsrechts auf.356 Durch den gewählten induktiven Ansatz unter breiter Auswertung denkbarer Kollisionslagen und wechselseitiger Einwirkungsfelder kommt Deinert trotz hoher Komplexität des Unterfangens zu belastbaren und wissenschaftlich im Hinblick auf die vorliegend erörterte Kernproblematik weiterführenden Ergebnissen. Die von ihm gefundenen Leitgedanken werden daher – soweit ihr Anwendungsbereich reicht – innerhalb der folgenden Sachdebatten berücksichtigt.357 Es müssen jedoch folgende Aspekte einschränkend beachtet werden: i. Deinert geht mit seinem System davon aus, dass das Gesetz objektiv betrachtet eine Systematik und innere Zusammenhänge aufweisen kann, die vom

352 

Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  91. Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  96. 354  So etwa Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  70 f. 355  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  98 ff. zum Akzeptanzprinzip und S.  326 ff. zum Vermögenswertprinzip. 356  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  108 ff., 217 ff. und 233 ff. 357  Vgl. §  5 II.-V. 353 

II. Wert und Unzulänglichkeiten des klassischen Methodenkanons

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Gesetzgeber nicht gezielt geschaffen worden sind. Er ordnet mit Esser 358 die Aufgabe einer solchen Systemfindung der Jurisprudenz zu.359 Die Leitgedanken müssen aber letztlich immer so nah wie möglich am gesetzgeberischen Willen liegen und bestenfalls diesem zu optimaler Wirkungskraft verhelfen. Deinert verweist demgegenüber ausschließlich auf eine erforderliche Nähe zum positiven Recht,360 was nach hier vertretener Auffassung eine nach Art.  20 Abs.  3 GG verfassungsrechtlich problematische Verkürzung der Sicht darstellt.361 ii. Die Leitgedanken von Deinert sind grundlegende Systemerwägungen, die eine sinnvolle und zielführende Sachargumentation stützen. Mangels hinreichender Festlegungen des Gesetzgebers sind dieselben jedoch trotz aller Bemühungen von Deinert den wissenschaftlichen Systemansätzen zuzuordnen und somit ausschließlich an ihrer Überzeugungskraft zu messen. Auch eine Ablehnung im Einzelfall wegen anderen überzeugenden Vorbringens bleibt ohne Weiteres möglich. f) Ausstrahlungsthese und Optimierungsgebot – Sicherung praktischer Konkordanz im Recht und der Wert sorgfältigen prozeduralen Vorgehens Dass Teilrechtsgebiete aufeinander einen relevanten Einfluss haben können, dieser jedoch nicht ohne gesonderte Begründung die Vorrangstellung eines Teilrechtsgebiets oder einzelner Normen gegenüber anderen zeitigen darf, vermag mit tragfähigen Ansätzen die im Finanzaufsichts- und Kapitalmarktrecht eingeführte These der Ausstrahlungswirkung auszudrücken,362 da diese dynamisch beweglich aufgefasst wird und unterschiedliche Zwecksetzungen und funktionale Steuerung der Lebenssachverhalte durch die parzellierte und damit bereichsspezifisch steuernde Rechtsordnung akzeptiert und nachgiebig zu vermitteln sucht.363 Sofern diese jedoch lediglich als Grundaussage denkbarer wechselseitiger Einflussnahmemöglichkeit verstanden wird, ist hiermit nichts gewonnen. Wird die Ausstrahlungsthese jedoch in Kombination mit dem oben im Rahmen der Schnittstellenerwägungen, welche die subjektive Teleologie ­einer Norm in sich trägt, und dem hiermit einhergehenden Gedanken, diese Zielsetzungen möglichst optimal zu verfolgen,364 gesehen, so bietet die Aus358  Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, S.  133 f. 359  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  52. 360  Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  52. 361  S. o. §  3 II. 1. und 3. 362 Vgl. Schäfers, in: Tagungsband Gesellschaft junger Zivilrechtswissenschaftler, 2018, S.  257, 261. 363 Näher Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, S.  7 f.; Brandt, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute bei der Kapitalanlage, 2001, S.  185 ff. 364  S. o. §  3 II. 3. a) cc). S.a. Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, 1977, S.  16 ff., 145 ff.

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strahlungsthese das hierzu im Theoriegerüst notwendige begrenzende und zur Abwägung mahnende Element. Sofern die optimale gesetzgeberisch angeordnete Zweckverfolgung wegen Berührungspunkten mit Vorschriften anderer Teilrechtsordnungen auch nur partiell vom Kurs abgebracht wird, ist nach dem Vorbild der ständigen Verfassungsrechtsprechung zur praktischen Konkordanz365 stets eine Abwägung zur bestmöglichen Schonung aller betroffenen Rechtsgüter und Interessenkreise geboten;366 es handelt sich mithin um eine Einfassung auslegungsleitender Prinzipienerwägungen.367 Gerade weil aber diese Abwägung bis zum notfalls kassatorischen gesetzgeberischen Eingreifen von den zur Entscheidung berufenen Gerichten zu treffen ist und hierdurch die Gefahr unkontrollierter Willkürentscheidungen nach den Maximen des einzelnen Gerichts unter dem Deckmantel objektiver Teleologie droht, ist es am Verfahrensmechanismus, erkannte Ausstrahlungsszenarien prozedural an die Aufarbeitungs- und Begründungslast der erkennbaren Grundsatzentscheidungen des Gesetzgebers zu binden. Auf die flankierenden Mittel des Prozessrechts, die dieses Auslegungsprocedere sichern sollen, wird unter §  6 zurückzukommen sein. Dass es mit Blick auf die Vielgestaltigkeit denkbarer Lebenssachverhalte und tatsächlichen Umstände, die in die jeweilige Abwägung einzustellen sind, immer einen mehr oder weniger großen Restbereich notwendiger Einzelfallbewertung geben wird, in deren Rahmen das Gericht werten muss, ist weder zu bestreiten noch in der Sache unerträglich, selbst wenn es hierbei immer wieder auch zu Ungleichbehandlungen und Fehleinschätzungen kommen wird. Zwingt ein Korsett überprüfbarer abwägungsleitender Kriterien und Strukturen stets zur Auseinandersetzung mit dem gesamten entscheidungsrelevanten Abwägungsmaterial, insbesondere mit den erkennbaren gesetzgeberischen Erwägungen zu den betroffenen Normen und Teilrechtsgebieten, so ist ein methodisch getragener Entscheidungskorridor gesichert, der den Betroffenen Überprüfbar-

365 Grundlegend Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20.  Aufl. 1995, Rn.  72. Sodann BVerfGE 7, 198, 209 = NJW 1958, 257: „Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, dass der besondere Wertgehalt dieses Rechts (…) auf jeden Fall gewahrt bleibt. (…) Vielmehr findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die ‚allgemeinen Gesetze‘ zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.“; BVerfGE 7, 377, 405 = NJW 1958, 1035; Voßkuhle, JuS 2007, 429, 430; Schladebach, Der Staat 2014, 263, 270. S.a. jüngst das Abwägungsbeispiel zu Art.  85 DSGVO und KUG bei OLG Köln, ZD 2018, 434. 366 Dies führen Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3.   Aufl. 1995, S.  223 ff. anhand der Vorgehensweisen des BVerfG vor. 367 Vgl. zur Theoriedifferenzierung von Regeln und Prinzipien Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4.  Aufl. 1990, 39 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2.  Aufl. 1983, S.  52 ff.

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keit und der Rechtsordnung Systematisierung und Transparenz bietet. Letzteres erlaubt es dem Gesetzgeber, eine Problemlage eher zu erkennen und korrigierend einzugreifen.

5. Zwischenfazit Trotz aller Bemühungen von Rechtsprechung und Wissenschaft muss festgehalten werden, dass eine oder mehrere einheitliche auf das materielle Recht bezogene Rechtsregeln, abschließende Aufzählungen auslegungsleitender Prinzipien oder abschließende Erkenntnismöglichkeiten zum Methodenkanon der Auslegung selbst zur Auflösung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen nicht existieren und nach hier vertretener Auffassung im Zweifel niemals existieren werden. Nebst vieler angesprochener Detailerwägungen ist der zen­ trale Grund hierfür die Vielgestaltigkeit unterschiedlicher Bereichslogiken, die es aufgrund gebotener Differenzierungen zur sachgerechten regulatorischen Rahmengebung unterschiedlicher Lebenssachverhalte, politisch verfolgter Ziele und Abwägung bestehender Interessengegensätze sowie Beachtung ­ schutzwürdiger Belange zu wahren gilt. Eine Einebnung um der Zielverfolgung einer fehlverstandenen Einheit der Rechtsordnung ist eine Absage zu erteilen. Dieses Ergebnis ist jedoch nicht geeignet, vor der kaum überschaubaren Vielzahl teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen in vermeintlicher Resignation zu kapitulieren. Vielmehr ist Ausdruck dieses fortwährenden Konvoluts von Unsicherheits- und Gemengelagen die Notwendigkeit feinsinniger Normauslegung und Abwägung der betroffenen widerstreitenden Ziele und Interessenlagen auf Basis einer sorgsam vorbereiteten Entscheidungsgrundlage. Das führt zu der rechtstechnischen Erkenntnis, dass dem Herangehen und Verfahren der Rechtsfindung durch das zuständige Gericht eine größere rechtsstaatliche Bedeutung zukommt, als der letztlich nicht beendigungsfähigen Debatte um den vermeintlich richtigen materiell-rechtlichen Kollisionsansatz, auch wenn hiermit keineswegs behauptet werden soll, dass diese Diskussion nicht weiterhin mit Einfallsreichtum und präziser Analysetechnik zu verfolgen wäre. Allerdings sichert das Procedere hin zur Ergebnisfindung die Einbeziehung aller zentralen Aspekte des Widerstreits und deren Abwägung sowohl auf konkreter Norm- als auch auf bereichsspezifischer Metaebene. Daher mag der Betrachter anschließend mit der judikativ gefundenen Conclusio im Einzelfall unzufrieden sein. Nicht mehr wird sich aber behaupten lassen, dass die Abwägungselemente der Normenkollision keine Berücksichtigung gefunden hätten, wenn das Gericht das vorgeschlagene Procedere eingehalten hat. Begeht es hierbei demgegenüber Fehler, müssen diese verfahrensrechtlich rügefähig und überprüfbar sein. Das Bemühen um Normenkollisionsregeln sollte hierfür die Augen geöffnet und damit zugleich den Grund aufgezeigt haben, weshalb die vorliegende Analyse sich allem voran der Befleißigung um prozedurale Elemen-

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§  3 Methodischer Unterbau

te verschrieben hat, wie diese eingangs vorgestellt und in der Folge in ihrer konkreten Anwendung genutzt sowie im Rahmen der Verfahrensordnungen abgesichert werden.

§  4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie – Überlegungen zwischen Theorie und Praxis Stammler hat einmal formuliert: „Sobald jemand einen Paragraphen eines Gesetzbuchs anwendet, so wendet er nicht nur, wie man gesagt hat, das ganze Gesetzbuch an, sondern führt den Gedanken des Rechts selbst ein.“1 Die einleitendend beschriebenen rechtsgebietsübergreifenden Kollisionslagen 2 sind von erheblicher Komplexität gekennzeichnet. Sie verlangen dem Gericht der Einzelfallentscheidung vertiefte Kenntnisse aller betroffenen Rechtsquellen und bereichsspezifischen Funktionalitäten und Systeme ab, soll die letztlich zu treffende Entscheidung den methodischen Anforderungen genügen, die unter §  3 erörtert worden sind.3 Sorgfältiges methodenehrliches4 Vorgehen ist aber kein Selbstzweck.5 Es zwingt die zur Entscheidung berufene Instanz in transparenter und sachlich erörterungsfähiger Form, eine hinreichende Befassung mit allen relevanten rechtlichen Erwägungen zum konkreten Sachverhalt sicherzustellen. Wegen ihrer verfassungsrechtlichen Schlüsselstellung zwischen Gesetzgeber und Rechtsunterworfenem muss die Gerichtsbarkeit sich stets in der Verpflichtung sehen, dem demokratisch legitimierten Willen des jeweiligen Normgebers zur Wirksamkeit zu verhelfen und maßvoll unter Abwägung aller betroffenen Rechtsbereiche im Rahmen des Erforderlichen Anpassung zu betreiben. 6 Nur so können die gesetzlichen Bestimmungen Verfeinerung und praktische Anwendung erfahren. Die rechtssoziologischen Überlegungen ha1 

Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S.  24 f. S. o. §  1 II., ausführlich erörtert in §  5 II.-V. 3  Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 60 ff. attestiert den Gerichten sogar institutionelle Überforderung. 4  Das BVerfG, vgl. BVerfGE 11, 126, 130 = NJW 1960, 1563, sieht in der richterlichen Bindung an das Gesetz die Pflicht der Fachgerichtsbarkeit, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, wobei sich das BVerfG an dieser Stelle noch auf den „objektivierten“ Willen zurückgezogen hat, während die Entscheidungen jüngeren Datums auf die subjektive Teleologie verpflichten, vgl. allem voran BVerfG, NZA 2018, 774. S. zur Methodenehrlichkeit aber auch die kritischen Überlegungen von Haferkamp, in: FS Horn, 2006, S.  1077 ff. 5 Vgl. hierzu die Ausführung von Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 10.   Aufl. 2018, S.  425 ff. 6  Daher ist die Haltung von Hassemer, in: Hassemer/Neumann/Saliger (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 9.  Aufl. 2016, S.  264: „Methodisch ist der Richter in der Wahl der Interpretationsregeln frei.“ nach hier vertretener Auffassung abzulehnen. S.a. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 12.  Aufl. 1969, 2 

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§  4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie

ben ebenso wie das Ringen um das methodisch korrekte Herangehen an die Problematik rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen und der damit verbundene Arbeitsaufwand des Rechtsanwenders gezeigt, dass mit steigendem Komplexitätsgrad und mit zunehmender Entfernung von jenen Rechtsbereichen, in denen die jeweils zur Entscheidung berufenen Richter sozialisiert sind, die Tendenz zur Abkehr von den zentralen Forderungen an eine rechtsstaatlich agierende Judikative droht.7 Dieses Problemfeld wird sich nicht negieren lassen, solange die Gerichtsbarkeit von Menschen mit entsprechend begrenztem Wissens-, Könnens- und Erfahrungshorizont besetzt ist.8 Eine bessere Alternative zu diesem System ist auch im Hinblick auf technologische Entwicklungen bis hin zu künstlicher Intelligenz9 und verbessertem Informationsmanagement nicht in Sicht. Es steht jedenfalls aktuell und in absehbarer Zeit nicht zu erwarten an, dass Maschinen die Aufgabe erforderlicher Einzelfallrechtsprechung und Abwägung bis hin zu Billigkeitserwägungen übernehmen und gegenüber menschlichen Entscheidungen signifikant verbessern können.10 Zudem wäre eine solche Ersetzung des gesetzlichen Richters wohl auch als Verstoß gegen Art.  101 Abs.  1 S.  2 GG zu werten.11 Muss somit aber mit menschlichen Schwächen als inhärentem Systembestandteil der Judikative umgegangen werden, bieten all jene Überlegungen einen sinnvollen Brückenschlag zwischen Theorie und Rechtsanwendung, die die Gerichte in ihrer Entscheidungsfindung methodisch lenken, ohne hierdurch in die Sachentscheidung oder in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen. Das methodische Vorgehen sollte im Optimalfall ähnlich der Relationstechnik dem Gericht die Möglichkeit eröffnen, Fragen rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen vernunftgeleitet aufzuS.  169, der offen bekennt, das Mittel der Auslegung legitimiere nur im Anschluss das vorab gefundene Ergebnis. 7 Treffend Lobinger, AcP 216 (2016), 28, 61, der zudem darauf hinweist, dass die Judikative sich in Detailarbeit verlieren kann und dementsprechend den Blick für das Gesamtbild des Systems aus den Augen verliert. Daher ist die Gerichtsbarkeit auf wissenschaftliche Vorarbeiten und Leitsysteme angewiesen. Daher erscheint Rechtswissenschaft als Bindeglied zwischen Rechtssetzung und Rechtsprechung, Lobinger, a. a. O., 63 ff. 8  Insbesondere zum Einfluss von Sozialprofilen der Richterschaft gibt es Untersuchungen, vgl. Däubler, Das soziale Ideal des Bundesarbeitsgerichts, in: Kittner (Hrsg.), Streik und Aussperrung, 1974, S.  411 ff.; Jost, Soziologische Feststellungen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, 1979; Bürkle, Richterliche Alltagstheorien im Bereich des Zivilrechts, 1984. 9  Rahmenerwägungen werden aber zunehmend verfolgt. Zur Übersicht Herberger, NJW 2018, 2825 ff.; zu den Rahmenbedingungen Borges, NJW 2018, 977 ff.; zum Einsatz in der Unternehmensführung Weber/Kiefner/Jobst, NZG 2018, 1131; zum Einsatz von Big Data im Gesundheitssektor Timm, MedR 2016, 686 ff.; zum Arbeitsrecht Groß/Gressel, NZA 2016, 990; Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 ff.; zur Debatte um das autonome Fahren König, NZV 2017, 123 ff.; noch zur bloßen Fahrassistenz Armbrüster, VersR 2016, 141 ff.; zum Begriff des Roboters Beck, JR 2009, 225 f.; Müller, AJP 2014, 595, 596 f. 10  Die Diskussion aufgegriffen bei Schwintowski, NJOZ 2018, 1601 ff. 11 Vgl. Enders, JA 2018, 721, 723.

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arbeiten, um das Mehr an sachlicher Komplexität in den Arbeitsabläufen zu kanalisieren. Auch dieser Gedanke lebt in dem zentralen prozeduralen Vorschlag der vorliegenden Analyse.12

12 

S. o. §  1 IV.

§  5 Normenkollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts in ausgewählten Problemkomplexen I. Vorbemerkungen Die Folgeerörterung der eingangs angerissenen vier Kollisionskomplexe ist nunmehr nach dem zentralen Vorschlag für eine judikative Prüfung im Einzelfall ausgerichtet und folgt daher stets dem Schema Vorprüfung (Kollisionsfeststellung), Interpretation der auf Kollisionskurs rangierenden Normen in ihrem jeweiligen Gefüge (1. Stufe), Kollision der Metanormebenen (2. Stufe) und Versuch der Auflösung, soweit dies erforderlich und möglich erscheint (3. Stufe). Einer eigenständigen Erörterung in §  6 ist die verfahrensrechtliche Absicherung dieses prozeduralen Vorschlags vorbehalten. Von zentraler Bedeutung ist der Hinweis, dass die jeweils argumentativ gefundenen Ergebnisse nach Auswertung der Gesetzeslage und des aktuellen Debattenstandes die Ansicht des Verfassers spiegeln, sicherlich aber je nach Gewichtung der Argumente auch partiell anders ausfallen können und im Zweifel bei einem anderen Betrachter auch teilweise anders ausfallen werden. Dies ist einerseits der hohen Komplexität der angeschnittenen Problemspektren und andererseits dem Umstand geschuldet, dass sich überwiegend keine zwingenden Schnittstellenaussagen des Gesetzgebers, sondern nur sorgfältig begründete Näherungen finden lassen. Der zentrale Mehrwert der vorgelegten Analyse wird daher auch nicht in dem Versuch des Anbietens abschließender Diskussionslösungen – auch wenn diese selbstverständlich von großer Bedeutung und zu verfolgen sind –, sondern vielmehr in der Sicherung der Berücksichtigung aller wichtigen Diskussionselemente und Begründungsmuster gesehen, die unmittelbar oder mittelbar Teil des Rechtssystems sind und daher Geltungsanspruch erheben. Ergeht eine gerichtliche Einzelfallentscheidung auf Basis sorgsamer Abwägung nach diesem Muster, trägt dieselbe die Vermutung hoher rechtsstaatlicher Akzeptanz in sich, was einen bedeutsamen Eigenwert zeitigt, kann sich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber hierdurch doch sicher sein, dass im Zuge der Gewaltenteilung erheblicher Aufwand betrieben wird, seinem Willen auch rechtspraktisch zur Umsetzung zu verhelfen. Dementsprechend erleichtert wird im Fall von Missverständnissen zwischen Legislative und

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Judikative eine ggfls. als notwendig erachtete kassatorische Legislation gelingen. Dass es sich hierbei um ein bedeutsames Problem der Rechtspraxis handelt, zeigt jüngst die Rechtsprechung des 1. Senats des BSG in trefflicher Art und Weise,1 scheint doch partiell sogar gegen bereits erfolgte kassatorische Legislation entschieden zu werden.2

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung Keiner ausführlichen Analyse soll die in der Einleitung3 knapp angerissene Problematik unterworfen werden, inwieweit Eigenverantwortlichkeitskriterien des Sozialversicherungsrechts im Bereich der Arzthaftung zum Tragen kommen können. Die Vorgaben im SGB V sind insoweit sehr zurückhaltend und nicht zielführend gestaltet.4 Der Hinweis darauf in der Einleitung diente im Wesentlichen dazu, einen klassischen Fall offenkundig nicht modifizierenden Nebeneinanders beider Rechtsgebiete an den Anfang zu stellen. Unter dem vorgestellten weiten Kollisionsbegriff sind auch diese Fälle einzubeziehen, damit wechselseitig beeinflussende Faktoren möglichst nicht außer Acht gelassen werden. Daher sei das Augenmerk im Bereich denkbarer Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Eigenverantwortlichkeitskriterien auf die Frage gerichtet, ob sich hieraus rechtsgebietsübergreifende Kollisionen im Hinblick auf Abrechnungsfragen ergeben. Abrechnungsfragen können sich in zwei Richtungen stellen, die zur besseren Nachvollziehbarkeit gemeinsam aufgegriffen werden. Vergütungsrechtlich handelt es sich um ein Dreiecksverhältnis im stationären 5 und um ein Vierecksverhältnis im ambulanten Bereich6 .

1  Zur breiten Kritik bis hin zum Vorwurf der Rechtsbeugung Krasney, SGb 2018, 261 ff.; Hambüchen, Das Krankenhaus 2017, 978 ff. 2  Vgl. BSG, NZS 2018, 694 mAnm. Schifferdecker. 3  §  1 II. 1. 4 Vgl. die spärlichen Ansätze zur Programmvorschrift des §   1 SGB V bei BT-Drucks. 18/4282, S.  32; BeckOK/Geene/Heberlein, SGB V, 50. Ed. 2018, §  1 Rn.  2; KassKomm/Peters, SGB V, 101. EL. 2018, §  1 Rn.  7; Spickhoff/Nebendahl, SGB V, Medizinrecht, 3.  Aufl. 2018, Rn.  6. Eine Inkorporation in §  254 BGB in Form einer wechselseitigen Bindung ist weder ersichtlich noch geboten. 5  Der gesetzlich versicherte Patient hat per Sachleistungsanspruch das Recht, vom zuständigen Krankenkassenträger Behandlung zu fordern, was mittels Leistungserbringern – in diesem Fall durch Verträge mit den zugelassenen Krankenhäusern – sichergestellt und erfüllt wird, vgl. Schrinner, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  6 Rn.  32. 6  Im ambulanten Sektor werden die Leistungserbringer durch die kassenärztlichen Vereinigungen vertreten, die ihrerseits mit den Krankenkassenverbänden interagieren, so dass der Behandlungsanspruch des Patienten gegen seinen Krankenkassenträger über das GKV-Viereck bis zum einzelnen Leistungserbringer – dem jeweiligen Vertragsarzt – reicht, vgl. Lang, Die Vergütung der Vertragsärzte und der psychologischen Psychotherapeuten im Recht der

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung

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Einerseits kann zivilrechtlich erwogen werden, ob von Patienten frei zu verantwortende Selbstschädigungen, die zu verlängerten Krankheitszeiten oder wiederkehrenden Krankheitsbildern führen, eine zivilrechtliche Nebenpflichtverletzung des Vertrages mit Arzt oder Krankenhaus bedeuten können, aus der sich kausal ein Schadensersatzanspruch in der Höhe ergibt, den die medizi­ nische Einrichtung mangels sozialversicherungsrechtlicher Abrechenbarkeit ­dieser Inzidenz nicht auszugleichen vermag. Andererseits stellt sich die Frage zwischen den Vertragsparteien der Entgeltvereinbarung, ob patientenseitige non-Compliance in die Preisberechnung einbezogen werden kann. Um die Vielzahl denkbarer Lebenssachverhalte und deren unterschiedliche entgeltrechtliche Ansätze auf ein übersichtliches Besprechungsfeld einzugrenzen, soll folgende abstrakt beschriebene Konstellation als Ansatz dienen:7 Patienten werden wegen Erkrankungen stationär in zugelassenen Krankenhäusern (etwa Plan- oder Versorgungsvertragskrankenhäusern gemäß §  108 Nr.  2 und 3 SGB V) behandelt. Die Behandlungen liegen kostenrechtlich jeweils im Bereich einer spezifischen G-DRG8 entsprechend des DRG-Katalogs 20189 des InEK10 und betreffen ausschließlich somatische Krankheitsbilder.11 Die Patienten halten sich jedoch im Rahmen ärztlicher Behandlung – freiverantwortlich12 – nicht an die erforderlichen therapeutischen Verhaltensregeln, bspw. an die Vorgaben zur Einnahme der Medikation. Hierdurch wird der Heigesetzlichen Krankenversicherung, 2001, S.  22 ff.; Krauskopf, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  25 Rn.  5 f.; Schnapp, NZS 2001, 337 ff. 7  Wobei hiermit keine Ausschließlichkeit vorgegeben wird und an zahlreichen Stellen auch auf Aspekte des Vertragsarztrechts einzugehen ist. 8  German Diagnosis Related Group. Die verwendete Kodierung der Pauschalen erfolgt nach den Vorgaben des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Informa­ tion (DIMDI) und entspricht sinnvollerweise den Abrechnungsbezeichnungen und -parametern der gesetzlichen Krankenkassen gemäß §  301 Abs.  2 S.  1, 2 SGB V. Die Diagnoseverschlüsselung folgt insgesamt dem ICD-10 und damit den Grundsatzvorgaben der World ­Health Organisation (WHO). 9 Abrufbar unter https://www.g-drg.de/G-DRG-System_2018/Fallpauschalen-Katalog/ Fallpauschalen-Katalog_2018 (Abrufdatum 19.10.2019). Der Katalog geht gemäß §  17b Abs.  2 KHG auf einen Normvertrag auf Bundesebene zurück und muss jährlich neu vereinbart werden. Im Fall des Ausbleibens einer Einigung entscheidet hilfsweise nach §  17b Abs.  7 KHG das Bundesministerium für Gesundheit. 10  Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus gGmbH. 11  Psychiatrische Krankheitsbilder würden nicht vom G-DRG-System, sondern von den PEPP-Pauschalen (Pauschalierende Entgelte für Psychiatrie und Psychosomatik entsprechend PEPP-VO, BGBl.  I, S.  2303) erfasst. Zur Vermeidung unnötiger Verkomplizierung des Erörterungsgegenstandes erfolgt daher eine Kaprizierung auf den somatischen Bereich. 12  Es bedürfte einer eigenständigen und in erheblichem Maße anders gewichteten Erörterung, sollte an dieser Stelle auch der Fragenkomplex einbezogen sein, ob etwaige psychische Erkrankungen, die zur non-Compliance führen, ebenfalls Gegenstand eines denkbaren Ansatzpunktes für belastende Rechtsfolgen sein könnten. Diesbezüglich wäre insbesondere der Widerstreit zwischen der Sicherung des Solidarsystems einerseits und dem Gebot der Existenzsicherung andererseits in Abwägung zu bringen, wobei die besondere Schwierigkeit in der Beurteilung des Verschuldens gegen die eigene Person und dessen Berücksichtigung im

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

lungsprozess verzögert, der Krankenhausaufenthalt verlängert und die Notwendigkeit ärztlicher Intervention erweitert. Die Problematik der Kausalitätsfeststellung zwischen Patientenverhalten und Heilungsverzögerung sei für die nachfolgende Erörterung zunächst ausgeblendet, da sich bei Unerweislichkeit im Einzelfall das Problem nicht stellt. Natürlich ist aber auch dieser Nachweis und die hierfür erforderliche Informationsbeschaffung ein Aspekt, auf welchen im Rahmen denkbarer Eigenverantwortlichkeitsforderungen gegenüber dem Versicherten noch zurückzukommen sein wird.13

1. Grundsätzliche Erwägungen zur Kollisionslage (Vorprüfung) – Eine intransparente Gemengelage Normativ steht an erster Stelle das prospektiv14 für das kommende Jahr verhandelte Erlösbudget des jeweiligen Krankenhausträgers, welches dieser mit den Krankenkassen (Parteien nach §  11 Abs.  1 KHEntgG) gemäß §  3 Nr.  4 (Zu­satz­ entgelte für Bluterbehandlungen), §  4 (Erlösbudget für allgemeine Krankenhausleistungen), §  6 Abs.  2 (Entgelte für Innovationen) und §  6 Abs.  3 (krankenhausindividuelle Leistungen) sowie §  7 Abs.  1 (Zu- und Abschläge) KHEntgG vereinbart hat.15 Der Krankenhausträger muss im Hinblick auf die Vorjahreserfahrungen und den DRG-Katalog für die kommende Periode antizipieren und entsprechend aushandeln, welches Budget für das Folgejahr, in diesem Fall das Jahr 2018, benötigt wird.16 Es lässt sich bereits an dieser Stelle festhalten, dass die Vertragsparteien nach §  11 Abs.  1 KHEntgG nirgendwo in der Bundesrepublik explizit Entgelte für patientenseitiges Fehlverhalten im Rahmen des Behandlungsprocederes einschließlich der Nachsorge einbezogen haben. Auch Zusatzentgelte im Sinne der §§  7 Abs.  1 S.  1 Nr.  2 iVm 9 Abs.  1 S.  1 Nr.  2 KHEntgG, 17b Abs.  1 S.  12 KHG erfassen die Problematik dem Gesetzestext nach nicht, da es sich um Anpassungsmöglichkeiten für sogenannte Kostenausreißer handelt, die ausschließlich krankheitsbezogen, nicht fehlverhaltensbezogen sind.17 Soweit ein Krankenhausträger solche Mehrkosten wegen vergangener Erfahrungen einpreisen Sozialversicherungsrecht liegen dürfte. Diese Problematik bleibt einer eigenständigen wissenschaftlichen Publikation des Verfassers vorbehalten. 13  S. u. §  5 II. 2. b) aa). 14  Hierzu BVerwG, GesR 2008, 547; VGH Baden-Württemberg, ArztR 2007, 192. 15 Ausführlich Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, §  26 Rn.  330 ff.; D. Prütting, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  5 Rn.  76 ff. 16  D. Prütting, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  5 Rn.  7 7. 17  AllgM., vgl. nur Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, §  26 Rn.  369. Zur Regelung des §  17b Abs.  1 S.  2 KHG und dessen Systemeinpassung vgl. Dettling/Köbler, in: Dettling/Gerlach (Hrsg.), Krankenhausrecht, KHG, 2.   Aufl. 2018, §   17 Rn.  27 ff.

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muss, um einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten, gehen diese patienteninduzierten Inzidenzen in der sachlichen Behandlungsbedürftigkeit auf, etwa durch erhöhte Ansätze der Verweildauer des Patienten oder vermehrte und verteuerte Fallansätze für signifikant hiermit zusammenhängende Krankheitsbilder (so bspw. für typische Fälle kontraindizierten Rauchens oder Alkoholkonsums im Zusammenhang mit DRG-erfassten Krankheitsbildern). Die patientenseitige non-Compliance18 kann im Vergütungsrecht somit nur implizit und letztlich unverhandelt als sachlich erhöhender Kostenfaktor erfasst werden. Sozialversicherungsrechtlich stehen dem vorab beschriebenen Einpreisungsmodell zwischen den Kassen und den Leistungserbringern die Gebote der patientenbezogenen Eigenverantwortlichkeitskriterien gegenüber, die sich allem voran in den §§  1 S.  3, 52 f. SGB V, 60 ff. SGB I finden. Ohne tiefergehende Erörterung kann nach dem äußeren Bild der Rechtsordnung und etwaiger offenkundig greifbarer Teleologie nicht beurteilt werden, welche Rechtsfolgen diese besonderen Vorgaben im System des Entgelt- und Leistungsrechts zwischen Krankenhausträger und Krankenkassen oder zwischen Krankenhausträger und Patienten haben sollen oder de lege lata haben können. Es ist sowohl denkbar, dass diese Ansätze nur ein allgemeines, unverbindliches Ersuchen zur Mitwirkung an die Empfänger von Sozialleistungen darstellen als auch, dass diese sich bei näherer Betrachtung als systemrelevant und entgeltrechtmodifizierend erweisen. Und schließlich ist streng privatrechtlich betrachtet die Entgeltfrage an den §§  630a Abs.  1, 630b, 612 Abs.  1, 2 BGB ausgerichtet. In §  630a Abs.  1 aE. BGB wird für den Fall bestehender und den jeweiligen Einzelfall erfassender Sozialversicherung des Patienten die Entgeltverpflichtung ausgeschieden.19 Ob es in der Konsequenz eine Nebenpflicht des Patienten auf Mitwirkung geben kann, die über den Ansatz des §  630c Abs.  1 BGB hinausgehend Schadensersatzpflichten zu Gunsten der Behandlungsseite zu begründen vermag, wenn der Behandelnde im vorgenannten Entgeltrecht wegen Ausbleibens patientenseitiger Mitwirkung oder gar gezielt kontraindizierten Verhaltens Verluste akzeptieren muss, bleibt nach dem äußeren Bild und evident erfassbarer Zwecksetzungen unklar. Die zentrale rechtsgebietsübergreifende Normenkollision knüpft dementsprechend an dem privatrechtlichen, wertausfüllungsbedürftigen Pflichtenprogramm des Patienten gemäß §§  630a, 630c Abs.  1, 242, 241 Abs.  2 BGB einerseits 18 „Compliance“ bezeichnet im Medizinrecht die Mitwirkung des Patienten entsprechend ärztlicher Vorgaben, vgl. Schellenberg, VersR 2005, 1620. Zum üblichen Einsatz im Bereich des Mitverschuldens nach §  254 BGB vgl. Göben, Das Mitverschulden des Patienten im Arzthaftungsrecht, 1998, S.  21 ff., 45 ff., 145 ff. 19  BT-Drucks. 17/10488, S.  18 f. Zur Rechtslage vor dem Patientenrechtegesetz und zum Entstehungszeitpunkt BGHZ 167, 363, 366 = NJW 2006, 2485 f.

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und dem in das sozialrechtliche Gefüge eingebettete System des Entgeltrechts nach den §§  17b KHG, 3 ff. KHEntgG als Surrogat für die patientenseitige Zahlungsverpflichtung nach §  630a Abs.  1 BGB andererseits an. Allerdings sind es nicht die speziellen Vorschriften des Entgeltrechts, sondern die allgemeinen Normen des Sozialrechts, die das Eigenverantwortungsprinzip aufgreifen. Dies leuchtet unmittelbar ein, gilt das Krankenhausentgeltrecht doch gleichermaßen für Privat- und Nichtversicherte, 20 deren durch non-Compliance bedingte Weiterbehandlung auch weitergehende Entgeltansprüche der Behandlungsseite auslöst. Auf den Punkt gebracht gibt es drei denkbare Anlaufstellen für eine Zuweisung der Kosten und damit sowohl die Möglichkeit vollständiger als auch teilweiser Zuweisung der Lastentragung. Letzteres wird in der Folge als vierte Kategorie erfasst. Erstens könnte der jeweilige Krankenkassenträger für Verfehlungen des Pa­ tienten einstehen und diesen systembedingt auch dann umfassend versorgen müssen, wenn der Patient gegen sein eigenes Wohl handelt. In diesem Fall verblieben nur die im Sozialrecht eigenständig gesetzlich geregelten Rückbelastungsmöglichkeiten auf den Patienten (§§  1 S.  3, 27 Abs.  2, 52 f. SGB V, 60 ff. SGB I). Zweitens könnte das Plan- respektive das Versorgungsvertragskrankenhaus von der unzureichenden prospektiven Regelung des Entgeltrechts getroffen werden, da es auch den sich selbst schädigenden Patienten über den Bereich üblicher Abrechenbarkeit hinaus versorgen muss und keinen Regressanspruch bürgerlich-rechtlicher Art gegen den Patienten hätte. Drittens wäre es denkbar, dass der Patient nach tiefergehender Analyse der geltenden Rechtslage letztlich doch als Selbstzahler erscheinen sollte, wenn er gegen sein eigenes Wohl agiert und medizinischen Rat missachtet. Dies würde dann ungeachtet einer anfänglichen Kostenträgerschaft seitens des Krankenkassenträgers oder der medizinischen Versorgungseinrichtung dazu führen, dass Regressansprüche gegen den Patienten bestünden oder dieser sogar a priori mit Kostenforderungen belastet werden dürfte. Und viertens wäre es denkbar, dass eine Kostenverteilung zwischen den genannten Parteien anzustreben wäre. Die damit verbundenen Lösungsvarianten würden allerdings voraussetzen, dass sich neben dem entsprechenden Auslegungsergebnis der gesetzlichen Vorschriften de lege lata auch ein sachlich begründbarer Verteilungsschlüssel oder ein Verteilungsverfahren finden ließe.

20  Vgl. §§  1, 3 KHEntgG, 17, 17b KHG. Hierzu ausführlich D. Prütting, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  5 Rn.  50 ff.

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung

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2. Eigenverantwortlichkeitserwägungen im Sozialversicherungs- und Entgeltrecht vs. haftungsrechtliche Ansätze (1. Stufe) a) Zivilrechtliche Anknüpfungspunkte patientenseitiger Pflichten Es ist heute nahezu allgemeine Meinung21 in Literatur und Rechtsprechung22 , dass de lege lata weder auf Basis des speziellen §  630c Abs.  1 BGB noch im Hinblick auf Ansätze nach den §§  630a, 242, 241 Abs.  2 BGB privatrechtlich patientenseitige Pflichten zu einem bestimmten verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Körper oder der eigenen Gesundheit anzuerkennen sein sollen.23 Der Gesetzgeber hat daher §  630c Abs.  1 BGB als allgemeinen Programmsatz einer Kooperationserwägung zwischen Arzt und Patient formuliert und nicht an klagbare Rechtspflichten gedacht.24 Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die vorab dargestellte entgeltrechtliche Problematik an keiner Stelle diskutiert wird. aa) Haftungsrechtliche Zusammenhänge der Entgeltfrage Ausgangspunkt der weiteren Erörterung ist das vertragliche Entgeltrecht. Der Behandlungsvertrag unterscheidet sich insofern mit §  630a Abs.  1 BGB nicht von anderen Vertragsverhältnissen, so dass den Patienten, der nicht durch das Sozialversicherungsrecht unter §  630a Abs.  1 aE. BGB fällt, eine Entgeltpflicht trifft, deren Höhe sich ohne gesonderte Honorarvereinbarung nach den gesetzlichen Taxen bestimmt, §§  630b, 612 Abs.  1, 2 iVm GOÄ/GOZ (ambulant) oder KHEntgG/KHG/BPflV (stationär).25 Diese Vorgabe zur Entgeltleistung ist klagbare Primärpflicht 26 und entfällt nur dann, wenn die Behandlungsseite über das sozialversicherungsrechtliche System hinsichtlich ihres Anspruchs an

21  Andere Erwägungen wie bei Eberbach, MedR 2010, 756, 765 ff. – hier allerdings nicht mit dem Vorschlag der privatrechtlichen Erfassung, jedoch mit grundsätzlichen Zwangserwägungen, die jederzeit über das Sozialversicherungsrecht hinausreichen könnten – sind die seltene Ausnahme. S.a. Patzig, EthikMed 1989, 3 ff. 22  In der Judikatur wird die Kooperationsobliegenheit des Patienten nur im Rahmen etwaiger Haftungsansprüche des Patienten gegen die Behandlungsseite bei der Haftungsbegründung (Entfallen eines Behandlungsfehlers oder der Zurechnung) sowie bei der Haftungsausfüllung im Rahmen des Mitverschuldens erörtert, vgl. BGHZ 160, 26 = NJW 2004, 3324; BGHZ 96, 98, 100 = NJW 1986, 775; 1989, 2332; 1997, 1635; OLG Dresden NJW-RR 2009, 30 f. 23  Vgl. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  62 sowie 630c Rn.  6 ff.; BeckOGK/ Walter, BGB, 2017, §  630c Rn.  2 ff.; BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630c Rn.  2 ff.; NK/Voigt, BGB, 3.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  2 f.; D. Prütting/J. Prütting/Merrem, Medizinrecht, 5.  Aufl. 2019, §  630c Rn.  1 ff. 24  BT-Drucks. 17/10488, S.  21. 25 Vgl. Kern, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  75 Rn.  1 ff. 26  AllgM. vgl. nur Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  52.

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­ ritte verwiesen ist.27 Ein Seitenblick auf individuelle Gesundheitsleistungen D (IGeL) oder Wahlleistungen im Krankenhaus nach §  17 KHEntgG offenbart die Grenzen, da auch der sozialversicherte Patient insoweit stets Selbstzahler ist und nach aktueller Gesetzeslage ausschließlich Schutz durch Formvorgaben 28 und Informationspflichten erhält. So ordnet §  17 Abs.  2 S.  1 KHEntgG für die Vereinbarung von Wahlleistungen Schriftform an, wobei ein Verstoß die gesonderte Entgeltabrede gemäß §  125 S.  1 BGB mit der Nichtigkeitsfolge belegt.29 Im Übrigen hat die Behandlungsseite im Fall für sie erkennbarer fehlender Kostentragung durch einen Dritten vor Behandlungsdurchführung einer wirtschaftlichen Informationspflicht gemäß §  630c Abs.  3 S.  1 BGB nachzukommen, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht in Höhe des zusätzlich vom Patienten zu tragenden Entgelts entspricht.30 Nun kann das zugelassene Krankenhaus allerdings in den Konstellationen patientenseitiger non-Compliance bei sozialversicherungsrechtlich erfassten Behandlungsmaßnahmen vergütungsrechtlich nicht auf den Patienten als Selbstzahler zurückgreifen. §  630a Abs.  1 aE. BGB steht dem entgegen, da diese Vorschrift nicht nach dem Grund der verlängerten oder erweiterten Behandlung differenziert, sondern Akzeptanz des sozialversicherungsrechtlich eingerichteten Sachleistungsprinzips ist.31 Die Gesetzesbegründung zu §  630a BGB hebt ausdrücklich darauf ab, dass sich die Vertragsärzte mit der Teilnahme am System der gesetzlichen Krankenversicherung damit einverstanden erklären, dass eine Abrechnung nur gegenüber den Trägern der Sozialversicherung erfolgen darf.32 Zugleich soll es für eine Trennung von Kassen- und individueller 27  Zur Kritik an der Gesetzesformulierung, die den Selbstzahler zum Regelfall und den gesetzlich Versicherten zur Ausnahme erklärt, Katzenmeier/Voigt, in: FS Meincke, 2015, S.  175, 183 f. 28  Hierzu BGHZ 138, 91 ff. = BGH, NJW 1998, 1778. 29  AllgM. vgl. Rehborn, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  14 Rn.  121; BGHZ 138, 91 ff. = BGH, NJW 1998, 1778. 30  Vgl. BT-Drucks. 17/10488 S.   22. Zur Rechtslage vor dem Patientenrechtegesetz BGH VersR 2000, 999; OLG Stuttgart, VersR 2013, 583. Diese Pflicht und ihre Einpassung in das System werden unter §  5 III. eingehend an Hand des Falls gesetzlicher Zuzahlungsverpflichtungen nach SGB V erörtert. 31  Vgl. BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  137. 32  So BT-Drucks. 17/10488, S.  19: „Der Arzt hat sich durch seine kassenärztliche Zulassung und seine Mitgliedschaft in der Kassenärztlichen Vereinigung mit der Abrechnung seiner Behandlungsleistung über die Kassenärztliche Vereinigung mit den Krankenkassen einverstanden erklärt. Aus seinem Mitgliedschaftsrecht folgt gemäß §  85 Absatz 4 Satz  1 und 2 SGB V sein öffentlich-rechtlicher und vor den Sozialgerichten zu verfolgender Vergütungsanspruch gegen die Kassenärztliche Vereinigung (BGHZ 89, 250, 260; BGH VersR 1997, 1552, 1553; BSG NJW-RR 1998, 273 f.), die ihrerseits auf der Grundlage der mit den Krankenkassen geschlossenen öffentlich-rechtlichen Gesamtverträgen nach den §§  82 ff., 85 SGB V abrechnet. Folglich besteht kein Raum für einen unmittelbaren Vergütungsanspruch des Arztes gegen seinen Patienten für solche Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden.“ Für den stationären Bereich außerhalb von Plan- und Versorgungsvertragskrankenhäusern nach §  108 Nr.  1 und 2 SGB V – also für die Fälle des §  108 Nr.  3 SGB V – kommt es

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Gesundheitsleistung darauf ankommen, ob die medizinische Intervention im SGB V erfasst ist.33 Auf das dabei möglicherweise im Einzelfall einflussnehmende Patientenverhalten wird keine Rücksicht genommen. Selbst wenn dies jedoch entgegen der gesetzgeberischen Wertung anders beurteilt würde, griffe ebenso wie bei individuellen Gesundheitsleistungen die wirtschaftliche Informationspflicht gemäß §  630c Abs.  3 S.  1 BGB, welcher die Behandlungsseite sofort bei Beginn jeglicher patienteninduzierter Heilungsverzögerung nachzukommen hätte. An dieser wird es jedoch in praxi stets fehlen. Und selbst dem mit Blick auf eigene körperliche Belange unvernünftig agierenden Patienten dürfte von Rechts wegen nicht zugemutet werden können, grundsätzlich bei jeder Abweichung von ärztlichem Rat die Gefahr drohender Selbstzahlerverpflichtung erkennen zu müssen. Das Gesetz bietet hierfür jedenfalls keinen tragfähigen Ansatz. Eingedenk bisheriger Feststellungen zur Rechtslage verbleibt für den objektiven Betrachter im Hinblick auf das bürgerlich-rechtlich bewährte vertraglich induzierte Treuepflichten- und Rücksichtnahmekonzept 34 ein vermeintlich unschlüssiges Gesamtbild. Der Patient verursacht in vermeidbarer Weise Zusatzkosten zu Lasten der Behandlungsseite, bei welchen entweder diese oder letztlich der zuständige Kostenträger und damit die Beitragszahler eintrittspflichtig werden. Gleichwohl besteht nach herrschender Ansicht weder eine erweiterte vertragliche Entgeltpflicht noch eine Verpflichtung, in verursachter Höhe der Zusatzkosten Schadensersatz zu leisten. Die Einigkeit über das Fehlen einer vorwerfbaren haftungsbegründenden Pflichtverletzung wird allseits prägnant und überwiegend diskussionslos auf das Selbstbestimmungsrecht des als Rechtsgrundlage auf den entsprechenden Versorgungsvertrag gemäß §  109 Abs.  1 S.  1 SGB  V an. Plankrankenhäuser sind über §  109 Abs.  1 S.  2 SGB V iVm §  8 Abs.  1 S.  2 KHG eingebunden. Die Vergütung erfolgt sodann über die Vorgaben der §§  109 Abs.  4 S.  2, 112 Abs.  2 SBG V iVm dem entsprechenden Vertragswerk. Näher Meßling, SGb 2011, 257 ff. 33  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  18: „Der klassische Anwendungsfall des Abs 1 betrifft zunächst privat krankenversicherte Patienten, die dem Arzt im Regelfall unmittelbar die vertraglich vereinbarte Vergütung schulden. An einer solchen Vergütungspflicht des Patienten wird es in der Regel bei gesetzlich krankenversicherten Patienten fehlen, soweit die Behandlung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fällt und der Patient keine Kostenerstattung nach §  13 Abs.  2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) gewählt hat. Es ist der besonderen Konstruktion der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldet, dass der Patient und der Arzt zwar einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag abschließen und der Arzt aus diesem Vertrag die Leistung der fachgerechten Behandlung schuldet. Gleichwohl überlagert das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung an dieser Stelle das Privatrecht mit der Folge, dass sich der ansonsten synallagmatische Behandlungsvertrag zwischen dem Arzt und dem Patienten in ein partiell einseitiges Vertragsverhältnis umwandelt. Während der Arzt weiterhin die Leistung der versprochenen Behandlung schuldet, entsteht keine Vergütungspflicht des gesetzlich versicherten Patienten für solche Behandlungen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden.“ 34  Grundlegend BGH, WM 1968, 1299, 1301; eingehend Weller, Die Vertragstreue, 2009, S.  48 f., zur Dogmatik S.  302 ff., speziell für den Sachleistungsgläubiger S.  312 ff.

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Patienten gestützt.35 Gerade darin soll der zentrale Unterschied zu anderen Vertragsformen liegen. Der Patient dürfe durch eine solche Vertragspflicht nicht im Umgang mit seinem eigenen Körper gebunden werden.36 Er wird nach h. M. in seinem Recht auf Unvernunft geschützt.37 Diesen Erwägungen ist zuzugeben, dass §  630c Abs.  1 BGB als Obliegenheit ausgestaltet ist und der Behandlungsseite daher keine klagbare Pflicht auf Mitwirkung an der Therapie zusteht.38 Dies wäre haftungsrechtlich grundsätzlich noch kein zwingendes Argument gegen eine Schadensersatzverpflichtung, da bürgerlich-rechtlich Konstruktionen reiner Sekundäransprüche auf Schadensersatz ohne primäre Leistungsverpflichtung denkbar sind.39 Allerdings ist auch in diesem Fall der Einwand der herrschenden Meinung zur Ablehnung von patientenseitigen Mitwirkungspflichten beachtlich. Die Anerkennung von Schadensersatzansprüchen könnte je nach Einkommen, Vermögen und wirtschaftlicher Stellung des Patienten eine erhebliche Drohkulisse bedeuten, die diesen im Hinblick auf seine freien Entscheidungsmöglichkeiten im Umgang mit dem eigenen Körper erheblich zu stören vermag. Patienten mit geringen finanziellen Ressourcen könnten durch das Haftungsrecht in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit mit Blick auf den Umgang mit dem eigenen Körper weithin eingeschränkt werden. Dies beträfe gleichermaßen Personen, die trotz gesundheitlicher Probleme die anstehende Geburtstagsfeier des besten Freundes einschließlich kontraindizierten Alkoholkonsums genießen wollen und dabei gegen ärztlichen Rat verstoßen. Entsprechendes gilt für den passionierten Kampfsportler, der trotz kurz zurückliegender Operation zu früh sein Training fortsetzt, um für den nächsten Turnierkampf gerüstet zu sein. Es erscheint durchaus zweifelhaft, ob das zivilrechtliche Haftungsrecht darauf ausgerichtet sein soll, gegen derartige Unvernunft, die wesentliche Ausprägung der Persönlichkeit sein kann, über ökonomischen Druck mittelbar maßregelnd vorzugehen. Auf die erheblichen Argumente zu Gunsten ökonomischer Bindung mit Blick auf die Erhaltung und Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems wird bei der Erörterung sozialrechtlicher Erwägungen zurückzukommen sein.40 Auch muss beachtet werden, dass die Behandlungsseite außerhalb der Notfallversorgung41 und anderen denkbaren Fällen einer Kündigung zur Unzeit 35 

Vgl. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  7. Vgl. Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630c Rn.  4. 37  Vgl. BGHZ 90, 103, 105 f. = NJW 1984, 1397 f.; BGHZ 163, 195, 197 f. = NJW 2005, 2385; BGHSt 11, 111, 114 = NJW 1958, 267; BGH, NJW 1980, 1333 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/ Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  99 mwN. Vgl. Fn 65 und 66 sowie mit Diskussion der insoweit problematischen Entscheidung BGH, NJW 1983, 350. 38  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  21; OLG Dresden, NJW-RR 2009, 30. 39  So schon OLG Hamm, NJW-RR 1987, 1109. Ausführlich zum insofern klassischen Bereich der culpa in contrahendo MüKo/Emmerich, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  311 Rn.  185 ff. mwN. 40  S. u. §  5 II. 2. b) und 3. b). 41  Geregelt in den Heilberufsgesetzen der Länder mit der Mitwirkungsverpflichtung aller 36 

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(§  627 Abs.  2 BGB) sich bei patientenseitigem Fehlverhalten unter Umständen42 gemäß §  627 Abs.  1 BGB vom Vertrag lösen kann, ohne entgelt- oder schadensersatzrechtliche Konsequenzen gemäß §§  627 Abs.  2 S.  2, 628 Abs.  1 S.  2 BGB fürchten zu müssen oder sich weitergehenden zivilrechtlichen Haftungsansprüchen ausgesetzt zu sehen. Ein Kontrahierungszwang oder eine fortwirkende Verpflichtung zur Behandlung nach gelungener Vertragsauflösung ist außerhalb von Notfallsituationen oder Unzumutbarkeit anderweitiger Leistungsbeschaffung in benötigtem Umfang nicht anzuerkennen. Dabei hat sich die Reichweite denkbarer Behandlungspflichten nach einer Interessenabwägung im Einzelfall zu richten. Sie lässt im Hinblick auf die Diskussion über den Behandlungsabbruch wegen patientenseitiger non-Compliance den Arzt durchaus als vielfach schutzwürdig erscheinen. Dies gilt umso mehr, wenn dem Patienten vorab die Notwendigkeit seiner Mitwirkung im Behandlungsprozess sorgfältig dargelegt worden ist (hierzu folgender Exkurs)43.44 Eine weitergehende Pflichtenbindung trifft staatlich betriebene oder beherrschte Einrichtungen, da diese der Grundrechtsbindung sowie dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unterliegen.45 bb) Exkurs: Zivilrechtliche Behandlungspflicht trotz Ablehnung oder Kündigung Bürgerlich-rechtlich sind zwei Ansatzpunkte denkbar, unter welchen eine Behandlungspflicht trotz ärztlicher Zurückweisung angenommen werden müsste. Einerseits könnte sie auf einen gesetzlich angeordneten46 oder nach allgemeinen Grundsätzen unter Rückgriff auf §  826 BGB herzuleitenden47 Kontrahierungskammerangehörigen Ärzte. Die Details sind in Notfalldienstordnungen auf Basis spezieller Ermächtigungsgrundlagen in den Landesheilberufsgesetzen erfasst. Die Notfallversorgung ist darauf angelegt, den Patienten soweit notwendig zu versorgen und – sollte dieser im Übrigen bei einem anderen Arzt behandelt werden – sobald wie möglich den Kollegen zu informieren und den Patienten dorthin zu überweisen, vgl. pars pro toto §  1 Abs.  4, 5 der gemeinsamen Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. 42  Dazu näher unter §  5 I. 2. a) bb) (3)/(5). 43  §  5 II. 2. a) bb). 44  Bestimmung und Grenzen denkbarer Kontrahierungszwänge sind weithin umstritten, vgl. zur Übersicht LHeilbG BW, MedR 1993, 481 f. mAnm. Vogel; Quaas, MedR 1995, 54 ff.; Krieger, MedR 1999, 519 ff.; Hecker, MedR 2001, 224 ff.; Klose/Straub, MedR 2017, 935 ff. 45  §  5 II. 2. a) bb) (4). 46  Zur Übersicht MüKo/Busche, BGB, 8.  Aufl. 2018, §  145 Rn.  14 ff. mwN. 47  RGZ 133, 388, 390 f. S.a. RGZ 148, 326, 334; BGHZ 49, 90, 98 f. = NJW 1968, 400; BGHZ 44, 279, 283 = NJW 1965, 2249; BGHZ 36, 91, 100 = NJW 1962, 196; BGHZ 21, 1, 7 f. = NJW 1956, 1201. Die Rechtsprechung geht weithin zurück auf Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  53 ff. S.a. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff. Für eine Anwendbarkeit ohne das Erfordernis eines lebenswichtigen Bedarfs Busche, Privatautonomie, 1999, S.  199 ff. Gegen den deliktischen Ansatz Neuner, JZ 2003, 57 ff.; ders., Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  228 ff. mit näherer Beschreibung der anzulegenden Mindesterfordernisse von

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zwang48 gestützt werden,49 andererseits wäre eine Begründung über fortwährende Garantenpflichten aus einmal übernommener Behandlung50 denkbar. Notfallsituationen spielen bei dieser Erörterung eine untergeordnete Rolle, da ungeachtet potentieller Garantenpflichten bereits die allgemeine Hilfspflicht gemäß §  323c StGB eingreift51 und zudem Sondervorschriften für ärztliche Tätigkeiten im Notdienst existieren.52 Die beiden Fallgestaltungen sind argumentativ bei der Frage zu berücksichtigen, ob eine Kontrahierungspflicht vor dem Hintergrund bereits eingreifender allgemeiner Hilfspflichten nach §  323c StGB nicht erforderlich sind.53 Die Berücksichtigung des AGG ist in diesem Kontext verzichtbar, da es weder an dieser noch an späterer Stelle um ärztliche Differenzierungen nach den Merkmalen des §  1 AGG geht. Im Übrigen ergäbe sich aus den Vorschriften des AGG auch kein Kontrahierungszwang.54 (1) Vorgaben der Berufsordnungen Ausgangspunkt berufsrechtlicher Betrachtung ist §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä 55 mit der satzungsrechtlichen Bestimmung, dass jedenfalls vor Behandlungsübernahme auch der Arzt außerhalb von Notfallsituationen das Recht haben soll, Pa­ tien­ten abzulehnen.56 Anders als in der Regelung mit Patientenbezug in §  7 Kontrahierungszwängen. Neuner, a. a. O., S.  217 ff. plädiert für eine Erfassung als Ausprägung des Sozialstaatsprinzips, welches iVm Art.  1 Abs.  1 GG zu lesen sei. Zustimmend Klose/ Straub, MedR 2017, 935, 936 f. mit prägnanter Darstellung der Kritik am deliktischen Modell sowie Nachweisen zum Erklärungsansatz über eine Gesamtanalogie gesetzlich normierter Kontrahierungszwänge. 48 Grundlegend Mertens, Über Kontrahierungszwang, 1929, S.  13 ff. Ausführlich Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff. 49 Zum verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Vertragsfreiheit als zentralem Kernbestandteil der Privatautonomie BVerfGE 81, 242, 254 ff. = NJW 1990, 1469, 1470 f. 50  Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.   Aufl. 2015, Kap. IV Rn.  4 ff. mwN. 51  Vgl. BGHSt 21, 50, 52 = NJW 1966, 1172; BGH, NStZ 1985, 409. 52  Vertragsarztrechtlich in §  75 Abs.  1 S.  2 SGB V, berufsrechtlich mit §  26 der jeweils anwendbaren Berufsordnung und gesichert über die Rettungsgesetze der Länder mit entsprechenden Vorgaben im Rettungsdienst, vgl. pars pro toto das RettG NRW und hierzu RettG-NRW/D. Prütting, 4.  Aufl. 2016, §  5 Rn.  5 ff. Das Rettungswesen ist in NRW als hoheitlicher Dienst organisiert, was zur Anerkennung durch den BGH als Fall der Amtshaftung mit Verweisungsprivileg geführt hat, vgl. BGH, NJW 1991, 2954. Zur Definition der Notfallpatienten als Kranke oder Verletzte, die sich in Lebensgefahr bringen oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht umgehend medizinische Hilfe erhalten, Rieger/Lippert/Lissel, Rettungsdienst, in: HK-AKM, 2013, Nr.  4540 Rn.  1 f. Ausführlich Schulte, Rettungsdienst durch Private, 1999. 53  Näher diskutiert bei Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941 f. 54  Näher MüKo/Busche, BGB, 8.  Aufl. 2018, vor §  145 Rn.  17 mwN.; Klose/Straub, MedR 2017, 935, 938 f. mwN. 55  Nachfolgend wird auf die MBO-Ä zurückgegriffen, da die Berufsordnungen der Länder sich insofern nicht von den Vorschlägen in der MBO-Ä unterscheiden. 56  Als selbstverständliches Gegenstück zur Freiheit des Patienten gesehen bei Sobotta, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, MBO, 3.  Aufl. 2018, §  7 Rn.  2.

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Abs.  2 S.  1 MBO-Ä verhält sich §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä nicht ausdrücklich zu der Frage späterer Kündigung oder zum tatsächlichen Abbruch der Behandlung. Besondere rechtliche Verpflichtungen zur ärztlichen Versorgung werden jedoch anerkannt, allerdings nicht näher ausgeführt, was insbesondere mangels Ausnahmen denkbarer Fälle von Unzumutbarkeit zu Kritik geführt hat.57 Auf diese Vorschrift lässt sich daher für die Situationen außerhalb der Notfallversorgung weder ein zivilrechtliches Kontrahierungsgebot noch eine spezifische Garantenpflicht stützen.58 Vielmehr erscheint §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä als Regelung einer Ablehnung eines generellen Kontrahierungszwangs für den berufsrechtlichen Bereich und entscheidet inhaltlich nicht die Frage, ob dies zivilrechtlich anders zu beurteilen sein könnte. Daher ist §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä auch kein tauglicher Ansatzpunkt, um denkbare Regel-Ausnahme-Verhältnisse ärztlicher Pflichtversorgung und Ablehnungsmöglichkeiten zu erörtern. Einen bedenkenswerten Ansatz bilden allerdings bei näherer Betrachtung die §§  2 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 S.  1, 2 sowie §  11 Abs.  1 MBO-Ä. Der einzelne Arzt als Kammerpflichtmitglied59 hat seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sein Verhalten am Patientenwohl auszurichten, was nach §  11 Abs.  1 MBO-Ä insbesondere die ordnungsgemäße medizinische Betreuung erfasst. 60 Daraus ließe sich bei unbefangener Lesart herleiten, dass ein einmal eingegangenes Arzt-Patient-Verhältnis ärztlicherseits nicht beliebig kündbar sein soll, jedenfalls aber mit Blick auf eine übernommene Garantenstellung fortwirkende Garantenpflichten der ärztlichen Versorgung nach sich ziehen könnte.61 Den unbestimm-

57  Mit Hinweis hierauf ablehnend Klose/Straub, MedR 2017, 935, 939. Allerdings kann §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä auch so gelesen werden, dass dieser unter dem ungeschriebenen Vorbehalt situativer Zumutbarkeit steht, sowohl in der Sache Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, MBO-Ä, 3.  Aufl. 2018, §  7 Rn.  9 mVa. Bösche, ÄM 1956, 263, 264 f. als auch in der dort erörterten Abwägung. 58  Hierzu auch Frehse, AZR 2002, 176 f.; Frehse/Kleinke, in: Saalfrank, Handbuch des Medizin- und Gesundheitsrechts, 7. EL. 2018, §  1 Rn.  171. 59  Vgl. pars pro toto §  2 Abs.  1 LHeilbG NRW. Eine entsprechende Vorschrift weist jedes Bundesland auf. 60 Ausführlich Ratzel, in: Ratzel/Lippert/J. Prütting (Hrsg.), MBO-Ä, 7.  Aufl. 2018, §  11 Rn.  1 ff. mwN. 61  In diese Richtung wohl das Verständnis von Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, §  13 Rn.  52 mVa. Krieger, MedR 1999, 519 f. Allerdings dürfte es sich bei Krieger um ein Missverständnis handeln. Dieser stützt seine Ansicht im Wesentlichen auf BGH, VersR 1979, 376. In dieser Entscheidung setzt sich der BGH jedoch mit der Kündigungsmöglichkeit und gleichzeitiger Aufhebung übernommener Garantenpflichten letztlich nicht auseinander, da das ärztliche Verhalten das Vertrauen des Patienten in eine fortwährende Betreuung aufrechterhalten hatte. Eine nähere Analyse der Entscheidung führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass auch der BGH eine klare Ablehnung und Aufkündigung zu einem Zeitpunkt, zu welchem der Patient sich die Versorgung zumutbar anderweitig beschaffen konnte, den Arzt von seinen Pflichten entbunden hätte. Schließlich ist die Diskussion hier auch nicht berufsrechtlich geführt worden, so dass eine Aussage aus der jeweils anwendbaren Berufsordnung heraus nicht den tragenden Aspekt dargestellt hat.

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ten Rechtsbegriffen der „gewissenhaften Berufsausübung“62 und der „gewissenhaften Versorgung“63 in systematischer Zusammenschau mit §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä64 einen solchen Inhalt entnehmen zu wollen, erscheint jedoch begründungsbedürftig. In §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä befasst sich der Satzungsgeber unmittelbar mit der Frage des Kontrahierungszwangs und lehnt diesen bis auf Sonderfälle ab. Die Anerkennung einer Unkündbarkeit und einer damit einhergehenden Versorgungspflicht ab erstmaliger Behandlungsübernahme würde jedoch den Regelfall begründen, da nur wenige Gründe zur Ablehnung direkt bei erstmaliger Kontaktaufnahme führen und damit eine Behandlungsübernahme a priori verhindern, so etwa im Fall der Praxisüberlastung wegen zu vieler Patienten.65 Allerdings bieten die §§  2 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 S.  1, 2 sowie §  11 Abs.  1 MBO-Ä Schutz gegen einen vollständig unbedachten und ethisch nicht vertret62 „Gewissenhaft handelt ein Arzt dann, wenn er sowohl aus einer objektivierten Sicht der Patientenschaft als auch aus Sicht des gesamten Berufsstandes alle anerkannten Einzelgebote ärztlicher Berufsausübung beachtet sowie seiner besonderen Verantwortung gegenüber dem menschlichen Leben, der Gesundheit und der Persönlichkeit gerecht wird. Letzteres ist nur möglich, wenn der Arzt die zeitgeistlich anerkannten Regeln der Ethik achtet.“ Da eine allgemeingültige Definition des Begriffs „gewissenhaft“ bezüglich der ärztlichen Tätigkeit nicht existiert, ist der vorliegend verwendete Begriff vom Verfasser in J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  141 mit dem genannten Definitionsversuch besetzt worden. Diesem Begriff liegt eine Auswertung der Rechtsprechung zu Grunde, welche etliche Einzelbeispiele für die Frage der fehlenden Gewissenhaftigkeit aufweist. In einer konsolidierten Gesamtbetrachtung folgender Judikate sowie der Berufsordnungen der Ärztekammern als indizielles Verständnismoment, ergibt sich die verwandte Definition: Landesheilberufsgericht Münster, Urt. v. 18.02.2009 6t A 898/07.T = NWVBl 2009, 386; VG Münster, Urt. v. 08.08.2007 16 K 349/07.T = MedR 2008, 322 f.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.07.2007 LBGH A 11625/06 = ArztR 2008, 51; VG Münster, Urt. v. 31.05.2006 19 K 1581/05.T = ZM 2007, Nr.  5, 103; Landesheilberufsgericht Münster, Urt. 05.04.2006 6t A 3527/04.T = NWVBl 2006, 423 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.09.2005 6 A 10556/05 = MedR 2006, 301 ff.; Heilberufsgericht Frankfurt, Urt. v. 26.04.2005 21 BG 6932/04 = MedR 2006, 70 f.; VG Münster, Beschl. v. 13.10.2004 14 K 788/04.T; OVG Münster, Urt. v. 29.01.2003 6t A 1039/01.T = NJW 2003, 2332 f. = GesR 2003, 247 f.; VG Frankfurt, Urt. v. 04.06.2002 21 BG 4443/01; Landesheilberufsgericht Münster, Urt. v. 03.05.2001 15 A 4950/98.T = NJW 2002, 912 f.; VG Münster, Urt. v. 10.02.1999 6 K 1620/98 = MedR 1999, 284 ff.; Landesheilberufsgericht Münster, Beschl. v. 16.10.1996 1t E 993/95 = NWVBl 1997, 181 ff.; Landesheilberufsgericht Münster, Urt. v. 27.09.1989 ZA 1/88 = GewArch 1990, 210 ff. 63  Dieser Begriff bezieht sich nach allgM. auf die ärztliche Sorgfalt und deren anerkannte Ausprägungen, vgl. Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, MBO-Ä, 3.  Aufl. 2018, §  11 Rn.  2 mwN. Ratzel, in: Ratzel/Lippert/J. Prütting (Hrsg.), MBO-Ä, 7.  Aufl. 2018, §  11 Rn.  3 weist darauf hin, dass die Sorgfaltspflichten allerdings stets in Wechselwirkung mit der konkret-individuellen Indikationslage zu betrachten sind, wobei es auch auf psychosoziale Aspekte ankommen kann. 64  Als spezifische Ausprägung der Gewissensfreiheit will demgegenüber Hegerfeld, Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten, 2018, S.  60, 68 f. die Vorschrift des §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä verstanden wissen. Diese Deutung ist vor dem Hintergrund von BVerwGE 27, 303, 305 = NJW 1968, 218 nachvollziehbar, was jedoch nicht bedeutet, dass es sich um den einzigen Inhalt der Vorschrift handelt. 65  Eine übersichtliche und griffige Auflistung bietet Krieger, MedR 1999, 519, 520, allerdings handelt es sich – bei näherer Betrachtung der Nachweise – im Wesentlichen um einen

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baren66 Behandlungsabbruch. 67 Sachgerechte Versorgungspflicht und gewissenhafte Berufsausübung verlangen in jedem Fall, dass der Arzt erwägt, ob dem Patienten der Behandlungsabbruch zugemutet werden kann, 68 insbesondere ob dieser notwendige medizinische Versorgung an anderer Stelle rechtzeitig erhalten wird, wenn er um Behandlung ersucht.69 Hierdurch wird jedoch kein erweiterter Kontrahierungszwang angeordnet, sondern das eingangs erwähnte Maß der Notfallversorgung und der Zumutbarkeit für den Patienten aufgegriffen und in Form einer Anlehnung an die zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten per dynamischer Verweisung eingefasst. Die nähere Ausprägung der Zumutbarkeitsabwägung muss daher nach hier vertretener Ansicht eigenständig bei denkbaren Kontrahierungszwängen nach sonstigen spezialgesetzlichen oder bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen erörtert werden, soll die Pflicht zum Vertragsschluss entschieden werden. Für die Reichweite rechtsgeschäftlicher und deliktischer Verhaltenspflichten als Ausformung unbestimmter Rechtsbegriffe innerhalb der Öffnungsklauseln der §§  276 Abs.  2, 630a Abs.  2 BGB ist jedoch eine Berücksichtigung denkbar, so dass das Berufsrecht auf eine Mindestversorgung hinwirkt, ohne deren Parameter jedoch zu erläutern. Im Übrigen ergibt sich aus den §§  14, 16 und 26 MBO-Ä für die Frage einer generellen Behandlungspflicht weder unmittelbar noch mittelbar Näheres. Nur soweit dort Konkretes angeordnet ist (kein Zwang zum Schwangerschaftsab-

Literaturkonsens, der je nach Praxisfall nicht in pauschaler Form befolgungsfähig erscheint, sondern stets eine Abwägung verlangt. 66  Voreilig erscheint insoweit die Schlussfolgerung von Klose/Straub, MedR 2017, 935, 938, wenn der ethische Ansatz mangels normativer Brücke generell ausgeschieden wird. Der Begriff der Gewissenhaftigkeit in §  29 HeilbG NRW beinhaltet diesen ebenso wie §  2 Abs.  1 S.  1 MBO-Ä. Jedes Bundesland hat den Begriff der Gewissenhaftigkeit formell landesrechtlich aufgenommen, vgl. §§  30, 31, 32 Abs.  1 HeilbG Brandenburg; §§  27, 28 Abs.  1, 29 HeilbG Bremen; §§  27, 28 HeilbG Hamburg; §§  22, 23, 24 HeilbG Hessen; §§  31, 32, 33 HeilbG Mecklenburg-Vorpommern; §§  32, 33 HeilbG Niedersachsen; §§  20–23 HeilbG Rheinland-Pfalz; §§  22–25 HeilbG Saarland; §§  16, 17 HeilbG Sachsen; §§  19, 20 HeilbG Sachsen-Anhalt; §§  20–23 HeilbG Thüringen; §§  29–31 HeilbG SH. 67  Für eine rechtliche Inkorporation erkannter und bestimmbarer berufsethischer Grenzüberschreitungen, J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  141 ff. unter Vorschlag hiermit einhergehender Kompetenzausweitungen der Ethikkommissionen. Ethische Grenzen sind insbesondere bei der Bestimmung von Fällen sachwidriger Patientenablehnung erwägenswert, die den Ethos des ärztlichen Berufsbildes bedrohen könnten. Ein treffendes Beispiel erörtert Hecker, MedR 2001, 224 ff. mit der Frage der Zulässigkeit einer Patientenablehnung aufgrund parteipolitischer Gesinnung. 68  Dahingehend auf Basis eines ethischen Ansatzes Lukowsky, Philosophie des Arzttums, 1966, S.  220 f. 69  Hierfür kann mittelbar die Abwägung in BGH, VersR 1979, 376 ff. herangezogen werden, da es ärztlichen Pflichten iS eines standardgerechten Vorgehens nicht genügt, den übernommenen Obhutspflichten in Form sachgerechter medizinischer Versorgung nicht zu genügen und auch keine Erreichbarkeit von Ersatz sicherzustellen. Daraus folgt jedoch keine Unkündbarkeit des Behandlungsverhältnisses unter Ausschluss von §§  630b, 627 BGB.

