Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats [7. neu bearbeitete Auflage] 9783504386283

With the recent adoption of the Act on the Implementation of the Second Shareholders’ Directive (ARUG II), the appearanc

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Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats [7. neu bearbeitete Auflage]
 9783504386283

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Lutter/Krieger/Verse Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats

.

Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats von

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Marcus Lutter em. Universitätsprofessor in Bonn

Prof. Dr. Gerd Krieger Rechtsanwalt und Honorarprofessor in Düsseldorf

Prof. Dr. Dirk A. Verse, M. Jur. (Oxford) Universitätsprofessor in Heidelberg

7. neu bearbeitete Auflage

2020

Zitierempfehlung: Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rz. ...

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-31720-1 © 2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Griebsch & Rochol, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan der Aktiengesellschaft, der großen GmbH und der Genossenschaft steht seit Langem im Zentrum des Interesses nicht nur der Wissenschaft, sondern auch und vor allem der Praxis. Vornehmlich ihr will diese Schrift eine Handreichung sein. Sie gibt auf gedrängtem Raum einen zusammenhängenden Überblick über die Rechte und die vielfältigen Pflichten des Aufsichtsrates und seiner einzelnen Mitglieder. Zugleich soll die Schrift aber auch eine schnelle Information über Einzelfragen der laufenden Arbeit bieten und Zugang zu den für den Aufsichtsrat und seine Mitglieder wichtigen Rechtsproblemen eröffnen. Wir haben deshalb weder auf weiterführende Anmerkungen noch auf eigene Stellungnahmen zu den vielen kontroversen Rechtsfragen verzichtet. Das Buch ist zuletzt vor sechs Jahren in 6. Auflage 2014 erschienen. Seither hat sich wieder viel getan und geändert: Eine Fülle von Aufsätzen hat vielfältige Aspekte der Aufsichtsratsarbeit untersucht, viele Bücher sind neu oder in neuer Auflage erschienen. Die EU hat im Mai 2017 die geänderte Aktionärsrechterichtlinie verabschiedet und der deutsche Gesetzgeber hat bis zum 12.12.2019 gebraucht, um das Umsetzungsgesetz (ARUG II) zu verabschieden (BGBl. I 2019, 2637 v. 19.12.2019). Außerdem hat die Kodex-Kommission beschlossen, den Deutschen Corporate Governance Kodex völlig neu zu fassen. Die Arbeit daran hat bis zum 16.12.2019 gedauert. Beides ist hier voll berücksichtigt, beim Kodex wird bisweilen auch die alte Fassung zitiert, um den Vergleich alt-neu zu ermöglichen. Selbstverständlich ist auch die engagierte Rechtsprechung vollständig eingearbeitet worden. Das Buch entspricht in allen seinen Teilen dem Stand vom 1.1.2020. Kritik und Anregungen zu dieser Auflage, um die wir erneut herzlich bitten, richten Sie bitte per Mail an [email protected]. Bonn, Düsseldorf und Heidelberg, im Februar 2020 Marcus Lutter

Gerd Krieger

Dirk Verse

V

VI

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite V

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXVII

Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLV

§ 1 Übersicht I. Der Aufsichtsrat als spezielles Element der deutschen Unternehmensverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 1

1

II. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

5

III. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

6

IV. Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . .

9

7

V. Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat .

20

11

VI. Dauer der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

20

VII. Veröffentlichung von Beginn und Ende des Aufsichtsratsmandats

39

22

VIII. Der Aufsichtsrat als Innenorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

23

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

25

II. Neuerungen durch das KonTraG von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

26

III. Neuerungen durch das TransPuG von 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

26

IV. Neuerungen durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Haftungsrechts (UMAG) von 2005 . . . . . . . .

47

27

V. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

27

VI. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

28

§ 2 Der Aufsichtsrat als Element einer modernen und leistungsfähigen Unternehmensführung – Corporate Governance

VII

Inhaltsübersicht VII. Neuerungen durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 50

28

VIII. Das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

29

IX. Neuerungen durch das Gesetz über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen von 2015 . . . . .

52

29

X. Neuerungen durch die Aktienrechtsnovelle 2016 . . . . . . . . . . . . . .

53

29

XI. Neuerungen durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) von 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

30

XII. Neuerungen durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) von 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

31

XIII. Der Deutsche Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

32

XIV. Der Aufsichtsrat als mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

34

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

37

II. Gegenstand und Umfang, Prüfungsmaßstab und Grenzen der Überwachung nach § 111 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

37

III. Die Beratung mit dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103

55

IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

58

V. Vom Gesetz geforderte spezielle Prüfungspflichten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

70

VI. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

72

I. Erweiterung der Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats . . . . . .

141

73

II. Umfang der Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146

76

III. Urteilsbildung im Aufsichtsrat über Konzernvorgänge . . . . . . . . .

147

76

IV. Beratung mit dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

81

V. Konzernweite Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

82

§ 3 Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

§ 4 Die Überwachung im Konzern

VIII

Inhaltsübersicht VI. Konzernspezifische Besonderheiten der Überwachung in abhängigen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 164

84

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

87

II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172

87

I. Die Unterrichtung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

99

II. Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder.

254

126

III. Berichts- und Informations-Ordnung für den Vorstand . . . . . . . .

317

152

IV. Vertraulichkeits-Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

152

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

155

II. Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332

156

III. Das Anstellungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

386

184

IV. Vertretung der Gesellschaft und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . .

452

222

V. Organisation der Vorstandsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

463

230

VI. Besondere Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

471

233

VII. Besonderheiten im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

490

242

501

245

§ 5 Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

§ 6 Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

§ 7 Bestellung und Anstellung des Vorstands und die Organisation der Vorstandstätigkeit

§ 8 Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Inhaltsübersicht Rz. Seite

II. Feststellung des Jahresabschlusses und Billigung des Konzernabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

502

245

III. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . .

510

248

IV. Ausnutzung eines genehmigten Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517

252

V. Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

518

253

VI. Befugnisse in Bezug auf die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . .

522

255

VII. Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

529

256

VIII. Kreditgewährung an Führungskräfte; Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531

257

IX. Ad-hoc-Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

534

257

§ 9 Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung I. Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

562

259

II. Sonstige Berichtsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

580

266

III. Die Gestaltung der Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

598

271

IV. Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

601

272

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

611

273

II. Allgemeine Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

612

273

III. Besondere Verhaltenspflichten bei Übernahmen . . . . . . . . . . . . . .

614

274

IV. Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

629

279

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

651

285

II. Der Vorsitz im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

660

291

§ 10 Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

§ 11 Die Organisation des Aufsichtsrats

X

Inhaltsübersicht III. Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 688 305

IV. Aufsichtsratsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

745

334

§ 12 Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung I. Gleichheit und Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

821

359

II. Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . .

823

361

III. Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder . . .

885

388

IV. Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

935

406

981

409

II. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1030

432

III. D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036

435

§ 13 Haftung der Aufsichtsratsmitglieder I. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 14 Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051

437

II. Bestellung des Ersatzmitglieds und Nachrücken in den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052

437

III. Ausscheiden des Ersatzmitglieds und Vermeidung des Nachrückfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1055

439

IV. Rechte und Pflichten des Ersatzmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1059

441

§ 15 Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091

443

XI

Inhaltsübersicht Rz. Seite II. Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats – Größenmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1095 445 III. Die Leitungsstruktur in der mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . . . . 1114

451

IV. Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1120

454

V. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse . . . . . . . . . 1173

478

§ 16 Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1181

481

II. Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1183

481

III. Befugnisse und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . 1204

488

IV. Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213

492

V. Information des fakultativen Aufsichtsrats, Vertraulichkeit . . . . . 1218

494

VI. Innere Ordnung des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . 1220

494

VII. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat. 1226

496

VIII. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse . . . . . . . . . 1231

498

§ 17 Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1251

501

II. Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen . . . . . . . 1258

505

III. Die Generalversammlung als Überwachungsorgan . . . . . . . . . . . . 1280

514

§ 18 Der Aufsichtsrat in der KGaA I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1301

517

II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1302

518

III. Keine Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung . . . . . . . . 1305

519

XII

Inhaltsübersicht Rz. Seite IV. Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA . . . . . . . . . . . 1309 520 V. Besonderheiten der gesetzesuntypischen KGaA . . . . . . . . . . . . . . . 1327

527

VI. Fakultative Gremien in der KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1333

530

VII. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1338

532

§ 19 Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1351

533

II. Die Grundstrukturen des Aufsichtsorgans in der dualistischen SE 1352

534

III. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1358

537

IV. Zusammensetzung und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1360

537

V. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1377

544

VI. Bestellung/Anstellung/Abberufung des Leitungsorgans . . . . . . . . . 1396

550

VII. Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan . . . . . . 1399

551

VIII. Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1400

552

IX. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . . . 1401

552

X. Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . 1402

553

XI. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406

554

§ 20 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Unternehmen der öffentlichen Hand I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1421

555

II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1423

556

III. Weisungsfreiheit und Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1425

556

IV. Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . 1430

559

XIII

Inhaltsübersicht

§ 21 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Rz. Seite I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1450 565 II. Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat . . . . . . 1454

567

III. Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats . . . . . 1502

599

IV. Interne Organisation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1517

608

V. Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1540

618

VI. Haftung und sonstige Folgen von Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . 1545

621

Anhang

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIV

623 635

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite V

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXVII

Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XLV

§ 1 Übersicht I. Der Aufsichtsrat als spezielles Element der deutschen Unternehmensverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Besonderheiten der sog. dualen Unternehmensverfassung . 3. Europa und die Modelle der Unternehmensverfassung . . . . . . . 4. Die Arbeit der Regierungskommission „Corporate Governance“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“ . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 1 1 3 4

1 1 3 3

5 6

4 4

II. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

5

III. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

6

IV. Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . 1. Wahl der Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahl der Anteilseignervertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . .

9 10 14 18 19

7 7 8 9 9

20 20 21

11 11 11

24 24 25 27 29 30

13 13 15 16 18 19

V. Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unvereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige persönliche Voraussetzungen/fachliche Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fachliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit und mögliche Interessenkonflikte . . . . . . . c) Besetzungsplan und Sektorenkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mindestqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geschlechterquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Inhaltsverzeichnis VI. Dauer der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 31 20 31 20 34 21 35 21

VII. Veröffentlichung von Beginn und Ende des Aufsichtsratsmandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

22

VIII. Der Aufsichtsrat als Innenorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bericht an die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufsichtsrat und Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gespräche mit Aktionären und Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 41 42 43 43a

23 23 23 23 24 24

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

25

II. Neuerungen durch das KonTraG von 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

26

III. Neuerungen durch das TransPuG von 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

26

IV. Neuerungen durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Haftungsrechts (UMAG) von 2005 . .

47

27

V. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

27

VI. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

28

VII. Neuerungen durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

28

VIII. Das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) von 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

29

IX. Neuerungen durch das Gesetz über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen von 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

29

X. Neuerungen durch die Aktienrechtsnovelle 2016 . . . . . . . . . . . .

53

29

§ 2 Der Aufsichtsrat als Element einer modernen und leistungsfähigen Unternehmensführung – Corporate Governance

XVI

Inhaltsverzeichnis XI. Neuerungen durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) von 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 54

30

XII. Neuerungen durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) von 2019 . . . . . . . . . . . . . . . .

55

31

XIII. Der Deutsche Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . . .

56

32

57 57 58

34 34 34

60

36

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

37

II. Gegenstand und Umfang, Prüfungsmaßstab und Grenzen der Überwachung nach § 111 Abs. 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ordnungsmäßigkeit, insbesondere Unternehmensplanung . c) Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kontrolldichte und inhaltliche Grenzen der Überwachung . . . . a) In der Normallage des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) In der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bei Zustimmungsvorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 65 73 74 79 89 90 91 92 93 95 101

37 37 38 43 43 45 49 50 50 51 51 52 55

III. Die Beratung mit dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsrecht und Beratungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen des Beratungsauftrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

103 103 107

55 55 58

IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stellungnahmen und Beanstandungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erlass einer Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109 110 111 112 114

58 59 59 59 60

XIV. Der Aufsichtsrat als mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung der Aufgaben des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verbindung der Vorzüge von board-Verfassung und Aufsichtsrats-Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 3 Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

XVII

Inhaltsverzeichnis b) Umfang und Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Erteilung oder Versagung der Zustimmung; Information des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nicht-Einhaltung der Vorgaben von Satzung und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zustimmungsvorbehalt bei Related Party Transactions . . . . 4. Abberufung von Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einberufung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 118 62 123 130

64 67

133 134 135

68 69 69

136 137

70 70

V. Vom Gesetz geforderte spezielle Prüfungspflichten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

70

VI. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

72

I. Erweiterung der Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats . . . . 1. Der Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründe für die Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besondere Schwierigkeiten der Überwachung im Konzern . . . .

141 141 142 144

73 73 73 75

II. Umfang der Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146

76

III. Urteilsbildung im Aufsichtsrat über Konzernvorgänge . . . . . . . 1. Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordnungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zweckmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147 148 151 153 154 156

76 77 78 79 80 81

IV. Beratung mit dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158

81

V. Konzernweite Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

82

VI. Konzernspezifische Besonderheiten der Überwachung in abhängigen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164

84

§ 4 Die Überwachung im Konzern

XVIII

Inhaltsverzeichnis

§ 5 Aufsichtsrat und Abschlussprüfer I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Abschlussprüfer als Berater und Gehilfe des Aufsichtsrats . 2. Der Vertragsschluss mit dem Abschlussprüfer . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers (§ 321 HGB) . . . . . 4. Die Bilanzsitzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusätzliche Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Konzernabschlussprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Freistellung der kleinen AG von der Prüfungspflicht . . . . . . . . . 8. Der Prüfungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 171 87 172 172 173 176 181 185 187 188 190

87 87 88 90 93 96 97 97 98

I. Die Unterrichtung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Die regelmäßigen Berichte des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Vierteljahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Angaben zum Umsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Gang der Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 cc) Lage der Gesellschaft; Liquiditätsübersicht . . . . . . . . . . 196 dd) Unterjährige Finanzberichte i.S. von §§ 115, 117 Nr. 2 WpHG und § 53 BörsO FWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197a b) Jahresberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Bericht über die Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 e) Keine Einschränkung, aber Möglichkeit zur Erweiterung der Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Sonderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Rechtsgeschäfte von erheblicher Bedeutung . . . . . . . . . . . . . 208 b) Wichtige Anlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Krisen, Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 d) Vom Aufsichtsrat oder einzelnen seiner Mitglieder angeforderte Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 e) Gemeinsamkeiten der Sonderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 4. Vorlageberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 a) Jahresabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

99 99 101 101 101 102 102

§ 6 Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

103 103 105 106 107 108 108 108 109 109 111 111 111

XIX

Inhaltsverzeichnis

5. 6. 7.

8. 9. 10. 11.

Rz. Seite b) Der Abhängigkeitsbericht einer abhängigen AG nach § 312 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 112 c) Maßnahmen des Vorstands, die der Mitwirkung (Zustimmung) des Aufsichtsrats bedürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 113 Die Empfänger der Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 114 Die Gestaltung der Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 115 Information und Berichte im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 117 a) Gleiche Regeln wie für die AG selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 117 b) Die regelmäßigen Berichte des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . 231 118 c) Sonderberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 120 d) Vorlageberichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 120 Information des Aufsichtsrats bei Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 120 Vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats: Das unmittelbare Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 120 Vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats: Information des Aufsichtsrats durch Dritte und das Personal . . . . . . 245a 122 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 125

II. Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschwiegenheitspflicht und Mitbestimmung . . . . . . . . . . c) Verschwiegenheitspflicht und Meinungsfreiheit . . . . . . . . . . 2. Geheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertrauliche Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Wahlkampf“ – Rückkoppelung zwischen Wählern und Gewählten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einzelne typische Geheimnisse und vertrauliche Angaben . . . . a) Verbot der Weitergabe von so genannten Kenndaten . . . . . b) Technik und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kaufmännischer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Finanzieller Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Planungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ausmaß der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Persönlicher Umfang der Schweigepflicht . . . . . . . . . . . . . . .

XX

254 254 254 255 257 259 264 265 266

126 126 126 127 128 129 131 132 132

268 269 269 271 272 273 274 275 276 276

133 134 134 135 135 135 135 135 135 135

Inhaltsverzeichnis

7. 8. 9. 10.

Rz. Seite b) Schweigepflicht und Aufsichtsrat in von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 136 c) Schweigepflicht im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 136 d) Grenzen der Vertraulichkeitspflicht – Konflikte . . . . . . . . . . 283 137 e) Die Kompetenz zur Weitergabe von Informationen . . . . . . . 284 138 f) Selbstbefreiung von der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . 284a 140 Dauer der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 140 Vorgaben und verantwortliche Entscheidung jedes Aufsichtsratsmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 140 Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 141 Sonderprobleme der Verschwiegenheit im Anwendungsbereich der Marktmissbrauchsverordnung (MAR) . . . . . . . . . . 290 142 a) Die Konzerndimension des Insiderrechts und der Ad-hocPublizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 143 b) Aufsichtsräte und Insiderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 143 c) Rechtmäßige und unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 144 d) Sicherung der Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 303 147 e) Ad-hoc-Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 147 f) Zusammenfassung: Folgen für die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 150

III. Berichts- und Informations-Ordnung für den Vorstand . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317 317 318

152 152 152

IV. Vertraulichkeits-Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

152

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

155

II. Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestellungshoheit des (Gesamt-)Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahl der Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eignungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe . . . . . . . . c) Sachgerechte Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Wahlgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahlverfahren nach § 31 MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332 332 338 338 339 342 347 347 349

156 156 158 158 159 160 164 164 165

§ 7 Bestellung und Anstellung des Vorstands und die Organisation der Vorstandstätigkeit

XXI

Inhaltsverzeichnis 4. Fragen der Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dauer der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlängerung der Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mängel der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beendigung der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen des Widerrufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausübung des Widerrufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mängel und gerichtliche Überprüfung des Widerrufs . . . . . e) Einvernehmliche Aufhebung; Amtsniederlegung . . . . . . . . . f) Suspendierung; Dienstbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anmeldung zum Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Anstellungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Inhalt und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschluss des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übertragung auf einen Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dauer des Anstellungsvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mängel des Anstellungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorstandsvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergütungssystem börsennotierter Gesellschaften . . . . . . . . c) Angemessenheit der Gesamtbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammensetzung der laufenden Vergütung . . . . . . . . . . . . e) Ruhegehalt, Übergangsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Abfindungsleistungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Herabsetzung der Bezüge; Clawback-Klauseln . . . . . . . . . . . h) Vergütungsleistungen durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Offenlegung der Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Vergütungsvotum der Hauptversammlung; Herabsetzung der Maximalvergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung und Änderung des Anstellungsvertrages . . . . . . . . a) Verhältnis zum Widerruf der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeitsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kündigung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ordentliche Kündigung; Aufhebungsvertrag; Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kündigung durch das Vorstandsmitglied . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anstellungsverträge zwischen Vorstandsmitgliedern und Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII

Rz. Seite 355 168 355 168 357 169 360 171 362 172 362 172 365 173 369 176 372 179 377 181 379 182 385 184 386 386 387 387 389 393 394 395 395 396 401 407 417

184 184 185 185 186 187 188 188 188 189 191 195 201

419 423 427 428

202 204 207 209

430 436 436 438 440

209 211 211 213 214

444 446 448

217 218 218

449

219

Inhaltsverzeichnis IV. Vertretung der Gesellschaft und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . 1. Gerichtliche und außergerichtliche Vertretung durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfolgung von Schadensersatzansprüchen durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 452

222

452

222

459

227

V. Organisation der Vorstandsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderungen der Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

463 463 465 469

230 230 230 232

VI. Besondere Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Vorstand . . . 2. Ernennung eines Vorstandsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestellung eines Arbeitsdirektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestellung stellvertretender Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . .

471 471 476 481 489

233 233 235 238 241

VII. Besonderheiten im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

490

242

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

501

245

II. Feststellung des Jahresabschlusses und Billigung des Konzernabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

502

245

III. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . .

510

248

IV. Ausnutzung eines genehmigten Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

517

252

V. Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

518

253

VI. Befugnisse in Bezug auf die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . 1. Einberufung und Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berichterstattung an die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Änderung der Satzungsfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

522 523 527 528

255 255 256 256

VII. Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

529

256

VIII. Kreditgewährung an Führungskräfte; Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

531

257

IX. Ad-hoc-Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

534

257

§ 8 Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

XXIII

Inhaltsverzeichnis

§ 9 Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung I. Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Bericht zu Jahresabschluss und Konzernabschluss . . . . . . . 2. Der Bericht des Aufsichtsrats zum Vorschlag des Vorstands zur Verwendung des Bilanzgewinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Prüfung des Abhängigkeitsberichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Vergütungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 562 259 562 259 565

260

566 574 579

261 264 265

580

266

II. Sonstige Berichtsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bericht über Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beauftragung des Abschlussprüfers und Konzernabschlussprüfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Interessenkonflikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bericht über Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern? . . . 6. Rechtliche Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Bericht über Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ungewöhnliche Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

580 586

266 267

587 588 592 593 596 597

267 268 269 269 270 270

III. Die Gestaltung der Berichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schriftlichkeit, Auslage und Einreichung zum Bundesanzeiger .

598 598 599

271 271 271

IV. Verstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

601

272

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

611

273

II. Allgemeine Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG . . . . . . . .

612 612 613

273 273 274

III. Besondere Verhaltenspflichten bei Übernahmen . . . . . . . . . . . . . 1. Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten . . . . . . . . . . . . .

614 614

274 274

§ 10 Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

XXIV

Inhaltsverzeichnis 2. Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Bietergesellschaft . . . 3. Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft . . . . . a) Stellungnahmepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erhöhte Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflichten bei feindlichen Übernahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Meldung von Eigengeschäften („managers’ transactions“) . . . . 2. Handelsverbot in bestimmten Zeitfenstern . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Offenlegung des Aktienbesitzes nach WpHG . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Weitergabe von Insiderinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 615 274 619 276 620 276 625 278 626 278 629 630 634 636

279 279 281 281

637 639

282 282

I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstorganisationspflicht; Effizienzprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausstattung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

651 651 652 654 656

285 285 285 286 288

II. Der Vorsitz im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestellung des Vorsitzenden und des Stellvertreters . . . . . . . . . . a) Rechtslage nach dem Aktiengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten nach dem MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgaben des Vorsitzenden und des Stellvertreters . . . . . . . . . . 3. Ehrenvorsitzender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

660 660 660 668 677 685

291 291 291 295 298 303

III. Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufsichtsratssitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahl der Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einberufungsverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufhebung oder Verlegung der Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorbesprechungen bei mitbestimmten Aufsichtsräten . . . . f) Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Sitzungsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Sitzungsniederschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

688 688 688 692 695 698 699 700 706 708

305 305 305 307 309 310 310 311 314 315

§ 11 Die Organisation des Aufsichtsrats

XXV

Inhaltsverzeichnis 2. Beschlussfassung im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mehrheitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Aufsichtsratsausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aufgabendelegation an Ausschüsse und ihre Grenzen . . . . . . . . 2. Einzelne Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personalausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufsichtsratspräsidium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Prüfungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nominierungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) RPT-Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vermittlungsausschuss und Beteiligungsausschuss . . . . . . . 3. Einsetzung und Besetzung von Ausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Innere Ordnung der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Informationssystem und Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsansprüche des Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsansprüche des Plenums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Informationsansprüche einzelner Aufsichtsratsmitglieder . 6. Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG . . . . . . . . . 7. Einzelne Aufsichtsratsmitglieder und Dritte . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 715 318 715 318 717 318 722 320 735 326 739 329 745 745 751 752 753 755 760 763 764 765 765 768 774 783 783 787 790 793 797

334 334 337 338 338 339 342 343 344 344 344 345 348 352 352 353 354 356 357

§ 12 Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung I. Gleichheit und Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

821

359

II. Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . 1. Aufsichtsratsinterne Mitwirkungsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechte gegenüber anderen Gesellschaftsorganen . . . . . . . . . . . . 3. Rechte auf Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung . . a) Ergänzung des unvollständig besetzten Aufsichtsrats . . . . . . b) Richtige Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unwirksamkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrats . . . . . . . .

823 824 829 831 833 835

361 361 362 363 363 365

836 837

365 365

XXVI

Inhaltsverzeichnis e) Durchsetzung von subjektiven Organrechten . . . . . . . . . . . . f) Klagebefugnis anstelle des Aufsichtsrats? . . . . . . . . . . . . . . . g) Klagebefugnis aus persönlichen Ansprüchen, insbesondere auf Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsverhältnis zur Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Vergütungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolgsorientierte Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern . . . a) Aktienkursorientierte Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dividendenorientierte Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Von Unternehmenskennziffern abhängige Vergütung . . . . d) Die heutige Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich der §§ 113, 114 AktG . . . . . . . . . . . . . c) Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Auftrag durch den Aufsichtsrat selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beraterverträge in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beraterverträge im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Beraterverträge mit einer dem Aufsichtsratsmitglied verbundenen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rückgewähr ungerechtfertigter Vergütungen . . . . . . . . . . . . i) Offenlegung der Beraterverträge und ihres Inhalts . . . . . . . . Drittgeschäfte mit Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Drittgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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368 368 368 369 370 373 373 374 375 375 376 376 376 380 381 382 383

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384 385 385 386 386 386

III. Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder 885 1. Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885 a) Pflicht zur Mitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 886 b) Pflicht zur Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 887 c) Insbesondere: Pflicht zur persönlichen Urteilsbildung über die Eignung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 888 d) Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 889 e) Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 890 f) Prüfungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 g) Pflicht zum Einschreiten bei Anhaltspunkten für eine Pflichtverletzung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892 h) Pflicht zur Zurückhaltung bei öffentlicher Kritik am Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 892a 2. Die Verpflichtung auf das Wohl der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 893 3. Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894 a) Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 895

388 388 388 388

4.

5.

6.

7.

389 389 390 390 390 391 391 392 393 XXVII

Inhaltsverzeichnis b) Unterschiedliche Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konfliktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fallgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einfache Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pflichtenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Insbesondere: Interessenkonflikte bei Übernahmen . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Der Kodex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . IV. Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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981 981 984 984 985

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1026

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1028

431

§ 13 Haftung der Aufsichtsratsmitglieder I. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sorgfaltsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Amtspflichten des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mitwirkungspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Überwachungsverpflichtung und Ausschusstätigkeit . . b) Treuepflicht und Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftungsentlastung durch externe Sachverständige . . . . . . . . . . a) Recht und Pflicht zur Einholung externen Rats . . . . . . . . . . b) Enthaftung durch Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schaden und Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Haftungsausschlüsse und -einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzicht, Vergleich, Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Durchsetzung des Ersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit und Handlungspflicht des Vorstands . . . . . . . b) Anspruchsverfolgung durch die Hauptversammlung oder eine Aktionärsminderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anspruchsverfolgung durch einzelne Aktionäre und Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXVIII

Inhaltsverzeichnis II. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung gegenüber Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung gegenüber Anlegern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern und sonstigen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036

435

§ 14 Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051

437

II. Bestellung des Ersatzmitglieds und Nachrücken in den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052

437

III. Ausscheiden des Ersatzmitglieds und Vermeidung des Nachrückfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1055 1. Entziehende Nachwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1056 2. Überholende Nachwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1058

439 439 440

IV. Rechte und Pflichten des Ersatzmitglieds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1059

441

§ 15 Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtstatsachen, „Mitbestimmungslücke“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats – Größenmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nach dem Mitbestimmungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz und Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nach dem Kapitalanlagegesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Maßgebende Arbeitnehmerzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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446 446 446 447

XXIX

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite 7. Feststellung des einschlägigen Aufsichtsratssystems, Statusverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1110 449 III. Die Leitungsstruktur in der mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . . 1114 1. Gesellschafterversammlung als oberstes Organ, Weisungsrecht 1114 2. Ausübung des Weisungsrechts bei Maßnahmen, die einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats unterliegen . . . . . . . . . . 1117 IV. Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Überwachung der Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Überwachungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführer . . . . . . . 3. Prüfung des Jahresabschlusses und Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Personalentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer . . . . . . . . . aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . b) Anstellungsvertrag und Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . c) Einfluss des AGG auf die Besetzung der Geschäftsführung . d) Organisationskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . e) Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil . . . . . . . . . . aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . f) Bestellung von Prokuristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . 5. Mitwirkung auf Gesellschafterebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . . . . . 6. Innere Organisation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Paritätisch mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG . . . . . . . . . . . . . 7. Rechte und Pflichten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds . . . . 8. Das besondere Weisungsrecht der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat aus § 32 MitbestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXX

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Inhaltsverzeichnis 9. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) D&O-Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1169 1172

476 478

V. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse . . . . . . . 1173

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§ 16 Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1181 II. Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einrichtung durch Satzung, Öffnungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Altersregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestellung und Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ersatzmitglieder und Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Befugnisse und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . 1204 1. Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1204 2. Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1212

488 488 492

IV. Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213 1. Weisungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213 2. Vergütung, Beraterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1215

492 492 493

V. Information des fakultativen Aufsichtsrats, Vertraulichkeit . . . 1218

494

VI. Innere Ordnung des fakultativen Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . 1220

494

VII. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226 1. Innenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1226 2. Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1230

496 496 498

VIII. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse . . . . . . . 1231

498

XXXI

Inhaltsverzeichnis

§ 17 Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

Rz. Seite 1251 501 1251 501 1252 501 1253 502

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bildung eines Aufsichtsrats nach dem GenG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammensetzung und persönliche Voraussetzungen . . . . . . . 4. Besonderheiten in Genossenschaften von öffentlichem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1256 5. Die Rechte und Pflichten nach dem GenG, Verhältnis zur Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1257

503 504

II. Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen . . . . . 1. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Information des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die regelmäßige Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zustimmungsvorbehalte und Vorlageberichte . . . . . . . . . . . c) Einsichts- und Prüfungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Prüfungsbericht des Verbandsprüfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonderberichte und angeforderte Berichte . . . . . . . . . . . . . . 3. Geheimhaltung und Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestellung und Abberufung des Vorstands . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Zuständigkeit der Generalversammmlung . . . . . b) Zuständigkeit des Aufsichtsrats nach MitbestG . . . . . . . . . . 6. Vertretung der Genossenschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Pflichtverletzung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1258 1258 1260 1260 1263 1265 1266 1269 1270 1271 1276 1276 1277

505 505 505 505 506 507 508 508 509 509 511 511 513

1278 1279

513 513

III. Die Generalversammlung als Überwachungsorgan . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt: möglicher Verzicht auf den Aufsichtsrat in Kleingenossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übergang der Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats auf die Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für die Rechtsstellung und Haftung der einzelnen Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1280

514

1280

514

1281

514

1284

515

XXXII

Inhaltsverzeichnis

§ 18 Der Aufsichtsrat in der KGaA

Rz. Seite I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1301 517 II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1302

518

III. Keine Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung . . . . . 1305

519

IV. Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA . . . . . . . . . 1. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Information des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterrichtung durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erlass einer Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Komplementären . 5. Vertretung der Kommanditaktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ausführungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kapitalmarktrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1309 1309 1310 1311 1313 1315 1316 1319 1320 1322 1323 1325

520 520 520 521 521 522 522 523 523 525 526 527

V. Besonderheiten der gesetzesuntypischen KGaA . . . . . . . . . . . . . . 1327 1. Möglichkeiten der Satzungsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1327 2. Insbesondere: Die Kapitalgesellschaft und Co. KGaA . . . . . . . . 1330

527 527 528

VI. Fakultative Gremien in der KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1333

530

VII. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1338

532

§ 19 Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1351

533

II. Die Grundstrukturen des Aufsichtsorgans in der dualistischen SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1352

534

III. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1358

537

IV. Zusammensetzung und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zusammensetzung des Aufsichtsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abberufung, Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Amtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorsitz und stellvertretender Vorsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschlussfassung und Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

537 537 539 539 540 541

1360 1360 1364 1365 1367 1369

XXXIII

Inhaltsverzeichnis Rz. Seite 6. Wahrnehmung der Geschäftsleitung durch Mitglieder des Aufsichtsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373 542 7. Zahl der Sitzungen, Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1375 543 8. Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1376 543 V. Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Information des Aufsichtsorgans gemäß Art. 41 SE-VO . . b) Information des Aufsichtsorgans im Konzern . . . . . . . . . . . c) Berichtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschwiegenheitspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsordnung für Leitungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1377 1378 1379 1380 1389 1390 1391 1392 1393 1395

544 544 544 545 548 548 549 549 549 550

VI. Bestellung/Anstellung/Abberufung des Leitungsorgans . . . . . . . 1396

550

VII. Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan . . . . 1399

551

VIII. Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1400

552

IX. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex . . . . . 1401

552

X. Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds . . . . . . . . . . . . . . . 1. Persönliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1402 1403 1404 1405

553 553 554 554

XI. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406

554

§ 20 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Unternehmen der öffentlichen Hand I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1421

555

II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1423

556

III. Weisungsfreiheit und Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1425

556

IV. Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . 1430

559

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

§ 21 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Rz. Seite I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1450 565 II. Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat . . . . 1. Überblick, Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individuelle Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder . . . . aa) Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Regelmäßige Überprüfung der Qualifikation, Fortbildung . 3. Zuverlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unabhängigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zeitliche Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Inkompatibilität, unzulässige Ämterhäufung . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Diversität, Frauenförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Anzeige- und Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsfolgen bei Verstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse (Abberufungsverlangen, Tätigkeitsverbot) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1454 1454 1455 1455 1456 1456 1464 1469 1471 1478 1480 1482 1484 1485 1492 1493 1495 1497

567 567 568 568 569 569 574 578 579 583 585 586 588 588 593 594 595 596

1497 1499

596 597

III. Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats . . . 1. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesteigerte Bedeutung der Legalitätskontrolle . . . . . . . . . . . c) Besondere Betonung der Zukunftsgerichtetheit der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusätzliche aufsichtsrechtliche Einzelaufgaben . . . . . . . . . . . 2. Überwachungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Direktkontakte zu Mitarbeitern im Besonderen . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1502 1502 1502 1503

599 599 599 599

1505 1509 1510 1510 1512 1515

601 604 604 604 605 607

IV. Interne Organisation des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teilnahmerecht der BaFin an Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschüsse des Aufsichtsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1517 1518 1519 1519

608 608 609 609 XXXV

Inhaltsverzeichnis aa) Allgemeines, Besetzung der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . bb) Risikoausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prüfungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nominierungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vergütungskontrollausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sonstige Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rz. Seite 1520 609 1524 611 1526 612 1529 613 1533 615 1538 617 1539 617

V. Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1540 1. Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1541 2. Versicherungsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1542

618 618 619

VI. Haftung und sonstige Folgen von Pflichtverletzungen . . . . . . . . 1545

621

Anhang

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXVI

623 635

Abkürzungsverzeichnis

ABl. Abs. AcP AEUV AG AGB AGG AIFM AktFoV AktG AnSVG AöR ArbRB AReG ARRL ARUG ARUG II AÜG AuR BaFin BAG BAnz BayObLG BB BBG BetrAVG BetrVG BFuP BGB BGBl. BGE

Amtsblatt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift), Aktiengesellschaft, Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Alternative Investment Fund Managers Verordnung über das Aktionärsforum Aktiengesetz Anlegerschutzverbesserungsgesetz Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Abschlussprüfungsreformgesetz Aktionärsrechterichtlinie Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayrisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

BGH BGHSt BGHZ BHO BilMoG BilReG BKR BörsG BörsO BR BT BVerfG BVerfGE B.W. CCO CCZ CESR CFL CRD CRR CSR D&O DAV DB DBW DCGK DJT DÖV DrittelbG DRS DRSC DStR DVBl. DVO DZWiR EBA XXXVIII

Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Börsengesetz Börsenordnung Bundesrat Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek Chief Customer Officer Corporate Compliance Zeitschrift Committee of European Securities Regulators Corporate Finance Law (Zeitschrift) Capital Requirements Directive Capital Requiremente Regulation Corporate Social Responsibility Directors & Officers Deutscher Anwaltverein Der Betrieb (Zeitschrift) Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drittelbeteiligungsgesetz Deutscher Standardisierungsrat Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Banking Authority

Abkürzungsverzeichnis

ECFR EHUG EIOPA ESMA ESUG EuGH EuropUR EuZA EuZW EWiR EWR EZB FamFG FMSA FMVAStärkG FGG FKAG FMStG FMStGÄndG FS FüPoG GDV GenG GesR GesRZ GG GK-MitbestG GmbHG GmbHR GNotKG

European Company and Financial Law Review Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister European Insurance and Occupational Pensions Authority European Securities and Markets Authority Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäischer Gerichtshof Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Europäische Zentralbank Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzkonglomerate-Aufsichtsgesetz Finanzmarktstabilisierungsgesetz Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht Festschrift Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gesellschaftsrecht Der Gesellschafter (Zeitschrift) Grundgesetz Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) Gerichts- und Notarkostengesetz XXXIX

Abkürzungsverzeichnis

GO GOB GRUR GS GuV GVBl. GVG GV GWB GWR Hdb. HGB HRefG IAS IDW IFRS InsO InstVergV InvG IRZ JBl. KAGB KapCoRiLiG KG KGaA KonTraG KSVG KSzW KTS KVerf KWG LAG LG XL

Gemeindeordnung Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz NRW Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land NordrheinWestfalen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Handbuch Handelsgesetzbuch Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften International Accounting Standards Institut der Wirtschaftsprüfer International Financial Reporting Standards Insolvenzordnung Institutsvergütungsverordnung Investmentgesetz Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung Juristische Blätter Kapitalanlagegesetzbuch Kapitalgesellschaften- und Co.-Richtlinie-Gesetz Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kommunalselbstverwaltungsgesetz Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kommunalverfassung Kreditwesengesetz Landesarbeitsgericht Landgericht

Abkürzungsverzeichnis

LHO LKV LMK MAR MaRisk MgVG MitbestErgG

MitbestG MMVO MoMiG

Landeshaushaltsordnung Länder- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Kommentierte BGH-Rechtsprechung (in Fortsetzung Lindenmaier-Möhring) Marktmissbrauchsverordnung Mindestanforderungen an das Risikomanagement Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie Mitbestimmungsgesetz Marktmissbrauchsverordnung Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen s. MitbestErgG

MontanMitbestErgG MontanMitbestG Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie MünchKomm. Münchener Kommentar NaStraG Namensaktiengesetz NdsVBl. Niedersächsische Verwaltungsblätter NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report NKomVG Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz NVersZ Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZI Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung OGH Oberster Gerichtshof (Österreich) OHG Offene Handelsgesellschaft ÖJZ Österreichische Juristenzeitung OLG Oberlandesgericht OWiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten RdA Recht der Arbeit (Zeitschrift)

XLI

Abkürzungsverzeichnis

RdW RegE RGBl. RGZ RIW RL RPT SAE SAG SCE SE SEAG SEBG SJZ SSM StGB StückAG SZW TransPuG TUG UG UMAG UmwG VAG VAMoG VersR VersVergV VerwArch VG VGR VorstAG

XLII

Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) Regierungsentwurf Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Related Party Transactions Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Die schweizerische Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft) Societas Europaea (Europäische Gesellschaft) Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) Schweizerische Juristen-Zeitung Single Supervisory Mechanism Strafgesetzbuch Stückaktiengesetz Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Transparenz- und Publizitätsgesetz Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Unternehmergesellschaft Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Versicherungsaufsichtsgesetz Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen Versicherungsrecht (Zeitschrift) Versicherungsvergütungsverordnung Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgericht Gesellschaftsrechtliche Vereinigung Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung

Abkürzungsverzeichnis

VorstKoG VorstOG VVaG VVG WGG WiB WM WP WpAV WpDVerVO WPg WpHG WpPG WpÜG WuB WuW ZBB ZCG ZfA ZfB ZfbF ZfgG ZfK ZfO ZGR ZHR ZInsO ZIP ZNotP ZPO ZVersWiss ZWH ZZP

Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnwesen Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaftsprüfer Wertpapierhandelsanzeigeverordnung Wertpapierdienstleistungs-Verhaltens- und Organisationsverordnung Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Corporate Governance Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitung für kommunale Wirtschaft Zeitschrift für Organisation Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für die Notar-Praxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Zeitschrift für Zivilprozess XLIII

XLIV

Allgemeines Literaturverzeichnis Adler/Düring/Schmaltz Allmendinger/Dorn/Lang/ Lumpp/Steffek Angerer/Geibel/Süßmann (Hrsg.) Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Assmann/Uwe H. Schneider/ Mülbert (Hrsg.) Axhausen Bauer Bauer/Krieger/Günther Baumbach/Hueck Baums Baums/Thoma/Verse (Hrsg.) Bayer/Habersack (Hrsg.) Beck/Samm/Kokemoor Beck’scher Bilanz-Kommentar Beck’sches Handbuch der GmbH Beiner Beuthien Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Hrsg.) Bork/Schäfer (Hrsg.) Brand/Baroch Castellvi (Hrsg.) Brouwer Bürgers/Fett Bürgers/Körber Busch/Ferrarini

Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1994 ff. Corporate Governance nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, 2011 WpÜG, 3. Aufl. 2017 WpÜG, 3. Aufl. 2020 Wertpapierhandelsrecht, 7. Aufl. 2019 Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, 1986 Genossenschafts-Handbuch, Loseblatt AGG, EntgTranspG, 5. Aufl. 2018 GmbHG, 22. Aufl. 2019 Der Geschäftsleitervertrag, 1987 WpÜG, Loseblatt Aktienrecht im Wandel, 2007 Kreditwesengesetz mit CRR, Loseblatt Handels- und Steuerrecht, hrsg. von Grottel/ Schmidt/Schubert/Winkeljohann, 11. Aufl. 2018 Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, hrsg. von Prinz/ Winkeljohann, 5. Aufl. 2014 Der Vorstandsvertrag, 2005 GenG, 16. Aufl. 2018 KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016 GmbHG, 4. Aufl. 2019 Versicherungsaufsichtsgesetz, 2018 Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats im Aktien- und GmbH-Recht, 2008 Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, 2. Aufl. 2015 Aktiengesetz, 4. Aufl. 2017 European Banking Union, 2015 XLV

Allgemeines Literaturverzeichnis

Däubler/Bertzbach (Hrsg.) Duplois Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Fleischer (Hrsg.) Fleischer/Kalss Frankfurter Kommentar zum WpÜG Fütterer Geschwandtner/Helios GmbH-Handbuch Grigoleit Großkommentar zum AktG Haarmann/Schüppen (Hrsg.) Habersack/Drinhausen Habersack/Henssler Habersack/Verse Hempelmann Henssler/Strohn (Hrsg.) Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.) Hölscher/Altenhain (Hrsg.)

AGG, 4. Aufl. 2018 Die Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankaufsichtsrecht, 2017 Hrsg. von Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 19. Aufl. 2019 Handbuch des Vorstandsrechts, 2006 Das neue Wertpapiererwerbs- und Übernahmerecht, 2002 s. Haarmann/Schüppen Der Drittanstellungsvertrag, 2017 Genossenschaftsrecht, 2007 Hrsg. von der Centrale für GmbH, Loseblatt AktG, 2013 Hrsg. von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff., hrsg. Hirte/Mülbert/M. Roth, 5. Aufl. 2014 ff. Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008 SE-Recht, 2. Aufl. 2016 Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018 Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019 Die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat in der AG, 2012 Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019 Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl. 2018

Handbuch Aufsichts- und Verwaltungsräte in Kreditinstituten, 2013 Hölters (Hrsg.) AktG, 3. Aufl. 2017 Hoffmann/Lehmann/Weinmann Mitbestimmungsgesetz, 1978 Hoffmann/Preu Der Aufsichtsrat, 5. Aufl. 2003 Hoffmann-Becking/Gebele Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels(Hrsg.) und Wirtschaftsrecht, 13. Aufl. 2019 Hohenstatt/Seibt (Hrsg.) Geschlechter- und Frauenquoten in der Privatwirtschaft, 2015 Hopt/Wohlmannstetter (Hrsg.) Handbuch Corporate Governance von Banken, 2011 Hüffer/Koch Aktiengesetz, 13. Aufl. 2018 XLVI

Allgemeines Literaturverzeichnis

Ihrig/Schäfer Kallmeyer Kaulbach/Bähr/Pohlmann Kindl Klöhn (Hrsg.) Kölner Kommentar zum AktG Kölner Kommentar zum WpÜG Köstler/Müller/Sick Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder Krieger Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Kropff Lang/Weidmüller Lemke Lutter

Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020 UmwG, 7. Aufl. 2020 VAG, 6. Aufl. 2019 Die Teilnahme an der Aufsichtsratssitzung, 1993 Marktmissbrauchsverordnung, 2018 Hrsg. von Zöllner/Noack, 3. Aufl. 2004 ff. Hrsg. von Hirte/von Bülow, 2. Aufl. 2010 Aufsichtsratspraxis, 10. Aufl. 2013 Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018 Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981 Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017

Aktiengesetz, 1965 GenG, 39. Aufl. 2019 Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluß, 1994 Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006 Lutter UmwG, hrsg. von Bayer/J. Vetter, 6. Aufl. 2019 Lutter/Bayer/J. Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017 Lutter/Hommelhoff (Hrsg.) Die Europäische Gesellschaft, 2005 Lutter/Hommelhoff GmbHG, 20. Aufl. 2020 Lutter/Hommelhoff/Teichmann SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015 (Hrsg.) Luz/Neus/Schaber/Scharpf/ KWG und CRR, Datenbank Schneider/Weber (Hrsg.) Manz/Mayer/Schröder (Hrsg.) Europäische Aktiengesellschaft SE, 3. Aufl. 2019 Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.) Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl. 2017 Matthießen Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989 Meyer Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, 2012 Meyer/Veil/Rönnau Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, 2018 Michalski/Heidinger/Leible/ GmbHG, 3. Aufl. 2017 J. Schmidt K. Müller GenG, 2. Aufl.

XLVII

Allgemeines Literaturverzeichnis

Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Münchener Kommentar zum AktG Münchener Kommentar zum GmbHG Münchener Vertragshandbuch Palandt Paschos/Fleischer (Hrsg.) Peus Pöhlmann/Fandrich/Bloehs Potthoff/Trescher/Theisen Prölss/Dreher Raiser/Veil Raiser/Veil/Jacobs Rellermeyer Roth/Altmeppen Rowedder/Schmidt-Leithoff K. Schmidt K. Schmidt/Lutter (Hrsg.) Schoch Scholz Schürnbrand Schwark/Zimmer (Hrsg.) Schwennicke/Auerbach (Hrsg.) Semler/v. Schenck Seyfarth XLVIII

Band 2 Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft, hrsg. von Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2019 Band 4 Aktiengesellschaft, hrsg. von HoffmannBecking, 4. Aufl. 2015 Hrsg. von Goette/Habersack, 4. Aufl. 2014 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Hrsg. von Fleischer/Goette, 3. Aufl. 2018/19 Band 1: Gesellschaftsrecht, hrsg. von Böhm/Burmeister, 8. Aufl. 2018 BGB, 78. Aufl. 2019 Handbuch Übernahmerecht nach dem WpÜG, 2017 Der Aufsichtsratsvorsitzende, 1983 GenG, 4. Aufl. 2012 Das Aufsichtsratsmitglied, 6. Aufl. 2003 Versicherungsaufsichtsgesetz, 13. Aufl. 2018 Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015 Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2015 Aufsichtsratsausschüsse, 1986 GmbHG, 9. Aufl. 2019 GmbHG, 6. Aufl. 2017 Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 AktG, 3. Aufl. 2015; 4. Aufl. 2020 Der Prüfungsausschuss und das Audit Committee als Überwachungsinstanz in der börsennotierten Publikumsaktiengesellschaft, 2012 GmbHG, 12. Aufl. 2018 (Bd. I), 11. Aufl. 2014 (Bd. II), 11. Aufl. 2015 (Bd. III) mit Online-Aktualisierungen 12. Aufl. 2020 (Bd. II und III) Die Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007 Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010 KWG, 3. Aufl. 2016 Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Aufl. 2013 Vorstandsrecht, 2016

Allgemeines Literaturverzeichnis

Spindler/Stilz (Hrsg.) Stein Thümmel Uechtritz/Reck (Hrsg.) Ulmer/Habersack/Löbbe Wachter (Hrsg.) Wardenbach Wartenberg Wicke Wilk Wilsing Winkler Wißmann/Kleinsorge/Schubert Wundenberg

AktG, 4. Aufl. 2019 Das faktische Organ, 1984 Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 5. Aufl. 2016 Handbuch Kommunale Unternehmen, 3. Aufl. 2012 GmbHG, 2. Aufl. 2014 (Bd. II), 2. Aufl. 2016 (Bd. III) AktG, 3. Aufl. 2018 Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde als ungeregelte Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der AG, 1996 Stellung und Aufgaben des genossenschaftlichen Aufsichtsrats, 3. Aufl. 1983 GmbHG, 3. Aufl. 2016 Aktionärsrechte in der deutschen SE, 2017 DCGK, 2012 Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, 2017 Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017 Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012

XLIX

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§1 Übersicht I. Der Aufsichtsrat als spezielles Element der deutschen Unternehmensverfassung 1. Einführung Keine Figur des Unternehmensrechts hat die Phantasie und die Gemüter von Fachleuten und Laien im In- und Ausland in den letzten 50 Jahren so sehr beschäftigt wie der Aufsichtsrat. Dabei ist er eine schon über 100 Jahre zurückreichende Erfindung des deutschen Rechts1, wie dann auch – in ganz konsequenter Weise – die Mitbestimmung im Aufsichtsrat eine deutsche Erfindung wurde2; gerade sie hat den Aufsichtsrat seit 1950 ins Zentrum des politischen und gesellschaftlichen Interesses am Unternehmensrecht gerückt und auch international (Schweden, Dänemark, Niederlande, Luxemburg, Österreich) einige Erfolge gehabt3. Auch die Kommission der EU hat seit Beginn ihrer Bemühungen um eine Angleichung der nationalen Gesellschaftsrechte in Europa Vorschläge für eine „Europäisierung“ der Mitbestimmung in der EU ausgearbeitet4 und sogar das Projekt „Europäische Aktiengesellschaft“ verwirklicht5 – allerdings ohne eine Harmonisierung der Mitbestimmung in Europa zu erreichen6. Das alles aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Aufsichtsrats1 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Wiethölter, Interessen und Organisation, S. 270 ff. und Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S. 53, 91 ff.; Hopt, ZGR 2019, 507, 508 ff. sowie eingehend Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, S. 65 f. und Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel. 2 Erstmals eingeführt in § 70 Betriebsräte-Gesetz von 1920, RGBl. 1920, 147 ff. 3 Vgl. dazu H. Hoffmann, Mitbestimmung für Arbeitnehmer in Gesellschaftsorganen und grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüssen der Europäischen Gemeinschaft, Diss. Bonn 1976. 4 Zur Entwicklung vgl. Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4; Kolvenbach, Mitbestimmungsprobleme im gemeinsamen Markt, 1991, S. 22 ff.; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, S. 25 ff. und S. 643 ff. sowie die Arbeiten an der 5. Richtlinie, abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 3. Aufl. 1991, S. 233 ff. 5 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 1 ff.; Richtlinie 2001/86/ EG des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 22 ff. sowie das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22.12.2004, BGBl. I 2004, 3675 mit seinen beiden Teilen SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und dem SEBeteiligungsgesetz (SEBG), das die oben zit. Richtlinie umsetzt. Eingehend dazu Lutter in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Einleitung. 6 Vorrang genießt nach Art. 3 der SE-Richtlinie eine Verhandlungslösung. Wird keine Einigung erzielt, greift nach Art. 7 der Richtlinie eine Auffangregelung ein, nach der die weitestgehende nationale Mitbestimmungsregelung zur Anwendung kommt, die bis zur Gründung des SE in einer der nationalen Gründungsgesellschaften galt; vgl. dazu §§ 4 ff. SEBG einerseits, §§ 34 ff. SEBG andererseits. Es gibt also nicht eine „europäische SE“,

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§ 1 Rz. 1 | Übersicht

Verfassung und Mitbestimmung sich bislang nur im kontinental-europäischen Bereich entwickelt und – höchst teilweise – durchgesetzt haben7. International überwiegt bei weitem die einstufige Organisation der Verwaltung von rechtlich selbständigen Unternehmen des Privatrechts, das sog. board-Modell des anglo-amerikanischen Rechts bzw. das (im Prinzip gleiche) Modell des conseil d’administration des französischen Rechts und seiner Ableger8. In diesen Rechten gibt es denn auch kaum eine etablierte Form der Mitbestimmung. Das gilt insbesondere für Großbritannien und die von ihm beeinflussten Rechte sowie für die USA; dort sind Vertreter der Arbeitnehmer nur ganz selten aufgrund besonderer Vereinbarungen im board vertreten9. 2

Mitglied im Aufsichtsrat, gar Vorsitzender eines Aufsichtsrats zu sein, ist hochbegehrt10, auch wenn die Bezüge wesentlich niedriger liegen als beim Vorstand (s. zu den Aufsichtsratsbezügen Tabelle im Anhang, S. 623 ff.). Was aber hat der Aufsichtsrat eigentlich zu tun, welches sind seine Rechte und Pflichten, welche Funktion hat er und haben seine Mitglieder im unternehmerischen Geschehen der betreffenden Gesellschaft? Wie ist seine Stellung zum Vorstand, wie zum Betriebsrat? Davon soll hier die Rede sein.

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sondern eine „deutsche SE“, eine „englische SE“ etc. Vgl. Blanquet, ZGR 2002, 20 ff.; Heinze, ZGR 2002, 66 ff. Vgl. Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Study on Directors’ Duties and Liability, 2013, insb. S. 4 ff. und Annex. Kritisch zum deutschen Modell der Trennung von Geschäftsführung und Überwachung Bleicher, ZfbF 1988, 930, 931, 935: Der Aufsichtsrat als „strategische Lücke der Spitzenverfassung deutscher Aktiengesellschaften“. Zur deutlich veränderten Position des Aufsichtsrats heute vgl. Rz. 57 ff. Zur Orientierung der EU-Kommission am monistischen System kritisch Hommelhoff, NZG 2015, 1329. Zum einstufigen board-Modell vgl. die gute Darstellung bei Conard, ZGR 1987, 180 ff.; vgl. weiter Henzler in Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Zeitgemäße Gestaltung der Führungsspitze von Unternehmen 1983, sowie Bleicher/Paul, DBW 1986, 263 ff.; zum Modell des conseil d’administration vgl. Brachvogel, Aktiengesellschaft und Gesellschaftsgruppe im französischen Recht, 1971, S. 55 ff. Ein erstes deutsch-französisches binationales Unternehmen war die Europipe GmbH in Ratingen: Die Mannesmann AG und die französische Usinor-Sacilor S.A. hatten ihre Großröhrenproduktion zusammengelegt und in der Holding – der Europipe GmbH – einen zwölfköpfigen Aufsichtsrat eingerichtet, in dem die Arbeitnehmer durch zwei Vertreter aus Deutschland und zwei aus Frankreich repräsentiert sind, vgl. FAZ vom 10.9.1991, S. 23 und Wirtschaftswoche vom 31.5.1991, S. 56 f. Vgl. dazu Bleicher/Paul, DBW 1986, 263 ff. Empirische Untersuchungen zur personellen Verflechtung, zu den hauptberuflichen Tätigkeiten, dem Alter und der Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern sowie zur Größe von Aufsichtsräten finden sich bei Schiffels, Aufsichtsrat als Instrument der Unternehmenskooperation, 1998 sowie bei Bleicher, Aufsichtsrat im Wandel, 1987 und in den Aufsichtsratsstudien zu den DAX-30-Gesellschaften der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, jüngst deren Aufsichtsratsstudie 2018; vgl. aber auch die Studie des Reinhard Mohn-Instituts der Universität Witten/Herdecke „High Performance Boards – Entscheidungen und Prozesse in deutschen Aufsichtsräten“, 2011.

Element der deutschen Unternehmensverfassung | Rz. 4 § 1

2. Die Besonderheiten der sog. dualen Unternehmensverfassung Die Besonderheit besteht zunächst einmal in der schlichten Existenz eines Aufsichtsrats. Das ist nicht selbstverständlich; denn das in der Welt weit überwiegende One Board- oder One Tier-System kennt den Aufsichtsrat nicht und mithin – aus unserer Sicht – nur den Vorstand. Diese anderen Rechte kennen damit auch nicht die speziellen Probleme, die sich aus dem Verhältnis der beiden Organe zueinander ergeben; sie müssen nicht die Frage entscheiden, wer wofür und für welche Entscheidung in der Gesellschaft zuständig ist, wer was vom anderen verlangen kann etc.: alles Fragen, die Gegenstand dieses Buches sind. Im One Tier-System hingegen ist der Vorstand (Verwaltungsrat, board, conseil d’administration) für alle Entscheidungen in der Gesellschaft zuständig, die nicht ausnahmsweise der Hauptversammlung vorbehalten sind. Eine Abgrenzung der Zuständigkeiten ist nicht erforderlich. Im Gegenzug verzichten diese Rechte auf das Element der Aufsicht über den Vorstand – was unserem GmbH-Recht bis zur Grenze von 500 Arbeitnehmern entspricht11.

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3. Europa und die Modelle der Unternehmensverfassung Die in Deutschland entwickelte duale Unternehmensverfassung hat einige Gefolgschaft vor allem auf dem europäischen Kontinent gefunden (insbesondere Niederlande, Österreich, Polen und andere einst sozialistische Länder, in Frankreich und Italien wahlweise).12 Da diese duale Verfassung in vielen Fällen mit der Arbeitnehmer-Mitbestimmung verknüpft ist (dazu Rz. 1), führt sie zu großen Schwierigkeiten bei einer Europäisierung der Unternehmensverfassung: 30 Jahre lang stand sie der Europäischen Aktiengesellschaft (dazu Rz. 1) entgegen und nach wie vor verhindert sie die Europäische Privatgesellschaft (SPE). Unter Aufrechterhaltung der nationalen Besonderheiten sind aber für die SE (SE-Richtlinie und SEBG)13 und für die internationale Fusion (§§ 122a ff. UmwG und MgVG) Lösungen gefunden worden und auch die europaweite (grenzüberschreitende) Sitzverlegung ist vom EuGH akzeptiert worden14. Heute ist längst klar, dass sich der Gedanke an eine einheitliche Unternehmensverfassung in Europa nicht verwirklichen lässt, es vielmehr nur um eine teilweise Europäisierung unter Aufrechterhaltung wesentlicher Unterschiede gehen kann15.

11 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG (wie früher nach § 77 BetrVG 1952) muss eine GmbH mit mehr als 500 Arbeitnehmern einen Aufsichtsrat bilden; näher dazu Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 37 ff. 12 Vgl. Gerner-Beuerle/Paech/Schuster, Study on Directors’ Duties and Liability, 2013, insb. S. 4 ff. und Annex. 13 Rz. 1 Fn. 5 und 6. 14 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, AG 2017, 854 = NZG 2017, 1308 (Polbud); EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, ZIP 2012, 1394 = EuZW 2012, 621 (VALE); OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, § 7 Rz. 85 ff.; Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481; W.-H. Roth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 965; Schön, ZGR 2013, 333. 15 Signifikant dafür ist die Geschichte der sog. EU-Strukturrichtlinie, dazu Lutter/Bayer/ J. Schmidt, § 9 Rz. 47 ff.

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§ 1 Rz. 4 | Übersicht

Daher richtet sich die Unternehmensverfassung der AG nach dem nationalen Recht am Sitz der jeweiligen AG; und das Gleiche gilt auch für die übernehmende Gesellschaft nach einer internationalen Verschmelzung gemäß den §§ 122a ff. UmwG16. Immerhin erlaubt Art. 38 der SE-VO den Gründern einer SE die Wahl zwischen der monistischen (board-)Verfassung oder der dualistischen (Vorstand – Aufsichtsrat-) Verfassung17. 4. Die Arbeit der Regierungskommission „Corporate Governance“ 5

Am 29.5.2000 wurde von der Bundesregierung die Kommission „Corporate Governance – Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts“ eingesetzt. Diese erhielt den Auftrag, sich mit möglichen Defiziten des deutschen Systems der Unternehmensführung und -kontrolle auseinanderzusetzen. Im Rahmen dieses Auftrags hat sich die Corporate Governance-Kommission unter anderem mit der Frage nach einer verbesserten und effektiveren Überwachung der Unternehmensleitung durch den Aufsichtsrat befasst. Die in diesem Zusammenhang von der Regierungskommission in ihrem Abschlussbericht vom 12.7.200118 ausgesprochenen Empfehlungen finden an den betreffenden Stellen des vorliegenden Buches Erwähnung. Bei diesen Empfehlungen handelt es sich nur zum Teil um Vorschläge zur Änderung des zwingenden Aktienrechts, der Großteil sind vielmehr Regelungsvorschläge, die in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommen werden sollten, den zu erstellen die Kommission vorgeschlagen hat. Zum Kodex sogleich sub 5. 5. Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“

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Dieser Kodex guter Unternehmensführung ist von einer weiteren, von der Bundesjustizministerin eingesetzten Kommission erarbeitet, verabschiedet und im Bundesanzeiger veröffentlicht worden19. Der Kodex enthält zunächst einmal Hinweise auf die wesentlichen rechtlichen Vorgaben (Grundsätze), insbesondere bezüglich Vorstand und Aufsichtsrat, Empfehlungen, die über das geltende Recht hinausgehen, und unverbindliche Anregungen. Die einzelnen Teile des Kodex unterscheiden sich nur sprachlich. So sind Empfehlungen im Text des Kodex durch die Verwendung des Wortes „soll“ gekennzeichnet, während die unverbindlichen Anregungen mit „sollte“ oder „kann“ bezeichnet sind. Die sprachlich nicht weiter gekennzeichneten Teile des Kodex beinhalten das geltende Gesetzesrecht.

16 Dazu Bayer in Lutter, Komm. UmwG, §§ 122a ff. 17 Dazu Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 38 Rz. 14 ff. 18 Der Bericht ist veröffentlicht: Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001. 19 Der Kodex ist unter www.dcgk.de immer aktuell abrufbar; vgl. dazu auch Seibert, BB 2002, 581 sowie Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, S. 1 ff. (Text), Rz. 33 ff. (Entstehung) und Peltzer, Leitfaden, Rz. 22 ff.

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Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan | Rz. 7 § 1

Der Kodex selbst ist kein Gesetz. Doch müssen Vorstand und Aufsichtsrat (nur) einer börsennotierten Aktiengesellschaft nach § 161 AktG jährlich erklären, ob sie die Empfehlungen des Kodex eingehalten haben und einhalten werden oder ob und wo sie abgewichen sind und abweichen werden und warum (Begründungszwang)20. Aber auch diese Erklärung führt nicht zu einer Verbindlichkeit; denn Vorstand und Aufsichtsrat können jederzeit und mithin auch „unterjährig“ ihre Meinung ändern, müssen das dann aber auch umgehend publizieren21. Am 22.5.2019 hat die Regierungskommission DCGK nach einem mehrmonatigen Konsultationsprozess den Entwurf eines neuen Kodex vorgestellt. Um möglicherweise notwendige Anpassungen an die endgültige neue Fassung des Aktiengesetzes durch das ARUG II nachvollziehen zu können, hatte die Regierungskommission mit der Finalisierung des neuen Kodex den Abschluss des entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens abgewartet. Diese Vorgehensweise hat sich als sinnvoll erwiesen, da der Gesetzgeber in dem zum 1.1.2020 in Kraft getretenen ARUG II noch Änderungen an den Bestimmungen zur Vorstandsvergütung vorgenommen hat, die im Kodex nachvollzogen werden mussten. Materielle Änderungen am Kodexentwurf waren nicht notwendig. Die Regierungskommission hat gegenüber dem Entwurf vom 22.5.2019 durch redaktionelle Anpassungen und Kürzungen zu einer noch besseren Klarheit und Verständlichkeit beigetragen. Die Regierungskommission hat am 23.1.2020 die am 16.12.2019 beschlossene neue Fassung des Kodex dem BMJV übermittelt. Der neue Kodex wird mit der dann folgenden Veröffentlichung durch das Ministerium im elektronischen Bundesanzeiger in Kraft treten22. Der neue Kodex (DCGK 2020) ist in diesem Buch ausdrücklich berücksichtigt.

II. Der Aufsichtsrat als Pflichtorgan Der Aufsichtsrat ist Organ in bestimmten Gesellschaften. Seine Existenz in der konkreten einzelnen Gesellschaft beruht entweder auf Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag oder auf Gesetz; nur von diesem letzteren, dem gesetzlichen Pflicht-Aufsichtsrat soll hier zunächst23 gesprochen werden. Ein solcher Aufsichtsrat ist kraft Gesetzes Pflichtorgan in allen Aktiengesellschaften, allen Genossenschaften sowie in allen solchen Gesellschaften mbH, die der Montan-Mitbestimmung unterliegen24 oder Kapitalanlagegesellschaften (§ 18 KAGB) sind oder mehr als 500 (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG) oder 2000 (§ 1 MitbestG) Arbeitnehmer haben.

20 Vgl. Lutter, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 161 Rz. 87. 21 Zu dieser Entsprechens-Erklärung des Aufsichtsrats Rz. 510 ff., zu den Risiken für den Fall, dass die Erklärung abgegeben, aber die Empfehlungen des Kodex doch nicht befolgt werden, Rz. 981 ff. 22 S. dazu die Pressemitteilung der Regierungskommission vom 23.1.2020 unter www.dcgk. de. 23 S. aber zum fakultativen Aufsichtsrat in der GmbH Rz. 1181 ff. 24 1980 existierten zwei solche GmbHs, vgl. Säcker/Theisen in Säcker/Zander, S. 165. Derzeit unterliegt aber offenbar keine GmbH mehr der Montan-Mitbestimmung.

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§ 1 Rz. 8 | Übersicht

III. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats 8

Der Aufsichtsrat ist immer Kollegialorgan mit mindestens drei Mitgliedern. Seine Zusammensetzung regelt sich auf höchst unterschiedliche Weise,25 abhängig vor allem von der Anzahl der in der Regel bei der Gesellschaft bzw. in der relevanten Unternehmensgruppe beschäftigten (inländischen26) Mitarbeiter. – In den wenigen Montan-Gesellschaften nach dem MontanMitbestG27: je gleiche Zahlen von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer bzw. ihnen nahestehender Personen sowie eines Neutralen; sog. 11., 15. oder 21. Mann (§§ 4, 9 MontanMitbestG; § 5 MitbestErgG). – In Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit mehr als 500,28 aber weniger als 2000 Arbeitnehmern29 nach § 1 Abs. 1 DrittelbG: je 2/3 Anteilseigner-Vertreter und 1/3 Arbeitnehmer-Vertreter.

25 Besteht Streit zwischen Arbeitnehmern (Betriebsrat) und der Gesellschaft über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats oder die Pflicht zu seiner Bildung ist stets ein sog. Statusverfahren nach §§ 97, 98 AktG einzuleiten, vgl. BAG v. 16.4.2008 – 7 ABR 6/07, ZIP 2008, 1630 = AG 2008, 708; OLG Frankfurt a.M. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, GWR 2011, 85 = ZIP 2011, 21. 26 Ganz h.M., KG v. 16.10.2015 – 14 W 89/15, AG 2015, 872 = ZIP 2015, 2172; OLG München v. 20.2.2017 – 31 Wx 321/15, AG 2017, 869 = ZIP 2017, 476; Johannsen-Roth in Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 2018, § 3 Rz. 7, jew. m.w.N. Diese Auslegung ist unionsrechtskonform, EuGH v. 18.7.2017 – C-566/15, ECLI:EU:C:2017:347, NZA 2017, 1000, 1002 = AG 2017, 577. 27 Die am 1.1.1989 in Kraft getretene Änderung des MitbestErgG sieht in § 3 Abs. 2 Satz 1 vor, dass Unternehmen so lange der Montanmitbestimmung unterliegen, wie die Montantätigkeit noch 20 % beträgt oder mehr als 2000 AN im Montanbereich tätig sind. Für Unternehmen, die bisher nicht montan-mitbestimmungspflichtig waren, liegt die Schwelle erst bei sechs Geschäftsjahren und über 50 % Montantätigkeit, § 16 Abs. 1 Nr. 1 MitbestErgG. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für das Eingreifen des MitbestErgG haben zu Bedenken hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG geführt, die aber vom BVerfG in seiner Entscheidung v. 2.3.1999 – 1 BvL 2/91, BVerfGE 99, 367 = AG 1999, 220 abgelehnt worden sind. 28 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG besteht ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat auch in einer AG mit i.d.R. weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10.8.1994 eingetragen worden und keine Familiengesellschaft ist; die Regelung ist verfassungsgemäß, BVerfG v. 9.1.2014 – 1 BvR 2344/11, AG 2014, 279, ZIP 2014, 464. 29 Nach § 14 Abs. 2 Satz 5, 6 AÜG n.F. sind eingesetzte Leiharbeitnehmer hier mitzuzählen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt, dabei kommt es auf den Einsatz von Arbeitnehmern auf Arbeitsplätzen, die als solche in der Regel über sechs Monate hinaus bestehen und besetzt werden, an, nicht auf den konkreten Leiharbeitnehmer, OLG Celle v. 7.9.2018 – 9 W 31/18, AG 2019, 140 = ZIP 2018, 1929.

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Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 11 § 1

– In den Gesellschaften mit mehr als 2000 Arbeitnehmern nach dem MitbestG30: je gleiche Zahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmer-Vertretern (§ 7 MitbestG)31. – In den verbleibenden Aktiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern: nur Anteilseignervertreter (§§ 95, 96 AktG).32 Das Gesetz legt aber nicht nur die Verhältniszahl von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern fest, sondern auch die Höchstzahl der Mitglieder des Aufsichtsrats und eine Geschlechterquote. Diese Zahl kann durch die Satzung nicht verändert werden33, auch nicht durch zusätzliche stimmrechtslose Mitglieder.

IV. Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder Die Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder ist außerordentlich vielfältig und kompliziert und nicht Gegenstand dieses Buches; eine kurze Übersicht muss daher genügen. Dabei muss in erster Linie danach unterschieden werden, ob es sich um Vertreter der Arbeitnehmer oder um solche der Anteilseigner handelt.

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1. Wahl der Arbeitnehmervertreter Die Wahl der Arbeitnehmervertreter regelt sich nach den Besonderheiten des betreffenden Gesetzes, auf dem die Mitbestimmung in der fraglichen Gesellschaft beruht.34

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Montan-Mitbestimmung: Die Arbeitnehmervertreter werden vom Betriebsrat vorgeschlagen und durch das Wahlorgan, also die Hauptversammlung oder die Gesellschafterversammlung, gewählt; dieses aber ist an die Vorschläge gebunden, die sog. Wahl eine reine Formalie (§ 6 Abs. 1, 6 MontanMitbestG).

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Auch die Abberufung erfolgt nur auf Vorschlag des Betriebsrates mit der Maßgabe, dass für die Abstimmung im Wahlorgan eine ¾-Mehrheit erforderlich ist (§ 11 MontanMitbestG). Die Wahl des Neutralen geschieht durch das Wahlorgan auf Vor30 Zahlenangaben und Einzelheiten zu den Unternehmen, die unter das MitbestG fallen, finden sich in Die Mitbestimmung 2002, 75: per 31.12.2001 insgesamt 388 Aktiengesellschaften und 325 GmbH. Am 31.12.2006 waren 319 von insgesamt rd. 15 000 bestehenden Aktiengesellschaften paritätisch mitbestimmt, vgl. Die Mitbestimmung 2007, 70. Zum 31.12.2010 fielen noch 281, zum 31.12.2011 noch 267 (vgl. Die Mitbestimmung 2012, 659), zum 31.12.2015 noch 241 (vgl. Die Mitbestimmung 2016, Heft 2, S. 54) und zum 31.12.2016 noch 234 (vgl. www.boeckler.de/66935.htm) Aktiengesellschaften unter das MitbestG. 31 Vgl. zum Problem der Doppelvertretung von Arbeitnehmern, wenn sie nach dem MitbestG und als Inhaber von Belegschaftsaktien Aufsichtsratsmitglieder wählen, Etzel, Doppelvertretung, S. 127 ff., 149 ff. 32 Eine Dreiteilbarkeit der Mitgliederzahl des Aufsichtsrats ist seit der Neufassung des § 95 Satz 3 AktG (Aktienrechtsnovelle 2016) nur noch im Anwendungsbereich des DrittelbG erforderlich, zu Fragen des Hinein- und Herauswachsens Bayer/Scholz, ZIP 2016, 193 ff. 33 BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11, ZIP 2012, 472 = AG 2012, 248 und dazu Böttcher, NZG 2012, 809. 34 Vgl. auch Gundel in Audit Committee, Der Navigator für den Aufsichtsrat, 2018, S. 28 ff.

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§ 1 Rz. 11 | Übersicht

schlag des Aufsichtsrats selbst (also praktisch durch Kooptation der 10, 14 oder 20 Arbeitnehmer- und Anteilseignervertreter, § 8 Abs. 1 MontanMitbestG). 12

Drittelbeteiligungsgesetz: Die Wahl der Arbeitnehmervertreter erfolgt unmittelbar durch alle Arbeitnehmer der betreffenden Gesellschaft, des Konzerns35 (§§ 2 und 5 DrittelbG)36 oder des Gemeinschaftsbetriebes37; das Gleiche gilt für die Abberufung mit der Maßgabe, dass dafür auch hier eine ¾-Mehrheit erforderlich ist (§ 12 DrittelbG).

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MitbestG: Die Wahl erfolgt unmittelbar durch die Belegschaft oder mittelbar durch gewählte Delegierte (§ 9 MitbestG) des betreffenden Unternehmens oder Konzerns (§ 5 MitbestG);38 das Gleiche gilt für die Abberufung mit der Maßgabe, dass hierfür erneut eine ¾-Mehrheit erforderlich ist (§ 23 MitbestG). 2. Wahl der Anteilseignervertreter

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Die Wahl der Anteilseignervertreter bestimmt sich nach der Rechtsform: Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder GmbH. In der AG ist für die Wahl der Anteilseigner-Vertreter nur die Hauptversammlung zuständig, für die Abberufung mit der Maßgabe, dass eine ¾-Mehrheit erforderlich ist (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Satzung kann bestimmten Aktionären (ad personam) ein Entsenderecht in den Aufsichtsrat einräumen, jedoch höchstens für ein Drittel der Anteilseigner-Vertreter (§ 101 Abs. 2 Satz 4 AktG). Von dieser Möglichkeit wird nur selten und dann vor allem in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen mit staatlicher oder kommunaler Beteiligung Gebrauch gemacht (z.B. VW; früher auch Hamburgische Elektrizitätswerke AG – HEW). Allerdings wurde 2007 auch die Satzung der rein privatwirtschaftlichen ThyssenKrupp AG geändert und der mit mehr als 25 % beteiligten Krupp-Stiftung ein Entsenderecht für drei Sitze eingeräumt39. Die Abberufung erfolgt dann ebenfalls durch den Entsendeberechtigten.

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In der Genossenschaft werden die Anteilseignervertreter durch die Mitgliederversammlung oder durch die Vertreterversammlung gewählt und abberufen; für letztere ist wiederum eine qualifizierte Mehrheit von ¾ erforderlich. Ein Entsenderecht kennt das Genossenschaftsrecht nicht.

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Die Wahl der Anteilseignervertreter in der GmbH erfolgt durch die Gesellschafterversammlung. Doch ist die Satzung hier frei, die Zuständigkeit zur Wahl einem anderen Organ (z.B. Gesellschafterausschuss, Beirat, auch Kooptation durch den Aufsichtsrat selbst) oder einzelnen Gesellschaftern ein Entsendungsrecht zum Aufsichts35 Vgl. dazu BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 56/10, GWR 2012, 255 = AG 2012, 632. 36 Zur Beteiligung der Arbeitnehmer des Konzerns an der Wahl der Arbeitnehmer-Vertreter vgl. die Entscheidungen des BAG v. 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, ZIP 2011, 1332 = AG 2011, 670 und BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 56/10, AG 2012, 632 = ZIP 2012, 1610. 37 BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, ZIP 2013, 1880 = GmbHR 2013, 990. 38 Die Regelung ist unionsrechtskonform, EuGH v. 18.7.2017 – C-566/15, ECLI:EU: C:2017:347, NJW 2017, 2603 = AG 2017, 577. 39 Dazu BGH v. 8.6.2009 – II ZR 111/08, AG 2009, 694; Verse, ZIP 2008, 1754.

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Wahl und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 19 § 1

rat einzuräumen oder sie selbst schon in der Satzung als Aufsichtsratsmitglieder zu bestimmen. Für die Abberufung gelten die gleichen Grundsätze; ist in der Satzung nichts Besonderes geregelt, so findet § 103 AktG entsprechende Anwendung, d.h. zur Abberufung ist dann eine ¾-Mehrheit erforderlich. Absprachen unter den Aktionären/Gesellschaftern/Genossen bei Wahlen zum Aufsichtsrat (sog. Wahlvereinbarungen) sind weit verbreitet und zulässig40. Darin liegt kein sog. acting in concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG, so dass deswegen jedenfalls kein Übernahmeangebot abgegeben werden muss41.

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3. Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats Aus den verschiedensten Gründen können Aufsichtsratsmitglieder während einer Wahlperiode wegfallen; das würde dann das gesetzliche Gleichgewicht insbesondere bei der paritätischen Mitbestimmung nach Montan-Recht und MitbestG sehr stören. Die Einberufung einer außerordentlichen Wahlversammlung (Hauptversammlung, Betriebsversammlung) aber ist zeitaufwändig, kompliziert und teuer; die Möglichkeit der Ersatzbestellung durch das Registergericht nach § 104 AktG ist in aller Regel unerwünscht. Daher hat sich in unterschiedlichem Maße die Wahl von Ersatzmitgliedern für weggefallene Aufsichtsratsmitglieder herausgebildet; sie ist im Gesetz ausdrücklich zugelassen (§ 101 Abs. 3 AktG; näher dazu Rz. 1052 ff.).

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4. Anfechtung der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern Beschlüsse der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung/Generalversammlung über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern sind durch Klage vor Gericht anfechtbar, §§ 243, 251 AktG42. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung ist das betreffende Aufsichtsratsmitglied dennoch voll gültiges Mitglied des Aufsichtsrats43. Das ändert sich mit der Rechtskraft eines der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils: Diese Entscheidung vernichtet den Wahlbeschluss ex tunc; der Betreffende war also nie Aufsichtsratsmitglied44. Damit entstehen große Probleme hinsichtlich der zwischenzeitlich ergangenen Aufsichtsrats-Beschlüsse. Die Mitwirkung des Betroffenen daran als solche beeinträchtigt die Beschlüsse des Aufsichtsrats nicht. Der Ausfall des Betroffenen kann aber zur Beschlussunfähigkeit führen; das ist insbesondere bei einem Aufsichtsrat der Fall, der nur aus 3 Mitgliedern besteht: dessen Beschlüsse sind nich40 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 30 ff. mit allen Nachw. 41 BGH v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 = BB 2006, 2432 = AG 2006, 883. 42 Und zwar ggf. auch noch nach Rücktritt des Betroffenen, vgl. BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387. 43 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 246; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 101 Rz. 107. 44 Vgl. nur Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 247; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 71; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 101 Rz. 33; Schürnbrand, NZG 2008, 609, 610; noch h.M. Unentschieden Mertens/ Cahn in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 101 Rz. 107 („im Ergebnis selbst dann ... ex nunc, wenn man im Grundsatz ... ex-tunc Wirkung ... annimmt“).

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§ 1 Rz. 19 | Übersicht

tig. Im Übrigen kommt es darauf an, ob der Beschluss auch ohne die Stimme des Betroffenen die erforderliche Mehrheit gefunden hätte; anderenfalls ist der Beschluss nichtig, also etwa auch die so erfolgte Bestellung eines Vorstandsmitglieds. Dieser ausgesprochen unangenehmen Situation für die Gesellschaft mit einer großen Menge rechtlicher Folgeprobleme kann dadurch begegnet werden, dass der Vorstand nach § 104 AktG bei Gericht beantragt, die von der Anfechtungsklage betroffenen Aufsichtsratsmitglieder aufschiebend bedingt für den Fall der rechtskräftig erfolgreichen Anfechtungsklage vom Zeitpunkt ihrer (nichtigen) Wahl bis zur nächsten Hauptversammlung nach Rechtskraft des der Anfechtung stattgebenden Urteils zu bestellen45. Eine solche aufschiebend bedingte Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern ist möglich, wie § 101 Abs. 3 AktG für Ersatzmitglieder zeigt46. Darüber hinaus wurde die in Rechtsprechung und Lehre akzeptierte Rechtsfigur der „fehlerhaften Gesellschaft“47 bzw. des fehlerhaften Unternehmensvertrages48 zunehmend auch auf das fehlerhaft bestellte Organ und Organmitglied angewandt49. Folgt man dem, so wäre das fehlerhaft bestellte Aufsichtsratsmitglied von seiner Annahme der Wahl bis zur tatsächlichen Beendigung des Mandats50 wie ein wirksam bestelltes Aufsichtsratsmitglied zu behandeln mit allen Rechten und Pflichten51. Der BGH hat diese Lehrmeinungen in seinem Urteil vom 19.2.2013 ausdrücklich abgelehnt52, so dass es bei der oben dargestellten Rechtslage verbleibt.53

45 Zutr. und eingehend mit allen Nachw. E. Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806, 1809 ff. Zu anderen Möglichkeiten m.N. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 23. 46 Der ablehnende Beschluss des OLG Köln v. 29.3.2007 – 2 Wx 4/07, ZIP 2008, 508 = AG 2007, 822 (IVG), steht dem nicht entgegen, da die Ersatzbestellung unbedingt beantragt war. Dem aber konnte nicht stattgegeben werden, da die fraglichen Aufsichtsratsmitglieder beim Scheitern der Anfechtungsklage wirksam gewählt wären, nicht also erneut bestellt werden können. 47 Mit allen Nachw. K. Schmidt, GesR, § 6, S. 136 ff. 48 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1 = AG 1988, 133 bestätigt von BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 39 = AG 1992, 83 und BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, AG 2002, 240 = GmbHR 2002, 62; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, Anh. zu § 13 Rz. 82 ff. m.N. in Fn. 189. 49 Vgl. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 70; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 248; Lieder, ZHR 178 (2014), 282; vgl. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 101 Rz. 35 ff. m.w.N. 50 Vgl. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 101 Rz. 35; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 71. 51 Vgl. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 248, 250 ff. Monografisch Friedrichs, Die Folgen der fehlerhaften Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, 2016; mit Ausnahmen auch Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 73. Zum Ganzen eingehend Fleischer, DB 2013, 160 und 217. 52 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387; vgl. dazu Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 101 Rz. 37 ff.; Schürnbrand, NZG 2013, 481; abl. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 70. 53 Rechtspolitisch Drygala/Gehling, ZIP 2014, 1253.

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Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 21 § 1

V. Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat 1. Allgemeines Mitglied des Aufsichtsrats kann jede natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige und nicht betreute Person sein (§ 100 Abs. 1 AktG). Eine GmbH kann also ebenso wenig Mitglied des Aufsichtsrats sein wie ein Minderjähriger. Darüber hinaus sind einzelne Personen vom Amt des Aufsichtsrats in wenigen weiteren Fällen ausgeschlossen, nämlich vor allem, wenn sie

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– Mitglied des geschäftsführenden Organs der betreffenden Gesellschaft selbst sind (Unvereinbarkeit von Vorstands- bzw. Geschäftsführer- und Aufsichtsrats-Amt) oder eine solche Position in einer von dieser abhängigen anderen Gesellschaft haben oder Prokurist, Generalbevollmächtigter oder Generalhandlungsbevollmächtigter der Gesellschaft sind (§§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 105 Abs. 1 AktG), – schon in zehn anderen Gesellschaften mit einem Pflicht-Aufsichtsrat Mitglied des Aufsichtsrats sind (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG), wobei bis zu fünf Mandate in Aufsichtsräten von Konzerngesellschaften nicht angerechnet werden, so dass eine Person in solchen Fällen bis zu 15 Mandate wahrnehmen kann (§ 100 Abs. 2 Satz 2 AktG), während der Vorsitz in Aufsichtsräten doppelt gerechnet wird (§ 100 Abs. 2 Satz 3 AktG)54, – in den Fällen der Überkreuzverflechtung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AktG, – noch vor weniger als 2 Jahren Mitglied des Vorstands der börsennotierten Gesellschaft waren, es sei denn, der Wahlvorschlag kommt von Aktionären, die mehr als 25 % der Stimmrechte halten, § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG. Die Mitgliedschaft von Arbeitnehmern gleichzeitig im Betriebsrat und im Aufsichtsrat ist hingegen nicht nur erlaubt, sondern zweckmäßig und oft geübt. 2. Unvereinbarkeit Über die soeben zu 1. genannten Fälle (Rz. 20) hinaus kennt das Gesetz keine weiteren Regeln zur Unvereinbarkeit. Daraus schließt die herrschende Lehre, dass es auch in naheliegenden anderen Fällen wie insbesondere bei Aufsichtsratsmitgliedern in Konkurrenzgesellschaften keinen Ausschluss vom Amt gebe.55 Die herrschende

54 Der Kodex empfahl Vorstandsmitgliedern einer börsennotierten Gesellschaft bisher (Ziff. 5.4.5 a.F.) eine Höchstzahl von 3 konzernexternen Aufsichtsrats-Sitzen in börsennotierten Gesellschaften und empfiehlt nunmehr in C.5 DCGK 2020 „nicht mehr als zwei“ solcher Aufsichtsratsmandate. 55 Nach OLG Stuttgart v. 24.2.2017 – 20 W 8/16, ZIP 2017, 671 ff. = AG 2017, 489 soll eine Organtätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen auch kein Hindernis für eine Bestellung durch das Registergericht nach § 104 AktG sein.

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§ 1 Rz. 21 | Übersicht

Lehre akzeptiert also, dass dieselbe Person Aufsichtsrat von Daimler und Audi56, von Siemens und Bosch sein kann57. 22

Dem können wir für Unternehmen nicht folgen, bei denen eine Konkurrenzsituation in ihren zentralen Tätigkeitsbereichen besteht58. Vielmehr ist in einem solchen Fall Amtsunfähigkeit in Bezug auf die zeitlich spätere Wahl gegeben59. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist aus dem Gesichtspunkt ordnungsgemäßer Amtsführung (§ 116 Satz 1 AktG) verpflichtet, das Wohl „seiner“ Gesellschaft zu fördern. Das Wohl zweier miteinander im Wettbewerb stehender Unternehmen in gleicher Weise zu fördern, ist aber schwerlich möglich60. Aufsichtsräte sind umfassend gerade auch über die künftigen Vorhaben und Planungen ihrer Gesellschaft zu unterrichten; darüber soll im Aufsichtsrat eine Erörterung stattfinden (näher dazu Rz. 103 ff.). Wie soll aber eine offene Diskussion stattfinden, wenn „ein Mann von der Konkurrenz“ daran beteiligt ist61? Wie soll man die Modellpolitik zur C-Klasse oder E-Klasse bei Daimler erörtern, wenn ein „Mann“ von BMW dabeisitzt?

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Wer daher als Aufsichtsratsmitglied in ein Konkurrenzunternehmen gewählt wird, kann diese Wahl nur wirklich annehmen, wenn er zuvor das erste Mandat niedergelegt hat. Tut er das nicht, wird er nicht Aufsichtsratsmitglied im Konkurrenzunternehmen; er ist nur Schein-Mitglied62. Die h.M. lehnt das hier postulierte Bestellungs-

56 So einst der IG-Metall-Bezirksleiter von Stuttgart, Lisla, und der IG-Metall-Vorsitzende Steinkühler. 57 BGH v. 21.2.1963 – II ZR 76/62, BGHZ 39, 116, 123: Ausgeschlossen ist eine Person aus solchen Gründen nur, wenn es „krass gesellschaftswidrig“, also „schlechthin untragbar ist“; das führt aber auch nicht zu einem zwingenden Wählbarkeitshindernis, sondern stellt einen wichtigen Grund zur Abberufung gemäß § 103 Abs. 3 AktG dar; ebenso Dreher, JZ 1990, 896, 898 ff.; Krebs, Interessenkonflikte, S. 267 ff. mit allen Nachw.; ebenso für das österreichische Recht Kastner in FS Strasser, 1983, S. 843, 849 f. S. auch Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 222 (die Abberufung aus wichtigem Grund einschränkend, anders noch die Vorauflage, § 52 Rz. 261). 58 Näher dazu Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 236 ff.; Lutter, RdW 1987, 314, 319; Lutter in FS Beusch, 1993, S. 509 ff. und Lutter in 25 Jahre Aktiengesetz, S. 63 ff.; Wardenbach, Interessenkonflikte als Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der AG, S. 13 ff.; Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781, 788 f.; auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 100 Rz. 28 und Lüderitz in FS Steindorff, 1990, S. 113, 122 für Einproduktunternehmen; anders Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 68 ff. 59 OLG Schleswig v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143 = AG 2004, 453; Lutter in Lutter, 25 Jahre Aktiengesetz, S. 64. 60 Einen Fall zweier widerstreitender Aufgaben, die nicht beide zugleich pflichtgemäß wahrgenommen werden können, behandelt auch OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, WM 1990, 311 = AG 1990, 218 = EWiR § 103 AktG 2/90, 219 (Hirte): Der schleswigholsteinische Energieminister Jansen, verantwortlich für den „Ausstieg“ seines Landes aus der Kernenergie, wurde aus dem Aufsichtsrat der Hamburger Electricitätswerke aus wichtigem Grund abberufen. 61 So auch Lüderitz in FS Steindorff, 1990, S. 113, 119. 62 Dies entspricht der Rechtslage bei den gesetzlich ausdrücklich genannten Fällen der Unvereinbarkeit, vgl. nur § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG und Koch, MünchKomm. AktG, 4. Aufl.

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Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 24 § 1

hindernis ab63, u.a. mit dem zutr. Hinweis, der Gesetzgeber habe bei der Beratung des KonTraG bewusst auf die Normierung verzichtet64. Stattdessen rekurriert die h.M. auf eine aus Treubindung folgende Pflicht des Betreffenden zur Amtsniederlegung bzw. eine ebenfalls aus Treubindung folgende Pflicht der anderen Aufsichtsratsmitglieder, die gerichtliche Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG zu beantragen65. Das überzeugt nicht. Wer die Wahl in einer solchen Situation angenommen hat, ist offenbar uneinsichtig und wird nicht gleich wieder zurücktreten. Die gerichtliche Abberufung aber setzt einen Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats voraus (§ 103 Abs. 3 AktG) und ist ein langwieriges Verfahren. Bis dahin müsste der Aufsichtsrat das betr. Mitglied regelmäßig vor die Türe stellen: und das in beiden betroffenen Gesellschaften. Das ist keine vernünftige Lösung66. Die Mindermeinung wird von uns gegen die h.M. aufrechterhalten und gibt den Gerichten zu gegebener Zeit die Möglichkeit, ihre Tragfähigkeit zu testen. 3. Sonstige persönliche Voraussetzungen/fachliche Zusammensetzung des Aufsichtsrats a) Fachliche Qualifikation Von der Satzung der betreffenden Gesellschaft können sonstige persönliche Voraussetzungen für die Wählbarkeit von Aufsichtsratsmitgliedern nur für Anteilseignervertreter und nicht für Arbeitnehmervertreter festgelegt werden (§ 100 Abs. 4 AktG). In den Satzungen von Aktiengesellschaften geschieht das selten, häufiger hingegen in der GmbH. In Betracht kommen: Festlegung eines höheren Mindest- oder Höchstalters67, berufliche und fremdsprachliche68 Qualifikation, Zugehörigkeit zu ei-

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2016, § 250 Rz. 13 ff.; Schwab in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 250 Rz. 5 und 6. Zum Fall einer erst nach Amtsannahme eintretenden Konkurrenzsituation s. Rz. 894 ff. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 89; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 133 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 13b; Langenbucher, ZGR 2007, 571, 583 sowie die Nachweise in Rz. 21. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17: „Allerdings könnte eine Konkurrenzsituation, welche dauerhaft die gesamte Tätigkeit und den wesentlichen Kernbereich der Unternehmen betrifft, dazu führen, dass das Aufsichtsratsmitglied wegen der erwähnten Pflichtenkollision gehindert wäre, sein Amt überhaupt wahrzunehmen. Insoweit wäre es sinnwidrig, einen Kandidaten zu wählen oder zu bestimmen, der voraussehbar sein Amt auf Dauer nicht ausüben kann und deshalb gehalten wäre, es niederzulegen ...“. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 103 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 309; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 34; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 8; Hoffmann-Becking in Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 83, je m.w.N. OLG Schleswig v. 26.4.2004 – 2 W 46/04, ZIP 2004, 1143 = AG 2004, 453. Dazu Lutter, Anwendbarkeit der Altersbestimmungen des AGG auf Organpersonen, BB 2007, 725 sowie BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291 = GmbHR 2012, 845. Dazu Dreher in FS Lutter, 2000, S. 357, 365.

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§ 1 Rz. 24 | Übersicht

ner bestimmten Familie (aber nur, wenn Auswahl besteht, nicht, wenn praktisch nur ein bestimmtes Familienmitglied in Betracht kommt69). Über 100 Jahre lang diente der Aufsichtsrat als Netzwerk und do-ut-des-Einrichtung, spezielle Kompetenz war nicht gefragt70. Das ist bei einem Aufsichtsrat mit stark gewachsenen Aufgaben bis hin zu mitunternehmerischen Entscheidungen nicht mehr möglich. Heute sollte im Interesse einer leistungsfähigen Unternehmensführung und -überwachung auch ohne besondere Festsetzungen in der Satzung bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder darauf geachtet werden, dass der im Aufsichtsrat insgesamt vertretene Sachverstand die Aufgaben im Unternehmen abdeckt (Rz. 27). Der Kodex formuliert dazu in Grundsatz 11 DCGK 2020: „Der Aufsichtsrat ist so zusammenzusetzen, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen ....“71. Nicht jedes Aufsichtsratsmitglied muss Spezialist sein; der Aufsichtsrat insgesamt sollte aber die Grundfunktionen des Unternehmens beurteilen können72, also nicht nur aus Bankiers und Anwälten zusammengesetzt sein73. Die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder von Banken und Versicherungen ist das Thema der CRD IV-Richtlinie und wird im Schlusskapitel dieses Buches erörtert (§ 21, Rz. 1450 ff.). Es ist aber nicht anzunehmen, dass dies ohne Einfluss auf die börsennotierten/börsennahen Gesellschaften bleibt. Insofern empfiehlt sich eine besonders sorgfältige Analyse74.

69 Vgl. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 100 Rz. 36; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 58; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 218; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 100 Rz. 20. Zu Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung einer „personalistischen“ AG und Alternativen Reichert in Liber Amicorum Oppenhoff, 2017, S. 281 ff. 70 Max Weber schreibt in seinem Grundriss der Sozialökonomik III – Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, S. 675: „Normalerweise vereinigen diese Gebilde (scil. Aufsichtsräte) nicht Träger speziellen Fachwissens, sondern die ausschlaggebenden ökonomischen Hauptinteressen.“ 71 In der Empfehlung C.1 DCGK 2020 (ähnlich bereits Ziff. 5.4.1 Abs. 2 DCGK a.F.) zu diesem Grundsatz fährt der Kodex fort: „Der Aufsichtsrat soll für seine Zusammensetzung konkrete Ziele benennen und ein Kompetenzprofil für das Gesamtgremium erarbeiten. Dabei soll der Aufsichtsrat auf Diversität achten.“ Die Empfehlung zu einer festzulegenden Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder findet sich in Empfehlung. C.2 DCGK 2020. 72 Semler, Führungsvorsorge im Unternehmen, in Unternehmensführung heute, S. 7, 9; zur Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder vgl. auch noch Bleicher, ZfbF 1988, 930, 937 f. und Weber-Rey, Der Gesellschafter (Österr.) 2013, 134. Eine Typologie der Besetzung von Aufsichtsräten findet sich bei Gerum, DBW 1991, 719, 726 ff. 73 Der German Code of Corporate Governance des Berliner Initiativkreises (DB 2000, 1573 = AG 2001, 6 ff.) fordert ausdrücklich unter Ziff. IV, 4.2 „unterschiedliche Qualifikationen“ der Aufsichtsräte der Anteilseigner. 74 Vgl. Merkelbach, Der Konzern 2013, 227.

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Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 25 § 1

b) Unabhängigkeit und mögliche Interessenkonflikte Der Kodex verlangt eine – nach Einschätzung des Aufsichtsrats selbst – „angemessene Anzahl unabhängiger Mitglieder“ (Ziff. 5.4.2 Satz 1 DCGK a.F. bzw. Empfehlung C.6 DCGK 2020) und definiert „Unabhängigkeit“ in Empfehlung C.7 Satz 2 DCGK 2020 wie folgt (inhaltlich ähnlich bereits Ziff. 5.4.2 Satz 2 DCGK a.F.)75: „Ein Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig von der Gesellschaft und deren Vorstand, wenn es in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.“

Die umstrittene Fortsetzung dieser Definition in Ziff. 5.4.2 Satz 1 DCGK a.F. (künftig in C.9 Abs. 2 DCGK 2020 zu finden), wonach einem Aufsichtsrat auch dann die Unabhängigkeit fehle, wenn es eine „persönliche oder geschäftliche Beziehung zu einem kontrollierenden Aktionär oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen“76 unterhält, wird in der neuen Fassung dadurch entschärft, dass die Empfehlung in C.9 DCGK 2020 genügen lässt, dass mindestens ein (bei einem Aufsichtsrat mit mehr als sechs Mitgliedern) oder zwei (bei einem Aufsichtsrat mit sechs oder weniger Mitgliedern) Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat und dessen nahe Familienangehörige unabhängig von einem kontrollierenden Aktionär sind. Diese Entschärfung ist zu begrüßen. Denn mit dem „kontrollierenden Aktionär“ ist der Vertreter des Großaktionärs im Aufsichtsrat und mittelbar auch dieser selbst gemeint. Die Beziehung von Aufsichtsratsmitgliedern zu diesem entspricht der gesetzlichen Lösung des faktischen Konzerns nach §§ 311 ff. AktG, wonach die Beherrschung einer AG ausdrücklich erlaubt ist. Mittel der Beherrschung ist der Aufsichtsrat77. Allerdings führt auch Empfehlung C.9 DCGK 2020 dazu, dass das herrschende Unternehmen im Aufsichtsrat einer paritätisch mitbestimmten Tochter (z.B. VW bei Audi) in die Aufsichtsratsminderheit gerät, weil die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat maximal 50 % der Aufsichtsratsmitglieder minus mindestens ein vom Großaktionär unabhängiges Aufsichtsratsmitglied stellen können78. Das kann nicht gewollt sein.

75 Diese Definition wird allgemein akzeptiert, vgl. Baums, ZHR 180 (2016), 697; Bayer, NZG 2013, 1, 10 mit allen Nachw.; Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1376 ff.; Stephanblome, NZG 2013, 445. Allgemein und rechtsvergleichend M. Roth, ZHR 175 (2011), 605; eingehend Kremer/v. Werder, AG 2013, 340; Florstedt, ZIP 2013, 337. Kritisch für Familienunternehmen Hommelhoff, ZIP 2013, 953. Im Übrigen vgl. OLG Hamm v. 28.5.2013 – I-27 W 35/13, ZIP 2013, 2008 = AG 2013, 927. Zur tatsächlichen Anwendung der Kodexempfehlungen zur Unabhängigkeit empirisch Bartz/v. Werder, NZG 2014, 841. S. aber auch OLG Celle v. 27.6.2018 – 9 U 78/17, ZIP 2018, 1688, 1689 = AG 2018, 631: Der Senat konnte keinen Verstoß feststellen, weil das Merkmal der Unabhängigkeit nicht hinreichend bestimmt ist. 76 In der Sache ebenso die Empfehlung 2005/162/EG der Europäischen Kommission vom 15.2.2005, ABl. EU Nr. L 52 v. 25.2.2005, S. 51 und dazu Lutter, EuZW 2009, 799. 77 Grigoleit in Grigoleit, Komm. AktG, § 18 Rz. 2; Windbichler, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 18 Rz. 27; Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rz. 38. 78 Kritisch dazu bereits Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 804 ff.; begrüßend dagegen Bayer, NZG 2013, 1, 10 ff.

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§ 1 Rz. 25 | Übersicht

Interessenkonflikte (Rz. 894 ff.) sind tunlichst zu vermeiden. Daher sollten Personen, bei denen solche Konflikte naheliegen (Lieferanten, Abnehmer, Anwälte) oder sich entwickeln könnten, erst gar nicht zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen werden79. 26

Mit dem Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) von 17.3.201680 ist das auf der Grundlage von Art. 41 der Abschlussprüferrichtlinie von 200681 eingeführte gesetzliche Kriterium der „Unabhängigkeit“ eines Mitglieds des Aufsichtsrats einer börsennotierten/börsennahen Gesellschaft aus § 100 Abs. 5 AktG wieder gestrichen worden. Den Mitgliedstaaten ist durch Art. 39 Abs. 5 der überarbeiteten Abschlussprüferrichtlinie82 eine Befreiung von den Richtlinienvorgaben zur Unabhängigkeit erlaubt, wenn alle Mitglieder des Prüfungsausschusses Mitglieder des Verwaltungsoder Aufsichtsorgans des Unternehmens sind. Das ist ausweislich § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG bei deutschen Aktiengesellschaften der Fall. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist durch die institutionelle Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat „bereits ein allgemein hohes Maß an Unabhängigkeit sichergestellt.“83 Die Abschaffung des gerade einmal 7-jährigen Gebots der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds einer Börsengesellschaft bleibt unverständlich und problematisch. Das Gesetz verlangt also jetzt an keiner Stelle mehr die Unabhängigkeit von Aufsichtsrats-Mitgliedern84. c) Besetzungsplan und Sektorenkenntnis

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Nach Lutter85 sollten die Anteilseigner-Vertreter im Aufsichtsrat großer und größerer Gesellschaften einen Besetzungsplan für die Aufsichtsräte der Anteilseigner entwickeln, in dem sie die in ihrem Aufsichtsrat erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen auflisten, also etwa einen – (früheren) Unternehmensleiter (mit Auslandserfahrung) – Produktionsfachmann (Techniker) – Entwicklungsfachmann – Finanzmann 79 Vgl. etwa v. Falkenhausen, ZIP 2013, 862; Hasselbach/Jakobs, BB 2013, 643; Ziemons, ZGR 2016, 839. 80 BGBl. I 2016, 1142. 81 Abgedruckt bei Lutter/Bayer/J. Schmidt, § 27 S. 859 ff. 82 RL 2014/56/EU vom 16.4.2014 zur Änderung der RL 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen. 83 BT-Drucks. 18/7219, S. 56. Kritisch Nodoushani, AG 2016, 381, 383 f. 84 Zu den Empfehlungen des (neuen) Kodex in diesem Zusammenhang Rubner/Fischer, NZG 2019, 961 ff. 85 Lutter, ZIP 2003, 417 und Lutter, DB 2009, 775 sowie Lutter in Almendinger et al. (Hrsg.), Corporate Governance, 2011, S. 140, 148 ff. insgesamt zur Professionalisierung des Aufsichtsrats; vgl. auch Bull, Der Aufsichtsrat 2016, 82; Peltzer, NZG 2009, 1041, 1042 f. und Börsig/Löbbe in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 125, 143 ff.; Weber-Rey in Veil, Unternehmensrecht in der Reformdiskussion, 2013, S. 161 ff.

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Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 28 § 1

– unternehmensrechtlich erfahrenen Juristen – Steuerfachmann – Rechnungsleger (Financial Expert) und erst anschließend die Suche nach der oder dem Besten des fraglichen Gebietes beginnen, also nicht ad personam besetzen, sondern primär ad causam.86

Der Kodex folgt diesem Gedanken in dreifacher Weise. Zum einen verlangt er vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses Kenntnisse und Erfahrungen in der Rechnungslegung und der internen Kontrolle (Empfehlung D.4 DCGK 2020)87; zum anderen verlangt er die Bildung eines Nominierungsausschusses (Empfehlung D.5 DCGK 2020), der vernünftigerweise nicht anders verfahren kann und wird als hier beschrieben88, und schließlich soll er für seine eigene Zusammensetzung konkrete Ziele benennen (Empfehlung C.1 DCGK 2020) und über deren Erreichung berichten. In § 100 Abs. 5 AktG werden erstmals im deutschen Aktienrecht bestimmte Eigenschaften der Aufsichtsratsmitglieder von börsennotierten oder börsennahen Gesellschaften verlangt. Jedenfalls ein Aufsichtsratsmitglied muss über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen (Finanzexperte). Wie das betreffende Aufsichtsratsmitglied seinen Sachverstand erworben hat, spielt keine Rolle – Studium oder Praxis sind gleichgestellt, das Ergebnis zählt (s. Rz. 24)89. Weiter wird nunmehr von den Mitgliedern des Aufsichtsrats in ihrer Gesamtheit verlangt, dass sie mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sind. Die §§ 100 Abs. 5 und 107 Abs. 4 AktG sind eine vorsichtige Anerkennung des hier und vom Kodex entwickelten Auswahlsystems90 und des Gedankens der „Gesamtqualifikation“91. Das verbindet sich mit der Aussage des Bundesgerichtshofs92 und des OLG Stuttgart93, dass kein Aufsichtsratsmitglied einer Maßnahme des Vorstands zustimmen 86 In der Sache ganz ähnlich das Gemeinsame Positionspapier von AdAR, ArMiD und FEA zur systematischen Aufsichtsratsbesetzung, BOARD 2017, 135 ff. 87 So auch das Gesetz in Befolgung der geänderten 8. EU-Richtlinie: §§ 100 Abs. 5 und 107 Abs. 4 AktG (Rz. 25), allerdings nur für ein Mitglied des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses, nicht notwendig für dessen Vorsitzenden. Im Übrigen vgl. Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1301. 88 Lutter in FS Wymeersch, 2009, S. 132. 89 Durch OLG München v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, AG 2010, 639 sind die Anforderungen an den Sachverstand des Financial Expert leider und gegen die Absicht des Gesetzgebers deutlich gesenkt worden. 90 Vgl. dazu auch Theisen, Der Aufsichtsrat 2009, 81 sowie Peltzer, NZG 2009, 1041, 1042 f. 91 Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1301 und Dreher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 313 ff.; Langenbucher, ZGR 2012, 314 ff. Zum Ganzen eingehend Weber-Rey, NZG 2013, 766 ff. und Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 539 sowie mit beachtlichen Thesen v. Werder/Wieczorek, DB 2007, 297. 92 BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438 = AG 2013, 90. 93 OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625 = AG 2012, 298. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – I-16 U 176/10, ZIP 2012, 2299 = AG 2013, 171.

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§ 1 Rz. 28 | Übersicht

darf, dessen Risiken und Wirkungen es nicht versteht: Kompetenz schützt vor dem Haftungsrisiko94. Dem Gedanken der „Gesamtqualifikation“ folgend ist, wenn von den „Mitgliedern des Aufsichtsrats in ihrer Gesamtheit“ eine bestimmte Kenntnis verlangt wird, auch die Gesamtqualifikation des Organs Aufsichtsrat in Zusammenschau der Einzelqualifikationen gemeint95. Von einer Vertrautheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, ist nach der Gesetzesbegründung auszugehen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied im Vorfeld seiner Besetzung in der betreffenden Branche praktische Erfahrungen oder Kenntnisse gesammelt hat96. d) Mindestqualifikation 29

Ob und welche Mindestqualifikationen das einzelne Aufsichtsratsmitglied – unabhängig von der vom Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zu fordernden Qualifikation (Rz. 28) – von Gesetzes wegen haben muss, ist lebhaft umstritten97. Der Bundesgerichtshof hat dazu in der Hertie-Entscheidung vom 15.11.198298 gesagt: „Mit diesem Gebot persönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung ist vorausgesetzt, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können ...“

Bemerkenswert ist daran die Formulierung „oder sich aneignen muss“. Das Aufsichtsratsmitglied muss also diese Kenntnisse und Fähigkeiten nicht von Anfang an haben. Wenn aber die Nachholung nicht in angemessener Zeit geschieht, so liegt ggf. ein Übernahmeverschulden vor99. Im Übrigen hat das OLG Stuttgart entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied, das eine Maßnahme des Vorstands nicht versteht, ihr aber doch zustimmt, seine Pflichten verletzt100. Im Gegensatz zum AktG verlangen das KWG und das VAG für Aufsichts- und Verwaltungsräte in Bank- und anderen Finanzdienstleistungsunternehmen sowie in Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen in den §§ 24 Abs. 3a Satz 1 Nr. 4, 36 Abs. 3 KWG und § 24 Abs. 1 VAG von allen diesen Organmitgliedern (von An94 95 96 97

Dazu Schüppen, M+A Review 2013, 314. Ebenso Merkt, ZHR 179 (2015), 601, 619; Nodoushani, AG 2016, 381, 382. BT-Drucks. 17/7219, S. 56. Näher Nodoushani, AG 2016, 381, 386. Vgl. dazu die Kontroverse zwischen Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 100 Rz. 76 ff. einerseits und Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 100 Rz. 22 ff. andererseits. 98 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = AG 1983, 133. 99 So auch Simons in Hölters, Komm. AktG, § 100 Rz. 13; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 100 Rz. 61. 100 OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625 = AG 2012, 298 und dazu Hoffmann, AG 2012, 478; die Beschwerde gegen die Nichtzulassung hat der BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, AG 2013, 90 = NZG 2013, 339 ff. zurückgewiesen. Zur Mindestqualifikation auch Weber-Rey, Der Gesellschafter (Österr.) 2013, 134, 136. Zum Einsatz von Beratern durch das Aufsichtsratsmitglied v. Schenck in Liber Amicorum Dolf Weber, 2016, S. 407 ff.

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Persönliche Voraussetzungen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 30 § 1

fang an) „Zuverlässigkeit“ und „Sachkunde“, was der BaFin anzuzeigen und nachzuweisen ist und was von dieser laufend kontrolliert wird101. 4. Geschlechterquote Mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24.4.2015102 ist in der 18. Legislaturperiode ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von CDU/ CSU und SPD103 verwirklicht worden, das etwa 110 Unternehmen betreffen soll104. Der Aufsichtsrat muss bei erforderlichen Neuwahlen und Entsendungen seit dem 1.1.2016 nach § 96 Abs. 2 AktG bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft (oder KGaA), die der Mitbestimmung nach dem MitbestG, dem MontanMitbestG oder dem MitbestErgG unterfällt, jeweils zu mindestens 30 % aus Frauen und Männern bestehen.105 Grundsätzlich muss der Aufsichtsrat insgesamt diese Quote erfüllen (Gesamterfüllung), bei Widerspruch der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter für die jeweils entsandten Aufsichtsratsmitglieder getrennt (Getrennterfüllung). Rechtsfolge eines Verstoßes ist gemäß § 96 Abs. 2 Satz 6 AktG und § 18a Abs. 2 MitbestG die Nichtigkeit der jeweiligen Wahl von Anfang an.106 Hierdurch soll eine repräsentative Teilhabe von Frauen an der Unternehmensführung erreicht werden.107 Im Jahr 2018 soll so ein Frauenanteil von 33,2 % in 107 betroffenen Unternehmen erreicht worden sein, 22 Unternehmen sollen unter der Quote geblieben sein.108 Auch C.1 DCGK 2020 empfiehlt, dass der Aufsichtsrat bei seiner Zusammensetzung auf Diversität achten soll. Für mitbestimmte Gesellschaften in anderen Rechtsformen und nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften beließ es der Gesetzgeber bei der an den Aufsichtsrat adressierten Pflicht, für den Frauenanteil im Aufsichtsrat Zielgrößen festzulegen (§ 111 Abs. 5 AktG, § 52 Abs. 2 GmbHG, § 9 Abs. 4 GenG, § 189 Abs. 3 VAG i.V.m. § 111 Abs. 5 AktG) und diese sowie deren Erfüllung in ihrem Lagebericht offenzulegen (§ 289a Abs. 4 HGB).

101 Vgl. dazu Langenbucher, ZHR 176 (2012), 652 mit der Darstellung weiterer Anforderungen; BaFin, Merkblatt zur Kontrolle der Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB (zuletzt geändert am 12.11.2018). Das österreichische Recht verlangt von diesen Personen sogar das Bestehen einer Eignungsprüfung; vgl. etwa Chini, Aufsichtsrat aktuell (Österr.) 2013, 14 ff. 102 BGBl. I 2015, 642; zum Gesetzgebungsverfahren Seibert, NZG 2016, 16 ff.; zu verfassungsrechtlichen Einwänden im Überblick Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 96 Rz. 36 ff. 103 Deutschlands Zukunft gestalten – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 72. 104 BT-Drucks. 18/3784, S. 43. 105 Zum Verfahrensablauf mit allen Nachweisen Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 96 Rz. 15 ff. 106 Zur nicht ausdrücklich geregelten Rechtsfolge eines Verstoßes bei Gesamterfüllung Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 96 Rz. 25. 107 BT-Drucks. 18/3784, S. 120. 108 Hans-Böckler-Stiftung, Böckler-Impuls 4/2019, S. 1.

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§ 1 Rz. 31 | Übersicht

VI. Dauer der Mitgliedschaft 1. Regelfall 31

Das einzelne Aufsichtsratsmitglied erwirbt das Amt mit seiner Bestellung (Wahl) und deren Annahme und verliert es durch Zeitablauf (Ablauf der Wahlperiode), durch Tod, Verlust der Wählbarkeit (bei Arbeitnehmervertretern also auch durch Pensionierung oder Wechsel des Arbeitsplatzes, § 24 Abs. 1 MitbestG), durch wirksame Abberufung oder Amtsniederlegung.

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Die Amtszeit beträgt nach dem Gesetz einheitlich für alle Aufsichtsratsmitglieder höchstens fünf Jahre, § 102 Abs. 1 AktG mit § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG und § 6 Abs. 2 MitbestG. Die Satzung der Gesellschaft kann kürzere Wahlperioden anordnen. Auch unterschiedliche Wahlperioden für verschiedene Aufsichtsratsmitglieder sind möglich109, nicht jedoch Sonderregeln gerade nur für Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer110, 111.

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In diesem Zusammenhang ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.6.2002112 von großer Bedeutung. Denn danach endet das Amt mit Ablauf der Amtszeit automatisch mit der Folge, dass das betreffende Aufsichtsratsmitglied plötzlich „Nicht-Mitglied“ ist und der Aufsichtsrat unvollständig besetzt ist, wenn nicht rechtzeitig vor Ablauf der Amtszeit eine Neuwahl stattgefunden hat. Das gilt insbesondere auch, wenn nicht innerhalb von 8 Monaten nach Beendigung des 4. Geschäftsjahres nach der Wahl eine Hauptversammlung stattgefunden hat und in ihr Beschluss über die Entlastung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds

109 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 215 = AG 1987, 152; OLG Frankfurt a. M. v. 19.11.1985 – 5 U 30/85, AG 1987, 159, 160. 110 H.M., zwingendes Gebot der Nicht-Diskriminierung, vgl. BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/ 86, BGHZ 99, 211, 215 = AG 1987, 152; BGH v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070 = AG 1987, 348; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 102 Rz. 8. 111 Besondere Probleme der Amtszeit ergeben sich, wenn durch Satzungsänderungen die Mitgliederzahl eines mitbestimmten Aufsichtsrats verringert wird. Nach wohl überwiegender und zutreffender Meinung ist in diesem Fall das Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG nicht anwendbar. Die Satzungsänderung wird nicht sofort, sondern erst mit Ende der laufenden Amtsperiode der Arbeitnehmervertreter wirksam. Vgl. ausführlich BAG v. 3.10.1989 – 1 ABR 12/88, WM 1990, 633, 635 f. = AG 1990, 361 – obiter und OLG Hamburg v. 26.8.1988 – 11 W 53/88, ZIP 1988, 1191 = AG 1989, 64 mit ausführlichen Nachweisen zum Meinungsstand. Hat der Aufsichtsrat aufgrund gesunkener Arbeitnehmerzahlen zu viele Mitglieder, ist das Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG durchzuführen und anschließend der gesamte Aufsichtsrat neu zu besetzen; vgl. Henssler in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 7 MitbestG Rz. 23 m.w.N. Zur Rechtslage in nicht mitbestimmten Gesellschaften vgl. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 95 Rz. 18; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 95 Rz. 27; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 95 Rz. 5. 112 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, AG 2002, 676; str., vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 102 Rz. 3 und Gärtner, NZG 2013, 652.

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Dauer der Mitgliedschaft | Rz. 35 § 1

stattgefunden hat. Das Amt endet dann automatisch nach Ablauf der 8-MonatsFrist113. 2. Die Abberufung Sie ist nach dem Gesetz nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich (¾-Mehrheit; s. bereits Rz. 14 ff.); für (alle) Anteilseigner-Vertreter und (nur) für Arbeitnehmer-Vertreter nach DrittelbG kann die Satzung einheitlich für alle Aufsichtsratsmitglieder114 geringere, aber auch höhere Mehrheiten und weitere Voraussetzungen festlegen, z.B. einen wichtigen Grund in der Person des abzuberufenden Mitglieds115. Für Arbeitnehmer-Vertreter nach dem Montan-MitbestG und dem MitbestG gilt stets die gesetzliche ¾-Mehrheit. Zur gerichtlichen Abberufung aus wichtigem Grund vgl. Rz. 930 ff.

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3. Die Amtsniederlegung a) Jedes Aufsichtsratsmitglied kann sein Amt jederzeit niederlegen, ohne dass es eines wichtigen Grundes dafür bedürfte; das ist zu Recht heute die weit überwiegende Meinung116. Umstritten ist nur, ob die Niederlegung nicht zur Unzeit, also insbesondere nicht in der wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft erfolgen darf117. Aber auch das hindert die Wirksamkeit der Amtsniederlegung nicht; es geht nur um die Frage nach der etwaigen Pflichtverletzung. Das Aufsichtsratsmitglied steht in keinem Vertragsverhältnis zur Gesellschaft; es ist vielmehr Inhaber eines privaten Amtes, das vom Gesetz frei und offen gestaltet ist. Richtiger Ansicht nach muss ein Aufsichtsratsmitglied daher keine Voraussetzungen beachten, sondern kann ohne Angabe von Gründen ad nutum jederzeit sein Amt niederlegen, mithin auch in der Krise der Gesellschaft. Eine äußerste Grenze bildet allerdings die Treupflicht des Aufsichtsratsmitglieds zur Gesellschaft118, die ein betont schädigendes Verhalten des Aufsichts-

113 OLG München v. 9.11.2009 – 31 Wx 136/09, NZG 2009, 1430 = AG 2010, 87 und dazu Gärtner, NZG 2013, 652. 114 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 215 f. = AG 1987, 152; BGH v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070 = AG 1987, 348. 115 Dazu eingehend Uwe H. Schneider/Nietsch in FS Westermann, 2008, S. 1447 ff. 116 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 103 Rz. 57; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 17; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 10; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 266; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, 4. Aufl. 2015, § 30 Rz. 80; Wardenbach, AG 1999, 74, 75; demgegenüber halten Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 52 bei Bestellung auf bestimmte Zeit einen wichtigen Grund für erforderlich. 117 So Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 103 Rz. 60; Habersack in Habersack/ Henssler, § 6 MitbestG Rz. 72; vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 103 Rz. 57. 118 Zur Treupflicht des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft vgl. Rz. 1006 sowie Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 7; Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89 f.; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 67; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 25 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 74 ff.

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§ 1 Rz. 35 | Übersicht

ratsmitglieds ausschließt und ggf. zur Schadensersatzpflicht, aber nicht zur Bleibepflicht führt. 36

b) Von der organschaftlichen Freiheit zur Amtsniederlegung sind etwaige besondere vertragliche Bindungen des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds zur Gesellschaft zu unterscheiden. So kann die Gesellschaft in Sonderfällen mit dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied die Übernahme und Erfüllung zusätzlicher Aufgaben vertraglich vereinbaren (§ 114 Abs. 1 AktG). Hierfür gelten dann naturgemäß die besonderen Regeln der §§ 611 ff. BGB, die eine vorzeitige Niederlegung dieser vertraglichen Pflicht nur aus wichtigem Grund und jedenfalls nicht zur Unzeit erlauben; anderenfalls droht hier eine Schadensersatzpflicht.

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c) Die Amtsniederlegung erfolgt durch formlose, aber empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der Gesellschaft zu Händen des Aufsichtsrats (seines Vorsitzenden) oder des Vorstands und muss die Amtsniederlegung deutlich erkennbar werden lassen119. Reine Untätigkeit ist keine Amtsniederlegung120, führt nicht zur Befreiung von Pflichten, sondern im Gegenteil zur Haftung wegen Verletzung der Amtspflicht. Die Amtsniederlegung kann auch in einer Hauptversammlung erklärt werden.

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d) Das Amt erlischt mit Zugang121 der Niederlegungserklärung bei der Gesellschaft, es sei denn, das Aufsichtsratsmitglied habe die Niederlegung ausdrücklich für einen späteren Zeitpunkt erklärt.

VII. Veröffentlichung von Beginn und Ende des Aufsichtsratsmandats 39

Nach § 106 AktG ist bei jedem Wechsel im Aufsichtsrat eine vollständige Liste aller Mitglieder des Aufsichtsrats mit Namen, Vornamen, Beruf und Wohnort vom Vorstand oder Geschäftsführer zum Handelsregister einzureichen, wo diese Liste von jedermann eingesehen werden kann, der dadurch stets einen aktuellen Überblick erhält. Das Registergericht seinerseits hat die Einreichung der Liste – nicht die Liste selbst – nach § 10 HGB bekannt zu machen. Für mitbestimmte Gesellschaften bestehen nach § 19 MitbestG, § 10f MitbestErgG und § 8 DrittelbG besondere Publizitätsvorschriften. Der Vorstand hat danach die Namen der Mitglieder des Aufsichtsrats unverzüglich nach ihrer Bestellung in den Betrieben der Unternehmen, deren Arbeitnehmer an der Wahl zum Aufsichtsrat teilnehmen und zudem im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.

119 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 10. 120 BGH v. 13.6.1983 – II ZR 67/82, WM 1983, 835, 836 = AG 1983, 312 = GmbHR 1984, 72. 121 Nach § 112 Satz 2 mit § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG ist jedes Mitglied des Vorstands und jedes Mitglied des Aufsichtsrats dafür empfangszuständig.

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Der Aufsichtsrat als Innenorgan | Rz. 42 § 1

Nach Empfehlung C.14 DCGK 2020 soll außerdem ein Lebenslauf der Aufsichtsratsmitglieder, der über relevante Kenntnisse, Fähigkeiten, fachliche Erfahrungen und eine Übersicht über die wesentlichen Tätigkeiten neben dem Aufsichtsratsmandat Auskunft gibt, jährlich aktualisiert auf der Website des Unternehmens veröffentlicht werden.

VIII. Der Aufsichtsrat als Innenorgan 1. Überblick Der Aufsichtsrat ist Innenorgan. Seine Aufgaben beziehen sich fast ausschließlich auf das interne Geschehen in der Gesellschaft. Nach außen tritt er nur selten in Erscheinung. Er vertritt die Gesellschaft nur gegenüber den aktuellen Mitgliedern des Vorstands (§ 112 AktG), früheren Vorstandsmitgliedern und deren Witwen122 und ggf. Kindern und Personen, die erst künftig zum Vorstand bestellt werden sollen (jedenfalls dann, wenn es um Rechtsgeschäfte geht, die im Vorfeld der beabsichtigten Bestellung erfolgen und mit dieser in Zusammenhang stehen)123 sowie gegenüber dem Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) gerichtlich und außergerichtlich, insbesondere also beim Abschluss und bei der Aufhebung der entsprechenden Verträge.124 Sonstigen Dritten gegenüber vertritt er die Gesellschaft weder in gerichtlichen Verfahren noch beim Abschluss von Verträgen, führt also keine Verhandlungen und tätigt keine Abschlüsse. Er leitet die Gesellschaft nicht, gibt keine Erklärungen – auch keine Presseerklärungen! – für diese ab; allenfalls teilt er durch seinen Vorsitzenden die Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern mit.125

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2. Der Bericht an die Hauptversammlung Die einzige reguläre Verlautbarung des Aufsichtsrats erfolgt gegenüber der Hauptversammlung. Dieser gegenüber ist er einmal jährlich berichtspflichtig (§ 171 Abs. 2 AktG). Dazu näher Rz. 562 ff.

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3. Aufsichtsrat und Betriebsrat Die Hauptversammlung ist der einzige Adressat des Berichts des Aufsichtsrats. Dieser steht als solcher in keinerlei besonderer Beziehung zum Betriebsrat; dessen Ge-

122 BGH v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 = AG 2007, 86. 123 BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, AG 2019, 298 = ZIP 2019, 564; dazu Wachter, DB 2019, 951. 124 Einzelne Aufsichtsratsmitglieder können dabei als Erklärungs-, nicht aber als Willensvertreter tätig werden, OLG München v. 5.3.2015 – 23 U 2384/14, AG 2015, 402 = NZG 2015, 706. Sofern der Aufsichtsrat das Aushandeln eines Vertrags einem seiner Mitglieder überlassen hat, hat der Aufsichtsrat über das Verhandlungsergebnis Beschluss zu fassen. 125 Vgl. auch Zenner in Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 2018, § 3 Rz. 228 f.

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§ 1 Rz. 42 | Übersicht

sprächspartner ist der Vorstand. Aber nichts steht entgegen, wenn der Aufsichtsrat etwa den Betriebsrat zu einem Informationsgespräch einlädt. 4. Der Aufsichtsrat als Kollegialorgan 43

Der Aufsichtsrat hat je nach Größe der Gesellschaft mit dem für sie geltenden Mitbestimmungsmodell mindestens 3 und höchstens 21 Mitglieder, § 95 AktG, ist also notwendigerweise Kollegialorgan. Er nimmt daher durch Beschlüsse und sonstige Maßnahmen des Kollegiums seine Rechte wahr und übt seine Pflichten aus. Das einzelne Mitglied hat nur innerhalb des Kollegiums seine Aufgaben zu erfüllen, nur innerhalb des Kollegiums hat das einzelne Mitglied Rechte und Pflichten, nicht aber als einzelnes Aufsichtsratsmitglied persönlich126. Selbst der besondere Informationsanspruch des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nach § 90 Abs. 3 AktG geht auf Unterrichtung des gesamten Aufsichtsrats, nicht (nur) des einzelnen Mitglieds. Von dieser Regel gibt es nur eine Ausnahme: wenn ein Aufsichtsratsmitglied durch einen Beschluss des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG mit besonderen Prüfungsaufgaben in der Gesellschaft beauftragt worden ist; das aber kommt selten genug vor, da der Aufsichtsrat in einer solchen offenbar kritischen Situation entweder den Abschlussprüfer oder einen außenstehenden Sachverständigen mit der notwendigen Untersuchung beauftragen wird. 5. Gespräche mit Aktionären und Investoren

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Trotz dieser klaren Gesetzeslage hat sich eine breite Diskussion darüber entwickelt, ob jedenfalls der Aufsichtsratsvorsitzende berechtigt oder gar verpflichtet ist, auf Gesprächswünsche von Aktionären und Investoren einzugehen. Das ist tatsächlich der Fall – näher § 11 Rz. 680.

126 OLG Stuttgart v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873.

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§2 Der Aufsichtsrat als Element einer modernen und leistungsfähigen Unternehmensführung – Corporate Governance I. Überblick Schwere Unternehmenskrisen und Unternehmenszusammenbrüche in den 90er Jahren1 hatten zunehmend Zweifel am Aufsichtsrat und seiner Leistungsfähigkeit genährt2. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die eher passive Haltung des Aufsichtsrats den hohen Anforderungen moderner Unternehmensführung3 kaum mehr gewachsen war4. Diese Feststellung hat in der Folge zu einer Fülle von Vorschlägen zur Verbesserung der Aufsichtsrats-Arbeit geführt5. Dabei gingen die Auffassungen vor allem darüber auseinander, ob der Gesetzgeber mit entsprechenden zwingenden Vorschriften eingreifen solle oder Appelle an den Aufsichtsrat genügen6. Der Gesetzgeber hat sich im KonTraG von 1998 zu einem Kompromiss entschlossen, indem er relativ wenige neue zwingende Normen für den Aufsichtsrat geschaffen, zusätzlich aber einige Normen entwickelt hat, die das Verhalten des jeweiligen Aufsichtsrats und seiner Mitglieder in bestimmter Weise steuern sollen („Anregungsnormen“7). So empfiehlt das Gesetz erst seit 2009 und in Umsetzung einer entsprechenden Vor-

1 Von Co-op über Balsam und Metallgesellschaft bis zu Holzmann. 2 Schilling, Der Aufsichtsrat ist für die Katz, FAZ Nr. 199 vom 27.8.1994, S. 11; Bremeier/ Mülder/Schilling, Praxis der Aufsichtsratstätigkeit in Deutschland, 1994. 3 Die deutsche und internationale Literatur zum Thema „Corporate Govenance“ ist kaum mehr überschaubar; verwiesen sei daher vor allem auf Feddersen/Hommelhoff/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996; Hommelhoff/Hopt/v. Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2010; Hopt/Kanda/Roe/Wymeersch/Prigge (Hrsg.), Comparative Corporate Governance, 1996; Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 7. Aufl. 2018; Hopt, Corporate Governance: Aufsichtsrat oder Markt, Dritte Max Hachenburg Gedächtnisvorlesung, 1998; Hopt, Gemeinsame Grundsätze der Corporate Governance in Europa, ZGR 2000, 779; Lutter, Vergleichende Corporate Governance, ZGR 2001, 215 und JurA 2002, 83 sowie die Abhandlungen in GesR 2002, Sonderheft „Corporate Governance“; Becker/v. Werder, Der Deutsche Corporate Governance Kodex im internationalen Vergleich, AG 2016, 761; Habersack, Der Aufsichtsrat im Visier der Kommission, ZHR 168 (2004), 373; Hommelhoff, Aufwüchse in der externen Corporate Governance, AG 2016, 684; Wackerbarth, Investorenvertrauen und Corporate Governance, ZGR 2005, 686; je mit vielen weiteren Nachw. 4 Deutlich Böckli in FS Reist, 1992, S. 3 ff. und Mertens, Kölner Komm. AktG, 1. Aufl., Vorb. § 95 Rz. 2. 5 Vgl. nur Lutter, ZHR 159 (1995), 287 ff. 6 Etwa Lutter, ZHR 159 (1995), 287 ff. einerseits, Hopt und Mertens, AG 1997, Sonderheft „Die Aktienrechtsreform 1997“ andererseits. 7 Die Formulierung stammt von Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249 ff.

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§ 2 Rz. 44 | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung

schrift der geänderten 8. EU-Richtlinie8 die Bildung eines Prüfungsausschusses in börsennotierten Gesellschaften und verlangt vom Aufsichtsrat einer solchen Gesellschaft in seinem Bericht an die Hauptversammlung weitere Angaben darüber, ob und welche (anderen) Ausschüsse er gebildet hat, § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG, regt also zur Bildung weiterer Ausschüsse nachdrücklich an. Der (alte) Kodex hat in Ziff. 5.3.2 von Anfang an die Bildung eines Prüfungsausschusses empfohlen (künftig Empfehlung D.3 DCGK 2020) und seit 2007 auch die eines Nominierungsausschusses (Ziff. 5.3.3 DCGK a.F. bzw. Empfehlung D.5 DCGK 2020).

II. Neuerungen durch das KonTraG von 1998 45

Das Gesetz hat viele Detail-Änderungen gebracht9, die sich – zum Teil an die Aufsichtsratsmitglieder selbst wenden: so zählt für die Höchstzahl von zehn Aufsichtsratssitzen, die eine Person nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG halten darf, der Vorsitz in einem Aufsichtsrat doppelt (§ 100 Abs. 2 Satz 3 AktG), – zum Teil seine Pflichten berühren: so die Pflicht zur Überwachung des vom Vorstand einzurichtenden Risikomanagementsystems nach § 91 Abs. 2 AktG und die Pflicht, den Abschlussprüfer zu seiner Sitzung über den Jahresabschluss einzuladen und anzuhören nach § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG – oder seine Rechte ausweiten: so seine Zuständigkeit für den Abschluss des Vertrages mit dem Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG). Vor allem aber betreffen diese Neuerungen – wie soeben schon angedeutet – das Verhältnis des Aufsichtsrats zum Abschlussprüfer (dazu Rz. 171 ff.).

III. Neuerungen durch das TransPuG von 2002 46

Die von der Bundesregierung im Jahre 2001 eingesetzte Kommission „Corporate Governance“ hat rund 100 Vorschläge zur Änderung des Aktiengesetzes und des Handelsgesetzbuchs vorgelegt10. Davon hat das Transparenz- und PublizitätsG von 200211 eine Reihe aufgegriffen. Für den Aufsichtsrat sind davon mehrere Gesetzesänderungen von erheblicher Bedeutung, nämlich: – Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG ist in den Jahres-Berichten nach § 90 Abs. 2 i.V.m. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG des Vorstands an den Aufsichtsrat auch auf 8 Richtlinie 2006/43/EG vom 17. Mai 2006, ABl. EG Nr. L 157 v. 9.6.2006, S. 87 ff., umgesetzt als § 107 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 AktG. 9 Eingehend dazu Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249 ff. und Feddersen, AG 2000, 385 ff. 10 Vgl. Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001. 11 BGBl. I 2002, 2681 ff.

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Neuerungen durch MoMiG 2008 | Rz. 48 § 2

die Unternehmensplanung und auf etwaige Abweichungen von den Planungen mit Gründen einzugehen; – nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG haben diese Berichte mit gleichen Gegenständen auch auf die Konzernunternehmen einzugehen; – nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG kann jedes Aufsichtsratsmitglied auch allein einen Zusatzbericht vom Vorstand verlangen; – die Berichte sind möglichst rechtzeitig und in der Regel schriftlich („in Textform“) zu erstatten, § 90 Abs. 4 und 5 AktG; – Aufsichtsrats-Ausschüsse müssen regelmäßig über ihre Arbeit an den Gesamtaufsichtsrat berichten, § 107 Abs. 3 AktG; – der Aufsichtsrat kann nicht mehr nur, sondern er hat einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte zu verabschieden, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG; – und schließlich formuliert § 116 Satz 2 AktG: „Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet.“

IV. Neuerungen durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Haftungsrechts (UMAG) von 2005 Dieses Gesetz hat die Regeln zum Aufsichtsrat weder geändert noch ergänzt. Es hat aber in den Abs. 1 von § 93 AktG einen neuen Satz 2 eingefügt und damit die sog. Business Judgment Rule kodifiziert, die schon zuvor – durch die Rechtsprechung entwickelt12 – geltendes Recht war. Durch die Verweisung in § 116 AktG auf § 93 AktG gilt das mithin auch für den Aufsichtsrat (näher Rz. 986 ff.)13.

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V. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) von 2008 Dieses Gesetz ist das große Reformgesetz für die GmbH, hat aber im HuckepackVerfahren vor allem für die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Gesellschaften eine Verlängerung der Verjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre für Schadensersatzansprüche gegen sie gebracht (§ 93 Abs. 6 AktG). Ist der Aufsichtsrat ausnahmsweise für die Gesellschaft vertretungsberechtigt (§ 112 AktG) und geht ihm in diesem Zusammenhang eine Willenserklärung zu (z.B. Kündigung des Vorstands), so ist jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied empfangsberechtigt.