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bruch, §  14 Abs.  2 MBO-Ä, kein Verlassen Sterbender als Ausformung einer besonderen Garantenpflicht, §  16 S.  1 MBO-Ä), ist ein Rückgriff statthaft. (2) Die Behandlungspflichten der Leistungserbringer im Recht der zugelassenen Krankenhäuser und im Vertragsarztrecht Mit den §§  95 Abs.  3 S.  1 und 109 Abs.  4 S.  2 SGB V finden sich sowohl im Vertragsarztrecht als auch im Recht der zugelassenen Krankenhäuser sozialrechtlich angeordnete Behandlungspflichten.70 Diese werden für das Vertragsarztrecht in §§  13 Abs.  7 BMV-Ä, 13 Abs.  4 BMV-Z näher konkretisiert. Allerdings handelt es sich ausweislich der Systematik des SGB V um die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern.71 Die Versicherten werden in diesem Bereich jedenfalls nicht unmittelbar kraft gesetzlicher Anordnung berechtigt.72 Auch handelt es sich bei den Regelungen des BMV-Ä und des BMV-Z nicht um Verträge zu Gunsten Dritter iSd §  328 BGB (analog).73 Die gegenteilige Ansicht würde inhaltlich nach der Teleologie des Leistungserbringerrechts nicht tragen, da im System der Sachleistung die Versicherten sich an den Träger der jeweiligen Krankenkasse wenden sollen und die Sicherstellung flächendeckender qualitativ ordnungsgemäßer Versorgung durch Letztere zu gewährleisten ist.74 Nähme der einzelne Versicherte als unmittelbar Berechtigter der Gesamtverträge in der vertragsärztlichen Versorgung hieran teil, entstünden autonome Klagerechte, durch welche die Struktur vertragsärztlicher Versorgung mitbestimmt, überwacht und ggfls. sogar erweitert würde.75

70  Auf dieser Basis nehmen Fehn/Lechleuthner, MedR 2000, 114 ff. einen echten Kontrahierungszwang gegenüber dem Kassenpatienten an. 71  Hierauf weist bereits Hecker, MedR 2001, 224 f. hin und erörtert den Ansatz von Laufs, Arztrecht, 5.  Aufl. 1993, Rn.  102, wonach zwar von einer echten Behandlungspflicht auszugehen sei, deren Verletzung aber „nur“ disziplinarrechtliche Sanktionen nach sich ziehe. Ebenso Klose/Straub, MedR 2017, 935, 940. 72 Vgl. Schiller/Steinhilper, MedR 2001, 29 ff. 73 Ebenso Klose/Straub, MedR 2017, 935, 940 unter Rückgriff auf Staudinger/Klumpp, BGB, 2015, §  328 Rn.  30, 84 und mit Verweis darauf, dass ein hierauf gerichteter Wille des Arztes fehle. Ob es hierauf allerdings entscheidend ankommen kann, muss jedenfalls insoweit bezweifelt werden, als auch Klose/Straub, a. a. O. anerkennen, dass es wohl um eine analoge Anwendung des §  328 BGB ginge und der maßgebliche Ansatz gesetzgeberisch induziert ist. Dann könnte der gesetzgeberische Ansatz den fehlenden ärztlichen Willen allerdings potentiell überspielen. Im Ergebnis ist Klose/Straub zuzustimmen, allerdings maßgeblich aufgrund gleichgerichteter Gesetzesinterpretation, weniger mit Blick auf eine denkbare Relevanz der vertragsschließenden Ärzte. Dies erkennen auch Klose/Straub, wenn vorab der argumentative Hinweis auf das System des Vertragsarztrechts unter Beachtung des Sachleistungsprinzips erteilt wird. 74  Vgl. BVerfGE 11, 30 = NJW 1960, 715; BSGE 55, 188, 193 f. = BKK 1984, 260; BSGE 73, 271, 274 f. = NZS 1994, 507. S.a. Muckel, SGb 1998, 385 ff. 75 Hierzu Muschallik, MedR 1995, 6, 8. Zustimmend BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  42.

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Darauf haben die Versicherten jedoch nach dem System der §§  27 ff. SGB V keinen Anspruch. (3) Behandlungspflichten nach Landeskrankenhausrecht Speziell für die Krankenhäuser scheint das Krankenhausrecht der Bundesländer teilweise über den Ansatz der reinen Innenbindung des §  109 Abs.  4 S.  2 SGB V hinauszugehen.76 Pars pro toto findet sich in §  2 Abs.  1 KHGG NRW eine Versorgungsverpflichtung, die dem Umfang des Feststellungsbescheids entspricht, welcher auf Basis von §  16 KHGG NRW ergangen ist. Die staatlich regulierte Krankenhausplanung stellt hierdurch das gesetzliche Ziel aus §  1 Abs.  1 KHGG NRW sicher, wonach eine patienten- und bedarfsgerechte, gestufte, wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung durch Krankenhäuser zu gewährleisten ist.77 Allerdings ergibt sich auch aus diesem Ansatz kein eigenständiger privatrechtlicher Kontrahierungszwang, wofür die folgenden Argumente streiten. Das KHGG NRW richtet sich gemäß §  1 Abs.  3 an jede Art Krankenhaus und unterscheidet nicht zwischen öffentlicher und privater Trägerschaft. Vielmehr soll die gemäß §  1 Abs.  2 S.  1 KHGG NRW als spezifisch öffentlich ausgestaltete Aufgabe der Krankenversorgung iSd §  1 Abs.  1 KHGG NRW sichergestellt werden, indem alle Arten von Trägern einer bestimmten Regulierung unterworfen sind, die per Feststellungsbescheid einem oder mehreren Aufgabenbereichen in der Krankenhausplanung zugeordnet worden sind.78 Dies zu überwachen und nachzuhalten ist keine private Aufgabe und so sind die Konsequenzen des Pflichtverstoßes maßgeblich durch §  28 Abs.  2 KHGG NRW mit der Rückforderung von Fördermitteln bis hin zu Rücknahme und Widerruf des Bewilligungsbescheids nach §  16 KHGG NRW normiert. Betroffene Patienten können sich demgegenüber auf Basis der konkretisierten Einrichtungseröffnung an die Rechtsaufsicht und an ihre Krankenkasse wenden. Insbesondere Letztere ist den Patienten als Versicherte zur Beschaffung ordnungsgemäßer Versorgung verpflichtet.79 Das landesrechtliche Planungs- und Sicherstellungsmodell würde andernfalls entgegen der Sachleistungsidee des SGB V gezielt die Träger stationärer Versorgung zum direkten Anspruchsgegner erklären, was 76  Vgl. §  2 Abs.  1 KHGG NRW, §  5 Abs.  1 S.  1 KHG Hessen, §  17 Abs.  1 KHG Thüringen, §  21 Abs.  1 KHG Berlin, §  5 Abs.  1 S.  1 KHG Saarland, §  3 Abs.  1 KHG Brandenburg, §  4 Abs.  1 S.  1 KHG Mecklenburg-Vorpommern, §§  28 Abs.  1, 29 Abs.  1 KHG Baden-Württemberg. In Richtung einer Verpflichtung wohl auch §  30 Abs.  1 KHG Sachsen, §  33 Abs.  1 KG Rheinland-Pfalz. Ohne entsprechende Verpflichtungen: KHG Niedersachsen, KrG Bayern, KHG Hamburg, KHG Sachsen-Anhalt. 77 Ausführliche Erläuterungen von Zweck und Hintergrund bei D. Prütting, KHGG NRW, 4.  Aufl. 2017, §  1 Rn.  1 ff. 78  Zum Verständnis der Planungsentscheidung Sodan, GesR 2012, 641, 646. 79  §  39 SGB V. Vgl. zu den Anspruchsvoraussetzungen Becker/Kingreen/Becker, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  39 Rn.  21 ff. mwN.

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mit der reinen Innenbindung gemäß §  109 Abs.  4 S.  2 SGB V kaum zu vereinbaren sein dürfte. Als Ergänzung sei betont, dass das KHGG NRW – ebenso wenig wie die Krankenhausgesetze in den übrigen Bundesländern – die Idee verfolgt, bürgerlich-rechtliche Verpflichtungen zwischen Einrichtung und Patient zu regeln.80 Ein spezifischer Kontrahierungszwang, der generell gegenüber jedem Patienten griffe, stellte somit eine nicht avisierte zusätzliche Belastung dar, die im Hinblick auf die bereits vorgesehene Krankenhausaufsicht und die drohenden öffentlich-rechtlichen Konsequenzen unverhältnismäßig erscheint. Dass es nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen gleichwohl Erwägungen geben mag, die einen begrenzten Kontrahierungszwang stützen können,81 steht dem nicht entgegen. Abschließend sei noch auf §  34b KHGG NRW hingewiesen, nach dessen Abs.  2 eine Haftpflichtversicherung nur diejenigen Leistungserbringer vorweisen müssen, die auch tatsächlich einen Behandlungsvertrag iSd §  630a BGB mit dem jeweiligen Patienten abschließen. In der amtlichen Begründung wird auf die Patientenmobilitätsrichtlinie verwiesen, wonach der Träger der stationären Einrichtung auch als Belegkrankenhaus fungieren kann und somit die medizinischen Leistungen und damit die Behandlung nach §  630a BGB nicht zusagt.82 Die Vorschrift geht somit implizit nicht von einem Kontrahierungszwang aller Krankenhäuser im bürgerlich-rechtlichen Sinne aus, sondern greift erst ein, wenn der Krankenhausträger auch selbst Behandlungsverträge in Form von totalen Krankenhausverträgen schließt.83 Man mag einwenden, dass Krankenhäuser, die auf Basis von Antragsverfahren und Feststellungsbescheid selbst zur Leistungserbringung verpflichtet sind, stets unter §  34b Abs.  2 KHGG NRW fallen. Das vermag jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen, dass der Gesetzgeber des KHGG NRW bei Anordnung des Haftpflichtschutzes jedenfalls nicht davon ausgeht, dass ein Behandlungsvertrag grundsätzlich zustande kommt oder stets einseitig zwingend verlangt werden könnte. Andernfalls wäre in §  34b KHGG NRW zur Erreichung des avisierten Ziels ein umfassender Haftpflichtschutz angeordnet worden. (4) Sonderfall: Medizinische Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Hand Anders zu beurteilen sind Klinika in öffentlich-rechtlicher Hand. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob diese als staatlicher oder kommunaler Eigenbe-

80  Es geht vielmehr ausschließlich um das planerische Pendant zu den §§  107 ff. SGB V auf Landesebene, vgl. D. Prütting, KHGG NRW, 4.  Aufl. 2017, §  2 Rn.  8 ff. 81  S. u. §  5 II. 2. a) bb) (5). 82  LT-NRW-Drucks. 16/5412, S.  31. 83 Vgl. D. Prütting, KHGG NRW, 4.  Aufl. 2017, §  34b Rn.  11.

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trieb oder in privater Rechtsform geführt werden.84 Die zentrale Besonderheit ist in allen Fällen öffentlich-rechtlicher Trägerschaft die Grundrechtsbindung (Art.  1 Abs.  3 GG) und der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.85 Ein kommunales Krankenhaus unterliegt daher insoweit einem Kontrahierungszwang zum Abschluss eines Behandlungsvertrages, als es öffentlich Leistungen für Patienten anbietet. Der Leistungsumfang ergibt sich abermals aus dem jeweiligen Feststellungsbescheid nach Krankenhausplanungsrecht des Bundeslandes. Dogmatisch verortet folgt die Pflicht insbesondere aus Art.  3 Abs.  1 GG,86 da staatlich an die Bevölkerung zur Verfügung gestellte Leistungen nach dem Gleichheitssatz einen Anspruch auf gleiche Teilhabe im Rahmen gegebener, also insbesondere konkret zur Verfügung gestellter Kapazitäten, begründen.87 Kein Anspruch besteht demgegenüber auf Kapazitätsausweitung oder Erhaltung des einmal angebotenen Leistungsumfangs.88 Aber auch dieser verfassungsrechtlich induzierte Kontrahierungszwang verlangt keine medizinische Versorgung im Fall von Unzumutbarkeit für die betroffenen Einrichtungen und Ärzte. Eine sachlich begründete und somit gerechtfertigte Ungleichbehandlung, die mangels unmittelbarem oder mittelbarem Personenmerkmalsbezug lediglich an der Willkürformel des BVerfG89 zu messen ist,90 liegt in jenen Fällen vor, in denen zu Gunsten der Ärzteschaft 84  Vgl. BVerfG, NVwZ 2016, 1553 mAnm. Becker und dazu Waldhoff, JuS 2017, 286 ff. mwN. S.a. Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, 84. EL. 2018, Art.  20 Rn.  220 ff. 85  Vgl. etwa BVerfG, NJW 1996, 3146. 86  Andere, an dieser Stelle nicht weitergehend erörterungsbedürftige Ansätze könnten sich ergeben, wenn die gesamte Gesundheitsversorgung verstaatlicht würde und somit private Anbieter vollständig verschwinden würden. In diesem Fall wäre im Hinblick auf Schutzpflichterwägungen aus Art.  2 Abs.  2 S.  1 GG sowie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum Existenzminimum als Ausformung des Menschenwürdeprinzips iVm dem Sozialstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 125, 175 = NJW 2010, 505) ein Anspruch auf Zugang zu Gesundheitsleistungen zu erwägen, vgl. hierzu die Grundsätze nach BVerfGE 33, 303 = NJW 1972, 1561. 87  BVerfGE 110, 412, 431 = NJW-RR 2004, 1657 f.; BVerwGE 104, 203, 223 = NJW 1997, 3104; BVerwGE 118, 379, 383 = NVwZ 2004, 350; BGHZ 124, 327, 332 = NJW 1994, 1874. Ausführlich zur Selbstbindung der Verwaltung Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, VwVfG, 9.  Aufl. 2018, §  40 Rn.  103 ff. mwN. Sofern die dauerhafte Zurverfügungstellung einer Einrichtung als eine Vielzahl wiederkehrender gleichgerichteter Verhaltensweisen verstanden wird, begründete dies gleichermaßen eine Selbstbindung der Verwaltung, vgl. BVerwGE 145, 326 = DVBl 2013, 1261. Es ist nicht von Bedeutung, ob die Selbstbindung erkannt worden ist, vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1999, 547. 88  Vgl. BVerwGE 104, 220, 223 = NVwZ 1998, 273; BVerwGE 126, 33, 51 = NVwZ 2006, 1184. 89  Grundlegend BVerfGE 1, 14, 52 = NJW 1951, 877 ff. 90  Hierzu BVerfGE 88, 87, 96 = NJW 1993, 1517: „Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. (…) [D]er Gesetzgeber [unterliegt] bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Diese Bindung ist umso enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art.  3 Abs.  3 ge-

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auch im Übrigen stets ein Recht zur Patientenablehnung akzeptiert wird.91 Für die vorliegende Grundsatzdiskussion zentral ist dabei die Fallgruppe der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.92 Hiervon ist jedenfalls auszugehen, wenn es zu ernsthaften verbalen oder gar körperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Aber auch der vorliegend entscheidende Fall patientenseitiger Unvernunft respektive der Verstoß gegen ärztlichen Rat unter Gefährdung oder Zerstörung des Behandlungsziels kann eine solche Zerrüttung nach sich ziehen.93 Zwar kann nicht jedes Abweichen von ärztlichem Rat genügen, jedoch sollte nach hier vertretener Ansicht dem Arzt spätestens nach wiederholtem und seitens des Patienten erkanntem Zuwiderhandelns gegen dringenden und nachdrücklichen ärztlichen Rat zugestanden werden, das Behandlungsverhältnis zu kündigen und mit diesem bestehende Garantenpflichten zu beenden. Dies steht unter dem schon angeführten Vorbehalt, dass es sich nicht um einen Notfallpatienten handelt und der Betroffene in zumutbarer Form in der Lage ist, sich anderweitig medizinische Hilfe zu sichern.94 (5) Kontrahierungszwang nach allgemeinen Regeln Auch nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ist ein Kontrahierungszwang denkbar.95 Soweit dessen Voraussetzungen greifen, bezieht sich nannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. (…) Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art.  3 Abs.  1 nur festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Dagegen prüft das BVerfG bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, iE nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können.“ Die exakte Bestimmung, welcher Teil der Skala zwischen reiner Willkürprüfung und vollständiger Verhältnismäßigkeitskontrolle (oder Entsprechensprüfung) betroffen ist, konnte im Rahmen der Vielgestaltigkeit der Rechtsprechung und der hierzu verfassten Literatur nach wie vor nicht abschließend geklärt werden, zur Übersicht BeckOK/ Kischel, GG, 39. Ed. 2018, Art.  3 Rn.  34 ff. mwN. Dass rein sachbezogene Unterscheidungskriterien jedoch lediglich nach sachlichen Differenzierungskriterien verlangen, ist h.A., vgl. BVerfGE 55, 72, 88 f. = NJW 1981, 271 f. (neue Formel); am deutlichsten im Rahmen der Fortsetzung BVerfGE 88, 87, 96 f. = NJW 1993, 1517. 91  Vgl. die Auflistung bei Krieger, MedR 1999, 519, 520. 92 Vgl. Quaas, in: Quaas/Zuck/Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, §  13 Rn.  52. 93 Vgl. zum querulatorischen Verhalten Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Hdb.-ArztR, 4.  Aufl. 2010, §  14 Rn.  13; Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941; Krieger, MedR 1999, 519, 520. 94  Darlegungs- und beweisrechtlich sei darauf hingewiesen, dass die Gründe des Behandlungsabbruches im Fall patientenseitiger non-Compliance einen wesentlichen Aspekt für die korrekte Folgebehandlung darstellt und somit von den §§  630f Abs.  1, 2 sowie 630h Abs.  3 BGB erfasst ist. Vgl. hierzu MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630f Rn.  5 mwN. Zu Gegenstand und Hintergrund Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  55 Rn.  11; Giesen, Arzthaftungsrecht, 3.  Aufl. 1990, Rn.  426; Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, 1999, S.  73. 95  Zur Übersicht MüKo/Busche, BGB, 8.  Aufl. 2018, vor §  145 Rn.  20 ff. mwN.

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dieser Zwang auf den Gesundheitsleistungen anbietenden Arzt ungeachtet der Frage, ob es um ambulante, stationäre, privatärztliche oder kassenärztliche Versorgung geht, da bürgerlich-rechtlich insofern kein sachlicher Unterschied erkannt werden konnte, solange die Behandlungsseite nicht Grundrechtsverpflichteter ist.96 Nach heute h. M., die den allgemeinen Kontrahierungszwang deliktisch verortet und damit eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung gemäß §  826 BGB in diesen Fällen erkennt, führt die Schadensersatzrechtsfolge zum Kontrahierungsgebot oder zur Kompensation für ablehnungsbedingte Nega­ tiv­folgen.97 Voraussetzungen sind ein öffentliches Angebot von Waren oder Dienstleistungen, Abhängigkeit des Betroffenen vom Anbieter, erhebliche Bedeutsamkeit der Güter für die Lebensführung und Zumutbarkeit für den Adressaten des Zwangs.98 Öffentliches Angebot und Bedeutung für die Lebensführung: Im Bereich medizinisch indizierter Versorgung durch Angebote niedergelassener Ärzte oder für den Publikumsverkehr geöffneter Krankenhäuser sind die Elemente des öffentlichen Angebots und der erheblichen Bedeutung für die Lebensführung der Betroffenen kaum zu bestreiten. Letzteres mag allenfalls im Bereich marginaler Abweichungen vom physischen oder psychischen Normalzustand99 bezweifelt werden. Abhängigkeit: Problematisch ist hierbei jedoch die einzelfallgerechte Bestimmung des Abhängigkeitsverhältnisses.100 Dies hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab, insbesondere der Entfernung zum Arzt, der Art der Erkrankung, dem Bestehen anderer ärztlicher Angebote und deren Entfernung zum Patienten, von ökonomischen und sozialen Umständen, in denen sich der Patient befindet etc. Hinzu tritt das Problem, dass das Abhängigkeitserfordernis selbst bei Ablehnung durch einen Allgemeinmediziner bei Existenz von drei 96 

S. o. §  5 II. 2. a) bb) (4). RGZ 133, 388, 390 f. S.a. RGZ 148, 326, 334; BGHZ 49, 90, 98 f. = NJW 1968, 400; BGHZ 44, 279, 283 = NJW 1965, 2249; BGHZ 36, 91, 100 = NJW 1962, 196; BGHZ 21, 1, 7 f. = NJW 1956, 1201. Die Rechtsprechung geht weithin zurück auf Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  53 ff. S.a. Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff. 98 Vgl. Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  136 f.; Bydlinski, AcP 180 (1980), 1 ff., 39 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S.  238; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S.  6 4; Klose/Straub, MedR 2017, 935, 940 f. 99  Die Bestimmung des menschlich gesunden Normalzustands ist in nahezu allen Details umstritten, s. zum Grundstandard der WHO: The Introduction of the Constitution of the WHO, 1st principle. Dem stehen verschiedene Ansätze soziologisch-empirischer wie auch medizinischer Natur gegenüber, vgl. Beck, MedR 2006, 95 f.; Orsolya/Scheidgen, in: Beck (Hrsg.), Krankheit und Recht, 2017, S.  25 ff.; Lipp, a. a. O., S.  171 ff.; Spickhoff, a. a. O., S.  215 ff. Pschyrembel (Begr.), Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Gesundheit“, S.   748, Stichwort „Krankheit“ S.  1118. 100  So zurecht Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941. 97 

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Weiteren vor Ort zunächst als evident nicht gegeben erachtet werden könnte. Die Beurteilung verändert sich jedoch, wenn statt der bloßen Existenzprüfung anderer Angebote die reelle Chance weiterer Ablehnungen einbezogen wird. Je nachdem welcher Grund zur ersten Ablehnung geführt hat, mag dem Patienten auch bei allen anderen ein Vorbehalt drohen. In diesen Fällen erscheint es jedoch für die Bestimmung des Kontrahierungszwangs zweifelhaft, darauf abzustellen, dass der Patient sich von allen Ärzten eine gesicherte Absage holen muss, bevor er nach §  826 BGB vorgehen kann, es sei denn, dieses Vorgehen ist dem Patienten einzelfallbedingt zumutbar.101 Letzteres dürfte aber wiederum für den jeweiligen Arzt nur schwer einzuschätzen sein. Daher wird für die Einzelfallprüfung im Wesentlichen darauf abgestellt, wie erheblich, insbesondere wie dringlich die Behandlungsbedürftigkeit einzuschätzen ist. Je näher der Patient dem Notfall steht, desto eher ist von einem Abhängigkeitsverhältnis auszugehen, desto geringer ist der ärztliche Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Annahme überwiegender Ablehnungsgründe zu erachten.102 Dass diese undurchsichtige Rechtslage in praxi für den besonnenen Arzt zur Vermeidung von Haftungsrisiken dazu führen dürfte, eher von einer Kontrahierungspflicht auszugehen, selbst wenn eine solche nicht besteht, ist kein befriedigendes Ergebnis, sondern vielmehr ein Angriff auf den letzten Rest verbleibender Privatautonomie in diesem Bereich. Dies ist im Rahmen der Zumutbarkeitserwägungen zu berücksichtigen. Deutlich ist ein Abhängigkeitsverhältnis allerdings im Fall einer Spezialklinik mit faktischer Monopolstellung für ihren Bereich.103 Zumutbarkeit: Grundsätzlich ist es dem öffentlich anbietenden Arzt ohne Weiteres zumutbar, die auch an Dritte offerierten Leistungen jedem gegenüber zu erbringen. Die oben unter (4) genannten Beschränkungen müssen im Wege eines erst-recht-Schlusses gerade auch bei der Prüfung eines Kontrahierungszwangs nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen Beachtung finden, da spezialgesetzliche Anordnungen eine stärkere Legitimationsbasis bilden, als dies die Herleitung eines Kontrahierungszwangs nach allgemeinen Grundsätzen anbieten kann. Zu den Schranken gehört die Beschädigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient bei querulatorischem Verhalten.104 Dies ist insbesondere in wiederholten Verstößen gegen ärztlichen Rat zu sehen, 101  A. A. wohl Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941, die letztlich maßgeblich auf die faktische Abhängigkeit nach Befragung aller erreichbaren Ärzte abstellen. Jedoch dürfte das Ergebnis wegen des Zumutbarkeitskriteriums von der hier vertretenen Ansicht kaum einmal abweichen. 102 Vgl. Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941 mVa. Wolf/Neuner, BGB AT, 11.  Aufl. 2016, §  48 Rn.  13. 103 Hierzu KG, MedR 2010, 35; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. III Rn.  24 mwN. 104  Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  14 Rn.  13; Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941; Krieger, MedR 1999, 519, 520.

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wenn der Arzt auf die Bedeutung des vernunftgeleiteten Miteinanders gegen die Erkrankung eindringlich hingewiesen hat und dies erkennbar vom Patienten verstanden worden ist.105 Für eine korrekte Abwägung muss der Arzt allerdings berücksichtigen, inwieweit bereits ein Vertrauensverhältnis vorab aufgebaut worden ist, so dass ein zuvor langwierig bestandenes Behandlungsverhältnis eine entsprechend erheblichere Erschütterung verlangt.106 Auch an dieser Stelle gilt schließlich der Vorbehalt von Notfall und Zumutbarkeit anderweitiger Leistungsbeschaffung. Klose/Straub diskutieren in ihrer Analyse im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ergänzend die Frage, ob ein Kontrahierungszwang wegen fehlender Erforderlichkeit ausscheiden könnte, da §  323c StGB Not und Unglücksfälle bereits aufgreift und Jedermann zur Hilfe verpflichtet.107 Zudem werden Erwägungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag für den Fall des fehlenden Vertragsschlusses angebracht, da die Problematik der Anwendbarkeit von §  680 BGB einbezogen werden sollte. Klose/Straub ist darin zuzustimmen, dass Konkordanz zwischen vertraglichen Pflichten und reiner Hilfspflicht nicht in jedem Punkt gesichert erscheint, jedoch dürften die Unterschiede in praxi kaum auftreten können. Ein zufälliger Nothelfer, der zugleich von Beruf Arzt ist, sich bei der Hilfeleistung jedoch außerhalb seiner Praxis befindet, hat in diesem Moment und in diesem Rahmen ohnehin nichts öffentlich angeboten. Ein Kontrahierungszwang scheidet aus und die Behandlung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag ist korrekt. Ist der Patient im Rahmen der Sprechstundenzeiten aber schon in der Praxis, wird ein Vertragsschluss im Zweifel bejaht werden, sobald die Gesundheitskarte übergeben und eingelesen worden ist.108 Im Notdienst treten die öffentlich-rechtlichen Pflichten des Arztes an die Stelle vertraglicher Vereinbarungen.109 Zutreffend ist allerdings, dass es zahlreiche behandlungsbedürftige Krankheitsbilder unterhalb der Schwelle des §  323c StGB gibt, die eine Kontrahie105  Die hier vertretene Ansicht korrespondiert mit dem Verlangen der h. M. nach sachlicher Begründung, vgl. Narr/Hess/Schirmer/Hübner, Ärztliches Berufsrecht, Rn. B 114 f. 106  Diese Idee verfolgt letztlich wohl auch Krieger, MedR 1999, 519, 520 mVa. BGH, VersR 1979, 376; Deutsch, Arztrecht und Arzneimittelrecht, 2.  Aufl. 1991, Rn.  34, S.  21. Insofern lässt sich die Entscheidung des BGH auch weitestgehend einfügen, da der Senat maßgeblich auf gesetztes Vertrauen in die Fortsetzung der Behandlung abgestellt hat. 107  Klose/Straub, MedR 2017, 935, 941 f. 108 Vgl. Bohmeier/Schmitz-Luhn/Streng, MedR 2011, 704, 708 mVa. HK-AKM/Kern, 2005, Nr.  335 Rn.  10. Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  24 stellt lediglich auf das „Aufsuchen“ der Praxis durch den Patienten ab, wobei hier offenbleibt, worin die Annahmeerklärung liegen soll. 109  Vgl. BGHZ 153, 268, 272 ff. = NJW 2003, 1184; BGHZ 213, 270 = MedR 2017, 543. Zur privatrechtlichen Organisation des Rettungsdienstes OLG Stuttgart, NJW 2004, 2987; OLG Karlsruhe, GesR 2017, 235. Zur Übersicht mit Literaturnachweisen BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  19.

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rungspflicht bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nachsichziehen können. Hierfür ist die Diskussion relevant und das Kriterium der Erforderlichkeit zu bejahen.110 (6) Fortwirkende Garantenstellung und folgende Garantenpflichten Die vorab erfolgten Erörterungen zum Kontrahierungszwang und zur Kündbarkeit des Behandlungsverhältnisses sind zwingend mit ärztlicherseits aufzuerlegenden Garantenpflichten und einer zu Grunde liegenden Garantenstellung im deliktischen Sinne zu parallelisieren. Kann sich der Arzt nach den herausgearbeiteten Maßstäben wirksam vom Vertrag lösen, erlischt auch die vorab bestehende Garantenstellung und mit ihr denkbare Garantenpflichten.111 Die Vertreter der Gegenansicht begründen ihre Meinung nicht, sondern verlangen schlicht eine Zustimmung des Patienten zum Behandlungsabbruch.112 Damit wird zugleich der Frage nach dem Zeitpunkt erstmaliger Übernahme von Garantenpflichten durch Vertragsschluss oder durch faktischen Behandlungsbeginn erhebliches Gewicht eingeräumt, da eine vorherige Ablehnung für möglich gehalten wird.113 Dem kann nicht zugestimmt werden. Es stellt kein sachliches Unterscheidungskriterium für die Zumutbarkeit erzwungener ärztlicher Behandlung dar, ob der Patient in die Praxis des Arztes oder in ein Krankenhaus kommt und dort zunächst von einer Sprechstundenhilfe betreut wird, die als Vertreterin des Arztes mit ihm bereits einen Behandlungsvertrag schließt, oder ob der Arzt schon im Rahmen der Begrüßung den Patienten und sein Leiden erkennt und sofort jeglichen Behandlungsvertrag von sich weist. Das rechtliche Argument des geschlossenen Vertrages, welcher bereits Behandlungspflichten entsprechend der Standardvorgabe nach §  630a Abs.  2 BGB mit sich bringt, trägt in jenen Fällen nicht, in denen die Kündbarkeit gemäß §  627 Abs.  1 BGB möglich ist. Hier überlässt es der Gesetzgeber selbst im Fall geschlossener Verträge den Parteien, ob die einmal eingegangene Vereinbarung Bestand haben soll, ohne dass es hierfür besonderer Gründe bedürfte.114 Soll das Kündigungsrecht also entgegen §  627 Abs.  1 BGB beschränkt werden, ist dies in derselben Art und Weise 110  Grundlegend gegen die Anerkennung von privatrechtlichen Kontrahierungszwängen wohl MüKo/Wagner, BGB, 8. Aufl. 2020, §  630a Rn.  46 ff., wobei die oben dargestellte Erörterung nicht erfolgt. Ebenfalls weithin ablehnend BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  40 ff. 111  H.M., vgl. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. IV Rn.  5 mwN. 112 So Bohmeier/Schmitz-Luhn/Streng, MedR 2011, 704, 708, 709; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  159. 113 Konsequent dementsprechend die Erörterung von Bohmeier/Schmitz-Luhn/Streng, MedR 2011, 704, 708; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  158 f. 114  Vgl. zum Normhintergrund die Ausführungen bei MüKo/Henssler, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  627 Rn.  1 ff. unter besonderer Herausstellung der gesetzgeberisch vorgesehenen Sonderbe-

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begründungsbedürftig wie ein anfänglicher Kontrahierungszwang. Da dieser akute Behandlungsbedürftigkeit und Sondersituationen fortwirkender Garantenpflichten berücksichtigt und gleichbehandelt,115 ist in allen übrigen Fällen dem Arzt ein freies und keiner Begründung bedürfendes Kündigungsrecht zuzugestehen, welches auch die Garantenpflichten beseitigt. cc) Zwischenfazit Als Zwischenfazit zum zivilrechtlichen Ansatz kann festgehalten werden, dass die entgeltrechtliche Problematik erhöhter Kosten durch non-compliance des Patienten im Hinblick auf Schadensersatzansprüche im BGB nicht erfasst ist. Daneben ergibt sich aus §  630a Abs.  1 aE. BGB nur die pauschale Vorgabe des Ausschlusses der Entgeltzahlungspflicht bei kassengetragenen Leistungen, ohne dass Rücksicht darauf genommen würde, ob das ärztliche Entgeltrecht hinreichend Kostenerstattung und Gewinnmargen vorsieht. Allerdings kann der Arzt außerhalb von Notfallbehandlungen, Monopolstellungen, Fällen besonderer Bindung aufgrund bestehender Grundrechtsverpflichtung im Rahmen des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art.  3 Abs.  1 GG und Konstellationen, in denen nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen ein Kontrahierungszwang besteht, den Behandlungsvertrag gemäß §§  630b, 627 BGB kündigen und damit auch zugleich bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Garantenpflichten beenden. Für die vorliegende Untersuchung von zentraler Bedeutung ist, dass außerhalb von Notfallbehandlungen die erkannten Einschränkungen möglicher Kontrahierungszwänge insbesondere auch durch querulatorisches Verhalten des Patienten begründet werden können. Dem Arzt ist es nicht zuzumuten, den Patienten weiterzubehandeln, wenn er diesen nach unterlassener Mitwirkung deutlich und für diesen verständlich auf die Notwendigkeit der Mitwirkung hingewiesen hat und der Patient gleichwohl weiter gegen ärztlichen Rat handelt. Bei der vagen und damit schwierigen Gesamtabwägung, in welche der Arzt die Situation des Patienten, die Möglichkeit der Beschaffung anderweitiger Versorgung, die Dringlichkeit der Behandlung und die negative Tragweite des patientenseitigen Verhaltens einzustellen hat, muss dem Arzt ein erheblicher Beurteilungsspielraum zugestanden werden, um Überforderung und faktischen Kontrahierungszwang außerhalb erforderlicher Einzelfälle zu vermeiden. Die Kündigungsmöglichkeit bietet dem Arzt somit im Rahmen ihres Bestehens einen Schutz gegen patientenseitig verursachte Mehrkosten, die von der Kasse nicht oder nicht hinreichend getragen werden.

handlung von Verträgen, die ein besonderes persönliches Vertrauen voraussetzen, vgl. Dombek, in: FS Streck, 2011, S.  655, 659 ff.; Wertenbruch, MedR 1994, 394 f. 115  S. o. §  5 II. 2. a) bb) (1)-(5).

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b) Eigenverantwortung im Sozialrecht Der bisherigen Erörterung werden nunmehr zunächst Rechtsstellung und damit verbundene Verantwortung des Versicherten im Recht der GKV gegenübergestellt. Sofern und soweit es in diesem Bereich zu Leistungskürzungen oder -ausschlüssen kommt, entfällt automatisch die zivilrechtliche Schutzwirkung des §  630a Abs.  1 aE. BGB, was zu einer Entgeltzahlungsverpflichtung des Pa­ tien­ten führt. Soweit trotz patientenseitigem Fehlverhalten der Anspruch auf fortgesetzte Behandlung nach dem Recht des SGB V besteht, wird die Folgefrage der konkreten Lastentragung virulent. aa) Grenzen der kassenseitigen Leistungspflicht Aus dem allgemeinen Programmsatz des §  1 S.  3 SGB V lässt sich keine konkret fassbare Konsequenz für den Versicherten im Fall des mangelnden eigenverantwortlichen Umgangs mit der eigenen Gesundheit folgern. Daher ist diese Vorschrift lediglich auslegungsrelevanter Leitgedanke im Hinblick auf in Zusammenhang stehende Normen.116 Die Gesetzesbegründung formuliert: „Jeder Versicherte ist für die Erhaltung seiner Gesundheit soweit verantwortlich, wie er darauf Einfluß nehmen kann. Die Krankenkasse hat ihn dabei durch rechtzeitigen Einsatz der Leistungen und Maßnahmen nach diesem Buch zu unterstützen. Solidarität und Eigenverantwortung sind keine Gegensätze, sie sind tragende Prinzipien der GKV, sie gehören zusammen. Erforderlich ist heute eine neue Balance zwischen diesen Prinzipien. Ohne Solidarität wird Eigenverantwortung egoistisch, ohne Eigenverantwortung wird Solidarität anonym und mißbrauchbar.“117 118

Als konkrete Leistungseinschränkungen sind allerdings §§  52 und 52a, 27 Abs.  2 SGB V ausgestaltet. §  52 SGB V sieht eine Kostenbeteiligung des Versicherten in Abs.  1 erste Alternative bei vorsätzlicher Selbstschädigung, in Abs.  1 zweite Alternative bei Entstehung im Rahmen eines vom Versicherten begangenen Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens oder in Abs.  2 durch einen dort genannten medizinisch nicht indizierten Eingriff vor, wobei die Aufzählung abschließend sein soll.119 Die Vorschrift ist massiver Kritik ausgesetzt und insbesondere in verfassungsrechtlicher Hinsicht angreifbar.120 Ungeachtet dessen erlaubt die 116  Vgl. Becker/Kingreen/Becker/Kingreen, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  1 Rn.  7 f. mwN.; KassKomm/Peters, SGB V, 101. EL. 2018, §  1 Rn.  2, 7; monographisch aufgeschlüsselt bei Süß, Eigenverantwortung gesetzlich Krankenversicherter, 2014. Zum Vorrang der Eigenfürsorge auch BVerfGE 120, 125 = NJW 2008, 1868. 117  Hervorhebungen sind vom Verfasser. 118  So explizit die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 11/2237, S.  157. 119  BT-Drucks. 16/7439, S.  96. Somit ist eine analoge Anwendung auf andere Fallgestaltungen ausgeschlossen, vgl. SG Mainz, Gerichtsbescheid v. 21.9.2015 – S 3 KR 558/14 = BeckRS 2015, 73234. 120 Vgl. Huster, G + S 2012, 23, 25; Bernzen, MedR 2008, 549 ff.; Prehn, NZS 2010, 260; Wienke, in: Wienke/Eberbach/Kramer/Janke (Hrsg.), Die Verbesserung des Menschen, 2009,

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Norm jedoch eine nähere Auseinandersetzung mit dem gesetzgeberischen Willen hinsichtlich des Umgangs mit mangelhafter Eigenverantwortlichkeit des Versicherten im System der gesetzlichen Krankenversicherung. §§  52a und 27 Abs.  2 SGB V sollen zudem missbräuchliches Vorgehen durch zielgerichtetes Eindringen in den Versicherungsschutz in Form eines Tourismus zu Gunsten des Erwerbs von Gesundheitsleistungen unterbinden.121 Schließlich ist in den §§  63, 65 Abs.  2, 66 Abs.  2 und 3, 67 SGB I noch die Möglichkeit der Leistungsträger des Sozialrechts aufgenommen, Beziehern von Sozialleistungen im Fall von Krankheit oder Behinderung durch schriftliche Aufforderung (§  66 Abs.  3 SGB I) die Mitwirkungspflicht zur indizierten Behandlung (§  63 SGB I) dahingehend zu verschärfen, dass Unterlassung und Fehlverhalten eine Leistungskürzung (§  66 Abs.  2 SGB I) rechtfertigen können. Allerdings setzt §  65 Abs.  2 SGB I diesem Vorgehen enge Grenzen. Den Vorschriften lässt sich ob der dort statuierten Leistungsbegrenzungen und deren Voraussetzungen ein Zusammenspiel folgender Leitgedanken entnehmen: (1) Verschuldensprinzip, Sanktionscharakter, sozialrechtliche Erziehung, Solidarprinzip Obgleich im solidarischen Recht der Krankenversicherung Verschulden und Mitverschulden aus Sicht des Sozialrechtlers eine verschwindend geringe Bedeutung haben,122 knüpft der Gesetzgeber doch an schuldhaftes Verhalten Konsequenzen. Dabei wird im Hinblick auf §  52 Abs.  1 SGB V eine Unterscheidung nach vorsätzlicher Selbstschädigung einerseits und sozialschädlichem Verhalten in Form von Straftaten andererseits gemacht. Während sich der Selbstschädigungsgedanke im Hinblick auf das generelle Eigenverantwortungsprinzip des §  1 S.  3 SGB V unmittelbar einfügt und konkretisiert wird, statuiert der Gesetzgeber mit der Anbindung an Straftaten eine zusätzliche sozialrechtliche Sanktion zu Lasten des Versicherten.123 Das Sozialversicherungsrecht berücksichtigt S.  169, 174 f.; Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin, MedR 2009, 41; Höfling, ZEFQ 103 (2009), 286, 291; Becker/Kingreen/Lang, SGB V, 6.  Aufl. 2018, § 52 Rn. 8; NK-GesundhR/Höfling/Engels, SGB V, 2.  Aufl. 2018, § 52 Rn.  7. Eine Gefahr der Entsolidarisierung sehen Eberbach, MedR 2008, 325, 333; Reimer/ Merold, SGb 2008, 713, 716. S. allerdings auch die Erwägungen bei Andreas, ArztR 2012, 145, 152 f.; Kirchhof, ZMGR 2010, 210, 213. 121  Vgl. BT-Drucks. 16/3100 S.  108 zu §  52a SGB V und BT-Drucks. 12/3608, S.  78 zu §  27 Abs.  2 SGB V. Zum verfassungsrechtlichen Hintergrund Linke, NZS 2008, 342 ff. 122 Hierzu Mihm, NZS 1995, 7. 123  Dies erscheint je nach Lesart des Art.  103 Abs.  3 GG durchaus bedenklich, ist jedoch vor dem Hintergrund von BVerfG NStZ-RR 1996, 122, 123 mVa. BVerfGE 21, 391, 400 = NJW 1967, 1654 haltbar. Das BVerfG führt aus, dass Art.  103 Abs.  3 GG „kein umfassendes Verbot, aus Anlass eines Sachverhalts verschiedene Sanktionen zu verhängen [enthalte], sondern […] nur die wiederholte strafrechtliche Ahndung ein und derselben Tat [verbiete].“

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hierdurch nicht nur den Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Gesundheit, sondern flankiert den Erziehungsgedanken des Straf- und Maßregelrechts in Richtung auf ein sozialadäquates Verhalten, sofern Verstöße zugleich mit Verletzungsfolgen einhergehen.124 Sodann wird mit §  52 Abs.  2 SGB V eine besondere Form der Selbstschädigung aufgegriffen, die in der Rechtsfolge eine schärfere Regulation zu Lasten des Versicherten vorsieht als dies im Fall sonstiger vorsätzlicher Selbstschädigung nach §  52 Abs.  1 SGB V angeordnet ist.125 Absatz 2 sieht eine gebundene Entscheidung, Absatz 1 eine Ermessensentscheidung hinsichtlich Kostenbeteiligung und Leistungskürzung vor.126 Der Gesetzgeber erkennt die punktuell ausgewählten Vorgehensweisen des §  52 Abs.  2 SGB V als besonders schädlich für die Solidargemeinschaft, da dieselben in der Bevölkerung nach Ansicht des Gesetzgebers als typische wunschmedizinische Eingriffe gesehen werden und damit deutlich öfter als andere auftreten.127 Der hierdurch drohenden Mehrbelastung der Beitragszahler im Solidarsystem aufgrund von Folgeerkrankungen aus diesen Eingriffen begegnet der Gesetzgeber mit erheblicher ökonomischer Drohung.128 Im Umkehrschluss sei aber hervorgehoben, dass unterhalb der Schwelle vorsätzlicher Selbstschädigung und Schädigung bei Straftatbegehung sowie außerhalb der enumerativen Aufzählung medizinisch nicht indizierter Eingriffe ein Freiraum entsteht, der den Versicherten die Möglichkeit zur Eingehung von Risiken und zu unvernünftigem Umgang mit der eigenen Gesundheit zusichert, 124  Art.  103 Abs.  3 GG steht dem nicht entgegen, da das Verbot der Doppelbestrafung sich nur auf den Strafklageverbrauch von Kern- und Nebenstrafrecht, nicht jedoch auf andere Sanktionen aus dem Bereich des Disziplinar-, Berufs-, Verwaltungs- und Sozialrechts bezieht, vgl. grundlegend BVerfGE 21, 391, 400 = NJW 1967, 1654; BVerfG NStZ-RR 1996, 122, 123. Zur Übersicht BeckOK/Radtke/Hagemeier, GG, 39. Ed. 2015, Art.  103 Rn.  47. Gleichwohl ist stets darauf zu achten, dass bereits erfüllte Strafintentionen nicht doppelt angesetzt werden, wie sich deutlich im Rahmen der Rechtsprechung zum berufsrechtlichen Überhang zeigt, vgl. BVerfGE 27, 180 = NJW 1970, 507. Instruktiv VG Münster, Urt. v. 18.10.2017, 17 K 5288/17.T = BeckRS 2018, 144942 mAnm J. Prütting, medstra 2018, 254 f. 125  Zu den Bedenken Bernzen, MedR 2008, 549; Prehn, NZS 2010, 260. Die Vorschrift verteidigend SG Mainz, BeckRS 2015, 73234; SG Berlin, Urt. v. 10.12.2013 – S 182 KR 1747/12 = BeckRS 2014, 65961; Hauck/Noftz/Noftz, SGB V, 2019, §  52 Rn.  28j; KassKomm/Schifferdecker, 101. EL. 2018, §  52 Rn.  28 f. 126  Dies rechtfertigend SG Berlin, Urt. v. 10.12.2013 – S 182 KR 1747/12 = BeckRS 2014, 65961 mit Zusammenfassung Föllmer, GuP 2014, 117. Das SG, a. a. O. ist insbesondere der Ansicht, dass §  52 Abs.  2 SGB V keiner weitergehenden Verschuldensprüfung bedürfe, da die Veranlassung einer dort aufgeführten, medizinisch nicht indizierten Maßnahme bereits für sich genommen einen hinreichenden Vorwurf liefere. 127  Vgl. BT-Drucks. 16/3100, S.  108. 128  Dies als zulässige gesetzgeberische Typisierung (BT-Drucks. 16/3100, S.  108) erachtend SG Berlin, Urt. v. 10.12.2013 – S 182 KR 1747/12 = BeckRS 2014, 65961 mVa. BVerfGE 17, 1, 23 f. = NJW 1963, 1723; BVerfGE 26, 265, 275 f. = NJW 1969, 1617; BVerfGE 71, 146, 157 = NJW 1986, 709; BVerfGE 103, 310, 319 = NJ 2001, 474. Zudem betont das SG, a. a. O., dass auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts dem Gesetzgeber eine besonders weite Einschätzungsprärogative zukomme, BVerfGE 113, 167, 215 = NVwZ 2006, 559.

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ohne dass der Versicherte im Verletzungsfall mangelnden Versicherungsschutz befürchten müsste. Eine strikte Beschränkung ist nach den §§  52a und 27 Abs.  2 SGB V nur im Fall des Medizintourismus gegeben, jedoch sind die Voraussetzungen dieser Leistungsbeschränkungen so eng, dass die rechtspraktische Bedeutung verschwindend gering ist.129 Zudem greifen diese Vorschriften das Problem des unvernünftigen Umgangs mit der eigenen Gesundheit nicht auf. Ein anderes Bild könnte sich auf den ersten Blick aber aus der Mitwirkungsverpflichtung des §  63 SGB I mit der Kürzungsdrohung des §  66 Abs.  2 SGB I ergeben. Jedoch zeigt eine nähere Betrachtung, dass der Gesetzgeber auch hier zurückhaltend gewesen ist. Zwar begründet §  63 SGB I tatbestandlich die Mitwirkungsverpflichtung des Leistungsempfängers bei jeglicher Erkrankung, sofern für diese Leistungen eines Sozialleistungsträgers beansprucht werden. Jedoch setzt bereits §  65 Abs.  2 SGB I weitreichende Grenzen. Leistungsbezieher sind hiernach in ihrer Unvernunft geschützt, wenn die Behandlung mit erheblichen Schmerzen einhergehen wird, Schäden für Leben oder Gesundheit durch die Behandlung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können und kein erheblicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ansteht. Für den Bereich der Mitwirkungsverpflichtungen verbleiben daher nur solche Fälle, in denen dem Patienten ohne größeres invasives, insbesondere ohne offen operatives Vorgehen weithin gesichert geholfen werden kann, ohne ihn zu gefährden.130 Es handelt sich um klassische medikamentöse Therapien, die ein eher marginales Nebenwirkungsspektrum mit sich bringen, sowie um gesunde Ernährung aufgrund spezifischer medizinischer Notwendigkeiten und um medizinisch indizierte Physiotherapie etc. Aber selbst wenn ein solcher Fall iSd §  63 SGB I ohne Ausschluss nach §  65 Abs.  2 SGB I gegeben ist, steht eine Leistungskürzung zusätzlich unter dem Vorbehalt, dass der Leistungsträger – in den hier erörterten Fällen also typischerweise der jeweilige Kostenträger – die Kürzung gemäß §  66 Abs.  3 SGB I angedroht, dabei die Mitwirkungsverpflichtung spezifiziert und eine angemessene Frist zur Ausführung gesetzt hat, die verstrichen sein muss. Dies impliziert, dass der Leistungsträger vorab von der fehlenden Mitwirkung hinreichend detailliert erfahren haben muss, was in der Praxis bei der klassischen Behandlung keineswegs selbstverständlich ist, da der jeweils unmittelbare Leistungserbringer – der entsprechend im Einzelfall gewählte Arzt – schon faktisch nicht jeden Fall der non-Compliance dem zuständigen Krankenkassenträger melden wird. Hinzu tritt die Problematik, dass die Zulässigkeit der Übermittlung derartiger Patientendaten ohne rechtfertigende Einwilligung des Patienten 129  Es bedarf eines gezielt missbräuchlichen Vorgehens, welches dem Betroffenen nachzuweisen ist, was der Vorschrift den Vorwurf reiner Symbolgesetzgebung eingebracht hat, vgl. Becker/Kingreen/Lang, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  52a Rn.  4. Vgl. zur gesetzgeberischen Idee BTDrucks. 16/3100, S.  94, 108. Krit. auch Linke, NZS 2008, 342 ff. 130  Im Einzelnen KassKomm/Seewald, SGB I, 101. EL. 2018, §  65 Rn.  2 2 ff.

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vielfach beschränkt ist, da der ärztliche Leistungserbringer zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung (Art.  2 Abs.  1 iVm 1 Abs.  1 GG) einer Schweigepflicht unterliegt (§§  203 Abs.  1 Nr.  1 StGB, 9 MBO-Ä, Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag).131 Zwar kommen Datenverarbeitung und -übermittlung gemäß Art.  9 Abs.  1, 2 lit.  h DSGVO für singuläre Behandlungsverhältnisse in Betracht, da es bei den §§  60 ff. SGB I wie auch bei den §§  27 Abs.  2, 52, 52a SGB V um die Verwaltung des Sozialsystems im Sinne von Stabilität und Wirtschaftlichkeit geht.132 Während der Gesetzgeber aber mit §  294a Abs.  2 SGB V für den Fall des §  52 Abs.  2 SGB V den Versuch unternommen hat, eine gesetzliche Grundlage für eine rechtmäßige Übermittlung ohne Patienteneinwilligung bereitzustellen, fehlt eine Entsprechung für die Fälle der §§  27 Abs.  2, 52 Abs.  1 SGB V und 63 SGB I. Die allgemeinen Vorschriften der §§  67a ff. und 100 SGB X helfen diesbezüglich nicht weiter, da diese den Abwägungs- und Bestimmtheitsvorgaben der DSGVO im Hinblick auf die Leistungsbegrenzungsfälle nicht gerecht werden.133 Dieser Einwand gilt im Übrigen auch nach deutschem Verfassungsrecht für eine Eingriffsrechtfertigung in Art.  2 Abs.  1 iVm. 1 Abs.  1 GG.134 Allerdings wird das Problem sowohl im ambulanten (§  295 SGB V) als auch im stationären (§  301 SGB V) Sektor partiell wieder eingefangen, indem die Leistungsträger Aufklärung durch das breite Spektrum übermittlungspflichtiger Informationen erhalten, die zu Abrechnungszwecken von den Leistungserbringern bereitgestellt werden müssen. Pars pro toto sei vor dem Hintergrund des eingangs gewählten Beispiels der patienteninduzierten Behandlungsverzögerung §  301 Abs.  1 S.  1 Nr.  3 SGB V hervorgehoben. Der jeweilige Krankenkassenträger erhält auf dieser gesetzlichen Grundlage nicht nur Auskunft über die Verweildauer, sondern auch eine medizinische Begründung für deren Verlängerung, die das Verhalten des Patienten unbestreitbar einschließt.135 Für so erlangte Daten gibt es mit §  284 Abs.  1 S.  1 Nr.  4 SGB V auch eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage, diese zum Zweck der Überprüfung bestehender Leistungspflichten und Leistungsbeschränkungen zu speichern und zu nutzen.136 Betrachtet man die umfangreichen Details der In131  Zur Übersicht MüKo/Cierniak/Niehaus, StGB, 3.  Aufl. 2017, §  203 Rn.  3 ff. mwN.; Lippert, in: Ratzel/Lippert/J. Prütting (Hrsg.), MBO-Ä, 7.  Aufl. 2018, §  9 Rn.  1 ff. mwN.; Hegerfeld, Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten, 2018, S.  60 f. 132  Dementsprechend sind solche Systeme durch die Erwägungsgründe Nr.  52 S.  2 und 53 zur DSGVO erfasst, vgl. hierzu Simitis/Hornungs/Spiecker/Petri, Datenschutzrecht, DSGVO, 2019, Art.  9 Rn.  84. 133 Vgl. Simitis/Hornungs/Spiecker/Petri, Datenschutzrecht, DSGVO, 2019, Art.   9 Rn.  87 f. 134  Zur Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandeln durch die Absicherung qua Bestimmtheitsgrundsatz BVerfGE 110, 33, 53 ff. = NJW 2004, 2213. 135  Allerdings erhält die Krankenkasse keine Einsicht in die Krankenunterlagen und hat hierauf auch keinen Anspruch, vgl. BSG, NZS 2010, 387, 388 f. Bei Prüfungsnotwendigkeit muss Herausgabe an den MDK beansprucht werden, vgl. BSG, NZS 2007, 653, 654. 136  Es ist nach dieser weitreichenden Eingriffsermächtigung irrelevant, dass die Daten zu

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formationsweitergabepflicht in den §§  295 und 301 SGB V, so liegt das Problem der leistungsträgerseitigen Verfolgung nicht in der Frage begründet, ob Informationen in ausreichendem Maße zu bekommen sind, sondern wann diese dem Träger zugespielt werden. Seitens der Leistungserbringer besteht insoweit ein beschleunigendes Eigeninteresse, da der Entgeltanspruch erst mit vollständiger Übermittlung der Daten fällig wird.137 Gleichwohl wird es auch verwaltungsintern bei der Krankenkasse erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, bis aus den Datensätzen an organisatorisch zuständiger Stelle Leistungskürzungen oder -ausschlüsse erwogen werden. Wird dies mit dem bereits ausgeführten Erfordernis der schriftlichen Androhung der Leistungskürzung einschließlich Fristsetzung nach §  66 Abs.  3 SGB I kombiniert, verbleiben nur noch solche praktischen Anwendungsfälle der §§  63, 66 Abs.  2 SGB I, in denen Patienten durch Eigenverschulden die Behandlungsbedürftigkeit um erhebliche zeitliche Perioden verlängern. Abschließend hat der Leistungsträger selbst bei Vorliegen und Kenntnis aller Tatbestandsvoraussetzungen einer Kürzung stets zu berücksichtigen, ob die damit einhergehende Belastung im Hinblick auf die persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Betroffenen verhältnismäßig ist.138 (2) Zwischenergebnis zur Eigenverantwortung der Versicherten Obgleich der Gesetzgeber im Sozialrecht mit den §§  27 Abs.  2, 52, 52a SGB V und 63, 66 Abs.  2 SGB I Verschuldenserwägungen und Sanktionsmechanismen auf Basis zu fordernder Eigenverantwortlichkeit in das Gesetz eingebracht hat, ist deren Umsetzung in der Praxis aufgrund der Vielzahl der Voraussetzungen sowie der benötigten, regelmäßig schwer zu beschaffenden Informationen eine Seltenheit. Für die zahlreichen Konstellationen patientenseitiger non-Compliance, die sich unterhalb der Ebene vorsätzlicher Selbstschädigung und wunschmedizinischer Eingriffe entsprechend der Aufzählung in §  52 Abs.  2 SGB V abspielen, sieht das Sozialrecht mit den §§  63 und 66 Abs.  2 SGB I ein theoretisches Konstrukt vor, welches nicht zur praktischen Verfolgung, Abschreckung und Erziehung der Sozialleistungsbezieher taugt. Entgegen dem eingangs zitierten Grundgedanken der Gesetzesbegründung zu §  1 SGB V kann von einer Balance zwischen Solidarprinzip und Eigenverantwortung keine Rede sein. Der Gesetzgeber hat seine Zielsetzung insoweit nicht mit tauglichen Mitteln unterfüttert. Es soll an dieser Stelle nicht bewertet werden, ob eine paranderen Zwecken erlangt worden sind, vgl. Becker/Kingreen/Michels, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  284 Rn.  2. Dies ist auch dringend erforderlich, da die Krankenkassen andernfalls ihre zahlreichen Aufgaben des SGB V nicht erfüllen könnten. 137  vgl. BSG, NZS 2015, 578 Rn.  10 f. 138  Beachtlich im Rahmen der Ermessensausübung bei der Frage denkbarer Ermessensüberschreitung, vgl. die knappen Hinweise bei KassKomm/Seewald, SGB I, 101. EL. 2018, §  66 Rn.  38.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

tielle Einschränkung des sozialrechtlichen Solidarprinzips zu Gunsten von mehr Eigenverantwortung rechtspolitisch wünschenswert wäre. Für die vorliegende Debatte sei vielmehr festgehalten, dass in aller Regel auch der unvernünftig handelnde Patient, der seine eigene Therapie zu Lasten von Leistungserbringern und Kostenträgern verschleppt oder ad absurdum führt, gleichwohl weiterhin alle Leistungen nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung erhält, ohne hierfür selbst auch nur teilweise in Anspruch genommen zu werden. bb) Lastentragung Die Erkenntnis aus den bisherigen Untersuchungen im Zivil- und Sozialrecht, dass der Patient respektive Versicherte bei Verhaltensweisen gegen das eigene körperliche Wohl regelmäßig allenfalls eine Kündigung durch den behandelnden Arzt, nicht aber eine Beteiligung an den entstehenden Mehrkosten zu erwarten hat, führt zu der Frage, wer diesen Schaden letztlich zu tragen hat. Unter Rückgriff auf die obigen Ausführungen139 zum Entgeltrecht zwischen Krankenhaus- und Krankenkassenträger ist zu konstatieren, dass die gesetzlich nicht zugewiesenen Kosten, die auch in den DRGs nicht abgebildet werden, je nach Streckungs- und Verteilungsmöglichkeiten des gegebenen DRG-Systems von den Krankenkassen und damit letztlich von den Beitragszahlern geschultert werden oder dem einzelnen Leistungserbringer finanzielle Nachteile bescheren, solange er die Behandlung nicht aufkündigt. Auf die Möglichkeiten der Verteilung haben Krankenkassen und Krankenhäuser jährlich bei der Budgetplanung Einfluss. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Neuberechnung für Ansätze bestimmter Krankheitsbilder geht, bei denen patientenseitiges Fehlverhalten häufig oder in gesteigerter Form auffällt. Damit sind die Krankenhäuser als Leistungserbringer zunächst an der Quelle der Information, um betriebswirtschaftlich jene Bereiche auszumachen, die sich planerisch erfassen lassen, um dort etwa typischerweise verlängerte Krankheitszeiten geltend zu machen. Für alle unvorhergesehenen Ausreißerfälle kann ebenfalls der Mittelwert in allen Bereichen zur Berechnung des Gesamtbudgets leicht angehoben werden. Aber auch die Krankenkassen verfügen über die Daten zur Abrechnung und auf Basis von Wirtschaftlichkeitsprüfungen über weitreichende Informationen, um Fehlverhalten von Patienten zu erkennen und einzupreisen. Deutlich zeigt dies das bereits bemühte Beispiel der Angabe von Gründen der Behandlungsverlängerung nach §  301 Abs.  1 S.  1 Nr.  3 SGB V. Der Gesetzgeber hat mit dem System des pflichtweisen vertraglichen Zuschnitts zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen (im stationären wie im ambulanten Sektor) einen Weg gewählt, für die Verteilung solcher Kostenrisiken den sich laufend wiederholenden Konsensfindungsprozess der Parteien zu 139 

§  5 II. 1.

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung

167

nutzen. Diese sind sachnäher und verfügen aus den genannten Gründen über detaillierte Informationen.140 Zugleich sind sie gesetzlich zur Einigung verpflichtet, was notfalls durch ein gesondertes Schiedsstellenverfahren erledigt werden muss, §  89 SGB V (ambulanter Sektor), §§  13 KHEntgG, 18a KHG (stationärer Sektor).141 Daraus folgt aber auch, dass die Frage der „Erziehung“ der Versicherten, sich eines solidarischen Verhaltens zu befleißigen, trotz gegenteiliger Erwähnungen und Zielsetzungen im SGB V letztlich ein Schattendasein fristet.

3. Die Gegenüberstellung der Metanormebenen (2. Stufe) a) Erwägungen zum Arztrecht – Systemverständnis und Zweckrichtung Das bürgerlich-rechtliche Arztrecht in den §§  630a–h BGB ist überwiegend kodifizierte Arzthaftung, wie sie sich in der Rechtsprechung entwickelt hat.142 Es beinhaltet nahezu ausschließlich die nähere Beschreibung von Haupt- und Nebenpflichten der Behandlungsseite als derjenigen, die die vertragscharakteristische Leistung erbringt.143 Die Verantwortung des Patienten zeigt sich unmittelbar normativ in §  630c Abs.  1 BGB als ein von Rechtsprechung und Literatur vernachlässigter Programmsatz144 und im Übrigen in den wenigen Punkten denkbarer Pflichten und Obliegenheiten, etwa §§  630a Abs.  1, 630b iVm 615 S.  1, 242, 254 BGB. Ein näherer Blick auf das System offenbart jedoch den Preis von Freiheitsschutz und damit verbundener Aufklärung. Das zivilrechtliche Arztrecht will Grundlage und Rahmen für eine geordnete und fruchtbare Arzt-Patient-Beziehung sein und damit den Teamgedanken des §  630c Abs.  1 BGB verfolgen.145 Zum Schutz des wissenstechnisch und situativ wegen des jeweiligen Leidens

140  Ob dies eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung gewesen ist, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Jedenfalls finden sich in den Materialien und Diskussionen im Parlament und in den Ausschüssen keine Hinweise darauf, dass bei der Begründung des heutigen Vertragssystems patientenseitige non-Compliance thematisiert worden wäre. 141 Ausführlich zum ambulanten Sektor KassKomm/Hess, SGB V, 101. EL. 2018, §   89 Rn.  4 ff. mwN. Eine prägnante Übersicht zum Entgeltstreit im stationären Sektor bietet D. Prütting, in: Huster/Kaltenborn (Hrsg.), Krankenhausrecht, 2.  Aufl. 2017, §  5 Rn.  141 ff. mwN. 142  Statt vieler MüKo/Wagner, BGB, 8.  Aufl. 2020, vor §  630a Rn.  1 ff. 143 Vgl. Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, vor §  630a Rn.  1 ff.; BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  5 ff.; MüKo/Wagner, BGB, 8.  Aufl. 2020, vor §  630a Rn.  1. 144  Vgl. Spickhoff/Spickhoff, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630c Rn.  4. Hierzu auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 17/10488, S.  21. 145 Zur dahinterliegenden Idee Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. I, Rn.  14 ff.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

unterlegenen Patienten146 ist jedoch eine Vielzahl von Informations- und Aufklärungspflichten vorgesehen, die die Autonomie des Patienten sowie seine körperliche und geistige Integrität und auch seine ökonomische Stellung sichern sollen, §§  630c Abs.  2 S.  1, 2, 630c Abs.  3 S.  1, 630e Abs.  1, 2 BGB.147 Diese behandlungsseitigen Pflichten unterschiedlichster Zielrichtung bedingen eine Flut von Informationen,148 die je nach Inhalt, Situation des Patienten, dessen Verfassung und Vorgeschichte die Teamidee des §  630c Abs.  1 BGB gefährden oder zerstören können.149 Freiheit und Eigenverantwortung des Patienten werden mit dem Preis des rechtlich eng geführten Arztes bezahlt, der sich unweigerlich in vielen Situationen unbeliebt macht und den uneinsichtigen Patienten nicht wird führen können. Der ärztliche Paternalismus scheint jedenfalls im Zivilrecht überwunden.150 Allem voran die Selbstbestimmungsaufklärung als ein auf die Verfassung nach Art.  2 Abs.  2 S.  1 sowie 2 Abs.  1 iVm 1 Abs.  1 GG zurückzuführendes Gebot151 soll Ausfluss dieser Errungenschaft sein.152 Dem Arzt, der diese Vorgaben vernachlässigt, drohen Haftung sowie strafrechtliche Verfolgung, wobei patientenseitiger Verzicht ob dessen kaum zu übersteigenden und zu sichernden Voraussetzungen keine Abhilfe schafft,153 wenn man den beschriebenen Zustand als Problem erachtete.154 146  Eingehende Erörterung bei Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  57 Rn.  6 ff. mwN. 147  Monographisch jüngst analysiert von Hegerfeld, Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten, 2018, passim. 148 Vgl. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  350 ff.; ders., NJW 2006, 2738, 2741. 149 Eindrucksvoll beschrieben von Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  57 Rn.  6 ff. 150 Vgl. zur Übersicht Hegerfeld, Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten, 2018, S.  56 ff. mwN. 151  Vgl. BVerfGE 89, 120, 130 = NJW 1994, 1590; BVerfGE 52, 131, 174 = NJW 1979, 1925. 152  Diskussion bei Hegerfeld, Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten, 2018, S.  55 ff. mwN. 153  Die Voraussetzungen eines solchen Verzichts bieten dem Arzt keine Sicherheit, da ein wirksamer Verzicht stets mit der Gefahr einhergeht, dass der Patient später argumentiert, die Tragweite sei ihm nicht klargewesen, vgl. hierzu BGHZ 29, 46, 54 = NJW 1959, 811; BGH, NJW 1973, 556, 558; Laufs, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, §  60 Rn.  18; Deutsch, NJW 1983, 1351, 1353. Zum Recht auf Nichtwissen als Ausdruck der Autonomie, vgl. Taupitz, in: FS Wiese, 1998, 583 ff. 154  Ob diese Entwicklung zu begrüßen oder kritisch zu würdigen ist, soll an dieser Stelle nicht weitergehend erörtert werden. Letztlich werden Rechtspraxis und Gesetzgeber die rechtspolitische Frage zu beantworten haben, ob den Patienten hierdurch am besten geholfen ist. Insbesondere wird immer wieder zu erwägen sein, wie viel Freiheit der Einzelne schultern kann, wenn mit dieser ein hohes Maß an Eigenverantwortung in einer Situation einhergeht, in der die individuelle Lebens- und Risikoentscheidung ohnehin niederschmetternd wirkt. Der freiheitsrechtliche Ansatz von Grundgesetz und Zivilrecht bietet einerseits die Möglichkeit, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, und andererseits ggfls. auch ab einem bestimmten Punkt die weitere Abwägung in ärztliche Hand zu legen. Für jeden, den bereits diese Grundsatzabwägung überfordert oder der die Wahrheit über seine gesundheitliche Si­ tua­tion nur schwer verkraftet, kann der Schutz besagter Freiheit auch eine schwere Last sein.

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung

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In diese Systemgedanken de lege lata fügt sich ein, dass es nach dem zuvor beschriebenen Haftungsregime keinen Ansatz gibt, den Patienten bürgerlich-rechtlich zu ressourcensparendem oder medizinisch vernünftigem Verhalten zu bewegen.155 Das System bringt vielmehr die gegenteilige Aussage mit sich. Statt den Weg effizienzorientierten Vorgehens in der Arzthaftung zu Lasten des Patienten in Form denkbarer Sparsamkeit zu beschreiten, kommt es zu einer Ausweitung der wirtschaftlichen Informationspflicht, wie dies mit §  630c Abs.  3 S.  1 BGB gegenüber der vormaligen Rechtsprechung der Fall gewesen ist.156 Die Alternativaufklärung gemäß §  630e Abs.  1 S.  3 BGB, die sich nach dem haftungsrechtlichen Maßstab des §  630a Abs.  2 BGB richtet und daher nach heute h. M. keine Wirtschaftlichkeitsaspekte berücksichtigt, sorgt zudem dafür, dass der Patient auch von allen therapeutischen Varianten erfährt, die medizinisch indiziert sind und unterschiedliche Chancen und Risiken aufweisen.157 Die Idee ist somit letztlich, den vollinformierten Patienten vor die freie Wahl zu stellen, wie er mit Körper und Gesundheit auf Basis aller für ihn denkbaren, medizinisch jedenfalls nicht kontraindizierten oder aus anderen Gründen gesetzes- oder sittenwidrigen Alternativen verfahren will. Eine unvernünftige Entscheidung ist zu jedem Zeitpunkt geschützt.158 Wird diese Betrachtung der Metaebene abschließend um einen weiteren Abstraktionsgrad ergänzt, so erscheint der Patient als herausstechend eigentümliche Form eines Verbrauchers.159 Die zentrale Besonderheit liegt in dem eingebrachten vertragsrelevanten Stoff in Form des eigenen Körpers und der eigenen Gesundheit. Dieser Stoff ist aber für jedes Individuum die Grundlage persönlicher Lebensgestaltung, da ohne hinreichende Gesundheit keine Teilnahme am Sozialleben, keine Arbeit, kein Verdienst, kein Fortkommen, keine Freizeitgestaltung etc. möglich sind. Und dies gilt auf der Makroebene für alle Menschen im Staat und damit zugleich als grundlegend relevanter Faktor einer funktionierenden Volkswirtschaft.160 Die zahlreichen patientenbegünstigenden Mosaiksteine erscheinen in einem zusammengesetzten Bild als Ausfluss dieses Systemgedankens.

155 

S. o. §  5 II 2 a. S. die Erörterung bei Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  156 ff. 157 Zur Rechtsprechung vor dem Patientenrechtegesetz BGHZ 106, 391, 394 ff. = NJW 1989, 1533 ff.; BGHZ 168, 103, 108 = NJW 2006, 2477 f.; BGH, NJW 2005, 1718 ff.; BGH, NJW 2000, 1788. Für die Zeit seit Existenz des §  630e Abs.  1 S.  3 BGB vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  24. 158  AllgM., vgl. J. Prütting, in: D. Prütting/J. Prütting (Hrsg.), Medizin- und Gesundheitsrecht, 2018, Kap.  5 §  22 II 2. 159 Zur vermögensrechtlichen Ausrichtung MüKo/Micklitz, BGB, 8.   Aufl. 2018, §   13 Rn.  11 f. 160  Hierzu bereits §  2 III. 4. c). 156 

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

b) Prinzipien des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung Im Hinblick auf das Bild der Versicherten hat sich bei der Analyse der Vorschriften zu Leistungskürzungen und Leistungsausschlüssen gezeigt, dass der Gesetzgeber im Sozialrecht zwar verhindern will, dass jede Form von unvernünftigem Verhalten den Beitragszahlern zur Last fällt. Jedoch wurde ebenso deutlich, dass hiervon nur ein kleiner, für die Praxis weithin unbedeutender Teil des Versichertenverhaltens letztlich erfasst wird. Im Rahmen einer abstrakten Betrachtung des Systems des SGB V erstaunt dieser Befund, sind doch die im gesamten Recht der GKV geltenden Leitprinzipien gemäß §  12 Abs.  1 S.  1 SGB V eine ausreichende, notwendige, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung.161 Zugleich nimmt §  12 Abs.  1 S.  2 SGB V sowohl die Leistungserbringer als auch die Krankenkassen und explizit auch die Versicherten in die Pflicht, unwirtschaftliche Leistungen nicht zu bewirken respektive nicht zu verlangen. Anders als das bürgerliche Recht ist die im SGB V geschaffene Solidargemeinschaft angehalten, verantwortungsvoll mit knappen Ressourcen zu verfahren (eingehend hierzu §  5 V).162 Dabei gibt es unterschiedliche Vorkehrungen, die der Gesetzgeber zur Finanzierung, Sicherung und zugleich Erziehung163 der Versicherten im Gesetz angelegt hat. In der Folgediskussion wird mit dem Problem der gesetzlichen Zuzahlungsverpflichtungen eine solche noch eingehend erörtert.164 Zugleich belässt der Gesetzgeber zur Berücksichtigung individueller Befindlichkeiten und zur Vermeidung unerträglicher Bindungen auch im Recht der GKV nicht zwingend erforderliche Freiheiten, die kostspielig sind, so etwa die freie Arztwahl gemäß §  76 Abs.  1 SGB V.165 Es muss daher de lege lata kritisch angemerkt werden, dass der Gesetzgeber des SGB V im Rahmen der Vielzahl von Gesetzesänderungen und damit einhergehenden singulären Anpassungen die rechtsstaatliche Bedeutung sowie die Möglichkeiten effizienten Wirtschaftens auf einem Sektor vernachlässigt, welcher zwingend auf beides angewiesen ist, um weiterhin möglichst reibungslos zu funktionieren. Das Problem verstärkt sich in allen Fällen der rechtsgebietsübergreifenden Normenkollision, da Norm- und Metaebenenvergleich ohne klare Rahmen- und Zweckbestimmung zunehmend schwieriger werden. Es drohen je nach Blickwinkel des Betrachters willkürliche Ergebnisse.166 161  Zur prägnanten Beschreibung Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  189 ff. Näher KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  12 Rn.  23 ff. mwN. 162  Vgl. BSGE 111, 146 = SGb 2012, 530; BSGE 107, 261 = BeckRS 2011, 69682; BSGE 97, 190 = SozR 4–2500 §  27 Nr.  12, Rn.  26. S.a. Felix, NZS 2012, 1 ff. 163  Deutlich etwa bei BSG, NZS 2016, 343. 164  S. u. §  5 III. 165  Einschränkungen bestehen bei der hausarztzentrierten Versorgung, vgl. §  73b Abs.  3 S.  2 SGB V. Ebenfalls bringt die besondere Versorgung nach §  140a SGB V Wahlbeschränkungen mit sich. 166  Eingehend zum Problem §  3 II. 1. und 3. a).

II. Das Prinzip der Eigenverantwortung

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c) Kollisionserwägungen auf Metaebene Die weitreichende Anerkennung der Unvernunft des aufgeklärten Patienten steht in einem Spannungsverhältnis zum Solidarprinzip des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies fällt in Theorie und Praxis insbesondere wegen der wechselseitigen Verstrickung im Bereich des grundlegenden Pflichtenprogramms des Patienten auf, §  630a Abs.  1 BGB. Mit der Zahlungspflicht Dritter steht der Behandlungsseite kein Entgeltanspruch gegen den Patienten mehr zu, §  630a Abs.  1 aE. BGB. Damit wird das externe Verteilungssystem der GKV in das bürgerliche Recht hineingetragen. Im bürgerlichen Recht des Behandlungsvertrags misst der Gesetzgeber aber der Selbstbestimmung des Patienten höhere Bedeutung als dem Schutz Dritter vor finanzieller Schädigung bei, wie eingehend erörtert worden ist.167 Vor dem Hintergrund des Optimierungsgedankens gesetzgeberischer Leitideen168 ist daher festzuhalten, dass sich – auch mit Blick auf die verfassungsrechtliche Verankerung der körperlichen Selbstbestimmung – tiefgreifende Modifikationen in Form der ökonomischen Belastung des unvernünftigen Patienten durch das Zivilrecht nicht ohne einen grundlegenden Systemwechsel in den §§  630a ff. BGB tragen lässt. Dieser Systemwechsel ist jedoch spätestens seit der gesetzgeberischen Verankerung der §§  630a ff. BGB im Jahre 2013169 dem Parlamentsgesetzgeber vorbehalten.170 Eine Lösung für das vorliegend erörterte Problem muss daher im diesbezüglich beweglicheren System des Sozialrechts gefunden werden.

4. Begleitendes Nebeneinander und wechselseitige Schonung (3. Stufe) Für ein taugliches Lösungskonzept des Problems ist die Heranziehung des Schonungs- und Akzeptanzkonzepts von Deinert sinnvoll.171 In seiner vertieften Analyse ist Deinert bei Kollisionen von Privat- und Sozialrecht wiederholt zu der Erkenntnis gelangt, dass die Rechtsgebiete einander wechselseitig schonen, das heißt Wertungswidersprüche vermeiden, und Entscheidungen des jeweils anderen Bereichs grundlegend akzeptieren, wobei Deinert dies überwiegend aus Sicht privatrechtlicher Vorgänge mit Wirkung im Sozialrecht aufgegriffen hat.172 Übertragen auf die vorliegende Diskussion sollte zur Wahrung 167 

S. o. §  5 II. 2. a). Vgl. §  3 II. 4. f). 169  BGBl.  I 2013, S.  277. 170  Die gesetzgeberische Entscheidung hat die Linien der Rechtsprechung subjektiv-teleologisch übernommen und zur anerkannten Linie des Gesetzes erhoben, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  9. Damit sind systemändernde Modifikationen nunmehr allerdings auch dem Gesetzgeber vorbehalten. Allgemein zum Parlamentsvorbehalt BVerfGE 104, 151, 208 = NJW 2002, 1559; BVerfGE 121, 135 = NJW 2008, 2018. 171  Zur Übersicht s. o. §  3 II. 4. e). 172 Vgl. Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht, 2007, S.  82 ff., 85 ff., 99 ff. 168 

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

der gesetzgeberischen Ziele eine sozialrechtliche Akzeptanz des Selbstbestimmungsschutzes im Zivilrecht de lege lata anerkannt werden. Dabei wird auch mit Blick auf Kosteninteressen, die relevanter Teil freier Entscheidung des Pa­ tien­ten sind, da ökonomischer Druck nach §  630a Abs.  1 BGB im Krankheitsfall von großer Bedeutung im Einzelfall sein kann, vom Sozialrecht zu fordern sein, dass die Aussteuerung von Versicherten aus dem System wegen bestimmter Verhaltensweisen zurückhaltend verfolgt wird.173 Dementsprechend fügt sich die zunächst unpassend anmutende Zurückhaltung des Gesetzgebers mit den §  27 Abs.  2, 52, 52a SGB V, 63 ff. SGB I letztlich in ein taugliches begleitendes Nebeneinander von zivilrechtlichem Arztrecht und Sozialversicherungsrecht ein. Dieses den Patienten respektive den Versicherten weithin unbehelligt lassende Nebeneinander steht jedoch in einer sensiblen Wechselwirkung mit der Belastbarkeit des gesetzlichen Krankenversicherungssystems. Sollten Leistungserbringer und Krankenkassen im System der Pflichtverträge (explizit oder implizit) die entstehenden Mehrkosten nicht sinnvoll abbilden oder ab einem bestimmten (ökonomisch zu bestimmenden) Punkt nicht mehr sachgerecht auffangen können, drohen Schäden, die letztlich durch Beitragssteigerungen aufgefangen werden müssten. Wenn sich diese rechtsgebietsübergreifende Normenkollision daher de lege lata letztlich nicht als auflösungspflichtige Widersprüchlichkeit im Recht erweist, so erlegt die Rechtslage den Leistungserbringern, Krankenkassen und schlussendlich der Gemeinschaft der Beitragszahler ein Sonderopfer auf, um patientenseitige Unvernunft als Teil der Persönlichkeitsentwicklung zu verteidigen. Dieses Ergebnis sollte in künftigen rechtspolitischen Diskussionen um die Steuerung und Entwicklung des Gesundheitssystems Berücksichtigung und kritische Würdigung erfahren.

5. Wesentliche Ergebnisse der Diskussion um die Eigenverantwortung a) Verstöße gegen medizinisch indizierte Verhaltensanweisungen des Arztes an den Patienten verursachen in allen Fällen Mehrkosten, in denen die Heilung verzögert und zusätzliche therapeutische Maßnahmen notwendig werden (non-Compliance). b) Zivilrechtlich kann die Behandlungsseite den gesetzlich versicherten Pa­ tien­ten hierfür weder im Rahmen des Entgeltrechts noch aus Schadensersatzgesichtspunkten in Anspruch nehmen. Dies gilt auch dann, wenn die zusätzlichen Kosten sozialversicherungsrechtlich nicht (hinreichend) vergütet werden. c) Allerdings ist der Arzt grundsätzlich befugt, das Behandlungsverhältnis gemäß §§  630b, 627 Abs.  1 BGB zu kündigen und damit zugleich seine Garantenstellung und mit ihr einhergehende Garantenpflichten zu beenden. Dieses Recht findet seine Grenze im Bereich des medizinischen Notfalls sowie den 173 

S. o. §  5 II. 2. b).

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungen

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sonstigen Fällen anzuerkennenden Kontrahierungszwangs (öffentlich-rechtliche Träger, allgemein bürgerlich-rechtliche Grundsätze). Allerdings finden auch die Fälle der Behandlungspflichten ihrerseits Grenzen im Rahmen der Zumutbarkeit für den betroffenen Arzt. Zentral ist innerhalb der Diskussion um Eigenverantwortlichkeitsprinzipien die Fallgruppe der Beschädigung oder Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, was im Wege querulatorischen Verhaltens, insbesondere auch durch non-Compliance geschehen kann, sofern der Arzt sich vor einer Kündigung ernsthaft um Vernunftleitung des Patienten bemüht hat. d) Werden diesen Gedanken die Ansätze des Sozialrechts gegenübergestellt, ergibt sich eine grundsätzliche Beachtlichkeit eigenverantwortlichen Verhaltens mit Sanktionsmechanismen und gezieltem Erziehungseffekt im Fall des Verstoßes. Diese Elemente sind Ausdruck eines Solidarsystems, welches mit begrenzten Mitteln notwendige, ausreichende und zweckmäßige Gesundheitsversorgung sicherstellen will. Daher sind alle Teilnehmer des Systems an den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gebunden. Eine nähere Analyse hat jedoch ergeben, dass die Maßnahmen der Leistungskürzung und des Leistungsausschlusses in ihrer aktuellen Ausgestaltung dieses Ziel bei Verfehlungen gegen sorgsamen Umgang der Versicherten mit knappen Ressourcen kaum Effektivität aufweisen. Die Idee der Solidarität aller wird gegenüber verlangter und verfolgter Eigenverantwortung zur Gesunderhaltung und damit zur möglichen Minimierung der Systembelastung deutlich überhöht. e) Die Kollisionsbewertung erlaubt entsprechend dem Schonungs- und Akzeptanzprinzip ein begleitendes Nebeneinander von Zivil- und Sozialrecht im Bereich des Umgangs mit Verstößen gegen eigenverantwortliches Verhalten des Patienten/Versicherten. Zugleich wird offenbart, dass die Kostenlast sich, bislang weithin verdeckt und implizit einpreisend, auf die Leistungserbringer und Krankenkassen und mit Letzteren auf die Gemeinschaft der Beitragszahler verteilt. Dies ist einer der Preise, die das Recht de lege lata für die eiserne Verteidigung patientenseitiger Selbstbestimmungsrechte zahlt.

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen 1. Problembeschreibung und rechtsgebietsübergreifende Normenkollision (Vorprüfung) Bereits in dem zuvor besprochenen Problemkreis ist auf die unterschiedlich gewichtete Bedeutung wirtschaftlicher Aspekte privatrechtlichen Arztrechts nach den §§  630a ff. BGB und öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungsrechts nach SGB V hingewiesen worden. Bislang stand jedoch §  630c Abs.  3 S.  1 BGB

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

nicht im Fokus, welcher die vertragliche Nebenpflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung durch die Behandlungsseite normiert und dessen Umfang aufgrund gesetzlich nicht eindeutig bestimmter Reichweite ausfüllungs- und beschreibungsbedürftig ist. Im Folgenden wird die Frage virulent, ob gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen174, wie diese sich im SGB V finden, Gegenstand wirtschaftlicher Information vor Behandlungsdurchführung gemäß §  630c Abs.  3 S.  1 BGB sind. Dies betrifft Zuzahlungsverpflichtungen des gesetzlich versicherten Patienten für stationäre Behandlungen (§  23 Abs.  6 SGB V), Vorsorgeleistungen (§§  23 Abs.  3 iVm 31 Abs.  3 sowie 24 Abs.  3 SGB V), empfängnisverhütende Mittel (§  24a Abs.  2 SGB V), Arznei- und Verbandsmittel (§  31 Abs.  3), Heilmittel (§  32 Abs.  2 SGB V), stationäre Rehabilitation (§  40 Abs.  5, 6) und Rehabilitationsleistungen für Mütter und Väter (§  41 Abs.  3 SGB V).175 Das Vorliegen einer erörterungsbedürftigen rechtsgebietsübergreifenden Normenkollision ist bei diesem Problemkomplex sowohl vor dem Hintergrund des äußeren Systems der Rechtsordnung als auch mit Blick auf die Unmöglichkeit evident zu erkennender Schnittstellenaussagen und gesetzgeberisch eindeutig angelegter Verschränkungen unbestreitbar. Insbesondere sind sowohl das bürgerlich-rechtliche Haftungsrecht als auch die Vorschriften und das Gefüge des Sozialversicherungsrechts mangels eindeutiger Aussagen daraufhin zu analysieren, welches informatorischen Schutzstandards der Patient in der unmittelbaren Begegnung mit der Behandlungsseite bedarf und welche Belastungen er im sozialversicherungsrechtlichen Gefüge selbst zu tragen hat. Gleichermaßen ist eine valide Aussage über die Aufgaben- und Haftungsverteilung aus sozialrechtlicher Perspektive ohne eingehende Untersuchung nicht möglich. Weder liegt offen zu Tage, ob aus sozialrechtlichem Blickwinkel die Leistungserbringer (medizinische Einrichtungen, Anbieter von Heil- und Hilfsmitteln etc.) oder die Krankenkassenträger oder beide für die Information der Versicherten zuständig sein sollen, noch lässt sich ad hoc die Frage beantworten, wer im Fall bestehender und letztlich nicht erfüllter Informationspflichten gegenüber dem Versicherten sowie im Verhältnis von Leistungserbringer und Krankenkassenträger haftungsrechtlich in welcher Form verantwortlich ist.

174 Selbstbeteiligung der Versicherten als Beitrag zur Kostensenkung in der GKV, vgl. Hauck/Noftz/Noftz, SGB V, 2018, §  43c Rn.  19. 175  Zur Übersicht KassKomm/Zieglmeier, SGB V, 101. EL. 2018, §  43c Rn.  3 f.

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungen

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2. Sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen im Kontext des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB (1. Stufe) a) Ausgangsnorm und Praxisproblematik §  630c Abs.  3 S.  1 BGB geht auf die hergebrachten Rechtsprechungsgrundsätze zur wirtschaftlichen Aufklärung176 zurück und führt bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen zur Schadensersatzverpflichtung der Behandlungsseite gegenüber dem Patienten wegen Nebenpflichtverletzung.177 Die Höhe entspricht nach der Rechtsprechung dem Kostenanteil, über welchen der Patient hätte belehrt werden müssen, so dass der Patient diesen Anteil zur Aufrechnung bringen kann und damit letztlich das Honorar nicht entrichten muss.178 Schon in der Einleitung ist auf die rechtspraktische Problembeschreibung hingewiesen worden,179 wonach die Leistungserbringer den Aspekt der Zuzahlung im Bereich wirtschaftlicher Information als nicht erfasst erachten und auf eine Vereinnahmung entsprechender Gelder im Sinne der und Abführung an die jeweiligen Träger der gesetzlichen Krankenkassen verweisen. Es wird eingewandt, dass der Leistungserbringer als reine „Zahlstelle“ fungiere.180 Die Kran176 

Vgl. BGH, NJW 1983, 2630; 2000, 3429. BT-Drucks. 17/10488, S. 22 mVa. BGH, NJW 2000, 3429. 178  Vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2004, 1608; OLG Stuttgart, VersR 2013, 583. Der BGH hat in der Entscheidung VersR 2000, 999, 1002 noch angenommen, dass der Zahlungsforderung schlicht der Einwand pflichtwidrigen Verhaltens entgegengesetzt werden könne. Da dies allerdings als dolo agit-Einrede iSd §  242 BGB zu verstehen gewesen sein dürfte, ergeben sich in der Folge keine Unterschiede zur heutigen rechtlichen Konstruktion, da auch der BGH im Fall etwaiger patientenseitiger Zahlung eine Schadensersatzverpflichtung anerkannt hat. 179  S. o. §  1. II. 2. 180  Diese Ansicht entspricht der zentralen Beschreibung des BSG für die Praxisgebühr als klassische Form der Zuzahlung, vgl. BSG, NJW 2010, 1993, 1994 Rn.  16 und 17: „[16] 3. Der geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch scheitert nicht schon daran, dass der Kl. die Praxisgebühr an den Vertragsarzt und nicht an die Krankenkasse gezahlt hat. Die Krankenkasse ist Gläubigerin des Anspruchs auf Zuzahlung nach §  28 IV SGB V und damit im vorliegenden Rechtsstreit passivlegitimiert. Der Vertragsarzt fungiert lediglich als Einzugs- bzw. Inkassostelle. Dies ergibt sich aus §  43b II SGB V, der derzeit in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2006 (BGBl.  I, S.  3439) gilt. Nach dessen Satz  1 und 2 sind – wie schon in der Ursprungsfassung des GMG – Zuzahlungen, die Versicherte nach §  28 IV SGB V zu entrichten haben, vom Leistungserbringer einzubehalten; dessen Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse, der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung verringert sich entsprechend. Ebenso verringern sich die nach §  83 SGB V zu entrichtenden Vergütungen in Höhe der Summe der von den mit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung abrechnenden Leistungserbringern einbehaltenen Zuzahlungen. [17] Daraus folgt, dass nur die „einbehaltenen“ Zuzahlungen, also tatsächliche Zahlungen der Versicherten, nicht aber schon die „einzubehaltenden“ Zuzahlungen den Vergütungsanspruch der Vertragsärzte verringern (so auch Wiemers, in: jurisPK-SGB V, 2008, §  43b Rn.  8). Ausfälle gehen letztlich zu Lasten der Krankenkassen. Zahlt ein Versicherter die Praxisgebühr anlässlich einer ärztlichen Behandlung nicht, hat der Vertragsarzt ihn lediglich schriftlich zur Nachentrichtung aufzufordern (§  43b II 4 HS.  2 SGB V). Bleibt diese Mahnung erfolglos, hat die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung im Auftrag der Krankenkasse die Einziehung der Zuzahlung zu übernehmen 177 

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kenkassen sehen sich zwar im Hinblick auf §  23a BMV-Ä institutionalisiert nach vertraglicher Abrede in der Pflicht, selbst gegenüber den Versicherten gewisse Informationsbemühungen ins Werk zu setzen, so dass eine – allerdings gezielte – Suche bei den Internetauftritten der Krankenkassen181 und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen182 zur gewünschten wirtschaftlichen Aufklärung führt. Regelmäßige Rundschreiben mit übersichtlicher Darstellung erreichen die Versicherten aber nicht. Zudem weisen – entgegen denkbarer Aufgabenwahrnehmung – befragte Mitarbeiter gesetzlicher Krankenkassen darauf hin, dass §  630c Abs.  3 S.  1 BGB und die Gestaltung des Arzt-Patient-Verhältnisses mit Blick auf wirtschaftliche Information durch den Leistungserbringer weder ihr Metier noch ihre Überwachungsverantwortlichkeit sein könne.183 b) Wortlautinterpretation Für die Analyse wird zunächst beim konkreten Wortlaut des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB angesetzt. Danach hat die Behandlungsseite als der konkrete Vertragspartner des Patienten vor der Behandlung in Textform darauf hinzuweisen, dass die vollständige Kostenübernahme der Behandlung durch Dritte nicht gesichert ist, wenn die Behandlungsseite dies weiß oder den Umständen nach hinreichend Anhaltspunkte hierfür hat.184 Eine Rechtsfolge im Fall des Verstoßes ist im Gesetzestext nicht genannt. Wird exemplarisch ein klassischer Fall der Zuzahlungsverpflichtung mit Einziehungspflicht der Behandlungsseite nach den §§  32 Abs.  2 S.  1 und 2, 43c SGB V hierunter subsumiert, so erscheinen folgende ­Aspekte diskussionswürdig: aa) Sinn und Zweck sowie Hintergrund der sozialversicherungsrechtlichen Zuzahlungspflichten müssen geklärt werden, um die Frage beantworten zu (§  43b II 4 HS.  1 SGB V), soweit in den Bundesmantelverträgen (§  82 I SGB V) nichts Abweichendes bestimmt ist (§  43b II 8 SGB V). Der Vertragsarzt hat hiernach also nur eine Inkassofunktion auszuüben, ist aber nicht selbst Gläubiger der Praxisgebühr. Die Stellung der Krankenkassen als Gläubiger der Praxisgebühr lässt sich zusätzlich aus der bereits oben angegebener Regelung des §  28 IV 3 SGB V ableiten, wonach im Fall der Wahl von Kostenerstattung statt der Sach- oder Dienstleistung (§  13 II SGB V) die Zuzahlung von der Krankenkasse gem. §  13 II 9 SGB V unmittelbar in Abzug zu bringen ist, sich die von ihr an den Versicherten zu erstattende Arztvergütung also um einen der Praxisgebühr entsprechenden Betrag verringert.“ 181  Etwa die AOK unter https://www.aok.de/pk/rh/inhalt/zuzahlungen-auf-einen-blick (Abrufdatum: 10.10.2019). 182 https://www.gkv-spitzenverband.de/service/versicherten_service/zuzahlungen_und_ befreiungen/zuzahlungen_und_befreiungen.jsp (Abrufdatum: 10.10.2019). Der GKV-Spitzenverband bietet an dieser Stelle eine verständliche und zugängliche Übersicht, worum es sich bei Zuzahlungen handelt, welche Bereiche betroffen sind und in welcher Höhe Zuzahlungen geleistet werden müssen. 183  So das Ergebnis der bereits unter §  1 II. 2. zitierten telefonischen Befragung von Mitarbeitern der AOK und der KKH Allianz. 184  Die Gesetzesbegründung wiederholt diesen Text und verweist im Übrigen auf die hergebrachten Rechtsprechungsgrundsätze, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  22.

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können, ob es sich um „Kosten der Behandlung“ im Sinne des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB handelt. Der Wortlaut schließt dies weder zwingend ein noch aus. bb) Sodann spricht die Vorschrift von „Kostenübernahme durch einen Dritten“. Insofern wird nicht deutlich, ob die Kostentragungspflicht zunächst im Sinne der §§  630b, 612 BGB iVm dem jeweils anwendbaren Kostenverzeichnis gegenüber der Behandlungsseite angefallen sein muss oder ob auch solche Kosten gemeint sein können, die originär – so wie es bei den Zuzahlungspflichten der Fall ist – einem Dritten zustehen (hier dem Versicherungsträger). cc) Weiterhin ist das Fehlen einer benannten Rechtsfolge interessant. Da §  630c Abs.  3 S.  1 BGB sich dem Wortlaut nach aber nur gegen die Behandlungsseite richtet, läge es nahe, auch Konsequenzen nur zu Lasten der Behandlungsseite anzuerkennen. Entfiele jedoch die von der Behandlungsseite als bloße „Einzugs- bzw. Inkassostelle“185 an den Krankenkassenträger im Verrechnungswege durchzureichende Zuzahlungsverpflichtung, so träfen die Folgen fehlgeschlagener Beitreibung beim Patienten zunächst – ohne gesonderten Regressmechanismus zwischen Krankenkasse und Behandlungsseite – ausschließlich den Krankenkassenträger, obwohl die zivilrechtliche Verfehlung bei der Behandlungsseite kraft Missachtung des gesetzgeberischen Auftrags in §  630c Abs.  3 S.  1 BGB gesehen werden müsste. dd) Und schließlich kann nicht gesichert festgestellt werden, in welchen Fällen der Ausschlusstatbestand des §  630c Abs.  4 BGB greifen soll, wonach besondere Umstände, die regelbeispielhaft186 mit „patientenseitigem Verzicht“ und „unaufschiebbaren Maßnahmen“ bezeichnet werden, vorliegen. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die Vorschrift in mehrfacher Hinsicht nicht selbsterklärend ist und daher schon zivilrechtlich nicht ad hoc beurteilt werden kann, ob sozialversicherungsrechtlich angeordnete Zuzahlungsverpflichtungen aus dieser Perspektive erfasst sein sollen und falls ja, mit welchen Konsequenzen. c) Systematische Einfassung und teleologische Erwägungen Spürt man weitergehend aus der zivilrechtlichen Perspektive den Grundlagen des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB nach, so fällt die umstrittene Sinnerfüllung im System der besonderen Schuldverhältnisse ins Auge.187 Der Patient muss – was sonst im Wesentlichen aus dem Verbraucherrecht bekannt ist, dort allerdings mit grundlegend anderen Rechtsfolgen188 – vor einer wirtschaftlich belastenden 185 So die höchstrichterliche Rspr. im Sozialversicherungsrecht, vgl. BSG, NJW 2010, 1993. 186  So schon in der Norm mit „insbesondere“ angelegt. S.a. BT-Drucks. 17/10488, S.  23. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Bedeutung des §  630c Abs.  4 BGB allenfalls in der Variante des Verzichts und insoweit auch nur selten zum Zuge kommen dürfte. 187  Zur Übersicht NK-BGB/Voigt, BGB, 3.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  17 mwN. 188  Vgl. §§  312 ff., 355 ff. BGB mit der Belehrungspflicht und der Möglichkeit zum fristge-

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Maßnahme informiert werden, weil der Vertragspartner (die Behandlungsseite) ein überlegenes Wissen mit Blick auf anfallende Kosten hat.189 Dies geschieht allerdings im Kontext der §§  630b iVm 612 Abs.  1, 2 BGB, wonach der Dienstleistungsberechtigte bei Eingehung eines typischerweise nur gegen Entgelt durchzuführenden Dienstvertrages nicht in der Erwartungshaltung geschützt wird, dass die Inanspruchnahme ihn nichts kosten werde.190 Dies gilt ungeachtet der Eigenschaft als Verbraucher oder Unternehmer auf Seiten des Dienstleistungsberechtigten.191 Der Ansatz im System des Behandlungsvertrages ist damit die Verzahnung mit dem Krankenversicherungsrecht, welche nunmehr in §  630a Abs.  1 aE. BGB explizit aufgenommen worden ist, wenn es dort heißt, dass das Entgelt vom Patienten nur gefordert werden kann, wenn nicht ein „Dritter“ hierfür einzustehen hat. Mit dieser Einflechtung sind nach allgemeine Meinung die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Leistungskatalog nach den §§  1, 2 Abs.  1 S.  3, §§  12, 27 ff. SGB V, in Detailausformung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss192 , gemeint.193 In der systematischen Stellung darf somit gefolgert werden, dass mit dem Terminus „Dritter“ im Sinne des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB auch das erwartungsgerechte Versicherungsgeflecht gemeint sein soll, wobei eine Erweiterung bereits darin liegen dürfte, dass §  630c Abs.  3 S.  1 BGB auch die PKV und das Beihilferecht einschließt.194 Das bedeutet im Ergebnis, dass §  630c Abs.  3 S.  1 BGB sowohl aus systematischer als auch aus Sicht der Rechtsprechungs- und Gesetzesentwicklung nur den Sinn rechten Widerruf der abgegebenen Willenserklärung, um den gesamten Vertrag zu zerstören und rückabzuwickeln. 189 So die Gesetzesbegründung vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.   22 mVa. Schelling, MedR 2004, 422 f. 190  Vor diesem Hintergrund ist auch die vor der Einführung von §  630c Abs.  3 S.  1 BGB eher restriktive Rspr. zu lesen, die bewusst keinen umfassenden Kostenanschlag verlangt hat, vgl. BGHZ 157, 87, 90 = NJW 2004, 684; BGH VersR 2007, 950 Rn. 8. 191  Zwar verlangt die Rechtsprechung eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, jedoch ist maßgeblich auf die erkennbaren Berufs- und Erwerbsverhältnisse des Dienstleistungsverpflichteten abzustellen, vgl. BGH DB 1975, 1982, da sich auch ein Verbraucher bei Inanspruchnahme von Diensten grundsätzlich nicht darauf zurückziehen können soll, dass er, ohne gesonderte Hinweise oder Absprachen zur Unentgeltlichkeit, darauf vertraut hat, die Leistung werde nichts kosten, vgl. zu den maßgeblichen Kriterien MüKo/Müller-Glöge, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  612 Rn.  6 mwN. 192  Vgl. BT-Drucks. 15/1525, S.  107; grundlegend BSGE 78, 70 = MedR 1997, 123. Kritisch Hase, MedR 2018, 1, 6 im Hinblick auf BSGE 117, 10 = NZS 2015, 26. Im stationären Sektor erfolgt außerhalb der Richtliniengebung nach §  137c Abs.  1 SGB V die Detailausführung durch die zugelassenen Krankenhäuser, die jedoch an den Leistungsmaßstab des §  12 Abs.  1 SGB V gebunden sind. 193 Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.   18 f. Näher BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  136 ff. mwN. Konsequent sind Streitigkeiten über Vergütungsansprüche gemäß §  51 Abs.  1 Nr.  2 SGG vor den Sozialgerichten auszutragen, vgl. BSGE 86, 166, 170 = NZS 2001, 316; BSGE 90, 1, 12 = NJW 2003, 845; BSGE 92, 223, 225 = MedR 2004, 702 = NZS 2005, 93. 194  BT-Drucks. 17/10488, S.  2 2. S.a. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  57; NKBGB/Voigt, BGB, 3.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  19.

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haben kann, ein autonomes, bislang im bürgerlich-rechtlichen System in dieser Form eher unbekanntes, vertraglich punktuelles Schutzkonzept195 zu Gunsten einer wissenstechnisch schwächeren und vom Gesetzgeber als besonders schutzbedürftig eingestuften Partei zu errichten,196 wobei allerdings an Bestehen und Durchführung des Vertrages nicht gerüttelt werden soll.197 Auch ein Verstoß gegen das Textformerfordernis des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB zieht keine Nichtigkeitsfolge gemäß §  125 S.  1 BGB nach sich.198 Etwas Ähnliches ist im Bank- und Versicherungsrecht bekannt,199 wobei die Rechtsfolgen abweichen.200 Wird dieses Schutzkonzept nunmehr in seiner lückenlosen Form fortgedacht, so wären sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen darunter zu rechnen.201 Aus Sicht des mangelhaft informierten und vom Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes ausdrücklich für systembedingt schutzbedürftig202 erklärten Patienten ist kein Unterschied erkennbar, ob die Kosten einer Behandlung letztlich deshalb nicht versicherungsrechtlich gedeckt sind, weil die Maßnahme von der zuständigen Krankenkasse nicht oder nur teilweise getragen wird, oder ob die mit Blick auf das ärztliche Honorar vollständig übernommene Behandlung bei der Krankenkasse selbst als Gläubigerin einen Kostenaufschlag erhält, der im Gesetz als „Zuzahlung“ bezeichnet ist. Auch erscheint eine Differenzierung innerhalb des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB nach der Gläubigerstellung willkürlich, tritt doch in jedem Fall nur die Behandlungsseite dem Patienten gegenüber, wobei sich der Leistungserbringer dem Patienten nicht als bloße „Einzugs- bzw. Inkassostelle“ des Krankenkassenträgers präsentiert. Es geht allem voran um jene Fälle, in denen der Patient keinen autonomen Anlass auf Basis eigenen Wissens hat, den Krankenkassenträger in eine Diskussion um die vollständige Kostentragung zu verstricken. Da §  630c Abs.  3 S.  1 BGB letztlich nicht mehr als eine gesetzlich angeordnete Nebenpflicht des Behandlungsvertrages ist,203 die früher nach §  242 BGB als 195  Hierzu ausführlich Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  160 ff. mit massiver Kritik. 196 Hierzu BT-Drucks. 17/10488, S.   9 ff. Ähnlich NK-BGB/Voigt, BGB, 3.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  17. 197  Insbesondere das Formgebot in §  630c Abs.  3 S.  1 BGB dient allein dem Nachweis, vgl. Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  162 f., 170. 198  H.M. vgl. LG Dortmund, Urt. v. 12.04.2018, 4 S 5/17 = BeckRS 2018, 8064; D. Prütting/J. Prütting/Merrem, Medizinrecht, 5.   Aufl. 2019, §   630c BGB Rn.   47; Palandt/Weidenkaff, BGB, 78.  Aufl. 2019, §  630c Rn.  11; a.A. Rehborn, GesR 2013, 257, 262. Zu denkbaren beweisrechtlichen Konsequenzen D. Prütting/J. Prütting/Merrem, Medizinrecht, 5.  Aufl. 2019, §  630c BGB Rn.  48. 199  Eine weitreichende Übersicht bietet BeckOGK/Herresthal, BGB, 2018, §  311 Rn.  408 ff., dort insbesondere Rn.  426 mwN. 200  Vgl. BGHZ 123, 126, 128 = NJW 1993, 2433; BGHZ 117, 135, 142 = NJW 1992, 1630. 201  Ebenso BeckOK/von der Embse, BMV-Ä 50. Ed. 2017, §  23a Rn.  1, 3. 202  BT-Drucks. 17/10488, S.  2 2. 203  Vgl. Spickhoff/Spickhoff, 3.  Aufl. 2018, Medizinrecht, BGB §  630c Rn.  38.

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konkludenter Erwartungshorizont eingestuft werden konnte, 204 muss es auch mit Blick auf die Wertung der §§  157, 242 BGB darauf ankommen, wie der Pa­ tient die Situation erlebt.205 Das Argument, die Anordnung zur Zuzahlung finde sich im Gesetz, so dass jeder nachschlagen könne und Rechtsirrtümer stets unbeachtlich seien,206 ist augenscheinlich für den Bereich patientenseitiger Zahlungspflichten im komplexen System des Krankenversicherungsrechts mit §  630c Abs.  3 S.  1 BGB ausgeschaltet, da andernfalls gleichermaßen für den Katalog der §§  27 ff. SGB V argumentiert werden könnte. Eine Differenzierung nach gesetzlich geschriebenen Tatbeständen und solchen, die erst auf Basis des SGB V durch GBA-Richtlinien zu einer Detailbestimmung des exakten Leistungskatalogs führen, kann jedenfalls für die zivilrechtliche Erwartungshaltung der Vertragsparteien nicht überzeugen. Dies scheinen auch die Parteien des BMV-Ä nicht anders aufzufassen, da dort neben den Informationspflichten über gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen der Versicherten in §  23a BMV-Ä eine entsprechende Regelung zu Gegenstand und Umfang des Leistungskatalogs einschließlich der zugehörigen Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses in §  23 BMV-Ä vorgesehen ist.207 Auch besondere Umstände, die nach §  630c Abs.  4 BGB die wirtschaftliche Belehrung als nicht geboten erscheinen ließen, kommen im Zuzahlungsfall nicht in Betracht. Zunächst handelt es sich nicht um einen Sonderumstand,208 sondern vielmehr um eine kaum überschaubare Anwendungshäufigkeit gesetzlich beschriebener Regelfälle. Außerdem steht die Zuzahlungspflicht in keiner Form dem patientenseitigen Verzicht oder der Unaufschiebbarkeit einer ärztlichen Maßnahme nahe, so dass auch nicht mit den gesetzgeberischen Erwägungen argumentiert werden kann.209 Daher sind die gesetzlichen Zuzahlungsver-

204 Die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 17/10488, S.   22, verweist auf OLG Stuttgart, VersR 2003, 462 f.; Schelling, MedR 2004, 422 f. 205  Dies entspricht dem berechtigten Hinweis auf die Verbrauchereigenschaft des Patienten und der verbrauchertypischen Unterlegenheit und Sichtweise auf die Situation, vgl. Spickhoff/Spickhoff, 3.  Aufl. 2018, Medizinrecht, BGB §  630c Rn.  33. S.a. Hart, MedR 2013, 159, 162; Steffen, in: FS Geiß, 2000, S.  487, 501. Zu den dahinterliegenden Prinzipien des Interessenausgleichs näher Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S.  372 f.; Busche, Pri­ vat­auto­nomie und Kontrahierungszwang, 1999, S.  153 ff.; MüKo/Busche, BGB, 8.  Aufl. 2018, §  157 Rn.  7 ff. mwN. 206  In diesem Sinne ist die Argumentation aus dem bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsrecht bei unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtümern bekannt, vgl. BGH, NJW 2008, 2442, 2443; 1995, 1484, 1485. 207  So auch diskussionslos BeckOK/von der Embse, BMV-Ä 50. Ed. 2017, §  23a Rn.  1 und 3 mit klarer Festlegung, dass die wirtschaftliche Informationspflicht nach BGB hiervon nicht berührt sei. 208  Zum Ausnahmecharakter statt vieler BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630c Rn.  22. 209  Der besondere Ausnahmecharakter wird in der Gesetzesbegründung deutlich hervorgehoben, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  22, 23. Der Gesetzgeber weist sowohl auf die restrikti-

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pflichtungen aus zivilrechtlicher Sicht sogar als typische Fallgruppe des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB zu begreifen. Schwerer fällt die bürgerlich-rechtliche Einschätzung einzig bei der Einordnung der Rechtsfolge. So treibt die Behandlungsseite die Zuzahlungen des Pa­ tien­ten lediglich für die Krankenkasse ein und gibt diese weiter, §  43c SGB V.210 Gleichwohl ist nur die Behandlungsseite von einem Schadensersatz wegen unterbliebener Belehrung nach §  630c Abs.  3 S.  1 BGB in Höhe der Zuzahlungspflicht betroffen. Wenn die übrige Behandlung vollständig kassengetragen ist, steht dem nichts zur Aufrechnung gegenüber. Mangels gesetzlich angeordneter Abtretungskonstruktion besteht auch keine Nähe zu den Regelungen der §§  412, 406 BGB. Daraus folgt im Ergebnis, soweit man sozialversicherungsrechtlich keine Möglichkeit und keinen Bedarf für eine Anpassung sähe, dass der Schaden, der dem Patienten durch die Leistung der Zuzahlung entstünde, bei der Behandlungsseite im Klageweg liquidiert werden könnte. Entsprechendes würde gelten, wenn der Patient die Zuzahlung nicht begleicht und der Krankenkassenträger selbst gemäß §  43c Abs.  1 oder 3 SGB V und anschließender Vollstreckung nach §  66 Abs.  1 oder 3 SGB X vorginge.211 Durch ein renitentes Verhalten des Patienten könnte sich der Schaden über die Grenze der Zuzahlung hinaus vertiefen.212 Allerdings ist mit dieser Sichtweise nicht geklärt, ob es sich nach dem herrschenden Verständnis des allgemeinen zivilrechtlichen Schadensrechts um eine unfreiwillige Vermögenseinbuße handeln kann, da der Patient die Behandlung gewünscht hat und die Zuzahlung vom Gesetzgeber angeordnet worden ist.213 Jedoch wird man auch insofern das gesetzgeberische Ziel des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB ernst zu nehmen haben.214 Wenn die Idee – abweichend vom Grundsatz der §§  630b, 612 BGB – gerade ist, dass die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit vor Inanspruchnahme einer bestimmten Behandlungsmaßnahme in einem bestimmten weitergehenden Umfang geschützt werden soll, so stellt – selbst bei ve Handhabung des Verzichtsmoments als auch auf die erheblichen Umstände bei therapeutischen Erwägungen hin und verlangt Fälle entsprechender Schwere. 210  Vgl. BSG, NJW 2010, 1993. 211  Näher Becker/Kingreen/Sichert, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  43c Rn.  12 f. 212  Dies kann zivilrechtlich entweder über das Moment des Zurechnungszusammenhangs oder über ein etwaiges Mitverschulden nach §  254 Abs.  1, 2 S.  1 BGB Berücksichtigung finden. Hier wird man allerdings dezidiert auf die Umstände des Einzelfalls blicken und Zurückhaltung walten lassen müssen, da es widersinnig erscheint, den Patienten a priori nach Unterlassung wirtschaftlicher Aufklärung zu schützen, um sodann durch die Hintertür dem Patienten vorzuwerfen, dass er in der folgenden verwaltungsrechtlichen Abwicklung, die er mit Blick auf die fehlende wirtschaftliche Belehrung von der Motivlage der Krankenkasse nicht sogleich verstehen muss, kein unverzügliches Einsehen gezeigt hat. Allerdings wird der Pa­ tient im Rahmen des Verwaltungsverfahrens im Zweifel aufgeklärt, so dass jedenfalls die Verwaltungsvollstreckung ihm zurechenbar sein dürfte. 213 In diese Richtung ebenfalls zweifelnd NK-BGB/Voigt, BGB, 3.   Aufl. 2016, §  630c Rn.  17. 214  BT-Drucks. 17/10488, S.  2 2.

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Wollen der Maßnahme im Übrigen – die fehlende Einbeziehung wirtschaftlicher Erwägungen in die patientenseitige Entscheidung eine Begründung für eine sodann vertraglich im Unwissen akzeptierte kostenpflichtige Maßnahme dar. Daraus folgt allerdings auch ein beachtlicher Einwand, den §  630c Abs.  3 S.  1 BGB der speziellen gesetzlichen Regelung nach bislang nicht kennt und der sich nach dem Wortlaut von §  630c Abs.  3 und 4 BGB nicht ohne Weiteres dogmatisch integrieren lässt: Der Behandlungsseite müsste nach verletzter Aufklärungspflicht der Einwand hypothetischer Kausalität/Zustimmung zustehen, wie dieser in ähnlicher Form – hier allerdings für den Bereich rechtfertigender Einwilligung215 – auch aus §  630h Abs.  2 S.  2 BGB bekannt ist.216 Es wäre dann im Zweifel am Patienten, aufzuzeigen, dass für den konkreten Moment jedenfalls ein wirtschaftlicher Entscheidungskonflikt eingetreten wäre, wenn das hypothetische Folgeverhalten des Patienten stets auch die folgende Zustimmung zur ärztlichen Intervention selbst beinhaltet.217 Dogmatisch und schadensrechtlich tragfähig wird der Ansatz, wenn derselbe nach allgemeinen schadensrechtlichen Prinzipien als Unterfall des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens kategorisiert 218 und letztlich in die in §  249 Abs.  1 BGB geforderte Vergleichsbetrachtung eingestellt wird.219 Dies ist nicht 215 Ausführlich Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  178 ff. Zur heute h. M. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630h Rn.  4 4 ff. mwN. 216  Angelehnt also an die Idee des rechtmäßigen Alternativverhaltens, vgl. BGHZ 172, 2, 14 = NJW 2007, 2767, 2770 f. 217  Grundlegend dem Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens zustimmend Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  170, allerdings ohne Erwägung zu einem Entscheidungskonflikt bei verbundener Heilbehandlung. 218  So die h. M., vgl. die Argumentation in BGHZ 29, 176, 187; BGHZ 172, 1, 14 = NJW 2007, 2767, 2770 f.; OLG Naumburg, VersR 2014, 71, 72; LG Wiesbaden, VersR 2014, 377, 378; BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630h Rn.  36; MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630h Rn.  45. 219  Die korrekte dogmatische Erfassung des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens ist bis heute str. Aus der Rechtsprechung verdient zunächst BGHZ 104, 355 = NJW 1988, 3265 Beachtung. In dieser Entscheidung bekennt sich das Gericht zur grundsätzlichen Eignung des Vorbringens relevanter Reserveursachen in §  249 Abs.  1 BGB und zur Möglichkeit wertungsmäßiger Beschränkung (impliziert im Rahmen des Verweises auf Staudinger/Medicus, 12.  Aufl. 1983, BGB, §  249 Rn.  99 ff.). Andere, partiell ungenau begründete Ansätze zur Schutznormlehre und zum Institut des Rechtswidrigkeitszusammenhangs werden vertreten von BAGE 6, 321 = NJW 1959, 356 (hier als Problem überholender Kausalität bezeichnet); BGHZ 96, 157 = NJW 1986, 576 (Sanktionserwägungen zur schutznormgerechten Begrenzung des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens); BGH, NJW 2012, 2022 (Begrenzung des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens aufgrund des effektiven Schutzes der Zahlungspflicht, deren Verletzung andernfalls „sanktionslos“ bliebe); BGHZ 146, 122 = VersR 2002, 708 sowie BGHZ 143, 362 = NVwZ 2000, 1206 (Anerkennung des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Verfahrensfehlern im Amtshaftungsbereich – partiell im Spannungsverhältnis zu BGHZ 96, 157 = NJW 1986, 576); BGH, NJW 2018, 3574 auf Basis von BGHZ 197, 304 = NJW 2013, 3636; BGHZ 152, 280 = NJW 2003, 358 sowie BGHZ 114, 127 = NJW 1991, 1830 und BGH, NJW 1991, 904 (mit genereller Anerkennung des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens der Geschäftsführungsebene gegen Schadensersatzforde-

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nur systemgerecht, sondern bewahrt auch den zentralen schadensrechtlichen Grundsatz des Bereicherungsverbots.220 Aus zivilrechtlicher Sicht ist somit letztlich festzustellen, dass die wirtschaftliche Aufklärungspflicht auch Fälle der gesetzlich angeordneten und dem jeweiligen Krankenkassenträger zustehenden Zuzahlungspflicht erfasst. Dies entspricht insbesondere der gesetzgeberisch angeordneten Schutzkonzeption sowie der von der Rechtsprechung anerkannten patientenseitigen Erwartungshaltung. Bei Vorliegen einer Pflichtverletzung muss jedoch der Einwand hypothetischer patientenseitiger Zustimmung – hier im Rahmen spezifisch rechtsgeschäftlich eingefasster Dogmatik 221 – zulässig sein. rungen der Gesellschaft, insbesondere bei Übergehung benötigter Aufsichtsratszustimmung); BGHZ 90, 96 = NJW 1984, 1395 sowie BGHZ 168, 103 = NJW 2006, 2477 (zum Rechtswidrigkeitszusammenhang bei Aufklärungspflichtverletzung hinsichtlich nicht verwirklichter Risiken) und schließlich BGH, NJW 2016, 3522 (zum hypothetischen Kausalverlauf postoperativer Beschwerden bei dem behandlungsseitigen Einwand, diese gingen vom Grundleiden des Patienten aus). Für die Begrenzung des Einwands hypothetischer Einwilligung als Unterfall des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens stellt BGH, NJW 2016, 3523 noch einmal gesondert auf das Sanktionselement ab. Der BGH scheint hier allerdings zwischen der Frage der Erweisbarkeit entsprechender Ergebnisse bei unterschiedlichen Operateuren und einem Generalausschluss wegen der besonderen Bedeutung des Schutzes körperlicher Integrität zu schwanken, sich dann jedoch – letztlich in einem kaum erklärlichen Widerspruch zur gesetzgeberischen Wertung des §  630h Abs.  2 S.  2 BGB – für eine grundsätzliche Versagung aus Schutznormgesichtspunkten zu entscheiden. Aus der Literatur sind beachtlich die Arbeiten von Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, 1966, S.  136 ff. (für eine verfassungskonforme Auslegung des Haftungstatbestandes); Gotzler, Rechtmäßiges Alternativverhalten im haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang, 1977, S.  9 0 ff. (Prinzip der Eignung); Erb, Rechtmäßiges Alternativverhalten und seine Auswirkungen auf die Erfolgszurechnung im Strafrecht, 1991, S.  146 f. (Verbindung von Pflichtenverstoß und opferschützender Anspruchsnorm); von Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität im Schadenersatzrecht, 1962, S.  31 (Beschreibung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs); Hanau, Kausalität der Pflichtwidrigkeit, 1971, S.  68 ff. (Normzweck und Normmacht) und John, Rechtswidrigkeitszusammenhang und Schutzzweck der Norm, 2020 – im Erscheinen – (uneingeschränkte Zulassung des Einwands rechtmäßigen Alterna­tiv­ verhaltens im Haftungsrecht). 220  Vgl. BGHZ 118, 312, 338 = NJW 1992, 3096 (das Prinzip nimmt Teil am ordre public); BGH, NJW 2001, 673 f.; NZV 2003, 371; NJW 2004, 2526, 2528 f.; 2004, 3324 f.; BGHZ 163, 180, 184 = NJW 2005, 2541; BGHZ 173, 83 Rn.  18 = NJW 2007, 2695; BGH, NJW 2009, 3713; 2012, 50 Rn.  6; 2014, 535 Rn.  11; 2015, 468 Rn.  20. Aus der Literatur hierzu ausführlich Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, S.  181 ff.; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, 2001, S.  423 ff.; J. Prütting/Kniepert, ZfPW 2017, 458, 464 ff. (mit spezifischer Erörterung des Verbots der Überschreitung durch den Systemwechsel von materiellen zu immateriellen Interessen, hierzu a.A. Weller/Benz/Wolf, JZ 2017, 237 ff.). Mit deutlicher Ablehnung des Bereicherungsverbots und zentraler Aufwertung des Präventionsgedankens im Schadensrecht Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff., 470 f.; s. a. Möller, Das Präventionsprinzip des Schadensrechts, 2006, S.  266 mVa. Weyers, Unfallschäden, 1971, S.  467. 221  Hier zeigt sich wieder die Grundsatzdebatte um den rechtsgeschäftlichen Ansatz einer Zustimmung, da die wirtschaftliche Aufklärung keinen direkten Bezug zur körperlichen Intervention beim Patienten hat, mittelbar aber gleichwohl der Einwand wäre, dass die Inanspruchnahme der Behandlungsmaßnahme bei Kenntnis hätte unterbleiben sollen, da der Pa-

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3. Die sozialversicherungsrechtliche Perspektive Nach einem ersten Überblick ist eine zentrale Erkenntnis für das Sozialversicherungsrecht im SGB V ersichtlich: Das Recht der gesetzlichen Zuzahlungsverpflichtungen ist nicht für die zivilrechtliche Verstrickung des Arzt-Pa­tientVerhältnisses in Form einer wirtschaftlichen Aufklärung konzipiert. Die Gesetzgeber des SGB V haben weder bei Schaffung der relevanten Vorschriften noch im Rahmen späterer Reformen die Problematik beachtet. Daher werden im Folgenden an Hand der dargestellten methodischen Grundsätze222 die Leitgedanken der Normstruktur de lege lata herausgearbeitet und mit Blick auf die bereichseigenen Optimierungserwägungen und Logiken auf Entwicklungsund Anpassungspotential hin gewürdigt, um sich einer Einfügung der Kollisionsproblematik im gesetzgeberischen Sinne zu nähern. a) Normstruktur und fehlende gesetzliche Erfassung der Informationsproblematik Am Anfang steht die Feststellung, dass Zuzahlungsverpflichtungen für bestimmte Bereiche angeordnet sind.223 Diese werden von Regelungen zum Umfang und zum Erlass in Härtefällen flankiert (§§  61, 62 SGB V). Sodann befasst sich der Gesetzgeber ausschließlich durch §  43c SGB V in Abs.  1 mit der Kon­ stel­lation der Zuzahlungsbeitreibung durch die niedergelassenen und in Absatz  3 mit der Beitreibung durch die stationären Leistungserbringer.224 Jeweils ist angeordnet, dass der Leistungserbringer die Zuzahlung einzieht und gegenüber der Kasse verrechnet. Zentraler Unterschied zwischen dem Verfahren nach Absatz 1 und Absatz 3 ist, dass bei Nichtzahlung des Patienten im ambulanten Bereich die Kasse selbst die Beitreibung im Verwaltungsverfahren übernimmt (§  43c Abs.  1 S.  2 SGB V). Im stationären Sektor ist gesetzlicher Regelfall die Beleihung des jeweiligen Krankenhausträgers (§  43c Abs.  3 S.  4 SGB V), der das tient die wirtschaftlichen Ressourcen nicht hätte aufwenden wollen. Im Ergebnis wird John, Rechtswidrigkeitszusammenhang und Schutzzweckerwägungen, 2020 – im Erscheinen – darin zugestimmt, dass im Rahmen hypothetischer Vergleichsbetrachtung nach §  249 Abs.  1 BGB der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens stets beachtlich ist. John arbeitet überzeugend heraus, dass kein tragfähiger Grund ersichtlich ist, weshalb das Schadensrecht eine Umverteilung von Gütern in jenen Fällen anordnen sollte, in denen der gesetzlich geschützte Erwartungshorizont des Geschädigten vom Schädiger mit Blick auf dessen Verhalten vollauf gewahrt wird. 222  S. o. ausführlich §  3 II. 3. a) aa) und §  3 II. 4. 223  Vgl. §§  23 Abs.  6 (vorstationäre Behandlung), 29 Abs.  2 S.  1 (kieferorthopädische Behandlung, hier aber Rückzahlung nach Abs.  3 bei Behandlungsabschluss), 31 Abs.  2 S.  1, Abs.  3, 130, 130a (Arzneimittel), 32 Abs.  2 S.  1, 2 (allgemeine Heilmittelabgabe), 37 Abs.  5, 37a Abs.  3, 38 Abs.  5 (häusliche Krankenpflege, Soziotherapie, Haushaltshilfe (keine Problemfälle, da Krankenkasse selbst einzieht), 39 Abs.  4 (Krankenhausbehandlung), 40 Abs.  6 , 41 Abs.  3 (Reha-Maßnahmen) und 53 Abs.  1 SGB V (Selbstbehalte nach Krankenkassen-Satzung). 224  Zum Überblick BeckOK/Schnitzler, SGB V, 50. Ed. 2018, §  43c Rn.  6 ff.

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Verwaltungsverfahren durchführen soll, allerdings nicht das wirtschaftliche Risiko trägt (§  43c Abs.  3 S.  7, 10 SGB V).225 An keiner Stelle ist ein erläuterndes Wort zu finden, wie die zivilrechtlichen Regelungen der §§  630a ff. BGB sich hierzu verhalten. Daran ändert auch der Hinweis auf das haftungsrechtliche Verhältnis der bürgerlich-rechtlichen Ausgestaltung zwischen Leistungserbringer und Patient im Einzelfall gemäß §  76 Abs.  4 SGB V nichts, wonach die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften kraft gesetzlicher Anordnung gelten sollen.226 Allerdings hat das BSG über die Brücke des §  76 Abs.  4 SGB V vor dem Hintergrund eines Kostenerstattungsstreits nach §  13 Abs.  3 SGB V entschieden, dass Fehler in der wirtschaftlichen Aufklärung durch den Leistungserbringer nicht dazu führen können, dass der Patient die Kosten vom Krankenkassenträger ersetzt verlangen könnte.227 Hierauf wird bei der nunmehr folgenden Fragestellung des Innenverhältnisses von Krankenkasse und Leistungserbringer zurückzukommen sein. b) Verhältnis von Krankenkassenträgern zu den Versicherten und den Leistungserbringern Eine weitere interessante Feststellung lautet, dass mangels Schnittstellenanordnung zu §  630c Abs.  3 S.  1 BGB nicht geregelt ist, ob und wie ein Innenausgleich zwischen Krankenkasse und Behandlungsseite erfolgen könnte, sofern §  630c Abs.  3 S.  1 BGB als auf die Fälle der Zuzahlungsverpflichtungen anwendbar erkannt wird. Zwar ist bereits angeklungen, dass der primäre Fehler bei der Behandlungsseite gegenüber dem Patienten liegt, da nur die Behandlungsseite ­diese vertragliche oder über §  76 Abs.  4 SGB V iVm §  630c Abs.  3 S.  1 BGB gesetzlich angeordnete Pflicht verletzen kann. Allerdings erscheint es 225  Gesetzlicher Inkassoauftrag BSG SozR 4 – 2500 §  129 Nr.  2 Rn.  32; BSG SozR 4 – 2500 §  33 Nr.  14 Rn.  22 mwN.  S.a. KassKomm/Zieglmeier, 101. EL. 2018, §  43c Rn.  3 ff., 18 ff. mwN. 226  Eine Vorschrift, die aus zivilrechtlicher Perspektive mit der Einführung der §§  630a ff. BGB obsolet sein dürfte. Auch ist der langjährige Streit um die Frage, ob zwischen Arzt und Patient ein zivilrechtlicher Vertrag entsteht, vom Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes eindeutig entschieden worden, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  18 f. Zum früheren Streit zwischen Vertrags- und hoheitlicher Versorgungskonzeption Lang, Die Vergütung der Vertragsärzte und der psychologischen Psychotherapeuten im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2001, S.  22 ff.; Krauskopf, HAR, §  25 Rn.  5 f.; Schnapp, NZS 2001, 337 ff.; Wigge, HAR, §  2 Rn.  86 ff. A. A. gleichwohl Hauck, SGb 2014, 8, 11 f. mit Hinweis auf eine bloß entsprechende Anwendbarkeit, was schon deshalb nicht befürwortet werden kann, da andernfalls mangels Behandlungsvertrags die Einbeziehung von AGBs grundsätzlich nicht möglich wäre, wofür es keine tragfähige Begründung gibt. Ebenfalls auf dieser Linie BSG, NZS 2016, 63, 64 Rn.  16 mVa. den Aufsatz von Hauck, a. a. O. Es ist nach wie vor auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund der 1. Senat des BSG selbst entgegen der gesetzgeberischen Entscheidung des Patientenrechtegesetzes an seiner überholten Ansicht festhält. Dies ist auch sozialversicherungsrechtlich nicht geboten. 227  BSGE 111, 137 = NZS 2013, 22, 25 f. BeckOK/Wendtland, SGB V, 47. Ed. 2016, §  74 Rn.  36 versteht dies ausdrücklich auch auf Zuzahlungen bezogen, was nach den Ausführungen des BSG tatsächlich naheliegt.

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nicht fernliegend, in die Erörterung einzubeziehen, dass die Behandlungsseite nach der Rechtsprechung des BSG nur „Einzugs- bzw. Inkassostelle“ für den Krankenkassenträger ist.228 Der Leistungserbringer verfolgt also nicht sein eigenes, sondern ein Finanzierungsinteresse der Kassen.229 Diese Erwägung ist nun noch mit dem Umstand zu verbinden, dass die Krankenkasse über die Mitgliedschaft des versicherten Patienten auch mit diesem unmittelbar rechtlich kooperiert und ihm auf Basis dieser Nähebeziehung – und sei sie hoheitlich erzwungen – zur Treue verpflichtet ist.230 Daraus könnte abgeleitet werden, dass die Krankenkassen eine Informationspflicht mit Blick auf Zuzahlungsverpflichtungen gegenüber ihren Mitgliedern haben – so zwischen den Parteien des BMV-Ä in §  23a in allgemein gehaltener Formulierung231 anerkannt –, die verletzt worden sein könnte, wobei die Kassen mit Blick auf ihren medialen Auftritt sogar den Aufklärungsversuch unternehmen.232 Insbesondere müsste diese Verpflichtung nicht einmal gegenüber allen Mitgliedern, sondern im Wesentlichen gegenüber den Leistungserbringern gesichert werden, indem alle betrof­fenen Leistungserbringer per Nachricht in Textform dazu angehalten werden, ihrer wirtschaftlichen Aufklärungspflicht im Zuzahlungsfall vor der Behandlung nachzukommen. Soweit davon ausgegangen würde, dass die Krankenkassen mit den genannten Informationsangeboten an die Versicherten ihr Pflichtenspektrum nicht erfüllen, könnte dies als Haftungsfall analog §  280 BGB iVm einem besonderen verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis233 oder nach §  839 BGB iVm Art.  34 GG als Amtshaftungsfall eingestuft werden. Wird die Struktur des §  43c SGB V 228 

Vgl. BSG, NJW 2010, 1993. AllgM., vgl. nur KassKomm/Zieglmeier, 101. EL. 2018, §  43c Rn.  11. 230  Die gesetzlich angeordnete enge Pflichtenverbindung von Leistungsangeboten (§§  27 ff. SGB V) und Verhaltensanforderungen (§§  1, 52 f. SGB V etc.) im Rahmen der komplexen Einbindung wechselseitiger Abstimmung bei Pflichtmitgliedschaft begründet Treuepflichten gleichsam einer zivilrechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Krankenkassenträger und Versichertem, wie diese verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen entspricht. Der BGH verlangt das Bestehen eines „besonders engen Verhältnisses des Einzelnen zum Staat oder zur Staatsverwaltung“, in dem das staatliche Handeln „Ausfluss seiner fürsorgerischen Tätigkeiten in Bezug auf den Einzelnen“ ist, so BGHZ 21, 214, 218 ff. = NJW 1956, 1399. S.a. die Rechtsprechung des BGH in Fällen öffentlich-rechtlicher Mitgliedschaften, BGH, VersR 1987, 768; NVwZ 2007, 1221. Zum Ganzen Papier, Die Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, 1970, S.  40 ff. 231  §  23a BMV-Ä 2018: „Die Krankenkassen informieren ihre Versicherten, die kassenärztlichen Vereinigungen die Vertragsärzte über gesetzliche Zuzahlungsverpflichtungen.“ 232 Vgl. etwa https://www.krankenkassen.de/gesetzliche-krankenkassen/leistungen-gese tzliche-krankenkassen/gesetzlich-vorgeschriebene-leistungen/zuzahlungen (Abrufdatum: 11.10.2019). Auch das BMG ist um Aufklärung bemüht, vgl. https://www.bundesgesund heitsministerium.de/zuzahlung-und-erstattung.html (Abrufdatum: 11.10.2019). 233  Vgl. zu den Grundsätzen BVerwGE 13, 17 = NJW 1961, 2364; BVerwGE 52, 247, 254 = NJW 1978, 717; BVerwGE 80, 123 = NJW 1989, 535; BGHZ 59, 303 = NJW 1972, 2300 und hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19.  Aufl. 2017, §  28 Rn.  2; Willebrand/Gries, JuS 1990, 103. 229 

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hierzu noch einmal memoriert, so erscheint der Leistungserbringer im ambulanten Sektor nach §  43c Abs.  1 SGB V wie ein Verwaltungshelfer234 und in §  43c Abs.  3 im stationären Sektor zunächst als Verwaltungshelfer und bei der Beitreibung sogar als Beliehener235. Bezogen auf das Staatshaftungsrecht könnte dies jedoch eine Zurechnung etwaiger Pflichtverletzungen zu Lasten der Krankenkasse nach der Werkzeugtheorie236 bedeuten. Allerdings beschreibt dies ausschließlich das Regelungsgeflecht der Beitreibung und statuiert zunächst nicht zwingend eine Aussage für Bestehen und Umfang denkbarer Informationspflichten gegenüber den Versicherten a priori. Interessanterweise haben die Parteien des Bundesmantelvertrages die im SGB V nicht geregelte Frage der Information über Zuzahlungsverpflichtungen gesehen. Sie haben mit §  23a BMV-Ä eine Regelung geschaffen, nach der es Aufgabe der Krankenkassen sein soll, die Versicherten in Kenntnis zu setzen, während die kassenärztlichen Vereinigungen sich um den Informationsstand der Leistungserbringer zu kümmern haben. Diese haben ihrerseits den Vorgaben des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB zu folgen, was über §  76 Abs.  4 SGB V auch Aussage des Sozialrechts ist. Der Ansatz spricht dafür, dass das Selbstverständnis der Krankenkassen im System dahingeht, grundsätzlich (Mit-)Verantwortung für den korrekten Informationsstand der Mitglieder zu tragen, auch wenn der Bundesmantelvertrag aus Sicht der Versicherten wohl nicht als Vertrag zu Gunsten Dritter oder mit Schutzwirkung für Dritte eingestuft werden kann.237 In welchem Umfang diese Informationspflicht jedoch im Detail bestehen soll, wird weder aus dem SGB V noch aus dem BMV-Ä ersichtlich. §  23a BMV-Ä spricht jedoch dafür, dass die Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen davon ausgehen, den wesentlichen Teil der Informationslast auf Letztere und damit auf die einzelnen Leistungserbringer abschieben zu können. Da §  87 Abs.  1 234 

Zum Begriff MüKo/Papier/Shirvani, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  839 Rn.  135 f. Zu Begriff und Abgrenzung MüKo/Papier/Shirvani, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  839 Rn.  133 f. 236  BGHZ 48, 98, 103 = NJW 1967, 1857; BGH, NJW 1971, 2220, 2221. 237  Eine entsprechende Heranziehung des §  328 BGB bedarf bereits deshalb keiner vertieften Erörterung, da §  23a BMV-Ä kein hinreichend konkretisierbares Leistungsversprechen der Krankenkassen statuiert, sondern als pauschale Grundsatzvorschrift informatorischer Lastenverteilung ausgestaltet ist. Verträge, deren Leistungsinhalt auch nach Auslegung nicht bestimmt werden kann, sind nach den anerkannten Grundsätzen des Vertragsrechts unwirksam, vgl. BGHZ 55, 248 = NJW 1971, 653. Aber auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter – ungeachtet seiner dogmatisch korrekten Herleitung und des Vorliegens seiner Tatbestandsvoraussetzungen (Leistungsnähe des Dritten, Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, Erkennbarkeit für den Schuldner, Schutzwürdigkeit des Dritten), vgl. ausführlich MüKo/Gottwald, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  328 Rn.  164 ff. mwN. – bedürfte eines jedenfalls hinreichend bestimmbaren Anforderungskatalogs erkennbarer Sicherungspflichten der Krankenkassen, der sich allein aus dem SGB V und §  23a BMV-Ä nicht herleiten lässt. Anders als §  630c Abs.  3 S.  1 BGB, der sich unstreitig nicht an die Krankenkassen richtet und auch keinen Ansatz bietet, analog auf die Krankenkassen ausgedehnt zu werden, enthält §  23a BMV-Ä ebenso wenig wie das SGB V einen mit dem Beitreibungsinteresse korrespondierenden Informationspflichtenkatalog. 235 

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S.  2 SGB  V den Parteien des BMV-Ä ausdrücklich zugesteht, die im SGB  V nicht bereits festgelegten Aspekte vertragsärztlicher Organisation zu regeln, ist die Aufteilung in §  23a BMV-Ä hiervon auch erfasst. Sie dürfte sozialrechtlich somit letztlich nicht zu beanstanden sein. c) Teleologie der Zuzahlungsverpflichtungen Drittens soll als sozialrechtliche Basiserwägung hervorgehoben werden, dass der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung verfassungsrechtlich ein legitimes Ziel in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise verfolgt, wenn die Gesundheitsfinanzierung in der gesetzlich vorgesehenen Solidargemeinschaft auch durch Zuzahlungen angestrebt wird.238 Dabei wird insbesondere betont, dass Zuzahlungen ein Erziehungs- und Regulierungseffekt innewohne, der die Versicherten von übermäßiger und im Einzelfall nicht gebotener Inanspruchnahme kassengetragener Behandlungsleistungen abhalte.239 Auch wenn diese Feststellungen keine wirtschaftliche Aufklärungspflicht im zivilrechtlichen Sinne anstoßen wollten, mag gleichwohl die Folgefrage lauten, weshalb ein Erziehungseffekt dann nicht zu Beginn der ersten Behandlung, die zuzahlungspflichtig ist, einsetzen soll. Oder anders formuliert: Hätte es dem Patienten direkt jemand mitgeteilt, wäre der Erziehungseffekt weniger einschneidend, aber sicherlich offener und fairer gewesen. Man bedenke, dass es sich bei dieser Art solidarischer Erziehung nicht um ein Sanktions-, sondern um die Begleiterscheinung eines Finanzierungseffekts handelt. Ein Lernvergleich mit etwa einem straßenverkehrsrechtlichen Verstoß, der zu einer Bußgeldfestsetzung führt, würde dementsprechend hinken. Konsequenterweise soll sich auch nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers jeder Versicherte vor Inanspruchnahme einer Leistung, die mit einer Zuzahlungsverpflichtung besetzt ist, auf Basis des veranschlagten Zahlungsanteils die Frage stellen, ob die Leistung benötigt wird oder nicht vielleicht als übermäßige Inanspruchnahme zu erkennen ist, die lediglich im Fall von Kostenfreiheit erwogen wird. Dann erscheint eine anfängliche wirtschaftliche Information auch aus sozialversicherungsrechtlicher Perspektive zur effektiven Zweckverfolgung geboten. d) Zwischenfazit Das vorliegend erörterte Problem wirtschaftlicher Information hat im Bereich des Sozialversicherungsrechts nach bisherigem Erkenntnisstand keinen expliziten Eingang in Gesetz oder Gesetzesmaterialien im sozialversicherungsrechtlichen Bereich gefunden. Die herausgearbeitete Teleologie der Zuzahlungsver238 

BT-Drucks. 12/3608, S.  67 f.; s. a. Saekel, KrV 1997, 107 ff. Ausführlich mit Diskussion um die Rechtsnatur und Verfassungsmäßigkeit von gesetzlich angeordneten Zuzahlungsverpflichtungen BSG, NJW 2010, 1993 Rn.  19 ff. mwN. 239 

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pflichtungen deutet mit Blick auf die Versicherten und deren Steuerung darauf hin, dass auch das Sozialversicherungsrecht Informationsflüsse zu Wirtschaftlichkeitsaspekten der Behandlung voraussetzt. Es ist jedoch nach der Gesetzeslage weder präzise bestimmbar, wer Aufklärungsschuldner sein soll, noch in welcher Form und in welchem Umfang eine Information der Versicherten zu gewährleisten ist. Lediglich im Verhältnis der Leistungserbringer zu den gesetzlich versicherten Patienten im Einzelfall verlangt §  76 Abs.  4 SGB V die Einhaltung der bürgerlich-rechtlichen Vorgaben und somit die Aufklärung gemäß §  630c Abs.  3 S.  1 BGB. Eine zwingende Aussage über einen denkbaren Innenausgleich zwischen Krankenkassenträger und Leistungserbringer bei Verletzung dieser Pflicht hat sich aus der Normstruktur des SGB V wie auch des BMV-Ä nicht ergeben. Allerdings bestehen mit den §§  87 Abs.  1 S.  2 SGB V und 23a BMV-Ä Ansätze, die im Rahmen von Lösungsvorschlägen fruchtbar gemacht werden können.

4. Systemerwägungen im Sozialversicherungsrecht vs. Mechanismen des zivilrechtlich regulierten Behandlungsvertrages (2. Stufe) Nach Herausarbeitung der jeweiligen Normstrukturen und Zuordnung der Metaebenen stellt sich auf der 2. Stufe der Auslegung die Frage, wie sich die erkannten Metaebenen zueinander verhalten. Ein näherer Blick zeigt, dass allem voran die schon von Deinert propagierten Leitgedanken des „Schonungs- und Akzeptanzprinzips“240 , wie sie bereits bei den Vertretern wechselseitiger Auffangordnungen 241 anklingen, für die Kollision der Metaordnungen eine belastbare Verständnismöglichkeit bieten. Sie sind im Sinne des in dieser Analyse geforderten Optimierungsgedankens242 durchaus tragfähig. Gesetzgeberischen Wertungen wird hierdurch nach vorliegender Auffassung am besten entsprochen. Zugleich ist dieser Blick Garant für die Minimierung der zentralen rechtssoziologisch erfassten Problemstellung, wonach das Gericht des Einzelfallstreits maßgeblich zur Beachtung der ihm bekannten Materie neigt und dabei Bereichslogiken und Belange anderer Rechtsgebiete und deren Teleologie nicht ausreichend berücksichtigt.243 a) Teleologie der Metaebenen Ein Blick auf das bürgerlich-rechtliche Vertragsrecht im Bereich der §§  630a ff. BGB wie auch nach den §§  823 ff. BGB, modifiziert um die Rechtsprechungs-

240 

Ausführlich §  3 II. 4. e). Ausführlich §  3 II. 4. a). 242  Vgl. §  3 II. 4. f). 243  Näher §  2 III. 2. und 3. 241 

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grundsätze der deliktischen Arzthaftung, 244 offenbart den primär güterordnenden 245 Charakter dieses Rechtsgebiets unter Belassung privatautonomer Entscheidungen.246 Hierbei werden ausschließlich die Belange von Patient und Behandlungsseite im konkreten Einzelfall erfasst. Eine darüber hinausgehende Systemwirkung in Form sinnvoller, nach bestimmten Parametern gesteuerter Inanspruchnahme des gesetzlichen Krankenversicherungssystems ist dem bürgerlich-rechtlichen Ansatz nicht beigelegt. Das Vertrags- und Deliktsrecht ­bilden somit einen ordnenden Rahmen für die Begegnung von Patient und Behandlungsseite,247 wobei allem voran schutzwürdige Belange des Patienten wegen des bestehenden Wissensgefälles beachtet und bestenfalls die Informationsasymmetrie abgebaut werden soll.248 Keine Aussage liegt dem bürgerlichen Recht insoweit zu Grunde, ob der Gang zum Arzt im Bedarfsfalle gefördert oder beschränkt werden sollte. Auch wird bis zur Grenze zwingenden Gesetzesrechts – insbesondere bis zur Grenze von Verbotsgesetzen und Sittenwidrigkeitsverdikt – kein spezifischer Umgang mit den gegebenen Ressourcen und Dispositionsmöglichkeiten verfolgt.249 In diesem Blick auf die Metaebene bildet 244  Eingehend BeckOGK/Spindler, BGB, 2018, §  823 Rn.  761 ff. mwN. Das Deliktsrecht wird seit Einführung der §§  630a ff. BGB als denkbares Entwicklungsfeld für fortschreibende Rechtsprechung erwogen, vgl. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, vor §  630a Rn.  32; ders., VersR 2012, 789, 801. Ob diese Sichtweise sich mit der bisherigen Rechtsprechung zur Strukturgleichheit von vertraglicher und deliktischer Arzthaftung vereinbaren lässt, erscheint zweifelhaft, vgl. hierzu BGH, NJW 1987, 705. 245  Eingehend im Hinblick auf Verteilungsgedanken durch Vertragsrecht Arnold, Vertrag und Verteilung, 2014, S.  268 ff. Zu den Grundsätzen marktordnender Funktionen des Rechts Franck, Marktordnung durch Haftung, 2016, S.  4 ff., 54 ff.; Hellgardt, Regulierung und Privatrecht, 2016, S.  47 ff., 64 ff., mit Analyse an Hand des Kaufvertragsrechts, S.  98 ff. 246  Zur Besonderheit vertragsfreiheitlicher Gestaltung und der zentralen systembildenden Funktion wechselseitiger Treuepflichten statt aller Weller, Die Vertragstreue, 2009, S.  572 f. 247  Speziell für die Arzthaftung gilt auf Basis der Strukturgleichheit von Vertrag und Delikt (BGH, NJW 1987, 705), dass auch das vertragliche Haftungsrecht gezielt die Verhaltensfreiräume belassen soll, die außerhalb spezifischen Rechtsgüterschutzes liegen, so dass für den vertraglichen wie deliktischen Bereich die prägnanten Feststellungen von MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  823 Rn.  370 gelten, wonach im Wesentlichen vier Begründungslinien für die Diskriminierung des primären Vermögensschutzes sprechen: „(1) die Ausklammerung von Fällen, in denen dem privaten Schaden kein volkswirtschaftlicher Nachteil gegenüber steht, wie es für die Schädigung durch fairen Leistungswettbewerb typisch ist; (2) der Schutz der Haftungsvoraussetzungen und -begrenzungen des Vertragsrechts vor Unterspülung durch eine deliktische Fahrlässigkeitshaftung für Vermögensnachteile; (3) die Kanalisierung der Schadensabwicklung durch Konzentration der Aktivlegitimation auf den unmittelbar Geschädigten; (4) Diskriminierung diffuser Schadensbilder wie etwa Vermögensschäden durch Verkehrsstaus, die eine Vielzahl von Personen betreffen, bei jedem Einzelnen regelmäßig nur ein geringes und überdies schwer zu verifizierendes Ausmaß erreichen und die von dem Betroffenen typischerweise selbst abgewehrt oder gemindert werden können.“ Haftungsrecht ist nicht nur auf die verschiedenen Ziele der Restitution und Kompensation, sondern gleichermaßen auf Sicherung von Verhaltensfreiräumen gerichtet, vgl. Weller, in: FS Hoffmann-Becking 2013, S.  1341 ff.; J. Prütting, ZGR 2015, 849, 877 f. 248  BT-Drucks, 17/10488, S.  9, 21 f., 24. 249  Eingehend hierzu noch die Diskussion Kostendruck und Standard, §  5 V.