12 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377 (ARAG). 13 Eingehend dazu Lutter, Die Business Judgment Rule und ihre praktische Anwendung, ZIP 2007, 97.

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§ 2 Rz. 49 | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung

VI. Neuerungen durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) von 2009 49

Dieses Gesetz ist das große Reformgesetz für die Bilanz der Unternehmen, die nicht nach IFRS bilanzieren müssen oder dürfen, unter gleichzeitiger Umsetzung von drei EU-Richtlinien. Auch diesem Gesetz wurden einige neue aktienrechtliche Regelungen angefügt: 1. In Umsetzung von Art. 41 der (neuen) Abschlussprüferrichtlinie von 200614 verlangen Abs. 5 von § 100 AktG und Abs. 4 von § 107 AktG seither den BilanzSachverständigen im Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss. Das Merkmal der „Unabhängigkeit“ dieses Sachverständigen ist durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) von 17.3.2016 wieder gestrichen worden (vgl. Rz. 54). 2. Ebenfalls in Umsetzung von Art. 41 der Abschlussprüferrichtlinie verlangen § 171 Abs. 1 Sätze 2 und 3 AktG vom Abschlussprüfer Angaben zu etwaigen Mängeln des Kontroll- und Risikomanagementsystems der Gesellschaft sowie zu Umständen, die seine eigene Unabhängigkeit in Frage stellen könnten. 3. Schließlich wurde § 161 AktG mit seiner jährlichen Erklärungspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat zum Kodex geändert und erweitert: a) Lehnen Vorstand und Aufsichtsrat eine Empfehlung des Kodex ab, so war das früher nur aufgrund einer Kodex-Empfehlung zu begründen (Ziff. 3.10 DCGK a.F.). Das ist in § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG Gesetz geworden15. b) Schon früher verlangte das Gesetz, dass die Erklärung dauerhaft öffentlich zugänglich sein musste. Das wurde in der Literatur einhellig als Erklärung auf der Internet-Seite der Gesellschaft interpretiert. Nunmehr verlangt das Gesetz das ausdrücklich, § 161 Abs. 2 AktG16. c) Und schließlich wurde der Kreis der erklärungspflichtigen Gesellschaften über die Börsengesellschaften hinaus auf so genannte börsennahe Gesellschaften ausgedehnt, die z.B. Anleihen ausgegeben haben, die an einem organisierten Markt gehandelt werden, § 161 Abs. 1 AktG17.

VII. Neuerungen durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) von 2009 50

Neben den neuen eingehenden Regeln zur Vergütung des Vorstands (näher dazu Rz. 395 ff.) enthält auch dieses Gesetz einige allgemeine neue Regeln zum Aufsichtsrat, nämlich: 14 15 16 17

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Abgedruckt und erläutert bei Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, S. 906 ff. Vgl. dazu Lutter, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 161 Rz. 87 f. Vgl. dazu Lutter, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 161 Rz. 104. Lutter, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 161 Rz. 35 und Lutter in Kremer/Bachmann/ Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1805.

Neuerungen durch Aktienrechtsnovelle 2016 | Rz. 53 § 2

1. In § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG die so genannte zweijährige „cooling-off“-Periode für ehemalige Vorstandsmitglieder, ehe sie in den Aufsichtsrat ihrer Gesellschaft gewählt werden dürfen (Rz. 20). 2. In § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG (jetzt Satz 4) die Regel, dass Vorstandsverträge nicht in einem Ausschuss abschließend behandelt werden dürfen, sondern vom Gesamtaufsichtsrat beschlossen werden müssen. 3. Und schließlich in § 116 Satz 3 AktG die Drohung, dass die Aufsichtsratsmitglieder der Gesellschaft gegenüber persönlich haften, wenn sie eine unangemessene Vorstandsvergütung festlegen.

VIII. Das Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) von 2009 Das ARUG hat zwar eine große Zahl von Neuerungen bei der Hauptversammlung, ihrer Vorbereitung und ihrem Ablauf gebracht, aber keine neuen Regeln zum Aufsichtsrat.

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IX. Neuerungen durch das Gesetz über die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen von 2015 Nach der neu eingeführten „Frauenquote“ muss der Aufsichtsrat bei erforderlichen Neuwahlen und Entsendungen ab dem 1.1.2016 nach § 96 Abs. 2 AktG bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft (oder KGaA), die der Mitbestimmung nach dem MitbestG, dem MontanMitbestG oder dem MitbestErgG unterfällt, jeweils zu mindestens 30 % aus Frauen und Männern bestehen (näher Rz. 30).

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X. Neuerungen durch die Aktienrechtsnovelle 2016 Der Gesetzgeber hatte sich seit Ende 2010 mit einer Aktienrechtsnovelle befasst, die erst mit Inkrafttreten am 31.12.2015 ihren Abschluss gefunden hat18. Die Novelle hatte es zwischenzeitlich als „Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG)“ bis zum Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestags am 27.6.2013 gebracht19. Auf Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses20 rief der Bundesrat in seiner Sitzung vom 20.9.2013 den Vermittlungsausschuss an. Damit konnte das Gesetz in der 17. Legislaturperiode nicht mehr zustande kommen. Auslöser war insbesondere die

18 Zur wendungsvollen Gesetzgebungsgeschichte Stöber, DStR 2016, 611. 19 Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 27.6.2013, BR-Drucks. 637/13. 20 Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses vom 9.9.2013, BRDrucks. 637/1/13.

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§ 2 Rz. 53 | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung

seinerzeit vorgesehene say on pay-Regelung. Das VorstKoG sah eine Änderung des Abs. 4 von § 120 AktG dahingehend vor, dass die Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft jährlich über das System des Aufsichtsrats zur Vergütung des Vorstands sollte beschließen müssen und dieser Beschluss für den Aufsichtsrat positiv oder negativ verbindlich sein sollte. Der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft hätte damit die Autonomie über die Vergütung des Vorstands verloren; er wäre auf die Zustimmung der Hauptversammlung angewiesen gewesen21. Dieses Vorhaben wurde erst in der neuen Aktionärsrechterichtlinie und dem diese umsetzenden ARUG II wieder aufgegriffen, dessen Ergebnis § 120a AktG ist. Verbindlich ist das Hauptversammlungsvotum zum Vergütungssystem des Vorstands aber auch danach nicht, § 120a Abs. 1 Satz 2 AktG. Der Name „Aktienrechtsnovelle 2016“ suggeriert nun eine größere Reform. Vorgenommen worden sind aber nur punktuelle Änderungen, die den Aufsichtsrat in zwei Hinsichten betreffen: – Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder muss nach § 95 Satz 3 AktG nur noch dann durch drei teilbar sein, wenn dies zur Erfüllung mitbestimmungsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist. Dies ist nur bei Gesellschaften der Fall, die der Mitbestimmung nach dem DrittelbG unterfallen, § 4 Abs. 1 DrittelbG (Rz. 8). – Vertreter von Gebietskörperschaften, mithin der öffentlichen Hand, im Aufsichtsrat unterliegen nach § 394 Satz 1 AktG hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keinerlei Verschwiegenheitspflicht.“ Die Verschwiegenheitspflicht geht nach § 395 AktG auf den Empfänger dieser Berichte über. § 394 AktG hat einen neuen Satz 3 mit folgendem Wortlaut erhalten: Die Berichtspflicht nach Satz 1 kann auf Gesetz, auf Satzung oder auf dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteiltem Rechtsgeschäft beruhen.“ Das bedeutet eine deutliche Erweiterung solcher Berichtspflichten; insbesondere können diese nun in der Satzung der betreffenden Gesellschaft festgelegt werden. Vgl. auch dazu noch Rz. 1431 f.

XI. Neuerungen durch das Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) von 2016 54

Dieses Gesetz hat in Umsetzung der Abschlussprüferrichtlinie 2014/56/EU für den Aufsichtsrat vor allem drei Neuerungen gebracht: 1. Die Anforderungen an die persönlichen Voraussetzungen der Mitglieder von Aufsichtsrat und Prüfungsausschuss in §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG wurden geändert: Zwar ist das durch das BilMoG eingeführte Erfordernis der „Unabhängigkeit“ des Finanzexperten entfallen, dafür müssen die Mitglieder des Aufsichtsrats

21 Ähnlich schon immer die Rechtslage in der paritätisch mitbestimmten GmbH, wo die Gesellschafter verbindliche Vergütungsrichtlinien erlassen können, näher dazu Rz. 1136.

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Neuerungen durch ARUG II 2019 | Rz. 55 § 2

und des Prüfungsausschusses „in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein.“ Vgl. dazu Rz. 27. 2. Die von Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss bei der Abschlussprüfung zu überwachenden Vorgänge sind in APVO und HGB nun detaillierter geregelt (vgl. Rz. 171 ff.). Verstöße, etwa gegen die Pflicht zur Überwachung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, können hier nach den neuen §§ 405 Abs. 3b-3d, 404a AktG strafrechtlich verfolgt werden. 3. Schließlich wurde der Kreis der betroffenen Unternehmen in Umsetzung der Richtlinie von kapitalmarktorientierten Gesellschaften i.S. des § 264d HGB auch auf bestimmte Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen ausgedehnt, vgl. §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG.

XII. Neuerungen durch das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) von 2019 Ziel der am 17.5.2017 verabschiedeten Richtlinie (EU) 2017/828 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG ist es, die Mitwirkung der Aktionäre in ihren jeweiligen börsennotierten Gesellschaften zu verbessern sowie die grenzüberschreitende Information unter Aktionären und die Ausübung von Aktionärsrechten zu erleichtern. Für den Aufsichtsrat bringt das vor allem zwei Änderungen mit sich: Zum einen bedürfen Geschäfte mit nahestehenden Personen (related party transactions) i.S. des § 111a AktG ab einer gewissen Größenordnung der Zustimmung des Aufsichtsrats oder eines nach § 107 Abs. 3 Satz 4 bis 6 AktG gebildeten Ausschusses (§ 111b Abs. 1 AktG), wobei an dem Geschäft beteiligte Aufsichtsratsmitglieder nicht mitstimmen (§ 111b Abs. 2 AktG) bzw. nicht Ausschussmitglied sein (§ 107 Abs. 3 Satz 5 AktG) dürfen. Damit entscheidet sich der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung von Art. 9c ARRL dagegen, für diese Geschäfte einen Zustimmungsvorbehalt der Hauptversammlung zu begründen, wie es Art. 9c Abs. 4 Satz 1 ARRL auch ermöglicht hätte („durch die Hauptversammlung oder das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Gesellschaft“). Nur dann, wenn der Aufsichtsrat seine Zustimmung verweigert, kann der Vorstand verlangen, dass die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt (§ 111b Abs. 4 Satz 1 AktG). Geschäfte mit nahestehenden Personen sind zudem öffentlich bekannt zu machen nach Maßgabe von § 111c AktG22. Zum anderen ist die Vergütung von Aufsichtsräten und Vorständen betroffen: In Umsetzung von Art. 9a ARRL sieht § 120a Abs. 1 AktG vor, dass die Hauptversammlung mindestens alle vier Jahre über die Billigung des vom Aufsichtsrat nach § 87a Abs. 1 AktG beschlossenen Vorstandsvergütungssystems abstimmt. Mit diesem muss die durch den Aufsichtsrat festgesetzte künftige Vergütung der Vorstandsmitglieder grundsätzlich übereinstimmen (§ 87a Abs. 2 AktG). Abweichend vom bisherigen § 120 Abs. 4 Satz 1 AktG, der nur eine rein freiwillige Vorlagemöglichkeit des 22 Dazu Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2441 ff.

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§ 2 Rz. 55 | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung

Vergütungssystems an die Hauptversammlung vorsah, ist die Abstimmung in der Hauptversammlung über das Vorstandsvergütungssystem nun verpflichtend. Die Missbilligung begründet zwar weiterhin weder Rechte noch Pflichten (§ 120a Abs. 1 Satz 1 AktG). Allerdings hat sie zur Folge, dass der Aufsichtsrat der Hauptversammlung spätestens in der nächsten Hauptversammlung ein überprüftes Vergütungssystem vorlegen muss (§ 120a Abs. 3 AktG). Zudem ist die Missbilligung im Internet zu veröffentlichen (§ 120a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG). Auch über die Aufsichtsratsvergütung hat die Hauptversammlung nach § 113 Abs. 3 AktG mindestens alle vier Jahre Beschluss zu fassen. In Umsetzung von Art. 9b ARRL haben Vorstand und Aufsichtsrat zudem „jährlich einen klaren und verständlichen“ Vergütungsbericht für das vergangene Geschäftsjahr zu erstellen (§ 162 Abs. 1 AktG), über dessen Billigung die Hauptversammlung ebenfalls beschließen muss (§ 120a Abs. 4 Satz 1 AktG)23.

XIII. Der Deutsche Corporate Governance Kodex 56

Die in Rz. 46 erwähnte Kommission „Corporate Governance“ hat internationalen Erfahrungen folgend24 auch die Erarbeitung eines Deutschen Corporate Governance Kodex vorgeschlagen. Die Bundesregierung ist auch diesem Vorschlag gefolgt und hat eine neue Kommission zur Erarbeitung des Kodex eingesetzt. Dieser Kodex wurde im Jahre 2002 verabschiedet25. Der Kodex und seine Regeln sind für die betreffenden Gesellschaften nicht verpflichtend, doch müssen Vorstand und Aufsichtsrat jeder börsennotierten Gesellschaft jährlich erklären, ob sie die Regeln dieses Kodex eingehalten haben und einhalten werden oder warum sie davon abgewichen sind („comply or explain“). Rechtsgrundlage ist der vom Bundesgesetzgeber im TransPuG (Rz. 46) geschaffene § 161 AktG26 mit folgendem Wortlaut: „(1) Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft erklären jährlich, dass den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im amtlichen Teil des Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. ... (2) Die Erklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen.“

23 Überblick zum Regierungsentwurf (RegE) vom 20.3.2019 bei Löbbe/Fischbach, AG 2019, 373 und Schmidt, EuZW 2019, 261. 24 Vgl. nur Hopt, ZGR 2000, 779 und Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), Corporate Governance in Deutschland, 2001 sowie Böckli, SZW 1999, 1 ff. 25 Der Kodex ist in seiner jeweils neuesten Fassung abrufbar unter www.dcgk.de; vgl. dazu auch den Kommentar von Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, 7. Aufl. 2018 und Peltzer, Deutsche Corporate Governance – Ein Leitfaden, 2. Aufl. 2004. 26 Die Vorschrift wurde durch das BilMoG vom 25.5.2009 neu gefasst.

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DCGK | Rz. 56 § 2

Die Aufsichtsräte und (Vorstände) börsennotierter Aktiengesellschaften müssen also seit 2002 in jedem Jahr öffentlich erklären, ob sie den Empfehlungen des Kodex gefolgt sind, folgen werden und wo und warum sie abgewichen sind27. Die Befolgung des Kodex ist in die autonome Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Aktiengesellschaft gestellt. Dabei gehen die Kommission „Corporate Governance“ und der Gesetzgeber davon aus, dass der Kapitalmarkt diese Entscheidung entsprechend positiv oder negativ honoriert28. Wird die Erklärung positiv abgegeben, so sind Vorstand und Aufsichtsrat naturgemäß gehalten, die Empfehlungen des Kodex auch zu beachten29, soweit sie nicht eine „Gegenerklärung“ beschlossen und erneut publiziert haben30. Geschieht das nicht, drohen Schadensersatzansprüche (dazu Rz. 995) und außerdem können die Vorstände und Aufsichtsräte nicht entlastet werden bzw. ist der Hauptversammlungsbeschluss über ihre Entlastung anfechtbar31 (dazu Rz. 516). Für eine Abweichung eines Wahlvorschlags von den Empfehlungen des DCGK (zu viele sonstige Mandate des Aufsichtsratskandidaten) hat der BGH aber jüngst entschieden, dass dadurch nicht die Wirksamkeit der Wahl beeinflusst wird, auch wenn zuvor eine Entsprechenserklärung abgegeben worden war. Der BGH begründet zum einen damit, dass § 161 AktG mit entsprechenden Auswirkungen auf § 243 Abs. 1, 4 Satz 1 AktG keine „spezifisch hauptversammlungsbezogenen Informationspflichten“ begründe, andererseits damit, dass eine Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung erst entstehe, wenn der gewählte Kandidat die Wahl auch annimmt.32 Die Empfehlungen des Kodex sind, soweit sie für den Aufsichtsrat relevant sind, in diesem Buch ausdrücklich berücksichtigt33. Sie werden auch von den börsennotierten Gesellschaften in einem ganz hohen Maße (rd. 90 %) eingehalten34, so dass es für die einzelne Gesellschaft faktisch immer schwieriger wird, sich auszuschließen. 27 Zu dieser Erklärung vgl. Rz. 510 ff. sowie Lutter, Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex, ZHR 166 (2002), 523, und Lutter in FS Huber, 2006, S. 871 ff. 28 Vgl. zur Honorierung guter Corporate Governance durch den Kapitalmarkt McKinsey, Investor Opinion Survey, June 2000, Appendix; skeptisch Mahr/Rott/Nowak, ZGR 2005, 252. 29 Vgl. dazu BGH v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 = AG 2010, 452; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 140 ff. sowie Lutter in FS Druey, 2002, S. 463 ff. und Goette, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 161 Rz. 77. 30 Im Zweifel ist dazu der Vorstand wegen der Kursrelevanz des Vorgangs schon nach Art. 17 Abs. 1 der Marktmissbrauchsverordnung verpflichtet. 31 BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, ZIP 2012, 1807 = AG 2012, 712 (Fresenius). 32 BGH v. 9.10.2018 – II ZR 78/17, AG 2019, 176 = ZIP 2019, 322; kritisch Scholz, ZIP 2019, 407. 33 Im Übrigen vgl. dazu Lutter, GesRZ 2002, Sonderheft, S. 19 ff. und die Kommentierung des § 161 AktG durch Lutter in Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 34 Vgl. dazu die jährlichen Berichte von v. Werder/Böhme, Corporate Governance Report 2011, DB 2011, 1285, v. Werder/Bartz, Corporate Governance Report 2012, DB 2012, 869; v. Werder/Bartz, Corporate Governance Report 2013, DB 2013, 885; v. Werder/Bartz, Corporate Governance Report 2014, DB 2014, 905; v. Werder/Turkali, Corporate Governance Report 2015, DB 2015, 1357.

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§ 2 Rz. 56a | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung 56a

Am 22.5.2019 hat die Regierungskommission DCGK nach einem mehrmonatigen Konsultationsprozess den Entwurf eines neuen Kodex vorgestellt. Um möglicherweise notwendige Anpassungen an die endgültige neue Fassung des Aktiengesetzes durch das ARUG II nachvollziehen zu können, hatte die Regierungskommission mit der Finalisierung des neuen Kodex den Abschluss des entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens abgewartet. Diese Vorgehensweise hat sich als sinnvoll erwiesen, da der Gesetzgeber in dem zum 1.1.2020 in Kraft getretenen ARUG II noch Änderungen an den Bestimmungen zur Vorstandsvergütung vorgenommen hat, die im Kodex nachvollzogen werden mussten. Materielle Änderungen am Kodexentwurf waren nicht notwendig. Die Regierungskommission hat gegenüber dem Entwurf vom 22.5.2019 durch redaktionelle Anpassungen und Kürzungen zu einer noch besseren Klarheit und Verständlichkeit beigetragen. Die Regierungskommission hat am 23.1.2020 die am 16.12.2019 beschlossene neue Fassung des Kodex dem BMJV übermittelt. Der neue Kodex wird mit der dann folgenden Veröffentlichung durch das Ministerium im elektronischen Bundesanzeiger in Kraft treten35. Wie bisher wird zwischen „Empfehlungen“ und „Anregungen“ unterschieden, so dass § 161 AktG unverändert weiter gelten kann. Hinzugekommen sind „Grundsätze“, die vor allem das geltende Gesetzesrecht referieren. In diesem Buch ist der neue Kodex (DCGK 2020) eingearbeitet.

XIV. Der Aufsichtsrat als mit-unternehmerisches Organ der Gesellschaft 1. Überblick 57

Die Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 1 AktG) wurde traditionell retrospektiv gesehen: Was ist in den letzten drei oder zwölf Monaten geschehen, lautete die Frage. Es ging um Rechenschaft für Vergangenes. Das genau entspricht auch der historischen Entstehung des Aufsichtsrats vor über 100 Jahren: Die praktische Unmöglichkeit der Hauptversammlung, die Geschäftsführung des Vorstands (allein) zu kontrollieren, führte zur Schaffung des Aufsichtsrats als Pflicht-Organ. 2. Erweiterung der Aufgaben des Aufsichtsrats

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a) Diese retrospektive Betrachtung und Aufgabenstellung für den Aufsichtsrat hat sich in nur knapp 20 Jahren von 1991–2009 durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes36, das KonTraG (Rz. 45) und das TransPuG (Rz. 46), das MoMiG 35 S. dazu die Pressemitteilung der Regierungskommission vom 23.1.2020 unter www.dcgk. de. 36 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = AG 1991, 312: „Die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen, enthält die Pflicht, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten.“ BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 255 = AG 1997, 377 (ARAG): „... wo er (der Aufsichtsrat) die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands im Sinne einer präventiven Kontrolle begleitend mitgestaltet.“

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Aufsichtsrat als mit-unternehmerisches Organ | Rz. 59 § 2

(Rz. 48), das BilMoG (Rz. 49), das VorstAG (Rz. 50), das AReG (Rz. 54) und das ARUG II (Rz. 55) geradezu dramatisch geändert im Sinne einer Erweiterung der Aufgaben des Aufsichtsrats als Organ sowie der Rechte und Pflichten seiner Mitglieder. Der Aufsichtsrat bleibt wie bisher zuständig für die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands (dazu §§ 3 und 4). Zugewachsen ist dem Aufsichtsrat aber seither die weitere Aufgabe eines mitunternehmerischen, beratenden und mitentscheidenden Unternehmensorgans. Der Aufsichtsrat ist heute mitverantwortlich für die Führung der Gesellschaft und des Konzerns, er hat nicht mehr nur retrospektive, sondern betont zukunftsorientierte Aufgaben37. Er hat diese Aufgaben selbstverständlich nicht allein, sondern zusammen mit dem Vorstand wahrzunehmen38. Die Annahme dieser gewichtigen Aufgaben und ihrer Ausfüllung ist Sache jeder einzelnen Person, jedes Mitglieds. Gesetz, Rechtsprechung, Lehre und Kodex können nur Vorgaben machen. Im Übrigen muss man hoffen, dass diese Vorgaben in dem gedachten aktiven, mit-unternehmerischen Sinne auch tatsächlich ausgefüllt und übernommen werden. b) Diese gestiegenen Aufgaben haben zweierlei zur Folge: Zum einen kann nicht jedes Aufsichtsratsmitglied den gestiegenen sachlichen Anforderungen vollständig gerecht werden. Es kommt also auf die richtige personelle Besetzung des Aufsichtsrats an derart, dass alle erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen in ihm vertreten sind. § 100 Abs. 5 AktG verlangt nunmehr von den Mitgliedern des Aufsichtsrats in ihrer Gesamtheit, dass sie mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen. Darauf wurde bereits in Rz. 27 und 28 hingewiesen und darauf weist auch Grundsatz 11 DCGK 2020 zutreffend hin. Die befragten Aufsichtsräte selbst nennen eine „kompetenzorientierte Besetzung“ als wichtigstes Mittel zur Bewältigung ihrer Aufgaben39. Darüber hinaus aber verlangt diese starke Erweiterung der Aufgaben von jedem Aufsichtsratsmitglied ein deutlich größeres Zeitbudget; auch darauf weist der Kodex in Grundsatz 12 DCGK 2020 zu Recht hin.

37 Hopt, ZGR 2019, 507, 523 und 543; Lutter, Der Aufsichtsrat: Kontrolleur oder Mitunternehmer? in FS Albach, 2001, S. 225 ff.; ähnlich schon früher Gutenberg, ZfB 1970, Ergänzungsheft, S. 1 ff. Sehr kritisch dieser These gegenüber Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Vorb. § 95 Rz. 10. 38 So ausdrücklich auch der Kodex: „Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat“ (Abschnitt 3 DCGK a.F.) bzw. „Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten zum Wohle des Unternehmens vertrauensvoll zusammen“ (Grundsatz 13 DCGK 2020). 39 Ruhwedel/Peth, Der Aufsichtsrat 2010, 170 f.; Börsig/Löbbe in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 125 ff.

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§ 2 Rz. 60 | Der Aufsichtsrat als Element der Unternehmensführung

3. Verbindung der Vorzüge von board-Verfassung und AufsichtsratsVerfassung 60

Idealtypisch verbindet diese neue Festlegung der Aufgaben des Aufsichtsrats die Vorteile der weltweit führenden monistischen board-Verfassung (alle Organmitglieder sind zuständig für die strategischen und unternehmenspolitischen, zukunftsorientierten Entscheidungen) mit den Vorzügen der dualistischen Aufsichtsrats-Verfassung (Existenz auch einer Kontrollinstanz, die im board-System fehlt)40.

40 Börsig/Löbbe in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 131 ff.; vgl. dazu auch Böckli in Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 255 ff. und Hopt, ZGR 2910, 507, 515 ff.

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§3 Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat I. Überblick Der Aufsichtsrat hat als wichtigste, ständige und unabdingbare Aufgabe gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen. Die gleiche Aufgabe trifft ihn gemäß § 268 Abs. 2 Satz 2 AktG gegenüber den Abwicklern einer aufgelösten Gesellschaft. Daneben steht – hier nur zu erwähnen – ein gewisser Einfluss des Aufsichtsrats auf Entscheidungen der Hauptversammlung, der aus seinem Beschlussvorschlagsrecht nach § 124 Abs. 3 AktG, aus seinem Teilnahmerecht an der Hauptversammlung (§ 118 Abs. 3 Satz 1 AktG) und der Befugnis zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 245 Nr. 5 AktG) resultiert. Im Zentrum seiner Tätigkeit aber steht die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands.

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Die Aufgabe umfasst zweierlei: Sie ist zum einen auf die Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands zur Verhinderung oder Aufdeckung von Fehlern gerichtet, zum anderen auf dessen Beratung. In einigen Angelegenheiten ist der Aufsichtsrat darüber hinaus zu echter Mitentscheidung berufen. Versagt ist es ihm hingegen, selbst die Geschäftsführung der Gesellschaft auszuüben: Die Leitung der Gesellschaft obliegt eigenverantwortlich allein dem Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG); weder können dem Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG), noch steht ihm die Möglichkeit zur Verfügung, den Vorstand zu einem bestimmten Verhalten rechtsverbindlich anzuweisen. Die Rechtsmacht des Aufsichtsrats erstreckt sich allenfalls auf die Verhinderung bestimmter Geschäftsführungsmaßnahmen, nicht aber auf deren positive Erzwingung.

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II. Gegenstand und Umfang, Prüfungsmaßstab und Grenzen der Überwachung nach § 111 Abs. 1 AktG 1. Überblick a) Der Vorstand ist zur Leitung der Gesellschaft verpflichtet und kann diese Aufgabe nicht delegieren1. Diese Leitung betrifft die Zielsetzung des Unternehmens, die Festlegung der Unternehmenspolitik und -strategie, die Unternehmensplanung, die Finanzierung, die Organisation und deren Kontrolle sowie die Besetzung der Führungsposititionen. Das zu überwachen ist auf jeden Fall Aufgabe des Aufsichtsrats. Seine Aufgabe geht jedoch weit darüber hinaus, weil sie auch Ergebniskontrolle der 1 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 Rz. 4 ff., 45 f.; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 Rz. 15 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 76 Rz. 10; Kort, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 76 Rz. 28 ff., 49 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 8 ff.; Bürgers in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 76 Rz. 6 ff., je mit allen Nachw.

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§ 3 Rz. 63 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

Leitung ist. Das zeigt die regelmäßige Information des Aufsichtsrats über die Entwicklung der Gesellschaft nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 4 AktG hinsichtlich Umsatz und Ertrag. An einzelnen der Führungsaufgaben ist der Aufsichtsrat kraft Gesetzes beteiligt, wie etwa an der Unternehmensplanung2; im Übrigen muss er die regelmäßigen Informationen des Vorstands auswerten und ggf. ergänzende Informationen anfordern (dazu näher Rz. 93 ff.; dort auch zur Zweckmäßigkeit einer Informationsordnung). 64

b) Überwachung der Leitung des Unternehmens durch den Vorstand setzt Kenntnis des Unternehmens voraus: Was genau ist sein Gegenstand, was sein Ziel und auf welche Weise soll es erreicht werden; wo liegen seine Stärken, wo die Risiken, hat es mit seinen Produkten die Nase vorn und wie und in welchem Umfang und wo ist es im Ausland tätig? Erst auf diesem Hintergrund werden die Maßnahmen des Vorstands verständlich und kontrollierbar. Neu gewählte Aufsichtsratsmitglieder sollten sich daher unbedingt vor ihrer ersten Sitzung eine Woche lang durch den Vorstand und durch Mitarbeiter durch das Unternehmen führen und über es unterrichten lassen. Der Vorstand sollte das von sich aus anbieten. 2. Gegenstand und Umfang

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a) Gegenstand der Überwachung des Aufsichtsrats ist die Geschäftsführung. Anders als noch § 246 HGB in seiner alten, bis 1937 geltenden Fassung spricht das Gesetz heute nicht mehr von einer Überwachung der Geschäftsführung „in allen Zweigen der Verwaltung“. Einem derart umfassend beschriebenen Überwachungsauftrag könnte ein Aufsichtsrat nicht gerecht werden. Seine Aufgabe erstreckt sich daher nur auf die Leitungsmaßnahmen in der Gesellschaft; Überwachungsgegenstand ist somit die Tätigkeit des Vorstands, dem diese Leitung obliegt (§ 76 Abs. 1 AktG), nicht die des Personals3. Zu den Leitungsaufgaben gehört auch das von § 91 Abs. 2 AktG geforderte Risikomanagement4. Der Aufsichtsrat hat also zu prüfen, – ob der Vorstand ein solches System eingerichtet und dokumentiert5 hat und – dass es seine Aufgaben auch erfüllen kann. 2 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 50 ff. 3 Zu diesem Streit ausführlich Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 234 ff.; und Lutter, AG 2006, 517, 520, 521. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 277, unterscheiden zwischen Funktions- und Organkontrolle, wobei die Überwachung des Aufsichtsrats als Funktionskontrolle angesehen wird im Gegensatz zu Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 112, der als Gegenstand der Überwachung das Organ Vorstand erachtet. Eine solche Differenzierung ist nicht erforderlich, da die Geschäftsführung (Leitung) im Sinne des Gesetzes allein dem Vorstand zusteht, im Rechtssinne allein von ihm wahrgenommen wird, so dass Funktion und Organ zusammenfallen. Vgl. dazu auch Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 76 Rz. 21; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 7 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 Rz. 5; Dreist, Überwachungsfunktion, S. 81. 4 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 191 sowie Rz. 85 ff. 5 Dazu LG München v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, BB 2007, 2170 = AG 2007, 417.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 67 § 3

Insoweit hilft § 317 Abs. 4 HGB dem Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften, weil genau das auch der Abschlussprüfer zu prüfen hat. Das Gleiche gilt für die Einrichtung einer Internen Revision zur Vermeidung von Unterschlagungen und Bestechungen6 (Compliance)7. b) Die Schwerpunkte der so umrissenen Überwachungsaufgaben konkretisiert – neben § 171 Abs. 1 AktG (Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses samt Lagebericht, des Konzernabschlusses und Konzernlageberichts, und des Gewinnverwendungsvorschlags) und § 314 Abs. 1 AktG (Pflicht zur Prüfung des etwaigen Abhängigkeitsberichts) – vor allem § 90 Abs. 1 AktG mit seinen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat. Was dem Aufsichtsrat zu berichten ist, ist zugleich Gegenstand seiner Prüfung. Hierzu gehören vor allem die beabsichtigte Unternehmenspolitik und andere wesentliche Fragen der Unternehmensplanung, insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG)8. Daneben stehen alle anderen wesentlichen Fragen künftiger Tätigkeit des Unternehmens, d.h. alle anderen Führungsentscheidungen, die die Entwicklung des Unternehmens mittel- oder langfristig steuern, die von bedeutsamem Einfluss auf seine Vermögens-, Ertragsoder Finanzlage oder die Interessen seiner Belegschaft sind.

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Im Übrigen hat der Aufsichtsrat dem Gang der Geschäfte der Gesellschaft, ihrem Umsatz, ihrer Lage am Markt und ihrer finanziellen Situation ständig sein Augenmerk zu widmen (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AktG). Einzelne Rechtsgeschäfte oder andere Einzelvorgänge bedürfen seiner Prüfung aber nur dann, wenn sie von wesentlichem Einfluss auf Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft sein können oder aus anderen Gründen für sie von wesentlicher Bedeutung sind (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Satz 3 AktG)9. Der Beobachtung weniger gewichtiger Maßnahmen des Vorstands kann der Aufsichtsrat sich nicht nur enthalten, sondern er muss es auch. Um die Leitungsautonomie des Vorstands nicht zu beeinträchtigen, darf der Aufsichtsrat nicht als dessen ständiger Schatten fungieren, sondern hat seine Kontrolle auf bedeutsame Schwerpunkte der Vorstandstätigkeit zu konzentrieren10.

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6 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 172 f. 7 Dazu der Kodex in den Grundsätzen 5 und 15 sowie Empfehlungen A.2, D.3 und D.6 DCGK 2020; eingehend Hauschka/Moosmeyer/Lösler (Hrsg.), Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016 und Bachmann, Compliance-Rechtsgrundlagen und offene Fragen, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 66 ff. 8 Die Pflicht des Vorstands, dem Aufsichtsrat über die Unternehmensplanung Bericht zu erstatten, wurde erst mit dem KonTraG ausdrücklich in § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG aufgenommen, bestand jedoch auch schon davor, vgl. 3. Aufl., Rz. 24 und Lutter, Information und Vertraulichkeit, bereits in der 1. Aufl. 1979, S. 13 und in der 3. Aufl. 2006, Rz. 45 ff. sowie Lutter, AG 1991, 249 ff.; Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 291 f.; zur Unternehmensplanung näher Rz. 80 ff. 9 S. dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 61 ff. 10 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 113; ebenso Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 27.

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§ 3 Rz. 68 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat 68

c) Insbesondere unterliegt die Erledigung des laufenden Tagesgeschäfts im Einzelnen nicht der Überwachung durch den Aufsichtsrat11. Hier kann auch der Vorstand nicht über jede Maßnahme selbst befinden, sondern muss delegieren und hat sich darauf zu beschränken, die Ausführung seiner Leitungsentscheidung zu lenken, zu koordinieren und zu kontrollieren und für die ordentliche Besetzung nachgeordneter Entscheidungsträger zu sorgen; das allerdings ist unverzichtbare Leitungsaufgabe des Vorstands und insoweit auch Gegenstand der Überwachung durch den Aufsichtsrat.

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d) Überwachung der Geschäftsführung i.S. von § 111 Abs. 1 AktG bedeutet, dass diese auf das Organ Vorstand, d.h. die Gesamtheit seiner Mitglieder, gerichtet ist. Der Aufsichtsrat hat sich daher mit seinen Fragen, Bedenken und ggf. Beanstandungen zunächst an das Gesamtorgan zu wenden. Führt dieses Vorgehen zu keinem Ergebnis und insbesondere zu keiner Beseitigung der gerügten Mängel, so kann und muss er sich dann auf das zuständige Vorstandsmitglied sowohl bei der Ermittlung des relevanten Sachverhalts als auch bei der Ausübung von Einwirkungskompetenzen konzentrieren12.

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e) Überwachungsgegenstand ist – wie auch § 268 Abs. 2 Satz 2 AktG zeigt – die Geschäftsführung des Vorstands, nicht aber die Tätigkeit von Angestellten13. Sie zu leiten und zu beaufsichtigen ist Sache des Vorstands, der vom Aufsichtsrat daraufhin überwacht wird, ob er dieser Aufgabe ordnungsgemäß nachkommt. Nur heißt dies nicht, dass der Aufsichtsrat sich mit der Tätigkeit von Angestellten gar nicht zu befassen habe; sie ist lediglich kein selbständiges Überwachungsobjekt, spielt aber naturgemäß eine Rolle für die Frage, ob der Vorstand seinen Leitungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist. Der Aufsichtsrat überprüft in diesem Zusammenhang, ob die Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen auf leitende Angestellte

11 OLG Stuttgart v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, AG 2012, 762. Ebenso Theisen in Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 346; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 39. 12 v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 32 f.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 122 ff.; nur in Nuancen anders Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 24, wonach der Aufsichtsrat generell auch das einzelne Vorstandsmitglied zu überwachen hat; die sich daraus etwa ergebenden Beanstandungen muss er jedoch auch nach der Auffassung von Mertens/Cahn grundsätzlich gegenüber dem Gesamtvorstand geltend machen. 13 Ebenso Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 107 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 21, 25; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 26 (a.A. noch in der 1. Aufl., § 111 Rz. 32); Wendeling-Schröder, Divisionalisierung, S. 76 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 29; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 40 ff.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 342; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 22; Zenner in Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 2018, § 3 Rz. 94 ff.; weitergehend aber Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 234 ff.; a.A. Baumbach/Hueck, Komm. AktG, § 111 Anm. 5; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 4.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 71a § 3

zweckmäßig organisiert ist, ob die Personen entsprechend geeignet sind14 und vom Vorstand ausreichend überwacht werden. Problematisch ist dieser Aspekt nur bei Angestellten, die unterhalb des Vorstands maßgebliche Leitungsfunktion wahrnehmen (insbes. sog. Geschäftsbereichsleiter). Hat der Aufsichtsrat die Leitung der Gesellschaft zu überwachen, so liegt es zwar nahe, diese Aufgabe auch auf Angestellte dieser zweiten Hierarchie-Ebene zu erstrecken. So nimmt etwa Uwe H. Schneider15 an, die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats beziehe sich auch auf Mitarbeiter, die maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung grundlegender Entscheidungen beteiligt sind16. Auch Habersack17 meint, dass für den Umfang der Überwachung eher die Bedeutung und das Gewicht der fraglichen Maßnahmen für das Unternehmen entscheidend sei als die Frage, ob sie vom Vorstand oder von Angestellten ausgeführt worden sind oder werden sollen. Diesen gewiss naheliegenden Überlegungen ist nicht zu folgen, da andernfalls die klare Ordnung der Zuständigkeiten und der Verantwortung verloren gehen könnte. Kontrolliert der Aufsichtsrat „unten“, so mag sich der Vorstand „oben“ entpflichtet und entlastet fühlen. Das aber geht nicht an. Vor dem Hintergrund des § 76 AktG, der den Vorstand zu eigenverantwortlicher Leitung der Gesellschaft verpflichtet, dürfte die richtige Lösung eher darin liegen, durch die Betonung seiner Lenkungsund Kontrollpflichten in Bezug auf alle Tätigkeiten im Unternehmen und insbesondere auch in Bezug auf die zweite Hierarchiestufe, einem Rückzug des Vorstands aus seiner Leitungsaufgabe entgegenzuwirken. Bleiben die Fäden in dessen Hand und sorgt der Aufsichtsrat dafür, dann funktioniert das gesetzliche Überwachungssystem des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand, ohne dass es einer – auch schwerlich erfüllbaren – Ausdehnung der Überwachungspflicht auf weitere Hierarchiestufen bedürfte18.

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f) Die Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung besteht auch und gerade, wenn Algorithmen in die Entscheidungsfindung des Vorstands19 eingebunden sind. Grundsätzlich ist das immer denkbar, wenn es um Prognosen und nicht um Abwägungen geht. Die Überwachungsaufgabe im Rahmen des Einsatzes von Algorithmen und „Big Data“ ist jedenfalls im Grundsatz nichts Neues. In der Sache werden bei Algo-

71a

14 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 26; v. Schenck in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 34. 15 Uwe H. Schneider in Scholz, Komm. GmbHG, 11. Aufl. 2014, § 52 Rz. 90; a.A. jetzt Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 279. 16 Ähnlich Biener, BFuP 1977, 489, 491; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG, Rz. 173; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 3; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 70; Dreist, Überwachungsfunktion, S. 87; Schönbrod, Organstellung, S. 195; a.A. Semler, Leitung und Überwachung, S. 23; Semler in FS Döllerer, 1988, S. 571, 588; ausführlich zu Rechtsproblemen der Spartenorganisation Schwark, ZHR 142 (1978), 203 ff.; WendelingSchröder, Divisionalisierung, S. 76 f.; Schiessl, ZGR 1992, 64. 17 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 50; ebenso Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 4. 18 Zum Ganzen Lutter, AG 2006, 417 ff. 19 Dazu Möslein, ZIP 2018, 204 ff.

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§ 3 Rz. 71a | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

rithmen Daten verschiedenster Art in ein, vereinfacht gesprochen, numerisches System übersetzt und in einer mathematischen Formel anhand vordefinierter Kriterien einer automatisierten Bewertung unterzogen. Auch bisher schon hatte etwa der Vorstand einer Versicherungsgesellschaft auf der Grundlage von durchaus komplexen versicherungsmathematischen Berechnungen von Risiken und Prognosen zu entscheiden. Der Unterschied zur früheren Überwachung der mit Rechenmaschinen und Papier durchgeführten Berechnungen ist nunmehr vor allem, dass verwertbare Daten und deren Auswertung in immer größerem Umfang in immer mehr Lebensbereichen nutzbar gemacht werden können. Es handelt sich am Ende „nur“ um ein neu entwickeltes Hilfsmittel. 71b

Für die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats sind in diesem Zusammenhang drei Aspekte zu unterscheiden: Zum ersten hat der Vorstand nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Grundlage angemessener Informationen zu handeln, nach § 91 Abs. 2 AktG ein angemessenes Risikomanagement zu schaffen. Das kann auch die Berücksichtigung von Informationen, die durch computerisierte Datensammlung und -verarbeitung erlangt wird, bedingen. Ob der Spielraum des Vorstands dabei verlassen ist, unterliegt der Überwachung des Aufsichtsrats. Zum zweiten, wenn eine entsprechende Beteiligung des Algorithmus an der Entscheidungsfindung des Vorstands stattfindet, hat der Aufsichtsrat darüber zu wachen, dass computerisierte Prozesse die Vorstandsentscheidung nicht ersetzen, es also bei den Grundsätzen der Selbstorganschaft und der umfassenden Leitungsverantwortung des Vorstands bleibt. Das setzt vordefinierte Leitlinien für den Einsatz des Algorithmus, eine Letztentscheidungskompetenz des Vorstands sowie dessen fachliche Kompetenz zu Verständnis und Beherrschung des Algorithmus voraus. Zum dritten hat der Aufsichtsrat darüber zu wachen, dass hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen sind, um Fehler zu verhüten. Dabei geht es nicht darum, dass sich eine algorithmengestützte Prognose nachträglich als falsch erweist, denn dieses Risiko ist der unternehmerischen Entscheidungsfindung immanent. Es geht, insoweit ähnlich wie bei Angestellten (Rz. 70 f.), um Vorkehrungen zur Verhütung jedenfalls struktureller technischer Fehler. Insoweit man sich hier an den Anforderungen von § 80 Abs. 2 WpHG analog orientieren wollte20, wäre das, sicherzustellen, dass das computerisierte System stabil ist, Übermittlungsfehler vermieden werden und Vorkehrungen gegen Missbrauch getroffen sind21.

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g) Den zeitlichen und gegenständlichen Umfang seiner Überwachungstätigkeit kann der Aufsichtsrat normalerweise an den vom Vorstand nach § 90 AktG und einer in der Gesellschaft bestehenden Berichtsordnung (dazu Rz. 317) erstatteten Berichten ausrichten. Er genügt seiner Überwachungsaufgabe in der Regel durch sorgfältige Prüfung und Erörterung der Vorstandsberichte, wobei er in Zweifelsfällen Erläuterungen und weitere Informationen verlangen und unmittelbar die Unterlagen

20 So Möslein, ZIP 2018, 204, 211 (zu § 33 Abs. 1a WpHG a.F.). 21 Zu Anforderungen der „Cyber Resilience“ an den Aufsichtsrat s. Bernardi, BOARD 2018, 23 ff.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 74 § 3

der Gesellschaft einsehen kann (§§ 90 Abs. 3, 111 Abs. 2 AktG) und ggf. muss22. Bei Übernahme des Mandats hat das neue Aufsichtsratsmitglied den Jahresabschluss zusammen mit einem Prüfbericht sowie den Geschäftsbericht zu studieren und sich über die Arbeit der vorherigen Aufsichtsratsmitglieder zu informieren23. In Sondersituationen – bei schlechter Lage der Gesellschaft, schwerwiegenden Bedenken gegen die Geschäftsführung des Vorstands oder nach der Bestellung neuer Vorstandsmitglieder – steigert sich die Intensität der Überwachungspflicht24. 3. Prüfungsmaßstab Die Überwachung hat sich auf Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung zu beziehen25.

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a) Rechtmäßigkeit Die Rechtmäßigkeit (Legalität) der Geschäftsführung durch den Vorstand gehört zu den Grundbedingungen der korrekten Leitung der Gesellschaft und unterliegt daher fraglos der Überwachung durch den Aufsichtsrat26. Dieser hat daher auf die Einhaltung der Regeln des Aktiengesetzes (insbes. im Hinblick auf § 93 Abs. 3 AktG) und der Satzung der Gesellschaft, aber auch auf die Beachtung der anderen, gerade an Wirtschaftsunternehmen und ihre Repräsentanten gerichteten Normen (Kartellrecht, Wettbewerbsrecht, Steuerrecht, Umweltrecht, Vergaberecht, Bestechung etc.) zu achten. Es wäre ein Missverständnis anzunehmen, der Aufsichtsrat habe sich in solche Fragen nicht einzumischen; seine Frage danach, wie im Unternehmen sichergestellt sei, dass die Regeln des Umweltschutzrechtes von den Mitarbeitern beachtet werden, ist völlig korrekt, ja ggf. notwendig. Nicht minder wäre es ein Missverständ-

22 Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 164 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 29 f., 44; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 17 und 20; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 11. 23 OLG Düsseldorf v. 6.11.2014 – 6 U 16/14, ZIP 2015, 1586 = AG 2015, 434. 24 Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 208 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 56 f.; OLG Düsseldorf v. 6.11.2014 – 6 U 16/14, ZIP 2015, 1586 = AG 2015, 434; näher zur „abgestuften Überwachung“ Rz. 95 ff. 25 Allg. Meinung; vgl. BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = AG 1991, 312; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 14; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 183; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 114 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 31; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 490 ff.; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 85 ff., die allerdings das Kriterium der Ordnungsmäßigkeit ablehnt; Zenner in Illert/Ghassemi-Tabar/Cordes, Handbuch Vorstand und Aufsichtsrat, 2018, § 3 Rz. 99 ff. 26 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 = AG 2009, 404; BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, GmbHR 2010, 1200 = AG 2010, 785 (Doberlug); OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12 und 45/12, GWR 2012, 437 = AG 2013, 47; OLG Düsseldorf v. 6.11.2014 – 6 U 16/14, ZIP 2015, 1586 = AG 2015, 434; OLG Karlsruhe v. 4.9.2008 – 4 U 26/06, WM 2009, 1147 = AG 2008, 900: „Zu den Pflichten des Aufsichtsrats gehört es, Rechtsverstöße des Vorstands zu verhindern“.

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§ 3 Rz. 74 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

nis, würde der Aufsichtsrat seine Aufgabe hier in Anzeigen an Behörden und Verwaltungen sehen: Er hat mit eigenen Mitteln das Haus zu bestellen und für Legalität zu sorgen; gerade das ist seine Aufgabe (Selbstverwaltung der Unternehmen). Eine Pflicht des Aufsichtsrats zur Erstattung von Anzeigen kann sich nur dann ergeben, wenn er trotz Ausschöpfung aller gesellschaftsinternen Einwirkungsmittel einen gesetzmäßigen Zustand nicht herstellen kann; außerdem bei einer alle Staatsbürger treffenden Anzeigepflicht oder wenn nur auf diesem Weg ein schwerer Schaden von der Gesellschaft abgewendet werden kann27. Im Übrigen hat er darauf zu achten, dass die Bestimmungen der Geschäftsordnung vom Vorstand eingehalten, die Berichte an ihn ordnungsgemäß und zeitgerecht erstattet28 und die Termine für Jahresabschluss, Hauptversammlung und die Veröffentlichungen eingehalten werden. 75

Insbesondere Compliance29: Es ist Aufgabe des Vorstands, für die Einhaltung von Gesetz und Recht im Unternehmen und im Konzern30 zu sorgen; das ist unstreitig. Wie er das macht, unterliegt im Prinzip seinem Ermessen. Nun haben aber die Vorgänge bei Siemens gezeigt, dass die Maßnahmen zur Gewährleistung der Legalität heute viel systematischer und energischer sein müssen als ehedem. Insbesondere bei großen und größeren Gesellschaften ist daher die Einrichtung einer Compliance-Organisation und die Benennung eines Compliance-Beauftragten (Compliance Officer) praktisch unabdingbar. Das „Wie“ einer solchen Organisation hängt dagegen sehr von den individuellen Gegebenheiten des einzelnen Unternehmens ab31.

Der Aufsichtsrat hat die Einrichtung eines solchen Systems zu überwachen, sich nicht nur aufgrund von Informationen des Vorstands, sondern auf Grundlage eigener Erwägungen von seiner Plausibilität zu überzeugen und sich regelmäßig vom Vorstand über dessen Maßnahmen und das Feedback aus dem Unternehmen berichten zu lassen. Insgesamt: Der Aufsichtsrat ist mit-verantwortlich für die Einhaltung von Gesetz und Recht in der Gesellschaft und im Konzern32. Es ist daher richtig, dass im Zuge der Bestechungsaffäre bei Siemens nicht nur der Vorstandsvorsitzende, sondern auch der Aufsichtsratsvorsitzende zurücktreten musste. 76

Stellt der Aufsichtsrat, auf welchem Wege auch immer, Verstöße fest, so hat er korrigierend einzugreifen, ohne dass es auf eine Unterscheidung in geringfügige33 27 v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 193. 28 Nach v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 189 gehören die vorstehend erwähnten Überwachungsgegenstände zur „Ordnungsgemäßheit“ der Geschäftsführung. 29 Dazu vor allem Hauschka/Moosmayer/Lösler (Hrsg.), Corporate Compliance; Bachmann, Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 66 ff. mit allen Nachw. 30 Eingehend Habersack, AG 2014, 1; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061; Lutter, AG 2006, 517, 518 f.; Fleischer, CCZ 2008, 1 ff. 31 Dazu Bürgers, ZHR 179 (2015), 173; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113; Nothhelfer, CCZ 2013, 23. 32 Lutter, AG 2006, 517, 518 f.; Fleischer, CCZ 2008, 1. 33 So v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 192.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 80 § 3

oder schwerwiegende34 Verstöße ankäme; denn der Aufsichtsrat hat durch seine Maßnahmen Schaden von der Gesellschaft abzuwenden. Auch zunächst geringfügig erscheinende Verstöße können zu großen ideellen (Ansehensschmälerung) und materiellen Schäden führen. Die Unterscheidung mag sich aber darin auswirken, wie scharf der Aufsichtsrat eingreift35, ob er also Abhilfe durch den Vorstand nur anmahnt oder diesen gar förmlich abmahnt. Fragen der Legalität können sich aber auch im Zusammenhang mit Satzungsänderungen und insbes. Kapitalerhöhungen stellen. So hat der Vorsitzende des Aufsichtsrats die Anmeldung der Kapitalerhöhung und ihrer Durchführung zum Handelsregister nach §§ 184, 188 AktG mit zu unterzeichnen, muss sich also von der Legalität der Maßnahme überzeugen. Macht der Vorstand von einem genehmigten Kapital Gebrauch, so bedarf er der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 202 Abs. 3 Satz 2 AktG, vgl. dazu Rz. 517), der sich seinerseits von der Legalität des Vorgangs überzeugen muss.

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Fehlt dem Aufsichtsratsvorsitzenden bzw. dem Aufsichtsrat die erforderliche Rechtsoder Sachkunde, so müssen sie einen unabhängigen, also mit dem betreffenden Vorgang bislang nicht befassten, fachlich qualifizierten Berufsträger (Anwalt) einschalten und dessen schriftliche Stellungnahme auf seine Plausibilität prüfen36; vgl. dazu auch Rz. 1009 ff.

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b) Ordnungsmäßigkeit, insbesondere Unternehmensplanung aa) Ordnungsmäßigkeit in der Leitung der Gesellschaft bedeutet zunächst einmal die Existenz einer der Größe, Struktur und Eigenart der Gesellschaft entsprechenden und angemessenen Organisation des Unternehmens37, der Gesellschaft und des Konzerns unter Beachtung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen38. Hier muss sich der Aufsichtsrat davon überzeugen, dass der Vorstand die Gesellschaft tatsächlich leiten und steuern kann, obwohl er als Vorstand selbst nur Anweisungen und Impulse zu geben vermag (korrekte Leitung trotz Delegation). Wesentliches Kennzeichen hierfür ist eine angemessene Planung im Unternehmen39.

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bb) Eine entsprechende Pflicht des Vorstands zur Planung wird durch § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG ausdrücklich bestätigt. Planung macht das Handeln überschaubar. Erfolge und Misserfolge sind in einem Soll-Ist-Vergleich (Planung/Ergebnis) ablesbar40; das erleichtert die Überwachung. Bei negativen Abweichungen der Ist-Ent-

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34 So Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 187. 35 Zu den Einwirkungsmöglichkeiten Rz. 109 ff. 36 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = AG 2011, 876 (ISION) und dazu Binder, ZGR 2012, 757 und Krieger, ZGR 2012, 496. 37 Dazu BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GWR 2012, 445 = GmbHR 2012, 967; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 184. 38 Dazu v. Werder/Maly/Pohle/Wolff, DB 1998, 1193 und v. Werder, DB 1999, 2221. 39 Dazu Semler, ZGR 1983, 1, 16 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 50 ff.; Lutter, AG 1991, 249 ff.; ausführlich Fuhr, Prüfung der Unternehmensplanung, 2003. 40 So auch für das Schweizer Recht Theisen, RIW 1991, 920, 924.

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§ 3 Rz. 80 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

wicklung von der Planvorstellung besteht die Möglichkeit einer Erörterung der Gründe und der etwa erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung des Ist an das Soll. 81

Der Aufsichtsrat hat sich über die Tatsache einer angemessenen Unternehmensplanung zu vergewissern und ihre Existenz zu gewährleisten. Da die Anforderungen an den Inhalt der vorzulegenden Planung stark vom einzelnen Unternehmen abhängen, sollte der Aufsichtsrat dazu bestimmte Vorgaben machen41. Die Planung muss im Einzelnen umfassen eine kurzfristige Planung (Budgetierung des laufenden und des nächsten Geschäftsjahres in Zahlen42) und eine Mittelfristplanung je der Produktion, des Umsatzes, der Finanzen (Liquidität und Erträge) und der Investitionen, in der die Entwicklung für einen überschaubaren Zeitraum (drei bis vier Jahre) dargelegt wird43. Voraussetzung jeder Planung aber ist Klarheit über die Strategie, die das Unternehmen in der Zukunft verfolgen will. Sie ist mit dem Aufsichtsrat abzustimmen und über ihre Umsetzung ist ihm regelmäßig zu berichten44.

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Über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren hinaus besteht eine Pflicht zur Langzeitplanung nur, wenn sich dies aus Größe und Struktur der unternehmerischen Tätigkeit ergibt45.

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Bei der Frage nach den Folgen einer Ablehnung der vom Vorstand vorgelegten Planung durch den Aufsichtsrat muss differenziert werden. So besteht eine Pflicht des Vorstands zur Neuplanung, wenn die ursprüngliche Planung gegen fachliche Grundsätze oder Vorschriften der Geschäftsordnung oder der Satzung verstößt. Dagegen muss der Vorstand seine Planungen nicht den abweichenden unternehmerischen Vorstellungen des Aufsichtsrats anpassen. Er ist sogar verpflichtet, Planungsänderungen, die ihm der Aufsichtsrat nahelegt, unberücksichtigt zu lassen, wenn sie – aus seiner Sicht – mit Nachteilen für die Gesellschaft verbunden oder unrealistisch sind. Der Aufsichtsrat kann seine Vorstellungen nur durch Ad hoc-Anordnung eines speziellen Zustimmungsvorbehalts oder durch eine personelle Neugestaltung des Vorstands durchsetzen – fehlende Übereinstimmung in Grundsatzfragen der Unternehmenspolitik ist ein wichtiger Abberufungsgrund (dazu Rz. 364)46. Selbst für den 41 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 63. 42 Also der aus den Einzelplänen der Produktgruppen oder Unternehmensbereichen zusammengesetzte Unternehmens-Gesamtplan, unterteilt in Umsatz-, Ertrags-, Liquiditätsund Investitionsplanung, dazu Lutter, AG 1991, 249, 253 m.w.N. 43 Zur Frage, was der Vorstand davon dem Aufsichtsrat zwecks Überprüfung vorzulegen hat – die kurzfristige Planung in Zahlen, die mittelfristige verbal – s. Rz. 223 ff. Nach Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 64 muss die mittelfristige Planung „mit Zahlen unterlegt“ sein. 44 Grundsatz 2 und 15 sowie Empfehlung D.6 DCGK 2020 und dazu Lutter in Kremer/ Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 507 ff.; vgl. dazu auch Grothe, Unternehmensüberwachung, S. 147 ff., 186 ff. sowie Müller-Stewens/Schimmer, Der Aufsichtsrat 2008, 98, die für die Einrichtung eines Strategie-Ausschusses plädieren. 45 Zum Beispiel bei Großunternehmen mit langfristigen Investitionen wie in den Branchen Auto, Bergbau, Stahl und Energie; zum Ganzen schon ausführlich Lutter, AG 1991, 249, 252 ff. 46 Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 216.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 87 § 3

Fall, dass hinsichtlich der Unternehmensplanung ein allgemeiner Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 AktG besteht, hat der Aufsichtsrat nur diese begrenzten Befugnisse47, kann seine Vorstellungen dem Vorstand also nicht vorschreiben48. cc) Ein weiteres Kennzeichen einer angemessenen Unternehmensorganisation ist die ausreichende und ständige Information des Vorstands von „unten“ sowie aufgrund eines effektiven Rechnungs- und Berichtswesens. Beide Gesichtspunkte lassen sich vom Aufsichtsrat überprüfen: Sind unternehmensinterne Daten kurzfristig verfügbar? Wann liegen die Monatsdaten vor, wann der Quartalsbericht? Sind die Analysen der Abweichung vom Soll der Planung zum Ist des Ergebnisses überzeugend, mindestens plausibel? Etc. Das alles gilt ebenso für die modernen Führungsinstrumente der Delegation, der Berichte und eines ausgebauten, leistungsfähigen Rechnungswesens. Als Teile ordnungsgemäßer Unternehmensorganisation gehören sie zum Überwachungsfeld des Aufsichtsrats49. Selbstverständlich gehören eine angemessene Personalplanung50, ausdrücklich erwähnt in § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG, und Förderung der Weiterbildung der Beschäftigten ebenso zur Ordnungsmäßigkeit der Leitung wie die Beachtung sozialer Aspekte51.

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dd) Der durch das KonTraG 1998 eingefügte Abs. 2 von § 91 AktG begründet eine Pflicht des Vorstands, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere ein RisikoÜberwachungssystem einzurichten, um Entwicklungen, die den Bestand der Gesellschaft gefährden, rechtzeitig zu erkennen.

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Der Aufsichtsrat von börsennotierten Gesellschaften wird bei der Überwachung dieser Vorstandsverpflichtung vom Abschlussprüfer unterstützt52; denn dieser hat das vom Vorstand geschaffene Früherkennungs- und Überwachungssystem in seine Prüfung miteinzubeziehen (§ 317 Abs. 4 HGB) und dem Aufsichtsrat darüber in einer gesonderten Beurteilung zu berichten (§ 321 Abs. 4 HGB).

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ee) Zum Umfang der dem Vorstand im Rahmen von § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen sagt das Gesetz allerdings nichts, sondern überlässt ihm – unter der Kontrolle des Aufsichtsrats und des Abschlussprüfers – die Entscheidung über die

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47 Kropff, NZG 1998, 613, 616 f. Zur Frage der Zulässigkeit eines Zustimmungsvorbehalts bei der Unternehmensplanung vgl. Rz. 112 ff. sowie Habersack in FS Hüffer, 2010, S. 259, 268 ff. m.w.N. 48 Säcker/Rehm, DB 2008, 2814, 2818. 49 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 117. 50 Dabei ist auch auf die Nachwuchs-Vorsorge im Unternehmen zu achten, Semler, Führungsvorsorge im Unternehmen, in Unternehmensführung heute, S. 18 ff. 51 Ebenso Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 87; zurückhaltend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 14; a.A. insoweit Meyer-Landrut in MeyerLandrut/Miller/Niehus, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 21. 52 Bei den übrigen Aktiengesellschaften hat der Abschlussprüfer nur zu prüfen, ob Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend im Lagebericht dargestellt sind (§ 317 Abs. 2 Satz 2 HGB); er muss dazu in seinem Prüfungsbericht Stellung beziehen (§ 321 Abs. 1 HGB). Kritisch gegenüber dieser Differenzierung Hommelhoff in FS Sandrock, 1999, S. 373, 375 f.

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§ 3 Rz. 87 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

Art der „geeigneten Maßnahmen“. Im betriebswirtschaftlichen Schrifttum wird eine Pflicht des Leitungsorgans zur Einrichtung eines umfassenden Risikomanagementsystems angenommen, mit Hilfe dessen unternehmerische Risiken systematisch erkannt, überwacht und letztlich abgewehrt werden sollen53. Eine derart weite Auslegung ist jedoch von § 91 Abs. 2 AktG nicht gemeint; denn das von der Norm ausdrücklich geforderte Überwachungssystem bezieht sich nur auf die Eignung der Früherkennungsmaßnahmen sowie deren tatsächliche Einhaltung54. Hüffer/Koch55 nimmt daher an, dass dem Vorstand nur die Schaffung eines Informationsweitergabesystems obliegt, aufgrund dessen ihm die bestandsgefährdenden Entwicklungen erfahrungsgemäß so frühzeitig bekannt werden, dass er ihnen noch erfolgversprechend entgegenwirken kann. Eine „erfahrungsgemäße“ Kenntnisnahme seitens des Vorstands genügt jedoch nicht; die Risikoerfassung und Informationsweiterleitung an den Vorstand ist vielmehr durch ein planmäßiges Vorgehen sicherzustellen56 und intern durch ein entsprechendes Kontrollsystem zu überwachen (Controlling) und zu dokumentieren57. Dieses „Paket“ aus Risikoerfassung, Weiterleitung, Kontrolle58 und Dokumentation hat der Aufsichtsrat seinerseits zu überwachen59. 88

ff) In Umsetzung von Art. 41 Abs. 2 der Abschlussprüferrichtlinie hat sich das BilMoG erneut mit der Risiko-Überwachung in der Gesellschaft beschäftigt60 und formuliert ausdrücklich, dass der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats – wenn er denn besteht – die Überwachung insbesondere „der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems ...“ (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG) zu leisten habe61. Außerdem hat der Abschlussprüfer dem Aufsichtsrat – neben dem Bericht nach §§ 317 Abs. 4 und 321 Abs. 4 HGB (Rz. 86) – 53 Vgl. Brebeck/Herrmann, WPg 1997, 381 ff.; Kromschröder/Lück, DB 1998, 1573 ff.; Kuhl/Nickel, DB 1999, 133 ff.; Lück, DB 1998, 8 ff. und 1925 ff.; Scharpf in Dörner/Menold/Pfitzer/Oser (Hrsg.), Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und Prüfung, S. 380 f. 54 So ausdrücklich noch § 93 Abs. 1 Satz 3 des Referentenentwurfs KonTraG (abgedruckt in AG 1997, Sonderheft, 1, 7); die Neufassung im Regierungsentwurf sollte keine inhaltliche Änderung bewirken, vgl. Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/1972, S. 15. 55 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 91 Rz. 6 ff. 56 In diesem Sinne Drygala/Drygala, ZIP 2000, 297, 299; Seibert in FS Bezzenberger, 2000, S. 427, 437 (Nr. 1). 57 Zutr. hat das LG München v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, BB 2007, 2170 = AG 2007, 417, in der fehlenden Dokumentation einen Gesetzesverstoß gesehen, der einer wirksamen Entlastung des Vorstands entgegenstand; dazu Huth, BB 2007, 2167. 58 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/1972, S. 15; Hommelhoff in FS Sandrock, 1999, S. 373, 375 f.; Dobler, DStR 2001, 2086; Weber, BB 2001, 140. 59 Eingehend dazu Claussen/Korth in FS Lutter, 2000, S. 327 ff.; sowie Kropff, NZG 2003, 346; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 191 f.; Lutter/Bayer/ J. Schmidt, § 25; Böcking/Gros in FS Hommelhoff, 2012, S. 99, 106 ff. 60 Art. 5 BilMoG. 61 Das Gesetz formuliert es anders und zwar als Möglichkeit des Aufsichtsrats, den Prüfungsausschuss mit diesen Aufgaben zu betrauen. Das ist nachgerade komisch; denn das kann er sowieso. Die Vorschrift ist mithin überflüssig. Das aber ist in der Tradition deutscher Gesetzgebung überraschend. Daher ist die Vorschrift dahin zu verstehen, dass der Aufsichtsrat so verfahren soll.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 89 § 3

über „wesentliche Schwächen des Kontroll- und des Risikomanagementsystems ... zu berichten“ (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG). Der Abschlussprüfer als Gehilfe des Aufsichtsrats ist also in ganz wesentlicher Weise mit in die Überwachung der Systeme „interne Kontrolle“, „interne Revision“ und „Risikomanagement“ eingebunden. Ähnliches gilt für die „Compliance“. All das sind Organisationsaufgaben des Vorstands, die im Gesetz besonders hervorgehoben werden und die vom Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss mit Hilfe des Abschlussprüfers auf Existenz und plausible Funktionsfähigkeit zu überwachen sind62. Bemessen an der Schwere der Gefahr, die der Gesellschaft durch einen möglichen Compliance-Verstoß droht, kann der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1 AktG zu eigenen Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet sein, wenn Aufklärungsmaßnahmen des Vorstands nicht ausreichen. Maßgeblich zur Bestimmung dieser Schwelle sind insbesondere Gegenstand und Grad des Verdachts und der Gefahr sowie eine mögliche Involvierung des Vorstands63. Tief beeindruckt von der Wirtschaftskrise der Jahre 2007/2008 legt das Gesetz besonderen Nachdruck auf diese Instrumente und ihre Überwachung durch den Aufsichtsrat oder seinen Prüfungsausschuss. c) Wirtschaftlichkeit Mit der Wirtschaftlichkeit hat der Vorstand die Lebens- und Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern: Von Verlusten kann niemand, auch kein Unternehmen leben, ohne ausreichende Erträge sinkt die Investitions- und damit Innovationskraft der Gesellschaft. Das aber mindert ihre Überlebensfähigkeit im Wettbewerb mit anderen Unternehmen64. Der Aufsichtsrat hat sich also davon zu überzeugen, dass der Vorstand die Sicherung der Liquidität der Gesellschaft, ihre angemessene Finanzierung und ihre Ertragskraft ebenso wie ihre Stellung am Markt als ständige und zentrale Aufgabe seiner Leitung vor Augen hat und mit entsprechenden Maßnahmen auch zu sichern versteht65. Der Kodex verpflichtet den Vorstand in der Präambel des neuen Kodex (DCGK 2020), seine Geschäftsführung am Ziel der Steigerung des nachhaltigen Unternehmenswertes auszurichten. Auch dem muss die Berichterstattung des Vorstands an

62 Noch immer ist umstritten, welche Maßnahmen der Vorstand nach § 91 Abs. 2 AktG einzurichten hat, vgl. nur Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 91 Rz. 13 ff. mit allen Nachw. Satz 2 des § 171 Abs. 1 AktG, wonach der Abschlussprüfer den Aufsichtsrat/Prüfungsausschuss über etwaige Schwächen des Risikomanagementsystems zu unterrichten hat, setzt jedenfalls die Pflicht des Vorstands zur Einrichtung eines solchen Systems voraus. 63 Näher Fett/Habbe, AG 2018, 257 m.w.N.; Uwe H. Schneider, ZIP 2016 (Beilage zu Heft 22), 70. 64 Dazu insbesondere Albach, Verhandlungen des 55. DJT, Bd. II, 1984, K9, K15 ff.; Albach, AG 1979, 121 ff. 65 Näher Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 191.

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§ 3 Rz. 89 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

den Aufsichtsrat gerecht werden (wertorientierte Berichterstattung), da der Aufsichtsrat genau das zu überwachen hat66. d) Zweckmäßigkeit 90

Die Zweckmäßigkeit der Leitung ist in den meisten der soeben angesprochenen Aspekte schon mit enthalten und daher in der Regel keine eigene Kategorie in der Überwachung: Eine unzweckmäßige Organisation oder Finanzierung ist eben schlecht und vom Aufsichtsrat zu beanstanden. Insoweit gehört die Zweckmäßigkeit getroffener oder geplanter Maßnahmen gewiss zum Kontrollbereich des Aufsichtsrats67. Im Übrigen kann die ständige Umorganisation des Unternehmens und damit die Verlagerung von Ressourcen nach innen statt nach außen ein Beispiel für eine per-se-Unzweckmäßigkeit der Unternehmensführung sein. Andererseits darf Kontrolle der Zweckmäßigkeit nicht im Sinne einer Kontrolle alltäglicher Dinge oder der Einmischung in beliebige Alternativen (Kredit bei A oder B, Einstellung des Angestellten X statt Y) missverstanden werden: Diese Zweckmäßigkeitsfragen stehen allein zur Disposition des Vorstands68. 4. Prüfungsmittel

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Dem Aufsichtsrat stehen vielfältige Mittel zur Verfügung, mit deren Hilfe er seine Aufsichtspflicht verwirklichen kann. Dazu gehören in erster Linie die Berichte, die ihm vom Vorstand unaufgefordert (Rz. 193 ff.), aber möglichst nach Vorgaben des Aufsichtsrats (Rz. 317) zu erstatten sind, die von ihm selbst angeforderten (Zusatz-) Berichte (Rz. 212) und die eigenen Einsichts- und Prüfungsrechte (Rz. 241 ff.). Wichtig ist hier der Hinweis, dass alle Berichte nur wirklich sinnvoll sind, wenn sie das Soll der Planung (Rz. 200) mit dem erreichten Ist in Vergleich setzen (Soll/IstVergleich)69 und die (etwaige) Abweichung analysieren (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG). Dafür hat der Aufsichtsrat eine eigene Verantwortung, kann sich also nicht mit jedweder Art der Berichterstattung zufrieden geben70. Anders gewendet: Der Aufsichtsrat und jedes seiner Mitglieder muss, wann immer er sich nicht ausreichend 66 Dazu Deutsches Aktieninstitut, Wertorientierte Überwachung durch den Aufsichtsrat, 2005, S. 45 ff.; Bachmann, Der Aufsichtsrat 2019, 157, 159. 67 H.M., vgl. BGH v. 12.1.1979 – III ZR 154/77, BGHZ 75, 120, 133 = AG 1980, 53; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 = AG 1991, 312; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 192 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 243; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 493; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 195; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 14; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 9; a.A. hier Mertens, ZGR 1977, 270, 278. 68 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 119. 69 Dazu Lutter, Unternehmensplanung und Aufsichtsrat in FS Albach, 1991, S. 345 ff. = AG 1991, 249; Bea/Scheurer, DB 1994, 2149. 70 Sog. „Holschuld“; vgl. Grundsatz 15 DCGK 2020. Vgl. insbesondere zu den Pflichten des Aufsichtsrats, wenn der Vorstand die Einrichtung einer angemessenen Compliance-Organisation versäumt oder selbst Compliance-Verstöße begeht, Uwe H. Schneider, ZIP 2016 (Beilage zu Heft 22), 70.

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 94 § 3

informiert fühlt, von seiner Möglichkeit Gebrauch machen, zusätzliche Berichte anzufordern (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AktG). Mit der schlichten Aussage „davon habe ich nichts gewusst“ wird das Aufsichtsratsmitglied im Haftungsprozess nicht gehört. 5. Kontrolldichte und inhaltliche Grenzen der Überwachung „Die Intensität der Überwachungspflicht ist abhängig von der wirtschaftlichen Lage, in der sich die Gesellschaft befindet“71.

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a) In der Normallage des Unternehmens Gerade im Rahmen dieser Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitskontrolle gilt es zu beachten, dass der Aufsichtsrat zu überwachen, nicht aber selbst die Gesellschaft zu leiten hat72. Deshalb kann und muss er sich darauf beschränken, erst dann einzugreifen, wenn eine Maßnahme des Vorstands in seinem pflichtgemäßen Urteil unvertretbar erscheint. Er kann sich dann auf Vorhaltungen konzentrieren oder ad hoc einen Zustimmungsvorbehalt beschließen und so die Maßnahme verhindern73. Hält sich der Vorstand im Rahmen vertretbaren Ermessens, ist es Aufgabe des Aufsichtsrats, seine Sicht dem Vorstand vor Augen zu stellen, nicht aber ist es Sache des Aufsichtsrats, seine eigene Beurteilung gegenüber dem Vorstand durchzusetzen74.

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Diese sog. begleitende Überwachung darf aber auch nicht missverstanden werden. Die Kartell- und Bestechungsverstöße ebenso wie die Bankenkrise zeigen, dass der Aufsichtsrat hellwach bleiben und immer wieder potentielle Gefahrenherde ansprechen muss75. Im Übrigen vgl. Rz. 72. Diese „begleitende Überwachung“ ändert sich sofort, wenn Maßnahmen des Vorstands anstehen, die für die „Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft“ (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG) oder ihr Risiko von größerer Bedeutung sind. Hier hat der 71 So zutr. Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 21 Rz. 120. Diese Lehre geht zurück auf Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 231 ff.; heute h.M., vgl. nur Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 22 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 15; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 245 f.; Uwe H. Schneider, ZIP 2016 (Beilage zu Heft 22), 70. Vgl. auch OLG Stuttgart v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, AG 2012, 762. 72 Insbesondere darf ein Aufsichtsratsmitglied nicht Kontakt mit Geschäftspartnern der Aktiengesellschaft aufnehmen, um sich über Einzelheiten der Geschäftsbeziehungen zu informieren. Dies gehört zum Kompetenzbereich des Vorstands, OLG Zweibrücken v. 28.5.1990 – 3 W 93/90, DB 1990, 1401 mit Anm. Theisen = AG 1991, 70 = EWiR § 103 AktG 3/90, 631 (Altmeppen). 73 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124. 74 Vgl. Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 131 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 54; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 269; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 41; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 259 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 15; Semler in FS Ulmer, 2003, S. 625, 629, 641. 75 Zutr. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 23.

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§ 3 Rz. 94 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

Aufsichtsrat die geplante Maßnahme ggf. unter Mithilfe von Sachverständigen eingehend zu prüfen; ist er nicht einverstanden oder kann er sich kein Urteil bilden76, hat er ad hoc einen Zustimmungsvorbehalt zu beschließen und so für ein vorläufiges stand still zu sorgen77. b) In der Krise 95

In der Krise und auch schon bei sich abzeichnenden erhöhten Risiken oder Ergebnisverschlechterungen erhöht sich die Kontrolldichte in sachlichem und zeitlichem Umfang78. Aus einer „begleitenden“ Überwachung bei normalem Verlauf der Geschäftsentwicklung wird bei Verschlechterung der Lage eine unterstützende Überwachung, die ihre größte Kontrolldichte in der Krise des Unternehmens entfaltet79. Das alles gilt auch, wenn sich der Verdacht auf bilanzielle Manipulationen ergibt. In einer solchen Situation kommt der Aufsichtsrat seinen Pflichten nur nach, wenn er geeignete Ermittlungen veranlasst und häufiger zu Sitzungen zusammentritt80.

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Zwar darf der Aufsichtsrat nicht selbst in die Geschäftsführung eingreifen; er muss sich jedoch durch Anforderung zusätzlicher Berichte verstärkt informieren und häu76 Das Aufsichtsratsmitglied Piëch hat öffentlich erklärt, er wisse nicht, wie hoch die Risiken aus einem 50-Mrd.-Optionsgeschäft des Vorstands der Porsche SE sind, hat aber nichts unternommen, um das fragliche Geschäft zu verhindern. Das war pflichtwidrig: OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625 = AG 2012, 298 = EWiR § 111 AktG 1/12, 303 (Lieder) (Revision vom BGH nicht angenommen, Beschluss v. 20.3.2011 – II ZR 289/09); Selter, NZG 2012, 660. Zu den weiteren Möglichkeiten des Aufsichtsrats in solchen Situationen vgl. Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114. 77 Zu den Anforderungen an die reguläre Überwachung aus betriebswirtschaftlicher Sicht s. Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung (AKEU)/Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmen (AKEIÜ), DB 2009, 1279. 78 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 379 = AG 1997, 37; OLG Hamburg v. 18.2.2000 – 11 U 213/98, AG 2001, 141, 144; OLG Stuttgart v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, ZIP 2012, 1965 = AG 2012, 762; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/10, AG 2013, 171; LG München v. 31.5.2007 – 5HK O 11977/06, AG 2007, 827; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 231 ff.; ebenso Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 25 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 15; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 3; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 92 ff. Im Ansatz wohl ebenso Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 57; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 25. Vgl. auch Polley/Kroner, Der Aufsichtsrat 2012, 69; Hasselbach, NZG 2012, 41. 79 Semler, AG 1983, 141 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 25 ff. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 25 lehnen dagegen diese Dreistufigkeit der Überwachungspflicht ab, da sie weder in der Praxis von Nutzen noch vom Gesetz vorgesehen ist. 80 LG Nürnberg-Fürth v. 18.10.2007 – 1 HK O 6564/07, EWiR § 145 AktG 1/07 (Wilsing/ Siebmann).

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Gegenstand, Umfang, Prüfungsmaßstab, Grenzen | Rz. 97 § 3

figer zu Aufsichtsratssitzungen zusammenfinden81. Der Aufsichtsrat muss auch vermehrt Zustimmungsvorbehalte festlegen82 und u.U. Sachverständige mit Prüfungen beauftragen83. Er hat darüber zu wachen, dass der Vorstand die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung rechtzeitig, spätestens nach drei Wochen, beantragt (§ 15a Abs. 1 InsO)84. Kurz: In der Krise der Gesellschaft wird ein Höchstmaß an Kontrolldichte und Kontrollintensität als Pflicht des Aufsichtsrats erreicht85. In der Krise muss der Aufsichtsrat vor allem für einen Vorstand sorgen, der zur Lösung der Krisensituation geeignet ist. Damit greift der Aufsichtsrat auch hier nicht in die Geschäftsleitung ein, sondern macht von seiner Personalkompetenz Gebrauch. Er kann die Geschäftsverteilung ändern, neue Vorstandsmitglieder bestellen und andere abberufen. Ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund im Sinne von § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG ist die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung in der Krise86. Von „führender“ Überwachung87 lässt sich insofern sprechen, als der Weg aus der Krise u.U. über die Umgestaltung des Vorstands führt. Da diese Entscheidung aber dem Aufsichtsrat obliegt, kommt ihm in der Krise die vorrangige Handlungspflicht zu88. In einer besonders kritischen Lage der Gesellschaft kann der Aufsichtsrat ausnahmsweise gehalten sein, vorübergehend zwingend erforderliche Geschäftsführungsmaßnahmen selbst zu veranlassen89, insbesondere durch Delegation eines seiner Mitglieder nach § 105 Abs. 2 AktG in den Vorstand. Im Übrigen ist und bleibt die Führung und Leitung der Gesellschaft Aufgabe des Vorstands.

81 LG München v. 31.5.2007 – 5HK O 11977/06, AG 2007, 827; die Grenze liegt dort, wo die Aufsichtsratstätigkeit in eine Beschäftigung mit Tagesfragen abzugleiten droht. 82 Die aber nicht zu einer Hemmung der Vorstandstätigkeit führen dürfen. 83 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 = AG 2011, 876; BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012, 672 = GmbHR 2012, 746; Hasselbach, NZG 2012, 41, 45; Semler, AG 1983, 141, 142. 84 Anderenfalls haften die Aufsichtsratsmitglieder persönlich: BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 = AG 2009, 404 und BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, GmbHR 2010, 1200 = AG 2010, 785 (Doberlug) sowie OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/ 10, AG 2013, 171 = ZIP 2012, 2299; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1296; Schürnbrand, NZG 2010, 1207. 85 Haben Vorstand und/oder Aufsichtsrat einen Sachverständigen beauftragt, die Frage der Insolvenzreife der Gesellschaft zu überprüfen und kommt dieser zu dem falschen Ergebnis, die Gesellschaft sei nicht insolvent, so können die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats in den Schutzbereich dieses Vertrages einbezogen sein mit der Folge, dass sie beim Sachverständigen wegen der gegen sie gerichteten Ansprüche Regress nehmen können; s. BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, WM 2012, 1359 = GmbHR 2012, 1009. 86 Semler, AG 1983, 141, 142, 145. 87 So noch die missverständliche Formulierung von Semler, AG 1983, 141, 142, der in Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 234 (Fn. 359) treffender von „gestaltender Überwachung“, spricht. 88 Semler, AG 1983, 141, 142. 89 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 15; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 207; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 234.

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§ 3 Rz. 98 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat 98

Sind die Führungspositionen durch den Aufsichtsrat mit geeigneten Personen besetzt, muss der Aufsichtsrat darauf hinwirken, dass der Vorstand ein Sanierungskonzept vorlegt und dieses eingehend mit ihm berät. Dabei sollte jede Maßnahme „nach Art, Zweck und Ziel, Investitionsbedarf, Kosten, Erfolgserwartung, Zeit und Verantwortlichkeit“ beurteilt werden90. Dem Sanierungsplan vorausgehend hat der Vorstand eine Ursachenanalyse der Krise (Führungsprobleme, konjunkturelle und strukturelle Probleme der Branche oder des Unternehmens) vorzunehmen und damit eine Analyse hinsichtlich der vorhandenen Ressourcen der Gesellschaft (stille Reserven, qualifiziertes Fachpersonal) zu verbinden. Der Aufsichtsrat hat die entsprechenden Berichte durchzuarbeiten; hält er die Analysen für unzureichend, muss er notfalls Sachverständige zur Prüfung bzw. sogar zur neuen Erstellung heranziehen91.

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Im Übrigen kommt die Pflicht des Aufsichtsrats zur Beratung des Vorstands (Rz. 103 ff.) in der Krise besonders zum Tragen92. Denn es gilt, Wege aus der Krise zu finden. Dafür können der Sachverstand und die Erfahrung einzelner Aufsichtsratsmitglieder hilfreich sein, auch ihre Personalkenntnis in Bezug auf erfahrene „Sanierer“ als Berater oder zusätzliche Vorstandsmitglieder. Häufigere Zusammenkünfte sind jetzt vom Aufsichtsrat geschuldet93; und mindestens monatliche Berichte muss er jetzt vom Vorstand nach § 90 Abs. 3 AktG verlangen.

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Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg und wird die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet, so muss der Vorstand bei Gefahr seiner persönlichen Haftung alle sorgfaltswidrigen Zahlungen einstellen (§ 92 Abs. 2 AktG) und spätestens nach drei Wochen förmlichen Insolvenzantrag nach § 15a InsO stellen. Genau das muss der Aufsichtsrat überwachen und ggf. einschreiten. Er kann zwar selbst den Insolvenzantrag nicht stellen, muss aber notfalls und bei Gefahr seiner eigenen Haftung eine andere Person zum Vorstand bestellen.94 Ob Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt, ist oft nicht leicht zu erkennen. Der Vorstand muss dann – wie auch bei anderen Entscheidungen, die seine Kenntnisse und Fähigkeiten übersteigen – kurzfristig außenstehenden, anerkannten und unabhängigen Sachverstand heranziehen (Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt), dessen eingehende schriftliche Stellungnahme anfordern und diese noch einmal einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterziehen95.

90 Semler, AG 1983, 141, 146 f.; ihm folgend Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1293. 91 OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, AG 2010, 133; Semler, AG 1983, 141, 146; auch Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1292. 92 Hasselbach, NZG 2012, 41, 46. 93 LG München v. 31.5.2007 – 5HK O 11977/06, AG 2007, 827. 94 OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – I-16 U 176/10, AG 2013, 171. 95 Vgl. dazu die Entscheidungen des BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, NJW 2007, 2118 = AG 2007, 548 und BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, NZG 2012, 672 = GmbHR 2012, 746 und dazu Fleischer, KSzW 2013, 3 ff. mit allen Nachw.; Strohn, ZHR 176 (2012), 137; Henze, Der Aufsichtsrat 2013, 12.

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Die Beratung mit dem Vorstand | Rz. 103 § 3

Ob der Rechtsrat der eigenen Rechtsabteilung in einer solchen Situation ausreicht, hängt davon ab, ob diese unabhängig ist96. c) Bei Zustimmungsvorbehalten Anders als in der Normallage des Unternehmens (Rz. 93) verhält es sich bei Geschäften, die gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Hier ist der Aufsichtsrat Mitunternehmer97 und berechtigt, seine Zustimmung auch dann zu versagen, wenn er die Maßnahme des Vorstands zwar für vertretbar hält, selbst aber eine andere Lösung bevorzugen würde. Aber auch hier wird man keine Pflicht zum Eingreifen annehmen können, solange auch für die Auffassung des Vorstands gute Gründe bestehen98.

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Eine solche Pflicht des Aufsichtsrats zu Eingriffen besteht erst bei unterschiedlicher Beurteilung der unternehmerischen Zielkonzeption99. Grundlagenentscheidungen erfordern Übereinstimmung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Fehlt es daran, ist es zwar nicht Sache des Aufsichtsrats, eine eigene Unternehmenspolitik zu erarbeiten, er ist aber verpflichtet, beim Vorstand auf die Erarbeitung einer Konzeption hinzuwirken, der er sich glaubt anschließen zu können. Versagt hier der Vorstand, so kann dies ein wichtiger Grund zu seiner Abberufung sein.

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III. Die Beratung mit dem Vorstand 1. Beratungsrecht und Beratungspflicht a) Die Überwachung des Vorstands darf nicht nur darauf gerichtet sein, diesen zu kontrollieren, Mängel festzustellen, diese zu monieren und damit künftige Mängel der Geschäftsführung zu verhindern; der Aufsichtsrat ist auch und vor allem zur Beratung des Vorstands und mit dem Vorstand über Fragen der Leitung (also zentrale Fragen der Unternehmenskonzeption und Unternehmensführung) berufen; denn abgeschlossene Tatbestände sind zwar rechtlich von großem Gewicht (etwa: Abberufung des Vorstands aus wichtigem Grund wegen solcher historischer Mängel). Viel wichtiger ist aber die Gestaltung der Zukunft des Unternehmens und die möglichst klare Vermeidung künftiger Fehler dabei. Mehr als nur Kontrolleur historischer Vorgänge und relativ einfacher Sachverhalte (z.B. Legalität der Unternehmensführung) ist der Aufsichtsrat daher institutioneller Ratgeber und Gesprächspartner des Vor96 Vgl. Goette, ZHR 176 (2012), 588, 602; Klöhn, DB 2013, 153; Kremer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 2013, S. 171, 180. 97 Lutter in FS Albach, 2001, S. 2234 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 32 und 35. 98 Wie hier Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 111; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 636; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 153 ff.; wohl auch Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 51 a.E. 99 Vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 33; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 216.

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103

§ 3 Rz. 103 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

stands100 im Sinne einer „vorbeugenden Überwachung“101 oder „strukturell vorausschauende und begleitende Kontrolle“102. Der BGH103 spricht von „in die Zukunft gerichteter Kontrolle“. Aus den Berichtspflichten des Vorstands nach § 90 AktG, die dem Aufsichtsrat die Möglichkeit rechtzeitiger Mitsprache eröffnen, wird das besonders deutlich. Muss sich der Aufsichtsrat im Rahmen seiner unmittelbaren Kontrollaufgaben darauf beschränken, Unvertretbares zu verhindern, so heißt das nicht, dass er sich auch darauf beschränken dürfte, die Vorlagen und Vorhaben des Vorstands von vornherein nur auf ihre Vertretbarkeit hin zu prüfen. Zwar ist vom Aufsichtsrat keine so intensive Tätigkeit verlangt, dass er schließlich in der Lage wäre zu entscheiden, ob er selbst als Vorstand sich ebenso verhalten würde. Er hat aber die Vorlagen und Vorhaben des Vorstands im Rahmen seiner Möglichkeiten auf ihre Plausibilität zu untersuchen, ggf. Zusatzinformationen einzuholen, sorgfältig zu erwägen, ob nach seinen Informationen, Kenntnissen und Erfahrungen nicht ein anderes Verhalten des Vorstands zweckmäßiger sein könnte. Kommt der Aufsichtsrat dabei zu anderen Ergebnissen als der Vorstand, hat er seine Bedenken darzulegen und seine Überlegungen mit dem Vorstand zu erörtern, auch wenn er diesem dann die endgültige Entscheidung überlassen muss104. Dagegen kann – und soll! – vom Aufsichtsrat im Rahmen seiner Beratungsaufgabe nicht verlangt werden, dass er dem Vorstand entscheidungsreife Alternativpläne vorlegt105: Das wäre ein Eingriff in die Leitungsbefugnis des Vorstands. Nach der ausdrücklichen Anweisung des Gesetzes in § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG („beabsichtigte Geschäftspolitik“) hat der Aufsichtsrat die Strategie des Vorstands zu kontrollieren und mit ihm zu erörtern. Das setzt besonders große Anstrengungen des Aufsichtsrats voraus106 und ist erneut keine Richtigkeits-, sondern eine Plausibilitätskontrolle. 100 So ausdrücklich auch der BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, 654 = AG 1991, 312: „ständige Diskussion“ und „laufende Beratung“; dazu Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87 und Boujong, AG 1995, 203, 205; Bestätigung einer Beratungspflicht des Aufsichtsrats als Teil seiner Überwachungsaufgabe in BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f. = ZIP 1994, 1216, 1217 f. = AG 1994, 508; Theisen in Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1258 f.; Henze, BB 2005, 165; im Übrigen vgl. zur Beratungsfunktion des Aufsichtsrats auch Deckert, AG 1997, 109; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 12, 50 ff.; Hüffer, ZGR 1980, 321, 324; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 20; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 249 ff.; wesentlich enger Mertens, AG 1980, 67, 68. 101 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 247.1; vgl. auch Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 44: „vorausschauende“ Beratung als Teil der Überwachungsaufgabe. 102 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 280 sowie Dreist, Überwachungsfunktion, S. 88. 103 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, 654 = AG 1991, 312; dazu Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87. 104 Vgl. zum Ganzen auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 32 ff., insbesondere Rz. 40. Vgl. aber auch Hohenemser, Der Aufsichtsrat 2012, 160 zur Begleitung der Unternehmensstrategie durch den Aufsichtsrat. 105 Ebenso Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1260; a.A. Höhn, GmbHR 1993, 777, 778. 106 Vgl. dazu Hirt, Der Aufsichtsrat 2013, 144.

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Die Beratung mit dem Vorstand | Rz. 106 § 3

So wie der Aufsichtsrat verpflichtet ist, den Vorstand zu beraten, so ist der Vorstand verpflichtet, sich beraten zu lassen. Über Art, Zeit und Ausmaß der Beratung mit dem Vorstand entscheidet der Aufsichtsrat. Der Vorstand ist verpflichtet, sich der Erörterung mit dem Aufsichtsrat zu stellen und dessen Anregungen sorgfältig zu erwägen. Die Vorstellung, die Beratung könne aus der Sicht des Vorstands immer nur ein Angebot sein und nur stattfinden, wenn sie vom Vorstand gewünscht werde, wäre also unrichtig107.

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b) Gegenüber dieser These von der Beratungspflicht und dem Beratungsrecht des Aufsichtsrats mit dem Vorstand über Fragen der Unternehmensleitung verhalten sich Steinmann/Klaus108 besonders kritisch und bezweifeln die Möglichkeiten des Aufsichtsrats, überhaupt Ratgeber eines modernen, professionellen Managements sein zu können. Das mag vor 30 Jahren hin und wieder der Fall gewesen sein, trifft auf die heute viel professioneller zusammengesetzten Aufsichtsräte aber nicht mehr zu, in denen erfahrene Leiter anderer Unternehmen sitzen, die schließlich wissen, wovon die Rede ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die kritische Beurteilung einer Leitungsentscheidung nicht das gleiche Know-how verlangt wie deren Findung109. Vor allem aber wird bei solchen Analysen übersehen, welch wichtige Beratungshilfen ein überlegt zusammengesetzter Aufsichtsrat in mittelständischen Unternehmen leisten kann und nach hier vertretener Meinung auch leisten muss, die es deutlich mehr gibt als Großunternehmen. Im Gegensatz zu Großunternehmen ist in diesen mittelständischen Unternehmen die Ebene unterhalb von Vorstand/Geschäftsführung nicht immer so professionell besetzt, als dass die Geschäftsführung stets auch in der Belegschaft selbst erfahrene Gesprächspartner hätte. Gerade dann kann ein überlegt zusammengesetzter Aufsichtsrat als beratender Gesprächspartner Gold wert sein110.

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Im Gegensatz zu dieser herrschenden Betrachtung plädiert Theisen111 für ein generelles Verbot der Beratung durch das Überwachungsorgan und seine Mitglieder, da Überwachung und Beratung sich funktionell ausschließen würden. Während die Überwachung im Interesse und auf Wunsch Dritter erfolge, finde eine Beratung hingegen im Interesse des Ratsuchenden statt. Diese Auffassung verkennt, dass das frühzeitige Erkennen und Korrigieren von Fehlern in der unternehmerischen Zukunfts-

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107 108 109 110

Wie hier Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1263. Steinmann/Klaus, AG 1987, 29 ff. Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1262. Gewichtig ist der Hinweis von Steinmann/Klaus, AG 1987, 29, 33, Überwachung setze Misstrauen voraus, das dem Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand verlorengehen könne, je mehr er sich mit diesem beratend verbinde: Dieser Gefahr muss sich der Aufsichtsrat tatsächlich bewusst sein. 111 Theisen, AG 1995, 193, 199 f. Der (alte) Kodex formulierte in Ziff. 3.1: „Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten zum Wohle des Unternehmens eng zusammen“, Grundsatz 13 DCGK 2020 lautet: „Vorstand und Aufsichtsrat arbeiten zum Wohle des Unternehmens vertrauensvoll zusammen“. Dazu v. Werder in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 500 ff.

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§ 3 Rz. 106 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

planung aufgrund der Beratung durch den und mit dem Aufsichtsrat gerade auch im Interesse der Aktionäre und allgemein im Unternehmensinteresse liegt112. 2. Grenzen des Beratungsauftrags 107

Überspannt würde der Beratungsauftrag des Aufsichtsrats allerdings, wollte man es ihm zur Pflicht machen, zu jedweder Vorlage und jedwedem Vorhaben des Vorstands förmlich Stellung zu beziehen: Tatsächlich übt der Aufsichtsrat im Unternehmen eine Nebentätigkeit und nicht ein Hauptamt aus. Wie sich der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand verhält, obliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen. Ergeben sich im Aufsichtsrat keine Bedenken oder teilt die Mehrheit des Aufsichtsrats die Auffassung des Vorstands, bedarf es keiner Äußerung113. Hat der Aufsichtsrat Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Vorstandshandelns, so genügt er seinem Auftrag auch durch eine formlose Erörterung mit dem Vorstand.

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Außerhalb des Bereichs überwachungsbedürftigen Vorstandshandelns, bei den weniger bedeutsamen Maßnahmen, trifft den Aufsichtsrat keine besondere Beratungspflicht. Wo er nicht kontrollieren muss, muss er auch keinen Rat erteilen. Daher beschränkt sich seine organschaftliche Pflicht zur Beratung auf die strategisch-konzeptionellen Teile der Unternehmensleitung, erfasst hingegen nicht den operativen Bereich114. Er kann sich der Beschäftigung mit solchen Angelegenheiten gänzlich enthalten und ist von sich aus nicht einmal berechtigt, zu sämtlichen Angelegenheiten der Gesellschaft ungebeten Stellung zu nehmen. Denn soll der Vorstand die Gesellschaft eigenverantwortlich leiten, gilt es, ihn vor ständigen, wenn auch unverbindlichen Einmischungen in seinen Tätigkeitsbereich zu schützen115.

IV. Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats 109

Sinnvolle Überwachung kann sich nicht nur auf bloßes Prüfen beschränken, sondern erfordert die Möglichkeit zur Einwirkung auf den zu Prüfenden. Das vom Gesetz dem Aufsichtsrat hierzu zur Verfügung gestellte Instrumentarium ist begrenzt. In Betracht kommen hier vor allem: – Stellungnahmen und Beanstandungen, – Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand, – Zustimmungsvorbehalte nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG, 112 So Jäger, DStR 1996, 671, 674, der zwar ein Recht des Aufsichtsrats zur Beratung für gegeben hält, eine organschaftliche Pflicht aber ablehnt. 113 Wie hier Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 201. 114 Deckert, AG 1997, 109, 114. 115 Ähnlich Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 56; weitergehend Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 264; insoweit zutreffend Mertens, AG 1980, 67, 68; einschränkend Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 284.

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Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 113 § 3

– Abberufung von Vorstandsmitgliedern, – im Rahmen der Prüfung von Jahresabschluss und Abhängigkeitsbericht: Verweigerung der Zustimmung zum Jahresabschluss oder Konzernabschluss (§§ 172, 173 Abs. 1 AktG) und Beanstandungen im Pflichtbericht an die Hauptversammlung über das Ergebnis der Prüfung (§§ 171 Abs. 2, 314 Abs. 2 AktG), – Einberufung einer Hauptversammlung nach § 111 Abs. 3 AktG, – gerichtliche Klagen. 1. Stellungnahmen und Beanstandungen

Stellungnahmen und Beanstandungen des Aufsichtsrats hat der Vorstand zwar sorgfältig zu erwägen, ihnen kommt aber aus sich heraus keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Der Aufsichtsrat verfügt – von Sonderfällen abgesehen – über kein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand. Befolgt dieser eine Stellungnahme des Aufsichtsrats nicht, so ist seine Maßnahme nicht allein deshalb rechtswidrig, sondern sie kann pflichtwidrig nur wegen ihres Inhalts selbst sein. Umgekehrt kann eine Stellungnahme des Aufsichtsrats den Vorstand nicht von seiner Pflicht zu eigenverantwortlicher Leitung der Gesellschaft entlasten: Er darf ihr nicht unbesehen folgen, sondern hat unter Erwägung der Meinung des Aufsichtsrats selbst zu entscheiden, was zu tun ist116.

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2. Erlass einer Geschäftsordnung Zum Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand vgl. Rz. 465.

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3. Zustimmungsvorbehalte Die Möglichkeit rechtsverbindlicher Einflussnahme auf Maßnahmen der Unternehmensleitung kann dem Aufsichtsrat – und nur ihm – gemäß § 111 Abs. 4 AktG dadurch eröffnet werden, dass bestimmte Arten von Geschäften an seine Zustimmung gebunden werden. Auch dann kann der Aufsichtsrat dem Vorstand zwar keine bestimmte Verhaltensweise positiv vorschreiben, er kann aber vom Vorstand beabsichtigte Maßnahmen verhindern: seine Ablehnung wirkt wie ein Veto.

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Der Aufsichtsrat entscheidet hier neben dem Vorstand als Mitunternehmer nach pflichtgemäßem Ermessen117. Ihm kommt für diese Entscheidung daher auch das Privileg der Business Judgment Rule nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zugute118. Diese Zustimmungsvorbehalte waren bis zum TransPuG von 2002 in das Ermessen des Satzungsgebers oder des Aufsichtsrats selbst gestellt119. Das Gesetz verpflichtet 116 Vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 38 m.w.N.. 117 Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 128; Lutter in FS Albach, 2001, S. 226; Probst/ Theisen, DB 2010, 1573, 1574 f. 118 Goette in FS Baums, 2017, S. 475, 481 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 846. 119 Im Gefolge des MitbestG 1976 hatten die betreffenden Gesellschaften ihre statutarischen Kataloge zustimmungspflichtiger Geschäfte abgeschafft; vgl. Ulmer, Anpassung der Satzungen, 1980.

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§ 3 Rz. 113 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

die Gesellschaft in § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG („hat jedoch“)120 zur Schaffung eines solchen Kataloges zustimmungspflichtiger Geschäfte, ohne ihnen jedoch inhaltliche Vorgaben zu machen121. Damit können die Hauptversammlung (Satzung) oder der Aufsichtsrat selbst nach wie vor den speziellen Bedürfnissen und Besonderheiten je ihrer Gesellschaft Rechnung tragen. Das ist vom Gesetzgeber und vom Kodex so gewollt. Durch das ARUG II enthält § 111b AktG jetzt einen gesetzlichen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei Related-Party-Transactions (dazu Rz. 134). a) Einrichtung 114

Zur Einrichtung solcher Zustimmungsvorbehalte sind Satzung und Aufsichtsrat unabhängig voneinander befugt: In der Satzung angeordnete Zustimmungsvorbehalte122 kann der Aufsichtsrat weder aufheben noch durch Erteilung einer „Generalzustimmung“ überspielen123. Andererseits kann die Satzung das Recht des Aufsichtsrats zur Anordnung von (weiteren) Zustimmungsvorbehalten weder ausschließen noch in irgendeiner Form beschränken124.

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Zur Einrichtung eines Zustimmungsvorbehalts durch den Aufsichtsrat selbst bedarf es eines Plenarbeschlusses; einem Aufsichtsratsausschuss kann die Entscheidung nicht übertragen werden (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG). Welche Zustimmungsvorbehalte der Aufsichtsrat anordnet, unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen, beschränkt jedoch auf Geschäfte von Bedeutung125; andererseits sollten alle Geschäfte von

120 Die Änderung des vorhergehenden Wortlauts „kann jedoch“ folgte einem Vorschlag der Kommission Corporate Governance; vgl. Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 34 und 35; dazu Berrar, DB 2001, 2181. 121 Anders das österreichische (§ 95 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1–11 öAktG) und das niederländische Recht (dort Buch 2, Art. 164 B.W.). 122 Solche statutarischen Zustimmungsvorbehalte sind eher selten, um bei den sich rasch verändernden äußeren Umständen keine „Zementierung“ zu bewirken. Im Übrigen vgl. zu den Grenzen der Einrichtung solcher Zustimmungsvorbehalte Fleischer, BB 2013, 835. 123 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 143; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 80; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 642; im Ergebnis ebenso Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 20. 124 H.M., vgl. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 162 m.w.N.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 117; ausführlich Immenga, ZGR 1977, 249, 261 ff.; Götz, ZGR 1990, 633, 634 ff.; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 21; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 78; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 641; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1752; wie die h.M. auch Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 61 mit dem Argument, dass die dadurch eröffnete Mitwirkung des Aufsichtsrats an bestimmten Geschäftsführungsmaßnahmen ein wesentliches Kontroll- und Überwachungsinstrument ist. A.A. Wiedemann, ZGR 1975, 385, 426; Wiedemann, BB 1978, 1, 8. 125 Zutr. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 680 ff.; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814, 2815 ff.; vgl. auch Rz. 121.

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Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 117 § 3

grundlegender Bedeutung erfasst sein126,127. Seine Pflicht zu gewissenhafter Kontrolle des Vorstands kann es aber verlangen, bestimmte Maßnahmen der Zustimmungspflicht zu unterwerfen128. Dem BGH129 zufolge reduziert sich das Ermessen des Aufsichtsrats dann auf eine Pflicht zur Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts, wenn eine gesetzwidrige Maßnahme des Vorstands nur noch auf diese Weise verhindert werden kann. Dasselbe ist bei einem satzungswidrigen Vorstandsverhalten anzunehmen130. Verzichtet der Aufsichtsrat daher auf solche speziellen Zustimmungsvorbehalte oder hält er den Katalog der zustimmungspflichtigen Maßnahmen bewusst eng, so kann darin eine Pflichtwidrigkeit liegen, die seine Schadensersatzpflicht auszulösen vermag131. Das aber bedeutet nicht, dass ein Beschluss des Aufsichtsrats, der solche Zustimmungserfordernisse ablehnt, a priori nichtig wäre132. Ein Unterlassen des Vorstands kann nicht an einen Zustimmungsvorbehalt gebunden werden, da das zu einer Handlungspflicht des Vorstands führen würde. Das aber steht dem Aufsichtsrat nicht zu133. Zustimmungsvorbehalte sind üblicherweise Teil einer Geschäftsordnung, die sich der Aufsichtsrat selbst gegeben oder für den Vorstand erlassen hat134. Im Zweifel sollte das auch im Sinne einer guten Corporate Governance geschehen.

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Ein solcher Zustimmungsvorbehalt kann (und muss ggf.) vom Aufsichtsrat auch ad hoc beschlossen werden135, etwa um Absichten des Vorstands, die der Aufsichtsrat für unvertretbar hält, noch verhindern zu können, insbesondere wenn der Vorstand sich in der Erörterung trotz gewichtiger Gegenargumente nicht überzeugen lässt.

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126 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 116 versteht das zu Unrecht als „muss“; zutr. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 659 f. 127 Welche das in concreto sind, variiert nach Größe und Tätigkeitsfeld der Gesellschaft; vgl. im Übrigen Rz. 118. 128 Ebenso Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 37; Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 152 (für GmbH); Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 148 f.; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 48 f.; vgl. auch schon Biener, BFuP 1977, 489, 496; enger Götz, ZGR 1990, 633, 637 ff.; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 164. 129 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124. 130 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 304; Schön, JZ 1994, 684, 685. 131 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 61a; a.A. Götz, ZGR 1990, 633. 132 So aber Säcker, Aufsichtsratsausschüsse, S. 28. 133 Wie hier Lieder, DB 2004, 2254; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 687; a.A. Lange, DStR 2003, 376, 380. 134 Neuere Untersuchungen zur Häufigkeit und zum Inhalt solcher Kataloge fehlen, vgl. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 51 ff. 135 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 648; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 75; Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 352.

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§ 3 Rz. 118 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

b) Umfang und Katalog 118

Zustimmungsvorbehalte haben den Zweck, dem Aufsichtsrat eine Vorwegkontrolle zu ermöglichen, eine Art „Vier-Augen-Prinzip“ übertragen auf die beiden Organe Vorstand und Aufsichtsrat. Sie können vom Aufsichtsrat aber auch strategisch als Steuerungsinstrument für seine Beteiligung an wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen eingesetzt werden136. Schon daraus ergibt sich eine Beschränkung auf wesentliche und ggf. risikoreiche Geschäfte und Entscheidungen. Der Vorstand darf in der Führung des Tagesgeschäftes nicht beeinträchtigt werden und der Aufsichtsrat darf sich nicht selbst überlasten137. Zustimmungsvorbehalte können nur für „bestimmte Arten von Geschäften“ (so wörtlich § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) festgelegt werden. Ausgeschlossen sind damit generalklauselartige Zustimmungsvorbehalte wie etwa „alle bedeutenden Geschäfte“138; die vom Zustimmungsvorbehalt erfassten Geschäfte müssen vielmehr nach allgemeinen Merkmalen bestimmt werden. Beispiele für solche Zustimmungsvorbehalte sind139: (1) Die Jahresplanung (Budget) und die Investitionsplanung sowie deren Änderungen und Überschreitungen140; (2) Gründung und Schließung von Tochtergesellschaften und Niederlassungen im In- und Ausland, soweit diese nicht nur reine Vertriebsaufgaben haben; (3) Erwerb und Veräußerung von Unternehmen und Unternehmensteilen über x Euro hinaus; (4) Erwerb und Veräußerung von Grundbesitz über x Euro hinaus; (5) Aufnahme von Krediten über x Euro hinaus; (6) Gewährung von Krediten über x Euro hinaus; (7) Einführung und Änderung von Beteiligungs- und Optionsplänen gleich welcher Ausgestaltung für Mitarbeiter; (8) Aufnahme neuer Produkte und Produktionen sowie deren Aufgabe; 136 Vgl. Schima, Der Gesellschafter (Öster.) 2012, 35. 137 Fleischer, BB 2013, 835; Goette in FS Baums, 2017, S. 475, 482 f.; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814, 2818. 138 OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, WM 1979, 1296, 1300; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 62; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 120; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 28; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, Komm. AktG, § 111 Rz. 46; ebenso Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 304 bezüglich eines Vorbehalts bei „allen Geschäften, die über den laufenden Geschäftsbetrieb hinausgehen“. 139 Vgl. aber auch den sehr viel umfangreicheren und deshalb (Überlastung des Aufsichtsrats) problematischen Katalog von Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.620. 140 So schon vor über 50 Jahren Schilling, JZ 1967, 615.

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Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 120 § 3

(9) Bestellung und Abberufung von Vorständen und Geschäftsführern in wesentlichen Tochtergesellschaften; (10) Abschluss und Kündigung von Unternehmensverträgen in wesentlichen Tochtergesellschaften; (11) Abschluss von Haustarifverträgen; (12) Der Vorstand ist verpflichtet, für die Einführung gleicher Zustimmungsvorbehalte in wesentlichen Tochtergesellschaften zu sorgen verbunden mit der Pflicht, seine Zustimmung erst nach der Zustimmung des Tochter-Aufsichtsrats zu erteilen. Auch der Abschluss von Betriebsvereinbarungen kann der Zustimmung des Aufsichtsrats unterworfen werden. Es ist kein Ansatz dafür ersichtlich, insoweit immanente Schranken aus der Tarifautonomie der Gewerkschaften oder den Kompetenzen der betriebsverfassungsrechtlichen Organe abzuleiten141. Im Übrigen ist dieser Katalog unspezifisch und sollte um unternehmensspezifische Geschäfte von besonderem Risiko oder besonderer Bedeutung ergänzt werden, wie etwa (13) Annahme oder Vergabe von Bauaufträgen in Höhe von mehr als 100 Mio. Euro oder (14) die Vergabe eines Bauauftrages für ein Schiff von mehr als 50 Mio. Euro oder (15) die Bestellung von Flugzeugen für mehr als 50 Mio. Euro. Ausnahmsweise können aber auch einzelne Geschäfte von herausragender Bedeutung für die Gesellschaft der Zustimmungspflicht unterworfen werden142. Als Beispiel kann man etwa an den Jahresvertrag eines Zulieferer-Unternehmens mit seinem Hauptkunden denken. Zustimmungspflichten in diesem Zusammenhang sind in der Praxis aber offenbar selten.

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Zustimmungsvorbehalte können auch und gerade rein unternehmensinterne Maßnahmen betreffen, insbesondere also auch unternehmerische Planungen des Vorstands143, wie etwa Großinvestitionen oder das jährliche Investitionsbudget. Überhaupt werden Maßnahmen vorausschauender Planung von der Betriebswirtschafts-

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141 Ebenso Vogel, Aktienrecht und Aktienwirklichkeit, S. 227; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 28. Zur Frage des Stimmrechtsausschlusses vgl. Rz. 894 ff. 142 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 120; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 79; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 55; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 41; Götz, ZGR 1990, 633, 642 f.; a.A. aber Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 304, der Einzelgeschäfte ausnahmslos ausnimmt; ablehnend auch Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 7; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 151 f. 143 Goette in FS Baums, 2017, S. 475, 482 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 55; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 32; Kropff, NZG 1998, 613, 616 f.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 10; Ha-

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§ 3 Rz. 120 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

lehre als besonders geeignet für Zustimmungsvorbehalte und damit für förmliche Beratungspflichten mit dem Vorstand angesehen. 121

Begrenzt wird das Recht zur Anordnung von Zustimmungsvorbehalten durch die Befugnis des Vorstands zu autonomer Leitung der Gesellschaft (§ 76 AktG). Um diese nicht zu beeinträchtigen, dürfen Zustimmungsvorbehalte zum einen nur für bedeutsame Angelegenheiten angeordnet werden, zum anderen müssen sie auch in diesem Bereich in ihrem Umfang bestimmt und begrenzt bleiben. Nicht nur für Routinegeschäfte sind Zustimmungsvorbehalte deshalb unzulässig, sondern unzulässig wäre es auch, alle „wichtigen“ Geschäfte pauschal für zustimmungsbedürftig zu erklären oder den Zustimmungskatalog in konkreter Form auf alle oder den Großteil der Vorstandsentscheidungen zu erstrecken144.

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Unter Hinweis auf die Leitungsverantwortung des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) und das Geschäftsführungsverbot des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) wird es teilweise für unzulässig gehalten, eine Mehrjahresplanung von der Zustimmung des Aufsichtsrats abhängig zu machen. Die nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG erforderliche konkrete Bezeichnung der zustimmungspflichtigen Geschäfte sei außerdem nur bei einzelnen Planungsmaßnahmen und eventuell bei der jährlichen Budgetplanung möglich145. Tatsächlich bleibt die gesetzliche Zuordnung der Geschäftsführung zum Vorstand jedoch auch bei einer zustimmungspflichtigen Mehrjahresplanung unangetastet, da der Aufsichtsrat seine abweichenden geschäftspolitischen Vorstellungen nicht mit der Forderung nach einer Neuplanung durchsetzen kann. Der Vorstand ist nur dann verpflichtet, die vom Aufsichtsrat geforderten Planungsänderungen vorzunehmen, wenn seine ursprüngliche Planung gegen fachliche Grundsätze, die Satzung oder die Geschäftsordnung verstoßen hat146. Außerdem hat die Anordnung dieses Zustimmungsvorbehalts den Vorteil, dass der Aufsichtsrat gezwungen ist, sich eingehend mit der Planung auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen147. c) Die Erteilung oder Versagung der Zustimmung; Information des Aufsichtsrats

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Sie ist nur im Innenverhältnis zwischen Vorstand und Gesellschaft von Bedeutung. Auch bei versagter Zustimmung kann der Vorstand nach außen wirksam handeln,

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145 146 147

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bersack in FS Hüffer, 2010, S. 259, 268 ff.; Schilling, JZ 1967, 615; einschränkend v. Rechenberg, BB 1990, 1356 ff. H.M., vgl. nur Säcker/Rehm, DB 2008, 2814; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 120 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 79 m.w.N.; ebenso Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 304; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 62; etwas zu eng Götz, ZGR 1990, 633, 640 ff., der Zustimmungsvorbehalte auf Geschäfte i.S. von § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG beschränken will. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 41; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 86; a.A. Lutter, AG 1991, 249, 254. Im Übrigen vgl. bereits Rz. 80 ff. Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 70; Kropff, NZG 1998, 613, 616; Lieder, DB 2004, 2251, 2255. Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 300.

Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 124 § 3

er darf es aber nicht und handelt pflichtwidrig, wenn er sich über das Fehlen der Zustimmung hinwegsetzt148, und wird nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG schadensersatzpflichtig. Gegen die Zustimmungsverweigerung des Aufsichtsrats kann der Vorstand jedoch die Hauptversammlung anrufen, die dann anstelle des Aufsichtsrats mit ¾-Mehrheit die Zustimmung erteilen kann (§ 111 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AktG). Praktisch kommt das nicht vor. Ist die Zustimmung des Aufsichtsrats zu einer Maßnahme des Vorstands vorbehalten, so bedarf es ihrer Einholung vor Durchführung des beabsichtigten Geschäfts. Bei einer nur nachträglichen Genehmigung stünde der Aufsichtsrat vor vollendeten Verhältnissen, und es wäre der Zweck des Zustimmungsvorbehalts schlechthin verfehlt149, insbesondere liegt es nicht im Ermessen des Vorstands, ob er die Zustimmung vor oder nach der Vornahme des betreffenden Geschäfts einholt150. Die Gegenansicht trifft daher nicht zu und selbst die Auffassung, eine nachträgliche Zustimmung genüge ausnahmsweise in dringenden Fällen151, begegnet erheblichen Bedenken. Angesichts der Möglichkeiten fernmündlicher Beschlussfassung und schriftlicher Stimmabgabe (§ 108 Abs. 3 und 4 AktG) ist der Aufsichtsrat auch Eilsituationen in der Regel gewachsen, so dass in jedem Fall zumindest der Versuch unternommen werden kann, eine vorherige Entscheidung des Aufsichtsrats zu erlangen. Der ausdrückliche Beschluss des Aufsichtsrats kann nicht durch eine Entscheidung des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden152. Allenfalls wenn der Versuch scheitert und die Entscheidung keinen Aufschub mehr duldet, darf der Vorstand ohne vorherige Einwilligung des Aufsichtsrats handeln. Und das alles gilt naturgemäß erst recht, wenn die Zustimmungsbefugnis an einen Ausschuss delegiert ist: An ihm vorbei zu handeln, dürfte im Zweifel stets pflichtwidrig vom Vorstand sein153. 148 OLG Köln v. 22.1.2009 – 18 U 142/07, NZG 2009, 1223; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, Komm. AktG, § 111 Rz. 53; h.M. 149 H.M., vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, NZG 2018, 1189 Rz. 15 ff.; Baumbach/Hueck, Komm. AktG, § 111 Anm. 12; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 140; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 54; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 106; Seebach, AG 2012, 70, 71; differenzierend Bauer, Organklagen, S. 97: grundsätzlich vorherige Zustimmung, Ausnahmen bei besonders eiligen Geschäften; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 727 ff. und Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 302. Zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Kompetenzverstößen des Vorstands Grobecker/Wagner, ZIP 2019, 694. 150 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, AG 2018, 841 = NZG 2018, 1189 Rz. 17. 151 So aber die h.M., vgl. Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 80; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 166; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 106; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 58; enger Götz, ZGR 1990, 633, 643 f.; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 141. Offen gelassen von BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, AG 2018, 841 = NZG 2018, 1189 Rz. 18. 152 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, AG 2018, 841 = NZG 2018, 1189 Rz. 22. Auch ein Doppelvorsitz ist keine zulässige Lösung, s. Bachmann in FS Baums, 2017, S. 107 ff. 153 Ebenso Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 56.

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§ 3 Rz. 125 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat 125

Es handelt sich hier um die notwendige Kooperation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat: Der Vorstand will die Zustimmung des Aufsichtsrats. Es liegt auf der Hand, dass die Einwilligung des Aufsichtsrats ein vollständiges Maß seiner Information bedingt, da dieser anders die zur Debatte stehende Entscheidung für die Gesellschaft nicht mittragen kann. Die erforderliche Information wird hier üblicherweise als Begründung des Vorstands über die eigenen Vorstellungen gegeben, soweit diese Informationen nicht bereits in den beizufügenden Unterlagen enthalten sind154. Diese Begründung sollte zunächst einmal den reinen Sachverhalt schildern. Sodann sind die Vor- und Nachteile der betreffenden Maßnahme insbesondere für Liquidität und Ertrag darzustellen. Erst nach diesem Sachbericht sollte der Vorstand dann seine Gründe für die betreffende Maßnahme erläutern und den Sachverhalt aus seiner Sicht hinsichtlich der Notwendigkeiten und der Vorzüge für die Gesellschaft bewerten155. Trotz all dieser Informationen mag der Aufsichtsrat sachlich überfordert sein156. Denn die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats beinhaltet, dass er das Ausmaß von erheblichen Risiken, die der Vorstand mit Geschäften eingeht, unabhängig vom Vorstand selbstständig abschätzt157. Das heißt auch, dass der Aufsichtsrat nicht zustimmen darf, wenn er die Lage nicht sachgerecht beurteilen kann. Er ist dann berechtigt und verpflichtet, sachverständigen Rat eines unabhängigen Experten einzuholen158. Dessen schriftliche Stellungnahme hat der Aufsichtsrat dann auf Stringenz und Plausibilität zu prüfen, ehe er dem entsprechenden Rat folgt159.

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Ob der Aufsichtsrat die Zustimmung erteilt, unterliegt seinem pflichtgemäßen Ermessen; hält er die vom Vorstand beabsichtigte Maßnahme für unvertretbar, muss er sie untersagen; hält er sie zwar für vertretbar, eine andere Maßnahme aber für zweckmäßiger, darf er die Zustimmung verweigern, muss es aber nicht.

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Der Aufsichtsrat muss über statutarisch festgelegte Zustimmungsvorbehalte in jedem Einzelfall entscheiden. Eine Generalzustimmung/Vorwegzustimmung kommt

154 Entscheidet der Aufsichtsrat auf der Grundlage unzureichender Information, so verletzen er und der Vorstand ihre Pflichten: OLG Oldenburg v. 22.6.2006 – 1 U 34/03, DB 2006, 2511 = GmbHR 2006, 1263. 155 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 90; Seebach, AG 2012, 70, 72. 156 So war es objektiv in den Fällen der Vorstände und Geschäftsführer in BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, AG 2007, 548 = ZIP 2007, 1265 und BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876. 157 BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, NZG 2013, 339, 339 f. = AG 2013, 90. 158 Einzelheiten bei Selter, AG 2012, 11 ff. Die Situation unterscheidet sich nicht vom überforderten Vorstand oder Geschäftsführer. Der Aufsichtsrat hat dann die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Sachverständigen in einem Erkenntnisverfahren, das im Hinblick auf eine Streitigkeit aus dem Auftragsverhältnis geführt wird, BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, NZG 2018, 629 ff. = AG 2018, 436. 159 Vgl. dazu BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 sowie Fleischer, ZIP 2009, 1397.

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Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 131 § 3

hier nicht in Betracht, weil sie faktisch einer Aufhebung des statutarischen Gebotes gleichkommen würde. Dafür ist der Aufsichtsrat nicht zuständig. Anders ist es bei vom Aufsichtsrat selbst festgelegten Zustimmungsvorbehalten. Diese kann der Aufsichtsrat ändern und einschränken, also auch durch eine Generalzustimmung/Vorwegzustimmung160. Innerhalb des Aufsichtsrats kann die Entscheidung einem Ausschuss übertragen werden. Das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nennt die Zustimmungsvorbehalte des § 111 Abs. 4 AktG gerade nicht161. Auch hier ist eine Generalzustimmung/Vorwegzustimmung (nur) für vom Aufsichtsrat selbst festgelegte Zustimmungsvorbehalte möglich. Das setzt aber eine entsprechende Ermächtigung seitens des Plenums voraus.

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Die Entscheidung des Aufsichtsrats/des Ausschusses wird dem Vorstand vom jeweiligen Vorsitzenden mitgeteilt.

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d) Einzelne Zustimmungsvorbehalte Entscheidungen über größere Investitionen der Gesellschaft, insbesondere über den Erwerb von Unternehmensbeteiligungen, werden häufig einem Zustimmungsvorbehalt unterworfen. Der Aufsichtsrat muss sich vor Erteilung seiner Zustimmung zu einer solchen Investition vergewissern, dass deren Chancen und Risiken von der Geschäftsführung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden162. Dazu muss er umfassende Informationen vom Vorstand einfordern; die Rentabilität der Investition ist ihm durch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung nachzuweisen163. Seine Zustimmung sollte der Aufsichtsrat unter der Auflage erteilen, dass der Vorstand regelmäßig über die Entwicklung der Investition berichtet164.

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Erfolgt die Investition in Form eines Unternehmens- oder Beteiligungskaufs, trifft den Aufsichtsrat die Pflicht, die Vorlage eines Bewertungsgutachtens oder zumindest dessen Zusammenfassung hinsichtlich des zu erwerbenden Objekts zu verlangen. Das Gutachten kann der Vorstand selbst erstellen, er kann sich dazu auch externer Gutachter bedienen, muss dann aber zu dessen Vorgehensweise und Ergebnissen gegenüber dem Aufsichtsrat Stellung nehmen165. Vermehrt wird vor einem Beteiligungs- oder Unternehmenserwerb bei Zustimmung des Zielunternehmens die aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammende due diligence-Prüfung vor-

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160 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 143. 161 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 26 und 35 und Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 61a. 162 Potthoff/Trescher, Das Aufsichtsratsmitglied, 5. Aufl., S. 319 (in Neuauflage nicht mehr enthalten). 163 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 85; Potthoff/Trescher, Das Aufsichtsratsmitglied, 5. Aufl., S. 319 (in Neuauflage nicht mehr enthalten). 164 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 83. 165 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 76 f.

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§ 3 Rz. 131 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

genommen, in deren Rahmen die mit dem Erwerb verbundenen Risiken ermittelt und bewertet werden sollen. Trotz der nur eingeschränkten Zulässigkeit der due diligence166 und deren noch nicht abschließend geklärten gewährleistungsrechtlichen Folgen167 muss heute eine allgemeine und regelmäßige Pflicht des Vorstands zur Durchführung dieser Prüfung angenommen werden168, deren Ergebnis dem Aufsichtsrat vorzulegen ist. Unabhängig davon muss sich der Aufsichtsrat jedenfalls darüber informieren, welche Risiken die Geschäftsleitung bereit ist einzugehen, ob das nach dem Zustand der eigenen Gesellschaft gerechtfertigt ist und wie man sich dagegen durch Gewährleistungsvereinbarungen mit dem Verkäufer abgesichert hat. Die Existenz der eigenen Gesellschaft darf selbst im worst case nie in Frage stehen169. Letztendlich hat der Aufsichtsrat zu prüfen, ob sich der Erwerb in die Unternehmensstrategie, wie sie in der Mittelfrist- und Langzeitplanung dargelegt wurde, einfügt170. 132

Im Rahmen von Personalentscheidungen sollten Zustimmungsvorbehalte aus Praktikabilitätsgründen nur für Angestellte direkt unterhalb des Vorstands angeordnet werden. Ferner sollte die Entscheidung über die Zustimmung einem Personalausschuss übertragen werden. e) Nicht-Einhaltung der Vorgaben von Satzung und Aufsichtsrat

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Beachtet der Vorstand die Zustimmungsrechte des Aufsichtsrats nicht, so ist das eine klare Pflichtverletzung, die zur Schadensersatzpflicht der Mitglieder des Vorstands nach § 93 Abs. 2 AktG führt171. Das gilt auch, wenn der Vorstand glaubt, die Zustimmung nachholen zu können. Der Aufsichtsrat ist in keiner Weise verpflichtet, nachträglich zuzustimmen. Der Vorstand, der ohne Zustimmung handelt, handelt auf eigenes Risiko. Die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG findet hier keine Anwendung.

166 Vgl. dazu Lutter, ZIP 1997, 613 ff.; weitergehend Mertens, AG 1997, 541 ff. 167 Näher dazu Loges, DB 1997, 965, 967 ff.; Merkt, BB 1995, 1041, 1046 ff. sowie Eggenberger, Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Fragen einer due diligence-Prüfung, 2001; Weber in Hölters, Handbuch Unternehmenskauf, 9. Aufl., Kap. 9 Rz. 46 ff. 168 Schüppen, BB 2012, Heft 39 „Die Erste Seite“ m.N. aus der Rspr.; Kiethe, NZG 1999, 976, 982 f., der für den Fall, dass das Zielunternehmen eine due diligence-Prüfung nicht zulässt, eine Pflicht des Vorstands zur Ablehnung des Erwerbs annimmt. Vgl. auch die due diligence-Checkliste von Wegen, WiB 1994, 291 ff. Bei dem Erwerb der großen Alpe Adria durch die Bayerische Landesbank hat deren Verwaltungsrat zugestimmt, ehe die due diligence fertiggestellt war. Das u.a. ist der Grund für eine weiter anhängige Haftungsklage gegen die damaligen Vorstands- und zwei der damaligen Verwaltungsratsmitglieder. 169 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 78. 170 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 79; Potthoff/Trescher, Das Aufsichtsratsmitglied, 5. Aufl., S. 320 (in Neuauflage nicht mehr enthalten). 171 OLG Köln v. 22.1.2009 – 18 U 142/07, NZG 2009, 1223.

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Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats | Rz. 135 § 3

f) Zustimmungsvorbehalt bei Related Party Transactions Um eine Überführung von Wirtschaftsgütern und Erträgen des Unternehmens in das Vermögen beherrschender Anteilseigner und von Mitgliedern der Leitungsorgane zu vermeiden, sieht § 111b Abs. 1 AktG172 in Umsetzung der ARRL für börsennotierte Gesellschaften einen Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats für wesentliche Geschäfte mit nahestehenden Unternehmen oder Personen, § 111a AktG (related parties), vor. Ein Geschäft ist nach § 111b Abs. 1 und 3 AktG wesentlich, wenn sein wirtschaftlicher Wert mindestens 1,5 %173 der Summe aus dem Anlage- und Umlaufvermögen der AG nach Maßgabe des zuletzt festgestellten Jahresabschlusses übersteigt, wobei Geschäfte mit derselben Person im laufenden Geschäftsjahr aggregiert werden. Für eine Konkretisierung des Begriffs der nahestehenden Unternehmen und Personen verweist § 111a Abs. 1 Satz 2 AktG dynamisch auf internationale Rechnungslegungsstandards in Form der IAS-VO. Erfasst sind daher natürliche Personen und nahe Familienangehörige, welche die Gesellschaft beherrschen oder an ihrer gemeinschaftlichen Führung beteiligt sind, maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft haben oder eine Schlüsselposition im Management der Gesellschaft bekleiden. Eine Ausnahme besteht nach § 111a Abs. 2 Satz 1 AktG für marktübliche Geschäfte. Diese ist im Wesentlichen erfüllt, wenn die Transaktion einem Drittvergleich standhält174. Bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats oder eines gemäß § 107 Abs. 3 AktG bestellten Ausschusses können diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Stimmrecht nicht ausüben, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind oder bei denen die Besorgnis eines Interessenkonfliktes aufgrund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht, § 111b Abs. 2 AktG. Ob insofern ein Interessenkonflikt besteht, entscheidet der Aufsichtsrat mit Einschätzungsprärogative. Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung, so kann der Vorstand verlangen, dass die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt, § 111b Abs. 4 AktG. Zustimmungsbedürftige Geschäfte muss die Gesellschaft, insbesondere auf ihrer Internetseite, nach Maßgabe von § 111c AktG veröffentlichen.

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4. Abberufung von Vorstandsmitgliedern Zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern als einer Maßnahme der Einwirkung auf die Geschäftsführung und deren Kontrolle vgl. Rz. 331 und 362 ff. Dabei vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich sowohl bei der korporativen Abberufung als auch bei der Kündigung des Anstellungsvertrages und dem etwaigen Rechtsstreit daraus175.

172 Überblick zum Regierungsentwurf (RegE) vom 20.3.2019 bei Löbbe/Fischbach, AG 2019, 373 und Schmidt, EuZW 2019, 261. 173 Kritisch Engert/Florstedt, ZIP 2019, 493, 501 f.; anders Schmidt, EuZW 2019, 261, 261 f.: vertretbare Kompromisslösung. 174 Näher Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2441, 2444 f. 175 BGH v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, AG 1987, 19; der Aufsichtsrat ist in diesen Streitigkeiten auch dann vertretungsbefugt, wenn die Organstellung des Vorstandsmitgliedes vorher durch Zeitablauf erloschen ist, BGH v. 8.2.1988 – II ZR 159/87, BGHZ 103, 213 = AG 1988, 168 und BGH v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, WM 1991, 941 = AG 1991, 269.

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§ 3 Rz. 135 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

Eine solche Abberufung ist nahezu zwangsläufig, wenn der Vorstand gegen das oberste Gebot der unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat verstoßen und diesen etwa belogen hat176. 5. Einwirkungsmöglichkeiten im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses 136

Vgl. Rz. 502 ff. 6. Einberufung der Hauptversammlung

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Der Überwachungsaufgabe nutzbar gemacht werden kann schließlich auch das Recht des Aufsichtsrats, gemäß § 111 Abs. 3 AktG eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn es das Wohl der Gesellschaft verlangt. Der Aufsichtsrat kann auf diese Weise Beschlüsse über Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich der Hauptversammlung (§ 119 Abs. 1 AktG) initiieren und der Hauptversammlung Gelegenheit geben, Vorstandsmitgliedern das Vertrauen zu entziehen und so einen wichtigen Grund zu deren Abberufung statuieren (§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG). Man wird es aber auch für zulässig halten müssen, der Hauptversammlung die Möglichkeit zur Erörterung von Geschäftsführungsfragen zu bieten177. Entscheiden kann sie in Fragen der Geschäftsführung zwar in der Regel nur auf Verlangen des Vorstands (§ 119 Abs. 2 AktG178). Hat sie aber das Recht, Maßnahmen des Vorstands zum Anlass für einen Vertrauensentzug zu nehmen, kann ihr vorbeugend durchaus das Recht zuerkannt werden, besonders gewichtige Fragen auch ohne ein entsprechendes Begehren des Vorstands zu erörtern und – wenn auch unverbindlich – zu ihnen Stellung zu nehmen.

V. Vom Gesetz geforderte spezielle Prüfungspflichten des Aufsichtsrats 138

Das Gesetz enthält eine größere Zahl von speziellen Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats, nämlich: 1. Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts, ggf. auch Konzernabschluss und Konzernlagebericht (Rz. 502 ff.), mit schriftlichem Bericht darüber an die 176 OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, GWR 2012, 347 = AG 2012, 753. 177 Ebenso Biener, BFuP 1977, 489; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 167 f.; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 103 ff.; Zöllner, Kölner Komm. AktG, 1. Aufl., § 119 Rz. 33. 178 Nur ausnahmsweise hat der Vorstand die Pflicht, die Hauptversammlung zur Entscheidung einer außergewöhnlichen Maßnahme einzuberufen: vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = AG 1982, 158 (Holzmüller) und dazu Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825 ff. sowie BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = AG 2004, 384 (Gelatine I) und BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001 = NZG 2004, 575 (Gelatine II); dazu Fleischer, NJW 2004, 2335 und Götze, NZG 2004, 585. Eine derartige Pflicht besteht bei Ausgliederung der Datenverarbeitung nicht, LG Darmstadt v. 6.5.1986 – 14 O 328/85, ZIP 1986, 1389 = AG 1987, 218 und dazu Kort, AG 1987, 193 ff.

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Vom Gesetz geforderte spezielle Prüfungspflichten des Aufsichtsrats | Rz. 138 § 3

Hauptversammlung und der ausdrücklichen Aussage, ob der Jahresabschluss gebilligt wird oder nicht, § 171 Abs. 1 und 2 AktG. 2. Der Vorstand hat zusammen mit der Vorlage des Jahresabschlusses einen Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns der Gesellschaft zu machen, § 170 Abs. 2 Satz 1 AktG. Diesen Vorschlag hat der Aufsichtsrat seinerseits zu prüfen und in seinem Bericht an die Hauptversammlung zu erklären, ob er den Vorschlag billigt oder aus welchen Gründen nicht, § 171 Abs. 1, 2 AktG (Rz. 565).