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungen

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§  630c Abs.  3 S.  1 BGB lediglich einen Baustein, der den Patienten in die Lage versetzen soll, informiert mit seinen Gütern zu verfahren. Weder Idee noch Gegenstand dieser Belehrung ist, ob zusätzlicher finanzieller Aufwand individuell sinnvoll oder mit Blick auf den kassengetragenen Anteil sozialversicherungsrechtlich wünschenswert ist. Der Preis individueller Freiheit in den belassenen Entscheidungsspielräumen des bürgerlichen Rechts ist die Notwendigkeit für den Einzelnen, Opportunitätskosten der jeweils ausgeschlagenen Entscheidungsvariante in den letztlich beschrittenen Weg einzuberechnen. Es kann daher nur festgestellt werden, dass die Existenz dieser normativen Rahmengebung des bürgerlichen Rechts als wesentliche Grundlage für rechtsgeschäftliches Handeln die Interaktion der Bürger erhöht. Sie können im Vertrauen auf besagte Rahmengebung einander gegenübertreten, ohne prohibitiv hohe Trans­ aktions­kosten, bedingt durch vorheriges Erwägen und Aushandeln aller denkbaren Nebenpflichtaspekte fürchten zu müssen.250 Der Blick auf die Metaebene des Sozialversicherungsrechts zeigt demgegenüber eine Zielverfolgung und Zweckbindung. Insofern zieht sich der Programmsatz des §  1 SGB V durch alle Strukturen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Das umfasst auch die Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten. Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewußte Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden. Die Krankenkassen haben den Versicherten dabei durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken.“

Das Konzept der Zuzahlungsverpflichtung scheint somit zwei Ziele zu verfolgen. Es dient sowohl als Baustein der Aufrechterhaltung und Finanzierung der Solidargemeinschaft und der Sicherung der Gesundheit ihrer Mitglieder als auch als Anstoß zur Eigenverantwortung. Letztere muss der Einzelne jedoch nicht mehr im Rahmen eines komplexen Gedankengangs auf die gesamte Solidargemeinschaft beziehen, sondern nur noch auf die eigene, eher zu überblickende Finanzkraft. b) Kollision der Metaebenen Der vertragliche und der deliktische Schutzstandard des bürgerlichen Rechts stehen nicht in Wertungs- oder gar Normwiderspruch zur Konzeption der Me250  Zum Hintergrund des Transaktionskostenkonzepts statt vieler Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995, S.  91 ff.

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taordnung im Sozialversicherungsrecht. Allerdings bieten weder §  630c Abs.  3 S.  1 BGB noch eine andere haftungsrechtliche Konstruktion (verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, Amtshaftung, Vertrag zu Gunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter) eine Problemlösung für Folgefragen im Innenverhältnis zwischen Leistungserbringer und Krankenkassenträger.251 Das ist auch nicht notwendig, da beide Rechtsgebiete einander diesbezüglich wechselseitig akzeptieren und verbleibende Problemfragen intern lösen können, ohne dass dies dem Optimierungsgedanken in einem Bereich zuwiderliefe. Für das bürgerliche Recht ist dieser Befund tragfähig, da der Patient sich in der konkreten Situation nur der jeweiligen Behandlungsseite gegenübersieht und im Fall unterlassener wirtschaftlicher Belehrung einen Schadensersatzanspruch erhält. Dem könnte allenfalls das Kooperationsgebot des §  630c Abs.  1 BGB und im Verletzungsfall die Bedrohung des vertrauensvollen Miteinanders von Arzt und Patient entgegengehalten werden.252 Dies ist jedoch keine Streitfrage de lege lata, sondern könnte allenfalls auf eine Veränderungsnotwendigkeit de lege ferenda hinweisen. Der Gesetzgeber hat mit §  630c Abs.  3 S.  1 BGB unter Zurückdrängung des Schutzes der ungestörten Arzt-Patient-Beziehung unmissverständlich den Wirtschaftlichkeitsaspekt zum Gegenstand der Pflichterörterungen vor Behandlungsbeginn gemacht. Für das Sozialversicherungsrecht ist der Befund akzeptabel und bestmöglich an der gesetzgeberisch beigelegten Zweckorientierung ausgerichtet. §   630c Abs.  3 S.  1 BGB füllt, selbst wenn dies bürgerlich-rechtlich nicht das verfolgte Ziel gewesen ist, die zentrale Lücke des SGB V im Bereich der wirtschaftlichen Information zur wirksamen Erziehung vor Kostenentstehung. Dies führt zu der Erkenntnis, dass die Rechtsgebiete trotz fehlender Detailabstimmung im Bereich gesetzlich angeordneter Zuzahlungsverpflichtungen sinnvoll zusammenwirken.

5. Ausgestaltung verbindender Schnittstellen (3. Stufe) Auf dritter Stufe soll auf die konkrete Ausgestaltung eingegangen werden. Eine Auflösung der Schnittstellenfrage wegen uneingeschränkter Anwendbarkeit des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB auf die Fälle gesetzlicher Zuzahlungsverpflichtungen gemäß den Vorgaben des SGB V ist nicht weitergehend geboten ist. Es bleibt für die vollständige Herstellung der in diesem Diskussionsfeld auch subjektiv-teleologisch zugelassenen und damit ungeachtet verschiedener Bereichslogiken verfolgbaren Systemkongruenz die Frage, welche Anforderungen an die Krankenkassenträger bei der wirtschaftlichen Information der Versicherten zu stellen 251 

S. o. §  5 III. 2., 3. Zur Arzt-Patient-Beziehung insoweit Hoppe, Die Patient-Arzt-Beziehung im 21. Jahrhundert, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, S.  1 ff.; Laufs, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap I Rn.  18 ff. 252 

III. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungen

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sind und ob diese ebenfalls im Fall eines Verstoßes gegen §  630c Abs.  3 S.  1 BGB durch den Leistungserbringer wenigstens anteilig haften. Dieses Problemfeld löst sich nach hier vertretener Auffassung durch einen näheren Blick auf §  87 Abs.  1 S.  2 SGB V und die auf genannter Basis erschaffenen Vorschriften des BMV-Ä. Wenn auch die Ermächtigung der Vertragsparteien des BMV-Ä in §  87 Abs.  1 S.  2 SGB V für den Bereich organisatorischer Details nicht ausdrücklich einbezieht, dass haftungsrechtliche Verantwortlichkeiten zugeordnet werden sollen, so ist den Vertragsparteien gleichwohl in Form einer Entwicklungsklausel aufgegeben worden, auch unerkannte und künftig noch virulente Aspekte des Verhältnisses von Kostenträgern und Leistungserbringern auf Verbands- und damit Bundesebene grundlegend zu bestimmen.253 Dazu muss auch die Lastenverteilung gehören. Die hierdurch in Grenzen eingeräumte Vertragsautonomie berechtigt und verpflichtet die Parteien, einerseits nach den Maximen sozialversicherungsrechtlich vorgegebener Zweckverfolgung und andererseits nach Erwägungen eigener Belastbarkeitsgrenzen eine sinnvolle Strukturentscheidung zu vereinbaren. Mit §  23a BMV-Ä ist dies in zurückhaltender, von Details befreiter Form erfolgt. Daher können die Leistungserbringer nach aktueller Vertragslage hierauf nicht die Argumentation stützen, die Krankenkassenträger hätten mit der schlichten Informationsverbreitung via Internet ihre Pflichten verletzt. Bei pflichtgemäßem Verhalten etwa mit Blick auf §  630c Abs.  4 BGB hätte es weniger begründete Haftungsfälle gegeben, da der Behandlungsseite der Einwand des wissenden Patienten ermöglicht worden wäre. Zudem sieht §  23a BMV-Ä vor, dass die einzelnen Leistungserbringer über den Verband der kassenärztlichen Vereinigung zu informieren sind, was gleichermaßen den Vorwurf einer mangelhaften Informationspolitik der Krankenkassen in diesem Bereich enthebt. Sähen sich die Leistungserbringer im Bereich wirtschaftlicher Information übermäßig belastet oder würden sie dies in der Zukunft erwägen, stünde ihnen frei, im Rahmen neuerlichen Aushandelns des §  23a BMV-Ä entweder detaillierte Informationsbemühungen der Krankenkassen oder eine Verteilung der Kostenlast im Fall fahrlässiger Belehrungsfehler nach §  630c Abs.  3 S.  1 BGB aufzunehmen. Nach aktueller Vertragslage ist selbst vor dem Hintergrund des erörterten, einseitig die Krankenkassen begünstigenden Kosteninteresses (§  43c SGB V)254 ein Regressanspruch nicht zu begründen.

253 Vgl. KassKomm/Hess, SGB V, 101. EL. 2018, §   82 Rn.  5, §  87 Rn.  3; Spickhoff/Nebendahl, Medizinrecht, SGB V, 3.  Aufl. 2018, §  87 Rn.  2. 254  Eingehend s. o. §  5 III. 3.

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6. Wesentliche Ergebnisse §  630c Abs.  3 S.  1 BGB ist auf sämtliche Fälle gesetzlich angeordneter Zuzahlungsverpflichtungen anwendbar. Die unterschiedlichen Bereichslogiken von bürgerlichem Haftungs- und Sozialversicherungsrecht fügen sich ungeachtet ausgebliebener gesetzgeberischer Erkenntnis bei Normschaffung ineinander und stützen sich wechselseitig. Daher ist eine systemgerechte Anpassung in diesem Bereich nicht geboten. Das Verhältnis von Kostenträgern und Leistungserbringern ist mit der Eröffnung vertragsautonomer Regulierung in §  87 Abs.  1 S.  2 SGB V und des hierauf basierenden BMV-Ä den Parteien überlassen. Die aktuelle Vertragsversion sieht insofern in §  23a BMV-Ä eine weithin unbestimmte Lösung vor, welche zu einer faktisch einseitigen Belastung der Leistungserbringer führt. Es steht den Parteien frei, dies im Rahmen zukünftiger Vertragsänderungen anzupassen.

IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben und zivilrechtlicher Haftungsmaßstab255 1. Ein offenkundiges Problem kollidierender Teilrechtsordnungen (Vorprüfung) Für das zivilrechtliche Arztrecht ist die Bestimmung des nach §  630a Abs.  2 BGB zu erwartenden Behandlungsniveaus von allumfassendem Interesse.256 Nach diesem Qualitätsansatz richtet sich die rechtlich geschützte Erwartungshaltung des Patienten und die ggfls. haftungsbewährte Leistungspflicht des Behandelnden.257 Wie genau die Wertausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs in §  630a Abs.  2 BGB („allgemein anerkannte[r] fachliche[r] Standard“) vorzunehmen ist, bildet zurecht ein Hauptaugenmerk vieler arztrechtlicher Diskussionen.258 Sollen Wertungen des Sozialversicherungsrechts, allem voran Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auf Basis der Ermächtigungen in den §§  135 ff. SGB V hierauf Einfluss nehmen, so erscheint das Vorliegen eines Falles teilrechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen weithin evident, wie nachfolgende Ausführungen knapp verdeutlichen: 255 

Eingehend zu diesem Problemfeld bereits J. Prütting, RW 2018, 289, 304 ff. interdisziplinär aufgearbeitet bei Frahm et al., MedR 2018, 447 ff.; s. a. die ausführliche Aufarbeitung und Erörterung bei Taupitz, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S.  63, 66 ff. mwN. 257  Grundlegend zum damit einhergehenden Ansatz der Gruppenfahrlässigkeit Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2.  Aufl. 1995, S.  93 ff. 258 Eingehend monographisch behandelt bei Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.   277 ff. mwN.; zur Rechtsprechungsübersicht Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  536 ff. 256  Jüngst

IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben

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Im Hinblick auf das äußere System der Rechtsordnung ist die durch den Gesetz­geber der §§  630a ff. BGB und den Gesetzgeber der §§  135 ff. SGB V veranlasste Systematisierung und Kategorisierung einerseits im bürgerlichen Schuld- und dort im speziellen Vertragsrecht und andererseits im 9. Abschnitt des vierten Kapitels des für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen SGB V mit einer grundlegenden Unterscheidung geprägt worden. Mit dem bürgerlich-rechtlichen Ansatz hat der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen Patient und Behandlungsseite geregelt und damit in §  630a Abs.  2 BGB das Qualitäts- und Sorgfaltsniveau speziell für diesen Bereich gesetzt.259 Demgegenüber ist der 9. Abschnitt des vierten Kapitels des SGB V nach der ihm gewidmeten Überschrift des äußeren Systems zunächst nur auf das Verhältnis von Leistungserbringern und Krankenkassen bezogen. Dort werden nach dem äußeren Bild speziell die zu fordernden Qualitätsstandards gesetzt, soweit die Regelungen reichen. Wenn es in einem an dieser Stelle hypothetisch aufgemachten Streitfall vor den Zivilgerichten darum ginge, eine haftungsrechtlich relevante Standardunterschreitung festzustellen, so würde sich nach dem äußeren Bild der Rechtsordnung in ihrem gegenwärtigen Bestand jedenfalls für den vertragsrechtlichen Bereich der Maßstab aus dem Verständnis des §  630a Abs.  2 BGB ergeben müssen. Er wäre in der Folge näher zu interpretieren.260 Demgegenüber ließe sich eine Behauptung dahingehend nicht halten, dass das äußere Bild der Rechtsordnung eine klare Anordnung für oder wider einer Einbeziehung so­ zial­versiche­r ungsrechtlicher Qualitätsvorgaben nach den §§  135 ff. SGB V statuierte. Hier können nur noch zu analysierende Indizien extrapoliert werden. Mit Blick auf eine eindeutig erkennbare gesetzgeberische Zweckverfolgung kann im Rahmen der Vorprüfung zur Bestimmung der Kollisionsproblematik festgehalten werden, dass, wie auch immer §  630a Abs.  2 BGB letztlich wertungsmäßig auszufüllen sein wird, diese Vorschrift jedenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers über das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines bürgerlich-rechtlichen Haftungsanspruchs mit Blick auf eine vorwerfbare Fehlleistung entscheiden und somit die geschuldete Behandlungsqualität im Verhältnis Behandler zu Patient a priori angeben soll.261 Demgegenüber geht es in den §§  135 ff. SGB V um das Verhältnis von Leistungserbringern und geschuldeter Qualität mit Blick auf die letztlich finanzierenden Krankenkassen.262 Ob und inwieweit Aspekte des Patientenschutzes dabei mitschwingen und welcher Gestalt diese 259 

BT-Drucks. 17/10488, S.  19 mVa. die Definition von Carstensen, DÄBl.  1989, A-2431 f. Grundverständnis der äußeren Gesetzesstruktur findet sich ansatzweise auch bei OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044. 261  Insoweit eindeutig BT-Drucks. 17/10488, S.  11, 19. 262  Am naheliegendsten wäre ein anderer Blickwinkel für die Hygienevorgaben des §  137 SGB V, die laut Gesetzesbegründung patientenschützenden Charakter haben, vgl. BTDrucks. 17/5178, S.  21. Aber auch dort findet sich kein Ansatz oder Bezugspunkt zum haftungsrechtlichen Standard des Zivilrechts. Vielmehr wird auf eigenständige Abwehrmechanismen durch Veröffentlichung und damit einhergehender Transparenz verwiesen, vgl. BT260  Dieses

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

sind, ist nicht mehr als eindeutiger Aspekt subjektiver Teleologie zu interpretieren. Hinsichtlich daraus erwachsender oder negierter bürgerlich-rechtlicher Ansprüche kann eine komplexe, spezifisch das innere System der Rechtsordnung analysierende Erörterung Aufschluss geben. Es liegt zweifelsohne eine teilrechtsgebietsübergreifende Normenkollision im anfänglich definierten Sinne vor.263 Die rechtspraktische Relevanz unterscheidet sich je nach Einflussmoment. Dabei ist es denkbar, dass sozialversicherungsrechtliche Vorgaben eine Haftung nach Zivilrecht begründen, modifizieren oder ausschließen sowie möglicherweise in das Zivilprozessrecht hineinwirken. Dies wird auf der dritten Stufe im Rahmen erwägenswerter Kollisionsauflösungsmechanismen erörtert, soweit die Stufen 1 und 2 die Erforderlichkeit einer solchen Anpassung begründen. Als konkretes Beispiel einer solchen Kollision sei ein Fall zu den auch in der Haftungsrechtsprechung der Zivilgerichte beachteten Mutterschaftsrichtlinien 264 herangezogen. Das OLG Köln hatte im Jahr 2011 über die Ansprüche eines schwerstgeschädigten Kindes zu entscheiden, wofür es zentral darauf ankam, ob der schwangerschaftsbetreuende Arzt zur Wahrung des ärztlichen Standards auch einen Toxoplasmose-Test hätte durchführen müssen.265 Die Mutterschaftsrichtlinien in der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Fassung hatten eine solche Diagnostik nicht gefordert. Der Senat nahm dies zum Anlass, eine unzulässige Standardunterschreitung wegen Erfüllung der Vorgaben der Richtlinie abzulehnen. Sie dürften zwar nicht unterschritten werden, aber ohne konkreten medizinischen Anlass müssten sie in der Situation auch nicht überschritten werden.266 Eine Begründung für die haftungsrechtliche Verbindlichkeit ist das OLG Köln schuldig geblieben.

2. Grundsatzwertungen im arztrechtlichen Standard vs. sozialversicherungsrechtliches Gefüge der Qualitätssicherung (1. Stufe) a) Leitgedanken zu §  6 30a Abs.  2 BGB und dem zivilrechtlichen Haftungsansatz aa) Der Standardbegriff nach der gesetzlichen Konzeption Der Gesetzgeber, auf dessen erkennbaren Willen es ankommt, hat in §  630a Abs.  2 BGB ausweislich der Gesetzesbegründung §  276 Abs.  2 BGB ergänzen Drucks. 17/5178, S.   22. Ein zwingender Ausschluss im Hinblick auf die zivilrechtliche Standardbestimmung erfolgt aber ebenfalls nicht. 263  Vgl. §  1 III. 264  Vgl. schon BGH, GesR 2004, 132. 265  OLG Köln, MedR 2012, 527. 266  OLG Köln, MedR 2012, 527, 528 unter Bezugnahme auf OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94, nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff.

IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben

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und die hergebrachte Judikatur des BGH zum Sorgfaltsstandard der medizinischen Behandlung unverändert fortführen wollen.267 Auch wenn nicht die vom BGH präferierte Explikation des Sorgfaltsstandards in der Begründung genutzt worden ist, gibt es keinen ersichtlichen Ansatz, weshalb hiermit eine Änderung der Anforderungen einhergehen sollte.268 Der zivilrechtliche Haftungsmaßstab orientiert sich somit daran, was der zuständige Verkehrskreis als erforderlich ansieht.269 §  630a Abs.  2 BGB leistet gegenüber §  276 Abs.  2 BGB nur die auch schon vorab bekannte Präzisierung. Danach kommt es auf die Betrachtung der medizinischen Fachwelt und somit auf die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die ärztliche Erfahrung und die praktische Erprobung an.270 Das individuelle Behandlungsziel ist hierbei Ausgangspunkt der Bewertung.271 Diese Ansätze sind entsprechend der zivilrechtlichen Haftungsstruktur objektiviert, so dass grundsätzlich für Erwägungen individueller Vorwerfbarkeit kein Raum verbleibt.272 Die Bestimmung durch Verkehrskreise sieht die Gesetzesbegründung sodann im Wesentlichen durch die jeweiligen Fachgesellschaften und deren Leitlinien als vorgezeichnet.273 Nach den gesetzgeberisch gewählten Verweisen auf die Judikatur kann davon ausgegangen werden, dass keine Veränderung zur Leitlinienakzeptanz und auch zu ggfls. erheblichen Zweifeln daran (Überalterung, Evidenz, Passgenauigkeit mit Blick auf die individuelle Behandlungssituation) vorgenommen worden ist.274 Es bleibt bei der Einzelfallbestimmung an Hand des Facharztstandards unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation des Patienten im Zeitpunkt der Behandlung (a priori unter Verbot der ex post-Bewertung).275 Die Beachtung oder auch nur Berücksichtigung von sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben oder Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber weder im BGB noch in der Gesetzesbegründung thematisiert. Der auf diese Weise genommene Ausgangspunkt entscheidet auf abstrakter Ebene über das Für und Wider eines denkbaren Behandlungsfehlers, wenn der 267 

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268 MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  97. Gegenstimmen sind nicht ersichtlich. 269 

Vgl. BGHZ 113, 297, 304 = NJW 1991, 1535. BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  145 ff.; BeckOGK/Walter, BGB, 2017, §  630a Rn.  71 ff.; Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  63 ff. 271 Vgl. Frahm et al., MedR 2018, 447, 449 f. mwN. 272 Allerdings kann erwogen werden, dass sich der eher unerfahrene Assistenzarzt im Rahmen der deliktischen Haftung darauf berufen dürfte, dass er die unzulässige Behandlungsübernahme aufgrund fehlenden Wissensstandes nicht erkennen konnte, vgl. BGHZ 88, 248, 258 = NJW 1984, 655, 657; hinsichtlich der Subjektivierung des Fahrlässigkeitsmaßstabs offengelassen von BGH, NJW 1988, 2298, 2299 f. Ablehnend wohl BGH, MDR 2001, 565 f. 273  BT-Drucks. 17/10488, S.  19. 274  So wird allem voran verwiesen auf BGH, VersR 2010, 214 f. sowie OLG Hamm, NJW 2000, 1801 ff. 275  BT-Drucks. 17/10488, S.  19; Frahm/Walter, Arzthaftungsrecht, 6.  Aufl. 2018, Rn.  85. 270 Vgl.

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Patient hieraus Ansprüche nach §  280 Abs.  1 BGB herleiten will. Dabei ist der Standardbegriff aber gerade nicht rückwärts auf Restitution gerichtet, sondern zukunftsorientiert und soll allem voran vorgeben, was der Arzt bei einer anstehenden Therapie zu leisten hat, um den Patienten sach- und damit vertragsgerecht zu versorgen.276 An dieser Stelle ist weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der systematischen Stellung im privatrechtlichen Vertragsrecht oder der gesetzgeberisch nachvollziehbar verfolgten Teleologie zu entnehmen, dass es um irgendein anderes Verhältnis als jenes zwischen Behandler und Patient gehen soll. Daher können bereichsspezifisch – ungeachtet jeder anderen, potentiell einflussnehmenden Materie – zunächst nur Aspekte für den Standardbegriff relevant sein, die den Ausgleich zwischen Patientenschutz und Gesundheitsfürsorge im Einzelfall auf der einen Seite und Machbarkeit und Zumutbarkeit für den Behandler277 auf der anderen Seite im Rahmen der Vertragsäquivalenz einbeziehen. Zwei subjektiv teleologische Erwägungen müssen trotz dieser Ausgangsfeststellungen hervorgehoben werden: (1) Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen seiner Hintergrundfeststellungen zur wesentlichen Entstehungsgeschichte des Patientenrechtegesetzes auch kurz zu den gewachsenen Strukturen des SGB V geäußert. Er hat dabei auf Beteiligungsformen der Patientenschaft im Rahmen der Tätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses und mit Blick auf die Schlichtungsstellenarbeit hingewiesen.278 Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber bei Schaffung der §§  630a ff. BGB das Zusammenspiel mit den §§  135 ff. SGB V nicht vollständig unbeachtet gelassen hat, selbst wenn hierauf nicht explizit eingegangen worden ist. Ohne Analyse oder gesonderte Schnittstellenzuschreibung ist es jedoch problematisch, dem gesetzgeberischen Willen beliebig weitere Folgeerwägungen aus dieser Berücksichtigung beizumessen. Dies gilt umso mehr, als sich in der parlamentarischen Debatte279 wie auch in den Ausschussberatungen und -empfehlungen 280 keine Ansätze hierzu finden. (2) Der Gesetzgeber hat verdeutlicht, dass an den hergebrachten Grundsätzen der Rechtsprechung nach Möglichkeit nichts geändert werden sollte.281 Das Patientenrechtegesetz ist maßgeblich – wenn dies etwa im Bereich des §  630c Abs.  2 und 3 BGB wohl nicht ausnahmslos zutreffen kann – als Versuch einzu-

276 Vgl. Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  63 ff. 277  S. hierzu auch Taupitz, MedR 1995, 475 ff. 278  BT-Drucks. 17/10488, S.  10. 279  Vgl. das Plenarprotokoll 17/196, S.  23654 ff. 280 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Gesundheitsausschusses BT-Drucks. 17/11710, S.  2 ff. 281  In diese Richtung BT-Drucks. 17/10488, S.  9, wobei die Begründung nicht ganz eindeutig in ihrer Zielvorstellung ist.

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ordnen, Transparenz in die judikativ erzeugten Regelungen zu bringen.282 Dann dürfte dies aber, solange Gesetzestext oder Begründung dem nicht zuwiderlaufen, für die gesamte bis 2013 geltende Rechtsprechung gelten. bb) Judikative Wertausfüllung Als Betrachtung eines unbestimmten Rechtsbegriffs hat die Rechtsprechung sich mit dem medizinischen Standard befasst283 und in seltenen Fällen auch im Nebensatz dazu Stellung genommen, wie sozialversicherungsrechtliche Richtlinien im Haftungsrecht respektive im Standardbegriff zu behandeln sein könnten. Der BGH formuliert: „Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden können (im Gegensatz zu den Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen) nicht unbesehen mit dem zur Beurteilung eines Behandlungsfehlers gebotenen medizinischen Standard gleichgesetzt werden.“284 Der Senat stellt ohne Zweifel – aber auch ohne Argumentation, da diese im gegebenen Fall nicht geboten gewesen und somit die gesamte Bemerkung als obiter dictum zu werten ist – fest, dass sozialversicherungsrechtliche Richtlinien ohne jede Einschränkung den haftungsrechtlichen Standard abbilden, sofern sie eine bestimmte Qualität beschreiben. Diese ohne Entscheidungserforderlichkeit getroffene Feststellung dürfte sich wohl nur vor dem Hintergrund der dem Senat zum Entscheidungszeitpunkt sicherlich bekannten Grundsätzen des BSG seit der Methadon-Entscheidung285 und deren Folgejudikate286 sowie der gesetzlichen Verbindlichkeitserklärung von Richtlinien in §  91 Abs.  6 SGB V erklären lassen. Der BGH scheint der Ansicht zu folgen, dass §  91 Abs.  6 SGB V gebietsübergreifende Verbindlichkeit anordne. Die gegenteilige Ansicht vertritt das OLG Nürnberg in seiner Entscheidung vom 20.04.2017.287 Der Senat hatte sich unter anderem mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Qualitätsbeurteilungs-Richtlinie Arthroskopie, die eine dezidierte Dokumentation und Speicherung von Aufzeichnungen vorsieht, den Begriff der „wesentlichen“ und damit haftungsrechtlich dokumentationspflichtigen Maßnahme in §  630f Abs.  1 BGB zu definieren geeignet ist. Der Senat hat dies mit Hinweis darauf verneint, dass die Richtlinie zur Qualitätsbeurteilung zwar auch mittelbar den Patientenschutz in sich aufnehme, dass es dort jedoch um eine grundlegend andere Teleologie, nämlich die Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen und die Fortentwicklung der Medizin gehe, während das 282 So die erklärte Zielvorstellung der Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  1, 9. 283 Eine breite Übersicht bieten Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.   Aufl. 2018, S.  536 ff. 284  BGH, GesR 2008, 361 = IBRRS 2008, 4523. 285  BSGE 78, 70 = MedR 1997, 224 mAnm. Wimmer. 286  Vgl. BSG, SozR 4-2500, §  13 Nr.  20 Rn.  20; BSG, NJOZ 2009, 3296, 3297 Rn.  11 mwN. 287  OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044.

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Patientenrechtegesetz zu Gunsten des Patienten gerade keine Verhaltensweisen veranlasse, welche für die konkrete Behandlung nicht erforderlich seien und allenfalls dem Patienten zur Information oder für spätere Haftungsprozesse dienen könnten. Der Senat greift mit seinen Ausführungen bereits auf die Ebene der Schnittstellenerwägung zu. Er konstatiert für den Bereich der ersten Auslegungsstufe, dass jedenfalls innerhalb des Begriffs der Wesentlichkeit bei den Erfordernissen der Dokumentation der Gesetzgeber keine Bindung an eine Teleologie außerhalb des konkreten bürgerlich-rechtlich eingerichteten Patientenschutzes vorgenommen habe. Somit bedürfe einer autonom bereichsspezifischen Auslegung. Deren Wertausfüllung erfolgt aus der Sicht des Senats letztlich einzig durch den medizinischen Sachverständigen und ist damit durch die Sichtweise der Fachschaften geprägt.288 Eine weitere Durchsicht der obergerichtlichen Rechtsprechung führt zu der Erkenntnis, dass vor allem den Mutterschafts-Richtlinien Bedeutung bei der Bestimmung des ärztlichen Standards in der Schwangerschaftsbetreuung beigemessen wird.289 Folgende Feststellung ist von mehreren Gerichten übernommen worden: „Die Mutterschafts-Richtlinien spiegeln den ärztlichen Standard wider“. Sie werden regelmäßig aktualisiert und dienen, wie es in der Präambel heißt, „der Sicherung einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Berücksichtigung des allgemeinen Standards der medizinischen Erkenntnisse ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen ärztlichen Betreuung […]“. Sie dürfen daher nicht unterschritten werden, müssen – ohne Anlass – aber auch nicht überschritten werden.“290 Auch in diesen Judikaten findet sich keine Auseinandersetzung mit der Frage des Grundes der angenommenen Verbindlichkeit im Haftungsrecht. Zugleich lassen die Oberlandesgerichte jedoch mit dem Hinweis auf „[…] ohne Anlass […]“ in geschickter Form eine Möglichkeit offen, in der Zukunft im Fall einer unvorhergesehenen Konstellation auch eine Überschreitung der Richtlinienvorgaben haftungsrechtlich fordern zu können. Eine Sonderstellung nimmt die Entscheidung des Landgerichts München I aus dem Jahre 2009 ein.291 Gegenstand ist die Frage gewesen, ob der schwangerschaftsbetreuende Gynäkologe die werdende Mutter über die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit einer HIV-Testung hätte informieren müssen. Die Mutterschafts-Richtlinie hatte zu diesem Zeitpunkt eine solche Testung nur nahegelegt, nicht jedoch zwingend vorgeschrieben. Die Kammer hat gleichwohl – entgegen der Ansicht des Sachverständigen – eine entsprechende Belehrung als 288 

OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044, Rn.  28. Vgl. zur Übersicht Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  555 f. 290  Vgl. OLG Köln, BeckRS 2011, 26595 unter 1.a. mVa. OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94 nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff. 291  LG München I, NJW-RR 2009, 898. 289 

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fachgynäkologischen Standard erkannt und eine Haftung bejaht. Dabei ist jedoch nicht im Sinne der vorab beschriebenen obergerichtlichen Rechtsprechung auf eine anlassbezogene Besonderheit, sondern auf generell vorliegende Umstände wie eine hohe Anwendungsdichte in der Praxis und eine grundsätzlich sehr niedrige Belastung der Schwangeren bei bedeutsamer Untersuchung abgehoben worden.292 Die Kammer hat somit die Bestimmung des Standardbegriffs ein Stück weit normativiert und dem ärztlichen Fachbereich entzogen, wenn es um die Bewertung der dargelegten ärztlichen Praxis geht. Zudem hat sich die Kammer explizit über die Vorgaben der Mutterschafts-Richtlinie hinaus für einen schärferen Haftungsstandard entschieden. Auch hier hat jedoch keinerlei rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Einflussnahmemöglichkeit von Richtlinien im Bereich der Standardbestimmung stattgefunden. cc) Vergleich der angeführten Judikatur Werden zunächst die zuerst genannten Judikate des BGH und des OLG Nürnberg einander gegenübergestellt, so lassen sich folgende Ergebnisse ableiten. Erstens könnte das OLG Nürnberg dahingehend verstanden werden, dass es den Behandlungsstandard im Sinne des §  630a Abs.  2 BGB nicht erörtern und auch nicht implizit einbeziehen wollte, was zur Folge hätte, dass kein zwingender Widerspruch zwischen BGH und OLG Nürnberg angenommen werden müsste. Die BGH-Entscheidung erging schließlich zu Aspekten standardwidriger Behandlung. Zweitens spricht einiges dafür, sowohl den BGH als auch das OLG Nürnberg dahingehend zu verstehen, dass es um das Grundsatzverhältnis von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und zivilrechtlichen Maßstabs respektive um die erforderliche Qualität in den §§  630a ff. BGB generell gehen sollte. Dann aber ließen sich diese Entscheidungen nicht miteinander vereinbaren. Und drittens könnten die Gerichte wechselseitig jeweils mit der engen und weiten Verständnisvariante interpretiert werden. Dies führte ebenso wie Va­ riante zwei zur Unvereinbarkeit der Judikate. Die im Übrigen aufgezeigte obergerichtliche Rechtsprechung liegt demgegenüber eher auf der Linie des BGH, da bei Erfüllung der Richtlinienvorgaben grundsätzlich jedenfalls keine unzulässige Standardabweichung befürchtet werden müsste. Schließlich hat das LG München I dem jedoch klar widersprochen und sogar einen Schritt darüber hinaus gemacht, als es den Standardbegriff gegenüber sozialversicherungsrechtlichen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses verstärkt einer richterlichen Kontrolle unterworfen hat. An keiner Stelle hat die bisherige Judikatur erläutert, wie sie zur jeweiligen Erkenntnis der Verbindlichkeit, teilweisen Verbindlichkeit oder Unverbindlichkeit sozial292 

LG München I, NJW-RR 2009, 898, 901.

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versicherungsrechtlicher Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gekommen ist. dd) Stellungnahme Die reine Betrachtung des §  630a Abs.  2 BGB verdeutlicht, dass es sich um eine wertausfüllungsbedürftige Klausel handelt. Sie blickt auf eine nicht klar bestimmbare judikative Entstehungsgeschichte zurück, welche vom Gesetzgeber aufgenommen worden ist, ohne dass die Unsicherheiten erörtert worden wären. In dieser Historie finden sich dementsprechend auch keine Schnittstellenauseinandersetzungen, die sich mit der Maßstabsbildung nach den §§  135 ff. SGB V ernsthaft befassen würden. Dies ist aber schließlich auch im Hinblick auf die noch sehr jungen Regelungsergänzungen in den §§  135 ff. SGB V bezüglich zahlreicher Erwägungen unumgänglich. Das Judikat des OLG Nürnberg ist demgegenüber nach Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes und zu einer konkret kollidierenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses ergangen. Allerdings findet sich an anderer Stelle eine indirekte Befassung mit den prägenden Vorgaben des Sozialversicherungsrechts. Die Diskussion um die Spannungslage zwischen dem zivilrechtlichen Haftungsmaßstab nach den §§  276 Abs.  2, 630a Abs.  2 BGB und der Wirtschaftlichkeitsbindung des §  12 Abs.  1 SGB V bietet Ansätze für Näherungen.293 Diese Erwägungen gehören aber partiell in den sozialversicherungsrechtlichen Bereich und partiell auf die Metaebene, so dass ihre Einbeziehung im Anschluss eigenständig mit Kontexteinordnung erfolgt.294 Für die Ausgangsebene im Rahmen des zivilrechtlichen Ansatzes ist daher abschließend darauf hinzuweisen, dass eine Wertausfüllung durch das Sozialversicherungsrecht nicht vorgesehen, aber auch nicht ausgeschlossen

293  Monographisch erfasst bei Arnade, Kostendruck und Standard, 2010; Vosteen, Rationierung im Gesundheitswesen und Patientenschutz, 2000; Conradi, Verknappung medizinischer Ressourcen und Arzthaftung, 2000; Röfer, Zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Überlegungen bei der Festlegung arzthaftungsrechtlicher Sorgfaltsanforderungen, 2000; Voß, Kostendruck und Ressourcenknappheit im Arzthaftungsrecht, 1999; Nagel/Fuchs, So­ ziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, 1993; Künscher, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992; Goetze, Arzthaftungsrecht und kassenärztliches Wirtschaftlichkeitsgebot, 1989. S.a. AG RAe MedR, Die ärztliche Behandlung im Spannungsfeld zwischen kassenärztlicher Verantwortung und zivilrechtlicher Haftung, 1992; dies., Die Budgetierung des Gesundheitswesens – Wo bleibt der medizinische Standard?, 1997; Steffen, in: FS Geiß, 2000, S.  487 ff.; Taupitz, in: Kick/Taupitz, Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, 2005, S.  21 ff.; Schirmer/Fuchs, Rationierung, ihre kritischen Wirkungen für die ärztliche Berufsausübung, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S.  121 ff.; Stöhr, MedR 2010, 214 ff.; Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  342 ff. 294  S. u. §  5 IV. 3.

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ist. Von einer geformten judikativen Rechtserzeugung295 , die das Gesetz im Rahmen des §  630a Abs.  2 BGB in die eine oder andere Richtung bereits geprägt hätte, kann keine Rede sein. b) Erwägungen zum GKV-System und zu den §§  135 ff. SGB V Die in der vorliegenden Untersuchung in den Blick genommenen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen sind Ermächtigungs-, Rahmen- und Aufgabenregeln.296 Ihre direkte Anwendung außerhalb ihres unmittelbar ermächtigenden und zuweisenden Charakters kommt schon mangels konkretisierter Verhaltensanweisungen für Leistungserbringer nur in wenigen Fällen in Betracht.297 Die Rahmenvorgaben zur Einführung eines Qualitätsmanagements beinhalten keine Aussage über spezifische Behandlungsvorgänge und können daher im haftungsrechtlichen Arzt-Patient-Verhältnis auch nicht im Bereich des Organisationsverschuldens sinnvoll erfasst werden.298 Anderes gilt für die konkrete Umsetzung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in Form von Beschlüssen (insbesondere in Form von Richtlinien im Sinne des §  92 SGB V mit der mittlerweile gesetzlich angeordneten Verbindlichkeit nach §   91 Abs.   6 SGB  V). Wenn an dieser Stelle die oben bereits angeführten MutterschaftsRicht­li­nien beispielhaft aufgegriffen werden, so finden sich dort Verhaltensanweisungen zu Tests, Therapien und Umgang mit Schwangeren,299 gegen die konkret verstoßen werden kann, was die §§  135 ff. SGB V nicht entsprechend bieten. Für eine nähere Bestimmung des inneren GKV-Systems sind die folgenden Aspekte von Interesse. aa) Regelungsstruktur und die Macht des Gemeinsamen Bundesausschusses Der Gesetzgeber hat mit den §§  1, 2, 12, 27 ff. SGB V wesentliche Rahmenvorgaben für den Krankenversicherungsschutz der GKV geschaffen. Diese Vorgaben genügen jedoch der praktischen Handhabung nicht und müssen daher kon295 Ausführlich monographisch behandelt bei Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, S.  111 ff. 296  Vgl. BeckOK/Propp, SGB V, 48. Ed. 2017, §  135 Rn.  24 ff. 297  Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sollen sämtliche Details bundeseinheitlich (BT-Drucks. 14/1245, S.  89) und sektorenübergreifend (BT-Drucks. 16/3100, S.  146) durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses reguliert werden, vgl. zur aktuellen Gesetzeslage BT-Drucks. 18/5372, S.  84. 298  Dies gilt selbst für die Einführung von Risikomanagementsystemen wie CIRS (Critical Incident Reporting System), da haftungsrechtlich selbst unter Einbeziehung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften kein Ansatz ersichtlich ist, aus dem ein konkretisierter Vorwurf im Rahmen eines Behandlungsprocederes gerade wegen Fehlen eines solchen Systems geltend gemacht werden könnte. Vgl. näher zu CIRS als Organisationspflicht Thüß, Rechtsfragen des Critical Incident Reportings in der Medizin, 2012, S.  81 ff. 299 Stets in der aktuellen Version einschließlich Anlagen veröffentlicht unter https:// www.g-ba.de/informationen/richtlinien/19 (Abrufdatum: 17.10.2019).

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kretisiert werden.300 Diese systemrelevante Aufgabe ist dem Gemeinsamen Bundesausschuss in seiner Zusammensetzung aus den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen 301, der Deutschen Krankenhausgesellschaft 302 und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen 303 zugedacht, §  91 Abs.  1 S.  1 SGB V. Der Leitgedanke ist die Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur verbindlichen Setzung von Versorgungsstandards in der GKV, was im Wesentlichen bedeutet, dass die unbestimmten Rechtsbegriffe des Stands der medizinischen Erkenntnisse aus §  2 Abs.  1 S.  3 SGB V, des Aspekts der Wirtschaftlichkeit aus den §§  12 Abs.  1, 70 Abs.  1 S.  2, 72 Abs.  2 SGB V sowie die Vorgaben zu Qualität und Sicherheit nach den §§  135 ff. SGB V präzisiert werden. Da die fortgesetzte Verfolgung dieser Aufgabe in vielen Bereichen unerlässlich ist, hat der Gesetzgeber in §  91 Abs.  1 S.  2 SGB V eine „Soll-Regelung“ für enumerativ aufgezählte Katalogtatbestände geschaffen, in denen der Gemeinsame Bundesausschuss regelmäßig tätig werden muss. Hinzu treten Sonderermächtigungen, wie sich diese insbesondere im vorliegend interessierenden Bereich der §§  135 ff. SGB V für Qualitäts- und (sozialrechtliche) Sorgfaltsstandards finden. Dabei zeigt eine Durchsicht der zahlreichen Ermächtigungs- und Aufgabenzuweisungsregeln, dass der Gesetzgeber des SGB V nahezu durchweg mit wertausfüllungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet, so dass der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Konkretisierungsfunktion das Machtzentrum des GKV-Leistungsrechts bildet.304 Die „sanfte“305 Führung durch den Gesetzgeber wird wegen der unbestreitbar großen Menge zu treffender Detailentscheidungen als geboten erachtet, da andernfalls der parlamentarische Gesetzgeber im Rahmen einer erforderlichen Feinjustierung überfordert wäre.306 Die außerordentliche Bedeutung des Gemeinsamen Bundesausschusses zeigt sich zusätzlich darin, dass der Gesetzgeber dieser Institution sogar die Möglichkeit zur Maßstabsbildung nach §  91 Abs.  4 Nr.  1 SGB V übertragen hat. Mit Ausnahme der weichen Rahmenvorgaben, die sich überall im SGB V finden, ist der Gemeinsame Bundesausschuss demzufolge als überwiegend selbstreferentielles 300 

Hierzu BT-Drucks. 11/2237, S.  15. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts nach §  77 Abs.  5 SGB V. 302  Dachorganisation der deutschen Krankenhausträger, §  108a S.  2 SGB V. Hier hat der Gesetzgeber, anders als bei den KBVen und dem SpiBuKK keine öffentlich-rechtliche Trägerschaft angeordnet, so dass die Organisation privatrechtlich in Vereinsform stattfindet. Daher sind Regelungszweck und Wirkungen des §  108a SGB V unklar, vgl. Becker/Kingreen/Becker, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  108a Rn.  2 mwN. 303  Organisation der Krankenkassen in einem einheitlichen Verband der Interessenvertretung zur Vermeidung von Handlungsblockaden, vgl. BT-Drucks. 16/3100, S.  161 zum heutigen §  217a SGB V. Die Organisationsform ist gemäß §  217a Abs.  2 SGB V die Körperschaft des öffentlichen Rechts. 304 AllgM., vgl. nur Becker/Kingreen/Schmidt-De Caluwe, SGB V, 5.   Aufl. 2017, §  91 Rn.  4. 305  Kingreen, NZS 2007, 113, 116. 306  Treffend Becker/Kingreen/Schmidt-De Caluwe, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  92 Rn.  4. 301 

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System ausgestaltet. Dies erschwert die Überprüfung seiner Tätigkeit und Entscheidungen und weitet seine Macht aus. Es räumt der Institution aber zugleich die effektive Möglichkeit ein, präzise auf das oben umrissene Aufgabenfeld zugeschnittene Lösungen auszuarbeiten. Als Verwaltungskontrolle findet nur eine Rechtsaufsicht (keine Fachaufsicht!) durch das Bundesgesundheitsministerium statt, §  94 SGB V.307 Jüngst ist allerdings eine gewisse Ausweitung der Kontrolle auf die Mitwirkungsrechte in der Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses durch das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz erfolgt.308 Zudem muss beachtet werden, dass dem Gemeinsamen Bundesausschuss nach heute überwiegender Ansicht keine formale Begründungspflicht im Rahmen der Normgebung aufgegeben ist.309 Die judikative Kontrolle der Richtlinien erfolgt im Fall des unmittelbaren rechtlichen Angriffs über eine Zuständigkeitskonzentration beim LSG Berlin (§  29 Abs.  4 Nr.  3 SGG). Der prozessuale Angriff wird mangels Normenkontrollverfahren 310 durch Feststellungsbegehren nach §  55 SGG geführt.311 Als untergesetzliche Normen können Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses jedoch im Fall der Rechtswidrigkeit auch andere Gerichte nicht binden, so dass eine Inzidentkontrolle im Rahmen jeglicher judikativer Überprüfung in Betracht kommt. Eine richterliche Kompetenz zur Verwerfung mit Wirkung erga omnes können diese letztgenannten Rechtsschutzansätze nicht haben,312 während das für den Fall der Feststellungsklage entgegen hergebrachter Grundsätze des nur die Parteien bindenden Prozessrechtsverhältnisses streitig ist.313 Da sich der Gesetzgeber im Sozialgerichtsgesetz jedoch eindeutig gegen das Normenkontrollverfahren nach dem Vorbild des §  47 VwGO entschieden hat, überzeugt eine erweiterte Bindungswirkung entsprechend erkennbarer subjek307  Der Wortlaut des §  94 SGB V entscheidet den Streit zwischen Rechts- und Fachaufsicht nicht, jedoch ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt, dass es sich nur um eine besonders ausgestaltete Rechtsaufsicht handeln soll, vgl. BSGE 103, 106, 115, Rn.  34 ff. = MedR 2010, 347 mAnm. Kamps. Diese Entscheidung soll insbesondere Ausdruck davon sein, dass der Gemeinsame Bundesausschuss nicht als nachgeordnete Behörde des BMG, sondern als funktionale Selbstverwaltungskörperschaft verstanden sein will. Hierzu Becker/Kingreen/SchmidtDe Caluwe, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  94 Rn.  10 ff. mwN. und Darstellung des Streitstands. 308  Art.  3 i. V. m. Art.  1 Nr.  9 des Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) vom 21.02.2017, BGBl.  I, S.  265. 309  Vgl. BSGE 112, 15 = NZS 2013, 224; BSG, NZS 2013, 544; Steiner, GesR 2013, 193; Waldhoff, GesR 2013, 197; Axer, GesR 2013, 211. 310  Vom Gesetzgeber bewusst nicht eingeführt, vgl. BT-Drucks. 16/7716, S.  16. 311  Vgl. BSG, SozR 4-2500, §  92 Nr.  5 Rn.  27; BSG, SozR 4-2500, §  132a Nr.  3 Rn.  14. 312  BSG, SozR 4-2500, §  31 Nr.  9 Rn.  40; SozR 4-1500, §  10 Nr.  3 Rn.  14; HessLSG, Urt. v. 11.3.2009, L 4 KA 43/08 = LSG Hessen Urt. v. 11.3.2009 – L 4 KA 43/08, BeckRS 2009, 69668. 313  LSG B-Bbg, ZMGR 2011, 386; ablehnend BSG, SozR 4-2500, §   137 Nr.  1 (3. Senat); unklar jedoch BSG, SozR 4-2500, §  137 Nr.  2 (1. Senat), der aber die LSG-Entscheidung bestätigt.

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tiver Teleologie nicht. Von zentraler Bedeutung ist aber, dass die sozialgerichtliche Rechtsprechung letztlich nur eine sehr schwache Möglichkeit zu inhaltlicher Überprüfung der Richtlinien anerkennt,314 so dass auch die gerichtliche Kontrolle – entsprechend der verwaltungsrechtlichen Rechtsaufsicht durch das BMG nach §  94 SGB V315 – dem Primat der Selbstverwaltung im öffentlich organisierten Gesundheitswesen wenig entgegenzusetzen hat.316 bb) Adressatenkreis des Regelungskonzepts Der Gesetzgeber hat den Adressatenkreis der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses festgelegt. In §  91 Abs.  6 SGB V heißt es: „Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach §  136d sind für die Träger nach Absatz 1 Satz  1, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich.“ Es fällt auf, dass das GKV-System damit nicht alle Arzt-Pa­tientVerhältnisse erfasst. Sowohl nicht versicherte und Privatpersonen als auch privat behandelnde Ärzte und Klinika sind nicht inkludiert. Soweit also seitens der Gerichte eine Verbindlichkeit der Richtlinien außerhalb des GKV-Leistungsrechts angenommen wird, wie der BGH und einige Oberlandesgerichte dies als zutreffend erachten,317 steht die bislang unbeantwortete Frage im Raum, ob es dann haftungsrechtlich zu einem gespaltenen Maßstab kommen kann, je nachdem ob im Einzugsbereich des §  91 Abs.  6 SGB V agiert wird. Will man an dieser Stelle behutsam den gesetzgeberischen Gedanken in Richtung einer Kolli­ sions­aussage weiterentwickeln, so erscheint dies als Indiz für eine Wirkungsbeschränkung auf das GKV-Leistungs- und Leistungserbringerrecht. Zudem ist auch die Feststellung interessant, dass die GKV-Versicherten, die über §  91 Abs.  6 SGB V ebenfalls gebunden sind, sozialversicherungsrechtliche Leistungen außerhalb des GKV-Rechts gegenüber dem jeweiligen Leistungserbringer nicht beanspruchen dürfen.318 Sie können aber zusätzliche und andere Leistungen wählen und zur Selbstzahlung übergehen.319 Aus diesen Erwägun314 Vgl. BSG, SozR 4-2500, §   34 Nr.  18 Rn.  25. Eine gute Übersicht bietet Becker/Kingreen/Schmidt-De Caluwe, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  92 Rn.  7 mwN. Kritisch ist diese sozialgerichtliche Rspr. insbesondere im Licht von BVerfG, SozR 4-2500, §  27 Nr.  5 Rn.  34; NZS 2008, 365 f. S.a. BVerfG, NZS 2016, 20, 22 zur Anspruchsausfüllung der Rahmenvorgaben der §§  27 ff. SGB V im Falle neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. 315 Zum Verhältnis Bundesministerium für Gesundheit und Gemeinsamer Bundesausschuss Seewald, SGb 2018, 71 und 147. 316  Kritisch zur Kompetenzreichweite Kuhla, NZS 2014, 361 ff. 317  Vgl. BGH, GesR 2008, 361; OLG Köln, BeckRS 2011, 26595 unter 1.a. mVa. OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94 nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff. 318  AllgM., vgl. nur BeckOK/Joussen, SGB V, 48. Ed. 2018, §  12 Rn.  3. 319  BSG, SozR 2200 §  182 Nr.  93; BSG SozR 2200 §  184 Nr.  4.

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gen geht allerdings nicht hervor, ob der Gesetzgeber hiermit den Gedanken verfolgt haben könnte, die Informationspflichten des Behandlers, wie sie heute in §  630c Abs.  3 S.  1 BGB normiert sind, oder die Alternativaufklärung im Sinne des §  630e Abs.  1 S.  3 BGB oder den ärztlichen Standardbegriff des §  630a Abs.  2 BGB für GKV-Patienten zu begrenzen und Erweiterungen der Eigenständigkeit der Versicherten zu überlassen, denen es allerdings vielfach an Wissen und Übersicht fehlen wird, um eine solche Divergenz auszugleichen. Mit Blick auf diese Wissenslücke erscheint jedenfalls eine Begrenzung der Informationstatbestände abwegig, da sich de lege lata kein Grund finden lässt, weshalb der Patient nicht wenigstens bessere beziehungsweise weitere Leistungen zukaufen können sollte. cc) Grundgedanken zu den §§  2 , 12, 135 ff. SGB V Die Qualitätsregelungen der §§  135 ff. SGB V sind sowohl darauf gerichtet, bestehende Strukturen, Prozesse und Ergebnisse zu evaluieren320 als auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie Einrichtungsstandards nur unter bestimmten Bedingungen und mit einem bestimmten Qualitätsniveau zuzulassen.321 Dabei fällt für die vorliegende Debatte zentral ins Auge, dass die gesetzgeberisch formulierten Ziele folgende Spannungslage aufgreifen: Erstens soll der Leistungskatalog der zu Lasten der Kassen abrechenbaren Positionen nur solche diagnostischen, therapeutischen und rehabilitativen Maßnahmen enthalten, die dem ärztlichen Standard entsprechen.322 Besagter Standard kann dabei aber nicht mit dem haftungsrechtlichen Standardbegriff des §  630a Abs.  2 BGB gleichgesetzt werden. Die Vorgaben der §§  2 Abs.  1 S.  3, 12, 135 ff. SGB V erfassen ausreichende, notwendige, zweckmäßige und wirtschaft630a liche Leistungen.323 Der Standardbegriff kennt demgegenüber nach §   Abs.  2 BGB insbesondere die einschränkenden Aspekte nur insoweit, als es um fehlende medizinfachliche Durchsetzung und Überzeugung sowie Erprobungsbewährung geht.324 Der Blick richtet sich dabei nicht auf die sozialversicherungsrechtliche Zweckmäßigkeit, die am Katalog der §§  27 ff. SGB V zu messen ist. Es wird auch nicht auf eine nur ausreichende geachtet, statt auf ggfls. 320 Vgl. Blumenstock, Bundesgesundheitsblatt, 2011, S.   154; KassKomm/Roters, SGB  V, 101. EL. 2018, vor §§  135 ff. Rn.  10 ff. 321  Vgl. zur erhellenden Historie der Vorschriften KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, vor §§  135 ff. Rn.  1 ff. 322  Hierzu BSG SozR 4-2500 §  137 Nr.  4 Rn.  11; SozR 4-2500 §  2 Nr.  4 Rn.  19. Dieser Standard sichert die gleichmäßige Rechtsanwendung für alle Versicherten, vgl. BSG, SozR 4-2500 §  2 Nr.  4 Rn.  23. 323  Zur Übersicht Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  190 f. mwN. 324 Vgl. Carstensen, DÄBl.  1989, B-1736, 1737. Diese Definition hat sich bis heute gehalten, vgl. BGHZ 113, 301 = NJW 1991, 1535; BSGE 81, 182 = NJW 1999, 1811, 1812. Der Gesetzgeber nimmt Bezug auf diesen hergebrachten Begriff, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  19. Zur Kritik Spickhoff, VersR 2013, 267, 272; Rehborn, GesR 2013, 257, 259.

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höherwertige Maßnahmen des Facharztstandards und ohne Einschränkung des Wirtschaftlichkeitsgebots.325 Zweitens weist die Qualitätsbestimmung des SGB V ein eher statisches Wesen auf. Der Gemeinsame Bundesausschuss erlässt bspw. Qualitätsrichtlinien zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und sieht hierbei Verfahrensweisen vor, die rasch in der medizinischen Fachwelt als veraltet oder jedenfalls verbesserungswürdig erkannt werden könnten.326 Diesen Fortschritt vermag der Gemeinsame Bundesausschuss im Rahmen der Richtlinienaktualisierung aber weder allein noch mit Unterstützung von IQWiG327 und IQTiQ328 zu beherrschen. Da Richtlinien – als untergesetzliche Normen 329 – jedoch im so­ zial­versiche­r ungsrechtlichen Bereich kraft Anordnung in §  91 Abs.  6 SGB V mit bindender Wirkung versehen sind, können diese sich nicht einfach überleben. Sie werden Teil des Rechtssystems entsprechend der Ausführungen im methodischen Unterbau,330 so dass mit Blick auf eine hieraus hervorgehende zwingende Standardbestimmung eine nicht unerhebliche Versteinerungsgefahr 331 einhergeht. Diese Erwägungen lassen sich auf sämtliche Qualitätsansätze der §§  135 ff. SGB V und den hieraus hervorgehenden Richtlinien übertragen. Drittens beinhaltet das System der Leistungserbringung nach stetig fortzuentwickelnden Qualitätskriterien entsprechend des gesetzgeberischen Willens ein zentrales Schutzmoment für die Kostenträger und damit allem voran für die Kassen und somit schließlich für die Gemeinschaft der Beitragszahler.332 Dazu gehören aber eben nur die GKV-Versicherten, was die oben bereits herausgestellte Frage nach dem erweiterten Adressatenkreis der haftungsrechtlichen Regeln aufwirft. Diese Frage des Schutzmoments in der GKV erfasst auch den Schutz der Finanzierbarkeit des solidarischen Systems der GKV insgesamt.333 325  Vgl. hierzu BGH, NJW 1983, 2080 und seither st. Rspr., vgl. hierzu Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  348 f. mwN. Partiell anders noch BGH, NJW 1954, 290; VersR 1975, 43 f. Mit einer gegenteiligen Linie OLG Köln, VersR 1993, 52 f.; 1999, 847. 326  Vgl. hierzu Behnsen, NZS 2012, 770. 327  Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Seine Gründung ist gemäß §  139a SGB V gesetzgeberisch angeordnete Pflichtaufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses gewesen und erfüllt insbesondere die Aufgaben gemäß §  139a Abs.  3 –5 SGB V. 328  Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen. Seine Gründung ist gemäß §  137a Abs.  1 SGB V Pflichtvorgabe und soll insbesondere Inhalte gemäß §  137a Abs.  3 SGB V entwickeln. 329  So die st. Rspr. des BSG, vgl. BSGE 78, 70 = MedR 1997, 123; BSG, SozR 4-2500, §  13 Nr.  20 Rn.  20; SozR 4-2500, §  27 Nr.  8 Rn.  15; NJOZ 2009, 3296. Zum Streit Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567, 570; Schmidt-De Caluwe, SGb 2006, 611 ff. 330  Vgl. §  3 I. 2. a) cc). 331 Hierzu Lepsius, in: Kirchhof/Magen/Schneider (Hrsg.), Was weiß Dogmatik?, 2012, S.  39, 61. Vgl. a. die Erörterung zur Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, §  3, I. 2. b) bb) (1). 332  Herausgehoben bei BSG, SozR 4-2500, §  2 Nr.  4 Rn.  23. 333 Hierzu Kirchhof, NZS 2015, 1 f.

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Viertens wird mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und der Beschränkung auf ausreichende, zweckmäßige und notwendige Leistungen – neben der Rationalisierung – auch die generelle Möglichkeit der Leistungsrationierung im GKV-System angelegt334 – und in einigen Vorschriften umgesetzt, vgl. §§  27a Abs.  3, 28 Abs.  2 S.  6 , 33 Abs.  1 S.  4, 5, 34 Abs.  1 S.  1 SGB V. Das gilt insbesondere, wenn es um die sinnvolle Verteilung knapper Ressourcen geht.335 Mit diesen Grundsätzen hat der Gesetzgeber gezielt das ökonomische Prinzip in das GKV-System gebracht,336 welches allerdings an der einen und anderen Stelle wieder aufgeweicht wird (vgl. nur die Sonderregelung nach §  2 Abs.  1a SGB V für lebensbedrohliche und regelmäßig tödliche verlaufende oder vergleichbar das Leben des Patienten belastende Krankheitsbilder, die aus der Nikolaus-Rechtsprechung des BVerfG337 hervorgegangen ist). Jedoch ist gerade der Bereich der Qualitätssicherung und Standardsetzung nach den §§  135 ff. SGB V darauf angelegt, Strukturen und Prozesse zu entwickeln und durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses festzulegen, die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip genügen.338 Dies geschieht aber auf einer Allokationsebene oberhalb des singulären Arzt-Patient-Verhältnisses und bezieht daher die Ergebnisqualität nur insoweit ein, als es hierzu belastbare Erhebungen in der Praxis gibt. Zudem hat der Gemeinsame Bundesausschuss – wie eingangs bereits angeführt – selbstreferentiell nach §  91 Abs.  4 Nr.  1 SGB V auch die Rechtsmacht, den Kontrollmaßstab festzulegen. Fünftens ist beachtlich, dass ein gesetzgeberisches Ziel der Ermächtigungen zur Schaffung von Qualitätsrichtlinien auch der Schutz der Patienten ist.339 Dies tritt bereits im Rahmen der Diskussion um die Wirksamkeit und Sicherheit neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren zu Tage (§  135 SGB V). Es äußert sich aber besonders deutlich in den Aufträgen zur Regelung von Hygienestandards nach §  136a Abs.  1 SGB V, zur Festlegung von Mindestanforderungen in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung, die besonders die personelle Ausstattung betrifft (§  136a Abs.  2 SGB V), und im Bereich der Qualitätsanforderungen an Zahnfüllungen und Zahnersatz (§  136a Abs.  4 334  Das ist in höchstem Maße streitig, vgl. zur Diskussion Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  37 ff., der insbesondere auf S.  46 ff. Fälle bereits sozialversicherungsrechtlich inkorporierter Rationierungsmaßnahmen aufzeigt; a.A. etwa Becker/Kingreen/Scholz, SGB V, 5.  Aufl. 2017, §  12 Rn.  6 . 335  Dies hat auch zu Priorisierungserwägungen und Priorisierungselementen geführt, die Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015 mit einem Ländervergleich, S.  21 ff., einer nationalen Systembewertung, S.  95 ff., und einer Erörterung etwaiger Spannungslagen zum Haftungsrecht, S.  150 ff., erörtert. 336  Vgl. BSG, SozR 2200, §  182 Nr.  72 S.  125; BSG, SozR 2200, §  182 Nr.  76 S.  147; BSG, BeckRS 2015, 68257. 337  BVerfGE 115, 25 = NJW 2006, 891. 338  So deutlich im Rahmen jeglicher Änderungserwägung zur Qualitätssteigerung bei BTDrucks. 18/5372, S.  83 ff. 339  Vgl. BT-Drucks. 18/5372, S.  35 f., 83 ff.; 17/5178, S.  12 f.

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SGB V). Weniger deutlich ist dies zunächst in allgemeiner gehaltenen Ansätzen wie den Bestimmungen zur Einrichtung von Qualitätssicherungs- und Risikomanagement sowie von Fehlermeldesystemen (§§  135a, 136b Abs.  3 SGB V). Bei Letzteren kann durchaus auch zu konkretisierender Patientenschutz enthalten sein. Jedoch ist gleichermaßen die allgemeine Einrichtungsebene der ambulanten und stationären Versorgung in einer Weise angesprochen, die keineswegs zwingend zu der Aussage führt, dass andere Methoden und aktuelle Praktiken als generell unsicher oder organisatorisch mangelhaft zu geißeln sein könnten. Es bleibt jedoch die Feststellung, dass der Gemeinsame Bundesausschuss in allen Ermächtigungsbereichen einen immensen Spielraum genießt. Der gesetzgeberische Rahmen steuert demgegenüber beinahe nur den jeweils zu behandelnden Bereich. Einen Sonderfall scheinen die Sanktionsmöglichkeiten nach §  137 Abs.  1 S.  3 Nr.  3 und 4 SGB V zu bilden. Die dort avisierte Variante des „Naming and Shaming“ ist bei unbefangener Betrachtung ohne Weiteres dazu geeignet, die Geltendmachung und Durchsetzung von Haftungsansprüchen zu begünstigen oder Patienten vor Gefahrenlagen a priori qua Information zu schützen. Diese Sanktionselemente sind wiederum nach §  137 Abs.  1 S.  1 und 2 SGB V an die Qualitätsanforderungen der §§  136–136b SGB V gebunden und basieren daher zwingend auf dem sozialversicherungsrechtlichen Standardbegriff mit all seinen Sondererwägungen. Er wird aus Sicht des Patienten denn auch als bindende Vorgabe im zivilrechtlichen Arzt-Patient-Verhältnis aufgefasst, da der klassische Verbraucher im Zweifel nicht zwischen unterschiedlichen Standards im Detail wird unterscheiden können. Sechstens und letztens ist die Erkenntnis unumgänglich, dass originäres Ziel der Qualitätsregelungen die möglichst effiziente Steuerung von Gesundheitsleistungen und finanziellen Mitteln im Rahmen verfügbarer Ressourcen ist. Dies hat der Gesetzgeber zunächst dadurch verdeutlicht, dass Leistungen außerhalb der bindenden Qualitätsvorgaben nicht zu Lasten der Kassen erbracht werden dürfen, vgl. beispielhaft die §§  135, 136b Abs.  4, 137 Abs.  1 Nr.  1 und 2, 137c, 138 SGB V. Daneben ist der in §  12 Abs.  1 SGB V festgelegte Grundsatz aber eben auch für das gesamte GKV-System beherrschend und daher gezielt vor die Klammer gezogen worden.340 Roters spricht zurecht von einer „Grundsatznorm“, die das „Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundkräften“ zeige, der „Individualmedizin“ einerseits und den „finanziell-wirtschaftlichen Grenzen“ andererseits.341 Dementsprechend ist §  12 Abs.  1 SGB V auch im Rahmen jeglicher Anspruchshaltung der Versicherten zu beachten.342 Und wieder ist es – deduziert aus dem im Gesetz angelegten Rechtskonkretisierungskonzept 343 – 340  Vgl. die Rspr. zur Vorgängernorm des §  182 Abs.  2 RVO, BSGE 64, 255 = NJW 1989, 2349. 341 KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  12 Rn.  2. 342  Vgl. BSG, MedR 2004, 577. 343  BSGE 81, 54 = NZS 1998, 331; BSG, MedR 1998, 230; BSG, Urt. v. 16.09.1997, 1 RK

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der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Macht der Ausgestaltung der Versichertenrechte und Kostenträgerbelastung innehat, um besagte Spannungslage bestmöglich auszutarieren. dd) Sonderproblem: Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses Die bislang in verschiedenen Facetten zum Vorschein getretene Schlüsselstellung des Gemeinsamen Bundesausschusses und die ihm zugedachte Normsetzungsfunktion im Rahmen funktioneller Selbstverwaltung hat zu einem bis heute erbittert geführten Streit um die verfassungsrechtliche Legitimation dieser Institution geführt.344 Es ist für die vorliegende Erörterung nicht notwendig, Gegenstand und Inhalt der gesamten Debatte nachzuzeichnen. Vielmehr bedarf es nur folgender Erwägungen, die für eine Kollisionsbetrachtung auf der Metaebene (Stufe 2) wichtig sind. Die Grundsätze verfassungsrechtlich legitimer funktionaler Selbstverwaltung hat das BVerfG in mehreren Judikaten an Hand einer Verfassungsinterpretation partiell erarbeitet,345 bis heute aber nicht vollständig scharf umrissen.346 Dabei steht neben dem demokratisch-personellen Legitimationsbezug der inhaltlich-sachliche Ansatz,347 der sich seinerseits aber auf die Verfassung stützen können muss.348 Zudem geht das BVerfG zwar davon aus, dass das in Art.  20 Abs.  2 GG verankerte Demokratieprinzip auch eine personelle Ableitung349 benötige, dass aber „außerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung und der in ihrem sachlich-gegenständlichen Aufgabenbereich nicht beschränkten gemeindlichen Selbstverwaltung […] das Demokratieprinzip offen für andere, 30/95 = BeckRS 1997, 30000873; BSG, Urt. v. 16.09.1997, 1 RK 14/96 = BeckRS 1997, 30000849; BSGE 86, 54 = NZS 2001, 259; Schlenker, NZS 1998, 411. 344  Ausführlich aufgearbeitet bei Kluth, Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach §  91 SGB V, 2015, S.  33 ff.; Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2012, S.  97 ff., 107 ff. mwN. Die zentrale Thematik der Normsetzung ist im grundlegenden Werk von Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, aufgearbeitet. Die bis heute umkämpfte Problematik der Legitimation erörtert Axer, a. a. O. ausführlich auf den S.  239 ff. 345  Eine breite Übersicht bietet Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2012, S.  107 ff. 346 Ausführlich Kluth, Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach §  91 SGB V, 2015, S.  65 ff. mwN. 347  Vgl. BVerfGE 83, 60, 72 = NJW 1991, 159; BVerfGE 93, 37, 66 f. = NJW 1995, 2477; BVerfGE 107, 59, 87 = NVwZ 2003, 974. 348  Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S.  431 f. unterscheidet auf Basis eingehender Analyse, S.  239 ff., 310 ff., 410 ff. letztlich zwischen drei grundgesetzlich anerkennungsfähigen Geltungsgründen: „die Normsetzung kraft verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums, die Normsetzung kraft gesetzlicher Ermächtigung und die Normsetzung kraft Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt.“ 349 Zum Gebot der demokratischen Legitimationsvermittlung BVerfGE 47, 253, 275 = NJW 1978, 1967; 52, 95, 130 = DVBl 1980, 52; 77, 1, 40 = NJW 2011, 1931; 83, 60, 72 f. = NJW 1991, 159; 93, 37, 66 = NJW 1995, 2477; 107, 59, 87 = NVwZ 2003, 974.

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insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt [sei]. Eine solche Interpretation des Art.  20 Abs.  2 GG ermöglich[e] es zudem, die im demokratischen Prinzip wurzelnden Grundsätze der Selbstverwaltung und der Autonomie (vgl. BVerfGE 33, 125 ) angemessen zur Geltung zu bringen. Im Rahmen der repräsentativ verfassten Volksherrschaft erlaub[e] das Grundgesetz auch besondere Formen der Beteiligung von Betroffenen bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.“350 Ob für den Betroffenenkreis im Rahmen des Vertragsarzt- und des Krankenhausrechts ein ausreichendes Legitimationsniveau seitens des Gemeinsamen Bundesausschusses erreicht ist,351 wird unterschiedlich beurteilt.352 Zwar kann verfassungsrechtlich-institutionell die Einrichtung noch weithin stabil auf Art.  87 Abs.  3 S.  1 GG353 (nach Verfassungsinterpretation des BVerfG dem­ gegenüber nicht auf Art.  87 Abs.  2 GG354) gestützt werden, da dem Bundesgesetzgeber über Art.  74 Abs.  1 Nr.  12 GG wohl auch im Krankenhausbereich Regelungskompetenzen hinsichtlich Anerkennung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsstandards zuzuerkennen sind,355 jedoch werden je nach Art, Reichweite und Intensität der an den Gemeinsamen Bundesausschuss übertragenen Aufgabe Zweifel erhoben, ob die Zusammensetzung aus Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausgesellschaft das betroffene Verbandsvolk hinreichend abzubilden vermag.356

350 

BVerfGE 107, 59, 91 = NVwZ 2003, 974. konstruktiven Problematik der personellen Rückführung Neumann, NZS 2010, 593, 598. 352 Entsprechend kritisch Becker/Kingreen/Schmidt-De Caluwe, SGB  V, 5.   Aufl. 2017, §  94 Rn.  9 ff. mwN. 353 Überzeugend Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss, 2012, S.  100 ff. mwN. Mit Hinweis auf die historischen Strukturen und deren Vorgaben Kluth, Rechtsgutachten zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) nach §  91 SGB V, 2015, S.  9 0 f. 354  Dem steht das enge Verständnis des Begriffs des „sozialen Versicherungsträgers“ entgegen, der sich nur auf solche Rechtsträger beziehen soll, die als Beteiligte an der sozialen Versorgung ihre Mittel durch Beiträge der Beteiligten beziehen, vgl. BVerfGE 63, 1, 35 = NVwZ 1983, 537; BVerfGE 87, 1, 34 = NJW 1992, 2213; BVerfGE 88, 203, 313 = NJW 1993, 1751. Die gegenteilige Ansicht von Axer, Normsetzung der Exekutive in der Sozialversicherung, 2000, S.  277 ff. hat sich bislang nicht durchgesetzt. 355  A. A. D. Prütting, KHGG NRW, §  12 Rn.  1. 356  Vgl. zur Diskussion Butzer/Kaltenborn, MedR 2001, 333 ff.; Castendiek, NZS 2001, 71 ff.; Gassner, NZS 2016, 121 ff.; Hänlein, Rechtsquellen, 2001, 454 ff.; Hebeler, DÖV 2002, 936 f.; Heberlein, VSSR 1999, 123, 149; Kingreen, NJW 2006, 877, 880; ders., MedR 2017, 8 ff.; Koch, SGb 2001, 166 ff.; Ossenbühl, NZS 1997, 497 ff.; Saalfrank/Wesser, NZS 2008, 17, 22 f.; Schimmelpfeng-Schütte, NZS 2006, 567, 569; Sodan, NZS 2000, 581 ff.; Taupitz, MedR 2003, 7, 11; Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach §  135 Abs.  1 Satz  1 SGB  V, 2009, 265; Wigge, NZS 2001, 578 f.; Zier351  Zur

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Ungeachtet der weiteren Entwicklung und des exakten Ergebnisses dieses Grundsatzstreits kann aber für die vorliegende Diskussion festgehalten werden, dass eine Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses sich de lege lata jedenfalls nicht auf Entscheidungen zum bürgerlich-rechtlichen Haftungsmaßstab beziehen kann. Insofern fehlt es bereits mit Blick auf den in §  91 Abs.  6 SGB  V erfassten Adressatenkreis eindeutig an einer kompensierenden sachlich-inhaltlichen Legitimation, da der Gemeinsame Bundesausschuss sowohl vor dem Hintergrund seines verfassungsrechtlichen Unterbaus in Art.  87 Abs.  3 S.  1 GG als auch hinsichtlich der gesetzlichen Ermächtigungen im SGB V vom Gesetzgeber nicht dazu berufen worden ist, diesen Haftungsmaßstab auszufüllen. Auch aus §  76 Abs.  4 SGB V kann sich kein gegenteiliger Ansatz ergeben, da diese Vorschrift allenfalls auf eine Eigenständigkeit des Haftungsrechts und nicht auf eine Kompetenzerweiterung des Gemeinsamen Bundesausschusses hinzuweisen geeignet ist.357 Zudem steht diese Vorschrift auch nicht im systematischen Kontext der Kompetenzregelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses, sondern bestimmt die Grundlagen der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung.

3. Kollidierende Metaebenen (2. Stufe) Mit den oben gewonnenen Erkenntnissen treten nunmehr auf der zweiten Stufe die betroffenen Systeme einander gegenüber. Dies lässt eine aggregierte Auswertung der einzelnen Norm- und inneren Systemwertungen der kollidierenden Teilrechtsbereiche auf einer Metaebene zu. An dieser Stelle ist somit zentraler Untersuchungsgegenstand, ob die erkannten Detailprobleme und Unsicherheitslagen an den herausgearbeiteten Berührungspunkten zur Forderung de lege lata führen, dass verbindende, trennende oder verdrängende Modifikationen vorzunehmen sind. a) Zivilrechtlicher Haftungsmaßstab und sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben als Einheit? Zunächst kann auf Basis der Erkenntnisse der ersten Stufe konstatiert werden, dass weder eine äußere noch eine innere Einheit der Systeme durch den jeweilimann, Normsetzungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses, S.   94 f.; Dierks/ Höhn, A&R 2011, 99, 101; Holzner, SGb 2015, 247. 357  So geht es in §  76 Abs.  4 SGB V ausschließlich um den sozialrechtlich notwendigen Hinweis, dass für das Arzt-Patient-Verhältnis die bürgerlich-rechtlichen Sorgfaltsmaßstäbe gelten sollen, vgl. Sproll, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 2016, §  76 Rn.  24 ff., da trotz der Einführung der §§  630a ff. BGB im Jahre 2013 beim BSG immer noch davon ausgegangen wird, ein rechtsgeschäftliches Verhältnis zwischen Vertragsarzt/zugelassenem Krankenhaus und gesetzlich versichertem Patienten entstehe nicht, vgl. BSG, NZS 2016, 63; Hauck, SGb 2014, 8, 11 f.

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gen Gesetzgeber geschaffen worden ist. Insofern fehlt es nicht nur an hierfür sprechenden Ansätzen, sondern es haben sich wesentliche Unterschiede gezeigt, die eine Einheitsbetrachtung als abwegig erscheinen lassen. Erstens ist das System des Sozialversicherungsrechts von den Prinzipien des rationalen Umgangs mit knappen Ressourcen durchzogen, während das zivilrechtliche Haftungsrecht hierfür weithin blind bleibt. Insoweit ist eine gesetzgeberische Haltung im bürgerlichen Recht hierzu schwer auszumachen, da der Gesetzgeber sich nicht geäußert hat und die Rechtsprechung zudem extrem zurückhaltend und nicht eindeutig agiert.358 Zweitens sieht die gesetzgeberisch vorgegebene Struktur des Sozialversicherungsrechts den Gemeinsamen Bundesausschuss als konkretisierendes Machtzentrum für die durchweg ausformungsbedürftigen Regelungsziele und Rahmenvorgaben vor. Das Haftungsrecht nimmt de lege lata seinerseits weder ­Bezug auf ein solches Gremium, noch ein solches Gremium in der ständigen Rechtsprechung der Zivilgerichte als entsprechendes Machtzentrum anerkannt.359 Umso widersprüchlicher erscheint die nicht begründete Haltung einiger Gerichte mit Blick auf eine angebliche (wohl normativ zu verstehende) Bindungswirkung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Haftungsrecht.360 Es muss zwar beachtet werden, dass mit dem Patientenrechtegesetz der Gesetzgeber die bisherige Judikatur im Hinblick auf den nicht näher ausgearbeiteten Standardbegriff aufgenommen und akzeptiert hat,361 jedoch kann hieraus wohl kaum eine bindende Entscheidung über die Handhabung sozialversicherungsrechtlicher Richtlinien entnommen werden, wenn es hierzu weder eine klare noch auch nur irgendwie begründete Rechtsprechungslinie gibt. Anders formuliert: An dieser Schnittstelle kann auf der bestehenden Gesetzeslage nichts Belastbares weiterentwickelt werden. Drittens bringt der Gemeinsame Bundesausschuss jedenfalls nach bisheriger Gesetzeslage für die nähere Ausgestaltung des §  630a Abs.  2 BGB keine verfassungsrechtlich tragfähige Legitimation mit sich. Insofern müsste der BGB-Ge358  Vgl. insbesondere BGH, NJW 1983, 2080; 1954, 290 vs. BGH, VersR 1975, 43 f., wobei sich nach h. M. die Linie grundsätzlich nicht zu beachtender ökonomischer Erwägungen im Haftungsrecht durchgesetzt hat, vgl. Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, S.  348 f. mwN. 359  Tatsächlich erscheint BGH, IBRRS 2008, 4523 als Ausreißerentscheidung, die höchstrichterlich nicht wiederholt worden ist. Allerdings ist auch nicht ersichtlich, dass der BGH die Frage in der Vergangenheit konkret hätte entscheiden müssen, da die Parteien den Richtlinienansatz in aller Regel nicht zum Gegenstand der Revision machen. Eine Tendenz zur Richtlinie als Mindestanforderung scheint jedoch die VPräsBGH a.D. Müller, GesR 2004, 257, 260, zu formulieren. 360  BGH, IBRRS 2008, 4523; OLG Köln, BeckRS 2011, 26595 unter 1.a. mVa. OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94 nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff. 361  BT-Drucks. 17/10488, S.  9, 11. Hierzu auch Thole, MedR 2013, 145 f.

IV. Sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben

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setzgeber tätig werden, bevor über ein anderes Ergebnis diskutieret werden kann. Insoweit müssten auch die verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses Berücksichtigung finden.362 Viertens erscheint es de lege lata kaum möglich, die Systeme als festen inneren Zusammenhang ineinander zu integrieren. Dies zeigt besonders der Adressatenkreis. Es bliebe wohl nur eine gespaltene Normauslegung des §  630a Abs.  2 BGB je nach Betroffenenstatus im Sinne des §  91 Abs.  6 SGB V. Ein solches Ergebnis erschiene bei gesetzgeberischer Anordnung und ggfls. noch gebotener Detailabstimmung nicht vollkommen abwegig und müsste ausführlich an Hand der Vorgaben des Art.  3 Abs.  1 GG erörtert werden. Dieser Ansatz scheitert jedoch bereits an der Auslegung de lege lata. Eine derart wesentliche, systemrelevante Entscheidung müsste nämlich vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst getroffen werden.363 Dies ergibt sich jedenfalls daraus, dass Ausweitungen der Regelungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses auf das zivilrechtliche Haftungsrecht im bereits erörterten Sinne zwingend einer besonderen demokratischen Legitimation bedürften, die de lege lata nicht gewährleistet ist.364 b) Berücksichtigungsfähigkeit der Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses Wenn die bisherigen Kollisionserwägungen auch gezeigt haben, dass eine normative Verbindlichkeit der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Haftungsrecht nicht in Betracht kommt, so geht damit aber nicht die Erkenntnis einher, dass das Haftungsrecht blind für sozialversicherungsrechtliche Erwägungen sein müsste. Da §  630a Abs.  2 BGB als offener und damit wertausfüllungsbedürftiger Tatbestand ausgestaltet ist, bietet es sich geradezu an, im Rahmen von Behandlungsfehlererwägungen die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses einzubeziehen. Sie sind aus einem Expertenkreis hervorgegangen, der eigens geschaffen wurde, um ökonomisch tragbare und dabei möglichst hochqualitative Medizin für die Versicherten bereitzustellen, zu überwachen und fortzuentwickeln.365 In welcher Form und welchem Ausmaß jedoch diese Entscheidungen zu berücksichtigen sind, ist de lege lata originäres Hoheitsgebiet des Haftungsrechts. Der BGB-Gesetzgeber – gerade auch im Rah362 Treffend

Kingreen, MedR 2017, 8 ff.; Gassner, NZS 2016, 121 ff. Parlamentsvorbehalt, insbesondere zu den verfassungszentrierten Extrapolationserwägungen des BVerfG (Gesamtschau des Regelungs-, insbesondere des Aufgabengefüges), vgl. BVerfGE 90, 286, 383 = NJW 1994, 2207; BVerfGE 108, 34, 42 = NJW 2003, 2373; BVerfGE 104, 151, 208 = NJW 2002, 1559; BVerfGE 121, 135 = NJW 2008, 2018. 364  S. o. §  5 III. 2. b) dd). 365  Dies wird auch von den besonderen Prüfmöglichkeiten durch IQTIQ, vgl. Becker/Kingreen/Becker, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  137a Rn.  3 ff., und IQWIG, vgl. BeckOK/von Dewitz, SGB V, 50. Ed. 2018, §  139a Rn.  15 f., unterstrichen. 363 Zum

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men des Patientenrechtegesetzes, wo er ohne Frage die Chance zu andersartiger Reglementierung bei Kenntnis der Problemlage hatte – hat die Frage der Wirtschaftlichkeitserwägungen nicht gegenüber der herrschenden Ansicht verändert und sie somit akzeptiert. Ob dies de lege ferenda geändert werden sollte, bleibt einer eigenständigen Analyse vorbehalten.366

4. Erkenntnisse für die konkreten Normenkollisionen – Ausstrahlungsthese (3. Stufe) Es bleibt auf der dritten Stufe der Auslegung die Frage, wie die generelle Berücksichtigungsfähigkeit an Hand des Optimierungsgedankens gesetzgeberischer Wertentscheidungen 367 sinnvoll eingepasst werden kann. Unterhalb der Schwelle der zwingenden normativen Vorgabe, die für Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach obiger Analyse entgegen bisheriger höchstrichterlicher Ansicht 368 zwingend ausscheidet, kennen das materielle Haftungsrecht in Kombination mit dem Zivilprozessrecht insbesondere Vehikel veränderter Darlegungs- und Beweislast, Modifikationen des Beweismaßes sowie Aspekte der Beweiserhebung. Größtmögliche Nähe zum Willen der legitimierten Normgeber kann mangels Regelung der Problematik nur dadurch erreicht werden, dass nach vergleichbaren Gemengelagen gesucht und ein entsprechender Ansatz dazu initiiert wird (Ausstrahlungsthese im Sinne subjektiver Teleologie).369 a) Sekundäre Darlegungslast der Behandlungsseite Im Arzthaftungsprozess ist anerkannt, dass bereits auf der Ebene der Darlegung/Beibringung die Behandlungsseite kraft regelmäßig überlegenen Wissens das streitgegenständliche Behandlungsverhältnis durch dezidierte Beschreibung der wesentlichen Abläufe aufklären muss.370 An den Patienten werden aus entsprechender Argumentation heraus regelmäßig nur geringe Anforderungen mit Blick auf die Substantiierungslast gestellt.371 Bleibt die Behandlungsseite sodann im Rahmen wechselseitiger Vorträge erkennbar hinter den berechtigten Erwartungen an eine integre und umfassende Sachverhaltsaufklärung zurück, 366  Ausführlich zur Diskussion und Lösungserwägungen mittels standardunterschreitender Vereinbarungen oder Behandlungsablehnung §  5 V. 2. c) bb). Zur Übersicht des Streitstands Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  193 ff. mwN. 367 Hierzu Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, 1977, S.  16 ff., 145 ff. 368  BGH, IBRRS 2008, 4523. 369  Zur Notwendigkeit vorrangiger Berücksichtigung denkbarer Näherungen an den gesetzgeberischen Willen auch im nichtregulierten Bereich s. o. §  3 II. 1. und 3. a). 370  Zum Grundsatz BGH, NJW 1978, 1687. S.a. bei erwogenen Hygieneverstößen BGH, NJW-RR 2016, 1360; OLG München, GesR 2013, 618 = BeckRS 2013, 11185 Rn.  37; Stöhr, GesR 2015, 257, 261; Schultze-Zeu/Riehn, VersR 2012, 1208, 1212. 371  Vgl. BGH, NJW 2008, 2846, 2849 Rn.  27; 2004, 2825 f.

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kann das erkennende Gericht ohne Beweisaufnahme den patientenseitigen Vortrag entsprechend §  138 Abs.  3 ZPO als wahr unterstellen.372 Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses können jedoch an dieser Stelle nicht sinnvoll angewendet werden. Zwar ermöglichen sie es dem Patienten, sofern er eine seinem Fall zugehörige Richtlinie zu finden vermag, nähere Experteninformationen einzuholen, um Vorwürfe zu untermauern. Es steht auch der Behandlungsseite offen, bereits im Rahmen des eigenen Vortrags auf Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses und deren Einhaltung im Einzelfall hinzuweisen, jedoch wird hierdurch keine Sachverhaltsaufarbeitung, sondern bereits eine Bewertung der dargelegten Vorgänge betrieben. Auch lässt sich die Rechtsfolge des §  138 Abs.  3 ZPO weder in die eine noch in die andere Richtung übertragen, da mit oder ohne Richtlinienbeachtung keine spezifische Tatsache als zugestanden erachtet werden kann. b) Vorgaben des §  6 30h BGB Weiterhin hat der Gesetzgeber auf Basis der in den Jahren vor 2013 erarbeiteten Grundsätze der Judikatur373 in §  630h BGB zentrale Beweislastregeln für den Behandlungsvertrag kodifiziert.374 Diese betreffen eine widerlegliche Behandlungsfehlervermutung für den Fall nachweislich kausaler Primärschädigung in einem voll beherrschbaren Risikobereich (§  630h Abs.  1 BGB), eine widerlegliche Vermutung des Unterbleibens einer wesentlichen medizinischen Maßnahme, die nach §  630f BGB dokumentationspflichtig gewesen wäre und nicht dokumentiert ist (§  630h Abs.  3 BGB), eine widerlegliche Vermutung haftungsbegründender Kausalität im Fall der Behandlungsübernahme und Schädigung durch einen Behandler, der hinsichtlich des spezifischen Eingriffs keine hinreichende Befähigung und Erfahrung aufweist (§  630h Abs.  4 BGB) und schließlich eine widerlegliche Vermutung der haftungsbegründenden Kausalität im Fall der Erweislichkeit eines groben Behandlungs- oder einfachen Befunderhebungsfehlers, dem ein grob behandlungsfehlerhaftes Unterlassen folgt (§  630h Abs.  5 S.  1, 2 BGB). In diese Systematik und ihre teleologischen Erwägungen lassen sich Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses allenfalls in zurückhaltendem Maße und kaum im Rahmen eines kohärenten inneren Zusammenhangs einfügen. Die Richtlinien weisen Vorgaben zur gebotenen Qualität aus, deren Unterschreitung nicht ohne Weiteres mit der Vermutung eines standardwidrigen Vorgehens besetzt werden kann. Insofern trägt ein direkter Vergleich mit §  630h Abs.  1 BGB nicht, da die Einhaltung von Qualitätsvorgaben zwar zunächst voll be372 

Vgl. BGH, NJW 2005, 2614. Zur Übersicht MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630h Rn.  7 ff. mwN. 374  Zur Sammlungserwägung des Gesetzgebers unter erklärtem Wunsch der Transparenzschaffung, BT-Drucks. 17/10488, S.  9, 27 ff. 373 

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herrschbar erscheinen mag, jedoch erfolgt die Bestimmung gebotener Patientensicherung im Rahmen voller Beherrschbarkeit auf Basis sachverständiger Begutachtung aller Umstände des Einzelfalls und im Rahmen einer Beurteilung a priori.375 Richtlinien können jedoch keineswegs gewährleisten, zu exakt jedem Behandlungszeitpunkt den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu spiegeln.376 Zudem bieten Richtlinien im Bereich des Qualitäts- und Einrichtungsmanagements ein Mustervorgehen, welches vielfach nicht als einzig vernunftgeleitete Variante zu erachten ist. Wenn etwa ein Hygienekonzept in einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bekämpfung nosokomialer Infektionen mit Blick auf §  136a Abs.  1 SGB  V festgeschrieben wird, eine medizinische Einrichtung sodann aber ein mindestens ebenso effektives oder ggfls. optimiertes Konzept verfolgt, ist nicht ersichtlich, weshalb eine Beweislastumkehr vergleichbar zu §  630h Abs.  1 BGB oder auch nur eine indizielle Wirkung für ein standardwidriges Vorgehen angezeigt sein könnte. Dies würde im Zweifel sogar zu einem Unterlaufen der aktuellen Rechtslage führen. Insbesondere Hygienefragen sind zwar generell geeignet, unter §  630h Abs.  1 BGB subsumiert zu werden.377 Es ist jedoch weithin anerkannt, dass eine Vielzahl von Krankheitserregern gleichermaßen durch die Patienten selbst in die medizinische Einrichtung eingebracht werden 378 und somit der Vermutungstatbestand des §  630h Abs.  1 BGB nicht gegeben ist. Sähe man nunmehr einen Richtlinienverstoß für sich genommen als Ansatz für den Vermutungstatbestand, würde dieses Zufallsrisiko ebenfalls der Behandlungsseite aufgebürdet. Dafür ist aber kein tragfähiger Grund ersichtlich. Das Vorgehen spräche zudem auch gegen die gesetzliche Konzeption. Auf §  630h Abs.  3 BGB ließe sich im Kontext von Richtlinien nur dann rekurrieren, wenn es in den Richtlinien selbst um Aufzeichnungs- oder Aufbewahrungsaspekte ginge; so in dem vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall zur Richtlinie Arthroskopie.379 Allerdings muss insoweit unterstrichen werden, dass das Oberlandesgericht mit seiner zentralen Argumentationslinie bereichsspezifischer Betrachtung zu unterstützen ist, da diese den gesetzgeberischen Willen des möglicherweise zu modifizierenden Bereichs (bürgerliches Haftungsrecht) konkret aufnimmt und klare Begrenzungslinien zeigt. So dient die ärztliche Dokumentationspflicht des §  630f BGB dem Schutz des Patienten für

375 

Vgl. BGHZ 171, 358 = NJW 2007, 1682. Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 371 ff.; Dressler, in: FS Geiß, 2000, 379 ff.; Hart, MedR 1998, 8, 12 f.; Walter, GesR 2003, 165, 170; Frahm, GesR 2005, 529, 531. 377 Breite Übersicht bei Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.   Aufl. 2018, S.  1519. 378  Vgl. BGH, VersR 2016, 1380. Zu anderen Fällen von Prädisposition BGH, NJW 1995, 1618 (Lagerungsschaden). 379  OLG Nürnberg, BeckRS 2015, 115044. 376 Näher

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die konkrete Behandlungsdurchführung.380 Es soll die Nachvollziehbarkeit der bisherigen diagnostischen und therapeutischen Interventionen für den Folgebehandler und damit Ordnungsgemäßheit der Folgebehandlung selbst sichergestellt werden.381 Mehr kann und darf aus Patientensicht auch nicht erwartet werden, da das Behandlungsverhältnis nicht die allgemeine Vorbereitung späterer Haftungsprozesse in sich trägt.382 Zwar nennt die Gesetzesbegründung als weiteren Zweck auch die Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Patienten,383 da die Behandlungsseite diesem Rechenschaft384 über für den Patienten nicht verständliche oder ersichtliche Abläufe ablegen müsse. Auch wird zusätzlich die Funktion faktischer Beweissicherung385 aufgeführt.386 Jedoch wird hierdurch nach h. M. gesetzgeberseitig nur die Beweisrelevanz unterstrichen, nicht jedoch von der bisherigen Haltung der Rechtsprechung Abstand genommen.387 Dafür spricht nicht zuletzt, dass die Gesetzesbegründung die Fortführung der vorbestehenden Rechtsprechung betont 388 und sich auch im Bereich des §  630f wie des §  630h nicht gegenteilig positioniert.389 Daher ist nur dokumentationspflichtig, was nach medizinischen Maßstäben als dokumentationsbedürftig herausgearbeitet worden ist,390 wobei normative Korrekturen möglich bleiben.391 Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung des §  630h Abs.  3 BGB und jeder vergleichbare Ansatz auf den Dokumentationsumfang des §  630f BGB sinnvoll begrenzt 380  Vgl. hierzu BGH, NJW 1989, 2330 f.; 1993, 2375 f.; 1999, 3408 f.; OLG Koblenz, NJWRR 2004, 410; OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 1375 f. 381  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  25 mVa. BGH, NJW 1988, 762 f. S.a. BGHZ 85, 327, 329 = NJW 1983, 328. Zur Bedeutung dieses Primärzwecks Hart, ZMGR 2007, 59 ff.; Kreße/Dinser, MedR 2010, 396 ff. 382  St. Rspr., vgl. BGHZ 129, 6, 9 = NJW 1995, 1611; BGH, NJW 1999, 3408, 3410 f.; OLG Nürnberg, BeckRS 2015, 115044; OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 410. A. A. mit Verweis auf die Gesetzesbegründung wohl MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630f Rn.  4; weitergehend Bender, Das postmortale Einsichtsrecht in Krankenunterlagen, 1998, 95 ff.; ders., VersR 1997, 918, 923 ff., der eine echte Beweissicherungspflicht der Behandlungsseite gegen sich selbst als Korrelat der Therapiefreiheit herleitet, hiergegen BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630f Rn.  5 mit Hinweis auf die Widersprüchlichkeit dieses Gedankens im Hinblick auf den patientenschützenden Kern der Dokumentation. S.a. Schlund, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  55 Rn.  8. 383  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  26; s. a. Deutsch, AcP 192 (1992), 161, 170; Giesen, Arzthaftungsrecht, 3.  Aufl. 1990, Rn.  423. 384  Zu diesem Gedanken bereits BGHZ 72, 132, 138 = NJW 1978, 2337, 2339. 385  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  26. 386  Für eine Gesamtschau zur Sicherung der Legitimationsgrundlage Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  473. 387 Vgl. Reuter/Hahn, VuR 2012, 247, 254; Walter, GesR 2013, 129, 132. 388  BT-Drucks. 17/10488, S.  9. 389  BT-Drucks. 17/10488, S.  25 f., 29 f. Dass die Gesetzesbegründung auf S.  29 die Rechenschaftspflicht und die Beweisnot anspricht, könnte zwar zunächst als Neupositionierung eingeordnet werden, jedoch folgt sogleich der Hinweis auf die Fortführung bisheriger Judikatur. 390  Vgl. BGH, NJW 1993, 2375, 2376. 391  So etwa der Fall der Dokumentationsbedürftigkeit der Anfängerbehandlung, vgl. BTDrucks. 17/10488, S. 30 mVa. BGH, NJW 1985, 2193.

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und darf haftungsrechtlich nicht aus anderen Erwägungen erweitert werden. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses können insoweit also allenfalls als Indiz für ein Dokumentationserfordernis im Rahmen der weiteren Behandlung dienen, wenn dieser Ansatz sich in der Richtlinie erkennen lässt. Mehr als einen Argumentationsstrang mit Blick auf die medizinische Erforderlichkeit dürfen sie jedoch nicht bilden. Eine beachtliche Nähe können Richtlinien, die sich mit medizinischem Personal und ärztlichen Fähigkeiten befassen, zu §  630h Abs.  4 BGB aufweisen. Allerdings ergibt sich insoweit dieselbe Problematik wie bei dem Vergleichsmaßstab des §  630h Abs.  1 BGB. Die Richtlinie berücksichtigt den Einzelfallbezug nicht in gebotenem Maße, ist nicht immer aktuell und vielfach auch nicht abschließend. Daher erscheint es ohne Weiteres prozessual möglich, eine entsprechende Richtlinie als argumentative Unterstützung zur Bestimmung des Vermutungstatbestandes des §  630h Abs.  4 BGB heranzuziehen, während eine eigenständige Vermutung allein gestützt auf einen Richtlinienverstoß eine ungerechtfertigte Belastung der Behandlungsseite bedeutete. Im Rahmen des §  630h Abs.  5 BGB können Richtlinien schließlich interessante Impulse bieten, wenn dort zwischen bloßen Hinweisen, Sollens-Regelungen und dringend erforderlichen Verhaltensweisen des jeweiligen Behandlers differenziert wird. Dies beinhaltet im Fall der Zuwiderhandlung oder Unterlassung argumentative Ansätze für den Patienten, dass eine standardwidrige Leistung ggfls. als grob fehlerhaft zu bewerten sein könnte.392 Gleichermaßen können Richtlinien zur Begründung etwaiger Befunderhebungsmängel herangezogen werden. Dennoch treten auch hier die zu §  630h Abs.  1 und Abs.  4 BGB genannten Vorbehalte in entsprechender Form auf. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Verstöße gegen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht in den Kanon der Beweislastregeln des §  630h BGB integriert werden können, ohne dass eine erhebliche weitere Belastung der Behandlungsseite damit einherginge, für die nach hier vertretener Ansicht de lege lata eine Begründung fehlt. Als explizierte Expertenansichten können sie jedoch Argumentationspotential bieten und partiell Indizwirkung entfalten. Wie eine solche Wirkung rechtlich jedoch näher aufzufassen sein könnte, wird sogleich im Rahmen der Beweiswürdigung aufgegriffen. c) Beweiserhebung, Beweiswürdigung – Parallele zu Unfallverhütungsvorschriften vs. Leitlinienansatz Es bleibt nach den bisherigen Feststellungen nur eine Einbindung in die Bereiche der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung. Dabei ist zunächst heraus392  Eingehend zur Prägung des groben Behandlungsfehlerbegriffs mit weitreichender Darstellung der Judikatur Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  845 ff. Für eine normative Korrektur J. Prütting, GesR 2017, 681, 682 f.

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zustellen, dass die vorgenannten Problemlagen mangels medizinischen Fachwissens der Gerichte nur dadurch beherrscht werden können, dass grundsätzlich – bis auf wenige Ausnahmefälle richterlicher Expertise in einem bestimmten medizinischen Bereich 393 – ein Sachverständigengutachten zur streitgegenständlichen Behandlung und denkbaren Behandlungsfehlern eingeholt werden muss.394 Insofern ist es jedoch naheliegend, dass die durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses verschriftlichte Ansicht von Experten in diese Begutachtung einbezogen wird, sofern es Berührungspunkte gibt. Dieses Konzept und seine Schwierigkeiten sind der juristischen Diskussion auch bestens aus dem Umgang mit ärztlichen Leitlinien der Fachgesellschaften (insbesondere AWMF-Leitlinien 395) bekannt.396 Wenn auch auf dem Boden des Sozialversicherungsrechts die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses höhere Bindungswirkung entfalten, so können Leit- und Richtlinien im Bereich des Haftungsrechts doch als weithin gleichrangig anerkannt werden, da beide Ansätze die sachverständige Einbeziehung oder parteiseitige Konfrontation mit einer externen Expertenansicht bedeuten.397 Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur bis heute umstritten, wie mit Leitlinien verfahren werden sollte.398 Dabei wird vor allem eine Differenzierung nach dem Grad der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Anerkennungsfähigkeit, insbesondere mit Blick auf die Evidenz, vorgeschlagen, was letztlich eine unterschiedliche Behandlung von S1- und S2- Leitlinien einerseits und S3-Leitlinien andererseits bedeutet.399 Diese Unterscheidung ist jedoch für Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht erforderlich. Ihrer Durchsetzungskraft und wissenschaftlichen Belastbarkeit entsprechend sind sie am ehesten den S3-Leitlinien vergleichbar und sollten nach hier vertretener Ansicht auch dementsprechend kategorisiert werden. Daraus ergibt sich, dass eine Situation im Anwendungsbereich einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom gerichtlichen Sachverständigen auch mit Blick auf die Vorgaben der Richtlinie bewertet werden sollte. Insoweit ist es wesentliche Aufgabe des Gutachters, das standardgerechte 393 

BGH, IBRRS 2018, 1507; VersR 2015, 712 Rn.  10 mwN = JZ 2015, 573 mAnm Spickhoff. BGH, VersR 2015, 712 Rn.  10 mwN. 395  Zum Konstrukt der medizinischen Leitlinie und ihrer rechtlichen Beurteilung in Abgrenzung zum Richtlinienbegriff Taupitz, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S.  63, 84 ff. mwN. 396  Ausführlich mit Gegenüberstellung der gängigen Literatur- und Rechtsprechungsansichten Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  545 ff. mwN. 397 Hierzu Baethge, DÄBl.  2008, 105(24), 423. 398  Während die Rechtsprechung ganz überwiegend entweder nur Empfehlungs- oder deklaratorischen Charakter anerkennt, vgl. BGH, VersR 2014, 879 Rn.  17; NJW 2011, 3442; GesR 2008, 361; OLG Naumburg, GesR 2010, 73, 75; schärfer bei S3--Leitlinien OLG Jena, GuP 2011, 36, finden sich in der Literatur auch schärfere Ansätze, vgl. Bergmann, GesR 2006, 337, 342; Kopp, GesR 2011, 385 f.; Hase, GesR 2012, 601 ff.; Taupitz, GesR 2015, 65, 69; ders., AcP 211 (2011), 352, 376, 386. 399  Hierzu BGH, GesR 2014, 404 Rn.  17, 26; 2008, 361; OLG Jena, GuP 2011, 36. 394 

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ärztliche Verhalten des konkreten Streitfalls herauszuarbeiten und dabei zu erörtern, ob und inwieweit die Vorgaben der Richtlinie passend, zutreffend und in der Fachwelt anerkannt sind. Abweichungen von der Richtlinie sind somit begründungspflichtig, da diese bereits eine weitreichende sachverständige Auseinandersetzung beinhalten. Ähnlichkeiten zeigen sich auch im Umgang mit qualifiziertem Parteivortrag in Form einer Privatbegutachtung.400 Das Gericht erhält zugleich Anhaltspunkte für die anschließende Beweiswürdigung. Ebenso wie Leitlinien können aber auch Richtlinien temporal zur Standardbestimmung ungeeignet sein oder ihrerseits den Standard unzutreffend beschreiben.401 Daher ist eine parallele Kategorisierung die tragfähigste und mit Blick auf Modifikationen des Haftungsrechts durch teilrechtsgebietsübergreifende Einflüsse sanfteste Variante rechtlicher Handhabung, die derzeit möglich erscheint. Ihr ist der Vorzug einzuräumen. Abschließend kann noch erwogen werden, ob Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, die bestimmte weithin typische Gefahren präventiv vermeiden sollen, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Unfallverhütungsvorschriften402 zu behandeln sind, mithin ein Anscheinsbeweis für die Kausalität zwischen Nichteinhaltung der Vorschrift und Verletzungsfolge streiten könnte. Dieser Ansatz muss jedoch a priori für alle jene Fälle ausscheiden, in denen mangels Zugänglichkeit eines Erfahrungssatzes der Anscheinsbeweis generell nicht trägt. Dies gilt in allen Bereichen, die mit nicht hinreichend präzise erklärlichen respektive auf bestimmte Ursachen rückführbaren körperlichen Reaktionen zusammenhängen.403 Es verbleiben ausschließlich jene Fälle, in denen auch aus medizinischer Sachverständigensicht davon ausgegangen werden kann, dass ein hinreichend stabiler Erfahrungssatz in Betracht kommt,404 was letztlich gleichermaßen vorab durch den gerichtlich berufenen Gutachter zu klären ist. In der Folge ist es dann aber nicht die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, die den Anscheinsbeweis auslöst, sondern der Erfahrungssatz kann auf Basis der gutachterlichen Ausführungen extrapoliert werden. Die Richtlinie ist in diesem Findungsprozess jedoch ein Argument mit Blick auf die Expertenmeinung der Richtliniengeber, ebenso wie es bei der Leitlinie durch die zuständige Fachgesellschaft der Fall sein kann. Daher empfiehlt sich auch keine unterschiedliche rechtliche Handhabung.

400 

Hierzu BGH, NJW 2001, 77 f.; KG VersR 2006, 794. Deutlich BGH, VersR 2014, 879 Rn.  17. 402  Vgl. BGH, NJW 1978, 2032. 403  Vgl. BGH, NJW 2012, 684; OLG Oldenburg, NJW-RR 2000, 241; OLG Jena, GesR 2005, 556 f.; OLG Zweibrücken, VersR 2002, 317 f.; OLG Köln, NJW-RR 2000, 1267. 404  Vgl. BGH, GesR 2010, 255; 2005, 403. 401 

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5. Wesentliche Ergebnisse Für die Kollision von zivilrechtlichem Haftungsstandard im Sinne des §  630a Abs.  2 BGB für die Arzthaftung und sozialversicherungsrechtlichen Qualitätsund Sorgfaltsmaßgaben, die auf Basis der §§  135 ff. SGB V durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erlassen worden sind, führt die dreistufige Analyse zu folgendem Ergebnis: a) Auf der ersten Stufe wird deutlich, dass weder bürgerlich-rechtliches Haftungsrecht noch sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben Kollisionsvorschriften enthalten. §  630a Abs.  2 BGB verlangt von der Behandlungsseite in der konkreten Situation ein standardgerechtes Vorgehen, dessen Parameter von der Rechtsprechung im Wesentlichen ohne Berücksichtigung anderer Rechtsgebiete festgelegt worden sind. Allerdings weist §  630a Abs.  2 BGB eine Offenheit für inter- und intradisziplinäre Einflüsse auf, die über das Instrument sachverständiger Beurteilung (außerjuristische Perspektive) und über die zentralen Elemente juristischer Auslegung (normative Ebene) Eingang finden. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung hat beide Elemente im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich vorgegebenen Konkretisierungsfunktion aufgenommen, jedoch auf der normativen Ebene die Heranziehung von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ohne Analyse und Argumentation als rechtlich verbindlich erkannt. b) Die Folgebetrachtung des Sozialversicherungsrechts sowie die Erörterung der Kollisionslage auf zweiter Stufe führen de lege lata zu der Erkenntnis, dass Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht geeignet sind, um den zivilrechtlichen Haftungsstandard verbindlich festzulegen. Zentrale Argumente gegen eine solche Verbindlichkeit sind die fehlende Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, der gespaltene Adressatenkreis zwischen Betroffenen nach §  91 Abs.  6 SGB V und sonstigen Patienten sowie die zutreffende Standardbeschreibung durch Richtlinien, die fehlerhaft sein oder veralten können. c) Auf dritter Stufe ist sodann eine Parallelität zum bisherigen Umgang mit den Leitlinien der Fachgesellschaften erkennbar, so dass eine gleichförmige normative Einstufung dem subjektiv-teleologischen Leitbild der §§  630a ff. BGB am besten entspricht und rechtspraktisch sinnvoll in das System der Arzthaftung eingefasst werden kann. Demgegenüber ist eine Fortentwicklung des §  630h BGB mit erweiterten Vermutungen zu Lasten der Behandlungsseite abzulehnen.

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V. Kostendruck und Standard 1. Grundlegender Diskussionsansatz und Kollisionsfeststellung (Vorprüfung) Unter der Überschrift „Kostendruck und Standard“405 wird als vierte Sachdebatte die Frage aufgegriffen, ob sich aus der divergierenden Bestimmung der Standards im Sozialversicherungs- und im Zivilrecht Probleme gebietsübergreifender Normenkollisionen über die bereits erörterte Bedeutung von Qualitätssicherungsrichtlinien des GBA hinaus ergeben. Es werden somit Konstellationen besprochen, in denen einerseits dem gesetzlich versicherten Patienten konkrete Therapien nach den Vorgaben des SGB V und unterbliebener Aufnahme in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (§  87 Abs.  1, 2 SGB V) nicht seitens der Krankenkasse im Wege des Sachleistungsprinzips406 gestellt werden, die haftungsrechtlich nach Privatrecht jedoch geschuldet sein könnten,407 sofern keine abweichende Parteivereinbarung vorliegt.408 Andererseits soll es um Fallgestaltungen gehen, in denen der gesetzlich versicherte Patient die Leistung nach den vorab genannten Katalogen zwar erwarten darf, die Behandlungsseite jedoch aufgrund überreizten Budgets die Leistung nicht oder nicht zum unmittelbar benötigten Zeitpunkt erbringen möchte, um Nachteile im Rahmen des Entgelt- und Vertragsarztrechts zu vermeiden.409 Für diesen Analyseabschnitt kann auf die Ausführungen zum Standardbegriff410 und zur Tätigkeit des Gemeinsamen Bundesausschusses411 sowie zu Kontrahierungszwängen412 und damit begrenzter Kündigungsmöglichkeit 405  So lautet die klassische Bezeichnung des Diskussionsansatzes, vgl. nur Katzenmeier, Kostendruck und Standard medizinischer Versorgung – Wirtschaftlichkeitspostulat versus Sorgfaltsgebot? – Zum Spannungsverhältnis zwischen Sozialrecht und Zivilrecht, in: Nehm/ Greiner/Groß/Spickhoff (Hrsg.), FS Müller, 2009, S.  237; Arnade, Kostendruck und Standard, 2010. 406  Vgl. BVerfGE 11, 30 = NJW 1960, 715; Muckel, SGb 1998, 385. Das Sachleistungsprinzip verfolgt die Idee der Risikofreiheit und Kostenlosigkeit zu Gunsten der Versicherten bei Bedarf an spezifischen Gesundheitsleistungen, vgl. BSGE 55, 188, 193 f. = SozR 2200 §  257a Nr.  10; BSGE 73, 271, 274 f. = NZS 1994, 507. 407  Zur Übersicht Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  21 ff. 408  Die zentrale Fragestellung der Zulässigkeit abweichender Parteivereinbarungen wird diskutiert unter §  5 V. 2. c) bb). 409  Insbesondere drohen Rückforderungsbescheide (§  106b Abs.  3 S.  2 SGB V) nach Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß §§  106, 106a SGB V, die auf der entgeltrechtlichen Gesamtverantwortung von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen fußen, vgl. BSG, Urt. v. 13.05.2015 – B 6 KA 18/14 R = BeckRS 2015, 71996. Die vielfach notwendige Schätzung unterliegt einem „Kürzungsermessen“, vgl. BSG, SozR 4-2500 §  106 Nr.  1 Rn.  15. Zu den Details übersichtlich Becker/Kingreen/Scholz, SGB V, 6.  Aufl. 2018, §  106 Rn.  22 ff. 410  Eingehend §  5 IV. 2. a). 411  Hierzu §  5 IV. 2. b) aa), bb), dd). 412  §  5 II. 2. a) bb).

V. Kostendruck und Standard

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durch die Behandlungsseite zurückgegriffen werden. Allerdings unterscheidet sich die bereits geführte Diskussion zur Reichweite der Beachtlichkeit von Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses413 grundlegend von der nachfolgenden Problematik dadurch, dass mit Ausnahme allgemein gehaltener Grundsätze im SGB V und ausschließlich auf die Frage der kassenseitigen Finanzierung gerichtete Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses keine theoretisch auf das Haftungsrecht zugreifenden Erwägungen des Sozialrechts erörtert werden. Bezogen auf das Zivilrecht bedeutet dies, dass es nicht um Fragestellungen geht, in denen das Sozialrecht in seiner Konkretisierung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss dem Haftungsrecht verschärfende Vorgaben macht oder spezifische Mindestanforderungen stellt. Es handelt sich vielmehr um die Frage, ob es de lege lata ein rechtsgebietsübergreifendes, bislang ungelöstes Rechtsproblem darstellt,414 wenn der Patient ohne abweichende Abrede gemäß §  630a Abs.  2 BGB zivilrechtlich mehr erwarten darf, als sozialrechtlich angeboten wird oder abgesichert ist und die Auflösung dieser Fragestellung in das konkrete Arzt-Patient-Verhältnis verschoben wird.415 Die folgenden Beispiele sollen den kritischen Blick auf die Thematik durch zugehörige Sachverhalte schärfen. a) Unerkannte Eileiterschwangerschaft – Befunderhebung und Wirtschaftlichkeit Einer Entscheidung des OLG München aus dem Jahre 2006416 lag der Fall zu Grunde, dass der beklagte Gynäkologe bei auftretenden Blutungen der Patientin wegen Verdachts auf Blasenentzündung ein Antibiotikum verordnete, jedoch tatsächlich eine Eileiterschwangerschaft vorgelegen hatte. Das OLG hatte ausgeführt, dass weder ein Schwangerschaftstest noch eine transvaginale Sonographie angezeigt gewesen waren. Neben dem Verweis auf die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, der im Hinblick auf entsprechende Be­ fund­erhe­bungen aus der Symptomatik ex ante keinen hinreichenden Anlass für weitere Diagnostik erkennen konnte,417 führte das OLG München aus:

413 

Ausführlich §  5 IV. In diese Richtung jüngst Frahm et al., MedR 2018, 447 ff. mwN. Eine breite Übersicht zur Literaturdebatte findet sich bei Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  193 ff. S.a. Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  150 ff. 415 Es wird auch von Allokation am Krankenbett gesprochen, vgl. Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, 2001, S.  21; Sternberg-Lieben, Rationierung im Gesundheitswesen – Gedanken aus (straf)rechtlicher Sicht, in: FS Weber, 2004, S.  69, 71. 416  OLG München, MedR 2007, 361. 417  OLG München, MedR 2007, 361, 362. 414 

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

„Es leuchtet ein, dass schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht bei jeder Menstruationsblutung, die sehr häufig mit Unterbauchbeschwerden verbunden sind, ein Schwangerschaftstest oder gar eine transvaginale Ultraschalluntersuchung erfolgen kann.“418

Wird in diesem Fall unterstellt, dass der medizinische Sachverständige gewisse, wenn auch geringe Ansätze für eine weitere notwendige Diagnostik anerkannt hätte, stellt sich konsequenterweise die Folgefrage, ob der Einwand rechtlich tragfähig ist, aus ökonomischen Motiven heraus weitere Diagnostik wegen fehlender Effizienz abzulehnen. Die Rechtsprechung hat diese Argumentation für das Haftungsrecht bislang überwiegend abgelehnt.419 Ein Hinweis auf eingeschränkte Diagnostik und Befundung vor dem Hintergrund des §  12 SGB  V wurde hierdurch haftungsrechtlich bislang verwehrt. Zudem wird zu klären sein, ob der Arzt de lege lata im Wege ordnungsgemäßer wirtschaftlicher Information und Selbstbestimmungsaufklärung eine patientenseitige Entscheidung hätte herbeiführen können, um einem Haftungsrisiko mit Sicherheit zu entgehen oder ob im äußersten Fall eine weitergehende Pflicht zur Diagnostik auf eigene Kosten denkbar wäre, der sich der Arzt auch nicht durch Abweisung der Patientin entziehen könnte.420 b) Ausgereiztes Budget In der vertragsärztlichen Versorgung erhalten die teilnehmenden Ärzte ihre Vergütung von der jeweiligen kassenärztlichen Vereinigung auf Basis des ihnen zustehenden Anteils421 an der vorab vereinbarten Gesamtvergütung.422 Die Gesamtvergütung wird nach dem Wohnortprinzip423 von der jeweils zuständigen Krankenkasse an die zuständige kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung ausgekehrt.424 Es besteht kein Anspruch des einzelnen Vertragsarztes gegen die Träger der gesetzlichen Krankenkassen.425 Auch wird der jeweilige Vertragsarzt nicht mit dem Vorbringen gehört, die Höhe der Gesamtvergütung sei unzureichend.426

418 

OLG München, MedR 2007, 361, 362 Rn.  37. Vgl. BGH, NJW 1954, 290; 1983, 2080; OLG Düsseldorf, MedR 1984, 69; OLG Hamm, NJW 1993, 2387; a.A. BGH, VersR 1975, 43 f.; OLG Köln, VersR 1993, 52 f.; 1999, 847. 420  In diese Richtung wohl Frahm et al., MedR 2018, 447, 456. 421  Näher zum hierfür zuständigen Honorarverteilungsmaßstab und der konkreten Abrechenbarkeit Clemens, in: Quaas/Zuck/Clemens (Hrsg.), Medizinrecht, 4.  Aufl. 2018, §  22 Rn.  29 ff. mwN. 422 Vgl. die Übersichtsdarstellung des GKV-Spitzenverbands, https://www.gkv-spitzen verband.de/presse/themen/verguetung_aerztlicher_leistungen/s_thema_aerzteverguetung. jsp (Abrufdatum: 09.10.2019). 423  §  85 Abs.  1 SGB V. 424  Vgl. BSGE 111, 114 = MedR 2013, 394. 425  Hierzu BSG, SozR 4–2500 §  75 Nr.  9. 426  Vgl. BSG, SozR 4-2500 §  85 Nr.  21 Rn.  16. 419 

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Beispielhaft sei nunmehr auf das jährlich beobachtbare vertragsärztliche Verhalten im Bereich planbarer Leistungen zurückgegriffen, welches zum Ende der Abrechnungsperiode eine signifikante Abnahme ersichtlich werden lässt,427 um die vorab festgelegten Budgetgrenzen nicht zu überschreiten. Kommt es im Einzelfall zur Überschreitung, kann der jeweilige Vertragsarzt grundsätzlich nur einen geschmälerten prozentualen Ansatz der verteilungsfähigen Gesamtvergütung hierfür beanspruchen.428 In der Konsequenz stellt sich die Frage, ob vor dem Hintergrund der berechtigenden und verpflichtenden Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §  95 Abs.  3 S.  1 SGB V der jeweils Behandelnde oder für eine Behandlung Angefragte die Übernahme und Durchführung der Versorgung ablehnen oder jedenfalls verschieben darf oder ob er zur Tätigkeit gegen vermindertes Entgelt bei identischer oder verminderter Leistungsqualität verpflichtet ist. Für Letzteres könnte neuerlich die Erwägung hin zu verstärkter Aufklärung des Patienten und standardunterschreitender Vereinbarung mit diesem diskutiert werden. c) Liposuktion – Nicht anerkannte Methode mit Standardpotential Als letzte Illustration sei nach dem Vorbild der Entscheidung des BSG zur Liposuktion bei Lipödem429 der fiktive Fall gebildet, dass ein Patient aufgrund krankhafter Fetteinlagerungserscheinungen in den Beinen ohne ärztliche Behandlung zunehmend seine Fähigkeit zur uneingeschränkten Fortbewegung verliert. Der zuständige Träger der gesetzlichen Krankenkasse teilt auf Anfrage zur Kostentragung mit, dass die gewünschte medizinische Methode der Wahl, die Liposuktion, nicht übernommen werde, da diese – was zutrifft – sowohl als unwirtschaftlich als auch als noch nicht hinreichend erprobt430 erachtet werde.431 Der Patient wird von der Krankenkasse auf schwer belastende Diätmaß427 Vgl. die Erhebungen bei https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/87482/Budgetbe grenzung-sorgt-fuer-weniger-Arzttermine-am-Quartalsende (Abrufdatum: 09.10.2019). 428  Allerdings besteht im Rahmen des nunmehr (seit 01.01.2016) geltenden §  87b Abs.  1 S.  3 SGB V seitens der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung die Möglichkeit der Neufestlegung des Honorarverteilungsmaßstabs, um vorab unerkannte Härten und fehlerhafte Verteilung zu beseitigen; eingeführt mit Art.   6 Nr.   4a des Krankenhausstrukturgesetzes v. 10.12.2015, BGBl.  I, S.  2229, 2243. 429  BSG, NZS 2018, 694. 430  Es offenbart sich an diesem Fall in besonderer Weise, dass der geforderte Grad der Evidenzbasierung im Sozialversicherungsrecht höher und damit statischer als im Zivilrecht ausfallen kann, da das BSG in ständiger Rechtsprechung hinreichend kontrollierte Fallzahlen verlangt, in denen sich die jeweilige Neulandmethode als wirksam und deren Risiken zum Schutz der Patienten als beherrschbar herausgestellt haben, vgl. BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 §  109 Nr.  3, Rn.  29; BSG, SozR 4-2500 §  18 Nr.  8 Rn.  10. 431  In der Entscheidung BSG, NZS 2018, 694 ff. wird maßgeblich auf fehlende medizinwissenschaftliche Fundierung des Forschungsstandes verwiesen. In einer juristischen Abhandlung kann hierzu mangels Fachwissens nicht qualifiziert Stellung genommen werden, so dass die nähere Erörterung dieses Aspekts unterbleiben muss. In der Rechtspraxis obliegt dies im

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nahmen und weitreichende sportliche Betätigung sowie auf die Möglichkeit der Selbstzahlerschaft zur Liposuktion verwiesen. Dieser Patient stellt sich neuerlich bei seinem Arzt vor, welcher vor dem Hintergrund ausbleibender Übernahme durch die Krankenkasse ausführlich über denkbare Behandlungsalternativen gemäß §  630e Abs.  1 S.  3 BGB aufklärt. Darunter finden sich auch Vorgehensweisen, die kassengetragen sind, sich jedoch aus medizinwissenschaftlicher Sicht nach späterer Begutachtung als deutlich weniger effektiv herausstellen. Der Patient schafft es trotz der Inanspruchnahme der kassengetragenen Leistung sowie Einhaltung strenger Diät und zusätzlicher Maßnahmen der Mobilisierung nicht, die krankhaften Einlagerungen auf Dauer unter Kontrolle zu bekommen und kann zwei Jahre später seinen Beruf nicht mehr ausüben. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit wie auch der Verfassungsgerichtsbarkeit hat dem Patienten trotz seiner schwierigen Situation keine Kostenübernahme zugestanden. Weder ist die Liposuktion im Bereich ambulanter Versorgung durch Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zugelassen (§  135 SGB  V) noch im Rahmen neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß §  137c SGB V für den stationären Bereich hinreichend erprobt.432 Auch sind die Voraussetzungen der sog. Nikolaus-Rechtsprechung des BVerfG433 nicht gegeben, die heute in §  2 Abs.  1a SGB V niedergelegt sind.434 Es ist auch kein Fall des Systemversagens435 erkennbar, da die geforderten Evidenzkriterien jedenfalls zum Zeitpunkt der Behandlungsbedürftigkeit noch nicht erfüllt waren.436 Ebenfalls nach dem Leistungsrecht des SGB V nicht relevant ist eine nachträgliche Erfassung einer bestimmten Methode durch eine

Haftungsfall der Klärung durch fachgleiche gerichtliche Sachverständigenbegutachtung und im Bereich des Sozialversicherungsrechts durch entsprechende Überprüfungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses und dessen Ausschüssen und Hilfsorganisationen. 432  So jedenfalls BSG, NZS 2018, 694. 433  BVerfG, NJW 2006, 891; s. a. BVerfG, NZS 2016, 20; 2017, 582. Zum Ganzen Bockholdt, NZS 2017, 569 ff. 434  So der Wille der Norminterpretation, welcher der Gesetzesänderung zum 01.01.2012 zu Grunde gelegen hat, vgl. BR-Drucks. 17/8906, S.  52; s. a. BVerfG, NZS 2013, 500; Huster/ Ströttchen, GesR 2017, 352 ff. 435  Vgl. BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 §  13 Nr.  25, Rn.  15; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 §  31 Nr.  9, Rn.  13. 436  Die Problematik der Liposuktion bei Lipödem hat daher sogar den amtierenden Bundesminister für Gesundheit (Spahn) dazu veranlasst, eine Diskussion um eine grundlegende Systemänderung des SGB V dahingehend zu eröffnen, ob die Gubernative in diesem Bereich neben dem Gemeinsamen Bundesausschuss gesetzlich ermächtigt werden sollte, die Abrechnungsfähigkeit von diagnostischen und therapeutischen Verfahren zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen anzuerkennen, vgl. die zusammenfassende redaktionelle Meldung des DÄBl. vom 11. Januar 2019, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/100286/Spahn-will-Liposuk tion-zur-Kassenleistung-machen (Abrufdatum: 09.10.2019).

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Erprobungs­ richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §   137e 437 SGB V. Daher stellt sich für das zivilrechtliche Behandlungsverhältnis zwischen Patient und Arzt die Frage, ob der Arzt mit der aus ökonomischen Gründen heraus geborenen gezielten (haftungsrechtlichen) Standardunterschreitung einen Behandlungsfehler begangen haben könnte. Hierfür sei unterstellt, dass die Liposuktion sich schon zum Zeitpunkt der Behandlung im Zivilprozess sachverständig begutachtet letztlich als das standardgerechte Vorgehen herausgestellt hat und dies dementsprechend im fachärztlichen Bereich bekannt gewesen ist, auch wenn sozialversicherungsrechtlich die dort erforderlichen Evidenzen noch nicht geschaffen waren. Befindet sich der betreuende Arzt nunmehr in einer Haftungsfalle, in der er einerseits zur Versorgung des Patienten berufen ist, andererseits die standardgerechte Versorgung mangels Zahlungsbereitschaft des Patienten nur auf eigene Kosten durchführen müsste? Kann er diesem Dilemma durch Vereinbarung einer Standardunterschreitung gemäß §  630a Abs.  2 BGB nach vollumfänglicher wirtschaftlicher (§  630c Abs.  3 S.  1 BGB) und eingehender Selbstbestimmungsaufklärung (§  630e BGB) oder durch Kündigung gemäß §  627 BGB entgehen? d) Nähere Beschreibung der rechtsgebietsübergreifenden Kollisionslage Nach dem äußeren System der Rechtsordnung sowie offenkundig erfassbarer Teleologie regeln die §§  630a ff. BGB mehrere Fragenkomplexe. Sie befassen sich mit der notwendigen Qualität der Leistung des Arztes in der konkreten Situation mit Blick auf den konkreten Patienten (§  630a Abs.  2 BGB), den flankierenden Erwägungen, wie Arzt und Patient entsprechend des gesetzgeberischen Leitbildes (§  630c Abs.  1 BGB) einander gegenübertreten sollen438 und welche Informationen die Behandlungsseite dem Patienten im Hinblick auf Behandlungsalternativen zukommen lassen muss (§§  630c Abs.  3 S.  1, 630e Abs.  1 S.  3 BGB). Dabei finden Wirtschaftlichkeitsaspekte im Rahmen der Evidenzbetrachtung nur bei der behandlungsseitigen Nebenpflicht zur wirtschaftlichen Information Berücksichtigung.439 Jeder erweiterte Ansatz bedarf bereits einer Hintergrund- und Systemanalyse. Die sozialrechtlichen Bestimmungen greifen demgegenüber mit den §  2 Abs.  1 S.  3, Abs.  4, §§  12, 27 ff., 70 Abs.  1 S.  2, 72 Abs.  2, 135, 137c, 137e, 138 SGB V die Beantwortung der Frage auf, welchen Versorgungsstandard dem gesetzlich versicherten Patienten von Seiten des Krankenkassenträgers zukommen soll, bei 437 

So ausdrücklich BSG, NZS 2018, 694, 695 Rn.  10. Zu Hintergrund und Entwicklung des ärztlichen Leitbildes und des Arzt-Patient-Verhältnisses vgl. die Beiträge in Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, passim. 439  Ausführlich hierzu §  5 III. 438 

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dem er Mitglied ist.440 Folgerichtig wird für die Leistungserbringer in diesem System die Vorgabe gemacht, zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassenträger nur dieses Leistungsspektrum zu erbringen. Zugleich hat der gesetzlich versicherte Patient die sozialversicherungsrechtliche Pflicht, nur Leistungen dieses Spektrums zu Lasten der Krankenkasse zu fordern und entgegenzunehmen, §  12 Abs.  1 S.  2 SGB V.441 Wird der Blick zurück auf das Privatrecht gewendet, greift §  630a Abs.  1 aE. BGB die Erwägung für die Entgeltverpflichtung des Patienten auf, ob ein Dritter eintrittspflichtig ist, was zur Leistungsfreiheit des Patienten führt.442 Andersherum bietet das Sozialversicherungsrecht in §  76 Abs.  4 SGB V für Haftungsfragen einen pauschalen Verweis auf die Sorgfaltsanforderungen des Privatrechts.443 Damit wird im Rahmen der Vorprüfung Folgendes deutlich: Bestimmungen zweier Teilrechtsgebiete rangieren auf Kollisionskurs. Dabei geht es im Kern um die Sachfrage, was der Patient in der konkreten Behandlung durch den Arzt im Hinblick auf die Qualität der Leistung erwarten kann und worüber er vor seiner Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Therapie oder deren Unterlassen zu unterrichten ist. In einem hypothetisch gedachten Haftungsprozess gegen die Behandlungsseite stünde mithin die Frage im Raum, ob der Behandelnde sich im Hinblick auf die Unterschreitung von im Einzelfall medizinisch indizierten – gegenüber den konkret gewählten Therapieoptionen vorzugswürdigen – Vorgehensweisen darauf berufen darf, dass er Wirtschaftlichkeitserwägungen angestellt oder diese aus sozialversicherungsrechtlich anerkannten Vorgaben entnommen hat. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur Teamidee von Arzt und Patient gegen die im Einzelfall zu bekämpfende Erkrankung, wie es in §  630c Abs.  1 BGB angedeutet ist.444 Monetäre Aspekte werden zwingend zum Diskussionsgegenstand zwischen Arzt und Patient erhoben, die über eine abgeschwächte medizinische Versorgung aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sprechen müssen. Dies wird als zerstörerisch für das bestehende Vertrauensverhältnis eingestuft.445 Soll der Behandlungsseite ein solcher Rückzug jedoch nicht gestattet werden und besteht gleichwohl aus 440  Hierzu die Ausführungen des BSG in st. Rspr., vgl. BSGE 117, 10 = NZS 2015, 26, 28 Rn.  1 ff. mwN (hier zur Arzneimittelversorgung). 441  Vertrauensschutz im Leistungssystem der GKV und zugleich Sicherung der Finanzierbarkeit, vgl. KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  12 Rn.  56. 442  BT-Drucks. 17/10488, S.  18 f. Zur identischen Rechtslage vor dem Patientenrechtegesetz und damit vor Existenz des §  630a aE. BGB, S. BGHZ 167, 363, 366 = NJW 2006, 2485, 2486; BSGE 118, 30 = NZI 2015, 620, 623 mAnm Ahrens. 443 Vgl. BeckOK/Wendtland, SGB  V, 51. Ed. 2018, §   76 Rn.  33; Spickhoff/Nebendahl, SGB  V, 3.  Aufl. 2018, §  76 Rn.  15. Mit kritischer Würdigung Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 162. 444  Eingehend mit entwicklungsgeschichtlichem Blick Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  5 ff. mwN. 445 Vgl. Frahm et al., MedR 2018, 447, 456 f.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  24 ff. mwN.

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Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten gesetzlich bindend eine Leistungsbegrenzung im Sozialversicherungsrecht, die der Arzt im Rahmen der Abrechnung einzuhalten hat, kann ein denkbares rechtliches Kollisionsfeld jedenfalls nicht a priori verneint werden.446 Der Arzt könnte dann durch Gesetz entweder zur Leistung von Diensten ohne hinreichendes Entgelt oder zur Ablehnung der Behandlung verpflichtet sein.447 Letzteres könnte eine zusätzliche Schnittstelle zu allen Regelungen nach sich ziehen, aus denen eine Behandlungspflicht des Arztes – ggfls. sogar trotz mangelhaften Entgeltanspruchs – herzuleiten wäre (Kontrahierungszwang).448 Zudem sind Möglichkeiten standardunterschreitender Vereinbarungen iSd §  630a Abs.  2 2. HS. BGB von zentralem Interesse. Ob sich diese Kollisionserwägungen normenspezifisch auf die §§  630a Abs.  2, 276 Abs.  2 BGB einerseits und 12 Abs.  1 SGB V andererseits zuspitzen lassen, wie es in der Literatur partiell erwogen wird,449 erscheint fraglich, ist aber bereits für sich genommen ohne vertiefte Erörterung nicht entscheidungsfähig.

2. Sozialversicherungsrechtliche Ökonomisierung des Gesundheitssektors vs. zivilrechtliches Haftungsrecht (1. Stufe) a) Das sozialversicherungsrechtliche Qualitätsverständnis Gemäß §  2 Abs.  1 S.  3, Abs.  4 und §  12 SGB V muss die medizinische Versorgung im Bereich des Notwendigen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich er-

446  Insofern etwas voreilig jegliche Spannungslage verneinend die Gesetzesbegründung zu §  12 SGB V, vgl. BT-Drucks. 11/2237, S.  163, 164. Im Patientenrechtegesetz verweist der Gesetzgeber dann im Wesentlichen auf die bisherige Haftungsrechtsprechung und die Brücke wirtschaftlicher Information, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  19, 20. Auch ein partiell angenommener – selbstverständlicher – Gleichlauf von Sozial- und Haftungsrecht, wie Kretschmer, ArztR 2003, 144, 148 dies sieht, entspricht nicht der von der haftungsrechtlichen Rechtsprechung geschaffenen Realität. 447  Hierzu bereits früh mit erheblicher Systemkritik Broglie, ZaeFQ 1997, 639, 641 f.; Kramer, MedR 1993, 345. Für die vertragszahnärztliche Versorgung im Bereich erkannter Rationierungen v. Ziegner, VSSR 2003, 191, 206 ff. 448  Die Frage denkbarer Kontrahierungszwänge ist einheitlich unter §  5 I. 2. a) bb) diskutiert worden. Relevante Ansatzpunkte waren §§  95 Abs.  3 S.  1, 109 Abs.  4 S.  2 SGB V, §§  13 Abs.  7 BMV-Ä, 13 Abs.  4 BMV-Z, §  2 Abs.  1, 2, §  7 Abs.  1, 2, §  11 Abs.  1 der jeweils anwendbaren Berufsordnung, die Krankenhausgestaltungsgesetze der Länder (vgl. etwa §  2 Abs.  1 KHGG NRW) sowie zivilrechtlich-deliktische oder strafrechtliche Garantenpflichten. Hinzu traten Erwägungen zu Bindungswirkungen hoheitlicher Träger aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz iVm der Allgemeinheit zugänglich gemachten Ressourcen und Versorgungsstätten sowie dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Kontrahierungszwänge sind nach diesen Ansätzen partiell denkbar, werden jedoch ihrerseits durch Zumutbarkeitserwägungen im Hinblick auf die Situation der Behandlungsseite begrenzt. 449 Vgl. Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  193 ff. mwN; Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  150 ff. mwN.

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folgen.450 Dies erfasst als Grundsatzprogramm451 sämtliche Bereiche452 des SGB  V. Dazu gehören hierauf gestützte Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses und Entscheidungen des Einheitlichen Bewertungsausschusses. Dies gilt nicht, sofern Spezialregelungen anderes vorsehen (vgl. §§  2 Abs.  1a, 35c, 137e, 137h Abs.  4 SGB V; ob §  137c Abs.  3 SGB V ebenfalls als standardunterschreitender Ausnahmetatbestand zu erkennen ist, ist streitig453). Der Qualitätsanspruch wird über das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen454 gemäß §  139a Abs.  4 SGB V nach internationalen Standards verfolgt,455 so dass jedenfalls eine rein nationale Anerkennung therapeutischen Vorgehens, etwa in Form von Leitlinien nationaler Fachgesellschaften, nicht hinreicht.456 Das Sozialversicherungsrecht nimmt allerdings ungeachtet der Wirtschaftlichkeitsbeschränkung zunächst für sich in Anspruch, alle medizinisch notwendigen Leistungen auch anzubieten.457 Zudem bindet §  2 Abs.  1 S.  3 SGB V den medizinischen Fortschritt mit ein, an dem die Versicherten teilhaben sollen.458 Andererseits wird betont, dass die gesetzliche Krankenversicherung nicht dazu diene, den Fortschritt zu finanzieren.459 Daraus hat das BSG gefolgert, dass die Phase klinischer Erprobung bereits abgeschlossen sein müsse, wenn ein neues Medikament oder eine neue Behandlungstechnik zum Einsatz kommen und zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden sollen.460 Zentral ist die strukturelle Erkenntnis, dass für den ambulanten Bereich mit §§  135, 138 SGB V ein Verbot der Leistungserbringung zu Lasten der gesetzli450  Zum Prüfungsprogramm im stationären Bereich BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 §  2 Nr.  4, Rn.  14. 451  Vgl. zur nach wie vor geltenden Sichtweise der Rspr. BSGE 117, 10 = SozR 4-1500 §  13 Nr.  32, Rn.  11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 §  13 Nr.  29, Rn.  13 mwN; Hauck, NZS 2007, 461, 466 ff. Dies hat die Rspr. auch nach Änderung des §  137c Abs.  3 SGB V aufrechterhalten, vgl. BSG, NZS 2018, 694, 696 Rn.  17 f. Vgl. zur Kritik die Anm. Schifferdecker, NZS 2018, 698 ff. 452  Deutlich die Ansicht bei BSG, NZS 2013, 861 ff. 453  Dagegen mit klarer Positionierung BSG, NZS 2018, 694, 696. A. A. mit breiter Kritik an der Rechtsprechung des BSG Krasney, SGb 2018, 261 ff.; Hambüchen, Das Krankenhaus 2017, 978 ff. 454  Zur konkreten Interaktion mit dem Gemeinsamen Bundesausschusses finden sich entsprechende Regelungen in den Kap.  1 §§  16 ff. VerfO-GBA. 455 Vgl. Gaßner/Strömer, SGb 2011, 421 f. 456 Vgl. BT-Drucks. 16/3100, S.   151. S.a. die Erläuterungen bei BeckOK/von Dewitz, SGB V, 51. Ed. 2018, §  139a Rn.  23 f. 457 Zum anerkannten Selbstverständnis des sozialversicherungsrechtlichen Standards Frahm et al., MedR 2018, 447, 452. 458  Hierzu nun auch der Gesetzgeber im Bereich des §  137c Abs.  3 SGB V, vgl. BT-Drucks. 18/5123, S.  135. Unter Zurückweisung der Gesetzesbegründung als bindender subjektiver Teleologie jedoch BSG, NZS 2018, 694, 697 f. Rn.  25 mVa. BVerfGE 62, 1, 45 = NJW 1983, 735; BVerfGE 119, 96, 179 = NVwZ 2007, 1405; BSG, SozR 4-2500 §  62 Nr.  8 Rn.  20 f.; Hauck/ Wiegand, KrV 2016, 1, 4. 459  BT-Drucks. 11/2237, S.  157. 460  Vgl. BSG, NZS 1995, 361, 363.

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chen Krankenkassen bezüglich all jener diagnostischen und therapeutischen Mittel und Verfahren festgelegt ist, welche nicht vorab durch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zugelassen worden sind.461 Das zugehörige Verfahren legt der Gemeinsame Bundesausschuss auf Basis der Ermächtigung in §  91 Abs.  4 Nr.  1 SGB V selbst fest. Kap.  1 §  1 VerfO-GBA beschreibt diese zentrale Grundlage wie folgt: „(1) Die Verfahrensordnung bezweckt transparente und rechtssichere Entscheidungen, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und dessen Hinweisen zu Qualität, Versorgungsaspekten von Alter, biologischem und sozialem Geschlecht sowie lebenslagenspezifischen Besonderheiten entsprechen, die berechtigten Interessen der Betroffenen angemessen berücksichtigen und das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Sinne des §  12 Abs.  1 SGB V beachten. (2) Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt sie nach sektorenübergreifender Betrachtung auf der Grundlage der ihm gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeiten und der daraus entstehenden Verantwortung für die medizinische Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung.“

Der Gemeinsame Bundesausschuss verfolgt mit diesem Programmsatz konsequent die im SGB V angelegte Statik der Standardbestimmung, wonach es um die qualitativ sachgerechte Versorgung des Kollektivs gehen soll.462 Die Bestimmung des medizinisch Notwendigen, Ausreichenden und Zweckmäßigen erfolgt nicht in ständiger dynamischer Anpassung durch den einzelnen Arzt im Hinblick auf seinen Patienten,463 sondern durch ein geordnetes und insbesondere gestrecktes Verfahren, welches die gesundheitlichen Belange der Betroffenen im Auge hat. Diese sollen mit Blick auf den medizinischen Fortschritt aber auch vor unausgereiften und damit ggfls. gefährlichen Interventionen geschützt werden.464 Zugleich können die Bestimmung des medizinischen Standards und die letztlich freigegebene Versorgung aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen auseinanderdriften,465 was verfassungsrechtlich mit der Billigung beschränkter Leistungskataloge akzeptiert worden ist.466

461 Vgl. zum Verbot mit Erlaubnisvorbehalt KassKomm/Roters, SGB  V, 101. EL. 2018, §  135 Rn.  2. 462 Vgl. zur Standardbestimmung im SGB  V Becker/Kingreen/Scholz, SGB  V, 6.   Aufl. 2018, §  2 Rn.  3 f. mzN aus der Rspr. 463  So allerdings der haftungsrechtliche Ansatz, vgl. Hart, MedR 1998, 8 ff.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap X Rn.  13 mwN. Grundlegend Strache, Das Denken in Standards, 1968, S.  17. 464  Zweck ist einerseits der Schutz gegen denkbare Risiken für die Versicherten im konkreten Behandlungsfall, vgl. BSG, SozR 3-2500 §  135 Nr.  4, S.  9, 14; SozR 3-2500 §  135 Nr.  12, S.  54, 56, und andererseits die Verhinderung der Erbringung unwirtschaftlicher Leistungen zu Lasten aller Beitragszahler, vgl. BSG, SozR 3-2500 §  135 Nr.  21, S.  106, 115. 465 Vgl. Frahm et al., MedR 2018, 447, 452 ff. S.a. die prägnante Übersicht bei MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  111 mwN. 466  Vgl. BVerfG, NJW 1997, 3085; BVerfGE 115, 25 Rn.  57 f. = NJW 2006, 891.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

Die konkrete Standardermittlung fußt auf den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin467, Kap.  1 §  5 Abs.  2 VerfO-GBA. Gemäß Kap.  1 §  10 Abs.  2a, b, Abs.  3 VerfO-GBA hat der Gemeinsame Bundesausschuss Vorsorge dafür getroffen, dass je nach in Rede stehender Methode die einschlägigen Fachgesellschaften zeitgerecht zu Wort kommen, die gesetzlichen Stellungnahmerechte nach SGB  V eingehalten und fristgerecht eingehende Stellungnahmen ordnungsgemäß rezipiert werden. Sodann werden in Kap.  2 §§  4 ff. VerfO-GBA das Bewertungsverfahren beschrieben und die Bewertungskriterien insbesondere nach Evidenzstufen (Kap.  2 §  11 VerfO-GBA) und nach Entscheidungsmaximen (Kap.  2 §  13 VerfO-GBA) festgelegt. Auch steht die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens gemäß Kap.  2 §  14 Abs.  1 VerfO-GBA zu Gebote, wenn eine Standardbestimmung an Hand der Aktenlage im Sinne der Anforderungen der VerfO-GBA noch nicht hinreichend gesichert erscheint, die Erreichung des Evidenzgrades jedoch in naher Zukunft in Aussicht steht. Für stationäre Leistungen wird im Bereich zugelassener Krankenhäuser nach den §§  107 f. SGB V gemäß §  137c SGB V davon ausgegangen, dass es einer freigebenden Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses und dementsprechend einer vorherigen Erfassung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab gemäß §  87 Abs.  1, 2 SGB  V nicht bedarf.468 Gemäß §  137c Abs.  1 SGB  V erlässt der Gemeinsame Bundesauschuss jedoch per Richtlinie ein Verbot erstmaliger oder weitergehender stationärer Leistungserbringung zu Lasten der Krankenkassen, wenn die jeweilige Methode einem oder mehreren der geforderten Grundsätze (notwendig, ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich) widerspricht und dieselbe auch kein Potential für eine Erprobung nach §  137e SGB V bietet.469 Die vorliegend interessierenden Eckdaten des Bewertungsverfahrens nach der VerfO-GBA entsprechen den obigen Ausführungen zu ambulanten Leistungen. Solange der Gemeinsame Bundesausschuss zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Sektor nicht entschieden hat, gilt §  137c Abs.  3 SGB V, dessen Regelungsgehalt streitig ist.470 Trotz kassatorischer Legislation steht der 1. Senat des BSG nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die Standardbestimmung des §  2 Abs.  1 S.  3 SGB V mit allen entsprechenden Aner-

467  Vgl. BSGE 81, 54 = NZS 1998, 331; BSGE 86, 54 = NZS 2001, 259; BSGE 113, 167 = SozR 4-2500 §  137c Nr.  6; zum Hintergrund KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL 2018, vor §  135–139 Rn.  19 ff. 468  Zum Hintergrund insbesondere der Reform des §  137c Abs.  3 SGB V RegE GKV-VSG BT-Drucks. 18/4095, S.  121. Hinsichtlich gegebener Prüfungsmöglichkeiten seitens der Krankenkassen Felix, MedR 2016, 93 ff.; Hauck, GesR 2014, 257 ff.; Axer, GesR 2015, 641 ff. 469 Zu Verfahren und Hintergrund KassKomm/Roters, SGB  V, 101. EL. 2018, §   137c Rn.  3 ff. 470  Zum Streitstand Anm. Schifferdecker, NZS 2018, 698 ff. zu BSG, NZS 2018, 694; KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  137c Rn.  16 ff.; BeckOK/Propp, SGB V, 51. Ed. 2017, §  137c Rn.  29 f.