3. Handelt es sich bei der AG um eine abhängige Gesellschaft, so hat ihr Vorstand einen sogenannten Abhängigkeitsbericht zu erstellen, § 312 AktG, der vom Aufsichtsrat seinerseits zu prüfen ist, § 314 AktG. Über das Ergebnis seiner Prüfung hat er an die Hauptversammlung zu berichten, § 314 Abs. 2 Satz 1 AktG (Rz. 574 ff.). 4. Jahresabschluss inkl. Lagebericht und Konzernabschluss inkl. Konzernlagebericht sind von einem Abschlussprüfer/Konzernabschlussprüfer zu prüfen, § 316 HGB (Rz. 171 ff.). Die Prüfer haben über das Ergebnis ihrer Prüfung an den Aufsichtsrat zu berichten, § 321 Abs. 5 Satz 2 HGB, § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG. Dieser hat die Berichte seinerseits zu prüfen und an die Hauptversammlung zu berichten, § 171 Abs. 2 AktG (Rz. 561 ff.). 5. Seit kurzem muss der Vorstand über die nicht-finanziellen Leistungen der Gesellschaft im Lagebericht oder in einem gesonderten Bericht berichten – sogenannter CSR-Bericht. Auch diesen hat der Aufsichtsrat zu prüfen, sei es als Teil des Lageberichts (oben Ziff. 1) oder sei es als selbständiger und gesonderter Bericht, § 171 Abs. 2 Satz 1, 4 AktG. Durch das Umsetzungsgesetz zur CSR-Richtlinie sind die Aufsichtsräte großer kapitalmarktorientierter Gesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern dazu verpflichtet, die nicht-finanziellen Erklärungen des Vorstands zu prüfen (§ 171 Abs. 1 Satz 1 bzw. 4 AktG), in denen der Vorstand angeben muss, wie die Gesellschaft ökologische, soziale und Arbeitnehmer-Belange sowie Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung berücksichtigt bzw. warum nicht (§ 289c Abs. 4 HGB i.V.m. § 289b Abs. 2 HGB). Anders als der Abschlussprüfer, der nur das Vorhandensein, nicht aber den Inhalt der nicht-finanziellen Erklärung prüft (arg. ex. § 317 Abs. 2 Satz 4 HGB, 111 Abs. 2 Satz 4 AktG)179, muss der Aufsichtsrat auch deren Zweckund Rechtmäßigkeit überprüfen180. Insoweit und auch hinsichtlich der Reichweite und Intensität seiner CSR-Prüfungspflicht gilt der gleiche Maßstab wie für die übrigen Prüfungsgegenstände aus § 171 Abs. 1 AktG181. Um seiner Prüfungspflicht gerecht zu werden, kann der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 2 Satz 4 AktG eine externe inhaltliche Prüfung in Auftrag geben, wozu er insbesondere dann veranlasst ist, wenn er eigene CSR-Kenntnisse erst aufbauen 179 Fleischer, AG 2017, 509, 522; Hommelhoff, NZG 2017, 1361, 1365. 180 Beckmann/von Gagern, BOARD 2017, 263, 265. 181 Ebenso Gundel, WPg 2018, 106 ff.; Velte, AG 2018, 266, 270 f. m.w.N.; kritisch insbesondere gegenüber einer Rechtmäßigkeitsprüfung und für eine bloße Plausibilitätskontrolle Hennrichs, NZG 2017, 841 ff.; Hennrichs/Pöschke, NZG 2017, 121, 127; Hecker/Bröcker, AG 2017, 761, 766 f.

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§ 3 Rz. 138 | Die allgemeine Überwachung durch den Aufsichtsrat

muss182. Letztlich muss die Prüfung im Gesamtaufsichtsrat erfolgen, während der Prüfungsausschuss nur vorbereitend prüfen darf183.

Im Rahmen seiner Beratungsfunktion hat der Aufsichtsrat den Vorstand bei der Entscheidung zu unterstützen, ob Konzepte zur Förderung der in § 289b Abs. 2 HGB genannten Belange implementiert und wie deren Einhaltung überwacht werden. Dabei hat er ggf. Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG) vorzusehen. Offen ist, inwieweit der Aufsichtsrat zukünftig bei der Vorstandsvergütung v.a. im Rahmen der „Nachhaltigkeit“ nicht-finanzielle Parameter berücksichtigen kann oder muss (§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG)184. Welche Wogen die CSR-Welle zukünftig noch schlagen wird, ist noch nicht abzusehen – bis hin zu einer Betonung innerhalb der Sorgfaltsanforderungen (§ 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG) oder sogar der Aufsichtsratsbesetzung (des öffentlichen Interesses im Aufsichtsrat185). 6. § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG sieht schließlich vor, dass Vorstand und Aufsichtsrat jährlich erklären, dass dem DCGK entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Das setzt eine vorhergehende Prüfung voraus (Rz. 510 ff.).

VI. Summa 139

Überwachung sagt sich leicht und ist doch schwer zu handhaben, weil sie neben der rückwärts gerichteten Überwachung nach Art des § 90 AktG die künftigen Risiken und Entwicklungen im Auge behalten muss186. In diesem Zusammenhang ist es außerordentlich nützlich, auch einen Blick auf betriebswirtschaftliche Arbeiten zu werfen187, zumal durch diese schon vor einiger Zeit „Grundsätze ordnungsgemäßer Überwachung“ entwickelt worden sind188, die sehr viel stärker die künftige statt der historischen Entwicklung der Gesellschaft im Auge haben.

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Einstweilen frei. 182 Beckmann/von Gagern, BOARD 2017, 263, 265 f.; Velte, AG 2018, 266, 270 f. m.w.N. 183 Beckmann/von Gagern, BOARD 2017, 263, 265. 184 In Aussicht stellend Fleischer, AG 2017, 509, 523; befürwortend Beckmann/von Gagern, BOARD 2017, 263, 266 und Hommelhoff, NZG 2017, 1361, 1365; zurückhaltend Mock, ZIP 2017, 1195, 1196 f.; mit weitergehenden Ausführungen zur Nachhaltigkeit Bachmann, Der Aufsichtsrat 2019, 157 ff. 185 Fleischer, AG 2017, 509, 525. 186 Hätten die Aufsichtsräte der Industriebank AG (IKB) und die Verwaltungsräte der Sächsischen Landesbank das getan, dann hätten sie gemerkt, dass beide Unternehmen ein Risikopotential von je 25–30 Mrd. Euro angehäuft hatten und wären vor der Katastrophe eingeschritten. Vgl. dazu Lutter, ZIP 2009, 197. 187 Dazu s. Hommelhoff/Schwab, ZfbF-Sonderheft 36/1996, S. 149 ff. 188 Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach Gesellschaft, DB 1995, 1; Theisen, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensüberwachung, 1998, S. 250 ff.

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§4 Die Überwachung im Konzern I. Erweiterung der Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats 1. Der Konzern Aktiengesellschaften und größere (500–2000 Arbeitnehmer)1 und große GmbHs (mehr als 2000 Arbeitnehmer)2 sind heute nahezu ausnahmslos Teil eines Unternehmensverbundes, eines Konzerns. Der Konzern als die Verbindung von einem herrschenden Unternehmen (Obergesellschaft) und einem oder mehreren abhängigen Unternehmen (Tochtergesellschaften) unter der einheitlichen Leitung der Obergesellschaft (§ 18 Abs. 1 AktG) hat selbst aber keine eigene Rechtsform, sondern ist der funktionale Zusammenschluss aus mehreren (gar nicht selten mehreren hundert)3 rechtlich selbständigen Gesellschaften unterschiedlicher Rechtsform und unterschiedlicher Nationalität4. Diese abhängigen Gesellschaften leben je nach den Regeln des für sie zuständigen Rechts. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber dem bisher Gesagten5.

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2. Gründe für die Erweiterung Im Konzern aber werden alle Dinge komplexer und schwieriger. Denn einerseits gelten für alle Konzerngesellschaften die Regeln ihres eigenen Rechts weiter, haben ihre Aufsichtsräte die Geschäftsführung von Vorständen oder Geschäftsführern ihrer Gesellschaften zu überwachen etc., andererseits erweitert sich zugleich der unternehmerische Handlungsspielraum des Vorstands einer Obergesellschaft. Denn der Konzern ist vom Gesetz definiert durch die einheitliche Leitung mehrerer Unternehmen aus einer Obergesellschaft heraus (§ 18 Abs. 1 AktG)6. Die Leitung der Oberge1 Gesellschaften, die einen Aufsichtsrat haben müssen, in dem die Arbeitnehmer ein Drittel der Sitze innehaben (§ 4 Abs. 1 DrittelbG); s. dazu Rz. 8. 2 Gesellschaften, die einen Aufsichtsrat haben müssen, in dem die Arbeitnehmer die Hälfte der Sitze innehaben (§§ 1 ff. MitbestG); s. Rz. 8. 3 Die frühere VEBA und heutige e-on AG soll etwa 1000 abhängige Tochter-, Enkel- und Urenkel-Gesellschaften gehabt haben. 4 Von besonderer Bedeutung sind heute die nach ausländischem Recht gegründeten und im Ausland ansässigen Tochtergesellschaften: Für sie ist allein das betreffende ausländische Recht maßgebend, vgl. Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 188 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, Anh I zu § 4a Rz. 9 ff. 5 Die vier großen ehemaligen Tochter-Aktiengesellschaften der e-on AG (VEBA Öl AG, VEBA Chemie AG, VEBA Handel AG und PreußenElektra AG) hatten je ihren eigenen, nach den Regeln des MitbestG gebildeten Aufsichtsrat. 6 Zum Begriff der einheitlichen Leitung vgl. Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rz. 15; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 69 Rz. 67 ff.; zur Stellung des Aufsichtsrats im beherrschten Unternehmen vgl. Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 456 ff. und Turner, DB 1991, 583 f.

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§ 4 Rz. 142 | Die Überwachung im Konzern

sellschaft bestimmt also nicht mehr nur das Geschehen im eigenen Unternehmen, sondern zugleich – mehr oder minder – das in einer oder mehreren anderen Gesellschaften. Mittel dieser Leitung über weitere, „fremde“ Gesellschaften sind Unternehmensverträge (Vertragskonzern) und Beteiligungen (faktischer Konzern). Dehnt sich aber der Handlungsspielraum des Vorstands aus, so kann das nicht unkontrolliert geschehen: Parallel dazu weitet sich auch der Aufgabenkreis des Aufsichtsrats aus. Grundlage für diese Aussage ist die Erkenntnis, dass diese einheitliche Leitung auch der anderen Gesellschaften zugleich Geschäftsführung für die Obergesellschaft ist7. Der Aufsichtsrat hat aber die gesamte Geschäftsführung des Vorstands, also auch diejenige im Zusammenhang mit der Konzernleitung zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG)8. Das wird auch bestätigt durch §§ 171, 337 AktG, wonach der Konzernabschluss einschließlich des Konzernlageberichts und des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers eben diesem Aufsichtsrat der Obergesellschaft zur Prüfung vorzulegen ist9. Das aber erhält seinen Sinn nur aus der Pflicht des Aufsichtsrats zur Überwachung auch der konzernleitenden Maßnahmen seines Vorstands10. 143

Diese schon immer richtige Sicht wird durch § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG bestätigt, wonach gilt: „Ist die Gesellschaft Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs), so hat der Bericht auch auf Tochterunternehmen und auf Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) einzugehen.“

Was aber dem Aufsichtsrat zu berichten ist, muss von ihm auch kontrolliert werden.

7 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 156; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 28; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 348 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 72; Timm, AG 1980, 172, 181; Lutter, AG 2006, 517 ff.; Henze, BB 2005, 165, 168. 8 Nach Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 252 (für den GmbH-Konzern Uwe H. Schneider/ Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 375) sind auch die geschäftsführenden Organe der nachgeordneten Konzerngesellschaften durch den Aufsichtsrat der Obergesellschaft zu überwachen. Dem steht jedoch die rechtliche Selbständigkeit der Konzernunternehmen entgegen, vgl. v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 71. Wie hier Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 188; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 401; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 63; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 24 f.; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 70 Rz. 33; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 500 ff. Ebenso Enzinger/Kalss, § 31: Der Aufsichtsrat im Konzern, in Kalss/Kunz, Handbuch für den Aufsichtsrat, Rz. 34 ff. 9 Auch über diese Prüfung hat der Aufsichtsrat an die Hauptversammlung zu berichten, § 171 Abs. 2 und 3 AktG; vgl. im Übrigen Rz. 561 ff. 10 Hierzu näher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 163; Lutter, AG 2006, 517, 518; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 348 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 381 ff.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 190; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 500.

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Erweiterung der Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats | Rz. 145 § 4

Aufgrund dieser Erweiterung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats der Obergesellschaft11 kann es zweckmäßig oder sogar erforderlich sein, offizielle Aufsichtsratsausschüsse zu bilden, die einzelne Konzernbereiche verstärkt überwachen12. 3. Besondere Schwierigkeiten der Überwachung im Konzern Der Konzern hat keine eigene Rechtsform, der Aufsichtsrat der Obergesellschaft ist daher auch nicht der förmliche Aufsichtsrat des Konzerns. In den Tochter- und Enkelgesellschaften ist er nicht Aufsichtsrat, ist nicht Organ im Verhältnis zur dortigen Geschäftsleitung, hat keine eigenen Informationsrechte diesen gegenüber13. Auch in schwierigen Situationen kann er nicht etwa die betreffende Tochtergesellschaft selbst besuchen und dort Einblick in die Bücher nehmen und sich mit der örtlichen Geschäftsleitung beraten. All das wäre nur mit Zustimmung des Vorstands der Obergesellschaft und mit Zustimmung der örtlichen Geschäftsleitung und den örtlichen Aufsichtsräten möglich.

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Daher muss sich der Aufsichtsrat der Obergesellschaft mit seinem Informationssystem (dazu näher Rz. 317 ff.), ggf. mit seinen Ausschüssen und mit seinen Möglichkeiten der Rückkoppelung zum Konzern-Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG) darauf einrichten, seine Überwachungsaufgabe im Konzern ebenfalls zentral und parallel zur Überwachung der Obergesellschaft und ihres Vorstands selbst zu organisieren und zu verwirklichen. Es ist gerade hier daran zu erinnern, dass der Aufsichtsrat für die Organisation seiner Überwachung und für diese selbst verantwortlich ist, bei Mängeln der Organisation seiner Überwachung und etwaigen Schäden daraus selbst einzustehen hat und ggf. selbst haftet. Das alles zeigen die §§ 90 Abs. 1 Satz 3, 171 Abs. 1 Satz 1 AktG mit der Informationspflicht des Vorstands über den Konzern und der Verantwortung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft für den Konzernabschluss. Die in Rz. 317 ff. behandelte Informationsordnung des Aufsichtsrats ist mithin von Anfang an nicht nur auf die Obergesellschaft selbst, sondern auch auf den Konzern insgesamt so auszulegen, dass dessen wirtschaftliche und unternehmerische Entwicklung transparent und zugleich die Orte der etwaigen Schwachstellen im Konzern erkennbar sind: Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft muss in relativ einfacher und klarer Weise erkennen können, ob die Obergesellschaft selbst erfolgreich arbeitet, der Konzern insgesamt im Prinzip ebenfalls, gravierende Schwächen aber bei der 11 So auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 28. Zur Überwachungspflicht des Vorstands/Geschäftsführung der Obergesellschaft bezüglich ihrer Tochtergesellschaften vgl. OLG Jena v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, AG 2010, 376, GmbHR 2010, 483 = NZG 2010, 226 und dazu Wilsing/Ogorek, NZG 2010, 216. 12 Krieger in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 7 Rz. 40; Scheffler, DB 1994, 783, 797. Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 342 hält hingegen einen „Konzernausschuss“ nur bei unterschiedlichen Geschäftsbereichen von Ober- und Untergesellschaft für zweckmäßig. 13 So ausdrücklich der österr. OGH in seinem Urteil vom 17.6.2013 – 2 Ob 112/12b, JBl. 2013, 523, 527 unter Ziff. 5.2.2 der Gründe.

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§ 4 Rz. 145 | Die Überwachung im Konzern

brasilianischen und der kanadischen Tochtergesellschaft aufgetreten sind: Darüber hat dann das Gespräch mit dem Vorstand zu erfolgen14.

II. Umfang der Erweiterung 146

Die Überwachung des Aufsichtsrats richtet sich nach der Geschäftsführung des Vorstands. Diese aber hat je nach der Organisation des Konzerns unterschiedlich starke Einwirkungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten in Bezug auf den Konzern15: Bei eingegliederten Gesellschaften treffen Ergebnis und Haftung voll die Obergesellschaft; hier ist der Aufsichtsrat nicht mehr und nicht weniger zur Überwachung verpflichtet wie bei einer Betriebsabteilung der eigenen Gesellschaft. Gleiches gilt aus praktisch gleichen Gründen bei Organschaftsverträgen (Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag) und, wegen der ungemein engen Verbindung, auch für die 100%igen oder fast 100%igen Tochtergesellschaften16. Im einfachen faktischen, auf Mehrheitsbesitz beruhenden Konzern ist der Handlungsspielraum des Vorstands der Obergesellschaft geringer, insbesondere wegen der §§ 311 ff. AktG; dem entspricht auch ein geringerer Überwachungsrahmen des Aufsichtsrats17.

III. Urteilsbildung im Aufsichtsrat über Konzernvorgänge 147

Während die Handlungen des Vorstands in der eigenen Gesellschaft ausgerichtet sind an deren Nutzen und Besten (Interessen), geht es bei den Konzerngesellschaften aus der Sicht des Vorstands der Obergesellschaft nicht nur um deren Bestes, sondern um die Förderung des Konzerns. Maßstab des Vorstandshandelns im Konzern ist das Konzerninteresse, die Förderung des Unternehmensverbundes als Ganzem18. 14 Dazu Theisen in FS E. Frese, 1998, S. 442, 444 ff.; zum Ganzen Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 148 ff.; Lutter, AG 2006, 517, 518 ff. 15 Dazu Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 29. 16 Zu beiden ausführlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 163 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 352. 17 Selbstverständlich unterliegt auch der schlichte Beteiligungsbesitz einer Gesellschaft und seine Verwaltung durch den Vorstand der Überwachung durch den Aufsichtsrat. Nur enthält das keine Besonderheiten aus dem Aspekt des Konzerns. Vgl. auch OLG München v. 23.9.2014 – 3 Ws 599/14, Der Konzern 2015, 518. 18 Ebenso Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 135 und v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 202; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 367; Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 233; Scheffler, DB 1994, 793, 797; demgegenüber sprechen sich für eine Verpflichtung des Vorstands allein auf das Unternehmensinteresse der Konzernobergesellschaft aus: Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 329 ff. und Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 65, während Krieger in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 7 Rz. 31; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 70 Rz. 36 mit guten Gründen

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Urteilsbildung im Aufsichtsrat über Konzernvorgänge | Rz. 150 § 4

Dieser Sicht hat der Aufsichtsrat bei der Überwachung und der Beurteilung des Vorstandshandelns zu folgen. Dabei sind insbesondere folgende Einzelaspekte zu beachten: 1. Rechtmäßigkeit a) Der Aufsichtsrat hat die Rechtmäßigkeit der Konzerngeschäftsführung zu überwachen19. Hier kommt dem Aufsichtsrat besondere Verantwortung zu im Hinblick auf die §§ 311 ff. AktG20 und die Einhaltung entsprechender Treuepflichten in der GmbH mit Minderheitsgesellschaftern durch den Vorstand der Obergesellschaft21. Daher hat der Aufsichtsrat mit großer Sorgfalt darauf zu achten, dass der Abhängigkeitsbericht nach §§ 313, 314 AktG keinerlei Beanstandungen von Seiten des Abschlussprüfers oder des Aufsichtsrats der betreffenden abhängigen Gesellschaft enthält22.

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Zur Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns im Konzern als Aspekt der Überwachung durch den Aufsichtsrat gehört im internationalen (multinationalen) Konzern aber auch – soweit einschlägig – die Einhaltung des fremden Rechts23 sowie die Berücksichtigung der für multinationale Unternehmen festgelegten Grundsätze24. Auch wenn diese letzteren Grundsätze kein formelles Recht sind25, so gehört ihre Berücksichtigung doch zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Konzerngeschäftsführung26. Das aber bedeutet, dass eine Abweichung von diesen Regeln jedenfalls der Begründung gegenüber dem Aufsichtsrat bedarf.

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b) Zur ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung durch den Vorstand der Obergesellschaft gehört auch, dass dieser für die Einhaltung von Gesetz und Recht in den

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zweifelt, ob Konzerninteresse und Interesse der Konzernobergesellschaft überhaupt miteinander in Konflikt stehen können; zur Auflösung des Streitstandes und Vereinbarung beider Begriffe miteinander s. Löbbe, Unternehmenskontrolle, 2003, S. 64 ff. Aus österr. Sicht s. Enzinger, Der Aufsichtsrat im Konzern, passim. Lutter, AG 2006, 517, 519; zum Inhalt der Konzernleitungspflicht vgl. Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 182 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 469 ff.; Götz, ZGR 1998, 524, 530 ff.; Reuter, DB 1999, 2250. Ebenso Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 428; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 70 Rz. 34; Uwe H. Schneider in FS Hadding, 2004, S. 621, 627. Es gehört auch zu den Regeln ordnungsgemäßer Führung der Gesellschaft und des Konzerns, die Minderheit nicht durch Maßnahmen der Geschäftsführung zugunsten der Mehrheit zu benachteiligen; vgl. dazu BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 ff. (ITT) (Konzernumlage). Vgl. zur Prüfung des Abhängigkeitsberichts durch den Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft Rz. 218. Z.B. die Beachtung amerikanischen Kartellrechts, brasilianischen Steuer- und Devisenrechts etc. Vgl. dazu Steeg, ZGR 1985, 1 ff. mit allen Nachw. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch gerne von „soft law“, von „weichem“ Recht! Vgl. dazu Kolvenbach, ZGR 1986, 47, 49; Steeg, ZGR 1985, 1, 14 m.w.N. Ebenso Scheffler in Scheffler (Hrsg.), Corporate Governance, S. 147, 164; Krieger in Lutter/ Bayer, Holding-Handbuch, § 7 Rz. 32.

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§ 4 Rz. 150 | Die Überwachung im Konzern

Konzerngesellschaften sorgt27. Das geschieht etwa durch die Bestellung eines Compliance-Beauftragten (Compliance Officer) in der Obergesellschaft mit Zuständigkeit für den ganzen Konzern28 und der Aufgabe, bis in die letzte Urenkel-Gesellschaft für die Einhaltung von Gesetz und Recht zu sorgen, etwaige Verstöße festzustellen und zu ahnden bzw. ahnden zu lassen. Die ganz große Bedeutung dieses Bereichs wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die meisten Verstöße der jüngeren Vergangenheit bei Tochter- und Enkelgesellschaften stattfanden, wegen der zentralen Verantwortung der Obergesellschaft aber dort zu sehr hohen Bußgeldern geführt haben. All das hat der Aufsichtsrat zu überwachen. Er ist also mitverantwortlich für die Compliance im Konzern29, muss sich über die getroffenen Maßnahmen laufend Bericht erstatten lassen und diese Maßnahmen mindestens auf ihre Plausibilität hin prüfen30. 2. Ordnungsmäßigkeit 151

Der Aufsichtsrat hat weiter auch hier auf die Ordnungsmäßigkeit der Konzerngeschäftsführung zu achten. Dazu gehört die Investitions-, Produkt-, Absatz-, Finanz- und vor allem die Personalplanung im Konzern31. Die Pflichten des Vorstands zur Planung und des Aufsichtsrats zur Überwachung der Planung bestimmen sich nach denselben Grundsätzen, die für die Einzelgesellschaft gelten32. Die Ordnungsmäßigkeit der Konzerngeschäftsführung betrifft aber auch eine sachgerechte und der Konzernpolitik angemessene Konzernorganisation. Diese darf weder dem Zufallsprinzip folgen noch in Unübersichtlichkeit zerfließen, sondern muss rational betriebswirtschaftlichen (und allerdings auch steuerlichen) Grundsätzen folgen33.

27 Der alte Kodex sagt dazu in Ziff. 4.1.3: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)“ – nahezu identisch nun Grundsatz 5 DCGK 2020. Vgl. dazu auch Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 819 ff. und Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 197 ff.; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 122. 28 Vgl. dazu Bürkle in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 36, insb. S. 1178 ff.; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 122. 29 Nicht zuletzt auf Initiative des Aufsichtsrats von Siemens wurde ein neues Vorstandsmitglied bestellt allein zur Sicherung der Compliance im Konzern. 30 Näher zur Compliance im Konzern Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175; Lutter in FS Goette, 2011, S. 289; Verse, ZHR 175 (2011), 401; Grundmeier, Rechtspflicht zur Compliance im Konzern, 2011. 31 Zur Planung im Konzern mit instruktiven Beispielen Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 324 ff. 32 S. Rz. 80 ff. und Lutter, AG 1991, 249, 255. 33 Zu den verschiedenen Formen der Organisation eines Konzerns (z.B. Regionalprinzip, Spartenprinzip etc.) vgl. Bleicher, ZfO 1979, 243 ff., 328 ff.; Schwark, ZHR 142 (1978), 203, 205; v. Werder, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensleitung im Konzern, in Albach (Hrsg.), Konzernmanagement, 2001, S. 145.

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Urteilsbildung im Aufsichtsrat über Konzernvorgänge | Rz. 153 § 4

Zur Ordnungsmäßigkeit der Konzerngeschäftsführung gehört auch die Einrichtung eines konzernweiten, betriebswirtschaftlichen Anforderungen genügenden Controlling-Systems34; das gilt umso mehr, als die großen Unternehmenskrisen des vergangenen Jahrzehnts ihren Ausgang bei Tochtergesellschaften im In- oder Ausland nahmen. Der Aufsichtsrat hat hier eine besonders wichtige und verantwortliche Kontrollaufgabe. § 91 Abs. 2 AktG spricht nur vom Risiko-Kontrollsystem der Gesellschaft (Rz. 87). Die dort statuierte Pflicht ist aber nur deklaratorischer Natur, formuliert nur, was sowieso Teil einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung ist. Daher auch gilt Gleiches für die ordnungsgemäße Konzerngeschäftsführung: der Vorstand ist zur Einrichtung eines konzernweiten Systems der Risiko-Früherkennung und eines konzernweiten Controllings verpflichtet35 und der Aufsichtsrat hat das zu überwachen, wobei er nach Lage der Dinge verpflichtet sein kann, den Prüfungsauftrag des Abschlussprüfers darauf zu erweitern36. Wichtig ist zu erkennen, dass zunächst einmal der Vorstand verpflichtet ist, das Geschehen in den Tochtergesellschaften zu überwachen bzw. überwachen zu lassen. Daran lässt das OWiG keine Zweifel37. Aber das gilt nicht nur für straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Fragen, sondern für das gesamte wirtschaftliche Geschehen nach den Prinzipien Legalität, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Für all das ist der Vorstand der Obergesellschaft zuständig38 und verantwortlich und der Aufsichtsrat hat das seinerseits zu überwachen.

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3. Rentabilität Von besonderer Bedeutung und großem Gewicht sind im Konzern die Fragen der Finanzierung und der Rentabilität (Wirtschaftlichkeit). Für Letztere gilt das Gleiche wie in Rz. 89 zur Einzelgesellschaft ausgeführt, nur muss die Überwachung verstärkt betrieben werden im Hinblick auf die großen Gefahren aus einem Verlust der Gesamtrentabilität39 und die technischen Schwierigkeiten des Überblicks40. Im Übrigen 34 Krieger in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 7 Rz. 33; v. Schenk in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 5 Rz. 78; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 531 f.; eingehend Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2006, S. 199 ff. 35 OLG Jena v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, AG 2010, 376 = NZG 2010, 227 = GmbHR 2010, 483 und dazu Wilsing/Ogorek, NZG 2010, 210. 36 Nach § 317 Abs. 4 HGB muss das der Abschlussprüfer bei börsennotierten Gesellschaften in jedem Falle prüfen, und zwar konzernweit; vgl. Hopt/Merkt in Baumbach/Hopt, Komm. HGB, § 317 Rz. 11. 37 Lutter in FS Goette, 2011, S. 289 ff. und Grundmeier, Rechtspflicht zur Compliance im Konzern, 2011, passim. 38 Die Versäumung dieser Pflicht ist pflichtwidrig: OLG Jena v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, NZG 2010, 226 = AG 2010, 376 und dazu Wilsing/Ogorek, NZG 2010, 216. 39 VW hat an seiner Triumph/Adler AG nahezu 2 Mrd. DM (!) verloren; bei weiteren Verlusten von „nur noch“ 1 Mrd. DM wäre die Gesamtrentabilität des Unternehmens VW über Jahre hinaus fraglich geworden. An ähnliche Entwicklungen bei BMW, Daimler oder Metallgesellschaft sei erinnert. 40 Beton und Monierbau AG fiel in die Insolvenz vor allem wegen plötzlicher und hoher Verluste einer afrikanischen Tochtergesellschaft. Die Fast-Insolvenz der Metallgesellschaft hatte ihren Grund im riesigen Verlust einer amerikanischen Tochtergesellschaft.

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153

§ 4 Rz. 153 | Die Überwachung im Konzern

ist die Finanzierung des Konzerns nach einheitlichen Aspekten geradezu ein konstitutives Element des Konzerns41. Sie ist heute von großer betriebswirtschaftlicher42 und rechtlicher Bedeutung43 einschließlich der Fragen, die sich aus Gewinnen und Verlusten im Konzern auf die Einbehaltung und Ausschüttung an die Aktionäre ergeben44. Dieser Bedeutung muss dann auch die Überwachung durch den Aufsichtsrat unter Berücksichtigung der Optimierung und der Sicherung (Liquidität) entsprechen. Die vom Gesetz (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AktG mit § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG) vorgeschriebenen vierteljährlichen Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat über die Entwicklung von Ertrag und Liquidität im Konzern entsprechen dieser Bedeutung (näher Rz. 196 ff.). Der Aufsichtrat ist aber gut beraten, wenn er die Häufigkeit gerade dieser Berichte in seiner Berichtsordnung für den Vorstand erhöht und monatliche Berichte verlangt. 4. Zweckmäßigkeit 154

Schließlich hat der Aufsichtsrat auch im Konzernbereich die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen. Das bedeutet auch hier mitnichten, dass er für die Durchsetzung seiner eigenen Meinung einzutreten hätte: Wie der Vorstand die Gesellschaft leitet, so leitet er – als Geschäftsleiter der Obergesellschaft – auch den Konzern in eigener Verantwortung45. Der Aufsichtsrat aber hat – wie in der Gesellschaft – auch im Konzern für die Zweckmäßigkeit im Sinne von Plausibilität und innerer Folgerichtigkeit im Vorstandshandeln zu sorgen, auf Widersprüche hinzuweisen und für die Einhaltung der allgemeinen Regeln ordnungsmäßiger Konzerngeschäftsführung und Konzernorganisation zu sorgen.

155

Bei einer faktisch herrschenden Obergesellschaft hat ihr Aufsichtsrat die Konzerngeschäftsführung auch dahingehend zu überwachen, dass diese durch die Art und Weise ihrer Einwirkung auf die abhängigen Gesellschaften nicht ein Haftungsrisiko der Obergesellschaft begründet46.

41 So vor allem Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rz. 26 ff. m.w.N. 42 Vgl. Reintges in Christians, Finanzierungshandbuch, S. 661 ff.; Schnabel, ZfB 51 (1981), 1238 ff. 43 Dazu vor allem Uwe H. Schneider, ZGR 1984, 497 ff.; sowie Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Konzernfinanzierung, 1998, insbes. S. 1 ff. und S. 171 ff. Dazu auch J. Vetter in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 11 S. 473 ff. 44 Dazu vor allem Götz, AG 1984, 93 ff.; Geßler, AG 1985, 257 ff.; Werner in FS Stimpel, 1985, S. 935, 940 ff.; Lutter in FS Goerdeler, 1987, S. 327 ff.; Lutter in Lutter/Scheffler/U. H. Schneider, Handbuch Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 14.1 ff. 45 Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 165 ff. 46 Vgl. etwa BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874 = AG 2002, 43 (Bremer Vulkan).

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Beratung mit dem Vorstand | Rz. 158 § 4

5. Summa Der Inhalt der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats in der Konzernobergesellschaft im Hinblick auf die Konzerngeschäftsführung lässt sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen47:

156

– Einhaltung der Vorschriften des Konzernrechts, – Einhaltung von Gesetz und Recht in allen Teilen des Konzerns und deren Sicherung durch geeignete Maßnahmen (Compliance), – Vorliegen einer zweckmäßigen Konzernorganisation, – Einrichtung eines Konzern-Controlling und eines konzernweiten Risiko-Managementsystems entspr. § 91 Abs. 2 AktG, – konzernweite regelmäßige Information des Aufsichtsrats nach den Regeln des § 90 AktG wird ermöglicht nach einer konzernweiten Informationsordnung (vgl. Rz. 191 ff.), – Zweckmäßigkeit der Vorgaben und Richtlinien der Konzernleitung sowie deren Beachtung und – Erzielung eines nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolges im Konzern. Hinsichtlich einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den abhängigen Gesellschaften kann sich der Aufsichtsrat der Obergesellschaft grundsätzlich darauf verlassen, dass diese durch eine ordnungsgemäße Überwachung der Tochteraufsichtsräte – soweit solche vorhanden sind – sichergestellt wird48. Von diesem Grundsatz sind allerdings zwei Ausnahmen zu machen: dann, wenn es sich um wesentliche wirtschaftliche Aktivitäten oder große Vermögensbindungen handelt49, oder wenn Anzeichen dafür bestehen, dass der Aufsichtsrat in der Untergesellschaft seinen Verpflichtungen nicht in ausreichendem Maße nachkommt50. Dann ist der Aufsichtsrat der Obergesellschaft gefordert.

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IV. Beratung mit dem Vorstand Beratung ist Teil der Überwachung51. Da der Aufsichtsrat zur Überwachung der Konzernleitung und der Führung verbundener Unternehmen durch den Vorstand

47 Scheffler, DB 1994, 793, 796 f.; Lutter, AG 2006, 517 ff. 48 Hommelhoff, ZGR 1996, 144, 155 f., 159; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Der Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft, Der Aufsichtsrat 2009, 33. 49 Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 333; Scheffler, DB 1994, 793, 797; a.A. Hommelhoff, ZGR 1996, 144, 156. Beispielsweise VW in Bezug auf AUDI. 50 Hommelhoff, ZGR 1996, 144, 156. 51 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = AG 1991, 312 und Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 88 f. Ebenso Ziff. 3.1, 3.2 DCGK a.F. sowie 5.1.1 bzw. Grundsätze 2, 6 und 13 DCGK 2020.

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158

§ 4 Rz. 158 | Die Überwachung im Konzern

verpflichtet ist, gilt für die Beratung in Konzernfragen das Gleiche wie zu den Fragen der Gesellschaft selbst (s. dazu Rz. 103 ff.).

V. Konzernweite Zustimmungsvorbehalte 159

1. Der Aufsichtsrat kann bestimmte Maßnahmen seines Vorstands in den Untergesellschaften von seiner eigenen Zustimmung abhängig machen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG); denn soweit der Vorstand in der Untergesellschaft handelt, betreibt er zugleich Geschäftsführung für die Obergesellschaft52. Maßnahmen dieser Art können etwa sein: Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern in den Tochtergesellschaften, Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen, schwerwiegende Änderungen in der Produktion, Kapitalerhöhungen, Satzungsänderungen etc. in den (wesentlichen) Tochtergesellschaften53. Dabei gilt auch hier der bereits Rz. 121 erörterte Grundsatz, dass solche Zustimmungspflichten des Aufsichtsrats der Obergesellschaft für Maßnahmen des Vorstands in Konzerngesellschaften von einigem Gewicht sein müssen und nicht gerade die Alltäglichkeiten der Konzernführung erfassen dürfen54.

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In den meisten Fällen beziehen sich die in der Obergesellschaft festgelegten Zustimmungsvorbehalte nicht ausdrücklich auf Maßnahmen ihres Vorstands in den Untergesellschaften. Bei Auslegung dieser „neutralen“ Zustimmungsvorbehalte ist entscheidend, ob das zu beurteilende Geschäft der abhängigen Gesellschaft in seinen Folgen für die Entwicklung des herrschenden Unternehmens den dort ausdrücklich dem Zustimmungsvorbehalt unterworfenen Geschäften vergleichbar ist. Das ist anzunehmen, wenn es für den Fall, dass die Untergesellschaft ein rechtlich unselbständiger Teil der Obergesellschaft wäre, vom Zustimmungskatalog erfasst würde55. Außerdem ist nach der Geschäftsart zu differenzieren: während Zustimmungsvorbehalte z.B. bei Investitionen und Unternehmensverträgen konzernweit zu interpretieren sind, werden Personalentscheidungen und Prokuraerteilungen in den Unter52 Dazu ausführlich Lutter in FS Fischer, 1979, S. 419 ff.; Lutter, AG 2006, 517, 520; ebenso Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 431 ff.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 381. 53 Vgl. bereits den Katalog Rz. 118; vgl. weiter Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 562 ff. 54 Zutreffend Martens, ZHR 147 (1983), 377 ff., 419; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 57. 55 Lutter in FS Fischer, 1979, S. 419 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 57; Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 340; ihnen folgend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 53; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 135; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 736 ff.; Lenz, AG 1997, 448, 452; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 563; in diesem Sinne auch Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 94; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 96 f., die jedoch eine Auslegung zugunsten konzernweiter Sachverhalte dann ablehnen, wenn der Aufsichtsrat der Obergesellschaft die Zustimmungsvorbehalte selbst beschließt. Näher dazu auch Harbarth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 457.

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Konzernweite Zustimmungsvorbehalte | Rz. 162 § 4

gesellschaften nicht vom Zustimmungsvorbehalt der herrschenden Gesellschaft erfasst56. Erstreckt sich der Zustimmungsvorbehalt auch auf Geschäfte in den Tochterunternehmen, stellt sich die Frage nach seiner Durchsetzung, denn deren Vorstand kann nicht an die Zustimmung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft gebunden werden. Vielmehr ist der Vorstand des herrschenden Unternehmens verpflichtet, im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten am Geschäft der Untergesellschaft mitzuwirken, um so einen Anknüpfungspunkt für die Aufsichtsratszustimmung zu liefern57. Bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrags oder einer Eingliederung, sowie wenn die Tochter GmbH ist, kann er dazu von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen, anderenfalls sollte er selbst im Aufsichtsrat der Tochter sein. Besteht dagegen nur ein faktisches Beherrschungsverhältnis, so hat der Vorstand, dessen Mitglieder zumeist im Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens vertreten sind, auf die Schaffung eines Zustimmungsvorbehalts in dieser Gesellschaft hinzuwirken58. Verweigert nun der Aufsichtsrat der faktisch herrschenden Obergesellschaft seine Zustimmung zu einem für die Untergesellschaft vorteilhaften Geschäft, dann befinden sich diese Vorstandsmitglieder bei ihrer Entscheidung im Tochteraufsichtsrat in einem Konflikt zwischen den Interessen des Konzerns und denen der Untergesellschaft. Diesen Konflikt haben sie zugunsten der Interessen der Untergesellschaft aufzulösen. Sie dürfen allenfalls dann dem Ablehnungswunsch des Aufsichtsrats der herrschenden Gesellschaft Folge leisten, wenn sichergestellt ist, dass ein eventuell beim abhängigen Unternehmen eintretender Nachteil nach § 311 AktG ausgleichsfähig ist und auch ausgeglichen wird59.

161

2. Der Aufsichtsrat kann weiterhin Konflikte zwischen der Konzernleitung und einer Untergesellschaft über § 308 Abs. 3 AktG zu schlichten behilflich sein; die dort geregelte Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats der Untergesellschaft ist dieser Gesellschaft zugeordnet und setzt daher beim herrschenden Unternehmen keinen eigenen

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56 Lutter in FS Fischer, 1979, S. 419, 437 f.; ebenso Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 95; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 96; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 438; a.A. Krieger in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, § 7 Rz. 45. 57 Götz, ZGR 1990, 633, 646 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 341 f.; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 93; in diesem Sinne auch Potthoff/ Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 565 f. 58 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 102 f.; Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 111 Rz. 237 sowie Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 64. 59 Lutter in FS Fischer, 1979, S. 419, 427 ff.; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 107 f.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 567; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 437; wohl auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 94 f.; a.A. Götz, ZGR 1990, 633; 653 f., der bei der Möglichkeit des Nachteilsausgleichs die Vorstandsmitglieder für verpflichtet hält, dem Interesse der Obergesellschaft Vorrang einzuräumen.

83

§ 4 Rz. 162 | Die Überwachung im Konzern

solchen Zustimmungsvorbehalt in dessen Satzung oder durch Beschluss des Aufsichtsrats voraus60. 163

3. Schließlich hat der Aufsichtsrat als mitbestimmter Aufsichtsrat nach dem MitbestG die besonderen Befugnisse aus § 32 MitbestG (ähnlich nach § 15 MontanMitbestErgG), wonach der Vorstand in einer Reihe von Konzernmaßnahmen sogar an die Weisungen seines eigenen Aufsichtsrats gebunden ist: Solche verbindlichen Weisungen des Aufsichtsrats an den Vorstand sind dem Gesellschaftsrecht sonst ganz fremd61. Korrespondierend zu diesen besonderen und zusätzlichen Aufgaben im Konzern hat der Aufsichtsrat auch zusätzliche Informationsrechte; s. dazu Rz. 228 ff.

VI. Konzernspezifische Besonderheiten der Überwachung in abhängigen Gesellschaften 164

Die Überwachung durch den Aufsichtsrat einer eingegliederten, faktisch oder vertraglich konzernierten Gesellschaft folgt zunächst denselben Grundsätzen, die für die Überwachung einer konzernfreien Gesellschaft gelten62. Aufgrund der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die Tochtergesellschaft ergeben sich jedoch einige konzernspezifische Überwachungsaufgaben63. In der faktisch abhängigen Aktiengesellschaft trifft den Aufsichtsrat die zusätzliche Pflicht, den Bericht über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, den sog. Abhängigkeitsbericht, seines Vorstands zu prüfen und der Hauptversammlung darüber Rechenschaft abzulegen, ggf. hat er zu einem Bericht des Abschlussprüfers Stellung zu nehmen (§ 314 Abs. 2 AktG)64.

60 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 381. Eingehend zur Frage von Zustimmungsvorbehalten in Bezug auf Tochtergesellschaften auch Götz, ZGR 1990, 633, 646 ff. 61 Zur rechtspolitischen Kritik an § 32 MitbestG vgl. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 4 m.w.N. sowie Lutter, Mitbestimmung im Konzern, S. 69 ff. 62 Krieger, Münchener Hdb. AG, § 70 Rz. 42; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 29; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 361; HoffmannBecking, ZHR 159 (1995), 325, 345. 63 Dazu Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 30 f.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 597 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 68; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 111 Rz. 9 f. 64 Versäumt der Aufsichtsrat diese Prüfung und Berichterstattung, so kann er nicht entlastet werden, LG München v. 31.5.2001 – 5HK O 17738/00, DB 2001, 1714 = AG 2002, 302. Seine Entlastung kann wirksam angefochten werden, wenn der Aufsichtsrat den Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers in seinem Bericht an die Hauptversammlung nicht aufnimmt oder nicht wörtlich wiedergibt, LG München v. 29.9.2005 – 5HK O 13412/05, DB 2006, 94 = AG 2005, 170.

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Konzernspezifische Besonderheiten in abhängigen Gesellschaften | Rz. 167 § 4

Gegenstück zu dieser Verpflichtung ist die Haftungsregelung des § 318 Abs. 2 AktG65. Ergeben sich aus dem Abhängigkeitsbericht Hinweise auf eine Benachteiligung der Untergesellschaft, dann muss der Aufsichtsrat diesen nachgehen. Bestätigt sich sein Verdacht, hat er auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 317 AktG hinzuwirken und ggf. gegen den eigenen Vorstand einzuschreiten66. Der Aufsichtsrat muss aber bereits während des Geschäftsjahres Informationen darüber einholen, ob der Vorstand die Interessen der Untergesellschaft im Rahmen des § 311 AktG hinreichend vertreten hat, etwa durch eindringlichen Hinweis auf drohende Nachteile und einen angemessenen Ausgleich67.

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Sind im Aufsichtsrat der konzernabhängigen Gesellschaft Vorstandsmitglieder der Obergesellschaft vertreten, müssen sie bei Erfüllung ihrer Überwachungsaufgabe den Interessen der Untergesellschaft den Vorzug geben68. Ist das nicht möglich, haben sie sich bei der Abstimmung zu enthalten oder bei einem permanenten Interessenkonflikt sogar ihr Amt niederzulegen69.

166

In der vertraglich beherrschten Aktiengesellschaft muss der Vorstand die Weisungen der Obergesellschaft befolgen, es sei denn, sie überschreiten die durch Gesetz, Satzung und Beherrschungsvertrag gezogenen Grenzen, dienen offensichtlich nicht Konzernbelangen (§ 308 Abs. 2 AktG) oder gefährden die Existenz der Untergesellschaft70. Der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats der Untergesellschaft wird beim Vorliegen einer Weisung der Obergesellschaft nicht hinfällig, sondern konkretisiert sich auf die Überprüfung, ob der Vorstand der Untergesellschaft die Grenzen seiner Folgepflicht ordnungsgemäß eingehalten hat71. Der Vorstand/Geschäftsführer der Untergesellschaft wiederum hat seinen Aufsichtsrat darüber zu unterrichten,

167

65 Nach h.M. verdrängt § 318 Abs. 2 AktG die §§ 93, 116 AktG nicht, sondern modifiziert diese nur; vgl. dazu Altmeppen, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 318 Rz. 24 ff.; Hopt/ Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 370; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 318 Rz. 9 f. 66 Vgl. dazu Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 468 f. 67 Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 603; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 462; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 181. 68 Krieger, Münchener Hdb. AG, § 70 Rz. 42; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 567; Scheffler, DB 1994, 793, 799; Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 325, 344; sinngemäß Martens, ZHR 159 (1995), 567, 588; auch Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 464, 466, der zu Recht annimmt, dass der Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft nicht auf seinen Vorstand einwirken darf, wenn dieser aufgrund rechtmäßigen Konzerneinflusses vom Interesse der Untergesellschaft abweicht. Nach BGH v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, DB 1980, 438 = AG 1980, 111 führt die Interessenvertretung zugunsten des herrschenden Unternehmens nicht zum Ausschluss der Haftung als Aufsichtsratsmitglied der Untergesellschaft. 69 Scheffler, DB 1994, 793, 799; Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff. 70 Zu Letzterem Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 308 Rz. 19; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 71 Rz. 153; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 615; a.A. Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, § 308 Rz. 50 ff. 71 Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 612; Hommelhoff, ZGR 1996, 144, 147.

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§ 4 Rz. 167 | Die Überwachung im Konzern

wann und aus welchem Grund er eine Weisung nicht befolgt, damit dieser vermittelnd tätig werden kann72. 168

Bei einer eingegliederten Aktiengesellschaft besteht dagegen auch die Pflicht des Vorstands zur Befolgung von existenzgefährdenden Weisungen und solchen, die mit den Konzernbelangen offensichtlich nicht im Einklang stehen. Sie entfällt nur bei Rechtswidrigkeit der Weisung73. Entsprechend modifiziert sich der Überwachungsumfang des Aufsichtsrats in der eingegliederten Gesellschaft.

169 –170 Einstweilen frei.

72 Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 616. 73 Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 323 Rz. 7; Grunewald, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 323 Rz. 2; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 323 Rz. 3; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 323 Rz. 6 und 13; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 624.

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§5 Aufsichtsrat und Abschlussprüfer I. Überblick In diesem Buch ist von den Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats und seiner einzelnen Mitglieder die Rede. Daher kommt der Abschlussprüfer in dieser Darstellung nur an einzelnen Punkten vor, so bei der Befugnis des Aufsichtsrats zum Abschluss des Prüfungsvertrages mit dem von der Hauptversammlung/Gesellschafterversammlung gewählten Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), so bei der notwendigen Beteiligung des Abschlussprüfers an den Beratungen des Aufsichtsrats über den Jahresabschluss und den Konzernabschluss (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG), so aber auch bei der Befassung des Aufsichtsrats mit der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG). Das allein aber wird der besonderen Rolle und Aufgabe des Abschlussprüfers im Zusammenhang mit dem Aufsichtsrat insbesondere nach entsprechenden Änderungen im KonTraG und TransPuG nicht mehr gerecht: Der Abschlussprüfer ist wieder zu dem Berater des Aufsichtsrats bei der Durchführung seiner Überwachungsaufgaben geworden1, was er zunächst nach der Notverordnung von 1931 schon war.

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II. Einzelheiten 1. Der Abschlussprüfer als Berater und Gehilfe des Aufsichtsrats Der Abschlussprüfer wurde in der Aktienrechtsreform des Jahres 19312 und nach den großen aktienrechtlichen Problemen der 20er Jahre als Folge der Wirtschaftskrise dieser Jahre vom deutschen Gesetzgeber „erfunden“, und zwar als Gehilfe des Aufsichtsrats bei Erfüllung seiner Pflicht zur Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses der Gesellschaft (heute §§ 171, 172 AktG); denn der Aufsichtsrat war mit dieser ganz speziellen und zunehmend auch technischen Aufgabe überfordert. Daneben aber entwickelte sich mehr und mehr eine Art Garantiefunktion des Abschlussprüfers gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den Anlegern am Kapitalmarkt, bestätigt er diesen doch die Richtigkeit des Jahresabschlusses, seines Anhangs und des Lageberichts, wie ihn der Vorstand aufgestellt hat. Damit wurde der Abschlussprüfer mehr und mehr aus der Rolle des Gehilfen des Aufsichtsrats herausgenommen und mehr und mehr in die Nähe des Vorstands gerückt, der ja den Jahresabschluss aufzustellen hatte und hat: Es lag nahe, dass der Vorstand sich zuvor

1 Eingehend dazu die Beiträge in Lutter (Hrsg.), Der Wirtschaftsprüfer als Element der Corporate Governance, 2001. 2 Erste Notverordnung des Reichspräsidenten vom 19.9.1931, RGBl. I/1931, 493 ff.; vgl. dazu Schlegelberger/Quassowski/Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, 1932, § 262a HGB 1931 Rz. 6; Klausing, Reform des Aktienrechts, 1933, S. 171 f.

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§ 5 Rz. 172 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

mit dem Abschlussprüfer verständigte, um unterschiedliche Meinungen schon im Vorfeld ausräumen zu können. Dieser Entwicklung wollte das KonTraG entgegenwirken, indem es sich um die Klarstellung der beiden Funktionen des Abschlussprüfers – Berater des Aufsichtsrats und Garant für Anleger und Öffentlichkeit – bemüht und seine Unterstützungsfunktion gegenüber dem Aufsichtsrat betont hat3. Diese Doppelrolle galt es auch dem EU-Gesetzgeber bei der europaweiten Reform der Abschlussprüfung zu vermitteln. Im Zentrum stand hier vor allem die Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers. Nach Zöllner4 reichert das KonTraG die Aufgaben des Abschlussprüfers an mit dem Ziel, den Aufsichtsrat zu unterstützen und die Qualität von dessen Kontrolltätigkeit zu verbessern, verändert aber nicht die Rolle, die er insbes. auch gegenüber der Öffentlichkeit wahrzunehmen hat. 2. Der Vertragsschluss mit dem Abschlussprüfer 173

Die Bestellung des Abschlussprüfers erfolgt durch die Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung (§ 318 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 48 Abs. 1 GmbHG)5. Daneben aber muss der Geschäftsbesorgungsvertrag mit Werkvertragscharakter6 mit dem Prüfer geschlossen, seine Vergütung und der Umfang seiner Aufgaben festgelegt werden. Diese Aufgabe wurde durch das KonTraG vom Vorstand auf den Aufsichtsrat übertragen (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG)7. Das ist eine der Änderungen, durch welche im Interesse der Neutralität der Abschlussprüfer ein größerer Abstand zwischen dem Vorstand und seinen Kontrolleuren geschaffen werden sollte8. Das Gesetz legt (nur) einen Mindestumfang fest (Prüfung des Jahresabschlusses samt Lagebericht, Prüfung des Konzernabschlusses samt Konzernlagebericht, Prüfung des Risikomanagements des Vorstands). In diesem Rahmen kann 3 In diesem Sinne Begründung des Regierungsentwurfs BR-Drucks. 872/97, S. 41; abgedruckt auch bei Ernst/Seibert/Stuckert, KonTraG, KapAEG, StückAG, 1998, S. 29 ff.; BTDrucks. 13/9712, S. 16; Endres, ZHR 163 (1999), 441, 457; Forster, AG 1999, 193, 194; Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2568 f.; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 251 („Gehilfe des Aufsichtsrats“); Mattheus, ZGR 1999, 682, 684; nach Hopt/Merkt in Baumbach/Hopt, Komm. HGB, § 317 Rz. 1: „Partner des Aufsichtsrats“, nach Gelhausen, BFuP 1999, 390 „eine Zweckgemeinschaft“. Zum Ganzen Kraßnig, S. 47 ff. 4 Zöllner in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht, S. 69, 85. 5 Zum Abschlussprüfer im Konzern Rz. 187 f. 6 BGH v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 30 = AG 1994, 81; Adler/Düring/ Schmaltz, Prüfung und Rechnungslegung der Unternehmen, § 318 HGB Rz. 126; Hopt/ Merkt in Baumbach/Hopt, Komm. HGB, § 318 Rz. 3; Bormann in MünchKomm. Bilanzrecht, § 318 HGB Rz. 50; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 47. 7 § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG könnte dahin missverstanden werden, dass der Aufsichtsrat nur dann die Kompetenz zur Erteilung des Prüfungsauftrags innehat, wenn die Aufstellung und Prüfung der (Konzern-)Abschlüsse gesetzlich angeordnet ist. Von der Regierungskommission „Corporate Governance“ wurde aus diesem Grund eine gesetzliche Klarstellung dahingehend angeregt, dass der Aufsichtsrat auch bei den freiwillig aufgestellten (Konzern-)Abschlüssen für die Auftragserteilung zuständig ist, vgl. Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission, Rz. 284. Diese Klarstellung ist bislang nicht erfolgt. 8 Forster, WPg 1998, 41, 42; grundlegend Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 257.

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Einzelheiten | Rz. 174 § 5

der Aufsichtsrat Prüfungsschwerpunkte festlegen, z.B. verstärkte Prüfung der Kontrollsysteme bei Derivatehandel, Vorratsbewertung und Verlustrisiken aus langfristigen Anlageaufträgen. Zweckmäßigerweise sollten diese Schwerpunkte jährlich gewechselt werden9. Der Aufsichtsrat kann – und muss ggf. – darüber hinaus gehen, indem er etwa in einzelnen Jahren gezielte erweiterte Prüfungen gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG veranlasst, etwa eine gezielte Bestechungs- oder Betrugsprüfung oder eine Prüfung über die Einhaltung der Informationsordnung (Rz. 317) durch den Vorstand. Der (Gesamt-)Aufsichtsrat beschließt über den Prüfungsumfang, kann aber naturgemäß nicht die Verhandlungen mit dem Abschlussprüfer führen. Dazu kann er entweder einen Ausschuss ermächtigen (audit committee, Bilanzausschuss) oder den Aufsichtsratsvorsitzenden. Ob diese Ermächtigung nur zur Vorbereitung geschehen kann mit der Folge, dass der Gesamtaufsichtsrat letztlich zu entscheiden hat10, oder ob die Ermächtigung auch zum endgültigen Abschluss durch (den Aufsichtsratsvorsitzenden bzw.) einen Ausschuss11 erfolgen kann, ist umstritten. Beide Ansichten haben gute Argumente für sich. Zugunsten einer vollständigen Übertragung der Erteilung des Prüfungsauftrags auf einen Ausschuss, etwa auf den Bilanzausschuss, wird § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG angeführt. Das in dieser Vorschrift niedergelegte Delegationsverbot erwähne die Mandatserteilung an den Abschlussprüfer gerade nicht12. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die konkrete Ausgestaltung des Prüferauftrags eine wesentliche Grundlage für die ordnungsgemäße Erfüllung der eigenen Prüfungskompetenz des Aufsichtsrats hinsichtlich des Jahresabschlusses ist (so hat er nach § 171 Abs. 2 Satz 3 AktG zum Prüfungsbericht der Abschlussprüfer Stellung zu nehmen), die gemäß § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht abschließend auf einen Ausschuss übertragen werden kann13. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass mit den Än9 Vgl. Begr. RegE BR-Drucks. 872/97, S. 41; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 210; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 337; Forster, WPg 1998, 41, 43; Kompenhans/Splinter in Deloitte, Corporate Governance-Forum 4/2012, S. 13 f.; zurückhaltender Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 29. 10 In diesem Sinne Forster, WPg 1998, 41, 42; Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2570; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 257; Theisen, DB 1999, 341, 345; Schindler/Rabenhorst, BB 1998, 1886, 1887; Velte, NZG 2011, 771, 772; Ziemons, DB 2000, 77, 81. 11 So Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 111 Rz. 16; auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 40; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 94, 86; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 62; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 461; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 27; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 51; Altmeppen, ZGR 2004, 390, 405 f. 12 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 27; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 51; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 461; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, Komm. AktG, § 111 Rz. 34. 13 Theisen, DB 1999, 341, 345; Ziemons, DB 2000, 77, 79 stellt außerdem darauf ab, dass die Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer die allgemeine Überwachungsaufgabe konkretisiere, die, obwohl sie in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG keine Erwähnung gefunden hat, unbestritten nicht auf einen Ausschuss verlagert werden kann; in diesem Sinne auch Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2570.

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§ 5 Rz. 174 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

derungen des KonTraG gerade eine effektivere Zusammenarbeit zwischen Abschlussprüfer und (Gesamt-)Aufsichtsrat gefördert werden und letzterer über die gezielte Einflussnahme auf die Prüfungsschwerpunkte seine eigene Kontrolltätigkeit verbessern sollte. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es daher nicht ohne Grund: „... Er (der Aufsichtsrat) kann die vorbereitenden Arbeiten hierzu auch an ... einen Ausschuss delegieren“14. Die abschließende Entscheidung über den Inhalt des Prüfungsvertrags und damit auch eine entsprechende Verantwortung sollten dem gesetzgeberischen Willen zufolge beim Gesamtaufsichtsrat verbleiben15. Der Aufsichtsratsvorsitzende kann allerdings beim eigentlichen Vertragsabschluss als sein Erklärungsvertreter auftreten16. 175

Über die Frage einer möglichen Mitwirkung des Vorstands im Vorfeld der Auftragserteilung herrscht Uneinigkeit: Der Entwurfsbegründung zum KonTraG zufolge ist sie im Rahmen vorbereitender Arbeiten zulässig17, im Schrifttum wird eine Mitarbeit hingegen aufgrund der durch das KonTraG beabsichtigten Trennlinie zwischen Vorstand und Abschlussprüfer abgelehnt18. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Kenntnisse des Vorstands bei der Auftragserteilung von Nutzen sein können, jedenfalls aber ist der Aufsichtsrat zu einer kritischen Überprüfung der Beiträge seitens des Vorstands angehalten19. 3. Der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers (§ 321 HGB)

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Eine Pflichtprüfung ist bei Gesellschaften i.S. von § 316 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 i.V.m. § 267 HGB durchzuführen. Der Abschlussprüfer/Konzernabschlussprüfer hat dabei das Ergebnis seiner Prüfung nicht nur in einem Bestätigungsvermerk (§ 322 HGB) zusammenzufassen, sondern die gesamte Prüfung in einem Prüfungsbericht darzustellen und zu erläutern (§ 321 HGB). Dabei hat der Abschlussprüfer nach § 321 Abs. 2 HGB insbesondere darzustellen, „... ob die Buchführung und die weiteren geprüften Unterlagen, der Jahresabschluss, der Lagebericht, der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht den gesetzlichen Vorschriften und den ergänzenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung entsprechen. In 14 BR-Drucks. 872/97, S. 41. 15 Ziff. 7.2.2 DCGK a.F., wonach „der Aufsichtsrat“ dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag erteilen und mit ihm die Honorarvereinbarung treffen sollte, fehlt in der neuen Kodexfassung; ebenso Ziff. 5.3.2 DCGK, wonach der Prüfungsausschuss dem Aufsichtsrat eine begründete Empfehlung für die Wahl des Abschlussprüfers vorlegen sollte (vgl. auch § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG). 16 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 27; allgemeiner Hüffer in FS Claussen, 1997, S. 171, 184; Schindler/Rabenhorst, BB 1998, 1886, 1887. 17 BR-Drucks. 872/97, S. 47; kritisch Forster, WPg 1998, 41, 42 f. 18 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 463; Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2570; Lenz/Ostrowski, BB 1997, 1523, 1524; kritisch auch Dörner, DB 1998, 1, 5. 19 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 42. Von Rechts wegen ganz außerordentlich problematisch ist die nach wie vor gar nicht seltene Übung, dass der Vorstand die gesamte Vorbereitung einschließlich der Auswahl des Abschlussprüfers übernimmt und dem Aufsichtsrat nur noch das fertige Ergebnis zur Beschlussfassung und Unterzeichnung vorlegt; dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 325.

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Einzelheiten | Rz. 177 § 5 diesem Rahmen ist auch über Beanstandungen zu berichten, die nicht zur Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks geführt haben, soweit die für die Überwachung der Geschäftsführung und des geprüften Unternehmens von Bedeutung ist. Es ist auch darauf einzugehen, ob der Abschluss insgesamt unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung oder sonstiger maßgeblicher Rechnungslegungsgrundsätze ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft oder des Konzerns vermittelt. Dazu ist auch auf wesentliche Bewertungsgrundlagen sowie darauf einzugehen, welchen Einfluss Änderungen in den Bewertungsgrundlagen einschließlich der Ausübung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten und der Ausnutzung von Ermessensspielräumen sowie sachverhaltsgestaltende Maßnahmen insgesamt auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage haben. Hierzu sind die Posten des Jahres- und des Konzernabschlusses aufzugliedern und ausreichend zu erläutern, soweit diese Angaben nicht im Anhang enthalten sind. Es ist darzustellen, ob die gesetzlichen Vertreter die verlangten Aufklärungen und Nachweise erbracht haben.“

Darüber hinaus hat der Abschlussprüfer darzustellen, – ob bei Durchführung der Prüfung Unrichtigkeiten oder Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften festgestellt worden sind, – ob Tatsachen festgestellt worden sind, die den Bestand des geprüften Unternehmens oder des Konzerns gefährden oder seine Entwicklung wesentlich beeinträchtigen können, – ob Tatsachen festgestellt worden sind, die schwerwiegende Verstöße der gesetzlichen Vertreter oder von Arbeitnehmern gegen Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder die Satzung erkennen lassen20 (§ 321 Abs. 1 HGB). Und schließlich hat der Abschlussprüfer bei börsennotierten Gesellschaften21 in einem besonderen Abschnitt seines Berichts dazu Stellung zu nehmen, „... ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 des Aktiengesetzes obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann.“ (§ 317 Abs. 4 HGB)

Durch das KonTraG und das TransPuG wurde das Recht des Prüfungsberichts umfassend neugestaltet, unter anderem auch, um die stärkere Problemorientierung der 20 Diese Regelung wurde durch das TransPuG dahingehend geändert, dass der Abschlussprüfer bereits bei Tatsachen zu berichten hat, die einen Gesetzes- oder Satzungsverstoß „erkennen lassen“ (im früheren Wortlaut hieß es „darstellen“). Damit wird der Abschlussprüfer von umfassenden juristischen Prüfungen hinsichtlich einer Gesetzes- oder Satzungsverletzung befreit, die möglicherweise zu einer zurückhaltenden Berichterstattung in diesem Bereich führen. Zu dieser ungemein wichtigen sog. „Redepflicht“ des Abschlussprüfers vgl. Lück, BB 2001, 404; Ebke in FS Hopt, 2010, S. 584. D.9 DCGK 2020 empfiehlt darüber hinaus, dass der Aufsichtsrat oder der Prüfungsausschuss vereinbaren soll, dass der Abschlussprüfer über alle für die Aufgaben des Aufsichtsrats wesentlichen Feststellungen und Vorkommnisse unverzüglich berichtet, die bei der Durchführung der Abschlussprüfung zu seiner Kenntnis gelangen. S. dazu Rz. 181. Dadurch, dass dies nur dem Aufsichtsrat, nicht aber sonstigen Berichtsadressaten zuzuleiten ist, könnte die Bereitschaft zur Darstellung entsprechender Verstöße gesteigert werden. 21 § 317 Abs. 4 AktG hatte zunächst einen engeren Anwendungsbereich als den Begriff der Börsennotiertheit aus § 3 Abs. 2 AktG; das wurde durch das TransPuG geändert.

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§ 5 Rz. 177 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

Abschlussprüfung nach dem ebenfalls neu eingefügten § 317 Abs. 1 Satz 3 HGB zwecks Unterstützung des Aufsichtsrats widerzuspiegeln. Die Prüfungstätigkeit ist vom Abschlussprüfer danach von Beginn an so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen Gesetz und/oder Satzung „bei gewissenhafter Berufsausübung erkannt werden.“ Hilfreich für den Aufsichtsrat ist außerdem eine weitere Neuerung: Dem Prüfungsbericht ist fortan „vorweg“ ein Kommentar des Abschlussprüfers zum (Konzern-)Lagebericht des Vorstands zu stellen, vgl. § 321 Abs. 1 Satz 2 AktG. Der Aufsichtsrat soll dadurch auf wesentliche Probleme hinsichtlich Bestand und künftiger Entwicklung des Unternehmens aufmerksam gemacht werden22. 178

Alle diese Informationen richten sich an den Aufsichtsrat, er ist der Empfänger des Berichts (§ 321 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 HGB), ihm ist dieser Bericht vom Abschlussprüfer über den Aufsichtsratsvorsitzenden und nicht mehr über den Vorstand zuzuleiten. Letzterer erhält den Bericht erst im Anschluss mit Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 321 Abs. 5 Satz 3 HGB).

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Im Prinzip hat jedes Aufsichtsratsmitglied einen individuellen Anspruch auf Aushändigung des Berichts (§ 170 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AktG). Hat der Aufsichtsrat allerdings die Einrichtung eines Ausschusses beschlossen (dazu Rz. 745 ff.), so kann er zugleich beschließen, dass nur die Mitglieder dieses Ausschusses den Bericht erhalten. Das aber berührt nicht die Befugnis jedes Aufsichtsratsmitglieds, Einsicht und Kenntnis vom Prüfungsbericht zu nehmen (§ 170 Abs. 3 Satz 1 AktG)23.

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Der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers/Konzernabschlussprüfers ist die wichtigste „neutrale“ Informationsquelle des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder und muss daher entsprechend sorgfältig studiert und ggf. mit dem Abschlussprüfer diskutiert werden24. Kein Aufsichtsratsmitglied kann sich nach der entscheidenden Bilanzsitzung (Rz. 181) mehr darauf berufen, es habe die Unterlagen nicht gesehen oder nicht verstanden. Im Gegenteil: Eine solche Erklärung wäre die einfachste und klarste direkte Grundlage der persönlichen Haftung des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds nach §§ 93, 116 Satz 1 AktG gegenüber der Gesellschaft. Das Aufsichtsrats22 Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 256 f.; Schindler/Rabenhorst, BB 1998, 1939, 1940; vgl. im Einzelnen zum Lagekommentar des Abschlussprüfers Hopt/Merkt in Baumbach/ Hopt, Komm. HGB, § 321 Rz. 1. Die Berichtspflichten des Abschlussprüfers hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) in einem Prüfungsstandard (IDW PS 450) zusammengefasst. Dazu Uwe H. Schneider, Der Aufsichtsrat 2012, 97. 23 Strieder/Graf, BB 1997, 1943, 1945 sehen in dem Verweis auf das Einsichtsrecht eine zu weitgehende faktische Informationsbeschränkung für Nichtausschussmitglieder; zustimmend Vaude, NZG 2009, 737, 738 f.; für eine einschränkende Auslegung Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 170 Rz. 16; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 170 Rz. 12 hält es für praktikabel; ebenso Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 170 Rz. 85 f.; Hommelhoff, BB 1998, 2567, 2573, geht von einer Aushändigungspflicht gegenüber jedem Aufsichtsratsmitglied im Hinblick auf den Prüferkommentar zum Vorstands-Lagebericht aus, denn nur so könne dieser objektiv gewürdigt werden. 24 Velte, AG 2009, 102, 107. Zur Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit des einzelnen Mitglieds siehe ausführlich Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 93 ff.

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Einzelheiten | Rz. 181 § 5

mitglied kann sich der Verantwortung auch nicht dadurch entziehen, indem es diese Aufgabe auf einen Beauftragten des Aufsichtsrats oder eine Gruppe im Aufsichtsrat bzw. sogar einen außenstehenden Sachverständigen delegiert25. Umgekehrt ist die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers von entscheidendem Gewicht für die Verlässlichkeit der Prüfungsinformationen an den Aufsichtsrat. Deshalb hat der Prüfer den Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 1 Satz 3 AktG über Umstände zu informieren, die seine, des Prüfers Befangenheit, besorgen lassen, und über die erbrachten Nicht-Prüfungsleistungen zu berichten. Mit ihnen und mit der Prüferunabhängigkeit hat sich alsdann der Aufsichtsrat zu befassen (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG). Nach einer Neuerung im Zusammenhang mit der Abschlussprüfungsreform muss der Prüfungsausschuss der Beauftragung des Abschlussprüfers mit Nicht-Prüfungsleistungen (die eigentlich in den Bereich des Vorstands fallen) zustimmen, § 319a Abs. 3 HGB26. Dies soll zu einer Bewertung der Gefährdung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers dienen (vgl. Art. 5 Abs. 4 EU-APVO). Festzustellen, ob eine verbotene Nichtprüfungsleistung des Abschlussprüfers nach den erweiterten und unionsrechtlich vereinheitlichten §§ 319, 319a HGB vorliegt, ob die quantitativen Honorargrenzen für Nichtprüfungsleistungen des Prüfers für die entsprechende Gesellschaft eingehalten sind, Art. 4 Abs. 2 EU-APVO, und ob die zeitlichen Grenze aufeinanderfolgender Prüfungen durch denselben Prüfer eingehalten sind, Art. 17 Abs. 1 EU-APVO, ist ebenfalls Aufgabe des Prüfungsausschusses. 4. Die Bilanzsitzung des Aufsichtsrats Der Aufsichtsrat erhält vom Vorstand den Entwurf des aufgestellten Jahresabschlusses, vom Abschlussprüfer den Bestätigungsvermerk und den Prüfungsbericht. Das Gleiche gilt für die entsprechenden Unterlagen bezüglich des Konzerns, also für Konzernabschluss, Konzern-Bestätigungsvermerk und Prüfungsbericht des Abschlussprüfers bezüglich dieses Konzernabschlusses27. Auf dieser Grundlage hat sodann jedes Aufsichtsratsmitglied diese Unterlagen zu studieren und zu prüfen und in Anwesenheit des Abschlussprüfers mit diesem darüber zu beraten, ob er den Jahresabschluss billigt: Nur dann ist dieser festgestellt (§ 172 AktG) und zugleich Grundlage für den späteren Dividenden-Verteilungsbeschluss der Hauptversamm25 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 ff. = AG 1983, 133 (Hertie) und dazu Hommelhoff, ZGR 1983, 551; vgl. auch Hennrichs in FS Hommelhoff, 2012, S. 383, 393 ff. 26 Wenn der Aufsichtsrat keinen Prüfungsausschuss eingerichtet hat, muss der Gesamtaufsichtsrat diese Vorab-Zustimmung erteilen, vgl. Art. 5 Abs. 4 EU-APVO, § 319a Abs. 3 HGB. 27 Auf Vorschlag der Regierungskommission „Corporate Governance“ sollen Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss festlegen, dass Mitgliedern des Prüfungsausschusses oder anderen von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern ausgewählten Aufsichtsratsmitgliedern bereits vor der Erteilung des Bestätigungsvermerks Leseentwürfe des Jahres-(Konzern-) Abschlusses, des (Konzern-)Lageberichts und des Geschäftsberichts zur kurzfristigen Prüfung und Stellungnahme zugeleitet werden. Zweck dieser Regelung, die in den Corporate Governance Kodex aufgenommen werden sollte, ist es, Kritik und Vorschläge des Aufsichtsrats frühzeitig zu berücksichtigen. Die Kodex-Kommission hat diesen Vorschlag nicht aufgegriffen.

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§ 5 Rz. 181 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

lung. Vorstand, Aufsichtsrat und Abschlussprüfer tragen also gemeinsam die Verantwortung für den anschließend zu publizierenden Jahresabschluss samt Lagebericht sowie Konzernabschluss samt Konzern-Lagebericht. Darüber hinaus soll der Aufsichtsrat bei der Anhörung des Abschlussprüfers in der Bilanzsitzung (und bereits bei der Erteilung des Prüfungsauftrags, dazu Rz. 176) sicherstellen, dass ihm über die Berichtsinhalte des § 321 HGB hinaus auch über alle wesentlichen Vorkommnisse berichtet wird, die sich bei der Abschlussprüfung ergeben und für die Überwachungsaufgabe bedeutsam sind, z.B. Organisationsmängel28. Der Kodex ist dem in seiner Empfehlung Ziff. 7.2.3 DCGK a.F. bzw. D.9 DCGK 2020 gefolgt29. Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat die Grundsätze für die Kommunikation des Abschlussprüfers mit dem Aufsichtsorgan in einem eigenen Standard PS 470 zusammengefasst. 182

Wegen der besonderen Bedeutung des Jahresabschlusses/Konzernabschlusses und der besonderen Verantwortung des Aufsichtsrats dafür schreibt das Gesetz ausdrücklich die Anwesenheit des Abschlussprüfers bei der Beratung über die Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses sowie die Prüfung des Konzernabschlusses durch den (Gesamt-)Aufsichtsrat vor (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG), wobei eine Delegation dieser Aufgabe an einen beschließenden Ausschuss nicht möglich ist (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG). Um Aufsichtsrat und Abschlussprüfer dabei miteinander ins Gespräch zu bringen, muss letzterer trotz seines vorliegenden schriftlichen Berichts erläuternd und ergänzend mündlich über seine Prüfungsergebnisse berichten.

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Das Gesetz sagt an dieser Stelle, der Abschlussprüfer habe „an den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses ... teilzunehmen“. Daraus wird von mancher Seite geschlossen, es genüge, wenn der Abschlussprüfer nur an der (vorbereitenden Bilanz-)Ausschusssitzung teilnimmt; er müsse dann nicht zusätzlich auch noch an der Plenarsitzung teilnehmen, auch wenn das sinnvoll sei30. Diese Auffassung trifft nicht zu. Die Entscheidung über den Jahresabschluss (und den Konzernabschluss) trifft nur das Plenum (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG). Daher muss dort der Abschlussprüfer zur Verfügung stehen und jedes Mitglied des Aufsichtsrats die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Das „oder“ im Text bezieht sich also im Sinne einer Kumulation auf den (Bilanz-)Ausschuss.31 Dort hat der Abschlussprüfer auch

28 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission, Rz. 324. 29 S. dazu auch den Fragenkatalog für Aufsichtsräte bei Pfitzer/Oser/Orth, Der Aufsichtsrat 2006, 2, 3 sowie den Prüfkatalog bei Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 29 ff. 30 Kropff, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 Rz. 109; ebenso Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 125; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1561; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 14; E. Vetter in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 171 AktG Rz. 6; Velte, AG 2009, 102, 107 f.; Waclawik in Hölters, Komm. AktG, § 171 Rz. 13. 31 S. auch Lutter, AG 2008, 1, 3.

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Einzelheiten | Rz. 184 § 5

teilzunehmen; denn die Vorprüfung durch den Ausschuss kann intensiver und sachverständiger erfolgen als im Plenum32. Mit dieser Teilnahmepflicht des Abschlussprüfers in Ausschuss und Plenum entzieht das Gesetz erneut dem Aufsichtsrat und seinen Mitgliedern den (späteren) Einwand, sie hätten Sinn und Bedeutung einzelner Unterlagen nicht erkannt: Der Aufsichtsrat und jedes seiner Mitglieder hätte nach diesen Regeln fraglos Zeit und Gelegenheit gehabt, Fragen zu stellen und Unklarheiten zu beseitigen33. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist also gut beraten, sich auf diese Sitzung anhand der reichen Unterlagen gründlich vorzubereiten und sich an der Diskussion darüber zu beteiligen34. Die Anwesenheitsverpflichtung des Abschlussprüfers ist nicht etwa, wie aufgrund der Aussage in den Gesetzesmaterialien („Der Prüfer soll zur Teilnahme ... verpflichtet sein, soweit der Aufsichtsrat nicht ausdrücklich anders entscheidet“35) vermutet werden könnte, zur Disposition des Aufsichtsrats gestellt. Eine dahingehende Interpretation des Gesetzes entspricht der Rechtslage vor Inkrafttreten des KonTraG, der Gesetzgeber beabsichtigte jedoch gerade, mit der Neuregelung eine engere Zusammenarbeit zwischen Abschlussprüfer und Aufsichtsrat herbeizuführen. Zudem findet sich im Wortlaut des § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG kein Anhaltspunkt für eine Ausschlussbefugnis des Aufsichtsrats36. Nimmt der Abschlussprüfer nicht an der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats teil, wirkt sich das nicht auf die Wirksamkeit des festgestellten Jahresabschlusses aus,37 denn zum Zeitpunkt der Teilnahmepflicht gemäß § 171 AktG ist die Abschlussprüfung i.S. von § 316 HGB schon abgeschlossen. Die NichtEinladung des Abschlussprüfers durch den Aufsichtsrat bzw. seinen Vorsitzenden oder dessen Nicht-Erscheinen ist per se Pflichtverletzung38. Es bestehen daher, je nachdem, ob der Abschlussprüfer oder der Aufsichtsrat die Pflichtverletzung begangen hat, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Abschlussprüfer aus

32 Das hier Gesagte gilt in gleicher Weise für den Konzernabschlussprüfer. Dazu Rz. 187 f. 33 Die Regierungskommission „Corporate Governance“ empfiehlt daher, § 171 Abs. 1 AktG dahingehend zu ergänzen, dass jedes Aufsichtsratsmitglied das Recht hat, in den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses Auskunft vom Abschlussprüfer über die Ergebnisse seiner Prüfung zu verlangen (Baums [Hrsg.], Bericht der Regierungskommission, Rz. 326). Das ist bisher nicht geschehen, ist aber auch nicht erforderlich: Es handelt sich um eine Sitzung des Aufsichtsrats bzw. Prüfungsausschusses und da ist jedes Mitglied per se zu Rede und Frage befugt. 34 Im Einzelnen dazu Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 167 ff. und Claussen/Korth, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 171 Rz. 3. 35 Begr. RegE BR-Drucks. 872/97, S. 58. 36 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 14; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 123 ff.; Waclawik in Hölters, Komm. AktG, § 171 Rz. 13; a.A.: ohne Begründung Dörner, DB 1998, 1, 6; Gelhausen, AG 1997, Sonderheft, 73, 79; Lingemann/ Wasmann, BB 1998, 853, 858; Peemöller/Keller, DStR 1997, 1986, 1988. 37 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 171 Rz. 10; Euler/Klein in Spindler/Stilz, Komm. AktG,§ 171 Rz. 28. 38 Scheffler, WPg 2002, 1289, 1300.

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§ 5 Rz. 184 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

Verletzung einer Pflicht des Prüfungsvertrags oder gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgrund eines Sorgfaltsverstoßes i.S. von § 116 Satz 1 AktG39. 5. Zusätzliche Prüfungen 185

a) Der Prüfer des Jahresabschlusses und des Lageberichts, des Konzernabschlusses und des Konzern-Lageberichts hat ein gesetzlich festgelegtes, umfangreiches Prüfungsprogramm zu absolvieren und dem Aufsichtsrat darüber zu berichten40. Es gibt aber allgemeine Gründe und spezielle Anlässe für den Aufsichtsrat, dieses Prüfungsprogramm noch einmal zu erweitern. So kann es sich – wie in Rz. 173 schon gesagt – von Zeit zu Zeit empfehlen, den Abschlussprüfer mit einer speziellen Untersuchung über etwaige Unterschlagungen durch Mitarbeiter und Bestechung von Mitarbeitern zu beauftragen. Aber auch eine gelegentliche Untersuchung etwa der Mieten und der Grundstückswerte etc. kann sich empfehlen, ebenso die Professionalität der Planung des Vorstands sowie der zeitgerechten und korrekten Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand: All das liegt in der Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats, soweit er dabei im Interesse der Gesellschaft und des Konzerns sowie insgesamt in einem angemessenen Rahmen handelt41. Bei diesen zusätzlichen Prüfungen wird der Abschlussprüfer vom Aufsichtsrat als Sachverständiger gemäß § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG beauftragt.

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b) In besonderem Maße gilt das, wenn der Aufsichtsrat von einem Fehlverhalten des Vorstands hört42. Rückfragen beim Vorstand sind dann nutzlos, eigene Prüfungen nach § 111 Abs. 2 AktG (Rz. 241 ff.) im Zweifel auch nicht hilfreich. Hier liegt der Gedanke an einen zusätzlichen Auftrag zur Prüfung an den Abschlussprüfer auf der Hand43.

39 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 14; Euler/Klein in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 171 Rz. 27; Bischof/Oser, WPg 1998, 539, 543; Schindler/Rabenhorst, BB 1998, 1886, 1888 f. 40 Börsennahe Gesellschaften sind durch das TUG verpflichtet worden, einen Halbjahresfinanzbericht zu erstellen und zu veröffentlichen. Dieser Bericht kann – nicht muss – durch einen dafür eigens zu bestellenden Abschlussprüfer einer prüferischen Durchsicht unterzogen werden, § 115 WpHG. Der Aufsichtsrat wird in diesem Zusammenhang vom Gesetz nicht angesprochen, doch tut er gut daran, sich diesen Bericht und ggf. den Vermerk des Abschlussprüfers vor seiner Veröffentlichung vorlegen zu lassen; vgl. dazu Wagner, BB 2007, 454 ff. und Wiederhold/Pukallus, Der Konzern 2007, 264 ff. 41 S. dazu auch die Vorschläge bei Scheffler, WPg 2002, 1289, 1299 und Hennrichs in FS Hommelhoff, 2012, S. 383, 391 ff. 42 Vgl. den Fall LG Bielefeld v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, ZIP 2000, 20 mit Anm. Westermann, ZIP 2000, 25 ff. = BB 1999, 2630 mit Anm. Thümmel, BB 1999, 2633 ff. = AG 2000, 136. 43 Im Falle LG Bielefeld (v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, ZIP 2000, 20 = AG 2000, 136) wäre das die richtige Entscheidung des Aufsichtsrats gewesen und hätte seine Pflichtwidrigkeit verhindert. In der Sache hätte es wahrscheinlich nicht geholfen, weil der Abschlussprüfer mit dem Vorstand unter einer Decke saß. Dagegen müssen praktisch alle Regeln versagen.

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Einzelheiten | Rz. 189 § 5

6. Konzernabschlussprüfung In § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG wurde durch das KonTraG für den Aufsichtsrat eines Mutterunternehmens i.S. von § 290 HGB die Prüfungspflicht hinsichtlich des Konzernabschlusses und Konzernlageberichts eingeführt44. Die zum Jahresabschluss des Einzelunternehmens dargestellten Grundsätze finden auf die Konzernabschlussprüfung uneingeschränkt Anwendung (Rz. 176 ff.). Der Abschlussprüfer ist insbesondere gemäß § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG zur Teilnahme an den Verhandlungen des Aufsichtsrats bzw. Ausschusses über den Konzernabschluss verpflichtet.

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Die Regierungskommission „Corporate Governance“ hat vorgeschlagen, in den Corporate Governance Kodex eine Regelung aufzunehmen, wonach der Aufsichtsrat von konzernabschlusspflichtigen Mutterunternehmen sicherstellen soll, dass von den in den Konzernabschluss einzubeziehenden Tochterunternehmen der gleiche Abschlussprüfer bzw. die gleiche Prüfungsgesellschaft bestellt wird, der bzw. die auch die Konzernabschlussprüfung vornimmt. Die damit verbundene Konzentrationswirkung sei durch die erhöhte Effektivität der Konzernabschlussprüfung gerechtfertigt45. Die Kodex-Kommission ist diesem Vorschlag nicht gefolgt. Der Aufsichtsrat ist also frei, ob er sich bei den Haupt- und Gesellschaftsversammlungen der Konzerntöchter für die Einheitslösung verwenden will oder nicht; denn dort fällt die Entscheidung, die deren Aufsichtsrat dann zu vollziehen hat. 7. Freistellung der kleinen AG von der Prüfungspflicht a) § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB stellt die kleine, nicht börsennotierte AG (§ 267 Abs. 1 HGB) von der Pflicht zur Prüfung ihres Jahresabschlusses frei. Das schließt naturgemäß die freiwillige Prüfung nach Vorgabe der Satzung der AG nicht aus46. Wird der Jahresabschluss endgültig nicht geprüft, so steigt die Verantwortung des Aufsichtsrats energisch; denn er ist dann die einzige Instanz, welche die Darstellung des Vorstands im Jahresabschluss kontrollieren kann und muss47. Fühlt er sich dabei überfordert, kann er von sich aus und zu Lasten der Gesellschaft eine Prüfung anordnen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG).

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Das gilt natürlich erst recht für die sog. Kleinstkapitalgesellschaft nach dem MicroBilG. b) Da die kleine AG auch von der Aufstellung eines Konzernabschlusses befreit ist (§ 293 HGB), entfällt insoweit auch die Prüfungspflicht per se. Für die freiwillige Aufstellung eines Konzernabschlusses und dessen Prüfung gilt dann Gleiches wie bei Rz. 188. 44 Damit sollte der Bedeutung des Konzernabschlusses bei größeren, börsennotierten Gesellschaften Rechnung getragen werden, vgl. BT-Drucks. 13/9712, S. 22; außerdem Kropff in FS Claussen, 1997, S. 659, 661 f., 665. 45 Vgl. Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission, Rz. 282 f. 46 Hopt/Merkt in Baumbach/Hopt, Komm. HGB, § 316 Rz. 5. 47 Eingehend zum Prüfprogramm des Aufsichtsrats Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 29 ff.

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§ 5 Rz. 190 | Aufsichtsrat und Abschlussprüfer

8. Der Prüfungsausschuss 190

Der Aufsichtsrat hat das Recht, für alle seine Aufgaben Ausschüsse zu bilden (§ 107 Abs. 3 AktG), also auch für seine Aufgaben bei der Rechnungslegung, Bilanzierung und Prüfung. Und das empfehlen heute das Gesetz (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG) auf der Grundlage von Art. 39 der neugefassten Abschlussprüferrichtlinie48 wie der Kodex seit seinem Bestehen (Ziff. 5.3.2 DCGK a.F. und D.3 DCGK 2020). Dieser kann zwar nicht den Jahresabschluss beschließen – das ist Sache des Plenums –, aber diesen Beschluss vorbereiten, die Nähe zum Abschlussprüfer halten und mit diesem zusammen die Wirksamkeit der internen Revision, des Risikomanagements und der Compliance überprüfen49. Entsprechend Art. 39 Abs. 6 lit. b der Abschlussprüferrichtlinie hat § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG die Aufgaben des Prüfungsausschusses nun dahin ergänzt, dass er „Vorschläge zur Gewährleistung der Integrität des Rechnungslegungsprozesses unterbreiten“ kann. Daneben treten die in Rz. 180 skizzierten Aufgaben zur Auswahl und Sicherung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers. Das sind so umfangreiche und komplexe Aufgaben, dass sich gerade auch im Licht der neuen behördlichen Sanktionsmöglichkeiten (insbesondere §§ 331 ff. HGB) bei Verstößen gegen prüfungsbezogene Pflichten eine Entlastung des Gesamt-Aufsichtsrats per se empfiehlt. Die Einführung eines Prüfungsausschusses ist für jedes Unternehmen des öffentlichen Interesses unionsrechtlich (mit Ausnahmen, § 324 Abs. 1 Satz 2 HGB) zwingend vorgeschrieben worden50. Wenn der Aufsichtsrat keinen Prüfungsausschuss eingerichtet hat, sind die abschlussprüfungsbezogenen Aufgaben vom Gesamtaufsichtsrat zu erledigen51.

48 Bei Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, S. 906 ff., 962 ff. 49 Vgl. dazu PriceWaterhouseCoopers, Der Prüfungsausschuss, 4. Aufl. 2012; Velte, AG 2009, 102; Nonnenmacher/Pohle/v. Werder, DB 2009, 1447; vgl. Lanfermann/Maul, BB 2012, 627. 50 Näher Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, S. 927. 51 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 60.

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§6 Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat I. Die Unterrichtung des Aufsichtsrats 1. Überblick a) Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung auf Rechtmäßigkeit1, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit2 zu überwachen. Er muss den Vorstand beraten und personell ergänzen. Das alles kann er nur verwirklichen, wenn er – d.h. seine Mitglieder – über das Geschehen in der Gesellschaft informiert ist3. Bei unternehmerischen Entscheidungen greift zudem die Business Judgement Rule nur dann zugunsten des Aufsichtsrats ein, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Information zu handeln (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG)4. Da nun aber der Aufsichtsrat die Gesellschaft nicht leitet, erfährt er von den Vorhaben und Geschehnissen in ihr nichts durch eigene Anschauung und Tätigkeit, sondern muss darüber informiert werden5. Diese Information des Aufsichtsrats geschieht durch regelmäßige Berichte und Sonderberichte des Vorstands, durch den jährlichen Bericht des Wirtschaftsprüfers (§§ 170 Abs. 3, 171 Abs. 1 Satz 2 AktG)6 und ggf. auch durch eigene Ermittlungen des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 AktG. Wichtigster Teil in diesem System der Information des Aufsichtsrats sind – neben dem jährlichen Bericht des Abschlussprüfers/Konzernabschlussprüfers (dazu Rz. 171 ff.) – die Berichte des Vorstands. Die Eigentümlichkeit des Systems liegt also darin, dass gerade die Geschäftsleitung, welche ja überwacht werden soll, die Daten zu ihrer eigenen Überwachung zu liefern hat. Daher ist es wichtig, dass in jeder Gesellschaft aus den regulären Informationspflichten des Vorstands und den zusätzlichen Informationswünschen des Aufsichtsrats ein System regelmäßiger, rechtzeiti1 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124. 2 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = AG 1991, 312; s. auch Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 111 Rz. 9. 3 Vgl. zum Ganzen ausführlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 32 ff.; Mertens, AG 1980, 67 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 6 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 1 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 1 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 141 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 103 ff.; Theisen, Information und Berichterstattung, S. 27 ff.; Zöllner, Aktienrechtliche Binnenkommunikation, S. 69, 79 ff. 4 Hopt, Der Aufsichtsrat, ZGR 2019, 507, 524; ausführlich dazu Lieder, ZGR 2018, 523, 554 ff. 5 Das für die Überwachung nötige Informationsniveau rechtfertigt es aber nicht, dass Aufsichtsratsmitglieder Kontakt mit Geschäftspartnern der Aktiengesellschaft aufnehmen, um sich über Einzelheiten der Geschäftsbeziehungen zu unterrichten, OLG Zweibrücken v. 28.5.1990 – 3 W 93/80, DB 1990, 1401 mit Anm. Theisen. 6 Soweit die betreffende AG nicht als sog. „kleine AG“ nach § 316 Abs. 1 i.V.m. § 267 Abs. 1 HGB von der Prüfungspflicht befreit ist.

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§ 6 Rz. 191 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

ger und einheitlicher, mithin vergleichbarer Berichte entwickelt wird; kurz: eine vom Aufsichtsrat selbst verabschiedete Berichtsordnung für den Vorstand7. Im Übrigen: Der Aufsichtrat hat ein nahezu unbeschränktes Informationsrecht8. Was der Vorstand weiß, darf auch der Aufsichtsrat wissen9. Und: Der Aufsichtsrat darf sich nicht einfach auf die rechtzeitige und vollständige Information durch den Vorstand verlassen, sondern muss ggf. seinerseits mit dem Wunsch nach Sonderberichten (§ 90 Abs. 3 AktG) oder der Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft aktiv werden10. Im Prozess um seine Haftung wird er mit dem Satz, er sei vom Vorstand nicht informiert worden, nicht gehört. 192

Die Information des Aufsichtsrats ist folglich die Grundlage für die Erfüllung seiner Überwachungspflicht nach § 111 Abs. 1 AktG. Art und Inhalt dieser Überwachungspflicht haben daher Einfluss auf die Art und Weise der Information des Aufsichtsrats und umgekehrt. Haben wir in Rz. 80 ff. festgestellt, dass eine sinnvolle Überwachung nur aufgrund von Planung im Unternehmen und dem Vergleich mit der Verwirklichung dieser Planung möglich ist, so bestimmt das auch den Inhalt der Berichtspflicht des Vorstands – wie umgekehrt die in § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG statuierte Sonderberichtspflicht des Vorstands auch Auswirkungen auf die Pflicht des Aufsichtsrats und seines Vorsitzenden hat. Die Pflicht des Vorstands zur Unternehmensplanung ist durch das KonTraG und das TransPuG nochmals verdeutlicht worden. So dient der Klammerzusatz in § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG der Konkretisierung der Planungspflichten des Vorstands, um die zukunftsgerichtete ex-ante-Kontrolle des Aufsichtsrats wie seine Konzern-Kontrolle zu erleichtern11. Das gilt erst recht für die dort ebenfalls betonte Pflicht des Vorstands, bei Gelegenheit seines nächsten Berichts an den Aufsichtsrat ausdrücklich darauf einzugehen, ob die Planziele erreicht wurden und weshalb ggf. nicht (follow up)12.

7 Vgl. dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 98 ff. Nach Grundsatz 15 Satz 2 DCGK 2020 hat der Aufsichtsrat „seinerseits sicherzustellen, dass er angemessen informiert wird“; vgl. auch Börsig/Löbbe in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 125, 137. 8 LG Dortmund v. 10.8.1984 – 12 O 580/83, Die Mitbestimmung 1984, 410 mit Anm. Köstler; Theisen, Information und Berichterstattung, S. 112; Wilde, ZGR 1998, 423, 426 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, § 10 Rz. 91. 9 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 289. 10 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 383; von einer (sekundären) „Holschuld“ sprechen daher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 246; Lieder, ZGR 2018, 523, 559 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 1 und § 111 Rz. 20; Mense/Klie, GWR 2015, 92, 95; s. dazu auch Grundsatz 15 DCGK 2020; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 90 Rz. 39 („Informationsbeschaffungspflicht“). 11 BT-Drucks. 13/9712, S. 15 und § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG. 12 Zu den verbleibenden Schwächen der Regularberichte Zöllner in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht, S. 69, 83. Eingehend und kritisch dazu auch Theisen, ZfbF 61 (2009), 530 ff.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 194 § 6

2. Die regelmäßigen Berichte des Vorstands a) Vierteljahresberichte Nach den Vorstellungen des Gesetzes tagt der Aufsichtsrat mindestens vierteljährlich (§ 110 Abs. 3 AktG); dem entspricht auch ganz überwiegend die Praxis13. Der Gesetzgeber hat auch bei der Schaffung des KonTraG auf eine Änderung dieses Leitbildes in der Hoffnung auf eine erhöhte Bildung und Tätigkeit von Ausschüssen verzichtet14. Und mit dieser Vorstellung des Gesetzes vom Rhythmus der Aufsichtsratstätigkeit sind dann auch die so genannten Vierteljahresberichte des Vorstands nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 mit Abs. 2 Nr. 3 AktG verknüpft: Sie zielen auf eine regelmäßige, ordnungsgemäße und zeitnahe Unterrichtung des Aufsichtsrats, da mindestens vierteljährlich zu berichten ist15. Eine ordnungsgemäße Leitung der Aufsichtsratsgeschäfte durch den Aufsichtsratsvorsitzenden wird also die Termine der Aufsichtsratssitzungen so legen, dass dann bereits die Berichte des Vorstands zum vorausgehenden Quartal vorliegen können; dazu reichen erfahrungsgemäß vier bis sechs Wochen aus. In diesem Sinne hat der Vorstand dem Aufsichtsrat mindestens vierteljährlich über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und über die Lage der Gesellschaft zu berichten (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG)16.

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aa) Angaben zum Umsatz Sie besagen als solches herzlich wenig; erst im Vergleich und in der Gewichtung erhalten diese Angaben ihre Bedeutung. Daher müssen diese Angaben zum Umsatz im Periodenvergleich stehen und mindestens nach Sparten, wenn nicht gar nach Produkten bzw. Produktgruppen aufgegliedert sein17. Diese Angaben zum Umsatz müssen vor allem aber auch verdeutlichen, in welchem Maße die Umsatzplanung verwirklicht werden konnte: Der Vergleich zwischen dem Soll der Jahresplanung ist 13 Bleicher, Aufsichtsrat im Wandel, S. 41, 44 gibt einen Durchschnittswert von 3, 80 Aufsichtsratssitzungen pro Jahr an. 14 BT-Drucks. 13/9712, S. 16. 15 Osterloh, AuR 1986, 332, 336, weist zutreffend darauf hin, dass die in § 90 Abs. 2 Nr. 3 AktG angeordnete „regelmäßige, mindestens vierteljährliche Berichterstattung“ vordergründig noch nichts über die Rechtzeitigkeit der Information aussagt. Insbesondere bei Vorhaben der Gesellschaft hängt es entscheidend davon ab, in welcher Phase der Plan mitgeteilt und die Information gegeben wird, ob der Aufsichtsrat dieses Vorhaben beratend begleiten kann oder – faktisch – nur noch zur Kenntnis nehmen muss. Zum Erfordernis der Aktualität der dem Aufsichtsrat zu berichtenden Informationen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive s. Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 68. 16 Zur Qualität dieser Berichte vgl. die empirische Studie von Fischer/Beckmann, DB 2009, 1661. 17 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 37; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 6; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 27; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 90 Rz. 28; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 153; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 659; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 21.

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194

§ 6 Rz. 194 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

also dem zeitanteiligen Ist gegenüberzustellen; erst das gibt ein wirklich relevantes Bild18. Der Umsatz der Gesellschaft in Fahrrädern ist um 5 % gegenüber der Vorjahresperiode gestiegen; das klingt gut. Geplant war aber eine Umsatzsteigerung von 20 %. Dieses Minus von 15 % gegenüber Plan ist naturgemäß viel mehr von Gewicht und ist vom Vorstand eingehend zu erläutern, § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG.

bb) Gang der Geschäfte 195

Darunter versteht man die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf positive und negative Abweichungen gegenüber Vergleichsperioden und insbesondere gegenüber den Plänen19. Damit scheint das Gesetz die erforderlichen Angaben zu Rz. 194 zu wiederholen; aber das scheint nur so. Gemeint ist tatsächlich damit eine Zusammenfassung und eine Analyse der einzelnen Umsätze nach Sparten, Produktgruppen und ggf. Einzelprodukten: Daraus werden dann der Gang der Geschäfte der Gesellschaft und die Lage der Gesellschaft am Markt deutlich. cc) Lage der Gesellschaft; Liquiditätsübersicht

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Aber weder dieser „Gang der Geschäfte“ noch allein die Lage der Gesellschaft am Markt machen die „Lage der Gesellschaft“ aus; sie kann am Markt gut, finanziell aber ganz schlecht sein, weil etwa die Umsätze mit hohen Preisnachlässen „erkauft“ wurden. Daher gehört „zur Lage der Gesellschaft“ auch ihre Ertrags- und ihre Liquiditätslage. Diese ist in einer Liquiditätsübersicht im Periodenvergleich (Quartalsvergleich) ebenso überschaubar darzustellen wie jene, wobei gerade bei der Ertragslage eine Produkt- oder doch spartenbezogene Darstellung naheliegend ist20.

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Zur Darstellung der gesamten Lage der Gesellschaft gehört dann aber auch eine Analyse derjenigen Faktoren, die zu Abweichungen in Umsatz oder Ertrag gegenüber den Plänen bzw. zur Verbesserung/Verschlechterung der Liquiditätslage geführt haben21. Sieht und handhabt man das alles in dieser Weise richtig, so steht dem Aufsichtsrat ein wirksames und zeitnahes Kontrollinstrument zur Verfügung, das die Erfolge und Misserfolge des Vorstands offenlegt und diesem zugleich die Chance der Analyse und der Erläuterung gibt: Auch negative Abweichungen im Periodenvergleich oder von Plänen bedeuten ja nicht unbedingt einen Mangel der Geschäftsführung; ebenso können externe Faktoren (sinkende Kaufkraft, Änderung von Wäh18 Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 77; Oltmanns in Heidel, Komm. AktG, § 90 Rz. 8; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 21. 19 Semler, ZGR 1983, 1, 30; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 153; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 6; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 74. 20 Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 659; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 23. 21 Peltzer, WM 1981, 346, 350 spricht in diesem Zusammenhang zutreffend vom Erfordernis einer „prägnanten Abweichungsanalyse“. So ausdrücklich auch § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 199 § 6

rungsparitäten, Eindringen eines neuen Wettbewerbers etc.) die entscheidende und vom Vorstand nicht beeinflussbare Rolle spielen. dd) Unterjährige Finanzberichte i.S. von §§ 115, 117 Nr. 2 WpHG und § 53 BörsO FWB Auch die kapitalmarktrechtlich gebotenen unterjährigen Finanzberichte i.S. von §§ 115, 117 Nr. 2 WpHG (Halbjahresfinanzbericht) und § 53 BörsO FWB (Quartalsmitteilungen im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse) hat der Vorstand dem Aufsichtsrat im Rahmen seiner Berichterstattung nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AktG zur Prüfung zur Verfügung zu stellen. Ihm ist zu empfehlen, die unterjährigen Finanzberichte vor deren Veröffentlichung mit dem Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss zu erörtern22.

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b) Jahresberichte Mindestens einmal jährlich muss der Vorstand dem Aufsichtsrat über die von ihm beabsichtigte Geschäftspolitik der Gesellschaft und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung berichten (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 AktG)23. Eine solche „beabsichtigte Geschäftspolitik“ aber lässt sich rational nur in der Form von Einzelplanungen und Planrechnungen entwickeln und darstellen24. Und da dieser Bericht jährlich für die Zukunft zu erfolgen hat, muss er vor Beginn oder ganz unmittelbar am Anfang des betreffenden Geschäftsjahres vorliegen.

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§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG spricht an sich nur von „grundsätzlichen Fragen der Unternehmensplanung“. Die Gesetzesmaterialien lassen aber ebenso wie der Klammerzusatz keinen Zweifel daran, dass der Vorstand zur Unternehmensplanung verpflichtet sein soll25. Abhängig von Größe und Branche des Unternehmens können andere Planbereiche hinzukommen26. Hieraus fließt zudem, dass auch Umfang und Reichweite der Planungspflicht des Vorstands nur vom Einzelfall bestimmt werden können. Entscheidend ist indes, dass der Vorstand überhaupt eine rationale und nachprüfbare Planung betreibt, die der konkreten Struktur und den besonderen Be-

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22 Vgl. Fuchs, NZG 2016, 1015, 1018; Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1718; Fuchs, Frankfurter Komm. DCGK, 1. Aufl. 2015, Nr. 7 Rz. 110; Hönsch in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 115 WpHG Rz. 4; vgl. auch Ziff. 7.1.2 Satz 2 DCGK a.F., der so in der neuen Fassung allerdings nicht mehr enthalten ist. 23 Unklar ist das Verhältnis von „beabsichtigter Geschäftspolitik“ und „Unternehmensplanung“, vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 4a. 24 Zur Gleichsetzung von „beabsichtigter Geschäftspolitik“ mit Unternehmensplanung s. Osterloh, AuR 1986, 332, 337 m.w.N.; dort auch zur Unterscheidung zwischen strategischer, taktischer und operativer Planung. 25 BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 26 Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 8.

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§ 6 Rz. 199 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

dürfnissen der betreffenden Gesellschaft gerecht wird: Eine Produktionsgesellschaft plant jedenfalls teilweise anders als eine Handelsgesellschaft etc27. Planung setzt aber auch voraus, dass der Vorstand strategische und taktische Vorstellungen darüber hat, wie er seine Ziele erreichen will. Auch darüber muss er berichten. Denn auf diesem Hintergrund müssen Vorstand und Aufsichtsrat eingehend über das Unternehmensziel im nächsten und den nächsten Jahren beraten und Konsens erzielen28. 200

Planung der Geschäftspolitik setzt nach dem heutigen Stande der Betriebswirtschaftslehre Planrechnungen voraus29. Sie sind Basis für eine fundierte Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat; denn sowohl die Vierteljahresberichte als auch der spätere Jahresabschluss ermöglichen sehr deutlich den Vergleich zwischen Planung und Erreichtem. Hinsichtlich des Inhalts der Berichte ist zwischen kurzfristiger Planung einerseits und mittel- bzw. langfristiger Planung andererseits zu unterscheiden30. Soll das Jahresbudget korrekt formuliert sein, so muss es im Kern aus Zahlen bestehen. Verbale Ausführungen können zusätzlich erfolgen, genügen aber allein nicht: Genaue Zielvorgaben an die Mitarbeiter sind erforderlich, und das erfordert Zahlen. Außerdem ist der zu planende – und zu berichtende – Zeitraum relativ überschaubar, so dass Zahlenangaben nicht mit so hohen Unsicherheiten belastet sind, dass sie keine taugliche Zielvorgabe abgeben könnten. Nur ein derart abgefasster Bericht ermöglicht die Kontrolle des Vorstands im Soll-Ist-Vergleich.

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Anders hingegen bei der Mittel- und Langfristplanung: Bei Zeiträumen von bis zu zehn Jahren in die Zukunft beruhen alle Zahlen auf so hohen Unsicherheiten, dass zur Verhinderung von Irrtümern die verbale Darstellung im Mittelpunkt stehen muss. Unbenommen bleibt dem Vorstand, seine Planungen in Zahlenwerke umzusetzen; berichten muss er diese jedenfalls nicht31.

27 Zur Planungspflicht des Vorstands bereits nach altem Recht Lutter, AG 1991, 249, 250 f.; Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 291 f.; Kropff, NZG 1998, 613, 613; Albach, ZGR 1997, 32, 33. 28 Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.778 ff. Zur Frage, wie zu verfahren ist, wenn sich Vorstand und Aufsichtsrat über die Unternehmensziele und die Strategie zu ihrer Verwirklichung nicht einigen können, vgl. Rz. 114 ff. 29 Vgl. dazu Semler, ZGR 1983, 1, 17 f.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 146; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 129; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 54 sowie Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 77-81. 30 Zum Folgenden vgl. Lutter, AG 1991, 249, 254; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 12 ff. Zwischen kurz-, mittel- und langfristiger Planung unterscheidet auch die Begr. RegE zum KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 31 Wie hier v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 128, der jedoch die mittelfristige Planung durchweg als quantitativ fassbar und damit als Zahlenwerk darstellbar ansieht.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 204 § 6

Das Gesetz sagt jetzt klar und deutlich, dass auch alle Planungsberichte im Periodenvergleich zu erfolgen haben, also etwa nach folgendem Schema:

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Was hatten wir uns für das laufende Jahr vorgenommen, was haben wir erreicht (sog. follow up), was planen wir jetzt für das nächste Jahr? Oder: wie lautete unsere letzte 4-Jahres-Planung, was haben wir davon bis jetzt erreicht (follow up), wie passen wir diese 4-Jahres-Planung aufgrund der Erfahrung des letzten Jahres an? Positive, vor allem aber negative Abweichungen sind jeweils sorgfältig zu begründen32. Der Jahresbericht ist auch der geeignete Rahmen, über die Einrichtung und die Funktionsweise des Risikofrühwarnsystems nach § 91 Abs. 2 AktG und die Compliance-Maßnahmen zu berichten. Der Bericht ist schriftlich abzufassen; ein mündlicher Vortrag allein genügt nicht.

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Die jährliche Berichterstattung genügt nicht mehr, wenn Änderungen der Lage oder neue Fragen eine unverzügliche Berichterstattung über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung gebieten (§ 90 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 AktG). Dazu zählen bereits die Sondierungsgespräche über eine bedeutende Fusion, weil gerade dort die wesentlichen Eckpunkte für die folgenden Vertragsverhandlungen abgesprochen werden. Würde der Aufsichtsrat erst nach den Sondierungsgesprächen oder sogar noch später informiert, könnte er seine auch in die Zukunft gerichtete Kontroll- und Beratungspflicht hinsichtlich des Zusammenschlusses nicht rechtzeitig ausüben33.

203a

c) Bericht über die Rentabilität Bei der sog. Bilanzsitzung des Aufsichtsrats, also bei seiner Beratung und Beschlussfassung über den Jahresabschluss nach §§ 171, 172 AktG, ist auch die Rentabilität der Gesellschaft zu erläutern (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AktG). Gemeint ist damit die Ertragskraft der Gesellschaft. Dieser Rentabilitätsbericht kann sich zunächst einmal auf die Jahresplanung (Rz. 198 ff.) und die Quartalsberichte (Rz. 193 ff.) stützen. Als zusammenfassender Bericht über einen längeren Zeitabschnitt (abgelaufenes Geschäftsjahr) und sachliche Ergänzung zum Jahresabschluss muss dieser Bericht aber aussagekräftiger sein als die entsprechenden Erläuterungen in den Quartalsberichten und deren Addition. Er muss aber auch deutlich aussagekräftiger sein als die Pflichtangaben im Jahresabschluss samt Anhang34, muss also in jedem Falle außer den vom Gesetz vorgeschriebenen Angaben zur Verzinsung des Eigenkapitals weitere Renta-

32 Ebenso v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 124. 33 So auch Burgard/Heimann, NZG 2014, 1294, 1295 und AG 2014, 360, 361; anders OLG Frankfurt a.M. v. 1.10.2013 – 5 U 214/12, NZG 2014, 1017 = AG 2014, 373 und Cahn, AG 2014, 525, 530. 34 Der Rentabilitätsbericht ist also mehr und anderes als der einstige Geschäftsbericht und heutige Anhang; missverständlich daher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 36.

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§ 6 Rz. 204 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

bilitätskennziffern enthalten, insbesondere also den cash-flow, die Umsatz-Rentabilität35 und den Return on Investment (ROI)36. Gerade bei börsennotierten Gesellschaften sind Kennzahlen wie der Gewinn je Aktie besonders wichtig; denn sie sind für Käufer und Verkäufer von Aktien sowie deren Berater von erheblicher Bedeutung und damit für den Börsenwert des Unternehmens. Ferner ist der Gewinn je Aktie für die Bestimmung der price earnings ratio relevant; er dient damit auch dem Ziel einer vergleichenden Kursbeurteilung37. Zu der viel wichtigeren Konzern-Rentabilität vgl. Rz. 23738. d) Zusammenfassung 205

Dem Aufsichtsrat müssen mithin folgende regelmäßige Informations- und Erkenntnismittel zur Verfügung stehen: – Die Jahresplanung mit ihren Unterteilen: Finanz-, Investitions- und Personalplanung, je nach Branche und Unternehmensgröße weitere Planungen wie Liquiditätsplanung, Produktions-, Absatz-, Beschaffungs-, Entwicklungs-, Kosten- und Ergebnisplanung; abgesehen von der Liquiditätsplanung ist eine Unterteilung nach Sparten, Produkten oder Produktgruppen vorzunehmen. Aufzunehmen sind ferner Informationen zur Wirkungs- und Funktionsweise des Risikofrühwarnsystems. – Der Jahres-Rentabilitätsbericht mit den entsprechenden Kennziffern sowie den Vergleichszahlen zum Vorjahr und zu den einstigen Planzahlen (Soll-Ist-Vergleich). – Das Jahres-Investitionsbudget, ggf. verbunden mit einer Investitionsrechnung. – Die Quartalsberichte zur Marktstellung der Gesellschaft je mit dem Soll-Ist-Vergleich und dessen Analyse. – Die Quartalsberichte zur Entwicklung der Ertrags- und Liquiditätslage der Gesellschaft. – Mittelfristplanung des Umsatzes, der Finanzen und der Investitionen. – Kenntnis von der Taktik und Strategie des Vorstands bei der Verwirklichung neuer Ziele39.

35 Vgl. auch Mertens, AG 1980, 67, 70 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 36; Oltmanns in Heidel, Komm. AktG, § 90 Rz. 7; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 26; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 90 Rz. 25; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 682 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 150 mit Fn. 213; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 136. 36 Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 17. 37 Vgl. Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 688. 38 Vgl. auch Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.738. 39 Vgl. dazu Gerberich/Griesheimer, Der Aufsichtsrat 2010, 156.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 207 § 6

Auf dieser Grundlage sachlicher und sachlich nachprüfbarer Informationen kann der Aufsichtsrat seiner Pflicht zur Überwachung des Vorstands durchaus wirkungsvoll nachkommen40. Diese Überwachung konzentriert sich dann darauf festzustellen, ob die negativen Abweichungen Mängel der Geschäftsführung offenlegen (Gleichgültigkeit, schlechte Organisation, mangelnde Motivation der Mitarbeiter, schlampige Planung, Inkompetenz etc.) oder aber aus externen Faktoren folgen, die auch eine wirkungsvolle Geschäftsführung nicht hat antizipieren können.

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Das gilt natürlich auch für positive Entwicklungen. Wenn der Vorstand – wie VW 2011 – das beste Jahresergebnis der Unternehmensgeschichte vorlegen kann, weiß der Aufsichtsrat, dass seine Personalentscheidungen richtig waren, und kann sich doch täuschen, wie die später bekannt gewordenen Diesel-Betrügereien zeigen. e) Keine Einschränkung, aber Möglichkeit zur Erweiterung der Berichtspflichten Die hier angesprochenen Berichtspflichten des Vorstands an den Aufsichtsrat sind Mindestpflichten und können weder durch die Satzung noch durch Beschluss des Aufsichtsrats selbst eingeschränkt werden41. Wohl aber kann der Aufsichtsrat selbst nach § 90 Abs. 3 AktG, aber auch die Satzung, die insoweit nicht sperrt, die Informationspflichten des Vorstands ausweiten, also etwa vom Drei-Monats-Rhythmus auf den Zwei-Monats-Rhythmus übergehen42: Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes handelt es sich bei diesen Regular-Berichten und Informationen um Mindestpflichten des Vorstands. Grenze der Ausweitung dieser Pflichten ist nur der Rechtsmissbrauch, hier verstanden als sinnlose und unvernünftige Beschäftigung des Vorstands mit zusätzlichen Berichten, deren Erkenntnisgehalt gering ist43. Im Übrigen entspricht der laufende Informationsaustausch zwischen Vorstand und Aufsichtsrat – zumindest über die jeweiligen Vorsitzenden – vielfach zu beobachtender Unternehmenspraxis44.

40 Skeptisch Theisen, Die Überwachung der Unternehmungsführung, S. 78 f., der das Informationssystem des § 90 AktG im Hinblick auf die Aufgaben des Aufsichtsrats für unzureichend hält; skeptisch auch Zöllner, Aktienrechtliche Binnenkommunikation, S. 69, 83. 41 Allg. Meinung; vgl. nur Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 53; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 8. 42 Vgl. Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 8; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 93; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 90 Rz. 12; a.A. hinsichtlich des Rentabilitätsberichts Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 53. 43 Zur Frage nach weiteren Informationsschranken bei zweckwidrigem Informationsverlangen, der Gefahr missbräuchlicher Informationsverwertung und bei geheimhaltungspflichtigen Tatbeständen Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 108 ff.; Mertens, AG 1980, 67, 72 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 8 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 47; Sina, NJW 1990, 1016, 1017 ff. 44 Zu den hieraus resultierenden Problemen des Sonderwissens einzelner Aufsichtsratsmitglieder vgl. Emde, DB 1999, 486 ff.

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§ 6 Rz. 208 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

3. Sonderberichte a) Rechtsgeschäfte von erheblicher Bedeutung 208

Über Rechtsgeschäfte der Gesellschaft, die von erheblicher Bedeutung für Rentabilität und Liquidität auch nur werden können, ist stets zu berichten, § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 4 AktG45. Das gilt auch dann, wenn das betreffende Geschäft keiner besonderen Genehmigung des Aufsichtsrats bedarf. Die besondere Bedeutung für die Gesellschaft bestimmt sich nach den möglichen Auswirkungen auf deren Gesamttätigkeit (z.B. Verkauf einer Produktionsstätte bzw. Erwerb eines anderen Unternehmens mit neuen Produkten) und auf die bisherige Geschäftspolitik (z.B. erstmalige Investition im Ausland). Sie beurteilt sich weiter nach dem Risiko des geplanten Rechtsgeschäfts für Liquidität und Ertrag. Die Erfüllung des Elements „besondere Bedeutung“ ist daher stets in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu sehen und ist zugleich in doppelter Weise größenabhängig: von dem Umfang des geplanten Rechtsgeschäfts selbst und von seinem Verhältnis zu den entsprechenden Daten der Gesellschaft. Sinn und Zweck dieser Berichtspflicht ist es, dem Aufsichtsrat die Möglichkeit zu einer Beratung mit dem Vorstand zu geben. Daher hat die Unterrichtung, wenn irgend möglich, vor Abschluss des Rechtsgeschäfts zu geschehen. Und auf jeden Fall ist der Aufsichtsratsvorsitzende zu unterrichten. b) Wichtige Anlässe

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Mit der Pflicht zum Bericht über geplante Rechtsgeschäfte von besonderer Bedeutung hängt zusammen die Berichtspflicht nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG. Danach hat der Vorstand auch bei allen sonstigen „wichtigen Anlässen“ zu berichten. Hintergrund auch dieser Berichtspflicht sind wiederum die Beratung mit und die Kontrolle durch den Aufsichtsrat46. Daher sind hier vor allem die negativen Ereignisse und die gewichtigen Gefahren für die Interessen der Gesellschaft angesprochen, wie insbesondere wesentliche Verluste, Gefährdung von Außenständen, gefährliche Angriffe in der Öffentlichkeit oder vor Gericht, Unglücke mit Umweltschäden, Betriebsstörungen, behördliche Eingriffe oder drohende Arbeitskämpfe47. Auch hier ist die Relation des Ereignisses zu den sonstigen Daten der Gesellschaft maßgebend für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „wichtig“: Die „Beton- und Monierbau AG“ und eine ihrer ausländischen Tochtergesellschaften konnten Außenstände nicht rea-

45 Näher dazu Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 38 f., Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 60 ff. sowie Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 25 ff.; Bürgers in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 90 Rz. 14. 46 Dazu Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 38 f.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 60 ff.; Peltzer, WM 1981, 346, 350 sowie Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 238 ff.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 699 f.; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.791 ff. 47 Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 700; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 27; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 33 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 45; Oltmanns in Heidel, Komm. AktG, § 90 Rz. 11; Müller-Michaels in Hölters, Komm. AktG, § 90 Rz. 11.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 212 § 6

lisieren. Damit war die Liquidität plötzlich gefährdet: Selbstverständlich musste sofort informiert werden. c) Krisen, Risikomanagement Im Übrigen sei noch auf § 92 AktG und auf § 91 Abs. 2 AktG verwiesen. Die in § 92 AktG formulierten Pflichten des Vorstands bei Verlusten, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung unterfallen auch der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats, seiner Pflicht zum Eingreifen48 verbunden mit den Gefahren seiner ganz persönlichen Haftung aus §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 116 Satz 1 AktG49.

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Gleiches gilt für die Verpflichtung des Vorstands aus § 91 Abs. 2 AktG. Das KonTraG hat hier die Pflicht des Vorstands, für ein angemessenes Risikomanagement und für eine angemessene interne Revision zu sorgen50, verdeutlicht. Für den Aufsichtsrat folgt hieraus die Pflicht, die Einrichtung und das Funktionieren eines Frühwarnsystems zu überwachen51. Da die vollständige Überprüfung der Zuverlässigkeit des Risikoüberwachungssystems die Kapazitäten des Aufsichtsrats übersteigt, liegt der Schwerpunkt der Überwachungstätigkeit hier beim Abschlussprüfer (§§ 317 Abs. 4, 321 Abs. 4 HGB)52.

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d) Vom Aufsichtsrat oder einzelnen seiner Mitglieder angeforderte Berichte Von ganz besonderer Bedeutung ist schließlich die Berichtspflicht des Vorstands aufgrund von Anforderungen des Aufsichtsrats selbst nach § 90 Abs. 3 AktG. Dieses sehr weitgehende Initiativrecht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder hat seinen Grund nicht in der unzureichenden Ordnung der regulären Informationspflicht des Vorstands53, da diese reguläre Informationspflicht, richtig verstanden und gehandhabt, durchaus zweckentsprechend ist. Grund der gesetzlichen Regelung mit dem Initiativrecht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder selbst sind die unterschiedlichen Betrachtungen und Gewichtungen, die stets möglich sind im Hinblick auf die Auswahl von Informationen. In den bisher geschilderten Fällen lag die Initiative und damit auch der Inhalt und die Gestaltung der Berichte in der Regel beim Vorstand54. Die dort gesetzten Schwerpunkte aber mögen mit der Sichtweise des Aufsichtsrats ganz und gar nicht übereinstimmen. Diesem Aspekt will § 90 Abs. 3 AktG Rechnung tragen und damit auch von Rechts wegen die hier bestimmende und maßgebende Rolle des Aufsichtsrats betonen. Daher kann hier, im Initiativbereich des Aufsichtsrats, dieser selbst durch Beschluss, aber auch jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied je-

48 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 = AG 2009, 404. 49 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, JZ 2010, 1188 Anm. Habersack, S. 1191 f. = AG 2010, 785; Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957; Schürnbrand, NZG 2010, 1207. 50 Zur Entstehungsgeschichte Seibert in FS Bezzenberger, 2000, S. 427 ff. 51 Thümmel, DB 1999, 885, 886. 52 Endres, ZHR 163 (1999), 441, 457. 53 So aber Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 33. 54 Soweit nicht der Aufsichtsrat eine Berichtsordnung für den Vorstand erlassen hat; vgl. Rz. 191.

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§ 6 Rz. 212 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

derzeit und zusätzlich zu den Regularberichten des Vorstands über alle Angelegenheiten der Gesellschaft einen Bericht an den Aufsichtsrat verlangen55. Fehlen dem Aufsichtsrat für seine Aufgabenerfüllung notwendige Informationen, kann er sogar dazu verpflichtet sein, sich diese vom Vorstand zu verschaffen (Holschuld)56. 213

Diese Berichtspflicht ist thematisch nur begrenzt durch den notwendigen Bezug zur Gesellschaft (Angelegenheiten der Gesellschaft). Ein in diesem Rahmen liegendes Verlangen des Aufsichtsrats oder einzelner seiner Mitglieder kann vom Vorstand überhaupt nicht zurückgewiesen werden, auch das Berichtsverlangen eines einzelnen Aufsichtsratsmitgliedes genügt. Positiv heißt das: Jedes Aufsichtsratsmitglied kann stets in diesem weiten Rahmen zusätzliche Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat verlangen, ohne dass der Vorstand oder auch die Mehrheit des Aufsichtsrats intervenieren könnte. Da die Befugnis jedem Mitglied zusteht, kann auch jeder Aufsichtsrats-Ausschuss solche Sonderberichte anfordern. Wie der Vorstand solche Berichtswünsche nicht zurückweisen kann, so kann es auch der Aufsichtsrat selbst nicht etwa durch Beschluss gegen einzelne seiner Mitglieder: Die betreffenden Rechte sind unangreifbar und weder durch die Satzung noch durch den Vorstand oder den Aufsichtsrat selbst einschränkend gestaltbar57.

214

Da die Initiative hier vom Aufsichtsrat oder einzelnen seiner Mitglieder ausgeht, müssen diese zunächst einmal ihr Anliegen so präzise formulieren, dass der Vorstand in dem notwendigerweise eingeschränkten Umfang eines jeglichen Berichts überhaupt darauf antworten kann58. Darüber hinaus aber muss das Verlangen noch erfüllbar sein und darf nicht identisch sein mit einem sowieso in aller Kürze zu erstattenden Regularbericht. Mit anderen Worten: Ergibt sich die gewünschte Antwort aus einem erst kürzlich vorgelegten Regularbericht oder Sonderbericht oder ist dieser sowieso in aller Kürze zu erstatten und daher der angeforderte Bericht nach § 90 Abs. 3 AktG nicht oder nicht wesentlich früher erfüllbar, so zielt die Anforderung ins Leere. Erfülltes oder sowieso Geschuldetes kann zu leisten nicht bzw. nicht noch einmal begehrt werden59. Darüber hinaus darf das Begehren auch nicht aus anderen Gründen missbräuchlich sein. Das wäre etwa der Fall, wenn ein Aufsichtsratsmit55 Vgl. dazu Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.797 ff. 56 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 246; Lieder, ZGR 2018, 523, 559 ff. (Holschuld); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 1 und § 111 Rz. 20; Mense/Klie, GWR 2015, 92, 95; s. dazu auch Grundsatz 15 DCGK 2020; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 90 Rz. 39 („Informationsbeschaffungspflicht“). 57 Vgl. Rz. 207; LG Düsseldorf v. 8.3.1988 – 36 O 138/87, AG 1988, 386, 387 lässt es aber zu, dass der Aufsichtsrat durch einstimmige Übertragung bestimmter Angelegenheiten auf einen paritätisch besetzten Ausschuss für diesen Bereich auf sein Auskunftsrecht verzichtet. Das erscheint uns problematisch. 58 LG Bonn v. 16.10.1986 – 10 O 166/85, AG 1987, 24 und OLG Köln v. 9.5.1986 – 19 U 193/85, AG 1987, 24 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 11; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 48; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 81; Müller-Michaels in Hölters, Komm. AktG, § 90 Rz. 14. 59 Ähnlich Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 36, der hier von Rechtsmissbrauch spricht; vgl. auch zur ähnlichen Situation im GmbH-Recht beim Auskunftsrecht der Gesellschafter Bayer in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 51a Rz. 7 ff.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 217 § 6

glied den Zusatzbericht und die in ihm erwarteten Informationen für persönliche Zwecke verwenden will oder es um Quisquilien geht, die unter keinem Aspekt (Rz. 207) den Kontrollauftrag des Aufsichtsrats betreffen. e) Gemeinsamkeiten der Sonderberichte Auch diese Sonderberichte gehen in jedem Falle vom Vorstand an den Aufsichtsrat, also nicht etwa an das einzelne Aufsichtsratsmitglied, welches den Sonderbericht veranlasst hat. Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln bezüglich Form und Sorgfalt der Erstellung sowie Kenntnis und Einsicht wie unten erläutert (Rz. 223 ff.).

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4. Vorlageberichte Der Vorstand hat im Rahmen von Vorlagen immer dann zu berichten, wenn er einen bestimmten Beschluss des Aufsichtsrats erstrebt. Zu diesen Vorlagen gehören insbesondere:

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a) Jahresabschluss Der Jahresabschluss mit seinem Anhang (§ 264 Abs. 1 Satz 1 HGB) und dem Lagebericht ist dem Aufsichtsrat zu selbständiger Prüfung vorzulegen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dies gilt nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten“ (CSR-Richtlinie60-Umsetzungsgesetz) ebenfalls für den CSR-Bericht (§ 170 Abs. 1 Satz 3 AktG), der als Bestandteil des Lageberichts oder als gesonderter Bericht außerhalb des Lageberichts nichtfinanzielle, etwa soziale und umweltbezogene Aspekte beinhaltet (vgl. §§ 289b ff. HGB)61. Darüber hinaus ist der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers (soweit nicht „kleine AG“62) direkt dem Aufsichtsrat ohne den Umweg über den Vorstand zuzuleiten (§ 321 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 HGB). Dies ist eine Folge der Auftragserteilung durch den Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG) und unterstreicht die Unabhängigkeit zwischen Abschlussprüfer und Vorstand63. Näher dazu Rz. 171 ff. Der Aufsichtsrat muss in jedem Falle diese Unterlagen prüfen und darüber einen positiven oder negativen eigenen Beschluss fassen (§ 171 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Prüfungspflicht für den CSR-Bericht ergibt sich ebenfalls aus § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG, wenn er als Teil des Lageberichts verfasst ist, aus § 171 Abs. 1 Satz 4 AktG, wenn er als gesonderter Bericht gehalten ist64. Soll die Feststel60 Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen (ABl. EU Nr. L 330 v. 15.11.2014, S. 1; L 369 v. 24.12.2014, S. 79). 61 Schön, ZHR 180 (2016), 179, 282. 62 Ist die betreffende AG nicht prüfungspflichtig, so entfällt naturgemäß auch der Prüfungsbericht, vgl. Rz. 189. 63 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 13/9712, S. 22. 64 Hennrichs/Pöschke, NZG 2017, 121, 123; Lanfermann, BB 2016, 1131, 1133; zur aktuellen Debatte um die Intensität der Prüfungspflicht Velte, AG 2018, 266 ff.; zur Aussagekraft der CO2-Berichterstattung als Element der nichtfinanziellen Erklärung Niehues/Dutzi/ Schwoy, Der Konzern 2018, 296.

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§ 6 Rz. 217 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

lung ausnahmsweise durch die Hauptversammlung erfolgen (wie sonst stets bei der GmbH), so trägt der Aufsichtsrat zwar keine Mitverantwortung dafür, er muss aber dennoch seine Sicht der Dinge dieser Versammlung erläutern (§ 124 Abs. 3 AktG) und bedarf daher auch in diesem Falle der gleichen Angaben und Unterlagen65,66. b) Der Abhängigkeitsbericht einer abhängigen AG nach § 312 AktG 218

Dieser besondere und wichtige Bericht des Vorstands einer abhängigen Aktiengesellschaft (§ 17 AktG) ist ebenfalls dem Aufsichtsrat vorzulegen. Auch er ist durch den Abschlussprüfer zu prüfen, und sein Bericht dazu ist ebenfalls dem Aufsichtsrat unmittelbar zuzuleiten. Dieser hat die Unterlagen wiederum selbständig zu prüfen und darüber Beschluss zu fassen. Auch hier muss der Abschlussprüfer an der betreffenden Sitzung des Aufsichtsrats teilnehmen und diesem über die wesentlichen Ergebnisse seiner Prüfung berichten, § 314 Abs. 4 AktG.

218a

Das Gesetz versagt dem Aktionär die Einsicht in den Abhängigkeitsbericht und gibt ihm nur die Entscheidung von Prüfer und Aufsichtsrat bekannt; außerdem ist nach § 312 Abs. 3 Satz 3 AktG die Erklärung des Vorstands über den Ausgleich etwaiger Nachteile auch in den Lagebericht aufzunehmen. Das Gesetz bringt auf diese Weise die beiden Instanzen Aufsichtsrat und Prüfer in die Position von Garanten der abhängigen Gesellschaft und ihrer Minderheit: Umso sorgfältiger hat der Aufsichtsrat beide Berichte zu prüfen, und umso detaillierter hat der Vorstand über etwaige Unterschiede aus seiner Sicht und der Sicht des Prüfers dem Aufsichtsrat zu berichten.

218b

Im Übrigen verlangt das Gesetz vom Aufsichtsrat dieser abhängigen AG einen sehr eingehenden Bericht an die Hauptversammlung, und zwar – über das Ergebnis seiner Prüfung des Abhängigkeitsberichtes, – über das Ergebnis der Prüfung des Abhängigkeitsberichtes durch den Abschlussprüfer unter wörtlicher Wiedergabe von dessen Bestätigungsvermerk bzw. dessen Versagung. Am Schluss dieses Berichtes hat der Aufsichtsrat zu erklären, „ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen gegen die Erklärung des Vorstands am Schluss des Berichts über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen zu erheben sind“.

65 Die Vorlagepflicht des § 170 AktG besteht auch in den Gesellschaften mbH unter dem DrittelbG (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG verweist auf § 170 AktG) und dem MitbestG, obwohl dort eine ausdrückliche gesetzliche Verweisung auf diese Norm fehlt; vgl. OLG Karlsruhe v. 20.11.1986 – 8 W 54/86, Die Mitbestimmung 1987, 72; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 754 und dort Fn. 4 sowie Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 52 Rz. 233; ähnlich auch Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 58, der auf § 111 Abs. 2 AktG i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG verweist. 66 Die Vorlagepflicht nach § 170 AktG und die Prüfungspflicht des Aufsichtsrats nach § 171 AktG sind sogar für den fakultativen Aufsichtsrat nach § 52 GmbHG festgelegt.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 221 § 6

Fehlt der Bericht oder fehlt auch nur eines seiner Elemente, so kann der Aufsichtsrat nicht entlastet werden. Geschieht das doch, ist der Beschluss anfechtbar67. Besonders sorgfältig muss der Aufsichtsrat prüfen, wenn es sich um eine kleine AG handelt, die nach §§ 316 Abs. 1, 267 Abs. 1 HGB keiner Pflichtprüfung unterliegt und daher auch keine Prüfer für den Abhängigkeitsbericht hat; gerade bei abhängigen Aktiengesellschaften wird das in Zukunft häufiger der Fall sein.

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c) Maßnahmen des Vorstands, die der Mitwirkung (Zustimmung) des Aufsichtsrats bedürfen Vorgänge dieser Art gibt es schon nach dem Gesetz in nicht geringer Zahl (z.B. §§ 59 Abs. 3, 89, 114, 115, 171, 202 Abs. 3 Satz 2, 308 Abs. 3 Satz 2 AktG), hinzukommen in je nach Gesellschaft unterschiedlichem Maße Zustimmungsrechte kraft Satzung oder Beschluss des Aufsichtsrats gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG selbst (dazu Rz. 112 ff.). In allen diesen Fällen geht es um eine „mitwirkende Überwachung“ der Geschäftsführung des Vorstands durch den Aufsichtsrat. In allen diesen Fällen steht die Initiative dem Vorstand zu, der, ergreift er sie, den Aufsichtsrat für seine Vorstellungen gewinnen muss. Das setzt entsprechende Informationen voraus. Das gilt insbesondere für die zustimmungsbedürftigen Maßnahmen nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG; hier handelt es sich um eine Kooperation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Es liegt auf der Hand, dass sie ein vollständiges Maß an Information des Aufsichtsrats bedingen, da dieser sonst die Entscheidung für die Gesellschaft nicht tragen bzw. mittragen kann68. Die erforderliche Information wird hier als Begründung des Vorstands für die eigenen Vorstellungen gegeben, soweit sie nicht bereits in den beigefügten Unterlagen selbst enthalten ist. Selbstverständlich können auch hier Zusatzfragen und Zusatzberichte zur Ergänzung der Unterlagen (Begründung) verlangt werden (s. Rz. 212).