V. Kostendruck und Standard

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kennungsvoraussetzungen für eine Abrechenbarkeit zu Lasten der Krankenkassen auch in §  137c Abs.  3 SGB V zum Tragen kommt.471 b) Der zivilrechtliche Haftungsmaßstab Der zivilrechtliche Maßstab, an Hand dessen ein Haftungsstreit zwischen Arzt und Patient zu entscheiden ist, folgt den rechtlichen Vorgaben der §§  630a Abs.  2, 276 Abs.  2 BGB. Das Gesetz verlangt die Einhaltung der „zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“. Der Gesetzgeber hat hierzu die hergebrachte Definition übernommen, wonach auf den „jeweiligen Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlicher Erfahrung abzustellen [sei], der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.“472 Dieser soll abstrakt-generell mit Blick auf die Zuspitzung des Facharztstandards durch die Anforderungen des jeweiligen ärztlichen Fachbereichs ausgefüllt und typischerweise entsprechend angeführter Rechtsprechung473 in zugehörigen Leitlinien beschrieben sein.474 Die Literaturstimmen im zivilrechtlichen Haftungsrecht wie auch die ständige Rechtsprechung gehen allerdings davon aus, dass für die Standardbestimmung die jeweiligen Leitlinien allenfalls indizielle Wirkung475 haben und mit Blick auf Aktualität und Passgenauigkeit stets kritisch gewürdigt werden müssen, wenn es um die Übertragung auf den Einzelfall geht.476 Standardgerechtes Vorgehen ist somit insbesondere auch die Übertragung und Nutzung des medizinischen Wissens und der Methodik in Bezug auf Indikation und individuelle Konstitution des jeweiligen Patienten.477 Zur Bestimmung kommt es auf die Ausführungen seitens des im Prozess regelmäßig zu berufenden Sachverständigen an. Er muss eine Gesamtwürdigung aller Umstände a priori vornehmen,478 soweit sich aus der Patientendokumentation, der Untersuchung des Patienten in seiner gegenwärtigen Konstitution und aus an471 

BSG, NZS 2018, 694, 695 f. BT-Drucks. 17/10488, S.  19. 473  Die Gesetzesbegründung verweist auf BGH, VersR 2010, 214 f.; OLG Hamm, NJW 2000, 1801 ff.; Carstensen, DÄBl.  1989, B 1736, B 1737. 474 So BT-Drucks. 17/10488, S.   19, ohne auf die Problematik der Standardbestimmung durch Leitlinien einzugehen. 475 Eine breite Übersicht bieten Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.   Aufl. 2018, S.  545 ff. mzN. Ausführlich Hart (Hrsg.), Klinische Leitlinien und Recht, 2005, passim; ders., Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht, 2005, passim; ders., GesR 2011, 387 ff.; Taupitz, AcP 211 (2011), 352, 371 ff.; Rehborn, GesR 2011, 391 ff. 476  Deutlich BGH, NJW-RR 2014, 1053, 1055 Rn.  17. S.a. BGHZ 144, 1, 9 = NJW 2000, 1784. 477  Zur Zusammensetzung der medizinischen Indikation als zentralen Ausgangspunkt für die Behandlungs- und Standardbewertung BeckOGK/Spindler, BGB, 2018, §  823 Rn.  773 mwN. Zur Illustration der Standardentwicklung J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  30 ff. 478  Grundlegend zur korrespondierenden Sachverständigenwürdigung des Einzelfalls als 472 

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

deren greifbaren Erkenntnisquellen wie Zeugenaussagen und Vorbringen der Parteien Fakten entnehmen lassen. Zentral ist zudem, dass gemäß den hergebrachten Rechtsprechungsgrundsätzen, die sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht hat,479 die haftungsrechtliche Standardbestimmung das Gebot der Wirtschaftlichkeit im Sinne des §  12 Abs.  1 SGB V nicht kennt.480 Allerdings ergeben sich kostenrechtliche Einflüsse, wann immer streitrelevante Leitlinien auch nur partiell kostensensibel481 gestaltet sind482 oder der medizinische Sachverständige den Kostenaspekt bei der Indikation streitentscheidender Diagnostik oder Therapie berücksichtigt.483 Es sei beachtet, dass es diesbezüglich zwei Varianten gibt. Leitlinien und Sachverständige können Kostensensibilität offen bekunden, so dass das erkennende Gericht im Rahmen rechtlicher Inkorporation in den Urteilsgründen transparent darüber befindet, ob derartige Wirtschaftlichkeitseinflüsse haftungsrechtlich beachtlich sein sollen.484 Oder aber Kosten-Nutzen-Abwägungen werden stillschweigend durch die medizinische Fachwelt einbezogen. Das führt dazu, dass diese mangels medizinfachlicher Kenntnisse von den Gerichten im Rahmen gutachtengestützter Urteilsbegründungen unbewusst übernommen werden. Dann ist der Wirtschaftlichkeitsfaktor jedoch nicht durch die zur Entscheidung berufene Instanz inkludiert worden und damit in der Sache rechtlich nicht oder allenfalls insoweit legitimiert, als von Akzeptanz ungewissen Umfangs einer solchen Einbindung durch die medizinischen Fachgesellschaften gesprochen werden könnte.485 Da Letzteres weder in Gesetzgebung noch Rechtsprechung ersichtlich ist, haben die Gerichte zur Sicherung demokratischer und rechtsstaatlicher Legitimation konkret zu hinterfragen, ob eine verdeckte Kostensensibilität in die abschließende Beurteilung des Sachverständigen Einzug gehalten hat. Dass diese Ergründung in der Gerichtspraxis regelmäßig ausbleibt, führt zu der rechtstatsächlichen Erkenntnis, dass die haftungsrechtliche Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeitsaspekten tatrichterliches Element BGHZ 172, 1 = NJW 2007, 2767 Rn.  17 ff.; NJW-RR 2008, 263 = VersR 2008, 221 Rn.  13. 479  Vgl. BGH, NJW 1983, 2080; 1954, 290; OLG Düsseldorf, MedR 1984, 69; OLG Hamm, NJW 1993, 2387. 480  BT-Drucks. 17/10488, S.  19 f. 481 Aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet in den Beiträgen bei Marckmann (Hrsg.), Kostensensible Leitlinien, 2015. Wie dies im Einzelnen aussehen kann, illustrieren insbesondere Gartner-Freyer et al., in: Marckmann (Hrsg.), a. a. O., S.  65 ff. und Schnell-Inderst et al., in: Marckmann (Hrsg.), a. a. O., S.  83 ff. 482  Als Diskussionsansatz unter mehreren Problemlösungsmodellen erörternd Frahm et al., MedR 2018, 447, 455 f. 483 Zur kritischen Würdigung der Kostensensibilität aus medizinischer Beurteilung im Rahmen von Leitlinien Huster/Held, in: Marckmann (Hrsg.), Kostensensible Leitlinien, 2015, S.  123 ff.; Hauck, in: Marckmann (Hrsg.), a. a. O., S.  137 ff. S.a. Schmitz-Luhn, Priorisierung in der Medizin, 2015, S.  167 f., 183 f. 484  So angedeutet bei OLG München, MedR 2006, 362 f. 485  Zur Legitimationsproblematik ausführlich §  3 I. 2. a) cc) und II. 2. und 3.

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in den Fällen unerkannter Einbindung in die streitrelevante medizinische Leitlinie denkbar und bislang ohne judikative Überprüfung geblieben ist. c) Kollisionserörterung – Verhaltensvorgaben aus zivil- und sozialrechtlicher Sicht aa) Kostentragung und Schutzkonzept der Aufklärungspflichten – Keine eigenmächtige Standardunterschreitung im Zivilrecht Die Verschränkung von Kostentragung und bürgerlich-rechtlichen Vorschriften ist dem Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes im Rahmen der Schaffung der §§  630a ff. BGB bewusst gewesen.486 Im Ausgangspunkt stehen sich die ärztliche Pflicht zur standardgerechten Behandlung nach §  630a Abs.  2 und das Ausbleiben der Entgeltzahlungspflicht gemäß §  630a Abs.  1 aE. BGB beim gesetzlich versicherten Patienten gegenüber. Daher kann die Behandlungsseite auch nur nach den Regeln des Sozialversicherungsrechts und nur gegenüber den dort genannten Schuldnern Vergütung beanspruchen.487 Sind Leistungen sozialversicherungsrechtlich nicht erfasst, ist der Patient vor der Behandlung gemäß des bereits eingehend erörterten488 §  630c Abs.  3 S.  1 BGB wirtschaftlich zu belehren. Andernfalls kann dem Patienten ein Schadensersatzanspruch gemäß §  280 Abs.  1 BGB in der Höhe erwachsen, in welcher er Entgelt leisten müsste, so dass aufgerechnet werden könnte.489 Der Arzt kann sich aber auch nicht ausschließlich an die kassengetragenen Leistungen halten, da §  630e Abs.  1 S.  3 BGB vor Durchführung eines Eingriffs im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung auch die Belehrung über echte Behandlungsalternativen verlangt.490 Ob Alternativen im Sinne des §  630e Abs.  1 S.  3 BGB existieren, bestimmt sich unabhängig davon, wer für ihre Durchführung kostentechnisch aufkommen muss.491 Stellt sich dabei heraus, dass der Patient eine Variante wünscht, die sich nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung und auch 486  Dies ergibt sich sowohl aus der bereits langjährig geführten Debatte hierum als auch aus der gesetzlich angelegten Verschränkung in §  630a Abs.  1 aE. BGB, die maßgeblich auf das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zielt (vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  18, 19). Trotz dieser Kenntnislage fand die Problematik erstaunlicherweise keinen Eingang in die Gesetzesmaterialien, vgl. insbesondere die Erörterung zwischen Bundesrat und Bundesregierung, BTDrucks. 17/10488, S.  37, 52. 487  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  18, 19; MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630a Rn.  16 f. mwN. 488  Ausführlich behandelt unter §  5 III. 489  AllgM. vgl. NK/Voigt, BGB, 3.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  25. 490  Hierzu BT-Drucks. 17/10488, S.  24. Vgl. zur fortbestehenden Rechtslage vor dem Patientenrechtegesetz etwa BGHZ 102, 17, 20 = NJW 1988, 763, 764; BGHZ 116, 379, 385 = NJW 1992, 743, 744; BGH, NJW 1988, 765, 766; 2005, 1718; 2012, 850; BGH, MedR 2015, 721. 491 Weder BGH noch Gesetzgeber beziehen den Kostenaspekt ein, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  24 mVa. BGH, NJW 2005, 1718 ff. Frahm et al., MedR 2018, 447, 454 betonen im Fall der Öffnung die Notwendigkeit einer zweistufigen Standardbestimmung, wobei auf erster Stufe die Wirtschaftlichkeitsfrage außen vorgelassen werden müsse.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

nicht stationär nach §  137c Abs.  3 SGB V zu Lasten der Kassen erbracht werden darf, greift neuerlich die wirtschaftliche Informationspflicht des §  630c Abs.  3 S.  1 BGB mit den genannten Folgen. Der Patient kann im Anschluss auf Basis vollständiger Kenntnis der entscheidungsrelevanten Umstände bestimmen, ob er Selbstzahlerschaft oder kassengetragenes Verfahren wünscht. Das gesetzlich angelegte Schutzkonzept der Hinwirkung auf eine informierte Entscheidung, welches mit der dynamischen Verweisung des §  76 Abs.  4 SGB V auch im Sozialrecht Anerkennung gefunden hat,492 erscheint lückenlos und an die haftungsrechtlich ausgeblendeten Wirtschaftlichkeitserwägungen des Sozialversicherungsrechts angepasst. Der sozialrechtliche Ansatz spiegelt in §  76 Abs.  4 SGB V die vollständige Akzeptanz des bürgerlich-rechtlichen Haftungsansatzes.493 Daraus folgt nach der Systembildung de lege lata, dass das Zivilrecht auch nicht, wie Kretschmer postuliert hat,494 dem sozialversicherungsrechtlichen Standard folge oder diesen jedenfalls nicht überschreite.495 Das kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil andernfalls echte Behandlungsalternativen entweder jegliche Betrachtung außerhalb GKV-getragener Leistungen zu ignorieren hätten. Dies würde das oben dargestellte sinnhafte, vom Gesetzgeber gezielt in das Gesetz aufgenommene Zusammenspiel der §§  630a Abs.  1 aE., Abs.  2, 630c Abs.  3 S.  1 und 630e Abs.  1 S.  3 BGB unterminieren.496 Oder aber es müsste davon ausgegangen werden, dass der Arzt ungeachtet etwaiger, der GKV-Leistung überlegener Alternativen standardgerecht im Sinne des §  630a Abs.  2 BGB handelte und ein Behandlungsfehler grundsätzlich insoweit entfiele. Diese Sichtweise würde dem erklärten gesetzgeberischen Willen diametral widersprechen, der sich auf die hergebrachte Rechtsprechung zum standardgerechten ärztlichen Verhalten stützt und dessen Fortgeltung angeordnet hat.497 Damit wurde zugleich verhindert, dass zwei grundlegend zu unterscheidende Standardbegriffe – je nach Versichertenstatus des Patienten – entstehen.498

492  LSG Schleswig, BeckRS 2007, 40971; BeckOK/Wendtland, SGB V, 51. Ed. 2018, §  76 Rn.  33, 35; Vgl. zu den gesetzgeberischen Motiven Dettling, VSSR 2006, 1, 11 ff. 493 Neuerlich treffend beschrieben durch das Schonungs- und Akzeptanzprinzip nach Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  83, 88. 494 Vgl. Kretschmer, ArztR 2003, 144, 148. 495  Zu den wesentlichen Problemlagen bereits oben §  5 IV. 2. b), 3. Dagegen auch Frahm et al., MedR 2018, 447, 454 mit Hinweis auf die Legitimationsschwäche des GBA, die Frage der Entscheidungsreichweite und die möglicherweise gebotene Differenzierung zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten. 496  Vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  24. 497  So BT-Drucks. 17/10488, S.  19, 20. 498  Der Gesetzgeber stellt ausdrücklich für die durch die Parteien unveränderte Standardbestimmung auf die jeweilige Behandlungsseite, nicht auf den Versichertenstatus des Patienten ab, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  19.

V. Kostendruck und Standard

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bb) Standardunterschreitung durch Vereinbarung Stellt sich die nicht kassengetragene Behandlung ausnahmsweise als einzige Variante zur GKV-Leistung dar (Eingangsbeispiel Liposuktion)499, den haftungsrechtlich unveränderten Standard des §  630a Abs.  2 BGB zu erfüllen, und gibt es eine dem Patienten nützliche, wenngleich für seine Situation suboptimale GKV-Leistung, so stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer standardunterschreitenden Vereinbarung.500 Eine solche Vereinbarung verlangt zunächst nach entsprechender Belehrung über die denkbaren Behandlungsrisiken und -alternativen. Andernfalls kann weder im rechtsgeschäftlichen Bereich noch im Fall rechtfertigender Einwilligung nach deliktischen Grundsätzen davon gesprochen werden, dass der Patient Gegenstand und Inhalt hinreichend versteht.501 Insoweit ist die offene Formulierung des §  630a Abs.  2 BGB entweder restriktiv zu interpretieren oder, wenn davon ausgegangen wird, dass dies mit dem Gesetzestext nicht mehr in Einklang zu bringen ist, teleologisch zu reduzieren.502 Demgegenüber erscheint ein Verweis auf die allgemeine Rechtsgeschäftslehre mit der Möglichkeit der Anfechtung gemäß §§  119, 142 Abs.  1 BGB wegen rechtserheblicher Irrtümer der patientenseitigen Erklärung weder dogmatisch überzeugend503 noch schutzgerecht.504 499 

S. o. §  5 V. 1. c). Zur Übersicht BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  190 f. mwN. 501 Ebenso Neelmeier, NJW 2015, 374, 375. 502  Für letzteren Ansatz Neelmeier, NJW 2015, 374, 375. Zweifelnd BeckOGK/Spindler, BGB, 2018, §  823 Rn.  784 mit Verweis auf eine dogmatische Unschärfe. Diese Kritik vermag jedoch nicht zu überzeugen, ist doch das dogmatische Problem ausschließlich dadurch geschaffen worden, dass der Gesetzgeber den rechtlichen Zusammenhang von §  630a Abs.  2 2. HS. BGB und §  630d Abs.  1, 2, §  630e Abs.  1 BGB respektive den Grundsätzen deliktischer Einwilligung nicht erkannt hat. Auch Spindler will im Zweifel nicht behaupten, dass eine vertragliche Haftungserleichterung ohne die erforderliche Aufklärung möglich sein soll, da diese Vereinbarung – einmal wirksam geschlossen – in vergleichbarer Weise wie die Einwilligung den therapeutischen Eingriff legitimiert, indem das standardgerechte Vorgehen rechtsverbindlich festgelegt wird. Der Patient unterliegt im rechtsgeschäftlichen Bereich aber demselben Wissensgefälle, wie dies im Rahmen der Einwilligung iSd §  630d Abs.  1 S.  1 BGB der Fall ist. 503  A. A. Nußstein, VersR 2018, 1361, 1362 ff., der die Regeln über Willensmängel vorbehaltlos anwendet. 504  Da der Irrtum für die Behandlungsseite mit Ausnahme des als medizinisch vollinformiert zu erachtenden Patienten stets erkennbar ist (schließlich ist es an der Behandlungsseite selbst, durch Information diesen Irrtum zu vermeiden, §§  630c Abs.  2 S.  1, 630e Abs.  1 BGB), kann diese nach Auslegung der Annahmeerklärung einer standardunterschreitenden Abrede sich gemäß §§  133, 157 BGB nicht belastbar darauf berufen, man habe aus der Zustimmung Wunsch und Anerkennung des Patienten zur Durchführung der suboptimalen Behandlungsmethode verstehen dürfen. Vielmehr handelt es sich um einen halboffenen, halbverdeckten Dissens, welcher nach den Grundsätzen der §§  154, 155 BGB nur bei Belastung der schutzunwürdigen Partei zum Vertragsschluss führt, da es sich andernfalls um die Ausnutzung eines erkannten Irrtums handelt, vgl. MüKo/Busche, BGB, 8.  Aufl. 2018, §  154 Rn.  4 und §  155 Rn.  8 mVa. RGZ 93, 297, 299; BGH, BB 1983, 927. Hinzu tritt der Umstand, dass die Eingriffseinwilligung des Patienten auf dem vereinbarten Sorgfaltsmaßstab basiert und spätestens für 500 

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Das Fehlen wirtschaftlicher Information berührt die Wirksamkeit der Vereinbarung jedoch nicht, da der Patient sich in diesem Fall durch Aufrechnung der Entgeltverpflichtung entziehen kann, wenn er sich für die nicht kassengetragene Leistung entscheidet.505 Diese fehlende Information ist somit für die Vereinbarung nur dann relevant, wenn die Behandlungsseite im Anschluss gemäß §§  630a Abs.  1, 630b, 612 Abs.  1, 2 BGB iVm GOÄ/GOZ Entgeltzahlung beanspruchen möchte.506 Sodann muss nach rechtsgeschäftlicher Abrede zur diese eine Aufklärung gemäß §  630e Abs.  1, 2 BGB Wirksamkeitsvoraussetzung ist, vgl. §  630d Abs.  2 BGB. Daher muss spätestens im Zeitpunkt der Risiko- und Alternativaufklärung gemäß §  630e Abs.  1 BGB der ärztliche Hinweis auf die avisierte Standardunterschreitung deutlich werden, um eine informierte Einwilligung gemäß §  630d Abs.  1, 2 BGB zu erreichen. Folgte man Nußstein, VersR 2018, 1361, 1362 ff. und wendete die Anfechtungsregeln vorbehaltlos an, so fielen in der Zurückweisung der Behandlung wegen Standardunterschreitung die Anfechtung der Abrede nach §  630a Abs.  2 2. HS. BGB und die Verweigerung der Einwilligung gemäß §  630d Abs.  1 BGB zusammen. Stimmt der Patient nach Aufklärung aber zu, unterliegt er spätestens jetzt keinem Irrtum mehr und müsste unverzüglich anfechten, um den Ausschluss des §  121 BGB nicht zu verpassen. Und soweit davon ausgegangen würde, dass nicht alle zur Anfechtung berechtigenden Irrtümer auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung gemäß §  630e Abs.  1 BGB vorkommen, vermögen diese wiederum keine Standardmodifikation iSd §  630a Abs.  2 BGB zu begründen, in welche nicht eingewilligt werden könnte. Es kann sich dann stets nur um solch marginale Standard-„unterschreitungen“ (sofern dieser Terminus in diesen Fällen korrekt sein kann) handeln, dass diese im haftungsrechtlich zulässigen Standardkorridor liegen müssen, mithin also der ärztlichen Therapiefreiheit überantwortet sind, vgl. BGH, NJW 1987, 2291, 2292 (es bedarf einer „vertretbaren“, keiner optimalen Entscheidung, um einen Behandlungsfehler zu vermeiden); Katzenmeier, in: Laufs/ Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  83 ff., 89. Letztens besteht die Möglichkeit, dass beim Patienten ein Irrtum trotz ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärungsverhaltens verbleibt, den der Arzt nicht bemerkt hat. Dieser wäre geeignet, standardunterschreitende Abreden im Wege der Anfechtung gemäß §  142 Abs.  1 BGB rückwirkend zu zerstören und das Behandlungsgeschehen sowohl fehlerhaft als auch rechtswidrig erscheinen zu lassen. Jedoch fehlt es in diesem Fall stets am ärztlichen Verschulden, sofern der Arzt den Nachweis erbringt, dass er den Irrtum beim Patienten nicht erkannt und sich um das Erkennen denkbarer Irrtümer hinreichend befleißigt hat. Diese Lösung ist die Parallele zu entsprechenden Willensmängeln in der Einwilligung, die die Behandlungsseite nicht erkennen konnte, und daher mit dieser gleich zu behandeln, vgl. OLG Koblenz, VersR 2016, 465; MedR 2016, 274; NJW 2015, 79; NJW-RR 2015, 21 f.; zur grundsätzlichen Möglichkeit des fehlenden Verschuldens mit Blick auf Aufklärung und Einwilligung BGH, VersR 2008, 209, 210; MedR 2011, 244, 245. Zur Entwicklung der Problematik von Willensmängeln im Rahmen der Einwilligung ausführlich Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  356 ff. Es sei abschließend im Hinblick auf die dogmatische Diskussion angemerkt, dass ein vollständiger Ausschluss der Anfechtungsregeln in Anlehnung an die Lehre zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis (vgl. ErfKomm/Preis, BGB, 19.  Aufl. 2019, §  611a Rn.  145 ff. mzN.) nicht trägt, da es einerseits gerade am Arzt als wissenstechnisch besonders überlegenem Dienstleister ist, für Aufklärung a priori zu sorgen, so dass bei deren Fehlen nicht von Schutzwürdigkeit der Behandlungsseite ausgegangen werden kann. Und andererseits entstehen im Arzt-Pa­tientVerhältnis auch nicht die klassischen Rückabwicklungsprobleme, denen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach lange gelebter Vertragsbeziehung ausgesetzt sehen. 505  BT-Drucks. 17/10488, S.  2 2; BGH, VersR 2000, 999. 506  Nur ausnahmsweise, wenn die die Behandlungsseite die wirtschaftlichen Umstände erkennt, kontrolliert der BGH den gesamten Behandlungsvertrag an Hand der hergebrachten

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Standardunterschreitung (1) und informierter Einwilligung in den ärztlichen Eingriff (2) unterschieden werden, bevor die Grenzen vor dem Hintergrund denkbarer Kontrahierungszwänge beurteilt (cc) und die ärztliche Verfolgung ökonomischer Motive (dd) bewertet werden können. (1) Rechtsgeschäftliche Vereinbarung gemäß §  6 30a Abs.  2 2. HS. BGB Rechtsgeschäftlich schuldet der Arzt ab Vertragsschluss die Durchführung des gesamten Behandlungsprocederes nach den Vorgaben des §  630a Abs.  2 BGB. Standardunterschreitende Individualvereinbarungen werden vorher oder gleichzeitig nur in jenen Fällen in Betracht kommen, in denen aufgrund früher bekannter oder noch vor Vertragsschluss ersichtlicher Umstände entsprechende Erwägungen möglich sind, bspw. auf Basis von Vorwissen aus einem früheren Behandlungsverhältnis. Typischerweise wird der Behandelnde jedoch erst nach Anamneseerhebung und diagnostischen Ansätzen feststellen, dass weitere (besondere) Diagnostik oder therapeutische Maßnahmen geboten sind, auf die der hier zu erörternde Fall zutrifft (mindestens zwei alternative Vorgehensweisen, von denen nur die qualitativ Schwächere kassengetragen ist). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit formularmäßigen Vereinbarungen zur Standardunterschreitung unterbleibt an dieser Stelle, da dieselben durchweg  – außerhalb reiner Leistungsbeschreibung507 – jedenfalls an §  309 Nr.  7a BGB und zumeist auch an §  305c Abs.  1 BGB508 scheitern.509 Solange also die Standardbeschreibung nicht gesetzgeberseitig510 grundlegend einen inhärenten Bestandteil in Form ökonomischer Begrenzung erhält, steht das Kontrollrecht der §§  305 ff. BGB einer formularmäßigen Aufnahme zwingend entgegen.511 Rechtsprechung zu sittenwidriger finanzieller Überforderung gemäß §  138 Abs.  1, 2 BGB, sofern sich der Patient als Selbstzahler in einer besonderen Überforderungssituation befindet, vgl. BGHZ 102, 106 = NJW 1988, 759. 507  Hierzu BGHZ 95, 63 = NJW 1985, 2189; BGHZ 121, 107 = NJW 1993, 779; OLG Koblenz NJW 1998, 3425 f. Kritisch Spickhoff, NZS 2004, 57, 62. Zur dogmatischen Erfassung und zur Auseinandersetzung mit den Hinweisen von Spickhoff vgl. J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  15 Fn.  11, S.  16 Fn.  13. Zu Krankenhausaufnahmeverträgen auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Stoffels, AGB-Recht, 6.  Aufl. 2013, „Klauseln“ Rn. K 52. 508  Für die Frage der patientenseitigen Erwartungshaltung im Hinblick auf das ähnlich gelagerte Problem des gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrages Stoffels, AGB-Recht, 3.  Aufl. 2015, §  11 Rn.  343 mVa. BGH, NJW 1993, 779 f.; OLG Koblenz, NJW 1998, 3425. 509  So auch die BReg in ihrer Stellungnahme, vgl. BT-Drucks. 17/10488, S.  52. 510  Eine rein judikative Abkehr ist seit dem Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 vor dem Hintergrund der Gesetzesbindung des Art.  20 Abs.  3 GG nicht mehr zulässig, da die bisherige Rechtslage ohne besagte wirtschaftliche Standardbeschreibung gezielt Gesetz geworden ist. 511  Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass selbst außerhalb des zwingenden Bereichs des §  309 Nr.  7a BGB die Rechtsprechung das Aushöhlen von Kardinalpflichten des Vertrages durch vorformulierte Bedingungen an Hand von §  307 Abs.  2 Nr.  2 BGB bewertet, vgl. Stoffels, AGB-Recht, 3.  Aufl. 2015, §  37 Rn.  976. So ist eine Beschränkung auf Vorsatz und grobe

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(a) Gesetzeswortlaut und subjektive Teleologie §  630a Abs.  2 2. HS. BGB eröffnet den Parteien – ebenso wie dies schon die Rechtslage vor dem Patientenrechtegesetz im Rahmen der Vertragsfreiheit zugelassen hat – die Möglichkeit einer abweichenden Vereinbarung. Inhalt und Grenzen einer solchen Vereinbarung werden durch §  630a Abs.  2 BGB nicht beschrieben. Ebenso wenig hilft der Rückgriff auf die vor dem Patientenrechtegesetz angewendete allgemeine Vorschrift des §  276 Abs.  2 BGB zur Ermittlung anzulegender Sorgfaltsmaßstäbe.512 Die zentrale Passage der Gesetzesbegründung zur Vorschrift lautet: „Es entspricht der Dispositionsmöglichkeit der Parteien, einen von den anerkannten fachlichen Standards abweichenden Standard der Behandlung zu verabreden. Die medizinische Behandlung muss außerdem grundsätzlich offen sein für neue Behandlungsmethoden. Mithin führt ein Abweichen des Behandelnden vom gültigen Standard nicht notwendig zu einem Behandlungsfehler. Entsprechendes dürfte auch dann gelten, soweit der Behandelnde plausibel begründen kann, dass die Befindlichkeit seines Patienten so stark von der Regel abweicht, dass eine modifizierte Strategie ergriffen werden musste. Insofern soll dem Behandelnden sowohl beim diagnostischen Verfahren als auch im Therapiebereich ein ausreichender Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum verbleiben, in dessen Rahmen er zur pflichtgemäßen Ausübung seines Ermessens verpflichtet ist.“513

Der Gesetzgeber klärt die Problematik der Verpflichtungsabrede zur Standardunterschreitung hierdurch nicht, sondern verweist zunächst lediglich auf die Dispositionsfreiheit der Parteien. Dies wird sodann in den Kontext erwägenswerter Abweichungen gestellt, wobei es um die Beschreitung neuer Wege und patientenzentrierter Anpassungen im Einzelfall geht. Hieraus könnte einerseits eine Fortsetzung des Gedankengangs gefolgert werden, dass jegliche Standardabweichung – auch die Vereinbarte – stets von medizinischen Gründen nach sorgsamer Ausübung „pflichtgemäßen […] Ermessens“ getragen sein müsste. Dann könnte eine Standardunterschreitung aus rein ökonomischen Gründen ausgeschlossen sein, da diese gegen einen unveränderlichen und damit der Disposition der Parteien entzogenen Kernbestandteil des §  630a Abs.  2 BGB verstieße. Andererseits lässt sich die Gesetzesbegründung aber auch so lesen, dass der Gesetzgeber den Parteien ausschließlich die Grenze gesetzlicher Verbote iSd §  134 BGB, sittenwidriger Umstände iSd §  138 BGB und des AGBRechts nach den §§  305 ff. BGB setzen wollte, also ein Verweis auf die allgemeinen Grenzen implizierte. Dies würde, sofern man eine Standardunterschreitung aus ökonomischen Gründen nicht als sittenwidrig erachtete, zu dem Ergebnis führen, dass entsprechende Parteivereinbarungen als Individualabrede nicht beFahrlässigkeit im Krankenhaus wegen Reinigung und Desinfektion der eingebrachten Sachen des Patienten unwirksam, vgl. BGH, NJW 1990, 761, 764 f. 512  Statt vieler MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, vor §  630a Rn.  20. 513  BT-Drucks. 17/1048, S.  20.

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anstandungswürdig erschienen. Eine belastbare Entscheidung allein auf Basis des Begründungstextes ist nicht möglich. In der Stellungnahme des Bundesrats wird die Öffnungsklausel des §  630a Abs.  2 2. HS. BGB als zu weitgehend, allgemeiner Haftungsfreizeichnung Tür und Tor öffnend und damit dem ärztlichen Leitbild widersprechend gerügt.514 Insbesondere sei nicht hinzunehmen, dass die Behandlungsseite sich Absenkungen unter anerkannte Mindeststandards zusichern lasse, wobei dem Patienten zumeist ohnehin nicht präzise klar sei, auf welches Risiko er sich einlasse.515 Der Bundesrat schlug daher folgende Änderung vor: „In Artikel 1 Nummer 4 ist §  630a Absatz 2 wie folgt zu ändern: a) Nach dem Wort ‚erfolgen‘ sind die Wörter ‚soweit nicht etwas anderes vereinbart ist‘ zu streichen. b) Folgender Satz ist anzufügen: ‚Soweit solche Standards nicht bestehen, hat die Behandlung unter Beachtung der für den jeweiligen Berufsstand geltenden medizinischen Sorgfaltsanforderungen zu erfolgen.‘“516

Die Bundesregierung hat diesen Änderungsvorschlag nicht aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass die bisherige Rechtslage aufrechterhalten werde und die Öffnung der Sicherung des Eingangs des medizinischen Fortschritts in die konkrete Behandlungssituation diene.517 Die Gefahr von Haftungsfreizeichnungsklauseln wird vor dem Hintergrund bisheriger Rechtsprechung von §  309 Nr.  7a BGB für abwegig gehalten, die Frage der Individualvereinbarung einer Standardunterschreitung aus welchem Grund auch immer nicht erörtert.518 Damit wurde in diesem Rahmen die Frage der Zulässigkeit einer Standardunterschreitung aus ökonomischen Gründen nicht entschieden.519 Mit der Entscheidung gemäß Textfassung der Bundesregierung im zitierten Gesetzentwurf hat der Gesetzgeber letztlich von der Variante des Bundesrates gezielt abgesehen und damit erkennbar eine Entscheidung gegen den Ausschluss von Vereinbarungen zur Standardunterschreitung gefasst. Andere Gesetzesmaterialien wie die parlamentarischen und die Ausschussdebatten bieten zur konkreten Fragestellung keinen weitergehenden Aufschluss.520 Somit bleibt es bei der Tendenz, dass keine Abweichung zur Rechts514 

BT-Drucks. 17/10488, S.  37. BT-Drucks. 17/10488, S.  37. 516  BT-Drucks. 17/10488, S.  37. 517  BT-Drucks. 17/10488, S.  52. 518  BT-Drucks. 17/10488, S.  52. 519  Diesbezüglich mit Recht kritisch Hart, GesR 2012, 385, 388; Katzenmeier, in: Laufs/ Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap. X Rn.  32. 520  Im Referentenentwurf war die Öffnungsklausel noch nicht aufgenommen, wogegen sich wegen angeblich hiermit einhergehender Beschränkungen der ärztlichen Therapiefreiheit Widerstand regte, vgl. BÄK/KBV, Gemeinsame Stellungnahme v. 9.3.2012, www.bundesaerztekammer.de/downloads/. StellBAeK_KBVPatientenrechtegesetz_09032012.pdf (Abruf515 

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lage vor dem Patientenrechtegesetz herbeigeführt, sondern die bis dahin geltende Rechtslage in das formelle Gesetz aufgenommen werden sollte.521 Dies bedingt einen näheren Blick in die Rechtsprechung. (b) Hergebrachte Judikatur als Näherung der subjektiven Teleologie (aa) Das OLG Stuttgart hatte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1977 über „Krankenhausbestimmungen“ zu befinden, die eine Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit für Behandlungs- und Aufklärungsfehler vorsahen.522 Diese Bestimmung hielt das Gericht mit Blick auf die besonders schutzwürdigen Belange von Leben, Körper und Gesundheit sowie vor dem Hintergrund einer faktischen Monopolstellung der Beklagten im betroffenen lokalen Einzugsgebiet für unwirksam, da sich hieraus ein Verstoß gegen §§  138, 242 BGB ergebe. Aus dieser Entscheidung ist in der Literatur teilweise gefolgert worden, dass die Rechtsprechung standardunterschreitende Vereinbarungen grundsätzlich mit einer scharfen Inhaltskontrolle bedenke.523 Das gilt gemäß der Ansicht des OLG Stuttgart jedoch erstens mit Blick auf eine Monopolstellung nur im Einzelfall, die besondere Abhängigkeit bedingt, und zweitens vor dem Hintergrund, dass die Klausel eine grundsätzliche Haftungserleichterung vorsah, die bei jedem Fehler eingegriffen hätte. Nur zu diesem Fall passt auch der Hinweis auf die erleichterte Sicherung von Haftpflichtschutz durch die Behandlungsseite, während der Patient im Krankheits- und Unglücksfall auf ärztliche Hilfe angewiesen ist.524 Selbst wenn der argumentative Part der Monopolstellung weggelassen würde, hat damit das OLG Stuttgart jedenfalls nicht die Rechtsansicht vertreten, Sittenwidrigkeit der Vereinbarung sei auch bei begründeter Standardabweichung anzunehmen. Daher erscheint dieses Judikat über den Bereich pauschaler Haftungserleichterungen hinaus kaum geeignet, eine Aussage zur begründeten Standardunterschreitung zu entnehmen.

datum: 10.10.2019). Daraus folgt allerdings kein Argument pro oder contra für die vorliegende Debatte. 521  BT-Drucks. 17/10488, S.  13. 522  OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355 f. 523  So insbesondere BeckOK/Katzenmeier, BGB, 48. Ed. 2018, §  630a Rn.  191 mVa. Katzenmeier, MedR 2011, 201, 211, der sich an dieser Stelle allerdings ausschließlich mit generellen Sorgfaltsmaßstabserleichterungen und Haftungshöchstbegrenzungen befasst. Ebenfalls im Bereich deutscher Judikatur lediglich auf das OLG Stuttgart verweisend Deutsch, NJW 1983, 1351, 1353. Deutsch, a. a. O. führt daneben noch US-amerikanische Entscheidungen an, die jedoch letztlich für die deutsche Rechtslage keine Relevanz haben, da im Rahmen denkbarer Anerkennungsfragen nirgends ersichtlich ist, dass sich die inländische Rechtsprechung weitergehend hiermit auseinandergesetzt hat. 524  OLG Stuttgart, NJW 1979, 2355, 2356. Fraglich erschiene in der Folge, ob die Erlangung und Unterhaltung von Versicherungsschutz eine Frage der Haftpflicht sein dürfen, wogegen das Trennungsprinzip im Bereich Haftungs- und Versicherungsrecht streitet, vgl. hierzu ausführlich Püster, Entwicklungen der Arzthaftpflichtversicherung, 2013, S.  171 ff. mwN.

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(bb) Der BGH ist in einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1991 für medizinische Heileingriffe durch einen Heilpraktiker davon ausgegangen, dass die Grenze heilberuflichen Abweichens von fachlich anerkannten Vorgehensweisen auf Basis der Wünsche des Patienten525 lediglich in den allgemeinen Vorschriften, mithin in Verbotsgesetzen iSd §  134 BGB sowie in sittenwidrigkeitsbegründenden Umständen gemäß §§  138 BGB, 228 StGB zu suchen sei.526 Eine darüber hinausgehende Einschränkung ist nicht anerkannt worden, solange der Patient auf hinreichender Informationsbasis entschieden hat. Diese Grundsatzhaltung dürfte auf andere Heilberufe übertragbar sein.527 (cc) Die Grenze, ab derer die Gerichte jedenfalls von Sittenwidrigkeit der Behandlung auszugehen scheinen, liegt in erkannten Kontraindikationen.528 Pars pro toto sei die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1978 hervorgehoben, die als „Zahnextraktionsfall“ bekannt geworden ist.529 Selbst der informierte und eindringliche Wunsch des Patienten, eine eindeutig als kontraindiziert erkannte Extraktion von Zähnen zur Beseitigung von starken Kopfschmerzen vornehmen zu lassen, ist vor dem Hintergrund der §  138 BGB, 228 StGB nicht zu rechtfertigen. Dementsprechend muss auch eine rechtsgeschäftliche Abrede hierüber nichtig sein. Dem ist nicht zuletzt wegen der besonders gefährlichen, negativen Strahlkraft unärztlichen530 Verhaltens für das Vertrauen in den gesamten Berufsstand zuzustimmen.531 (dd) Im Übrigen hat die Rechtsprechung die Grenzziehung des §  228 StGB durch konkretisierte Nähe zu den §§  216, 226, 227 StGB gefüllt. Für die Begründung des Sittenwidrigkeitsverdikts soll es daher auf die Situation ex ante insofern ankommen, als die konkrete Gefahr der Tötung oder der schweren 525  Zur dogmatischen Überschneidung von rechtsgeschäftlicher Absprache und deliktischer Einwilligung sogleich unter (2). 526  BGHZ 113, 297 = NJW 1991, 1535, 1537. 527  So mit Recht Neelmeier, NJW 2015, 374, 376. 528  Vgl. OLG Hamm, MedR 2017, 310 mAnm. Geier, MedR 2017, 293 ff. sowie J. Prütting, MedR 2017, 531 ff.; OLG Köln, NJW-RR 1999, 388; OLG Nürnberg, VersR 1999, 299; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Oldenburg, NJW-RR 1999, 1329. 529  BGH, NJW 1978, 1206. 530  Vgl. zur strengen Verbindung von Indikation und berufsgerechtem Verhalten Laufs, MedR 1986, 163, 164 ff. S.a. ders., in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.  Aufl. 2015, Kap I Rn.  6. Laufs ist mit seinen Forderungen, die letztlich etwa wunschmedizinische Maßnahmen als indikationslos mit einem Generalverbot belegen würden, wohl zu weit gegangen. Die Quintessenz seiner Forderung lebt jedoch fort und ist rechtlich zu beachten. Auch in der Wunschmedizin muss der Arzt verantwortungsvoll handeln und Maßstäbe für berufsgerechtes Verhalten verfolgen oder diese bei Betreten von Neuland sorgfältig und nach ethischen Grundsätzen entwickeln, ausführlich J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  195 ff.; Stock, in: Wienke/Eberbach/Kramer/Jahnke (Hrsg.), Die Verbesserung des Menschen, 2009, S.  145, 150 ff.; ders., Die Indikation in der Wunschmedizin, 2009, S.  219 f. 531  S. o. §  2 III. 4. c). Näher zur erwägenswerten Sozialbindung der Ärzteschaft J. Prütting, Die Rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  199; ders., medstra 2016, 78, 80 f.

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Körperverletzung für den Verletzer noch hinreichend kalkulier- und beherrschbar erscheint.532 Diese Rechtsprechung, die zur Wirksamkeit der Einwilligung im Rahmen strafrechtlicher Bewertung der Körperverletzung ergangen ist, gilt gleichermaßen für die rechtsgeschäftliche Bewertung im Rahmen des §  138 Abs.  1 BGB.533 (ee) Eine privilegierende Stellung scheinen psychosoziale Gründe des Patienten einnehmen zu können. Insbesondere wird erwogen, ob seitens des Patienten aus Glaubensgründen gewünschte Standardunterschreitungen wie das pa­ tien­ ten­ seitige Verweigern und in der Folge das ärztliche Unterlassen von Bluttransfusionen aus religiösen Gründen rechtmäßige Verhaltensvorgaben für den Behandelnden darstellen.534 Obgleich das OLG München im Jahre 2002 den umgekehrten Fall zu entscheiden hatte, wonach Ersatzansprüche wegen rettender Bluttransfusion entgegen dem Patientenwillen geltend gemacht worden sind, äußert sich das Gericht eindeutig auch zur vorliegenden Frage im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht. Selbst die unvernünftige, jedoch für das jeweilige Individuum nach Persönlichkeitsrecht und Glauben relevante Entscheidung ist zu akzeptieren.535 Wenn es aber sogar ein rechtliches Gebot ist, diese anzuerkennen, kann eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung hierüber nicht unwirksam sein. (ff) Schließlich stellt es kein Indiz für eine Sittenwidrigkeitsnäherung dar, dass die Haftungsrechtsprechung des BGH bis heute absprachefreie Standardunterschreitungen aus ökonomischen Gründen nicht anerkennt.536 Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der Umstand, dass auch der BGH im sog. Halsrippenurteil537 zwischenzeitlich dazu tendierte, ökonomische Zwänge als berücksichtigungsfähiges Argument gegen eine unzulässige Standardabweichung zu akzeptieren, spricht vielmehr dafür, dass bei einer gezielten Absprache zwischen Arzt und Patient von Sittenwidrigkeit keine Rede sein kann. Andere Gerichte erkennen ökonomische Gründe selbst nach der Linienvorgabe des BGH an.538 Hierzu sei auch an den Hinweis des einleitend vorgestellten Judikats des OLG München erinnert.539

532 

Vgl. BGHSt 49, 166 = NJW 2004, 2458; BGHSt 58, 140 = NJW 2013, 1379. Vgl. BGH, NJW 2017, 2685 Rn.  6 . 534  Vgl. zur brisanten Problematik hinsichtlich minderjähriger Patienten OLG Celle NJW 1995, 792 f.; OLG Hamm, FamRZ 1968, 221; MüKo/Olzen, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  1666 Rn.  81. 535  OLG München, NJW-RR 2002, 811. Hierzu BVerfGE 32, 98, 106 = NJW 1972, 327; BVerfG, NJW 2002, 206; Schlund, Bluttransfusion bzw. Blutprodukte und Zeugen Jehovas aus der Sicht des Richters, in: Weidinger (Hrsg.), Geburtshilfe und Frauenheilkunde, 1995, M 126 ff.; Bender, MedR 1999, 260 ff. 536  BGH, NJW 1983, 2080 und seither st. Rspr. 537  BGH, VersR 1975, 43, 44. 538  So OLG Köln, VersR 1993, 52 f.; 1999, 847. 539  OLG München, MedR 2007, 361, 362 Rn.  37. 533 

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(gg) Als Zwischenfazit darf festgestellt werden, dass die Rechtsprechung nur unbegründete Abweichungen und damit pauschale Sorgfaltsbegrenzungen und Haftungsausschlüsse als untragbar einstuft. Eine Unterschreitung erscheint demgegenüber sowohl im Hinblick auf psychosoziale Besonderheiten des Patienten als auch vor dem Hintergrund nachvollziehbarer wirtschaftlicher Erwägungen insbesondere zur absprachegerechten Verhinderung patientenseitiger Selbstzahlerschaft denkbar. Die Grenze ist dort erreicht, wo der Arzt mit dem Patienten auch für eine Situation mangelnd beherrschbarer und kalkulierbarer Gefahren eine Abrede trifft, deren Umsetzung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Tod oder eine schwere Körperverletzung mit sich bringen könnte.540 (c) Weitere Ansätze (aa) Bergmann/Middendorf treten für die Bewertung einer generellen Unzulässigkeit standardunterschreitender Vereinbarungen ein. Sie verweisen auf ein gesetzliches Verbot aus dem ärztlichen Berufsrecht, welches sie aus den §§  7 ff., insbesondere aus §  11 Abs.  1 der jeweils anwendbaren Berufsordnung folgern und nach der Vermutungsregel des §  134 BGB im Vertragsrecht als Nichtigkeitsgrund anerkennen.541 Eine Standardunterschreitung sei keine gewissenhafte Berufsausübung und damit keine sachgerechte Versorgung im berufsrechtlichen Sinne mehr.542 Auch wenn Bergmann/Middendorf mit Recht darauf hinweisen, dass berufsrechtliche Vorgaben trotz ihrer Normhierarchiestufe als bloß materielles Landesrecht in Form von Kammerrecht gesetzliche Verbote iSd §  134 BGB statuieren können,543 überzeugt der eingenommene Standpunkt im Übrigen nicht. Es fehlt insbesondere an einer Analyse der in Zusammenhang stehenden Vorschriften der Berufsordnung (vgl. §  2 Abs.  1, 2, §  7 Abs.  2, §  11 Abs.  1 MBO-Ä) sowie der jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen und deren Regelungsreichweite in den Landesheilberufsgesetzen. Die gewissenhafte Berufsausübung verlangt ebenso wenig wie die gewissenhafte Versorgung ein generelles Verbot standardunterschreitender Vereinbarungen in der Heilbehandlung. Zur Gewissenhaf540  Weitere hier nicht zu erörternde Grenzen ergeben sich im Bereich wunschmedizinischer Maßnahmen mit Blick auf Ziel und Zweck der körperlichen oder psychischen Veränderung, vgl. hierzu ausführlich J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  217 ff. mwN. 541  Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  86. 542  In diese Richtung auch Kern, in: Jorzig (Hrsg.), Handbuch Arzthaftungsrecht, 2018, S.  7, allerdings vor dem Hintergrund von §  138 BGB. 543  Vgl. BGH, NJW 1986, 2360; 1992, 1159; VersR 2003, 1446 f.; GesR 2012, 621; J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  22; ders., in: Ratzel/Lippert/J. Prütting (Hrsg.), MBO-Ä, 7.  Aufl. 2018, §  1 Rn.  2; Ratzel, MedR 2002, 492; dagegen Taupitz, JZ 1994, 221 ff.

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tigkeit gehört gleichermaßen die Berücksichtigung von Willen und Würde des Patienten, wie der sorgsame Umgang mit den gegebenen Mitteln und die sachgerechte Abwägung aller Umstände in der Behandlungssituation.544 Dementsprechend kann das von Bergmann/Middendorf vertretene Generalverbot der Standardunterschreitung nur für die Fälle greifen, in denen die Rechtsprechung ohnehin von Sittenwidrigkeit ausgeht, in denen es für die Standardunterschreitung also weder einen medizinischen noch psychosozialen oder ökonomischen Grund gibt. Schlichte Fehlerhaftigkeit des ärztlichen Verhaltens lässt sich nicht mehr mit den Vorgaben der §  2 Abs.  1, 2, §  7 Abs.  2, §  11 Abs.  1 MBO-Ä zusammenbringen. Eine weitergehende Beschränkung erschiene auch mit dem Schutz der Privatautonomie schwer zu vereinbaren. Jedenfalls würde aber das Berufsrecht insofern durch das formelle Bundesrecht des §  630a Abs.  2 2. HS. BGB überlagert, da dort ein genereller Ausschluss standardunterschreitender Vereinbarungen gerade nicht vorgesehen ist. (bb) Einigkeit besteht allerdings dahingehend, dass eine Vereinbarung mit einem Patienten in einer Notfallsituation unzulässig ist. Dies kann sowohl auf berufsrechtswidriges Verhalten als Verbotsgesetz als auch auf Sittenwidrigkeit und Treuwidrigkeit gestützt werden.545 Allerdings führen diese Fälle in der vorliegenden Debatte auch niemals zum Problem, da jegliche Notfallbehandlung stets nach dem Recht der Vorgaben des SGB V bereitgestellt werden muss.546 (cc) Nußstein führt als weitere Begrenzung neben der Anerkennung der §§  138, 228 StGB eine situative Gesamtbetrachtung ein, vor deren Hintergrund es der Behandlungsseite verwehrt sein soll, standardunterschreitende Vereinbarungen wirksam zu treffen, wenn das in Kauf genommene Risiko ohne erheblichen organisatorischen Aufwand und ohne größere Zusatzkosten vermieden werden könne.547 Da sich Nußstein explizit darauf zurückzieht, dass diese Unzulässigkeitsgrenze unterhalb der Sittenwidrigkeitsschwelle des §  228 StGB liege,548 wird nicht sofort klar, woraus dieselbe rechtstechnisch folgen soll. Nach Interpretation des Verfassers scheint es Nußstein um eine weitere Fallgruppe der allgemeinen Bestimmung respektive Wertauffüllung des §  138 Abs.  1 BGB zu gehen und damit letztlich um die Beschreibung des zivilrechtlichen Sittenwid-

544 

Näher §  5 II. 2. a) bb) (1). OLG Nürnberg, VersR 1988, 408; Deutsch, VersR 1974, 301, 306; ders., NJW 1983, 1351, 1352 f.; Katzenmeier, MedR 2011, 202, 211; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 4.  Aufl. 2010, §  93 Rn.  26; Püster, Entwicklungen der Arzthaftpflichtversicherung, 2013, S.  252. 546  Solche Maßnahmen sind stets iSd §  2 Abs.  1 S.  3, Abs.  4, 12 Abs.  1, 27 ff. SGB V „notwendig“, vgl. BSG SozR 2200 §  182b Nr.  26; KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  12 Rn.  39 f. mwN. 547 Vgl. Nußstein, VersR 2018, 1361, 1362. 548  So ausdrücklich Nußstein, VersR 2018, 1361, 1362. 545  Hierzu

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rigkeitsverdikts in Abgrenzung zum engeren strafrechtlichen Ansatz.549 Dieser Vorschlag erscheint entwicklungsfähig, wird derselbe mit den Parametern denkbarer Kontrahierungszwänge vereint.550 Nußstein verlangt implizit die Durchführung einer Behandlung, zu der die Behandlungsseite nicht verpflichtet ist und welche diese ausweislich der gewünschten Standardunterschreitung auch nach expliziter Vorgabe nicht akzeptiert hat. Hätte die Behandlungsseite um diese rechtliche Bewertung gewusst und den höheren Standard bei gleichbleibendem Honorar nicht gewollt, hätte sie außerhalb der Fälle bestehenden Kontrahierungszwangs gemäß §  627 Abs.  1 BGB kündigen können.551 Dann bedarf es jedoch zwingend der Berücksichtigung aller relevanten Zumutbarkeitserwägungen entsprechend der Diskussion um Kontrahierungszwänge und es ist der Behandlungsseite auch für die Gesamtbewertung ein Beurteilungsspielraum zu belassen.552 Schließlich weist Nußstein noch auf die Darlegungs- und Beweislast hin, die für standardunterschreitende Vereinbarungen bei dem Behandelnden liege.553 Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass der Nachweis des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen für den Einwand der Erreichung der Sittenwidrigkeitsgrenze den Patienten trifft, da es sich mit den §§  228 StGB, 138 BGB in Folge des Nachweises der geschlossenen Vereinbarung um ihm günstige Normen handelt.554 Allerdings wird an dieser Stelle die im Arzthaftungsrecht anerkannte sekundäre Darlegungslast555 zu Gunsten des Patienten greifen, was das Problem abmildert. Sollte Nußstein jedoch davon ausgehen, dass das von ihm vorgeschlagene Abwägungsmerkmal inhärenter Bestandteil des §   630a Abs.  2 2. HS. BGB sei, wären Darlegungs- und Beweislast vollständig bei der Behandlungsseite angesiedelt. Dann bliebe Nußstein allerdings neuerlich die dogmatische Einfassung schuldig. 549 Eingehend J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  217 ff. mwN. 550  Ausführlich hierzu s. o. §  5 II. 2. a) bb). In der Fortführung sogleich unter cc). 551  S. o. §  5 II. 2. a) aa), bb). 552  Hierzu §  5 II. 2. a) bb) (4)/(5). 553 Vgl. Nußstein, VersR 2018, 1361, 1362. 554  Vgl. BGH, NJW 1995, 1425, 1429. Einschränkungen werden im Hinblick auf die subjektiven Elemente gemacht, vgl. BGHZ 95, 81, 85 = NJW 1985, 2523 f. Es wird insoweit bei erkennbaren Wuchersituationen auch mit einer tatsächlichen Vermutung gearbeitet, vgl. BGHZ 80, 153, 159 = NJW 1981, 1206 f. Ob das Rechtgeschäft letztlich nach den tatrichterlichen Feststellungen als sittenwidrig zu erkennen ist, ist allerdings Rechtsfrage, vgl. BGH, NJW 1991, 353 f.; 1988, 2599, 2601. 555  Vgl. BGH, NJW 2005, 2614; Simmler, in: Bergmann/Paugen/Steinmeyer (Hrsg.), Gesamtes Medizinrecht, 3.  Aufl. 2018, §  138 Rn.  8; Greiner, Tatsachenermittlungen im Arzthaftungsprozess, in: Ratajczak/Stegers (Hrsg.), „Waffen-Gleichheit“ – Das Recht in der Arzthaftung, Schriftenreihe Medizinrecht im DAV, 2002, S.  13; s. a. RG, JW 1912, 199; BGH, NJWRR 1986, 60; BGH, NJW 1990, 3151 f.; BGH, NJW 2010, 1357, 158 Rn.  16; BAG, NJW 2004, 2848, 2851.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

(dd) Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass ausschließlich die Erwägungen von Nußstein zu einer bedenkenswerten weitergehenden Beschränkung standardunterschreitender Vereinbarungen gemäß §  630a Abs.  2 2. HS. BGB über die allgemeinen Grundsätze der §§  134, 138, 242 BGB, 228 StGB hinausführen können: Der Autor bietet jedoch für Inhalt und Grenzen dieser Abwägung kein tragfähiges Gerüst, um Parameter für eine richterliche Prüfung zu erarbeiten. Auch mangelt es an einer klar bezeichneten dogmatischen Grundlage. Gleichwohl dürfte der beschrittene Weg in die richtige Richtung weisen, wird dieser mit den Erwägungen zum Kontrahierungszwang kombiniert (näher sogleich unter cc). (2) Einwilligung gemäß §  6 30d Abs.  1 BGB – deliktische Einwilligung Die Zulässigkeit rechtfertigender Einwilligung – ob vertraglich oder deliktisch –, ist dogmatisch von der rechtsgeschäftlichen Abrede nach §  630a Abs.  2 2. HS. BGB zu trennen.556 Die Maximen, nach denen ihre Wirksamkeit zu prüfen ist, weichen an einigen Stellen vom rechtsgeschäftlichen Ansatz ab, was im vertraglichen Arztrecht zu ungeahnten Schwierigkeiten führen kann.557 Insbesondere ist es denkbar, dass ein Minderjähriger bereits die Einwilligungsfähigkeit für eine bestimmte Maßnahme besitzt und dieser ohne seine gesetzlichen Vertreter zustimmen kann, während eine Vertragsabsprache wie §  630a Abs.  2 2. HS. BGB den starren Altersgrenzen der §§  104 ff., 2 BGB unterliegt und somit gemäß §§  107, 108 BGB einer Einwilligung oder, sofern noch mit Rückwirkung möglich, einer Genehmigung bedarf.558 Insofern erscheint das System zwischen §  630a Abs.  2 BGB und 630d Abs.  1 BGB und der deliktischen Einwilligung suboptimal konstruiert. Soweit es jedoch um die einschlägigen Grenzen von Gesetzes- und Sittenwidrigkeit geht, die vorab erörtert worden sind, gelten diese gleichermaßen für Vertragsabsprachen gemäß §§  134, 138 Abs.  1, 242 BGB wie für Begrenzungen der Dispositionsbefugnisse über individuelle Rechtsgüter im deliktischen Sinne.559 Für die wenigen praktischen Fallgestaltungen der Behandlung Minderjähriger, die ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter stattfinden sollen und bei welchen der Minderjährige kraft hinreichender Einsichtsfähigkeit dem konkreten therapeutischen Eingriff wirksam zustimmen kann,560 kommt eine rechts556 

Mahnend Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, BGB, 3.  Aufl. 2018, §  630a Rn.  41. Hierzu jurisPK/Lafontaine, BGB, 8.  Aufl. 2017, §  630a Rn.  474 f. mwN. 558  Die Probleme, die sich aus Vertragsschluss und Behandlung Minderjähriger ergeben können, sind vielfach erörtert und werden an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt. Eine Übersicht bietet Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp (Hrsg.), Arztrecht, 7.   Aufl. 2015, Kap.  V Rn.  50 ff. mwN. Ausführlich zur Einwilligungsfähigkeit, Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  295 ff. 559  Vgl. die ausführliche Analyse bei Ohly, Volenti non fit iniuria, 2002, S.  397 ff. mwN. 560  Beispiele bei Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  377 ff. 557 

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geschäftliche Vereinbarung zur Standardunterschreitung mangels Geschäftsfähigkeit gleichwohl nicht in Betracht. Auch §  36 Abs.  1 SGB I führt für gesetzlich versicherte Minderjährige zu keinem anderen Ergebnis, da diese Vorschrift zur partiellen Geschäftsfähigkeit nur die Antragstellung, Verfolgung und Entgegennahme von sozialversicherungsrechtlichen Vergünstigungen zulässt, darüber hinaus aber keine Geschäftsfähigkeit gewährt.561 Für eine Vereinbarung nach §  630a Abs.  2 2. HS. BGB müsste der Minderjährige jedoch haftungsrechtliche Positionen im Hinblick auf den Umgang mit seinem Körper oder seiner Gesundheit preisgeben können, was in §  36 Abs.  1 SGB I nicht erfasst ist. Eine analoge Anwendung kommt mit Blick auf den genannten Schutzzweck nicht in Betracht. Und schließlich kann §  110 BGB auf Vereinbarungen nach §  630a Abs.  2 2. HS. BGB nicht angewendet werden, da der Minderjährige sich im Fall standardunterschreitender Abreden nicht nur auf einen geringfügigen Handel mit Vermögensgütern einließe, die ihm zu diesem Zweck überlassen worden sind,562 sondern stets eine spezifisch schwächere Versorgung seines Körpers oder seiner Gesundheit zur Disposition stünde. Die Befugnis, hierüber zu verfügen, kann über §  110 BGB nicht vermittelt werden. Selbst wenn man dies anders sähe und §  110 BGB analog563 heranziehen wollte – wofür keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich ist – würde es gleichwohl stets an einem Überlassen „(…) zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung (…)“ (§  110 BGB) fehlen, da der Körper des Kindes diesem in keiner Weise für rechtsgeschäftliche Transaktionen überlassen worden ist. Die Norm passt somit in keiner Hinsicht und eine vermeintlich denkbare Mehrfachanalogie wäre bei Lichte betrachtet nicht mehr als die Kreation einer vollständig anderen, neuen Vorschrift, für die es im Gesetz keinen Ansatz gäbe. cc) Grenzen der Behandlungsverweigerung ohne Modifikationen des Sorgfaltsmaßstabs – Die Parallele zum Kontrahierungszwang Nach der bisherigen Analyse ist eine standardunterschreitende Vereinbarung gemäß §  630a Abs.  2 2. HS. BGB in den Grenzen der §§  134, 138 BGB, 228 StGB zulässig und wirksam, sofern dieser eine Belehrung über Risiken und Alternativen vorausgegangen ist. Ohne eine solche Aufklärung ist diese Zusatzvereinbarung wegen eines halboffenen Dissenses nichtig und der unveränderte situationsgerechte Standard gemäß §  630a Abs.  2 BGB geschuldet.564 561 

Vgl. KassKomm/Seewald, SGB I, 101. EL. 2018, §  36 Rn.  2. Zur Übersicht BeckOK/Wendtland, BGB, 48. Ed. 2018, §  110 Rn.  8 ff. mwN. 563  Zur Diskussion um die analoge Anwendbarkeit im Bereich personenbezogener Daten Staudinger/Klumpp, BGB, 2017, §  110 Rn.  23; Piras/Stieglmeier, JA 2014, 893, 896. Zur Diskussion um die Übertragung auf das Anbieten von Arbeitskraft BeckOK/Wendtland, BGB, 48. Ed. 2018, §  110 Rn.  11; a.A. Palandt/Ellenberger, BGB, 78.  Aufl. 2019, §  110 Rn.  3. 564  S. o. §  5 V. 2. c) bb). 562 

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Es bleibt die Frage, welchen Umfang die Schutzwirkung des §  138 BGB außerhalb der genannten Fälle des §  228 StGB mit sich bringt. Hierfür kann auf die Fälle anzuerkennender Kontrahierungszwänge nach allgemein bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zurückgegriffen werden, da diese dogmatisch an §  826 BGB angeknüpft werden und somit die Aussage beinhalten, dass ein Unterlassen oder unsorgfältiges Ausfüllen der Aufgabe den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet.565 Ist mithin jeder Fall des hieraus abzuleitenden Kontrahierungsgebots eine Pflichtvorgabe an die jeweilige Behandlungsseite, die erforderliche medizinische Versorgung sicherzustellen, kann wegen des damit ebenfalls einhergehenden Zwangs inhaltlicher Leistungsausgestaltung keine standardunterschreitende Abrede gemäß §  630a Abs.  2 2. HS. BGB getroffen werden.566 Im Umkehrschluss kann der Behandelnde das Angebot unterbreiten, die optimale Leistung bei Selbstzahlerschaft, die suboptimale Leistung als kassengetragen oder die Auflösung des Vertrages zu wählen. Wählt der Patient sodann keine dieser Varianten und wünscht optimale Behandlung ohne Selbstzahlerschaft zu akzeptieren, steht dem Arzt die fristlose Kündigung gemäß §  627 Abs.  1 BGB offen. Behandelt er gleichwohl, muss dies entsprechend der damit konkludent übernommenen Leistungszusage sorgfaltsadäquat sein, wie es §  630a Abs.  2 BGB ohne Modifikation durch Abrede verlangt.567 Auch im Bereich bestehender Kontrahierungszwänge ist die Behandlungsseite somit nicht schutzlos gestellt. Nimmt der Patient eine nicht kassengetragene Leistung in Anspruch, kann er sich nicht auf den Ausschluss der Entgeltleistungspflicht gemäß §  630a Abs.  1 aE. BGB zurückziehen und schuldet die Zahlung der Vergütung. Der Patient ist im Rahmen der Preisgestaltung allerdings

565 

Ausführlich §  5 II. 2. bb). Grundsätzlich führt jedenfalls der allgemeine Kontrahierungszwang im Fall fehlender Einigung der Parteien über die inhaltliche Ausgestaltung lediglich zur Bestimmung nach Billigkeitsgrundsätzen, §§  315 ff. BGB, vgl. Busche, Privatautonomie, 1999, S.  251 ff. Allerdings wird sich nahezu immer die Festlegung der Vorgaben des nicht modifizierten §  630a Abs.  2 BGB ergeben, da der Patient im Bereich der Konstellationen zwangsweiser Kontrahierung nicht in der Lage ist, die Vertragsinhalte selbst nach ordnungsgemäßer Aufklärung auf Augenhöhe zu verhandeln. Der Patient ist auf eine sachgerechte Therapie sowie auf den betroffenen Arzt angewiesen. Dementsprechend sind standardunterschreitende Vereinbarungen in Fällen des Kontrahierungszwangs, die sich im Hinblick auf die qualitativ hochwertige Methode ergeben, allenfalls noch dann zu erwägen, wenn der Patient aus eigenwirtschaftlicher Sicht keinesfalls über die kassengetragene Leistung greifen möchte, weil er dies wirtschaftlich faktisch nicht leisten kann. Auch in dieser Abwägung bleibt die Notfallbehandlung letztlich außer Betracht, da diese als zwingend notwendig iSd §§  2 Abs.  1 S.  3, Abs.  1a, Abs.  4 und 12 Abs.  1 SGB V immer kassengetragen sein muss. 567  Zum Problem auch Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  196 ff. Die von Voigt vorgenommene Abstufung im Rahmen denkbarer Kündigungsausschlüsse verläuft nahe an den hier gefundenen Linien, jedoch fehlt eine Einfriedung mittels näherer Bestimmung der Fälle denkbaren Kontrahierungszwangs, S.  199. 566 

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durch die gesetzlichen Vorgaben von GOÄ/GOZ568 geschützt, da der Kontrahierungszwang dem Arzt nicht gestattet, eine abweichende Vergütungsabrede unter Ausnutzung der besonderen Bedarfssituation des Patienten zu fordern.569 dd) Zulässigkeit ökonomischer Motive Abschließend ist für alle Konstellationen außerhalb bestehender Kontrahierungszwänge die Frage zu beantworten, ob speziell das Motiv der Einkommenssteigerung oder Verlustbegrenzung gegen eine Abrede gemäß §  630a Abs.  2 2. HS. BGB streiten könnte. Hierfür mag auf den drohenden Angriff auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient hingewiesen werden, welcher mit wirtschaftsorientierten Diskussionen bis hin zu Auseinandersetzungen einhergehen kann.570 Der Schutz des Vertrauensverhältnisses ist für eine gelungene medizinische Versorgung erheblich und hat mit §  630c Abs.  1 BGB auch eine – wenn auch sehr oberflächliche und damit kaum justiziable – Verrechtlichung erfahren.571 Zudem könnte auf Kollisionen mit der gewissenhaften Berufsausübung iSd §  2 Abs.  1, 2 MBO-Ä verwiesen werden.572 Und schließlich verfolgt der Verfasser selbst die Idee einer Sozialbindung des ärztlichen Berufsstandes in Form einer beschränkenden Übertragung des Gedankens des Art.  14 Abs.  2 GG auf Art.  12 Abs.  1, 2 GG,573 um innerhalb der Ausstrahlungswirkung auch privatrechtlich die Schlüsselstellung des ärztlichen Berufsstandes für das Funktionieren der gesamten Gesellschaft korrekt zu erfassen.574 568  Diese gelten im Bereich wahlärztlicher Abrechnung auch für den stationären Sektor, vgl. Spickhoff/Starzer, Medizinrecht, KHEntgG, 3.  Aufl. 2018, §  17 Rn.  18. 569  Gesetzliche Schranken statuieren bereits §  2 Abs.  1 S.  3 und Abs.  3 GOÄ für Notfall-, akute Schmerzbehandlungen und für bestimmte Bereiche der medizinisch-technischen Leistungserbringung, etwa Laboruntersuchungen, vgl. Spickhoff/Spickhoff, Medizinrecht, GOÄ, 3.  Aufl. 2018, §  2 Rn.  10. Auch ist bei Schwangerschaftsabbrüchen keine Vereinbarung zulässig, §  2 Abs.  1 S.  2 iVm §  5a GOÄ. Zur Übersicht von Honorarklauseln bei Krankenhausverträgen Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 41. EL. 2018, Krankenhausaufnahmevertrag Rn.  19 ff. Im Fall allgemeinen Kontrahierungszwangs tritt vor dem Hintergrund von §  826 BGB die Billigkeitserwägung der §§  315 ff. BGB für den Vertragsinhalt hinzu, die ob der sachangemessenen Vergütungsregelungen im Gesetz und der unterlegenen Verhandlungsposition des Patienten eine vertragliche Erhöhung verbieten. 570  Vgl. hierzu die Gedanken von Hoppe, Die Patient-Arzt-Beziehung im 21. Jahrhundert, in: Katzenmeier/Bergdolt (Hrsg.), Das Bild des Arztes im 21. Jahrhundert, 2009, S.  1 ff.; Maio, Dienst am Menschen oder Kunden-Dienst? Ethische Grundreflexionen, a. a. O., S.  21, 28 ff.; Katzenmeier, Verrechtlichung der Medizin, a. a. O., S.  45 ff. 571 Zum Hintergrund der „therapeutischen Partnerschaft“ Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  57 ff.; s. a. MüKo/Wagner, BGB, 7.  Aufl. 2016, §  630c Rn.  5 ff. 572  Ausführlich hierzu §  5 II. 2. a) bb) (1). 573 Vgl. J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  199; ders., medstra 2016, 78, 80 f. mit Blick auf verstärkte staatliche Lenkungsbefugnisse. Grundsätzlich dagegen Achterberg, Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, in: FS Schelsky, 1978, S.  1 ff., 19. 574  Vgl. hierzu die Ausführungen unter §  2 III. 4. c).

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Jedoch vermögen alle genannten Ansätze nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es weder als unärztlich noch gar als sittenwidrig erachtet werden kann, wenn der Behandelnde außerhalb anzuerkennender Behandlungspflichten mit vorgegebenen Standards auf seine ökonomische Stellung oder generell auf den sachgerechten Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitswirtschaft achtet. Selbst der Ansatz über das Institut der gewissenhaften Berufsausübung bis hin zur denkbaren Einbindung ethischer Rahmenvorgaben 575 kann dies nicht verbieten, wenn dem Arzt mit §  7 Abs.  2 S.  2 MBO-Ä gerade die Wahl gelassen werden soll, ob er behandeln möchte. Vor dem Hintergrund des §  2 Abs.  1, 2 MBO-Ä sei darauf hingewiesen, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit knappen Ressourcen sogar ein ethisches Gebot ist,576 sofern finanzielle Erwägungen nicht zum alleinigen Maßstab des Verhaltens werden.577 Auch im Übrigen muss es außerhalb übernommener rechtlicher Pflichten und bestehender Kontrahierungszwänge jedem Arzt freistehen, ob er sein Leistungsangebot begrenzt oder aufgibt. Für eine weitergehende Freiheitsbeschränkung der Ärzteschaft bedürfte es selbst vor dem Hintergrund eines der Sozialbindung unterliegenden Verständnisses des Art.  12 Abs.  1, 2 GG belastbarer Gründe, die außerhalb der erarbeiteten Grenzen nicht ersichtlich sind, da dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht mehr Genüge getan werden könnte. Im Übrigen konnte nachgewiesen werden, dass auch die Haftungsrechtsprechung trotz herrschender Linie gegen die Beachtung wirtschaftlicher Erwägungen partiell erkennt, dass ein sinnvoller Umgang mit knappen Ressourcen zwingend zu einem funktionierenden Gesundheitssystem gehört.578 Diese Überlegung gilt aber außerhalb institutioneller Erwägungen im Versicherungssystem (§  12 Abs.  1 SGB V) auch auf der Ebene der einzelnen Arztpraxis, die die haftungsrechtliche Missachtung oder die als sittenwidrig gebrandmarkte Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange an anderer Stelle einpreisen muss, etwa beim Leistungsangebot insgesamt, bei der Anschaffung von Geräten, bei zu bezahlendem Personal und bei der Patientenversorgung, etwa wenn es um die Zeit geht, die sich der Arzt für jeden Patienten nehmen kann. Zudem gehen mit der Zurückdrängung ökonomischer Zielsetzungen auch Leistungsanreize für Ärzte verloren. Daher ist die Motivation zur Einkommenssteigerung oder Verlustbegrenzung privatrechtlich zu akzeptieren. Sozialrechtlich bleiben Vertragsarzt und zugelassenes Krankenhaus allerdings nach den dort geltenden Regelungen verpflichtet. Das führt zu einem mit575  Ausführlich hierzu J. Prütting, Die rechtlichen Aspekte der Tiefen Hirnstimulation, 2014, S.  138 ff. mit Erörterung denkbarer Zuständigkeitserweiterungen der Ethikkommissionen und einer maßvollen materiell-rechtlichen Einbindung ethischer Grenzvorgaben, die keine anderweitige rechtliche Positivierung erfahren haben. 576 Vgl. Enke/Woopen, Zeitschrift für Frauen in der Medizin, 2013, 280; Woopen, MedR 2011, 232, 235. 577 So Frahm et al., MedR 2018, 447, 449. 578  S. o. §  5 V. 2. c) bb) (1) ii.

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telbaren Behandlungsdruck mit systemgerechter Differenzierung. Im Fall der sozialversicherungsrechtlich nicht kassengetragenen Liposuktion 579 kann der Arzt gegenüber dem Patienten ablehnen, ohne von vertragsärztlicher Seite mit Sanktionen rechnen zu müssen, da keine Behandlungspflicht nach sozialrechtlichen Maßgaben besteht. Anders verhält es sich im Eingangsfall der Budgetüberreizung.580 In diesen Fällen ist der Vertragsarzt außerhalb denkbarer zivilrechtlicher Behandlungspflichten nach §  95 Abs.  3 S.  1 SGB V sowie gemäß §§  13 Abs.  7 BMV-Ä, 13 Abs.  4 BMV-Z sozialrechtlich verpflichtet. Hiervon sind nur wenige begründete Ausnahmefälle anerkannt. Hierzu gehören Praxisüberlastung, Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Pa­ tient sowie außerhalb von Notfällen die patientenseitig geforderte Über­ schreitung des ärztlichen Könnens (fachfremde Behandlung).581 Führt die Budget­über­reizung also letztlich zu Mindereinnahmen im Verhältnis von Abrechnungsfall zu Erlösauskehr, so ist dies eine im System der vertragsärztlichen Versorgung angelegte Verknappung der Mittel, die rechtlich zielgerichtet in der konkreten Abrechnungsperiode den Arzt trifft und im Fall mangelhafter Planung die Kassenärztliche Vereinigung für die kommende Abrechnungsperiode zu veränderter Planung bewegen muss. Das System soll unter diesem gesetzlich angelegten Druck lernen. Die Entgeltfrage aus dem Arztvertrag nach §  630a Abs.  1 BGB bleibt unberührt.

3. Die Metaebene im Kostenstreit (2. Stufe) a) Haftungsrecht als Freiheitsrecht Bereits in den vorangegangenen Diskussionen um Eigenverantwortlichkeitskriterien 582 und um die Einbindung von Zuzahlungsverpflichtungen in die Grundsätze wirtschaftlicher Aufklärung583 ist auf zentrale Aspekte des zivilrechtlichen Arztrechts als rahmengebende Struktur ohne spezifische Zielvorstellung gegenüber dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung mit seinen Leitmotiven nach §  1 SGB V hingewiesen worden. Für das Zivilrecht müssen diese Gedanken um einen geschärften Blick auf die freiheitssichernde Wirkung des Haftungsrechts ergänzt werden.584 Haftungsrecht nach zivilrechtlichen Maßstäben darf nicht nur in Richtung denkbarer Fälle von Normenbruch gedacht werden, in denen Restitution und Kompensation angezeigt sein könnten. Auch 579 

§  5 V. 1. c). §  5 V. 1. b). 581  Vgl. KassKomm/Hess, SGB V, 101. EL. 2018, §  95 Rn.  76. 582  S. o. §  5 II. 3. 583  S. o. §  5 III. 4. 584  Vgl. zur Grundidee Weller, in: FS Hoffmann-Becking 2013, S.  1341 ff. Am Beispiel der Diskussion um die analoge Ausdehnung des §  117 Abs.  1 AktG auch J. Prütting, ZGR 2015, 849, 877 f. 580 

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sind – soweit man präventive Erwägungen als „erwünschtes Nebenprodukt“585 des Haftungsrechts schadensrechtlich akzeptieren wollte586 – Spezial- und Generalprävention nicht die Leitmotive bürgerlich-rechtlicher Haftungsordnung.587 Vielmehr tritt dem Negativraum des Haftungsfalls der Positivraum zulässigen und frei von Rechten Dritter akzeptierten Verhaltens gegenüber, welcher Ausdruck individueller Freiheit ist.588 Daher muss innerhalb gesetzgeberischer Veranlassung und judikativer Ausfüllung des rahmengebenden Haftungsrechts auf der Metaebene der Blick dafür gewahrt werden, welche Steuerungswirkung in welcher Intensität bewirkt und welche Freiheiten beschnitten werden. Übertragen auf die vorliegende Diskussion stellt sich die Frage, mit welcher sachlichen Begründung es judikativ zu verfolgender Auftrag des zivilrechtlichen Haftungsrechts sein kann, die Ärzteschaft in ihrer Vertragsfreiheit weiter als zwingend notwendig gegenüber Patienten zu begrenzen. Dabei werden im 585  Vgl. BGHZ 118, 312, 338 = NJW 1992, 3096, 3103; Thüsing, Wertende Schadensberechnung, 2001, S.  16. S.a. die Erörterung bei J. Prütting/Kniepert, ZfPW 2017, 458, 468 ff. mwN. 586  Die Einbeziehung der Präventionsfunktion unter dem Stichwort des handlungsleitenden Zivilrechts ist nachvollziehbar, bringt jedoch zugleich eine ganze Reihe schwer zu lösender Rechtsprobleme mit sich, deren abschließende Bearbeitung noch aussteht. An dieser Stelle sei lediglich auf ein paar zentrale Einwände hingewiesen. So bringt jede Steigerung des Umfangs eines Schadensersatzanspruchs (sei dies im materiellen oder immateriellen Bereich) aus Gründen der (Spezial- oder General-)Prävention das Legitimationsproblem mit sich, weshalb nunmehr die zufällig geschädigte Person mehr erhalten soll, als im Rahmen des Ausgleichs als erforderlich erkannt worden ist (schadensrechtliches Bereicherungsverbot, vgl. BGHZ 30, 29, 30 = NJW 1959, 1078; BGHZ 118, 312, 345 = NJW 1992, 3096, 3103; Lange/Schiemann, Schadensersatz, 2003, S.  10; J. Prütting/Kniepert, ZfPW 2017, 458, 464 ff. Ein Vergleich mit den §§  888, 890 ZPO im Bereich der Erzwingung von Verhalten zeigt, dass diesbezüglich einzutreibende Ordnungs- und Zwangsgelder der Staatskasse zufließen, nicht das Vermögen des Titelgläubigers bereichern. Weiterhin ist das Privatrecht auch vor dem Hintergrund des hierfür eingerichteten Verfahrensrechts nicht auf Präventions- und ggfls. damit einhergehende Sanktionsmechanismen ausgelegt. Die Dispositionsmaxime des Zivilverfahrensrechts von ZPO und ArbGG erlaubt der Privatperson frei zu entscheiden, ob sie einen ihr zustehenden Anspruch nicht verfolgt. Flächendeckende, wirksame Prävention bedarf jedoch des Legalitätsgrundsatzes entsprechend der StPO. Ähnliche Probleme entstehen im Bereich der Verhandlungsmaxime im Vergleich zum Amtsermittlungsgrundsatz sowie mit Blick auf Darlegungs- und Beweislastregeln des materiell-rechtlichen Zivilrechts, die güterordnende Wirkung entfalten und dabei keine Präventionszwecke verfolgen. Die Diskussion dauert an. Zum Debattenstand vgl. die Übersicht bei MüKo/Oetker, BGB, 8.  Aufl. 2018, §  249 Rn.  9 mwN. Eine Begründung der Schadensersatzpflicht aus Präventionsgesichtspunkten könnte allenfalls gesetzgeberseitig mit der jeweiligen Haftungsnorm angeordnet werden, ist aber jedenfalls darüberhinausgehend als sehr bedenklich zu erachten, vgl. zur besonderen Problematik der Regressierung einer Verbandsstrafe eines Vereins gegenüber dem randalierenden Fan BGH, NJW 2016, 3715 und hierzu die kritische Würdigung bei J. Prütting/Kniepert, ZfPW 2017, 458 ff. A. A. Weller/Benz/Wolf, JZ 2017, 237 ff. 587 Hierzu Motsch, JZ 1984, 211 ff.; Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht, 1993, 212 ff. 588  Weller, in: FS Hoffmann-Becking 2013, S.  1341 ff.

V. Kostendruck und Standard

257

Rahmen der Diskussion um Kontrahierungszwänge, um berufsrechtlich sachgerechtes Verhalten und mit Blick auf mittelbare Einflüsse der besonderen Bedeutung des Arztberufs als systemrelevante Schlüsselstellung589 einer funktionierenden Volkswirtschaft bereits weitreichend Beschränkungen akzeptiert. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass der am Markt auftretende Arzt im Fall fehlenden Versicherungsschutzes durch die Solidargemeinschaft wegen haftungsrechtlicher Vorgaben in die Situation gedrängt werden dürfte, entweder nicht leistungsadäquat bezahlt zu werden oder aber sich zivilrechtlichen Haftungsansprüchen wegen behandlungsfehlerhaften Vorgehens ausgesetzt zu sehen. Daraus folgen wesentliche Erkenntnisse auf der Metaebene: aa) Es ist nicht Aufgabe des zivilrechtlichen Haftungsrechts, eine bessere Gesundheitsversorgung zu sichern, als dies durch die Solidargemeinschaft gewährleistet wird. Dementsprechend darf ein ärztlicher Rückzug auf das kassengetragene Leistungsangebot auch nicht als Behandlungsfehler erachtet werden, wenn das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durch Information gewahrt wird, nicht kassengetragene Leistungen aber nur gegen Selbstzahlerschaft abgegeben werden, die der informierte Patient im Einzelfall nicht akzeptieren möchte. bb) Das Haftungsrecht ist ungeachtet externer Einflüsse nicht darauf ausgerichtet, den Zivilgerichten als Vehikel oder Legitimationsgrundlage für Rechtspolitik, insbesondere für Sozialpolitik zu dienen. Das Zivilrecht steht der Frage der Bewertung einer Zwei-Klassen-Medizin indifferent gegenüber.590 Daraus folgt, dass allgemeine Grenzen wie insbesondere das bewegliche Sittenwidrigkeitsverdikt nur als Demarkationslinien gegen sozialschädliches Verhalten ­erkannt und nicht zur rechtspolitisch gewünschten Begrenzung standardunterschreitender Vereinbarungen eingesetzt werden dürfen. De lege lata ist die beruflich aktive Ärzteschaft unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als subsidiäre Sozialversicherung des Volkes zu erachten, soweit die Solidargemeinschaft die Kosten nicht decken möchte oder nicht decken kann. cc) Verfolgt der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sozialpolitische Belange und nutzt hierzu mittelbar auch die Struktur des Haftungsrechts,591 indem Informationspflichten und Entgeltrechte an die Rechtslage im Sozialrecht gekoppelt werden, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Es bedeutet im Sinne maßvoller Fortentwicklung des Systems durch die Judikative aber nicht, dass hierdurch entgegen der Vorerwägungen (aa]/bb]) eine Ermächtigung zur 589 

§  2 III. 4. b), c). Mit berechtigter Kritik am Hinweis auf die „Zwei-Klassen-Medizin“-Problematik Arnade, Kostendruck und Standard, 2010, S.  222 f.; s. a. Schulze-Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 179 ff.; Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen, 2013, S.  168. 591  Speziell zur Erwägung der Einführung des Behandlungsvertrages bereits in den 80er Jahren Schmude, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd.  I, 1981, S. XVIII. Zu Fortentwicklungsbemühungen im Bereich des besonderen Schuldrechts Stoffels, Gesetzlich nicht geregelte Schuldverträge, 2001, S.  554 ff. 590 

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

Sozialpolitik durch das Haftungsrecht erteilt worden wäre, soweit der Gesetzgeber dies nicht erkennbar und in engen Grenzen angeordnet hat (insbesondere Härtefallregelungen und Vergleichbares sind stets gerichtlich einzufangen). b) Ergänzungen aus sozialrechtlicher Perspektive Das Sozialrecht hat mit §  1 SGB V klare Ziele, die es mit der vorab näher erörterten Struktur der §§  2 Abs.  1 S.  3, Abs.  4, 12 Abs.  1, 27 ff., 70 Abs.  1 S.  2, 72, 135, 137c, 137e, 138 SGB V verfolgt. Dieses System ist darauf angelegt, alle Teilnehmer den Maßstäben der Solidarität entsprechend zu leiten und zu erziehen,592 um nach Gleichheitsgrundsätzen für bestenfalls alle Versicherten die avisierte Gesundheitsversorgung der §§  1, 2 SGB V zu erreichen.593 Das Sozialrecht steht damit Art und Umfang der rechtspolitisch geforderten Gesundheitsversorgung – im Gegensatz zum Haftungsrecht – nicht indifferent gegenüber, sondern will diese sinnvoll sowohl zu Gunsten von Schutz und Fürsorge als auch mit Blick auf Umgang mit knappen Ressourcen möglichst optimal aufstellen und verwalten.594 Diesen Zielen hat sich das Haftungsrecht nicht ohne zwingende (zivilrechtsadäquate) Gründe entgegenzustellen, da andernfalls die judikative Ausformung dem gesetzgeberischen Willen zuwiderliefe.595 Dazu gehört auch die zivilrechtliche Akzeptanz, dass es de lege lata keine Bürgerversicherung in Deutschland dergestalt gibt, dass alle Menschen einheitlich an eine bestimmte Gesundheitsversorgung gebunden wären und einem Verbot des Zukaufs besserer Leistungen unterlägen.596 Vielmehr lässt das Gesetz den gesetzlich Versicherten bislang die Möglichkeit, zur Selbstzahlerschaft überzugehen oder kassengetragene Leistungen zu akzeptieren. Das Haftungsrecht flankiert dies nur in Form einer Rahmengebung für das konkrete Verhalten im Arzt-Patient-Verhältnis, jedoch ist es nicht berufen, die Grundaussage des Systems zu beeinflussen. Dabei muss beachtet werden, dass der sozialrechtlich gewünschte Erziehungseffekt, wie er in §  12 Abs.  1 SGB V zum Vorschein kommt, durch eine die Ärzteschaft in ihrer Vertragsfreiheit über Gebühr beengenden Anwendung des 592  Im Grundsatz mit den Wirtschaftlichkeitsgrenzen des §  12 Abs.  1 SGB V verfolgt und im Rahmen des Prinzips der Eigenverantwortung verstärkt, vgl. §§  1 S.  3, 27 Abs.  2, 52, 52a SGB V, 60 ff. SGB I (ausführlich hierzu s. o. §  5 II. 2. b) aa). Für den Bereich der Zuzahlungsverpflichtungen BSG, NJW 2010, 1993 Rn.  19 ff. mwN. Vgl. auch die Begründung des RegE BT-Drucks. 11/2237, S.  158. 593  Mit aller Deutlichkeit bei der Prüfung des §  137c Abs.  3 SGB V BSG, MPR 2018, 56, 59 mVa. BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 §  2 Nr.  4, Rn.  24; ebenso 3. BSG-Senat, vgl. BSGE 113, 167 = SozR 4-2500 §  137 c Nr.  6 , Rn.  24. 594  Eingehend KassKomm/Roters, SGB V, 101. EL. 2018, §  12 Rn.  2 , 23 ff. mwN. 595  Zum zentralen Hintergrund des methodischen Unterbaus s. o. §  3 II. 1. und 3. a, 4. f. 596  Es erscheint ohnehin zweifelhaft, ob ein solches Verbot de lege ferenda vor dem Hintergrund der Verfassung Bestand haben könnte, was an dieser Stelle aber nicht weitergehend erörtert werden soll. Jedenfalls ist zu konstatieren, dass es für die Einführung eines solchen Verbots in absehbarer Zeit keine politischen Mehrheiten geben dürfte, vgl. bereits die Hinweise bei Schulze Ehring/Weber, VersMed 2008, 177, 179 von vor über 10 Jahren.

V. Kostendruck und Standard

259

Arzthaftungsrechts gedrosselt würde und verloren gehen könnte. Dies verstieße gegen die berechtigte Forderung Deinerts nach Schonung597 und gegen den tragenden Optimierungsgedanken gesetzgeberischer Entscheidungen im Rahmen wechselseitiger Ausstrahlung.598

4. Lösungsvorschläge aus kollisionsrechtlicher Sicht (3. Stufe) und wesentliche Ergebnisse Die Diskussion um Kostendruck und Standard wird in Abhängigkeit von der technischen, der Personal-, der Bevölkerungsstruktur- und der damit einhergehenden Kosten- wie auch der Gesetzesentwicklung in unverminderter Schärfe fortgeführt werden. Die intradisziplinäre kollisionsrechtliche Analyse sollte die Augen dafür geöffnet haben, dass im Streit um Standards in der Medizin mit Blick auf Kostenerwägungen mehrere Systeme miteinander interagieren, die überwiegend unabhängig voneinander gewachsen sind, sich aber gleichwohl an ihren zahlreichen Berührungspunkten miteinander versöhnen lassen müssen, ohne die gesetzgeberischen Ziele zu beeinträchtigen. Auf Basis der vorgelegten Analyse wird seitens des Verfassers folgende rechtliche Bewertung für tragfähig gehalten: a) Der Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes hat mit der Einführung der §  630a ff. BGB im Jahre 2013 die bis dahin geltende Rechtsprechung zum Haftungsrecht aufgegriffen und legislatorisch zementiert. Dementsprechend ist trotz des bekannten Problems eine nicht erörterte Entscheidung zur Exklusion von Wirtschaftlichkeitsfaktoren im Rahmen des nicht durch Parteivereinbarung modifizierten Sorgfaltsmaßstabs gemäß §  630a Abs.  2 BGB gefallen. Daraus folgt zugleich, dass es den Gerichten ohne gesetzgeberische Entscheidung nunmehr verwehrt ist, Wirtschaftlichkeitserwägungen – eingebracht durch sachverständige Expertise, durch die beklagte Behandlungsseite selbst oder durch Vorgaben aus Leit- oder Richtlinien – im Haftungsstreit zu berücksichtigen. b) Es steht der Behandlungsseite nach den §§  630a ff. BGB grundsätzlich frei, mit dem Patienten, für welchen eine nicht kassengetragene Vorgehensweise indiziert ist, eine standardunterschreitende Vereinbarung zu treffen, solange das gewählte Verfahren ärztlich noch vertretbar ist und der Patient diese Methode wählt, um allenfalls jene Kosten tragen zu müssen, die nach Sozialversicherungsrecht ohnehin bei ihm angefallen wären. Diese Vertragsfreiheit findet ihre Grenze in allen Fällen anzuerkennenden Kontrahierungszwangs, sofern sich dieser Zwang nach Zumutbarkeitsabwägung im konkreten Verhältnis von Arzt und Patient auf die benötigte Versorgung bezieht, die den kassengetragenen Standard überschreitet. Fordert der Patient die Erfüllung dieses Zwangs ein, 597 Vgl. 598 

Deinert, Privatrechtsgestaltung durch Zivilrecht, 2007, S.  83. S. o. §  3 II. 4. f.

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§  5 Kollisionen zwischen Vorschriften des Zivil- und Sozialversicherungsrechts

schuldet er das Entgelt gemäß §§  630a Abs.  1, 630b, 612 Abs.  1, 2 BGB iVm. GOÄ/GOZ. Der Ärzteschaft werden in diesem Rahmen zwei Mehrbe­las­tungs­ aspekte auferlegt. Sie darf erstens den Patienten nicht abweisen, sofern sie keine relevanten Gründe wie Praxisüberlastung, Zerstörung des Vertrauensverhältnisses oder fehlendes fachliches Können vorbringen kann. Und zweitens trägt die Behandlungsseite das Insolvenzrisiko des Selbstzahlers, der das Entgelt gemäß §§  630b, 614 S.  1 BGB erst mit Abschluss der Behandlung aufbringen muss, sofern keine hinreichenden Indizien vorliegen, die eine Einrede gemäß §  321 BGB ermöglicht.599 c) Wirtschaftlichkeitsmotive der Behandlungsseite, aus denen heraus die nicht kassengetragene Behandlung ohne Selbstzahlerschaft abgelehnt und ggfls. den schon eingegangenen Behandlungsvertrag deswegen gemäß §§  630b, 627 Abs.  1 BGB unter gleichzeitiger Zerstörung bis dahin bestehender Garantenstellung und folgender Garantenpflichten gekündigt wird, sind im Zivilrecht anzuerkennen. Sie verstoßen weder gegen ärztliches Berufsrecht noch sind sie als sittenwidrig zu erachten. Die gegenteilige Auffassung betreibt Sozialpolitik durch zivilrechtliches Haftungsrecht. Hierfür ist die Judikative jedenfalls seit der gesetzgeberischen Inkorporation der §§  630a ff. BGB im Jahre 2013 nicht (mehr) legitimiert; nach hier vertretener Ansicht war sie es aber aus den aufgezeigten Systemerwägungen auch zuvor nicht (s. o. 3.). d) Verlangt ein Patient gegenüber dem Vertragsarzt oder gegenüber einem zugelassenen Krankenhaus die kassengetragene Versorgung, ist die Behandlungsseite privatrechtlich außerhalb bestehender Kontrahierungszwänge ebenfalls berechtigt, die Behandlung abzulehnen oder einen schon bestehenden Vertrag zu kündigen. Allerdings drohen der Behandlungsseite – anders als in den Fällen nicht kassengetragener Leistungen – sodann Sanktionen aus dem System des Vertragsarztrechts sowie des Rechts der zugelassenen Krankenhäuser heraus, was bis zum Verlust der Beteiligungsberechtigung am öffentlich-rechtlich organisierten Gesundheitssystem reichen kann. Dieser mittelbare Druck, auf den sich der Patient in seiner konkreten Vertragssituation nicht berufen kann, entspricht dem gesetzgeberisch gewählten Modell des Sachleistungsprinzips in der GKV. Zugleich werden die wirtschaftlichen Verhandlungen zur korrekten Entlohnung kassengetragener Leistungen ausschließlich zwischen den Kassen und den Leistungserbringern geführt. Der einzelne Patient erhält in dieser Verhandlung kein Mitspracherecht. Ihm bleibt notfalls ein Rechtsstreit gegen den Träger der gesetzlichen Krankenkasse, bei welchem er versichert ist. Durch die599  A. A. Kreße, MedR 2007, 393, 400, der dem Arzt auch bei Zahlungsunfähigkeit die Möglichkeit zur Abstandnahme von der Behandlung einräumen will. Um dies stabil zu argumentieren, hätte Kreße allerdings eingehend analysieren müssen, welche Bedeutung das vorgeschlagene Ergebnis für den Patienten hat und wie dies mit der Dogmatik zum Kontrahierungszwang versöhnt werden könnte. Beides wird letztlich der Ansicht von Kreße diametral zuwiderlaufen.

V. Kostendruck und Standard

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ses Modell wird zugleich verhindert, dass die Patienten im Rahmen des zivilrechtlichen Haftungsstreits ökonomische Betrachtungsweisen zu erbringender Leistungen erstreiten, die im Sozialrecht zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern vor den Sozialgerichten (noch) keine Ankerkennung gefunden haben.

§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative1 Die bisherigen Erwägungen und gewonnenen Erkenntnisse haben schon vor dem Hintergrund des geforderten Zusatzaufwands, den die Richterschaft hiermit haben wird, wenig Chancen auf Gehör und Umsetzung in der judikativen Praxis, wird ihnen nicht ein für das Gericht unmittelbar erkennbares und seitens der Parteien und Prozessvertreter rügefähiges Kontrollmoment zur Seite gestellt. Insoweit kann an unterschiedliche Ansätze gedacht werden, die nachfolgend zivilprozessual betrachtet werden, deren Gedankengang jedoch gleichermaßen auf andere Prozessrechte und Gerichtsbarkeiten übertragbar ist. Vorausgeschickt sei, dass diese Erwägungen nebst der rechtlichen Erörterung durchweg daraufhin betrachtet werden müssen, ob ihnen vor dem Hintergrund rechtspraktischer Anerkennung, Komplexität und Aufwand auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Erfolg beschieden sein könnte. Die rein theoretische Möglichkeit der Berücksichtigung, die sich aus rechtswissenschaftlicher Analyse ergibt, wird in der Rechtspraxis der Judikative nicht zum Erfolg des geforderten analytischen Vorgehens führen.

1. Vortragsrecht, Recht auf Rechtsgespräch und Sachverständigenbefragung Sorgfältige Auslegung und Anwendung des Rechts unter Einbeziehung aller relevanten Regelungsbereiche und deren Hintergründe könnten innerprozessual schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines Rechtsgesprächs – sofern entgegen der h. M. ein Anspruch auf ein solches bejaht werden würde2 – stattfinden. Beides kann jedoch zur Absicherung des aufge1 

Als flankierendes Element bereits vorgeschlagen in J. Prütting, RW 2018, 289, 325 ff. Vgl. zur h. M. BVerfG, WuM 2002, 23; BGH, GRUR 2001, 754; eine Literaturübersicht gibt Schwartz, Gewährung und Gewährleistung des rechtlichen Gehörs durch einzelne Vorschriften der Zivilprozeßordnung, 1977, S.  57 ff.; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  82 Rn.  14; allenfalls mag bei besonders schwierigen Rechtsfragen eine (unverbindliche) Anregung an die Parteien in Betracht kommen, eventuell ein Rechtsgutachten einzuholen, welches der Richter zu seiner Information heranzieht, so Mü2 

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

zeigten notwendigen Stufenmodells der Auslegung für sich genommen nicht genügen. Zwar können die (rechtskundigen) Parteien und Parteivertreter das Gericht im Rahmen ihrer rechtlichen Würdigung zu jedem Zeitpunkt und in jeder Lage des Verfahrens (§§  296a, 264 Nr.  1 ZPO) auf die Problematik und den Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen aufmerksam machen, jedoch zeigt schon die bisherige Praxis der Arzthaftungsverfahren, dass dies keine hinreichende Wirkung hat.3 Dafür ist nach Ansicht des Verfassers einerseits der Umstand tragend ist, dass Parteivertreter im Zivilrecht, die sich zu Gunsten ihrer Partei auf Verstöße oder Befolgung von Vorgaben anderer Teilrechtsgebiete (etwa von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Haftungsprozess) berufen könnten, zugehörige Maßstäbe entweder nicht gesehen haben oder sich mit Blick auf die hergebrachte Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht für diese interessieren, da sich gerade wenige Präzedenzfälle finden (die breite Berücksichtigung der Mutterschafts-Richtlinien4 ist eher Ausnahme denn Regelfall), in denen die Zivilgerichtsbarkeit ihre Entscheidung in einer Haftungsklage auf eine solche Analyse gestützt hat.5 Ein vergleichbares Ko/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 Rn.  6 . A. A. wohl noch BVerwG, NJW 1961, 891; NJW 1961, 1549; Arndt, NJW 1959, 7 und 1258 f.; ders., NJW 1962, 27. Zum Ganzen J. Prütting, Das Recht auf rechtliches Gehör im Zivilprozess, in: Effer-Uhe/Hoven/Kempy/Rösinger(Hrsg.), Einheit der Prozessrechtswissenschaft?, 2015, S.  247, 258 ff. mit gesonderter Analyse eines Anspruchs auf Rechtsgespräch mit BGH, NJW 2009, 987, 988 einhergehenden Wertungen; ferner Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  29 Rn.  14. 3  Dies ergibt sich ohne gesonderte empirische Untersuchung bereits daraus, dass bis auf die wenigen Fälle wirtschaftlicher Erwägungen im Haftungsstreit (vgl. BGH, NJW 1954, 290; 1975, 43 f.; 1983, 2080; OLG Düsseldorf, MedR 1984, 69; OLG Hamm, NJW 1993, 2387; OLG Köln, VersR 1993, 52 f.; 1999, 847) und den zurückhaltenden Ansätzen der Einbeziehung sozialversicherungsrechtlicher Vorgaben (SGB  V, Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, vgl. BGH, NJW 2004, 1452; GesR 2008, 361; OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044; OLG Köln, GesR 2012, 165; KG, NJW 2004, 691) sozialrechtliche Bezüge in den Medizinschadensprozessen nicht ersichtlich sind. 4  OLG Köln, BeckRS 2011, 26595 unter 1.a. („Nach den Mutterschafts-Richtlinien war sie nach Feststellung der Schwangerschaft nicht verpflichtet, weitergehende Untersuchungen, insbesondere in Hinblick auf einen Toxoplasmose-Immunstatus durchzuführen oder die Mutter des Klägers wenigstens auf die Möglichkeit solcher Tests hinzuweisen. Die Mutterschafts-Richtlinien spiegeln den ärztlichen Standard wider.“) mVa. OLG München, OLGR 1993, 189 f.; KG, VersR 1996, 332 ff. (der BGH hat die Revision der damaligen Kläger durch Beschluss vom 17.10.1995, VI ZR 368/94 nicht angenommen); KG, NJW 2004, 691 ff.; OLG Stuttgart, OLGR 1999, 406 ff. 5  Gerne wird auch floskelhaft ablehnend verfahren, vgl. OLG Hamm, VersR 2004, 516; 2002, 857 („Bei der Beurteilung dieser Frage hat sich der Senat vergegenwärtigt, daß der gebotene medizinische Standard nicht allein durch Richtlinien, Leitlinien oder Empfehlungen der zuständigen medizinischen Gesellschaft geprägt wird. Vielmehr beurteilt sich die – bei der regelrechten Behandlung – zu beachtende Sorgfalt nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Behandlung“); ähnlich auch OLG Hamm, NJW 2000, 1801 („Die Richtlinien können diesen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nur deklaratorisch wiedergeben, nicht aber konstitutiv begründen. Der Arzt muss, um den erforderlichen Erkenntnisstand zu erlangen, die einschlägigen Fachzeitschriften des entsprechenden Fachgebiets, in dem er tätig ist, regelmäßig lesen“), wobei das OLG sich wohl überwiegend

I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative

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Problem dürfte in Streitigkeiten um Zuzahlungsverpflichtungen aufkommen, während der Wirtschaftlichkeitsaspekt des SGB  V in der Standarddiskussion nach §  630a Abs.  2 BGB so weit in das Bewusstsein von Parteien und Gerichten getreten ist, dass dieser – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bisherigen Haltung des BGH6 – wohl mitbedacht, aber in der praktischen Durchführung mangels Erfolgsaussicht allenfalls zurückhaltend erörtert wird. Mit Blick auf die institutionelle Unterscheidung zwischen Gericht und Partei hinsichtlich des Grundsatzes „da mihi facta, dabo tibi ius“7 ist jedoch der Ansatz nicht frei von Zweifeln, Parteien in die Verantwortung zutreffender Normauslegung dermaßen weitreichend einzubinden. Demgegenüber hat das Gericht vor dem Hintergrund der Art.  20 Abs.  3, 97 GG gerade die verfassungsrechtlich induzierte Pflicht, das Gesetz zu beachten – „iura novit curia“.8 Allerdings dürfte auch das erkennende Gericht regelmäßig wenig Anstrengung zeigen, sich mit fachfremder Materie – in diesem Fall als Zivilrichter mit den Strukturen und Besonderheiten des Sozialversicherungsrechts – auseinanderzusetzen und sich dabei der Notwendigkeit ausgesetzt zu sehen, sich vielfach neu einarbeiten zu müssen.9 Schließlich besteht eine für das Gericht angenehm anmutende Tendenz dazu, gerade Fragen relevanter Richt- und Leitlinien sowie etwaiger wirtschaftlicher Gebote des Behandlungsprocederes den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zu überlassen, wobei für die Beurteilung des Wirtschaftlichkeitspostulats auch dem Sachverständigen häufig der Überblick fehlen wird. Mangels medizinischer Expertise sehen regelmäßig jedenfalls weder Gericht noch Parteivertreter sich in der Pflicht, in diesem Feld selbstständig bis ins Detail zu prüfen. Ein Korrektiv ergibt sich möglicherweise nach erstellter sachverständiger Begutachtung zu im Einzelfall interessierenden Behandlungsstandards, wenn die durch das Gutachten belastete Partei den Gutachter in Person oder hinsichtlich seiner Sachausführungen anzugreifen versucht.10 Aber auch in diesem Moment liegt die Verantwortung korrigierender auf BÄK-Richtlinien zu beziehen scheint und nicht klar wird, ob auch Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gemeint sein sollten. 6  St. Rspr. zur Ablehnung wirtschaftlicher Erwägungen im Haftungsmaßstab seit BGH, NJW 1983, 2080. 7  Vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  139 Rn.  6 f.; Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23.  Aufl. 2017, §  139 Rn.  20 ff.; ausführlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  77; Zettel, Der Beibringungsgrundsatz, 1977; s. a. Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12.  Aufl. 2014, Rn.  177. 8  Vgl. Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23.  Aufl. 2017, vor §  128 Rn.  189; MüKo/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 Rn.  5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  77 Rn.  10. 9 Hierzu Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S.  37 ff.; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970, S.  1 ff., 149 ff.; Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, 1977, S.  16 ff., 145 ff.; anschaulich zu Fehlinterpretationen der Regeln zur Haftungsbeschränkung von Unternehmern und Arbeitskollegen nach den §§  104 ff. SGB VII in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung Ricke, NZV 2014, 200 ff. 10  Zur Beweiswürdigung vgl. Musielak/Voit/Huber, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  402 Rn.  12 f.;

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

Rechtsausführungen im Lager einer Partei und deren Vertreter und es bleibt dem Zufall besonderer juristischer – und ggfls. medizinischer und ökonomischer – Sachkunde sowie anwaltlichen Weitblicks überlassen, ob sozialversicherungsrechtliche Vorgaben und Systemerwägungen analysiert und einbezogen werden. Das allein überzeugt als Sicherung der judikativen Umsetzung des gesetzgeberischen Willens nicht, wenn diese erforderliche Sorgfalt nicht wenigstens mit erheblichen Gehörschancen angefüttert werden kann und hierdurch relevante Gründe für eine anwaltliche Befassung mit den genannten Hintergründen erkennbar werden. Im Rahmen des allgemeinen Streitvortrags bleibt dieser Ansatz somit einer von vielen, der das Gericht selten überzeugen wird.

2. Besorgnis der Befangenheit Ein weiteres Kontrollmoment könnte sich durch die jeweiligen Parteivertreter ergeben, wenn das Gericht oder der bestellte Sachverständige sich Erkenntnissen gezielt verschließen sollte oder nach Hinweis auf einzubeziehende Vorschriften anderer Teilrechtsordnungen deren Erwägung gleichwohl ablehnen oder übergehen würde. Als Vehikel könnte in diesen Fällen die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nach den §§  42, 406 Abs.  1 S.  1 ZPO erwogen werden.11 Besagter Ansatz ist jedoch insbesondere deshalb kein verlässliches Mittel, weil die zu übersteigende Messlatte im Bereich fehlerhafter Rechtsanwendung respektive fehlerhafter Berücksichtigung und Abwägung sehr hoch ist.12 Gegen das Gericht müssen klare Anzeichen der Unsachlichkeit oder Willkür bis hin zur Vermutung der Rechtsbeugung vorliegen,13 was im Fall komplexer Auslegungserwägungen, die das Gericht regelmäßig nicht mit einer erkennbar willkürlichen, sondern mit einer allgemein ablehnenden Verbalisierung übergehen wird, kaum vorkommen dürfte. Dem Sachverständigen müsste vorgeworfen werden können, dass er mit erkennbar einseitiger Belastungstendenz agiert, was im Rahmen der Sachargumentation selten auf richterliche Überzeugung stößt.14 Dass dies im Einzelfall anders laufen mag, ändert nichts an der fehlenden generellen Sicherung gesetzeskonformer Rechtsprechung. Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23.  Aufl. 2015, §  412 Rn.  1; s. ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  122 Rn.  67 ff. 11 Instruktiv Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23.   Aufl. 2015, §  406 Rn.  1 ff.; ferner Musielak/ Voit/Huber, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  406 Rn.  6 ff.; Schellhammer, Zivilprozess, 15.  Aufl. 2016, Kap.  13 Rn.  651 ff.; Schilken, Zivilprozessrecht, 7.  Aufl. 2014, Rn.  56 ff.; Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, 3.  Aufl. 1988, S.  126 ff.; zur Ablehnung eines ärztlichen Sachverständigen OLG Karlsruhe, r+s 2018, 395. 12  Vgl. BAG, NJW 1993, 879; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1997, 1084; OLG Brandenburg, BeckRS 2012, 2042; ferner Stein/Jonas/Berger, ZPO, 23.  Aufl. 2015, §  406 Rn.  42 f. 13  Hierzu BayObLG, DRiZ 1977, 244 und FamRZ 1979, 737; OLG Hamm, FamRZ 1999, 936; VersR 1978, 646; OLG Köln, NJW-RR 1986, 419; Gießler, NJW 1973, 981, 982. 14  Beispiele bei Musielak/Voit/Huber, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  406 Rn.  9 mwN.

I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative

267

3. Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere Einlegen von Rechtsmitteln Ein weiteres Element der Kontrolle bieten die verschiedenen Möglichkeiten der Entscheidungsüberprüfung, die je nach Prozessart und Rechtsweg unterschiedlich ausgestaltet sind. Zentral sind insofern die Möglichkeiten des Instanzenzuges, wobei mit Blick auf den vorliegend wegen des haftungsrechtlichen Ansatzes interessierenden Zivilprozess die Möglichkeiten von Berufung und Revision (für den Fall der Nichterreichung der Berufungssumme von 600 € ggfls. auch die Gehörsrüge nach §  321a ZPO15 und die Verfassungsbeschwerde mit der Rüge der Willkürentscheidung16 und der Entziehung des gesetzlichen Richters17) einschlägig sind. Auch insofern zeigt sich zunächst, dass der Parteiansatz und seine oben angeführten Schwächen mangels gesondert im System enthaltenen staatlichen Verfolgungsinteresses, wie dieses etwa im strafrechtlichen Bereich durch die Staatsanwaltschaften wahrgenommen wird, im allgemeinen Zivilprozess de lege lata weithin unumgänglich ist, solange die Gerichte nicht von sich aus zu Schnittstellenüberlegungen im Rahmen von rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen angehalten werden. Allerdings bietet die Einlegung von Rechtsmitteln bei parteiseitig erkannter Normenkollisionslage die Möglichkeit, innerhalb der Rechtverletzungsrüge (§§  513 Abs.  1, 546 ZPO) ein Gericht zielgerichtet mit der Problematik zu befassen.18 Auch bringt eine bislang nicht erörterte Normenkollision die Chance mit sich, bei nicht zugelassener Revision hierauf eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde19 auf Erwägun15  Die Gehörsrüge kann allerdings ausschließlich auf eine Verletzung des Art.  103 Abs.  1 GG gestützt werden, was mit Blick auf Normkollisionserwägungen wohl allein dann in Betracht kommt, wenn relevanter Rechtsvortrag hierzu vollständig ignoriert wird. Vgl. zur begrenzten Einsetzbarkeit und fehlenden Analogiefähigkeit des §  321a ZPO BGH, NJW 2008, 2126 Rn.  4 f.; 2009, 3710 Rn.  17 f.; NJW-RR 2009, 144 und hierzu BT-Drucks. 15/3706, 14; ausführlich MüKo/Musielak, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  321a Rn.  12; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  29 Rn.  6 ff.; ferner Braun, JR 2005, 1. 16  Eine Willkürentscheidung setzt aber ein eindeutig gegen die Rechtslage gefasstes Judikat voraus, das als schlechterdings unvertretbar bezeichnet werden muss, vgl. BVerfGE 87, 273, 279 = NJW 1993, 996 f.; BVerfGE 96, 189, 203 = NJW 1997, 2305, 2307 („Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise mißdeutet wird. Von einer willkürlichen Mißdeutung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt“). 17  Hierfür muss das jeweilige Gericht erster Instanz allerdings die Zuständigkeitsregelungen der ZPO, in diesem Fall die Berufungseröffnung nach §  511 Abs.  2 Nr.  2, Abs.  4 ZPO in einem Maß verkannt haben, dass von einer willkürlichen Entscheidung gesprochen werden muss, vgl. BVerfGE 6, 45, 53 = NJW 1957, 337; BVerfGE 58, 45 = NJW 1982, 507; BVerfG, NJW 2005, 411. 18  Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage vgl. MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 46 Rn.  2 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  142 Rn.  11 ff.; monographisch ferner Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellungen in der Revisionsinstanz, 1964. 19  Zur Einordnung i.R.d. rechtlichen Gehörs vgl. Zuck, NJW 2008, 2078.

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

gen der Rechtsfortbildung20 und der Einheitlichkeitssicherung21, ggfls. auch auf den Fall der Grundsatzbedeutung22 zu stützen, was wiederum rechtspraktisch dazu führen könnte, dass insbesondere BGH-Anwälte sich für eine nähere Befassung mit der Thematik interessieren und über diesen Weg entsprechende Erwägungen verstärkt eingebunden werden. Rechtspraktisch muss jedoch einbezogen werden, dass die jeweiligen Parteien sich erheblichen Risiken, insbesondere mit Blick auf Kosteninteressen ausgesetzt sehen, weil die im Einzelfall betroffene Partei sich nach verlorener erster und zweiter Instanz jeweils fragen muss, ob weiterer Zeit- und Mittelaufwand noch lohnend oder wirtschaftlich machbar erscheinen. Auch im Falle bestehender Rechtsschutzversicherung braucht es eine nicht vollkommen fernliegende Argumentationslinie, um dem Einwand der Rechtsschutzversicherung zu entgehen, dass eine weitere Rechtsverfolgung – spätestens nach Unterliegen in der zweiten Instanz – ggfls. als nicht erforderlich im Sinne des §  125 VVG und damit als nicht versichert zu erachten sein könnte.23

4. Judikative Begründungspflicht Dieser letzte Gedankengang parteiseitiger Rügemöglichkeiten im jeweiligen Rechtsbehelfsverfahren sei unmittelbar für die bereits zu Beginn vorgeschlagene richterliche Begründungspflicht aufgenommen.24 Wenn das Fehlen richterlicher Erwägungen in den Gründen im Fall entscheidungserheblicher rechtsgebietsübergreifender Normenkollision einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des §  547 Nr.  6 ZPO25 auslöste, so dürfte die Chance der parteiseitigen Geltendmachung im Rahmen des Instanzenzuges und gerade auch mit Blick auf eine Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH erheblich steigen. Die unterlegene Par20  BGHZ 151, 221, 225 = NJW 2002, 3029 f.; s. a. MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 44 Rn.  15; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12.  Aufl. 2014, Rn.  691; ferner monographisch Lames, Rechtsfortbildung als Prozeßzweck, 1993; Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010, S.  341 ff. 21  BGHZ 152, 182, 188; 154, 288, 294 f. = NJW 2003, 1943, 1945 (zur materiellen Rechtsanwendung); vgl. daneben die je nach Parteivortrag ebenfalls denkbaren Angriffsmöglichkeiten über verletzte Verfahrensgrundrechte, MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  543 Rn.  19 ff. mwN.; ausführlich Baukelmann, FS Erdmann, 2002, S.  767; vgl. ferner Roth, Wege zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, in: 4. Zivilprozessrechts-Symposium, Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer, Bd.  16 (2008), S.  79: Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  74 Rn.  9. 22  Vgl. BGH, VersR 1974, 1206 f.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  5 43 Rn.  5 ff.; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  74 Rn.  7; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, 12.  Aufl. 2014, Rn.  691. 23  Vgl. MüKo/Obarowski, VVG, 2.  Aufl. 2017, §  125 Rn.  30 f. 24  Mit diesem Vorschlag schon J. Prütting, RW 2018, 289, 328 f. 25 Instruktiv zum Revisionsgrund der fehlenden Entscheidungsgründe MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  547 Rn.  15 ff.; BeckOK/Kessal-Wulf, ZPO, 30. Ed. 2018, §  547 Rn.  22 ff.; s. a. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  143 Rn.  4 4 ff.

I. Ansätze für eine Forcierung der Berücksichtigung durch die Judikative

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tei hätte hierdurch ein stabiles Vehikel, um eine Überprüfung der Problematik herbeizuführen. Zugleich zeitigte die judikative Begründungspflicht aber auch ein den Gerichten mittelbar über die §§  313 Abs.  1 Nr.  6 , 547 Nr.  6 ZPO oktroyiertes Eigeninteresse verschärfter Wahrnehmung von Rechtsmaterien, die sich außerhalb der jeweiligen richterlichen Sozialisierung bewegten.26 Das Problem würde gezielt internalisiert. Inhaltlich wären an diese Begründungspflicht keine überzogenen Anforderungen zu stellen, da es sicherlich nicht darum gehen kann, dass das zur Entscheidung berufene Gericht monographische Analysen durchführt. Auch ist die Judikative durch die zu befürwortende höchstrichterliche Rechtsprechung geschützt, wonach §  547 Nr.  6 ZPO nicht im Falle unrichtiger oder bruchstückhafter rechtlicher Begründung angenommen werden kann.27 Was unter diesen Schutz nach hier vertretener Ansicht aber nicht fallen darf, ist das vollständige Fehlen einer Befassung mit einer entscheidungsrelevanten Rechtsmaterie oder das bloße Verfassen nichtssagender Floskeln.28 Entsprechend den oben gewählten Beispielsfeldern bedeutet das also das Fehlen von Gegenstand und Reichweite denkbarer Inkorporationserwägungen sozialversicherungsrechtlicher Richtlinien in den zivilrechtlichen Standardbegriff an Hand der gesetzgeberischen Grundsatzwertungen, Wirtschaftlichkeitserwägungen bei der Standardbestimmung oder deren Ablehnung sowie sozialversicherungsrechtliche Strukturentscheidungen im Streit um Zuzahlungsverpflichtungen. Ein belastbarer Fortschritt hin zu einem Mehr an rechtsstaatlichem Verfahren ist bereits dann erzielt, wenn die Judikative die Schnittstellenproblematik und die gesetzgeberischen Wertentscheidungen des aus richterlicher Sicht vielfach eher fernliegenden Rechtsgebiets zur Kenntnis nimmt und sich hiermit wenigstens einmal vor der Entscheidungsfindung auseinandersetzen muss.29 Die Konsequenz ist nicht zuletzt, dass auf entsprechenden Erwägungen aufgebaut werden kann, diese in der Folge (insbesondere im Instanzenzug) überprüfbar werden und zugleich die flankierende wissenschaftliche Debatte beflügeln, deren Erkenntnisse von den Gerichten im Rahmen künftiger Judikate nutzbar gemacht werden können. Teil des Rechtssystems bleibt dabei einzig, was gesetzlich vorgesehen oder zulässig judikativ inkorporiert worden ist. Wenn aber – was ohne Weiteres im Gerichtsalltag verständlich erscheint – den zur Einzel­fall­ ent­scheidung berufenen Richtern nicht die Kapazitäten zur Verfügung stehen, komplexe Rechtsprobleme intensiv zu analysieren und daher vielfach nur an der 26 

Näher §  2 III. 2. und 3. Vgl. BGH, NJW 1981, 1045, 1046. Grundlegend RGZ 8, 260, 262; 169, 65, 75; 170, 328, 332; aufgenommen in BGHZ 39, 333, 337 = NJW 1963, 2272. 28  Vgl. hierzu BGHZ 39, 333, 337 = NJW 1963, 2272, wobei die Maßstäbe deutlich enger als vorliegend gefordert statuiert sind; vgl. zu bloßen floskelhaftigen Begründungen auch Stein/ Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  547 Rn.  29; zur Diskussion s. u. §  6 II. 2. 29  Vgl. grundsätzlich zur Pflicht des Gerichtes, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  29 Rn.  3. 27 

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Oberfläche des Problems bleiben, ist es – unter steter Beachtung der Selbstermächtigungsproblematik 30 – geradezu erforderlich, die begleitende Wissenschaft verstärkt zu beachten und über die Rechtssatzvorgabe der §§  313 Abs.  1 Nr.  6 , 547 Nr.  6 ZPO auch mittelbar die erforderliche Aufmerksamkeit zu verschaffen.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht 1. Revision, Nichtzulassungsbeschwerde und absolute Revisionsgründe Da belastbare rechtspraktische Chancen der judikativen Berücksichtigung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen mithin allem voran in der Revisionsinstanz als reiner Rechtsprüfungsinstanz (§  545 Abs.  1 ZPO) bestehen, ist ein näherer Blick auf den Zugang zu dieser Instanz erforderlich, um die Rechtsprechung zu Fehlen und relevanter Lückenhaftigkeit der Entscheidungsgründe korrekt einordnen und sachgerecht auf das Problem rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen anwenden zu können. a) Revision und Nichtzulassungsbeschwerde Die Revision ist zivilprozessual als reine Zulassungsrevision ausgestaltet, §§  543 Abs.  1, 544 ZPO31, und verlangt dem zulassenden Gericht (Berufungs- oder Revisionsgericht, §  543 Abs.  1 Nr.  1 oder 2 ZPO) eine Würdigung ab, ob die vorliegende Rechtsfrage Grundsatzbedeutung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1) aufweist oder die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO) erforderlich ist32 , da andernfalls der verfassungsrechtlich nicht vorgeschriebene Instanzenzug33 nur die Überprüfung durch die Berufung im Rahmen des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens bietet. Lässt das Berufungsgericht die Revision zu, so ist das Revisionsgericht hieran gebunden, §  543 Abs.  2 S.  2 ZPO. Die einmal zugelassene Revision ermöglicht es den Parteien, erfolgreich jede Rechtsverletzung iSd §  545 Abs.  1 30 

Näher hierzu unter §  3 I. 2. a) cc). Vorschrift schränkt die Vorschrift des §  542 ZPO, welche die revisionsfähigen Urteile festlegt, durch den Grundsatz der Zulassungsrevision ein. Revisionsfähige Urteile sind nur dann auch revisibel, wenn die Revision zugelassen ist, allgemein MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  543 Rn.  3; ferner Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  1; zum Telos im rechtsvergleichenden Kontext s. ferner Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010, S.  334 ff.; vgl. weiterhin Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  74 Rn.  6; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  82 Rn.  142 Rn.  1 ff.; Schilken, Zivilprozessrecht, 7.  Aufl. 2014, Rn.  923 ff. S. auch Büttner/ Tretter, NJW 2009, 1905. 32  Für Nachweise s. bereits oben §  6 I. 3. 33  BVerfGE 1, 433, 437 f.; 107, 395, 401 f. = NJW 2003, 1924; BVerfGE 138, 33, 44 = NJW 2015, 610; s. a. Maunz/Dürig/Jachmann, GG, 84. EL. 2018, Art.  95 Abs.  2 Rn.  103. 31  Die

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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ZPO zu rügen, auf der das Urteil des Berufungsgericht beruht,34 auch wenn es sich um Rechtsverletzungen handelt, die nicht nach den Erwägungen des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 und 2 ZPO zur Zulassung geführt haben.35 Allerdings kann das Berufungsgericht die Revision gezielt auf Streitbestandteile und spezifische Rechtsfragen beschränken.36 Die Nichtzulassungsbeschwerde unterliegt nach §  26 Nr.  8 EGZPO nebst den vorgenannten Erfordernissen im Rahmen der Zulässigkeit auch einer Wertschwelle der formellen Beschwer von 20.000 € sowie den Antrags- und Fristerfordernissen nach §  544 Abs.  1, 2 ZPO.37 b) Erfolg des Rechtsmittels und absolute Revisionsgründe Es ist anerkannt, dass selbst das Vorliegen absoluter Revisionsgründe nicht per se zum Erfolg des Rechtsmittels führt, sondern jedenfalls im Rahmen der Zulässigkeit die Revision/Nichtzulassungsbeschwerde statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt sein muss.38 Nicht abschließend geklärt ist demgegenüber die Frage, wie absolute Revisionsgründe in das System der Begründetheit einzuordnen sind.39 Der Gesetzgeber hat materiell-rechtliche Rechtsverletzungen und Verfahrensverstöße im Revisionsrecht gezielt gleich behandeln wollen,40 so dass dem Grunde nach entsprechend erkennbarer subjektiver Teleologie davon ausgegangen werden muss, dass auch Verfahrensverstöße nur in den oben genannten Fällen des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 und 2 ZPO zum Erfolg von Revision/ Nichtzulassungsbeschwerde führen.41 Mit Blick hierauf hat die Rechtsprechung bislang auch die in §  547 ZPO genannten Rechtsfehler betrachtet und jedenfalls in den Fällen der Nr.  1–4 grundsätzlich einen Ansatz der Einheitlichkeitssicherung gesehen, da eine Gleichbehandlung mit der Verletzung von Verfahrensgrundrechten erkannt worden ist.42 Diese Argumentation ist allerdings nicht auf den vorliegend interessierenden Fall des §  547 Nr.  6 ZPO ausgedehnt wor34 

AllgM. vgl. nur Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  545 Rn.  11. BGH, NJW 2005, 664. 36  Vgl. BGH, NJW-RR 2004, 426, 427; NJW 2012, 2446; NJW 1990, 1795, 1796; 1993, 1799; 2001, 2176, 2177; NJW-RR 2012, 759; s. a. Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  42. 37  Zu letzteren Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  5 44 Rn.  12 ff.; ferner s. a. Zeiss/ Schreiber, Zivilprozessrecht, 12.  Aufl. 2014, Rn.  696. 38  BGHZ 2, 278, 280 = NJW 1951, 802; BGHZ 39, 333, 335 = NJW 1963, 2272: MüKo/ Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  547 Rn.  3; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  547 Rn.  4. 39  Vgl. MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 43 Rn.  18; vgl. die Ausführungen zu den Gesetzesmaterialien bei Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010, S.  344. 40  BT-Drucks. 14/4722, S.  105; hierzu auch MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 43 Rn.  18. 41  Vgl. BGHZ 81, 53, 54 f. = GRUR 1981, 840 f.; BGHZ 151, 42, 46 = NJW 2002, 2473; BGH, NJW 2002, 2957; 2002, 3180, 3181; NJW-RR 2003, 995, 996. 42  Vgl. BGHZ 172, 250, 253 = NJW 2007, 2702, 2703; MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  543 Rn.  18 f. 35 

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den – höchstrichterlich bislang offen gelassen – und wird für diesen partiell bestritten, da ein Verstoß nicht das Gewicht einer Verfahrensgrundrechtsverletzung habe.43 Dem wird im Folgenden entgegengetreten. Die Bedeutung richterlicher Begründungspflicht kann mit Blick auf Art.  103 Abs.  1 GG und zur Vermeidung von Willkürentscheidungen kaum hoch genug geschätzt werden.44 aa) Grundsätze des Rechts auf rechtliches Gehör45 Das Bundesverfassungsgericht formuliert in einer frühen Entscheidung: „Der in Art.  103 Abs.  1 GG zum Grundrecht erhobene Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Die Aufgabe der Gerichte, über einen konkreten Lebenssachverhalt ein abschließendes rechtliches Urteil zu fällen, ist in aller Regel ohne Anhörung der Beteiligten nicht zu lösen. Diese Anhörung ist zunächst Voraussetzung einer richtigen Entscheidung. Darüber hinaus fordert die Würde der Person, daß über ihr Recht nicht kurzer Hand von Obrigkeits wegen entschieden wird; der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können.“46

Eine präzise Definition des rechtlichen Gehörs findet sich zwar weder in dieser noch in einer späteren Entscheidung, jedoch werden hieraus die folgenden Eckpunkte abgeleitet: i. Das Recht auf Information47 ii. Das Recht auf Äußerung48 iii. Die gerichtliche Berücksichtigungspflicht49 43  So insbesondere MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 43 Rn.  18, welcher betont, dass die Fälle der Nr.  5 und 6 nicht das Gewicht von Verfahrensgrundrechtsverletzungen haben. Es sei daher ausreichend und angemessen, wenn ein Verstoß hiergegen nur nach den allgemeinen Kriterien und nicht generell zur Zulassung führe; in der Begründung anders, aber zum selben Ergebnis kommend Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  27; zum Verhältnis der absoluten Revisionsgründe zur Frage der Zulässigkeit vgl. auch Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  74 Rn.  43 („Schönheitsfehler“). 44  Diese stellt die Basis jeder Überprüfung der Entscheidung durch Parteien und Rechtsmittelgericht dar, S. hierzu auch MüKo/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  286 Rn.  21; ferner Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  286 Rn.  17 f. 45 Instruktiv Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, 30.  Aufl. 2011, §  29. 46  BVerfGE 9, 89, 95 f. = NJW 1959, 427. 47  Vgl. BGHZ 162, 365, 373 = GRUR 2005, 569; s. a. BGH, GRUR 2014, 852; ferner Sachs/ Degenhart, GG, Art.  103, 8.  Aufl. 2018, Rn.  11, 16; Liu, Die richterliche Hinweispflicht, 2019, S.  56 ff. 48  Vgl. BVerfG, MDR 2013, 1113 Rn.  14 f.; BGH, IBRRS 2014, 3715; zu den Grundlagen und der Entwicklung des verfahrensrechtlichen Äußerungsprivilegs vgl. auch Klein, NJW 2018, 3143. 49  Vgl. BVerfGE 60, 247, 249 = BeckRS 1982, 106548; BVerfGE 65, 293, 295 f. = BeckRS 1983, 05898; BVerfGE 70, 288, 293 = MDR 1973, 201; BVerfGE 83, 24, 35 = NJW 1991, 1283; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007; MDR 2013, 1113 Rn.  14 f. Eingehend zu den drei Ausprä-

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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Durch diese Trias wird die vorgenannte Leitidee in den Verfahrensablauf übersetzt und näher beschrieben. Das Gehörsrecht mit Verfassungsrang stellt den für ein rechtsstaatliches Verfahren erforderlichen Diskurs sicher, durch welchen in jedem Verfahrensstadium gewährleistet wird, dass der Rechtsunterworfene mit seinen materiell-rechtlich geschützten Interessen effektiv wahr- und vor einer vielfach als übermächtig wahrgenommenen staatlichen Judikative auch ernstgenommen zu wird.50 Eine derartige Wahrnehmung und Ernstnahme kann jedoch nur in Kombination von Information, hinreichender Äußerungsmöglichkeit und nachprüfbarer Berücksichtigung geschehen. Weiß die nicht anwaltlich vertretene Partei nicht um die verfahrensbeschleunigenden Vorschriften zur Präklusion, ist ihr Gehörsrecht nichts wert, klärte das Gericht nicht bei Fristbeginn auf.51 Erhält eine Partei keine Möglichkeit, Zeugen oder Sachverständige in einer Prozesssituation gebotener weiterer Sachaufklärung zu befragen, weil das Gericht die zu erwartenden Antworten antizipiert, ohne hierfür tragende Gründe aufzeigen zu können, ist der Informationsstand der Partei bedeutungslos, kann sie sich doch zur eigentlichen Befragungssituation niemals äußern.52 Trägt eine Partei vor, ohne hierbei vom Gericht aufmerksam angehört zu werden, ist ihr Vortragsrecht hinfällig, vermag sie doch ihre prozessualen Geschicke nicht zu beeinflussen.53 Legte man aber keinen Wert auf sorgfältige richterliche Begründung im Rahmen einer noch anfechtbaren 54 Entscheidung, so könnte die beschwerte Partei sorgfältig informierten, aktiv explizierten und angehörten Vortrag zu Sach- oder Rechtslage bringen. Eine sinnvolle Überprüfung, ob das erkennende Gericht ihre Argumente und Darstellungen abgewogen hat,55 wird im Zweifel nicht mehr gelingen, da sich im Fall gungen Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2.  Aufl. 2000, S.  13 ff.; monographisch Mauder, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, seine Stellung im System der Grundrechte und seine Auswirkung auf die Abgrenzungsproblematik zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit, 1986; zur Frage, wann ein Verstoß gegen Vorschriften der Zivilprozessordnung den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, vgl. Zuck, NJW 2005, 3753. 50  Näher Maunz/Dürig/Remmert, GG, 84. EL. 2018, Art.  103 Abs.  1 Rn.  20 ff. mwN. sowie mit Hinweis auf die unterschiedlichen Schutz- und Funktionserwägungen. 51  Vgl. BVerfGE 60, 1 = NJW 1982, 1453; s. a. BVerfGE 69, 145, 149 = NJW 1985, 1150; BVerfGE 75, 302 = NJW 1987, 2733. Zum Parallelfall der Substantiierungslast BGH, IBRRS 2014, 1061. 52  Vgl. BVerfG, WM 2012, 492, 493; NJW 2009, 1585; BGH, NJW-RR 2010, 1217; RuS 2010, 64. 53  Zum übergangenen Beweisantrag BVerfGE 69, 141, 144 = NJW 1986, 833; BVerfG, WM 2009, 671, 672. 54  Vgl. BVerfGE 104, 1, 8 = NJW 2001, 3256. Ein wenig voreilig nimmt der Gesetzgeber die Möglichkeit fehlender Begründung in §  564 S.  1 ZPO bereits für die Revisionsinstanz an, jedoch erscheint es mit Blick auf §  321a ZPO wie auch eine etwaige Individualverfassungsbeschwerde vor dem Hintergrund von Art.  103 Abs.  1 GG keineswegs selbstverständlich, die Begründungserfordernisse derart herab- oder gar vollständig auszusetzen. 55 Zur Bedeutung der Widerspruchsfreiheit des Tatbestandes und der Teilnahme des Rechts auf Tatbestandsberichtigung am Recht auf rechtliches Gehör vgl. BGH, IBRRS 2014, 1916.

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

der Zulässigkeit eines solchen Vorgehens die nächste Instanz – wenn die getroffene Entscheidung nicht aus anderen Gründen fallen soll – wahrscheinlich darauf zurückziehen kann und wird, dass das Gehörsrecht nicht verletzt sei, da auch ohne Nennung in den Gründen die Vorinstanz das als übergangen gerügte Vorbringen berücksichtigt habe.56 Abschließend sei erwähnt, dass ebenso wie übergangener Sachvortrag auch entscheidungserheblicher übergangener Rechtsvortrag am Gehörsrecht teilnehmen muss.57 Den Parteien ist die Möglichkeit des Rechtsvortrags zielgerichtet eröffnet, für die zur Vertretung berufenen Anwälte gilt mit Blick auf die Stellung zum Mandanten haftungsrechtlich sogar das Gebot, fehlerhafte Rechtsauffassungen des Gerichts zu erkennen und gegen diese anzugehen.58 Dann muss hiermit aber auch eine gehörsrechtliche Berücksichtigungspflicht der Gerichte korrespondieren,59 denn andernfalls wäre das oben dargestellte Säulenmodell für ein rechtsstaatliches Verfahren keiner Kontrolle unterworfen60 und damit aus Sicht des Rechtsunterworfenen als bedroht zu erkennen; seine Einschätzung würde ohne Erläuterung und Gegenrede übergangen. 61 In der Gerichtspraxis ziehen sich die Entscheidungen hinsichtlich etwaiger Gehörsverletzungen allerdings regelmäßig auf die verfassungsrechtliche Judikatur zurück, wonach Parteien grundsätzlich nur gegen Überraschungsentscheidungen geschützt seien. 62 Eine solche liege dann vor, wenn ohne vorherigen Hinweis ein rechtlicher Ansatz vertreten werde, „mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte.“63

56  Partiell in diese problematische Richtung weist allerdings die Rechtsprechung mit einer Zweifelsannahme pro erfolgter Berücksichtigung, vgl. BGH, IBRRS 2014, 3715 Rn.  9, die dann widerlegt sein soll, wenn Gegenteiliges im Einzelfall besonders deutlich zu Tage tritt, BVerfG, MDR 2013, 1113 Rn.  15, wobei die Bestimmung der zu überschreitenden Schwelle kaum ausgemacht werden kann. Es wird von einer „gewissen Evidenz“ gesprochen, so ausdrücklich benannt in BGH, BKR 2014, 430 Rn.  11 mVa. BVerfGE 86, 133, 146 = ZIP 1992, 1020; 96, 205, 216 f. = NJW 1997, 2310; BVerfG, NJW 2000, 131. 57  S. hierzu BVerfG, NJW-RR 1993, 383: „Die Garantie des rechtlichen Gehörs umfaßt nicht nur die Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens der Prozeßbeteiligten, sondern auch ihre rechtlichen Erwägungen“; BVerfG, NJW-RR 1995, 1033; Vgl. ferner Deubner, JuS 1996, 240, 243. 58  BGH, NJW 2009, 987, 988. 59  So auch Effer-Uhe, GreifRecht 2014, 108, 110; zum Inhalt von Berücksichtigungspflichten ferner Sachs/Degenhart, GG, 8.  Aufl. 2018, Art.  103 Rn.  28 ff. 60  So mit Recht Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971, S.  157 f. 61  In diese Richtung denn auch BVerfG, NJW-RR 1993, 383; 1995, 1033 f. 62 Vgl. Zuck, NJW 2008, 2078, 2080. 63  BVerfGE 98, 218, 263 = NJW 1998, 2515; s. a. zum Zusammenhang zwischen Überraschungsentscheidungen und einer Verletzung des rechtlichen Gehörs MüKo/Fritsche, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  139 Rn.  41; ferner Stein/Jonas/Kern, ZPO, 23.  Aufl. 2017, §  139 Rn.  57 ff.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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Es scheint partiell der Gedanke zu herrschen, dass dann eine Auseinandersetzung mit einer validen Gegenauffassung oder nicht hinreichend geklärten rechtlichen Problemlagen generell entfallen dürfe. Dem kann jedenfalls nicht ausnahmslos zugestimmt werden, worauf im Rahmen der Einpassung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen zurückzukommen sein wird. Auch der Grundsatzverweis des BVerfG auf die Einhaltung pflichtgemäßen richterlichen Ermessens bei der Abfassung der Entscheidungsgründe kann sicherlich nicht als Legitimation eines pauschalen Entfallenlassens interpretiert werden. 64 bb) Die richterliche Begründungspflicht als Brücke in die fachgerichtliche Überprüfung Werden die §§  313 Abs.  1 Nr.  6 und 547 Nr.  6 ZPO im Licht der bisherigen Erwägungen zur Schutzreichweite des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art.  103 Abs.  1 GG betrachtet, so erscheint die Schlussfolgerung unausweichlich, dass nur der umspannende Ansatz der Entscheidungsbegründung letztlich die tragenden Säulen des Gehörsrechts und ihre Einhaltung überprüfbar werden lassen. Hinzu tritt der Umstand, dass mit Revision/Nichtzulassungsbeschwerde allem voran als rügefähiger Ansatz die angegriffene Entscheidung selbst und ihre Begründung überprüft werden kann. Weitere Ausformungen und vertiefte Ergänzungsdarstellung erfolgen über den Rückgriff auf gewechselte Schriftsätze, vorgelegte Beweismittel und dergleichen. 65 In diesem Kontext wird jedoch die richterliche Wahrnehmung und Haltung nicht deutlich. Daher entfaltet das Recht aus Art.  103 Abs.  1 GG im Hinblick auf die Entscheidungskontrolle erst in seiner Gestalt richterlicher Begründungspflicht seine wahre praktische Rechtsmacht, indem es der beschwerten Partei die Möglichkeit gibt, niedergeschriebene und damit der sorgsamen Analyse zugängliche richterliche Gedankenführung nachzuhalten und anzugreifen. Diesem Befund steht auch die gesetzgeberische Entscheidung des §  313 Abs.  3 ZPO für die bloße Notwendigkeit einer prägnanten Zusammenfassung der tragenden Sach- und Rechtsgründe nicht entgegen. 66 Der handwerklich ordnungsgemäß ausgebildete Jurist ist sich darüber im Klaren, dass sich selbst mit Blick auf Sach- und Rechtsvortrag umfangreiche Verfahren an zahlreichen Punkten nach wechselseitiger Darstellung, stringent verfolgter Relationstechnik und erfolgter Erhebung und Würdigung aller dargebotenen Beweise auf die Ergebnisdarstellung kaprizieren lassen, 67 ohne dass eine Partei mit ihren An64 

Vgl. BVerfG, NJW 1987, 2499. Bedeutung der Schriftsätze vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18.  Aufl. 2018, §  79 Rn.  8 ff. 66 Zu den Funktionen der Entscheidungsbegründung Kischel, Die Begründung, 2003, S.  39 ff.; Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung, 1999, S.  26 ff.; s. a. Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  313 Rn.  62 ff. 67 Hierzu Meyke, DRiZ 1990, 58; Stein, JuS 2014, 320. 65  Zur

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sätzen mangelnd berücksichtigt worden wäre. Breite Ausführungen zur Sache sind jedoch erkennbar geboten, wenn zu spezifischen Tatbestandsmerkmalen einer streitentscheidenden Norm bis zuletzt kaum Sicherheit hergestellt werden konnte, wenn entscheidungserheblichen Anträgen aus einzelfallspezifischen Gründen nicht nachgegangen werden soll oder ein Ergebnis droht, mit welchem wenigstens eine Partei ersichtlich nicht rechnet und auch nicht rechnen muss. 68 §  313 Abs.  3 ZPO darf im Licht des Verfassungsauftrags der Wahrung rechtlichen Gehörs mithin nur so gelesen werden, dass Prägnanz und Kürzung nicht die Überprüfbarkeit der Entscheidung in Frage stellen. 69 Mit Blick auf diesen Hintergrund erscheint allerdings die in §  313 Abs.  3 ZPO gewählte Formulierung missverständlich, könnte doch der Eindruck entstehen, Entscheidungsgründe wären generell und auch für alle Aspekte problematischer Erörterungen stets nur als kurze Zusammenfassung anzulegen. Dies aber wäre nicht tragbar. Wie sich der Beschluss des BGH vom 30.11.201170 in die vorgenannten Erkennt­nisse einfügt, ist ungeklärt. Der I. Zivilsenat geht zunächst in Ab­ grenzung zur Entscheidung des X. Zivilsenats mit seinem Beschluss vom 15.05.200771 davon aus, dass es qualitative Unterschiede zwischen den absoluten Revisionsgründen der §  547 Nr.  1–4 und der Nr.  6 ZPO gebe. Dies wird einerseits damit erklärt, dass mit der Rüge fehlender Begründung keine Nichtigkeits- und Restitutionsklage erfolgreich angestrengt werden könne, was jedoch in den Fällen des §  547 Nr.  1–4 ZPO gerade möglich sei. Zum anderen würde eine Verfahrensverletzung nach §  547 Nr.  1–4 ZPO stets mit einem Verfassungsverstoß nach den Art.  101 Abs.  1 S.  2 oder nach Art.  103 Abs.  1 GG einhergehen. Für §  547 Nr.  6 ZPO müsse jedoch der Einzelfall entscheiden, ob die „Intensität“ der Rechtsverletzung einen Zulassungsgrund nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1, 2 ZPO erreiche. Der BGH verwirft dies im Streitfall mit Hinweis darauf, dass die Parteien dem betroffenen Nebenanspruch kaum Bedeutung beigemessen hätten.72 Insofern klingt auch an, dass die Frage mangels Vortrags wohl unstreitig gestellt worden sein könnte. Ob jedoch das Gehörsrecht der beschwerten Partei verletzt worden sein könnte, problematisiert der Senat nicht. Wird der beiläufige Hinweis auf die fehlende Rüge respektive den mangelhaften Vortrag im Instanzenzug dahingehend verstanden, dass eine Gehörsverletzung ausscheiden 68  Zu den Grenzen der Verkürzung vgl. auch Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  313 Rn.  68, welcher indes die hier angeführten Gründe für eine extensivierte Darlegung nicht expliziert anführt. 69 MüKo/Musielak, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  313 Rn.  14; Hartmann, JR 1977, 181, 185. 70  BGH, NJW-RR 2012, 760. Das Gericht führt aus, dass die Beurteilung der Frage, ob die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§  543 Abs.  2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) zuzulassen ist, wenn der absolute Revisionsgrund des §  547 Nr.  6 ZPO geltend gemacht werde und dieser auch vorliege, maßgeblich davon abhänge, mit welcher Intensität sich die fehlende Begründung auf die Entscheidung auswirke. 71  BGHZ 172, 250 = NJW 2007, 2702. 72  BGH, NJW-RR 2012, 760 Rn.  7.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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soll, so mag man dem zustimmen können. Das Judikat steht nicht in Widerspruch zu den vorab erfolgten Ausführungen, sondern ist lediglich mit Blick auf die Bedeutung des Gehörsrecht und ihren Einfluss in §  547 Nr.  6 ZPO mangelhaft gewürdigt worden. Sollte den Ausführungen des Senats demgegenüber die Aussage zu entnehmen sein, dass grundsätzlich nicht von einer Gehörsverletzung im Fall fehlender oder unzureichender Entscheidungsgründe die Rede sein könne, so ist diese Rechtsansicht mit den Vorgaben der Verfassung nicht in Einklang zu bringen und zu verwerfen.

2. Die in der Rechtsprechung anerkannten Maßstäbe zur rügefähigen Unvollständigkeit und Unvollkommenheit von Entscheidungsgründen Vor einer Einpassung der rechtlichen Problematik rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen bedarf es noch einer Betrachtung der Reichweite rügefähiger und damit revisibler Verfahrensverletzung iSd §  547 Nr.  6 ZPO. Der BGH formuliert unter Rückgriff auf reichsgerichtliche Erwägungen in seiner hierzu ergangenen Leitentscheidung aus dem Jahr 1962:73 „Danach ist eine Entscheidung dann ‚nicht mit Gründen versehen‘, wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Der Tatbestand der fehlenden Begründung ist also ohne Weiteres gegeben, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind. (Hierauf wollte das RG noch in der Entscheidung JW 07, 482 die Anwendung des §  551 Nr.  7 ZPO beschränken.) Der ‚fehlenden‘ Begründung gleichzusetzen ist der Fall, daß zwar Gründe vorhanden sind, diese aber ganz unverständlich und verworren sind, so daß sie in Wirklichkeit nicht erkennen lassen, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend waren (RG, JW 06, 721). Das ist auch dann der Fall, wenn die Gründe sachlich inhaltlos sind und sich auf leere Redensarten oder einfach auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken (vgl. RGZ 8, 260, 262; 169, 65, 75; 170, 328, 332; RG, JW 98, 221; zur bloßen Wiederholung des Gesetzestextes vgl. OVG Münster in NJW 55, 1613; OLG Schleswig in SchlHA 49, 209, 210; 49, 286). Nicht mit Gründen versehen ist eine Entscheidung aber nicht nur, wenn sie als solche überhaupt nicht begründet ist, sondern bereits auch dann, wenn auf einzelne Ansprüche im Sinne der §§  145, 322 ZPO oder auf einzelne selbstständige Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der §§  146, 303 ZPO überhaupt nicht eingegangen ist (vgl. RGZ 109, 201, 204; 163, 292, 295; 170, 328, 332). Ansprüche und selbstständige Angriffs- und Verteidigungsmittel (Klagegründe, Einwendungen, Einreden, Repliken, Dupliken usw.) dürfen in den Gründen nicht übergangen werden. Man muß die für das Gericht bei der Entscheidung über die einzelnen Angriffs- und Verteidigungsmittel maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte erkennen können. Ein Mangel im Sinne des §  551 Nr.  7 ZPO kann schließlich auch dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung vollständig fehlt (RGZ 24, 332, 336; Stein-Jonas-Schönke, ZPO §  551 Anm. II 7 a; Baumbach-Lauterbach, ZPO 27.  Aufl.