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Sehr kritisch sind Wünsche des Vorstands auf nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) seines Handelns zu sehen. Der Vorstand kann in diesen Fällen auch ohne die vorherige Mitwirkung des Aufsichtsrats rechtlich wirksam handeln69, aber er darf

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67 Vgl. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47 = NJW 2003, 1032 = AG 2003, 273 (Macrotron); OLG Dresden v. 23.4.2003 – 18 U 1976/02, AG 2003, 433, 435 (Anfechtbarkeit bei Informationsverletzung); LG München v. 29.9.2005 – 5HK O 13412/05, AG 2006, 170; Altmeppen, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 314 Rz. 30 ff.; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 314 Rz. 5. 68 Der BGH hat das im Leitsatz seiner Entscheidung vom 11.12.2006 – II ZR 243/05, AG 2007, 167 = ZIP 2007, 224 nachdrücklich betont: „Der ... Aufsichtsrat ... verletzt seine zur Haftung führenden organschaftlichen Pflichten ..., wenn er ohne gebotene Information ... seine Zustimmung zu nachteiligen Geschäften erteilt“. 69 Grundsätzlich ist die Vertretungsmacht des Vorstands unbeschränkt, § 82 Abs. 1 AktG. Zustimmungserfordernisse betreffen also in der Regel nur die internen Geschäftsführungsbefugnisse, vgl. Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 82 Rz. 1, 30; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 82 Rz. 3; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 82 Rz. 1; Weber in Hölters, Komm. AktG, § 82 Rz. 1 ff. Die Zustimmung nach § 114 AktG beinhaltet allerdings ein Wirksamkeitserfordernis, vgl. Habersack, MünchKomm.

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§ 6 Rz. 221 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

bzw. soll es nicht. Hier mag es seltene Fälle geben, in denen es aus Zeitgründen oder Gründen der Geheimhaltung richtig ist, den Aufsichtsrat erst nachträglich zu befassen: Den Vorsitzenden bzw. das Präsidium vorweg zu informieren aber ist stets möglich und daher unabdingbar. Da die fragliche Maßnahme selbst in solchen Fällen nicht mehr zu beeinflussen (zu stoppen) ist, gilt es, sie im Sinne der Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands jedenfalls nachträglich sorgfältig zu beurteilen; denn für die hier gefragte Kooperation zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist die Meinung des Aufsichtsrats sowohl in der Sache wie zum Zeitfaktor wie zum Verhalten des Vorstands überhaupt von großem Gewicht. Der Aufsichtsrat ist in keiner Weise verpflichtet, die Maßnahme des Vorstands zu genehmigen. Dieser handelt also auf eigene Gefahr. Denn ohne Zustimmung/Genehmigung bleibt seine Maßnahme pflichtwidrig70. 5. Die Empfänger der Berichte 222

Die Berichte des Vorstands gehen stets an den Aufsichtsrat. Dieser wird bei schriftlichen Berichten dabei durch seinen Vorsitzenden repräsentiert71; über ihn sind also die schriftlichen Berichte an alle Aufsichtsratsmitglieder zu leiten72, soweit der Aufsichtsrats-Vorsitzende nicht den Vorstand gebeten hat, die Berichte unmittelbar allen Aufsichtsratsmitgliedern zuzuleiten. Das gilt für alle schriftlichen Berichte, also auch für die von einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern angeforderten (Zusatz-)Berichte (Rz. 212). Und weil das für alle Berichte gilt, hat auch der Aufsichtsrats-Vorsitzende ihm zugehende Sonderberichte nach § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG möglichst umgehend an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder weiterzuleiten; spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung muss der Vorsitzende die übrigen Mitglieder über diese Sonderberichte und ihren Inhalt unterrichten, § 90 Abs. 5 Satz 3 AktG. Nach § 90 Abs. 5 Satz 2 AktG kann (nur) der Aufsichtsrat selbst durch Beschluss (also nicht die Satzung!)73 die Aushändigung von Berichten an die Aufsichtsratsmitglieder ausschließen und die Mitglieder auf die Möglichkeit der Einsicht in diese Unterlagen in den

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AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 28. Teilweise wird dies auch für §§ 89, 115 AktG angenommen, vgl. Gessler, Komm. AktG, § 89 Rz. 5; a.A. die h.M., vgl. nur Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 89 Rz. 51 m.w.N. Zum Einwand des Vorstands eines rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, AG 2018, 841. Gläubiger ist das Organ Aufsichtsrat. Zum Teil wird allerdings angenommen, die Gesellschaft selbst sei Gläubiger der Berichte, so Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 37 und 61; weitere Nachweise bei Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 119 in Fn. 372. Diese Ansicht stößt indes auf unüberwindliche Probleme, da sie auf einen Anspruch der Gesellschaft gegen sich selbst hinausläuft. Auch sind die Aufsichtsratsmitglieder nicht etwa Gesamtgläubiger nach § 428 BGB; so aber Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 154 ff. H.M., vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 187 m.w.N.; Mertens, AG 1980, 67, 73; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 149 f. m.w.N.; Oltmanns in Heidel, Komm. AktG, § 90 Rz. 19. Demgegenüber können mündliche Berichte nur in einer förmlichen Sitzung des Aufsichtsrats erstattet werden. Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 196.

Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 225 § 6

Räumen der Gesellschaft verweisen; diese letztere Möglichkeit kann dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied nie genommen werden. Wenn von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, kommt eine Übermittlung der betreffenden Berichte an die Aufsichtsratsmitglieder naturgemäß nicht in Betracht. An die Stelle der Übersendung tritt dann die – unabdingbar notwendige – Unterrichtung der Aufsichtsratsmitglieder, sei es durch den Vorstand, sei es durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, dass der Vorstand einen Bericht zum Thema X bzw. nach § Y AktG erstellt hat und dieser zur Einsicht der Aufsichtsratsmitglieder in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ausliegt. 6. Die Gestaltung der Berichte a) Diese Gestaltung obliegt dem Vorstand. Der Bericht hat dabei „den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen“ (§ 90 Abs. 4 Satz 1 AktG).

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b) Der Bericht muss inhaltlich vollständig sein, und er muss vor allem sorgfältig zwischen der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung (Meinung) unterscheiden. Er sollte tunlichst an frühere Berichte anschließen und deren Daten aufnehmen. Er muss übersichtlich gegliedert und geordnet, straff formuliert (statt geschwätzig) und gedanklich klar (statt wirr) sein74 und sollte versuchen, durch Tabellen und Schaubilder die Darstellung zu straffen und zu vereinfachen75. Er hat sodann die mitgeteilten Fakten zu werten, hat also eine Meinung des Vorstands zur Bedeutung des geschilderten Sachverhalts für die Lage und die Politik der Gesellschaft erkennen zu lassen und ggf. mit einem Entscheidungsvorschlag an den Aufsichtsrat zu enden.

224

Ein auf unzureichende Information des Aufsichtsrats gefasster Beschluss ist nichtig76, was von jedem Aufsichtsratsmitglied mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden kann. c) In welcher Form der Vorstand zu berichten hat, ist vom Gesetz über lange Zeit hin offengelassen worden und war daher in der Literatur sehr umstritten77. Dieser Streit gehört der Vergangenheit an; denn § 90 Abs. 4 AktG hat durch das TransPuG einen weiteren Satz erhalten mit folgendem Wortlaut: „Sie sind möglichst rechtzeitig und, mit Ausnahme des Berichts nach Absatz 1 Satz 3, in der Regel in Textform zu erstatten.“ Damit ist geklärt, dass die regulären Berichte schriftlich oder in Textform (Fax, EMail) zu erstatten sind und nur deren aktuelle Ergänzung sowie die Mitteilung neu74 Ebenso Peltzer, WM 1981, 346, 350: „Systematisch, aussagekräftig, gut gegliedert, klar und den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend“; s. auch Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 52. 75 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 90; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 659 f. 76 LG Hannover v. 27.6.1989 – 7 O 214/89, AG 1989, 448 = DB 1989, 1816. 77 Vgl. dazu etwa Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 259 ff.; Lutter, AG 1991, 249, 252; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 142.

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§ 6 Rz. 225 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

ester Geschehnisse und Entwicklungen mündlich in der Sitzung erfolgen kann78. Das ist auch völlig richtig und sachgerecht so; denn der Vorstand kann – beratend! – nur wirksam kontrolliert werden, wenn sich die Aufsichtsratsmitglieder auf diese Sitzungen gründlich vorbereitet haben und die Stichhaltigkeit (Plausibilität) der Argumentation des Vorstands in Ruhe bedenken können. Es ist auch für wirtschaftlich erfahrene Personen ausgeschlossen, aufgrund allein mündlicher Vorträge spontan die etwaigen Probleme sicher zu erkennen. Denn der Vorstand wird stets versuchen, auf Probleme und Pannen von sich aus nicht eingehen zu müssen. Jedenfalls wird er auf sie (zu) spät hinweisen, um ein Problem unbemerkt vom Aufsichtsrat selbst lösen zu können. Das ist die ganz normale Haltung eines Vorstands, und sie ist unabdingbar die Folge des gesetzlichen Systems, wonach der Vorstand selbst den Aufsichtsrat zu informieren hat, einen Aufsichtsrat, der die Personalhoheit über ihn ausübt und daher auch über energische Sanktionsmöglichkeiten ihm gegenüber verfügt: Niemand reicht einem anderen gern und rasch den Strick, mit dem er aufgeknüpft werden kann! Soll also der Aufsichtsrat im Bereich der Überwachung des Vorstands mehr sein als ein Reiter auf dem dünn vereisten Bodensee – und das soll er nach dem Gesetz gewisslich! –, dann verlangt das von jedem Aufsichtsratsmitglied Vorbereitung und Beschäftigung mit dem betreffenden Unternehmen und seinen Problemen über die vier Sitzungstage im Jahr hinaus79. Anders ist moderne Unternehmensführung – und darauf bezogen ist ja der Aufsichtsrat – nicht möglich. 226

In der Regel ist schriftlich zu berichten (natürlich vor dem Hintergrund geplanter weiterer mündlicher Ergänzungen) und nur ausnahmsweise – und das heißt: mit entsprechender Begründung – mündlich. Ein freies Ermessen besteht hier nicht. Sieht man das richtig, so kommt eine (nur) mündliche Berichterstattung vor allem aus zwei Gründen in Betracht: wegen der besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit der betreffenden Angaben und wegen der sich rasch verändernden Umstände, die eine Festlegung (noch) nicht erlauben. Auch hier ist der Inhalt des mündlichen Berichts tunlichst in das Protokoll aufzunehmen.

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Zu einer nach § 90 Abs. 4 AktG ordnungsgemäßen Berichterstattung des Vorstands gehört auch, dass dieser seine schriftlichen Regelberichte dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder auf dessen Bitte unmittelbar den Mitgliedern rechtzeitig vor den Aufsichtsratssitzungen zuleitet. Nur unter dieser Voraussetzung ist den Aufsichtsratsmitgliedern ein hinreichendes Studium der Berichte sowie deren Bewertung möglich. Auch das stellt Satz 2 von § 90 Abs. 4 AktG ausdrücklich klar („möglichst rechtzeitig“)80.

78 Diese zusätzlichen Ergänzungen sollten dann aber in das Protokoll aufgenommen werden, zutr. Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 8.806. 79 Boujong, AG 1995, 203, 205 spricht sogar von „ständiger Diskussion mit dem Vorstand“ und dessen „laufender Beratung“. 80 Vgl. auch bei Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 271. Die Formulierung des Gesetzes „in der Regel“ erlaubt wiederum einen Verzicht seitens des Aufsichtsrats und Ausnahmen in Sonderfällen, z.B. hohe Vertraulichkeit des Berichtsinhalts.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 230 § 6

7. Information und Berichte im Konzern a) Gleiche Regeln wie für die AG selbst Alle bisher erörterten Berichte betreffen die Gesellschaft, nicht die Gruppe oder den Konzern. Andererseits wurde bereits oben (Rz. 141 ff.) festgestellt, dass der Aufsichtsrat, d.h. der Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft, fraglos auch die Aufgabe hat, die Leitung des Gesamtkonzerns durch den Vorstand der (seiner) Obergesellschaft zu überwachen. Das aber kann er nur vor dem Hintergrund von Informationen; und diese wiederum kann ihm nur der Vorstand verschaffen81.

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Der Konzern wird vom Gesetz selbst als funktionale („einheitliche Leitung“, § 18 AktG) und als wirtschaftliche Einheit trotz seiner Zusammensetzung aus selbständigen Gliedgesellschaften, also auch aus rechtlich selbständigen Teilen (den Konzerngesellschaften), verstanden82. Deswegen auch hat der Vorstand der Konzernobergesellschaft vielfache auf diese „Einheit“ bezogene Pflichten der Leitung und Führung83; und er hat über diese funktionale Einheit „Konzern“ auch einheitlich Rechnung zu legen (§§ 290 ff. HGB). Es ist damit offenbar, dass der Vorstand das nicht etwa im rechtsleeren Raum tut, sondern als Teil seiner Pflicht zur Geschäftsführung für die Obergesellschaft, deren Herrschaftsrechte aus Beteiligung und Vertrag in den Konzerngesellschaften er wahrnimmt und wahrnehmen muss. Genau das zu kontrollieren ist Aufgabe des Aufsichtsrats84, der das gar nicht anders kann als vor dem Hintergrund von Informationen, wie sie auch für die AG selbst gelten. Daraus folgt, dass der Konzern in den Berichten des Vorstands an den Aufsichtsrat in gleicher Weise und nach den gleichen Regeln erscheinen muss wie in den vom Gesetz vorgeschriebenen Berichten für die Gesellschaft (AG) selbst. Insbesondere ist nicht erkennbar, weshalb etwa nur der Aufsichtsratsvorsitzende zu informieren sein sollte85 oder der Gesamtaufsichtsrat nur dann, wenn einzelne Entwicklungen im Konzern für die Gesellschaft selbst unmittelbar von Bedeutung sind: Denn das gilt nach § 90 Abs. 1 AktG sowieso, etwa dann, wenn bei einer Tochtergesellschaft Verluste entstanden sind, zu deren Übernahme die AG nach § 302 AktG verpflichtet ist.

229

Das Gesetz selbst hat die Fragen der Information im Konzern nicht ausreichend und insbesondere nicht systematisch bedacht und daher auch nur in Ansätzen geregelt, so z.B. in § 90 Abs. 2 und Abs. 3 AktG, aus denen sich die Geschäftsführungspflicht des Vorstands für den Gesamtkonzern und die darauf beruhende Überwachungspflicht des Aufsichtsrats folgern lässt. Insgesamt lässt sich damit sagen:

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Dazu auch Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 503. Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 Rz. 17 ff. m.w.N. Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 77 m.w.N. Zutreffend Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 381 ff.; ebenso Mertens, AG 1980, 67, 70; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 40 f.; Götz, ZGR 1998, 524, 540. 85 So etwa Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 248.1.

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§ 6 Rz. 231 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

b) Die regelmäßigen Berichte des Vorstands 231

aa) Die regelmäßigen Berichte des Vorstands an den Aufsichtsrat (Vierteljahres-Berichte, Jahresberichte, Rentabilitätsberichte) müssen in gleichem Umfange und mit gleichem Inhalt auch für den Konzern erstattet werden, § 90 Abs. 1 Satz 2 AktG86. Das gilt insbesondere für die eingegliederten Gesellschaften nach §§ 319 ff. AktG, die Organgesellschaften (§§ 291 ff. AktG) und die (fast) 100 %igen Tochter- und Enkelgesellschaften. Ihre wirtschaftliche Lage, ihre Liquiditäts- und Ertragssituation sind für die Obergesellschaft und deren wirtschaftliche Situation unmittelbar relevant. Mängel der Geschäftsführung in ihnen wirken sich nicht weniger und nicht anders aus als Mängel in der Geschäftsführung der Gesellschaft selbst. Ihnen gegenzusteuern ist der Vorstand der Obergesellschaft (AG) verpflichtet und in der Lage (z.B. Abberufung des Managements in der betreffenden Tochtergesellschaft). Der Gesetzgeber hat das erst spät erkannt und es erst im TransPuG von 2002 durch Einfügung eines neuen Satzes 2 von § 90 Abs. 1 AktG geregelt: „Ist die Gesellschaft Mutterunternehmen (§ 290 Abs. 1, 2 des Handelsgesetzbuchs), so hat der Bericht auch auf Tochterunternehmen und auf Gemeinschaftsunternehmen (§ 310 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs) einzugehen.“

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bb) Die zur Überwachung der Konzernleitung benötigten Informationen können vom Vorstand der Tochtergesellschaft an den Vorstand der Muttergesellschaft oder, mit dessen Zustimmung, direkt an deren Aufsichtsrat erfolgen.

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Dieser Informationsfluss im Konzern ist nicht verboten: Der Konzern, auch der faktische, ist rechtmäßig, §§ 291 ff., 311 ff. AktG, einheitliche Leitung also erlaubt. Da einheitliche Leitung aber der Information bedarf, sind Auskünfte der Tochtergesellschaften an die Muttergesellschaft zum Zwecke der Konzernleitung nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich87.

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Werden derartige Informationen von der Tochter außerhalb der Hauptversammlung erteilt, so findet doch § 131 Abs. 4 AktG keine Anwendung; denn die Mutter erhält die Information nicht in ihrer Eigenschaft als Aktionär, sondern als konzernleitendes Unternehmen88. Das wird in § 131 Abs. 4 Satz 3 AktG für den Spezialfall der Einbeziehung der Tochter in den Konzernabschluss der Mutter ausdrücklich klargestellt. 86 Ausführlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 148 ff. m.w.N.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 404 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 22. Im Übrigen: Wenn z.B. VW eine neue Fabrik im In- oder Ausland zu bauen beabsichtigt, kann es für die Mitwirkung des Aufsichtsrats an Planung und Entscheidung überhaupt keinen Unterschied machen, ob diese Investition von der VW AG selbst oder einer ihrer ausländischen Tochtergesellschaften getätigt wird. 87 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 156 ff.; Pentz, ZIP 2007, 2298 ff. Zurückhaltend Spindler/Janssen-Ischebeck, Informationsfluss, S. 147, 153 ff. 88 H.M., vgl. nur Krieger, Münchener Hdb. AG, § 69 Rz. 26; Zöllner, Kölner Komm. AktG, 1. Aufl., § 131 Rz. 69; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 131 Rz. 72; Scheffler, DB 1994, 793, 798; ebenso Kubis, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 131 Rz. 147 f.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 237 § 6

cc) Anders ist die Rechtslage dann, wenn in den Tochtergesellschaften noch „echte“ Minderheitsaktionäre sind und kein Unternehmensvertrag besteht: Dann sind gegenläufige Interessen der Tochter strikt zu berücksichtigen, wie die §§ 311 ff. AktG zeigen. Das aber unterbricht die Erlaubnis zum schrankenlosen Informationsfluss zwischen dem Tochterbereich und dem Aufsichtsrat der Obergesellschaft89. Der Vorstand der Tochter muss dann „nach oben“ berichten, dass eine Weitergabe der gewünschten Information im Interesse der Tochter und ihrer Minderheitsgesellschafter nicht möglich ist.

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dd) Bei der Gestaltung dieser regelmäßigen Berichte über den Konzern hat sich der Vorstand an deren Funktion zu orientieren: Darstellung des Konzerns als wirtschaftliche Einheit unter den genannten Aspekten. Er wird also tunlichst über den Konzern nach dem gleichen Schema und nach den gleichen Regeln berichten wie über die Gesellschaft selbst90, also über den Umsatz und den Ertrag im Konzern insgesamt und nach Sparten bzw. Bereichen getrennt, je im Periodenvergleich und im Vergleich zur Planung. Außerdem sind Hinweise zu den spezifischen Risiken und Kostenfaktoren (Zins, Währung, Arbeitnehmer) in den verschiedenen Sparten bzw. Bereichen zu geben. Dabei hat der Vorstand wichtige Konzerngesellschaften – ähnlich wie wichtige Betriebsabteilungen in der Gesellschaft selbst – besonders hervorzuheben, um sie ggf. mit ihren besonderen Stärken und Schwächen sowie den dort vorgesehenen Maßnahmen zur Ausnutzung von Stärken bzw. zur Überwindung von Schwächen darzustellen.

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ee) Für den Inhalt des Jahresberichts gelten die gleichen Regeln wie für den Jahresbericht der Gesellschaft selbst91: Im Zentrum stehen die Planungen im Konzern. Im Übrigen wird es am zweckmäßigsten sein, nach Schwerpunkten und Tätigkeitsgebieten (Produkten, Bereichen) zu gliedern: Es besagt wenig, wenn der Vorstand über die Absicht einer Investition von X US-Dollar bei der A-Corporation (die Kunststoffteile und chemische Produkte herstellt) berichtet, aber viel, wenn über geplante Investitionen im Sektor chemischer Produkte mit Schwerpunkt bei der A-Corporation mitgeteilt wird. Nicht zu übersehen ist schließlich der jährliche Konzern-Rentabilitätsbericht. Auch hier gelten die obigen Überlegungen: Es sagt wenig, ja möglicherweise sogar Falsches, wenn der Rentabilitätsbericht für die Gesellschaft selbst zufriedenstellend, vielleicht sogar gut ist, während sich die Lage im Konzern dramatisch verschlechtert. Gerade in der beginnenden Krise wird eine solche Konstellation nicht selten sein. Der Aufsichtsrat verletzt daher seine Pflicht, wenn er nicht auf zeitnaher Information über Gesellschaft und Konzern besteht. Zum Zwecke einer effektiven Konzernleitungskontrolle empfiehlt es sich, vom Vorstand ein Kontrollstatut zu fordern, in dem das Instrumentarium zur Kontrolle der Unternehmensgruppe niedergelegt ist92.

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89 Dazu Lutter, AG 1991, 249, 255. 90 So geschieht es auch in der Praxis der börsennotierten Aktiengesellschaften hinsichtlich ihrer Geschäfts- und ihrer Quartalsberichte. 91 Vgl. Götz, ZGR 1998, 524, 540 f. 92 Näher s. Götz, ZGR 1998, 524, 541; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 420; zu dieser Forderung auch schon Lutter, ZHR 159 (1995), 287, 308.

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§ 6 Rz. 238 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

c) Sonderberichte 238

Sonderberichte über den Konzern sind schon im Gesetz selbst vorgesehen, § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG. Unter den gleichen Voraussetzungen, wie sie oben (Rz. 208 ff.) zur Gesellschaft selbst formuliert wurden, nunmehr aber bezogen auf den Konzern als wirtschaftliche Einheit, sind solche Sonderberichte zu erstatten. Das gilt aber nicht nur für den Konzern als solchen, sondern auch für die einzelne Konzerngesellschaft, in der sich Sonderentwicklungen abzeichnen. Daher ist selbstverständlich über Arbeitskämpfe, behördliche Eingriffe, Absatz- und Ertragseinbrüche etc. in wichtigen Tochtergesellschaften im Rahmen solcher Sonderberichte zu berichten. d) Vorlageberichte

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Sie betreffen vor allem die Vorlage des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts nach § 170 Abs. 1 AktG. Sie sind weiterhin angezeigt, wenn der Vorstand die Durchführung einer zustimmungspflichtigen Maßnahme im Konzern wünscht (vgl. Rz. 159 ff.), und sie gelten erst recht, wenn der Vorstand nach § 32 MitbestG oder § 15 MontanMitbestErgG die Zustimmung bzw. Weisung des Aufsichtsrats für bestimmte Maßnahmen in Konzerngesellschaften benötigt. 8. Information des Aufsichtsrats bei Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern

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Die Besonderheiten, die sich hinsichtlich der Information des Aufsichtsrats bei Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern durch die Einschaltung von Personalausschüssen ergeben, werden in Rz. 337 näher erläutert. 9. Vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats: Das unmittelbare Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 AktG

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a) Der Vorstand ist die wichtigste Informationsquelle für den Aufsichtsrat, aber er kann als derjenige, der zu kontrollieren ist, nicht die einzige Informationsquelle für den Aufsichtsrat sein. Das wird unmittelbar einsichtig, wenn man an den durchaus möglichen und weitreichenden Konflikt zwischen den beiden Organen denkt. Und es gilt erst recht, wenn die Frage akut wird, ob sich der Vorstand Pflichtverletzungen hat zuschulden kommen lassen.93 Daher sieht § 111 Abs. 2 AktG vor, dass sich der Aufsichtsrat die gewünschte Information auch durch eigene und unmittelbare Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft selbst verschaffen und dabei insbesondere die Angaben des Vorstands vor Ort überprüfen kann94. Dieses Recht steht dem Organ Aufsichtsrat zu; er hat es also durch Mehrheitsbeschluss einzuleiten. Ein Recht einzelner Mitglieder auf unmittelbare Einsicht und Prüfung kennt das Gesetz hier

93 Dazu etwa Haßler, BB 2017, 1603, 1606 f. 94 Zu den Schranken des Einsichts- und Prüfungsrechts vgl. näher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 293 ff.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 243 § 6

(im Gegensatz zur Berichtspflicht des Vorstands: Zusatzberichte) nicht95; das einzelne Mitglied kann also nur einen entsprechenden Antrag im Aufsichtsrat selbst zur Entscheidung (Abstimmung) stellen. Das Einsichts- und Prüfungsrecht dient der Überwachung (nur) des Vorstands, besteht also nicht beliebig und per se. b) Die konkrete Ausübung des Rechts durch den gesamten Aufsichtsrat wäre denkbar unzweckmäßig. Sie würde auch zu einer großen Beunruhigung im Unternehmen führen und daher der Gesellschaft eher schaden als nützen. Daher sieht das Gesetz vor, dass der Aufsichtsrat eine Gruppe (z.B. einen Ausschuss) oder gar ein einzelnes Mitglied mit der Einsicht oder Prüfung beauftragt. Der Vorteil einer solchen Vorgehensweise liegt in einem erhöhten Maß an Vertraulichkeit96, was wiederum gerade bei börsennotierten Gesellschaften der Prävention von Insidergeschäften zuträglich ist (s. Rz. 290 ff.). Schließlich kann die Prüfung der konkreten Frage (z.B. Liquiditätslage, Auftragsbestand, Organisation, bestimmtes Fehlverhalten des Vorstands) auch durch einen Dritten und hier insbesondere einen Wirtschaftsprüfer oder den eigenen Abschlussprüfer durchgeführt werden97. Es muss sich dabei aber stets um die Prüfung einer konkreten und bestimmten Frage handeln, nicht um eine unspezifische, „flächendeckende“ allgemeine Prüfung98.

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c) Diese Prüfung muss sich naturgemäß auf die Überwachung des Vorstands beziehen. Geht es etwa um das Fehlverhalten von Arbeitnehmern, so kann der Aufsichtsrat nur den Vorstand um Klärung des Sachverhalts und Bericht an sich auffordern, kann aber weder selbst prüfen noch prüfen lassen. Das wird anders, wenn der Aufsichtsrat Grund zur Annahme hat, dass der Vorstand unvollständig oder unrichtig berichtet: Dann geht es um die Klärung des Verhaltens des Vorstands. Das ist eine Frage, die der Aufsicht des Aufsichtsrats unterliegt; sie wird sich häufig gerade in Konzernsachverhalten stellen. Aber auch in diesen Fällen ist der Aufsichtsrat nur in sehr engen Grenzen befugt, Arbeitnehmer unmittelbar zu befragen.

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Geht es um (alte) Sachverhalte, die den jetzigen Vorstand nicht betreffen, so geht es auch nicht um seine Überwachung. Sind jedoch mögliche Schadensersatzansprüche gegen frühere Vorstandsmitglieder im Gespräch und sind diese noch nicht verjährt (§ 93 Abs. 6 AktG), so kann der Aufsichtsrat die Rechte aus § 111 Abs. 2 AktG zu

95 Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 166; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 129; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 284 m.w.N.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 110 Rz. 33; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 20. 96 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 286. 97 Vgl. dazu näher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 298 ff.; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 130 ff. 98 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 ff. = AG 1983, 133 (Hertie) betont daher zutreffend, dass nur zur Klärung bestimmter Fragen ein besonderer Sachverständiger nach §§ 109 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 AktG beauftragt werden kann; vgl. auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 52 ff.; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 23; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 165; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 130.

121

§ 6 Rz. 243 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

deren Klärung einsetzen (Annexkompetenz), da nur er zu deren Geltendmachung berechtigt (§ 112 AktG) und zugleich verpflichtet99 ist. 244

d) Das Einsichts- und Prüfungsrecht steht in keiner „Rangordnung“ zum Informationsrecht nach § 90 AktG, darf also an sich jederzeit ausgeübt werden. Aber der Aufsichtsrat ist selbstverständlich auf die Interessen der Gesellschaft verpflichtet (§§ 93, 116 AktG) (vgl. Rz. 885 ff.). Für diese aber ist ein solcher Vorgang eine hohe Belastung, signalisiert er doch der gesamten Belegschaft (und damit praktisch der Öffentlichkeit) das Misstrauen des Aufsichtsrats gegenüber dem amtierenden Vorstand. Daher sollte dieses Recht vom Aufsichtsrat als Ultima Ratio verstanden und nicht etwa beliebig eingesetzt werden100.

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e) Dieses unmittelbare Einsichts- und Prüfungsrecht betrifft nur die Gesellschaft, nicht aber Konzerngesellschaften. Der Aufsichtsrat der Obergesellschaft kann also nur bei der eigenen Gesellschaft die dort befindlichen und den Konzern betreffenden Unterlagen einsehen und prüfen (lassen), nicht aber bei den Konzerngesellschaften unmittelbar tätig werden. Hier liegt eine deutliche Schwäche im Überwachungssystem101! Das gilt vor allem dann, wenn der Vorstand selbst in den Tochtergesellschaften tätig ist, dort aber keiner oder jedenfalls keiner relevanten Überwachung durch unabhängige Dritte unterworfen ist102. Dieser mangelnden Überwachung in den Konzerngesellschaften kann der Aufsichtsrat in der Obergesellschaft nur durch sein Beharren auf detaillierten und eingehenden Berichten durch den Vorstand entgegenwirken. 10. Vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats: Information des Aufsichtsrats durch Dritte und das Personal

245a

a) Das hier geschilderte normative System der Informationsversorgung des Aufsichtsrats ist am normalen Geschehen in der Gesellschaft ausgerichtet und geht von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat aus. Dieses 99 Vgl. nur BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377 (ARAG). 100 Zustimmend Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 174; wohl eher einfaches Ermessen befürwortend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 20; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 33 ff. 101 Aus diesem Grund empfiehlt die Regierungskommission „Corporate Governance“, § 111 Abs. 2 AktG um folgenden Satz zu erweitern: „Ein vom Aufsichtsrat bestellter zur Berufsverschwiegenheit verpflichteter Sachverständiger sollte die Rechte nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AktG auch gegenüber Tochterunternehmen im Sinne des § 290 Abs. 2 HGB und anderen Unternehmen im Sinne des § 310 HGB haben; er sollte von deren gesetzlichen Vertretern Aufklärungen und Nachweise verlangen können.“ (Baums [Hrsg.], Bericht der Regierungskommission, Rz. 22). Diese Empfehlung ist vom Gesetzgeber bisher nicht aufgenommen worden. 102 Hier liegt ein faktisches Problem aus bestimmten Formen der Konzernorganisation: Sind Mitglieder des Vorstands zugleich im Vorstand/Geschäftsführung der Tochter und wird deren Aufsichtsrat vor allem durch sonstige Personen aus dem Konzern besetzt, dann kann die Überwachung in der Tochter kaum funktionieren; hier ist der Aufsichtsrat der Obergesellschaft in besonderem Maße gefordert.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 246 § 6

Informationssystem ist daher unzureichend für die Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über Planung und Strategie, unzureichend für Finanzierungsfragen, beim Erwerb von Unternehmen etc. Hier kommt zunächst einmal die Pflicht des Vorstands zu speziellen Zusatzinformationen (Rz. 208 ff.) und das Recht des Aufsichtsrats auf jede Art von Zusatzinformationen (§ 90 Abs. 3 AktG) zum Tragen. Aber alle diese Informationen bleiben vom Vorstand getragene Informationen. Seine Sicht der Dinge färbt diese Informationen, soweit sie nicht durch Zahlen abgesichert werden können. Diese Färbung ist bei Plänen und Wünschen des Vorstands zum Erwerb von Unternehmen, zur Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland etc. evident. b) Daher stellt sich zunehmend die Frage nach „vorstandsunabhängigen“ Informationen. Das ist auch heute schon vielfach möglich:

245b

aa) Der Aufsichtsrat kann dem Abschlussprüfer und dem Konzern-Abschlussprüfer – seinen Gehilfen bei der Überwachung103 – jederzeit den Auftrag zu zusätzlichen Prüfungen erteilen. Darauf ist in Rz. 185 f. schon hingewiesen worden. Der Bericht des Prüfers enthält dann nicht nur das Ergebnis, sondern auch die es tragenden Informationen. Solche Aufträge bieten sich für Compliance-Maßnahmen des Vorstands an, für sein Risikomanagement, für die Marktlage der Gesellschaft und ihre Finanzierung. bb) Der Aufsichtsrat kann und muss ggf. aber auch außenstehenden Sachverstand für sich in Anspruch nehmen.104 Darauf hat der BGH ausdrücklich hingewiesen105. Von dieser Möglichkeit sollte der Aufsichtsrat bei gewichtigen und weitreichenden Entscheidungen unbedingt Gebrauch machen. So hätte etwa das „Unglück“ bei der Bayerischen Landesbank106 vielleicht verhindert werden können, wenn der Verwaltungsrat einen unabhängigen Sachverständigen zu Rate gezogen hätte – allein dessen Fragen und Wünsche nach gezielten Zusatzinformationen hätten möglicherweise zu einer ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsrats geführt. c) Ein schwieriges Kapitel ist die Frage, ob der Aufsichtsrat berechtigt und dann auch verpflichtet ist, Informationen beim Personal einzuholen. Das Gesetz verbietet es nicht107. Während eine solche Information des Aufsichtsrats durch und beim Personal mit Hinweisen auf die Notwendigkeit der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sowie den notwendigen Schutz der Autorität

103 Insbesondere bei der Ermittlung haftungsrelevanter Sorgfaltspflichtverletzungen des Vorstands ist „der Abschlussprüfer eine der wichtigsten neutralen Informationsquellen des Aufsichtsrats“, Haßler, BB 2017, 1603, 1606. 104 Dazu ausführlich Lieder, ZGR 2018, 523, 564 ff. mit weiteren Nachw. 105 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, AG 2018, 436 = NZG 2018, 629 (abgeleitet aus § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). 106 Vgl. http://www.welt.de/regionales/muenchen/article2802609/Bayerische-Landesbankwird-zum-Milliardengrab.html, zuletzt abgerufen am 24.9.2019. 107 Zutr. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 Rz. 507; Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 182.

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246

§ 6 Rz. 246 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

des Vorstands überwiegend abgelehnt wird108, hält es eine im Vordringen befindliche Ansicht mit Blick auf die effektive Überwachung des Vorstands für zulässig, Angestellte der Gesellschaft auch ohne Vermittlung durch den Vorstand zu befragen109. Man wird hier sorgfältig unterscheiden müssen: 247

aa) Geht es um das Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 2 AktG (Rz. 241 ff.) und wird es von einem Aufsichtsratsmitglied, einem Ausschuss oder einem Beauftragten ausgeübt, so sind Fragen an das Personal zum Verständnis und zur Erläuterung der etwa eingesehenen Unterlagen fast unabdingbar und zulässig110.

248

bb) Geht es um die Klärung von Vorwürfen gegenüber dem Vorstand, insbesondere um mangelhafte oder gar fehlerhafte Information, um Unkorrektheit oder gar Unredlichkeit, so gilt das Gleiche: der Aufsichtsrat kann sich hier unmittelbar an dafür zuständige Mitarbeiter wenden, etwa den Leiter der internen Revision111.

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cc) Geht es hingegen um Fragen zur Geschäftsführung des Vorstands, ist der Aufsichtsrat nicht berechtigt, am Vorstand vorbei zu handeln. Dafür spricht schon das Gesetz, das den Vorstand mit seinen Berichts- und Zusatzberichtspflichten und als Empfänger von sonstigen Fragen als den alleinigen Informanten des Aufsichtsrats sieht. Es wäre auch ungut, wenn der Vorstand nicht wüsste, welche Informationen aus Kreisen der Mitarbeiter an den Aufsichtsrat herangetragen werden. Der Aufsichtsrat kann den Vorstand aber bitten, den oder die gewünschten Mitarbeiter zur Sitzung des Aufsichtsrats mitzubringen; der Vorstand kann dann an der Diskussion des Aufsichtsrats mit diesen Mitarbeitern teilnehmen. Das gilt insbesondere, wenn der Aufsichtsrat sich über das Risikomanagement und das Risiko-Überwachungssys108 Vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 52 und § 109 Rz. 34; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 171 f.; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 135; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 3; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2018, § 5 Rz. 57; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 11; Israel in Bürgers/ Körber, Komm. AktG, § 109 Rz. 4; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 29; Lutter, AG 2006, 517, 520 f. 109 Sehr eingehend und kritisch gegenüber der ablehnenden h.M. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 480 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 80; Hopt, Der Aufsichtsrat, ZGR 2019, 507, 529 ff. und Leyens, Information des Aufsichtsrats, insbesondere S. 191 ff.; Sven H. Schneider, Informationspflichten, passim, insbesondere S. 103 ff.; M. Roth, AG 2004, 1; Habersack in FS Stilz, 2014, S. 191, 199 f.; Habersack, AG 2014, 1, 6 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 109 Rz. 11; differenzierend Lieder, ZGR 2018, 523, 563 f., Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 22 und § 111 Rz. 36 (in Ausnahmefällen) und Marsch-Barner in FS Schwark, 2009, S. 119 ff., der nachdrücklich auf eine entsprechende Informationsordnung hinweist. 110 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 311; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 128; Leyens, Information des Aufsichtsrats, S. 175 f. 111 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 11; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 313; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 52; Lieder, ZGR 2018, 523, 564; Haßler, BB 2017, 1603, 1607 f.

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Die Unterrichtung des Aufsichtsrats | Rz. 252 § 6

tem (§ 91 Abs. 2 AktG), die Maßnahmen zur Verhinderung von Unterschlagungen (interne Revision) oder Bestechungen (Compliance-Abteilung) regelmäßig informieren will: hier können und sollten mit dem Vorstand feste Termine für die Teilnahme der entsprechenden Mitarbeiter vereinbart werden, die dem Vorstand dann bekannt sind und ihm die Möglichkeit der Teilnahme geben112. Das alles gilt entsprechend für die Aufsichtsratsausschüsse, insbesondere das Audit Committee und den Leiter der Rechnungs-Abteilung. Alle diese Maßnahmen müssen den Charakter der Kooperation mit dem Vorstand tragen und dürfen nicht als Inquisition missverstanden werden. Dieser ganze und für die Information des Aufsichtsrats wichtige Komplex sollte Gegenstand der schon mehrfach angesprochenen Informationsordnung des Aufsichtsrats für den Vorstand sein. dd) Besteht im Unternehmen kein sog. Whistleblowing-System und tragen daher Mitarbeiter von sich aus offen oder anonym etwaige Pflichtverletzungen des Vorstands oder Rechtsverletzungen im Unternehmen an den Aufsichtsrat heran, so hat dieser diesen Vorwürfen sorgfältig nachzugehen, den Vorstand zu hören und dabei die oft gewünschte Anonymität des Informanten zu schützen. Die Mitarbeiter müssen wissen, dass der Aufsichtsrat diese Vorgänge und ihr naheliegendes Interesse am Schutz der eigenen Person ernst nimmt. Der Aufsichtsrat kann durch Beschluss Vorkehrungen treffen, um solche Informationen entgegenzunehmen und den Informanten zu schützen113.

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ee) Gewiss unzulässig ist es hingegen, wenn der Aufsichtsrat am Vorstand vorbei versucht, mit Hilfe von Mitarbeitern ein eigenes Informationssystem aufzubauen oder sich auf laufende Zuträge aus dem Unternehmen einlässt. Das verstößt gegen das Recht des Vorstands, den Aufsichtsrat zu informieren, und gegen dessen Pflicht, die Autorität des Vorstands zu schützen114.

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11. Schlussbemerkung Manchmal wird vor allem von betriebswirtschaftlicher Seite in allgemeinen Publikationen der Eindruck erweckt, Aufsichtsräte würden ständig unzureichend informiert. Die Verfasser können das aus eigener Anschauung nicht bestätigen. Aber sie möchten mit Nachdruck betonen, dass schlechte Information durch den Vorstand auch durch einen gleichgültigen Aufsichtsrat veranlasst sein kann. Anders gewendet: Der Aufsichtsrat hat alle rechtlichen und faktischen Mittel zur Verfügung, um sich ausreichende und ordnungsgemäß aufbereitete Informationen zu beschaffen. Wenn der Aufsichtsrat dennoch von seinen Informationsmöglichkeiten keinen Gebrauch macht, so entlastet ihn der Hinweis auf Mängel der Vorstandsberichte in keiner Wei-

112 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 Rz. 480 ff.; Grothe, Unternehmensüberwachung, S. 273 ff. 113 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 Rz. 491 f. 114 Eingehend dazu Lutter, AG 2006, 517, 520 f. m.w.N.

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§ 6 Rz. 252 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

se115. Diesen Gefahren kann der Aufsichtsrat am Besten steuern, indem er gemeinsam mit dem Vorstand eine Berichtsordnung entwickelt und als den Vorstand bindende Geschäftsordnung erläßt116. Diese Berichtsordnung kann dann funktionsbezogen auf bestimmte Problemfelder eingehen wie Risiko und Risikomanagement, Compliance, Liquidität und Finanzierung, etc. Eingehend dazu Rz. 317 ff. 253

In diesem Zusammenhang muss auch die ARAG-Rechtsprechung des BGH Berücksichtigung finden117. Die in dieser Entscheidung betonte Pflicht des Aufsichtsrats, Regressansprüche gegen den Vorstand grundsätzlich geltend zu machen, übt zugleich Druck auf den Aufsichtsrat aus, von den ihm zur Verfügung stehenden Informationsrechten in effizienter Weise Gebrauch zu machen.

II. Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder 1. Überblick a) Grundsatz 254

§ 93 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 116 AktG verpflichtet den Aufsichtsrat und jedes einzelne seiner Mitglieder zur Wahrung von Geheimnissen und vertraulichen Angaben der Gesellschaft118. Das kann nicht überraschen; denn wer, wie der Aufsichtsrat, umfassend zu informieren ist, muss auch die Interessen der Gesellschaft an der Sicherung der für sie wichtigen Informationen vor den Ohren Dritter respektieren. Dabei liegt es auf der Hand, dass der Aufsichtsrat und alle seine Mitglieder, je mehr sie von ihren Informationsrechten Gebrauch machen und in die Interna der Gesellschaft eindringen, desto mehr gehalten sein müssen, die derart erlangten Kenntnisse mit Sorgfalt zu behandeln und zu bewahren: Wer über Dritte viel wissen will und wissen muss, muss auch schweigen können. Das gilt für Ärzte ebenso wie für Priester, für Anwälte ebenso wie für Notare, und ebenso für Aufsichtsräte, die nicht eigennützig (im Eigeninteresse), sondern fremdnützig (in Ausübung eines privaten Amtes für einen Dritten, die Gesellschaft) tätig sind. Das alles wird ausdrücklich durch § 116 AktG bestätigt, wo es in Satz 2 heißt: „Die Aufsichtsratsmitglieder sind insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet.“ 115 Der Kodex formuliert daher auch in Ziff. 3.4 Abs. 1 a. F. bzw. Grundsatz 15 n. F. zutr. die Mitverantwortung des Aufsichtsrats für seine eigene Information; von einer „Holschuld“ sprechen deshalb etwa Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 246; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 1 und Lieder, ZGR 2018, 523, 559. 116 Davon wird in den großen und größeren Gesellschaften zunehmend Gebrauch gemacht. 117 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck); dazu Lutter, ZIP 1995, 441 f. und Lutter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 747; Goette in Liber amicorum Winter, 2011, S. 153. 118 Dazu Säcker, NJW 1986, 803 ff. und Gaul, GmbHR 1986, 296 ff. sowie ausführlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 384 ff. mit allen Nachw.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 256 § 6

b) Verschwiegenheitspflicht und Mitbestimmung Die Fragen und Einzelheiten zum Umfang und zu den Grenzen der Verschwiegenheitspflicht haben die Literatur seit dem Mitbestimmungs-Gesetz von 1976 ganz ungewöhnlich stark beschäftigt119. Das hängt mit sehr verschiedenen Aspekten aus dem praktischen Leben von Mitbestimmung zusammen. So etwa werden die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat der großen Gesellschaften in einer oft lebhaft geführten Kampagne von der Belegschaft gewählt120, während die Wahl der AnteilseignerVertreter in der Hauptversammlung demgegenüber eine sublime Form der Kooptation oder der Wahl in einem von wenigen Personen beherrschten System (Oligarchie) ist121 – mag sich dieses System auch derzeit ändern122. Hier liegt es für die Arbeitnehmer-Vertreter nahe, im „Wahlkampf“ die eigenen „Erfolge“ während der letzten Wahlperiode auszuloben bzw. während einer Wahlperiode zur Festigung der eigenen Position bekannt zumachen. Und das setzt unabdingbar die Weitergabe von Informationen voraus und naturgemäß solcher, die bislang so nicht bekannt waren: je stärker vertraulich und geheim, desto besser aus der Sicht der Zuhörer. Nicht minder besteht ein solches Interesse, wenn im Aufsichtsrat mögliche Beschäftigungsprobleme erörtert werden; es ist eine seit alters her erfolgreiche Strategie, die Pläne des Gegners zu stören oder zu zerstören, indem man eben diese Pläne öffentlich bekannt macht. Kurz: Der Druck verständlicher Wünsche und Interessen der Arbeitnehmer geht vielfältig auf Offenlegung von Sachverhalten, deren vertrauliche Behandlung das Unternehmen selbst aus vielfältigen Gründen wünscht123.

255

Von Seiten der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften wird dabei allerdings leicht übersehen, dass bei solcher Strategie der Vorstand im Interesse der Gesellschaft versuchen wird, Informationen nicht oder erst im spätesten Moment zu geben. Dadurch leidet zwar die Arbeit im Aufsichtsrat; aber gegen den Informationsträger Vorstand ist schwer zu handeln, wenn er glaubt, im Interesse der Gesellschaft „mauern“ zu müssen: Man kann eben den Kuchen nicht gleichzeitig essen und behalten124. Wollen die Mitglieder des Aufsichtsrats also sachverständig und kompetent im Aufsichtsrat

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119 Vgl. nur die Nachweise bei Säcker, NJW 1986, 803 ff. und Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 384 ff. sowie die Rechtsprechungsübersicht bei Theisen, AG 1987, 137, 147 ff.; Theisen, AG 1998, 153, 162 ff. 120 Vgl. nur die ungemein komplexen Regeln zur mittelbaren oder unmittelbaren Wahl der Arbeitnehmervertreter nach dem MitbestG bei Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, Vorb. vor § 9 MitbestG. 121 So schon Lutter, Aktionär, S. 20; näher dazu der Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 32 sowie Witte, ZfB 51 (1981), 733, 744 ff. und Flume, Juristische Person, S. 56. Das gilt insbesondere für Publikumsgesellschaften ohne Großaktionär, in denen nach Vogel, Aktienrecht und Aktienwirklichkeit, S. 200 ff. nur in 10 % der Fälle keine Kooptation stattfindet. 122 Den Verf. ist bekannt, dass große Gesellschaften heute sog. head-hunter beauftragen, geeignete Kandidaten für vakante Aufsichtsratspositionen vorzuschlagen. 123 Solche Situationen lagen den Verfahren AG München v. 2.5.1985 – HRB 2212, ZIP 1985, 1139 = AG 1986, 170 und LG Stuttgart v. 8.5.1985 – 26 O 192/85, (nicht veröffentlicht) zugrunde; vgl. Theisen, AG 1987, 137, 143; Grunewald, Gesellschaftsrecht, § 10 Rz. 92 f. 124 Man kann wohl annehmen, dass im Streitfall zwischen den Arbeitnehmervertretern und dem Vorstand der Adam Opel AG in BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54 =

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§ 6 Rz. 256 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

mitarbeiten und wirklich mitentscheiden, so sollten sie auch aus Gründen des eigenen Nutzens und der eigenen Interessen der hiesigen Rechtsauffassung folgen: Sie sollten volle Information gegen zuverlässige Vertraulichkeit in Anspruch nehmen und auf spektakuläre Einzelerfolge verzichten. Das hier Gesagte gilt schließlich auch im Verhältnis zu den Organen der Betriebsverfassung125. Es mag zwar durchaus zutreffen, dass die Informations-Durchlässigkeit vom Aufsichtsrat zum Betriebsrat (Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat) zu „Synergieeffekten“ bei der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen führt126. Aber weder ist es der Zweck der Regeln über die unternehmerische Mitbestimmung, noch ist es eine der Aufgaben des Aufsichtsrats oder gar seiner Pflichten im Unternehmen, Synergieeffekte beim Betriebsrat zu begünstigen: Es geht beim Aufsichtsrat um die Mitwirkung bei der Führung eines Wirtschaftsunternehmens, das in vielfache Interessen eingebunden ist. Diese Führungsaufgabe aber ist nicht zu verwechseln mit der Wahrnehmung und Durchsetzung von Partikularinteressen. Dies wird auch durch § 116 Satz 2 AktG bestätigt. c) Verschwiegenheitspflicht und Meinungsfreiheit 257

Die Meinungsfreiheit des Bürgers hat Verfassungsrang (Art. 5 GG), die Schweigepflicht hingegen beruht auf dem einfachen (Aktien-)Gesetz und dem (einfachrechtlichen) Treuegebot des Organmitglieds gegenüber dem Unternehmen, als dessen Aufsichtsrat man tätig ist. Daher liegt der von Säcker entwickelte Gedanke nahe, dieses einfachgesetzliche Schweigegebot stets an der höherrangigen Meinungsfreiheit zu messen und verfassungsgemäß einschränkend zu interpretieren127. Dennoch trifft diese Rechtsbetrachtung nicht zu128. Selbstverständlich darf jeder Bürger seine Meinung an welchem Ort auch immer sagen und dafür im Grundsatz auch alle ihm verfügbaren Informationen verwenden. Aber genau hier liegt das Problem: Natürlich sind Meinungen umso interessanter, je reicher die Informationen sind, die in sie ein-

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AG 1989, 89, genau das die Alternative des Vorstands war, der den ganzen und besonders sensiblen Datenbereich aus der Gesellschaft ausgegliedert hatte. A.A. Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 574 ff.; wie hier Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 58; Jaeger in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 9.313; Raiser/Jacobs in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 15 MitbestG Rz. 99; Edenfeld/Neufang, AG 1999, 47, 52 unter Hinweis auf das bewusste Weglassen einer dem § 79 Abs. 1 Satz 4 BetrVG vergleichbaren Regelung durch den Gesetzgeber. So Osterloh, AuR 1986, 332, 339. Säcker, Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder, S. 60; Säcker, NJW 1986, 803, 804; neuerdings auch Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 552. Ebenso ausdrücklich Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 5; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III, 1c, S. 824 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 43, die allerdings in Extremfällen eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht als Folge einer grundrechtlich geschützten Gewissensentscheidung zulassen will. Dem ist ebenfalls nicht zu folgen; denn hierin liegt zum einen ein Einfallstor für Umgehungsmöglichkeiten der soeben genannten Grundsätze. Zum anderen unterliegt auch die Gewissensausübungsfreiheit des Art. 4 Abs. 2 GG verfassungsimmanenten und verhältnismäßigen Schranken. Eine einfachgesetzliche Ausprägung dieser Schranken bilden auch §§ 93, 116 AktG.

Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 259 § 6

fließen und mit ihnen transportiert werden. Daher ist der Journalist so wichtig. Aufsichtsräte aber sind keine Journalisten, sondern Organwalter; ihnen müssen von Rechts wegen alle Informationen gegeben werden. Es wäre nun aber merkwürdig genug, wenn das Unternehmen – zum Zwecke seiner Verwaltung und Leitung – seinen Amtswaltern alle Informationen geben muss, diese dann aber damit ihre private Meinung „füttern“ dürfen: Wer – freiwillig – sein Amt übernimmt, kann sich gegenüber dem dann selbstverständlichen Gebot der Amtsverschwiegenheit nicht auf die subjektiv-eigene Meinungsfreiheit berufen. Im Übrigen entspricht genau das dem Gesetz; und es wäre merkwürdig genug, wenn es anders wäre. Man kann dafür auf §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2 AktG verweisen und auf die schon lange vorher anerkannte Treupflicht jedes Aufsichtsratsmitglieds der Gesellschaft gegenüber. Man kann stattdessen höher ansetzen und auf die im Sinne des Grundgesetzes (Art. 5 Abs. 1 GG) garantierte Meinungsfreiheit i.S. von Äußerungsfreiheit abheben, muss dann aber sofort auch auf Abs. 2 und die Schranken dieser Freiheit in den allgemeinen Gesetzen eingehen. Fraglos ist § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG in dieser Sicht dann ein solches „allgemeines Gesetz“129. Dieses muss dann sub specie der Verfassung ausgelegt werden (Wechselwirkung oder „Schaukeltheorie“). Dabei aber ist wiederum das Interesse der Gesellschaft und die Eigenschaft des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds als Organwalter von zentraler Bedeutung. Es kann auch im Lichte einer Interpretation von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht übersehen werden, dass sich das einzelne Aufsichtsratsmitglied seinerseits freiwillig in den Interessenbereich der Gesellschaft begibt, die ihn ihrerseits nicht ablehnen kann. Demgegenüber können auch noch so schöne Worte wie „Bürgerfreiheit“130 nicht verfangen. Es muss daher einerseits bei der Regel strikter Verschwiegenheitspflicht bleiben und den seltenen Ausnahmen im Interesse der Gesellschaft131 andererseits, während es gewisslich nicht um die Interessen des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds an Beliebtheit, Wiederwahl oder gar Gegenstrategie gegen die Gesellschaft geht.

258

2. Geheimnis Unter einem Geheimnis i.S. von § 93 Abs. 1 AktG ist jede relativ unbekannte Tatsache zu verstehen, deren Weitergabe zu einem Schaden der Gesellschaft führen würde132. 129 Das hat auch Lutter nie bestritten, wie Säcker, NJW 1986, 803, 804 fälschlich meint; vgl. Lutter, BB 1980, 292 (insbesondere bei Fn. 15) und Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 628. Nicht minder unzutreffend ist die Behauptung, der BGH (BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325) sei auf Art. 5 Abs. 2 GG eingegangen (so aber Säcker, Informationsrechte der Betriebs- und Aufsichtsratsmitglieder, S. 6). Wie hier MarschBarner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 6; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 43. 130 Säcker, NJW 1986, 803 ff. 131 Seit BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 327 unstreitig; vgl. auch Lutter, BB 1980, 291, 292. 132 Zum Verhältnis zwischen Geheimnisbegriff und Insiderinformation s. Rz. 290 ff.

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§ 6 Rz. 259 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

Das Tatbestandsmerkmal Tatsache ist weit zu verstehen; Tatsache umfasst alle objektiven Daten ebenso wie eine – geäußerte! – Absicht oder Meinung: Der Hinweis eines Aufsichtsratsmitglieds, es werde die Abberufung des Vorstandsmitglieds X beantragen, ist eine solche Tatsache. Die fragliche Tatsache muss relativ unbekannt, keineswegs also völlig unbekannt sein. Es genügt, dass sie bislang nur einem beschränkten Personenkreis bekannt ist133 und dass ein Dritter nicht problemlos Zugang zu den Tatsachen hat134: Ein veröffentlichtes Patent ist kein Geheimnis mehr; die dem Großhandel angekündigte Neueinführung eines bestimmten Produkts beseitigt die Unbekanntheit seiner Neueinführung, nicht aber seiner Zusammensetzung. Eine relativ unbekannte Tatsache liegt sonach vor, wenn ein nicht geringer Aufwand an Zeit (z.B. Produktanalyse) oder Mitteln (Feststellung von Marktanteilen) erforderlich ist, um endgültige Kenntnis von der fraglichen Tatsache zu erlangen135. 260

Die Offenlegung des Geheimnisses muss den Eintritt eines Schadens für die Gesellschaft erwarten lassen. Dieser Schaden kann ein materieller Vermögensschaden der Gesellschaft im Sinne von §§ 249, 252 BGB sein, ist aber keineswegs darauf beschränkt: Jeder immaterielle Schaden, insbesondere jede Minderung des Ansehens der Gesellschaft und jeder Vertrauensverlust in sie, ist in diesem Sinne ein Schaden der Gesellschaft136. Der Eintritt eines solchen Schadens bei Weitergabe der relativ unbekannten Tatsache muss auch nicht etwa gesichert sein, es genügt, wenn er nur möglich ist: Es ist also keineswegs so, dass nur derjenige das Gebot des Geheimnisschutzes verletzt, durch dessen Handlung ein konkreter Schaden entsteht. Es genügt das Risiko eines Schadenseintritts; denn die Gesellschaft soll vor eben solchen Risiken geschützt werden.

261

Das Geheimnis im Sinne der Norm ist mithin objektiv zu verstehen, nicht etwa subjektiv danach, was der Vorstand für geheim hält oder für geheim erklärt137. Dennoch sollte die Erklärung eines verantwortlichen Vorstands über den Geheimnischarakter einer bestimmten Tatsache nicht gering geachtet werden. Der Vorstand kann die Interessen der Gesellschaft und die Gefahr eines Schadens am ehesten ermessen.

133 Spindler, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 117; G. Hueck, RdA 1975, 35, 38; Hengeler in FS Schilling, 1973, S. 175, 176 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 93 Rz. 23; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 130; ausführlich v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 12 ff. 134 v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 7 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 414. 135 v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 9 ff. 136 Spindler, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 117; G. Hueck, RdA 1975, 35, 38; Hengeler in FS Schilling, 1973, S. 175, 180; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 132; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 43; Wessing/Hölters, DB 1976, 1671, 1674. 137 Ganz h.M., vgl. nur BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 328 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 III, 1c, 824 f.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 264 § 6

Ein besonderer Geheimhaltungswille des Vorstands als des Vertreters der Gesellschaft ist nicht erforderlich. Dieser aber kann ausdrücklich oder stillschweigend auf den Geheimnischarakter für die Gesellschaft verzichten138. Der Vorstand beseitigt den Geheimnisstatus, wenn er eine bestimmte, bislang relativ unbekannte Tatsache bekannt macht (z.B. Veräußerung eines Unternehmensteils, Stilllegung einer Produktionsstätte). Er kann aber auch Dritte und also auch Aufsichtsratsmitglieder ermächtigen, von der fraglichen Information Gebrauch zu machen (Verzicht auf den Geheimnischarakter). Und schließlich kann er stillschweigend verzichten: Hier ist die Übung in der konkreten Gesellschaft maßgebend. Werden dort die Unterlagen über die aktuelle Liquidität und die Ertragslage der Gesellschaft jedem Interessierten jederzeit überlassen, so hat der Vorstand insoweit auf den Geheimnischarakter für die Gesellschaft verzichtet; will er seine Politik insoweit künftig ändern, so muss er das deutlich machen.

262

Die Möglichkeit des Vorstands, auf den Geheimnisstatus zu verzichten, bedeutet nicht, dass er selbst über den Umfang seiner Pflichten entscheidet; denn die Möglichkeit, auf den Geheimnischarakter einer Tatsache durch Veröffentlichung zu verzichten, ist nicht losgelöst von der Pflichtenbindung des § 93 AktG. So würde es einen Verstoß gegen § 93 AktG bedeuten, wenn der Vorstand den Geheimnisstatus fallenließe, obschon dies zum Schaden der Gesellschaft wäre. Beim Verzicht des Vorstands auf den Geheimnischarakter einer Tatsache handelt es sich ansonsten um eine unternehmerische Entscheidung, ihm steht dabei somit ein breites Ermessen zu139.

263

3. Vertrauliche Angaben Das sind bekannte Tatsachen, deren Nicht-Erörterung („schlafen lassen“) im Interesse der Gesellschaft liegt. Vertrauliche Angaben werden also durch das objektive Interesse der Gesellschaft an dieser Handhabung bestimmt140. Und dieses objektive Interesse bestimmt sich nach den gleichen Kriterien, wie sie zum Geheimnis erörtert wurden. Auch hier kann dieses objektive Interesse also nicht etwa durch Beschluss des Vorstands oder des Aufsichtsrats geschaffen oder erweitert werden. Das Interesse der Gesellschaft besteht oder es besteht nicht. Daher muss es auch nicht besonders gekennzeichnet sein141. Wohl aber kann der Vorstand ausdrücklich oder konkludent auf die Vertraulichkeit für die Gesellschaft verzichten und damit auch die entsprechende Pflicht für die Aufsichtsratsmitglieder beseitigen. Wie er umgekehrt auch auf 138 Ebenso Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 14; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 48; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 36. 139 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = AG 1997, 377 (ARAG). 140 H.M., vgl. etwa BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329; Spindler, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 Rz. 120; G. Hueck, RdA 1975, 35, 38; Mertens, AG 1975, 235; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 134; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 57 ff., 60, 64 f.; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 49 ff.; Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 13. 141 Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 93 Rz. 24.

131

264

§ 6 Rz. 264 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

die – seiner Meinung nach – Vertraulichkeit hinweisen kann, für die dann eine Vermutung spricht. Im Übrigen gelten die gleichen Regeln wie zum Geheimnis (Rz. 259 ff.)142. 4. Einzelheiten 265

Das Organ Aufsichtsrat ist nie eine Einzelperson, immer ein Gremium aus mehreren Personen. In den hier behandelten Fällen ist es stets zusammengesetzt aus Angehörigen verschiedener Gruppen (Aktionärsvertreter, Angehörige des Managements, Arbeitnehmervertreter, Gewerkschaftsfunktionäre). Dennoch ist der Aufsichtsrat und sind alle seine Mitglieder einheitlich und ohne Unterschied auf das Wohl und die Interessen des betreffenden Unternehmens verpflichtet143. Das verlangt eine offene, stetige, von Vertrauen, Überschaubarkeit und Verlässlichkeit getragene Zusammenarbeit. Daher unterliegen auch alle Aufsichtsratsmitglieder inkl. der ArbeitnehmerVertreter den gleichen strengen Vertraulichkeitsgeboten, § 116 Satz 2 AktG144. Magna Charta der Arbeit im Aufsichtsrat ist daher die vertrauensvolle Zusammenarbeit seiner Mitglieder145. Als Rechtsprinzip hat diese Aussage Rechtsfolgen: a) Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis

266

Der Aufsichtsrat soll durch Diskussion und Argumentation zu seiner Entscheidung kommen, nicht durch das simple Abzählen längst festgelegter Stimmen. Das setzt eine offene Argumentation voraus und die Bereitschaft, sich durch andere überzeugen und in seiner Meinung umstimmen zu lassen, setzt die Bereitschaft zum Irrtum voraus und zu lebendiger, ungeschützter Diskussion. All das ist ausgeschlossen, wenn Inhalt und Verlauf der Beratung und ggf. sogar Zitate nach Abschluss der Sitzung publik gemacht werden. Es ist daher unbestritten, dass das Beratungsgeheimnis im Interesse der Gesellschaft und ihrer Funktionsfähigkeit strikt zu wahren ist146.

142 H.M., vgl. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329 sowie Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 451 f. m.w.N. 143 H.M., vgl. BVerfG v. 7.11.1972 – 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, 103, 112; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331; ausführlich dazu Koch, Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaßstab der Aufsichtsratsmitglieder im mitbestimmten Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, S. 7 ff.; kritisch Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, S. 87 ff., je m.w.N. 144 Vgl. Keilich/Brummer, BB 2012, 897. 145 Zutreffend Säcker, NJW 1986, 803, 806; vgl. außerdem Rittner in FS Hefermehl, 1976, S. 365 ff. 146 Vgl. nur BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 332 sowie Säcker, NJW 1986, 803, 806; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 35; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 57; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 106; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 135; Jäger in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 9.307; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 274. Diese Interna können daher auch nicht in der Hauptversammlung erfragt werden; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, AG 2014, 87 = ZIP 2013, 2454 mit Anm. Kersting.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 268 § 6

Dem entspricht auch Satz 2 von § 116 AktG, wenn er von der Verschwiegenheitspflicht über „vertrauliche Beratungen“ spricht. Von diesem Beratungsgeheimnis zu trennen ist die Vertraulichkeit der Stimmabgabe. Hier ist – nahezu – unumstritten, dass weder das Abstimmungsergebnis noch die Art der Abstimmung seitens eines anderen Mitglieds (ja – nein – Enthaltung) mitgeteilt werden darf147. Umstritten ist im Grunde nur, ob man die eigene Stimmabgabe („ich habe gewiss nicht für A gestimmt“) mitteilen darf. Das ist sicher unzulässig, wenn dadurch zugleich die Abstimmung der anderen offengelegt wird (Beispiel: „ich habe als einziger gegen A gestimmt“; „alle Arbeitnehmer haben gegen A gestimmt“, der dennoch gewählt wurde: Damit wird bekannt, dass alle anderen für A gestimmt haben). Aus diesem Grunde ist es ebenfalls nicht zulässig mitzuteilen, der Aufsichtsratsvorsitzende habe von seinem Zweitstimmrecht Gebrauch gemacht; denn das Abstimmungsergebnis signalisiert dann dessen Stimmabgabe148. In den wenigen dann überhaupt noch verbleibenden Fällen sollte die eigene Stimmabgabe ebenfalls vertraulich behandelt werden149; denn ihre Offenbarung fördert den Druck von außen auf das betreffende Mitglied und, nicht minder, auf die anderen Mitglieder. Und schließlich wäre es Außenstehenden überhaupt nicht zu verdeutlichen, weshalb man in der Regel still sein muss, aber ganz ausnahmsweise einmal – dann nämlich, wenn andere Mitglieder nicht betroffen sein können – reden darf. Insofern kann es nur in extremen Konfliktsituationen geboten sein, von der Regel eiserner Verschwiegenheit abzurücken150, so z.B. um Unruhen zu vermeiden oder Gerüchten entgegenzutreten, die von erheblichem Schaden für die Gesellschaft sein können151. Voraussetzung hierfür ist weiter, dass eine Abstimmung und Koordination im Aufsichtsrat nicht mehr rechtzeitig erfolgen kann152.

267

b) „Wahlkampf“ – Rückkoppelung zwischen Wählern und Gewählten Aktionärsvertreter brauchen das Vertrauen ihrer Gruppe, Arbeitnehmervertreter müssen regelmäßig von einer großen Zahl von Mitarbeitern wiedergewählt werden. Die Positionen im Aufsichtsrat sind begehrt. Vertrauen aber setzt vertrauensbildende Maßnahmen voraus, also Gespräche und Diskussionen. Daher steht nichts ent147 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 332 sowie Säcker, NJW 1986, 803, 807 m.w.N.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 57; Begr. RegE, BTDrucks. 14/8769, S. 18. 148 Ebenso Säcker, NJW 1986, 803, 807 und Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 35; a.A. Köstler/Schmidt, BB 1981, 88, 90 unter unzutreffendem Hinweis auf BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 332. 149 Ebenso Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 54; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 25; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 25 Rz. 50; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 63; a.A. noch bei Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 15 Rz. 106 (in 5. Aufl. nicht mehr enthalten); offenlassend Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 135. 150 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 276. 151 Weitere Beispiele bei Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 903 ff. 152 Arg. § 681 Satz 1 BGB; ähnlich Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 276.

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268

§ 6 Rz. 268 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

gegen, wenn Aufsichtsräte sich mit ihrer Wahlgruppe bzw. deren Repräsentanten rückkoppeln, ihre eigene Meinung über die Unternehmenspolitik formulieren und Anregungen entgegennehmen („ich halte den Export von Arbeitsplätzen für verfehlt“; „eine weitere Verschuldung des Unternehmens ist ausgeschlossen“; „man wird über die Verjüngung des Vorstands nachdenken müssen“ etc.). Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Allein entscheidend ist der Transport von vertraulichen Informationen aus dem Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang („ich war immer gegen den Export von Arbeitsplätzen; jetzt wünscht der Vorstand die Zustimmung zur Gründung einer Tochtergesellschaft in Korea; ich werde mich energisch dagegen wenden“): Das ist und bleibt verboten153. Die Information des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder hat gerade nicht den Sinn, Aktionärs- und Arbeitnehmer-Gegenstrategien auf anderen Ebenen zu fördern und auszulösen154. 5. Einzelne typische Geheimnisse und vertrauliche Angaben a) Verbot der Weitergabe von so genannten Kenndaten 269

Jedes nach modernen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gut geführte Unternehmen verfügt über eine ganze Reihe von Kenndaten zur Kontrolle der eigenen Leistung und Stärke bzw. Schwäche. Diese reichen vom Umsatz pro Mitarbeiter oder Verkaufsfläche über die Relation zwischen Umsatz und Ertrag und dem Return on Investment bis zur Kostenstruktur, von den Gemeinkosten, den sog. overheads, bis zu den Marktanteilen. Insgesamt und in ihren Teilen bestimmen sie den Charakter der einzelnen Wirtschaftseinheit, die Stellung des Unternehmens am Markt und im Wettbewerb. Diese Daten gehören zu den wichtigsten Geheimnissen des Unternehmens: Ihre Weitergabe an Dritte aus dem Aufsichtsrat ist eine besonders grobe Verletzung der Schweigepflicht, da sie dem Wettbewerber die Grundlage für Gegenstrategien eröffnet. Wie sehr diese Daten als Geheimnis seitens der Unternehmensleitung angesehen werden, wird schon dadurch deutlich, dass sie einem potentiellen Käufer oder Fusionspartner erst nach Abschluss eines besonderen Geheimhaltungsvertrages und Unterzeichnung eines Letter of Intent übergeben werden.

270

Allerdings ist die Geheimhaltungsdauer solcher Kennzahlen zumeist sehr kurz155; zum einen lassen sich diese Daten von fachkundigen Lesern aus freiwilligen Veröffentlichungen erschließen; zum anderen kann das Unternehmen verpflichtet sein, die Daten dem Anlegerpublikum offenzulegen (Art. 17 Abs. 1 MMVO). Zuständig für die Veröffentlichungen ist indes nur der Vorstand, gewiss nicht der Aufsichtsrat oder seine Mitglieder156.

153 So auch Edenfeld/Neufang, AG 1999, 47, 52; Keilich/Brummer, BB 2012, 897. 154 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 593 ff.; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 269 ff. 155 Vgl. Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 903. 156 Vgl. Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rz. 137; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 Rz. 295 ff.; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 98, 100.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 276 § 6

b) Technik und Wissenschaft Aus diesem Bereich sind typische Geheimnisse die Forschungsvorhaben, die Forschungsrichtungen und die Forschungsergebnisse sowie Patente, die technischen Entwicklungen und Fertigungsverfahren, Produktentwicklungen und Produktionsvorhaben157.

271

c) Kaufmännischer Bereich Im kaufmännischen Bereich sind typische Geheimnisse das geplante Marketing und die Absatzstrategie, die Kundenlisten und die Verträge mit besonderen Kunden einschließlich der schwebenden Verhandlungen, die Werbestrategie und die Werbepläne.

272

d) Finanzieller Bereich Aus dem finanziellen Bereich sind außer den oben (Rz. 269) genannten Daten noch typische Geheimnisse: der cash flow, die Ertragslage einzelner Unternehmensbereiche und einzelner Tochtergesellschaften, die Kreditverträge mit Lieferanten, Kunden und Banken, der Gewinn pro Aktie.

273

e) Planungsbereich Im Planungsbereich sind außer den bereits genannten Aspekten die Investitionsplanung, die Produktplanung und die allgemeine Unternehmensplanung typische Geheimnisse, wie man überhaupt gerade diese Vorhaben besonders vertraulich behandeln muss, da hier die Gegenstrategie des Wettbewerbers sonst besonders erfolgreich verlaufen kann.

274

f) Unterlagen Der Aufsichtsrat erhält vom Vorstand den Entwurf des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie des Konzernabschlusses und des Konzernlageberichts sowie vom Abschlussprüfer dessen Prüfungsbericht zum Jahresabschluss und Konzernabschluss. Jedenfalls die beiden Prüfungsberichte des Abschlussprüfers unterliegen ganz und gar der strengsten Vertraulichkeit, die Entwürfe von Jahresabschluss und Konzernabschluss inkl. der Lageberichte jedenfalls so lange, als sie nicht festgestellt sind.

275

6. Ausmaß der Schweigepflicht a) Persönlicher Umfang der Schweigepflicht Geheimnisse und vertrauliche Angaben sind gegenüber jedermann zu wahren, auch gegenüber dem Betriebsrat und sonstigen Betriebsangehörigen, auch gegenüber Ban-

157 Ebenso Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 903; Raiser in Raiser/ Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 130.

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276

§ 6 Rz. 276 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

ken und selbstverständlich auch gegenüber Aktionären158; ihre freiwillige oder gesetzlich vorgeschriebene Information (etwa Art. 17 Abs. 1 MMVO) ist ausschließlich Sache des Vorstands, niemals dagegen die des Aufsichtsrats oder einzelner seiner Mitglieder. Die Pflicht zur Vertraulichkeit besteht ebenso selbstverständlich nicht gegenüber anderen Aufsichtsratsmitgliedern, wohl aber gegenüber Ersatzmitgliedern im Aufsichtsrat, die vor ihrem Einrücken in den Aufsichtsrat eben keine Aufsichtsratsmitglieder sind159. Allerdings kann der Aufsichtsrat aufgrund seiner Organisationshoheit Informationen auf einen bestimmten Ausschuss beschränken160. Großaktionäre verstehen die von ihnen ausgesuchten und gewählten Aufsichtsratsmitglieder häufig als ihre „Vertreter“ im Aufsichtsrat. Davon kann keine Rede sein. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist ganz und gar unabhängig und jedermann gegenüber zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet161. Andererseits sind Gespräche über das Unternehmen bei voller Wahrung der Vertraulichkeit zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und dem Großaktionär erlaubt. b) Schweigepflicht und Aufsichtsrat in von der öffentlichen Hand beherrschten Unternehmen 277

Zu Sonderfragen bei Aufsichtsräten der öffentlichen Hand vgl. Rz. 1421 ff.

278 –280 Einstweilen frei.

c) Schweigepflicht im Konzern 281

Im Zusammenhang mit den Informationsrechten des Aufsichtsrats und den Informationspflichten des Vorstands wurde bereits dargetan, dass „die Gesellschaft“ im Sinne von § 90 AktG in einem erweiterten Sinne als „die Gesellschaft und die mit ihr konzernverbundenen Unternehmen“ zu verstehen ist (vgl. Rz. 141–143). Der Aufsichtsrat ist also vom Vorstand auch über die Interna dieser Gesellschaften, mithin ggf. auch über deren Geheimnisse und vertrauliche Angelegenheiten zu informieren. Dann muss dieser erweiterten Informationslage eine entsprechende Verschwiegen158 So die ganz h.M., vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 465 ff. m.w.N.; unzutreffend demgegenüber die Auffassung einiger Autoren von einer nur begrenzten Verschwiegenheitspflicht (jedenfalls der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat) gegenüber Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaft; etwa Naendrup, GK-MitbestG, § 25 Rz. 194 und 205; Unterhinninghofen, GewS-Komm. MitbestG, § 25 Anm. 48 sowie Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 571 ff.; hiergegen auch Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 270 ff.; ebenso Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 29 ff.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 93 Rz. 26; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 136; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 63. 159 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 465. 160 Vgl. Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 34. 161 Zum gleichen Problem in der Schweiz vgl. Forstmoser/Küchler in FS Rolf H. Weber, 2011, S. 34 ff., 60, 62.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 283 § 6

heitspflicht korrespondieren162. Das entspricht auch § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, da das Verschwiegenheitsgebot bezüglich der Tochter-Geheimnisse den eigenen Interessen und Notwendigkeiten der Obergesellschaft selbst entspricht; denn würde eine Konzerngesellschaft auf diese Weise geschädigt, so wäre das auch ein Schaden der Obergesellschaft. Aufsichtsratsmitglieder der Obergesellschaft haben über Geheimnisse der Konzerngesellschaft und deren vertrauliche Angelegenheiten daher in gleichem Umfange und nach den gleichen Regeln Stillschweigen zu üben, wie wenn es sich um Angelegenheiten unmittelbar der Obergesellschaft selbst handeln würde. Diese Regeln gelten aber auch für die Aufsichtsräte der Untergesellschaft oder die Aufsichtsräte in gleichgeordneten Unternehmen eines Gleichordnungskonzerns, soweit sie vertrauliche Informationen über die Obergesellschaft oder Schwestergesellschaft erhalten: Jeweils läge in der Verletzung fremder Geheimnisse zugleich die Gefahr des Schadens für die eigene Gesellschaft. Die Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats der Tochtergesellschaft ist indes insofern gelockert, als eine Informationsweitergabe von Geheimnissen und vertraulichen Angaben an den Vorstand der Obergesellschaft zulässig ist. Ähnlich wie bei §§ 394, 395 AktG wandert in diesen Fällen der Geheimnis- und Vertraulichkeitsschutz „nach oben“, geht die Verantwortung dafür auf die Organe der Obergesellschaft und deren Mitglieder über163.

282

d) Grenzen der Vertraulichkeitspflicht – Konflikte Die Wahrung der Vertraulichkeit kann einen Schaden der Gesellschaft verhindern, zugleich Grundlage eines anderen Schadens sein (z.B. Unruhe in der Belegschaft, Gefahr von spontanen Streiks etc.). Solche Konflikte sind der Rechtsordnung durchaus vertraut und können zur Einschränkung der einen Rechtspflicht führen. Kann also die Weitergabe der (vertraulichen) Information ausnahmsweise einen (anderen) ebenso wesentlichen Nachteil der Gesellschaft beseitigen oder ist die Weitergabe gar das „kleinere Übel“ zwischen zwei Nachteilen, so darf die betreffende Information weitergegeben werden164, allerdings selektiv und in dem geringsten Umfange, der notwendig ist. Darüber hinaus kann es auch für ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied, das z.B. persönlich und öffentlich angegriffen wird, unzumutbar werden, die Vertraulichkeit weiterhin zu wahren: Insoweit aber handelt es sich um äußerste Gren-

162 Vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 52; Potthoff/Trescher/ Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 921. 163 Ebenso Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 52; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 37; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 39 mit dem zusätzlichen Kriterium der strikten Erforderlichkeit der Informationsweitergabe; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 60; Dittmar, AG 2013, 498, 500 ff. 164 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, ZIP 2012, 1291, 1294 Tz. 40 = GmbHR 2012, 845; Habersack,MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 65; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 10; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 437 ff., 564 f.

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§ 6 Rz. 283 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

zen165; nicht jede kleine Unannehmlichkeit erlaubt schon die Preisgabe von Geheimnis und Vertraulichkeit. e) Die Kompetenz zur Weitergabe von Informationen 284

Selbst wenn keine geheimhaltungsbedürftige Information (mehr) vorliegt, darf der Aufsichtsrat darüber nicht beliebig nach außen, etwa in Gesprächen mit Aktionären und Investoren reden166, sondern muss sich innerhalb der Kompetenzordnung bewegen. Danach liegt die Zuständigkeit zur Kapitalmarktkommunikation und Informationspolitik als Geschäftsführungsbefugnis grundsätzlich beim Vorstand167. Nur in aufsichtsratsspezifischen Themen darf der Aufsichtsrat nach außen sprechen – so auch Grundsatz 7 und Empfehlung A.3 DCGK 2020. Methodisch lässt sich diese eingeschränkte Kapitalmarktkommunikationskompetenz des Aufsichtsrats über eine Annexkompetenz begründen168. Dabei folgt die Kompetenz zur Außenkommunikation den ausschließlichen und originären Sachkompetenzen des Aufsichtsrats169. Sie umfasst daher die Bestellung, Abberufung und Vergütung des Vorstands sowie die Geltendmachung von Schadensersatzklagen gegen den Vorstand170, die eigene Bin165 Nach Gaul, GmbHR 1986, 296, 299, besteht zusätzlich eine Unzumutbarkeitsregel zwischen Gesellschaftsinteresse und dem Eigeninteresse des Organmitglieds; ebenso Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rz. 150; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 62; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 139; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 276; Potthoff/Trescher/ Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 919; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 116 Rz. 70. 166 Zuhören darf der Aufsichtsrat Aktionären und Investoren dagegen immer, Gröntgen, S. 255; Smend, ZCG 2008, 53, 57; Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 135, 141; J. Koch, AG 2017, 129, 134; Rahlmeyer, Der Aufsichtsrat 2015, 144, 145; zur Kontaktaufnahme mit Geschäftspartnern der AG zur Informationsbeschaffung vgl. Rz. 191 und OLG Zweibrücken v. 28.5.1990 – 3 W 93/80, DB 1990, 1401. 167 J. Koch, AG 2017, 129, 131 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 34a und § 131 Rz. 8; J. Koch in 50 Jahre AktG, S. 65, 88; Gröntgen, S. 255 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 401 ff., 562; E. Vetter, AG 2014, 387, 389, 391; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 67; Kort, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 77 Rz. 3; Schaper, AG 2018, 356, 356; Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 135, 145; Janberg, AG 1965, 191, 193; Leyens, S. 385; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 44; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 363; Fleischer, ZGR 2009, 505, 508; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 577b. 168 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 733; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45 f.; Tietz/Hammann/Hoffmann, Der Aufsichtsrat 2019, 69; Schaper, AG 2018, 356, 357; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 67; M. Roth in FS Bergmann, S. 565, 566; Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 135, 145 f.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 40; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 523; ähnlich Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365 (communication follows competence); J. Koch, AG 2017, 129, 132 (fordert gleichzeitige teleologische Reduktion der §§ 77 Abs. 1, 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). 169 Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365 (communication follows competence). 170 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 67; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 523; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 45; Fleischer/Bauer/Wansleben, DB

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 284 § 6

nenorganisation des Aufsichtsrats171 und dessen Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Vorstand172 sowie die Wahl und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern173. Auch wenn die Überwachung auf die Geschäftsführung des Vorstands bezogen ist, können unter „aufsichtsratsspezifisch“ in Anlehnung an die aktienrechtliche Verteilung der Sachkompetenzen jedoch nicht solche Themen verstanden werden, die in die Sachkompetenz des Vorstands fallen. Das betrifft insbesondere die Geschäftsführung durch den Vorstand, insbesondere die Unternehmensstrategie und -entwicklung. Auch wenn die Investoren gerade daran interessiert sein dürften174, darf der Aufsichtsrat über diese Themen nicht selbständig nach außen sprechen175. Stattdessen hat er den Vorstand intern zu überwachen und zu beraten. Allenfalls in extremen Ausnahmesituationen darf der Aufsichtsrat selbständig nach außen sprechen, wenn eine interne Konsensfindung mit dem Vorstand scheitert: etwa, wenn die Informationspolitik des Vorstands zum offensichtlichen Nachteil der Gesellschaft gereicht, kann der Gesamtaufsichtsrat und, wenn dieser es ablehnt, das einzelne Aufsichtsratsmitglied selbst, ausnahmsweise und nur zur Abwendung von erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft tätig werden176. Gemeinsam und in Absprache mit dem Vorstand darf der Aufsichtsrat jedoch jederzeit nach außen auftreten. Der Vorstand kann den Aufsichtsrat zu sämtlichen Gesprächen hinzuziehen177.

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2015, 360, 364; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 107 Rz. 54a; Hirt/ Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 734; Initiative „Developing Shareholder Communication“, AG 2016, R 300, 301 Ls. 4; ähnlich Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 61; eingeschränkt Gröntgen, S. 285 ff.; kritisch zu Gesprächen über die Vorstandsbestellung und -abberufung J. Koch, AG 2017, 129, 134. Initiative „Developing Shareholder Communication“, AG 2016, R 300, 301 Ls. 3; Gröntgen, S. 279; zurückhaltend J. Koch, AG 2017, 129, 134 („Binnenbereich“). Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 107 Rz. 54a; Fleischer/Bauer/ Wansleben, DB 2015, 360, 364; Leyendecker-Langner, NZG 2015, 44, 46; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 523; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 107 Rz. 160; für das Wie der Überwachung Gröntgen, S. 278 ff. E. Vetter, AG 2016, 873, 873 (Zusammensetzung des Aufsichtsrats); ebenso J. Koch, AG 2017, 129, 134; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 523 (auch Vergütung); ausführlich dazu Gröntgen, S. 269 ff. Vgl. Tietz/Hammann/Hoffmann, Der Aufsichtsrat 2019, 69 ff., insbesondere Abb. 1. Ebenso J. Koch, AG 2017, 129, 134; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 67; E. Vetter, AG 2016, 873, 873; zu weitgehend daher Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 364, Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, Dietlmaier, Board 2015, 181, 183 und Initiative „Developing Shareholder Communication“, AG 2016, R 300, 301 Ls. 5 für die Bereiche Finanzverantwortung, Gewinnverwendung, Unternehmensentwicklung und -strategie sowie Nachhaltigkeit. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 50; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 276; zur Aufsichtsratskommunikation in der Unternehmenskrise Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521 ff. Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 365; Leyens, S. 385 f.; VGR, AG 2017, 1, 5; Schaper, AG 2018, 356, 357; Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1270; Gröntgen, S. 298.

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§ 6 Rz. 284a | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

f) Selbstbefreiung von der Verschwiegenheitspflicht 284a

Die Aufhebung der Vertraulichkeit stellt eine Interessenabwägung im Unternehmensinteresse, mithin eine Geschäftsführungsmaßnahme dar, für die grundsätzlich der Vorstand als „Herr der Geschäftsgeheimnisse“ zuständig ist und nicht der Aufsichtsrat178. Nur, wenn und soweit die Geschäftsführung ausnahmsweise dem Aufsichtsrat obliegt, kann dieser selbst die Vertraulichkeit aufheben. Das gilt gerade für solche Informationen, die im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats entstanden sind, namentlich für die Bestellung und Anstellung des Vorstands oder im Rahmen der Verteidigung der Gesellschaft gegen eine Schadensersatzklage ihres Geschäftsführers179. 7. Dauer der Verschwiegenheitspflicht

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Die Dauer der Verschwiegenheitspflicht richtet sich nach mehreren Faktoren. Sie erlischt auf jeden Fall, wenn die Tatsache vom Vorstand bekanntgemacht wurde oder von ihm deutlich gemacht wird, dass ein Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft nicht mehr gegeben ist. Sie endet nicht mit dem Ende des Amtes180; soweit dann §§ 93 Abs. 1, 116 AktG nicht mehr unmittelbar anwendbar sind, kommt die nachwirkende Treupflicht aus der früheren Mitgliedschaft im Organ Aufsichtsrat zum Tragen181. So sind zur Sicherung der Verschwiegenheitspflicht frühere Aufsichtsratsmitglieder berechtigt, gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO die Aussage zu verweigern, sofern sich die Vernehmung auf Tatsachen erstrecken würde, die ihnen anvertraut sind und deren Geheimhaltung geboten ist182. 8. Vorgaben und verantwortliche Entscheidung jedes Aufsichtsratsmitglieds

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a) Bestimmte Angaben sind per se vertraulich wie etwa die Beratung im Aufsichtsrat und die Abstimmung dort (Rz. 266 f.). Darüber hinaus spricht das Gesetz selbst in 178 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329; ebenso BGH v. 14.1.2014 – II ZB 5/ 12, AG 2014, 402 und BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 176/15; Reichard, GWR 2017, 72, 74; Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 Rz. 158; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 169; v. Stebut, Geheimnisschutz und Verschwiegenheitspflicht, S. 98, 100; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 51. 179 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110; BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = AG 2013, 387; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 65; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 226; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 102; Wilsing/von den Linden, ZHR 178 (2014), 419, 433 und 441 f.; Rittner in FS Hefermehl, 1976, S. 365, 375 f.; für ausnahmnsweise mögliche Einschränkung der Herrschaft des Vorstands über die Geschäftsgeheimnisse auch Reichard, GWR 2017, 72, 73. 180 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 32. 181 OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, WM 1987, 480 = AG 1987, 184; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 69; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 126; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 57 m.w.N. in Fn. 100. 182 OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, WM 1987, 480 = AG 1987, 184; vgl. auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 40.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 288 § 6

§ 116 Satz 2 AktG von „vertraulichen Berichten“ und deutet damit deren Kennzeichnung als vertraulich (im Zweifel durch den Vorstand) an. Die Begründung zum Regierungs-Entwurf des TransPuG sagt dazu: „Das Gesetz ändert nichts daran, dass die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Tatsache keiner subjektiven Einstufung unterliegt, sondern objektiv zu bewerten ist. Wenn allerdings die Quelle der Information (sei es der Vorstand oder der Aufsichtsrat selbst) diese ausdrücklich als vertraulich bezeichnet, so besteht jedenfalls eine Vermutung, dass ein objektives Geheimhaltungsinteresse besteht ...“ b) Im Übrigen muss die Frage, ob ein Geheimnis oder eine vertrauliche Angabe vorliegt oder nicht, noch immer vorliegt oder nur in der Vergangenheit vorgelegen hat, ob ausnahmsweise offenbart werden darf oder strikt geheimzuhalten ist, von jedem Aufsichtsratsmitglied für sich selbst und eigenverantwortlich beantwortet werden183. Sind andere Organe der Gesellschaft (insbesondere der Vorstand) oder gar die Aufsichtsratsmehrheit der Auffassung, dass die Vertraulichkeit geboten ist, so muss das betreffende Aufsichtsratsmitglied mit besonderer Sorgfalt und großem Bedacht abwägen und entscheiden184. Vor allem aber muss es sich stets vor Augen halten, dass weder der Aufsichtsrat noch erst recht das einzelne Aufsichtsratsmitglied für die Informationspolitik der betreffenden Gesellschaft zuständig ist. Ein betonter Bruch der Vertraulichkeit muss daher zuvor im Aufsichtsrat erörtert oder mindestens mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden besprochen werden, ehe das Mitglied an die Öffentlichkeit gehen darf185.

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9. Sanktionen Verletzt ein Aufsichtsratsmitglied die Geheimhaltungspflicht schuldhaft, so unterliegt es der Strafdrohung aus § 404 AktG. Durch das TransPuG wurde für börsennotierte Gesellschaften der Strafrahmen des § 404 AktG angehoben186. Im Übrigen kann beim Bruch von Geheimnis oder Vertraulichkeit durch den Vorstand namens der Gesellschaft gegen das betreffende Aufsichtsratsmitglied auf Unterlassung und 183 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325; h.M., vgl. etwa Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 101. 184 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 328 und Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 442 ff., Rz. 697 ff. 185 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 527 und dort S. 307 ff. die Vorschläge für eine vom Aufsichtsrat selbst zu beschließende Richtlinie zur Wahrung der Vertraulichkeit im Aufsichtsrat. 186 Dies war von der Regierungskommission „Corporate Governance“ gefordert worden: Mit der Anhebung der Freiheitsstrafe bei unbefugter Offenbarung von Gesellschaftsgeheimnissen (Abs. 1) von einem auf zwei Jahre, bei Handeln gegen Entgelt oder in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht von zwei auf drei Jahre, solle eine größere Abschreckungswirkung erzielt werden, da in den erfassten Fällen nur eine geringe Aufklärungswahrscheinlichkeit besteht. Eine Ausdehnung der Strafandrohung auf die unbefugte Offenlegung von vertraulichen Angaben wurde hingegen nicht nahegelegt, da es sich insofern um kein strafwürdiges Unrecht handele (Baums [Hrsg.], Bericht der Regierungskommission, Rz. 67).

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288

§ 6 Rz. 288 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

ggf. auch auf Ersatz des materiellen Schadens der Gesellschaft geklagt werden187. Außerdem kann der Aufsichtsrat selbst aufgrund eines Beschlusses mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (dem betroffenen Mitglied steht bei diesem Beschluss kein Stimmrecht zu) einen Antrag beim örtlich zuständigen Amtsgericht auf Abberufung dieses Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG stellen188 (vgl. Rz. 930). Eine solche Abberufung setzt einen wichtigen Grund voraus; dieser liegt an sich im Bruch der Vertraulichkeit. Dennoch ist nach der Schwere des Falles zu entscheiden189; denn Grund der Regelung ist die Unzumutbarkeit der weiteren Zusammenarbeit mit dem Mitglied im Aufsichtsrat (Pflicht zu vertrauensvoller Zusammenarbeit). Im Allgemeinen ist diese Unzumutbarkeit bei einem leichten ersten Fall noch nicht gegeben; hier muss Abmahnung durch den Vorstand bzw. den Aufsichtsratsvorsitzenden erfolgen190. Anderes gilt in groben Fällen des Vertrauensbruchs; hier kann bereits beim ersten Mal die Unzumutbarkeit künftiger Zusammenarbeit mit dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied vorliegen mit der Folge, dass es vom Amtsgericht abberufen werden muss191. Alle diese Regeln gelten für alle Aufsichtsratsmitglieder, also auch für die entsandten Mitglieder und Vertreter der Arbeitnehmer. 289

Schließlich ist die Abwahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch seine eigene Wahlkörperschaft selbst in den Grenzen der § 103 AktG, § 23 MitbestG möglich192. 10. Sonderprobleme der Verschwiegenheit im Anwendungsbereich der Marktmissbrauchsverordnung (MMVO)

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Die Sonderentwicklung für Emittenten, deren Finanzinstrumente zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen sind193, findet auch auf dem Feld der Verschwiegenheitspflicht ihre besondere Ausprägung. Diese geht in zwei Richtungen: Auf der einen Seite werden Organe des Emittenten hinsichtlich ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit noch strenger in die Pflicht genommen194; dies besorgen die insiderrechtlichen Strafbestimmungen des § 119 Abs. 3, 4 WpHG i.V.m. Art. 14 MMVO. Danach unterliegen Aufsichtsräte strengen Unter187 Näher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 574 ff.; Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 70; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 265. 188 Für die gerichtliche Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG i.V.m. §§ 375 Nr. 3, 376 FamFG, § 23a GVG ist das Amtsgericht zuständig. 189 Vgl. z.B. AG München v. 2.5.1985 – HRB 2212, AG 1986, 170 = ZIP 1985, 1139 und OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, WM 1990, 311 = AG 1990, 218. 190 Dazu Säcker, NJW 1986, 803, 810 f. 191 LG Frankfurt a.M. v. 14.10.1986 – 3/11 T 29/85, NJW 1987, 505, 506 = AG 1987, 160; OLG Stuttgart v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218. 192 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 581. 193 Art. 2 Abs. 1 MMVO; seit dem Inkrafttreten der MMVO am 3.7.2016 fallen damit erstmal auch Freiverkehrsemittenten unter die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO), zum Führen von Insiderlisten (Art. 18 MMVO) und in den Regelungsbereich der Meldepflicht von „Managers’ Transactions“ (Art. 19 MMVO). 194 Vgl. dazu eingehend Veil, ZHR 172 (2008), 239 ff.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 293 § 6

lassungspflichten, was den Umgang mit Insiderinformationen angeht (insbes. Handelsverbot, Verbot der Offenlegung von Insiderinformationen). Auf der anderen Seite fordert die kapitalmarktrechtliche Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO) von dem Emittenten selbst ein erhöhtes Maß an Transparenz, indem bestimmte kursrelevante und für den Anleger entscheidungsrelevante Tatsachen unverzüglich veröffentlicht werden müssen. Hier sind Kollisionen mit dem gesellschaftsrechtlichen Geheimnisschutz vorprogrammiert. a) Die Konzerndimension des Insiderrechts und der Ad-hoc-Publizität Die Auswirkungen des Insiderrechts sind nicht nur auf Aufsichtsräte von Gesellschaften mit Emittenteneigenschaft beschränkt195. Erfasst werden auch Aufsichtsräte einer nicht selbst von der Marktmissbrauchsverordnung betroffenen Obergesellschaft, die Insiderinformationen aus einer Tochtergesellschaft mit Emittenteneigenschaft erlangen. Ebenso können Aufsichtsräte einer Tochtergesellschaft ohne diese Eigenschaft in den Besitz von Insiderinformationen kommen, die aus der von der Marktmissbrauchsverordnung erfassten Obergesellschaft stammen; ferner all jene, die aufgrund ihres Berufs oder ihrer Tätigkeit oder ihrer Aufgabe bestimmungsgemäß in den Besitz von Insiderinformationen im Sinne von Art. 7 MMVO kommen; dazu gehören alle Aufsichtsräte der Gesellschaft und des Konzerns. All diese Personen unterliegen bei Strafe (§ 119 Abs. 3 WpHG) dem in Rz. 290 bereits erwähnten Verbot der unrechtmäßigen Offenlegung von Insiderinformationen196.

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Auch die Ad-hoc-Publizität hat Auswirkungen in Konzerndimension. So kann ein Geheimnis der Obergesellschaft im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG durchaus zugleich ein Geheimnis der Tochtergesellschaft sein. Ist dies bei Patenten etc., die sich bilanzierungstechnisch zuordnen lassen, selten der Fall, so stellen andererseits geplante Übernahmen oder Unternehmensverkäufe, die Auswirkungen auf den gesamten Konzern haben, regelmäßig ein Geheimnis von Mutter und Tochter dar. Als DaimlerChrysler sich von Chrysler trennen wollte, stellte dies gewisslich ein Geheimnis sowohl von DaimlerChrysler als auch von Chrysler dar. Der Geheimnischarakter endet jedoch, wenn der geheimzuhaltende Sachverhalt im Rahmen einer Ad-hocMeldung öffentlich gemacht wird.

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b) Aufsichtsräte und Insiderrecht Das strafbewehrte (§ 119 Abs. 3 WpHG) Verbot des Tätigens von Insidergeschäften (Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MMVO), des Empfehlens von und des Verleitens zu solchen Geschäften (Art. 14 lit. b i.V.m. Art. 8 Abs. 1, 2 MMVO) sowie der unrechtmäßigen Offenlegung (Art. 14 lit. c i.V.m. Art. 10 MMVO) von Insiderinformationen (Rz. 290) richtet sich an jedermann, also auch an Aufsichtsratsmitglieder. Als Personen, die naturgemäß Insiderinformationen erfahren, sind die Aufsichtsratsmitglieder eines Emittenten davon in besonderer Weise betroffen. Dies verdeutlichen 195 Vgl. Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 186. 196 Zum Ganzen vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 635 ff., 647 ff.

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§ 6 Rz. 293 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

auch Art. 8 Abs. 4 lit. a MMVO und Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 MMVO, in denen die Personen des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan des Emittenten ausdrücklich Erwähnung finden. 294

Insiderinformationen sind nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder diese selbst betreffen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs dieser Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, Art. 7 Abs. 1 lit. a MMVO. Mit dem Geheimnis i.S. von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG (vgl. Rz. 259 ff.) hat die Insiderinformation das Merkmal der fehlenden öffentlichen Bekanntheit gemeinsam197. Einen Unterschied hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen bildet indes das Merkmal der Kursrelevanz198. Die Unschärfe dieses Merkmals macht im Einzelfall eine exakte Abgrenzung zwischen Geheimnis und Insiderinformation schwierig. Diese ist aber auch nicht nötig; denn eine Vielzahl von Unternehmensgeheimnissen würde bei ihrer Veröffentlichung ebenfalls einen deutlichen Kursausschlag zeitigen199.

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Insgesamt unterscheidet sich das Geheimnis durch das Erfordernis des potenziellen Schadens für die Gesellschaft bei seiner Verletzung von der Insiderinformation durch das Erfordernis einer möglichen erheblichen Kursbeeinflussung. Das aber bedeutet: der Bereich eines strikten und strafbewehrten Vertraulichkeitsgebotes für alle Aufsichtsräte betroffener Gesellschaften (vgl. Rz. 291) wird durch das Insiderrecht deutlich erweitert. c) Rechtmäßige und unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen

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aa) Art. 14 lit. c i.V.m. Art. 10 MMVO verbietet die unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen. Wann eine Weitergabe von Informationen rechtmäßig bzw. unrechtmäßig ist, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Zwar besteht Einigkeit, dass das Merkmal „unrechtmäßig“ nicht als allgemeines Verbrechensmerkmal zu verstehen, mithin also nicht bereits die bloße Weitergabe der Information tatbestandsmäßig ist200: sie muss eben unrechtmäßig sein. Unproblematisch rechtmäßig 197 Zur Frage, wann eine Insiderinformation öffentlich bekannt ist, s. Assmann in Assmann/ Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 VO Nr. 596/2014 Rz. 63 ff. m.w.N. 198 Zu der mitunter schwer zu bestimmenden erheblichen Kursrelevanz der Insiderinformation Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 VO Nr. 596/2014 Rz. 78 ff. m.w.N. 199 Zu einer verhältnismäßig großen Schnittmenge gelangt man, wenn man den Katalog potenzieller Insiderinformationen mit dem Katalog möglicher Unternehmensgeheimnisse vergleicht; zum Katalog von potenziellen Insiderinformationen vgl. den Emittentenleitfaden der BaFin von 2013 Ziff. III.2.1 ff.; zum Katalog möglicher Unternehmensgeheimnisse vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 47; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 408 ff. 200 H.M., Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 5; noch zu § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a.F. etwa Schäfer in Schäfer/ Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 14 WpHG Rz. 24 f.; Götz, DB 1995, 1949, 1952.

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Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 299 § 6

ist daher die Weitergabe von Insiderinformationen vom Vorstand an den Aufsichtsrat und innerhalb des Aufsichtsrats, da der Vorstand den Aufsichtsrat informieren muss, der Aufsichtsrat alles wissen darf und alle Aufsichtsratsmitglieder von Rechts wegen gleich zu behandeln sind. In dieses System des AktG greift das Insiderrecht nicht ein. Insoweit erfolgt die Offenlegung von Insiderinformationen „im Zuge der normalen Erfüllung von Aufgaben“, Art. 10 Abs. 1 MMVO. bb) Unproblematisch ist weiter, dass beliebige201 außenstehende Dritte nicht informiert werden dürfen, so dass deren Einweihung unrechtmäßig ist. Der Wortlaut des Gesetzes setzt nicht voraus, dass die Weitergabe der Information zwecks Erwerbs oder Veräußerung von Insiderpapieren erfolgt: schon die unrechtmäßige Offenlegung als solche ist verboten.

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cc) Damit spitzt sich für das Aufsichtsratsmitglied das Problem im Umgang mit Insiderinformationen auf die Frage zu, wann der Informationsfluss an Mitarbeiter eine unrechtmäßige Weitergabe darstellt. Macht sich ein Aufsichtsratsmitglied strafbar nach § 119 Abs. 3 Nr. 3 WpHG, wenn es einem Assistenten kursrelevante vertrauliche Informationen mitteilt, damit dieser ein Konzept für die nächste Aufsichtsratssitzung ausarbeitet? Legt das Aufsichtsratsmitglied unrechtmäßig Insiderinformationen offen, wenn es den Aktenschrank im Büro offen stehen lässt, obwohl es weiß, dass die neugierige Sekretärin gerne darin herumschnuppert?

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dd) Bei dem Merkmal „unrechtmäßig“ handelt es sich um ein tatbestandsbeschränkendes Merkmal. Dies folgt auch aus Art. 10 Abs. 1 MMVO: Danach soll der Informationsfluss rechtmäßig sein, soweit er im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben geschieht. So schlüssig diese Formel auf den ersten Blick erscheint, umso mehr Folgefragen wirft sie auf den zweiten Blick auf, vor allem: Was ist als „normale“ Ausübung bzw. Erfüllung einer Aufgabe anzusehen? Im Ergebnis ist darauf abzustellen, ob die Informationsweitergabe notwendig war, um dem Informanten die Ausübung von Beruf, Tätigkeit oder Aufgabe im üblichen Rahmen zu ermöglichen202. Dabei erweist es sich als vorteilhaft, Insiderinformationen als Geheimnisse im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG einzustufen; denn die insiderrechtliche Zulässigkeit der Informationsweitergabe folgt mindestens der Grenze, die bereits durch die Verschwiegen-

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201 Zu externen Beratern aber noch Rz. 300. 202 Eher enger EuGH v. 22.11.2005 – C-384/02, ECLI:EU:C:2005:708, Slg. 2005, I-9939 = WM 2006, 612 (Groongaard und Bang). In der Nachfolgeentscheidung hat dann aber der dänische Oberste Gerichtshof die Weitergabe einer Insiderinformation durch einen Arbeitnehmervertreter an seinen Gewerkschaftsvorsitzenden gebilligt (dessen Mitarbeiter diese dann ausgenutzt hat); vgl. Höjesteret Dänemark v. 14.5.2009 – 219/2008, ZIP 2009, 1526; aus dem Schrifttum Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, S. 1420; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 17 ff. m.w.N.; noch zu § 14 WpHG a.F. Schmidt-Diemitz, DB 1996, 1810; Götz, DB 1995, 1950.

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§ 6 Rz. 299 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

heitspflicht gezogen ist203, geht aber wegen der Interessen des Kapitalmarkts noch darüber hinaus204. 300

Assistenten und Sekretäre/innen des Aufsichtsrats oder seiner einzelnen Mitglieder sind Hilfskräfte und notwendige Elemente in einem arbeitsteiligen System; ihre Information ist daher rechtmäßig205, soweit sie in die Aufsichtsratsarbeit eingeschaltet sind, allerdings auch nur insoweit. Das Gleiche gilt für Berater von Aufsichtsräten wie Rechtsanwälte, Steuerberater, Unternehmensberater, die etwa bei der Entscheidung über ein geheimes Erwerbsprojekt eingeschaltet werden. Alle diese Personen werden dann ihrerseits Insider und unterliegen dann ihrerseits den Verboten aus Art. 14 MMVO.

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Vorgesetzte im Bereich privater Organisationen handeln mit der Offenlegung von Insiderinformationen nicht per se rechtmäßig. Das hat der EuGH in der Entscheidung Grongaard klar gesagt206. In diesem dänischen Fall hatte der Vertreter einer Gewerkschaft im Verwaltungsrat einer börsennotierten Gesellschaft Insiderinformationen, nämlich den Plan einer Fusion, an seinen Gewerkschaftsvorsitzenden weitergegeben; dieser seinerseits gab die Information an einen Mitarbeiter weiter, der sie für ein Insidergeschäft mit hohem Gewinn ausnutzte207. Das Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die Weitergabe an den Gewerkschaftsvorsitzenden zulässig gewesen sei. Der EuGH lehnte es strikt ab, die Weitergabe per se als rechtmäßig anzusehen, und wies das dänische Gericht an zu prüfen, ob sie für die reguläre Gewerkschaftsarbeit erforderlich war. Das dänische Oberste Gericht hat das bejaht208.

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Das gilt so nicht im öffentlich-rechtlichen Bereich, soweit die Betroffenen zur Information ihrer Vorgesetzten verpflichtet sind, wie das etwa im Rahmen der §§ 394 und 395 AktG der Fall ist209.

203 Vgl. Lutter/Krieger, DB 1995, 257 ff.; im Ergebnis ebenso Götz, DB 1995, 1949, 1952; im Übrigen ist eine Weitergabe von Insiderinformationen gewisslich dann „unrechtmäßig“, wenn das Aufsichtsratsmitglied Anlass zu der Annahme hat, dass der Empfänger der Information dieselbe für Insidergeschäfte missbraucht; in England ist eben dieser Fall ins Gesetz aufgenommen; vgl. Uwe H. Schneider/Singhof in FS Kraft, 1998, S. 587, 589 in Fn. 15 mit entsprechenden Nachweisen. 204 Für einen im Vergleich zur Verschwiegenheitspflicht noch strengeren Maßstab des Weitergabeverbots aus Art. 10 Abs. 1 MMVO und den dabei abzuwägenden Interessen Gröntgen, S. 230 ff. 205 Lutter/Krieger, BB 1995, 257 ff.; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 45 ff.; Hasselbach, NZG 2004, 1094. 206 EuGH v. 22.11.2005 – C-384/02, ECLI:EU:C:2005:708, NJW 2006, 133 (Groongaard und Bang). 207 Letzterer war durch die Weitergabe seinerseits zum Insider geworden und unterlag damit fraglos dem strafbewehrten Erwerbsverbot. 208 Höjesteret Dänemark v. 14.5.2009 – 219/2008, ZIP 2009, 1526. 209 Vgl. dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 10 VO Nr. 596/2014 Rz. 24 ff.; Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 14 WpHG Rz. 30; sowie Rz. 1421 ff.

146

Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 306 § 6

d) Sicherung der Verschwiegenheitspflicht Die sehr strengen Regeln führen zwangsläufig zu der Frage, wie die hier beschriebene Verschwiegenheitspflicht in der Praxis gesichert werden kann, um zu gewährleisten, dass die Grenzen der Informationsweitergabe eingehalten werden und keine Informationen aussickern.

303

Für Wertpapierdienstleistungsunternehmen obligatorisch (§ 80 Abs. 1 WpHG, Art. 21 ff., 29 VO 2017/565210) ist die Einrichtung einer sog. Compliance-Abteilung. Eine solche Abteilung ist aber auch für andere vom Insiderrecht betroffene Unternehmen ausgesprochen sinnvoll. Um die Einhaltung der Insiderregeln zu sichern, geschieht das vor allem durch die Organisation von Vertraulichkeitsbereichen durch sog. Chinese Walls211. Daneben organisiert die Compliance-Abteilung die Ausgabe von Vertraulichkeits-Richtlinien für die Mitarbeiter, in denen sämtliche Vorschriften und Regeln konkretisiert und durch eine Art Leitfaden anschaulich gemacht werden212. Darüber hinaus müssen alle Emittenten eine sog. Insiderliste führen über Personen, die aufgrund ihrer Aufgaben Zugang zu Insiderinformationen haben (Art. 18 Abs. 1 MMVO)213. e) Ad-hoc-Publizität Die Ad-hoc-Publizität geht auf Schema C Nr. 5a der Börsenzulassungsrichtlinie214 und auf Art. 7 der Insiderrichtlinie zurück; sie war zunächst in § 44a BörsG geregelt und wurde im Rahmen der Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie durch das 2. Finanzmarktförderungsgesetz unter leichten Modifikationen in § 15 WpHG a.F. umgesiedelt. Mittlerweile ist sie in Art. 17 MMVO geregelt, welche die Marktmissbrauchsrichtlinie (MAD) von 2003215 aufgehoben hat216.

304

Nach Art. 17 Abs. 1 MMVO sind Emittenten verpflichtet, Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, der Öffentlichkeit unverzüglich bekanntzugeben.

305

Ziel der Ad-hoc-Publizität ist zweierlei: Zuvörderst sollen Insidergeschäfte präventiv bekämpft werden, indem mögliche Insiderinformationen öffentlich gemacht werden217. Daneben soll die Ad-hoc-Publizität alle Anleger möglichst gleichzeitig mit

306

210 211 212 213 214 215 216 217

ABl. EU Nr. L 87 v. 31.3.2017, S. 1. Näher dazu Eisele, WM 1993, 1021, 1024 ff. Vgl. dazu Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 697 ff. Weiterführende Quellen zu Art. 18 MMVO bei Sethe/Hellgardt in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 18 VO Nr. 596/2014 Rz. 28 ff. Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 5.3.1979. Richtlinie 2003/6/EG vom 28.1.2003, ABl. EU Nr. L 96 vom 12.4.2003, S. 1. Umfassend zu dieser Historie Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 35 (S. 1404), Rz. 1 ff. Vgl. Lutter in FS Zöllner, 1998, S. 363, 368; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/ Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 8; Erwägungsgrund 49 MMVO.

147

§ 6 Rz. 306 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

den wichtigsten entscheidungsrelevanten Informationen versorgen und auf diese Weise angemessene Preise auf dem Kapitalmarkt sichern218. 307

Eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über Geschäftsführungsmaßnahmen entsteht spätestens mit der Entscheidung des Geschäftsführungsorgans über deren Durchführung219. Bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen kann aber eine Publizität der Entscheidung des Vorstands, bevor die Entscheidung des Aufsichtsrats zu dieser Frage gefallen ist, zu einer erheblichen Schwächung der Rolle des Aufsichtsrats führen, da dieser in seiner Entscheidung nach Veröffentlichung der Entscheidung des Vorstands nicht mehr frei wäre. Allerdings sieht Art. 17 Abs. 4 MMVO eine Befreiung von der Pflicht zur Veröffentlichung vor. Der Emittent kann demnach so lange mit der Veröffentlichung der Insiderinformationen warten, wie es der Schutz seiner berechtigten Interessen erfordert, keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist sowie die Geheimhaltung der Insiderinformation sicherstellen kann. Eine vor der Zustimmung des Aufsichtsrats erfolgte Veröffentlichung würde die Funktionsfähigkeit der aktienrechtlichen Organaufgaben in Frage stellen220. Daher liegt in den Fällen, in denen die Zustimmung des Aufsichtsrats noch aussteht, ein Aufschub der Publizität in der Regel im berechtigten Interesse des Emittenten sowie des Anlegers221. Dies sieht auch § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAV vor. Danach kann ein besonderes Interesse immer dann vorliegen, „wenn durch das Geschäftsführungsorgan des Emittenten abgeschlossene Verträge oder andere getroffene Entscheidungen zusammen mit der Ankündigung bekannt gegeben werden müssten, dass die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Zustimmung eines anderen Organs des Emittenten noch aussteht, und dies die sachgerechte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde, wenn der Emittent dafür gesorgt hat, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird.“222 218 Diese Funktion ist nach der Rechtsprechung des BGH im DAT/Altana-Beschluss besonders wichtig; dazu auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 9. 219 So auch auf Anfrage des BGH der EuGH in seinem berühmten Urteil v. 28.6.2012 – C19/11, ZIP 2012, 1282 = AG 2012, 555 = NZG 2012, 784 = EWiR § 13 WpHG 2/12 (Bachmann) (Geltl), nach der die einzelnen Schritte im Rahmen mehrgliedriger Entscheidungen, also sogenannte Zwischenschritte, in einem gestreckten Vorgang durchaus eine „Insider-Information“ („präzise Information“) seien und mithin publizitätspflichtig sein können. Ihr folgend der BGH v. 23.4.2013 – II ZB 7/09, ZIP 2013, 1165 mit Anm. Brellochs. Vgl. dazu v. Bonin/Böhmer, EuZW 2012, 694 m.w.N. und Ihrig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 2013 (VGR Bd. 18), S. 113 ff., insbesondere S. 128 ff. 220 S. dazu schon Lutter in FS Zöllner, S. 363, 371 f. 221 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 111; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 35 Rz. 59 (S. 1242); zu § 15 WpHG a.F. Emittentenleitfaden der BaFin von 2013 Ziff. IV.2.2.7. 222 Gleichsinnig ESMA, MAR-Leitlinien, Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen, ESMA/2016/1478 v. 20.10.2016, Ziff. 5.1.8. lit. c; ferner Erwägungsgrund 50 MMVO; dazu auch Klöhn, Komm. MAR, Art. 17 Rz. 210 ff.

148

Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 307 § 6

Der Aufschub der Information ist in den Fällen, in denen die Entscheidung des Aufsichtsrats noch aussteht, daher – vorausgesetzt die Vertraulichkeit der Information ist weiterhin gewährleistet – als Ausnahme zu Art. 17 Abs. 1 MMVO möglich223. Die Veröffentlichung muss aber unverzüglich nach Wegfall der Ausnahmevoraussetzungen – also der Entscheidung des Aufsichtsrats – nachgeholt werden. Ausnahmsweise darf der Aufsichtsrat die Selbstbefreiungsentscheidung224 nach Art. 17 Abs. 4 MMVO auch selbst treffen: Entstehen Insiderinformationen im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats, kann der Vorstand die Publizitätspflicht erst dann erfüllen, wenn der Aufsichtsrat ihm die Information mitgeteilt hat225. Bestimmte Informationen – etwa über kursrelevante Zwischenschritte bei Personalentscheidungen oder bei Maßnahmen zur Überprüfung des Vorstandshandelns226 – darf der Aufsichtsrat dem Vorstand aber berechtigter Weise vorenthalten227. Da der Vorstand in diesen Fällen daran gehindert ist, über die Offenlegung der Insiderinformation zu entscheiden, muss der Aufsichtsrat das Publizitätsinteresse des Kapitalmarkts bereits bei seiner Entscheidung darüber berücksichtigen, ob er die Information dem Vorstand verschweigt228. Insoweit entscheidet ausnahmsweise der Aufsichtsrat über die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MMVO229. Fällt das berechtigte Geheimhaltungsbedürfnis gegenüber dem Vorstand weg, sind auch die 223 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 111; zu § 15 WpHG a.F. Emittentenleitfaden der BaFin von 2013 Ziff. IV.2.2.7; Pattberg/Bredol, NZG 2013, 87; Ihrig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 2013 (VGR Bd. 18), S. 128 ff. 224 Angesichts des Wortlauts von Art. 17 Abs. 4 MMVO („auf eigene Verantwortung“) geht die ganz h.M. inzwischen davon aus, dass die aufschiebende Wirkung nicht ex lege eintritt, sondern eine Entscheidung des Emittenten erfordert, Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 422; Lutter/Bayer/J. Schmidt, EuropUR, § 35 Rz. 59 (S. 1428 f.); Schlitt in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, § 38 Rz. 38.77; F. A. Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.29; zweifelnd aber Klöhn, AG 2016, 423, 431; zum Meinungsstand vor Inkrafttreten der MMVO s. Groß in FS Uwe H. Schneider, S. 385, 386 ff. 225 Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 426. 226 Mülbert in FS Stilz, S. 411, 422; Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 426; F. A. Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.31; Klöhn in Klöhn, Art. 17 MAR Rz. 193. 227 Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 333 und Rz. 426 inkl. Fn. 743; Kocher/S. Schneider, ZIP 2013, 1607, 1611; F. A. Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.31; Mülbert in FS Stilz, S. 411, 422. 228 Retsch, NZG 2016, 1201, 1206; Kocher/S. Schneider, ZIP 2013, 1607, 1611; Groß in FS Uwe H. Schneider, S. 385, 392; Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 427 inkl. Fn. 745. 229 J. Koch in FS Köndgen, S. 329, 341 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 47 a.E.; Wilsing/von der Linden, ZHR 178 (2014), 419, 435; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 54; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206; F. A. Schäfer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.31; Krämer, Der Aufsichtsrat 2017, 18; Klöhn in Klöhn, Art. 17 MAR Rz. 193; Mülbert in FS Stilz, S. 411, 422; Ihrig/ Kranz, BB 2013, 451, 456; Ihrig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 113, 131; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 34b (bei unabweisbarem Sacherforder-

149

§ 6 Rz. 307 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

Selbstbefreiungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt, so dass der Aufsichtsrat dem Vorstand die Insiderinformation zuleiten muss, damit dieser sie veröffentlicht230. f) Zusammenfassung: Folgen für die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder 308

Als Zusammenfassung der insiderrechtlichen Bestimmungen für die Praxis ergibt sich: Einerseits bedeutet die Einführung eines Straftatbestandes – nämlich der Offenlegung von Insiderinformationen – eine Verschärfung der Verschwiegenheits- und Vertraulichkeitspflichten des Aufsichtsrats. Dies betrifft vor allem Informationen über das operative Geschäft, z.B. wesentliche Entwicklungen neuer Produkte, des Umsatzes, des Gewinns oder anderer Kennzahlen. Gleiches gilt für Massenkündigungen, Betriebsstilllegungen, geplante Übernahmen und Fusionen.

309

Auf der anderen Seite bedeutet die Veröffentlichung von Insiderinformationen im Wege von Ad-hoc-Meldungen eine Erleichterung für das einzelne Aufsichtsratsmitglied: Ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung kann es offen und ungehemmt über die Information verfügen. Anders gewendet: Der Zeitpunkt, von dem ab die Verschwiegenheitspflicht endet, ist für das einzelne Aufsichtsratsmitglied klar erkennbar. Umgekehrt führt das bloße Bestehen einer Pflicht der Gesellschaft zur Veröffentlichung einer Ad-hoc-Mitteilung noch nicht dazu, dass ein Aufsichtsratsmitglied von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit wäre, selbst wenn die Gesellschaft den Kapitalmarkt schon längst hätte informieren müssen231.

310

Um eine Strafbarkeit nach den Insiderbestimmungen zu vermeiden, empfiehlt es sich – insbesondere nach einer Aufsichtsratsneuwahl – die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder über den Inhalt der Insiderbestimmungen zu informieren. Dies kann entweder durch ein Rundschreiben des Aufsichtsratsvorsitzenden, eine Informationsbroschüre, die Vertraulichkeitsrichtlinien der Compliance-Abteilung oder durch einen eigenen Tagesordnungspunkt auf der ersten Aufsichtsratssitzung geschehen.

311

Um in der laufenden Aufsichtsratspraxis Insiderfälle zu vermeiden, sollte jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied insiderrelevante Unterlagen – Pläne über Unternehmenszukäufe oder den Bericht des Abschlussprüfers – für Dritte unzugänglich aufbewahren. Auch wenn die Weitergabe von Insiderinformationen an engste Mitarbeiter zwecks Vorbereitung einer Aufsichtsratssitzung notwendig wird, sollte eine Weitergabe nur in sehr engen Grenzen stattfinden. Hierfür können vom Aufsichtsrat als nis); a.A. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 95 f.; BaFin, Emittentenleitfaden 2013, S. 59. 230 Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 427 Fn. 745; Mülbert in FS Stilz, S. 411, 421; Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 455 f.; F. A. Schäfer in in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.31; Retsch, NZG 2016, 1201, 1206; Kocher/S. Schneider, ZIP 2013, 1607, 1611; Leyendecker-Langner/Kleinherz, AG 2015, 72, 74 f.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 401 und Rz. 562; für den Kontakt mit der BaFin Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 505. 231 Mülbert/Sajnovitz, NJW 2016, 2540, 2541/2542; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 54.

150

Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder | Rz. 316 § 6

Orientierungshilfe bestimmte Verfahrensgrundsätze aufgestellt werden, die z.B. Hinweise auf typische Insiderinformationen enthalten232. Ebenfalls können Tatsachen – wie in der Praxis bereits üblich – in den Unterlagen als Insiderinformationen gekennzeichnet werden. Dabei sollte auch das Datum der geplanten Veröffentlichung der Information angegeben werden; auf diese Weise hat das einzelne Aufsichtsratsmitglied eine Orientierung, ab wann voraussichtlich der Status der Vertraulichkeit der Information aufgehoben wird; denn mit der Veröffentlichung endet auch die Möglichkeit einer strafrechtlichen Sanktionierung. In Zweifelsfällen sollte sich das einzelne Aufsichtsratsmitglied mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats in Verbindung setzen. Da auch die Nutzung von Insiderinformationen zwecks Veräußerung oder Erwerb von Wertpapieren gemäß Art. 14 lit. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 MMVO strafbar ist, sollte das einzelne Aufsichtsratsmitglied Transaktionen mit betroffenen Finanzinstrumenten nur dann vornehmen, wenn anzunehmen ist, dass alle kursrelevanten Informationen öffentlich bekannt sind. Dies ist beispielsweise in den ersten Wochen nach der jährlichen Bilanzpressekonferenz, nach einer ordentlichen Hauptversammlung oder nach der Herausgabe eines Zwischenberichtes der Fall.

312

Sicherer für das Aufsichtsratsmitglied ist es, Wertpapiergeschäfte auf einen unabhängigen Dritten zu übertragen, der weisungsfrei Transaktionen für Rechnung des Aufsichtsratsmitgliedes vornimmt233.

313

Ein wirksames Instrument zur Prävention von Insidergeschäften ist eine offene und schnelle Investor-Relation-Politik. Zu einer solchen kann auch der Aufsichtsrat im Falle eines Zustimmungserfordernisses oder einer Anhörungspflicht beitragen.

314

Ein geeigneter Weg, die vertrauliche Behandlung der Insiderinformationen bis zu ihrer Veröffentlichung zu sichern, ist die Bildung von Ausschüssen. Auf diese Weise wird der Kreis derjenigen, die mit der entsprechenden Information konfrontiert werden und sie potenziell für die Weitergabe oder gar für die Ausführung von Insidergeschäften ausnutzen können, klein gehalten. Insbesondere lohnt sich die Einrichtung eines sog. Ad-hoc-Ausschusses, der mit dem Vorstand Zeitpunkt, Umfang und Art der Veröffentlichung berät234.

315

Denkbar ist auch die Verkürzung der Zeit bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats durch eine Verkürzung der Einberufungsfristen oder durch Entscheidungen im Umlaufverfahren.

316

232 Sog. Wertpapierdienstleistungsunternehmen – dies sind hauptsächlich Kreditinstitute – sind sogar verpflichtet, interne Kontrollmechanismen einzuführen, um Verstöße gegen Insiderbestimmungen zu verhindern, Rz. 303. 233 Auch für diesen Fall dürfte aber Art. 19 Abs. 11 MMVO zu beachten sein. Handelt es sich bei dem Dritten um eine mit dem Aufsichtsratsmitglied „eng verbundene Person“ i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 26 MMVO ist außerdem an die Pflichten aus Art. 19 Abs. 1, 5 MMVO zu denken. 234 Vgl. Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 256.

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§ 6 Rz. 317 | Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat

III. Berichts- und Informations-Ordnung für den Vorstand 1. Überblick 317

Das Gesetz macht eingehende Angaben dazu, wie, worüber und in welcher zeitlichen Folge der Vorstand den Aufsichtsrat über die Gesellschaft und den Konzern zu informieren hat (Rz. 191 ff.). Dazu gehört auch die Pflicht zum inhaltlichen Anschluss an frühere Berichte, zur gleichen systematischen Ordnung der Berichte, zum Soll-IstVergleich und zur Mitteilung über das Soll-Ist der Planung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG). Dennoch bleiben naturgemäß erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Informationsbedürfnisse des Aufsichtsrats einer Bank, einer Maschinenfabrik, eines Kaufhaus-Unternehmens oder eines Software-Unternehmens. Da der Aufsichtsrat (auch) selbst gehalten ist, für seine ausreichende Information zu sorgen (Holschuld), empfiehlt sich der Erlass einer Berichts- und Informations-Ordnung, in der die Einzelheiten der Information des Aufsichtsrats durch den Vorstand festgelegt werden235. Der Sache nach handelt es sich dabei um eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats für den Vorstand, ist für diesen also verpflichtend. 2. Einzelheiten

318

a) Die Informations-Ordnung ist an die Vorgaben des Gesetzes gebunden. Was dort nach Zeit und Gegenstand verlangt ist, kann nicht unterschritten werden.

319

b) Im Übrigen wird man zunächst die innere Ordnung der laufenden Berichte festlegen, also nach Umsatz der einzelnen Produkte, ihrer Bruttoerträge etc., das Ganze im Soll-Ist-Vergleich mit der Planung und ggf. der vorangehenden Periode, im Übrigen je nach den besonderen Bedürfnissen dieser Gesellschaft und des Konzerns. Sodann wird man den Rhythmus der Berichterstattung bestimmen, wobei der DreiMonats-Rhythmus des Gesetzes die Untergrenze ist. Bei großen Gesellschaften und solchen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten kann sich ein Übergang auf den ZweiMonats-Rhythmus empfehlen. Das Gleiche gilt für den Bericht zu Liquidität und Ertrag sowie den Bericht über die speziellen Risiken der Gesellschaft und des Konzerns. Und schließlich wird man die Sonderberichte aufführen und in diesem Zusammenhang erneut die Besonderheiten der betreffenden Gesellschaft berücksichtigen.

IV. Vertraulichkeits-Ordnung 320

Der Aufsichtsrat kann diese Fragen – anders als bei den Fragen seiner Information – nicht eigentlich gestalten: die Dinge sind geheim oder vertraulich und dann entsprechend zu beachten oder sie sind es eben nicht: tertium non datur. Aufsichtsrat und Vorstand können also Nicht-Geheimnisse bzw. nichtvertrauliche Angaben nicht in 235 Seibt in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Corporate Governance, S. 391, 407 ff.; so auch die Empfehlung in Ziff. 3.4 Abs. 3 Satz 1 DCGK a.F., die im neuen Kodex fehlt.

152

Vertraulichkeits-Ordnung | Rz. 321–330 § 6

den Rang von Geheimnissen oder Vertraulichkeiten erheben236. Wohl aber kann eine solche Vertraulichkeits-Ordnung Regeln formulieren, wie in Zweifelsfällen von den Aufsichtsratsmitgliedern verfahren werden sollte237 und – vor allem – welche Dinge unstreitig vertraulich zu behandeln sind (vgl. Rz. 266 ff.) bzw. wo eine hohe Vermutung der Pflicht zur Vertraulichkeit besteht. Gerade eine solche Situation der vermuteten Vertraulichkeit deutet auch der § 116 AktG an. Erklärt demnach der Vorstand eine schriftliche Vorlage oder eine mündliche Information für vertraulich, so spricht eine Vermutung dafür, dass dies zutrifft. Das kann in einer solchen Vertraulichkeits-Ordnung auch deutlich gesagt werden. Hält sich ein Aufsichtsratsmitglied dann nicht daran, so kann es sich mit Nicht-Wissen nicht entschuldigen. Das gilt insbesondere dann, wenn in einer solchen Ordnung der Vertraulichkeit für solche Fälle ein System der Beratung festgelegt ist, etwa: zunächst mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dann ggf. noch mit dem Gesamtaufsichtsrat. Einstweilen frei.

321– 330

236 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 (Bayer). 237 Das Muster einer solchen vom Aufsichtsrat zu beschließenden „Richtlinie zur Wahrung der Vertraulichkeit im Aufsichtsrat“ findet sich bei Lutter, Information und Vertraulichkeit, S. 307 ff.

153

154

§7 Bestellung und Anstellung des Vorstands und die Organisation der Vorstandstätigkeit I. Überblick Nicht weniger bedeutsam als die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats ist seine Kompetenz zur Besetzung des Vorstands (§ 84 AktG). Mit dem Recht zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern sind ihm zwei wesentliche Instrumente vorbeugender und repressiver Überwachung verliehen. Vor allem aber nimmt er mit der Auswahl der Vorstandsmitglieder selbst wesentlichen Einfluss auf das Geschick des Unternehmens und dessen geschäftspolitischen Kurs. Rechtstechnisch gliedert sich die Aufgabe der Vorstandsbesetzung in die Bestellung (und Abberufung) einerseits sowie den Abschluss (und die Kündigung) des Anstellungsvertrages andererseits (sog. Trennungstheorie)1. Mit der Bestellung wird dem Vorstandsmitglied seine körperschaftsrechtliche Stellung als Organ der Gesellschaft und die damit verbundene Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht verliehen; sie bedarf der Annahme des Bestellten. Rechtlich davon zu trennen ist der Anstellungsvertrag, der die schuldrechtlichen Individualbeziehungen (Vergütung, Urlaub usw.) zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft regelt. Sowohl die Organstellung als auch das Anstellungsverhältnis begründen zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft neben den gesetzlich und vertraglich konkret geregelten Rechten und Pflichten gegenseitige Treuebindungen, zu denen einerseits eine Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied und andererseits eine Verpflichtung des Vorstandsmitglieds gehört, im Rahmen seiner Tätigkeit das Wohl des Unternehmens zu verfolgen2; dazu können auch Informationspflichten des Vorstandsmitglieds über gesundheitliche Probleme gehören3, hingegen geht es zu weit anzunehmen, das Vorstandsmitglied sei verpflichtet, bei seiner privaten Lebensführung gesundheitliche Risiken zu vermeiden4. Ergänzt wird die Personalkompetenz des Aufsichtsrats durch sein Recht, die Vorstandstätigkeit durch Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand zu organisieren (§ 77 Abs. 2 AktG). 1 Zur Trennung von Bestellung und Anstellung vgl. etwa BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/ 79, BGHZ 79, 38, 41 = AG 1981, 73; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 1 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 2; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 4 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 11 ff.; a.A. Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 3 ff. 2 Vgl. nur Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 76, § 93 Rz. 113 ff.; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 95 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 10 f. 3 Dazu näher Fleischer, NZG 2010, 561, 563 ff.; Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069, 1072 ff.; zum Umgang mit Gesundheitsproblemen eines Vorstandsmitglieds auch Lutter, Der Aufsichtsrat 2009, 97; zur Ad hoc-Publizität bei schweren Erkrankungen eines wichtigen Vorstandsmitglieds Fleischer in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 333. 4 Näher Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 76a; Fleischer, NZG 2010, 561, 562 f.; Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069, 1072 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 96;

155

331

§ 7 Rz. 332 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

II. Bestellung 1. Bestellungshoheit des (Gesamt-)Aufsichtsrats 332

Zur Bestellung von Vorstandsmitgliedern ist ausschließlich der Aufsichtsrat befugt; das gilt auch in der Insolvenz der Gesellschaft5. Weder von sich aus noch aufgrund einer entsprechenden Satzungsbestimmung (§ 23 Abs. 5 AktG) können andere Organe oder gar Dritte eine Vorstandsbestellung vornehmen; auch der Aufsichtsrat selbst kann diese Aufgaben nicht delegieren (§ 111 Abs. 5 AktG). In dringenden Fällen ist das Gericht zu einer Notbestellung befugt (§ 85 Abs. 1 AktG).

333

Die Alleinkompetenz des Aufsichtsrats umfasst das Recht zur selbständigen Auswahl der Vorstandsmitglieder. Der Aufsichtsrat und seine Mitglieder sind keinerlei Weisungen6, verbindlichen Vorschlagsrechten oder Zustimmungsvorbehalten unterworfen, sondern verpflichtet, eigenständig zu entscheiden. Satzungsbestimmungen, welche die Auswahlautonomie in irgendeiner Form beschneiden, sind unwirksam (§ 23 Abs. 5 AktG)7. Das Gleiche gilt für jede Art von Vereinbarung, die die Auswahlfreiheit beeinträchtigt8.

334

Der Aufsichtsrat kann die Vorstandsbestellung auch nicht von sich aus von der Zustimmung der Hauptversammlung oder anderer Stellen abhängig machen, denn er ist zu höchstpersönlicher Entscheidungsfindung verpflichtet9. Deshalb kann sich ein Aufsichtsratsmitglied auch nicht dazu verpflichten, sein Amt niederzulegen, wenn es meint, der Empfehlung eines Dritten nicht folgen zu können10.

335

Rein faktische Einflussnahmen auf Mitglieder des Aufsichtsrats (Empfehlungen u. Ä.) schließt das Gesetz nicht aus11. Hingegen ist jede Art einer Institutionalisierung 5 OLG Nürnberg v. 20.3.1990 – 1 U 2275/89, WM 1991, 1719 = AG 1991, 446; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 8 und 20; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 5; K. Schmidt, AG 2011, 1, 2 ff.; a.A. Klöckner, AG 2010, 780, 781, der die Hauptversammlung für zuständig ansieht. 6 OLG Köln v. 4.5.1987 – 2 W 27/87, AG 1988, 50. Zur Sondersituation bei Aufsichtsratsmitgliedern, die von öffentlich-rechtlichen Körperschaften entsandt oder auf deren Veranlassung gewählt sind, vgl. Rz. 1425 ff. 7 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 12; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 8 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 5. 8 Vgl. etwa OLG Köln v. 4.5.1987 – 2 W 27/87, AG 1988, 50; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 15; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 8; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 5. 9 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 8; Hommelhoff, BB 1977, 322, 325; Krieger, Personalentscheidungen, S. 42 f.; a.A. wohl Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 5. 10 H.M., z.B. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 7; Schubert in Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 237; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 79; Krieger, Personalentscheidungen, S. 45 f.; a.A. Tank, AG 1977, 34, 38 f.; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 31, § 31 Rz. 28. 11 H.M., vgl. nur OLG Stuttgart v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873, 876; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 9; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestim-

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Bestellung | Rz. 336 § 7

von Empfehlungen u.Ä. unzulässig. Selbst ein ausdrücklich als unverbindlich bezeichnetes Vorschlagsrecht für andere Organe oder Dritte kann nicht geschaffen werden12; das Gleiche gilt für jeden Versuch, Aufsichtsratsmitglieder zu verpflichten, vor der Entscheidung Rücksprache zu nehmen u.Ä.13. Vereinbarungen zwischen Aktionären, in welchen diese sich gegenseitig verpflichten, auf die Wahl bestimmter Vorstandsmitglieder hinzuwirken, sind allenfalls zulässig, wenn man die Verletzung solcher Vereinbarungen als sanktionslos ansieht14. Als unzulässig wird man auch Verträge ansehen müssen, mit denen Aktionäre einem Dritten zusagen, für seine Wahl in den Vorstand zu sorgen15. In der Praxis erfolgt die Besetzung vakanter Vorstandspositionen unter normalen Umständen in enger Abstimmung mit dem amtierenden Vorstand. Das ist für eine sachgerechte Auswahlentscheidung im Allgemeinen auch richtig, denn der Vorstand wird vielfach selbst am besten einschätzen können, welche fachlichen und persönlichen Eigenschaften der Nachfolger mitbringen sollte16. Es dürfte deshalb in der Regel zu den Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats gehören, dem Vorstand Gelegenheit zu geben, seine Vorstellungen über die erforderliche Qualifikation des Nachfolgers vorzutragen, ggf. selbst geeignete Persönlichkeiten namhaft zu machen und sich zu den vom Aufsichtsrat in die engere Wahl gezogenen Bewerbern zu äußern. Umgekehrt ist es sicher richtig, dass es zu den Pflichten des Vorstands gehört, sich an der Entscheidung zu beteiligen und ihn dabei eine gewisse Mitverantwortlichkeit trifft17. B.2 des Kodex empfiehlt daher zu Recht, dass der Aufsichtsrat gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen soll. Herr des Verfahrens ist und bleibt aber der Aufsichtsrat. Der Vorstand hat keinen eigenen Anspruch gegen den Aufsichtsrat, beteiligt zu werden. Und er ist schon gar nicht berechtigt, ohne Ab-

12

13 14 15 16 17

mungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 80; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 236. Streitig, wie hier Hommelhoff, BB 1977, 322, 325; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 22; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 36; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 9; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 7; Krieger, Personalentscheidungen, S. 51 f.; wohl auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 5; a.A. Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 6; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 15; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 11. Krieger, Personalentscheidungen, S. 52. Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 15; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 22; a.A. Reichert/Ott in FS Goette, 2011, S. 397, 405; wohl auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 9; Niewiarra, BB 1998, 1961, 1963 f. Wohl auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 6; offener Niewiarra, BB 1998, 1961, 1963 f. Näher Martens in FS Fleck, 1988, S. 191, 203; vgl. auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 9; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 22; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 12. So auch Martens in FS Fleck, 1988, S. 191, 202 ff., der die rechtliche Mitverantwortung des Vorstands jedoch überdehnt; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 22.

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336

§ 7 Rz. 336 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

stimmung mit dem Aufsichtsrat auf eigene Faust geeignete Kandidaten auszusuchen, mit ihnen zu verhandeln usw.18. 337

Die Entscheidung über die Bestellung kann der Aufsichtsrat nicht auf einen Ausschuss delegieren (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), er kann aber die Entscheidungsvorbereitung einem Ausschuss übertragen (§ 107 Abs. 3 Satz 1 AktG). Herkömmlicherweise bereiten der Aufsichtsratsvorsitzende und/oder ein Ausschuss (Präsidium, Personalausschuss, Vorstandsausschuss o.Ä.) die Vorstandsbestellung so weitgehend vor, dass dem Plenum schließlich nur ein einziger Vorschlag zur Beschlussfassung unterbreitet wird; die eigentliche Auswahl findet im Ausschuss statt. Stimmen in der Literatur, die dies kritisiert und sich für eine stärkere Steuerung des Auswahlprozesses durch das Plenum ausgesprochen haben19, haben sich nicht durchsetzen können20. Allerdings hat ein Ausschuss im Rahmen seiner allgemeinen Berichtspflicht (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG; dazu näher Rz. 750) das Plenum über seine Arbeit informiert zu halten21. 2. Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats a) Zahl der Vorstandsmitglieder

338

Bei der Besetzung des Vorstands ist der Aufsichtsrat zunächst durch gesetzliche Vorschriften über die Mindestzahl von Vorstandsmitgliedern gebunden. Grundsätzlich genügt die Bestellung einer Person (§ 76 Abs. 2 Satz 1 AktG). Unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG und wenn die Bestellung eines Arbeitsdirektors erforderlich ist (§ 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG, § 33 MitbestG), muss der Vorstand aus mindestens zwei Personen bestehen, es sei denn die Satzung bestimmt, dass er aus nur einer Person besteht. Die Satzung hat nähere Anordnungen über die Zahl der Mitglieder des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird, zu treffen (§ 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG). Sie kann den genauen Umfang des Vorstands oder eine Mindestzahl und/oder Höchstzahl der Vorstandsmitglieder bestimmen22. Bestimmt die Satzung die Zahl der Vorstandsmitglieder nicht

18 A.A. anscheinend Martens in FS Fleck, 1988, S. 191, 203. 19 Krieger, Personalentscheidungen, S. 58 ff.; Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 631. 20 Ablehnend namentlich BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 359 f. = AG 1993, 464; Mertens, ZGR 1983, 189, 193 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 17; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 26. 21 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 17. 22 OLG Köln v. 17.2.1998 – 22 U 163/97, DB 1998, 1855 f. = AG 1998, 525; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 76 Rz. 31; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 23 Rz. 31; Pentz, MünchKomm. AktG, § 23 Rz. 144; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 19 Rz. 48.

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Bestellung | Rz. 341 § 7

genau, kann sie die Entscheidung hierüber dem Aufsichtsrat23 oder der Hauptversammlung übertragen24, jedoch keiner anderen Stelle. b) Eignungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe Daneben hat der Aufsichtsrat bei der Vorstandsbestellung gesetzliche Eignungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe zu beachten, die zum Teil im Aktiengesetz, zum Teil in anderen Gesetzen enthalten sind. Mitglied des Vorstands kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein (§ 76 Abs. 3 Satz 1 AktG). Sie muss jedoch weder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, noch ihren Wohnsitz im Gebiet der Bundesrepublik haben. Auch Ausländer mit Wohnsitz im Ausland können also Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft sein. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für die Bundesrepublik sind keine Voraussetzung für die Bestellung zum Vorstand25; es ist heute für die Bestellung eines Ausländers auch nicht mehr erforderlich, dass dieser jederzeit nach Deutschland einreisen darf26. Nach näherer Maßgabe von § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–3, Satz 3 AktG bestehen Bestellungshindernisse für Personen, die unter Betreuung stehen, einem Berufs- oder Gewerbeverbot unterliegen oder wegen bestimmter Vorsatzstraftaten verurteilt sind.

339

Gemäß § 105 Abs. 1 AktG sind Aufsichtsratsmitglieder vom Vorstandsamt ausgeschlossen; zur Ausnahme des § 105 Abs. 2 AktG vgl. Rz. 471 ff. Bestimmte staatliche Funktionsträger können kraft Verfassungsrechts nicht Vorstand sein27. Beamte bedürfen zur Übernahme des Amtes einer beamtenrechtlichen Genehmigung28. Zum Problem der Vorstandsdoppelmandate im Konzern vgl. Rz. 493.

340

Die Festlegung weiterer Eignungsvoraussetzungen durch die Satzung (z.B. bestimmte Ausbildung, Familienzugehörigkeit, Mindestalter usw.) wird von der zum Aktiengesetz ganz herrschenden Meinung ebenfalls für zulässig gehalten, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die Auswahlfreiheit des Aufsichtsrats nicht aufgehoben werden

341

23 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, 217 = AG 2002, 289; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 105; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 23 Rz. 31; Pentz, MünchKomm. AktG, § 23 Rz. 146; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 19 Rz. 48. 24 OLG Köln v. 17.2.1998 – 22 U 163/97, DB 1998, 1855 ff. = AG 1998, 525; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 105; Kort, Großkomm. AktG, § 76 Rz. 237; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 76 Rz. 111; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 19 Rz. 48. 25 OLG Düsseldorf v. 20.7.1977 – 3 W 147/77, DB 1977, 1840 = GmbHR 1978, 110; OLG Frankfurt a.M. v. 14.3.1977 – 20 W 113/77, NJW 1977, 1595; LG Köln v. 7.10.1983 – 87 T 16/83, GmbHR 1984, 157; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 1; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 76 Rz. 122. 26 OLG München v. 17.12.2009 – 31 Wx 142/09, ZIP 2010, 126 = GmbHR 2010, 210; OLG Düsseldorf v. 16.4.2009 – 3 Wx 85/09, ZIP 2009, 1074 = GmbHR 2009, 776; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 15; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 76 Rz. 122; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 59; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 1. 27 Vgl. z.B. Art. 55 Abs. 2, 66 GG und entsprechende Bestimmungen in den Landesverfassungen. 28 Vgl. z.B. § 99 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BBG und entsprechende Bestimmungen in den Landesbeamtengesetzen.

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§ 7 Rz. 341 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

dürfe29. Der Aufsichtsrat darf nach dieser Ansicht nur solche Personen zum Vorstand bestellen, die die von der Satzung verlangten Eignungsvoraussetzungen erfüllen; zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes vgl. Rz. 360. Für Gesellschaften, die dem Mitbestimmungsgesetz unterfallen, werden vielfach graduell strengere Anforderungen gestellt oder statutarische Eignungsvoraussetzungen ganz abgelehnt, weil andernfalls die Mitbestimmungsbefugnis der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Anteilseigner beeinträchtigt werden könne30. Überzeugender erscheint die Gegenmeinung, die satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen bereits aus aktienrechtlichen Gründen als für den Aufsichtsrat nicht verbindlich ansieht. Danach hat der Aufsichtsrat solche Eignungsvoraussetzungen bei seiner Entscheidungsfindung zwar mit in Erwägung zu ziehen, er darf sich aber nach pflichtgemäßem Ermessen darüber hinwegsetzen31. c) Sachgerechte Ermessensausübung 342

Der Aufsichtsrat hat sich bei der Personalauswahl vom Interesse des Unternehmens und dem Bemühen leiten zu lassen, eine für das Unternehmen bestmögliche Wahl zu treffen. Diese Aufgabe stellt an den Aufsichtsrat große Anforderungen. Es gilt nicht nur, eine fachlich qualifizierte und gesundheitlich geeignete32 Person zu finden, sondern es muss auch untersucht werden, ob diese Person trotz ihrer allgemeinen Qualifikation für das Unternehmen in seiner konkreten Situation und in Anbetracht der konkret anstehenden Aufgaben geeignet ist. Dabei ist die Zahl guter Manager begrenzt. Dem Aufsichtsrat erwächst daraus die Verpflichtung, den Markt möglicher Führungskräfte im eigenen Unternehmen laufend zu beobachten. Künftige Vakanzen im Vorstand müssen vorbedacht, in Aussicht genommene interne Kandidaten über einen längeren Zeitraum beobachtet, mögliche Alternativlösungen erwogen werden. Nur so kann sich der Aufsichtsrat ein zuverlässiges Urteil bilden. Die Auswahl des Vorstands erfordert also eine sorgfältige Analyse der unternehmerischen Bedürfnisse und langfristige Planung33. Dementsprechend empfiehlt B.2 des Kodex mit Recht, dass der Aufsichtsrat gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen soll; die Vorgehensweise soll in der Erklärung zur Unternehmensführung beschrieben werden. Zur Verpflichtung des Aufsichtsrats, sich bei seiner Entscheidung mit dem amtierenden Vorstand abzustimmen, vgl. Rz. 336. 29 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 60; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 76 Rz. 37; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 76 Rz. 126 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 76 Rz. 110; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 6. 30 Vgl. dazu Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 10 ff.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 9 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 60. 31 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 116; Krieger, Personalentscheidungen, S. 13 ff.; Behme/Zickgraf, AG 2015, 841, 846 f.; ausführlich Hommelhoff, BB 1977, 322 ff. 32 Zur Beurteilung des Gesundheitszustands näher Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069 f. 33 Lutter, AG 1979, 85, 90; ausführlich Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 4 ff.; Krieger, Personalentscheidungen, S. 22 ff. Zu den Wegen der Vorstandsrekrutierung (intern vs. extern) eingehend Zimmermann, zfbf 62 (2010), 160.

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Bestellung | Rz. 344 § 7

Der Aufsichtsrat hat bei der Bestellung von Vorstandsmitgliedern die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu beachten (§ 6 Abs. 3 AGG)34. Das gilt nach h.M. auch dann, wenn über die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds nach Ablauf seiner Amtszeit entschieden wird35. Es gelten also bei der Vorstandsbesetzung das Verbot der Benachteiligung eines Bewerbers aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität (§§ 7 Abs. 1, 1 AGG), die Beweiserleichterung nach § 22 AGG und die Schadensersatzpflicht nach § 15 Abs. 1 AGG36.

343

Der Aufsichtsrat einer börsennotierten oder der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft hat für den Frauenanteil im Vorstand eine Zielgröße festzulegen (§ 111 Abs. 5 Satz 1 AktG). Die Regelung soll die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen der Wirtschaft fördern; sie findet für die Besetzung der beiden Führungspositionen unterhalb des Vorstands eine Parallele in § 76 Abs. 4 AktG und für die Besetzung des Aufsichtsrats in § 96 Abs. 2 AktG37. In den Anwendungsbereich der Regelung fallen alle börsennotierten Gesellschaften i.S. von § 3 Abs. 2 AktG und alle Gesellschaften, die der Mitbestimmung unterliegen. Dafür genügt jede gesetzliche Form der Unternehmensmitbestimmung (MitbestG, DrittelBG usw.), nicht jedoch die betriebliche Mitbestimmung nach dem BetrVG38 und auch nicht eine freiwillige Mitbestimmung im Aufsichtsrat39. Ist ein mitbestimmter Aufsichtsrat zu Unrecht nicht gebildet worden, greift § 111 Abs. 5 AktG nicht ein40. Die Zielgröße kann als Prozentsatz oder als Kopfzahl festgelegt werden41. Ihre Höhe bestimmt der Aufsichtsrat nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Quote kann auch bei Null festgelegt werden42. Das Gesetz enthält allerdings in § 111 Abs. 5 Satz 2 AktG

344

34 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 19; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 63; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 30; Kort, WM 2013, 1049, zum früheren Streit, ob das AGG nur den Abschluss des Anstellungsvertrags oder auch die Bestellung betreffe, vgl. nur Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 922 m.w.N. 35 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 20 ff.; Thüsing, MünchKomm. BGB, § 2 AGG Rz. 7; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, Komm. AGG, § 6 Rz. 77; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; vgl. auch EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ZIP 2010, 2414 = AG 2011, 165 (Danosa); a.A. Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 346 ff.; Lutter, BB 2007, 725, 728 f.; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329. 36 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 26 f., 60 ff.; näher etwa Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1297 f., 1299; Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 924 f. 37 Eingeführt durch das Gesetz für gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen vom 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. 38 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 56; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2014, 1214 Rz. 100; Hohenstatt/Willemsen/Naber, ZIP 2014, 2220, 2221. 39 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 67; Röder/Arnold, NZG 2015, 1281, 1283. 40 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 56; Fromholzer/Simons, AG 2015, 447, 458; Röder/ Arnold, NZG 2015, 1281, 1282 f. 41 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 57 i.V.m. § 76 Rz. 69; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 76 Rz. 47. 42 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 57; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 67 f.; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 295 f.; einschränkend Weller/Benz,

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§ 7 Rz. 344 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

ein systematisch verfehltes43 Verschlechterungsverbot: liegt der Frauenanteil im Vorstand bei Festlegung der Zielgröße über Null, aber unter 30 %, darf die erreichte Quote als Zielgröße nicht mehr unterschritten werden; übertrifft der erreichte Frauenanteil die 30 %-Quote, gilt dieses Verschlechterungsverbot nicht mehr, so dass der Aufsichtsrat bei der nächsten Festlegung der Zielgröße wieder frei ist44. Aus dem Verschlechterungsverbot wollen Einzelstimmen in der Literatur ableiten, bis zur Erreichung einer Frauenquote von mindestens 30 % müsse die Zielgröße stets höher liegen als die erreichte Quote45; eine derartige Verbesserungspflicht lässt sich dem Gesetz aber nicht entnehmen46. Mit der Zielgröße ist eine Frist festzulegen, innerhalb derer die Zielgröße erreicht werden soll; die Frist darf nicht länger als fünf Jahre sein (§ 111 Abs. 5 Satz 3 und 4 AktG). Die festgelegte Zielgröße und die Frist sind nach näherer Maßgabe von § 289f Abs. 2 Nr. 4, Abs. 4 HGB zu veröffentlichen, in aller Regel in der Erklärung zur Unternehmensführung als Teil des Lageberichts; zusätzlich ist anzugeben, ob die festgelegten Zielgrößen während des Bezugszeitraums erreicht worden sind, und wenn nicht, sind Angaben zu den Gründen zu machen. 345

Außer der damit verbundenen Publizitätswirkung ist eine Verfehlung der Zielgröße sanktionslos. Der Aufsichtsrat ist nicht verpflichtet, sich um die Erreichung der Zielgröße zu bemühen, und er ist weder schadensersatzpflichtig, noch ist die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder anfechtbar, wenn er sich um die Erreichung der Frauenquote nicht ausreichend bemüht47. Schon vor der gesetzlichen Regelung hatte der Kodex in Ziff. 5.1.2 Abs. 1 Satz 2 die Empfehlung enthalten, „auch auf Vielfalt (Diversity) zu achten und dabei insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen anzustreben“; die aktuelle Fassung des Kodex hat sich an die neue gesetzliche Regelung angepasst und beschränkt sich jetzt in B.1 auf die Empfehlung, bei der Zusammensetzung des Vorstands auf die Diversität zu achten. Sowohl bei der gesetzlichen Regelung zur Frauenquote als auch bei der Kodexempfehlung muss beachtet werden, dass der Aufsichtsrat sich bei einer konkreten Besetzungsentscheidung allein am Unternehmensinteresse orientieren darf48. Letztlich entscheidend bleibt deshalb die Qualifikation für die konkret zu besetzende Position mit dem Ziel einer bestmöglichen Besetzung des Vorstands. Dazu gehört es, unterschiedliche berufliche Kennt-

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AG 2015, 467, 471, die eine Zielgröße von Null nur in Ausnahmesituationen zulassen wollen. Zur Entstehungsgeschichte instruktiv Seibert, NZG 2016, 16, 18. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 57 i.V.m. § 76 Rz. 69; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 460. Teichmann/Rüb, BB 2015, 898, 903. Ablehnend mit Recht auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 69; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 67 f.; Drygala, NZG 2015, 1129, 1131 ff. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 58 i.V.m. § 76 Rz. 72; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 76 Rz. 50; Fromholzer/Simons, AG 2015, 437, 466; im Ergebnis auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 111 Rz. 67i ff., der zwar eine Amtspflichtverletzung des Aufsichtsrats für möglich hält, eine Schadensersatzpflicht jedoch mangels Schadens und einer Entlastungsanfechtung mangels hinreichenden Gewichts der Pflichtverletzung verneint; a.A. hingegen Weller/Benz, AG 2015, 467, 472; Stüber, DStR 2015, 947, 954; Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123. Zutreffend Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1240.

Bestellung | Rz. 346 § 7

nisse und Erfahrungen für das Gremium nutzbar zu machen, je nach Tätigkeitsbereich des Unternehmens kann auch Internationalität der Vorstandsmitglieder ein Qualifikationsmerkmal sein. Das Geschlecht und erst recht andere Diversitätsmerkmale wie z.B. Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder religiöse Einstellung sind als konkrete Auswahlkriterien hingegen in aller Regel verfehlt; eine hieran orientierte Auswahl benachteiligt zugleich andere Bewerber, weil ihnen entsprechende Merkmale fehlen, und verstößt damit gegen die Vorschriften des AGG. Ein zur Zeit noch nicht offiziell veröffentlichter, aber von interessierter Seite gestreuter Referentenentwurf der Bundesministerien für Familie und für Justiz für ein Zweites Führungspositionen-Gesetz (FüPoG II) zielt neuerdings u.a. darauf ab, für paritätisch mitbestimmte, börsennotierte Unternehmen anzuordnen, dass dem Vorstand, wenn er aus mehr als drei Personen besteht, mindestens eine Frau angehören muss. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser parteipolitisch umstrittene, verfassungsrechtlich fragwürdige und von den maßgeblichen Wirtschaftsverbänden zu Recht als massiver Eingriff in die unternehmerische Freiheit abgelehnter Vorstoß durchsetzen wird.

345a

B.5 des Kodex empfiehlt des Weiteren, eine Altersgrenze für Vorstandsmitglieder festzulegen und diese in der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f HGB) anzugeben. In der Praxis wird von dieser Empfehlung vielfach abgewichen49, wo ihr gefolgt wird, wird im Allgemeinen ein Alter zwischen 58 und 65 Jahren gewählt. Die Festsetzung muss nicht in Form einer strikten für jede Vorstandsbestellung geltenden Altersgrenze geschehen, sondern der Kodexempfehlung genügt auch die Festlegung einer Regelaltersgrenze, die im Einzelfall aber durchbrochen werden kann; eine einmalige Abweichung von einer derartigen Regelaltersbegrenzung macht dann keine Einschränkung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG nötig50. Nach §§ 8, 10 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nur in den Grenzen dieser Vorschriften zulässig. Danach können insbesondere betriebs- und unternehmensbezogene Interessen eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters rechtfertigen (§ 10 Satz 1 AGG)51. Damit dürfte es sich vereinbaren lassen, entsprechend der Empfehlung B.5 des Kodex eine Altersgrenze für Vorstandsmitglieder festzulegen, auch wenn diese unterhalb des allgemeinen Renteneintrittsalters liegt52; die Zahlung einer Altersversorgung oder eines Übergangsgeldes sollte dafür nicht erforderlich

346

49 Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1255. 50 Vgl. etwa Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1254. Für Abweichungen von einer Regelaltersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder auch OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133, 135 = AG 2009, 294 (MAN); Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1325. 51 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 54; Bauer/ Arnold, ZIP 2012, 597, 600; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1298 f. 52 Ausdrücklich offengelassen von BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 57; wie hier Lutter, BB 2007, 725, 730 (58 Jahre zulässig); Bauer/ Arnold, ZIP 2008, 993, 1000; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 599 ff.; Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 365 f.; Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1256 (60 Jahre, aber auch darunterliegende Altersgrenze möglich); enger Hohenstatt/ Naber, ZIP 2012, 1989, 1995 f.; a.A. Ziemons, KSzW 01.2013, 19, 23 f.

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§ 7 Rz. 346 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

sein53. Für Erstbestellungen wird man auch deutlich niedrigere Altersgrenzen akzeptieren müssen (vgl. auch § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG)54. Nach Ansicht des BGH soll es für die Ablehnung der Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds hingegen nicht ausreichen, dass die Gesellschaft den Wunsch hat, ihr Vorstandsmitglied auf eine volle Fünf-Jahresperiode zu bestellen, der Betreffende aber vor Ablauf dieses Zeitraums das allgemeine Renteneintrittsalter erreichen würde55; das erscheint nicht überzeugend. Insgesamt ist es sachgerecht, bei dieser Frage ein unternehmerisches Ermessen des Aufsichtsrats anzuerkennen56. 3. Beschlussfassung a) Allgemeine Wahlgrundsätze 347

Jedes Aufsichtsratsmitglied ist befugt, Beschlussanträge zu stellen, über die der Aufsichtsrat abstimmen muss; daher kann auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats Wahlvorschläge machen und darüber eine Beschlussfassung verlangen57. Die Satzung kann dieses Recht nicht einschränken58. Ein entsprechendes Wahlantragsrecht anderer Organe oder Dritter besteht hingegen nicht; es kann auch nicht durch die Satzung oder auf andere Weise geschaffen werden.

348

In der mitbestimmungsfreien AG erfolgt die Wahl durch einen mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefassten Beschluss. Es gelten dafür die allgemeinen Regeln über Beschlussfassungen des Aufsichtsrats; vgl. dazu Rz.715 ff. Die Satzung kann keine höhere Mehrheit oder zusätzliche Anforderungen vorschreiben59. Sind mehrere Vorstandspositionen zu besetzen, ist für jede gesondert zu wählen; Listenwahlen sind wegen der damit verbundenen Beschränkung der Auswahlfreiheit unzulässig60.

53 So aber Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 65; offen OLG Hamm v. 19.6.2017 – 8 U 18/17, ZIP 2017, 1665 Rz. 35 ff. („jedenfalls dann zulässig, wenn ...“); vgl. auch Spindler, MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 32 (Übergangs- oder Ruhegeld als „weiterer Rechtfertigungsgrund“). 54 Zutreffend Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 925 (50 Jahre); Arnold/Romero, NZG 2019, 930, 933; zu eng Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994 (3 Jahre vor dem Rentenalter). 55 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845 Rz. 56; a.A. Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 644. 56 OLG Köln v. 29.7.2010 – 18 U 196/09, NZG 2011, 187 Rz. 79; Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 644; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1299; Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 925. 57 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 17; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 13. 58 A.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 31 Rz. 7, die es für zulässig halten, das Antragsrecht an die Unterstützung durch ein zweites Aufsichtsratsmitglied zu binden; wie hier Krieger, Personalentscheidungen, S. 89 f. m.w.N. 59 Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 10; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 20; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 19. 60 Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshdb. für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rz. 44; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 19; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 9; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 17.

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Bestellung | Rz. 351 § 7

Stimmberechtigt ist jedes Aufsichtsratsmitglied, nach zutreffender, aber sehr umstrittener Ansicht auch das selbst zur Wahl vorgeschlagene61. b) Wahlverfahren nach § 31 MitbestG Für mitbestimmte Gesellschaften schreibt § 31 MitbestG ein abgestuftes Kompromissverfahren mit drei Wahlgängen und einem zwischengeschalteten Vermittlungsverfahren vor. Damit soll bei der Vorstandsbestellung die Mitwirkung beider Seiten im Aufsichtsrat in besonderem Maße sichergestellt werden. Das Verfahren hat wenig praktische Bedeutung, weil zumeist eine einvernehmliche Entscheidung gelingt.

349

Im ersten Wahlgang bedarf es zur Wahl der Mehrheit von 2/3 der Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 31 Abs. 2 MitbestG). Die Mehrheit berechnet sich nicht nach der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern nach der Zahl der Mitglieder, die dem Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Beschlussfassung angehören (Ist-Stärke)62. Eine Wahl mit dieser Mehrheit bleibt auch im weiteren Verfahrensverlauf stets möglich. Auch wenn also die im ersten Wahlgang erforderliche Mehrheit zunächst nicht erreicht wurde und bereits der Vermittlungsausschuss (Rz. 351) tätig ist, kann jederzeit eine Wahl mit der im ersten Wahlgang nötigen Mehrheit erfolgen.

350

Verfehlt eine Abstimmung diese Mehrheit, hat der nach § 27 Abs. 3 MitbestG gebildete, regelmäßig aus je zwei Aufsichtsratsmitgliedern beider Seiten bestehende Vermittlungsausschuss innerhalb eines Monats einen Kompromissvorschlag zu machen (§ 31 Abs. 3 Satz 1 MitbestG). Dieser Kompromissversuch ist zwingend. Weder die Satzung noch der Aufsichtsrat können darauf verzichten oder die Frist verkürzen63. Allerdings kann der Ausschuss selbst das Vermittlungsverfahren vor Ablauf der Monatsfrist beenden, indem er beschließt, er sei zu einem Vermittlungsvorschlag außerstande64. Die Gegenmeinung folgert aus dem Zweck der Monatsfrist, Kompromisse

351

61 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 67; Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 108 Rz. 11; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 70; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 6; Gach, MünchKomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 9; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 13; Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 230 ff., 238 ff.; Mertens, ZGR 1983, 189, 203 ff.; a.A. – Stimmverbot analog § 34 BGB – Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 18a; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 19; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 35; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 9; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 20; ähnlich Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 10 (Pflicht zur Stimmenthaltung). 62 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 19; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 14. 63 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 16; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 20; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 8. 64 OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, ZIP 2015, 519 Rz. 13 (zumindest bei einstimmiger Beschlussfassung); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 6; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 22; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 20; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 9; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 41.

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§ 7 Rz. 351 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

zu fördern, dass man die Frist als Sperrfrist verstehen müsse, vor deren Ablauf eine Beschlussfassung mit der niedrigeren Mehrheit nach § 31 Abs. 3 Satz 2 MitbestG in keinem Fall möglich sei65; wenn der Ausschuss seine Kompromissunfähigkeit festgestellt hat, kann die Frist ihren Zweck aber ohnehin nicht mehr erfüllen. Unabhängig von dem laufenden Vermittlungsverfahren bleibt es stets möglich, eine Wahl mit der Mehrheit des ersten Wahlgangs vorzunehmen. Die Monatsfrist beginnt, sobald eine Abstimmung die 2/3-Mehrheit nach § 31 Abs. 2 MitbestG verfehlt hat. Eine förmliche Feststellung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder den Aufsichtsrat, dass der erste Wahlgang erfolglos beendet sei, ist für den Fristbeginn nicht erforderlich66. Der Vermittlungsausschuss beschließt mit einfacher Mehrheit67. Ein Zweitstimmrecht in Pattsituationen steht keinem der Ausschussmitglieder zu und kann auch nicht durch Satzung oder Aufsichtsratsbeschluss geschaffen werden68. Beschlussfähig ist der Ausschuss nur bei Teilnahme aller vier Mitglieder69. Beschlussunfähigkeit des Ausschusses hindert den Ablauf der Monatsfrist nicht. Das gilt auch dann, wenn die Beschlussunfähigkeit darauf beruht, dass der Ausschuss unvollständig besetzt ist70; eine gerichtliche Bestellung des fehlenden Mitglieds analog § 104 Abs. 2 AktG ist nicht möglich71. 352

Gelangt der Ausschuss zu einem Vorschlag, kann dieser im zweiten Wahlgang gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 MitbestG mit der absoluten Mehrheit der Stimmen der Aufsichtsratsmitglieder gewählt werden. Für die Berechnung der Mehrheit kommt es auch hier nicht auf die abgegebenen Stimmen an, sondern auf die Stimmen aller Mitglieder, die dem Aufsichtsrat zum Zeitpunkt der Beschlussfassung angehören (IstStärke). Mit dem Vorschlag des Ausschusses können dem Plenum andere Beschluss65 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 16. 66 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 18; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 15; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 31 Rz. 14. 67 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 42; Gach, MünchKomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 13. 68 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 147 f.; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 42; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 377 m.w.N.; a.A. OLG München v. 29.4.1981 – 20 U 1464/80, AG 1981, 348. 69 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 36; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 42; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 23; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 36; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 33; a.A., zwei Mitglieder ausreichend: Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 208; Hoffmann/ Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 47; wohl auch Rittner in FS Fischer, 1979, S. 627, 632; drei Mitglieder ausreichend: Meilicke/Meilicke, Komm. MitbestG, §§ 30, 31 Rz. 3.2. 70 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 16; a.A. Rittner in FS Fischer, 1979, S. 629, 630 ff., der annimmt, das Bestellungsverfahren verharre in einem solchen Fall zwingend auf der Verfahrensstufe des § 31 Abs. 2 MitbestG. 71 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 30; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 35; Gach, MünchKomm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 23; a.A. Rittner in FS Fischer, 1979, S. 627, 633.

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Bestellung | Rz. 354 § 7

vorschläge unterbreitet werden, für welche dann ebenfalls die absolute Mehrheit genügt. Gelangt der Ausschuss zu keinem Vorschlag, kann nach Ablauf der Monatsfrist auch allein über andere Anträge mit absoluter Mehrheit beschlossen werden72. Liegt nach Ablauf der Monatsfrist kein Vorschlag vor, kann der Aufsichtsrat mit Zustimmung sämtlicher Mitglieder das Verfahren abbrechen, um es später erneut zu beginnen73. Das muss aber nicht geschehen, sondern es bleibt eine Wahl mit der Mehrheit des zweiten Wahlgangs auch für später benannte Bewerber möglich74. Führt auch die Abstimmung im zweiten Wahlgang zu keinem positiven Ergebnis, schließt sich der dritte Wahlgang nach § 31 Abs. 4 MitbestG an: Bei einer weiteren Abstimmung bedarf es nach wie vor der absoluten Mehrheit der Ist-Stärke des Aufsichtsrats, dem Vorsitzenden steht jedoch eine Zweitstimme zu. Auch in diesem Verfahrensstadium ist es wiederum zulässig, neue Vorschläge zu unterbreiten75. Der Aufsichtsrat muss keinen dritten Wahlgang durchführen, sondern kann mit Zustimmung aller Mitglieder das Verfahren abbrechen, um es später neu zu beginnen76. Geschieht das nicht, kann über neue Vorschläge jedes Aufsichtsratsmitglied eine Abstimmung verlangen77. Ob über die alten Anträge erneut abgestimmt wird, entscheidet hingegen der Aufsichtsratsvorsitzende, mit Mehrheitsbeschluss des Aufsichtsrats kann jedoch eine erneute Abstimmung angeordnet werden78.

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Kommt es zu einer Abstimmung im dritten Wahlgang, hat der Aufsichtsratsvorsitzende zwei Stimmen. Die Zweitstimme dient der Überwindung von Pattsituationen. Der Aufsichtsratsvorsitzende kann sie deshalb richtigerweise nicht abgeben, um mit ihr eine Stimmengleichheit erst herbeizuführen79. Sind z.B. 10 Stimmen für einen

354

72 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 21; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 10. 73 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 44. 74 Krieger, Personalentscheidungen, S. 107 f.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 16; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 7. 75 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 45; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 18; Gach, MünchKomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 17; a.A. Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 298 ff. 76 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 44; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 44; großzügiger Gach, MünchKomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 17, der einen Mehrheitsbeschluss über den Abbruch des Bestellungsverfahrens zulässt. 77 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 18; Krieger, Personalentscheidungen, S. 109. 78 Ebenso Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 13; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 18; Krieger, Personalentscheidungen, S. 109 ff. 79 Umstr., wie hier z.B. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 17; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 46; Krieger, Personalentscheidungen, S. 113 ff.; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 286 f., alle m.w.N.; a.A. die h.M. Habersack in Habersack/Henssler,

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§ 7 Rz. 354 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

Kandidaten abgegeben worden und 9 Stimmen gegen ihn, so ist der Betreffende gewählt; der Aufsichtsratsvorsitzende kann die Wahl nicht dadurch verhindern, dass er mit der Zweitstimme gegen den Bewerber stimmt und damit Stimmengleichheit herbeiführt. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist weder verpflichtet, die Zweitstimme überhaupt abzugeben80, noch trifft ihn die Pflicht zu gleichzeitiger oder einheitlicher81 Abgabe seiner beiden Stimmen. Er kann vielmehr auf den Einsatz der Zweitstimme verzichten, wenn er das für richtig hält, er kann sie gleichzeitig mit der Erststimme abgeben oder erst einmal abwarten, welches Stimmergebnis ohne die Zweitstimme erreicht wird, und er kann mit der Zweitstimme für Ja stimmen, wenn er mit der Erststimme für Nein gestimmt hat (und umgekehrt). Die Zweitstimme kann schriftlich abgegeben werden (§ 31 Abs. 4 Satz 2 MitbestG, § 108 Abs. 3 AktG). Sie steht nur dem Aufsichtsratsvorsitzenden persönlich zu, nicht seinem Stellvertreter (§ 31 Abs. 4 Satz 3 MitbestG). 4. Fragen der Amtszeit a) Dauer der Bestellung 355

Vorstandsmitglieder können höchstens auf 5 Jahre bestellt werden (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Spätestens nach Ablauf dieser Zeit soll der Aufsichtsrat erneut in freier Entschließung über die weitere Besetzung des Vorstands befinden. Die 5-Jahres-Frist beginnt mit der Amtszeit, nicht mit dem Bestellungsbeschluss; dieser kann schon früher gefasst werden, vgl. Rz. 358. Eine auf längere Zeit bemessene Bestellung wird nach Ablauf von 5 Jahren unwirksam, ist bis dahin aber wirksam (§§ 134, 139 BGB)82. Eine auf unbestimmte Zeit bemessene Vorstandsbestellung ist in aller Regel als Bestellung auf die übliche Amtszeit von 5 Jahren auszulegen83.

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Die Bemessung der Amtszeit im Einzelfall liegt bis zu der gesetzlichen Höchstdauer im Ermessen des Aufsichtsrats. Wie für die Personalauswahl selbst ist er auch für die Festlegung der Amtszeit zwingend allein zuständig84; anders als bei der SE (vgl. Art. 46 SE-VO) kann auch die Satzung die Amtszeit der Vorstandsmitglieder nicht zwingend regeln. Eine Mindestdauer der Bestellung sieht das Gesetz nicht vor. Da

80 81 82 83 84

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Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 22; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 15; Gach, MünchKomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 18; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 8. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 18; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 23. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 18; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 23. BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 195; BGH v. 16.11.1961 – II ZR 81/60, WM 1962, 109, 112; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 13; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 34. OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 600; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 16; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 34; öOGH v. 25.5.1999 – 1 Ob 11/99w, AG 2001, 100, 102. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 17; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 44; Krieger, Personalentscheidungen, S. 117 f. m.w.N.; a.A. Luther in FS Hengeler, 1972, S. 167, 180.

Bestellung | Rz. 357 § 7

der Vorstand die Gesellschaft unabhängig und eigenverantwortlich leiten soll, darf er aber nicht durch zu kurzfristige Bestellung in seiner Unabhängigkeit gefährdet werden85. In der Praxis sind Vorstandsbestellungen auf weniger als 3–5 Jahre die Ausnahme. Diese praktisch vernünftig bemessene Amtszeit sollte man auch als die für eine eigenverantwortliche und unabhängige Unternehmensleitung rechtlich erforderliche Regeldauer verstehen. Von ihr kann im Einzelfall zwar abgewichen werden, je weiter der Aufsichtsrat sich von ihr aber entfernt, um so mehr bedarf es der sachlichen Rechtfertigung86. Eine kürzere Amtsdauer kann für die erste Bestellungsperiode sachgerecht sein, muss es aber nicht. Die gelegentlich vertretene Ansicht, eine „Erstbestellung“ sei auf maximal 3 Jahre zu bemessen87, und die neue Empfehlung B.3 des Kodex, wonach eine Erstbestellung „für längstens drei Jahre“ erfolgen soll88, sind zu pauschal, um den Gegebenheiten des Einzelfalls gerecht werden zu können, sondern beeinträchtigen die für eine sachgerechte Personalauswahl erforderliche Flexibilität des Aufsichtsrats. Das gilt erst recht, wenn, wie wohl anzunehmen ist, der unklare Begriff „Erstbestellung“ die erste Bestellung in ein Vorstandsamt bei der jeweiligen Gesellschaft meint und das Postulat der maximal dreijährigen Erstbestellung deshalb selbst dann gelten soll, wenn ein erfahrenes Vorstandsmitglied aus einem anderen Unternehmen gewonnen werden soll. Daneben finden sich kürzere Bestellungsperioden vornehmlich bei einer letztmaligen Bestellung vor Eintritt in den Ruhestand. Eine Bestellung auf weniger als ein Jahr ist, außer in bloßen Überbrückungsfällen oder zur Erledigung einer zeitlich beschränkten Sonderaufgabe (z.B. Restrukturierung, Produkteinführung u.Ä.), in aller Regel unzulässig89. Eine zu kurze Bestellung stellt eine Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats dar, sie ist jedoch wirksam und verlängert sich auch nicht auf einen angemessenen Zeitraum90. b) Verlängerung der Amtszeit Für eine Verlängerung der Amtszeit oder die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds nach Ablauf seiner Amtsperiode gelten die gleichen Grundsätze wie für die 85 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 24; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 65; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 35. 86 Krieger, Personalentscheidungen, S. 118 ff.; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 139. 87 Für eine dreijährige Höchstfrist bei Erstbestellungen Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 14; Fleischer, AG 2006, 429, 436. Kritisch gegenüber Erstbestellungen von 5 Jahren auch Peltzer in Semler/Peltzer/Kubis, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, § 2 Rz. 77; Hopt in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 29. 88 Vgl. demgegenüber noch Ziff. 5.1.2 Abs. 2 Satz 1 Kodex 2017 mit der weitaus sinnvolleren Anregung, dass bei Erstbestellungen eine Bestelldauer von Jahren „nicht die Regel“ sein sollte. 89 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 24; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 43; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 66. Zur vorübergehenden Tätigkeit von Interim-Managern im Vorstand ausführlich Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 707. 90 OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 374; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 24; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 43.

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§ 7 Rz. 357 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

erstmalige Bestellung. Erforderlich ist eine ausdrückliche Beschlussfassung (§ 84 Abs. 1 Satz 3 und 4 AktG), die dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten ist (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG) und in mitbestimmten Gesellschaften den Anforderungen des § 31 MitbestG unterliegt. Der Aufsichtsrat ist in seiner Entscheidung ebenso frei wie bei einer erstmaligen Bestellung. Er kann sich grundsätzlich nicht zu einer Wiederbestellung verpflichten91; auch Verträge, durch die Aktionäre einem Vorstandsmitglied zusagen, für seine Wiederbestellung zu sorgen, binden nicht92. Wenn allerdings die ursprüngliche Bestellungsdauer unter 5 Jahren lag, kann der Aufsichtsrat eine Verpflichtung zu einer späteren Verlängerung der Bestellung bis zu einer Gesamtamtszeit von 5 Jahren übernehmen93. Eine automatische Verlängerung der Amtszeit ohne erneute Beschlussfassung des Aufsichtsrats kann vorgesehen werden, sofern dadurch die Gesamtamtszeit nicht mehr als 5 Jahre beträgt (§ 84 Abs. 1 Satz 4 AktG). 358

Eine Verlängerung der Amtszeit kann frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit beschlossen werden (§ 84 Abs. 1 Satz 3 AktG). Das gilt aber nur für Verlängerungen über die 5-Jahres-Grenze hinaus. Hingegen verbietet § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG es nicht, eine kürzere Bestellungsperiode auch mehr als 1 Jahr vor ihrem Ende auf 5 Jahre zu verlängern94. Ebenso ist es zulässig, die laufende Bestellung auch früher als ein Jahr vor ihrem Ablauf einvernehmlich aufzuheben und zugleich eine Wiederbestellung auf bis zu 5 Jahre vorzunehmen. Letzteres wurde in der Vergangenheit teilweise als generell unzulässig95 oder nur bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig angesehen96. Der Bundesgerichtshof hat sich jedoch mit überzeugender Begründung der Meinung angeschlossen, dass die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds nach einverständlicher Amtsniederlegung auch früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer grundsätzlich zulässig ist, auch wenn keine besonderen Gründe für diese Vorgehensweise vorliegen97. Die Aufhebung und Neubestellung muss bei dieser Vorgehensweise nicht mit sofortiger Wirkung erfolgen, sondern es ist auch zulässig, sie bereits bis zu einem Jahr vorher zu beschließen, so dass die alte 91 Allgemeine Meinung, vgl. BGH v. 11.7.1951 – II ZR 118/50, BGHZ 3, 90, 93 f.; BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 195; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 290; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 19; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 51. 92 Vgl. schon Rz. 335. 93 Arg. § 84 Abs. 1 Satz 4 AktG; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 54; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 37; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 19; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 111. 94 Rahlmeyer, NZG 2018, 1408 f. 95 So z.B. OLG Zweibrücken v. 3.2.2011 – 4 U 76/10, AG 2011, 304 = ZIP 2011, 617; AG Duisburg v. 10.7.2008 – 62 IN 167/02, NZI 2008, 621, 622; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 23; Spindler, MünchKomm. AktG, 3. Aufl., § 84 Rz. 44. 96 Z.B. Priester, ZIP 2012, 1781, 1783. 97 BGH v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677 Rz. 19 ff.; zustimmend die heute ganz h.M., z.B. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 8; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 50; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 26 f.; Wedemann, ZGR 2013, 316, 319 ff.; Paschos/von der Linden, AG 2012, 736, 738 f.; so auch früher schon etwa Bosse/Hinderer, NZG 2011, 605, 607; Selter, NZG 2011, 897, 898 f.; Fleischer, DB 2011, 861, 863 ff.; ablehnend weiterhin Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 50.

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Bestellung | Rz. 360 § 7

Amtszeit zunächst noch ein Jahr weiterläuft, bevor sich die neue anschließt98. B.4 des Kodex empfiehlt, den geschilderten Weg nur bei Vorliegen besonderer Umstände zu beschreiten. Solche Umstände können insbesondere die Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden oder die Zuweisung eines neuen Ressorts sein, es sind aber auch sonstige Umstände denkbar, die ein besonderes Interesse der Gesellschaft daran begründen, das Vorstandsmitglied vorzeitig noch einmal für die volle Amtsperiode von fünf Jahren an sich zu binden. Die vorzeitige Aufhebung und Wiederbestellung ist unwirksam, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt99. Das kann etwa in Betracht kommen, wenn die vorzeitige Verlängerung bei bevorstehenden Veränderungen im Aufsichtsrat dazu dient, die Position der Vorstandsmitglieder bei Ausscheidensverhandlungen mit dem neuen Aufsichtsrat zu verbessern100 oder ein Übernahmeangebot zu verhindern101. Auch eine routinemäßige jährliche Neubestellung des Vorstands wäre ein Missbrauchsfall102. Entsprechend § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG können auch Neubestellungen nicht früher als 1 Jahr vor Amtsbeginn erfolgen103.

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5. Mängel der Bestellung Die Vorstandsbestellung ist nichtig, wenn der zugrundeliegende Aufsichtsratsbeschluss wegen Mängeln seines Zustandekommens nichtig ist (vgl. dazu Rz. 739 ff.). Sie ist ferner nichtig, wenn gesetzliche Amtsvoraussetzungen nicht erfüllt sind104; fallen sie später weg, erlischt das Vorstandsamt automatisch105. Das Fehlen oder der Wegfall einer satzungsmäßigen Eignungsvoraussetzung soll das Recht begründen, die Bestellung aus wichtigem Grund zu widerrufen106. Dem ist in dieser Allgemeinheit nicht zu folgen. Da satzungsmäßige Eignungsvoraussetzungen für den Auf98 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 27; Hölters/Weber, AG 2005, 629, 632; Krieger, Personalentscheidungen, S. 127. 99 BGH v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677 Rz. 30 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 8; Spindler, MünchKomm. AktG. § 84 Rz. 50; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 27. 100 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 50; Wedemann, ZGR 2013, 316, 326; auf die missbräuchliche Motivation abstellend auch BGH v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677 Rz. 31 f.; Paschos/von der Linden, AG 2012, 736, 739. 101 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 8; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 50; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 75. 102 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 23; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 19; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 27; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 3 Rz. 75: a.A. Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 50. 103 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 15; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 3; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 37. 104 OLG Hamm v. 20.12.2010 – 15 W 659/10, ZIP 2011, 527; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 122, 126; Kort, Großkomm. AktG, § 76 Rz. 265. 105 BayObLG v. 16.7.1982 – BReg 3 Z 74/82, BB 1982, 1508; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 126; Kort, Großkomm. AktG, § 76 Rz. 265. 106 Kort, Großkomm. AktG, § 76 Rz. 277; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 36; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 44; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 9.

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360

§ 7 Rz. 360 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

sichtsrat nur eine unverbindliche Auswahlrichtlinie sind (vgl. Rz. 341), kommt es ganz auf den Einzelfall an, ob ihr Fehlen ein solches Gewicht hat, dass darin ein wichtiger Widerrufsgrund liegt107. 361

Soweit die Vorstandsbestellung nichtig ist, kann dieser Mangel nur mit Wirkung für die Zukunft geltend gemacht werden, für die Vergangenheit ist die fehlerhafte Organstellung als wirksam anzusehen108. Die fehlerhafte Organstellung endet ohne weiteres, sobald die Unwirksamkeit der Bestellung durch Abberufungsbeschluss oder Amtsniederlegung geltend gemacht wird109. Der Aufsichtsrat ist in aller Regel gehalten, die fehlerhafte Vorstandsbestellung unverzüglich zu beenden, sei es durch Abberufung, sei es durch Behebung des Mangels. Der Abberufungsbeschluss kann nicht einem Ausschuss überlassen werden110. In mitbestimmten Gesellschaften bedarf er nicht des Verfahrens nach § 31 Abs. 2–4 MitbestG111. 6. Beendigung der Bestellung a) Allgemeines

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Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied vor Ablauf der regulären Amtszeit widerrufen, sofern dafür ein wichtiger Grund vorliegt (Abberufung). Daneben bestehen die für die Praxis wichtigen, gesetzlich jedoch nicht geregelten Möglichkeiten der einvernehmlichen Beendigung des Vorstandsamtes, der Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied und der vorübergehenden Suspendierung.

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Die Organstellung des Vorstandsmitglieds findet mit der Abberufung ihr Ende; Vertretungsmacht sowie Geschäftsführungsrecht und -pflicht erlöschen. Das Schicksal des Anstellungsvertrags bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften (§ 84 Abs. 3 Satz 5 AktG); vgl. dazu Rz. 436 ff.

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Ebenso wie das Bestellungsrecht steht auch das Abberufungsrecht ausschließlich dem Aufsichtsrat zu. Es kann weder ausgeschlossen noch in irgendeiner Form (Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte u.Ä.) beschränkt werden112.

107 Ähnlich Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 116. 108 Näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 30 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 12 f.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 38 ff.; Stein, Das faktische Organ, S. 97 ff., 119 ff.; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 2 ff. 109 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 245; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 32; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 13; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 40; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 204 ff.; a.A. Stein, Das faktische Organ, S. 136 ff., die eine automatische Beendigung mit Kenntniserlangung vom Mangel annimmt. 110 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 245; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 32. 111 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 245; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 32. 112 BGH v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 360 f.; BGH v. 11.7.1953 – II ZR 230/54, WM 1955, 1222; OLG Köln v. 4.5.1987 – 2 W 27/87, NJW-RR 1988, 254, 255 = AG 1988, 50; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 117; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 105.

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Bestellung | Rz. 366 § 7

b) Voraussetzungen des Widerrufs Der Widerruf der Bestellung erfordert das Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Ein solcher ist gegeben, wenn der Gesellschaft auf Grund bestimmter Umstände die Beibehaltung des Vorstandsmitglieds nicht mehr zugemutet werden kann113; näher Rz. 366 ff. Weder durch Satzung noch durch Vereinbarung mit dem Vorstandsmitglied kann eine Abberufung ohne wichtigen Grund zugelassen oder ein objektiv nicht ausreichender Tatbestand zum wichtigen Grund erhoben werden114; ebensowenig kann das Erfordernis des wichtigen Abberufungsgrundes dadurch unterlaufen werden, dass sich das Vorstandsmitglied zur Amtsniederlegung verpflichtet115. Mit der Widerrufsvoraussetzung des wichtigen Grundes schützt das Gesetz die Unabhängigkeit des Vorstands. Seine Mitglieder können ihres Amtes nicht nach Belieben enthoben werden, sondern nur dann, wenn sich ihre weitere Tätigkeit für die Interessen der Gesellschaft als unzumutbar darstellt.

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§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG nennt als wichtige Gründe beispielhaft grobe Pflichtverletzungen (z.B. unsorgfältige Geschäftsführung; Kartellverstöße; Korruptionsdelikte; Verletzung der Berichtspflicht) und Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung (z.B. längere Verhinderung; mangelnde Qualifikation), lässt aber auch Raum für eine Abberufung aus anderen Gründen, sofern nur die weitere Tätigkeit des Betroffenen nicht länger hingenommen werden kann116. Deshalb können trotz des dem Vorstand zustehenden Leitungsermessens auch unüberbrückbare Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über grundsätzliche Fragen der Unternehmenspolitik die Abberufung rechtfertigen, denn ohne Übereinstimmung in den wesentlichen Grundsatzfragen ist eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht möglich117. Ebenso kann die Abberufung gerechtfertigt sein, wenn das notwendige Vertrauen des Aufsichtsrats zum Vorstand aus anderen Gründen zerstört ist118. Neben verhaltens- und personenbedingten Umständen können im Einzelfall auch betriebsbedingte Gründe eine Abberufung rechtfertigen, etwa eine Veräußerung des Geschäftsbereichs, für den das Vorstandsmitglied zuständig ist, oder eine sonstige Umstruktu-

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113 BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, DStR 2007, 262 = AG 2007, 125; OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 21; OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 34. 114 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 125; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 48. 115 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 146; Schmolke, ZIP 2014, 897, 904 f.; übersehen von OLG Nürnberg v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, ZIP 2014, 171, 173. 116 Umfangreiche Beispiele aus Rechtsprechung und Literatur bei Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 52 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 36; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 130 ff. 117 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 126; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 49a; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 132; Fleischer in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 107; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 28; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 36; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 56; Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 128 f., die eine Abberufung nur bei Überschreitung des Leitungsermessens des Vorstands zulassen wollen. 118 OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, AG 2012, 753, 755 (Verstoß gegen das Gebot unbedingter Offenheit des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat).

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§ 7 Rz. 366 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

rierung, die einer sinnvollen Weiterführung des Amtes entgegensteht119. In besonderen Fällen kann auch der Wunsch zur Verkleinerung des Vorstands genügen, vorausgesetzt, dass einerseits sachliche Gründe für die angestrebte Verkleinerung des Vorstands sprechen, die den Schutzzweck des § 84 Abs. 3 AktG, die Unabhängigkeit des Vorstands zu gewährleisten, nicht tangieren (z.B. Schrumpfung des Geschäfts; Massenentlassungen in der Belegschaft, die sich aus Gründen der sozialen Akzeptanz auch in den Führungsebenen widerspiegeln sollen), und dass andererseits eine allein von sachlichen Überlegungen geleitete Auswahl des aus diesem Grunde abzuberufenden Vorstandsmitglieds erfolgt120. Auch außerdienstliches Verhalten eines Vorstandsmitglieds kann bei groben Verstößen einen Abberufungsgrund bilden121. Letztlich kommt es bei jeder Abberufung auf die Umstände des Einzelfalls an: Geht die reguläre Amtszeit ohnehin bald zu Ende, kann der Gesellschaft ein Abwarten unter Umständen eher zugemutet werden als im umgekehrten Fall122, sind minderschwere Maßnahmen (z.B. Umverteilung der Geschäfte) möglich und zumutbar, hat der Aufsichtsrat sich darauf zu beschränken. An den wichtigen Grund zur Abberufung (§ 84 Abs. 3 AktG) sind geringere Anforderungen zu stellen als an den wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrags (§ 626 BGB); vgl. näher Rz. 440. Überdies kommt es für die Abberufung ausschließlich auf die Interessen der Gesellschaft an; die Individualinteressen des Vorstands sind bei der Frage zu prüfen, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages vorliegt, nicht jedoch bei der Frage seiner Abberufung aus der Organstellung123.

119 Vgl. etwa OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 22; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 175; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 121. 120 Wie hier Seyfarth, Vorstandsrecht, § 19 Rz. 33; Habersack, DB 2015, 787, 788; Pattberg, EWiR 2015, 339, 340; im Ansatz zustimmend, in den konkreten Anforderungen jedoch zu streng OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 22 ff.; in der Tendenz strenger wohl auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 35; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 175a; Kocher, BB 2014, 1235; grundsätzlich a.A. Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 134; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 56; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 49. 121 Eingehend Nees, Abberufung und außerordentliche Kündigung eines Vorstandsmitglieds einer AG wegen seines Privatverhaltens, 2015, S. 57 ff., 210 ff., 237 ff. und passim. 122 BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812; OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 603; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 34; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 128. 123 Umstr., wie hier Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 49; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 101 f.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 49; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 128; Link in Wachter, Komm. AktG, § 84 Rz. 53; Krieger, Personalentscheidungen, S. 132; Säcker in FS Müller, 1981, S. 745, 746 ff.; vermittelnd Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 12; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 140 ff.; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 127; Janzen, NZG 2003, 468, 470, die Interessen der Gesellschaft seien „überwiegend“ zu berücksichtigen und ihnen komme „größeres Gewicht zu“; a.A. etwa BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812; KG v. 3.5.2007 – 23 U 102/06, AG 2007, 745, 746; OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 22; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 34; Bürgers in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 84 Rz. 28.

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Bestellung | Rz. 367 § 7

Erleichtert wird der Widerruf der Bestellung, wenn die Hauptversammlung einem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzieht. Ein solcher Vertrauensentzug berechtigt ohne weiteres zur Abberufung, selbst dann, wenn dem Vorstandsmitglied objektiv kein Vorwurf gemacht werden kann; auf die Gründe für den Vertrauensverlust kommt es grundsätzlich nicht an124. Etwas anderes gilt nur, wenn sich der Vertrauensentzug auf offenbar unsachliche Gründe stützt (§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG). Das ist etwa anzunehmen, wenn es um willkürliche, völlig haltlose Vorwürfe geht125. Die bloße Widerlegung der behaupteten Verfehlungen führt jedoch nicht zur Willkürlichkeit, solange die Hauptversammlung davon ausgehen durfte, dass die Vorwürfe möglicherweise zutreffen126. Ebensowenig ist ein Vertrauensentzug allein deshalb unsachlich, weil die Abberufung zunächst auf andere Gründe gestützt wurde, die sich dann jedoch als nicht ausreichend erweisen127. Ob eine Begründung des Vertrauensentzugs erforderlich ist, ist umstritten128. Der BGH hält sie im Grundsatz zu Recht nicht für erforderlich129, übersieht aber, dass eine fehlende Begründung die Ordnungsmäßigkeit des Beschlussverfahrens der Hauptversammlung tangieren kann130. Eine Anhörung des Vorstandsmitglieds ist nicht erforderlich, und zwar weder durch den Aufsichtsrat131 noch durch die Hauptversammlung132. Der Vertrauensentzug muss durch die Hauptversammlung beschlossen werden. Ein Vertrauensentzug durch den Aufsichtsrat reicht nicht133, ebensowenig soll es genügen, wenn sämtliche Aktionäre außerhalb einer förmlichen Hauptversammlung den Vertrauensentzug er-

124 Eingehend BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 12, 14 (WTS) und dazu Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285; Knapp, DStR 2017, 557; Arnold, DB 2017, 598; Tröger, WuB 2017, 264; Bungert/Rogier, EWiR 2017, 197; OLG Celle v. 24.3.2016 – 9 U 154/15, ZIP 2016, 1773, 1774; öOGH v. 28.4.1998 – 1 Ob 294/97k, OGH Österreich v. 28.4.1998 – 1 Ob 294/97 k, AG 1999, 140; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 37. 125 Vgl. etwa BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 193; BGH v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789; BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 15 (WTS); KG v. 3.12.2002 – 1 W 363/02, ZIP 2003, 1042, 1046 f. = AG 2003, 500; LG Darmstadt v. 4.2.1987 – 9 O 339/86, AG 1987, 318, 320. 126 BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 12 f. (WTS). 127 OLG Hamm v. 7.7.2010 – 8 U 119/09, AG 2010, 789, 702 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 37; Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 292; a.A. Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 127; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 166a. 128 Für eine Begründungspflicht Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 127; Mielke, BB 2014, 1035, 1036; gegen eine Begründungspflicht Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 137; Hüffer/Koch¸ Komm. AktG, § 84 Rz. 37; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 109; differenzierend Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 166. 129 BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 16 f. (WTS). 130 Eingehend Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 294 ff. 131 BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 18 (WTS); Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 297. 132 Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 297. 133 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 57; a.A. OLG München v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234, 235, dessen Meinung das Erfordernis des wichtigen Grundes völlig leerlaufen lässt.

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§ 7 Rz. 367 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

klären134. Die bloße Verweigerung der Entlastung genügt ebenfalls nicht135; die z.T. vertretene Auffassung, eine Entlastungsverweigerung könne im Einzelfall als Vertrauensentzug auszulegen sein,136 mag in der Theorie zutreffen, wird aber allenfalls in seltenen Ausnahmefällen praktisch werden. 368

Vertrauensverluste auf Seiten Dritter, etwa großer Aktionäre, Arbeitnehmer, kreditgebender Banken, Auftraggeber, Lieferanten usw. berechtigen in aller Regel nicht zur Abberufung. Etwas anderes gilt bei Abberufungsverlangen einer Aufsichtsbehörde (z.B. § 87 Abs. 6 VAG, § 36 KWG)137 und kann ausnahmsweise dann gelten, wenn aufgrund faktischen Drucks Dritter die Situation so eskaliert, dass die Abberufung zum Schutz des Unternehmens unumgänglich ist138. c) Ausübung des Widerrufsrechts

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Bei der Ausübung der Widerrufsrechte steht der Aufsichtsrat zumeist unter Zeitdruck. Zwar ist der Bestellungswiderruf nicht fristgebunden, aber für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags gilt die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB (näher Rz. 442). Wird diese verpasst, mag die Abberufung zwar wirksam sein, aber wenn der Vertrag kein ordentliches Kündigungsrecht vorsieht und keine Koppelungsklausel enthält (dazu Rz. 436), besteht der Anstellungsvertrag fort, und der Aufsichtsrat ist hierfür eventuell sogar haftbar. Liegt ein wichtiger Grund zum Widerruf der Bestellung vor, ist der Aufsichtsrat in der Regel zur Abberufung verpflichtet, allerdings ist ihm ein gewisser Ermessensspielraum zuzubilligen139. Das gilt vor allem bei einem Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung: hier kann es im Einzelfall – nach sorgfältiger Abwägung – gerechtfertigt sein, trotz des Vertrau134 BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 38; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 51; Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 297. 135 LG München v. 28.7.2005 – 5 HK O 10485/04, AG 2005, 701, 702; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 38; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 138. 136 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 38; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 138; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 127; offengelassen von KG v. 3.5.2007 – 23 U 102/06, AG 2006, 745, 746. 137 Vgl. etwa Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 118; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 172 ff. 138 Vgl. etwa BGH v. 27.3.1961 – II ZR 24/60, BGHZ 34, 392 (rechtswidriger Streik); BGH v. 3.5.1999 – II ZR 35/98, DStR 1999, 1537 (Druck eines Kunden); BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, AG 2007, 125 = ZIP 2007, 119 (Drohung der Hausbank, eine lebenswichtige Kreditlinie nicht zu verlängern); eingehend Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 114 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 136; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 131. 139 OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 127; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 122 und 129; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 128; Krieger, Personalentscheidungen, S. 141; wohl auch BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 193; enger Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 32; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 61; Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 16; Janzen, NZG 2003, 468, 471; Schaefer/ Missling, NZG 1998, 441, 445, die von einer strikten Abberufungspflicht ausgehen.

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Bestellung | Rz. 371 § 7

ensverlustes zum Schutze höherwertiger Interessen des Unternehmens auf die Abberufung zu verzichten140. Im Übrigen kann es Ausnahmesituationen geben, die es rechtfertigen, an einer unter normalen Umständen eigentlich untragbaren Person notgedrungen weiter festzuhalten. Die Entscheidung über einen Widerruf der Bestellung kann nur das Aufsichtsratsplenum treffen, die Delegation auf einen Ausschuss ist unzulässig (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). In mitbestimmten Gesellschaften gilt das mehrstufige Verfahren nach § 31 Abs. 2–4 MitbestG auch für die Abberufung (§ 31 Abs. 5 MitbestG). Allerdings ist das Abberufungsverfahren schon nach dem ersten Wahlgang beendet, wenn der Abberufungsantrag nicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen141 erreicht. Das gilt allerdings dann nicht, wenn die Hälfte der Stimmen aller Aufsichtsratsmitglieder (Ist-Stärke) den Antrag unterstützt, weil dann im dritten Wahlgang die Abberufung mit der Zweitstimme des Vorsitzenden erfolgen kann142.

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Der Widerruf ist dem Betroffenen durch den Aufsichtsrat mitzuteilen. Er wird mit Zugang wirksam143. Einer besonderen Mitteilung bedarf es nicht, wenn der Betroffene bei der Beschlussfassung anwesend war144. Sonst wird der Aufsichtsrat in der Regel durch Geschäftsordnungsbestimmung oder Beschluss seinen Vorsitzenden oder ein anderes Aufsichtsratsmitglied bevollmächtigen, den vom Plenum beschlossenen Widerruf als Erklärungsvertreter gegenüber dem Vorstandsmitglied auszusprechen145. Richtigerweise wird man den Aufsichtsratsvorsitzenden aber auch ohne ausdrückliche Regelung aufgrund seiner Amtsstellung146 oder einer konkludenten Be-

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140 BGH v. 15.11.2016 – II ZR 217/15, AG 2017, 239 = ZIP 2017, 278 Rz. 17; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 129; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 139; zu eng Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 32; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 61; näher zur Ermessensausübung in einem solchen Fall Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 141 ff.; de lege ferenda für eine Abberufungspflicht nach Vertrauensentzug Neideck, Die Mitwirkung der Hauptversammlung bei der Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat, 2015, S. 322 ff. 141 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 35; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 33; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 10. 142 OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = NZG 2015, 514; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 33; Krieger, Personalentscheidungen, S. 143 ff.; Westhoff, DB 1980, 2520 ff. 143 OLG Frankfurt v. 7.7.2015 – 5 U 187/14, AG 2015, 787 Rz. 70; OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511 f.; OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 33. 144 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97. 145 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – I-15 U 225/02, AG 2004, 321, 322; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 33; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 45; Bauer/S. Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; Leuering, NZG 2004, 120, 121. 146 Überzeugend Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 102; Drinhausen/ Marsch-Barner, AG 2014, 337, 348 f.; Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 252 f.; a.A. Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97.

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§ 7 Rz. 371 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

vollmächtigung147 als befugt anzusehen haben, den Widerruf als Vertreter des Aufsichtsrats zu erklären; vgl. auch Rz. 682. Ob die Widerrufserklärung nach § 174 BGB zurückgewiesen werden kann, wenn der Erklärungsvertreter keine Vollmachtsurkunde vorlegt, ist umstritten. Jedenfalls ist § 174 BGB nicht anwendbar, wenn die Bevollmächtigung zur Übermittlung des vom Aufsichtsrat beschlossenen Widerrufs in der Satzung oder der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats enthalten ist148. Richtigerweise ist bei Übermittlung der Widerrufserklärung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden aber auch ohne eine solche Regelung § 174 BGB nicht entsprechend anwendbar149. Angesichts des bestehenden Meinungsstreits empfiehlt es sich in diesem Fall jedoch aus praktischen Gründen, das Aufsichtsratsprotokoll mit dem Widerrufsbeschluss und der Bevollmächtigung zur Erklärung der Abberufung (entweder im Original oder in Form eines vom Protokollführer unterzeichneten Auszugs150) beizufügen151; als Alternative reicht auch eine Vollmachtsurkunde, die von den an der Beschlussfassung mitwirkenden Aufsichtsratsmitgliedern unterschrieben sein muss152. Die Widerrufserklärung kann statt durch einen Bevollmächtigten auch durch einen Boten übermittelt werden153; als Bote kann auch ein Mitglied des Vorstands beauftragt werden154.

147 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 123; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 111; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 179; Bednarz, NZG 2005, 418, 421 f.; Bauer/ S. Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; a.A. OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2004, 321, 322 f.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 109. 148 OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 16; OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511; OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2004, 321, 324; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 562; Bauer/S. Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248. 149 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 111; Thüsing in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 5 Rz. 2; Bednarz, NZG 2005, 418, 422 ff.; a.A. OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2004, 321, 323; wohl auch OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 123; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 109; Pusch, RdA 2005, 170 ff. 150 Zu eng Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97, der einen Auszug nicht genügen lassen will, ohne allerdings klarzustellen, ob das auch für einen vom Protokollführer unterzeichneten Auszug gelten soll. 151 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2004, 321, 323; Fleischer in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97; Schockenhoff/Topf, DB 2005, 539, 544. 152 Bauer/S. Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; zu eng Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 97; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 123; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 45 (Unterzeichnung durch alle Aufsichtsratsmitglieder). 153 Dazu näher OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511 f., dort auch zur Frage, ob für die Kündigung des Anstellungsvertrags durch einen Boten bei vereinbarter Schriftform Besonderheiten gelten; vgl. zu dieser Frage auch Bauer/S. Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; zur Abgrenzung zwischen der Übermittlung von Aufsichtsratsbeschlüssen durch einen Vertreter oder einen Boten vgl. auch Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 252 ff. 154 OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2002, 211, 212; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 33; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 123.

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Bestellung | Rz. 373 § 7

d) Mängel und gerichtliche Überprüfung des Widerrufs Ein Widerruf, der ohne entsprechenden Abberufungsbeschluss des Aufsichtsrats vom Aufsichtsratsvorsitzenden oder vom Personalausschuss allein ausgesprochen wird, ist unwirksam155. Das Gleiche gilt, wenn der Abberufungsbeschluss des Aufsichtsrats wegen Verfahrensfehlern nichtig ist (vgl. Rz. 741). Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Teil der Aufsichtsratsmitglieder zur Sitzung nicht eingeladen war oder wenn in einer mitbestimmten Gesellschaft die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertreter durch unzureichende Information und zu kurze Bemessung der Überlegungsfrist beeinträchtigt waren156. In einem solchen Fall kann das betroffene Vorstandsmitglied auf Feststellung der Unwirksamkeit seiner Abberufung klagen157. Vor allem aber ist in diesen Fällen die Weiterführung des Amtes auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzbar; § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG steht dem nicht entgegen, sondern ist nur bei formell ordnungsgemäß zustandegekommenen Aufsichtsratsbeschlüssen anwendbar158.

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Das Fehlen eines wichtigen Grundes für den Widerruf der Bestellung lässt den Widerruf solange wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist (§ 84 Abs. 3 Satz 4 AktG). Das betroffene Vorstandsmitglied kann sich in diesem Fall gegen den Widerruf der Bestellung nur durch Klage zur Wehr setzen, eine einstweilige Verfügung gegen die Abberufung ist bei Fehlen eines wichtigen Abberufungsgrundes – anders als bei formellen Beschlussmängeln (Rz. 372) – nicht möglich159. Ebenso ist es ausgeschlossen, durch einstweilige Verfügung einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern oder der Gesellschaft die Herbeiführung eines Abberufungsbeschlusses zu untersagen160. Einen entsprechenden Unterlassungsanspruch kann es nicht geben, sondern die Funktion des Aufsichtsrats verlangt es, diesem zunächst die Möglichkeit einer eigenen Meinungsbildung zu geben, bevor diese anschließend gerichtlich überprüft werden kann. Bei der Klage gegen den Bestellungswiderruf handelt es sich der Sache nach um eine Gestaltungsklage, auch wenn der Antrag auf Feststellung der Unwirk-

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155 OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 62. 156 OLG Köln v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767, 1768 = AG 2008, 458; OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 540 ff. = AG 1985, 193. 157 Die Klage ist – da in diesem Fall § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht eingreift – Feststellungs-, nicht Gestaltungsklage; OLG Stuttgart v. 13.3.2002 – 20 U 59/01, AG 2003, 211, 212; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 42. 158 BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, ZIP 2019, 1374 Rz. 40; OLG München v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234, 235; OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 540 f. = AG 1985, 193; OLG Köln v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, ZIP 2008, 1767, 1768 = AG 2008, 458; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 32 und 34; kritisch Scholz, ZIP 2019, 2338, 2340 ff., der § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG bei jedem Mangel des Abberufungsbeschlusses anwenden will. 159 OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, ZIP 1985, 539, 540 = AG 1985, 193; LG Frankfurt v. 17.12.2013 – 3-05 O 239/13, AG 2014, 509; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 40 und 42; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 64. 160 Für eine einstweilige Verfügung gegen ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied ebenso, für eine einstweilige Verfügung gegen die Gesellschaft jedoch offenlassend OLG München v. 16.10.2013 – 7 U 3018/13, ZIP 2013, 2200 = AG 2013, 886.

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§ 7 Rz. 373 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

samkeit des Widerrufs gerichtet sein sollte161. Sofern die Amtszeit während des Rechtsstreits endet, kann ein Feststellungsinteresse fortbestehen162, wobei eine Umstellung des Antrags auf einen Feststellungsantrag erforderlich sein dürfte163. 374

Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nach h.M. in vollem Umfang gerichtlich zu überprüfen164. Richtiger erscheint es jedoch, die gerichtliche Kontrolle lediglich auf die Vertretbarkeit der Entscheidung des Aufsichtsrats zu richten und dem Aufsichtsrat insoweit, wie unternehmerische Beurteilungen bei der Abwägung von Bedeutung sind, einen überprüfungsfreien Beurteilungsspielraum zuzubilligen165, denn der Aufsichtsrat ist in Zweifelsfällen besser in der Lage als das Gericht, die Zumutbarkeit der weiteren Amtsführung des Vorstandsmitglieds zu beurteilen.

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Neue, erst später eingetretene Abberufungsgründe kann die Gesellschaft im Rechtsstreit nur geltend machen, wenn zuvor der Aufsichtsrat darauf einen erneuten Abberufungsbeschluss gestützt hat166. Entsprechend ist auch das Nachschieben von Gründen, auf die die Abberufung zunächst nicht gestützt worden ist, obwohl sie bereits seinerzeit vorgelegen haben, nur zulässig, wenn der Aufsichtsrat zuvor beschlossen hat, die Abberufung auch auf sie zu stützen167. Kannte der Aufsichtsrat diese Gründe schon bei seinem ursprünglichen Abberufungsbeschluss, werden sie allerdings im allgemeinen verwirkt sein168.

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Zuständig für Abberufungsstreitigkeiten sind die ordentlichen Gerichte, in erster Instanz das Landgericht, Kammer für Handelssachen. Die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts soll nach bislang h.M. weder durch eine Schiedsklausel in der Satzung noch

161 OLG Hamm v. 7.7.2010 – 8 U 119/09, AG 2010, 789, 791; KG v. 8.7.1983 – 14 U 259/83, AG 1984, 24, 25; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 42; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 143. 162 OLG Hamm v. 7.7.2010 – 8 U 119/09, AG 2010, 789, 791; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 134, 138; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 73; a.A. Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 148. 163 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 134, 138; unklar OLG Hamm v. 7.7.2010 – 8 U 119/09, AG 2010, 789, 791. 164 OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, AG 2015, 363 = ZIP 2015, 519 Rz. 21; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 34; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 122; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 51; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 49. 165 Krieger, Personalentscheidungen, S. 137 ff.; Habersack, DB 2015, 787, 788 f.; Vollmer, GmbHR 1984, 5, 7, 9; tendenziell wohl auch Peltzer, WM 1982, 996, 998. 166 OLG Hamm v. 7.7.2010 – 8 U 119/09, AG 2010, 789, 792; OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 599, 601; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 140; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 145; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 42. 167 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 140; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 65. 168 BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 194 f.; BGH v. 16.11.1961 – II ZR 81/ 60, WM 1962, 109, 111; OLG Stuttgart v. 28.5.2013 – 20 U 5/12, AG 2013, 1576, 599, 601; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 140; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 42; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 65.

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Bestellung | Rz. 378 § 7

durch eine Schiedsvereinbarung im Einzelfall begründet werden können169; das ist jedenfalls für individualvertragliche Schiedsvereinbarungen nicht überzeugend170, während satzungsmäßige Schiedsklauseln wohl an § 23 Abs. 5 AktG scheitern dürften171. Die Klage ist gegen die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG), zu richten172. Aufsichtsratsmitglieder können in einem solchen Rechtsstreit als Nebenintervenient auf Seiten der Gesellschaft beitreten173. e) Einvernehmliche Aufhebung; Amtsniederlegung Eine einvernehmliche Aufhebung der Bestellung ist jederzeit zulässig, eines wichtigen Grundes bedarf es dafür nicht174. Auch hierfür liegt die Alleinkompetenz beim Aufsichtsrat. Die Entscheidung des Aufsichtsrats über den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung ist entsprechend § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG dem Plenum vorbehalten175 und unterliegt in mitbestimmten Gesellschaften entsprechend § 31 Abs. 5 MitbestG dem abgestuften Verfahren nach § 31 Abs. 2 bis 4 MitbestG176.

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Das Vorstandsmitglied kann sein Amt durch einseitige Erklärung gegenüber dem Aufsichtsrat niederlegen. Darin kann, sofern dem Vorstandsmitglied kein wichtiger Grund zur Seite steht, allerdings eine Verletzung seiner anstellungsvertraglichen Pflicht liegen. Die Amtsniederlegung ist jedoch unabhängig davon wirksam, ob ein wichtiger Grund vorliegt oder sich das Vorstandsmitglied auf das Vorliegen eines

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169 BGH v. 4.7.1951 – II ZR 117/50, LM Nr. 1 zu § 199 AktG; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 143; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 53. 170 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 41; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 134 i.V.m. Rz. 99; Schlüter, Schiedsbindung von Organmitgliedern, 2017, S. 203; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 547; Westermann, ZGR 2017, 38, 52 ff.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 10 ff.; Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 681 ff.; Vollmer, GmbHR 1984, 5, 11 ff. 171 Schlüter, Schiedsbindung von Organmitgliedern, 2017, S. 206; zweifelnd auch Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 41; a.A. Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 10 ff.; Bauer/ Arnold/Kramer, AG 2014, 677, 681 ff. 172 BGH v. 13.2.1984 – II ZR 2/83, WM 1984, 532 = AG 1984, 266; BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, AG 1982, 18; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 41. 173 BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, AG 2013, 257, 258 f. 174 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, DB 1981, 308, 309 = AG 1981, 73; OLG Karlsruhe v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, WM 1996, 161, 167 = AG 1996, 224; vgl. auch BGH v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 = AG 2012, 677; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 47; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 68. 175 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, AG 1981, 73 = DB 1981, 308, 309; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 47; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 104; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 68. Ein Ausschuss kann allerdings den Aufhebungsvertrag unter der Bedingung späterer Zustimmung des Plenums abschließen; vgl. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 104; Hoffmann-Becking in FS Stimpel, 1985, S. 589, 597 ff. 176 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 68; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 43; Krieger, Personalentscheidungen, S. 148 f.

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§ 7 Rz. 378 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

wichtigen Grundes auch nur beruft177. Im Einzelfall kann die Amtsniederlegung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein, insbesondere wenn sie zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt und rechtzeitige Abhilfe auch durch gerichtliche Ersatzbestellung eines Vorstandsmitglieds nicht möglich ist178. f) Suspendierung; Dienstbefreiung 379

Eine vorübergehende Enthebung eines Vorstandsmitgliedes von der Amtsführung (einseitige Suspendierung) ist als milderes Mittel gegenüber einer Abberufung zulässig. Während darin vereinzelt ein echter Widerruf der Bestellung gesehen wird, der vorübergehend zur Beendigung des Vorstandsamtes führe179, geht die herrschende Meinung mit Recht davon aus, dass das suspendierte Vorstandsmitglied im Amt bleibt180. Dem suspendierten Vorstandsmitglied ist jedoch die Amtsführung verboten, auch wenn seine Vertretungsmacht im Außenverhältnis bestehen bleibt; zugleich ist es von der Verantwortlichkeit für die Vorstandstätigkeit während des Suspendierungszeitraums befreit181. Die Suspendierung ist nicht publizierungspflichtig, insbesondere bedarf sie nicht der Anmeldung zum Handelsregister; das Vorstandsmitglied ist weiterhin auf den Geschäftsbriefen (§ 80 Abs. 1 AktG) und im Anhang des Jahresabschlusses (§ 285 Nr. 10 HGB) zu nennen182.

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Welche materiellen Voraussetzungen für eine Suspendierung erfüllt sein müssen, ist umstritten. Teilweise wird das Vorliegen eines wichtigen Grundes verlangt, der auch eine sofortige Abberufung rechtfertigen würde183; nach dieser Ansicht kann namentlich der Verdacht einer groben Pflichtverletzung eine Suspendierung erst dann rechtfertigen, wenn dieser Verdacht sich bereits soweit konkretisiert hat, dass er auch eine Abberufung rechtfertigen würde. Nach überwiegender Ansicht soll in An177 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 260 = AG 1993, 280; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 45; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 157; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 67. 178 Vgl. näher OLG Hamburg v. 27.6.2016 – 11 W 30/16, AG 2016, 756 = ZIP 2016, 1832 Rz. 9 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 143; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 45; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 67. 179 So LG München I v. 27.6.1985 – 5 HKO 9397/85, AG 1986, 142; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 154 ff. 180 OLG München v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234, 235; KG v. 8.7.1983 – 14 U 259/83, AG 1984, 24, 25; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 192 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 139; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 59; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 73 f.; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 348 ff. 181 Vgl. die Nachweise in der vorherigen Fn. 182 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 139; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 74; Krieger, Personalentscheidungen, S. 152 ff.; a.A. Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 350. 183 So namentlich Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 155; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 43; Meyer-Landrut in FS Fischer, 1979, S. 477, 481; Krieger, Personalentscheidungen, S. 154 ff.; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 31 Rz. 51; auch KG v. 8.7.1983 – 14 U 259/83, AG 1984, 24, 25, das allerdings offen lässt, ob die Suspendierung nicht schlechthin unzulässig ist.

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Bestellung | Rz. 382 § 7

lehnung an das Dienstvertragsrecht eine Suspendierung lediglich ein billigenswertes Interesse der Gesellschaft erfordern, an das allerdings hohe Anforderungen zu stellen seien; danach kann der Verdacht einer zum Widerruf berechtigenden Pflichtverletzung die Suspendierung rechtfertigen, auch wenn dieser Verdacht mangels hinreichender Aufklärung für eine Abberufung noch nicht ausreicht184. Im Interesse der durch das Erfordernis des wichtigen Grundes geschützten Unabhängigkeit des Vorstands wird man im Grundsatz auch für Suspendierungen an der Notwendigkeit eines wichtigen Grundes festhalten müssen. Weil die Suspendierung ein weniger schwerwiegender Eingriff ist als die Abberufung, können jedoch an den wichtigen Grund geringere Anforderungen gestellt werden. Deshalb kann es im Ergebnis gerechtfertigt sein, eine Suspendierung auszusprechen, wenn so gewichtige Anhaltspunkte für die Existenz eines Abberufungsgrundes bestehen, dass eine vorläufige weitere Amtsführung bis zur endgültigen Aufklärung der Angelegenheit für die Gesellschaft eine unzuträgliche Belastung würde185. Eine Suspendierung ist im Hinblick auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nur in zeitlichen Grenzen zulässig. Eine „Suspendierung“ bis zum Ende der Amtszeit ist nicht möglich, sondern stellt einen echten Widerruf der Bestellung dar186. Eine nur vorübergehend gewollte Suspendierung ist nur in einem angemessenen und erforderlichen zeitlichen Umfang zulässig. Wo diese Grenzen liegen, ist einzelfallabhängig, jedoch wird man eine Suspendierung von mehr als einem Monat allenfalls in besonderen Ausnahmen billigen können187. Bei einer Überschreitung dieser Grenzen ist die Suspendierung unwirksam, der Betroffene bleibt zur Amtsführung berechtigt. Zum Teil wird verlangt, dass die Dauer der Suspendierung schon im voraus festgesetzt wird188; das ist jedoch angesichts des ohnehin engen zeitlichen Rahmens unnötig und auch deshalb zu streng, weil sich der benötigte Zeitraum im Voraus häufig nicht genau absehen lässt.

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Zuständig für die Suspendierung ist der Gesamt-Aufsichtsrat, eine Übertragung der Entscheidung auf einen Ausschuss ist entsprechend § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG ausgeschlossen189. In mitbestimmten Gesellschaften ist entsprechend § 31 Abs. 5 MitbestG das abgestufte Abberufungsverfahren nach § 31 Abs. 2 bis 4 MitbestG ein-

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184 So insbesondere Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 73; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 189; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 136; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 236 ff.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 59; offengelassen von OLG München v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234, 235. 185 Ebenso Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 137. 186 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 137; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 74; Krieger, Personalentscheidungen, S. 152; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 348. 187 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 189; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 74; Krieger, Personalentscheidungen, S. 153; auf den Einzelfall abstellend Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 137. 188 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 74; Krieger, Personalentscheidungen, S. 153 f. 189 OLG München v. 17.9.1985 – 7 W 1933/85, AG 1986, 234, 235; KG v. 8.7.1983 – 14 U 259/83, AG 1984, 24, 25; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 138; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 194; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 75.

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§ 7 Rz. 382 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

zuhalten190. Auf eine Suspendierung wird man § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht analog anwenden können191. Das hat zur Folge, dass ein Vorstand seine weitere Amtsführung bei Fehlen eines Suspendierungsgrundes anders als bei Fehlen eines Abberufungsgrundes (dazu Rz. 373) auch durch einstweilige Verfügung erzwingen kann192. 383

Einvernehmliche Suspendierungen sind wegen der fehlenden Publizität einer Suspendierung nur unter den gleichen Voraussetzungen und in den gleichen zeitlichen Grenzen, die bei einer einseitigen Suspendierung gelten, zulässig; zuständig ist allein der Gesamtaufsichtsrat, in mitbestimmten Gesellschaften gilt § 31 Abs. 5 MitbestG193.

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Von der Suspendierung zu unterscheiden ist eine einvernehmliche Dienstbefreiung, bei der im Gegensatz zur Suspendierung nicht nur die Mitgliedschaft im Vorstand, sondern auch die Teilnahme an der Gesamtverantwortung des Vorstands aufrecht erhalten bleibt. Eine solche Dienstbefreiung ist rechtlich zulässig, wenn ein Vorstandsmitglied aus zwingenden Gründen, z.B. Erkrankung, für einen längeren Zeitraum gehindert ist, der Gesellschaft seine Arbeitskraft im gebotenen Umfang zur Verfügung zu stellen194. 7. Anmeldung zum Handelsregister

385

Die Bestellung von Vorstandsmitgliedern und die Beendigung der Bestellung sind zum Handelsregister anzumelden (§ 81 AktG). Die Anmeldung obliegt jedoch nicht dem Aufsichtsrat, sondern ist Sache des Vorstands195.

III. Das Anstellungsverhältnis 1. Inhalt und Rechtsnatur 386

Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht der Vorstandsmitglieder werden durch die Bestellung begründet. Gegenstand des Anstellungsvertrages sind die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft, also vor allem die Regelung der Vergütung, der Versorgungsbezüge, evtl. Nebenleistun190 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 138; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 194. 191 Ebenso Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 138. 192 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 138; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 159; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 59. 193 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 196 f.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 140; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 76; ganz ablehnend MeyerLandrut in FS Fischer, 1979, S. 477, 484. 194 Vgl. dazu näher Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 59a; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 197; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 258; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 77; Schnorbus/Klormann, WM 2018, 1069, 1114 ff.; Fleischer, NZG 2010, 561, 566. 195 Vgl. dazu näher etwa Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 78 ff.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 388 § 7

gen, des Urlaubs, nachvertraglicher Wettbewerbsverbote usw.196. Es handelt sich bei entgeltlicher Tätigkeit um einen Geschäftsbesorgungs-Dienstvertrag, der den Vorschriften der §§ 675, 611 ff. BGB197 und der AGB-Kontrolle198 unterliegt. 2. Abschluss des Vertrages a) Zuständigkeit des Aufsichtsrats Ebenso wie für die Bestellung ist auch für die Regelung des Anstellungsverhältnisses ausschließlich und zwingend der Aufsichtsrat zuständig (§ 84 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. Satz 1 bis 4 AktG). Er entscheidet unter Beachtung der Vergütungsmaßstäbe der §§ 87, 87a AktG (vgl. Rz. 395 ff.) autonom über den Inhalt des Vertrages und vertritt die Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied (§ 112 AktG vgl. Rz. 452 ff.). Die Beschlussfassung des Aufsichtsrats unterliegt in mitbestimmten Gesellschaften nicht dem abgestuften Verfahren nach § 31 MitbestG, sondern richtet sich nach § 29 MitbestG199. Der Aufsichtsrat entscheidet also mit einfacher Mehrheit; vgl. näher Rz. 735 ff. Zur Zulässigkeit von Drittanstellungsverträgen vgl. Rz. 449 ff.

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Für Zustimmungsvorbehalte Dritter, Weisungsrechte gegenüber dem Aufsichtsrat u. ä. ist bei der Anstellung ebensowenig Raum wie bei der Bestellung200. Vorgaben durch Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss zur Höhe und Struktur der Vergütungsind jedenfalls in nicht börsennotierten Gesellschaften unzulässig201. Die inhaltlichen Grenzen für die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung hat das Gesetz in § 87 Abs. 1 AktG selbst abschließend gezogen, sie auszufüllen ist Sache des Aufsichtsrats. Das dürfte trotz der vom ARUG II getroffenen Neuregelungen auch in börsennotierten Gesellschaften nicht anders zu beurteilen sein. Die gegenüber der bisherigen Regelung des § 120 Abs. 4 AktG a.F. umgestalteten Vorschriften über das

388

196 Vertragsmuster bei Hoffmann-Becking, Beck’sches Formularbuch, Formular X.13.; Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band I, Formular V.51. 197 Zur Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder und den gegenseitigen Rechten und Pflichten aus dem Anstellungsverhältnis vgl. namentlich Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 60 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 90 ff., 107 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 43 ff., 75 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 21 ff.; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 87 ff., 103 ff., 152 ff., 169 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 34 ff., 92 ff. 198 Vgl. etwa OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, AG 2018, 852; Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 310 Rz. 49; Löw, AG 2018, 837, 838 ff.; Kort in FS K. Schmidt II, Bd.1, 2019, S. 715, 721 ff.; Seyfarth, WM 2019, 569, 572. 199 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 28; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 41. 200 BGH v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 333; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 285; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 71; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 48; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 20. 201 Zur bisherigen Rechtslage vor Einführung von § 120a AktG ebenso Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 4; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 33; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 20; Bors, Erfolgs- und leistungsorientierte Vorstandsvergütung, 2006, S. 68 ff.; E. Vetter, ZIP 2009, 1307 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 40.

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§ 7 Rz. 388 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

in börsennotierten Gesellschaften vom Aufsichtsrat zu beschließende und der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegende Vergütungssystem (§§ 87a, 124a AktG; dazu Rz. 396 ff.) und das neu eingeführte Recht der Hauptversammlung, die vom Aufsichtsrat festgelegte Maximalvergütung (§ 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG) herabzusetzen (§ 87 Abs. 4 AktG), ändern an dieser Beurteilung nichts. Auch nach diesen Regeln bleibt die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung in erster Linie Sache des Aufsichtsrats202. Die Hauptversammlung hat kein eigenes Initiativrecht, sondern entscheidet erst im Nachhinein über das vom Aufsichtsrat beschlossene System. Verweigert sie die Billigung, ist es wiederum Sache des Aufsichtsrats, ein überprüftes System vorzulegen (§ 120a Abs. 4 AktG). Damit vertragen sich Vorgaben der Satzung oder eines HV-Beschlusses, denen keine Vorlage des Aufsichtsrats zugrunde liegt, sondern die das Gestaltungsrecht des Aufsichtsrats schon im Vorhinein einschränken sollen, nicht. b) Übertragung auf einen Ausschuss 389

Gemäß § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG ist die Aufgabe nach § 87 Abs. 1 AktG, d.h. die Festsetzung der Bezüge der Vorstandsmitglieder, nicht auf einen Ausschuss übertragbar, sondern zwingend vom Plenum zu beschließen. Das gilt für alle Vereinbarungen, die Vergütungscharakter haben, neben der Festsetzung des Grundgehalts, der erfolgsorientierten Vergütungselemente und der Versorgungsbezüge also auch für alle anderen vergütungsbezogenen Regelungen, wie die Erstattung von Versicherungsprämien, die Länge des Urlaubs und die Privatnutzung des Dienstwagens203. Auch die Festlegung der Erfolgsziele bei variablen Vergütungselementen ist dem Plenum vorbehalten, wenn es sich um verbindliche Zielfestlegungen handelt; unverbindliche Ziele kann auch der Ausschuss mit dem Vorstandsmitglied ins Auge fassen204. Die spätere Festlegung des Zahlbetrags der variablen Vergütung kann der Ausschuss vornehmen, wenn die variable Vergütung formelmäßig so festgelegt war, dass die genaue Höhe der Zahlung nur noch errechnet werden muss; das Plenum ist hingegen zwingend zuständig, wenn bei der Festlegung der genauen Zahlung nach Abschluss des Geschäftsjahres Raum für eine Ermessenausübung verbleibt205.

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Nicht vergütungsbezogene Regelungen des Anstellungsvertrages können weiterhin einem Ausschuss zur Entscheidung übertragen werden. Dazu zählen etwa die Ver202 So ausdrücklich auch die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG, BT-Drucks. 19/15153, S. 63. 203 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 154; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 126; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 162; Fonk in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 347, 351 f.; Cahn in FS Hopt, Band 1, 2010, S. 431, 445; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 72; Gaul/Jantz, NZA 2009, 809, 813; a.A. anscheinend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 28 (nur Festsetzung der Gesamtbezüge, nicht aber Ausgestaltung der einzelnen Klammerelemente des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG). 204 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 154; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 70; Fonk in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 347, 351. 205 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 70; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 27 f.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 393 § 7

tragsdauer, die Vereinbarung einer Schiedsgerichtsklausel, die Zustimmung zur Übernahme von Mandaten u.Ä.206. Da der weit überwiegende Teil der anstellungsvertraglichen Regelungen vergütungsbezogene Themen betrifft, ist es jedenfalls beim erstmaligen Vertragsabschluss aber kaum sinnvoll, einzelne Entscheidungen einem Ausschuss zu überlassen207. Soweit der Ausschuss entscheidungsbefugt ist, unterliegt seine Regelungskompetenz zusätzlichen Beschränkungen, die sich aus der vorrangigen Bestellungshoheit des Plenums ergeben. Der Ausschuss darf keine anstellungsvertraglichen Regelungen treffen, die geeignet sind, der Bestellungsentscheidung des Plenums die Grundlage zu nehmen (vgl. auch Rz. 438); er kann deshalb z.B. dem Vorstandsmitglied im Anstellungsvertrag nicht das Recht zur Kündigung des Vertrages vor Ablauf der Bestellungsdauer einräumen208. Ein Ausschuss kann schließlich auch nicht Regelungen über den Tätigkeitsbereich des Vorstandsmitglieds treffen; die Ressortzuweisung ist dem Gesamtaufsichtsrat vorbehalten209.

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Zulässig bleibt es, einem Ausschuss die Vorbereitung des Anstellungsvertrags und seiner Vergütungsregelungen zu überlassen. Auch die Unterzeichnung des im Aufsichtsrat beschlossenen Vertrages kann einem Aufsichtsratsmitglied – zumeist dem Vorsitzenden – übertragen werden210. Das geschieht häufig durch Satzung, Geschäftsordnung oder Aufsichtsratsbeschluss; zur Frage, ob der Aufsichtsratsvorsitzende auch ohne ausdrückliche Bestimmung kraft Amtes oder konkludent bevollmächtigt ist, vgl. Rz. 371. Der Bevollmächtigte muss sich dabei aber auf die Ausformulierung des vom Aufsichtsrat beschlossenen Vertragsinhalts beschränken und kann nicht eigene Entscheidungen an Stelle des Aufsichtsrats treffen211.

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c) Dauer des Anstellungsvertrags Anstellungsverträge dürfen nicht auf eine längere Dauer als fünf Jahre geschlossen werden (§ 84 Abs. 1 Satz 5 und 1 AktG); sind sie auf unbestimmte Zeit oder längerfristig abgeschlossen, laufen sie spätestens nach fünf Jahren aus (§§ 134, 139 BGB). Es ist jedoch möglich, im Anstellungsvertrag eine Verlängerungsklausel mit dem Inhalt zu vereinbaren, dass sich im Fall einer späteren Verlängerung der Bestellung automatisch auch der Anstellungsvertrag entsprechend verlängert (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG). Wird ohne eine solche Verlängerungsklausel die Bestellung verlängert, ohne dass zugleich auch über den Anstellungsvertrag ausdrücklich entschieden wird, kann 206 Näher Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 28; Fonk in FS HoffmannBecking, 2013, S. 347, 351 f. 207 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 107; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 162. 208 Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 72; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 213; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 21. 209 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 15; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 49; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 21. 210 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 285; BGH v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 350; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 22. 211 Köhler, NZG 2008, 161, 162; vgl. auch Rz. 456.

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§ 7 Rz. 393 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

je nach den Umständen des Falles in dem Beschluss über die Verlängerung der Bestellung die konkludente Verlängerung auch des Anstellungsvertrags liegen212. Zur Vereinbarung einer automatischen Vertragsbeendigung bei Widerruf der Bestellung (Koppelungsklausel) vgl. Rz. 436. d) Mängel des Anstellungsvertrages 394

Erweist sich ein tatsächlich vollzogener Anstellungsvertrag nachträglich als nichtig, sind die arbeitsrechtlichen Grundsätze über fehlerhafte Arbeitsverhältnisse anzuwenden: Für die Vergangenheit ist der Vertrag als wirksam zu behandeln, für die Zukunft können sich beide Parteien jederzeit ohne weiteres vom Vertrag lossagen213. 3. Vorstandsvergütung a) Allgemeines

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Eine besondere Rolle in der Corporate Governance-Diskussion spielte und spielt die Höhe der Vorstandsvergütung214. Dabei standen vielfach Einzelfälle besonders hoher Vergütungen, Übergangszahlungen oder Abfindungen im Blickpunkt215, die schnell in eine grundsätzliche Kritik an der Höhe der Vorstandsvergütung mündeten216. Überdies wurden Fehlanreize aufgrund zu stark kurzfristig erfolgsorientierter Vergütungselemente als eine Mitursache der Finanzkrise 2008 angesehen217. Der Gesetzgeber reagierte zunächst mit der im Jahre 2005 durch das VorstOG eingeführten 212 BGH v. 12.5.1997 – II ZR 50/96, DStR 1997, 932, 933; OLG Schleswig v. 16.11.2000 – 5 U 66/99, AG 2001, 651, 653; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 41; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 53; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 24; zur Frage der Anwendbarkeit von § 625 BGB vgl. OLG Karlsruhe v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, AG 1996, 224, 227; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 24; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 25. 213 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, ZIP 2019, 1805 Rz. 26 ff., dort auch zu den Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Bindung für die Zukunft; BGH v. 21.1.1991 – II ZR 144/ 90, BGHZ 113, 237, 247 ff. = AG 1991, 316; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 57 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 27; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 32 f.; näher Köhler, NZG 2008, 161, 164 ff. Zur Genehmigung eines Anstellungsvertrages, bei dessen Abschluss die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß vertreten war, vgl. BGH v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 f. = AG 1989, 129. 214 Zur Vergütungsentwicklung vgl. etwa die Sammlung der Vergütungsberichte der börsennotierten Unternehmen unter www.verguetungsregister.de; zur Struktur und Höhe der Vorstandsvergütung Maug/Albrecht, zfbf 63 (2011), 858; Kaiser, Grundsätze angemessener Vorstandsbezüge, 2015, S. 81 ff., 109 ff. Zu den theoretischen Grundlagen der Managementvergütung etwa Hoegen, Reform der Vorstandsvergütung, 2018, S. 131 ff. 215 Beispiele bei Lutter, ZIP 2006, 733, 734. 216 Vgl. hierzu nur die Beispiele bei Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 936 sowie die Gesetzgebungsanträge der Bundestagsfraktionen von SPD (BT-Drucks. 17/13472) und von Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 17/13239). 217 Vgl. nur den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VorstAG, BTDrucks. 16/12278, S. 1, 5.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 396 § 7

Verpflichtung zur individualisierten Offenlegung der Vorstandsvergütung bei börsennotierten Gesellschaften (§ 285 Nr. 9 Buchst. a Satz 5, § 314 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a Satz 5 HGB a.F.; jetzt § 162 AktG), nachdem die bereits im Jahre 2003 eingeführte Empfehlung des Kodex218, die Vorstandsbezüge individualisiert offenzulegen, nach Ansicht des Gesetzgebers von zu wenigen Gesellschaften befolgt worden war. Durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) von 2009 wurden weitere Regelungen geschaffen, die das Ziel verfolgen, angemessene Vorstandsbezüge sicherzustellen219; zu nennen sind insbesondere erweiterte Grundsätze für die Vorstandsbezüge (§ 87 Abs. 1 und 2 AktG), das Verbot, Vergütungsentscheidungen auf einen Aufsichtsratsausschuss zu delegieren (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), und das Recht der Hauptversammlung, einen unverbindlichen Beschluss über die Billigung des Systems der Vorstandsvergütung zu fassen (§ 120 Abs. 4 AktG a.F.). Außerdem wurden detaillierte Vorschriften über die Ausgestaltung der Vergütungssysteme bei Kreditinstituten und Versicherungen erlassen; dazu näher Rz. 1507. Den vorerst letzten gesetzgeberischen Schritt stellen die soeben durch das ARUG II220 geschaffenen Regelungen dar, die den Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft verpflichten, ein klares und verständliches System zur Vorstandsvergütung mit einem umfangreichen Katalog von Mindestangaben vorzulegen (§ 87a AktG), über dessen Billigung die Hauptversammlung zu beschließen hat (§ 124a AktG). Sie werden von einer Vielzahl Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex zur Ausgestaltung der Vorstandsvergütung (G.1-G.16) begleitet. In der rechtspolitischen Diskussion221 werden darüber hinaus immer wieder einmal gesetzliche Höchstgrenzen für Vorstandsgehälter222 oder für den Betriebsausgabenauszug von Gehältern und Abfindungen223 gefordert; dem ist der Gesetzgeber jedoch mit Recht nicht gefolgt, sondern hat sich damit begnügt, den Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften zur Festlegung eines Vergütungshöchstbetrags zu verpflichten, den die Hauptversammlung herabsetzen kann (§§ 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 87 Abs. 4 AktG, näher Rz. 397, 434). b) Vergütungssystem börsennotierter Gesellschaften Die durch das ARUG II eingeführte Regelung des § 87a AktG verpflichtet den Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft, ein klares und verständliches System zur Vergütung der Vorstandsmitglieder zu entwickeln und zu beschließen. Die Vorschrift enthält einen umfangreichen Katalog von Themen, zu denen sich das Ver218 Ziff. 4.2.4 des Kodex i.d.F. vom 21.5.2003. 219 Zu den rechtspolitischen Überlegungen zur Beschränkung der Vorstandsvergütung eingehend Seibert in FS Hüffer, 2010, S. 955 ff. 220 Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II), BGBl. I 2019, 2637. 221 Dazu eingehend Hoegen, Reform der Vorstandsvergütung, 2018, S. 171 ff., 381 ff. 222 Antrag der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag vom 14.5.2013, BT-Drucks. 17/ 13472; eingehend Gätsch, Fiduziarität und Vergütungsautonomie im Vorstandsrecht, 2016, S. 223 ff. 223 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 23.4.2013, BT-Drucks. 17/13239; Gesetzentwurf der SPD-Fraktion von Februar 2017 und dazu näher Mutter, AG Report 2017, 103 f.

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396

§ 7 Rz. 396 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

gütungssystem äußern muss224, sie enthält jedoch keine materiell-inhaltlichen Vorgaben zur Vorstandsvergütung, sondern die materiellen Anforderungen an die Vorstandsvergütung ergeben sich aus § 87 AktG. Das Vergütungssystem ist der Hauptversammlung gemäß § 120a Abs. 1 AktG zur Billigung vorzulegen (näher Rz. 430 ff.). 397

Die erst auf Empfehlung des Rechtsausschusses Gesetz gewordene Regelung in § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG verpflichtet den Aufsichtsrat, im Vergütungssystem eine Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder festzulegen. Dazu sind konkrete Zahlenangaben nötig. Dem Aufsichtsrat steht es aber frei, ob er eine Maximalvergütung für einzelne Vorstandsmitglieder und/oder für den Gesamtvorstand festlegt und ob er die Maximalvergütung für die Gesamtbezüge einheitlich oder für variable und fixe Vergütungsbestandteile gesondert festlegt225. Empfehlungen G.1 und G.2 des Kodex sehen allerdings vor, die Maximalvergütung nicht nur für den Vorstand insgesamt, sondern für die einzelnen Vorstandsmitglieder festzulegen, so dass die Festlegung eines Maximalbetrages nur für die gesamte Vorstandsvergütung eine Abweichungserklärung nach § 161 AktG nötig macht.

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Wegen der weiteren Angaben des Vergütungssystems kann auf den Gesetzestext des § 87a Abs. 1 AktG verwiesen werden. Außer der Angabe der Maximalvergütung nach Nr. 1 und einer – voraussichtlich inhaltsleeren – Äußerung zum „Beitrag der Vergütung zur Förderung der Geschäftsstrategie und zur langfristigen Entwicklung der Gesellschaft“ nach Nr. 2, sind die übrigen in § 87a Abs. 1 AktG vorgesehenen Angaben des Vergütungssystems nur insoweit erforderlich, wie das Vergütungssystem entsprechende Vergütungsbestandteile auch tatsächlich vorsieht. Zusätzlich schlägt Empfehlung G.1 des Kodex einige Angaben vor, die die der Empfehlung beigefügte Begründung des Kodex als die Eckpunkte des Vergütungssystems ansieht. Sie betreffen das Verfahren zur Bestimmung der Ziel-Gesamtvergütung der einzelnen Vorstandsmitglieder, den Anteil von Festvergütung sowie kurz- und langfristig variablen Vergütungsbestandteilen an der Ziel-Gesamtvergütung, die Leistungskriterien für die variablen Vergütungsbestandteile und die Frage, wie und wann über die variablen Vergütungsbeträge verfügt werden kann. Die Angaben des Vergütungssystems müssen „klar und verständlich“ sein. Dabei ist der Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Aktionärs zugrunde zu legen, ohne überzogene Anforderungen zu stellen226.

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Bei der Festsetzung der konkreten Vorstandsvergütung muss sich der Aufsichtsrat grundsätzlich im Rahmen eines der Hauptversammlung zur Billigung vorgelegten Vergütungssystems halten (§ 87a Abs. 2 Satz 1 AktG). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Hauptversammlung das ihr vorgelegte System gebilligt hat oder nicht. Der Aufsichtsrat kann der Vergütungsentscheidung auch ein Vergütungssystem zugrunde legen, das die Hauptversammlung abgelehnt hat227. Der Gesetzeswortlaut verlangt 224 225 226 227

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S. dazu näher Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 72 ff. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/15153, S. 63 f. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 72 f. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 74.

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 401 § 7

überdies nicht, dass die Vergütungsfestsetzung sich auf das letzte der Hauptversammlung zur Billigung vorgelegte Vergütungssystem stützt, sondern lässt es genügen, dass die Vergütung in Übereinstimmung „mit einem“ zur Billigung vorgelegten Vergütungssystem festgesetzt wird. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes wird der Aufsichtsrat jedoch in aller Regel das letzte vorgelegte Vergütungssystem verwenden müssen. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn die Hauptversammlung das vorgelegte Vergütungssystem nicht gebilligt hat und der Aufsichtsrat aus diesem Grunde auf das zuletzt gebilligte zurückgreifen möchte228. § 87a Abs. 2 Satz 2 AktG lässt es zu, dass der Aufsichtsrat vorübergehend von dem Vergütungssystem abweicht, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Zum einen muss die Abweichung im Interesse des langfristigen Wohlergehens der Gesellschaft notwendig sein, zum anderen müssen im Vergütungssystem das Verfahren des Abweichens und die Bestandteile, von denen abgewichen werden kann, benannt worden sein. Gedacht ist insbesondere an Krisensituationen, bei denen die langfristige Tragfähigkeit und Rentabilität der Gesellschaft in Gefahr ist und das Anwerben eines geeigneten Krisenmanagers Vergütungsanreize über das Vergütungssystem hinaus notwendig macht229. Dass im Vergütungssystem angegeben werden muss, nach welchem Verfahren der Aufsichtsrat davon abweichen kann, ist ein durch Art. 9a Abs. 4 2. ARRL verlangter übermäßiger Bürokratismus. Es genügt die Angabe, dass der Aufsichtsrat im Einzelfall eine vom Vergütungssystem abweichende Vergütung beschließen kann.

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c) Angemessenheit der Gesamtbezüge G.2 des Kodex empfiehlt dem Aufsichtsrat auf der Basis des Vergütungssystems für jedes Vorstandsmitglied zunächst dessen konkrete Ziel-Gesamtvergütung festzulegen. Dabei hat der Aufsichtsrat gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Die Zusage unangemessener Bezüge lässt die Wirksamkeit des Anstellungsvertrags grundsätzlich unberührt, insbesondere zieht eine Verletzung des Angemessenheitsgrundsatzes keine Nichtigkeit nach § 134 BGB nach sich230, sondern der Vertrag kann allenfalls wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder Missbrauchs der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nichtig sein231. Die Vereinbarung unangemessener Bezüge stellt jedoch eine Pflichtverletzung dar, die Schadensersatzansprüche ge228 Tendenziell großzügiger Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 74 f., der Aufsichtsrat könne „im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten nach pflichtgemäßem Ermessen“ auswählen. 229 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 75. 230 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 22; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 142; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 5. 231 Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 143 ff.; Kort, DStR 2007, 1127, 1129 ff.; Säcker/ Stenzel, JZ 2006, 1151, 1154; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 579 f.; Heins, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen einer Aktiengesellschaft, 2006, S. 159 f.; weitergehend

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401

§ 7 Rz. 401 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

gen die beteiligten Aufsichtsratsmitglieder (§ 116 Satz 3 AktG) begründet232; eine vorsätzliche Verletzung des Angemessenheitsgebots kann überdies eine strafbare Untreue der beteiligten Aufsichtsratsmitglieder (§ 266 StGB) sein233. Demgegenüber ist umstritten, ob die Vereinbarung unangemessener Bezüge auch eine Pflichtverletzung des betroffenen Vorstandsmitglieds ist; richtigerweise wird man das nicht annehmen können, weil das Vorstandsmitglied bei der Aushandlung der Bezüge keine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft trifft234. 402

Das Angemessenheitsgebot gilt für die Gesamtbezüge. Als Gesamtbezüge nennt § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen, anreizorientierte Vergütungszusagen und Nebenleistungen jeder Art. Dazu gehören auch Sachleistungen, wie die verbreitete Privatnutzung von Dienstwagen und Fahrer, nicht hingegen die Prämie für eine D&OVersicherung, da eine solche Versicherung in erster Linie im Eigeninteresse der Gesellschaft abgeschlossen wird (vgl. näher Rz. 1038)235. Bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen sind außerdem Zahlungen, die erst für den Fall der Beendigung des Vorstandsamtes zugesagt wurden, wie Abfindungen und Übergangsgelder, sowie die Versorgungszusagen. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob in die Angemessenheitsprüfung auch Leistungen von Dritten einzubeziehen sind, die im Hinblick auf die Vorstandstätigkeit gewährt werden. Das ist sachgerecht, soweit es um Bezüge geht, die sich – wie etwa Vergütungsleistungen nachgeordneter Konzerngesellschaften – wirtschaftlich zu Lasten der Mutter auswirken. Hingegen ist es sehr fraglich, ob Vergütungszahlungen übergeordneter Konzernunternehmen als Teil der Vorstandsvergütung in einem nachgeordneten Unternehmen angesehen werden können, und erst recht wird man dies bei Leistungen sonstiger Dritter zu bezweifeln haben236. Denn solche Drittzahlungen betreffen das Vermögen der Gesellschaft nicht und fallen daher nicht unter den Schutzzweck des § 87 AktG. Eine andere Frage ist es aller-

232 233 234

235

236

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Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 58 (teleologische Reduktion der Vertretungsmacht). Eingehend Hüffer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 589 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 18 f. Vgl. BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72 = AG 2006, 110 (Mannesmann); Bürgers in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 87 Rz. 7. Wie hier BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 81 = AG 2006, 110 (Mannesmann); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 23; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 141; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 5; a.A. Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 58; Kort, DStR 2007, 1127, 1132 f.; Grattenthaler, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern in Aktiengesellschaften, 2007, S. 61 ff.; Heins, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen einer Aktiengesellschaft, 2006, S. 161 ff.; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 577 f. Bestritten, wie hier Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 20; Bürgers in Bürgers/ Körber, Komm. AktG, § 87 Rz. 3; Kort, Großkomm. AktG, § 87 Rz. 152 ff.; Hohenstatt/ Naber, DB 2010, 2321 f.; Weber in Hölters, Komm. AktG, § 87 Rz. 7; Schwennicke in Grigoleit, Komm. AktG, § 87 Rz. 5; differenzierend Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 26 ff. Ebenso Traugott/Grün, AG 2007, 761, 768 f.; a.A. Lutter, ZIP 2006, 733, 736; Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 265; Semler in FS Budde, 1995, S. 599, 607 ff.

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 404 § 7

dings, in welchem Umfang Drittvergütungen überhaupt zulässig sind (dazu Rz. 427) und ob es sich mit den Sorgfaltspflichten verträgt, die auf der Ebene der Konzernmutter gelten, wenn diese an Tochtervorstände eine unangemessene Vergütung zahlt. Als Kriterien für die Angemessenheit nennt § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG die Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie die Lage der Gesellschaft, daneben können weitere Gesichtspunkte herangezogen werden, etwa Reputation, besondere Erfahrungen u.Ä.237. Das Kriterium der Aufgaben und Leistungen macht es nicht nötig, für jedes Vorstandsmitglied eine individuell unterschiedliche Vergütung festzusetzen, sondern mit Blick auf die Gesamtverantwortung des Kollegialorgans Vorstand bleibt es zulässig, alle oder einen Teil der Vorstandsmitglieder gleich zu vergüten238. Das Kriterium der Lage der Gesellschaft schließt auch bei einer schlechten wirtschaftlichen Lage höhere Bezüge nicht aus, sondern eine schlechte wirtschaftliche Lage kann im Gegenteil höhere Bezüge geradezu erfordern, um geeignete Persönlichkeiten zu gewinnen239.

403

Daneben ist die übliche Vergütung von Bedeutung, die gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht ohne besondere Gründe überstiegen werden soll. Dieses Kriterium umfasst zwei Komponenten, nämlich die horizontale und die vertikale Vergleichbarkeit240. Dabei meint horizontale Vergleichbarkeit, dass sich die festzusetzende Vorstandsvergütung bezogen auf Branche, Größe und Land im üblichen Bereich bewegen muss. Hierzu können die jährlichen individualisierten Veröffentlichungen der Vorstandsvergütungen in börsennotierten Gesellschaften Informationen liefern241. G.3 des Kodex empfiehlt dem Aufsichtsrat, eine geeignete Vergleichsgruppe anderer Unternehmen (Peer Group) heranzuziehen und deren Zusammensetzung offenzulegen. Üblichkeit ist allerdings ein Kriterium, mit dem vorsichtig umgegangen werden muss. Nicht alles, was üblich ist, muss deshalb schon angemessen sein, sondern der Aufsichtsrat bleibt auch bei der Anlehnung an übliche Standards zu einer kritischen Prüfung und zur eigenverantwortlichen Beurteilung der Angemessenheit verpflichtet; zutreffend ist auch der Hinweis in Empfehlung G.3 des Kodex, der Peer GroupVergleich sei mit Bedacht zu nutzen, damit es nicht zu einer automatischen. Aufwärtsentwicklung komme. Umgekehrt liegt ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 AktG nicht allein deshalb vor, weil die Bezüge über dem Niveau der Branche liegen242. Überragende Leistungen können auch sehr hohe Vergütungen rechtfertigen243; das

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237 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 14 f.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 19; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 7. 238 Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 719. 239 OLG Karlsruhe v. 24.11.2011 – 9 U 18/11, AG 2012, 464, 466 (und Leits. 2); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 3; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 9; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 14; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797, 798. 240 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VorstAG, BT-Drucks. 16/ 12278, S. 5; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 241 Sammlung der Vergütungsberichte unter www.verguetungsregister.de. 242 LG München v. 29.3.2007 – 5 HK O 12 931/06, NZG 2007, 477 = AG 2007, 458. 243 LG München v. 29.3.2007 – 5 HK O 12 931/06, NZG 2007, 477 = AG 2007, 458.

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§ 7 Rz. 404 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

gleiche kann gelten, wenn der „Marktwert“ konkreter Vorstandskandidaten besonders hoch ist244. Mit der vertikalen Vergleichbarkeit ist gemeint, dass die Vorstandsvergütung nicht Maß und Bezug zur Vergütungsstaffelung im Unternehmen verlieren soll245. Sie ist als Maßstab kaum justitiabel und hat eher die Bedeutung eines Appells zum Maß halten. Nach Empfehlung G.4 des Kodex soll der Aufsichtsrat dazu das Verhältnis der Vorstandsvergütung des oberen Führungskreises und der Belegschaft insgesamt, auch in der zeitlichen Entwicklung, berücksichtigen. Das fordert nicht die Einhaltung eines bestimmten Abstands zwischen den Vorstandsbezügen und den Bezügen der nächsten Ebene und schließt es auch nicht aus, dass einzelne nachgeordnete Mitarbeiter aufgrund von erfolgsabhängigen Vergütungen im Ergebnis mehr verdienen als die Vorstandsmitglieder246. In allgemeiner Form lässt sich das Angemessenheitsgebot nicht weiter konkretisieren247, und alle Versuche, de lege ferenda oder gar de lege lata Obergrenzen für Vorstandsgehälter zu definieren248, können nicht überzeugen249. 405

§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG verlangt für börsennotierte Gesellschaften schließlich, die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten. Die frühere, etwas nebulöse Formulierung, die Vergütungsstruktur sei auf eine „nachhaltige Unternehmensentwicklung“ auszurichten, hat das ARUG II geändert. Mit der Doppelung der Begriffe „nachhaltig“ und „langfristig“ will das Gesetz klarstellen, dass der Aufsichtsrat bei der Wahl der Vergütungsanreize auch soziale und ökologische Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen hat250, außerdem geht es darum, dass die Vergütungsstruktur keinen Fehlanreiz setzt, die langfristige Unternehmensentwicklung zugunsten kurzfristiger Erfolge zu vernachlässigen251. 244 Feudner, NZG 2007, 779, 780; Thüsing, ZGR 2003, 457, 468 ff. 245 Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 246 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 18; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, 2009, Rz. 7. 247 Zutreffend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 5; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 387 ff.; vgl. allerdings den Versuch bei Lücke, NZG 2005, 692, 696, aus Kennziffern des Unternehmens einen Vergütungskorridor abzuleiten; in diese Richtung auch Grattenthaler, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern in Aktiengesellschaften, 2007, S. 345 ff. 248 Vgl. z.B. Adams, ZIP 2002, 1325, 1343 (max. das 150-fache des durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelts) sowie die Gesetzgebungsanträge der Bundestagsfraktionen der SPD (BT-Drucks. 17/13472: Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs und Festlegung einer Höchstgrenze für das Verhältnis zwischen Vorstandsvergütung und durchschnittlichem Arbeitnehmereinkommen) und von Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 17/13239: Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs). 249 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 5; Fleischer, DStR 2005, 1279, 1281 ff.; Baums, ZIP 2004, 1877, 1879 f.; Grattenthaler, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern in Aktiengesellschaften, 2007, S. 377 ff.; Heins, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen einer Aktiengesellschaft, 2006, S. 55 ff. 250 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtssauschusses, BT-Drucks. 19/15153, S. 62. 251 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 72. So schon zu § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG a.F., die ganz überwiegende Auslegung, z.B. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 11; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 79 f.; Stenzel, Rechtliche und empirische Aspekte

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 407 § 7

Bei der Ausgestaltung der Vergütungszusage steht dem Aufsichtsrat ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Es handelt sich um eine unternehmerische Aufgabe, auf die die Grundsätze der Business Judgement Rule (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) Anwendung finden252. Der Aufsichtsrat handelt also rechtmäßig, so lange er vernünftigerweise davon ausgehen kann, auf der Basis angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Auch wenn es rechtlich nicht erforderlich ist, kann es sich empfehlen, dass der Aufsichtsrat zur Gestaltung des Vergütungssystems einen Vergütungsberater hinzuzieht. Eine im Jahr 2019 durchgeführte Aufsichtsratsstudie hat ergeben, dass derzeit etwas weniger als die Hälfte der Unternehmen davon Gebrauch macht253. G.5 des Kodex empfiehlt in diesem Fall, auf die Unabhängigkeit des Vergütungsexperten vom Vorstand und vom Unternehmen zu achten. Das setzt voraus, dass der Vergütungsberater in keiner geschäftlichen, persönlichen oder finanziellen Beziehung zur Gesellschaft und den Vorstandsmitgliedern steht, die die Objektivität seiner Beratung beeinträchtigen könnte254.

406

d) Zusammensetzung der laufenden Vergütung Die laufende Vorstandsvergütung setzt sich in der Praxis aus fixen und variablen Bestandteilen zusammen, wobei der Anteil der variablen Vergütung am Gesamteinkommen zunehmend an Bedeutung gewonnen hat255. Für börsennotierte Gesellschaften empfiehlt G.1 des Kodex die Vereinbarung fixer und variabler Vergütungselemente, aktienrechtlich bleibt aber auch die reine Festvergütung zulässig256. Zweck des Festgehalts ist die Deckung eines angemessenen Lebensunterhalts257. Die variablen Vergütungselemente lassen sich mit dem Gedanken einer angemessenen Beteiligung am unternehmerischen Erfolg rechtfertigen, während die Vorstellung, damit die Motivation der Vorstandsmitglieder zu steigern, weniger überzeugt258. G.6-G.11

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der Vorstandsvergütung, 2012, S. 70 ff.; Louven/Ingwersen, BB 2013, 1219, 1220 ff.; Klöhn, ZGR 2012, 1, 17; anders früher namentlich Röttgen/Kluge, NJW 2013, 900, 902 ff. mit unvertretbarer Überhöhung des früheren Nachhaltigkeitsgebots. BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 73 = AG 2006, 110 (Mannesmann); LG München v. 29.3.2007 – 5 HK O 12 931/06, NZG 2007, 477 = AG 2007, 458; LG München v. 23.8.2007 – 5 HK O 10 734/07, NZG 2008, 114, 115 = AG 2008, 133; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 39; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 4; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 40; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 50. Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V./Hengeler Mueller, Aufsichtsratsstudie 2019, 9/ 2019, S. 7. Näher dazu Baums, AG 2010, 53, 56 ff.; Fleischer, BB 2010, 67, 71; Weber-Rey/Buckel, NZG 2010, 761, 762 ff.; Goslar in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 4.2.2 Rz. 32. Näher Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 36. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 72; BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, ZIP 2019, 244 Rz. 33; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 22; Fleischer in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 35; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 45; HoffmannBecking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 10. Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 126; Weber/Burmester, Anstellungsvertrag für Manager, S. 37. Näher Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 129.

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407

§ 7 Rz. 407 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

des Kodex enthalten eine Reihe detaillierter Empfehlungen zur Ausgestaltung der variablen Vergütung. 408

Die Vorgabe aus § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG, die Vergütungsstruktur bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten, konkretisiert Satz 3 der Vorschrift dahingehend, es sei „daher“ für variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage vorzusehen. Das gilt zwar als gesetzliche Verpflichtung nur für börsennotierte Aktiengesellschaften, sollte aber grundsätzlich auch von nicht-börsennotierten Gesellschaften berücksichtigt werden259. Zweck der Regelung ist es, zu verhindern, dass durch die Vergütungsstruktur Fehlanreize zur Eingehung übermäßiger Risiken gesetzt werden260. Welche Dauer ein „mehrjähriger“ Bemessungszeitraum haben muss, ist umstritten. Nach dem Wortlaut genügen 2 Jahre. Manche Autoren lassen das als zeitliches Minimum genügen, auch wenn sie einen längeren Zeitraum empfehlen261. Nach dem Gesetzeszweck wird eher ein Zeitraum von mindestens drei Jahren zu fordern sein262. Dabei ist das langfristig variable Element so auszugestalten, dass nicht nur die Auszahlung hinausgeschoben wird, sondern die variablen Bestandteile auch an negativen Entwicklungen im gesamten Bemessungszeitraum teilnehmen263. § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG verlangt nicht, dass alle variablen Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben, sondern es ist auch eine Kombination vom Jahreserfolg abhängiger Vergütungskomponenten (Tantieme, Bonus) mit langfristigen variablen Komponenten zulässig264 und in der Praxis üblich. Bei einer solchen Kombination verschiedener variabler Vergütungskomponenten ist allerdings sicherzustellen, dass insgesamt ein langfristiger Verhaltensanreiz erzeugt wird. Das ist jedenfalls der Fall, wenn die langfristigen Elemente überwiegen265, was auch G.6 des Kodex empfiehlt. Bei der Frage, ob insgesamt ein langfristiger Verhaltensanreiz erzeugt wird, können aber auch weitere Gestaltungsfaktoren, wie z.B. die Verpflichtung während der Dauer der Vorstandszugehörigkeit in bestimmtem Umfang Aktien der Gesellschaft

259 Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 260 Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 5; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 45; Fleischer, NZG 2009, 801, 803. 261 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 12; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 87 Rz. 12; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1985. 262 So etwa Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 31; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 48; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 10 f.; Eichner/ Delahaye, ZIP 2010, 2082 f.; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 17 ff.; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 723; so auch die Empfehlung der EU-Kommission zur Vorstandsvergütung KOM 2009/385/EG, ABl. Nr. L 120 v. 15.5.2009, S. 29. 263 Bericht des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 16; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 13. 264 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 11; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 34; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 45. 265 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beilage zu Heft 26/2009, Rz. 21; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 12.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 410 § 7

zu halten266, herangezogen werden. Im Ergebnis kommt es auf die Bewertung der Umstände des konkreten Falles an; feste Zahlen für das nötige Verhältnis von langund kurzfristig variablen Vergütungselementen lassen sich nicht aufstellen267. Für die konkrete Ausgestaltung kurz- und langfristiger Vergütungselemente hat die Praxis viele Formen entwickelt268. Als Erfolgsparameter stehen betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie EBIT, EBITA, ROCE u.a. im Vordergrund, zunehmend finden sich neben betriebswirtschaftlichen Erfolgskennziffern aber auch andere Parameter, die etwa an die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern, Umweltziele (z.B. Co2Reduktion) u.Ä anknüpfen können269; auch die Erreichung von CSR-Zielen kann als Vergütungselement gewählt werden270. Die variable Vergütungszahlung bemisst sich dann anhand für die entsprechenden Erfolgsparameter festgelegter Ziele und dem Grad der Zielerreichung. Solche Erfolgsziele sind sowohl für kurzfristig als auch für langfristig variable Vergütungskomponenten geeignet, indem die Ziele für ein Jahr oder für einen längeren Zeitraum festgelegt werden; langfristige Zielvorgaben müssen allerdings so festgelegt werden, dass sie nicht durch Einmaleffekte erreicht werden können271. Zu beachten ist außerdem, dass es nicht die Aufgabe des Aufsichtsrats ist, Unternehmensziele zu definieren, sondern dies in die autonome Leitungskompetenz des Vorstands fällt. Unternehmenszielorientierte Vergütungselemente müssen daher auf der Planung des Vorstands aufbauen und dürfen nicht dazu führen, dass der Aufsichtsrat über das Vergütungssystem die Unternehmensplanung gestaltet272.

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Als variable Vergütungskomponenten finden sich in der Praxis neben ergebnis- und kennzahlenabhängigen Vergütungselementen vielfach aktienbasierte Vergütungs-

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266 Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beilage zu Heft 26/2009, Rz. 24; Eichner/Delahaye, ZIP 2010, 2082, 2083. 267 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 34; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 48; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, 12. 268 Näher Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 51 f.; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 138 ff.; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 10 ff.; Eichner/Delahaye, ZIP 2010, 2082, 2085 ff. 269 Nähere Angaben bei Velte, NZG 2010, 12, 14 f.S. auch Arbeitskreis deutscher Aufsichtsräte e.V./Hengeler Mueller, Aufsichtsratsstudie 2019, 9/2019, S. 9, wonach 35 % der befragten Unternehmen die langfristig variable Vergütung allein an quantitative Finanzkennziffern anknüpfen, 62,5% daneben auch konkrete qualitative Kriterien heranziehen, während ausschließlich qualitative Elemente sehr selten sind (25%). Aktuell wohl nicht mehr zutreffend Florstedt, ZIP 2020, 1, 3, der auch heute noch von einer geringeren Bedeutung nichtfinanzieller Kriterien ausgeht. 270 Dazu Velte, NZG 2016, 294, 298 f.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 67. 271 Näher Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 11. 272 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 28; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 82; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 52; Fonk, NZG 2011, 321 ff.; C. Schäfer in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 557 ff.; zu eng Dauner-Lieb/Preen/Simon, DB 2010, 377, 381, mit der Annahme, der Vorstand selbst müsse anhand seiner Strategie realistische Gehaltsvorstellungen entwickeln.

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§ 7 Rz. 410 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

bestandteile273. Diese können etwa in einer vom Aktienkurs oder der mehrjährigen Kursentwicklung abhängigen Zahlung bestehen. Verbreitet ist aber auch die Gewährung von Aktien der Gesellschaft ohne spezielle Erfolgsziele, jedoch verbunden mit der Verpflichtung des Begünstigten, die Aktien langfristig zu halten, um auf diese Weise an einer langfristig positiven Kursentwicklung interessiert zu sein („restricted shares“)274. G.10 des Kodex empfiehlt neuerdings, dass die dem Vorstandsmitglied gewährten variablen Vergütungselemente entweder aktienbasiert gewährt oder von ihm überwiegend in Aktien der Gesellschaft angelegt werden sollen. Demgegenüber sind an bestimmte Erfolgsziele geknüpfte „Aktienoptionsprogramme“275, die seit Mitte der 1990er Jahre eine große Rolle gespielt hatten276, in der Praxis selten geworden. 411

Eine nachträgliche Herabsetzung festgelegter Erfolgsziele (Repricing) widerspricht im Allgemeinen dem Zweck der variablen Vergütung und wird deshalb mit Recht als unerwünscht angesehen277. G.8 des Kodex empfiehlt dementsprechend, ein Repricing auszuschließen. Ein striktes Verbot lässt sich allerdings nicht formulieren, solange die Vergütung auch nach der Herabsetzung den Rahmen des § 87 Abs. 1 AktG einhält und die Grenzen des Mannesmann-Urteils gewahrt bleiben (vgl. Rz. 416). Sollen Aktien gewährt werden, erfordert die Änderung der durch die Hauptversammlung festgelegten Erfolgsziele (§§ 193 Abs. 2 Nr. 4, 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG) einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss, während etwa eine Ermächtigung des Aufsichtsrats zum Repricing im Ausgangsbeschluss unzulässig wäre278.

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Häufig finden sich Tantiemeregelungen, die für die Berechnung nicht an Erfolgsparameter der Gesellschaft, sondern des Konzerns anknüpfen. Das ist bei Bestehen eines Beherrschungsvertrags oder eine Eingliederung unproblematisch279. Im bloß faktischen Konzern kann eine Anknüpfung an die Erfolgsparameter des Konzerns für Vorstandsmitglieder der Konzernspitze sachgerecht sein, denn in ihren Verantwortungsbereich fällt nicht nur die Führung der Gesellschaft, sondern auch die Leitung und Überwachung der verbundenen Unternehmen280; allerdings darf die Ver273 Vgl. auch Arbeitskreis deutscher Aufsichtsräte e.V./Hengeler Mueller, Aufsichtsratsstudie 2019, 9/2019, S. 11, wonach 53 % der befragten Aufsichtsräte Aktien als Bestand der Vorstandsvergütung nutzen, während 22 % sich bewusst dagegen entschieden haben. 274 Zur Beschaffung von restriced shares eingehend Krieger/Sven H. Schneider in FS Hellwig, 2010, S. 181. 275 Dazu näher etwa Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 58 f.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 103 ff. 276 Nähere Angaben bei v. Rosen/Leven in Harrer, Mitarbeiterbeteiligungen und Stock-Option-Pläne, Rz. 57 ff.; Scheuer, Aktienoptionen als Bestandteil der Arbeitnehmervergütung in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, 2004, S. 15 ff. 277 Vgl. nur Fuchs, MünchKomm. AktG, § 192 Rz. 73; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 798, 803. 278 Näher Käpplinger/Käpplinger, WM 2004, 712 ff.; Semmer, Repricing – Die nachträgliche Modifikation von Aktienoptionsplänen zugunsten des Managements, 2005, S. 105 ff. 279 Begr. RegE KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 23 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 14; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 69. 280 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 42.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 414 § 7

gütung nicht so ausgestaltet sein, dass durch sie ein Anreiz gesetzt wird, Belange der Obergesellschaft zu vernachlässigen281. Für Vorstandsmitglieder von Tochtergesellschaften hingegen wurden Tantiemeregelungen, die überwiegend auf das Konzernergebnis abstellen, verbreitet als problematisch angesehen, weil sie den Tochtervorstand einseitig auf den Erfolg der Mutter motivierten und dadurch mit der Verpflichtung des Tochtervorstands zur eigenverantwortlichen Leitung kollidieren könnten282. Gerade im Aktienrecht mit seinen konzernrechtlichen Schutzvorschriften der §§ 311 ff. AktG erscheint das jedoch als überzogen, so dass inzwischen wohl die Stimmen überwiegen, die am Erfolg der Muttergesellschaft orientierte Vergütungskonzepte für den Vorstand abhängiger Gesellschaften grundsätzlich zulassen283; das scheint auch die Auffassung des Bundesgerichtshofs zu sein284. Die Verpflichtung des Aufsichtsrats, die Angemessenheit der Gesamtbezüge sicherzustellen (§ 87 AktG), verlangt, geeignete Regelungen zu treffen, um zu verhindern, dass variable Vergütungsbestandteile zu unangemessen hohen Zuflüssen führen können. § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG hält den Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften deshalb an, für außerordentliche Entwicklungen eine Begrenzungsmöglichkeit (Cap) zu vereinbaren. Das kann in Form einer generellen Vereinbarung im Anstellungsvertrag geschehen, es reicht aber auch, einen entsprechenden Vorbehalt bei Zuteilung der Optionen zu vereinbaren oder in die Optionsbedingungen aufzunehmen. Der in § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG vorgesehene Cap betrifft allerdings nur den Fall, dass außerordentliche Entwicklungen eintreten. Daneben hat die Vereinbarung eines echten „Caps“, also einer ziffernmäßig festgelegten Höchstgrenze zu treten, die schon in der Vergangenheit durch Ziff. 4.2.3 Abs. 2 Satz 6 Kodex 2017 empfohlen wurde und jetzt durch § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG verlangt wird.