73  BGHZ 39, 333, 345 = NJW 1963, 2272; s. a. BGH, NJW-RR 1991, 830; zuletzt auch BSG, Beschluss vom 31.07.2018 – B 5 R 128/17 B = BeckRS 2018, 21480.

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§  551 Anm.  8; anders RG in JR (Rechtsprechung) 26 Nr.  845; Wieczorek, ZPO §  551 Anm. B VII c 2). Demgegenüber liegt ein Mangel im Sinne des §  551 Nr.  7 ZPO nicht vor, wenn die Gründe zu den einzelnen Ansprüchen und Angriffs- und Verteidigungsmitteln oder auch die Beweiswürdigung nur sachlich unvollständig, unzureichend, unrichtig oder sonst rechtsfehlerhaft sind (RGZ 65, 93; 86, 113, 114; 109, 201, 204; 120, 398, 400). Hierzu kann gehören z. B. die Übergehung ‚erheblicher Tatumstände‘ (RG in JW 25, 761) oder ‚Elemente‘ (Wieczorek, a. a. O. Anm. B VII c 1), die Nichterörterung aller Eheverfehlungen, aus denen sich in ihrem Zusammenhalt eine schwere Eheverfehlung ergeben soll (RG, WarnRspr. 1929 Nr.  12) und die Unvollständigkeit der Beweiswürdigung (RG in JW 11, 591, 592 Nr.  40). Ein Mangel im Sinne des §  551 Nr.  7 ZPO liegt nicht vor, wenn aus den Gründen insgesamt entnommen werden kann, warum einem bestimmten Vorbringen ‚Berücksichtigung versagt wurde‘ (RGZ 8, 341, 342; RG in JW 34, 2140 Nr.  10). Für die Frage, ob ein die Anwendung des §  551 Nr.  7 ZPO rechtfertigender ‚grober Formfehler‘ vorliegt (RGZ 109, 201, 203; RG, WarnRspr. 1929 Nr.  12; RG, JW 27, 990 Nr.  23), kommt es letztlich entscheidend immer darauf an, ob erkennbar ist, welcher Grund – mag dieser tatsächlich vorgelegen haben oder nicht, mag er rechtsfehlerhaft beurteilt worden sein oder nicht – für die Entscheidung über die einzelnen Ansprüche und Verteidigungsmittel maßgebend gewesen ist; dies kann auch bei lückenhaften und unvollständigen Begründungen der Fall sein.“ (Hervorhebungen durch Kursivschrift vom Verfasser)

Die Maßstabsbildung des BGH lässt sich wie folgt in Fehlerkategorien übersetzen: i. Fehlt eine Begründung insgesamt, so liegt unzweifelhaft der absolute Revisionsgrund vor.74 ii. Ein Fehlen von Gründen iSd §  547 Nr.  6 ZPO ist ebenso unzweifelhaft gegeben, wenn rechtlich abtrennbare Elemente (Ansprüche iSd §§  145, 322 ZPO oder eigenständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel iSd §§  146, 303 ZPO) keinerlei Begründung zugeführt worden sind und diese Übergehung sich auch nicht aus der Gesamtschau der Entscheidung erschließt. Dies sind etwa entscheidungserhebliche Tatbestandsmerkmale einer streitentscheidenden Norm.75 iii. Der entscheidende Mangel kann sich sowohl aus der Abwesenheit tatsächlicher Feststellungen als auch dem Unterlassen rechtlicher Ausführungen ergeben, wenn dies dazu führt, dass das tenorierte Ergebnis nicht mehr nachvollzogen werden kann.76

74  S.a. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.  Aufl. 2018 Rn.  13; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  22; BeckOK/Kessal-Wulf, ZPO, 30. Ed. 2018, §  547 Rn.  22 ff. 75  Keine Stellungnahme zur Höhe des Schmerzensgeldes, BGH, NJW 1989, 773 f.; übergangener Beweisantritt mit Blick auf grobe Unbilligkeit von Unterhaltsansprüchen, BGH, NJW 1983, 2318 f.; Übergehung der Begründung einer erhobenen Verjährungseinrede, BGH, Urt. v. 28.09.1978, III ZR 203/74 = BeckRS 1978, 30404768; s. a. Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  543 Rn.  22. 76  Vgl. MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  5 47 Rn.  18.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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iv. Dem Fehlen von Gründen stehen inhaltsleere und rein abstrakte Erläuterungsversuche gleich, die das Erkennen der tragenden Entscheidungsgründe nicht zulassen.77 v. Und schließlich können auch inhaltliche Widersprüchlichkeit sowie unsorgfältige Explikation zum Fehlen von Entscheidungsgründen iSd §  547 Nr.  6 ZPO führen, wenn hieraus eine derart weitreichende Verworrenheit (Intransparenz) folgt, dass die Entscheidungsgründe ihren aufklärenden Charakter wenigstens hinsichtlich eines streitentscheidenden Elements vollständig eingebüßt haben.78 Tragender Telos der Fehlerkategorisierung und damit zugleich durchweg einschränkendes Merkmal ist die Verständlichkeit und die mit ihr einhergehende Überprüfbarkeit richterlicher Erwägungen.79 Das stellt die entscheidende Abgrenzung zur sachlich-inhaltlichen Rüge unrichtiger oder bloß unvollständiger, aber gleichwohl mit Blick auf den Gedankengang des Spruchkörpers nachvollziehbarer Entscheidungsgründe dar. Diese Begrenzung ist abstrakt verständlich und erscheint auch sinnvoll, darf doch der absolute Revisionsgrund fehlender Entscheidungsgründe nicht zu einer verdeckten Sachrüge werden. Die Grenzziehung ist aber von erheblichen Schwierigkeiten geprägt, wie die nachfolgende für die vorliegende Untersuchung zentrale Debatte anschaulich belegt.

3. Einpassung des Problems rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen a) Differenzierung nach Parteiverhalten und Umfang richterlicher Begründung Die Konstellationen streitentscheidender rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen sind mit Blick auf die bislang dargestellten Grundsätze richterlicher Begründungspflicht prozessual differenziert zu betrachten, da es vor dem Hintergrund einer zugleich anerkennungsfähigen Gehörsverletzung auch auf das jeweilige Parteiverhalten ankommt. Dementsprechend sei wie folgt unterschieden: i. Das Berufungsgericht ist mit einem Fall streitentscheidender rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen befasst und äußert sich zu einem spezifischen Rechtsvortrag der beschwerten Partei im Urteil nicht. 77 Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.   Aufl. 2018, §  543 Rn.  29; Zöller/Heßler, ZPO, 32.  Aufl. 2018, §  547 Rn.  7; hierzu auch Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, 2007, S.  526 f. 78 Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  5 43 Rn.  28. 79  Zur Rückführung auf die Gesetzesbindung Ebsen, Gesetzesbindung und „Richtigkeit“ der Entscheidung, 1974, S.  29 f., 47. Zum Grundgedanken der letztlich mit der Begründung offenzulegenden intersubjektiv vertretbaren Methodenbestimmung, Thomale, in: Baldus/ Theisen/Vogel (Hrsg.), „Gesetzgeber“ und Rechtsanwendung, 2013, S.  189, 190 f.

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

ii. Das Berufungsgericht äußert sich in der vorab genannten Konstellation, lehnt jedoch eine Einflussnahme der sachfernen Teilrechtsordnung einzig unter Heranziehung einer Analyse der sachnahen Rechtsvorschriften ab und berücksichtigt demgemäß auch nicht die Kollision auf der Metanormebene (partielle Außerachtlassung von Stufe 1 und vollständige Missachtung von Stufe 2 des vorgeschlagenen Auslegungsprocederes). iii. Das Berufungsgericht führt in der vorgenannten Konstellation knappe, unzureichende Begründungsmuster bei der Auslegung der streitentscheidenden Normen an, spricht jedoch alle kollidierenden Bereiche an und führt diese einer Entscheidung zu. iv.–vi. Das Berufungsgericht geht jeweils entsprechend der Punkte i–iii vor, nur hat sich keine Partei auf die kollidierende sachferne Teilrechtsordnung und deren Vorgaben berufen. b) Analyse aa) Fallvariante (i) Konstellation (i) behandelt den Fall des vollständigen Fehlens von Ausführungen in den Entscheidungsgründen. Sofern das erkennende Gericht also nach §§  313 Abs.  1 Nr.  6 , Abs.  3, 547 Nr.  6 ZPO gehalten wäre, sich hierzu zu äußern, wäre der absolute Revisionsgrund fehlender Entscheidungsgründe anzunehmen. Durch §  540 ZPO kommt es nicht zu einer Verkürzung der Begründungspflicht, sondern nur zu einer Gesamtbetrachtung der Begründungen erster und zweiter Instanz,80 so dass das Berufungsgericht hierdurch lediglich auf bereits ins Werk gesetzte Ausführungen in der Begründung des Ausgangsgerichts zurückgreifen dürfte. 81 (1) Grundsätzliches Gebot der Aufnahme in die Entscheidungsgründe Damit muss die Grundsatzfrage beantwortet werden, ob eine Erörterung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen in den Gründen stattzufinden hat. In Rückbesinnung auf die Maßstäbe des BGH in seiner oben wörtlich zitierten Leitentscheidung von 196282 , deren Grundsätze bis heute unverändert aufrechterhalten worden sind, 83 wird ausdrücklich darauf abgehoben, dass die 80  Vgl. BT-Drucks. 14/6036, S.  124; Burgermeister, ZZP 116 (2003), 165, 172 f. Zur Gesamtschau auch BGH, NJW 2004, 293 f. 81  Ausführlich erörtert bei Fischer, Topoi verdeckter Rechtsfortbildungen, 2007, S.  501 ff. mwN.; s. zur Bezugnahme auf erstinstanzliche Feststellungen auch Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  540 Rn.  7. 82  BGHZ 39, 333, 345 = NJW 1963, 2272. 83 AllgM. vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.   Aufl. 2018, §  547 Rn.  14 ff.; MüKo/Krüger, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  547 Rn.  16; BeckOK/Kessal-Wulf, ZPO, 29. Ed. 2018, §  547 Rn.  22 ff.; Saenger/Koch, ZPO, 7.  Aufl. 2017, §  547 Rn.  16 ff.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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Entscheidungsgründe sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht den Tenor tragen müssen. Es ist allem voran bei den Diskussionen um die Einbeziehung von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses in die Standarddiskussion84 und bei der Beachtung gesetzlicher Zuzahlungsverpflichtungen im Rahmen wirtschaftlicher Aufklärung85 aufgezeigt worden, dass die Judikatur die Diskussion um Art und Weise denkbarer Einflüsse überwiegend aus ihren Entscheidungen herauslässt. Eine vereinzelt gebliebene Ausnahme ist der Ansatz des OLG Nürnberg aus dem Jahr 201786 , in welchem ein Abgrenzungsversuch jedenfalls auf Basis näherer Erörterung der Teleologie der §§  630f, 630h Abs.  3 BGB und Heranziehung der §§  135a, 136 SGB V versucht wird. Zugleich ist im Rahmen eingehender Analyse veranschaulicht worden, dass eine Auseinandersetzung mit allen, den Streitfall berührenden Rechtsgebieten erforderlich ist, um wenigstens den Versuch unternehmen zu können, dem gesetzgeberischen Willen der streittangierenden Elemente der Rechtsordnung zu genügen. Bleiben Ausführungen jeglicher Art hierzu aus, so ist die Entscheidung in sich gerade mit Blick auf die wesentliche Funktion der Transparenz und Überprüfbarkeit massiv lückenbehaftet, so dass nach hier vertretener Ansicht von einem Fall des §  547 Nr.  6 ZPO auszugehen ist. Dieses Ergebnis wird auch von der zutreffenden Grundaussage des BVerfG gestützt, wonach die Aufnahme von Judikatur und Rechtsprechung sowie darauf gestützter ausführlicher rechtlicher Erläuterungen dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts beim Verständnis des §  313 Abs.  3 ZPO unterliegt. 87 Selbst wenn hierdurch in der judikativen Praxis überwiegend eine erhebliche Prärogative des erkennenden Gerichts gefolgert wird, so ist doch der Umstand nicht wegzudiskutieren, dass ein vollständiger Ermessensausfall sicherlich der Forderung der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht gerecht werden kann. Wird aber die fallrelevante Normenkol84 

S. o. §  5 III. 2. a) bb). S. o. §  5 IV. 2. b) und c). 86  In der Entscheidung stellt das Gericht zunächst fest, dass sich die Vorinstanz nicht mit dem Inhalt der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über Kriterien zur Qualitätsbeurteilung arthroskopischer Operationen nach §  136 Abs.  2 SGB V auseinandergesetzt habe. Das OLG kommt indes zu dem Schluss, dass allein aus dieser Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht abgeleitet werden könne, dass aus medizinischer und haftungsrechtlicher Sicht ein pathologischer Gelenkbefund, der sich bei einer Arthroskopie ergeben habe, im Einzelnen zu dokumentieren sei unabhängig davon, ob dieser Befund für die Weiterbehandlung noch eine Bedeutung erlangen könne. Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung sollen damit nicht definieren können, was nach §  630 f Abs.  2 Satz  1 BGB als aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung als wesentlich anzusehen sei, so OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044 Rn.  28 (sowie Leitsatz 2). 87  Nach Dafürhalten des BVerfG solle ein Verstoß gegen das Willkürverbot nicht schon dann vorliegen, wenn sich das Gericht mit der von einem Verfahrensbeteiligten zitierten Entscheidung eines anderen Gerichts nicht näher befasse, zumal wenn diese nur mit einem Leitsatz veröffentlicht sei und der Verfahrensbeteiligte seinerseits davon absieht, sich mit der für seinen Rechtsstandpunkt vermeintlich günstigen Entscheidung inhaltlich im Einzelnen auseinanderzusetzen, BVerfG, NJW 1987, 2499. 85 

282

§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

lision in den Entscheidungsgründen vollständig, also wortlos übergangen und ergibt eine Gesamtwürdigung der sonstigen Entscheidungsgründe keine auch erkennbare implizite Berücksichtigung, so muss dies als wesentliche Begründungslücke iSd §  547 Nr.  6 ZPO gewertet werden, soll das verfassungsrechtlich geforderte pflichtgemäße Ermessen mehr als nur eine leere Floskel und entsprechend kontrollierbar sein. Auch die Ausführungen in der BGH-Entscheidung aus dem Jahr 199888 stehen dieser erweiterten Anwendung des §  547 Nr.  6 ZPO nicht entgegen. Der BGH zeigt in diesem Judikat, dass die ständige Rechtsprechung seit der Leitentscheidung aus 196289 dahingehend zu verstehen ist, dass rechtliche Erörterungen auf prozessual zu spezifizierende Mittel (selbstständige Angriffs- und Verteidigungsmittel, Anträge) sowie auf deren notwendige streitspezifische Detailerörterung (Schmerzensgeld, Verjährung etc.) zu fokussieren sind. Dementsprechend wird eine relevante Unvollständigkeit ausgeschlossen, wenn ein prozessuales Mittel nach Ansicht des Gerichts aus irgendeinem anderen Grund kein Erfolg beschieden ist, unabhängig davon, ob diese Rechtsansicht haltbar ist. Im Übrigen sind aber auch nach diesem Judikat tragende rechtliche Gesichtspunkte wenigstens anzuführen. (2) Gehörsverletzung und erwägenswerte Zulassungsgründe Nach den vorab aufgezeigten Grundsätzen ist im Fall zugleich übergangenen Parteivortrags zwingend auch eine Verletzung des Rechts aus Art.  103 Abs.  1 GG anzunehmen, so dass jedenfalls in dieser Konstellation der Zulassungsrund der Einheitlichkeitssicherung nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 2. Alt. ZPO gegeben ist. Dies könnte nur dann anders beurteilt werden, wenn Rechtsausführungen und deren Umgang nicht am Schutz des Gehörsrecht teilnähmen, was nach vorangegangener Erörterung ein fehlerhaftes Verfassungsverständnis sein dürfte.90 Daneben sind im Bereich rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen auch die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO und der Fortbildung des Rechts nach §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 1. Alt. ZPO zu erwägen. Dies kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn es sich bei der konkreten Rechtsfrage um ungeklärte rechtliche Problematiken handelt. Im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen wird dies überproportional häufig vorkommen, da mit Blick auf die eigenständig gewachsenen Teilrechtsordnungen und wegen des Fehlens einer einheitlichen, allübergreifenden Kollisionsdogmatik die Schnittstellen und Berührungspunkte vielfach nicht aufeinander abgestimmt sind oder sich bei Gesetzesänderungen zunächst unerkannt verschieben. 88  BGH, NJW 1999, 1110, 1113; hierzu auch Musielak/Voit/Ball, ZPO, 15.  Aufl. 2018 §  5 47 Rn.  15. 89  BGHZ 39, 333, 345 = NJW 1963, 2272. 90  S. o. §  6 II. 1. b) und 2.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

283

bb) Fallvariante (ii) (1) Erfassung der Problemstellung Die entscheidende Modifizierung zur bereits besprochenen Konstellation zeigt sich darin, dass das Gericht die Kollision in den Entscheidungsgründen letztlich erwähnt, jedoch Ausführungen zu ihrer Auflösung im konkreten Fall sowie im Hinblick auf die kollidierenden Systeme fehlen. Diese Situation kann je nach konkreter Ausgestaltung der Entscheidungsbegründung im Hinblick auf §  547 Nr.  6 ZPO schwierig zu beurteilen sein. Einerseits führt nach den Maßstäben des BGH eine unvollständige oder inhaltlich fehlerbehaftete Begründung nicht zum Fehlen der Entscheidungsgründe, solange das Judikat hierdurch nicht vollkommen verworren und damit unverständlich wird.91 Andererseits bietet sich für die parteiseitige Rüge keine erkennbare Überprüfbarkeit, ob das Gericht den rechtlich vermeintlich sachfernen Bereich und dessen Wertungen ernsthaft einbezogen und abgewogen hat. Daher liegt der Vorwurf eines Begründungsmangels gleich der Situation bloß floskelhafter judikativer Bekundungen nahe. Konkret bezogen auf die Problematik standardbeeinflussender Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses92 würde das Gericht der Einzelfallentscheidung auf den fachmedizinischen Standard gemäß §  630a Abs.  2 BGB abheben. Es würde sich zunächst damit befassen, was der gerichtlich bestellte Gutachter auf der Basis von Leitlinien der Fachgesellschaften und nach Analyse der konkreten Situation des Patienten ausführt. Sodann würde es die partiell dem dort gefundenen Ergebnis entgegenstehende Richtlinie als haftungsrechtlich irrelevant zurückzuweisen.93 Begründen würde dies das Gericht mit Ausführungen zur autonomen Bereichsbestimmung des §  630a Abs.  2 BGB und lediglich darauf verweisen, dass die Vorgaben nach SGB V hierauf keinen Einfluss haben könnten. Sodann würde das Gericht ausschließlich – trotz Parteivorbringens und Hinweises auf die vom Gutachter nicht geklärten Abweichungen der Richtlinien – nach den Sachverständigenangaben entscheiden. Die Standardbestimmung gemäß §  630a Abs.  2 BGB wäre ohne jegliche erkennbare Erwägung zum sozialrechtlichen Schnittstellenbereich, die über eine nur floskelhafte Ablehnung hinausginge, erfolgt. Dies dürfte jedoch nach den bisherigen Maßstäben des BGH nicht genügen, um von einer Gleichstellung zum Fall fehlender Entscheidungsgründe auszugehen. Die streitentscheidenden 91 

S. o. §  6 II. 2. S. o. §  5 III. 93  Beinahe vorbildlich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen bei OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 115044 Rn.  28. Das Gericht hat sich ordnungsgemäß mit Sinn und Zweck der zivilrechtlichen Dokumentationserfordernisse auseinandergesetzt und diese den Ansätzen des Sozialversicherungsrechts entgegengehalten. Es ist daraufhin zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt. 92 

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

Erwägungen zum konkret vorgebrachten Angriffs- oder Verteidigungsmittel wären zwar aus den Gründen ersichtlich, jedoch letztlich in weiten Teilen unvollständig und nach der hier vertretenen Ansicht fehlerhaft. (2) Stellungnahme Die erhebliche Ausdehnung des Begründungserfordernisses auf Fallgruppen unzureichender rechtlicher Erwägungen und damit zugleich die Ausweitung des Umfangs von §  547 Nr.  6 ZPO dürften als zweischneidiges Schwert zu betrachten sein. Vor dem Hintergrund der bisherigen Analyse und Erkenntnisse zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und der Begrenzung der Gefahr richterlicher Willkürentscheidungen in den Fällen rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen ist eine Ausdehnung des rügefähigen Verfahrensmangels angezeigt. Allerdings wird an dieser Stelle nicht verkannt, dass hierdurch partiell die Grenzlinie zur Rügefähigkeit unrichtiger und unvollständiger Entscheidungsgründe übertreten und folglich die Grenzen des §  547 Nr.  6 ZPO verwischt werden könnten.94 Parteien und deren Rechtsvertretung könnten dies zur Bekämpfung unliebsamer Sachentscheidungen zweckentfremden, indem jegliche denkbare Rechtserwägung zum Fall, die nicht im Urteil angesprochen wird, zu einem absoluten Revisionsgrund überhöht würde. Daher kann das vorgeschlagene extensive Verständnis des §  547 Nr.  6 ZPO nur auf Basis rechtsstaatlich sinnvoll gebildeter Begrenzungslinien verfolgt werden. Die Lösung liegt jedoch angesichts der bisherigen Maximen höchstrichterlicher Rechtsprechung nahe. Der BGH95 hat in seiner Leitentscheidung auf die Betrachtung und entsprechende Außerachtlassung in den Gründen von eigenständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln iSd §  146 ZPO abgehoben. Akzeptierte man über den bisherigen Ansatz hinaus auch im Hinblick auf die Rechtsausführungen des zur Entscheidung berufenen Gerichts eine Eigenständigkeit von Angriffs- und Verteidigungslinien entsprechend aller gerügten Normenkollisionen, so ergäbe sich ein abgrenzbarer und gegen Ausuferung geschützter Bereich von Ansätzen. Das Gericht müsste dazu Stellung nehmen, um den §§  313 Abs.  1 Nr.  6 , Abs.  3, 540 ZPO zu genügen und nicht dem Vorwurf des §  547 Nr.  6 ZPO ausgesetzt zu sein. Zur Vermeidung unbotmäßiger Belastung der Gerichte verbleibt diesen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens96 eine Evidenzkontrolle solcher parteiseitiger Rechtsvorträge, die keine Entscheidungsrelevanz haben können, damit diese im Urteil entweder mit einem feststellenden Satz bedacht oder aber vollständig übergangen werden. Übersetzt auf das gewählte Beispiel der Standardbestimmung hätte das Gericht sich im Urteil sowohl mit §  630a Abs.  2 BGB als auch mit den Rechtsgrundlagen und 94 

Vgl. auch die Grenzziehung bei Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  547 Rn.  25. BGH, NJW 1999, 1110, 1113. 96  Vgl. BVerfG, NJW 1987, 2499. 95 

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

285

Wirkungsweisen der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§  2 Abs.  1 S.  3, 12, 91, 92, 135 ff. SGB V) zur korrekten Kategorisierung der Richtlinie auseinanderzusetzen. cc) Fallvariante (iii) Fallvariante (iii) bildet letztlich das Gegenstück zu Variante (ii) und verdeutlicht die Grenzlinie der Rügefähigkeit im Sinne des §  547 Nr.  6 ZPO. Das Gericht kann zwar in der Sache rechtsfehlerhaft entschieden haben, worauf sich ebenfalls je nach sonstigen Beurteilungen der in Rede stehenden Rechtsfrage eine Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde stützen lassen könnte. Nicht geboten ist jedoch eine Erweiterung des Ansatzes fehlender Entscheidungsgründe, da das Gericht seine Erwägungen offengelegt und somit den Parteien sowie einer denkbaren weiteren Instanz die Möglichkeit eröffnet hat, die gewählten Begründungsmuster einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens ist hierdurch zwingend gewährleistet, dass das Gericht sich mit den zentralen Rechtsfragen vor Urteilserlass auseinandersetzen und argumentativ eine Begründungslinie finden muss. Da bloß floskelhafte Ausführungen, schlichtes Zitieren des Gesetzes und leere Redensarten nach den Maßstäben des BGH nicht ausreichen können, ist auch eine nicht unerhebliche analytische Mindestleistung des Gerichts unumgänglich geworden, da andernfalls doch der absolute Revisionsgrund des §  547 Nr.  6 ZPO eingriffe. Durch die so erfolgte Offenlegung richterlicher Erwägungen wird letztlich auch deutlich, ob das Gericht ernsthafte Näherungsbemühungen um die Berücksichtigung subjektiver Teleologie gezeigt und, wo es sich nicht vermeiden ließ, nach gesetzesnahen Ideen maßvoll Ergänzung und Lückenschließung betrieben hat. Ist dies ausgeblieben, was nunmehr durch die Urteilsgründe selbst aufgezeigt werden kann, und erscheinen in der Sache andere Ergebnisse möglich, so können insbesondere die Zulassungsgründe der Grundsatzbedeutung und der Fortbildung des Rechts eingreifen. Die verschärfte Kontrolle der Entscheidungsgründe erweist sich rückblickend als systemrelevant. dd) Fallvarianten (iv)–(vi) Ob die oben erörterten Konstellationen im Hinblick auf das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrundes nach §  543 Abs.  2 ZPO in den Fallvarianten (iv)– (vi) anders zu beurteilen sein könnten, hängt partiell davon ab, ob das Fehlen einer parteiseitigen Rüge oder eines Vortrags zu rechtsgebietsübergreifenden Einflüssen für die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör relevant ist. Daher sind Veränderungen ausschließlich im Bereich des §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 2. Alt. ZPO denkbar, da Grundsatzbedeutung und Rechstfortbildungsnotwendigkeit gleichermaßen in den Konstellationen (iv)–(vi) wie in den Konstellatio-

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§  6 Verfahrensrechtliche Absicherung

nen (i)–(iii) je nach Sachfrage vorliegen oder abzulehnen sind. Je nachdem wiegt dann aber auch im Sinne höchstrichterlicher Rechtsprechung der Begründungsmangel mehr oder weniger schwer.97 Es ist in der obigen Erörterung98 zum Gehörsrecht nach Art.  103 Abs.  1 GG verdeutlicht worden, dass Ausprägung des Gehörsrecht für ein rechtsstaatlich alle Parteiinteressen sorgsam würdigendes Verfahren eine Zusammensetzung aus Information der Parteien, Äußerungsrecht der Parteien und Würdigung durch das Gericht ist.99 Nur die Beachtung des gesamten Komplexes bewirkt den verfassungsrechtlich verlangten Schutzmechanismus des Art.  103 Abs.  1 GG. Werden diese Basisgedanken mit der anerkannten umfassenden Rechtskenntnis des Gerichts als prozessrechtlich notwendige Fiktion (iura novit curia)100 kombiniert, so ist das Gehörsrecht auch dann verletzt, wenn entscheidungsrelevante Bereiche der Rechtsordnung unerörtert außer Acht gelassen worden sind, da der beschwerten Partei keine Chance zur Überprüfung gegeben wird. Das bedeutet also, dass die Verletzung des Rechts auf das rechtliche Gehör nicht von einer Parteirüge abhängt. Bei gegenteiliger Beurteilung entstünde der Effekt, dass keine Verlässlichkeit in die richterliche Rechtskenntnis mehr angenommen werden dürfte und die Frage in den Bereich der Anwaltshaftung101 und außerhalb des Anwaltsprozesses in erster Instanz in die ungeschützte Unterlegenheit der rechtsunkundigen Partei verlagert würde, die aufgrund des Richterspruchprivilegs gemäß §  839 Abs.  2 BGB nicht einmal auf Amtshaftung hoffen könnte.102 Die richterliche Pflicht zur Erörterung ufert hierdurch auch nicht aus, da dieselbe mit Blick auf die zivilprozessuale Verhandlungsmaxime maßvoll begrenzt wird. Fehlen beizubringende Tatsachenvorträge, um spezifische rechtliche Erwägungen in entscheidungserheblicher Form anzustellen, ist das Gericht weder mit Blick auf die Verfassung noch vor dem Hintergrund der ZPO gehalten, sich mit denkbaren Erweiterungen zu befassen. Auch im Arzthaftungsprozess, der mittlerweile partiell dem Amtsermittlungsgrundsatz nahekommt,103 gilt diesbezüglich nichts anderes. Die anerkannten Amtsermittlungserwägungen beziehen sich 97  So im Sinne der streitbaren Entscheidung BGH, NJW-RR 2012, 760, nach welcher auch bei Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des §  547 Nr.  6 ZPO maßgeblich darauf abgestellt werden solle, mit welcher Intensität sich die fehlende Begründung auf die Entscheidung auswirke. 98  §  6 II. 1. b). 99  Vgl. BGHZ 162, 365, 373 = GRUR 2005, 569; BGH, GRUR 2014, 852; BVerfG, MDR 2013, 1113 Rn.  14 f.; BGH, IBRRS 2014, 3715; BVerfGE 60, 247, 249 = BeckRS 1982, 106548; BVerfGE 65, 293, 295 f. = BeckRS 1983, 05898; BVerfGE 70, 288, 293 = MDR 1973, 201; ­BVerfGE 83, 24, 35 = NJW 1991, 1283. 100  Vgl. MüKo/H. Prütting, ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  293 Rn.  2. 101  Vgl. BGH, NJW 2009, 987, 988. 102 Zu Einzelheiten des Richterspruchprivilegs vgl. ausführlich MüKo/Papier/Shirvani, BGB, 7.  Aufl. 2017, §  839 Rn.  321 ff. 103 Eingehend Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.   383 ff. Konkrete Anwendungsfragen zeigen Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5.  Aufl. 2018, S.  1293 f. auf.

II. Detailerwägungen zur judikativen Begründungspflicht

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auf das Beibringen der Behandlungsunterlagen,104 Nachfragen bei offenkundig fehlendem Parteivorbringen zum konkreten Vorfall105 sowie auf Hilfestellungen bei der zutreffenden Substantiierung etwaiger Vorhalte gegenüber der Behandlungsseite.106 Dieser Befund führt letztlich zu dem Ergebnis, dass nach hier vertretener Ansicht auch in den Konstellationen (iv und v) von einer Gehörsverletzung ausgegangen werden sollte, während Konstellation (vi) entsprechend Variante (iii) keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG bedeutet.

104 

Vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 535; OLG Saarbrücken, MDR 2003, 1250. BGH, NJW 2004, 2825 f.; Rehborn, MDR 2000, 1320. 106  Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S.  384 mwN. 105 

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Problembeschreibung (1.) Die Gesetzgebung formuliert – angepasst an die Vielgestaltigkeit zu regelnder Lebenssachverhalte – nach spezifischen Bereichslogiken ausgerichtete Teilrechtsgebiete. Diese sind in aller Regel nicht aufeinander abgestimmt, da wechselseitige Kollisionen erst in der praktischen Umsetzung auffallen. (2.) Die Judikative ist mit den sich hieraus ergebenden komplexen Problemlagen partiell überfordert, was die Gefahr rechtsfehlerhafter Entscheidungen in sich birgt. (3.) Eindeutige Auslegungsergebnisse von Rechtsvorschriften sind in der Rechtsordnung die Ausnahme, so dass für das zur Entscheidung berufene Gericht regelmäßig eine Bandbreite argumentativ haltbarer Ergebnisse möglich ist. Zur Begrenzung richterlicher Willkür ist daher ein überprüfbares Verfahren bei der Norminterpretation erforderlich, welches die einbezogenen Erwägungsgründe für die Parteien transparent gestaltet und im Instanzenzug rügefähig macht. Zentraler Vorschlag für ein geordnetes Verfahren judikativer Entscheidungs­ findung im Fall rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen (4.) Dreistufiger Aufbau mit Vorprüfung a) Im Rahmen einer Vorprüfung gilt es an Hand des äußeren Systems der Rechtsordnung (Gesetzeseinteilung, Kapitel, Abschnitte und andere Merkmale der gewählten Normenstruktur) sowie im Hinblick auf evident hervortretende Zwecksetzungen eine Rechtsgebietsabgrenzung vorzunehmen und die möglicherweise auf Kollisionskurs rangierenden Regelungen herauszuarbeiten. Dabei sind voreilige Rückschlüsse zu vermeiden, denkbare Auslegungsergebnisse mit größter Zurückhaltung zu behandeln und ihre Untersuchung dementsprechend nicht der nachfolgenden Analyse zu entziehen, solange das Ergebnis nicht als bereits weithin gesichert erachtet werden kann. b) Auf der ersten Stufe der Auslegung sind die kollidierenden Vorschriften der gewachsenen Strukturen ihrer jeweiligen Teilrechtsordnung zuzuordnen und vor eben jenem Hintergrund mit Blick auf Inhalt und Bedeutung sowie Aussagekraft und Funktionserfüllung zu interpretieren (Erfassung der Norm und ihrer Metanormebene).

290

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

c) Auf der zweiten Stufe müssen die Funktionen und Zwecke der Teilrechtsordnungen selbst als Gesamtgefüge einander gegenübergestellt werden (Interpretation und Kollisionsverständnis der Metanormebene). d) Auf der dritten und letzten Stufe sind die konkret kollidierenden Vorschriften mit Blick auf das Optimierungsgebot in der Anwendung dahingehend aufeinander abzustimmen (Ausstrahlungsthese), dass die Funktionserfüllung beider Systeme aufrechterhalten, mithin der gesetzgeberische Ansatz bestmöglich gewahrt wird (Auflösung der konkreten Normenkollision). (5.) Prozessuale Absicherung Die Gerichte sind nach der hier vertretenen Ansicht gehalten, entsprechende Erwägungen in den Urteilsgründen offenzulegen. Unterbleibt dies oder kommt es lediglich zu floskelhaften oder inhaltsleeren Formulierungen oder reinen Gesetzeszitaten, so sind nach der Rechtsprechung zu Lückenhaftigkeit und Unverständlichkeit von Entscheidungsgründen die Tatbestandsvoraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes des § 547 Nr. 6 ZPO erfüllt und zugleich stets ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG anzunehmen, selbst wenn keine entsprechende Parteirüge oder kein zugehöriger Parteivortrag gegeben sind. Dementsprechend greift in diesen Fällen jedenfalls der Revisionszulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 S.  1 Nr. 2 2. Alt. ZPO. § 1 Einführung und Definitionen (6.) Der Systemgedanke im Recht ist für eine Rechtsordnung, die nach vernunftgeleitetem und gerechtem Gesetzesrecht und adäquaten Einzelfallentscheidungen vergleichbarer Fallgestaltungen strebt, unerlässlich. (7.) Im Rahmen von Systemdenken muss jedoch grundlegend die Zersplitterung der Rechtsordnung in eine kaum überschaubare Vielzahl sachgebietsbezogener Materien beachtet werden. Diese Zersplitterung ist mit Blick auf die Vielgestaltigkeit zu berücksichtigender Lebenssachverhalte nicht zu vermeiden. (8.) Seitens des Gesetzgebers kann bei der Abfassung einzelner Regelungen oder Regelungsbereiche nicht erwartet werden, dass stets eine systematische Kohärenz für die gesamte Rechtsordnung verfolgt werden könnte. Es entstehen daher durch Reformen der Legislative laufend Schnittstellenprobleme, die vielfach zunächst unerkannt bleiben. Dem Umgang nach rechtsstaatlichen Grundsätzen mit diesen Schnittstellenproblemen durch die Judikative ist die vorgelegte Analyse gewidmet. (9.) Um den analytischen Blickwinkel nicht auf erkannte Gemengelagen zu verengen und hierdurch voreilig vermeintlich unproblematische Aspekte zu übergehen, die sich bei näherer Betrachtung als systemrelevante Berührungspunkte erweisen könnten, sind die Definitionen der Begriffe „Kollision“ und „Teilrechtsgebiet/Teilrechtsordnung“ bewusst weit gewählt worden. Danach

§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

291

wird eine Kollision nach hier gesetztem Verständnis bereits dann angenommen, wenn wechselseitiger Einfluss rechtsgebietsübergreifender Vorschriften in Betracht kommt. Dabei kann es sich um (Wertungs-)Widersprüche, aber auch um wechselseitige Modifikationen oder beeinflussendes Nebeneinander handeln. Die Terminologie des Teilrechtsgebiets bzw. der Teilrechtsordnung findet ihre Demarkationslinien im äußeren System der Rechtsordnung in Zusammenschau mit evident hervortretenden Zwecksetzungen. § 2 Soziologie der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis (10.) Die rechtsrealistische Perspektive der Sozialwissenschaften auf das Recht als soziales Phänomen ist eine Hilfswissenschaft, die nicht dazu geeignet ist oder sein darf, das Kompetenzgefüge des Rechtssystems zu stören oder zu unterlaufen. (11.) Sinn und Zweck soziologischer Betrachtung des Rechts im Bereich der Judikative ist es, darauf aufmerksam zu machen, dass die Funktionalität des Rechtssystems in der praktischen Anwendung erheblich davon abhängt, ob die Akteure sich regelkonform verhalten und inwieweit Aberrationen bei Entscheidungen auf persönliche Einstellungen, Erfahrungen und andere personenbedingte Voraussetzungen zurückgehen. Dementsprechend müssen Anreize und Kontrolle im Rechtssystem so gestaltet werden, dass die gesetzgeberseitig avisierten Zwecke auch in der Rechtsanwendung prioritär verfolgt werden. Für diese Problembeschreibung und Zielerreichung können die Sozialwissenschaften Erkenntnismodelle und Vorschläge an den legitimierten Gesetzgeber übermitteln sowie die Betroffenen zur Selbstreflexion anregen. (12.) Einsichten existieren mit Blick auf die Judikative insbesondere hinsichtlich der rechtsgebietsbezogenen Sozialisierung der Richterschaft, die bereits in der juristischen Ausbildung beginnt und sich bis in die Unterteilung der Fachgerichtsbarkeiten fortsetzt. Entsprechend den dahinterliegenden vorherrschenden Gedankenstrukturen ist auch die Richterschaft in ihrem analytischen Herangehen und in der Berücksichtigung rechtlicher Problemkomplexe durch ihr jeweiliges Einsatzgebiet geprägt. Es herrscht eine erhebliche Tendenz zur verstärkten Berücksichtigung des eingehend Erlernten und eine mit Blick auf das System und die erforderliche Beachtung gesetzgeberseitig verfassten Rechts (Art. 20 Abs. 3 GG) alarmierende Vernachlässigung eher unbekannter Rechtsbereiche. (13.) Ein näherer Blick auf die konkreten Strukturen von Zivil- und Sozialversicherungsrecht ergeben zwar, dass im Rahmen gewachsener Strukturen eine Vielzahl von gezielten Überschneidungen und Verzahnungen entstanden sind, dass sich jedoch vor allem das Arzthaftungs- und das Sozialversicherungsrecht in weiten Teilen in einer Weise voneinander gelöst haben, dass eine wechselseitige Berücksichtigung dahinterliegender Systemerwägungen in der Judi-

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§ 7 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

kative kaum zu erkennen ist. Auch die prozessualen Verbindungsmöglichkeiten der Streitverkündung, der Verfahrensaussetzung wegen Vorgreiflichkeit und der Beiladung bieten keine Abhilfe. § 3 Methodischer Unterbau (14.) Der judikative Umgang mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkol­li­ sionen kann grundlegend in eine prozedurale und eine sachlich-inhaltliche Heran­gehensweise unterteilt werden. Während die vorgelegte Analyse sich im ­Rahmen wissenschaftlicher Weiterentwicklung der Ausarbeitung eines prozeduralen Ansatzes verschrieben hat, darf gleichwohl die sachlich-inhaltliche Diskussion zur Erfassung der Kollisionsfälle nicht in den Hintergrund treten. Hierfür ist maßgeblich auf zahlreiche rechtstheoretische sowie diskussionsspezifische Vorarbeiten zurückgegriffen worden. Daneben werden mit der vorliegenden Arbeit aber auch eigenständige Analyseansätze und Lösungserwägungen verfolgt (§ 5). (15.) Jedes rechtssystematische Vorgehen bekennt sich zur Systemidee im Recht. Auch wenn viele der dabei gefundenen Zusammenhangserwägungen nicht auf den Gesetzgeber selbst zurückgeführt werden können, bieten diese gleichwohl eine taugliche Stütze eines in sich schlüssigen und durch die Judikative im Einzelfall nutzbaren Systems. (16.) Bei der Verfolgung der Systemidee ist jedoch darauf zu achten, ob die jeweiligen Ansätze Teil des Rechtssystems sind und damit Geltungsanspruch erheben, bis der legitimierte Normgeber sie modifiziert oder derogiert, oder ob es sich um Vorschläge wissenschaftlicher Systeme handelt, die allein mit ihrer Überzeugungskraft stehen und fallen. Vor dem Hintergrund der Selbstermächtigungsproblematik, der Versteinerungsgefahr sowie der drohenden Übergehung vorrangiger subjektiver Teleologie (Art. 20 Abs. 3, 97 GG) ist es ein zentrales rechtsstaatliches Anliegen, die Systemzuordnung genutzter Argumente transparent zu gestalten und damit ihren bestehenden oder fehlenden Geltungsanspruch offen zu bekennen. (17.) Sinn und Zweck der Systemidee darf es nicht sein, einen allumspannenden Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als vorrangig zu verfolgendes Prinzip herauszustellen. Zum einen kennt die Rechtsordnung ein solches Prinzip nicht. Zum anderen ist ein solches auch mit Blick auf Gerechtigkeitsvorstellungen (worin diese je nach Gerechtigkeitskonzeption auch liegen mögen) im Recht nicht zu fordern, da hierdurch die notwendige und sinnvolle bereichsspezifische Betrachtung unterschiedlicher Rechtsmaterien behindert wird, derer es zur Erfassung der Vielfalt unterschiedlicher Lebenssachverhalte und damit zur angepassten Regelung eines geordneten Soziallebens bedarf. Wissenschaftliche Systeme, die nach einer übergeordneten Beachtung eines Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung verlangen, sind nach hier vertretener Auffassung bei

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ihrer Umsetzung dazu geeignet, das verfassungsmäßige Kompetenzgefüge und das von der Verfassung vorausgesetzte differenzierte Bereichsdenken sowie die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in nicht zu billigender Weise einzuschränken. (18.) Die Ablehnung des Einheitsgedankens bringt es aber nicht mit sich, jede Form von Konsistenz- und Kohärenzdenken im Recht zurückzuweisen. Werden solche Ansätze in der Rechtsordnung gefordert, ist die Reichweite dieser Forderung entsprechend herauszuarbeitender subjektiver Teleologie möglichst präzise nachzuhalten. Werden derartige Ideen und Leitgedanken als wissenschaftliche Systemerwägungen zusätzlich eingebracht, bilden sie im Rahmen der jeweiligen Sacherörterung je nach Überzeugungskraft ein Argument unter mehreren, das es in die Sachabwägung einzustellen gilt. (19.) Von zentraler Bedeutung für die Norminterpretation und damit für die Ergründung von Sinn und Zweck des Gesetzes sind die anerkannten Auslegungsmethoden. Aufgrund der Zugehörigkeit zur verfassungsmäßigen Ordnung genießt die subjektive Teleologie Vorrang (Art. 20 Abs. 3, 97 GG). Im Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG gilt dies auch für die Wortlautgrenze des letztlich verfassten Gesetzestextes, worauf in dieser Analyse wegen fehlender Relevanz für die Gesamtdiskussion nicht näher einzugehen war. (20.) Soweit subjektiv-teleologische Erwägungen, die unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien (amtliche Begründung, Protokolle der befassten Ausschüsse, Plenarprotokolle (bei dokumentierten Reden von Abgeordneten, die Einfluss auf den Gesetzesinhalt nehmen konnten), in Zusammenhang stehende Gesetzesvorhaben, gescheiterte Gesetzesinitiativen, „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers (sofern eine Explikation erwartet werden durfte) und verworfene Änderungsanträge) zu ermitteln sind, nicht zu einer konkreten Lösung der erkannten Schnittstellenproblematik führen, sind Erweiterungen und Ergänzungen in maßvoller Anpassung durch die Gerichte zulässig. Diese auf andere Interpretationserwägungen gestützten Ergänzungen und Lösungsmodelle haben sich jedoch möglichst nah am gesetzgeberseitig beigelegten Normzweck zu orientieren. Zugleich muss beachtet werden, dass im Rahmen wechselseitiger Modifikation, Einschränkung oder Verdrängung von Rechtsnormen zu vermuten ist, dass der Gesetzgeber eine nicht von sich aus derogierte Vorschrift im Zweifel nicht ohne Anwendungsbereich belassen wollte. Dies gilt umso mehr, als nach Analyse der konkreten Kollisionslage davon ausgegangen werden muss, dass der Gesetzgeber die Problematik nicht antizipiert hat. Daher ist im Rahmen rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen stets vorrangig nach Konkordanzerwägungen zu forschen, die allen betroffenen Vorschriften in ihrem Anwendungsbereich und ihrer Systemeinheit sowie mit Blick auf ihren erkennbaren Gesetzeszweck zu optimaler Wirkungskraft verhelfen. (21.) Die Palette anerkannter Normenkollisionsregeln hilft in der Sachdebatte überwiegend nicht weiter. Weder der lex posterior – Ansatz noch die lex speci-

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alis – Regel oder vergleichbare Erwägungen wie Subsidiarität und Konsumtion vermögen bei der Ausgangsfrage, ob auf Kollisionskurs rangierende Vorschriften den entsprechenden Voraussetzungen zugänglich sind (Bestimmung des allgemeinen und des speziellen Gesetzes etc.), weiterzuhelfen. Diese zen­tralen Voraussetzungen der Kollisionsregeln sind mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu erfassen. Lediglich die Hierarchisierung des Rechts mit der ihr entnommenen lex superior – Regel kann Ansätze bei Vorschriften unterschiedlicher Hierarchieebenen bieten. Dies führt jedoch für die in der vorliegenden Analyse gewählten Problemfelder nicht weiter, die Kollisionsvorschriften betrachtet, welche überwiegend dem formellen Bundesrecht und damit derselben Hierarchieebene angehören. (22.) Besondere Ansätze zur Erfassung rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen sind in der Literatur als im Wesentlichen wissenschaftliche Systemvorschläge zu finden. Es wird insbesondere eingebracht, das Verhältnis von öffentlichem und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen zu begreifen, was zu beachtlichen argumentativen Erwägungen auf der dritten Stufe des hier vorgeschlagenen prozeduralen Vorgehens führt (Auflösung der erkannten Kollisionslage). Zudem bieten die Verfechter dieses Ansatzes (Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann) belastbare Argumente für ein zurückhaltendes Eingreifen der grundlegend in Wissenschaft und Praxis unterschiedenen Gebiete des öffentlichen und des Privatrechts. (23.) Demgegenüber versprechen Ansätze der Doppelnormtheorie, der Delegationstheorie und der Theorie formeller und materieller Normrelationen keinen vertieften Erkenntniswert, so dass denselben in der Sachdebatte keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. (24.) Von Bedeutung ist allerdings speziell für die Kollisionsdiskussionen um das privatrechtliche Arztrecht und das öffentliche Sozialversicherungsrecht die tiefgreifende Untersuchung von Deinert. In seiner Arbeit zu Privatrechtsgestaltung durch Sozialrecht hat Deinert die Leitgedanken des Akzeptanz-, des Schonungs-, des Vermögenswert- und des Gleichstellungsprinzips entwickelt und an zahlreichen Schnittstellenkonstellationen von Zivil- und Sozialrecht auf die Probe gestellt. Auch wenn schon Deinert selbst mit Recht darauf hingewiesen hat, dass diese Systemerwägungen nicht als solche im Rechtssystem festgeschrieben sind und zudem beachtet werden muss, dass seit Vorlegung seiner Analyse im Jahr 2007 für den in der vorliegenden Erörterung aufgegriffenen Bereich zahlreiche Gesetzesänderungen erfolgt sind, bietet seine Ausarbeitung erhebliches Argumentationspotential zur systematischen Erfassung und fortwährenden Feinabstimmung der ins Auge gefassten Regelungsbereiche.

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§ 4 Rechtstheorie vs. Rechtssoziologie – Überlegungen zwischen Theorie und Praxis (25.) Der Faktor Mensch ist in der Judikative de lege lata (Art. 101 Abs. 1 S.  2 GG) unvermeidbarer Teil des soziologischen Phänomens des gelebten Umgangs mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen und zugleich verfassungsrechtlich berufener Wächter rechtssystematischer Forderungen entsprechend den Ausführungen des methodischen Unterbaus (§ 3). (26.) Ist bereits wegen der hohen Komplexität, die rechtsgebietsübergreifende Kollisionslagen mitsichbringen, eine institutionelle Überforderung der Gerichtsbarkeit zu vermuten, so bedarf es Hilfestellungen aus der Wissenschaft, um die Brücke zwischen gesetzgeberisch geschaffenem groben Rahmen und judikativ nur bedingt mit Systemgedanken anzureichernden Feinabstimmungen zu schlagen. (27.) Mit diesen Zusammenhangserwägungen der soziologischen Betrachtung und des rechtstheoretischen Unterbaus tritt der Wert eines belastbaren prozeduralen Vorschlags hervor. Das geordnete und überprüfbare (§ 6) Verfahren auf dem Weg zur interpretatorischen Erkenntnis zwingt die ober- und jedenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Orientierung an den zentralen dogmatischen Forderungen (§ 3) und korrigiert die soziologisch erkannten Schwächen der Gerichtsbarkeit (§ 2). § 5 Normenkollisionen zwischen Zivil- und Sozialversicherungsrecht in ausgewählten Problemkomplexen Das Prinzip der Eigenverantwortung (28.) Verstöße gegen medizinisch indizierte Verhaltensanweisungen des Arztes an Patienten verursachen in allen Fällen Mehrkosten, in denen die Heilung verzögert und zusätzliche therapeutische Maßnahmen notwendig werden (non-Compliance). (29.) Zivilrechtlich kann die Behandlungsseite den gesetzlich versicherten Patienten hierfür weder im Rahmen des Entgeltrechts noch aus Schadensersatzgesichtspunkten in Anspruch nehmen. Dies gilt auch dann, wenn die zusätzlichen Kosten sozialversicherungsrechtlich nicht (hinreichend) vergütet werden. (30.) Allerdings ist der Arzt grundsätzlich befugt, das Behandlungsverhältnis gemäß §§ 630b, 627 Abs. 1 BGB zu kündigen und damit zugleich seine Garantenstellung und mit ihr einhergehende Garantenpflichten zu beenden. Dieses Recht findet seine Grenze im Bereich des medizinischen Notfalls sowie den sonstigen Fällen anzuerkennenden Kontrahierungszwangs (öffentlich-rechtliche Träger, allgemein bürgerlich-rechtliche Grundsätze). Allerdings finden auch die Fälle der Behandlungspflichten ihrerseits Grenzen im Rahmen der Zu-

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mutbarkeit für den betroffenen Arzt. Zentral ist innerhalb der Diskussion um Eigenverantwortlichkeitsprinzipien die Fallgruppe der Beschädigung oder Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, was im Wege querulatorischen Verhaltens, insbesondere aber auch durch non-Compliance geschehen kann, sofern der Arzt sich vor einer Kündigung des Behandlungsvertrages ernsthaft um Vernunftleitung des Patienten bemüht hat. (31.) Werden diesen Gedanken die Ansätze des Sozialrechts gegenübergestellt, ergibt sich eine grundsätzliche Beachtlichkeit eigenverantwortlichen Verhaltens mit Sanktionsmechanismen und gezieltem Erziehungseffekt im Fall des Verstoßes. Diese Elemente sind Ausdruck eines Solidarsystems, welches mit begrenzten Mitteln notwendige, ausreichende und zweckmäßige Gesundheitsversorgung sicherstellen will. Daher sind alle Teilnehmer des Systems an den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gebunden. Eine nähere Analyse hat jedoch ergeben, dass die Maßnahmen der Leistungskürzung und des Leistungsausschlusses in ihrer aktuellen Ausgestaltung dieses Ziel bei Verfehlungen gegen sorgsamen Umgang der Versicherten mit knappen Ressourcen kaum Effektivität aufweisen. Die Idee der Solidarität aller wird gegenüber verlangter und verfolgter Eigenverantwortung zur Gesunderhaltung und damit zur möglichen Minimierung der Systembelastung deutlich überhöht. (32.) Die Kollisionsbewertung erlaubt entsprechend dem Schonungs- und Akzeptanzprinzip ein begleitendes Nebeneinander von Zivil- und Sozialrecht im Bereich des Umgangs mit Verstößen gegen eigenverantwortliches Verhalten des Patienten/Versicherten. Zugleich wird offenbart, dass die Kostenlast sich, bislang weithin verdeckt und implizit einpreisend, auf die Leistungserbringer und Krankenkassen und mit Letzteren auf die Gemeinschaft der Beitragszahler verteilt. Dies ist einer der Preise, die das Recht de lege lata für die eiserne Verteidigung patientenseitiger Selbstbestimmungsrechte zahlt. Wirtschaftliche Aufklärung und sozialversicherungsrechtliche Zuzahlungsverpflichtungen (33.) § 630c Abs. 3 S.  1 BGB ist auf sämtliche Fälle gesetzlich angeordneter Zuzahlungsverpflichtungen anwendbar. Die unterschiedlichen Bereichslogiken von bürgerlichem Haftungs- und Sozialversicherungsrecht fügen sich ungeachtet ausgebliebener gesetzgeberischer Erkenntnis bei Normschaffung ineinander und stützen sich wechselseitig. Daher ist eine systemgerechte Anpassung in diesem Bereich nicht geboten. Das Verhältnis von Krankenkassen und Leistungserbringern ist mit der Eröffnung vertragsautonomer Regulierung in § 87 Abs. 1 S.  2 SGB V und des hierauf basierenden BMV-Ä den Parteien überlassen. Die aktuelle Vertragsversion sieht insofern in § 23a BMV-Ä eine weithin unbestimmte Lösung vor, welche nach näherer Betrachtung zu einer faktisch einseitigen Belastung der Leistungserbringer führt. Im BMV-Z ist keine Regelung

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zur Thematik getroffen. Es steht den Parteien frei, dies im Rahmen zukünftiger Vertragsänderungen anzupassen. Zivilrechtlicher Haftungsstandard im Sinne des § 630a Abs. 2 BGB vs. sozialversicherungsrechtliche Qualitäts- und Sorgfaltsmaßgaben nach den §§ 135 ff. SGB V (34.) Auf der ersten Stufe wird deutlich, dass weder bürgerlich-rechtliches Haftungsrecht noch sozialversicherungsrechtliche Qualitätsvorgaben Kolli­ sions­vorschriften enthalten. § 630a Abs. 2 BGB verlangt von der Behandlungsseite in der konkreten Situation ein standardgerechtes Vorgehen, dessen Parameter von der Rechtsprechung im Wesentlichen ohne Berücksichtigung anderer Rechtsgebiete festgelegt worden sind. Allerdings weist § 630a Abs. 2 BGB eine Offenheit für inter- und intradisziplinäre Einflüsse auf, die über das Instrument sachverständiger Beurteilung (außerjuristische Perspektive) und über die zentralen Elemente juristischer Auslegung (normative Ebene) Eingang finden. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung hat beide Elemente im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich vorgegebenen Konkretisierungsfunktion aufgenommen, jedoch auf der normativen Ebene die Heranziehung von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ohne Analyse und Argumentation als rechtlich verbindlich erkannt. (35.) Die Folgebetrachtung des Sozialversicherungsrechts sowie die Erörterung der Kollisionslage auf zweiter Stufe führen de lege lata zu der Erkenntnis, dass Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht geeignet sind, um den zivilrechtlichen Haftungsstandard verbindlich festzulegen. Zentrale Argumente gegen eine solche Verbindlichkeit sind die fehlende Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses, der gespaltene Adressatenkreis zwischen Betroffenen nach § 91 Abs. 6 SGB V und sonstigen Patienten sowie die zutreffende Standardbeschreibung durch Richtlinien, die fehlerhaft sein oder veralten können. (36.) Auf dritter Stufe ist eine Parallelität zum bisherigen Umgang mit den Leitlinien der Fachgesellschaften erkennbar, so dass eine gleichförmige normative Einstufung dem subjektiv-teleologischen Leitbild der §§ 630a ff. BGB am besten entspricht und rechtspraktisch sinnvoll in das System der Arzthaftung eingefasst werden kann. Demgegenüber ist eine Weiterentwicklung des § 630h BGB unter Extension der dort genannten Vermutungen zu Lasten der Behandlungsseite im Hinblick auf Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses abzulehnen. Kostendruck und Standard (37.) Mit fortschreitender Entwicklung der Medizin werden nicht nur Methoden verfeinert, Diagnostiken optimiert und Krankheitsbilder erstmals oder ver-

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bessert therapierbar. Es kommt gleichermaßen zu einer rasanten Kostenentwicklung, die nicht beliebig in den Systemen der Krankenversicherung abgebildet werden kann. Die hierauf aufbauende Diskussion um Kostendruck und Standard wird in Abhängigkeit von der technischen, der Personal-, der Bevölkerungsstruktur- und der damit einhergehenden Kosten- wie auch der Gesetzesentwicklung in unverminderter Schärfe fortgeführt werden. Die intradisziplinäre kollisionsrechtliche Analyse sollte die Augen dafür geöffnet haben, dass im Streit um Standards in der Medizin mit Blick auf Kostenerwägungen mehrere Systeme miteinander interagieren, die überwiegend unabhängig voneinander gewachsen sind, sich aber gleichwohl an ihren zahlreichen Berührungspunkten miteinander versöhnen lassen müssen, ohne die gesetzgeberischen Ziele zu beeinträchtigen. Auf Basis der vorgelegten Analyse wird folgende rechtliche Bewertung für tragfähig gehalten: (38.) Der Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes hat mit der Einführung der § 630a ff. BGB im Jahre 2013 die bis dahin geltende Rechtsprechung zum Haftungsrecht aufgegriffen und legislatorisch zementiert. Dementsprechend ist trotz des bekannten Problems eine nicht erörterte Entscheidung zur Exklusion von Wirtschaftlichkeitsfaktoren im Rahmen des nicht durch Parteivereinbarung modifizierten Sorgfaltsmaßstabs gemäß § 630a Abs. 2 BGB gefallen. Daraus folgt zugleich, dass es den Gerichten ohne gesetzgeberische Entscheidung nunmehr verwehrt ist, Wirtschaftlichkeitserwägungen – eingebracht durch sachverständige Expertise, durch die beklagte Behandlungsseite selbst oder durch Vorgaben aus Leit- oder Richtlinien – im Haftungsstreit zu berücksichtigen. (39.) Es steht der Behandlungsseite nach den §§ 630a ff. BGB grundsätzlich frei, mit dem Patienten, für welchen eine nicht kassengetragene Vorgehensweise indiziert ist, eine standardunterschreitende Vereinbarung zu treffen, solange das gewählte Verfahren ärztlich noch vertretbar ist und der Patient diese Methode wählt, um allenfalls jene Kosten tragen zu müssen, die nach Sozialversicherungsrecht ohnehin bei ihm angefallen wären. Diese Vertragsfreiheit findet ihre Grenze in allen Fällen anzuerkennenden Kontrahierungszwangs, sofern sich dieser Zwang nach Zumutbarkeitsabwägung im konkreten Verhältnis Arzt – Patient gerade auf die benötigte Versorgung bezieht, die den kassengetragenen Standard überschreitet. Fordert der Patient die Erfüllung dieses Zwangs ein, schuldet er das Entgelt gemäß §§ 630a Abs. 1, 630b, 612 Abs. 1, 2 BGB iVm. GOÄ/GOZ. Der Ärzteschaft werden mit dem allgemeinen Kontrahierungszwang zwei Mehrbelastungsaspekte auferlegt. Der betroffene Arzt des Einzelfalls darf erstens den Patienten nicht abweisen, sofern er keine relevanten ­Gründe wie Praxisüberlastung, Zerstörung des Vertrauensverhältnisses oder fehlendes fachliches Können vorbringen kann. Und zweitens trägt die Behandlungsseite das Insolvenzrisiko des Selbstzahlers, der das Entgelt gemäß §§ 630b, 614 S.  1 BGB erst mit Abschluss der Behandlung aufbringen muss, sofern

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keine hinreichenden Indizien vorliegen, die eine Einrede gemäß § 321 BGB ermöglicht. (40.) Wirtschaftlichkeitsmotive der Behandlungsseite, aus denen heraus die nicht kassengetragene Behandlung ohne Selbstzahlerschaft abgelehnt und ggfls. den schon eingegangenen Behandlungsvertrag deswegen gemäß §§ 630b, 627 Abs. 1 BGB unter gleichzeitiger Zerstörung bis dahin bestehender Garantenstellung und folgender Garantenpflichten gekündigt wird, sind im Zivilrecht anzuerkennen. Sie verstoßen weder gegen ärztliches Berufsrecht noch sind sie als sittenwidrig zu erachten. Die gegenteilige Auffassung betreibt Sozialpolitik durch zivilrechtliches Haftungsrecht. Hierfür ist die Judikative jedenfalls seit der gesetzgeberischen Inkorporation der §§ 630a ff. BGB im Jahre 2013 nicht (mehr) legitimiert; nach hier vertretener Ansicht war sie es aber aus den aufgezeigten Systemerwägungen auch zuvor nicht. (41.) Verlangt ein Patient gegenüber dem Vertragsarzt oder gegenüber einem zugelassenen Krankenhaus die kassengetragene Versorgung, ist die Behandlungsseite privatrechtlich außerhalb bestehender Kontrahierungszwänge ebenfalls berechtigt, die Behandlung abzulehnen oder einen schon bestehenden Vertrag zu kündigen. Allerdings drohen der Behandlungsseite – anders als in den Fällen nicht kassengetragener Leistungen – sodann Sanktionen aus dem System des Vertragsarztrechts sowie des Rechts der zugelassenen Krankenhäuser heraus, was bis zum Verlust der Beteiligungsberechtigung am öffentlich-rechtlich organisierten Gesundheitssystem reichen kann. Dieser mittelbare Druck, auf den sich der Patient in seiner konkreten Vertragssituation nicht berufen kann, entspricht dem gesetzgeberisch gewählten Modell des Sachleistungsprinzips in der GKV. Zugleich werden die wirtschaftlichen Verhandlungen zur korrekten Entlohnung kassengetragener Leistungen ausschließlich zwischen den Kassen und den Leistungserbringern geführt. Der einzelne Patient erhält in dieser Verhandlung kein Mitspracherecht. Ihm bleibt notfalls ein Rechtsstreit gegen den Träger der gesetzlichen Krankenkasse, bei welcher er versichert ist. Durch dieses Modell wird zugleich verhindert, dass die Patienten im Rahmen des zivilrechtlichen Haftungsstreits ökonomische Betrachtungsweisen zu erbringender Leistungen gerichtlich durchsetzen, die im Sozialrecht zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern vor den Sozialgerichten (noch) keine Ankerkennung gefunden haben. § 6 Verfahrensrechtliche Absicherung (42.) Die geforderte prozessuale Absicherung durch Pflichterwägungen in den Entscheidungsgründen des in dieser Analyse vorgeschlagenen judikativen Vorgehens bei der Befassung mit rechtsgebietsübergreifenden Normenkollisionen stellt den wesentlichen Sicherungsmechanismus für das geforderte rechtsstaatliche Entscheidungsverhalten dar. Die Bedeutung zeigt sich im Rahmen

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der mangelnden Effektivität sonstiger Möglichkeiten der Prozessparteien (Vortrags- und Rügerechte). (43.) Nur durch Transparenz rechtlicher Erwägungen in den Entscheidungsgründen wird die Judikatur für die Parteien kontrollierbar, sofern zugleich anerkannt wird, dass in den Fällen der Lückenhaftigkeit und Unvollständigkeit von Entscheidungsgründen stets auch ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG liegt. Dies führt gemäß § 543 Abs. 2 S.  1 Nr. 2 2. Alt. ZPO in jedem Fall der Rechtsverletzung im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO oder der entsprechenden Vorschriften anderer Verfahrensordnungen zur Revisibilität der Entscheidung. Dies muss nach hier vertretener Auffassung zur Sicherung des Gehörsrechts selbst dann gelten, wenn keine entsprechende Parteirüge oder auf rechtsgebietsübergreifende Normenkollisionen bezogener Rechtsvortrag, allerdings für die rechtliche Beurteilung hinreichender Sachvortrag erfolgt ist. (44.) Die verfahrensrechtliche Akzeptanz vorgenannter prozessualer Absicherung durch ein extensives Verständnis des Art. 103 Abs. 1 GG wie auch des § 547 Nr. 6 ZPO und den vergleichbaren Vorschriften anderer Verfahrensordnungen wird in der Praxis dazu führen, dass insbesondere auf Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden spezialisierte Anwälte (in der Zivilgerichtsbarkeit gemäß § 78 Abs. 1 S.  3 ZPO durch eigens hierauf fokussierte BGH-Anwälte) den Aspekt rechtsgebietsübergreifender Normenkollisionen verstärkt verfolgen werden. In der Konsequenz wird es für die Judikative trotz der erkennbaren Vorbehalte, die im Rahmen rechtssoziologischer Betrachtung aufgedeckt worden sind, unumgänglich werden, die rechtsstaatlich zu fordernden Erwägungen entsprechend des methodischen Unterbaus zu verfolgen. Dies in geordneten Bahnen zu leisten, wird sodann über das in der vorliegenden Analyse vorgeschlagene prozedurale Vorgehen gelingen.

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Sachregister Akzeptanzprinzip  70, 73, 125 f., 173, 238, 296 allgemeine Hilfspflicht  146 Andeutungstheorie 104 Anwendungsvorrang  26, 65, 90, 109 Auslegung  15 f., 19–23, 26, 35–39, 41, 60 f., 65, 68–72, 74 f., 78 f., 81 f., 87 f., 91–94, 96 ff., 101, 103 ff., 108 f., 112, 113, 115 f., 119 f., 129, 132, 180, 183, 187, 189, 200, 215 f., 223, 239, 263, 280, 289, 297 Auslegungskriterien  1, 22 Ausstrahlungsthese  23, 127, 216, 290 Begründungspflicht  205, 268 ff., 272, 274 f., 279 f. Bereichslogiken  6, 21, 41, 44, 46, 61, 129, 189, 192, 194, 289, 296 Berufsrecht  149, 157, 247 f., 260, 299 Beweiserhebung  216, 220 Beweiswürdigung  220, 265, 277 f. Bürgerversicherung 258 Compliance  137, 139 f., 142, 145, 154, 163, 165, 167, 172 f., 295 f. Delegationstheorie  122, 294 Doppelnormtheorie  123 f., 294 Eigenverantwortung  5 f., 136, 160, 165, 168, 172 f., 191, 258, 295 f. Einheit der Rechtsordnung  1, 15, 24, 29, 36, 57, 60, 70 f., 77 ff., 82 ff., 88, 91, 109, 115 f., 122, 129, 292 Einheitlichkeitssicherung  35, 69, 268, 271, 282 erste Stufe  23, 213, 223, 289, 297 Erziehungseffekt  173, 188, 258, 296 Folgerichtigkeit  57, 60, 70, 78 f., 88, 121

Fortentwicklung des Rechts  35 GBA  43, 45, 52, 180, 211 f., 224, 232 f., 234, 238 Gemeinsamer Bundesausschuss  9, 11, 51, 178, 203 f., 212, 214, 223, 225, 228 Gesamtvergütung  226 f. Gesetzesbindung  3, 36, 81, 92 f., 98 f.99, 102, 106 f., 241, 279 gewissenhafte Berufsausübung  149, 247 Gleichheitssatz  70, 79, 83 f., 87, 92, 153 Gleichstellungsprinzip 126 Grundsatzbedeutung  35, 69, 268, 270, 282, 285 Güterallokation  11, 41 Kollision  1, 14, 24, 26, 30, 54, 69, 76, 113, 120, 123, 135, 189, 191, 196, 223, 280, 283, 290 Kollisionsregeln  15, 67, 110, 113 f., 116, 294 Kombinationstheorie 98 Kompetenzordnung  31, 43, 67, 78 Konkurrenzsystem 42 Kontrahierungszwang  145 f., 149–155, 157 ff., 180, 231, 250–253, 260, 298 Kontraktrecht 41 Kostendruck  11 ff., 15, 45, 54 f., 170, 190, 202, 207, 209, 216, 224 f., 231, 257, 259, 297 f. Krankenversicherung  13, 19 f., 25, 40, 44, 49 f., 53, 82, 137, 142 f., 161, 166, 170 f., 178, 185, 191, 195, 205, 213, 232 f., 237, 255, 298 Leitlinien  62, 79, 197, 199, 221, 223, 232, 235 f., 264 f., 283, 297 lex posterior  69, 80, 112 f., 293 lex superior  111, 112, 294

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Sachregister

Makroallokationsebene 45 Marktversagen 49 Metaebene  129, 169, 171, 190 f., 202, 211, 213, 255 ff. Metanormebene  23, 280, 289 f. Methodenlehre  3 f., 22, 30 ff., 59, 76, 80, 92, 94, 98 f., 105 f., 112–115, 125 f., 128 Normenklarheit  19, 68, 103, 108 Normenwahrheit  19, 103, 108 Normrelation  120 f. Normwiderspruch  71 f., 88, 112, 191 Notfallbehandlung  248, 252 Optimierungsgebot  23, 70, 127, 290 Patientendokumentation 235 Phasenlehre 40 Privatautonomie  41, 145 f., 155 f., 180, 248, 252 Recht auf Äußerung  272 Recht auf Information  272 rechtliches Gehör  24, 264, 272 f., 275, 285, 290, 300 Rechtserzeugung  69, 87, 90, 93–96, 120, 203 Rechtsfortbildung  38, 69, 72 f., 93 f., 101, 104 f., 268 Rechtskonkretisierungskonzept 210 Rechtspraktiker  8, 16, 20, 29, 37, 40, 65, 98 f. Rechtssoziologie  1, 17, 29, 30 f., 33, 37 f., 41, 131, 295 Rechtssystem  36 f., 60 f., 65 f., 67, 95, 108, 113, 120, 291, 294 Rechtstheorie  1, 3, 20, 30, 31, 36, 37, 38, 41, 58, 60, 61, 64, 65, 92, 97, 98, 115, 131, 295 Rechtswissenschaftler  16, 40 rechtswissenschaftssoziologisch  22, 46, 116 Richtlinien  10 f., 51, 83, 180, 194, 197, 199 ff., 203, 205 f., 208 f., 214–218, 220–223, 225, 232 f., 259, 264, 269, 281, 283, 285, 297 f. Rollenverständnis 30

Sachleistungsprinzip  51, 224 Schnittstellenaussage  107, 119 Schnittstellenprobleme  24, 290 Schonungsprinzip 125 Schwarmintelligenz 42 Sekundäre Darlegungslast  216 Selbstbestimmungsrecht  143, 246, 257 Selbstermächtigungsproblematik  57, 62, 64, 67, 69, 270, 292 Selbstverwaltung  205 f., 211 Selbstzahlerschaft  228, 238, 247, 252, 257 f., 260, 299 Sittenwidrigkeit  85, 244 ff., 248, 250, 252 Spezialitätsverhältnis 114 Standard  3, 9, 11 ff., 15, 45, 54 f., 170, 190, 194 ff., 199, 200 ff., 207, 209, 216, 222, 224 f., 231, 238 ff., 242, 249, 251, 257, 259, 264, 283, 297 f. Standardabweichung  10, 201, 242, 244, 246 Standardunterschreitung  195 f., 229, 237, 239–244, 247 ff., 251 Statusrecht 41 Steuerungsfähigkeit  25, 61, 74, 81 Stufenbau  68, 89, 109 ff., 115 Substantiierungslast  216, 273 Systemdenken  1 ff., 14 f., 19, 46, 57–61, 63–66, 69 ff., 74, 76, 78 ff., 83, 89 f., 103, 108 f., 115, 128, 290 Teilrechtsordnung  14 f., 18, 20, 23, 29, 71, 73, 97, 107, 117, 119, 121, 280, 289 f. Vergröberungsgefahr 58 Vermögenswertprinzip  125 f. Versteinerungsgefahr  62, 208, 292 Verwerfungskompetenz 98 Waffengleichheit 41 Warnfunktion 75 Wechselseitige Auffangordnungen  117 Werteordnung  32, 87 f., 97 Wertungswiderspruch  71, 74, 83 f., 112 Wertungswiderspruchsfreiheit  57, 70, 79, 89 Willkürformel  86, 153

Sachregister

Wirtschaftliche Aufklärung  7, 173, 175, 177, 179, 181, 183, 185, 187, 189, 191, 193, 296 wirtschaftliche Aufklärungspflicht  183, 188

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wissenschaftliche Systeme  66, 91 Zuzahlungsverpflichtung  176 f., 188, 191 Zwei-Klassen-Medizin 257 zweite Stufe  23, 213, 290