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G.11 Satz 1 des Kodex empfiehlt über § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG hinausgehend, der Aufsichtsrat solle die Möglichkeit haben, außergewöhnlichen Entwicklungen in angemessenem Rahmen Rechnung zu tragen. Gemeint ist damit eine anstellungsvertragliche Regelung, die es dem Aufsichtsrat erlaubt, die sich aufgrund der getroffenen

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281 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 11; insoweit zutreffend auch Spindler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1536 ff., die Vergütung dürfe nicht so ausgestaltet sein, dass nur das Interesse einer Tochtergesellschaft zu Lasten der Mutter verfolgt werde. 282 OLG München v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, ZIP 2008, 1237, 1239 f. = AG 2008, 593; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 42; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 11; Spindler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1536 ff.; Tröger, ZGR 2009, 447, 452 ff.; Vollmer in FS Großfeld, 1999, S. 1269, 1279 ff.; abratend auch Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 134. 283 Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 192 Rz. 61a/b; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 192 Rz. 14 f.; Reichert/Balke in FS Hellwig, 2011, S. 285, 291; Goette in FS Hopt, 2010, S. 689, 693 ff. („Brechstangenlösung“); Austmann, ZGR 2009, 277, 289 f.; Habersack in FS Raiser, 2005, S. 111, 118; Martens in FS Ulmer, 2003, S. 399, 416 f. 284 BGH v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436, 2437 = AG 2010, 79, der die Frage zwar im Ergebnis offenlässt, zur entgegenstehenden Meinung des OLG München v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, ZIP 2008, 1237, 1239 f. = AG 2008, 593 jedoch die Bemerkung macht, dass es sich hierbei um einen „sich von den Regeln des § 87 AktG a.F. entfernenden Ansatz“ handele.

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§ 7 Rz. 414 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

Vereinbarungen eigentlich ergebende kurz- oder langfristig variable Vergütung angemessen zu erhöhen oder zu vermindern, wenn eine Sondersituation eintritt, die in den vorher festgelegten Zielen nicht hinreichend erfasst war285. 415

In die Kategorie der erfolgsabhängigen Vergütungskomponenten fallen auch die in der Vergangenheit verbreiteten, heute jedoch seltener gewordenen Ermessenstantiemen, die dem Vorstand keinen bestimmten Zahlungsanspruch geben; ob sie einen Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung durch den Aufsichtsratbegründen, richtet sich nach ihrer konkreten Ausgestaltung286. Sie sind besonders geeignet, um bei der Vorstandsvergütung jährlich die persönlichen Leistungen des Vorstandsmitglieds zu berücksichtigen287, werden allerdings zum Teil kritisch gesehen, weil sie die Gefahr begründeten, dass der Vorstand sich zu sehr an den Wünschen des Aufsichtsrats ausrichte288. Ermessenstantiemen sind auch im Lichte des MannesmannUrteils (vgl. Rz. 416) rechtlich zulässig289. Demgegenüber ist die heute seltener gewordene Garantietantieme der Sache nach Bestandteil der Festvergütung; dass diese nicht als Teil des Festgehalts gezahlt, sondern als gesonderte Tantieme bezeichnet wird, hat im Allgemeinen den Hintergrund, dass dieser Teil der festen Vergütung bei der Berechnung der Altersversorgungsleistung nicht mit herangezogen werden soll290.

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Einmalige erfolgsabhängige Vergütungskomponenten können dazu dienen, besondere, einmalige Leistungen zu honorieren, wie die Umsetzung eines bestimmten geschäftlichen Vorhabens, die Erreichung bestimmter Kennzahlen u.Ä.. Sie können im Vorhinein auf der Basis einer Zielvereinbarung festgelegt werden, sind in dieser Form aber wohl nicht sehr verbreitet. In aller Regel ist es aber auch zulässig, sie im Nachhinein auf freiwilliger Basis zu gewähren291. Allerdings kann dem das verfehlte Mannesmann-Urteil des BGH292 entgegenstehen, wenn das Vorstandsamt zeitnah 285 Begründung zu Empfehlung G.11 des Kodex. 286 Vgl. jüngst BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, ZIP 2019, 2349 Rz. 16: kein Anspruch auf Ermessensentscheidung. 287 Näher Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 131. 288 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 29. 289 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 75 = AG 2006, 110 (Mannesmann); Lutter, ZIP 2006, 733, 737. 290 BGH v. 9.5.1994 – II ZR 128/93, NJW-RR 1994, 1055, 1056; OLG Celle v. 29.8.2007 – 3 U 37/07, AG 2008, 165 = NZG 2008, 79; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 52. 291 Zur Vereinbarkeit mit § 87 Abs. 1 AktG näher Raapke, Die Regulierung der Vergütung, 2012, S. 179 ff.; Poguntke, ZIP 2011, 893, 895 ff. 292 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72 = AG 2006, 110 (Mannesmann); ablehnend die ganz überwiegende Literatur, z.B. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 7; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 57; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127 ff.; Dreher, AG 2006, 213 ff.; Spindler, ZIP 2006, 349 ff.; Peltzer, ZIP 2006, 205 ff.; s. auch schon Fonk, NZG 2005, 248, 250 f.; Marsch-Barner in FS Röhricht, 2005, S. 401, 406; Fleischer, DStR 2005, 1318, 1320 ff.; Kort, NJW 2005, 333, 334; wie der BGH hingegen Martens, ZHR 169 (2005), 124, 131 ff.; Rolshoven, Die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit von Anerkennungsprämien, 2006, S. 86 ff.; Grattenthaler, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern in Aktiengesellschaften, 2007, S. 312 ff.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 417 § 7

endet. Nach dieser Entscheidung sollen freiwillige Leistungen, auf die das Vorstandsmitglied keinen vertraglichen Anspruch hat, nur dann zulässig sein, wenn ihnen ein angemessener künftiger Vorteil für die Gesellschaft gegenübersteht, zumindest in Form einer Anreizwirkung für das Vorstandsmitglied oder für andere Führungskräfte. Hingegen seien rein belohnende Leistungen an Vorstandsmitglieder unzulässig und als Untreue strafbar293. Eine freiwillige Tantieme kann nach diesen Grundsätzen nur gezahlt werden, wenn die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds weiter andauert und die Leistung damit eine Anreizwirkung gegenüber dem Vorstandsmitglied entfalten kann, oder wenn die Leistung in einer Form bekannt gemacht wird, dass sie Anreizwirkung gegenüber anderen Führungskräften entfalten kann. Wenn sich der Aufsichtsrat die Möglichkeit offenhalten will, auch an ein ausscheidendes Vorstandsmitglied bei besonderen Leistungen eine freiwillige Prämie zu zahlen, empfiehlt sich deshalb eine entsprechende vertragliche Regelung294, wobei es erforderlich sein wird, die Regelung so auszugestalten, dass sich mit ihr ein Anspruch des Vorstandsmitglieds auf sachgerechte Ermessensausübung verbindet. e) Ruhegehalt, Übergangsgeld Zu den üblichen Leistungszusagen an ausgeschiedene Vorstandsmitglieder gehören Ruhegehaltsregelungen, die für das Vorstandsmitglied und seine Hinterbliebenen Ansprüche auf Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung begründen295. Dabei standen in der Vergangenheit Leistungszusagen („defined benefit“) im Vordergrund, die dem Vorstandsmitglied und seinen Hinterbliebenen für den Eintritt des Versorgungsfalls (Erreichen der Altersgrenze, Invalidität, Tod) eine bestimmte Versorgungsleistung zusagen (verbreitet sind Alters- und Invaliditätsleistungen von 50– 60 % der Festbezüge, Witwenrenten von 60 % der Altersrente296 und Waisenrenten von 10–20 % der Altersrente297). Inzwischen nehmen beitragsorientierte Zusagen („defined contribution“) zu, bei denen eine bestimmte jährliche Beitragszahlung festgelegt und vereinbart wird, dass sich bei Eintritt des Versorgungsfalls aus den angesammelten Beitragsleistungen die Höhe der Versorgungsleistung berechnet298. Auch Ruhegehaltszusagen unterliegen als Teil der Gesamtbezüge dem gesetzlichen Angemessenheitsgebot (§ 87 Abs. 1 Satz 4 AktG)299. Ruhegehaltszahlungen müssen über293 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 74 = AG 2006, 110 (Mannesmann). 294 So die Empfehlung von Peltzer, ZIP 2006, 205, 207; ebenso die inzwischen verbreitete Vertragspraxis, vgl. etwa Hoffmann-Becking/Berger, Beck’sches Formularbuch, Form X.13 § 2 Abs. 6 Satz 2. 295 Dazu eingehend Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 236 ff.; Fonk, ZGR 2009, 413 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 70 ff.; Grattenthaler, Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern in Aktiengesellschaften, 2007, S. 254 ff.; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 353 ff.; Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721 ff.; Doetsch, AG 2010, 465 ff. 296 Fonk, ZGR 2009, 413, 429 ff.; Doetsch, AG 2010, 465, 467 f., der eine Bandbreite von 40– 80 % nennt. 297 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 87; Doetsch, AG 2010, 465, 468. 298 Näher Fonk, ZGR 2009, 413, 417 ff.; Doetsch, AG 2010, 465, 468. 299 Näher Doetsch, AG 2010, 465, 469 ff.; Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 725 f.

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§ 7 Rz. 417 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

dies rechtzeitig erteilt werden; einer Gewährung oder Aufbesserung von Pensionszusagen erst bei Ausscheiden wird in aller Regel das Mannesmann-Urteil des BGH entgegenstehen (vgl. dazu Rz. 416). Neben der Ausgestaltung und Höhe der Versorgungsleistungen ist darüber zu entscheiden, ob die Pensionsverpflichtungen in der Gesellschaft verbleiben oder – etwa im Wege des sog. contractual trust arrangements – aus der Bilanz ausgelagert werden sollen300. 418

Neben Pensionszusagen stehen Vereinbarungen, die dem Vorstandsmitglied für den Fall unverschuldeten Ausscheidens ein Übergangsgeld gewähren, zumeist in Höhe der vereinbarten Ruhegeldleistungen („dritter Pensionsfall“)301. Solche Leistungen, die die Zeit bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand oder bis zur Aufnahme einer neuen Tätigkeit überbrücken sollen, sind vertretbar, wenn sie von der Erreichung eines bestimmten Lebensalters und/oder einer bestimmten Amtszeit abhängig sind und sich auf einen angemessenen Zeitraum beschränken, sie werden jedoch häufig gegen das Angemessenheitsgebot des § 87 AktG verstoßen, wenn die Zusage selbst bei jüngeren Vorstandsmitgliedern „vom ersten Tag an“ gilt, der Zeitraum nicht begrenzt ist und die Zahlungen für viele Jahre oder gar Jahrzehnte bis zum Eintritt in den Ruhestand geschuldet werden302. Außerdem ist in aller Regel die Anrechnung anderweitigen Einkommens zwingend zu vereinbaren303. Die Vereinbarung einer Abfindung- oder Übergangszahlung auch für den Fall einer Abberufung oder Kündigung aus wichtigem Grund ist unwirksam304. f) Abfindungsleistungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder

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Im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern sind vielfach finanzielle Fragen klärungsbedürftig. Dazu hat der BGH im Mannesmann-Urteil (vgl. Rz. 416) den Grundsatz aufgestellt, dass rein belohnende Leistungen an Vorstandsmitglieder unzulässig und als Untreue strafbar seien. Zulässig seien nur solche Leistungen, auf die das Vorstandsmitglied entweder einen vertraglichen Anspruch habe oder denen ein angemessener Vorteil für die Gesellschaft gegenüber stehe, zumindest in Form einer Anreizwirkung für andere Führungskräfte305.

420

Bei vorzeitiger Vertragsaufhebung kann nach diesen Grundsätzen als Abfindung ein Betrag gezahlt werden, der sich an den für die restliche Vertragslaufzeit geschuldeten Leistungen der Gesellschaft bemisst. Allerdings wird man fordern müssen, dass – 300 Vgl. dazu näher Fonk, ZGR 2009, 413, 416 f., 423 f. 301 Näher Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 386 ff.; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 243; Redenius-Hövermann, Der Aufsichtsrat 2012, 39. 302 Ebenso Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 725; vgl. auch Redenius-Hövermann, Der Aufsichtsrat 2012, 39 f.; Veltins, Der Aufsichtsrat 2013, 86 f. 303 Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 390; Redenius-Hövermann, Der Aufsichtsrat 2012, 39, 40; Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 725. 304 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, AG 2001, 44 = ZIP 2000, 1442 und BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, AG 2008, 894 = NZG 2008, 471. 305 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 74 = AG 2006, 110 (Mannesmann); mit Recht ablehnend die ganz h.M. in der Literatur, vgl. Rz. 416.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 422 § 7

wenn der Vertrag nicht ohnehin nur noch eine geringe Restlaufzeit hat – ein angemessener Abzug für den Verzicht auf die bei Fortbestand des Vertrages geschuldete Anrechnung anderweitigen Einkommens (§ 615 Satz 2 BGB) gemacht wird306; auf eine Abzinsung kann jedenfalls bei anhaltender Niedrigzinsphase verzichtet werden. Eine Abfindung, die über eine volle Abgeltung der vertraglichen Ansprüche für die restliche Vertragslaufzeit hinausgeht, ist vor dem Hintergrund der MannesmannEntscheidung nur in Ausnahmefällen denkbar307, insbesondere dann, wenn der Vertrag einen entsprechenden Abfindungsanspruch gewährt. G.13 des Kodex empfiehlt, bei Abschluss von Vorstandsverträgen darauf zu achten, dass Zahlungen bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit den Wert von zwei Jahresvergütungen nicht überschreiten (Abfindungs-Cap) und nicht mehr als die Restlaufzeit des Vertrages vergüten. Technisch lässt sich der Abfindungs-Cap für Fälle, in denen ein wichtiger Grund zum Widerruf der Bestellung besteht, durch eine Koppelungs- oder Kündigungsklausel im Anstellungsvertrag umsetzen, die vorsieht, dass bei Beendigung der Bestellung auch der Anstellungsvertrag endet oder ordentlich gekündigt werden kann und das Vorstandsmitglied in diesem Fall einen Abfindungsanspruch hat, sofern nicht ein wichtiger Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages vorliegt308. Fehlt ein wichtiger Abberufungsgrund, hilft eine solche Klausel jedoch nicht, solange nicht das Vorstandsmitglied bereit ist, einvernehmlich zu diesen Konditionen auszuscheiden309. Gelegentlich verbindet sich mit dem vorzeitigen Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots mit entsprechender Karenzentschädigung. Nach Empfehlung G.13 Satz 2 des Kodex soll die Abfindungszahlung auf die Karenzentschädigung angerechnet werden. Diese Empfehlung ist sachgerecht, da das Vorstandsmitglied bei Fortsetzung des Vertrages dem vertraglichen Wettbewerbsverbot unterläge, so dass das Vorstandsmitglied mit der Abfindung für die restliche Vertragslaufzeit zugleich bereits eine Entschädigung für das Wettbewerbsverbot erhält.

421

Change of Control-Klauseln sehen zumeist vor, dass das Vorstandsmitglied im Falle einer (im Detail definierten) Übernahme der Gesellschaft das Recht hat, seine Vorstandstätigkeit vorzeitig zu beenden und unter Erhalt einer Abfindung auszuscheiden310. Solche Regelungen sollen sicherstellen, dass Vorstandsmitglieder bei einer Übernahmesituation ihr Verhalten ohne Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage

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306 Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2104; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 53. 307 Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2104; Lutter, ZIP 2006, 733, 737; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 67 ff.; großzügiger Kort, Großkomm. AktG, § 87 Rz. 297 f.; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 358. 308 Vgl. dazu Lutter, BB 2009, 1874, 1875 f.; Bauer/Arnold, BB 2008, 1692, 1695 f.; Hohenstatt/Willemsen, NJW 2008, 3462, 3463 ff.; Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2106. 309 Näher Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2106; Bauer/Arnold, BB 2007, 1793, 1794 f.; Dorrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846, 848 ff. 310 Näher Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 55; Korts, BB 2009, 1876; Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2103 f.; Dorrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846, 847; Dreher, AG 2002, 214, 217 ff.; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 348 f.

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§ 7 Rz. 422 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

ausschließlich am Interesse des Unternehmens und seiner Aktionäre ausrichten können311. Sie sind, solange sich die geldwerten Leistungen im Rahmen des Angemessenen bewegen, rechtlich unbedenklich312. Das ist auch dann nicht anders, wenn eine Change of Control-Klausel in Erwartung eines konkreten Übernahmeversuchs abgeschlossen wird, denn ihr Zweck, die Unabhängigkeit des Vorstands zu sichern, ist auch dann noch erreichbar313. Als Abfindung ist häufig die Abgeltung der Ansprüche für die restliche Vertragslaufzeit und eine Zusatzzahlung von ein bis zwei Jahresbezügen vorgesehen314. Ziff. 4.2.3 Abs. 5 Kodex 2017 empfahl hierzu, dass die Leistungszusage aus einer Change of Control-Klausel 150 % des Abfindungs-Caps (vgl. Rz. 420) nicht übersteigen, d.h. auf insgesamt max. drei Jahresbezüge beschränkt sein sollte315; inzwischen spricht sich der Kodex in Anregung G.14 dafür aus, auf die Zusage von Change of Control-Leistungen zu verzichten. g) Herabsetzung der Bezüge; Clawback-Klauseln 423

Nach § 87 Abs. 2 AktG soll der Aufsichtsrat die Bezüge der Vorstandsmitglieder auf die angemessene Höhe herabsetzen, wenn sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge unbillig wäre316. Die praktische Bedeutung der Regelung ist gering. Eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft liegt jedenfalls dann vor, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird317. Nach der Gesetzesbegründung soll es auch genügen, wenn sie in die Krise gerät oder Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und keine Gewinne mehr ausschütten kann318. Die zuletzt genannten Kriterien sind allerdings zweifelhaft und

311 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 55; Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2103; Dreher, AG 2002, 214, 216 f.; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 178; Dorrwächter/Trafkowski, NZG 2007, 846, 847. 312 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 9; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 53; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 178 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 55; Kort, AG 2006, 106, 108; Dreher, AG 2002, 214, 216 f.; a.A. Lutter, ZIP 2006, 733, 736; Martens, ZHR 169 (2005), 124, 143, die die Zusage einer Abfindung in der Change of Control-Klausel für unangemessen und unzulässig ansieht. 313 Überzeugend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 86; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 171; wohl auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 9; a.A. Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 162; Spindler in FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1407, 1428 f.; Spindler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1546; Kort, Großkomm. AktG, § 87 Rz. 321; Kort, AG 2006, 106, 108. 314 Näher Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2104; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 55; enger Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 182; Kort, AG 2006, 106, 107; zu eng Spindler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1545 f., der höchstens die Abgeltung der restlichen Gehaltszahlungen für zulässig hält. 315 Vgl. hierzu Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2106 f. 316 Eingehend Oetker, ZHR 175 (2011), 527. 317 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 23 f. = AG 2016, 214. 318 Begr. des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VorstAG, BTDrucks. 16/12278, S. 6.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 424 § 7

problematisch319. Da die Vorstandsmitglieder grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, die vertraglich vereinbarte Vergütung zu erhalten, ist § 87 Abs. 2 AktG im Lichte von Art. 14 GG restriktiv auszulegen320. Deshalb wird man an die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft anzuknüpfen und eine krisenhafte Situation des Unternehmens als Voraussetzung für eine Herabsetzung zu fordern haben321. Unbillig ist die ungekürzte Weitergewährung der Vorstandsvergütung immer dann, wenn der fragliche Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat, liegt kein Pflichtenverstoß vor, so soll eine Unbilligkeit trotzdem in Betracht kommen, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft in die Amtszeit des fraglichen Vorstandsmitglieds fällt und ihm zurechenbar ist322; ohne Zurechenbarkeit der Krise muss eine Herabsetzung der Vergütung jedoch ausscheiden323. Die Herabsetzung ist rückgängig zu machen, wenn die Verschlechterung der Gesellschaftslage entfallen ist324. Als Rechtsfolge sieht § 87 Abs. 2 AktG eine Herabsetzung auf die angemessene Höhe vor. Das ist der gerade noch der Billigkeit entsprechende Betrag, eine weitergehende Herabsetzung ist unzulässig325. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen, wie z.B. der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft, der Grad, in dem diese Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zuzurechnen ist, aber auch die persönlichen Verhältnisse des Vorstandsmitglieds326. Die Gehälter der leitenden Angestellten sind dabei keine fixe Untergrenze327. § 87 Abs. 2 AktG erlaubt es nicht, die Vergütung für die Vergangenheit herabzusetzen, sondern das Herabsetzungsrecht beschränkt sich auf künftige Bezüge. Auf Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art erstreckt sich das Herabsetzungsrecht ebenfalls, allerdings mit der Maßgabe, dass diese Leistungen nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft herabgesetzt werden können (§ 87 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Regelung ist – auch im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG – sehr problematisch, weil sie in bereits verdiente Leistungen im Nach319 Vgl. nur Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 20; Hoffmann-Becking/ Krieger, NZG 2009, Beilage zu Heft 26, Rz. 32; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 725; Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352; Thüsing, AG 2009, 517, 522. 320 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 24 = AG 2016, 214. 321 Raitzsch, NZG 2019, 495, 497; Ihrig/Wandt/Wittgens, ZIP 2012, Beilage zu Heft 40, S. 20; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 725; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 24.11.2011 – 9 U 18/11, AG 2012, 464, 465 f. 322 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 39 = AG 2016, 214; Begr. des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum VorstAG, BT-Drucks. 16/ 12278, S. 6; anders Klöhn, ZGR 2012, 1, 22 ff., der zusätzlich verlangen will, dass die Vergütungsstruktur gegen § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG verstößt, d.h. nicht auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ausgerichtet ist. 323 Raitzsch, NZG 2019, 495, 497. 324 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 27; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 98, 104; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 87 Rz. 73; Oetker, ZHR 175 (2011), 527, 550 f.; Dauner-Lieb, NZG 2010, 688, 689 ff. 325 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 44 f. = AG 2016, 214. 326 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 47 = AG 2016, 214. 327 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 52 = AG 2016, 214.

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§ 7 Rz. 424 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

hinein eingreift328. Man wird eine Herabsetzung von Versorgungszahlungen daher allenfalls unter erhöhten Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal der Unbilligkeit zulassen können329. Gleiches muss für die Herabsetzung bereits verdienter Versorgungsanwartschaften gelten330, während zukünftige Anwartschaftserhöhungen unter § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG fallen. Erhebliche ungeklärte Rechtsprobleme verbinden sich darüber hinaus mit der Frage der Herabsetzbarkeit von Abfindungszusagen und bereits geleisteten Abfindungen, wenn damit künftige Vergütungsansprüche abgegolten wurden331. 425

Zuständig für die Herabsetzung ist der Aufsichtsrat; in der Insolvenz der Gesellschaft dürfte das Recht allerdings beim Insolvenzverwalter liegen332. Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss. Wie alle Vergütungsentscheidungen ist auch diese zwingend dem Plenum vorbehalten und kann nicht einem Ausschuss übertragen werden (§§ 107 Abs. 3 Satz 3, 87 Abs. 1 AktG). Die Herabsetzung erfolgt sodann durch einseitige Erklärung gegenüber dem Betroffenen333. Der Aufsichtsrat ist im Rahmen der seinen Mitgliedern obliegenden Sorgfalt (§ 116 AktG) gehalten, sich bei einer Verschlechterung der Situation der Gesellschaft mit der Frage einer Herabsetzung der Vorstandsbezüge zu befassen. Liegen die Voraussetzungen einer Herabsetzung vor, ist er im Regelfall zur Herabsetzung verpflichtet334. Unterlässt er dies, setzt er sich dem Risiko der Schadensersatzhaftung aus335. Da es sich bei § 87 Abs. 2 AktG um eine Soll-Vorschrift handelt, kann der Aufsichtsrat bei Vorliegen besonderer Umstände jedoch von einer Herabsetzung absehen336. Ein solcher Umstand kann auch darin liegen, dass die Gesellschaft auf das Vorstandsmitglied in besonderem Maße angewiesen ist und bei einer Herabsetzung der Vorstandsvergütung die Gefahr bestünde, dass das Vorstandsmitglied von seinem Kündigungsrecht aus § 87 Abs. 2

328 Vgl. nur DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612, 614; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 87 Rz. 105; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 28; Reichert/Ullrich in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1017, 1031 f.; a.A. Weller, NZG 2010, 7, 9 ff. 329 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 28 (nur in existenziellen Notlagen der Gesellschaft); Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 87 Rz. 22; Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 87 AktG Rz. 42. 330 Diller, NZG 2009, 1006, 1008; Jaeger/Balke, ZIP 2010, 1471, 1476 f. 331 Vgl. dazu eingehend Krieger in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 371; Jaeger, NZA 2010, 128, 133 ff.; Diller, NZG 2009, 1006, 1009; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 29; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 201 ff. 332 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 87 Rz. 30; Spindler, MünchKomm. AktG, § 87 Rz. 230; Göcke/Greubel, ZIP 2009, 2086, 2087 f.; a.A., Schwennicke in Grigoleit, Komm. AktG, § 87 Rz. 39; ausdrücklich offengelassen von BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 26 = AG 2016, 214. 333 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 20 = AG 2016, 214; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13444, S. 10. 334 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 43 = AG 2016, 214; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 335 Vgl nur Oetker, ZHR 175 (2011), 527, 549. 336 BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 43 = AG 2016, 214; Bericht des Rechtausschusses zum Fraktionsentwurf des VorstAG, BT-Drucks. 16/13433, S. 10.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 427 § 7

Satz 4 AktG Gebrauch macht337. Die Abwägungen des Aufsichtsrats sollten stets sorgfältig dokumentiert werden. Darüber hinaus soll nach Empfehlung G.11 Satz 2 des Kodex in begründeten Fällen eine variable Vergütung einbehalten oder zurückgefordert werden können. Gegenstand der Empfehlung ist, dass der Aufsichtsrat in den Anstellungsverträgen eine sog. Clawback-Klausel vereinbart. Solche Clawback-Klauseln sind für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute in § 20 Abs. 6 Satz 1 InstitutsVergV dahingehend vorgeschrieben, dass das Institut das Recht haben muss, eine bereits ausgezahlte variable Vergütung zurückzufordern, wenn das Vorstandsmitglied an einem Verhalten maßgeblich beteiligt oder dafür verantwortlich war, das für das Institut zu erheblichen Verlusten oder einer wesentlichen regulatorischen Sanktion geführt hat, oder wenn Regelungen in Bezug auf Eignung und Verhalten in schwerwiegendem Maß verletzt wurden. Außerhalb der Kredit- und Finanzwirtschaft sind Clawback-Klauseln in Vorstandsdienstverträgen bislang noch nicht die Regel338. Aufgrund der neuen Empfehlung G.11 Satz 2 des Kodex ist zu erwarten, dass sie demnächst vermehrt Einzug in Vorstandsanstellungsverträge finden, auch wenn der Kodex offen lässt, an welche „begründeten Fälle“ er denkt. Unterschieden werden kann insoweit zwischen Clawback-Klauseln, die an negative wirtschaftliche Ereignisse anknüpfen (Performance Clawback), und solchen, die eingreifen, wenn das Vorstandsmitglied in schwerwiegender Weise gegen seine gesetzlichen Pflichten oder unternehmensinterne Verhaltensrichtlinien verstoßen hat (Compliance Clawback)339. Solche Klauseln sind aktienrechtlich zulässig und unterliegen nicht den engen Voraussetzungen für eine nachträgliche Herabsetzung der Vorstandsvergütung gemäß § 87 Abs. 2 AktG340. Problematisch sind sie jedoch im Hinblick auf die Anforderungen des AGB-Rechts, insbesondere im Hinblick auf das Verbot überraschender und mehrdeutiger Klauseln (§ 305c BGB), das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) und die Benachteiligungskontrolle (§ 307 Abs. 1 und 2 BGB)341.

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h) Vergütungsleistungen durch Dritte In der Praxis finden sich Vergütungszusagen, die nicht die Gesellschaft, sondern Dritte dem Vorstandsmitglied machen. Das kann zum einen der Fall sein, wenn der gesamte Anstellungsvertrag nicht mit der Gesellschaft, sondern mit Dritten geschlossen werden soll, wie es innerhalb von Konzernverhältnissen und bei Einsatz von Interim-Managern im Vorstand anzutreffen ist; vgl. dazu Rz. 449 ff. Zum anderen gibt 337 DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612, 614; Oetker, ZHR 175 (2011), 527, 540, 545 ff. 338 Vgl. dazu Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V./Hengeler Mueller, Aufsichtsratsstudie 2019, 9/2019, S. 12, wonach außerhalb der Finanzindustrie in 39 % der befragten Unternehmen Clawback-Klauseln vereinbart und in weiteren 11 % geplant waren. 339 Zur Typologie näher Seyfarth, WM 2019, 569, 570 f.; Schockenhoff/Nussbaum, AG 2018, 813, 817 ff. 340 Seyfarth, WM 2019, 569, 571 f.; Schockenhoff/Nussbaum, AG 2018, 813, 815 f. 341 Dazu eingehend Seyfarth, WM 2019, 569, 572 ff.; Schockenhoff/Nussbaum, AG 2018, 813, 816 f.

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§ 7 Rz. 427 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

es Vereinbarungen mit Aktionären, die Vorstandsmitgliedern selbständige Zahlungszusagen unabhängig vom Anstellungsvertrag machen. Die Muttergesellschaft im Konzern mag für das Erreichen bestimmter Ziele Prämien aussetzen, Finanzinvestoren haben häufig ein Interesse, dem Vorstand Boni für den Fall in Aussicht zu stellen, dass es ihnen mit Unterstützung des Vorstands gelingt, ihre Beteiligung zu einem späteren Zeitpunkt gewinnbringend zu veräußern usw. Solche Drittvergütungen sind rechtlich unter verschiedenen Aspekten problematisch342. Ähnlich wie bei erfolgsabhängigen Vergütungselementen, die sich nicht am Erfolg der Gesellschaft, sondern am Erfolg der Mutter orientieren (vgl. Rz. 412), kann man zunächst die Frage aufwerfen, ob sie mit dem eigenverantwortlichen Leitungsauftrag des Vorstands in Konflikt stehen. Insoweit sind Drittvergütungen aber jedenfalls dann unproblematisch, wenn die Zielvorgaben, von deren Erreichen die Vergütungsleistung abhängt, mit dem Unternehmensinteresse der Gesellschaft in Einklang oder jedenfalls nicht in Konflikt stehen343. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob die Vereinbarung einer Drittvergütung der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf. Das wird man in der Tat annehmen müssen344. Zwar wird das Vermögen der Gesellschaft durch Drittvergütungen nicht berührt, es handelt sich aber – auch im Falle des Vertrags- oder Eingliederungskonzerns – um einen Eingriff in die Kompetenz des Aufsichtsrats zur Festlegung der Vergütungsstruktur345. Außerdem begibt sich das Vorstandsmitglied, das sich eine Drittvergütung zusagen lässt, in einen potentiellen Interessenkonflikt, dem nicht allein durch Offenlegung beizukommen ist346. Es liegt vielmehr näher, es als vertragliche Nebenpflicht der Vorstandsmitglieder anzusehen, Vergütungszusagen Dritter nicht ohne Zustimmung des Aufsichtsrats zu akzeptieren. In die Angemessenheitsprüfung nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG sind Drittbezüge hingegen nur einzubeziehen, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtung von der Gesellschaft getragen werden; vgl. Rz. 402. Sie sind jedoch im Vergütungsbericht (Rz. 429) offenzulegen (§ 162 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Das wird, wie schon bei den Vorgängerregelungen in §§ 285 Nr. 9 lit. a Satz 7, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a Satz 7 HGB a.F., entsprechend dem Gesetzeszweck, mögliche Interessenkonflikte deutlich zu machen347, allerdings nur

342 Eingehend Boeckmann, Die Zulässigkeit von Leistungen Dritter an Mitglieder des Vorstands der unabhängigen Aktiengesellschaft, 2018, S. 29 ff., 117 ff. Unter moralischen Aspekten mahnend Peltzer/Uwe H. Schneider, Der Aufsichtsrat 2007, 33. 343 Eingehend Boeckmann, Die Zulässigkeit von Leistungen Dritter an Mitglieder des Vorstands der unabhängigen Aktiengesellschaft, 2018, S. 117 ff., 240 ff.; Mayer-Uellner, AG 2011, 193, 195 ff.; Traugott/Grün, AG 2007, 761, 767; Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 265; a.A. Thüsing in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 4 Rz. 68; wohl auch Spindler in FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1407, 1420 ff., 1425 ff. 344 Boeckmann, Die Zulässigkeit von Leistungen Dritter an Mitglieder des Vorstands der unabhängigen Aktiengesellschaft, 2018, S. 137 ff., 179 f.; Mayer-Uellner, AG 2011, 193, 198 f.; Thüsing in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 4 Rz. 68; Bauer/Arnold, DB 2006, 260, 265; a.A. Traugott/Grün, AG 2007, 761, 768. 345 Mayer-Uellner, AG 2011, 193, 198 f.; a.A. Traugott/Grün, AG 2007, 761, 768; für den Fall des Vertrags- oder Eingliederungskonzerns a.A. auch Hommelhoff in FS Goette, 2011, S. 169, 171 ff. 346 So aber Traugott/Grün, AG 2007, 761, 768. 347 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum VorstOG BT-Drucks. 15/5860, S. 10.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 430 § 7

insoweit gelten können, wie die Drittleistung geeignet ist, einen Interessenkonflikt zu begründen348, oder letztlich von der Gesellschaft getragen wird349. i) Offenlegung der Bezüge Für alle Aktiengesellschaften sind im Anhang zum Jahres- und zum Konzernabschluss die Gesamtbezüge der Mitglieder des Vorstands (Gehälter, Gewinnbeteiligungen, Bezugsrechte, sonstige aktienbasierte Vergütungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art) sowie die Gesamtbezüge der früheren Mitglieder des Vorstands (Abfindungen, Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art) anzugeben (§§ 285 Nr. 9 lit. a und b, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a und b HGB).

428

Für börsennotierte Gesellschaften ist darüber hinaus jährlich ein Vergütungsbericht nach § 162 AktG zu erstatten, in dem unter Namensnennung über die jedem einzelnen gegenwärtigen oder früheren Mitglied des Vorstands gewährte und geschuldete Vergütung zu berichten ist. Der Vergütungsbericht ist erstmals für das nach dem 31. Dezember 2020 beginnende Geschäftsjahr zu erstatten (§ 26j Abs. 2 Satz 1 EGAktG), bis dahin gelten §§ 285 Nr. 9 lit. a Satz 5–8, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a Satz 5–8 HGB a.F. weiter (Art. 83 Abs. 1 EGHGB). Er hat – mit den Einschränkungen nach §§ 162 Abs. 5 und 6 AktG, § 26j Abs. 2 Satz 2 EGAktG – die in § 162 Abs. 1 und 2 AktG genannten Einzelangaben zu enthalten. Die EU-Kommission erarbeitet zur Zeit unverbindliche Leitlinien für die Gestaltung des Vergütungsberichts350. Der Vergütungsbericht ist durch den Abschlussprüfer zu prüfen (§ 162 Abs. 3 AktG) und der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen (§ 120a Abs. 4 AktG; vgl. Rz. 430). Nach der Beschlussfassung der Hauptversammlung ist der Vergütungsbericht mit dem Testat des Abschlussprüfers von der Gesellschaft auf ihrer Internetseite 10 Jahre kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen (§ 162 Abs. 4 AktG). Die frühere Möglichkeit des „opting out“, wonach die Hauptversammlung jeweils für fünf Jahre beschließen konnte, von einer individualisierten Veröffentlichung der Bezüge nach §§ 285 Nr. 9 lit. a Satz 5–8, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a Satz 5–8 HGB a.F. abzusehen (§§ 286 Abs. 5, 314 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F.) ist durch das ARUG II beseitigt worden. Sie war in der Praxis ohnehin von geringer Bedeutung.

429

j) Vergütungsvotum der Hauptversammlung; Herabsetzung der Maximalvergütung Das vom Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft beschlossene Vergütungssystem nach § 87a AktG (Rz. 396 ff.) ist der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen. Die Hauptversammlung beschließt über die Billigung nach der erstmaligen Vorlage des Vergütungssystems (vgl. dazu die Übergangsvorschrift in § 26 Abs. 1 348 Grottel, BeckBilKomm., § 285 HGB Rz. 191; Mayer-Uellner, AG 2011, 193, 200; Leuering/Simon, NZG 2005, 945, 947. 349 Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711, 725. 350 European Commission, Guidelines on the standardised presentation of the remuneration report under Directive 2007/36/EC, as amended by Directive (EU) 2017/828, Entwurf Stand 12.7.2019, Ref.Ares (2019) 4519708.

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430

§ 7 Rz. 430 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

EGAktG) und bei jeder wesentlichen Veränderung, mindestens jedoch alle vier Jahre (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG). Im Anschluss an die Beschlussfassung der Hauptversammlung sind der Beschluss und das Vergütungssystem unverzüglich auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen und für die Dauer der Gültigkeit dieses Vergütungssystems, mindestens aber für 10 Jahre, kostenfrei öffentlich zugänglich zu halten (§ 120a Abs. 2 AktG). 431

Es handelt sich bei dem Vergütungsvotum wie nach der bisherigen Regelung in § 120 Abs. 4 AktG a.F. um einen beratenden, rechtlich aber unverbindlichen Beschluss, der nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung weder Rechte noch Pflichten begründet (§ 120a Abs. 1 Satz 2 AktG) und überdies nicht nach § 243 AktG angefochten werden kann (§ 120a Abs. 1 Satz 3 AktG). Der Zweck des Vergütungsvotums besteht wie schon nach der Vorläuferregelung in § 120 Abs. 4 AktG a.F. darin, das Angemessenheitsgebot nicht nur durch die Veröffentlichung der Vorstandsvergütung, sondern zusätzlich durch die Pflicht zur Einholung eines förmlichen Beschlusses der Hauptversammlung abzusichern. Die alleinige Kompetenz zur Vorlage eines Vergütungssystems bleibt jedoch beim Aufsichtsrat, die Hauptversammlung kann also nicht von sich aus ein Vergütungssystem zur Abstimmung stellen, ebenso wenig ist es zulässig, dass Aktionäre der Hauptversammlung qua Gegenantrag ein abweichendes Vergütungssystem zur Billigung vorlegen. Die Hauptversammlung ist darauf beschränkt, das ihr vom Aufsichtsrat vorgelegte Vergütungssystem zu billigen oder abzulehnen351.

432

Hat die Hauptversammlung das Vergütungssystem nicht gebilligt, so ist spätestens in der darauf folgenden ordentlichen Hauptversammlung ein überprüftes Vergütungssystem zum Beschluss vorzulegen (§ 120a Abs. 3 AktG). Der Aufsichtsrat soll dadurch gezwungen sein, sich mit den Einwendungen der Hauptversammlung zu befassen. Er ist jedoch nicht verpflichtet, das abgelehnte Vergütungssystem zu überarbeiten, sondern seine Überprüfung kann auch dazu führen, dass der Aufsichtsrat das bisherige, nicht gebilligte System beibehält und der nächsten ordentlichen Hauptversammlung erneut vorlegt, wenn er bei der Meinung bleibt, dass dieses Vergütungssystem im besten Interesse des Unternehmens liegt352. Zum Recht des Aufsichtsrats, die konkrete Vergütung auf der Basis eines der Hauptversammlung vorgelegten, von dieser aber abgelehnten Vergütungssystems festzusetzen, vgl. Rz. 399.

433

Außer über die Billigung des Vergütungssystems beschließt die Hauptversammlung auch über die Billigung des nach § 162 AktG erstellten und geprüften Vergütungsberichts für das vorausgegangene Geschäftsjahr (§ 120a Abs. 4 Satz 1 AktG). Auch dieser Beschluss begründet weder Rechte noch Pflichten und ist nicht nach § 243 AktG anfechtbar (§ 120a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG). Kleine und mittelgroße börsennotierte Gesellschaften (§ 267 Abs. 1 und 2 HGB) können auf die Beschlussfassung über die Billigung des Vergütungsberichts verzichten und sich darauf beschränken, den Vergütungsbericht des letzten Geschäftsjahres als eigenen Ta351 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 92. 352 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 92 f.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 436 § 7

gesordnungspunkt der Hauptversammlung zur Erörterung vorzulegen (§ 120a Abs. 5 AktG). Diese Ausnahmeregelung dient dem Ziel, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, zumal die Vergütungsthematik bei kleinen und mittleren Unternehmen regelmäßig weniger virulent sei als bei großen börsennotierten Gesellschaften353. Unabhängig vom Votum zum Vergütungsbericht hat die Hauptversammlung die Möglichkeit, nach § 87 Abs. 4 AktG die im Vergütungsbericht nach § 87a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG festzulegende Maximalvergütung herabzusetzen. Die Regelung ist auf Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ins Gesetz gekommen, um der Hauptversammlung mit diesem punktuellen Aspekt eine weitere Kontrollbefugnis zu geben354. Während die Hauptversammlung sonst nur die Möglichkeit hat, das Vergütungssystem zu billigen oder abzulehnen, kann sie in diesem Punkt das Vergütungssystem umgestalten. Der Beschluss beschränkt sich auf das konkrete Vergütungssystem mit der dort festgelegten Maximalvergütung. Für künftige Vergütungssysteme gilt er nicht355. Die Beschlussfassung setzt nach dem Gesetzeswortlaut eine Ergänzung der Tagesordnung nach § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG voraus, erfordert also einen innerhalb der Frist nach § 122 Abs. 2 Satz 3 AktG zu stellenden356 Ergänzungsantrag von Aktionären, deren Anteile zusammen 5% des Grundkapitals über den anteiligen Betrag von 500 TEUR erreichen. Darüber hinaus wird man allerdings anzunehmen haben, dass auch ein Einberufungsverlangen nach § 122 Abs. 1 AktG möglich und ausreichend ist. Der Beschluss unterliegt im Übrigen allgemeinen Regeln. Er ist mit einfacher Stimmenmehrheit zu fassen (§ 133 Abs. 1 AktG) und, anders als das Votum zum Vergütungsbericht (§ 120 Abs. 1 Satz 3 AktG), nach § 243 AktG anfechtbar357.

434

Laufende Vorstandsanstellungsverträge bleiben von dem Herabsetzungsbeschluss unberührt358. Abweichungen von der herabgesetzten Maximalvergütung sind dem Aufsichtsrat nach § 87a Abs. 2 Satz 2 AktG möglich, wenn die dafür nötigen Voraussetzungen vorliegen; dazu muss die Abweichung von der Maximalvergütung im Vergütungssystem vorgesehen sein359.

435

4. Beendigung und Änderung des Anstellungsvertrages a) Verhältnis zum Widerruf der Bestellung Die Beendigung des Anstellungsvertrages richtet sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften (§ 84 Abs. 3 Satz 5 AktG). Neben der Befristung des Vertrages sind dabei insbesondere der Abschluss von Aufhebungsverträgen und die Kündigung von Bedeutung360. 353 354 355 356 357 358 359

Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 94. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/15153, S. 63. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/15153, S. 63. Florstedt, ZIP 2020, 1, 6. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks, 19/15153, S. 63. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks, 19/15153, S. 63. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks, 19/15153, S. 63 u. 64. 360 Zu sonstigen Beendigungsgründen vgl. Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 128 f.

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§ 7 Rz. 436 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

Es ist jedoch zulässig, durch eine sog. „Koppelungsklausel“ im Anstellungsvertrag361 die automatische Beendigung des Dienstvertrages (auflösende Bedingung) bei Beendigung der Organstellung zu vereinbaren362. Derartige Koppelungsklauseln bedürfen einer Wirksamkeitsprüfung nach den Regeln des AGB-Rechts363, sind aber bei hinreichend klarer Vertragsgestaltung keineswegs regelmäßig als überraschende oder unangemessene Regelung unwirksam364. Sie sind für das Vorstandsmitglied insbesondere dann gefährlich, wenn die Aktionärsstruktur es unschwer möglich macht, qua Vertrauensentzug der Hauptversammlung (dazu Rz. 367) einen wichtigen Grund zum Bestellungswiderruf zu schaffen; sie sollten vom Vorstandsmitglied nur in Verbindung mit einer angemessenen Abfindungsregelung akzeptiert werden365. Ohne Koppelungsklausel bedarf es zur Beendigung des Anstellungsvertrages einer gesonderten Kündigung oder Aufhebungsvereinbarung. Allerdings wird im Bestellungswiderruf im Zweifel zugleich eine konkludente außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages liegen366, so wie umgekehrt in einer Vertragskündigung im Zweifel zugleich konkludent ein Widerruf der Bestellung liegen wird367. 437

Solange der Anstellungsvertrag nicht beendet ist, bestehen die schuldrechtlichen Rechte und Pflichten, insbesondere der Vergütungsanspruch, fort368. Das Vorstandsmitglied muss sich allerdings gemäß § 615 Satz 2 BGB anderweitigen oder bös-

361 Näher Koehler, NZG 2019, 1406 ff. 362 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1191 f. = AG 1989, 437 m.w.N.; OLG Saarbrücken v. 8.5.2013 – 1 U 154/12-43, GmbHR 2013, 758, 759 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 52; differenzierend Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 810 ff. Die Beendigung des Dienstvertrages tritt dann allerdings erst mit Ablauf der Frist nach § 622 Abs. 1 u. 2 BGB ein: BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192 f. = AG 1989, 437. 363 Zur Anwendung der AGB-Kontrolle auf einen Vorstandsanstellungsvertrag zuletzt etwa BGH v. 24.9.2019 – II ZR 192/18, ZIP 2019, 2349 Rz. 13, 21 ff.; OLG Frankfurt v. 18.4.2018 – 4 U 120/17, AG 2018, 852; Löw, AG 2018, 837, 838 f.; Koehler, NZG 2019, 1406, 1407. 364 So jedoch Wiesner, MünchHdb. AG, § 21 Rz. 28; Reischl, Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen mit Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern, 2015, S. 154 ff.; Bauer/ Diller, GmbHR 1998, 809 ff.; wie hier etwa Seyfarth, Vorstandsrecht, § 20 Rz. 6; Willemsen in FS Buchner, 2009, S. 971, 980 ff.; Knapp, DStR 2017, 557; Löw, AG 2018, 837, 840, erkennbar auch BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88 ZIP 1989, 1190, 1191 f. = AG 1989, 437, der eine Unwirksamkeit nach AGB-Recht nicht einmal in Erwägung zieht. 365 Näher Krieger in FS Marsch-Barner, 2018, S. 285, 300 f. 366 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, WM 1973, 639; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/ 90, GmbHR 1992, 43, 48; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 152; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 103. 367 Vgl. etwa BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 f. = AG 1981, 73; BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465; OLG Düsseldorf v. 13.7.1979 – 8 U 132/78, BB 1979, 1314, 1315; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 103; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 104. 368 Vgl. etwa BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, WM 1981, 30 = AG 1981, 73; BGH v. 13.2.1984 – II ZR 2/83, WM 1984, 532 = AG 1984, 266; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 103.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 438 § 7

willig unterlassenen Erwerb anrechnen lassen369 und kann in Ausnahmefällen verpflichtet sein, auf Verlangen eine zumutbare andere Position im Unternehmen zu akzeptieren370; es hat hingegen keinen Anspruch darauf, für die restliche Dauer des Anstellungsvertrages unterhalb der Vorstandsebene weiter tätig zu bleiben371. Endet die Bestellung, ohne dass in nahem zeitlichem Zusammenhang auch das Anstellungsverhältnis beendet wird, kann sich dieses unter Umständen in ein normales Arbeitsverhältnis umwandeln. Das ist aber nur anzunehmen, wenn Einigkeit erzielt wird, dass das betroffene Vorstandsmitglied als Arbeitnehmer für die Gesellschaft tätig bleiben soll. Solange die Wirksamkeit der Abberufung im Streit ist, ist das nicht der Fall. Es reicht auch nicht aus, wenn das Vorstandsmitglied nach Abberufung unter Fortzahlung seiner Bezüge freigestellt wird372. Durch die Vereinbarung, das Anstellungsverhältnis als Arbeitsverhältnis fortzusetzen, darf überdies kein wirtschaftlicher Zwang erzeugt werden, der den Aufsichtsrat von einer an sich notwendigen Abberufung abhalten könnte; eine von vornherein getroffene Abrede, dass sich das Anstellungsverhältnis bei seiner Beendigung in einen unbefristeten Anstellungsvertrag zu gleichen Konditionen umwandelt, kann deshalb wegen Umgehung von § 84 Abs. 1 AktG nichtig sein373. Tritt eine Umwandlung in ein Arbeitsverhältnis ein, hat dies unter anderem zur Folge, dass für eine spätere Kündigung nicht mehr der Aufsichtsrat, sondern der Vorstand zuständig ist374. b) Zuständigkeitsfragen Auch für die Beendigung des Anstellungsvertrages durch Kündigung seitens der Gesellschaft oder Abschluss eines Aufhebungsvertrags ist ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig (§ 112 AktG). Das gilt auch, wenn der Aufhebungsvertrag zwecks Wechsels vom Vorstand in den Aufsichtsrat geschlossen und dem ausscheidenden Vorstandsmitglied eine Abfindung für die vorzeitige Beendigung des Anstellungsvertrags gewährt wird; auch in diesem Fall ist für die Abfindungsentscheidung nicht etwa analog § 113 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung zuständig375. Der Aufsichtsrat kann die Entscheidung einem Ausschuss übertragen, allerdings nur in Grenzen: Zum einen darf ein Ausschuss nicht durch Beendigung des Anstellungsvertrags die 369 BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320; Säcker, BB 1979, 1321, 1325 m.w.N. 370 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, GmbHR 1966, 277; vgl. auch BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 30. 371 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 = GmbHR 2011, 82 Rz. 9 f.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 29; Goette in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 353, 358 f.; Hohenstatt in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 35 Rz. 431; a.A. Leuchten, GmbHR 2001, 750. 372 Vgl. zu diesen Fragen näher BGH v. 4.10.1973 – II ZR 130/71, WM 1973, 1320, 1321 f.; BGH v. 13.2.1984 – II ZR 2/83, WM 1984, 532, 533 = AG 1984, 266; BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, GmbHR 1997, 837, 838; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 29; Bauer, DB 1992, 1413, 1421. 373 BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, WM 2009, 2387, 2389 f. = AG 2009, 827. 374 BGH v. 4.10.1973 – II ZR 130/71, WM 1973, 1320, 1322; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/ 93, NJW 1995, 1750, 1751; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 30. 375 Dreher in FS K. Schmidt, 2009, S. 233, 238 ff.

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§ 7 Rz. 438 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

ausschließliche Plenarkompetenz zum Widerruf der Bestellung unterlaufen; zur Kündigung oder Aufhebung des Vertrages ist ein Ausschuss daher erst in der Lage, wenn zuvor vom Plenum die Bestellung beendet wurde376. Zum anderen bedarf es einer Entscheidung des Plenums, soweit im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung – wie üblich – Ermessensentscheidungen über die Behandlung vertraglicher Vergütungsansprüche zu treffen sind (§ 107 Abs. 3 Satz 3, 87 Abs. 1 AktG)377; insoweit kann ein Ausschuss also nur vorbereitende Verhandlungen über die Ausscheidensbedingungen führen, die abschließende Entscheidung trifft jedoch das Plenum. Zur Abgabe der nötigen Willenserklärungen (Kündigungserklärung, Abschluss des vom Aufsichtsrat beschlossenen Aufhebungsvertrags) können auch einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder Dritte (z.B. andere Vorstandsmitglieder) bevollmächtigt werden378. Bei einer Vollmacht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags muss der wesentliche Inhalt vom Plenum oder Ausschuss festgelegt sein, die genaue Ausformulierung des Vertragstextes kann jedoch dem Bevollmächtigten überlassen bleiben (vgl. Rz. 456). Zur Frage, ob der Aufsichtsratsvorsitzende zur Vertretung berechtigt ist, und zur Frage, ob die Kündigungserklärung eines Vertreters nach § 174 BGB wegen fehlender Vollmachtsurkunde zurückgewiesen werden kann, gilt das in Rz. 371 Gesagte. 439

Beschließt der Aufsichtsrat über die Beendigung des Anstellungsvertrags durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag, gilt hierfür – anders als beim Beschluss über die Beendigung der Bestellung (vgl. Rz. 370) – nicht das abgestufte Beschlussverfahren nach § 31 MitbestG, sondern es findet § 29 MitbestG Anwendung. Für den Beschluss genügt also die einfache Mehrheit (näher Rz. 736 ff.). Der Aufsichtsrat kann aber nach § 29 MitbestG die Beendigung des Anstellungsvertrags erst beschließen, wenn er zuvor im Verfahren nach § 31 MitbestG die Beendigung der Bestellung beschlossen hat379. c) Kündigung aus wichtigem Grund

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Gemäß § 626 BGB kann der Anstellungsvertrag aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dieses Erfordernis ist nicht mit dem wichtigen Grund für den Bestellungswiderruf nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG identisch. Ist ein wichtiger Grund zur Kündigung stets auch zum Widerruf der Bestellung ausreichend380, so genügt umgekehrt ein wichtiger Widerrufsgrund keineswegs stets auch den Anforderungen des § 626 BGB381. Insbesondere der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung berechtigt 376 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 44 = AG 1981, 73; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 150 = AG 1982, 221; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 56 = AG 1984, 48; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 48; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 105. 377 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 127. 378 BGH v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 350 f. 379 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 105; Krieger, Personalentscheidungen, S. 175 f. 380 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 121; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 107. 381 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110; BGH v. 23.10.1995 – II ZR 130/94, WM 1995, 2064, 2065; OLG

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 442 § 7

nicht als solcher zur Kündigung des Anstellungsvertrages, sondern nur dann, wenn die dem Vertrauensentzug zugrundeliegenden Umstände den Anforderungen des § 626 BGB genügen382. Ein wichtiger Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Gesellschaft nach sorgfältiger und umfassender Abwägung ihrer Interessen gegen die Interessen des betroffenen Vorstandsmitglieds eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zu seinem Ablauf nicht mehr zugemutet werden kann383. Die Kündigung setzt trotz § 314 Abs. 2 BGB keine Abmahnung voraus384. Erschwerungen des Rechts zur außerordentlichen Kündigung durch Satzung oder Anstellungsvertrag zum Nachteil der Gesellschaft sind unwirksam385. Erleichterungen sind an und für sich zulässig386, man wird aber annehmen müssen, dass die Kündigung des Vertrages nicht an leichtere Voraussetzungen geknüpft werden kann als ein Widerruf der Bestellung; Gründe, die zum Widerruf der Bestellung nicht ausreichen, können auch nicht eine Kündigung des Vertrages rechtfertigen, weil sonst de facto über den Weg der erleichterten Vertragskündigung auch eine erleichterte Abberufung durchgesetzt werden könnte387. Außerdem ist die Kündigung des Vertrages aus einem Grund, der erst kraft Vereinbarung die vorzeitige Auflösung des Vertrages ermöglicht, nur unter Wahrung der Frist des § 622 Abs. 1 und 2 BGB möglich388.

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Gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur binnen einer Frist von zwei Wochen seit Kenntniserlangung von den Kündigungsgründen erfolgen. Die Frist beginnt nicht, solange zu einer sachgerechten Beurteilung noch weitere Ermittlungen erforderlich sind und auch tatsächlich mit der gebotenen Eile durchgeführt wer-

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München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, AG 2012, 753, 755 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 49; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 107. Vgl. BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71, 75; OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, WM 1979, 1296, 1297; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 52. Wegen der Einzelheiten der Abwägung und zu Einzelfällen aus der Rechtsprechung vgl. namentlich Fleck, WM 1978 Sonderbeilage 3, S. 13; Fleck, WM 1981 Sonderbeilage 3, S. 12 f.; Fleck, WM 1985, 677, 680; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 109 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 154 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 109 ff. BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, ZIP 2007, 1566 = AG 2007, 699; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 115; Goette in FS Wiedemann, 2002, S. 873, 881 f.; differenzierend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 51: Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 179; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 163. BGH v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 361; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 107. Fleck, WM 1981 Sonderbeilage 3, S. 11 f. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 168; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 107; vgl. dazu auch Rz. 444. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, WM 1981, 759 f. = AG 1982, 18; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192 = AG 1989, 437; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 107.

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§ 7 Rz. 442 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

den389. Ist der maßgebliche Sachverhalt geklärt, beginnt die Frist grundsätzlich erst, wenn er in einer Aufsichtsratssitzung vorgetragen wird, zu der die Mitglieder ordnungsgemäß geladen und in beschlussfähiger Anzahl zusammengetreten sind390. Die Frist beginnt also nicht schon mit Kenntniserlangung durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder391, auch nicht mit Kenntniserlangung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden oder seinen amtierenden Stellvertreter392 und nicht einmal mit Kenntniserlangung durch alle Aufsichtsratsmitglieder außerhalb einer Sitzung393. Erforderlich ist für den Fristbeginn vielmehr, dass der Aufsichtsrat die Möglichkeit hatte, die Angelegenheit in einer Sitzung zu erörtern und darüber Beschluss zu fassen. Das setzt allerdings voraus, dass die Sitzung nicht unangemessen verzögert wird394. Erfahren der Aufsichtsratsvorsitzende oder andere Aufsichtsratsmitglieder den maßgeblichen Sachverhalt, sind diese gehalten, für eine Einberufung der Aufsichtsratssitzung in angemessener Zeit395 zu sorgen, um diesen sodann zu informieren und eine Beschlussfassung herbeizuführen. Geschieht das nicht, ist es richtig, die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB in dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, in welchem der Aufsichtsrat bei zeitgerechter Einberufung hätte informiert werden und einen Beschluss fassen können396. In mitbestimmten Gesellschaften wird man annehmen müssen, dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB unterbrochen wird, wenn innerhalb der Frist das Ausschussverfahren nach § 31 Abs. 3 und 5 MitbestG eingeleitet wird; nach Beendigung des Ausschussverfahrens läuft die Frist von neuem397. 389 BGH v. 19.5.1980 – II ZR 169/79, WM 1980, 1139 = AG 1981, 47; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, WM 1984, 1187; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rz. 15; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 161; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 116 f.; vgl. zu den damit verbundenen Einzelfallproblemen Arnold/Schansker, NZG 2013, 1172, 1174 ff. 390 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89, 92 f.; BGH v. 5.4.1990 – IX ZR 16/89, WM 1990, 1028, 1030; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958; LG München I v. 15.10.2010 – 5 HKO 2122/09, ZIP 2010, 2451, 2455; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 116; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 54. 391 So noch BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 73/83, WM 1985, 305; OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, WM 1979, 1296, 1297. 392 So noch Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 84 Rz. 144. 393 So noch BGH v. 17.3.1980 – II ZR 178/79, WM 1980, 957 (für GmbH-Gesellschafter). 394 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89, 92 f. = GmbHR 1998, 827; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 = GmbHR 2001, 1158; OLG München v. 25.3.2009 – 7 U 4835/08, ZIP 2009, 1377, 1378 f.; OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/ 11, AG 2012, 753, 757; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 54; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 116. 395 Das schließt die für eine ordentliche Sachverhaltsaufklärung nötige Zeit ein; vgl. dazu näher Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 116; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 160. 396 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89, 92 f. = GmbHR 1998, 827; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 = GmbHR 2001, 1158; OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11, AG 2012, 753, 757; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 116. 397 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 33; Martens in FS Werner, 1984, S. 495, 509 f.; Krieger, Personalentscheidungen, S. 179 f.; etwas anders Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 119 (Hemmung der Zweiwochenfrist durch den Beginn des Verfahrens im Vermittlungsausschuss); Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 Mit-

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 444 § 7

Im Rechtsstreit um die Wirksamkeit der Kündigung hat die Gesellschaft die Beweislast für die Einhaltung der Ausschlussfrist398. Kündigungsgründe, die mit den bei der Kündigung geltend gemachten Gründen nicht zusammenhängen, können nur nachgeschoben werden, wenn sie im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung schon vorgelegen haben und die Zweiwochenfrist für diese Kündigungsgründe seinerzeit noch nicht abgelaufen war399. Ein Beschluss des Aufsichtsrats, die Kündigung auch auf diese Gründe zu stützen, ist nicht erforderlich400. Hingegen muss der Aufsichtsrat erneut die Kündigung beschließen, wenn er diese auf Gründe stützen will, die erst nach Ausspruch der ursprünglichen Kündigung eingetreten sind.

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d) Ordentliche Kündigung; Aufhebungsvertrag; Änderungskündigung Die ordentliche Kündigung eines Anstellungsvertrages kommt schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur in Betracht, wenn der Vertrag auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist oder wenn er bei Abschluss auf bestimmte Zeit das Recht zur ordentlichen Kündigung besonders vorsieht. Auch unter diesen Voraussetzungen ist eine ordentliche Kündigung durch den Aufsichtsrat nur möglich, wenn zugleich die Voraussetzungen eines Widerrufs der Bestellung erfüllt sind401. Denn ließe man eine Kündigung ohne wichtigen Grund zu, würde im Ergebnis unter Umgehung des § 84 Abs. 3 AktG auch ein Widerruf der Bestellung ohne wichtigen Grund ermöglicht, weil das Vorstandsmitglied durch eine Vertragskündigung zumindest faktisch zur Amtsniederlegung gezwungen würde. Es ist daher auch nicht möglich, mit einem neuen Vorstandsmitglied eine „Probezeit“ zu vereinbaren, in der die Gesellschaft das Anstellungsverhältnis unter erleichterten Voraussetzungen kündigen kann. Eine „Probezeit“ kann nur darin bestehen, dass für die erste Amtsperiode eine kürzere Bestellungsdauer (vgl. Rz. 356) gewählt wird, während derer dann aber die allgemeinen Regeln gelten. Eine einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsverhältnisses ist jederzeit möglich und bedarf keines wichtigen Grundes. Zur Kompetenzabgrenzung zwischen Plenum und Ausschuss bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages vgl. Rz. 438.

398 399

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bestG Rz. 42 (Verlängerung der Zweiwochenfrist bis zum Bestellungswiderruf); a.A. LG Ravensburg v. 4.3.1985 – 1 KfH 251/85, EWiR 1985, 415; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 43; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 174. BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, WM 1984, 1187; BGH v. 5.4.1990 – IX ZR 16/89, NJWRR 1990, 1330, 1331; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 182. BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, WM 1982, 797, 798; BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/ 83, WM 1984, 29; OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511, 512 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 183; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 118. Zur Frage der Verwirkung bereits länger bekannter Kündigungsgründe vgl. BAG v. 5.5.1977 – 2 AZR 297/76, DB 1978, 353 f.; OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, DB 1979, 884, 885 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 184. BGH v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519, 520; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 183; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 118. BGH v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 9 f.; OLG Karlsruhe v. 10.7.1973 – 8 U 74/73, BB 1973, 1088; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 149; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 120; Krieger, Personalentscheidungen, S. 180 ff.

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§ 7 Rz. 445 | Bestellung und Anstellung des Vorstands 445

Die gleichen Rechtsgrundsätze wie für Beendigungskündigungen gelten auch für Änderungskündigungen. Sie sind nur bei Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes (Rz. 440 ff.) oder unter den Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung (Rz. 444) zulässig und setzen eine vorherige Beschlussfassung des Aufsichtsratsplenums voraus, die in mitbestimmten Gesellschaften im Verfahren nach § 31 MitbestG zu erfolgen hat. e) Kündigung durch das Vorstandsmitglied

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Auch dem Vorstandsmitglied kann das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 626 BGB zustehen. Das kommt bei schwerwiegenden Vertragsverletzungen seitens der Gesellschaft in Betracht402. Daneben wird der Verlust der eigenverantwortlichen Leitungsbefugnis durch Abschluss eines Beherrschungsvertrages oder durch Eingliederung als wichtiger Kündigungsgrund genannt403. Das ist in dieser Allgemeinheit jedoch nicht überzeugend, sondern wird danach zu beurteilen sein, inwieweit sich durch die entsprechende Strukturmaßnahme im Einzelfall tatsächlich die Verhältnisse ändern. Der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zum Beispiel kann im Einzelfall eine nachhaltige Schmälerung der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands zur Folge haben, er kann aber auch (zum Beispiel in einer bislang schon eng geführten 100 % Tochter) eher eine Formalie darstellen. In der Praxis finden sich change of control-Klauseln, die dem Vorstandsmitglied das Recht geben, im Falle einer Übernahme der Gesellschaft, das Vorstandsamt niederzulegen und den Anstellungsvertrag außerordentlich zu kündigen; zugleich wird dem Vorstandsmitglied für den Fall der Ausübung dieses Rechts eine Abfindungsleistung zugesagt (näher Rz. 422).

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Eine ordentliche Kündigung durch das Vorstandsmitglied ist bei Verträgen auf unbestimmte Zeit möglich; es steht rechtlich auch nichts entgegen, bei einem Vertrag auf bestimmte Zeit dem Vorstandsmitglied das Recht zur ordentlichen Kündigung im Vertrag einzuräumen. Ein Ausschuss des Aufsichtsrats kann eine Vertragsregelung, die dem Vorstand die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung gibt, allerdings nur mit Zustimmung des Plenums vereinbaren404. In der Praxis sind solche Gestaltungen selten und im allgemeinen auch nicht zu empfehlen405. f) Rechtsschutz

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Hält das Vorstandsmitglied eine Kündigung für unwirksam, kann es auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und auf Weiterzahlung der Bezüge klagen. Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten, die dabei vom Aufsichtsrat vertreten 402 Beispiele bei Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 170; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 125. 403 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 170; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 198; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 125. 404 Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 213; Grobys/Littger, BB 2002, 2292, 2295. 405 Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 213.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 449 § 7

wird406. Für das Vorstandsmitglied empfiehlt sich für eine Zahlungsklage aus dem Anstellungsvertrag der Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO). Zuständig ist das Landgericht, Kammer für Handelssachen. Hatte sich das Anstellungsverhältnis allerdings in ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis umgewandelt (vgl. Rz. 437), wird die Gesellschaft vom Vorstand vertreten; zuständig ist dann das Arbeitsgericht407. 5. Anstellungsverträge zwischen Vorstandsmitgliedern und Dritten In Konzernverhältnissen ist es nicht selten, dass der Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds einer konzernabhängigen Gesellschaft nicht mit dieser Gesellschaft, sondern mit der Konzernobergesellschaft geschlossen wird; umgekehrt kommt es vor, dass Vorstandsmitglieder abhängiger Gesellschaften zugleich in den Vorstand der Obergesellschaft berufen werden, ohne dort einen eigenen Anstellungsvertrag zu erhalten. Von praktischer Bedeutung ist darüber hinaus, dass die Gesellschaft für die Erledigung von „Feuerwehraufgaben“ einen Interim-Manager zum Vorstandsmitglied bestellt, der von einer Interim Management-Agentur gestellt wird und ein Vertragsverhältnis nur zu dieser Agentur besitzt408. Ob solche Drittanstellungsverträge zulässig sind, ist umstritten. Von manchen Autoren wird darin eine unzulässige Verletzung der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung und Gefährdung der Unabhängigkeit des Vorstands gesehen409. Andere lassen Konzernanstellungsverträge mit der Muttergesellschaft im Falle der Eingliederung und des Beherrschungsvertrags, nicht jedoch im faktischen Konzern zu410. Nach wohl überwiegender Ansicht sind Drittanstellungsverträge jedoch unabhängig von der Konzernform unter gewissen Vorbehalten zulässig411; die Rechtsprechung geht ebenfalls von der Zulässigkeit von Drittanstellungsverhältnissen aus412. 406 BGH v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, AG 1987, 19 f.; BGH v. 8.2.1988 – II ZR 159/87, WM 1988, 413 = AG 1988, 168; vgl. auch Rz. 452 ff. 407 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 29. 408 Dazu näher Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711 ff.; Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295; Uffmann, DB 2019, 2281, 2282; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 6. 409 So etwa Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 56; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 319 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 79; Spindler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1529, 1534 f.; Thüsing in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 4 Rz. 68 f.; Baums, Geschäftsleitervertrag, S. 73 f.; Theobald in FS Raiser, 2005, S. 421, 423 ff., 435 ff.; Fonk, NZG 2010, 368, 370. 410 Hommelhoff in FS Goette, 2011, S. 169, 171 ff. 411 So etwa Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 3 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 17 f.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 84 Rz. 26; Fütterer, Der Drittanstellungsvertrag, 2017, S. 14 ff.; Beiner, Vorstandsvertrag, Rz. 176; Arnold/Günther in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 20 Rz. 92; Krieger, Personalentscheidungen, S. 186 ff.; Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 615 ff.; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201 ff.; E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297, 1301 ff.; Reuter, AG 2011, 274, 280; Jooß, NZG 2011, 1130, 1131; Martens in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 437, 442 ff. 412 BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, NZG 2019, 861 Rz. 20 ff. = ZIP 2019, 1374; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 = ZIP 2015, 1220 Rz. 24; KG v. 28.6.2011 – 19 U 11/11, ZIP 2011, 2059, 2060 = AG 2011, 758; OLG Celle v. 10.2.2010 – 4 U 68/09, AG 2012, 41 f.; jeweils zur Stellung eines Interim Managers.

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§ 7 Rz. 450 | Bestellung und Anstellung des Vorstands 450

Für die Praxis mag es im Konzern zu empfehlen sein, den Anstellungsvertrag mit der „eigenen“ Gesellschaft zu schließen413, wobei der Vertrag dann naturgemäß von zusätzlichen Vereinbarungen begleitet werden kann, in denen die Muttergesellschaft z.B. die Bezüge garantiert, eine Wiedereinstellungszusage abgibt u.Ä. Rechtlich kann man aber auch einen Verzicht auf den Abschluss eines Anstellungsvertrages mit der Gesellschaft zu Gunsten einer Drittanstellung akzeptieren, allerdings nur unter dem Vorbehalt der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands (§ 76 AktG) und der Personalverantwortung des Aufsichtsrats (§§ 84, 87 AktG). Daraus folgt, dass der Vertragspartner aufgrund des Anstellungsvertrages nicht befugt sein kann, Weisungen hinsichtlich der Amtsführung des Vorstands zu erteilen414. Desweiteren lässt die Verantwortung des Aufsichtsrats für die Bestellung der Vorstandsmitglieder und für die Vergütungsstruktur des Vorstands einen Drittanstellungsvertrag nur zu, wenn der Aufsichtsrat den Vertragsinhalt kennt415 und seinem Abschluss zustimmt416. Überdies hat der Aufsichtsrat sicherzustellen, dass der Vertrag nicht ohne seine Zustimmung geändert oder durch den Vertragspartner des Vorstandsmitglieds beendet wird417. Das gilt auch im Vertrags- und im Eingliederungskonzern, denn auch bei diesen Konzernierungsformen ist der Aufsichtsrat für die Vergütungsstruktur zuständig und verantwortlich418. Für die Zustimmung des Aufsichtsrats zu Abschluss, Änderung und Beendigung des Anstellungsvertrages gelten ganz die gleichen Regeln wie bei einem unmittelbar durch die Gesellschaft abgeschlossenen Anstellungsvertrag419. Der Aufsichtsrat muss also sicherstellen, dass auch im Drittanstellungsvertrag die Vergütungsstruktur den

413 So die Empfehlung von Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 18; Fonk in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 219. 414 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 5; E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297, 1304 ff.; Reuter, AG 2011, 274, 277 f.; Jooß, NZG 2011, 1130, 1131. 415 Insoweit zustimmend auch Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 618. 416 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 5; Fütterer, Der Drittanstellungsvertrag, 2017, S. 182 ff.; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 202; Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711, 718 ff.; Austmann, ZGR 2009, 277, 288; Hohenstatt/Seibt/Wagner, ZIP 2008, 2289, 2293; im Ansatz ebenso, aber zu kurz greifend E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297, 1312 ff., der die Zustimmung des Aufsichtsrats nur bei Vereinbarung variabler Vergütungsbestandteile verlangen will und dabei übersieht, dass auch der Verzicht auf variable Vergütungsbestandteile zugunsten eines reinen Festgehalts eine für die Vergütungsstruktur wesentliche Entscheidung ist, die in den Händen des Aufsichtsrats liegen muss; a.A. etwa Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 618; Reuter, AG 2011, 274, 278 ff. 417 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 5; Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711, 720, 727 ff.; Krieger, Personalentscheidungen, S. 187 f. Für die Änderung des Drittanstellungsvertrags auch Fütterer, Der Drittanstellungsvertrag, 2017, S. 242; Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 618, die eine Information des Aufsichtsrats genügen lassen. Für die Beendigung a.A. E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297, 1309; Reuter, AG 2011, 274, 280; Fütterer, Der Drittanstellungsvertrag, 2017, S. 186 ff.; Jooß, Drittanstellung, S. 122, die annehmen, bei Beendigung des Vertrags seien Gesellschaft und Vorstandsmitglied verpflichtet, einen unmittelbaren Anstellungsvertrag miteinander zu schließen. 418 A.A. Hommelhoff in FS Goette, 2011, S. 169, 173 ff. 419 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 5.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 451 § 7

Anforderungen aus § 87 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG genügt420. Das Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG wird allerdings nicht gelten, wenn die Vergütung von der Konzernmutter gezahlt wird und die Gesellschaft nicht zur Kostenerstattung verpflichtet ist (näher Rz. 402). Ob in börsennotierten Gesellschaften trotz Übernahme der Vergütungszahlung durch eine Konzerngesellschaft auch die Regelungen über die Aufstellung des Vergütungssystems (§ 87a AktG) und das Vergütungsvotum der Hauptversammlung (§ 120a AktG) gelten, erscheint ebenfalls fraglich, während der Vergütungsbericht auch Drittvergütungen erfassen muss (§ 162 Abs. 2 Nr. 1 AktG). Die Zustimmung zum Abschluss des Vertrages und zur Änderung von Vergütungsregelungen ist entsprechend §§ 107 Abs. 3 Satz 3, 87 Abs. 1 AktG zwingend dem Plenum vorbehalten. Soll die Gesellschaft sich verpflichten, die Aufwendungen zu erstatten, die die den Vertrag schließende Konzerngesellschaft im Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag hat, ist auch für diese Erstattungsvereinbarung ausschließlich der (Gesamt-)Aufsichtsrat zuständig421 und es gilt dann auch das Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG422. Vergleichbare Grundsätze gelten für das Interim Management423. Für das Vertragsverhältnis mit der Personalagentur, die der Gesellschaft ein Vorstandsmitglied als Interim Manager stellt, ist nicht der Vorstand, sondern der Aufsichtsrat zuständig, der die Gesellschaft hierbei vertritt424. Das gilt auch, wenn der Vertrag sich nicht auf die Stellung von Vorstandsmitgliedern beschränkt, sondern zugleich auch die Stellung weiterer Manager erfasst, die nicht zum Vorstand bestellt werden425. Im Hinblick auf den Inhalt des Dienstvertrags zwischen der Personalagentur und dem von dieser gestellten Vorstandsmitglied gelten die gleichen Grundsätze wie für konzerninterne Drittanstellungsverträge: der Aufsichtsrat muss die Konditionen kennen und ihnen zustimmen; er ist dabei an die Anforderungen des § 87 AktG gebunden. 420 Fütterer, Der Drittanstellungsvertrag, 2017, S. 236; E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1298, 1314 f. 421 BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, NZG 2019, 861 Rz. 21 = ZIP 2019, 1374; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 = ZIP 2015, 1220 Rz. 24; KG v. 28.6.2011 – 19 U 11/11, ZIP 2011, 2059, 2060 = AG 2011, 758; OLG Celle v. 10.2.2011 – v. 10.2.2010 – 4 U 68/09, AG 2012, 41 f.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 4; Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 618 f.; E. Vetter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1297, 1310 ff.; Reuter, AG 2011, 274, 277. 422 Klett/Ziegler, NZG 2019, 613, 619; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201, 203. 423 Dazu näher zuletzt Uffmann, DB 2019, 2281; Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295; Theiselmann, ZIP 2015, 1712; Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711. 424 BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, NZG 2019, 861 Rz. 21 = ZIP 2019, 1374; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 = ZIP 2015, 1220 Rz. 24; ebenso für die GmbH BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, ZIP 2019, 1374 (Zuständigkeit nicht der Geschäftsführung, sondern des Bestellungsorgans). 425 Offenlassung, ob die Gesellschaft in diesem Fall von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam oder allein vom Aufsichtsrat vertreten wird, BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 = ZIP 2015, 1220 Rz. 26; für gemeinsame Vertretungskompetenz von Vorstand und Aufsichtsrat Krieger in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 711, 717; für alleinige Vertretungskompetenz des Aufsichtsrats Theiselmann, ZIP 2015, 1712, 1714.

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451

§ 7 Rz. 452 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

IV. Vertretung der Gesellschaft und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern 1. Gerichtliche und außergerichtliche Vertretung durch den Aufsichtsrat 452

Im Zusammenhang mit der Regelung des Anstellungsverhältnisses obliegt dem Aufsichtsrat die Entscheidung über eine Befreiung des Vorstands vom gesetzlichen Wettbewerbsverbot (§ 88 Abs. 1 AktG) und über Kreditgewährungen an Vorstandsmitglieder (vgl. näher § 89 AktG). Der Aufsichtsrat ist darüber hinaus für sämtliche anderen Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und Mitgliedern des Vorstands ausschließlich zuständig. Er vertritt die Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich (§ 112 AktG). Das umfasst sowohl die interne Willensbildung, ob und mit welchem Inhalt das Geschäft geschlossen werden soll, als auch die Abgabe der erforderlichen Erklärungen nach außen426.

453

Der Umfang der Vertretungsmacht ist sachlich nicht beschränkt. Das Gesetz enthält auch keine Bagatellklausel, so dass im Grundsatz auch Geschäfte des täglichen Lebens von der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats gegenüber Vorstandsmitgliedern erfasst werden427; vgl. allerdings noch Rz. 454. Zweifelhaft ist die Vertretung der Gesellschaft bei der Ausgabe von Wandel- oder Optionsanleihen an Vorstandsmitglieder; da es sich hier um ein Rechtsgeschäft zwischen Gesellschaft und Vorstand handelt, dürfte § 112 AktG die alleinige Vertretungsmacht des Aufsichtsrats begründen428. Gleiches gilt für die Ausgabe der Bezugsrechte an Vorstandsmitglieder im Rahmen eines stock option-Programms nach § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG.

454

Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG umfasst alle Rechtsgeschäfte und Rechtsstreitigkeiten mit amtierenden Vorstandsmitgliedern. Dazu zählen auch Personen, deren Bestellung zum Vorstand nichtig ist und die daher fehlerhaft als Vorstandsmitglied tätig sind (vgl. Rz. 360 f.)429. Ebenso vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft auch schon gegenüber Personen, die als Vorstandsmitglieder in Aussicht genommen sind430. Darüber hinaus wird die Gesellschaft auch gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern außergerichtlich und gerichtlich vom Aufsichtsrat vertreten431, ebenso gegenüber ehemaligen Geschäftsführern einer zwi426 Näher Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 248 f. 427 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 5 und 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 22; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 20. 428 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 42; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 232 f.; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3, 29 ff.; a.A. OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, ZIP 1998, 1482, 1486 = AG 1998, 529, die Ausgabe der Anleihe sei gemäß § 221 Abs. 2 AktG zwingend dem Vorstand vorbehalten. 429 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 2; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 20; Rupietta, NZG 2007, 801, 802. 430 BGH v. 13.1.1958 – II ZR 212/56, BGHZ 26, 236, 238; BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, AG 2019, 295 = AG 2019, 298 = ZIP 2019, 564 Rz. 32; OLG Brandenburg v. 14.1.2015 – 7 U 68/13, AG 2015, 428 Rz. 35; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 2; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 15; Fischbach, BB 2017, 1283 f. 431 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, AG 2009, 327; BGH v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, AG 2007, 86 = ZIP 2006, 2213 Rz. 5.

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern | Rz. 455 § 7

schenzeitlich in die Rechtsform der AG umgewandelten432 oder auf die AG verschmolzenen433 GmbH. Der Grund liegt darin, dass auch in diesen Fällen bei einer typisierenden Betrachtung die abstrakte Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung durch den Vorstand besteht. Dazu zählen z.B. alle Streitigkeiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung oder der Kündigung des Anstellungsvertrags, die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen aus der früheren Vorstandstätigkeit, die Regelung von Versorgungsangelegenheiten usw., aber auch der Abschluss von Beraterverträgen mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern434. Die Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats besteht auch, wenn das ehemalige Vorstandsmitglied zwischenzeitlich selbst dem Aufsichtsrat angehört435. Hingegen soll der Vorstand für solche Geschäfte und Rechtsstreitigkeiten vertretungsbefugt sein, die mit der früheren Vorstandstätigkeit nichts zu tun haben, namentlich Geschäfte des täglichen Lebens mit ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern (sog. neutrale Geschäfte)436. Ebenso soll die AG bei anderweitiger Beschäftigung eines Vorstandsmitglieds nach seiner Amtszeit durch den Vorstand vertreten werden, wenn kein innerer Zusammenhang mit dem früheren Vorstandsamt besteht437. Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Hinterbliebenen früherer Vorstandsmitglieder bei Ansprüchen aus der Versorgungszusage438. Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG erstreckt sich grundsätzlich nicht auf Rechtsgeschäfte mit Dritten, sondern hierfür ist, wenn es sich nicht um Hilfsgeschäfte zur Aufsichtsratstätigkeit handelt (dazu Rz. 656 ff.), der Vorstand berufen (§ 78 AktG). Handelt ein Vorstandsmitglied als Vertreter eines Dritten, wird die Gesellschaft ebenfalls nicht vom Aufsichtsrat vertreten439. Ebensowenig vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit Gesellschaften, an denen ein Vorstandsmitglied beteiligt ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise für die Vertretung der AG gegenüber einer anderen Gesellschaft, die mit einem Vorstandsmitglied 432 BGH v. 28.4.1997 – II ZR 282/95, ZIP 1997, 1108 = AG 1997, 417. 433 BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, ZIP 2004, 92 f. = AG 2004, 142; Marsch-Barner/Oppenhoff in Kallmeyer, Komm. UmwG, § 20 Rz. 13; a.A. Grunewald in Lutter, Komm. UmwG, § 20 Rz. 29; Hoffmann-Becking in FS Ulmer, 2003, S. 243, 249 ff., 262. 434 BGH v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, ZIP 1993, 1380, 1381 = AG 1994, 35. Zu Beraterverträgen mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern im Konzern näher van Kann/Keiluweit, AG 2010, 805 ff. 435 BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, AG 2017, 196 Rz. 77; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 16; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 14; Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 18. 436 Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 15; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 2; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 112 Rz. 8; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 28; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 23 Rz. 8; kritisch auch Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 30 f. 437 Vgl. etwa Fischbach, BB 2017, 1283, 1288. 438 BGH v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213, 2214 = AG 2007, 86; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 3; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 16; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 23 Rz. 8. 439 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 19; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 7 ff.; näher Werner, ZGR 1989, 369, 372 ff.

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§ 7 Rz. 455 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

der AG wirtschaftlich identisch ist; das ist anzunehmen, wenn das Vorstandsmitglied (unmittelbar oder mittelbar440) alleiniger Gesellschafter der anderen Gesellschaft ist441. Eine zu weit gehende Auffassung will § 112 AktG bereits dann entsprechend anwenden, wenn ein Vorstandsmitglied der AG herrschenden oder maßgeblichen Einfluss auf die andere Gesellschaft hat442. Bis der BGH diese Frage klärt, kann es sich für die Praxis empfehlen, in solchen Fällen vorsorglich sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat für die Gesellschaft handeln zu lassen443. Der Aufsichtsrat vertritt die Gesellschaft nicht bei Verträgen mit dem Vorstandsmitglied nahestehenden Personen444 oder bei Verträgen zugunsten eines Vorstandsmitglieds445, ebenso wenig bei der Ausübung von Gesellschafterrechten in Tochtergesellschaften, wenn dort eines der Vorstandsmitglieder der Gesellschaft zum Mitglied des Tochter-Aufsichtsrats oder der Tochter-Geschäftsführung bestellt werden soll446. Zu der Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Ad-hoc-Publizitätspflichten in Zusammenhang mit Personalentscheidungen vgl. Rz. 534. 456

Die Aktivvertretung der Gesellschaft nach § 112 AktG ist grundsätzlich Sache des Gesamtaufsichtsrats. Die Willensbildung kann der Aufsichtsrat einem Ausschuss übertragen, soweit es sich um delegationsfähige Aufgaben (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG; dazu Rz. 746) handelt447, hingegen ist eine Übertragung der Willensbildung auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder (z.B. den Vorsitzenden) oder gar auf Dritte (z.B. den Vorstand) grundsätzlich nicht zulässig. Sofern der Aufsichtsrat/Ausschuss das Aushandeln des Vertrages einzelnen Personen überlässt, hat er daher über das Ergebnis Beschluss zu fassen. Der Beschluss muss sich auf die wesentlichen Punkte des 440 Zu Fällen mittelbarer wirtschaftlicher Identität Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1055 f.; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 43 ff. 441 BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, ZIP 2019, 564 Rz. 11 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 4 m.w.N.; Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1054 ff.; Häger/Schlosser, WM 2020, 7, 9 ff. 442 So etwa Mutter, ZIP 2019, 1655 f.; Rupietta, NZG 2007, 801, 802 ff.; Werner, Der Konzern 2008, 639, 641 f.; a.A. OLG München v. 10.5.2012 – 14 U 2175/11, ZIP 2012, 1024, 1025 = AG 2012, 518; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 4; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 9; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 9; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 46 ff.; Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1056 ff.; Wachter, DB 2019, 951, 954 f.; Bayer/Scholz, ZIP 2015, 1853, 1857 ff.; differenzierend Häger/Schlosser, WM 2020, 7, 11 ff.; offen lassend BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, ZIP 2019, 564 Rz. 27. 443 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 4; Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1058; Fuhrmann, NZG 2017, 291, 293; Paul, EWiR 2009, 397. 444 Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 77 ff. 445 Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 84 ff. 446 OLG München v. 8.5.2012 – 31 Wx 69/12, ZIP 2012, 1122, 1123 = AG 2012, 467; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 6; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 7; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 131 ff. 447 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 36; Werner, ZGR 1989, 369, 387 ff.

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern | Rz. 457 § 7

Rechtsgeschäfts beziehen448. Teilweise wird es als zulässig angesehen, einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern in einem engen Rahmen Entscheidungen anstelle des Aufsichtsrats zu überlassen, wenn sie dabei an konkrete Vorgaben gebunden werden449. Dem kann man so allgemein kaum beipflichten. Etwas anderes gilt nur insoweit, wie es um die bloße Ausformulierung des vom Aufsichtsrat Beschlossenen450 geht, und daneben für Geschäfte des täglichen Lebens451. Für diese kann der Aufsichtsrat auch einzelne Mitglieder oder Dritte bevollmächtigen, an seiner Stelle zu entscheiden452. Im Normalfall können die für die Gesellschaft mit diesen Geschäften allgemein betrauten Personen auch für entsprechende Geschäfte mit Vorstandsmitgliedern als stillschweigend bevollmächtigt angesehen werden. Von der Willensbildung zu unterscheiden ist die Abgabe der Willenserklärung des Aufsichtsrats. Insoweit können einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder Dritte als Erklärungsvertreter oder als Bote damit betraut werden, vom Aufsichtsrat oder vom zuständigen Ausschuss gefasste Beschlüsse durch Abgabe/Überbringung der Willenserklärung nach außen zu vollziehen453; vgl. dazu auch Rz. 371 und Rz. 682 f. Schwierige Rechtsfragen ergeben sich, wenn der dem Vertretungshandeln zugrunde liegende Aufsichtsratsbeschluss fehlerhaft ist. Sofern dies die Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses nach sich zieht (dazu Rz. 739 ff.), dürften die besseren Argumente für die Annahme sprechen, dass damit auch die Vertretungsmacht des Erklärungsvertreters fehlt454; leidet der Aufsichtsratsbeschluss allerdings nur an einem Fehler mit eingeschränkter Nichtigkeitsfolge und wird der Fehler nicht rechtzeitig geltend gemacht (näher Rz. 744), muss auch das auf dem Beschluss beruhende Vertretungshandeln als wirksam akzeptiert werden455. Geschäfte, bei denen die Gesellschaft wegen unzureichender Willensbildung des Aufsichtsrats nicht ordnungs-

448 OLG München v. 5.3.2015 – 23 U 2384/14, ZIP 2015, 870, 871 = AG 2015, 402. 449 So Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 38; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 112 Rz. 17; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 8; Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 255 ff.; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956 ff. 450 Vgl. schon Rz. 392; ebenso Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 112 Rz. 13. 451 Beispiele: Ein Vorstand der Lufthansa kauft ein Ticket für einen Lufthansaflug, ein Vorstand der Deutschen Bank eröffnet ein Konto. 452 OLG Hamburg v. 16.5.1986 – 11 U 238/85, AG 1986, 259, 260; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 40; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 24; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 144 f. 453 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, AG 2004, 321, 322 f.; OLG Stuttgart v. 20.3.1992 – 2 U 115/90, AG 1993, 85 = BB 1992, 1669; OLG Hamburg v. 16.5.1986 – 11 U 238/85, AG 1986, 259, 260; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 37 f.; Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 252 ff. 454 A.A. Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 258 ff., der den Beschlussmangel nicht auf die zu seiner Umsetzung vorgenommene Vertretungshandlung durchschlagen lassen will. 455 Cahn in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 247, 262 f.

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§ 7 Rz. 457 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

gemäß vertreten wird, sind nach früher herrschender Meinung nichtig456. Die besseren Argumente sprechen dafür, solche Geschäfte als schwebend unwirksam anzusehen mit der Folge, dass der Aufsichtsrat sie genehmigen kann (§§ 177 ff. BGB)457; das ist auch dann sachgerecht, wenn es sich um vollmachtloses Handeln des Vorstands in einer Angelegenheit handelt, für die zwingend der Aufsichtsrat zuständig ist458. Prozessual führt eine fehlerhafte Vertretung der AG im Rechtsstreit mit einem Vorstandsmitglied zur Abweisung der Klage als unzulässig, wenn der Aufsichtsrat die Prozessführung für die Gesellschaft nicht nachträglich genehmigt459. 458

Bei der Passivvertretung, d.h. der Entgegennahme von Erklärungen, genügt der Zugang bei einem der Aufsichtsratsmitglieder (§ 112 Satz 2 i.V.m. § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG); die frühere Rechtslage, wonach als einzelnes Mitglied nur der Aufsichtsratsvorsitzende zur Passivvertretung in der Lage war460, ist aufgrund der Einführung von § 112 Satz 2 AktG durch das MoMiG entfallen. Von der Passivvertretung ist die Wissenszurechnung zu unterscheiden. Das Wissen einzelner Aufsichtsratsmitglieder wird dem Gesamtorgan nicht zugerechnet461.

456 OLG Stuttgart v. 20.3.1992 – 2 U 115/90, BB 1992, 1669 f. = AG 1993, 85; BGH v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, AG 1987, 19 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 109; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 3. 457 BGH v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274, 1277 = AG 2013, 562; OLG München v. 18.10.2007 – 23 U 5786/06, AG 2008, 423, 425; OLG Celle v. 25.2.2002 – 4 U 176/01, AG 2003, 433; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 32; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 41 ff.; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 166 ff.; Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1059 f.; Fischer/Hoffmann, NZG 2013, 1419; Werner, Der Konzern 2008, 639, 642 ff.; offengelassen in BGH v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, AG 1994, 35; BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, AG 2008, 894, 895. 458 Ebenso Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 12; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 166 ff.; Jenne/Miller, ZIP 2019, 1052, 1059 f.; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 11; Drygala in K. Schmidt/ Lutter, Komm. AktG, § 112 Rz. 21. 459 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, AG 2009, 327; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669, 1670 = GmbHR 1999, 1140; BGH v. 8.9.1997 – II ZR 55/96, WM 1998, 308, 309; OLG Frankfurt a.M. v. 17.8.2011 – 13 U 100/10, AG 2011, 918. Wenn die Tatsacheninstanzen auf den Fehler nicht hingewiesen haben, wird man in der Revisionsinstanz allerdings – entgegen der Praxis des Bundesgerichtshofs – eine Zurückverweisung fordern müssen, damit der Kläger den Fehler durch nachträgliche Zustellung an den Aufsichtsrat heilen kann; vgl. hierzu näher Hager, NJW 1992, 352. 460 Vgl. nur Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 33. 461 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 112 Rz. 10; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 27; Spindler in Spindler/Stilz, § 112 Rz. 42; Wasserbäch, Die Vertretung der Aktiengesellschaft durch ihren Aufsichtsrat, 2018, S. 146 ff.; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 34; differenzierend etwa Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 88 (Wissenszurechnung des Aufsichtsrats-, u.U. auch eines Ausschussvorsitzenden).

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern | Rz. 460 § 7

2. Verfolgung von Schadensersatzansprüchen durch den Aufsichtsrat Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber amtierenden und ausgeschiedenen Mitgliedern des Vorstands umfasst auch die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder. Solange nicht die Hauptversammlung oder das Gericht zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs einen besonderen Vertreter gemäß § 147 Abs. 2 AktG bestellt haben462 oder die Hauptversammlung in rechtswirksamer Weise auf den Anspruch verzichtet hat (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG), ist der Aufsichtsrat aufgrund seiner Überwachungsaufgabe (§ 111 Abs. 1 AktG) und seiner Vertretungskompetenz (§ 112 AktG) verpflichtet, möglichen Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern nachzugehen463. Das gilt selbst dann, wenn gemäß § 148 AktG ein Klagezulassungsverfahren von Aktionären anhängig ist oder das Gericht Aktionäre zur Anspruchsverfolgung ermächtigt hat (vgl. § 148 Abs. 3 Satz 1 AktG)464. Dazu hat der Aufsichtsrat bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte den Sachverhalt festzustellen und die Erfolgsaussichten einer Anspruchsverfolgung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (Prozessrisiko und Beitreibbarkeit der Forderung) zu analysieren. Sodann kann sich die Frage stellen, ob der Anspruch verfolgt werden muss oder es im Interesse des Unternehmens liegt und zulässig ist, von der Anspruchsverfolgung abzusehen. Dabei ist der Aufsichtsrat nicht an eine bestimmte Reihenfolge der Prüfung gebunden, sondern er kann (und muss) schwierigere Prüfungsfragen zurückstellen, wenn sich schon aus anderen Gesichtspunkten ergibt, dass die Anspruchsverfolgung nicht erfolgversprechend oder wegen entgehenstehender Unternehmensinteressen nicht sachgerecht ist465.

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Die Beurteilung der Erfolgsaussichten466 richtet sich nach den Haftungsmaßstäben des § 93 Abs. 1 und 2 AktG467, und hat sich – unter Beachtung der Business Judgment Rule und der gesetzlichen Beweislastumkehr – darauf zu richten, ob der Vorstand seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, ob der Gesellschaft daraus ein Schaden entstanden ist und in welchem Umfang ein solcher voraussichtlich wird beigetrieben werden können. Dabei kann naturgemäß auch von Bedeutung sein, ob eine D&OVersicherung besteht und voraussichtlich eintreten muss468. Der Aufsichtsrat hat in

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462 Ein besonderer Vertreter verdrängt im Rahmen seines Aufgabenbereichs den Aufsichtsrat; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 147 Rz. 13; Bezzenberger, Großkomm. AktG, § 147 Rz. 52. 463 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 251 ff. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck). 464 Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 148 Rz. 35; Schröer, ZIP 2005, 2081, 2086; Linnerz, NZG 2004, 307, 311. 465 Goette in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 153, 162 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 10; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 620 f.; Eichner/Höller, AG 2011, 885, 886. 466 Dazu näher Goette in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 153, 156 f.; Goette, ZHR 176 (2012), 588, 600 ff.; Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 379 ff.; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 621 f.; Eichner/Höller, AG 2011, 885, 886 ff. 467 Vgl. dazu die Kommentierungen zu § 93 AktG sowie Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 3.4 ff. und Rz. 981 ff. 468 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 38; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 622.

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§ 7 Rz. 460 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

aller Regel dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, dessen wesentliche Einwendungen zu würdigen und für die rechtliche Beurteilung fachlichen Rat einzuholen. Er ist aber nicht verpflichtet, sich auf ein außergerichtliches Vorverfahren einzulassen und alle Sachverhalts- und Rechtsfragen mit dem Betroffenen in extenso zu erörtern. Vielmehr ist dem Aufsichtsrat ein erhebliches Ermessen bei der Frage zuzubilligen, welchen Grad von Anhaltspunkten er genügen lassen will, um die Haftungsfrage durch das Gericht klären zu lassen469. Kommt es später zum Streit über die Richtigkeit der Beurteilung der Erfolgsaussichten durch den Aufsichtsrat – etwa im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen einen die Anspruchsverfolgung ablehnenden Aufsichtsratsbeschluss470 oder im Rahmen einer Schadensersatzklage gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen unterlassener Anspruchsverfolgung – ist die Richtigkeit der Beurteilung durch den Aufsichtsrat grundsätzlich durch die Gerichte voll nachprüfbar.471 Allerdings ist dem Aufsichtsrat ein Beurteilungsspielraum bei Fragen zuzubilligen, die sich nicht eindeutig beantworten lassen472. Außerdem können Unsicherheiten bei der Beurteilung auf dieser ersten Prüfungsstufe im Rahmen der Abwägungsentscheidung auf der zweiten Stufe ins Gewicht fallen473. 461

Führt die Beurteilung der Erfolgsaussichten zu dem Ergebnis, dass der Gesellschaft voraussichtlich durchsetzbare Schadensersatzansprüche zustehen, soll der Aufsichtsrat nach den Formulierungen der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung in der Regel verpflichtet sein, diese Ansprüche zu verfolgen474. Jedoch ist ein Absehen von der Anspruchsverfolgung zulässig, wenn gewichtige Gründe des Unternehmenswohls der Geltendmachung des Ersatzanspruchs entgegenstehen475. Hierüber hat der Aufsichtsrat auf der zweiten Prüfungsstufe eine Entscheidung zu treffen476. Dabei können im Einzelfall Gesichtspunkte wie negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der Vorstandsarbeit, Beeinträchtigung des Betriebsklimas u.ä. eine Rolle spielen, während andere Gesichtspunkte als solche des Unternehmensinteresses, wie etwa die Verdienste des Vorstandsmitglieds oder die mit der Anspruchsverfolgung verbundenen sozialen Konsequenzen, keine Rolle spielen dürfen477. Letztlich geht es um die Frage, ob es bei sorgfältiger Abwägung im Interesse des Unternehmens liegt, den Anspruch gel469 Näher Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 3.47. 470 Zum Klagerecht vgl. Rz.743. 471 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck). 472 Ebenso BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 = AG 1997, 377 (ARAG/ Garmenbeck). 473 Goette, ZHR 176 (2012), 588, 600 f. 474 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 ff. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck). 475 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 ff. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck). 476 Dazu eingehend Goette in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 153, 159 ff.; Goette, ZHR 176 (2012), 588, 608 ff.; Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 386 ff.; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 632 ff. 477 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 ff. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck).

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Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern | Rz. 462 § 7

tend zu machen oder dies zu unterlassen. Deshalb mag man Kritik an dem vom BGH postulierten Regel-Ausnahme-Verhältnis üben können478, es schärft aber den Blick dafür, dass der Aufsichtsrat kein autonomes Ermessen hat, sondern seine Entscheidung ausschließlich die Interessen des Unternehmens zu berücksichtigen hat und ein Absehen von der Anspruchsverfolgung nur erlaubt ist, wenn dem Interesse an der Schadenskompensation und etwaigen weiteren Verfolgungsinteressen überwiegende andere Gesichtspunkte des Unternehmensinteresse entgegenstehen. Allerdings ist es nötig, dem Aufsichtsrat für seine Beurteilung und Abwägung auf dieser zweiten Stufe den Schutz der Business Judgment Rule zuzubilligen. Das klingt schon im ARAG/Garmenbeck-Urteil selbst an479 und wird zunehmend auch in der Literatur so gesehen480. Ob und welche Gesichtspunkte des Unternehmensinteresses gegen eine Inanspruchnahme des Vorstandsmitglieds sprechen und wie diese im Vergleich zu den Vermögensinteressen des Unternehmens zu gewichten sind, ist eine subjektive Beurteilung, für die der Aufsichtsrat zuständig und kraft größerer Sachnähe besser in der Lage ist als ein Gericht. Es kann deshalb nicht richtig sein, dass bei dieser Frage ein Gericht seine Beurteilung an die Stelle einer ebenso vertretbaren abweichenden Beurteilung des Aufsichtsrats soll setzen können. Der Aufsichtsrat handelt vielmehr pflichtgemäß, wenn er vernünftigerweise davon ausgehen kann, mit der Entscheidung, von einer Anspruchsverfolgung abzusehen, angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Soll der Ersatzanspruch verfolgt werden, muss nicht in jedem Fall sofort Klage erhoben werden, sondern der Aufsichtsrat kann eine Klageerhebung auch zurückstellen, um Zeit für Vergleichsgespräche und eine Entscheidung der Hauptversammlung nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zu gewinnen. Er kann dann aber verpflichtet sein, in 478 Reichert in FS Hommelhoff, 2012, S. 907, 917 ff.; a.A. Casper, ZHR 176 (2012), 616, 628 ff. 479 Vgl. BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 256 = AG 1997, 377 (ARAG/ Garmenbeck): Das Absehen von der Anspruchsverfolgung müsse zwar die Ausnahme sein und bedürfe gewichtiger Gegengründe und einer besonderer Rechtfertigung, in diesen engen Grenzen könne dem Aufsichtsrat aber „ein Entscheidungsermessen für die Frage zuzubilligen sein, ob er trotz Erfolgsaussicht eine Haftungsklage aus übergeordneten Gründen des Unternehmenswohls ausnahmsweise von der Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs absehen möchte“. 480 Paefgen, AG 2008, 761, 762 ff.; Mertens in FS K. Schmidt, 2009, S. 1183, 1192 ff.; Kocher, CCZ 2009, 215, 219 f.; Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 3 Rz. 3.48; Goette in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 153, 159 ff.; Goette, ZHR 176 (2012), 588, 589 ff.; Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 393 f.; Reichert in FS Hommelhoff, 2012, S. 907, 917 ff.; ähnlich LG Essen v. 25.4.2012 – 41 O 45/10, ZIP 2012, 2061, 2063; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 11 Rz. 338 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 44; Mertens in FS K. Schmidt, 2009, S. 1183, 1186 ff., die sich für eine nur eingeschränkte gerichtliche Vertretbarkeitsprüfung aussprechen; a.A. insbes. Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 11; Koch, NZG 2014, 934, 939 ff.; Koch, AG 2009, 93, 97 ff.; Lutter in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 747, 749 ff., die lediglich akzeptieren wollen, dass im Einzelfall das Verschulden der Aufsichtsratsmitglieder fehlen kann, wenn sie die Anspruchsverfolgung unterlassen.

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462

§ 7 Rz. 462 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

geeigneter Form (Einholung einer Verjährungsverzichtserklärung; Ausübung von Zurückbehaltungsrechten gegenüber Ansprüchen des Vorstands) den Anspruch zu sichern481.

V. Organisation der Vorstandsarbeit 1. Grundlagen 463

Kaum weniger bedeutsam als die Auswahl qualifizierter Vorstandsmitglieder ist die sachgerechte Organisation der Vorstandsarbeit. Es genügt nicht allein, qualifizierte Persönlichkeiten zu berufen, sondern erforderlich ist auch ein Organisationsgefüge, welches reibungslose Zusammenarbeit, gegenseitige Kräftesteigerung und Fehlerausgleich im Gesamtorgan gewährleistet. Beides, Organisation und Personalauswahl, steht in engem Zusammenhang: Die Personalauswahl muss sich an der Funktion orientieren, die der Gesuchte im Gesamtorgan übernehmen soll; umgekehrt können organisatorische Regelungen nicht ohne Berücksichtigung der von ihnen betroffenen Personen erfolgen.

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Das Gesetz spricht die Vorstandsorganisation in § 77 AktG an. Es statuiert dort zunächst das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung, wonach alle Vorstandsmitglieder gemeinsam sämtliche Geschäfte zu führen haben (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AktG), lässt es aber zu, dass Satzung oder Geschäftsordnung von diesem Prinzip abweichen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG). Damit ist es insbesondere zugelassen, im Wege der Geschäftsverteilung Vorstandsressorts einzurichten, innerhalb derer die Geschäfte nicht vom Gesamtvorstand, sondern von einem oder mehreren Vorstandsmitgliedern allein geführt werden482. Im Übrigen können im Wege der Geschäftsordnung weitere Regelungen über die Form der Zusammenarbeit im Vorstand getroffen werden, z.B. über die Einberufung und Abhaltung der Vorstandssitzungen u.Ä.483. Die Geschäftsordnung kann jedoch keine materiellen Entscheidungsrichtlinien für den Vorstand enthalten, kann ihm also nicht den Inhalt, sondern nur die Form seiner Tätigkeit vorschreiben. 2. Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung

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Die Zuständigkeit für die Geschäftsordnung liegt vorrangig bei der Satzung, die zum einen eine Geschäftsverteilung anordnen kann (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG) und der daneben auch die Befugnis zusteht, weitere Einzelfragen der Geschäftsordnung bin481 Zur Sicherung von Ersatzansprüchen durch Streitverkündung gegenüber dem Vorstandsmitglied, wenn die Gesellschaft von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, vgl. Schwab, NZG 2013, 521. 482 Vgl. dazu näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 15 ff.; Seibt in K. Schmidt/ Lutter, Komm. AktG, § 77 Rz. 16 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 17 ff. 483 Näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 51 ff.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 77 Rz. 24 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 28 ff.; Muster bei Hoffmann-Becking/Berger, Beck’sches Formularbuch, Formular X.16; Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band 1, Formular V.52.

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Organisation der Vorstandsarbeit | Rz. 467 § 7

dend zu regeln (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AktG). Soweit die Satzung keine Regelungen trifft, kann der Gesamtaufsichtsrat (nicht ein Ausschuss, § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG) eine Geschäftsordnung für den Vorstand erlassen (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG) und als Teil der Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG) auch die Geschäftsverteilung regeln. Verzichtet der Aufsichtsrat auf den Erlass einer Vorstandsgeschäftsordnung, ist der Vorstand selbst dazu befugt, sofern nicht die Satzung dieses Recht ausschließlich dem Aufsichtsrat vorbehalten hat (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG). Satzung oder Aufsichtsrat können auch bestimmen, dass eine vom Vorstand erlassene Geschäftsordnung der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG)484. Die Satzung kann hingegen nicht vorschreiben, dass der Aufsichtsrat die Geschäftsordnung dem Vorstand überlassen muss485. Die vorrangige Befugnis der Satzung zur Geschäftsverteilung ist nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht beschränkt, in anderen Geschäftsordnungsangelegenheiten ist nach dem Gesetzestext nur die Regelung von „Einzelfragen“ durch die Satzung zugelassen (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AktG). Soll der Aufsichtsrat seine Aufgabe der Vorstandsbesetzung erfüllen können, bedarf er organisatorischer Flexibilität, um nicht in der Freiheit der Auswahl beeinträchtigt zu sein. Umgekehrt kann eine sachgerechte Regelung aller organisatorischen Einzelheiten nicht erfolgen, ohne auf die konkrete Zusammensetzung des Vorstands Rücksicht zu nehmen. Es hat deshalb seinen guten Sinn, wenn das Gesetz der Satzung nur die Regelung von Einzelfragen der Geschäftsordnung erlaubt, die Details sind dem Aufsichtsrat vorzubehalten486. Erst recht muss dies bei der Geschäftsverteilung gelten. Auch hier kann die Satzung nur Schwerpunktfragen regeln487.

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Soweit die Satzung Regelungen über die Geschäftsverteilung treffen kann, kann sie dies zudem nur in genereller Form. Die Auswahl der individuellen Personen für ein generell eingerichtetes Ressort kann nicht durch die Satzung erfolgen488. Zwar wird die Ressortzuweisung de jure als Teil der Geschäftsordnung angesehen489, sie ist aber jedenfalls de facto so eng mit der Vorstandsbestellung verbunden, dass sie in erster Linie dem Aufsichtsrat vorbehalten sein muss; verzichtet der Aufsichtsrat auf eine Verteilung der Geschäfte, kann der Vorstand selbst die Geschäftsverteilung re-

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484 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 19; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 59; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 30. 485 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 19; Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 77 Rz. 27; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 59; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 30. 486 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 20; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 77 Rz. 67; Spindler, MünchKomm. AktG, § 77 Rz. 51; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 505; Krieger, Personalentscheidungen, S. 201 f.; a.A. die ältere Literatur, z.B. Hefermehl in G/H/E/K, Komm. AktG, § 77 Rz. 27; Meyer-Landrut, Großkomm. AktG, § 77 Anm. 7; Immenga, ZGR 1977, 249, 268. 487 Krieger, Personalentscheidungen, S. 201 f. 488 Ebenso Kort, Großkomm. AktG, § 77 Rz. 72; Bezzenberger, ZGR 1998, 352, 355. 489 Mertens, ZGR 1983, 189, 196 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 3; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 89; a.A. Krieger, Personalentscheidungen, S. 199 f.

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§ 7 Rz. 467 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

geln (§ 77 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 AktG). Der Aufsichtsrat ist nicht gehindert, die Ressortzuweisung auch zum Gegenstand des Anstellungsvertrages zu erheben490. Allerdings bedarf dies der Zustimmung des Aufsichtsratsplenums, ein Ausschuss ist hierzu nicht befugt, weil er sonst in die dem Gesamtaufsichtsrat vorbehaltene Geschäftsordnungskompetenz eingreifen würde491. Voraussetzung ist überdies, dass ein entsprechendes Ressort zuvor durch eine vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung eingerichtet ist oder der Vorstand der anstellungsvertraglichen Ressortzuweisung einstimmig zustimmt492. 468

Zu den Pflichten des Aufsichtsrats gehört es in jedem Fall, auf eine sachgerechte Organisation der Vorstandsarbeit zu achten493. Er kann diese Aufgabe zwar dem Vorstand selbst überlassen494, hat dann aber zu kontrollieren, ob dieser die Selbstorganisation ordnungsgemäß wahrnimmt und hat erforderlichenfalls einzuschreiten. Erlässt der Aufsichtsrat eine Geschäftsordnung, kann der Vorstand keine eigene Geschäftsordnung mehr erlassen, eine etwa von ihm früher erlassene Geschäftsordnung tritt außer Kraft495; es ist aber zulässig, dass der Aufsichtsrat den Vorstand ermächtigt, eine vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsordnung oder Geschäftsverteilung durch eine eigene zu ersetzen. Der Aufsichtsrat kann sich auch darauf beschränken, eine Rahmengeschäftsordnung zu erlassen und ergänzende Regelungen dem Vorstand vorzubehalten496. Eine vom Vorstand verabschiedete Geschäftsordnung kann der Aufsichtsrat jederzeit durch eine eigene ersetzen, nach h.M. allerdings nicht bloß in Einzelpunkten abändern497; in der Praxis muss der Aufsichtsrat dann die bisherige Geschäftsordnung mit den von ihm gewünschten Änderungen insgesamt als eigene Geschäftsordnung erlassen. 3. Änderungen der Geschäftsverteilung

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Die Frage unter welchen Voraussetzungen sich Vorstandsmitglieder Änderungen ihres Ressorts gefallen lassen müssen, ist in der Praxis immer wieder Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten. Dabei ist zwischen der korporationsrechtlichen und der anstellungsvertraglichen Seite zu unterscheiden. Korporationsrechtlich sind Ände490 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 44, § 84 Rz. 284; Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 285; unklar Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 27. 491 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 15; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 49. 492 Kort, Großkomm. AktG, § 84 Rz. 285; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 89. 493 Vgl. nur BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, ZIP 2019, 261 Rz. 19. 494 Zu den Anforderungen an eine vom Vorstand erlassene Geschäftsverteilung vgl. BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, ZIP 2019, 261 Rz. 19 ff. 495 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 58; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 30. 496 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 58; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 77 Rz. 65; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 504. 497 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 60; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 77 Rz. 64; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 31; a.A. anscheinend Seibt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 77 Rz. 26.

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Besondere Vorstandsmitglieder | Rz. 471 § 7

rungen des Ressorts ohne weiteres zulässig498, ob sie auch schuldrechtlich zulässig sind, entscheidet sich nach dem Inhalt des Anstellungsvertrages. Ein mehr als nur unwesentlicher Entzug anstellungsvertraglich zugesagter Funktionen ist danach zwar aktienrechtlich wirksam, gibt dem Vorstandsmitglied jedoch das Recht zur Amtsniederlegung und zur Kündigung seines Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund499. Eine im Widerspruch zum Anstellungsvertrag stehende Zuweisung zusätzlicher Aufgaben kann das Vorstandsmitglied ablehnen. Die Gesellschaft kann Vertragsänderungen nur im Wege einer Änderungskündigung durchsetzen, die jedoch im allgemeinen einen wichtigen Grund i.S. von § 626 BGB, zumindest aber einen wichtigen Abberufungsgrund im Sinne von § 84 Abs. 3 AktG voraussetzt (näher Rz. 445); die Änderung der Geschäftsverteilung als solche stellt für die Gesellschaft weder einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages noch einen wichtigen Grund zur Abberufung des Vorstandsmitglieds dar500. Zuständig für Änderungen der Geschäftsverteilung ist, da es sich hier um eine Maßnahme der Geschäftsordnung handelt, in erster Linie der Aufsichtsrat (§ 77 Abs. 2 AktG). Der Vorstand selbst kann Änderungen der Geschäftsverteilung nur vornehmen, wenn er selbst die Geschäfte verteilt hat, in eine vom Aufsichtsrat erlassene Geschäftsverteilung kann der Vorstand nicht eingreifen. Entscheidet der Aufsichtsrat über Änderungen der Geschäftsverteilung, findet in mitbestimmten Gesellschaften nicht § 31 MitbestG Anwendung, sondern § 29 MitbestG; der Aufsichtsrat entscheidet also mit einfacher Mehrheit, vgl. näher Rz. 736 ff. Das ist allerdings anders, wenn dem Arbeitsdirektor anstelle seines bisherigen ein anderes Ressort zugeteilt werden soll501.

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VI. Besondere Vorstandsmitglieder 1. Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Vorstand Gemäß § 105 Abs. 2 AktG kann der Aufsichtsrat für einen im voraus begrenzten Zeitraum, höchstens für ein Jahr, einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern von fehlenden oder behinderten Vorstandsmitgliedern bestellen. Das Aufsichtsratsmitglied hat in dieser Zeit die Rechte und Pflichten des von ihm vertretenen Vorstandsmitglieds, es bleibt aber unter Ruhen des Amtes gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied502. Die Satzung kann das Entsendungsrecht nach § 105 Abs. 2 AktG weder ausschließen 498 Spindler, MünchKomm. AktG, § 77 Rz. 40; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 64; Kort, Großkomm. AktG, § 77 Rz. 93; Mertens, ZGR 1983, 189, 197. 499 OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, NZG 2011, 987, 988 f. = GmbHR 2011, 535; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 64; Kort, Großkomm. AktG, § 77 Rz. 93a; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 27. 500 Spindler, MünchKomm. AktG, § 77 Rz. 40; Kort, Großkomm. AktG, § 77 Rz. 93a; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 27. 501 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 25; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 15. 502 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 10; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 29 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 33.

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§ 7 Rz. 471 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

noch beschränken503. Die Entsendung kann nur erfolgen, wenn ein reguläres Vorstandsmitglied an der Amtsausübung gehindert ist oder ganz fehlt. Das erstere ist der Fall, wenn ein bestelltes Vorstandsmitglied sein Amt, etwa wegen Krankheit, nicht ausüben kann, das letztere, wenn weniger Vorstandsmitglieder bestellt sind als die in der Satzung oder der Geschäftsordnung des Vorstands bestimmte Fest- oder Höchstzahl504. Hingegen steht es der Entsendung nicht entgegen, wenn auch im Vorstand ein Stellvertreter zur Verfügung stünde505. 472

§ 105 Abs. 2 AktG gilt entsprechend für die Entsendung eines Aufsichtsratsmitglieds der Mutter in den Vorstand einer Tochter506. Die Entsendung erfolgt durch Beschluss des Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft und führt wegen § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG zum Ruhen der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens. Wegen dieser Rechtsfolge bedarf die Bestellung zum Vorstand der Tochter der Zustimmung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens.

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Bei der Entsendung ist von vornherein eine bestimmte Bestellungsdauer festzulegen, die ein Jahr nicht überschreiten darf. Eine auf längere Dauer beschlossene Bestellung ist bis zum Ablauf dieser Frist wirksam (§ 139 BGB), bei zunächst kürzer bemessener Amtszeit ist eine Verlängerung möglich, solange insgesamt die Jahresfrist nicht überschritten wird. Die Jahresfrist bezieht sich auf den jeweiligen Verhinderungsfall; sie kann nicht dadurch überschritten werden, dass nach Ablauf des Jahres ein anderes Aufsichtsratsmitglied mit der Vertretung betraut wird507. Bei mehreren Verhinderungsfällen hingegen kann auch dasselbe Aufsichtsratsmitglied insgesamt – jedoch nicht für den einzelnen Vertretungsfall – über einen längeren Zeitraum als ein Jahr die Vertretung übernehmen508.

474

In mitbestimmten Gesellschaften kommt auf die Beschlussfassung über die Entsendung nicht § 31 MitbestG, sondern § 29 MitbestG zur Anwendung, es genügt also

503 Wie hier Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 3; Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 3; Simons in Hölters, Komm. AktG, § 105 Rz. 24; Krieger, Personalentscheidungen, S. 225 f.; zweifelnd auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 1; a.A. Hopt/ Roth, Großkomm. AktG, § 105 Rz. 12; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 3; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 105 Rz. 2. 504 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 20 f.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 29. 505 Hüffer,/Koch Komm. AktG, § 105 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 21; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 29. 506 Hüffer/Koch, Komm. AktG; § 105 Rz. 8; Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 105 Rz. 6; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 36. 507 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 7; Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 28; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 30; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 105 Rz. 66; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 25; unklar Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 105 Rz. 17. 508 Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 28; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 25.

234

Besondere Vorstandsmitglieder | Rz. 477 § 7

die einfache Mehrheit509. Hingegen wird man in analoger Anwendung von § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG annehmen müssen, dass die Beschlussfassung dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten ist und nicht auf einen Ausschuss übertragen werden kann510. Wird der Anlass der Entsendung behoben, ist umstritten, ob die Entsendung automatisch endet511, oder eine Amtsniederlegung des entsandten Aufsichtsratsmitglieds oder ein Widerruf der Entsendung erforderlich ist512. Die Entsendung eines Aufsichtsratsmitglieds in den Vorstand kann vom Aufsichtsrat vorzeitig widerrufen werden, nach herrschender Meinung allerdings nur aus wichtigem Grund513. Für die Beschlussfassung gilt das gleiche wie bei der Vornahme der Entsendung: § 31 Abs. 5 MitbestG findet keine Anwendung, wohl aber ist die Entscheidung entsprechend § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG dem Plenum vorbehalten514.

475

2. Ernennung eines Vorstandsvorsitzenden Gemäß § 84 Abs. 2 AktG kann der Aufsichtsrat ein Mitglied des Vorstands zum Vorstandsvorsitzenden ernennen; die umstrittene Frage, ob auch zwei Vorstandsvorsitzende ernannt werden können515, ist – anders als die Ernennung zweier Vorstandssprecher (vgl. dazu Rz. 480) – für die Praxis kaum von Bedeutung. Besondere gesetzliche Befugnisse räumt das Gesetz dem Vorstandsvorsitzenden nicht ein. Er ist im Grundsatz Vorstandsmitglied wie jedes andere auch und nach herrschender Meinung nur mit den üblichen Organisationsrechten des Vorsitzenden eines Gremiums (Sitzungsleitung, Einberufung der Versammlung u.Ä.) ausgestattet516.

476

Die Satzung oder die Vorstands-Geschäftsordnung kann dem Vorsitzenden bei einem mehr als zweiköpfigen Vorstand das Recht zum Stichentscheid bei Stimmen-

477

509 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 6; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 9; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 18. 510 Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 28; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 31; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 105 Rz. 16; Krieger, Personalentscheidungen, S. 230 f.; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 105 Rz. 9; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 18; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 31. 511 So Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 105 Rz. 80; Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 36; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 105 Rz. 18. 512 So Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 33; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 29; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 32, die im Wegfall der Verhinderung den wichtigen Abberufungsgrund sehen. 513 Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 36; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 105 Rz. 36; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 105 Rz. 33; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 32. 514 Krieger, Personalentscheidungen, S. 233. 515 Dafür Kort, Großkomm. AktG, § 77 Rz. 49; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 87; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 2; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 28; mit Recht ablehnend Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 115; eingehend, im Ergebnis offen Bachmann in FS Baums, 2017, S. 107, 111 f. 516 Vgl. etwa Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 29; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 102; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 4; eingehend T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 662 ff.

235

§ 7 Rz. 477 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

gleichheit einräumen517. Jedenfalls in nicht mitbestimmten Gesellschaften ist es auch möglich, dem Vorsitzenden durch Satzung oder Geschäftsordnung ein (endgültiges) Vetorecht gegen Vorstandsbeschlüsse einzuräumen518; zur Rechtslage in mitbestimmten Gesellschaften vgl. Rz. 485 ff. Es kann jedoch nicht bestimmt werden, dass der Vorstandsvorsitzende Meinungsverschiedenheiten im Vorstand gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden kann (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG); in einem zweiköpfigen Vorstand ist deshalb auch ein Stichentscheid des Vorsitzenden unzulässig, weil dieser auf ein Alleinentscheidungsrecht hinausliefe519. Auch ohne die Einräumung zusätzlicher Befugnisse durch Satzung oder Geschäftsordnung verbindet sich nach dem gesetzlichen Leitbild mit dem Amt des Vorstandsvorsitzenden im besonderen Maße Verantwortung und Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens. Daraus erwachsen dem Vorstandsvorsitzenden besondere Amtspflichten zur organinternen Koordination und Überwachung (vgl. auch Grundsatz 1 Satz 3 des Kodex) und als Ausfluss dessen auch einige Sonderrechte gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern520. 478

Der Vorstandsvorsitzende hat nicht die Rechtsstellung des amerikanischen Chief Executive Officer, insbesondere kein Weisungsrecht gegenüber den Vorstandskollegen. In tatsächlicher Hinsicht ist allerdings zu beobachten, dass sich mit der Funktion des Vorstandsvorsitzenden immer mehr eine besondere Führungsfunktion nach dem Vorbild des CEO verbindet521.

479

Für die Ernennung des Vorsitzenden und deren Widerruf ist ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig. Die Satzung kann die Ernennung eines Vorsitzenden, nicht

517 Ganz h.M., z.B. BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 59 = AG 1984, 48; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 29; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 102; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 9; einschränkend T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 669 f., der einen Stichentscheid in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften als unzulässig ansieht; a.A. Erle, AG 1987, 7 ff. 518 OLG Karlsruhe v. 23.5.2000 – 8 U 233/99, AG 2001, 93, 94; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 13 f.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 77 Rz. 16 f.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 9; Langer/Peters, BB 2012, 2575, 2580 f.; a.A. Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 645 ff.; T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 665 ff.; Erle, AG 1987, 7 ff.; zweifelnd auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 29; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 519; offengelassen in BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 58 = AG 1984, 48. 519 OLG Hamburg v. 20.5.1985 – 2 W 49/84, AG 1985, 251; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 11; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 12; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 22 Rz. 9; a.A. Priester, AG 1984, 253 ff.; Bürkle, AG 2012, 232 ff. 520 Vgl. dazu näher Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 4; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 102; Krieger, Personalentscheidungen, S. 244 ff.; Wettich, Vorstandsorganisation, S. 96 ff.; Simons/Hanloser, AG 2010, 641, 642 ff.; T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 662 ff.; ablehnend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 102. 521 Vgl. etwa Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rz. 36; Wettich, Vorstandsorganisation, S. 118 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 77 Rz. 42, § 84 Rz. 90; Wicke, NJW 2007, 3755, 3757.

236

Besondere Vorstandsmitglieder | Rz. 480 § 7

untersagen522 und nach herrschender Meinung auch nicht anordnen523. Die Entscheidung erfolgt in mitbestimmten Gesellschaften nicht in dem abgestuften Verfahren des § 31 MitbestG, sondern nach den Regeln des § 29 MitbestG524. Sie kann nicht auf einen Ausschuss übertragen werden (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). Der Widerruf der Ernennung zum Vorsitzenden – der als solcher die Bestellung zum Vorstandsmitglied nicht berührt – bedarf wie der Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied des wichtigen Grundes (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Schließlich ist der Vorstandsvorsitzende auf allen Geschäftsbriefen der Gesellschaft namhaft zu machen (§ 80 AktG). Macht der Aufsichtsrat von seiner Befugnis zur Bestellung eines Vorstandsvorsitzenden keinen Gebrauch, so ist es praktisch verbreitet, dass der Vorstand selbst eines oder zwei (so z.B. jüngst SAP) seiner Mitglieder zu Sprechern des Vorstands ernennt. Gelegentlich ernennt auch der Aufsichtsrat eines der Vorstandsmitglieder zum Sprecher, anstatt einen Vorsitzenden zu bestellen. Zulässig ist es auch, dass der Aufsichtsrat die Ernennung eines Sprechers dem Vorstand überlässt, aber an seine Zustimmung oder die Zustimmung eines Ausschusses bindet. Die Unterscheidung zwischen einem Vorstandsvorsitzenden und einem Vorstandssprecher ist allgemein bekannt und akzeptiert. Es steht deshalb nichts entgegen, die Ernennung eines oder zweier Sprecher (und deren Widerruf) als Bestandteil der Geschäftsordnungskompetenz von Aufsichtsrat und Vorstand (§ 77 Abs. 2 AktG) als zulässig anzusehen525. Das gilt um so mehr, als der Aufsichtsrat nicht gehindert ist, jederzeit einen Vorsitzenden zu bestellen; dadurch entfällt dann automatisch die Position des Sprechers526. Im Übrigen kann die Ernennung zum Sprecher jederzeit ohne wichtigen Grund widerrufen werden527. Der Sprecher hat allerdings nicht die besonderen Koordinationsund Überwachungsfunktionen des Vorsitzenden (vgl. Rz. 477), sondern ist auf sitzungsleitende und repräsentative Sonderfunktionen beschränkt528. Er darf auch

522 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 101; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 115; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 3. 523 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 101; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 3; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 115; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 142; a.A. Dose, Vorstandsmitglieder, S. 28 ff.; Krieger, Personalentscheidungen, S. 252 f. 524 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 28; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 100; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 8; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 3; a.A. Krieger, Personalentscheidungen, S. 254; Säcker, Aufsichtsratsausschüsse, S. 61. 525 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 30; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 84 Rz. 103; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 5 ff. 526 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 7. 527 Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 7; Spindler, MünchKomm. AktG, § 84 Rz. 118; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 91. 528 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 84 Rz. 30; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 91; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 5; unzutreffend insoweit Grundsatz 1 Satz 3 des Kodex, der auch dem Sprecher die Koordination der Vorstandsarbeit zuordnet.

237

480

§ 7 Rz. 480 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

nicht faktisch wie ein Vorsitzender agieren; geschieht dies dennoch, muss der Aufsichtsrat einschreiten529. 3. Bestellung eines Arbeitsdirektors 481

Den Vorständen montanmitbestimmter und dem MitbestG 1976 unterfallender Aktiengesellschaften muss als gleichberechtigtes Mitglied ein Arbeitsdirektor angehören (§ 33 MitbestG, § 13 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG). Daraus folgt zugleich, dass die Vorstände solcher Gesellschaften aus mindestens zwei Personen zu bestehen haben530. Wächst ein Unternehmen erstmals in die Mitbestimmung hinein, ist die sofortige Neubestellung eines Arbeitsdirektors nötig, wenn bislang noch kein Vorstandsmitglied die Aufgaben eines Arbeitsdirektors wahrgenommen hat, andernfalls ist ein Arbeitsdirektor erst mit dem Ende der laufenden Amtszeit des bisherigen Funktionsträgers zu bestellen531. Die Gegenauffassung, die stets die sofortige Neubestellung verlangt532, übersieht, dass § 37 Abs. 3 MitbestG den amtierenden Vorstandsmitgliedern bis zum Ende ihrer laufenden Amtszeit Bestandsschutz nicht nur in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied, sondern auch in ihrer konkreten Funktion im Vorstand sichert533.

482

Die genauen Aufgaben des Arbeitsdirektors umschreibt das Gesetz nicht; es geht aber davon aus, dass ihm – bei Fortbestand einer Letztzuständigkeit des Gesamtvorstands (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG) – der Kernbereich von Ressortzuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen zufällt534. Das hindert nicht, dem Arbeitsdirektor weitere Aufgaben zuzuweisen, solange er dadurch nicht in der sachgerechten Wahrnehmung seines eigentlichen Auftrags behindert wird535. Ebensowenig steht umgekehrt etwas entgegen, einzelne Personal- und Sozialangelegenheiten auf andere Vorstandsmit529 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 84 Rz. 91; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 6; Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497, 517. 530 LG Frankfurt a.M. v. 26.4.1984 – 3/6 O 210/83, AG 1984, 276, 277; LG Bad Kreuznach v. 3.10.1979 – 2 T 78/79, AG 1979, 346, 347; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 57; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 108; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 2; a.A. Kötter, Komm. Montan-MitbestG, § 13 Anm. 1; Overlack, ZHR 141 (1977), 125, 128 ff. 531 So z.B. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 37 MitbestG Rz. 7; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 37 MitbestG Rz. 21; Oetker, Großkomm. AktG, § 37 MitbestG Rz. 11; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 37 MitbestG Rz. 20; ausführlich Mertens, AG 1979, 334. 532 So etwa AG Bremen v. 5.12.1978 – 38 HRB 3029, WM 1979, 154; LG Bad Kreuznach v. 3.10.1979 – 2 T 78/79, AG 1979, 346. 533 So insbes. Mertens, AG 1979, 334, 335 ff.; Säcker, Anpassung von Satzungen S. 56, 58; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 37 MitbestG Rz. 21. 534 Vgl. dazu näher etwa Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 16 ff.; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 43 ff.; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 21 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 17 ff. 535 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 378; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 42; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 25.

238

Besondere Vorstandsmitglieder | Rz. 485 § 7

glieder zu übertragen536. So ist es zulässig und in der Praxis häufig, das leitende Personal dem Vorstandsvorsitzenden oder -sprecher zu unterstellen537. Für die Bestellung und Abberufung gelten die gleichen Regeln wie für die Bestellung und Abberufung jedes anderen Vorstandsmitgliedes. Zuständig ist das Aufsichtsratsplenum (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG). Es beschließt – soweit anwendbar – im Verfahren nach § 31 MitbestG. Nur in Gesellschaften, die dem MontanMitbestG unterliegen, können die Bestellung und ihr Widerruf nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter erfolgen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 MontanMitbestG).

483

Die Auswahl des Arbeitsdirektors hat sich uneingeschränkt an den gleichen Maßstäben zu orientieren wie die Auswahl aller anderen Vorstandsmitglieder. Die Wahl wird von der Funktion des Arbeitsdirektors bestimmt, für welche naturgemäß auch das Vertrauen der Belegschaft von Bedeutung ist538. Das bedeutet jedoch nicht, dass es in aller Regel im Unternehmensinteresse geboten wäre, nur solche Persönlichkeiten zum Arbeitsdirektor zu bestellen, die auch von den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat gebilligt werden539.

484

§ 33 MitbestG, § 13 Abs. 1 Satz 1 MontanMitbestG betonen die Gleichberechtigung des Arbeitsdirektors. Literatur und Rechtsprechung folgern daraus, dass die Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder in mitbestimmten Gesellschaften durch Satzung oder Geschäftsordnung nur in engen Grenzen unterschiedlich ausgestaltet werden könne. Vereinzelt wird es für problematisch gehalten, ob in einem zweiköpfigen Vorstand neben dem Arbeitsdirektor ein Vorstandsvorsitzender ernannt werden könne540 oder ob es zulässig sei, den Arbeitsdirektor nur zum stellvertretenden Vor-

485

536 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 378; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 45; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 23. 537 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 48; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 20; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 23; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 47. 538 Vgl. etwa Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 7/4845, S. 9 und die Nachweise in der folgenden Fn. 539 So aber z.B. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 23; vgl. in diese Richtung auch den Bericht der Mitbestimmungskommission, BT-Drucks. VI/334, S. 110. Im Ergebnis wie hier die h.M., z.B. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 379; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 5; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 14. 540 Für die Zulässigkeit mit Recht OLG Frankfurt a.M. v. 23.4.1985 – 5 U 149/84, BB 1985, 1286, 1288 = AG 1985, 220; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 29; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 40; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 18; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 66; zweifelnd Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 73; Meyer-Landrut, DB 1976, 387, 388; generell ablehnend Kieser, Komm. MitbestG, § 33 Rz. 108; Wlotzke, Das Arbeitsrecht der Gegenwart 14 (1976), 17, 41.

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§ 7 Rz. 485 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

standsmitglied zu ernennen541. Werde ein Vorstandspräsidium eingerichtet, müsse ihm der Arbeitsdirektor angehören542, unzulässig sei es, ihn in seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht (Einzel- oder Gesamtbefugnis) hinter andere Vorstandsmitglieder zurückzustellen543, und unzulässig sei es in mitbestimmten Gesellschaften auch, dem Vorstandsvorsitzenden ein Vetorecht gegen Vorstandsbeschlüsse einzuräumen544. 486

Tatsächlich ist bei diesen Fragen gegenüber pauschalen Aussagen Zurückhaltung am Platz. Gleichbehandlung im Recht hindert sachlich gerechtfertigte Differenzierungen nicht545. Generelle Verbote lassen sich nur bei besonders gravierenden Ungleichbehandlungen begründen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bereits das AktG den Vorstand als Kollegialorgan versteht und seine Mitglieder davor schützt, zu Vorstandsmitgliedern minderen Rechts ernannt zu werden. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung können deshalb Gestaltungen, die aktienrechtlich zulässig sind, nur bei Diskriminierung des Arbeitsdirektors unzulässig werden, wenn gerade der Arbeitsdirektor gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern zurückgestellt wird und diese Zurückstellung in Anbetracht der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls als sachlich nicht begründet erscheint546.

487

Von den oben genannten Gestaltungen wird man allein die Einräumung eines Vetorechts für den Vorstandsvorsitzenden als per se unzulässig ansehen müssen, und auch dies nicht, weil sich damit eine unzulässige Ungleichbehandlung des Arbeitsdirektors verbände, sondern weil dadurch seine zwingende Ressortzuständigkeit zu sehr ausgehöhlt würde547. Bedenkenlos zulässig ist demgegenüber die Begründung

541 Zurückhaltend Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 26; für die Zulässigkeit aus sachlichem Grund mit Recht aber die h.M., Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 94 Rz. 4; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 39; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 15; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 10 f. 542 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 73; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 67; Rumpff, GK-MitbestG, § 33 Rz. 39. 543 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 31; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 81 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 67; Ballerstedt, ZGR 1977, 133, 150. 544 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 59 f. = AG 1984, 48; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 13; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 14; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 40 m.w.N. 545 Dies wird auch zu § 33 MitbestG allgemein anerkannt; vgl. etwa Henssler in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 31; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 24; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 14. 546 Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 14; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG § 77 Rz. 67; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 10; Krieger, Personalentscheidungen, S. 265 ff. 547 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 59 = AG 1984, 48; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 40; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs,

240

Besondere Vorstandsmitglieder | Rz. 489 § 7

eines Stichentscheids für den Vorstandsvorsitzenden in einem mehr als zweiköpfigen Vorstand548, während ein Stichentscheid in einem zweiköpfigen Kollegium bereits aktienrechtlich unzulässig ist (vgl. Rz. 477). Etwas anders ist die Rechtslage in der GmbH. Hier ist die Kollegialnatur des Geschäftsführungsorgans weniger ausgeprägt als im Aktienrecht; auch können einzelnen Geschäftsführern Befugnisse eingeräumt werden, die sie weiter über ihre Mitgeschäftsführer herausheben, z.B. erlaubt das GmbHG – im Gegensatz zu § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG – das Recht zum Letztentscheid. Solche aktienrechtlich unzulässigen Differenzierungen sind wegen der Gleichberechtigung des Arbeitsdirektors zu seinen Lasten auch in einer GmbH unzulässig549.

488

4. Bestellung stellvertretender Vorstandsmitglieder Gemäß § 94 AktG gelten für stellvertretende Vorstandsmitglieder die gleichen Vorschriften wie für ordentliche. Die Bezeichnung als Stellvertreter hat keine rechtliche Bedeutung, sondern erschöpft sich in der bloßen Titulierung. Für die Bestellung und Anstellung, den Widerruf der Bestellung und die Kündigung des Anstellungsvertrages gilt das gleiche wie für ordentliche Mitglieder des Vorstands; auch die gesetzliche Vertretungsbefugnis und die zwingenden Geschäftsführungsrechte und -pflichten eines stellvertretenden Vorstandsmitglieds sind die gleichen wie die eines ordentlichen550. Nur in den Grenzen zwingenden Rechts kann die rechtliche Stellung stellvertretender Vorstandsmitglieder von der Gesellschaft besonders ausgestaltet werden. So ist es z.B. möglich, ihnen die Leitung eines bestimmten Ressorts lediglich für Vertretungsfälle zuzuweisen u.Ä. In der Praxis werden vielfach neue Vorstandsmitglieder zunächst als Stellvertreter bestellt, bevor nach entsprechender Bewährung die Bestellung als ordentliches Vorstandsmitglied erfolgt. Ob ein Vorstandsmitglied als ordentliches oder als stellvertretendes bestellt wird, entscheidet der Aufsichtsrat nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Satzung kann die Bestellung von Vorstandsmitgliedern als nur stellvertretenden Mitgliedern weder ausschließen noch anordnen551. Für Änderungen des Titels gelten die gleichen Regeln wie für eine Neubestellung. Die Ernennung eines bisher stellvertretenden zum ordentlichen Vorstandsmitglied steht also allein dem Gesamtaufsichtsrat zu552. Für eine – wohl nur theoretisch vor-

548 549 550 551 552

Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 29; a.A. Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 19, der ein allgemeines Vetorecht des Vorsitzenden für zulässig ansieht. BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 59 = AG 1984, 48; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 40; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 77 Rz. 66; Oetker, Großkomm. AktG, § 33 MitbestG Rz. 19. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 30, je m.w.N. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 94 Rz. 2 f.; Habersack/Foerster, Großkomm. AktG, § 94 Rz. 4 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 94 Rz. 2 ff. Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 94 Rz. 1; Habersack/Foerster, Großkomm. AktG, § 94 Rz. 12; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 94 Rz. 4. Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 94 Rz. 3; Spindler, MünchKomm. AktG, § 94 Rz. 9; Habersack/Foerster, Großkomm. AktG, § 94 Rz. 13; Wiesner, Münche-

241

489

§ 7 Rz. 489 | Bestellung und Anstellung des Vorstands

stellbare – Herabstufung eines ordentlichen Vorstandsmitglieds zum Stellvertreter gilt das erst recht553. In mitbestimmten Gesellschaften gilt für Änderungen des Titels nicht § 31 MitbestG, sondern § 29 MitbestG554.

VII. Besonderheiten im Konzern 490

Durch ein Abhängigkeits- oder Konzernverhältnis ändert sich die Personalkompetenz des Aufsichtsrats der abhängigen Aktiengesellschaft nicht. Der Aufsichtsrat bleibt für Bestellung und Anstellung und die Abberufung des Vorstands seiner Gesellschaft allein zuständig. Irgendwelche Weisungsrechte des herrschenden Unternehmens bestehen – auch bei Abschluss eines Beherrschungsvertrags und im Falle der Eingliederung – nicht555.

491

Die Personalkompetenz des Aufsichtsrats einer herrschenden Aktiengesellschaft erstreckt sich auch im Konzern zunächst nur auf diese Gesellschaft. Für die Personalentscheidungen in abhängigen Unternehmen bleiben deren Organe zuständig. Der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens muss sich aber im Rahmen seiner Überwachungsaufgabe mit der Besetzung von Führungspositionen in abhängigen Gesellschaften befassen556. Er hat also darauf zu achten, dass der Vorstand eine planmäßige Personalpolitik betreibt, die dazu geeignet ist, Führungskräfte im Konzern heranzubilden, und er hat sich über wichtige Personalentscheidungen in Tochtergesellschaften berichten zu lassen und diese mit dem Vorstand zu erörtern. Der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens kann auch die Mitwirkung seines Vorstands bei Personalentscheidungen in Tochtergesellschaften gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG von seiner Zustimmung abhängig machen557. Ein solcher Zustimmungsvorbehalt bindet den Vorstand des herrschenden Unternehmens jedenfalls bei der Ausübung der Stimmrechte des herrschenden Unternehmens in der Gesellschafterversammlung der Tochter. Er wirkt sich daher jedenfalls dann aus, wenn es sich um eine Tochter-GmbH handelt, bei welcher die Gesellschafterversammlung über Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer entscheidet. Auf die Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern des herrschenden Unternehmens im Aufsichtsrat einer Tochtergesellschaft wirken sich Zustimmungsvorbehalte nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG in der Weise aus, dass der Vorstand des herrschenden Unternehmens seinen

553 554

555 556 557

242

ner Hdb. AG, § 24 Rz. 27; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 94 Rz. 7; Spindler, MünchKomm. AktG, § 94 Rz. 10. Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 24 Rz. 27; Krieger, Personalentscheidungen, S. 223. Heute ganz h.M. Habersack/Foerster, Großkomm. AktG, § 94 Rz. 13; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 94 Rz. 4; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 94 Rz. 4; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 94 Rz. 5; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 94 Rz. 7; a.A. Oetker, Großkomm. AktG, § 31 MitbestG Rz. 5. Krieger, Münchener Hdb. AG, § 69 Rz. 35, § 70 Rz. 170, § 73 Rz. 67. Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 273 und 430; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 69 Rz. 30. Weitergehend Martens, ZHR 159 (1995), 567, 577 ff., der für wichtige Vorstandspositionen bei Töchtern eine Pflicht zur Schaffung eines Zustimmungsvorbehaltes annimmt.

Besonderheiten im Konzern | Rz. 494–500 § 7

Aufsichtsrat über beabsichtigte Personalentscheidungen in der Tochtergesellschaft vorab zu informieren und um seine Zustimmung zu bitten hat; wird die Zustimmung nicht erteilt, kann (und muss) sich der Vorstand des herrschenden Unternehmens im Aufsichtsrat der Tochter darüber allerdings nach pflichtgemäßem Ermessen hinwegsetzen558. Für mitbestimmte Gesellschaften besteht nach § 32 MitbestG und nach § 15 MitbestErgG ein gesetzlicher Zustimmungsvorbehalt, der unter anderem die Ausübung der Rechte der Gesellschaft bei der Bestellung und dem Widerruf der Bestellung von Verwaltungsträgern bei Tochtergesellschaften betrifft, und diese Rechtsausübung von der Zustimmung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Obergesellschaft abhängig macht (näher Rz. 518 ff. Für die Bestellung und Abberufung der Vorstände und Geschäftsführer von Tochtergesellschaften hat das jedoch kaum praktische Bedeutung, da der Zustimmungsvorbehalt nur eingreift, wenn die Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft und nicht deren Aufsichtsrat für diese Personalentscheidungen zuständig ist559.

492

In der Praxis besteht häufig ein Interesse daran, Mitglieder des Vertretungsorgans oder leitende Angestellte des herrschenden Unternehmens in den Vorstand der abhängigen Gesellschaft oder umgekehrt Mitglieder des Vertretungsorgans eines abhängigen Unternehmens in den Vorstand der herrschenden Gesellschaft zu berufen560. Solche Vorstands-Doppelmandate sind aktienrechtlich zulässig561, werfen allerdings eine Reihe von Rechtsfragen auf, die sich aus möglichen Interessenkonflikten zwischen den beiden Gesellschaften ergeben562.

493

Einstweilen frei.

494– 500

558 Ausführlich dazu Lutter in FS Fischer, 1979, S. 419 ff. 559 Oetker, Großkomm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 11; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 12. 560 Zu den unternehmerischen Aspekten, die für eine derartige Personalverflechtung sprechen, vgl. Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 75; Semler in FS Stiefel, 1987, S. 719, 722 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570; Decher, Verflechtungen, S. 71 ff., 80 ff., 86 ff. 561 BGH v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 = AG 2009, 500 Rz. 14 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 76 Rz. 53 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 76 Rz. 70; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 10. 562 Vgl. dazu nur BGH v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 = AG 2009, 500 Rz. 14 ff.; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570 ff.; Wiesner, Münchener Hdb. AG, § 20 Rz. 10; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 9 Rz. 75. Zur Vertragsgestaltung bei Vorstandsdoppelmandaten eingehend Fonk, NZG 2010, 368, 369 ff.

243

244

§8 Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats I. Einführung Das Gesamtbild der bisher angesprochenen Kompetenzen lässt den Aufsichtsrat aus der bloßen Rolle eines Kontrolleurs heraustreten und weist deutlich in die Richtung echter unternehmerischer Entscheidungsteilhabe1. Bereits seine Beratungsfunktion (dazu Rz. 103 ff.) eröffnet ihm die Möglichkeit eigener unternehmerischer Einflussnahmen auf den Vorstand. Das Recht und die Pflicht, bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen an die Zustimmung des Aufsichtsrats zu binden (dazu Rz. 112 ff.), verstärkt diesen Einfluss und gibt dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, das eigene unternehmerische Urteil dem Vorstand zwar nicht aufzuzwingen, immerhin aber Maßnahmen des Vorstands zu verhindern, die diesem nicht entsprechen. Und schließlich ist dem Aufsichtsrat mit seiner Personalaufgabe (dazu Rz. 331 ff.) ein Feld eigenverantwortlicher unternehmerischer Entscheidung eröffnet. In der Überwachung des Vorstands erschöpft sich die Aufgabe des Aufsichtsrats mithin bei weitem nicht; er ist zwar auch Kontrolleur, zugleich aber fallen ihm teils kooperative, teils autonome unternehmerische Aufgabenbereiche zu. Seine Verantwortung steht neben der des Vorstands und setzt nicht erst danach ein2. Das Gesetz zieht den Bereich unternehmerischer Mitentscheidung und Verantwortung des Aufsichtsrats aber noch weiter, vor allem bei der Bilanzfeststellung und Rücklagendotierung, und überträgt ihm eine Reihe zusätzlicher Aufgaben und Befugnisse im Hinblick auf die Geschäftsführung der Gesellschaft und die Hauptversammlung.

501

II. Feststellung des Jahresabschlusses und Billigung des Konzernabschlusses Gemäß § 171 Abs. 1 AktG hat der Aufsichtsrat den Jahresabschluss und ggfs. den Konzernabschluss zu prüfen und über die Billigung der Abschlüsse zu entscheiden. Die Billigung des Jahresabschlusses zieht zugleich dessen Feststellung nach sich, sofern sich nicht Vorstand und Aufsichtsrat ausnahmsweise darauf einigen, die Feststellung der Hauptversammlung zu überlassen (§ 172 Satz 1 AktG). Im Zusammenhang mit der Feststellung des Abschlusses fällt dem Aufsichtsrat zugleich die Aufgabe zu, gemeinsam mit dem Vorstand über die Einstellung eines Teils des Gewinns in andere Gewinnrücklagen zu befinden (§ 58 Abs. 2 AktG). Daneben hat der Aufsichtsrat die Befugnis zur Mitentscheidung über – in der Praxis allerdings höchst seltene – Abschlagszahlungen auf den erwarteten Bilanzgewinn (§ 59 Abs. 3 AktG).

1 Lutter in FS Albach, 2001, S. 225, 226 ff. 2 Lutter, AG 1979, 85, 90.

245

502

§ 8 Rz. 503 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats 503

Die Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses kann der Aufsichtsrat nicht auf einen Ausschuss delegieren (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). Es ist jedoch zulässig und vom Kodex (D.3) empfohlen, dass ein Prüfungsausschuss mit der Vorbereitung der Prüfung und Entscheidung des Plenums beauftragt wird (vgl. näher Rz. 755).

504

Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat unverzüglich nach Aufstellung den Jahresabschluss nebst Lagebericht und Gewinnverwendungsvorschlag (§ 170 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG) sowie ggf. den Konzernabschluss nebst Konzernlagebericht (§ 170 Abs. 1 Satz 2 AktG) vorzulegen. Zusätzlich erhalten der Aufsichtsrat und ein von ihm eingerichteter Prüfungsausschuss unmittelbar vom Abschlussprüfer und Konzernabschlussprüfer deren Prüfungsberichte (§ 321 Abs. 5 Satz 2 HGB, § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG); vgl. dazu näher Rz. 176 ff., 217.

505

Der Aufsichtsrat hat die Vorlagen des Vorstands zu prüfen (§ 171 Abs. 1 Satz 1 AktG)3. Die Prüfung erstreckt sich auf die Rechtmäßigkeit des Jahresabschlusses, d.h. seine Übereinstimmung mit Gesetz und Satzung, daneben aber auch auf die Zweckmäßigkeit der bilanzpolitischen Entscheidungen, einschließlich der Rücklagendotierung nach § 58 Abs. 2 AktG4. Jedes Aufsichtsratsmitglied ist zu einer eigenen Urteilsbildung verpflichtet5. Wichtigstes Hilfsmittel ist dabei der schriftliche Prüfungsbericht des (Konzern-) Abschlussprüfers, der – selbst wenn der Aufsichtsrat die Aushändigung des Berichts auf die Mitglieder eines Ausschusses beschränkt hat (§ 170 Abs. 3 Satz 2 AktG) – von jedem Mitglied des Aufsichtsrats sorgfältig zu studieren und zu analysieren ist; vgl. näher Rz. 181 ff. Daneben tritt der mündliche Bericht des (Konzern-)Abschlussprüfers in der Aufsichtsratssitzung, denn der Prüfer ist verpflichtet, an den Verhandlungen des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses teilzunehmen und dort über das wesentliche Ergebnis seiner Prüfung zu berichten (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG); vgl. näher Rz. 183 f. Ergeben sich Zweifel, ist diesen weiter nachzugehen, ohne besonderen Anlass braucht der Aufsichtsrat jedoch die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und des Jahresabschlusses nicht durch eigene weiter gehende Prüfungsmaßnahmen, auch nicht durch Stichproben, zu überprüfen6. Dem Aufsichtsrat stehen für seine Prüfung die allgemeinen Informationsmittel zur Verfügung, insbesondere kann er Berichte des Vorstands anfordern (§ 90 Abs. 3 AktG), die Bücher und Schriften der Gesellschaft einsehen (§ 111 Abs. 2 Satz 1 AktG) und Sachverständige hinzuziehen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). Einem unmit-

3 Zum Inhalt der Prüfungspflichten eingehend Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 13 ff. 4 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 7; Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 19 ff.; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 36 ff.; Lutter in FS Albach, 2001, S. 225, 228 f. 5 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 9; Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 4; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 171 Rz. 5 ff.; Hommelhoff, ZGR 1983, 551, 576; Clemm, ZGR 1980, 455, 457 f. 6 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 171 Rz. 7; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 104; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 171 AktG Rz. 23 ff.; zweifelnd aber Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 23.

246

Feststellung des Jahresabschlusses und Billigung des Konzernabschlusses | Rz. 508 § 8

telbaren Zugriff auf Mitarbeiter der Gesellschaft wird man weiterhin zurückhaltend gegenüberstehen müssen (näher Rz. 246 ff.)7. Die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats sind grundsätzlich nicht berechtigt, zu ihrer Unterstützung persönliche Sachverständige einzuschalten. Auftauchende Fragen sind vielmehr in erster Linie innerhalb des Aufsichtsrats zu klären. Nur wenn dies im Einzelfall einmal nicht möglich sein sollte, kann es ausnahmsweise in Betracht kommen, dass sich ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied für eine ganz konkrete, durch den Einzelfall veranlasste Fragestellung durch einen eigenen Sachverständigen beraten lässt, wenn ihm selbst das nötige Fachwissen fehlt8. Davon zu unterscheiden ist die Einschaltung von Assistenten und sonstigen Hilfskräften, die dem Aufsichtsratsmitglied bei der Prüfung des Abschlusses zuarbeiten und nicht fehlendes Fachwissen des Aufsichtsratsmitglieds ersetzen, sondern es nur zeitlich entlasten; das ist in angemessenem Umfang zulässig9. In jedem Fall der Einschaltung Dritter ist sicherzustellen, dass diese zur Verschwiegenheit verpflichtet sind10.

506

Im Anschluss an seine Prüfung hat der Aufsichtsrat eigenverantwortlich zu entscheiden, ob er den Jahresabschluss und ggfs. den Konzernabschluss billigt (§ 171 Abs. 2 Satz 4 und 5 AktG). Die Entscheidung, ob er Einwendungen erheben oder die Abschlüsse billigen will, trifft der Aufsichtsrat durch Beschluss. Mit der Billigung der Abschlüsse übernimmt der Aufsichtsrat die Mitverantwortung für ihre Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit. Versagt der Aufsichtsrat den Abschlüssen die Billigung, entscheidet die Hauptversammlung über die Feststellung des Jahresabschlusses bzw. die Billigung des Konzernabschlusses (§ 173 Abs. 1 AktG), wozu ihr von Vorstand und Aufsichtsrat Beschlussvorschläge zu unterbreiten sind (§ 124 Abs. 3 AktG).

507

In jedem Fall hat der Aufsichtsrat über das Ergebnis seiner Prüfung schriftlich an die Hauptversammlung zu berichten und dabei auch zum Prüfungsergebnis des (Konzern-) Abschlussprüfers Stellung zu nehmen. Zugleich hat er der Hauptversammlung über Art und Umfang seiner Prüfung der Geschäftsführung während des Geschäftsjahres Mitteilung zu machen. Die Einzelheiten der Berichterstattung regeln §§ 171 Abs. 2 und 3, 172 Satz 2 AktG, vgl. dazu näher Rz. 562 f.

508

7 Vgl. die Nachweise Rz. 246, Fn. 108 sowie Spindler in FS Hüffer, 2010, S. 985; a.A. Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 38; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 111 f. Zu aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Direktkontakten des Aufsichtsrats zu Unternehmensmitarbeitern näher Dreher, ZGR 2010, 496, 514 ff. 8 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 ff. = AG 1983, 133 (Hertie); Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 11; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 113 ff.; Euler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 171 Rz. 32 ff.; eingehend Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 550 ff.; Forster in FS Kropff, 1997, S. 71, 80 f.; großzügiger Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 96 ff. 9 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 9; Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 12; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 115; näher Lutter/Krieger, DB 1995, 257, 259 f.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 553 ff. 10 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 9; Ekkenga, Kölner Komm. AktG, § 171 Rz. 12; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 171 Rz. 9; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 552, 554; Lutter/Krieger, DB 1995, 257, 259 f.

247

§ 8 Rz. 509 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats 509

Ist die Gesellschaft zu der im Jahre 2017 neu geschaffenen CSR-Berichterstattung nach §§ 289b, 315b HGB verpflichtet11, gehört auch die Prüfung dieser Berichterstattung zu den Aufgaben des Aufsichtsrats12. Das folgt aus § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG, wenn die Gesellschaft eine nicht finanzielle Erklärung/Konzernerklärung in ihren Lagebericht/Konzernlagebericht aufgenommen hat und wird von § 171 Abs. 1 Satz 4 AktG für den Fall angeordnet, dass ein gesonderter nicht finanzieller Bericht/Konzernbericht außerhalb des Lageberichts nach §§ 289b Abs. 3, 315b Abs. 3 HGB erstellt wurde. Verlangt ist dabei keine Prüfung nach den Kriterien der Prüfung von Jahresabschluss und Konzernabschluss, sondern der Aufsichtsrat kann sich hinsichtlich der CSR-Berichterstattung damit begnügen, die Darlegungen des Vorstands auf ihre Plausibilität hin zu prüfen13. Die gesetzliche Pflichtprüfung durch den Abschlussprüfer beschränkt sich im Hinblick auf die nicht finanzielle (Konzern-)Erklärung oder den gesonderten nicht finanziellen (Konzern-)Bericht auf die Feststellung, ob diese Berichte vorgelegt wurden (§ 317 Abs. 2 Satz 4 HGB). Der Aufsichtsrat hat zwar das Recht, insoweit auch eine externe inhaltliche Überprüfung zu beauftragen (§ 111 Abs. 2 Satz 4 AktG), er ist dazu aber nicht verpflichtet14.

III. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex 510

§ 161 AktG verpflichtet Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Aktiengesellschaft zu der sog. Entsprechenserklärung, d.h. der jährlichen Erklärung, ob den Verhaltensempfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden und werden. Es geht also um eine Wissenserklärung über die Kodexbefolgung in der Vergangenheit und eine Absichtserklärung für die Zukunft. Dabei ist anzugeben, welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden; außerdem ist die Nichtbefolgung zu begründen (§ 161 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Begründung kann sich auf eine knappe Nennung der wesentlichen Gesichtspunkte beschränken15; hohe Anforderungen dürfen schon deshalb nicht gestellt werden, weil andernfalls das Recht, Abweichungen zu erklären, faktisch unterminiert würde16. 11 Zu Zweck und Inhalt der CSR-Berichtspflicht vgl. näher §§ 289c, 315c HGB nebst Leitlinien der EU-Kommission für die Berichterstattung über nicht finanzielle Information C (2017) 4234 nebst Nachtrag (2019/C209/01); Kajütter, DB 2017, 617; Mock, ZIP 2017, 1195; Nietzsch, NZG 2016, 1330; Seibt, DB 2016, 2707. 12 Eingehend zur Prüfung der CSR-Berichterstattung durch den Aufsichtsrat E. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1007 ff.; Lanfermann, BB 2017, 747; Hennrichs/Pöschke, NZG 2017, 121. 13 Näher Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 8a; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, § 171 Rz. 59a; E. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1007, 1013 f.; Hennrichs/Pöschke, NZG 2017, 121, 125 ff.; Hennrichs, NZG 2017, 841, 845 f.; AK Bilanzrecht, NZG 2016, 1337, 1338. 14 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 171 Rz. 8a; E. Vetter in FS Seibert, 2019, S. 1007, 1014 f.; Hennrichs, NZG 2017, 841, 845. 15 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 18; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 87; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 339. 16 Krieger, ZGR 2012, 202, 218; auf den aus der Begründungspflicht folgenden faktischen Befolgungsdruck hinweisend auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 18; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 52.

248

Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex | Rz. 512 § 8

Der Gesetzgeber ging augenscheinlich von der Vorstellung einer gemeinsamen Erklärung beider Organe aus17, die sich auch aus praktischer Sicht empfiehlt18. Es sind aber äußerlich getrennte Erklärungen zulässig. Hingegen ist umstritten, ob die Erklärungen beider Organe auch inhaltlich unterschiedlich sein können, wenn sich die Organe im Einzelfall nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen können19, oder ob inhaltlich übereinstimmende Erklärungen abgegeben werden müssen und bei Uneinigkeit der Organe insoweit eine Abweichung von der betreffenden Kodexempfehlung zu erklären ist20. Die Frage kann sich nur für solche Empfehlungen stellen, deren Umsetzung Aufsichtsrat bzw. Vorstand nicht allein in der Hand haben (dazu Rz. 513) und ist wohl eher akademischer Natur. Wird sie einmal praktisch, spricht der Informationszweck der Entsprechenserklärung wohl eher für die Annahme, dass eine inhaltliche Übereinstimmung der Entsprechenserklärungen nötig ist und nicht das eine Organ die Befolgung und das andere die Ablehnung derselben Empfehlung erklären kann.

511

Die Erklärung ist „jährlich“ abzugeben. Das dürfte im Hinblick auf den Abgabetermin so zu verstehen sein, dass seit der letzten Erklärung nicht mehr als ein Jahr vergangen sein darf21, wobei geringfügige Fristüberschreitungen allerdings unschädlich sind22. Eine Gegenmeinung will es genügen lassen, dass die Erklärung bis zum Ende des nächsten Kalender- oder Geschäftsjahres abgegeben wird23, so dass im Extremfall bis zu fast zwei Jahren zwischen zwei Erklärungen liegen könnten. In der Praxis hat es sich eingebürgert, die Erklärung in einem regelmäßigen Turnus, vielfach im zeitlichen Zusammenhang mit der Feststellung des Jahresabschlusses oder zum Jahresende abzugeben. Von der Frage des Abgabetermins zu unterscheiden ist die Frage, welchen Bezugszeitraum die Entsprechenserklärung abzudecken hat. Für die Vergangenheitserklärung ist dies der Zeitraum seit der letzten Entsprechenserklärung24. Die Zukunftserklärung gilt „bis auf Weiteres“, eine zeitliche Befristung ist nicht zu-

512

17 Vgl. Begr. RegE TransPuG, BT-Drucks. 14/8769, S. 11. 18 Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 297; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 370. 19 So Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 11; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 34 Rz. 13; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 23; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 369 f. 20 So Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 72 f.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 70 ff.; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 297 ff.; Seibt, AG 2002, 249, 253. 21 OLG München v. 23.1.2008 – 7 U 3668/07, ZIP 2008, 742 = AG 2008, 386; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 90; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 39; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 73; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 15. 22 Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 73; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 39; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 90. 23 So z.B. Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 353 (Kalenderjahr); Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 34 Rz. 76 (Kalenderjahr); Rosengarten/Sven H. Schneider, ZIP 2009, 1837, 1841 (Geschäfts- oder Kalenderjahr nach Wahl des Unternehmens). 24 Vgl. Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 91; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 370; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 41; Rosengarten/Sven H. Schneider, ZIP 2009, 1837, 1842 f.; a.A. anscheinend Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 41, der das abgelaufene Geschäftsjahr als zwingenden Bezugszeitraum anzusehen scheint.

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§ 8 Rz. 512 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

lässig25. Will die Gesellschaft künftig abweichen, ist dies zuvor durch eine geänderte Entsprechenserklärung mitzuteilen26. Aus der Verpflichtung zur Abgabe der Erklärung nach § 161 AktG ergibt sich zugleich die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, organisatorisch sicherzustellen, dass die Verhaltensempfehlungen des Kodex, soweit ihre Befolgung erklärt wurde, eingehalten bzw. Abweichungen rechtzeitig bekanntgemacht werden27. Etwaige Änderungen des Kodex machen es nicht nötig, unverzüglich eine neue Entsprechenserklärung für die Zukunft abzugeben28. Bei Abgabe der nächsten Entsprechenserklärung hat diese sich für die Vergangenheit auf die alte und für die Zukunft auf die neue Kodexfassung zu beziehen29. 513

Der Kodex enthält überwiegend Empfehlungen, die die Amtsführung des Aufsichtsrats betreffen30, darüber hinaus aber auch solche, die sich an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats31, den Vorstand32, die Hauptversammlung33, den Leiter der Hauptversammlung34 oder die einzelnen Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat35 richten. Die Entsprechenserklärung hat sich gleichwohl auf alle Empfehlungen zu erstrecken, also auch diejenigen, die nicht den eigenen Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats betreffen. Im Hinblick auf die Vergangenheitserklärung hat sich der Aufsichtsrat demgemäß vor Abgabe seiner Erklärung zu vergewissern, ob die Empfehlungen in der Zeit seit der letzten Entsprechenserklärung eingehalten wurden; die einzelnen Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder sind insoweit auskunftspflichtig36. Haben einzelne Mitglieder die an sie gerichteten Empfehlungen nicht befolgt oder eine Auskunft hierzu abgelehnt, ist die Erklärung entsprechend einzuschränken; Namen müssen nicht genannt werden37.

25 Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 373; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 92; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 44; Rosengarten/Sven H. Schneider, ZIP 2009, 1837, 1843; a.A. LG Schweinfurt v. 1.12.2003 – 5 HKO 69/03, WPg 2004, 339. 26 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rz. 19 = AG 2009, 285 (Kirch/Deutsche Bank); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rz. 19 = AG 2009, 824 (Umschreibungsstopp); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 20; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 96; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 34 Rz. 78. 27 Näher Seibt, AG 2002, 249, 254. 28 Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 94; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 382. 29 Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 91, 94 f.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 50; Marsch-Barner, Hdb. börsennotierte AG, § 2 Rz. 2.82. 30 Vgl. z.B. B.1–B.5; C.1–C.3; C.8, C.10, C.13, C.14, D.1–D.5, G.1–G.16. 31 Vgl. z.B. D.6. 32 Vgl. z.B. A.1, A.2, C.15 Satz 2, D.2 Satz 2, F.1–F.4. 33 Vgl. z.B. C.6, C.7, C.9, C.11, G.17, G.18. 34 C.15 Satz 1. 35 Vgl. z.B. C.4, C.5, C.12, C.15 Satz 2, E.1-E.3. 36 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 14; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 28; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 375. 37 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 17; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 36.

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Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex | Rz. 515 § 8

Für die Zukunftserklärung hat der Aufsichtsrat darüber zu entscheiden, ob er den an ihn gerichteten Empfehlungen, d.h. Empfehlungen zu Angelegenheiten, die in seine Zuständigkeit fallen, insgesamt, in Teilen oder gar nicht folgen will. Dabei handelt es sich um eine Zweckmäßigkeitsentscheidung, bei welcher dem Aufsichtsrat ein weites unternehmerisches Ermessen zusteht. Er muss dieses Ermessen aber sachgerecht ausüben und unter sorgfältiger Abwägung über die Befolgung entscheiden38. Hingegen kann der Aufsichtsrat keine Entscheidungen für seine einzelnen Mitglieder treffen. Über die Befolgung der Verhaltensempfehlungen, die sich an einzelne Aufsichtsratsmitglieder richten, entscheidet jedes Aufsichtsratsmitglied selbst39. Man wird aber verlangen müssen, dass dissentierende Mitglieder bei der Beschlussfassung über die Befolgung der Kodexempfehlungen klarstellen, wenn sie den an sie persönlich gerichteten Verhaltensempfehlungen nicht folgen wollen40; die Entsprechenserklärung ist dann entsprechend einzuschränken, wobei Namen wohl nicht zu nennen sind41. Auch soweit die Verhaltensempfehlungen den Vorstand und seine Mitglieder betreffen, hat der Aufsichtsrat keine Entscheidungszuständigkeit42. Insoweit muss er sich für die Abgabe seiner Entsprechenserklärung darüber informieren, ob der Vorstand und seine Mitglieder den an sie gerichteten Empfehlungen folgen wollen. Der Aufsichtsrat entscheidet über den Inhalt seiner Erklärung durch Beschluss. Für diesen Beschluss ist – auch wenn § 161 AktG in dem Katalog der nicht delegationsfähigen Aufgaben in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht genannt ist – zwingend der Gesamtaufsichtsrat zuständig, die Delegation an einen Ausschuss ist nicht möglich43. Ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglieder wirken an der Vergangenheitserklärung nicht mehr mit, soweit es um die Einhaltung der an sie persönlich gerichteten Empfehlungen geht, ist jedoch eine Erklärung einzuholen, ob sie sich im Erklärungszeitraum bis zu ihrem Ausscheiden an die Empfehlungen gehalten haben44. Später Hinzukommende sind durch den gefassten Beschluss gebunden, soweit es nicht um die sie individuell treffenden Empfehlungen des Kodex geht; wollen sie insoweit abweichen, ist eine Aktualisierung der Entsprechenserklärung nötig.

514

Die Entsprechenserklärung ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen (§ 161 Abs. 2 AktG). Diese Verpflichtung bezieht sich auf die jeweils aktuelle Entsprechenserklärung; nicht mehr aktuelle Entsprechens-

515

38 Seibt, AG 2002, 249, 253 f.; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 378 ff. 39 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 13; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 205 f.; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 60 ff. 40 Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 206; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 62; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 374. 41 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 17; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 36. 42 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 10; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 49 ff., 60 ff. 43 Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 41; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 67; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 13; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 376. 44 Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 65.

251

§ 8 Rz. 515 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

erklärungen müssen nicht länger zugänglich gemacht werden45. Im Anhang des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses ist anzugeben, dass die Entsprechenserklärung abgegeben und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist (§§ 285 Nr. 16, 314 Abs. 1 Nr. 8 HGB). Darüber hinaus ist der Text der Entsprechenserklärung in die Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen (§ 289f Abs. 2 Nr. 1 HGB). 516

Ist die Entsprechenserklärung von vornherein in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einem späteren Abweichungsentschluss nicht umgehend berichtigt, sieht die Rechtsprechung darin einen Gesetzesverstoß, der zur Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen führen soll, wenn es sich um einen eindeutigen und schwerwiegenden Verstoß handelt, der für den gefassten Beschluss relevant ist46. Diese Rechtsprechung betrifft vor allem Entlastungsbeschlüsse und wird insoweit von der Literatur ganz überwiegend geteilt47. Teile der Rechtsprechung und der Literatur wollen die Anfechtbarkeit aber auch auf andere Hauptversammlungsbeschlüsse, wie etwa die Wahlen zum Aufsichtsrat, erstrecken48. Beides, die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen und erst recht die Anfechtbarkeit anderer Beschlüsse wegen eines Fehlers der Entsprechenserklärung, ist kritisch zu sehen und letztlich überzogen49. Zur Haftung bei unrichtiger Entsprechenserklärung vgl. Rz.995.

IV. Ausnutzung eines genehmigten Kapitals 517

Bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals, d.h. einer Ermächtigung der Satzung an den Vorstand zur Kapitalerhöhung gegen Einlagen (§ 202 AktG), bedarf der Vorstand zur Festsetzung der Ausgabebedingungen der Zustimmung des Aufsichts45 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 23; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 105. 46 BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 Rz. 24 ff. = AG 2012, 712 (Fresenius); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rz. 16 = AG 2009, 824 (Umschreibungsstopp); BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rz. 19 = AG 2009, 285 (Kirch/Deutsche Bank). 47 Vgl. nur Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 88 ff., 91 f.; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 143 ff.; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 484 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 31 mit umfangreichen Nachweisen; a.A. Krieger, ZGR 2012, 202, 219 ff. 48 So namentlich OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133, 135 = AG 2009, 294 (MAN); LG Hannover v. 17.3.2010 – 23 O 124/09, ZIP 2010, 833, 838 = AG 2010, 459 (Schaeffler/Continental); Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 150 ff.; E. Vetter, NZG 2008, 121, 123 ff.; E. Vetter in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1345, 1362 f.; Waclawik, ZIP 2011, 885; Spindler, NZG 2011, 1007, 1010 f.; differenzierend Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 491 ff.; zurückhaltend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 32; a.A. Hüffer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, 2011, S. 63, 73 ff.; Hüffer, ZIP 2010, 1979, 1980; Rieder, NZG 2010, 737 ff.; Tröger, ZHR 175 (2011), 746, 772 ff.; Noack, Board 2012, 3, 4 f.; Bröcker, Der Konzern 2011, 313, 319 f.; Hoffmann-Becking, ZIP 2011, 1173, 1175; Kremer, ZIP 2011, 1177, 1179; Kiefner, NZG 2011, 201, 203 f.; Krieger, ZGR 2012, 202, 223 f.; Wettich, AG 2012, 725, 735 f. 49 Näher Krieger, ZGR 2012, 202, 219 ff.

252

Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften | Rz. 519 § 8

rats (§ 204 Abs. 1 AktG). Umfasst die Ermächtigung den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 203 Abs. 2 AktG), benötigt der Vorstand auch für diese Entscheidung die Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat hat vor der Erteilung der Zustimmung wiederum die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit des Vorhabens des Vorstands zu prüfen.

V. Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften Im mitbestimmten Konzern ist der Aufsichtsrat der Obergesellschaft partiell in die Rolle des Konzerngeschäftsführers gestellt: Unterfällt die Obergesellschaft dem MitbestG oder der Montan-Mitbestimmung, so kann ihr Vorstand nach Maßgabe von § 32 MitbestG und § 15 MitbestErgG Beteiligungsrechte an Tochtergesellschaften bei bestimmten Entscheidungen nur nach Weisung der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der Obergesellschaft ausüben50. Das Gesetz will auf diese Weise bestimmte Entscheidungen in der Untergesellschaft vom Einfluss der Mitbestimmung auf der Ebene der Obergesellschaft freistellen, indem es die Entscheidung über die Stimmabgabe von dem durch den mitbestimmten Aufsichtsrat der Obergesellschaft bestellten Vorstand auf die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat der Obergesellschaft überträgt. § 32 Abs. 2 MitbestG und § 15 Abs. 2 MitbestErgG setzen voraus, dass die Beteiligung an der Tochtergesellschaft sich mindestens auf 25 % beläuft. Nach § 32 MitbestG ist weiter erforderlich, dass auch die Tochtergesellschaft den Vorschriften des MitbestG unterliegt, während es nach § 15 MitbestErgG unerheblich ist, ob die Tochtergesellschaft der Mitbestimmung unterfällt.

518

Der Weisungsvorbehalt beschränkt sich auf die in § 32 Abs. 1 MitbestG, § 15 Abs. 1 MitbestErgG im Einzelnen genannten Entscheidungen. Es handelt sich dabei vor allem um die Bestellung, Abberufung und Entlastung von Verwaltungsträgern (namentlich der Aufsichtsratsmitglieder) der Untergesellschaft sowie um bestimmte Grundlagenentscheidungen, vor allem den Abschluss von Unternehmensverträgen zwischen Obergesellschaft und Tochter. In diesen Fällen kann der Vorstand der Obergesellschaft die Beteiligungsrechte nur nach Weisung seines Aufsichtsrats ausüben. Insoweit ist seine Vertretungsmacht eingeschränkt51. Ohne entsprechendes Votum des Aufsichtsrats ist die Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung der Tochter daher unwirksam. Der Aufsichtsrat kann dem Vorstand nicht durch Erteilung einer Generalermächtigung freie Hand geben52. Zulässig ist es aber,

519

50 Zum Zweck der Vorschriften näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 1; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 2; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 61. 51 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 14; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 15 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 66. 52 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 15; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 17; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 68.

253

§ 8 Rz. 519 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

dem Vorstand für einzelne Beschlussgegenstände eine zeitlich begrenzte und inhaltlich an bestimmte Richtlinien gebundene Ermächtigung zu erteilen53. 520

Über die Ausübung der Beteiligungsrechte ist ein Aufsichtsratsbeschluss zu fassen. Dieser bedarf nur der Mehrheit der Stimmen der Anteilseignervertreter (§ 32 Abs. 1 Satz 2 MitbestG, § 15 Abs. 1 Satz 2 MitbestErgG). Die Arbeitnehmervertreter können an den Beratungen teilnehmen54. Ihnen stehen jedoch nicht nur zur Sache, sondern auch zum Verfahrensablauf keine Antrags- und Entscheidungsbefugnisse zu55. Beschlussfähig ist der Aufsichtsrat, wenn die Hälfte der Anteilseignervertreter, die dem Aufsichtsrat angehören müssen (Soll-Stärke), anwesend ist56. Die Mehrheit berechnet sich nicht nach der Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern nach der Zahl aller Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner (Ist-Stärke)57.

521

Die Übertragung der Beschlussfassung auf einen Aufsichtsratsausschuss ist zulässig58. Auch die Beschlüsse des Ausschusses müssen aber mit der Mehrheit der Stimmen aller Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner gefasst werden; entsprechend muss dem Ausschuss mindestens die Mehrheit der Anteilseignervertreter angehören59. Arbeitnehmervertreter dürfen dem Ausschuss nach verbreiteter Auffassung

53 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 15; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 17; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 68; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 19; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 25; Oetker, Großkomm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 20; Weiss, Der Konzern 2004, 590, 599 ff. 54 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 17; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 25; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 67. 55 Oetker, Großkomm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 18; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 25; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 17; a.A. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 18. 56 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 19; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 26; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 67. 57 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 27; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 67; Oetker, Großkomm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 17; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 20; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 18; Uwe H. Schneider, GK-MitbestG, § 32 Rz. 42; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 279 ff. 58 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 20; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 28; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 69. 59 Oetker, Großkomm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 20; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 28; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 21; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 69; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 21 f.; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 382 f., die eine Besetzung mit 3 Anteilseignervertretern genügen lassen.

254

Befugnisse in Bezug auf die Hauptversammlung | Rz. 525 § 8

nicht angehören, sondern sollen lediglich im Rahmen von § 109 Abs. 2 AktG teilnahmeberechtigt sein60. Nach anderer Auffassung muss ihnen auf Verlangen zumindest ein Sitz im Ausschuss eingeräumt werden61. Überzeugend erscheint die Ansicht, dass es zwar zulässig, aber nicht erforderlich ist, Arbeitnehmervertreter von einer Mitgliedschaft ganz auszuschließen; auch wenn keine Arbeitnehmervertreter im Ausschuss vertreten sind, bleiben das Teilnahmerecht nach § 109 Abs. 2 AktG und die Möglichkeit seines Ausschlusses durch den Aufsichtsratsvorsitzenden unberührt.

VI. Befugnisse in Bezug auf die Hauptversammlung Der Aufsichtsrat hat eine Reihe von Aufgaben und Befugnissen, die im Zusammenhang mit der Hauptversammlung stehen:

522

1. Einberufung und Beschlussfassung Gemäß § 111 Abs. 3 AktG hat der Aufsichtsrat eine Hauptversammlung einzuberufen, wenn das Wohl der Gesellschaft es verlangt (dazu Rz. 137).

523

Bei Einberufung einer Hauptversammlung hat der Aufsichtsrat – ebenso wie der Vorstand (Ausnahme § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) – zu den Gegenständen der Tagesordnung, über die die Hauptversammlung beschließen soll, Beschlussvorschläge zu machen, die mit der Bekanntmachung der Tagesordnung zu veröffentlichen sind (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG). Ein Beschlussvorschlag ist nicht erforderlich, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung auf Verlangen einer Minderheit auf die Tagesordnung gesetzt worden ist (§ 124 Abs. 3 Satz 3 AktG). Der Vorschlag des Aufsichtsrats wird in aller Regel mit dem des Vorstands übereinstimmen, muss es aber nicht. Zulässig – wenngleich gänzlich unüblich – ist es auch, dass der Aufsichtsrat nicht einen einzigen Vorschlag macht, sondern Alternativvorschläge unterbreitet62.

524

In der Hauptversammlung sind die Mitglieder des Aufsichtsrats teilnahmeberechtigt und -verpflichtet (vgl. Rz. 830). Überdies ist der Aufsichtsrat als Organ – nicht jedoch das einzelne Aufsichtsratsmitglied (vgl. Rz. 830) – antragsberechtigt63. Dabei besteht keine Bindung an seine Beschlussvorschläge nach § 124 Abs. 3 AktG. Der Aufsichtsrat ist also nicht verpflichtet, in der Hauptversammlung eine seinem Vor-

525

60 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 32 MitbestG Rz. 22; Uwe H. Schneider, GK-MitbestG, § 32 Rz. 47; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 69; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 384; Weiss, Der Konzern 2004, 590, 598. 61 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 21; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 28; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 24. 62 OLG Frankfurt a.M. v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36, 41; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 17; Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 37;Butzke, Großkomm. AktG, § 124 Rz. 60; Kubis, MünchKomm. AktG, § 124 Rz. 40; a.A. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 124 Rz. 19. 63 Kubis, MünchKomm. AktG, § 118 Rz. 100; Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 133 Rz. 13.

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§ 8 Rz. 525 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

schlag entsprechende Beschlussfassung zu beantragen, sondern kann auf einen Beschlussantrag verzichten64; ebenso kann er einen von seinem Vorschlag abweichenden Antrag stellen, wenn dafür sachliche Gründe bestehen65 und der Antrag von der Tagesordnung gedeckt ist. Besonderheiten gelten für Beschlussvorschläge über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern und Prüfern; vgl. hierzu näher § 124 Abs. 3 Satz 1–4 AktG. 526

Zur Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung ist der Aufsichtsrat als Organ – insoweit anders als der Vorstand (§ 245 Nr. 4 AktG) – nicht befugt, unter den Voraussetzungen des § 245 Nr. 5 AktG kann jedoch ein Anfechtungsrecht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds bestehen. 2. Berichterstattung an die Hauptversammlung

527

Der Aufsichtsrat hat der Hauptversammlung jährlich schriftlich Bericht zu erstatten. Vgl. hierzu im Einzelnen Rz. 561 ff. 3. Änderung der Satzungsfassung

528

Schließlich kann dem Aufsichtsrat durch Hauptversammlungsbeschluss die Befugnis zur Vornahme von Satzungsänderungen eingeräumt werden, sofern es sich dabei lediglich um Änderungen der Fassung, nicht aber des Inhalts handelt (§ 179 Abs. 1 Satz 2 AktG).

VII. Vertretung der Gesellschaft 529

Gegenüber amtierenden, ehemaligen und künftigen Vorstandsmitgliedern wird die Gesellschaft vom Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG; vgl. Rz. 452 ff.). Er erteilt überdies den Prüfungsauftrag an den Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG; vgl. Rz. 173 ff.). Daneben hat er als Annex zu seinen allgemeinen Aufgaben die Befugnis, die Gesellschaft bei Hilfsgeschäften zu vertreten, die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind (vgl. näher Rz. 656 ff.).

530

Bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse wird die Gesellschaft normalerweise durch Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam vertreten; klagt der Vorstand oder ein Vorstandsmitglied, wird die Gesellschaft allein durch den Aufsichtsrat, klagt ein Aufsichtsratsmitglied, wird sie allein durch den Vorstand vertreten (§§ 246 Abs. 2, 249 Abs. 1 AktG).

64 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 17; Kubis, MünchKomm. AktG,§ 124 Rz. 48; Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 26. 65 Näher Butzke, Großkomm. AktG, § 124 Rz. 80; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 17; enger Kubis, MünchKomm. AktG, § 124 Rz. 49; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 124 Rz. 86 ff. (nur bei neuen Tatsachen); weitergehend Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 26 (ohne Einschränkungen).

256

Ad-hoc-Publizitätspflichten | Rz. 534 § 8

VIII. Kreditgewährung an Führungskräfte; Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern Will die Gesellschaft einem Vorstandsmitglied Kredit gewähren, bedarf es der Zustimmung des Aufsichtsrats nach näherer Maßgabe von § 89 Abs. 1 AktG. Das Gesetz erstreckt diesen Zustimmungsvorbehalt auf Kredite an Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte der eigenen Gesellschaft sowie Führungskräfte einer abhängigen Gesellschaft; der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens muss außerdem Krediten zustimmen, die Führungskräften des herrschenden Unternehmens durch eine abhängige Gesellschaft gewährt werden sollen (§ 89 Abs. 2 AktG). Weitere Ausdehnungen dieses gesetzlichen Zustimmungsvorbehalts finden sich in § 89 Abs. 3 und 4 AktG66. Die Vertretung der Gesellschaft bei Abschluss des Kreditvertrages obliegt bei Krediten an Vorstandsmitglieder ebenfalls dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG), ansonsten jedoch dem Vorstand (§ 78 Abs. 1 AktG).

531

Die Zustimmung des Aufsichtsrats ist ebenfalls erforderlich für Kreditgewährungen an Aufsichtsratsmitglieder des eigenen oder eines abhängigen Unternehmens (§ 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG). Darüber hinaus bedarf es der Zustimmung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens, wenn eine abhängige Gesellschaft Kredite an Aufsichtsratsmitglieder des herrschenden Unternehmens gewähren will (§ 115 Abs. 1 Satz 2 AktG). § 115 Abs. 2 und 3 AktG erstreckt diese Regeln auf nahestehende Personen und unter gewissen Voraussetzungen auf juristische Personen, bei denen ein Aufsichtsratsmitglied zugleich gesetzlicher Vertreter ist. Das Gesetz will durch diese Bestimmung die

532

Schließlich bedürfen Dienst- oder Werkverträge zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und der Gesellschaft der Zustimmung des Aufsichtsrats (§ 114 AktG; vgl. dazu näher Rz. 858 ff.).

533

IX. Ad-hoc-Publizitätspflichten Wenn Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats den Charakter einer Insiderinformation (Art. 7 MMVO) haben, muss die Gesellschaft diese Insiderinformation unverzüglich veröffentlichen (Art. 17 Abs. 1 MMVO), wenn sie nicht nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 4 MMVO die Veröffentlichung aufschieben kann (sog. Selbstbefreiung). Für den Aufschub der Veröffentlichung ist ein Beschluss des Emittenten nötig67, der grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorstands fällt.

66 Näher Kuhlmann, AG 2009, 109; vgl. auch LG Bochum v. 27.6.1989 – 12 O 133/88, ZIP 1989, 1557. 67 BaFin Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Ziff. I.3.3.1.1.; Klöhn in Klöhn, MMVO, Art. 17 Rz. 184, nach wie vor a.A. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 597/2014 Rz. 89 ff. mit eingehenden Nachweisen.

257

534

§ 8 Rz. 534 | Sonstige Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats

Für Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats war früher umstritten, ob Vorstand oder Aufsichtsrat für die Selbstbefreiung zuständig sind68. Inzwischen ist anerkannt, dass der Aufsichtsrat kraft Annexkompetenz auch für die Selbstbefreiung zuständig ist, wenn die Insiderinformation eine Angelegenheit aus seinem Zuständigkeitsbereich betrifft69; auch die BaFin hat ihre früher abweichende Auffassung inzwischen aufgegeben70. Insbesondere bei Zwischenschritten auf dem Weg zu einem Wechsel im Vorstandsvorsitz hat dies praktische Bedeutung. Die Entscheidung über einen Aufschub der Veröffentlichung ist in diesen Fällen durch Aufsichtsratsbeschluss zu treffen; die Delegation auf einen Ausschuss ist zulässig71. Bei Beendigung des Aufschubs ist für die Veröffentlichung der Vorstand zuständig, der vom Aufsichtsrat unverzüglich zu informieren ist72. 535 –560 Einstweilen frei.

68 Für Vorstandszuständigkeit früher insbesondere BaFin-Emittentenleitfaden 2013, S. 59. 69 Ihrig/Kranz, BB 2013, 451, 456; Ihrig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, S. 113, 131; Pfüller in Fuchs, Komm. WpHG, § 15 Rz. 225. 70 BaFin Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Ziff. I.3.3.1.1. 71 Ebenso BaFin Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Ziff. I.3.3.1.1. 72 BaFin Konsultation Nr. 14/2019, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C, Ziff. I.3.3.1.1.; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 96; Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 15 Rz. 15.31.

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§9 Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung Nach § 171 Abs. 2 AktG ist der Aufsichtsrat verpflichtet, jährlich an die ordentliche Jahreshauptversammlung schriftlich zu berichten. Dieser Bericht hat eine dreifache Funktion.1 Er ist zunächst einmal der jährliche Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats gegenüber seinem Wahlorgan (soweit es sich um die Anteilseignervertreter handelt), das über seine Wiederwahl entscheidet, und gegenüber seinem Kontrollorgan, das über seine Entlastung befindet, § 120 AktG2. Der Bericht dient darüber hinaus aber auch der Information der Hauptversammlung, dass und wie der Aufsichtsrat bestimmte Aufgaben erfüllt hat und welche Überlegungen ihn dabei geleitet haben. Der Bericht ist insoweit also ein Mittel, das dem Aufsichtsrat die Selbstkontrolle ermöglicht, ob er seine Pflicht zur Überwachung des Vorstands angemessen erfüllt. Und schließlich ist der Bericht die Basis für eine Kontrolle des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung in Form seiner Entlastung oder eben Nichtentlastung.

561

Dieser Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung hat in der Lehre3, aber auch in der Praxis und Rechtsprechung zunehmend an Bedeutung gewonnen4. Ging er früher über ein bis zwei Seiten, so liegt der Durchschnitt heute bei zehn Seiten. Wird der Bericht von der Rechtsprechung als unzureichend eingestuft, so steht die Vernichtung des Beschlusses über die Entlastung des Aufsichtsrats im Anfechtungsverfahren praktisch fest5.

I. Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte 1. Der Bericht zu Jahresabschluss und Konzernabschluss Zu den gesetzlich vorgeschriebenen Berichtsinhalten6 gehört es, dass der Aufsichtsrat den Jahresabschluss mit Lagebericht, den Konzernabschluss mit Konzernlagebericht7, die Berichte des Abschlussprüfers und des Konzernabschlussprüfers seiner1 Vgl. auch Marsch-Barner in FS Stilz, 2014, S. 397, 397 f. 2 E. Vetter, ZIP 2006, 258; Trescher, DB 1989, 1981. 3 Theisen, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, S. 195 ff.; Lutter, AG 2008, 1 ff.; E. Vetter, ZIP 2006, 257 ff.; Liese/Theusinger, BB 2007, 2528; Drygala, AG 2007, 381; Gernoth/Wernicke, NZG 2010, 531. 4 Vgl. LG München v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, AG 2008, 133 und BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, AG 2010, 623 = NZG 2010, 943 = ZIP 2010, 1437. 5 Vgl. noch einmal LG München v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, AG 2008, 133, 135 und BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, AG 2010, 623 = NZG 2010, 943, 944; OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, AG 2006, 379. 6 Dazu Lutter, AG 2008, 1 ff.; Lutter in FS Hommelhoff, 2012, S. 683 ff. und E. Vetter, ZIP 2006, 257 ff. 7 Über die Vorschriften zu den Lageberichten in den §§ 289 und 315 HGB und den Aufgaben des Aufsichtsrats in diesem Zusammenhang vgl. Böcking, Audit Committee Quarterly 2006, S. 4 ff. und Böcking/Stein, Der Konzern 2007, 51.

259

562

§ 9 Rz. 562 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

seits prüft; neu hinzugekommen8 ist die Prüfung des nichtfinanziellen Berichts („CSR-Bericht“) über Aspekte der sozialen Verantwortung von Unternehmen, der im Lagebericht integriert oder gesondert (§ 289b HGB) veröffentlicht werden kann (näher Rz. 502 ff.). Darüber hat der Aufsichtsrat dann an die Hauptversammlung zu berichten: (1) Über das Ergebnis seiner eigenen Prüfung von Jahresabschluss und Lagebericht sowie ggf. von Konzernabschluss und Konzernlagebericht und dem gesonderten nichtfinanziellen Bericht sowie (2) über seine eigene Stellungnahme zum Ergebnis der Prüfung durch den Abschlussprüfer und den Konzernabschlussprüfer. (3) Und schließlich hat der Aufsichtsrat am Schluss seines Berichtes zu erklären, „ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen zu erheben sind und ob er den vom Vorstand aufgestellten Jahresabschluss billigt“ (oder eben nicht billigt), § 171 Abs. 2 Satz 4 AktG. Und das Gleiche gilt für den Konzernabschluss, § 171 Abs. 2 Satz 5 AktG. 563

Für diesen ganz wesentlichen Teil des Aufsichtsratsberichts genügt es nicht, wenn nur gesagt wird, er habe diese Unterlagen zur Kenntnis genommen und geprüft. Er muss mindestens kurz über die Art seiner Prüfung berichten. Zweckmäßig ist es, wenn er berichten kann, sein Prüfungsausschuss habe die Prüfung vorbereitet, darüber in Gegenwart des Abschlussprüfers und des Konzernabschlussprüfers an das Plenum berichtet und dieses habe nach Diskussion den soeben zitierten Beschluss gefasst9.

564

Befindet sich die Gesellschaft in wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, so ist auch darauf einzugehen10 inkl. des Berichts über die vom Aufsichtsrat getroffenen Maßnahmen zu ihrer Überwindung: die Erfüllung der jetzt geschuldeten verstärkten Überwachung und Beratung (Rz. 95 ff.) muss aus dem Bericht deutlich werden11. 2. Der Bericht des Aufsichtsrats zum Vorschlag des Vorstands zur Verwendung des Bilanzgewinns

565

Der Vorstand hat der Hauptversammlung einen Vorschlag zur Verwendung des Bilanzgewinns zu machen, § 170 Abs. 2 Satz 1 AktG. Diesen Vorschlag hat er vorweg dem Aufsichtsrat zuzuleiten und dieser muss ihn prüfen und in seinem Bericht an die Hauptversammlung Stellung dazu nehmen, kann diesen Vorschlag also unter-

8 BGBl. I 2017, 802 ff. 9 Näher Lutter, AG 2008, 1, 2 ff. 10 OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, WM 2006, 861 = AG 2006, 379; LG München v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, AG 2007, 417; LG München v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, AG 2008, 133, 135; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 198. 11 OLG Düsseldorf v. 28.2.2008 – 6 U 197/06, Juris = BeckRS 2008, 22584.

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Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte | Rz. 568 § 9

stützen oder aber wegen einer etwa zu hoch geplanten Ausschüttung ablehnen12. Das aber genügt allein nicht. Vielmehr muss der Aufsichtsrat wenigstens kurz erläutern, weshalb er den Vorschlag des Vorstands unterstützt oder weshalb er ihn ablehnt. 3. Der Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung a) Nach § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG muss der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung „mitteilen, in welcher Art und in welchem Umfang er die Geschäftsführung der Gesellschaft während des Geschäftsjahrs geprüft hat; bei börsennotierten Gesellschaften hat er insbesondere anzugeben, welche Ausschüsse gebildet worden sind, sowie die Zahl seiner Sitzungen und die der Ausschüsse mitzuteilen.“ Nach Ziff. 5.4.7 DCGK a.F. soll auch vermerkt werden, falls ein Mitglied des Aufsichtsrats in einem Geschäftsjahr an weniger als der Hälfte der Sitzungen des Aufsichtsrats oder Ausschüssen, denen er angehört, teilgenommen hat. Nach D.8 DCGK 2020 soll der Aufsichtsrat im Bericht angeben, „an wie vielen Sitzungen des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse die einzelnen Mitglieder jeweils teilgenommen haben.“ Insoweit hat der Aufsichtsrat also Rechenschaft über das „Wie“ der Erfüllung seiner Aufgabe nach § 111 Abs. 1 AktG abzulegen. Dieser Bericht ist von großem rechtlichen und praktischen Gewicht, kann doch das Wahlorgan Hauptversammlung (für die Anteilseigner) auf diesem Wege seinerseits die Art und Weise der Pflichterfüllung des Aufsichtsrats beurteilen.

566

b) Vor diesem Hintergrund sollte es klar sein, dass Formulierungen wie „Der Aufsichtsrat hat aufgrund der Berichte des Vorstands mit diesem die Entwicklung der Gesellschaft regelmäßig erörtert und sich ein eigenes Bild von der Lage der Gesellschaft verschafft“ kaum genügen können.

567

Für börsennotierte Gesellschaften verlangt schon das Gesetz ausdrücklich die Beantwortung der Frage, ob und welche Ausschüsse gebildet worden sind und wie häufig der Aufsichtsrat und diese Ausschüsse getagt haben. Aber das alles gibt der Hauptversammlung noch keine ausreichende Grundlage für ihre Entscheidung über die Entlastung. Zwar ist der Aufsichtsrat in der Gestaltung seiner Berichte frei, aber in ihrem Inhalt sollte er auf fünf Fragen als Elemente der Überwachung (vgl. Rz. 73 ff.) ausdrücklich eingehen:

568

(1) Ob der Vorstand seinen Informationspflichten aus Gesetz (§ 90 AktG) und Geschäftsordnung13 vollständig und zeitgerecht nachgekommen ist. Hat der Aufsichts-

12 Zu den Erwägungen, die der Aufsichtsrat in diesem Kontext anzustellen hat, vgl. Lutter, AG 2008, 1, 4 sowie Theisen, Der Aufsichtsrat 2013, 117. 13 Insbesondere wenn der Aufsichtsrat die von Lutter (Information und Vertraulichkeit, Rz. 100, 104 ff.) und dem (alten) Kodex (Ziff. 3.4 Abs. 1) empfohlene Berichtsordnung erlassen hat. In der neuen Fassung des Kodex fehlt nunmehr der alte Satz 3 aus Ziff. 3.4 Abs. 1 DCGK a.F., wonach „der Aufsichtsrat die Informations- und Berichtspflichten des Vorstands näher festlegen“ sollte – dies könnte jedoch in die weiterhin identische Empfehlung hineingelesen werden, seitens des Aufsichtsrats „sicherzustellen, dass er angemessen informiert wird“.

261

§ 9 Rz. 568 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

rat oder eines seiner Mitglieder Zusatz- oder Ergänzungsberichte14 verlangt, ist darauf ausdrücklich einzugehen15. (2) Ob und wie sich der Aufsichtsrat von der Rechtmäßigkeit der Unternehmensführung überzeugt hat und ob diese Frage im Gespräch mit dem Abschlussprüfer erörtert worden ist. Sind Unregelmäßigkeiten vorgekommen, muss der Aufsichtsrat berichten, was er zur Aufklärung unternommen hat, wie er reagiert hat und ob er sich von geeigneten Maßnahmen des Vorstands für die Zukunft überzeugt hat. Die Fälle etwa des Jahres 2006 (Siemens, MAN) und „Dieselgate“ bei Volkswagen in jüngerer Zeit zeigen deutlich, wie wichtig gerade die Überwachung der Rechtmäßigkeit der Unternehmensleitung ist. Der Aufsichtsrat hat sich also zu vergewissern, dass der Vorstand selbst korrekt handelt und dass er je nach Größe des Unternehmens geeignete Maßnahmen zur Überwachung des Personals in dieser Hinsicht getroffen hat16, ob also etwa eine Compliance-Abteilung eingerichtet ist und wie diese arbeitet. Darüber hat der Aufsichtsrat zu berichten. (3) Auch die Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensführung durch den Vorstand sollte angesprochen werden. Insbesondere sollte darauf hingewiesen werden, dass der Aufsichtsrat die Organisation der Gesellschaft und des Konzerns mit dem Vorstand erörtert und sich von der Leistungsfähigkeit dieser Organisation überzeugt hat. (4) Fragen der Überwachung der Zweckmäßigkeit sind – außerhalb der bereits angesprochenen Fragen zur Bilanz- und Dividendenpolitik (dazu Rz. 504) – weniger berichtsrelevant, dafür sollte auf die Pflicht des Vorstands zum Risikomanagement nach § 91 Abs. 2 AktG und auf dem Hintergrund des Berichts des Abschlussprüfers ausdrücklich eingegangen werden, und zwar unter den Aspekten, ob der Aufsichtsrat sich von der Leistungsfähigkeit des Systems überzeugt hat und sich regelmäßig vom Vorstand darüber hat informieren lassen. (5) Überwachungsgegenstand des Aufsichtsrats ist auch die Wirtschaftlichkeit der Unternehmensführung, also die Stärkung der Ertragskraft und die Beseitigung von etwaigen Verlustquellen. Auch das sollte ausdrücklich angesprochen werden. 569

c) Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung ist ein Rechenschaftsbericht über seine Tätigkeit und seine Maßnahmen. Der Bericht darf also nicht dahin missverstanden werden, dass in ihm über Umsatz und Erträge zu berichten sei; das ist Sache des Vorstands. Hingegen sind zustimmungspflichtige Geschäfte nach § 111 Abs. 4 AktG ein bedeutendes Mittel der Überwachung (dazu Rz. 112 ff.). Der Bericht sollte daher ausdrücklich darauf eingehen, ob der Vorstand zustimmungspflichtige Geschäfte korrekt vorgelegt und ob der Aufsichtsrat im Berichtsjahr neue zustimmungspflichtige Geschäfte festgelegt hat.

570

d) Der Aufsichtsrat hat über die Art und Weise seiner Überwachung des Vorstands zu berichten, dazu gehört auch die Frage, wie er das gemacht hat (Rz. 566). Es genügt 14 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 73 ff. 15 Steiner in Heidel, Komm. AktG, § 171 Rz. 34. 16 Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 186 ff.

262

Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte | Rz. 572 § 9

also nicht, dass der Aufsichtsrat über die Einrichtung eines Prüfungsausschusses berichtet, sondern er muss auch berichten, wie er die Aufgaben zwischen sich und dem Prüfungsausschuss aufgeteilt hat. Das gilt heute umso mehr, als Art. 5 BilMoG von 2009 einen neuen Satz 2 in § 107 Abs. 3 AktG eingefügt hat, der lautet: „Er kann insbesondere einen Prüfungsausschuss bestellen, der sich mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie der Abschlussprüfung, hier insbesondere der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen befasst.“

Das ist an sich seit eh und je eine Selbstverständlichkeit und wird auch vom Gesetzgeber als „Klarstellung“ bezeichnet17. Das ist für deutsche Gesetzgebung ganz ungewöhnlich. Die Vorschrift ist daher als Soll-Vorschrift zu interpretieren mit dem Inhalt: Wenn ein Prüfungsausschuss besteht, soll er mindestens die im Gesetz aufgeführten Aufgaben haben18. Mit dieser Vorschrift betont der Gesetzgeber die Bedeutung des Prüfungsausschusses und der ihm zugewiesenen Aufgaben. Daher hat der Aufsichtsrat auch genau darüber an die Hauptversammlung zu berichten inkl. der Frage, wie der Abschlussprüfer und der Konzern-Abschlussprüfer in diese Aufgabenverteilung eingebunden worden sind19. e) Kommt es zu Sonderentwicklungen, sei es zu einer wirtschaftlichen Schieflage (dazu Rz. 95 ff.), sei es zu Unregelmäßigkeiten im Unternehmen oder hat der Aufsichtsrat in diesem oder einem anderen Zusammenhang von seinem Einsichtsrecht nach § 111 Abs. 2 AktG Gebrauch gemacht, so ist auch darüber zu berichten und insbesondere darüber, welche Maßnahmen der Aufsichtsrat ergriffen hat20. Insofern spielt die jeweilige Lage des Unternehmens für Umfang und Tiefe der Berichterstattung eine bedeutende Rolle21. Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur in der Krise, sondern auch bei risikoträchtigen oder weitreichenden Entscheidungen, also in Situationen, in denen der Aufsichtsrat besonders gefordert ist22.

571

f) Der Aufsichtsrat ist aber auch zur Überwachung des Vorstands bei dessen Leitung des Konzerns verpflichtet; das ist heute unstreitig23. Daher muss der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung auch darauf ausdrücklich eingehen, insbesondere ob und wie er über die Entwicklung im Konzern informiert wurde und ob

572

17 Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 102. 18 Lutter in FS Hommelhoff, 2012, S. 683, 686. 19 Lutter in FS Hommelhoff, 2012, S. 683, 686; vgl. auch Krasberg, Prüfungsausschuss, S. 113 ff., 208 ff. 20 OLG Düsseldorf v. 28.2.2008 – 6 U 197/06, Juris = BeckRS 2008, 22584. 21 OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, AG 2006, 379, 382; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 196; Schulz in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 171 Rz. 9. 22 Marsch-Barner in FS Stilz, 2014, S. 397, 401 f., dort auch zur Frage, ob über die Gründe für die bewusste Nichtausübung „naheliegender“ gesetzlicher Überwachungsbefugnisse berichtet werden müsse. 23 Dazu Rz. 141 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 148 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 381 ff.; Lutter, AG 2006, 518.

263

§ 9 Rz. 572 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

sich dabei Besonderheiten, insbesondere wirtschaftliche Schieflagen, ergeben haben. Das Gleiche gilt für das „Ob“ und „Wie“ eines konzernweiten Risikomanagements und einer konzernweiten Compliance-Ordnung24: über all das ist zu berichten. 573

g) Zur Überwachung gehört aber auch die Beratung des Vorstands25. Der Bericht muss also auch darauf eingehen und schon der Vollständigkeit halber erwähnen, dass sich der Aufsichtsrat oder einer seiner Ausschüsse mit dem Vorstand laufend über die Zielsetzung des Unternehmens, über die Strategie und ihre möglichst erfolgreiche Umsetzung beraten hat. 4. Die Prüfung des Abhängigkeitsberichts

574

a) Ist die vom Aufsichtsrat zu überwachende Gesellschaft eine Aktiengesellschaft und ist sie nach § 17 AktG von einem anderen Unternehmen abhängig, so hat ihr Vorstand nach § 312 AktG jährlich einen Abhängigkeitsbericht zu erstatten, der seinerseits vom Abschlussprüfer dieser abhängigen Gesellschaft zu prüfen ist, § 313 AktG. Auch darüber hat der Abschlussprüfer zu berichten, § 313 Abs. 2 AktG. Beide Berichte – Abhängigkeitsbericht des Vorstands und Prüfungsbericht des Abschlussprüfers – sind dem Aufsichtsrat der Obergesellschaft vorzulegen, der diese seinerseits zu prüfen und darüber an die Hauptversammlung zu berichten hat, § 314 Abs. 2 AktG26.

575

b) System und Aufgabenstellung an den Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang sind seiner Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses nachgebildet. Aber eine spezielle Funktion dieses Berichts kommt hinzu. Durch seine Prüfungs- und Berichtspflicht wird der Aufsichtsrat zum Treuhänder der Gläubiger und einer etwaigen Minderheit, die keine Einsicht in den Abhängigkeitsbericht erhalten27. Der Aufsichtsrat hat diese Prüfungsaufgabe daher mit großer Sorgfalt und Verantwortung vorzunehmen.

576

c) Im Übrigen gilt: der Aufsichtsrat hat zunächst den Bericht des Vorstands zusammen mit dem des Abschlussprüfers zu studieren und hat etwaige Ungereimtheiten mit dem Abschlussprüfer zu erörtern und dabei das Schwergewicht auf drei Fragen zu legen: (1) Sind alle Rechtsgeschäfte zwischen herrschendem Unternehmen und der abhängigen Gesellschaft sowie alle „Maßnahmen“ des herrschenden Unternehmens (§ 312 Abs. 1 Satz 2 AktG) vollständig erfasst; 24 Näher Marsch-Barner in FS Stilz, 2014, S. 397, 406. 25 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = AG 1991, 312 („Die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung zu überwachen, enthält die Pflicht, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten.“); bestätigt von BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340 = AG 1994, 508; vgl. dazu Boujong, AG 1995, 203, 205; Säcker/Rehm, DB 2008, 2814 und Hasselbach, NZG 2012, 41, 46 f.; Rz. 103 ff. 26 Vgl. Bödeker in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 314 AktG Rz. 4 ff.; eingehend Velte, Der Konzern 2010, 49, 55 ff. 27 Altmeppen, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 314 Rz. 4 spricht vom „Interesse der abhängigen Gesellschaft“, das der Aufsichtsrat zu wahren habe.

264

Die vom Gesetz geforderten Berichtsinhalte | Rz. 579 § 9

(2) sind die Rechtsgeschäfte at arm’s length erfolgt oder (3) sind Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens für das abhängige Unternehmen nachteilig gewesen und ist der Nachteil vollständig und vor Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen worden. Auch hier hat der Aufsichtsrat nicht eine zweite Prüfung des Abhängigkeitsberichts vergleichbar der des Abschlussprüfers durchzuführen, sondern kann sich auf eine Plausibilitätsprüfung28 von Vorstandsbericht und Prüferbericht konzentrieren, es sei denn, – der Prüferbericht gibt Anlass zu vertiefter Prüfung oder – der Aufsichtsrat selbst hat Zweifel an Aussagen in den ihm vorgelegten Berichten29. Aus seinem, des Aufsichtsrats, Bericht muss auf jeden Fall deutlich werden, dass er die beiden Berichte des Vorstands und des Abschlussprüfers eigenständig geprüft hat, § 314 Abs. 2 AktG. d) Auch hier ist es zweckmäßig, wenn ein Prüfungsausschuss die Entscheidung des Aufsichtsrats vorbereitet und dabei den Abschlussprüfer hinzuzieht. Die Entscheidung über den Bericht des Aufsichtsrats aber ist unabdingbar dem Plenum vorbehalten (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), an dessen abschließender Beratung erneut der Abschlussprüfer teilnehmen muss.

577

e) Ähnlich wie beim Jahresabschluss und Konzernabschluss gibt das Gesetz dem Aufsichtsrat Formulierungen für den Abschluss seines Berichts hierüber an die Hauptversammlung vor. So ist „ein von dem Abschlussprüfer erteilter Bestätigungsvermerk in den Bericht aufzunehmen, eine Versagung des Bestätigungsvermerks ausdrücklich mitzuteilen“ (§ 314 Abs. 2 Satz 3 AktG). Und weiterhin hat der Aufsichtsrat „am Schluss des Berichts ... zu erklären, ob nach dem abschließenden Ergebnis seiner Prüfung Einwendungen gegen die Erklärung des Vorstands am Schluss des Berichts über die Beziehungen zu verbundenen Unternehmen zu erheben sind“ (§ 314 Abs. 3 AktG). Dieses Zitat aus dem Bericht des Abschlussprüfers und diese Formulierung des Aufsichtsrats am Ende seines Berichts sind unabdingbar. Fehlt auch nur einer von ihnen, so ist der Bericht unvollständig und der Aufsichtsrat kann nicht entlastet werden; anderenfalls ist der Entlastungsbeschluss anfechtbar30.

578

5. Der Vergütungsbericht In Umsetzung von Art. 9b ARRL und ergänzend zu der Befassung der Hauptversammlung mit der Vergütungspolitik für den Vorstand und der Aufsichtsratsver28 So auch die Formulierung von J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 314 Rz. 12. 29 Ähnlich Altmeppen, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 314 Rz. 20 ff.; Fett in Bürgers/ Körber, Komm. AktG, § 314 Rz. 5; H.F. Müller in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 314 Rz. 7; Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 314 Rz. 5. 30 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 52 = AG 2003, 273 (Macrotron); LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320.

265

579

§ 9 Rz. 579 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

gütung mindestens alle vier Jahre (§§ 113 Abs. 3, 120a Abs. 1 AktG) sieht § 162 AktG (für börsennotierte AGs) die jährliche Vorlage eines Vergütungsberichts vor31. Dieser bezieht sich gleichermaßen auf die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat und wird von beiden Organen gemeinsam erstattet. In dem „klar und verständlich“ abzufassenden Bericht wird über die von der Gesellschaft im vorangegangenen Geschäftsjahr an die aktuellen und früheren Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat gewährte und geschuldete Vergütung berichtet. § 162 Abs. 1 und 2 AktG legen detaillierte Mindestangaben fest. Grundsätzlich ist auch der Vergütungsbericht der Hauptversammlung zur Billigung vorzulegen (§ 120a Abs. 4 AktG, mit Ausnahme für kleine und mittelgroße börsennotierte Gesellschaften in Abs. 5). Falls die Hauptversammlung über den Vergütungsbericht abstimmt, begründet dieser Beschluss keine Rechte und Pflichten (§ 120a Abs. 4 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 AktG). Vielmehr ist auch in diesem Fall im nächsten Vergütungsbericht zu erläutern, wie dem negativen Votum Rechnung getragen wurde (§ 162 Abs. 1 Nr. 6 AktG). Gemäß § 162 Abs. 4 AktG ist der Vergütungsbericht für zehn Jahre auf der Internetseite der Gesellschaft öffentlich zu machen.

II. Sonstige Berichtsinhalte 1. Bericht über Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern 580

a) Neben der Überwachung des Vorstands und der Beratung mit ihm ist die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Vorstands sowie der Abschluss und die Kündigung des Anstellungsvertrages mit ihnen. Diesen Aspekt spricht das Gesetz beim Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung in § 171 Abs. 2 AktG nicht an. Fraglich ist daher, wie der Aufsichtsrat damit in seinem Bericht umzugehen hat.

581

b) Ganz gewiss ist der Aufsichtsrat nicht gehindert, darüber zu berichten. Fraglich ist also nur, ob er das sollte oder ob er es gar muss.

582

(1) Die Information der Hauptversammlung über die Veränderungen im Vorstand während der Berichtsperiode ist gewiss sinnvoll und wird daher in der Praxis nahezu regelmäßig gemacht. Das „sollte“ ist daher klar zu bejahen. Dabei sind jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften keine Hinweise zu Abfindungen o.Ä. erforderlich, da sich diese schon aus dem Vorstandsvergütungsbericht nach §§ 285 Satz 1 Nr. 9a und 314 Abs. 1 Nr. 6a HGB ergeben32.

583

(2) Damit aber ist die Frage nach dem gesetzlichen „muss“ dieser Angaben noch nicht geklärt. Die Frage ist zu bejahen33. Denn die Bestellung neuer und die Abberu31 Zu Einzelheiten vgl. Bachmann, ZIP 2019, 1, 6 ff.; Bayer, DB 2018, 3034, 3040 f.; Löbbe/ Fischbach, AG 2019, 373, 383 ff. 32 Zum Vorstandsvergütungsbericht vgl. auch Ziff. 4.2.5 DCGK a.F.; in der neuen KodexFassung wird dieser Vergütungsbericht nicht mehr so detailliert behandelt, aber in Abschnitt G DCGK 2020 vorausgesetzt. 33 So auch Steiner in Heidel, Komm. AktG, § 171 Rz. 41.

266

Sonstige Berichtsinhalte | Rz. 587 § 9

fung amtierender Vorstandsmitglieder ist jedenfalls mit Aspekten der Überwachung verknüpft. Und da das Gesetz in § 171 Abs. 2 Satz 2 AktG ganz allgemein vom Bericht des Aufsichtsrats über seine Prüfung der Geschäftsführung spricht, ist dieser Aspekt auch davon erfasst34. Bei neu berufenen Vorstandsmitgliedern müssen die Gründe für die Bestellung nicht erläutert, wohl aber ihre besonderen Aufgaben und ihre Ressortzuständigkeit angegeben werden. (3) Ist mithin über Veränderungen im Vorstand zu berichten, so stellt sich weiter die Frage, ob dabei etwaige besondere Gründe für das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds zu nennen sind. Auch das ist der Fall; denn wenn der Aufsichtsrat Gründe für die Trennung von einem Vorstandsmitglied sieht, so ist das Teil und Folge seiner Überwachung. Und gerade darüber hat er ja zu berichten.

584

(4) Und schließlich kann die Überwachung des Aufsichtsrats auch zur Feststellung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied führen. Auch darüber ist dann – ggf. in neutralisierter Form – zu berichten35.

585

2. Entsprechenserklärung nach § 161 AktG Bei börsennotierten Gesellschaften haben Vorstand und Aufsichtsrat jährlich zu erklären, ob „den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Nach § 161 Abs. 2 AktG ist „die Erklärung auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen“. Außerdem wird die Erklärung von einzelnen Gesellschaften in ihren Corporate Governance-Bericht aufgenommen. Damit ist das gesetzliche Erfordernis erfüllt. Eine zusätzliche Aufnahme in den Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung erübrigt sich damit. Ist eine Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG fehlerhaft, ist die Schwelle zu einem die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses tragenden schwerwiegenden Gesetzesverstoß regelmäßig erst dann erreicht, wenn die Unrichtigkeit der Erklärung einen nicht unwesentlichen Punkt betrifft und aus dem Fehler ein Informationsdefizit der abstimmenden Aktionäre resultiert, das sich auf den Entlastungsbeschluss auswirkt36.

586

3. Beauftragung des Abschlussprüfers und Konzernabschlussprüfers Nach § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG erteilt der Aufsichtsrat „dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und den Konzernabschluss gemäß § 290 des Handelsgesetzbuchs.“ Darüber und über den Inhalt des Auftrages, der gesetzlich in § 317 HGB festgelegt ist, muss nicht gesondert berichtet werden. Es empfiehlt sich aber durchaus, dass mit dem Prüfer zusätzliche Prüfungsschwerpunkte oder Berichts-

34 Ebenso E. Vetter, ZIP 2006, 260 sowie Kropff in G/H/E/K, Komm. AktG, § 171 Rz. 32 (so nicht in die 2. Aufl. übernommen). 35 Ebenso E. Vetter, ZIP 2006, 260. 36 OLG Celle v. 27.6.2018 – 9 U 78/17, AG 2018, 631 = ZIP 2018, 1688.

267

587

§ 9 Rz. 587 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

pflichten37 vereinbart werden. Das ist dann in den Bericht an die Hauptversammlung aufzunehmen, weil es unmittelbar die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats und dessen Erfüllung betrifft. 4. Interessenkonflikte? 588

Das geltende Aktienrecht beschäftigt sich (ausgenommen jetzt teilweise die Regelungen zur Zustimmungsbedürftigkeit der related party transactions in § 111a AktG; dazu Rz. 55) an keiner Stelle mit der großen Anfälligkeit des Aufsichtsrats für Interessenkonflikte38. Anders der Kodex. Er empfiehlt zunächst einmal die interne Offenlegung des Konfliktes mit folgender Formulierung: „Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die aufgrund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehen können, dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen.“39

589

Der Kodex empfiehlt aber darüber hinaus in E.1 Satz 2 DCGK 2020 dem Aufsichtsrat, der Hauptversammlung über solche aufgetretenen Interessenkonflikte und deren Behandlung zu berichten. Eine Negativ-Erklärung ist nicht erforderlich40.

590

a) Gelangt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass ein ihm angezeigter Interessenkonflikt tatsächlich nicht vorliegt, so erübrigt sich jeder Bericht.

591

b) Liegt hingegen auch aus der Sicht des Aufsichtsrats ein Interessenkonflikt vor, so ist darüber an die Hauptversammlung zu berichten – es sei denn, in der Erklärung nach § 161 AktG wurde die Befolgung von Ziff. 5.5.3 DCGK a.F. bzw. Empfehlung E.1 DCGK 2020 abgelehnt. Dieser Bericht muss weder den Grund des Konfliktes noch die betroffenen Personen benennen41. Es genügt der neutralisierte Hinweis, dass es einen solchen Konflikt gegeben hat und wie man mit ihm im Aufsichtsrat umgegangen ist. Dafür kommt – außer der Amtsniederlegung42 – schon von Rechts wegen nur ein Ausschluss des Betroffenen von Beratung und Beschlussfassung im Aufsichtsrat in Betracht43. Das ist dann im Bericht so auch ausdrücklich zu sagen.

37 Vgl. dazu Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 324. 38 Dazu Lutter/Quack in FS Raiser, 2005, S. 259; Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff.; Lutter in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245 ff. 39 Ziff. 5.5.2 DCGK a.F., nahezu identisch Empfehlung E.1 Satz 1 DCGK 2020; vgl. dazu Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. Kodex, Rz. 1462 ff. 40 OLG Düsseldorf v. 22.11.2012 – 6 U 18/12, AG 2013, 759 = NZG 2013, 178. 41 Vgl. BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, NZG 2012, 1064, 1066 Rz. 32 = AG 2012, 712; BGH v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, NZG 2013, 783, 784 = AG 2013, 643; E. Vetter, ZIP 2006, 261; Priester, ZIP 2011, 2081; v.d. Linden, GWR 2011, 407; strenger OLG Frankfurt a.M. v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, ZIP 2011, 1613 = AG 2011, 713 unter Außerachtlassung des Gebotes strenger Vertraulichkeit im Aufsichtsrat (dazu Rz. 265 ff.). 42 NachE.1 Satz 3 DCGK 2020 sollen „Wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds […] zur Beendigung des Mandats führen“. 43 Lutter in FS Priester, 2007, S. 417, 418 ff.

268

Sonstige Berichtsinhalte | Rz. 594 § 9

Im Zusammenhang mit der hier erforderlichen neutralisierten Berichterstattung wird durchaus zu Recht auf die notwendige Vertraulichkeit im Aufsichtsrat hingewiesen44. Dieses Vertraulichkeitsgebot gilt auch hier. Dies ist die Rechtslage für Unternehmen von öffentlichem Interesse nach § 161 Abs. 1 AktG. Was aber gilt für die rd. 14 000 anderen Aktiengesellschaften? Es gilt das Gleiche; denn Interessenkonflikte im Aufsichtsrat können die Überwachungsaufgabe beeinträchtigen. Daher ist es ganz allgemein für die Hauptversammlung von Bedeutung, zu wissen, dass diese Beeinträchtigung entstanden ist, dass ihr aber durch den Aufsichtsrat selbst begegnet wurde45. 5. Bericht über Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern? Solche nach § 114 AktG durch den Aufsichtsrat zustimmungspflichtigen Verträge generieren die Gefahr von Abhängigkeiten und Interessenkonflikten. Die Hauptversammlung weiß davon nichts, muss darüber aber schon im Hinblick auf eine etwaige Wiederwahl des Betreffenden unterrichtet sein.

592

Darüber hinaus kann die Qualität der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat leiden, wenn solche Abhängigkeiten bestehen. Auch unter dem Aspekt der Rechenschaftspflicht des Aufsichtsrats ist der Bericht darüber daher erforderlich46. 6. Rechtliche Konflikte a) Im ARAG-Fall47 hatte der Bundesgerichtshof über die Klage einer Aufsichtsratsminderheit gegen die Mehrheit des Aufsichtsrats zu entscheiden. Ein solcher Konflikt „mitten im Aufsichtsrat“ befördert die Gefahr, dass der Aufsichtsrat seine Pflichten aus § 111 AktG nicht mehr korrekt erfüllen kann. Der Konflikt ist daher auch hier in neutralisierter Form der Hauptversammlung zu berichten.

593

b) Denkbar ist, dass die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung angefochten ist. Es kann also sein, dass sich nach ein oder mehreren Jahren herausstellt, dass die Wahl unwirksam war. Das beeinträchtigt zwar nicht die Entscheidungen des Aufsichtsrats bis dahin; denn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Unwirksamkeit des Wahlbeschlusses gilt dieser als wirksam bestellt (s. Rz. 19). Aber die Stellung einzelner oder aller Aufsichtsratsmitglieder ist durch die Anfechtungsklage geschwächt. Auch das muss die Hauptversammlung – erneut in neutralisierter Form – durch den Bericht des Aufsichtsrats erfahren48.

594

44 Drygala, AG 2007, 381; Priester, ZIP 2011, 2081; Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 195 und 210. 45 Henze, Der Aufsichtsrat 2013, 135. 46 A.A. OLG München v. 24.9.2008 – 7 U 4230/07, ZIP 2009, 1667, 1669 = AG 2009, 121; Marsch-Barner in FS Stilz, 2014, S. 397, 401 ff. 47 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377. 48 Vgl. LG München v. 22.12.2005 – 5HK O 9885/05, AG 2006, 762, 763; a.A. Marsch-Barner in FS Stilz, 2014, S. 397, 407: „Bericht des Aufsichtsrats, der nur einmal jährlich erstattet wird [...] nicht das richtige Medium“.

269

§ 9 Rz. 594 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

Erst recht gilt die Berichtspflicht, wenn der Anfechtungsklage rechtskräftig stattgegeben wurde und einzelne Aufsichtsratsmitglieder ex tunc ihr Amt verloren haben49. Hier besteht die Gefahr, dass Beschlüsse des Aufsichtsrats nichtig sind (Rz. 19). Das muss die Hauptversammlung wissen. 595

c) Und schließlich ist sogar denkbar, dass entweder ein noch amtierendes Mitglied des Aufsichtsrats gegen die Gesellschaft50, etwa auf Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses51, oder die Gesellschaft gegen ein Mitglied etwa auf Schadensersatz nach §§ 116, 93 AktG klagt. Möglich ist aber auch, dass dies eine Aktionärsminderheit nach § 148 AktG unternimmt. Über all das muss der Aufsichtsrat von Rechts wegen an die Hauptversammlung berichten. Denn all das berührt die Fähigkeit des Aufsichtsrats zur Wahrnehmung seiner Aufgaben und insbesondere zur Überwachung des Vorstands. All dies gilt nicht, wenn der Konflikt ausgeschiedene Mitglieder betrifft. Denn davon ist der amtierende Aufsichtsrat nicht berührt. 7. Bericht über Ausschüsse

596

Nach § 171 Abs. 2 Satz 2 (Halbsatz 2) AktG hat der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft zu berichten, welche Ausschüsse er gebildet hat und wie oft diese getagt haben. Das ist eine höchst missverständliche Vorschrift. Denn nach dem Halbsatz 1 dieser Norm muss der Aufsichtsrat berichten, „in welcher Art und in welchem Umfang“ er geprüft hat. Dazu gehört naturgemäß die Mitteilung, ob er sich dabei entsprechender Ausschüsse und insbesondere eines Prüfungsausschusses bedient hat und welche Aufgaben diese hatten52, wie die Zusammenarbeit zwischen Ausschuss und Plenum organisiert war und wie das Plenum die Ausschüsse überwacht hat. Anders kann sich die Hauptversammlung kein Bild von der Art machen, wie der Aufsichtsrat seine Überwachungsaufgaben erfüllt hat. Unabhängig von § 171 Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 AktG gilt diese Berichtspflicht zu den Ausschüssen für alle (Pflicht-)Aufsichtsräte. 8. Ungewöhnliche Ereignisse

597

Zwei große DAX-Gesellschaften sind in 2006/2007, eine weitere 2015 von schwerwiegenden Fehlentwicklungen überrascht worden. Offensichtlich haben die traditio-

49 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387. 50 So war es im berühmten Hertie-Fall, BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = AG 1983, 133. 51 Daran hat jedes Aufsichtsratsmitglied ein rechtliches Interesse: BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, DB 2013, 449 = AG 2013, 257. Und daher kann auch jedes Aufsichtsratsmitglied einem solchen Verfahren, sei es auf Seiten des Klägers, sei es auf Seiten der Gesellschaft, beitreten (Nebenintervention): BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, DB 2013, 449 = AG 2013, 257. 52 Dazu Lutter, Über eine zusätzliche Berichtspflicht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung in FS Hommelhoff, 2012, S. 683, 686 ff.

270

Die Gestaltung der Berichte | Rz. 600 § 9

nellen Sicherungen versagt53. Es gab also in diesen und im Grunde allen anderen Unternehmen genügend Gründe, über Verbesserungen in den Kontrollsystemen der Gesellschaft und des Konzerns nachzudenken. Das ist gewiss Aufgabe der Geschäftsführung des Vorstands. Aber der Aufsichtsrat hat das zu überwachen. Er hat daher genau darüber zu berichten, wie der Vorstand in ständigem Kontakt und Beratung mit ihm eine Wiederholung solcher Vorgänge verhindern will.

III. Die Gestaltung der Berichte 1. Vollständigkeit Der Bericht muss vollständig und richtig sein und getreuer Rechenschaft entsprechen, das versteht sich von selbst54. Er sollte aber auch so aufgebaut sein, dass die einzelnen Berichtsteile erkennbar und unterscheidbar sind. Je mehr das der Fall ist, desto mehr vermeidet der Aufsichtsrat auch die Gefahr, dass einzelne Berichtserfordernisse von ihm übersehen werden.

598

Auf die Beachtung der Gremienvertraulichkeit bei der Abfassung des Berichts sei nochmals hingewiesen55. 2. Schriftlichkeit, Auslage und Einreichung zum Bundesanzeiger Der Bericht muss schriftlich abgefasst, vom Plenum des Aufsichtsrats beschlossen (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG), vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnet und so der Hauptversammlung vorgelegt werden, § 176 Abs. 1 Satz 1 AktG, verlangt ist nicht nur die schriftliche Verkörperung, sondern auch die eigenhändige Unterschrift (§ 126 BGB) jedenfalls des amtierenden Vorsitzenden, der insoweit den Aufsichtsrat repräsentiert, auf der Urschrift des Berichts56. Er ist von der Einberufung der JahresHauptversammlung an in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen, § 175 Abs. 2 Satz 1 AktG, und muss jedem Aktionär nach dessen Anforderung auch zugesandt werden.

599

Der Bericht des Aufsichtsrats wird im Bundesanzeiger (§ 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB, zu Ausnahmen: §§ 326, 264 Abs. 3, 4 HGB) und auf der Internetseite der Gesellschaft (§ 175 Abs. 2 Satz 4 AktG, statt Auslegung und Zusendung auf Verlangen) veröffentlicht. In der Hauptversammlung hat ihn der Aufsichtsratsvorsitzende zu erläutern, § 176 Abs. 1 Satz 2 AktG.

600

53 Katrin Terpitz, Wer vertraut, muss kontrollieren, Handelsblatt vom 9.3.2007 (Kapitalmarkt S. 1). 54 Vgl. Kropff, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2003, § 171 Rz. 166; ebenso Hennrichs/Pöschke, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 171 Rz. 209; Euler/Klein in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 171 Rz. 75. 55 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 384 ff., 493 ff. 56 BGH v. 21.6.2010 – v. 21.6.2009 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 = AG 2010, 632 Rz. 16.

271

§ 9 Rz. 601 | Der Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung

IV. Verstöße 601

Ist der Bericht unvollständig, so ist die Entlastung aller Aufsichtsratsmitglieder gefährdet, sei es, dass sie von der Hauptversammlung verweigert, sei es, dass sie durch Anfechtung vernichtet wird57. Das soll auch für die Entlastung des Vorstands gelten, der einen unvollständigen Bericht des Aufsichtsrats der Hauptversammlung vorgelegt hat58. Das ist zweifelhaft; denn einerseits ist der Vorstand nicht der Kontrolleur des Aufsichtsrats; andererseits hat der Vorstand den Bericht des Aufsichtsrats in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und den Aktionären auf Verlangen zuzusenden, § 175 Abs. 2 AktG, ist also in den unzureichenden Bericht des Aufsichtsrats involviert.

602 –610 Einstweilen frei.

57 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = AG 2009, 285 (Kirch/Deutsche Bank); LG München v. 10.3.2005 – 5HK O 18110/04, AG 2005, 408 und OLG München v. 13.9.2005 – 7 U 2759/05, AG 2006, 592; OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, AG 2006, 380; LG München v. 5.4.2007 – 5HK O 15964/06, BB 2007, 2170; OLG Düsseldorf v. 28.2.2008 – 6 U 197/06, Juris = BeckRS 2008, 22584 und dazu Liese/Theusinger, BB 2007, 2528; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 45 Rz. 17 ff. 58 OLG Düsseldorf v. 28.2.2008 – 6 U 197/06, Juris = BeckRS 2008, 22548.

272

§ 10 Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats I. Überblick Eine Aktiengesellschaft, die nach § 3 Abs. 2 AktG als börsennotiert zu qualifizieren ist, unterliegt als sog. Emittentin einer großen Zahl von kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflichten sowie Anzeigepflichten gegenüber der BaFin. Zum Teil gelten diese Pflichten auch für Gesellschaften, deren Aktien lediglich in den Freiverkehr einer Börse einbezogen sind und die daher nicht unter § 3 Abs. 2 AktG fallen1. Diese vielfältigen Pflichten sind vom Vorstand zu erfüllen. Der Aufsichtsrat ist Innen-, nicht Außenorgan der Gesellschaft und wird daher vom Gesetz in diesem Zusammenhang nur ausnahmsweise direkt angesprochen. Umso mehr sind seine allgemeinen internen Pflichten auch hier von großer Bedeutung (Rz. 612 f.). Bei öffentlichen Übernahmen sind darüber hinaus die besonderen Pflichten zu beachten, die sich für den Aufsichtsrat aus dem WpÜG ergeben (Rz. 614 ff.). Schließlich können auch die Mitglieder des Aufsichtsrats persönlich bestimmte Melde- und Verhaltenspflichten treffen, wenn sie Aktien der Emittentin erwerben oder veräußern (Rz. 629 ff.).

611

II. Allgemeine Pflichten 1. Überwachungspflicht Die allgemeine Überwachungspflicht des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 1 AktG) erstreckt sich selbstverständlich auch darauf, ob und wie der Vorstand die kapitalmarktrechtlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt. Dazu zählen insbesondere die mannigfachen Offenlegungspflichten, namentlich die Pflichten zur Regelpublizität (bilanzrechtliche Rechnungslegung, kapitalmarktrechtliche Jahres-, Halbjahresberichte nach §§ 114 ff. WpHG), zur Ad-hoc-Publizität (Art. 17 MMVO) und die Pflichten im Rahmen der Beteiligungspublizität (namentlich §§ 40 f. WpHG), aber natürlich auch die Einhaltung der Verbote des Insiderhandels und der Marktmanipulation (Art. 14 f. MMVO). Auf einzelne aufsichtsratsspezifische Aspekte namentlich der Ad-hoc-Publizität ist an anderen Stellen dieses Buches schon hingewiesen worden; darauf sei hier nochmals verwiesen (s. Rz. 290 f., 304 ff. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen; ferner Rz. 534 zu der Frage, ob der Auf1 Das gilt nicht nur für das Insiderhandels- und das Marktmanipulationsverbot, sondern neuerdings auch für die Ad-hoc-Publizität, sofern die Gesellschaft mit ihrer Zustimmung in den Freiverkehr einbezogen wurde; vgl. Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 3 MMVO und dazu Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 17 VO Nr. 596/2014 Rz. 22. Vgl. daneben zur Entsprechenserklärung § 161 Abs. 1 Satz 2 AktG und dazu Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 6b.

273

612

§ 10 Rz. 612 | Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

sichtsrat ausnahmsweise selbst anstelle des Vorstands für eine Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MMVO zuständig ist). 2. Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG 613

Eigens als Adressat der Veröffentlichungspflicht angesprochen ist der Aufsichtsrat in § 161 AktG. Danach hat neben dem Vorstand auch der Aufsichtsrat einer börsennotierten (oder nach Abs. 1 Satz 2 gleichgestellten) Aktiengesellschaft mindestens einmal jährlich eine Erklärung abzugeben, ob den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex gefolgt wurde und wird, und welchen Empfehlungen gegebenenfalls nicht entsprochen wurde und wird und warum nicht. Siehe dazu die Ausführungen in Rz. 510 ff. (dort auch zu der Pflicht, die Erklärung bei Änderungen unterjährig zu aktualisieren).

III. Besondere Verhaltenspflichten bei Übernahmen 1. Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten 614

Im Gegensatz zu den Vorüberlegungen zum WpÜG sieht das Gesetz in seiner endgültigen Fassung keine Vorschrift vor, die für Vorstand oder Aufsichtsrat der Bieteroder Zielgesellschaft besondere Geheimhaltungspflichten normiert. Sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat der Bieter- und Zielgesellschaft unterliegen daher den allgemeinen Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsanforderungen der §§ 116 Satz 2, 93 Abs. 1 Satz 3 AktG2. Außerdem sind natürlich die insiderrechtlichen Regelungen der Art. 7 ff. MMVO zu beachten, handelt es sich doch bei Unternehmensübernahmen um das klassische Beispiel einer Insiderinformation. 2. Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Bietergesellschaft

615

Den Aufsichtsrat der Bietergesellschaft treffen keine besonderen kapitalmarktrechtlichen Pflichten. Er muss seiner allgemeinen Überwachungspflicht nachkommen und die Vorstandsentscheidungen zum Übernahmeangebot prüfen und begleiten. Insbesondere hat er darauf zu achten, dass der Vorstand die nach §§ 10 ff. WpÜG erforderlichen Schritte für die Abgabe des Übernahmeangebots einleitet.

616

Regelmäßig wird für den Erwerb von Unternehmen oder Unternehmensanteilen auch ein Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bestehen. Hat der Vorstand der Bieterin den Beschluss gefasst, vorbehaltlich der Zustimmung des Aufsichtsrats ein Übernahmeangebot abgeben zu wollen, stellt sich sowohl mit Blick auf die Pflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG, die Entscheidung zur Abgabe eines Angebots unverzüglich bekanntzugeben, als auch mit Blick auf die Ad-hoc-Mitteilungspflicht des Art. 17 MMVO die Frage, ob die Bekanntgabe bis zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats aufgeschoben werden darf.

2 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 633 ff.

274

Besondere Verhaltenspflichten bei Übernahmen | Rz. 618 § 10

Was zunächst die Veröffentlichung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 WpÜG betrifft, so steht diese Vorschrift einem Abwarten der Zustimmung des Aufsichtsrats nach ganz herrschender und zutreffender Ansicht nicht im Wege3. Eine „Entscheidung“ des Bieters im Sinne dieser Vorschrift liegt erst mit Abschluss des internen Willensbildungsprozesses vor. In Abweichung hiervon sieht zwar § 10 Abs. 1 Satz 2 WpÜG vor, dass die Veröffentlichungspflicht nach Abs. 1 Satz 1 auch dann schon eingreift, wenn eine erforderliche Zustimmung der Gesellschafterversammlung noch aussteht. Diese Regelung beruht aber auf der Erwägung, dass bei einem Bieter in der Rechtsform einer Publikumsgesellschaft die Absicht zur Abgabe des Angebots mit Einberufung der Gesellschafterversammlung ohnehin öffentlich bekannt würde4. Auf die Einholung der Zustimmung des Aufsichtsrats lässt sich diese Überlegung offenkundig nicht übertragen.

617

Davon zu unterscheiden ist die Frage der Ad-hoc-Publizität des Vorstandsbeschlusses nach Art. 17 MMVO. Da inzwischen geklärt ist, dass auch Zwischenschritte eines mehraktigen Entscheidungsprozesses grundsätzlich ad-hoc-pflichtig sein können5, steht außer Frage, dass ein Vorstandsbeschluss auch dann eine Insiderinformation darstellen kann, wenn er noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats steht. Dies gilt auch im Rahmen des § 10 WpÜG. Die Bestimmung des § 10 Abs. 6 WpÜG, die Art. 17 MMVO in Bezug auf Entscheidungen zur Abgabe eines Angebots für unanwendbar erklärt, ändert daran nichts, da sie nicht für Umstände im Vorfeld der Entscheidung gilt, sondern lediglich eine Doppelpublikation der getroffenen Entscheidung nach § 10 WpÜG und Art. 17 MMVO erübrigen soll6. Eine weitergehende Bedeutung kann § 10 Abs. 6 WpÜG schon deshalb nicht zukommen, weil der deutsche Gesetzgeber ohne unionsrechtliche Opt-out-Möglichkeit keine Bereichsausnahme von einer EU-Verordnung schaffen kann7. Um den Vorstandsbeschluss nicht schon vor der Beschlussfassung des Aufsichtsrats publizieren zu müssen, ist der Vorstand daher auf eine Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 MMVO angewiesen. Eine solche wird regelmäßig möglich sein, da Erwägungsgrund 50 lit. b MMVO einen internen Gremienvorbehalt grundsätzlich als berechtigtes Aufschubinteresse akzeptiert. Voraussetzung dafür ist allerdings nach den Leitlinien der ESMA, dass die Offenlegung vor der Beschlussfassung des Aufsichtsrats die korrekte Bewertung der Information durch das Publikum gefährden würde und

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3 Assmann in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 10 Rz. 15; Geibel/ Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, Komm. WpÜG, § 10 Rz. 13 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, § 10 WpÜG Rz. 7; Thoma in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 10 Rz. 23; vgl. auch Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 39 (allerdings noch unter Hinweis auf eine inzwischen überholte Rechtslage zu § 15 WpHG a.F., dazu sogleich im Text). 4 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 39. 5 Dies ergibt sich inzwischen ausdrücklich aus Art. 7 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 MMVO; zuvor grundlegend EuGH v. 28.6.2012 – C-19/11, ECLI:EU:C:2012:397 – Geltl, AG 2012, 555. 6 So auch das Verständnis der BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C (Stand: 1.7.2019), I.3.2.2.5. 7 Klöhn, Komm. MAR, Art. 17 Rz. 49; zum teilweise abweichenden Diskussionsstand unter Geltung des § 15 WpHG a.F. Technau/Berrar in Paschos/Fleischer, Hdb. Übernahmerecht, § 13 Rz. 9 f.

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§ 10 Rz. 618 | Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

die Gesellschaft dafür Sorge trägt, dass die endgültige Entscheidung so schnell wie möglich getroffen wird8. 3. Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft 619

Der Aufsichtsrat ist gemäß § 3 Abs. 3 WpÜG bei allen seinen Handlungen im Übernahmeverfahren auf das Unternehmensinteresse seiner Gesellschaft verpflichtet. Sind Aufsichtsratsmitglieder zugleich für Bieter- und Zielgesellschaft tätig, liegt ein evidenter Interessenkonflikt vor. Siehe dazu die Ausführungen in Rz. 894 ff. a) Stellungnahmepflicht

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Der Vorstand hat den Aufsichtsrat über ein der Gesellschaft und ihren Aktionären unterbreitetes Übernahmeangebot zu unterrichten. Beide müssen dann gemäß § 27 WpÜG eine Stellungnahme zum Angebot der Bietergesellschaft abgeben9. Ob diese getrennt abzugeben ist oder auch gemeinsam abgegeben werden kann, lässt der Wortlaut des § 27 WpÜG offen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich aber, dass eine gemeinsame Stellungnahme möglich ist, wenn Vorstand und Aufsichtsrat zu einer übereinstimmenden Bewertung des Angebots gelangen10. Eine solche gemeinsame Stellungnahme ist in der Praxis die Regel11.

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Den Mindestinhalt der Stellungnahme regelt § 27 Abs. 1 Satz 2 WpÜG; insbesondere hat sie auf die Art und Höhe der angebotenen Gegenleistung und die voraussichtlichen Folgen eines erfolgreichen Angebots für die Zielgesellschaft und deren Arbeitnehmer einzugehen12. Mithin trifft den Aufsichtsrat die Pflicht zur Bildung einer eigenen Meinung darüber, wie das Angebot zu beurteilen ist, insbesondere auch zur Angemessenheit der Gegenleistung. Dazu ist die Beschaffung von Informationen, z.B. über die wirtschaftliche Lage des Bieters und die wirtschaftlichen Eckdaten des Übernahmeangebots, sowie die sorgfältige Prüfung der Angebotsunterlage unabdingbar. Dabei wird es sich – zumal im Hinblick auf das mit der Stellungnahme verbundene Haftungsrisiko – in aller Regel empfehlen, eine Investmentbank oder einen anderen geeigneten Finanzberater hinzuzuziehen13. Eine Empfehlung für oder gegen die Übernahme ist zwar regelmäßiger Bestandteil der Stellungnahme; ausweislich der 8 ESMA, MAR-Leitlinien, Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen (ESMA/ 2016/1478 v. 20.10.2016), Rz. 8. lit. c; ebenso BaFin, Entwurf Emittentenleitfaden Modul C (Stand: 1.7.2019), I.3.3.1.2; näher Klöhn, Komm. MAR, Art. 17 Rz. 210 ff. 9 Dazu Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1131 ff. 10 Ausschussbegr., BT-Drucks. 14/7477, S. 52; aus dem Schrifttum etwa Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 42. 11 Seibt, CFL 2011, 213, 236 (in einem 18-monatigen Zeitraum 2010/11 37 gemeinsame und 4 getrennte Stellungnahmen); Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1032. 12 Dazu eingehend Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 61 ff., 74 ff.; Hirte, Kölner Komm. WpÜG, § 27 Rz. 31 ff., 43; Harbarth in Baums/ Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 33 ff. 13 Näher Schiessl, ZGR 2003, 814, 827 f.; Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1032 ff.; Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1139 ff.

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Besondere Verhaltenspflichten bei Übernahmen | Rz. 623 § 10

Regierungsbegründung ist aber „im Einzelfall“ eine Stellungnahme auch ohne Empfehlung denkbar14. Zulässig erscheint dies jedoch nur in sachlich begründeten Ausnahmefällen (z.B. bei einem argumentativen Patt)15. Wird keine Empfehlung ausgesprochen, müssen zudem die Gründe dafür offengelegt werden16. Ist in der Satzung nichts anderes bestimmt, reicht für die Beschlussfassung im Aufsichtsrat die einfache Mehrheit aus. Bestehen innerhalb des Aufsichtsrats Meinungsverschiedenheiten in der Beurteilung des Angebots, ist dies nach zutreffender Ansicht offenzulegen. Das kapitalmarktrechtliche Transparenzgebot des § 3 Abs. 2 WpÜG überlagert in diesen Fällen das aktienrechtliche Verschwiegenheitsgebot17. Konkret sind bei nicht allseitiger Zustimmung die Stimmverhältnisse in der Stellungnahme offenzulegen und richtigerweise auch die zentralen Streitpunkte zu benennen18. Ob auch die Angabe der Namen der dissentierenden Aufsichtsratsmitglieder geboten ist, erscheint dagegen zweifelhaft19. Jedenfalls besteht keine Verpflichtung, Sondervoten dissentierender Aufsichtsratsmitglieder zu erstellen; das einzelne Aufsichtsratsmitglied hat auf die Veröffentlichung eines Sondervotums auch keinen Anspruch20. Der Aufsichtsrat und die abweichend stimmenden Mitglieder können sich aber darauf verständigen, dass ein Sondervotum veröffentlicht wird21.

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Die Aufsichtsratsmitglieder, die Inhaber von Wertpapieren der Zielgesellschaft sind, müssen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 WpÜG in der Stellungnahme auch angeben, ob sie das Angebot annehmen wollen. Diese Verpflichtung ist unabhängig von der Größe der Beteiligung22. Da das Gesetz hier auf die einzelnen Organmitglieder abstellt, müssen die Angaben namentlich aufgeschlüsselt werden, sofern sich nicht alle Organmitglieder einheitlich entscheiden23. Daraus lassen sich auch Rückschlüsse auf das Stimmverhalten im allgemeinen Teil der Stellungnahme ziehen.

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14 Begr. RegE BT-Drucks. 14/7034, S. 52. 15 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 82; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 90. 16 Fleischer/Kalss, WpÜG, S. 99; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 82; zweifelnd Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 90. 17 Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 98; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 675. 18 Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 99; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 675; in Bezug auf die wesentlichen Streitpunkte abw. Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 38. 19 Ablehnend Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 38; befürwortend aber Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 99; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 25, 30; Hirte in Kölner Komm. WpÜG, § 27 Rz. 20. 20 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 38; Fleischer/Schmolke, DB 2007, 95, 99. 21 Näher Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 676. 22 Röh in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Komm. WpÜG, § 27 Rz. 42; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 59. 23 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 85; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 60.

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§ 10 Rz. 624 | Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats 624

In Fällen, in denen auf die Zielgesellschaft das WpÜG keine Anwendung findet24, wird teilweise vertreten, dass sich aus der allgemeinen Überwachungspflicht (§ 111 Abs. 1 AktG) und der Berichtspflicht gegenüber der Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) ebenfalls eine Pflicht zur Stellungnahme durch den Aufsichtsrat ergebe, die allerdings in ihrem Detaillierungsgrad geringer sein könne als die von § 27 WpÜG vorgeschriebene Stellungnahme25. Das läuft allerdings auf eine sehr weitherzige, methodisch fragwürdige Ausdehnung des § 171 Abs. 2 AktG hinaus26. Vor Inkrafttreten des WpÜG entsprach es herrschender Ansicht, dass sich aus den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zwar eine Pflicht zur Stellungnahme des Vorstands, aber nicht eine solche des Aufsichtsrats konstruieren lässt27. b) Erhöhte Überwachungspflicht

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Unabhängig von der Stellungnahmepflicht stellen Übernahmesituationen an den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft besondere Anforderungen, die gerade die Phase des Vorfelds des Übernahmeangebots betreffen. Problematisch ist in dieser Phase typischerweise die Wahrung der nötigen Vertraulichkeit einerseits, bei ausreichender Information des Aufsichtsrats andererseits28. Vor allem aber intensiviert sich die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats und erweitert sich sein Überwachungsgegenstand in dieser Phase erheblich und erstreckt sich insbesondere auf die Ausgestaltung der Due Diligence, die Bewältigung von Interessenkonflikten im Vorstand, die Vereinbarung von „break up fees“, die Suche nach möglichen alternativen Bietern und die Preisverhandlungen29. Überdies sind unter Umständen Interessenkonflikte im Aufsichtsrat zu lösen, wenn einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats Verbindungen zum Bieter oder einem an dem Angebot interessierten Großaktionär haben30. c) Pflichten bei feindlichen Übernahmen

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Bei einer feindlichen Übernahme trifft den Aufsichtsrat die besondere Pflicht, die Neutralität des Vorstands zu überwachen. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG darf der Vorstand grundsätzlich keine Handlungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte, es sei denn, es handelt sich um Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer nicht von einem Übernahmeangebot betroffenen Gesellschaft vorgenommen hätte, oder um Handlungen, die der Suche nach einem Konkurrenzangebot dienen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 und 2 WpÜG). Die Einhaltung dieser Regelungen ist vom Aufsichtsrat zu prüfen. Ihn selbst trifft dieses Verhinderungsverbot als Kontrollorgan jedoch, anders als 24 Praxisbeispiele bei Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1135 Fn. 49 und 50. 25 Näher Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1135 f. 26 Gegen eine aus § 171 Abs. 2 AktG abgeleitete Stellungnahmepflicht denn auch Krause/ Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 19. 27 Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 418 m.w.N. 28 Näher dazu Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1025 ff. 29 Näher Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1029 ff. 30 Auch dazu Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1034 ff.; ferner Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1142 ff.

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Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten | Rz. 630 § 10

noch im Regierungsentwurf zum WpÜG vorgesehen, nicht31. Im Gegenteil ergibt sich aus § 33 Abs. 1 Satz 3 Var. 3 WpÜG, dass der Aufsichtsrat den Vorstand durch Zustimmung zu einer bestimmten Abwehrmaßnahme von der Neutralitätspflicht entbinden kann. Die Zustimmung des Aufsichtsrats muss, wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt („zugestimmt hat“), vor Durchführung der Maßnahme vorliegen32. Davon kann auch keine Ausnahme in Fällen von Eilbedürftigkeit gemacht werden33. Würde man die Möglichkeit einer nachträglichen Zustimmung des Aufsichtsrats bejahen, würde man dadurch faktisch das Neutralitätsgebot aushebeln, denn es ist kaum vorstellbar, dass der Aufsichtsrat den schon durchgeführten Maßnahmen des Vorstands im Nachhinein nicht zustimmen würde.

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Eine Zustimmung des Aufsichtsrats ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 WpÜG auch für die Ausübung einer von der Hauptversammlung gegebenen sog. Vorratsermächtigung nötig. In diesem (seltenen) Sonderfall lässt es die h.M. zu, dass bei besonderer Eilbedürftigkeit ausnahmsweise auch eine nachträgliche Zustimmung genügt34. Dagegen ist bei der Durchführung von Abwehrmaßnahmen aufgrund einer Ad-hoc-Zustimmung der Hauptversammlung eine Zustimmung des Aufsichtsrats nicht erforderlich35.

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IV. Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder Nicht nur der Aufsichtsrat als Gesamtorgan, sondern auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied unterliegt kapitalmarktrechtlichen Mitteilungs- und Verhaltenspflichten.

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1. Meldung von Eigengeschäften („managers’ transactions“) Gemäß Art. 19 MMVO, der an die Stelle des früheren § 15a WpHG a.F. getreten ist, besteht für Personen mit Führungsaufgaben die Pflicht, eigene Geschäfte mit Aktien oder sonstigen Finanzinstrumenten des Emittenten unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Geschäftstagen, der Gesellschaft und der Aufsichtsbehörde (BaFin) 31 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 76 ff.; Röh in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Komm. WpÜG, § 33 Rz. 75 ff., 78; Steinmeyer in Steinmeyer, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 13. 32 Röh in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Komm. WpÜG, § 33 Rz. 84; Krause/Pötzsch/ Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 179. 33 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 179; a.A. Grunewald in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 70. 34 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 240 m.w.N.; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 58: Zustimmung nach § 33 Abs. 2 Satz 4 WpÜG muss „in aller Regel“ vor der Maßnahme erteilt werden. 35 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 199.

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630

§ 10 Rz. 630 | Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

zu melden. Zu den Personen mit Führungsaufgaben in diesem Sinne zählen nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 25 lit. a MMVO auch die Aufsichtsratsmitglieder. 631

Die Meldepflicht trifft darüber hinaus nicht nur die Aufsichtsratsmitglieder selbst, sondern nach Art. 19 Abs. 1 MMVO auch Personen, die mit ihnen in einer engen Beziehung stehen. Dazu gehören nach Art. 3 Nr. 26 MMVO Ehepartner, eingetragene Lebenspartner, unterhaltsberechtigte Kinder und Verwandte, die seit mindestens einem Jahr im selben Haushalt wie das Aufsichtsratsmitglied leben. Diesen gleichgestellt sind juristische Personen, bei denen das Aufsichtsratsmitglied oder eine in enger Beziehung zu ihm stehende Person eine Leitungsaufgabe wahrnimmt, sowie juristische Personen, die direkt oder indirekt von einer solchen Person kontrolliert werden, zu ihren Gunsten gegründet wurden oder deren wirtschaftliche Interessen weitgehend denen des Aufsichtsratsmitglieds oder einer in enger Beziehung zu ihm stehenden Person entsprechen36. Nach Art. 19 Abs. 5 Unterabs. 2 MMVO sind die Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet, die in enger Beziehung zu ihnen stehenden Personen schriftlich über die Meldepflicht zu belehren und eine Kopie dieser Belehrung aufzubewahren. Die Aufsichtsratsmitglieder müssen dem Emittenten zudem Auskunft erteilen, wer zu ihnen in enger Beziehung steht, weil der Emittent nur so seiner Pflicht aus Art. 19 Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 2 MMVO nachkommen kann, auch die betreffenden Personen in die Liste der Meldepflichtigen aufzunehmen37.

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Nach Art. 19 Abs. 8 MMVO greift die Meldepflicht allerdings erst ein, sobald die Gesamtsumme der in einem Kalenderjahr getätigten Geschäfte des Aufsichtsratsmitglieds (bzw. der mit ihm in einer engen Beziehung stehenden Person) die Bagatellschwelle von 5.000 Euro übersteigt38. Von der Möglichkeit des Art. 19 Abs. 9 MMVO, diesen Schwellenwert auf 20.000 Euro anzuheben, hat die BaFin bisher keinen Gebrauch gemacht.

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Der erforderliche Inhalt einer Meldung ergibt sich aus Art. 19 Abs. 6 MMVO. Auf Grundlage des Art. 19 Abs. 15 UAbs. 3 MMVO hat die Kommission eine Durchführungsverordnung erlassen, die ein verbindliches Musterformular vorgibt und Form und Inhalt der Meldungen weiter konkretisiert39. 36 Zu allen Einzelheiten Semrau in Klöhn, Komm. MAR, Art. 19 Rz. 29 ff.; Sethe/Hellgardt in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 19 VO Nr. 596/2014 Rz. 40 ff. 37 Semrau in Klöhn, Komm. MAR, Art. 19 Rz. 75; zweifelnd Hitzer/Wasmann, DB 2016, 1483, 1486. 38 Der Schwellenwert gilt für jeden Verpflichteten gesondert, Geschäfte des Aufsichtsratsmitglieds und der zu ihm in enger Beziehung stehenden Personen werden also nicht zusammengerechnet; BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (Stand: 23.11.2018), Nr. III. 1.; ESMA, Q&A MAR, ESMA70-145-111 vom 29.3.2019, Nr. 7.3; Stegmaier in Meyer/Veil/Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 19 Rz. 94. 39 Durchführungsverordnung (EU) 2016/523 der Kommission vom 10.3.2016, ABl. EU Nr. L 88 v. 5.4.2016, S. 19; s. dazu auch die Beispiele der BaFin, FAQ zu Eigengeschäften von Führungskräften nach Art. 19 der Marktmissbrauchsverordnung (Stand: 23.11.2018), Nr. IV., VIII., X.

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Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten | Rz. 636 § 10

2. Handelsverbot in bestimmten Zeitfenstern In bestimmten für verbotenen Insiderhandel besonders anfälligen Zeitfenstern, nämlich während eines Zeitraums von 30 Kalendertagen vor der Ankündigung eines Zwischenberichts oder Jahresabschlussberichts, sind Geschäfte von Führungskräften in Aktien oder sonstigen Finanzinstrumenten des Emittenten nicht nur meldepflichtig, sondern nach Art. 19 Abs. 11 MMVO sogar verboten („closed periods“). Dieses Handelsverbot ist durch die MMVO mit Wirkung zum 3.7.2016 neu eingeführt worden. Der Kreis der erfassten Führungskräfte schließt auch hier wieder die Aufsichtsratsmitglieder ein (Rz. 629). Anders als die Meldepflicht gilt das Handelsverbot aber nicht für Personen, die zu einem Aufsichtsratsmitglied lediglich in enger Beziehung stehen. Dafür geht das Handelsverbot in sachlicher Hinsicht weiter; erfasst werden neben Eigengeschäften auch Geschäfte, die das Aufsichtsratsmitglied als Stellvertreter für Dritte tätigt.

634

Das Handelsverbot gilt jedoch nicht ausnahmslos. Die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand (§ 78)40, kann dem Aufsichtsratsmitglied den Handel während einer „closed period“ ausnahmsweise gestatten, wenn außergewöhnliche Umstände einen unverzüglichen Verkauf erforderlich machen oder wenn die Art des Geschäfts bedingt, dass Informationsvorteile nicht ausgenutzt werden können (Art. 19 Abs. 12 MMVO)41. Einzelheiten regelt wiederum eine Delegierte Verordnung der Kommission, die auf Grundlage des Art. 19 Abs. 13 MMVO erlassen wurde42.

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3. Offenlegung des Aktienbesitzes nach WpHG Ebenso wie alle Anteilseigner müssen auch Aufsichtsratsmitglieder, wenn sie durch Erwerb, Veräußerung oder auf sonstige Weise einen der Schwellenwerte (3, 5, 10, 15, 20, 25, 30, 50 oder 75 Prozent der Stimmrechte) des § 33 WpHG erreichen, über-, oder unterschreiten dieses dem Emittenten und der BaFin innerhalb von vier Handelstagen mitteilen. Unter dem genannten Schwellenwert von 3 Prozent besteht keine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder ihren Aktienbesitz anzuzeigen. Früher empfahl der Deutsche Corporate Governance Kodex zwar, dass Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder schon Beteiligungen ab 1 Prozent offenlegen43. Mit Blick auf die ausgeweiteten Meldepflichten nach Art. 19 MMVO ist diese Empfehlung aber wieder aufgehoben worden44. 40 Seibt/Wollschläger, AG 2014, 593, 602; Stüber, DStR 2016, 1221, 1227; Sethe/Hellgardt in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 19 VO Nr. 596/2014 Rz. 172; einschr. Semrau in Klöhn, Komm. MAR, Art. 19 Rz. 93: Zuständigkeit der Hauptversammlung, soweit die Gestattung auf den Regelungen eines Aktienprogramms mit Vergütungscharakter beruht. 41 Näher Semrau in Klöhn, Komm. MAR, Art. 19 Rz. 92 ff.; Sethe/Hellgardt in Assmann/ Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 19 VO Nr. 596/2014 Rz. 169 ff. 42 Art. 7 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17.12.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ABl. EU Nr. L 88 v. 5.4.2016, S. 1. 43 So zuletzt Ziff. 6.2 DCGK i.d.F. vom 5.5.2015. 44 Regierungskommission DCGK, Erläuterungen der Änderungsvorschläge der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex aus der Plenarsitzung vom 13.10.2016, S. 9 f.

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636

§ 10 Rz. 637 | Überblick über die kapitalmarktrechtlichen Pflichten des Aufsichtsrats

4. Verbot von Insidergeschäften und unrechtmäßiger Weitergabe von Insiderinformationen 637

Gemäß Art. 14 MMVO ist es verboten, a) Insidergeschäfte (Art. 8 MMVO) zu tätigen oder dies zu versuchen, b) Dritten zu empfehlen oder sie dazu zu verleiten, Insidergeschäfte zu tätigen, oder c) Insiderinformationen unrechtmäßig an Dritte weiterzugeben (Art. 10 MMVO). Da Aufsichtsräte umfassend zu informieren sind und alles über das Unternehmen wissen dürfen, ist es außerordentlich naheliegend, dass sie über Insiderinformationen verfügen45. Sie sollten sich daher strenges Stillschweigen auferlegen und Geschäfte in Aktien des Unternehmens auch außerhalb der „closed periods“ (Rz. 635 f.) vermeiden oder allenfalls zu Zeiten vornehmen, in denen sie (etwa im Anschluss an eine Ad-hoc-Mitteilung, Bilanzpressekonferenz oder Hauptversammlung) sicher sind, nicht über Insiderinformationen zu verfügen.

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Ein Problem für Aufsichtsratsmitglieder stellt insbesondere das Weitergabeverbot dar, wenn sie zur Aufgabenerfüllung Mitarbeiter hinzuziehen wollen. Wann eine Weitergabe hier als befugt oder unbefugt anzusehen ist, ist ausführlich unter Rz. 254 ff., 290 ff. besprochen. 5. Sanktionen

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Die vorstehenden kapitalmarktrechtlichen Melde- und Verhaltenspflichten der Aufsichtsratsmitglieder sind durchweg mit empfindlichen Sanktionen bewehrt. Vorsätzliche Verstöße gegen die Insidertatbestände des Art. 14 MMVO sind nach § 119 Abs. 3 WpHG strafbar und können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe belegt werden; dies gilt nach § 119 Abs. 4 WpHG auch für den Versuch. Leichtfertige Verstöße können als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, und zwar für das Aufsichtsratsmitglied als natürliche Person mit einem Bußgeld von bis zu 5 Mio. € (§ 120 Abs. 14, Abs. 18 WpHG). Die vorsätzliche oder leichtfertige Verletzung der Pflichten aus Art. 19 MMVO (Meldung von „managers‘ transactions“, Handelsverbot in „closed periods“) sowie der Beteiligungspublizität nach § 33 WpHG stellen ebenfalls Ordnungswidrigkeiten dar; sie können mit einem Bußgeld für natürliche Personen bis 500.000 € (§ 120 Abs. 15 Nr. 17-22, Abs. 18 WpHG) bzw. bis 2 Mio. € (§ 120 Abs. 2 lit. d, Abs. 17 WpHG) belegt werden. Zusätzlich muss das betroffene Aufsichtsratsmitglied damit rechnen, dass die verhängte Sanktion unter Nennung seines Namens von der BaFin öffentlich bekannt gemacht wird („naming and shaming“, §§ 124 f. WpHG). Schließlich versteht sich, dass die Vernachlässigung kapitalmarktrechtlicher Pflichten, die das Aufsichtsratsmitglied in dieser Eigenschaft treffen, auch im Verhältnis zur Gesellschaft eine Pflichtverletzung begründet (Verletzung der Legalitätspflicht). Soweit der Gesellschaft ein Schaden ent45 Zum Begriff der Insiderinformation Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider/Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 VO Nr. 596/2014 Rz. 6 ff.; Klöhn, Komm. MAR, Art. 7 Rz. 23 ff.; Krause in Meyer/Veil/Rönnau, Hdb. Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rz. 19 ff.

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Persönliche kapitalmarktrechtliche Verhaltenspflichten | Rz. 640–650 § 10

standen ist, droht dem Aufsichtsratsmitglied daher auch die zivilrechtliche Organhaftung (§§ 93, 116 AktG, Rz. 981 ff.). Je nach Gewicht des Verstoßes kommt überdies eine Abberufung aus wichtigem Grund (§ 103 Abs. 3 AktG) in Betracht. Einstweilen frei.

640– 650

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§ 11 Die Organisation des Aufsichtsrats I. Allgemeines 1. Überblick Die dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgaben obliegen ihm als Kollegialorgan. Er erfüllt sie durch das Handeln seiner Mitglieder als Gesamtheit. Wie die Aufgaben im Einzelnen organintern erledigt werden, regelt das Gesetz nur in wenigen Vorschriften. Es geht dabei zum einen um die innere Ordnung des Gesamtorgans durch Schaffung besonderer Funktionsträger (Vorsitzender, Ausschüsse) und zum anderen um die Ordnung des Verfahrensablaufs, in welchem der Aufsichtsrat seine Aufgaben erfüllt1. Besondere Funktionsträger spricht das Gesetz in § 107 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 1–3, Abs. 4 AktG an, den Ablauf des Verfahrens regelt es in § 107 Abs. 2, Abs. 3 Satz 4 und 5 AktG und §§ 108–110, 171 Abs. 1 Satz 2 AktG. Das MitbestG baut auf diese Regelungen auf; es ergänzt sie oder weicht von ihnen ab in den §§ 27–29, 31 und 32 MitbestG. Schließlich befasst sich der Kodex in den Abschnitten A II, C und D in einer Reihe von Grundsätzen, Empfehlungen und Anregungen mit Fragen der Organisation des Aufsichtsrats.

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2. Geschäftsordnung Die gesetzlichen Bestimmungen lassen erheblichen Raum für ergänzende, teils auch für abweichende Regelungen über die Organisation der Aufsichtsratstätigkeit. Dazu ist zunächst die Satzung befugt. Satzungsregelungen in Geschäftsordnungsfragen binden den Aufsichtsrat2. Das gilt auch für Gesellschaften, die dem MitbestG unterliegen. Das MitbestG schränkt die Kompetenz der Satzung zur Regelung von Geschäftsordnungsfragen nicht ein3. Es können aber nicht alle Fragen durch die Satzung geregelt werden, über einige Punkte, z.B. die Aufgabendelegation auf Ausschüsse, kann nur der Aufsichtsrat selbst entscheiden; vgl. dazu jeweils die Ausführungen zu den betreffenden Fragenkreisen.

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Soweit nicht schon die Satzung Regelungen getroffen hat, kann der Aufsichtsrat sich selbst eine Geschäftsordnung geben und darin – soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen – seine Organisation regeln4. D.1 des Kodex empfiehlt dem Aufsichtsrat den Erlass einer Geschäftsordnung und deren Einstellung auf die Internetseite der Gesellschaft. Für Aufsichtsratsbeschlüsse über Erlass, Änderung

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Hommelhoff, BFuP 1977, 507, 508. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 328 = AG 1975, 219. Vgl. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 119 = AG 1982, 218. Vgl. dazu die Muster bei Hoffmann-Becking, Beck’sches Formularbuch, Formulare X.17 und 18; Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band 1, Formular V.52 und 59; E. Vetter in Happ, Aktienrecht, Formulare 9.01 und 9.02.

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§ 11 Rz. 653 | Die Organisation des Aufsichtsrats

und Aufhebung einer Geschäftsordnung gelten die allgemeinen Regeln der Beschlussfassung (vgl. Rz. 715 ff.). Es genügt daher im Regelfall die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Satzung kann, soweit die Gesellschaft nicht dem MitbestG unterliegt, eine qualifizierte Mehrheit vorschreiben (s. auch Rz. 735 f.)5; der Aufsichtsrat selbst kann ein höheres Mehrheitserfordernis hingegen nicht einführen6. In mitbestimmten Gesellschaften ist der Einsatz der Zweitstimme des Vorsitzenden (§ 29 Abs. 2 MitbestG) zulässig7. Die Geschäftsordnung gilt so lange fort, bis sie vom Aufsichtsrat geändert oder aufgehoben wird. Mitgliederwechsel im Aufsichtsrat berühren die Geschäftsordnung nicht8. Der Aufsichtsrat kann sich über die von ihm selbst erlassene Geschäftsordnung im Einzelfall hinwegsetzen, ohne die Geschäftsordnung als solche zu ändern9. Verstöße gegen Geschäftsordnungsbestimmungen der Satzung können hingegen zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führen10. 3. Selbstorganisationspflicht; Effizienzprüfung 654

Im Rahmen der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben ist der Aufsichtsrat nicht nur zur näheren Regelung seiner Organisation berechtigt. Er ist dazu auch verpflichtet, soweit organisatorische Maßnahmen zur sachgerechten Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind11. Das Gesetz geht davon aus, dass die Aufgaben des Aufsichtsrats von allen Mitgliedern gemeinsam erledigt werden, es räumt aber die Möglichkeit ein, innerhalb des Aufsichtsrats spezielle Aufgabenträger zu errichten. In größeren Aufsichtsräten lässt sich die Fülle der Aufgaben in aller Regel nur arbeitsteilig bewältigen, indem einzelne Aufsichtsratsmitglieder je nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten Teilaufgaben für das Gesamtorgan übernehmen. Dies hat der Ge5 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 4. 6 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 185; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 4. 7 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 14; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 46; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 4. 8 OLG Hamburg v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, WM 1982, 1090, 1092 = AG 1983, 21; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 35; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 184; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 14; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 5; abweichend Schubert in Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 24; Säcker, DB 1977, 2031, 2036, die die Fortgeltung der alten Geschäftsordnung bei einem neu gewählten Aufsichtsrat nur akzeptieren wollen, wenn der neue Aufsichtsrat auf der Grundlage der alten Geschäftsordnung seine Tätigkeit aufnimmt, ohne dass der Antrag gestellt wird, die Geschäftsordnung zu ändern oder aufzuheben. 9 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 35; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 190; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 4. 10 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 189; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 181; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 16; einschränkend Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 23. Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen vgl. Rz. 739 ff. 11 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Hommelhoff/Mattheus, AG 1998, 249, 254.

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Allgemeines | Rz. 655 § 11

samtaufsichtsrat zu organisieren: Kein Aufsichtsratsmitglied ist zur Erledigung sämtlicher Angelegenheiten des Aufsichtsrats verpflichtet, jedes Mitglied ist aber verpflichtet, für die sachgerechte Erledigung sämtlicher Angelegenheiten Sorge zu tragen. Dazu gehört die Verteilung der Aufgaben auf Ausschüsse und einzelne Aufsichtsratsmitglieder, die Koordination dieser Ressorttätigkeiten und vor allem ihre Überwachung und die Einrichtung eines funktionsfähigen Informations- und Kontrollsystems innerhalb des Gesamtaufsichtsrats und zwischen ihm und seinen Untereinheiten12. D.13 des Kodex empfiehlt dem Aufsichtsrat, regelmäßig zu beurteilen, wie wirksam der Aufsichtsrat insgesamt und seine Ausschüsse ihre Aufgabe erfüllen; in der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f HGB) soll der Aufsichtsrat berichten, ob und wie eine Selbstbeurteilung durchgeführt wurde. Inhaltlich gibt der Kodex die Durchführung der Effizienzprüfung nicht weiter vor13. Wie schon nach Ziff. 5.6 Kodex 2017 geht es in erster Linie um Organisation und Verfahrensabläufe14, daneben wird aber auch die inhaltliche Seite der Aufsichtsratsarbeit einzubeziehen sein15. Gegenstand der Kodex-Empfehlung ist die Evaluation der Tätigkeit sowohl des Gesamtorgans als auch seiner Ausschüsse; denkbar ist es auch, die Selbstevaluation auf die Tätigkeit der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder zu erstrecken16. Die Effizienzprüfung ist Sache des Plenums und dort einmal jährlich zu erörtern, wobei die Vorbereitung in den Händen eines Ausschusses oder des Aufsichtsratsvorsitzenden liegen kann17. Auch die Hinzuziehung externer Berater ist möglich18, ob das allerdings sinnvoll ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden19. In der Praxis geht der Erörterung zumeist eine Befragung der Aufsichtsratsmitglieder in Form von Fragebögen voraus20. Ge12 Zum Ganzen ausführlich Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 298 ff. m.w.N.; E. Vetter in Liber amicorum Winter, 2011, S. 701, 703 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 41 ff. 13 v. Werder in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1496; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.6 Rz. 1; a.A. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 8 („wohl eher als Anregung zu verstehen“). 14 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 3; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 221. 15 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 8; v. Werder in Kremer/Bachmann/ Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1497; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.6 Rz. 2. 16 Zur Frage der Zweckmäßigkeit einer solchen Erstreckung v. Werder in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1499. 17 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 3; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 223 f.; v. Werder in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1498; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.6 Rz. 4; Seibt, DB 2003, 2107, 2110. 18 Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.6 Rz. 4. 19 Zu verallgemeinernd demgegenüber Grünbuch Europäischer Corporate Governance Rahmen, KOM (2011) 164 Nr. 1.3, S. 9 f., wo ein regelmäßiger Rückgriff auf einen externen „Facilitator“ (z.B. jedes 3. Jahr) als vorteilhaft angesehen wird; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 221 („sinnvoll, wenn nicht sogar angezeigt“). 20 Näher zum Evaluationsverfahren insbesondere v. Werder in Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1497 ff.; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.6 Rz. 3 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 223 f.; Seibt, DB 2003, 2107, 2111.

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§ 11 Rz. 655 | Die Organisation des Aufsichtsrats

nauere Vorgaben zur Selbstevaluation finden sich in den Empfehlungen der EUKommission zu den Aufgaben für nichtgeschäftsführende Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Gesellschaften21. 4. Ausstattung des Aufsichtsrats 656

Der Aufsichtsrat hat als Annex zu seinen allgemeinen Aufgaben die Befugnis, im Namen der Gesellschaft Geschäfte abzuschließen, die zur Erfüllung der Aufgaben des Aufsichtsrats erforderlich sind (sog. Hilfsgeschäfte)22. Dazu gehört etwa die Hinzuziehung von Sachverständigen zu einer Sitzung (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG), die Beauftragung von Sachverständigen nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG, aber zum Beispiel auch – soweit erforderlich – die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu sonstigen Fragen, für welche die Kenntnisse und Erfahrung der Mitglieder nicht genügen (dazu näher Rz. 1012 ff.), die Beauftragung eines Personalberaters zur Unterstützung bei der Vorstandssuche, die Mandatierung von Prozessbevollmächtigten in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand, die Zusage von Auslagenersatz an einen Vorstandsbewerber usw. Von der Vertretungsmacht des Aufsichtsrats umfasst, ist auch die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft bei etwaigen Streitigkeiten mit dem Beauftragten aus dem Auftragsverhältnis23. Eine entsprechende Vertretungsmacht für Hilfsgeschäfte haben auch Aufsichtsratsausschüsse und der Aufsichtsratsvorsitzende im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgaben (vgl. dazu Rz. 681, 1014).

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Ob der Aufsichtsrat auch über solche Einzelfälle hinaus berechtigt ist, sich durch Rechtsgeschäfte im Namen der Gesellschaft die für seine Tätigkeit gewünschten sächlichen und persönlichen Hilfsmittel zu beschaffen (z.B. Einstellung einer Hilfskraft, Einrichtung eines Aufsichtsratssekretariats usw.) ist umstritten24. Nach herkömmlicher Auffassung bedarf es insoweit der Mitwirkung des Vorstands. Dem Aufsichtsrat und seinen Mitgliedern stehe für im Rahmen der Amtstätigkeit veranlasste Aufwendungen ein Aufwendungsersatzanspruch analog §§ 675, 670 BGB zu, der vom Vorstand zu prüfen und zu erfüllen sei25. Es liegt allerdings auf der Hand, dass der Aufsichtsrat seinen immer anspruchsvoller werdenden Aufgaben nicht gerecht werden kann, ohne dass ihm dafür angemessene Hilfsmittel zur Verfügung stehen, 21 ABl. EU Nr. L 52 v. 15.2.2005, S. 51 ff.; dazu eingehend Spindler, ZIP 2005, 2033 ff.; Maul, BB-Special 9/2005, S. 2 ff. 22 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, AG 2018, 436 = ZIP 2018, 926 Rz. 13 ff.; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 24 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 3; Habersack, MünchKomm. AktG, § 112 Rz. 4; Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461, 465 f.; E. Vetter in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 125 ff. 23 BGH v. 20.3.2018 – II ZR 359/16, AG 2018, 436 = ZIP 2018, 926 Rz. 13 ff. 24 Für die Zulässigkeit etwa Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 158; Hasselbach, Der Aufsichtsrat 2012, 36, 37 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 57; Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461 ff.; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 127; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 3; Menkel, AG 2019, 330, 333 f.; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 184. 25 Vgl. nur Schnorbus/Ganzer, BB 2019, 258, 259 ff.; Menkel, AG 2019, 330, 334.

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Allgemeines | Rz. 658 § 11

und es würde seiner Aufgabe und der dafür erforderlichen Unabhängigkeit nicht gerecht, ihn dabei zwingend an die Mitwirkung des Vorstands zu binden. Um dem Aufsichtsrat insoweit größere Flexibilität einzuräumen, wird zunehmend der Vorschlag gemacht, für den Aufsichtsrat ein Budget einzurichten, über das er nach eigenem Ermessen verfügen kann. Manche Autoren verlangen dafür eine Satzungsregelung oder einen Hauptversammlungsbeschluss analog § 113 AktG26; dagegen spricht allerdings, dass es hier nicht um die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder geht, sondern um die für seine Aufgabenerledigung angemessene Ausstattung, für die die Hauptversammlung weder zuständig ist, noch in Anbetracht der Eigenverantwortlichkeit des Aufsichtsrats zuständig sein sollte27. Andere Stimmen halten es nur für möglich, ein etwaiges Aufsichtsratsbudget durch Vorstand und Aufsichtsrat einvernehmlich einzurichten28. Weitergehende Vorschläge zielen darauf ab, dem Aufsichtsrat selbst das Recht zur Aufstellung eines Budgets zuzubilligen, verbunden mit einer internen Zahlungsanweisungskompetenz oder einem direkt seiner Verfügungsbefugnis unterliegenden Bankkonto29. Tatsächlich spricht alles dafür, dem Aufsichtsrat schon de lege lata das Recht zuzubilligen, nach eigenem Ermessen und ohne Mitwirkung des Vorstands über Ausgaben im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit zu entscheiden und die Gesellschaft dabei zu vertreten30. Ein besonderes Budget ist dafür nicht erforderlich. Denn es steht außer Frage, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats entsprechend § 670 BGB Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen haben, die sie den Umständen nach für erforderlich halten dürfen (vgl. auch Rz. 845 ff.)31. Darüber entscheidet zwar, wenn es um Auslagen des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds geht, im ersten Zugriff der Vorstand (arg. § 93 Abs. 3 Nr. 7 AktG)32. Aber es ist anerkannt, dass im Streit über Grund oder Höhe des Ersatzanspruchs die Entscheidungszuständigkeit nicht beim Vor26 Theisen, Der Aufsichtsrat 2011, 1; Theisen, BFuP 2012, 349, 356 ff. 27 Ebenso Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 24; E. Vetter in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 136 ff.; Plagemann, NZG 2016, 211, 214 f. Zur Frage eines Budgets für Fortbildungsmaßnahmen der Aufsichtsratsmitglieder auch Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1418; allgemein zu Fortbildungskosten Rz. 846. 28 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 17; Scherb-Da Col, Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 469 f.; Schnorbus/Ganzer, BB 2019, 258/268 ff. 29 So Knoll/Zachert, AG 2011, 309, 311 ff.; Diekmann/Wurst, NZG 2014, 121, 126 f.; Plagemann, NZG 2016, 211,214 f.; Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461, 466 ff.; ablehnend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 26; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 24; E. Vetter in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2014, 2015, S. 115, 138 ff.; Habersack, AG 2014, 1, 7. 30 Ebenso Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 26; Scherb-Da Col, Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 87 ff., 165 ff.; Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461, 463 ff.; Hasselbach/Rauch, DB 2018, 1713/1715 f.; Plagemann, NZG 2016, 211, 214 f.; grundsätzlich auch E. Vetter in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 129 f., der allerdings die Aufgabenstellung des Aufsichtsrats zu eng sieht. 31 Vgl. statt aller Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2b; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 28 ff. 32 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2b; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 26.

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§ 11 Rz. 658 | Die Organisation des Aufsichtsrats

stand, sondern beim Aufsichtsrat liegt und die Gesellschaft durch den Aufsichtsrat vertreten wird33. Dann kann für Aufwendungen, die nicht das einzelne Aufsichtsratsmitglied, sondern der Aufsichtsrat als Organ veranlasst, von vornherein nichts anderes gelten, sondern der Aufsichtsrat muss das Recht haben, eigenverantwortlich und ohne Mitwirkung des Vorstands die Aufwendungen zu veranlassen, die er den Umständen nach für erforderlich hält. Seine Befugnis, nicht nur gesellschaftsintern über die Maßnahme zu entscheiden, sondern auch im Außenverhältnis die Gesellschaft bei der Veranlassung solcher Aufwendungen zu vertreten, leitet sich unschwer aus seiner Vertretungsbefugnis für Hilfsgeschäfte ab. Der Vorstand hat dann jedenfalls dafür zu sorgen, dass die so begründeten Zahlungsverpflichtungen von der Gesellschaft erfüllt werden. Zur unmittelbaren Verfügung über die Gesellschaftskonten soll der Aufsichtsrat hingegen nicht befugt sein34; es spricht jedoch einiges für die Annahme, dass der Vorstand auf Verlangen des Aufsichtsrats verpflichtet ist, dem Aufsichtsrat durch Einrichtung eines seiner Verfügungsbefugnis unterliegenden Kontos die unmittelbare Bezahlung der von ihm eingegangenen Hilfsgeschäfte zu ermöglichen35. Eine eigene Kompetenz, die Zweckmäßigkeit der Aufwendungen des Aufsichtsrats zu prüfen, steht dem Vorstand nicht bzw. nur dann und insoweit zu, wie es um die Frage geht, ob der Aufsichtsrat mit den veranlassten Aufwendungen seine Sorgfaltspflicht aus § 116 AktG überschritten hat36. 659

Die Frage, welche Aufwendungen der Aufsichtsrat als zur sachgerechten Erledigung seiner Aufgaben erforderlich ansieht, hat er mit der ihm obliegenden Sorgfalt zu entscheiden; dabei ist ihm, wie auch sonst bei der Erledigung seiner Aufgaben, ein angemessener Beurteilungsspielraum zuzubilligen (§§ 116, 93 Abs. 1 Satz 2 AktG)37. Was an Ausstattung sachgerecht ist, hängt von den Verhältnissen der Gesellschaft ab. Selbstverständlich benötigt der Aufsichtsrat Sekretariatsunterstützung für seine Tätigkeit, um die Einladungen zu schreiben und zu verschicken, Sitzungsräume zu organisieren usw. Daneben können viele weitere Unterstützungsleistungen für den Aufsichtsrat nötig werden, wie die Vorbereitung des schriftlichen und mündlichen Berichts an die Hauptversammlung, die Ausarbeitung von Analysen, Präsentationen und Übersetzungen, die Vorbereitung und Auswertung der Effizienzprüfung des Aufsichtsrats, die Protokollierung seiner Sitzungen usw38. In kleineren und mittleren

33 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2b; Habersack, MünchKomm. AktG, § 113 Rz. 26; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 26; Schnorbus/Ganzer, BB 2019, 258, 264 f.; a.A. Fonk, NZG 2009, 761, 765. 34 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 112 Rz. 3; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 24; Scherb-Da Col, Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 412 ff.; v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 957; Habersack, AG 2014, 1, 7. 35 So namentlich Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461, 466 ff.; vgl. im übrigen oben Fn. 29. 36 Scherb-Da Col, Die Ausstattung des Aufsichtsrats, 2018, S. 426 ff.; Schnorbus/Ganzer, BB 2019, 259, 263 ff.; E. Vetter in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 115, 133 f. 37 Plagemann, NZG 2016, 211, 215. 38 Näher Schnorbus/Ganzer, BB 2019, 258, 259 ff.; Henning in Orth/Ruter/Schichold, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, 2013, S. 157, 166 ff.

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Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 660 § 11

Gesellschaften wird dies vielfach im Geschäftsbereich des Vorstandsvorsitzenden oder des Chefsyndikus erledigt39, größere Gesellschaften richten zumeist ein eigenes Aufsichtsratsbüro ein40. Neben solchen Unterstützungsleistungen kann bei großen Gesellschaften auch die Bereitstellung eigener Büro- und Besprechungsräume für den Aufsichtsratsvorsitzenden angemessen sein. Ebenso ist es vertretbar, dass der Aufsichtsratsvorsitzende für seine dienstlichen Aufgaben auf die Fahrbereitschaft des Unternehmens zurückgreifen kann oder in ganz großen Gesellschaften sogar einen eigenen Dienstwagen mit Fahrer erhält (strikt beschränkt auf eine dienstliche Nutzung, eine Privatnutzung wäre Vergütung und daher hauptversammlungspflichtig, § 113 Abs. 1 AktG). All das entscheidet der Aufsichtsrat nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen, ohne an die Zustimmung des Vorstands gebunden zu sein. Im Allgemeinen wird es sachgerecht sein, hierfür auf die vorhandenen Ressourcen der Gesellschaft (Mitarbeiter, Räumlichkeiten, Sachausstattungen) zuzugreifen. Insoweit führt dann an der Mitwirkung des Vorstands kein Weg vorbei, den Vorstand trifft aber eine Kooperationspflicht. Wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, die gewünschten Hilfsmittel aus eigenen Beständen zur Verfügung zu stellen, oder wenn es der Aufsichtsrat aus besonderen Gründen als nicht zweckmäßig ansieht, auf die Einrichtungen und das Personal der Gesellschaft zurückzugreifen, darf er sich die gewünschten Hilfsmittel unmittelbar extern beschaffen und die Gesellschaft dabei vertreten.

II. Der Vorsitz im Aufsichtsrat 1. Bestellung des Vorsitzenden und des Stellvertreters a) Rechtslage nach dem Aktiengesetz Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen (§ 107 Abs. 1 Satz 1 AktG). Wahlberechtigt ist allein der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit. Abweichende Satzungsregelungen (z.B. Wahl durch die Hauptversammlung) sind nicht möglich41. Auch eine Übertragung der Wahl auf einen Aufsichtsratsausschuss schließt das Gesetz aus (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). Selbst wenn der Aufsichtsrat die Wahl pflichtwidrig unterlässt, kann nicht an seiner Stelle die Hauptversammlung die Wahl vornehmen42; in einem sol39 Kritisch dazu Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461, 463; Hasselbach/Rauch, DB 2018, 1713/1715; zu Funktionspflichten bei gleichzeitiger Tätigkeit für Vorstand und Aufsichtsrat auch Scherb-Da Col, Board 2018, 159 f. 40 Näher zu Funktion und Aufgaben des Aufsichtsratsbüros Henning in Orth/Ruter/Schichold, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, 2013, S. 157, 164 ff.; Diekmann/ Wurst, NZG 2014, 121/124 ff.; Plagemann, NZG 2016, 211, 212 ff.; Scherb-Da Col, Board 2018, 159 f.; Walther/Kirstan, ZCG 2018, 175; Strohn in FS K. Schmidt, 2019, Bd. II, S. 461 f. 41 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 4; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 8. 42 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 6; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 8.

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§ 11 Rz. 660 | Die Organisation des Aufsichtsrats

chen Fall kann jedoch analog § 104 Abs. 2 AktG eine gerichtliche Ersatzbestellung erfolgen43. 661

Das Gesetz schreibt die Wahl eines Vorsitzenden und mindestens eines Stellvertreters vor. Der Aufsichtsrat kann nicht zwei Vorsitzende als „Doppelspitze“ wählen44, die Wahl mehrerer Stellvertreter steht ihm jedoch nach eigenem Ermessen frei. In der Satzung kann die Zahl der Stellvertreter bis auf einen begrenzt45 oder umgekehrt die Wahl mehrerer Stellvertreter vorgeschrieben werden.

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Wählbar sind nur Aufsichtsratsmitglieder. Die Wahl zum Vorsitzenden oder Stellvertreter kann aber unter der aufschiebenden Bedingung der Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied schon vorher erfolgen46; die Praxis macht von dieser Möglichkeit immer wieder einmal Gebrauch. Weitergehende Beschränkungen des passiven Wahlrechts als die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat bestehen nicht47 und können auch von der Satzung nicht vorgeschrieben werden48. Die Satzung kann also z.B. die Wählbarkeit nicht von der Zugehörigkeit zur Gruppe der Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter, von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Familienstamm, von einem Mindestalter, einem bestimmten Aktienbesitz u.Ä. abhängig machen. Ebenso wenig kann die Satzung die Auswahlfreiheit des Aufsichtsrats dadurch beschränken, dass sie die Wahl an die Zustimmung anderer Stellen (z.B. Hauptversammlung, Vorstand, einzelne Aktionäre usw.) bindet49; auch der Aufsichtsrat selbst ist nicht in der Lage, seine Wahl von der Zustimmung anderer Stellen abhängig zu machen. C.10 des Kodex empfiehlt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende unabhängig von der Gesellschaft und vom Vorstand sein soll; das ist nach Empfehlung C.7 Abs. 1 des Kodex der Fall, wenn der Vorsitzende in keiner persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu der Gesellschaft steht, die einen wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt begründen kann.

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Für das Wahlverfahren gelten, sofern die Satzung keine anderen Vorschriften enthält, die allgemeinen Regelungen über Beschlussfassungen des Aufsichtsrats (vgl. nä43 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 6; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 23; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 25; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 31; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 8. Zur Wahrnehmung der Aufgaben und Funktionen bei Fehlen von Vorsitzendem und Stellvertreter, vgl. LG Mainz v. 19.12.1989 – 10 HO 65/89, GmbHR 1990, 513, 515 f. = AG 1991, 33. 44 Hüffer/Koch, Komm. AktG, 107 Rz. 4; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 17 Fn. 68; Bachmann in FS Baums, 2017, S.107/124. Für den Vorstandsvorsitz ist die Frage umstritten, vgl. dazu Rz. 476. 45 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 53; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 17. 46 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 9. 47 Vgl. z.B. OLG Köln v. 9.5.2019 – 18 Wx 4/19, ZIP 2019, 1910 f. (Zulässigkeit der Wahl eines Arbeitnehmervertreters zum Vorsitzenden). 48 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 4; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 9. 49 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 14; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 17.

292

Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 665 § 11

her Rz. 715 ff.). Normalerweise ist die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich. Die Satzung kann eine relative Mehrheit für die Wahl genügen lassen50; umgekehrt kann sie wohl auch eine höhere als die einfache Stimmenmehrheit verlangen51. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können ihre Stimme auch für ihre eigene Wahl abgeben; auch daran kann die Satzung nichts ändern52. Geheime Wahl ist zulässig53, kann aber nicht durch die Satzung vorgeschrieben werden54. Zur Einberufung und Leitung der Sitzung, in der der Vorsitzende gewählt wird, vgl. Rz. 692 ff. und 706 f. Der Vorsitzende und seine Stellvertreter sind vom Vorstand zum Handelsregister anzumelden (§ 107 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Anmeldung braucht nicht in notariell beglaubigter Form zu erfolgen. Sie hat nur den Charakter einer Mitteilung an das Registergericht. Eine Eintragung oder Veröffentlichung erfolgt nicht. Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 AktG ist der Vorsitzende, nicht jedoch sein Stellvertreter, überdies auf allen Geschäftsbriefen mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen anzugeben55.

664

Sofern nicht etwas anderes bestimmt ist, endet die Amtszeit als Vorsitzender oder Stellvertreter mit der Amtszeit, für die der Betreffende zum Aufsichtsratsmitglied gewählt wurde56. Erfolgt eine Wiederwahl zum Aufsichtsratsmitglied, verlängert sich damit nicht automatisch auch die Amtszeit als Vorsitzender bzw. Stellvertreter57. Satzung, Geschäftsordnung oder der Wahlbeschluss können abweichende Bestimmungen treffen. Dort kann vorgesehen werden, dass die Amtszeit als Vorsitzender bzw. als Stellvertreter im Falle einer Wiederwahl zum Aufsichtsratsmitglied auch über die laufende Amtsperiode hinaus andauert58; umgekehrt kann auch eine kürzere Amts-

665

50 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 4; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 15; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 9. 51 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 4; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 23; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 9; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 44; einschränkend Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 20; ganz ablehnend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 14. 52 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 4; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 14; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 9. 53 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 23; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 51; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 12; zweifelnd Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 19. 54 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 51; zweifelnd auch Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 12; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 22. 55 Zu den Anforderungen des § 80 AktG bei plötzlicher Vakanz im Aufsichtsratsvorsitz, Haßler, BB 2016, 461. 56 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 31; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 15. 57 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 30. 58 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 15.

293

§ 11 Rz. 665 | Die Organisation des Aufsichtsrats

zeit bestimmt werden (z.B. einjährige Amtsdauer)59. Das Amt als Vorsitzender bzw. als Stellvertreter endet in jedem Fall mit dem Ausscheiden des Betreffenden aus dem Aufsichtsrat; abweichende Regelungen sind weder durch die Satzung noch durch den Aufsichtsrat selbst möglich60. Die Amtszeiten des Vorsitzenden und des Stellvertreters müssen sich nicht decken, sondern können auch, sofern nicht die Satzung etwas anderes vorschreibt, unterschiedlich festgelegt werden61. 666

Der Aufsichtsrat kann die Wahl zum Vorsitzenden bzw. Stellvertreter durch Beschluss jederzeit widerrufen. Die Satzung oder die Geschäftsordnung können aber bestimmen, dass eine Abberufung nur aus wichtigem Grund möglich ist62. Für die Abberufung ist – sofern nicht die Satzung oder die Geschäftsordnung etwas anderes regeln – dieselbe Mehrheit erforderlich wie für die Wahl63, normalerweise also die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Ein Widerruf aus wichtigem Grund kann nicht durch Satzungs- oder Geschäftsordnungsregelungen erschwert werden und ist daher stets mit einfacher Stimmenmehrheit möglich64. Der Vorsitzende bzw. der Stellvertreter ist bei der Abstimmung über seine Abberufung stimmberechtigt, wenn die Abberufung nicht aus wichtigem Grund erfolgen soll; bei einer Abberufung aus wichtigem Grund ist er vom Stimmrecht ausgeschlossen65.

667

Die Niederlegung des Amtes als Vorsitzender bzw. Stellvertreter ist grundsätzlich jederzeit möglich, genauso wie die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat jederzeit niedergelegt werden kann (vgl. Rz. 35). Allerdings darf die Amtsniederlegung nicht zur Unzeit erfolgen; sie ist zwar auch dann wirksam, jedoch pflichtwidrig66. Ist die Niederlegung des Amtes als Aufsichtsratsmitglied durch die Satzung an bestimmte Formen und Fristen oder das Vorliegen eines wichtigen Grundes geknüpft, wird dies entsprechend auch für die Niederlegung des Vorsitzenden- bzw. Stellvertreteramtes gelten müssen67. Andernfalls erfolgt die Amtsniederlegung durch formlose Erklärung ge-

59 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 30; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 63. 60 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 15. 61 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 30; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 30; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 18. 62 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 36; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 34; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 63 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 33; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 64 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 33; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 65 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 34; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 17. 66 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 37; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 35; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 67 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 37; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 66; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16.

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Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 670 § 11

genüber dem Aufsichtsrat68, wobei jedenfalls Zugang beim Stellvertreter genügt69, aber auch eine Erklärung gegenüber einem der anderen Aufsichtsratsmitglieder ausreichen dürfte. Eine Niederlegungserklärung gegenüber dem Vorstand reicht nicht70; man wird aber annehmen können, dass eine solche Erklärung vom Vorstand an den Aufsichtsrat weiterzuleiten ist und dann mit Zugang beim Aufsichtsrat wirksam wird71. b) Besonderheiten nach dem MitbestG In mitbestimmten Gesellschaften gelten gemäß § 27 MitbestG teilweise Sonderregelungen. Diese Sonderregelungen sind zwingend; weder Satzung noch Aufsichtsrat können davon also abweichen:

668

Gemäß § 27 Abs. 1 MitbestG bedarf die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters im ersten Wahlgang der Mehrheit von 2/3 der Stimmen der nach dem Gesetz erforderlichen Aufsichtsratsmitglieder (Sollstärke). Die Abstimmung über die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters kann gleichzeitig vorgenommen werden. Es ist aber auch eine getrennte Abstimmung möglich72.

669

Kommt die Wahl auch nur einer der beiden Positionen mit der im ersten Wahlgang erforderlichen 2/3-Mehrheit nicht zustande, ist in einem zweiten Wahlgang erneut abzustimmen. Dabei wählen die Anteilseignervertreter den Vorsitzenden, die Arbeitnehmervertreter den Stellvertreter; es genügt jeweils die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen in den Wählergruppen (§ 27 Abs. 2 MitbestG). Der zweite Wahlgang soll alsbald nach dem ersten erfolgen; der Aufsichtsrat kann aber mit Zustimmung aller Teilnehmer des ersten Wahlgangs beschließen, den ersten Wahlgang noch einmal zu wiederholen73. Die Abstimmungen der beiden Gruppen im zweiten Wahlgang können in einer Plenarsitzung des Aufsichtsrats, ebenso gut aber in getrennten Sitzungen vorgenommen werden74. Beschlussfähig sind die beiden Gruppen

670

68 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 37; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 69 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 37; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 66; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 70 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 66; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 34; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 71 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 37; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 38; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 18; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 16. 72 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 6; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 12; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 27. 73 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 6; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 12; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 27. 74 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 8; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 13; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 28.

295

§ 11 Rz. 670 | Die Organisation des Aufsichtsrats

entsprechend § 28 MitbestG, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen sie zu bestehen haben (Sollstärke), an der Beschlussfassung teilnehmen75. 671

In beiden Wahlgängen ist jedes Aufsichtsratsmitglied an sich unabhängig von seiner Gruppenzugehörigkeit wählbar76, jedoch geht das Gesetz von einem Anteilseignervertreter als Vorsitzendem und einem Arbeitnehmervertreter als seinem Stellvertreter aus; hiervon abzuweichen (etwa bei Gesellschaften unter Einfluss der öffentlichen Hand), kann treuwidrig gegenüber den Interessen der anderen Beteiligten sein.

672

Auch in Gesellschaften unter dem MitbestG ist die Wahl weiterer Stellvertreter zulässig77. Die Satzung kann auch hier die Wahl weiterer Stellvertreter anordnen, sie kann aber nicht die Auswahlfreiheit des Aufsichtsrats beschränken. Namentlich kann nicht durch die Satzung vorgeschrieben werden, dass die beiden Stellvertreter der einen oder anderen Gruppe von Aufsichtsratsmitgliedern zugehören müssten78. Für die Wahl weiterer Stellvertreter gilt nicht das Wahlverfahren nach § 27 MitbestG. Vielmehr finden die allgemeinen Regeln über die Beschlussfassung im Aufsichtsrat nach § 29 MitbestG Anwendung79; der Aufsichtsrat beschließt also mit einfacher Stimmenmehrheit, notfalls mit Einsatz der Zweitstimme des Vorsitzenden (vgl. näher Rz. 737).

673

Wie unter dem AktG (vgl. Rz. 660) ist auch für Gesellschaften unter dem MitbestG eine gerichtliche Notbestellung des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters analog § 104 AktG zulässig, wenn der Aufsichtsrat seiner Bestellungspflicht nicht nachkommt80.

674

Für die Amtszeit gilt das Gleiche wie unter dem AktG (vgl. Rz. 665). Satzung oder Aufsichtsrat können Bestimmungen über die Amtszeit treffen; allerdings müssen sich – anders als unter dem AktG – die Amtszeiten des Vorsitzenden und seines

75 Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 8; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 13; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 28. 76 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 7; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 13; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 28. 77 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106 = AG 1982, 218 (Siemens). 78 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 116 = AG 1982, 218 (Siemens). 79 OLG Hamburg v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, AG 1983, 21, 22; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 19; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 25 MitbestG Rz. 7; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 30; a.A. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 15. 80 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 4; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 5; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 29; jetzt auch Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 15.

296

Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 675 § 11

Stellvertreters decken81. Haben die Satzung oder der Aufsichtsrat keine besonderen Regelungen über die Amtszeit getroffen, sind der Vorsitzende und sein Stellvertreter für die Dauer ihrer laufenden Amtsperiode als Aufsichtsratsmitglied gewählt82. Die Wahl zum Vorsitzenden und zum Stellvertreter ist auch in mitbestimmten Gesellschaften jederzeit widerruflich. Wurde der Betreffende im ersten Wahlgang nach § 27 Abs. 1 MitbestG gewählt, bedarf es zur Abberufung ebenfalls der Mehrheit von zwei Dritteln der Sollstärke des Aufsichtsrats83. Wurde der Betreffende im zweiten Wahlgang nach § 27 Abs. 2 MitbestG gewählt, ist seine Abberufung mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen derjenigen Gruppe möglich, von der er gewählt wurde; hingegen genügt nicht eine 2/3-Mehrheit des gesamten Aufsichtsrats84. Satzungsregelungen, die die Abberufung gegenüber diesen Grundsätzen erleichtern (z.B. Abberufung schon mit einfacher Mehrheit des Gesamtaufsichtsrats), sind unzulässig85. Bestimmungen, die die Abberufung erschweren, wird man für zulässig halten können86, allerdings nur für die Abberufung ohne wichtigen Grund (vgl. Rz. 666). 81 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 10; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 16; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 31. 82 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 10; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 16; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 31. 83 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 13; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 17; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 25; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 7; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 33; a.A., einfache Mehrheit: Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 23 f.; Döring/Grau, NZG 2010, 1328, 1329 ff.; Säcker, BB 2008, 2252, 2254; Meyer-Landrut, DB 1978, 443; Hönig, DB 1979, 745; ein Drittel-Minderheit: Reuter, AcP 179 (1979), 509, 531 f. 84 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 13a; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 27; Oetker, Großkomm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 15; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 33; Döring/Grau, NZG 2010, 1328, 1330; a.A. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 18; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 9; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 24; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 279 f., die auch eine Abberufung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Sollstärke des gesamten Aufsichtsrats zulassen wollen; noch anders Annuß, MünchKomm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 17 f. 85 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 13; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 20; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 28; Oetker, Großkomm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 13; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 9. 86 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 13; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 20; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 286; Reuter, AcP 179 (1979), 509, 532; a.A. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 28; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 25.

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675

§ 11 Rz. 676 | Die Organisation des Aufsichtsrats 676

Werden der Vorsitzende oder sein Stellvertreter abberufen oder legen sie ihr Amt nieder, hat dies auf das Amt des jeweils anderen keine Auswirkungen87. Abweichende Satzungsregelungen dürften unzulässig sein88. Für die vakant gewordene Position ist unverzüglich eine Nachwahl durchzuführen, für welche ebenfalls die Wahlvorschriften des § 27 Abs. 1 und 2 MitbestG Anwendung finden89. Ersatzvorsitzende bzw. -stellvertreter, die automatisch nachrücken, können nicht bestellt werden90. 2. Aufgaben des Vorsitzenden und des Stellvertreters

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Der Aufsichtsratsvorsitzende ist kein besonderes Organ der AG, sondern nur Mitglied des Aufsichtsrats, dem allerdings in einer Reihe gesetzlicher Einzelvorschriften besondere Aufgaben zugewiesen sind und dem kraft Gewohnheitsrecht all diejenigen Aufgaben obliegen, die dem Vorsitzenden eines Gremiums üblicherweise zustehen91. Seine Aufgaben gliedern sich in drei Funktionsbereiche92: die Koordination und Leitung des Aufsichtsratsverfahrens, die Repräsentation des Aufsichtsrats, insbesondere gegenüber Vorstand und Hauptversammlung, und die Vertretung der Gesellschaft bei Abgabe bestimmter Handelsregistererklärungen (vgl. z.B. §§ 184 Abs. 1, 188 Abs. 1, 195 Abs. 1, 207 Abs. 2, 223, 229 Abs. 3 und 237 Abs. 2 AktG). Zumeist wird ihm daneben durch die Satzung auch die Leitung der Hauptversammlung übertragen. Nach Grundsatz 7 Satz 2 des Kodex koordiniert der Aufsichtsratsvorsitzende die Arbeit im Aufsichtsrat und nimmt die Belange des Aufsichtsrats nach außen wahr; nach Empfehlung D.6 soll er zwischen den Sitzungen mit dem Vorstand, insbesondere dessen Vorsitzenden oder Sprecher, regelmäßig Kontakt halten. Die be-

87 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 12; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 19; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 32; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 29. 88 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 8; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 271; a.A. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 25; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 26; Philipp, ZGR 1978, 60, 68 f. 89 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 11; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 21 ff.; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 32. 90 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 11; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 21; Oetker, Großkomm. AktG, § 27 MitbestG Rz. 17; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 32; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 26; Philipp, ZGR 1978, 60, 74 f. 91 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 8; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 44; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 40; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 21; a.A. Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 27 ff. 92 So die Unterscheidung von Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 16 ff.; ähnlich Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 19; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 4 Rz. 38; v. Schenck, AG 2010, 649, 650.

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Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 679 § 11

triebswirtschaftliche Literatur stellt mit Recht heraus, dass dem Aufsichtsratsvorsitzenden für die Erfüllung der Aufsichtsratsaufgaben die Schlüsselrolle zukommt93. Die wesentlichen Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden betreffen die Verfahrensleitung und -koordination im Aufsichtsrat94. Er beruft die Sitzungen des Aufsichtsrats ein (§ 110 Abs. 1 AktG), bereitet sie vor und leitet sie, er hat die Ausschusstätigkeit zu koordinieren und anderes mehr (vgl. z.B. noch §§ 107 Abs. 2 Satz 1, 109 Abs. 2 AktG). Satzung oder Geschäftsordnung können in diesem Bereich der Verfahrensleitung die Rechtsstellung des Vorsitzenden ergänzend regeln, soweit damit nicht das zwingende Organisationsrecht der AG berührt wird95; vgl. dazu näher Rz. 689 ff. In mitbestimmten Gesellschaften ist der Vorsitzende der Inhaber des Zweitstimmrechts (§§ 29 Abs. 2, 31 Abs. 4 MitbestG) und kraft Amtes Mitglied des Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG.

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Zur Repräsentation des Aufsichtsrats gehört die Informationsvermittlung zwischen dem Aufsichtsrat und anderen Organen der AG96, vor allem aber ist der Aufsichtsratsvorsitzende der allgemeine Ansprechpartner des Vorstands, der mit diesem in ständiger Fühlungnahme zu stehen hat97. Das betont auch Empfehlung D.6 des Kodex, die in diesem Zusammenhang insbesondere die Beratung der Strategie, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem Vorstand hervorhebt98. Der Aufsichtsratsvorsitzende empfängt darüber hinaus die Vorstandsberichte (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AktG) und leitet sie weiter (§ 90 Abs. 5 Satz 3 AktG); vgl. dazu näher Rz. 222. In der Hauptversammlung hat der Aufsichtsratsvorsitzende den Bericht des Aufsichtsrats über die Prüfung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses und

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93 Näher Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ (AKEIÜ) der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Köln, DB 2018, 2189 mit Thesen zu Best Practices zur Führung des Aufsichtsrats. Zur Bedeutung des AR-Vorsitzenden für eine erfolgreiche Aufsichtsratsarbeit auch Hönsch/Fischer/Kaspar, Der Aufsichtsrat 2017, 126. 94 Umfassend Breidenich, Die Organisation der Aufsichtsratsarbeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, 2020, S. 7 ff.; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 24 ff.; aus empirischer Sicht Trögel, Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme des Vorsitzenden im Aufsichtsrat, 2013, S. 49 ff. 95 Umfassend Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 321 ff. 96 Dazu Rz. 222, sowie umfassend Breidenich, Die Organisation der Aufsichtsratsarbeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, 2020, S. 7 ff.; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 138 ff.; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 4 Rz. 41 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 110 ff. 97 Näher dazu Breidenich, Die Organisation der Aufsichtsratsarbeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, 2020, S. 253 ff.; Krieger, ZGR 1985, 338, 340 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 202 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 39; v. Schenck, AG 2010, 649, 650, 652 f. 98 Vgl. dazu auch v. Schenck, AG 2010, 649, 652 f., 654 ff., der einerseits die Notwendigkeit eines solchen laufenden Austausches zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem anerkennt, andererseits aber befürchtet, dass sich die Beteiligten damit „streng rechtlich gesehen häufig im Grenzbereich des Zulässigen“ bewegten, und der deshalb eine gesetzliche Regelung empfiehlt.

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§ 11 Rz. 679 | Die Organisation des Aufsichtsrats

seine Überwachungstätigkeit (vgl. Rz. 561 ff.) zu erläutern (§ 176 Abs. 1 Satz 2 AktG). Zur Ausübung des Besitzes an Unterlagen des Aufsichtsrats vgl. Rz. 714. 680

Kontrovers beurteilt wird die Frage, ob dem Aufsichtsratsvorsitzenden auch die Funktion als Ansprechpartner für institutionelle Investoren und größere Aktionäre zukommt. Ziff. 5.2 Abs. 2 des Kodex enthielt hierzu seit der Fassung 2017 die Anregung, der Vorsitzende sollte in angemessenem Rahmen bereit sein, mit Investoren über aufsichtsratsspezifische Themen Gespräche zu führen. Die Neufassung 2020 des Kodex hat diese Anregung unter A.3 beibehalten. Sie ist – auch bei Wahrung der Grenzen des Insiderrechts (§ 10 MMVO) und der Verschwiegenheitspflicht (§ 116 AktG) – nicht unproblematisch. In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist umstritten, inwieweit der Aufsichtsrat zu Investorengesprächen befugt oder dies als Teil der Leitungsaufgabe dem Vorstand vorbehalten ist99. Dabei ginge einerseits eine generelle Ablehnung von Investorenkontakten des Aufsichtsrats zu weit, denn mit den Aufgaben des Aufsichtsrats kann sich die Annexkompetenz verbinden, darüber auch zu reden, soweit dies im Interesse der Gesellschaft liegt100. Andererseits muss sich eine Außenkommunikation des Aufsichtsrats aber auf seine eigenen Aufgabenbereiche beschränken und darf nicht in die Leitungskompetemz des Vorstands eingreifen101. Die Aufgaben des Aufsichtsrats sind zur Kommunikation mit Anlegern jedoch wenig geeignet102, denn auch aus dem Bereich der Aufsichtsratszuständigkeiten kommt vieles nicht für Stellungnahmen nach außen in Betracht, ohne damit zugleich in Vorstandsangelegenheiten einzugreifen. Zulässig kann danach die Besprechung von Corporate Governance Themen und Fragen der Zusammensetzung und Vergütung des Aufsichtsrats sein103. Zu Fragen der Unternehmensentwicklung und Strategie hingegen104 darf sich der Aufsichtsrat, auch wenn sie Gegenstand seiner Überwachung 99 Zurückhaltend etwa Holle, ZIP 2019, 1895, 1897 ff.; Koch, AG 2017, 129, 131 ff.; E. Vetter, AG 2016, 873, 876; großzügiger etwa Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 155 ff., § 111 Rz. 574 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 40; Reutershahn, Unternehmensbezogene Außenkommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden, 2019, S. 158 ff.; Landsittel, Investorenkommunikation, 2019, S. 154 ff. 100 Auf eine Annexzuständigkeit abstellend auch Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 577; eingehend Landsittel, Investorenkommunikation, 2019, S. 196 ff.; Holle, ZIP 2019, 1895, 1897; Tietz/Hammann/Hoffmann, Der Aufsichtsrat 2019, 69. 101 Letzteres im Grundsatz wohl unbestritten, vgl. etwa Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 579; Landsittel, Investorenkommunikation, 2019, S. 224 ff.; Reutershahn, Unternehmensbezogene Außenkommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden, 2019, S. 170 ff.; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 523. 102 Nachdrücklich DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2017, 57, 59 f. Zu Leitlinien für den Dialog namentlich Initiative „Developing Shareholder Communication“, Acht Leitsätze für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat, AG-Report 2016, 300 sowie Hirt/ Hopt/Matheus, AG 2016, 725 ff. 103 Vgl. dazu die Studie von Titz/Hammann/Hoffmann, Der Aufsichtsrat 2019, 69, 70, wonach diese drei Themen als die in DAX-Unternehmen am häufigsten erörterten Fragen genannt werden; zu zulässigen Gesprächsthemen auch Holle, ZIP 2019, 1895, 1897 f. 104 Vgl. auch hierzu die Studie von Titz/Hammann/Hoffmann, Der Aufsichtsrat 2019, 69, 70, wonach diese Fragen von der Gesamtheit der befragten Unternehmen als die am häufigsten erörterten genannt wurden.

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Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 682 § 11

und Beratung des Vorstands sind, nicht am Vorstand vorbei nach außen erklären105. Zu beachten ist außerdem, dass das Amt des Vorsitzenden aufsichtsratsintern nicht das Recht verleiht, sich ohne Ermächtigung durch das Plenum zu konkreten Themen der Aufsichtsratsarbeit zu äußern106. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden steht als Annexkompetenz das Recht zu, im Namen der Gesellschaft diejenigen Hilfsgeschäfte abzuschließen, die für eine ordnungsgemäße Durchführung seiner Aufgaben erforderlich sind. Er kann also z.B., soweit das erforderlich ist, Räume für die Sitzung anmieten, einem gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG zuzuziehenden Sachverständigen Kostenerstattung zusagen oder im Namen der Gesellschaft Rechtsrat einholen, wenn er diesen im Rahmen seiner Aufgaben benötigt107. Ob zu den zulässigen Hilfsgeschäften auch der Abschluss einer Honorarvereinbarung mit einem Sachverständigen zählt, ist umstritten; manche wollen dies erst nach vorangegangener Beschlussfassung des Aufsichtsrats108 oder unter dem Vorbehalt zulassen, dass der Aufsichtsrat der Hinzuziehung nicht widerspricht109. Richtigerweise entscheidet sich die Frage danach, ob es sich noch um ein Hilfsgeschäft zur Vorbereitung der Sitzung handelt oder nicht. Dient die Beauftragung des Sachverständigen einer angemessenen und üblichen Sitzungsvorbereitung, kann der Aufsichtsratsvorsitzende auch das Honorar vereinbaren, geht sie darüber hinaus, bedarf es der Zustimmung des Aufsichtsrats.

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Soweit darüber hinaus für die rechtsgeschäftliche (Aktiv-)Vertretung der Gesellschaft der Aufsichtsrat zuständig ist (Vertretung gegenüber dem Vorstand nach § 112 AktG; Zuziehung von Sachverständigen nach § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG; sonstige Hilfsgeschäfte zur Durchführung der Aufsichtsratsaufgaben; vgl. Rz. 455 ff.), hat der Vorsitzende nach h.M. von Gesetzes wegen keine besonderen Befugnisse. Das ist zutreffend, soweit es um die Entscheidung über die Vornahme des Geschäfts geht. Hierfür ist der Gesamtaufsichtsrat zuständig; die Willensbildung kann (in den Grenzen von § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG) einem Ausschuss übertragen werden, nicht jedoch

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105 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 40; Holle, ZIP 2019, 1895, 1898; Koch, AG 2017, 129, 133 f.; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2014, 57, 59; großzügiger wohl Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 111 Rz. 579. 106 Landsittel, Investorenkommunikation, 2019, S. 240 ff.; Reutershahn, Unternehmensbezogene Außenkommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden, 2019, S. 244 ff.; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2014, 57, 59 f.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 40; Holle, ZIP 2019, 1895, 1900; Schilha/Theusinger, NZG 2019, 521, 524 f.; Koch, AG 2017, 129, 135; E. Vetter, AG 2016, 873, 874 f.; tendenziell großzügiger wohl Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 156. 107 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 53; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 149 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 23; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 44; Breidenich, Die Organisation der Aufsichtsratsarbeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, 2020, S. 311 ff.; a.A. Menkel, AG 2019, 330, 337 f., der ohne ausdrückliche Ermächtigung durch Satzung, GO oder AR-Beschluss Gesamtvertretung durch alle AR-Mitglieder annimmt. 108 So Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 182 ff. 109 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 53; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 59.

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§ 11 Rz. 682 | Die Organisation des Aufsichtsrats

dem Vorsitzenden allein110. Ob der Vorsitzende kraft seines Amtes berechtigt ist, die vom Plenum oder dem zuständigen Ausschuss getroffene Entscheidung durch Abgabe der nötigen Willenserklärungen, Unterzeichnung der entsprechenden Verträge usw. zu vollziehen, ist umstritten. Nach h.M. ist er hierzu nicht kraft Amtes befugt, sondern muss besonders ermächtigt werden111; die Ermächtigung kann durch einen Aufsichtsratsbeschluss oder die Geschäftsordnung erteilt werden, sie kann aber auch in der Satzung enthalten sein112. Es wird allerdings verbreitet angenommen, dass bei Aufsichtsratsbeschlüssen, die durch Rechtsgeschäfte umgesetzt werden müssen, die Ermächtigung in dem Beschluss konkludent enthalten sei113. Überzeugender ist es, den Aufsichtsratsvorsitzenden kraft Amtes als befugt anzusehen, die Beschlüsse des Aufsichtsrats oder seiner Ausschüsse zu vollziehen114. Davon zu unterscheiden ist die Passivvertretung der Gesellschaft: Soweit die Gesellschaft durch den Aufsichtsrat vertreten wird, genügt für das Wirksamwerden einer Willenserklärung der Zugang bei einem Aufsichtsratsmitglied (§§ 112 Satz 2, 78 Abs. 2 Satz 2 AktG). 683

Der Vorsitzende ist überdies zuständig für sonstige Erklärungen des Aufsichtsrats an die Öffentlichkeit, namentlich Presseerklärungen u.Ä. Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat zu solchen Erklärungen allerdings überhaupt nicht befugt. Denn er ist reines Innenorgan, die Vertretung der Gesellschaft nach außen obliegt dem Vorstand. Gelegentlich kann es aber im Interesse der Gesellschaft erforderlich sein, die Meinung des Aufsichtsrats zu bestimmten Fragen der Öffentlichkeit zu erläutern; in Ausnahmefällen und zur Abwendung von erheblichen Nachteilen für die Gesellschaft kann der Aufsichtsrat auch befugt sein, andere Informationen an die Öffentlichkeit zu geben (vgl. dazu Rz. 284). Die Abgabe solcher Erklärungen ist dann Sache des Aufsichtsratsvorsitzenden, einer besonderen Ermächtigung bedarf es dazu nicht115.

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Der Stellvertreter des Vorsitzenden übt dessen Aufgaben nur im Verhinderungsfall aus (§ 107 Abs. 1 Satz 3 AktG). Das ist der Fall, wenn der Vorsitzende – aus welchen 110 Vgl. dazu schon Rz. 456 und Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 52; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 21. 111 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 285; OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, NZG 2004, 141, 142 f. = AG 2004, 321; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 59 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 52. 112 OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 60; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 145; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 95; a.A. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 112 Rz. 16, der Satzungsregelungen für unzulässig hält; unklar Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 52, § 112 Rz. 41. 113 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 52; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 60; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 43; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 112 Rz. 16. 114 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 102; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 146; eingehend Breidenich, Die Organisation der Aufsichtsratsarbeit durch den Aufsichtsratsvorsitzenden, 2020, S. 293 ff.; Drinhausen/Marsch-Barner, AG 2014, 337/ 348 f.; Bednarz, NZG 2005, 418, 419 ff. 115 Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 176.

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Der Vorsitz im Aufsichtsrat | Rz. 685 § 11

Gründen auch immer – zur rechtzeitigen Ausübung des Dienstgeschäfts nicht in der Lage ist. Ist es hingegen möglich und zumutbar, dass der Vorsitzende die Aufgabe innerhalb eines Zeitraums, der ohne Nachteil für die Gesellschaft abgewartet werden kann, selbst erledigt, liegt keine Verhinderung vor. Es kommt also stets darauf an, wie eilig die jeweilige Maßnahme ist. Ist der Vorsitzende in der Lage, die Aufgabe selbst rechtzeitig zu erledigen, kann er sie seinem Stellvertreter nicht überlassen116. Es ist also z.B. nicht möglich, dass sich der Vorsitzende und sein Stellvertreter aus „Paritätsgründen“ in der Sitzungsleitung abwechseln. Sind mehrere Stellvertreter gewählt, ist in aller Regel eine Rangfolge dieser Stellvertreter festgelegt. Fehlt es daran, wird man annehmen müssen, dass der an Lebensjahren ältere Stellvertreter vor dem jüngeren berufen ist, solange nicht der Aufsichtsrat etwas anderes beschließt117; in mitbestimmten Gesellschaften ist bei der Wahl mehrerer Stellvertreter allerdings zunächst der durch die Arbeitnehmer gewählte Stellvertreter zur Vertretung berufen118. Ist die Gesellschaft mitbestimmt, ist auch der Stellvertreter kraft Amtes Mitglied des Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG; ein Zweitstimmrecht steht ihm jedoch nicht zu (§§ 29 Abs. 2 Satz 3; 31 Abs. 4 Satz 3 MitbestG). 3. Ehrenvorsitzender Die Gesellschaft kann Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, den Titel eines Ehrenvorsitzenden (oder -mitglieds) des Aufsichtsrats oder der Gesellschaft verleihen. Für die Verleihung bedarf es keiner besonderen Zulassung durch die Satzung119. Die Satzung kann jedoch Regelungen treffen, ob ein solcher Titel verliehen werden darf und welches Verfahren dabei einzuhalten ist120. Ohne besondere Satzungsregelung sind sowohl die Hauptversammlung als auch der Aufsichtsrat zu der Ernennung berechtigt121. In der Praxis kann sich die Ernennung durch die Hauptver116 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 72; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 23; a.A. Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 57. 117 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 10; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 28; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 107 AktG Rz. 12; a.A. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 58, der auf Dienstjahre statt Lebensjahre abstellen will; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 71, die Stellvertreter könnten sich untereinander abstimmen, es könne aber auch jeder von ihnen eine Sitzung einberufen, damit der Aufsichtsrat entscheiden könne, wer von ihnen die Vertretung übernehmen solle. 118 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 20; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 33; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 71. 119 Lutter, ZIP 1984, 645, 649; Siegel in FS Peltzer, 2001, S. 519, 526 f. 120 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 74; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 229; Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 973; Lutter, ZIP 1984, 645, 648; Siegel in FS Peltzer, 2001, S. 519, 526 f. 121 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 62; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 74; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 229; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 25; a.A. Lutter, ZIP 1984, 645, 649; Binge/Schiffer, DB 1992, 875 (alleinige Kompetenz der Hauptversamm-

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§ 11 Rz. 685 | Die Organisation des Aufsichtsrats

sammlung empfehlen, um dem Titel auf diese Weise zusätzliches Gewicht zu geben122. 686

Irgendwelche Rechte in Bezug auf den Aufsichtsrat verbinden sich mit der Verleihung des Titels nicht. Zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen ist ein Ehrenvorsitzender oder -mitglied nur in denselben engen Grenzen befugt wie sonstige Dritte123; vgl. dazu Rz. 703 ff. Besondere Informationsrechte stehen einem Ehrenvorsitzenden nicht zu; auch ihm gegenüber gilt vielmehr uneingeschränkt die allgemeine aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG124. Der Ehrenvorsitzende hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Vergütung, insbesondere steht ihm nicht die für Aufsichtsratsmitglieder festgesetzte Vergütung zu125. Allerdings ist es zulässig, dem Ehrenvorsitzenden in entsprechender Anwendung von § 113 AktG, d.h. durch Satzungsregelung oder Hauptversammlungsbeschluss, einen „Ehrensold“ zu gewähren126.

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Die Satzung kann den Ehrenvorsitzenden zum Leiter der Hauptversammlung bestimmen127. Daneben ist es zulässig, dass die Gesellschaft den Ehrenvorsitzenden mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben für die Gesellschaft beauftragt, insbesondere mit repräsentativen Aufgaben und der Pflege von Kontakten zu Kunden und Lieferanten. Im Rahmen solcher Vertragsverhältnisse ist naturgemäß die Zahlung einer angemessenen Vergütung zulässig, außerdem besteht gemäß § 670 BGB Anspruch auf Ersatz angemessener Auslagen128. Dabei ist nur zu beachten, dass der Eh-

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lung); Jüngst, BB 1984, 1583, 1584; Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 973 f., 977 f. (alleinige Kompetenz des Aufsichtsrats); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 76 (Einvernehmen von Aufsichtsrat und Vorstand erforderlich). Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 62. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 63; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 76; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 72; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 25; Böttcher, NZG 2012, 809, 810; Lutter, ZIP 1984, 645, 651 f.; a.A. Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 974 ff. (Teilnahme- und Rederecht aufgrund Aufsichtsratsbeschlusses); Siebel in FS Peltzer, 2001, S. 519, 533 f.; Jüngst, BB 1984, 1583, 1584. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 63; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 232; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 21 Rz. 25; Lutter, ZIP 1984, 645, 652 f.; a.A. Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 976 ff.; Jüngst, BB 1984, 1583, 1585. Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 73; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 231; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 25; Lutter, ZIP 1984, 645, 653. Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 73; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 64; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 231; Lutter, ZIP 1984, 645, 653; weitergehend, aber nicht überzeugend Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 974, der Aufsichtsrat habe die „Annexkompetenz aus der Ernennungskompetenz“ zur Gewährung eines Ehrensoldes. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 64; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 25. Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 73; Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 974.

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 690 § 11

renvorsitzende für Repräsentations- und Kontaktpflegeaufgaben nicht „kraft Amtes“ zuständig ist. Voraussetzung ist vielmehr eine besondere Auftragserteilung durch die Gesellschaft. Vertreten wird die Gesellschaft dabei durch den Vorstand (§ 78 AktG), ist der Ehrenvorsitzende ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrats, wird zum Teil empfohlen, wegen § 114 AktG vorsorglich auch die Zustimmung des Aufsichtsrats einzuholen129; rechtlich erforderlich ist das aber nicht130.

III. Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat 1. Aufsichtsratssitzung a) Zahl der Sitzungen Der Aufsichtsrat muss zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abhalten (§ 110 Abs. 3 Satz 1 AktG). Wie die beiden Pflichtsitzungen auf das Kalenderhalbjahr verteilt werden, liegt im Ermessen des Aufsichtsrats oder seines Vorsitzenden. Die frühere Regelung, wonach der Aufsichtsrat einmal im Kalendervierteljahr zusammentreten sollte, ist im Zuge der Neufassung des § 110 Abs. 3 AktG durch das TransPuG entfallen.

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In nicht börsennotierten Gesellschaften (§ 3 Abs. 2 AktG) kann der Aufsichtsrat beschließen, dass nur eine Sitzung im Kalenderhalbjahr abzuhalten ist (§ 110 Abs. 3 Satz 2 AktG). Dafür genügt ein Aufsichtsratsbeschluss mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen131 (vgl. Rz. 735 f.). Unberührt bleibt das Recht jedes Aufsichtsratsmitglieds, gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG die Einberufung weiterer Sitzungen zu verlangen132. Der Aufsichtsrat kann sich mit den vorgeschriebenen Mindestsitzungen begnügen, solange nicht wegen besonderer Umstände weitere Sitzungen erforderlich sind133. Die Satzung kann häufigere Sitzungen vorschreiben134.

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Vor der Neufassung von § 110 Abs. 3 AktG durch das TransPuG wurde verbreitet angenommen, dass die vorgeschriebene Zahl der Mindestsitzungen ein körperliches Zusammentreten der Aufsichtsratsmitglieder verlangte und Telefon- oder Videokonferenzen nicht ausreichten135. Mit der Neufassung von § 110 Abs. 3 AktG haben

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129 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 12; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 64. 130 So auch Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 231; Johannsen-Roth/Kießling, NZG 2013, 972, 974. 131 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 46; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 35. 132 Begr. RegE TransPuG, BR-Drucks. 109/02, S. 37 f. 133 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 50; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 35. 134 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 46; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 72; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 35. 135 Begr. RegE TransPuG, BR-Drucks. 109/02, S. 38; Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, Rz. 57; Kindler, NJW 2001, 1678, 1689; vgl. auch den Diskussionsbericht zum ZHR-Symposion 2001 von Casper, ZHR 165 (2001), 219, 221.

305

§ 11 Rz. 690 | Die Organisation des Aufsichtsrats

die Verfasser des Gesetzentwurfs die Absicht verbunden, „jedenfalls in begründeten Ausnahmefällen“ auch eine Sitzung in Form einer Telefon- oder Videokonferenz als auf die Zahl der Mindestsitzungen anrechenbare Sitzung ausreichen zu lassen; dies soll im Wortlaut der Regelung dadurch zum Ausdruck kommen, dass dem Aufsichtsrat in Abkehr vom bisherigen Wortlaut („zusammentreten“) nur noch vorgeschrieben wird, eine Sitzung „abzuhalten“136. In der Literatur wird vor diesem Hintergrund zum Teil angenommen, die Mindestsitzungen könnten ohne Einschränkung per Video-, Internet- oder Telefonkonferenz abgehalten werden137, andere Auffassungen sind zurückhaltender, indem sie etwa Video-, nicht jedoch Telefonkonferenzen genügen lassen wollen138 oder mindestens eine Präsenzsitzung im Jahr oder Halbjahr verlangen139. Mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Mindestanzahl von Sitzungen lässt sich die Anrechnung von Telefon- und Videokonferenzen nur schwer vereinbaren, weil eine Beratung per Telefon- oder Videokonferenz bei einer umfangreichen Tagesordnung, komplizierten Gegenständen oder einem großen Personenkreis in ihrer Qualität deutlich hinter einem persönlichen Treffen zurückbleibt. Telefon- oder Videokonferenzen sollten sich deshalb in der Regel auf eilige Erörterungen und Beschlussfassungen außerhalb der regulären Sitzungsfrequenz beschränken; sie sind dann naturgemäß auch nicht auf die Zahl der Mindestsitzungen anrechenbar. Die Abhaltung der vorgeschriebenen Mindestsitzungen in Form einer Telefon- oder Videokonferenz kann nur bei kleinen Aufsichtsräten oder einer einfachen Tagesordnung und auch dann nur ausnahmsweise reichen; ein Aufsichtsrat, der diese Form der Sitzung zur Regel werden lässt, verletzt seine Sorgfaltspflichten140. Die Satzung kann im Übrigen vorschreiben, dass der Aufsichtsrat zur Durchführung der Mindestsitzungen körperlich zusammentreten muss. Beschlüsse können in einer Telefonoder Videokonferenz nur gefasst werden, wenn kein Mitglied widerspricht (§ 108 Abs. 4 AktG); vgl. dazu näher Rz. 729. 691

Außer zu den Mindestsitzungen nach § 110 Abs. 3 AktG hat der Vorsitzende den Aufsichtsrat stets dann einzuberufen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Urteil ein Zusammentreten des Aufsichtsrats im Interesse des Unternehmens erforderlich ist oder wenn dies von einem Aufsichtsratsmitglied oder dem Vorstand nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangt wird (dazu Rz. 695 ff.).

136 Begr. RegE TransPuG, BR-Drucks. 109/02, S. 38. 137 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 35; Schick in Wachter, Komm. AktG, § 110 Rz. 12; Tomasic in Grigoleit, Komm. AktG, § 110 Rz. 8, allerdings mit dem Hinweis, die Aufgaben des Aufsichtsrats würden sich ohne regelmäßige Präsenzsitzungen kaum in angemessener Weise erfüllen lassen; Götz, NZG 2002, 599, 602. 138 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 33; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 81; Wasse, AG 2011, 685, 689; Kindl, ZHR 166 (2002), 335, 346; Wagner, NZG 2002, 57, 62. 139 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 11; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 76; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 45; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 35; Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 110 Rz. 10; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 110 Rz. 20. 140 Ebenso Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 45; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 35.

306

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 693 § 11

b) Einberufung Die Einberufung der Sitzungen141 erfolgt durch den Vorsitzenden, der jedes Aufsichtsratsmitglied einzuladen hat; er kann, was in der Praxis häufig geschieht, den Vorstand bitten, die Einladung in seinem Namen auszusprechen142. Sind der Vorsitzende und sein Stellvertreter (noch) nicht gewählt, können jedes Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand den Aufsichtsrat einberufen (§ 110 Abs. 2 AktG analog)143. Satzung oder Geschäftsordnung können die Einberufung von der Einhaltung bestimmter Formen (insbesondere Schriftform) und Fristen abhängig machen; in der Praxis wird häufig eine Einberufung in Textform unter Einhaltung einer Frist von zwei Wochen festgelegt. Für den Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied oder der Vorstand die Einberufung verlangen, kann die zweiwöchige Einberufungsfrist des § 110 Abs. 1 Satz 2 AktG jedoch durch die Satzung nicht verlängert werden144. Sind keine besonderen Regelungen getroffen, kann die Einladung formlos (auch mündlich) erfolgen, und zwar so rechtzeitig, dass den Aufsichtsratsmitgliedern eine nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Zeit bis zum Termin bleibt. Es genügt die Aufgabe eines Einladungsschreibens an die bei der Gesellschaft bekannte Anschrift. Auf den Zugang des Schreibens kommt es nicht an, die Aufgabe muss allerdings so frühzeitig erfolgen, dass mit einem rechtzeitigen Zugang gerechnet werden kann145.

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Die Einberufung muss Zeit und Ort der Sitzung angeben. Der Sitzungsort kann auch im Ausland liegen146. Es muss sich allerdings um einen Ort handeln, der für die Aufsichtsratsmitglieder mit zumutbarem Aufwand erreichbar ist. Die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats kann hierzu Regelungen treffen. Die Tagesordnung wird vom Aufsichtsratsvorsitzenden festgesetzt. Sie muss nicht unbedingt der Einberufung beigefügt werden, sondern es genügt, sie in angemessener Zeit vor der Sitzung bekanntzugeben147; ist allerdings eine Einberufungsfrist bestimmt, muss auch die Tagesordnung innerhalb dieser Frist mitgeteilt werden148. Die Gegenstände der Erörterung und Beschlussfassung sind so genau zu bezeichnen, dass den Aufsichtsratsmit-

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141 Muster bei Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band 1, Formular V.60. 142 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 37. 143 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 2; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 7. 144 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 3; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 39, beide mit fehlerhaftem Verständnis der hier vertretenen Auffassung, die sich auf den Fall des Einberufungsverlangens nach § 110 Abs. 1 AktG bezieht. 145 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 3; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 24; Heller, AG 2008, 160 f., 162 mit Hinweis auf eine unveröffentlichte Entscheidung des LG Landshut, die anscheinend einen Zugangsnachweis fordert. 146 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 39; Wasse, AG 2011, 685, 689. 147 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 27; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 18; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 25. 148 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 18; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 40; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 4.

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§ 11 Rz. 693 | Die Organisation des Aufsichtsrats

gliedern eine sachgerechte Vorbereitung möglich ist149. Wenn nicht alle Aufsichtsratsmitglieder zustimmen (dazu Rz. 724), können deshalb zu einem Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ Beschlüsse nicht gefasst werden150. Nach überwiegender Meinung soll auch ein Tagesordnungspunkt „Vorstandsangelegenheiten“ nicht genügen, um über die Bestellung oder das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds Beschluss zu fassen151. Im Einzelfall muss es aber möglich sein, in Abwägung des Informationsinteresses der Aufsichtsratsmitglieder gegen ein besonderes Vertraulichkeitsinteresse der Gesellschaft den Tagesordnungspunkt so allgemein zu bezeichnen, dass sich zwar die Adressaten ein Bild davon machen können, um welches Thema es gehen wird, ohne aber bereits ganz konkret werden zu müssen. Deshalb sollte man nicht nur bei den „Vorstandsangelegenheiten“ etwas großzügiger sein, sondern auch bei vertraulichen Akquisitionsvorhaben eine eher allgemein gehaltene Bezeichnung des Tagesordnungspunkts genügen lassen152. Jedes Aufsichtsratsmitglied und der Vorstand können unter Angabe der Gründe vom Vorsitzenden eine Ergänzung der Tagesordnung verlangen, vorausgesetzt allerdings, dass die Ergänzung noch unter Wahrung der für die Einberufung maßgeblichen Frist möglich ist. Entspricht der Vorsitzende einem solchen Verlangen nicht unverzüglich, wird man annehmen können, dass § 110 Abs. 2 AktG entsprechend anzuwenden ist153; das bedeutet, dass bei einem Ergänzungsverlangen des Vorstands oder eines Aufsichtsratsmitglieds diese selbst durch entsprechende Mitteilung an die übrigen Mitglieder des Aufsichtsrats die Tagesordnung ergänzen können; vgl. dazu auch Rz. 696 f. 694

Die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung ist nicht davon abhängig, dass zugleich oder überhaupt zu den Tagesordnungspunkten auch konkrete Beschlussanträge mitgeteilt werden154. Man wird es aber als Amtspflicht des Vorsitzenden ansehen müssen, möglichst frühzeitig vor der Sitzung die Beschlussanträge mitzuteilen155; ein

149 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1945 (zu § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 19. 150 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 28; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 19; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 19. 151 OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, BB 1985, 879/880 = AG 1985, 193; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 110 Rz. 28; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 19; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 19; a.A. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 41; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rz. 27.35; in der Tendenz großzügiger auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 4. 152 Dazu auch OLG Frankfurt v. 1.10.2013 – 5 U 214/12, NZG 2014, 1017, 1019 f. (TOP „Strategische Weiterentwicklung“); Cahn, AG 2014, 525, 533 f.; Rieger/Rothenfußer, NZG 2014, 1013, 1014. 153 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 20; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 42. 154 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 41. 155 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 4; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 18; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 41.

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 697 § 11

Verstoß gegen diese Pflicht ist jedoch für die Beschlussfassung des Aufsichtsrats ohne Bedeutung. c) Einberufungsverlangen Jedes Aufsichtsratsmitglied sowie der Vorstand kann (und muss) unter Darlegung des Zwecks und der Gründe eine Einberufung des Aufsichtsrats verlangen, wenn er sie für erforderlich hält (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AktG). Das Verlangen ist an den Aufsichtsratsvorsitzenden zu richten. Dieser muss dem Verlangen unverzüglich nachkommen. Er ist – abgesehen von Fällen offensichtlichen Rechtsmissbrauchs – nicht berechtigt, die Einberufung zu verweigern, weil er selbst sie nicht für notwendig hält. Die Einleitung einer Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren oder die Einberufung einer Telefon- oder Videokonferenz genügen nur, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht (§ 108 Abs. 4 AktG; vgl. Rz. 729)156.

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Entspricht der Vorsitzende einem Einberufungsverlangen eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Vorstands nicht binnen 2 Wochen, können diese den Aufsichtsrat selbst einberufen (§ 110 Abs. 2 AktG). Die frühere Rechtslage, wonach nur mindestens zwei Aufsichtsratsmitglieder das Recht zur Selbsteinberufung hatten, ist durch das TransPuG geändert worden. Das Recht zur Selbsteinberufung steht allerdings nur solchen Aufsichtsratsmitgliedern zu, die auch schon selbst (zu demselben Zweck) das Einberufungsverlangen an den Vorsitzenden gerichtet hatten. Es genügt also nicht, dass sich ein Mitglied erst nach der Weigerung des Vorsitzenden dem Einberufungsverlangen eines anderen Mitglieds anschließt, um auch diesem weiteren Mitglied das Recht zur Selbsteinberufung zu verleihen157. In diesem Fall muss das betreffende Mitglied vielmehr zunächst selbst ein Einberufungsverlangen an den Vorsitzenden richten.

696

Die Selbsteinberufung muss unverzüglich erfolgen. Dabei muss das vergebliche Einberufungsverlangen dargelegt werden. Außerdem sind etwaige in Satzung oder Geschäftsordnung für die Einberufung von Aufsichtsratssitzungen vorgeschriebene Formen und Fristen einzuhalten. § 110 Abs. 1 Satz 2 AktG, wonach bei einer vom Vorsitzenden auf Verlangen vorgenommenen Einberufung zwischen Einladung und Sitzung höchstens zwei Wochen liegen dürfen, gilt im Falle der Selbsteinberufung nicht158. Die Satzung kann das Selbsteinberufungsrecht nicht einschränken, wohl aber erweitern159. So kann z.B. nicht bestimmt werden, dass für eine Selbsteinberufung mehr als ein Mitglied erforderlich sei; umgekehrt kann aber das Recht zur

697

156 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 7; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 10; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 15; Wagner, NZG 2002, 57, 62 f. 157 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 18. 158 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 110 Rz. 9; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 20; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 36; a.A. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 41. 159 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 29 m.w.N.

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§ 11 Rz. 697 | Die Organisation des Aufsichtsrats

Selbsteinberufung auch ohne vorherige Einschaltung des Vorsitzenden vorgesehen werden. d) Aufhebung oder Verlegung der Sitzung 698

Bis zum Beginn der Aufsichtsratssitzung kann der Vorsitzende den Termin einer von ihm einberufenen Sitzung verlegen oder ersatzlos aufheben. Das gilt auch für eine Sitzung, die der Vorsitzende auf Verlangen eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Vorstands nach § 110 Abs. 1 AktG einberufen hat. Die Aufhebung einer solchen Sitzung durch den Vorsitzenden ist wirksam; sie ist allerdings pflichtwidrig und löst das Selbsteinberufungsrecht gemäß § 110 Abs. 2 AktG aus. Gleiches gilt bei einer Verlegung, sofern dadurch die Sitzung nicht innerhalb der vorgeschriebenen 2 Wochen seit dem Einberufungsverlangen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AktG) stattfindet160. Eine nach § 110 Abs. 2 AktG durch den Vorstand oder ein Aufsichtsratsmitglied einberufene Sitzung kann der Vorsitzende nicht verlegen oder aufheben. Hat die Sitzung bereits begonnen, kommt nur noch eine Vertagung der ganzen Sitzung oder einzelner Tagesordnungspunkte in Frage161; hierfür ist der Gesamtaufsichtsrat zuständig, der durch Beschluss entscheidet (vgl. dazu Rz. 725). e) Vorbesprechungen bei mitbestimmten Aufsichtsräten

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Für mitbestimmte Aufsichtsräte regte Ziff. 3.6 Abs. 1 des Kodex früher die Durchführung gruppeninterner Vorbesprechungen der Anteilseigner- und der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat an, seit der Kodex-Fassung von Mai 2012 wurde nur noch auf die Möglichkeit solcher Vorbesprechungen hingewiesen, inzwischen werden sie im Kodex nicht mehr erwähnt. In der Praxis fanden sich solche Vorbesprechungen in der Vergangenheit vor allem auf Seiten der Arbeitnehmervertreter, inzwischen macht auch die Anteilseignerseite häufiger davon Gebrauch. Sie sind rechtlich zulässig162, aber alles andere als unproblematisch163. Ihr Vorteil besteht darin, dass innerhalb der „Fraktionen“ vielfach ein offenerer Meinungsaustausch möglich sein wird als im Plenum und die spätere Diskussion im Plenum gestrafft wird, der Nachteil liegt in der Gefahr, Fraktionsdenken zu fördern, die Diskussion im Plenum stark zu entleeren und zu einem ungleichen Informationsstand beider Seiten zu führen164. Bindende Beschlüsse können in solchen Vorbesprechungen nicht gefasst werden165, und auch die faktische Bindung solcher informellen Vorabstimmungen darf 160 Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 33; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 45. 161 Zu der begrifflichen Unterscheidung zwischen Aufhebung, Verlegung und Vertagung vgl. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 45. 162 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 36; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 18; E. Vetter in FS Hüffer, 2011, S. 1017, 1022; Sünner, AG 2012, 265, 266 f.; Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261 ff. 163 Kritisch E. Vetter in FS Hüffer, 2011, S. 1016, 1021 f.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 18. 164 Näher E. Vetter in FS Hüffer, 2011, S. 1016, 1021 f.; Sünner, AG 2012, 265, 266 f. 165 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 36; Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261, 262 f.

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 700 § 11

nicht so weit gehen, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied nicht mehr bereit wäre, aufgrund etwa neuer Gesichtspunkte, die sich in der nachfolgenden Plenardiskussion ergeben, seine aufgrund der Vorbesprechung gebildete vorläufige Meinung zu ändern166. Die Mitglieder des Vorstands dürfen an den Vorbesprechungen teilnehmen und den Aufsichtsratsmitgliedern alle von diesen gewünschten Informationen erteilen167; sie müssen aber sicherstellen, dass auch die Vertreter der anderen Seite – sei es in deren Vorbesprechung, sei es in der Plenarsitzung – alle relevanten Informationen erhalten, die der einen Seite in der Vorbesprechung gegeben wurden168. Eine Verpflichtung der Vorstandsmitglieder, an Vorbesprechungen der Fraktionen teilzunehmen, besteht hingegen nicht und kann auch durch Satzung oder Geschäftsordnung nicht begründet werden können169. f) Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen Zur Teilnahme an den Sitzungen des Aufsichtsrats ist jedes Mitglied berechtigt und verpflichtet. D.8 des Kodex empfiehlt hierzu, im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) anzugeben, an wie vielen Sitzungen des Aufsichtsrats und der Ausschüsse die einzelnen Mitglieder jeweils teilgenommen haben. Ein Ausschluss vom Teilnahmerecht ist ausnahmsweise bei gravierender Gefährdung der Interessen der Gesellschaft möglich; das kann z.B. in Frage kommen, wenn über Betriebsgeheimnisse verhandelt wird und aufgrund konkreter Tatsachen ein Geheimnisverrat durch das betreffende Mitglied dringend zu befürchten ist170 oder ein Interessenkonflikt besteht, der ein Stimmverbot nach sich zieht (dazu näher Rz. 904 ff.). Über den Ausschluss entscheidet in diesen Fällen der Aufsichtsrat durch Beschluss171. Daneben ist ein Ausschluss von der Sitzung als letztes Mittel zur Verhinderung von Störungen des Sitzungsverlaufs zulässig172; hierüber entscheidet der 166 Näher E. Vetter in FS Hüffer, 2011, S. 1017, 1025 ff. 167 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 36; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 18; Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261, 264, 266. 168 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 36; Hoffmann-Becking in FS Havermann, 1995, S. 229, 241 f.; E. Vetter in FS Hüffer, 2010, S. 1017, 1023 ff.; Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261, 265. 169 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 34; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 12; a.A. Wittgens/Vollertsen, AG 2015, 261, 265. 170 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 2; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 13 f.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 6 ff.; Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 351; Kindl, Teilnahme, S. 111 ff. 171 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 2; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 10; Semler/Stengel, NZG 2003, 1, 4; weitergehend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 15; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 27, die auch eine entsprechende Anordnung des Vorsitzenden zulassen wollen, gegen welche der Aufsichtsrat angerufen werden könne. 172 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 2; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 11; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 12; Kindl, Teilnahme, S. 88 f.; Säcker, NJW 1979, 1521, 1522.

311

700

§ 11 Rz. 700 | Die Organisation des Aufsichtsrats

Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsleitung173, der Betroffene kann hiergegen jedoch das Plenum anrufen174. 701

Die Satzung kann zulassen, dass an den Sitzungen Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören, anstelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform (§ 126b BGB), d.h. insbesondere schriftlich, per Fax oder per E-Mail, ermächtigt haben (§ 109 Abs. 3 AktG). Für die Praxis ist das von geringer Bedeutung. Die Ermächtigung kann nicht pauschal erteilt werden, sondern muss sich auf die konkrete Sitzung beziehen175. Der Beauftragte hat nicht die Stellung eines Vertreters, sondern wird nur als Stimmbote des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds tätig. Er hat kein Recht, eigene Erklärungen abzugeben und Anträge zu stellen, sondern darf lediglich von seinem Auftraggeber formulierte Erklärungen und Anträge überbringen176. Er darf auch nicht selbst abstimmen, sondern nur eine schriftliche Stimmabgabe des verhinderten Aufsichtsratsmitglieds überreichen (§ 108 Abs. 3 Satz 3 AktG); vgl. dazu auch Rz. 726 ff.

702

Vorstandsmitgliedern steht kein eigenes Recht zur Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen zu; es kann ihnen durch die Satzung nur mit dem Vorbehalt eingeräumt werden, dass der Aufsichtsrat die Teilnahme im Einzelfall ausschließen kann177. Dem Aufsichtsrat steht es aber frei, Mitglieder des Vorstands zu seinen Sitzungen zuzulassen. Auf Verlangen des Aufsichtsrats ist jedes Vorstandsmitglied zur Teilnahme verpflichtet178. Die Teilnahme der Vorstandsmitglieder an den Aufsichtsratssitzungen ist in der Praxis die Regel und im Allgemeinen für eine sachgerechte Zusammenarbeit von Vorstand und Aufsichtsrat unverzichtbar179. Das schließt es nicht aus, dass der Aufsichtsrat bei Bedarf ohne den Vorstand tagt180. D.7 des Kodex empfiehlt seit der Neufassung 2020, der Aufsichtsrat solle regelmäßig auch ohne den Vorstand tagen181. Das lässt sich etwa in der Form organisieren, dass man stets oder von Fall zu Fall am Ende einer Sitzung noch eine allgemeine Aussprache ohne den Vorstand führt. Die Teilnahme des Vorstands muss aber die Regel sein182. Die Entscheidung über die Teilnahme trifft der Aufsichtsratsvorsitzende im Rahmen der Sitzungslei173 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 2; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 11; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 12; Kindl, Teilnahme, S. 88 f. 174 Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 9; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 11; Kindl, Teilnahme, S. 104 f. 175 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 38; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 47. 176 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 41; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 44, 47. 177 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 3; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 17. 178 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 3; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 20; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 49. 179 Uwe H. Schneider, ZIP 2002, 873, 875 f.; Henning, Board 2015, 211, 212. 180 Zur Frage, bei welchen Themen das zweckmäßig ist, vgl. etwa Henning, Board 2015, 211 f. 181 Verhalten kritisch etwa DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2019, 252 Tz. 33. 182 Ebenso Henning, Board 2015, 211, 212.

312

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 704 § 11

tung183; die Entscheidung steht aber – wie alle sitzungsleitenden Maßnahmen des Vorsitzenden – unter dem Vorbehalt, dass der Aufsichtsrat etwas anderes beschließen kann (vgl. Rz. 707). Zur Teilnahme des Abschlussprüfers und des Konzernabschlussprüfers an der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats vgl. Rz. 181 ff. Die Beratung in Anwesenheit anderer Personen ist nur als Ausnahme zulässig (§ 109 Abs. 1 AktG). Grundsätzlich sollen Personen, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehören, an den Sitzungen des Aufsichtsrats nicht teilnehmen (§ 109 Abs. 1 Satz 1 AktG). Insbesondere ist es dem Aufsichtsrat damit untersagt, an seinen Sitzungen ständige Berater oder Gäste (einschließlich von Ehrenmitgliedern des Aufsichtsrats) teilnehmen zu lassen184; auch eine routinemäßige Hinzuziehung künftiger Aufsichtsratsmitglieder wäre nicht zulässig185. Nur als Ausnahme dürfen Sachverständige und Auskunftspersonen von Fall zu Fall zur Beratung über einzelne Tagesordnungspunkte hinzugezogen werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG). Dabei sind die Begriffe Sachverständiger und Auskunftsperson aber weit auszulegen; sie erfassen jeden, von dem der Aufsichtsrat zu dem konkreten Tagesordnungspunkt einen fachkundigen Rat oder eine Information erhalten kann186. Daneben ist die Hinzuziehung von Hilfskräften (Protokollführer, Dolmetscher, Sekretärin) zulässig187. Über die Zulassung entscheidet ebenfalls der Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsleitung188; wie immer kann der Aufsichtsrat aber durch Beschluss anders entscheiden (vgl. Rz. 707).

703

§ 109 Abs. 1 AktG steht auch der regelmäßigen Durchführung gemeinsamer Sitzungen der Aufsichtsräte von Konzerngesellschaften entgegen, wenn diese nicht personenidentisch besetzt sind. Das schließt es jedoch nicht aus, gemeinsame Sitzungen zu Einzelthemen durchzuführen, um bei Themen von konzernweiter oder mehrere Konzerngesellschaften betreffender Bedeutung einen einheitlichen Informationsstand und koordinierte Beratungen und Entscheidungen herbeizuführen. Es handelt sich dann der Sache nach nicht um eine Sitzung des einen Aufsichtsrats, an der Mitglieder des anderen Aufsichtsrats in unzulässiger Weise teilnehmen, sondern um die zulässige und sachgerechte Koordination der Arbeits- und Entscheidungsprozesse mehrerer Aufsichtsräte in einer gemeinsamen Sitzung.

704

183 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 16; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 49. 184 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 4; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 25 und 27; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 25, 47a; Kindl, Teilnahme, S. 46 f.; a.A. Jüngst, BB 1984, 1583, 1585. 185 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 25; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 4; Kindl, Teilnahme, S. 48; Böttcher, NZG 2012, 809, 810; a.A. Janberg/Oesterlink, AG 1960, 240, 243. 186 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 5; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 23; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 47a; Kindl, Teilnahme, S. 16 ff. 187 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 5; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 47a. 188 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 5; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 47; Kindl, Teilnahme, S. 22 f.

313

§ 11 Rz. 705 | Die Organisation des Aufsichtsrats 705

Aufsichtsratssitzungen finden in der Praxis in aller Regel in deutscher Sprache statt. Aufsichtsratsmitglieder, die die deutsche Sprache nicht (ausreichend) beherrschen, haben Anspruch darauf, dass ihnen ein Simultan-Dolmetscher gestellt wird und sie die wesentlichen Unterlagen in Übersetzung erhalten189. Rechtlich zulässig ist es auch, die Sitzung in einer Fremdsprache durchzuführen, wenn dies zweckmäßig erscheint190. Ein Minderheitenrecht auf Abhaltung der Aufsichtsratssitzung in deutscher Sprache ist nicht anzunehmen191; jedoch hat auch bei Verwendung einer Fremdsprache jedes Aufsichtsratsmitglied, welches die Sitzungssprache nicht ausreichend beherrscht, Anspruch auf Stellung eines Simultan-Dolmetschers und auf Vorlage der Unterlagen in deutscher Sprache192. Über die Sitzungssprache entscheidet der Vorsitzende im Rahmen der Sitzungsleitung193. Die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats kann Regelungen hierzu treffen194, hingegen wird man Satzungsregelungen als unzulässigen Eingriff in die Geschäftsordnungsautonomie des Aufsichtsrats nicht zulassen können195. g) Sitzungsleitung

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Die Leitung der Aufsichtsratssitzung obliegt dem Vorsitzenden; ist ein solcher noch nicht gewählt, kann der Aufsichtsrat den Sitzungsleiter bestimmen, oder es übernimmt das an Lebensjahren älteste Mitglied die Leitung. Der Sitzungsleiter entscheidet über die Teilnahme der Vorstandsmitglieder und Dritter (vgl. Rz. 702 f.), bestimmt die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte (kann dabei auch von der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge abweichen)196, erteilt das Wort und bestimmt die Reihenfolge der Redner, kann das Wort entziehen und Redezeitbeschränkungen anordnen197. Der Vorsitzende kann die Sitzung für eine kurze Zeit unterbrechen198, eine Vertagung der ganzen Sitzung oder der Behandlung einzelner Tagesordnungs189 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50; Dreher in FS Lutter, 2000, S. 357, 367. 190 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 127; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50; Wasse, AG 2011, 685, 688. 191 LG Frankfurt a.M. v. 21.2.2004 – 3-03 O 88/03, Der Aufsichtsrat 2005, 11. 192 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 127; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50; Dreher in FS Lutter, 2000, S. 357, 367. 193 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 127; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50. 194 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50. 195 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 50; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1992; Wasse, AG 2011, 685, 688; a.A. Dreher in FS Lutter, 2000, S. 357, 360. 196 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 52; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 102 f. 197 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 50; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 53; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 103 ff. 198 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 126; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 53.

314

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 709 § 11

punkte kann hingegen nur das Plenum beschließen; vgl. Rz. 725. Bei der Fassung von Aufsichtsratsbeschlüssen ist es Sache des Vorsitzenden, die Reihenfolge der Abstimmungen über mehrere Anträge zu bestimmen199, er entscheidet über die Art der Abstimmung200 und stellt das Beschlussergebnis fest201. Auch die Frage, ob Aufsichtsratsmitglieder im Einzelfall einem allgemeinen Stimmverbot analog § 34 BGB unterliegen (vgl. Rz. 731), ist (vorbehaltlich einer gerichtlichen Nachprüfung) vom Vorsitzenden zu entscheiden202; anders als bei Fragen der technischen Sitzungsleitung hat das Plenum bei der Rechtsfrage des Stimmverbots nicht die Möglichkeit, die Entscheidung des Vorsitzenden abzuändern203. Diese Grundsätze dürften auch für das Stimmverbot bei related party transactions nach § 111b Abs. 2 AktG (vgl. Rz. 732) gelten. Die Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen der technischen Sitzungsleitung können durch einen Beschluss des Aufsichtsratsplenums mit einfacher Stimmenmehrheit (Rz. 735 ff.) jederzeit aufgehoben oder geändert werden204. Jedes Aufsichtsratsmitglied hat das Recht, eine Aufhebung oder Änderung zu beantragen und eine Abstimmung hierüber zu verlangen.

707

h) Sitzungsniederschrift Über die Sitzung des Aufsichtsrats ist eine Niederschrift anzufertigen, die der Aufsichtsratsvorsitzende zu unterzeichnen hat (§ 107 Abs. 2 Satz 1 AktG). Das Gleiche gilt, wenn ohne Sitzung Aufsichtsratsbeschlüsse im Wege des Umlaufverfahrens, fernmündlich oder in anderen vergleichbaren Formen gefasst werden (vgl. dazu Rz. 729 f.)205.

708

Die Niederschrift hat die in § 107 Abs. 2 Satz 2 AktG genannten Angaben zu enthalten. Neben Ort und Tag der Sitzung, den Teilnehmern und den Gegenständen der Tagesordnung sind danach der wesentliche Inhalt der Verhandlungen und die Beschlüsse des Aufsichtsrats anzugeben. Die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Verhandlungen erfordert kein Wortprotokoll, sondern eine zusammenfassende Dar-

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199 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 110 Rz. 33; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 54. 200 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 55; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 118 ff. 201 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 48; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 137; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 54a. 202 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 49; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 137; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 54a. 203 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 49; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 54a; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 137. 204 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 46; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 120; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 79 ff. 205 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 90; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 67; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 105.

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§ 11 Rz. 709 | Die Organisation des Aufsichtsrats

stellung der tragenden Gesichtspunkte206. Zur Protokollierung der Beschlüsse des Aufsichtsrats gehört neben der Wiedergabe des Inhalts auch die Art der Beschlussfassung und das genaue Abstimmungsverhältnis207. Wenn der Beschluss auf bestimmte Unterlagen Bezug nimmt (z.B. Zustimmung zu einem im Entwurf vorliegenden Vorstandsvertrag), sind diese Unterlagen als Anlagen beizufügen, weil andernfalls der genaue Beschlussinhalt dem Protokoll nicht zu entnehmen wäre208. 710

Einzelne Mitglieder haben im Allgemeinen nicht das Recht, die wörtliche oder sinngemäße Aufnahme von ihnen abgegebener Erklärungen in das Protokoll zu verlangen209. Ob man dies anders beurteilen muss, wenn eine persönliche Haftung des Aufsichtsratsmitglieds im Zusammenhang mit dem fraglichen Vorgang in Betracht kommen kann210, ist zweifelhaft. Denn jedes Aufsichtsratsmitglied hat das Recht, die Protokollierung eines Widerspruchs zu einem bestimmten Beschluss zu verlangen211 und kann sich damit ausreichend vor Haftungsrisiken schützen.

711

Der Sitzungsleiter hat das Protokoll zu unterzeichnen, auch wenn als Protokollführer ein anderer tätig war. Mit der Unterzeichnung ist die Niederschrift komplett. Eine besondere Genehmigung, etwa in der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats, ist nicht nötig.

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Die Sitzungsniederschrift soll lediglich Beweiszwecken dienen. Ist die Niederschrift unvollständig oder fehlt sie ganz, hat das auf die Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse keinen Einfluss (§ 107 Abs. 2 Satz 3 AktG). Etwaige Unrichtigkeiten der Niederschrift kann der Vorsitzende von sich aus oder auf den Widerspruch von Aufsichts-

206 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 14; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 78; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 100; in den Anforderungen zu weit gehend BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, AG 2017, 196 Rz. 90. 207 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 78; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 99. 208 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 68; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 245; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 81; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 78; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rz. 73. 209 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 23; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 81; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 30; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 100; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 79; Brinkschmidt, Protokolle, S. 62 ff. 210 So Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 100; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 68; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 284, die einen Protokollierungsanspruch nur dann verneinen, wenn eine Haftung eindeutig ausgeschlossen werden könne. 211 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 79; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 100; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 248; Drygala in K. Schmidt/ Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 30; enger Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 23; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 81 (nur bei haftungsrelevanten Sachverhalten).

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 714 § 11

ratsmitgliedern hin korrigieren. Die Entscheidung über eine solche Berichtigung trifft der Vorsitzende allein212. Jedem Mitglied des Aufsichtsrats ist auf Verlangen eine Abschrift der Sitzungsniederschrift auszuhändigen (§ 107 Abs. 2 Satz 4 AktG). Dieses Recht kann nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden213. Es ist jedoch beschränkt auf Sitzungsprotokolle aus der Zeit der Mitgliedschaft des Aufsichtsratsmitglieds; hinsichtlich früherer Aufsichtsratsprotokolle besteht kein Anspruch auf Aushändigung, wohl aber das allgemeine Recht auf Einsicht in die Unterlagen des Aufsichtsrats (vgl. Rz. 828)214. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat haben die Aufsichtsratsmitglieder die ihnen überlassenen Protokolle und sonstigen Gesellschaftsunterlagen entsprechend §§ 666 f. BGB zurückzugeben215. Der Vorstand hat keinen Rechtsanspruch auf Überlassung einer Kopie des Protokolls, es ist aber üblich und zweckmäßig, dem Vorstandsvorsitzenden oder allen Vorstandsmitgliedern eine Kopie zur Verfügung zu stellen, soweit nicht ein Geheimhaltungsinteresse gegenüber dem Vorstand besteht216.

713

Der Besitz an den Protokollen und sonstigen Unterlagen des Aufsichtsrats wird für die Gesellschaft durch den Aufsichtsratsvorsitzenden ausgeübt217. Es ist allerdings zulässig und in der Praxis üblich, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Verwahrung der Protokolle und Unterlagen dem Vorstand überträgt, soweit nicht im Einzelfall Geheimhaltungsgründe entgegenstehen218. Davon zu unterscheiden ist die Frage, durch wen die Gesellschaft vertreten wird, wenn Mitglieder des Aufsichtsrats Klage auf Aushändigung einer Abschrift oder Einsicht in Aufsichtsratsprotokolle erheben oder staatliche Organe die Vorlage verlangen oder eine Beschlagnahme verfügen219. Die überwiegende Meinung geht davon aus, dass die Gesellschaft bei solchen Strei-

714

212 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 14; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 83; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 103. 213 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 16; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 86; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 102. 214 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 87; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 88; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 76; Brinkschmidt, Protokolle, S. 125 f.; zu eng E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rz. 27.76 (nur „bei Vorliegen besonderer Gründe“). 215 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, AG 2008, 743 = ZIP 2008, 1821 Rz. 13 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 75; kritisch Heider/Hirte, CCZ 2009, 106. 107 ff. 216 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 89; Habersack, Münch. Komm. AktG, § 107 Rz. 87; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 16; näher E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rz. 27.76. 217 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 16; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 77; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 90; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 259; etwas anders Holle, AG 2019, 777, 779, der von Organbesitz des Aufsichtsrats für die Gesellschaft ausgeht. 218 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 90; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 259; Holle, AG 2019, 777, 779. 219 Zur Vorlagepflicht gegenüber Finanzbehörden vgl. etwa BFH v. 13.2.1968 – GrS 5/67, BFHE 91, 351, 355 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 92; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 91. Zur Beschlagnahme zugunsten eines parlamentari-

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§ 11 Rz. 714 | Die Organisation des Aufsichtsrats

tigkeiten um Aufsichtsratsprotokolle durch den Vorstand vertreten werde220. Die besseren Argumente sprechen jedoch für die Annahme, dass die Gesellschaft durch den Aufsichtsratsvorsitzenden vertreten wird221. 2. Beschlussfassung im Aufsichtsrat a) Allgemeines 715

Der Aufsichtsrat kann als Organ seinen Willen nur durch Beschlussfassung bilden (§ 108 Abs. 1 AktG). Beschlüsse können nicht stillschweigend gefasst werden, sondern erfordern stets eine Abstimmung; ist ein Beschluss durch Abstimmung gefasst worden, ist er allerdings auslegungsfähig222.

716

Das Beschlussverfahren ist im AktG und MitbestG nicht abschließend geregelt. Hilfsweise kommen die vereinsrechtlichen Vorschriften des BGB zur Anwendung223; im Übrigen können Satzung und Geschäftsordnung in den Schranken zwingender gesetzlicher Regelungen nähere Bestimmungen treffen. b) Beschlussfähigkeit

717

Ein Beschluss kann nur gefasst werden, wenn eine hinreichend große Zahl von Mitgliedern an der Beschlussfassung teilnimmt, sei es durch Zustimmung, Ablehnung oder Stimmenthaltung. Wer sich nicht einmal durch Stimmenthaltung an der Beschlussfassung beteiligt, sondern erklärt, dass er an der Abstimmung nicht teilnimmt, zählt für die Feststellung der Beschlussfähigkeit auch dann nicht mit, wenn er in der Sitzung anwesend ist224.

718

Das AktG überlässt die Bestimmung der Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats grundsätzlich der Satzung (§ 108 Abs. 2 Satz 1 AktG). Besteht eine Regelung der Satzung nicht, ist der Aufsichtsrat (nur) bei Teilnahme der Hälfte der Mitglieder, aus denen er zu bestehen hat (Sollstärke), beschlussfähig (§ 108 Abs. 2 Satz 2 AktG). Der Beschlussfähigkeit steht hingegen nicht entgegen, dass dem Aufsichtsrat weniger Mit-

220 221 222 223 224

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schen Untersuchungsausschusses BVerfG v. 5.11.1986 – v. 1.10.1987 – 2 BvR 1178/86, BVerfGE 74, 7; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 93. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 16 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 54; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 91; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 32. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 77; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 179 ff.; Peus, ZGR 1987, 545 ff.; Brinkschmidt, Protokolle, S. 138 f.; noch anders Hopt/ Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 263: Vertretung durch den Aufsichtsrat. Unstr., BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 = AG 2010, 632 Rz. 14 (Aufsichtsratsbericht); BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, BGHZ 207, 190 Rz. 28 = AG 2016, 214; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 4. LG Hannover v. 27.6.1989 – 7 O 214/89, AG 1989, 448, 449; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 17; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 107; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 15; a.A. Baums, ZGR 1983, 300, 305. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 15; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 74; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 57.

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 720 § 11

glieder als die durch Gesetz oder Satzung festgesetzte Zahl angehören (§ 108 Abs. 2 Satz 2 und 4 AktG); ein zwölfköpfiger Aufsichtsrat ist daher auch dann beschlussfähig, wenn nur sechs Mitglieder gewählt sind225. Die Satzung kann eine geringere Teilnehmerzahl genügen lassen oder eine höhere Teilnehmerzahl fordern. Mindestens müssen aber drei Aufsichtsratsmitglieder an der Abstimmung teilnehmen; unter diese Mindestzahl kann auch die Satzung nicht zurückgehen (§ 108 Abs. 2 Satz 3 AktG). Zwingend regelt das Gesetz die Beschlussfähigkeit für mitbestimmte Gesellschaften in § 10 MontanMitbestG, § 11 MitbestErgG und § 28 MitbestG; hier ist stets die Teilnahme von mindestens der Hälfte der Mitglieder, aus denen der Aufsichtsrat zu bestehen hat (Sollstärke), erforderlich226. Von diesen Regelungen kann für montanmitbestimmte Gesellschaften wegen des insoweit klaren Gesetzeswortlauts im Hinblick auf die Beschlussfähigkeit des Plenums (anders für die Beschlussfähigkeit von Ausschüssen) nicht abgewichen werden227. Demgegenüber ist es für Gesellschaften unter dem MitbestG als zulässig anzusehen, dass die Satzung die Beschlussfähigkeit zwar nicht an geringere, wohl aber an strengere Voraussetzungen knüpft, solange dadurch nicht der Grundsatz der Gleichberechtigung der Aufsichtsratsmitglieder verletzt wird (dazu Rz. 721)228.

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Allein dadurch, dass dem Aufsichtsrat weniger Mitglieder angehören, als nach Gesetz oder Satzung an sich erforderlich wären, wird die Beschlussfähigkeit nicht beeinträchtigt; auch wenn die Anteilseigner- oder Arbeitnehmerseite nicht vollständig besetzt ist, kann der Aufsichtsrat also beschlussfähig sein (§ 108 Abs. 2 Satz 4 AktG). Von diesem Grundsatz kann auch die Satzung nicht abweichen229.

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225 OLG München v. 28.9.2011 – 7 U 711/11, AG 2011, 849, 842. 226 Zum Sonderproblem der Beschlussfähigkeit bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden nach § 27 Abs. 2 MitbestG und bei einer Entscheidung nach § 32 MitbestG vgl. Rz. 671 und 520. 227 Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 10 Montan-MitbestG Rz. 4, § 11 MitbestErgG Rz. 1; Oetker, Großkomm. AktG, § 10 Montan-MitbestG Rz. 2; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 40. 228 Sehr umstritten, wie hier z.B. OLG Hamburg v. 4.4.1984 – 2 W 25/80, AG 1984, 246 = BB 1984, 1763; LG Frankfurt a.M. v. 3.10.1978 – 3/11 T 32/78, NJW 1978, 2398; LG Hamburg v. 29.6.1979 – 64 T 3/79, NJW 1980, 235; LG Mannheim v. 23.7.1979 – 12 O 16/79, NJW 1980, 236; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 28 MitbestG Rz. 2; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 59 f.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 108 Rz. 13; Feldmann, DB 1986, 29 ff.; a.A. z.B. OLG Karlsruhe v. 20.6.1980 – 15 U 171/79, AG 1981 = 102, NJW 1980, 2137, 2139; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 91; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 40; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 46 f.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 28 MitbestG Rz. 3; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 4;Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 9; Oetker, Großkomm. AktG, § 28 MitbestG Rz. 8; offengelassen von BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 153 f. = AG 1982, 223. 229 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 82; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 56.

319

§ 11 Rz. 721 | Die Organisation des Aufsichtsrats 721

Schließlich kann die Beschlussfähigkeit auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass bei der Beschlussfassung bestimmte Aufsichtsratsmitglieder (etwa der Vorsitzende) teilnehmen oder ein bestimmtes Verhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern gewahrt ist. Nach Inkrafttreten des Mitbestimmungsgesetzes wurden gelegentlich Satzungs- oder Geschäftsordnungsbestimmungen geschaffen, wonach der Aufsichtsrat nur beschlussfähig sein sollte, wenn z.B. mindestens die Hälfte der Teilnehmer Anteilseignervertreter waren und sich unter ihnen der Vorsitzende befand. Solche Regelungen sind nichtig, denn sie verletzen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder230. c) Abstimmung

722

Aufsichtsratsbeschlüsse werden grundsätzlich in Aufsichtsratssitzungen gefasst. Jedes Mitglied hat die Befugnis, dem Plenum zu den Punkten der Tagesordnung Beschlussanträge zu unterbreiten und darüber eine Abstimmung zu verlangen231. Dieses Recht kann weder entzogen noch eingeschränkt werden.

723

Die Zulässigkeit geheimer Abstimmungen im Aufsichtsrat ist umstritten. Während sie früher überwiegend für unzulässig angesehen wurden, lässt die heute wohl herrschende Meinung sie mit Recht zu232. Ob geheim abgestimmt wird, entscheidet in erster Linie der Vorsitzende233. Der Aufsichtsrat kann aber, wie stets, durch Beschluss von der verfahrensleitenden Anordnung des Vorsitzenden abweichen und beschließen, dass geheim oder offen abzustimmen sei234; für die teilweise vertretene Ansicht, auch einzelne Aufsichtsratsmitglieder könnten eine geheime Abstimmung verlangen235, ist eine tragfähige Grundlage nicht ersichtlich236.

230 Heute wohl allg. Meinung, vgl. insbesondere BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 154 ff. = AG 1982, 223; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 60; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 4; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 28 MitbestG Rz. 3; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 28 MitbestG Rz. 2. 231 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 18; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 16. 232 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 5; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 48 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 18; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 59; Uwe H. Schneider in FS Fischer, 1979, S. 727, 742 f.; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 52; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 19. 233 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 5a; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 59; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 19; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 51. 234 Vgl. die Nachweise in der vorangegangenen Fn. 235 Jedes Mitglied: Peus, DStR 1996, 1656 f.; Uwe H. Schneider in FS Fischer, 1979, S. 727/ 745; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 19; 2-3 Mitglieder: Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 26. 236 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 5a; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 52; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 51; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 55; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 59.

320

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 725 § 11

Über in der Tagesordnung nicht angekündigte Gegenstände kann beschlossen werden, sofern keines der anwesenden Aufsichtsratsmitglieder widerspricht und allen in der Sitzung abwesenden Mitgliedern die Möglichkeit zu einem nachträglichen Widerspruch gegen die Abstimmung über diesen nicht angekündigten Tagesordnungspunkt gegeben wird237. Erforderlich ist dazu, dass der Vorsitzende jedem der abwesenden Mitglieder den Beschlussantrag mitteilt und einen angemessenen Zeitraum für die Erhebung eines Widerspruchs gegen diese Form der Beschlussfassung einräumt. Nach verbreiteter Auffassung in der Literatur würde es auch genügen, den nicht anwesenden Mitgliedern statt des Rechts eines nachträglichen Widerspruchs gegen die Abstimmung das Recht zur nachträglichen Stimmabgabe einzuräumen238; tatsächlich reicht die bloße Möglichkeit zur nachträglichen Stimmabgabe jedoch nicht, weil sie das Recht auf Mitwirkung an einer Erörterung im Aufsichtsrat nicht ersetzen kann. Hingegen ist es nicht erforderlich, zusätzlich zum nachträglichen Widerspruchsrecht ein Recht auf nachträgliche Stimmabgabe zu bewilligen, weil das Mitwirkungsrecht des nicht anwesenden Aufsichtsratsmitglieds durch das Widerspruchsrecht hinreichend geschützt ist.

724

Der Aufsichtsrat kann die Entscheidung über bestimmte Beschlussanträge durch Beschluss vertagen. Der Vorsitzende hat hingegen kein Vertagungsrecht. Für Vertagungsklauseln in der Satzung gilt Ähnliches wie für Beschlussfähigkeitsregelungen (vgl. Rz. 718 ff.): Die Satzung kann nicht anordnen, dass eine Beschlussfassung vertagt werden muss, wenn bestimmte Aufsichtsratsmitglieder (namentlich der Vorsitzende) nicht anwesend sind oder wenn nicht ein bestimmtes Verhältnis zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern gewahrt ist; solche Klauseln verstoßen ebenso wie entsprechende Beschlussfähigkeitsregelungen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder. Hingegen sind Vertagungsklauseln zulässig, wenn das Gebot der Gleichbehandlung aller Aufsichtsratsmitglieder beachtet wird239. Von den Autoren, die in mitbestimmten Gesellschaften eine Verschärfung der Beschlussfähigkeitsregelungen des § 28 MitbestG für unzulässig halten (vgl. Rz. 719), wird die Zulässigkeit von Vertagungsklauseln zum Teil dahingehend eingeschränkt, dass solche Klauseln nur eine einmalige Vertagung zulassen dürften, weil anderenfalls das Verbot einer Verschärfung der Beschlussfähigkeitsvoraussetzungen umgangen werde240. Zulässig ist aber auch danach z.B. eine Satzungsbestimmung,

725

237 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 41; großzügiger Baums, ZGR 1983, 300, 316, der bei dringenden Eilentscheidungen kein Recht abwesender Mitglieder zum nachträglichen Widerspruch für nötig ansieht. 238 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 5; Habersack, MünchKomm. AktG, § 110 Rz. 21. 239 Vgl. dazu näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 83 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 96; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 7; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 87; ausführlich Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 190 ff. 240 So z.B. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 7; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 28 MitbestG Rz. 4; Oetker, Großkomm. AktG, § 28 MitbestG Rz. 10; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 96.

321

§ 11 Rz. 725 | Die Organisation des Aufsichtsrats

wonach bei nicht vollständiger Anwesenheit der Aufsichtsratsmitglieder auf Antrag eines oder mehrerer Mitglieder die Beschlussfassung einmal zu vertagen ist, oder wonach der Vorsitzende nach eigenem Ermessen die Beschlussfassung einmal vertagen kann241. 726

Verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern gibt das Gesetz die Möglichkeit, ihre Stimme in der Sitzung durch einen Stimmboten schriftlich abgeben zu lassen (§ 108 Abs. 3 Satz 1 AktG)242. Das gilt nicht nur bei Präsenzsitzungen, sondern es ist kein Grund erkennbar, warum nicht auch in einer Aufsichtsratssitzung in Form einer Videooder Telefonkonferenz ein Stimmbote die ihm ausgehändigte schriftliche Stimmabgabe des verhinderten Mitglieds sollte abgeben können243. Die schriftliche Stimmabgabe kann stets durch ein anderes Aufsichtsratsmitglied überbracht werden (§ 108 Abs. 3 Satz 2 AktG). Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, können die schriftliche Stimme hingegen nur übergeben, wenn die Satzung es nach § 109 Abs. 3 AktG zulässt, dass aufsichtsratsfremde Personen anstelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern an der Sitzung teilnehmen (§ 108 Abs. 3 Satz 3 AktG). Die vom Gesetz geforderte schriftliche Stimmabgabe setzt eine eigenhändige Namensunterschrift voraus (§ 126 BGB); daneben muss jedenfalls die elektronische Form des § 126a BGB genügen244. Nach h.M. sollen Stimmabgaben durch Telegramm, Telex oder Telefax gleichgesetzt werden können245. Jedoch wäre dem Zweck des Gesetzes durch Stimmabgabe per Telegramm oder Telex ebenso wenig genügt wie durch eine Stimmabgabe per einfacher E-Mail oder per SMS, weil die Authentizität der Stimmabgabe nicht hinreichend überprüft werden kann. Hingegen wird man eine Stimmabgabe durch unterschriebenes Telefax zulassen können.

727

Der Stimmbote darf nur die Entscheidung des verhinderten Mitglieds überreichen. Er ist nicht zu einer eigenen Entscheidung befugt, sondern jegliches Entscheidungsermessen des Stimmboten ist unzulässig. Deshalb ist es nicht möglich, dem Stimmboten eine Blankoerklärung oder verschiedene Stimmabgabeschreiben auszuhändigen mit der Ermächtigung, nach eigenem Ermessen über die Verwendung zu ent241 LG Hamburg v. 29.6.1979 – 64 T 3/79, NJW 1980, 235; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 83 und § 28 MitbestG Rz. 3; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 87; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 7; jetzt anscheinend auch Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 28 MitbestG Rz. 15. 242 Muster bei Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band 1, Formular V.64. 243 Näher dazu Wagner, NZG 2002, 57, 60; Kindl, ZHR 166 (2002), 335, 346 ff.; für Sitzung per Videokonferenz auch Miettinen/Victoria Villeda, AG 2007, 346, 349; a.A. Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 35; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 51; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 55. 244 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 25 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 58; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 20; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 91; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 53. 245 KG, JW 1938, 1824; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 25; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 59; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 128; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 20; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 91; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 53.

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 729 § 11

scheiden. Es reicht auch nicht, dem Stimmboten über die Verwendung Richtlinien zu geben, solange dabei Raum für eigene Ermessensausübungen bleibt246. Hingegen wird man anders entscheiden müssen, wenn dem Stimmboten so exakte Weisungen vorliegen oder (etwa telefonisch) während der Sitzung gegeben werden, dass er kein eigenes Ermessen auszuüben hat247. Eine schriftliche Stimmabgabe muss sich auf einen konkreten Beschlussantrag beziehen. Wird der Antrag inhaltlich geändert, kann die Stimme nicht mehr abgegeben werden. Bloße Formulierungsänderungen, die den Beschlussinhalt als solchen nicht berühren, schaden jedoch nicht248.

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Ohne Abhaltung einer Präsenzsitzung kann der Aufsichtsrat per Telefon- oder Videokonferenz, schriftlich oder in anderer vergleichbarer Form (z.B. Telefax, E-Mail) Beschluss fassen, wenn keines seiner Mitglieder diesem Verfahren widerspricht; die Satzung oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats kann dieses Widerspruchsrecht beseitigen oder modifizieren (§ 108 Abs. 4 AktG). Bei einer Telefon- oder Videokonferenz handelt es sich um eine Aufsichtsratssitzung (vgl. auch Rz. 690). Zu ihr ist einzuladen wie zu einer Präsenzsitzung. Gleichwohl steht auch gegen ihre Durchführung – sofern nicht durch Satzung oder Geschäftsordnung ausgeschlossen – jedem Mitglied das Widerspruchsrecht aus § 108 Abs. 4 AktG zu249, es ist also jedem Mitglied ein angemessener Zeitraum für einen Widerspruch gegen diese Form der Beschlussfassung einzuräumen. Bei einer Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren ist es erforderlich, dass jedem Aufsichtsratsmitglied vom Vorsitzenden der Beschlussantrag mitgeteilt und ein angemessener Zeitraum für die Stimmabgabe oder die Erhebung eines Widerspruchs gegen diese Form der Beschlussfassung eingeräumt wird. Der Zeitraum für Stimmabgabe und/oder Widerspruch gegen das Verfahren wird im Allgemeinen kürzer sein dürfen als die bei Einladung zu einer Sitzung einzuhaltende Frist (Rz. 692)250. Stimmabgaben, die nach Ablauf des festgesetzten Zeitraums eingehen, sind unbeachtlich251. Ebenso wenig besteht Anlass zu der An-

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246 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 19; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 30 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 90. 247 Streitig, wie hier Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 34; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 131; Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 108 Rz. 14; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 74; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 90; Lutter in FS Duden, 1979, S. 269, 276 ff.; Riegger, BB 1980, 130, 131; Säcker, DB 1977, 1791, 1795 Fn. 33; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 19; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 57; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 56; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 27. 248 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 89. 249 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 95; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 61; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 61; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 37: kein Widerspruchsrecht bei Videokonferenzen. 250 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 42; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 96; Hoffmann-Becking in Liber amicorum Happ, 2006, S. 81, 82. 251 Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 61; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 139; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 96, die bis zur schriftlichen Nie-

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§ 11 Rz. 729 | Die Organisation des Aufsichtsrats

nahme, dass ein verspäteter Widerspruch gegen das Verfahren bis zur Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Vorsitzenden noch beachtlich sei252. Dass sämtliche Aufsichtsratsmitglieder durch eine Stimmabgabe an der Abstimmung teilnehmen, verlangt das Gesetz nicht. Aufsichtsratsmitglieder, die sich gar nicht äußern, nehmen an der Abstimmung lediglich nicht teil; das kann allerdings bei einer entsprechend großen Zahl die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats herbeiführen. Satzung oder Geschäftsordnung können diese Art der Beschlussfassung ausschließen, erschweren oder durch Beseitigung bzw. Modifizierung des Widerspruchsrechts erleichtern253. 730

Angesichts der Möglichkeit der Beschlussfassung ohne Sitzung ist schließlich auch eine gemischte Beschlussfassung zulässig. Das kann zum einen in der Form geschehen, dass den bei einer Beschlussfassung in einer Sitzung abwesenden Aufsichtsratsmitgliedern das Recht zu nachträglicher Stimmabgabe innerhalb angemessener Zeit in schriftlicher, fernmündlicher oder anderer vergleichbarer Form vorbehalten wird254. Zum anderen ist es zulässig, abwesende Aufsichtsratsmitglieder telefonisch oder per Videoübertragung zuzuschalten und sie auf diese Weise an der Beschlussfassung in der Sitzung durch fernmündliche Stimmabgabe teilnehmen zu lassen255; auch andere vergleichbare Formen (z.B. per E-Mail) einer Beteiligung abwesender Mitglieder an der Beschlussfassung in der Sitzung sind denkbar. Auch diesen Formen der Beschlussfassung kann jedes (an- oder abwesende) Aufsichtsratsmitglied widersprechen, es sei denn, die Satzung oder Geschäftsordnung habe das Widerspruchsrecht geändert oder modifiziert256. Eine Regelung aller dieser Fragen in der Satzung oder Geschäftsordnung ist dringend zu empfehlen.

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Zur Abstimmung berechtigt ist grundsätzlich jedes Aufsichtsratsmitglied. In entsprechender Anwendung von § 34 BGB besteht jedoch ein Stimmverbot, wenn über den Abschluss eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder über die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft und ihm abgestimmt wird257; dazu gehört auch die Beschlussfassung über einen Antrag auf gerichtliche Abberufung des

252 253 254 255 256 257

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derlegung oder Verkündung durch den Vorsitzenden auch verspätete Stimmabgaben berücksichtigen wollen; vgl. dazu auch Rz. 734. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 42; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 96; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 140. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 23; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 48 f. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 50; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 70 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 93; Miettinen/Victoria Villeda, AG 2007, 346, 347 f.; zweifelnd Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 23. OLG Frankfurt v. 5.2.2019 – 22 U 61/17, NZG 2019, 1055 Rz. 39 ff. = AG 2019, 685; Wagner, NZG 2002, 57, 58 f.; Kindl, ZHR 166 (2002), 335, 342 f. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 51; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 71; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 93. BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 = AG 2007, 484 Rz. 13; BayObLG v. 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, ZIP 2003, 1194, 1195 f. = AG 2003, 427; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 65 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 9; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 70. Umfassend zur Problematik des Stimmrechts

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 732 § 11

betreffenden Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs. 3 AktG258. Rechtsgeschäfte oder Rechtsstreitigkeiten mit Gesellschaften, zu deren gesetzlichen Vertretern das Aufsichtsratsmitglied gehört, sind vom Stimmverbot im Allgemeinen nicht betroffen259; etwas anderes gilt allerdings, wenn zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der anderen Gesellschaft nahezu vollständige Interessenidentität besteht260. Der Stimmrechtsausschluss betrifft nur die Abgabe einer Ja- oder Nein-Stimme. Hingegen bleibt es zulässig, dass das vom Stimmverbot betroffene Aufsichtsratsmitglied durch Stimmenthaltung an der Beschlussfassung teilnimmt; es ist zur Beteiligung an der Abstimmung durch Enthaltung verpflichtet, wenn der Aufsichtsrat andernfalls beschlussunfähig wäre261. Ein besonderes Stimmverbot gilt nach § 111b Abs. 2 AktG bei Beschlussfassungen des Aufsichtsratsplenums einer börsennotierten Gesellschaft über die Zustimmung zu Geschäften mit nahestehenden Personen. Bei einer solchen Beschlussfassung können diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrats ihr Stimmrecht nicht ausüben, die entweder an dem Geschäft als nahestehende Person selbst beteiligt sind oder bei denen die Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu der an dem Geschäft beteiligten nahestehenden Person besteht. Der Begriff der nahestehenden Person ist in § 111a Abs. 1 Satz 2 AktG definiert. Bei der Frage, ob die Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund der Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht, ist eine objektive Betrachtungsweise geboten, die gerichtlich voll überprüfbar ist262. Entscheidend ist dabei, ob nach Ansicht eines verständigen, vernünftig und objektiv urteilenden Dritten bei einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls die begründete Besorgnis besteht, dass das Mitglied des Aufsichtsrats nicht in der Lage sein wird, die Abstimmung unbefangen, unparteiisch und unbeeinflusst von jeder Rücksichtnahme auf die Interessen der nahestehenden Person wahrzunehmen263. Allein die Tatsache, dass ein Aufsichtsratsmitglied mit den Stimmen des Mehrheitsgesellschafters gewählt wurde, reicht dafür nicht264. Zu den Besonderheiten der Beschlussfassung über related party transactions in einem Ausschuss vgl. Rz. 763.

258 259

260 261 262 263 264

bei Interessenkollisionen Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision im Aufsichtsrat, 1989. BayObLG v. 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, ZIP 2003, 1194 = AG 2003, 427; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 103 Rz. 65. Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 30; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 68; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 64; Matthießen, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 267 ff. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 67. BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 = AG 2007, 484 Rz. 13; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 66; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 34. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 85, 76. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77 mit eingehenden Erläuterungen und Beispielen auf S. 77 f. Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 77.

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§ 11 Rz. 733 | Die Organisation des Aufsichtsrats 733

Einen allgemeinen Stimmrechtsausschluss bei anderen Interessenkollisionen kennt das Gesetz hingegen nicht. Namentlich ist das Aufsichtsratsmitglied auch stimmberechtigt, wenn es um seine Wahl zum Vorstandsmitglied265 oder in eine besondere Funktion innerhalb des Aufsichtsrats266 geht. Bei der Stellungnahme des Aufsichtsrats zum Antrag auf gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern (§ 142 Abs. 5 Satz 1 AktG) sind wohl auch solche Aufsichtsratsmitglieder stimmberechtigt, die von der Sonderprüfung betroffen wären: § 142 Abs. 5 AktG enthält gerade keine dem § 142 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Regelung, und eine Analogie scheidet aus, weil die Stellungnahme des Aufsichtsrats nur den Charakter einer rechtlich unerheblichen Meinungsäußerung hat267. Nach Empfehlung E.1 des Kodex soll das Aufsichtsratsmitglied Interessenkonflikte jedoch gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden unverzüglich offenlegen, und der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren, vgl. dazu auch Rz. 588 ff.

734

Der in einer Sitzung gefasste Beschluss wird mit der Abstimmung entsprechend deren Ergebnis wirksam. Eine Feststellung des Beschlusses durch den Versammlungsleiter ist für das Wirksamwerden nicht erforderlich268, ebenso wenig die Niederlegung im Protokoll (§ 107 Abs. 2 Satz 3 AktG); eine unrichtige Feststellung oder Protokollierung ändern am Zustandekommen des Beschlusses mit seinem tatsächlichen Inhalt nichts. Das gilt auch in den Fällen der Telefon- oder Videokonferenz. Bei schriftlicher Beschlussfassung soll hingegen nach verbreiteter Ansicht eine Feststellung des Abstimmungsergebnisses erforderlich sein, um das Ende des Abstimmungsverfahrens zu dokumentieren269. Dieser Meinung ist nicht zuzustimmen. Sie hat weder eine gesetzliche Basis, noch ist sie aus praktischen Gründen zwingend. Das Ende des Abstimmungsverfahrens ergibt sich bei schriftlicher Beschlussfassung aus der vom Vorsitzenden zu setzenden Frist für Stimmabgabe oder Widerspruch (vgl. Rz. 729). Das Beschlussergebnis ist durch die schriftlich oder anderweitig verkörperten Stimmabgaben hinreichend dokumentiert; überdies ist auch der im schriftlichen Verfahren gefasste Beschluss in einem Protokoll niederzulegen (analog § 107 Abs. 2 AktG). d) Mehrheitserfordernisse

735

aa) Nach dem AktG fasst der Aufsichtsrat – außer im Sonderfall des § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG – seine Beschlüsse mit der Mehrheit aller abgegebenen Stimmen (sog. einfache Stimmenmehrheit). Bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt; 265 Insoweit umstritten, vgl. Rz. 348. 266 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 9; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 67; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 70. 267 Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 32; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 65; zweifelnd Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 29. 268 Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 26; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 53; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 58. 269 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 55; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 53, 141; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 112.

326

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 737 § 11

Stimmenthaltungen zählen (anders als bei der Beschlussfähigkeit; Rz. 717) nicht mit270. Die Satzung – aber nicht die Geschäftsordnung – kann einem Aufsichtsratsmitglied (insbesondere dem Vorsitzenden) das Recht zum Stichentscheid bei Stimmengleichheit einräumen271. Im Übrigen haben die Stimmen aller Aufsichtsratsmitglieder gleiches Gewicht. Keinem der Mitglieder kann durch Satzung oder Geschäftsordnung ein höheres Stimmrecht eingeräumt werden. Ebenso wenig wäre es zulässig, bestimmten Aufsichtsratsmitgliedern ein Vetorecht gegen Aufsichtsratsbeschlüsse zu verleihen272. Eine qualifizierte (zum Beispiel ⅔- oder ¾-) Mehrheit kann durch die Satzung für solche Aufgaben angeordnet werden, die dem Aufsichtsrat nicht kraft Gesetzes zwingend obliegen273. Zulässig ist hingegen die Bestimmung, dass Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen mitzählen, also wie Nein-Stimmen wirken274. bb) Das Prinzip der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gilt auch nach dem MitbestG (§ 29 Abs. 1 MitbestG), dem MontanMitbestG und dem MitbestErgG, ist dort aber gänzlich zwingend, sofern nicht gesetzlich eine andere Mehrheit gefordert wird (vgl. insbesondere §§ 27, 31, 32, 37 MitbestG, § 13 MontanMitbestG, § 15 MitbestErgG)275. Bestimmt werden kann auch hier, dass Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen mitzählen und somit wie Nein-Stimmen wirken276.

736

§ 29 Abs. 2 MitbestG durchbricht den Grundsatz, dass ein Antrag bei Stimmengleichheit abgelehnt ist: Hat eine Abstimmung Stimmengleichheit ergeben, steht dem Aufsichtsratsvorsitzenden – und nur ihm (§ 29 Abs. 2 Satz 3 MitbestG) – bei einer erneuten Abstimmung über denselben Antrag eine zweite Stimme zu, sofern auch diese zweite Abstimmung im Patt endet. Das Zweitstimmrecht besteht bei Verfahrensentscheidungen (z.B. Abstimmung über einen Vertagungsantrag) ebenso wie

737

270 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 6; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 59; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 66. 271 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 61; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 68. 272 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 63; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 68. 273 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 8; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 62; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 69; Jürgenmeyer, ZGR 2007, 112, 122 ff. 274 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 62; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 25; zweifelnd Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 8; a.A. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 108 Rz. 32. 275 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 8;Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 8; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 7; Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 3. Für Beschlussgegenstände, die dem Aufsichtsrat nicht kraft Gesetzes zugewiesen sind, abweichend Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 29 Rz. 18 m.w.N.; Uwe H. Schneider, GK-MitbestG, § 29 Rz. 106. 276 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 3; Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 4; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 6; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 14; a.A. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 6.

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§ 11 Rz. 737 | Die Organisation des Aufsichtsrats

bei Sachentscheidungen277. Die Entscheidung über die Durchführung einer zweiten Abstimmung und deren Zeitpunkt steht in erster Linie dem Aufsichtsratsvorsitzenden zu. Solange nicht der Aufsichtsrat selbst hierüber beschließt, kann der Vorsitzende entscheiden, ob überhaupt eine zweite Abstimmung durchgeführt werden oder es dabei bleiben soll, dass der Antrag in der ersten Abstimmung gescheitert ist278. Er kann auch entscheiden, ob die zweite Abstimmung noch in derselben Sitzung oder zu einem späteren Termin stattfindet. Der Aufsichtsrat kann allerdings durch Beschluss die Entscheidung des Vorsitzenden aufheben oder ändern. Der Vorsitzende ist nicht gezwungen, bei der zweiten Abstimmung seine Zweitstimme abzugeben, ebenso wenig besteht ein Zwang, die Zweitstimme – wenn sie abgegeben wird – übereinstimmend mit der Erststimme abzugeben279. 738

Satzung oder Geschäftsordnung können von diesen Prinzipien nur zum Teil abweichen. Sie können das Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats über allgemein zulässige Vertagungs- und Beschlussfähigkeitsregelungen (vgl. Rz. 718 ff. und 725) hinaus nicht unangemessen beschneiden. Unzulässig sind deshalb Klauseln, die dem Aufsichtsrat eine zweite Abstimmung vorschreiben280, und es ist wohl auch nicht zulässig, die Entscheidung über eine zweite Abstimmung in das alleinige Ermessen des Aufsichtsratsvorsitzenden zu legen und das Letztentscheidungsrecht des Gesamtaufsichtsrats auszuschließen281. Zweifelhaft sind deshalb auch Klauseln, wonach eine zweite Abstimmung stets einer neuen Aufsichtsratssitzung vorbehalten sein oder umgekehrt stets sofort nach der ersten stattfinden soll282. Erleichterungen sind zulässig, etwa die Regelung, dass jedes Aufsichtsratsmitglied die Durchführung einer zwei-

277 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 6; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 10; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 10. 278 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 11; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 11; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 13. 279 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 12; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 14; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 16; trotz Bedenken im Ergebnis auch Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 19. 280 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 12; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 16; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 20. 281 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 16; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 20; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 241 f. 282 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 83; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 22; a.A. Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 12; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 17; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 19.

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 739 § 11

ten Abstimmung verlangen kann283. Der Vorsitzende kann jedoch keinen Bindungen im Hinblick auf seine Zweitstimme unterworfen werden284. e) Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse Beschlüsse des Aufsichtsrats, die in ihrem Inhalt oder der Form ihres Zustandekommens gegen Gesetz oder Satzung verstoßen, wurden früher stets mit der Folge als nichtig angesehen, dass sich jeder Betroffene auf diesen Mangel ohne zeitliche Begrenzung berufen konnte285. Demgegenüber besteht heute Einigkeit, dass eine Differenzierung nach der Schwere des Fehlers nötig ist. Teile der Literatur – der zunächst auch die Rechtsprechung gefolgt ist – wollten hierzu zwischen der Nichtigkeit und der bloßen Anfechtbarkeit des Beschlusses unterscheiden286; damit verband sich teilweise die Vorstellung, die Regeln über die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (§§ 241 ff. AktG) analog anzuwenden287, während andere die Anfechtbarkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen eigenständigen Regeln unterstellen wollte288. Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die heute h.M. in der Literatur lehnen eine Differenzierung zwischen nichtigen und anfechtbaren Aufsichtsratsbeschlüssen ab. Sie gehen von der grundsätzlichen Nichtigkeit fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse aus und wollen stattdessen das Bedürfnis, die Nichtigkeitsfolge bei minderschweren Mängeln zurückzudrängen, über eine sachgerechte Bestimmung des erforderlichen Rechtsschutzinteresses und über das Rechtsinstitut der Verwirkung befriedigen289. Diese Rechtsprechung führt also bei mangelbehafteten Beschlüssen zu einer Differenzierung zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter 283 Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 13; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 16; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 19. 284 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 12; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 18; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 20. 285 Nachweise bei Fleischer, DB 2013, 160. 286 So z.B. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 101 ff.; Baums, ZGR 1983, 300, 308 ff.; Lemke, Aufsichtsratsbeschluss, S. 94 ff., 122 ff.; Kindl, Teilnahme, S. 169 ff.; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 183 ff.; aus der Rechtsprechung insbesondere noch BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 66 f. = AG 1989, 89; OLG Hamburg v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, WM 1982, 1090, 1095 = AG 1983, 21; OLG Hamburg v. 25.5.1984 – 11 U 183/83, WM 1984, 965, 967 = AG 1984, 248; OLG Hamburg v. 6.3.1992 – 11 U 134/91, DB 1992, 774 f. = AG 1992, 197. 287 So z.B. OLG Hamburg v. 6.3.1992 – 11 U 134/91, DB 1992, 774 f. = AG 1992, 197; Baums, ZGR 1983, 300, 308 ff.; Lemke, Aufsichtsratsbeschluss, S. 94 ff., 122 f.; näher Überblick bei Fleischer, DB 2013, 160 f. 288 So z.B. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 116 f.; Kindl, Teilnahme, S. 183 ff. 289 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 346 ff. = AG 1993, 464 (HamburgMannheimer); BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 115 = AG 1994, 124 (Vereinte Krankenversicherung); BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 247 = AG 1997, 377 (ARAG); zustimmend Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 25 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 73 ff., 81 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 150 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 69 ff.; näher und kritisch Fleischer, DB 2013, 160, 161 sowie DB 2013, 217, 218.

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739

§ 11 Rz. 739 | Die Organisation des Aufsichtsrats

Nichtigkeit. Ihr ist jedenfalls insoweit zu folgen, als sie eine Übertragung der für die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen geltenden Regelungen der §§ 241 ff. AktG auf Aufsichtsratsbeschlüsse ablehnt. Ob es im Übrigen richtiger ist, die gebotene Einschränkung der Nichtigkeitsfolge über die Erfordernisse des Rechtsschutzinteresses und das Institut der Verwirkung oder über die Unterscheidung zwischen nichtigen und lediglich vernichtbaren („anfechtbaren“) Beschlüssen zu treffen, ist für die Praxis von untergeordneter Bedeutung. Im Ergebnis werden beide Ansätze zu denselben Ergebnissen gelangen290. 740

Aufsichtsratsbeschlüsse, deren Inhalt gegen zwingende Vorschriften des Gesetzes oder der Satzung verstößt (sog. Inhaltsmängel), sind grundsätzlich uneingeschränkt nichtig. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich um Verstöße gegen im öffentlichen Interesse gegebene Vorschriften handelt291, etwa wenn der Aufsichtsrat Geschäftsordnungsbestimmungen beschließt, die gegen die Vorschriften des MitbestG verstoßen; in Betracht kommen daneben z.B. die Bestellung eines Vorstandsmitglieds, dem gesetzliche Eignungsvoraussetzungen fehlen (vgl. Rz. 339), Ermessensentscheidungen, die die Grenzen des Vertretbaren überschreiten292, u.Ä. Für besondere Ausnahmefälle wird auch bei Inhaltsmängeln mit Recht befürwortet, keine Nichtigkeit, sondern nur eine Anfechtbarkeit/eingeschränkte Nichtigkeit des Beschlusses eintreten zu lassen. Gedacht wird hier etwa an den Fall, dass der Aufsichtsrat bei einer Kapitalerhöhung aus einem genehmigten Kapital nach § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG einem Bezugsrechtsausschluss zustimmt, obwohl dafür kein sachlicher Grund vorliegt293; als weitere Fälle werden genannt eine Ungleichbehandlung von Aufsichtsratsmitgliedern bei der Verteilung gewinnabhängiger Vergütungsanteile oder bei einer Kreditgewährung294, die Überschreitung der ihm übertragenen Zuständigkeit durch einen Ausschuss295 oder die Besetzung eines Ausschusses unter ungenügender Beachtung des Diskriminierungsschutzes der Arbeitnehmerseite296. Tatsächlich wird man in solchen Ausnahmefällen auch bei Inhaltsmängeln im Interesse der Rechtssicherheit zu einer Einschränkung der Nichtigkeitsfolge kommen können, wenn es sachlich vertretbar ist, bei Einverständnis aller Aufsichtsratsmitglieder von der Nichtigkeit des Beschlusses abzusehen. 290 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 115; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 101; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 155; E. Vetter in MarschBarner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 27 Rz. 77. 291 Vgl. etwa Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 172; Baums, ZGR 1983, 300, 326 f.; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 159 ff. 292 Vgl. etwa BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 247 ff. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 97; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 173 f. 293 So Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 175; Baums, ZGR 1983, 300, 327 ff.; a.A. Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 171 ff. 294 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 175; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 83; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 176 ff. 295 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 106. 296 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 106; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 83; anders Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 175, 183 ff., die die Grundsätze über fehlerhafte Dauerschuldverhältnisse anwenden wollen.

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Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 741 § 11

Beschlüsse, die nicht in ihrem Inhalt, sondern in der Form des Zustandekommens gegen Gesetz oder Satzung verstoßen (sog. Verfahrensmängel), sind uneingeschränkt nichtig, wenn gegen Vorschriften verstoßen wurde, auf deren Einhaltung die Aufsichtsratsmitglieder nicht verzichten können (z.B. mangelnde Beschlussfähigkeit, schriftliche Beschlussfassung gegen den Widerspruch von Aufsichtsratsmitgliedern, Beschlussfassung außerhalb der Tagesordnung gegen den Widerspruch von Aufsichtsratsmitgliedern, u.Ä.)297. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, auf deren Einhaltung die Aufsichtsratsmitglieder verzichten können, führen nur zur eingeschränkten Nichtigkeit/Anfechtbarkeit des Beschlusses. Hierzu zählen z.B. Verstöße gegen Vorschriften über Ort und Zeit der Sitzung, eine verspätete Einberufung, die unzulässige Teilnahme Dritter u.Ä.298. Die Verletzung angemessener Informationswünsche von Aufsichtsratsmitgliedern kann ebenfalls einen Verfahrensmangel darstellen, der die eingeschränkte Nichtigkeit/Anfechtbarkeit des Beschlusses nach sich zieht299. Die Nichtladung oder der unzulässige Ausschluss einzelner Aufsichtsratsmitglieder führen nach herrschender Meinung zur uneingeschränkten Nichtigkeit der gleichwohl gefassten Aufsichtsratsbeschlüsse; überzeugender scheint es hingegen, nur eingeschränkte Nichtigkeit/Anfechtbarkeit anzunehmen300. Die Unwirksamkeit von Einzelstimmen führt zur uneingeschränkten Nichtigkeit des Beschlusses, wenn die unwirksamen Stimmen für das Beschlussergebnis ausschlaggebend waren. Andernfalls ist der Beschluss weder nichtig noch anfechtbar, sondern fehlerfrei wirksam301. Nach diesen Grundsätzen beurteilen sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch die Auswirkungen der erfolgreichen Anfechtung der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds. Wird die Wahl für nichtig erklärt, ist das betreffende Aufsichtsratsmitglied für die Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln. Hingen die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen der Mehrheit von seiner Stimme ab, ist der so gefasste Beschluss nichtig; war die Stimme für die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich, ist der Beschluss zustandegekommen302. In der Literatur spricht sich demgegenüber die überwiegende Auffassung für die Anwendung

297 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 27; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 83; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 72 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 117; ausführlich Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 183 ff.; a.A. Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 103, die den Beschluss bei Verfahrensmängeln stets nur als vernichtbar ansehen. 298 Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 73; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 117; Fleischer, DB 2013, 217, 218 f.; Baums, ZGR 1983, 300, 308 ff.; ausführlich Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 183 ff. 299 Vgl. etwa OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16, ZIP 2017, 372, 375 = AG 2017, 750. 300 So auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 103; Baums, ZGR 1983, 300, 309 ff.; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 190 ff.; a.A. Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 108 Rz. 40; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 73. 301 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 164; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 70; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 27. 302 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387 Rz. 17 f., 20 f.; BGH v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 = AG 2013, 562 Rz. 26.

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741

§ 11 Rz. 741 | Die Organisation des Aufsichtsrats

der Grundsätze der fehlerhaften Organstellung aus303; diese Lehre erscheint vorzugswürdig. 742

Verstöße gegen bloße Ordnungsvorschriften (z.B. mangelhafte Protokollierung, Sitzungsteilnahme aufsichtsratsfremder Personen entgegen § 109 Abs. 1 Satz 1 AktG) sind für die Wirksamkeit des Beschlusses ohne Belang304.

743

Auf die uneingeschränkte Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses kann sich jeder Betroffene unbefristet und ohne besondere Form berufen. Daneben ist die Erhebung einer Nichtigkeits-Feststellungsklage gegen die Gesellschaft möglich, vorausgesetzt, der Kläger hat ein entsprechendes Feststellungsinteresse305. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats kommt dieses Interesse aufgrund ihrer Organstellung und ihrer sich daraus ergebenden Verantwortung für die Rechtmäßigkeit ihrer Beschlüsse zu306; ob das Feststellungsinteresse entfällt, wenn das Aufsichtsratsmitglied für den Beschluss gestimmt hat307, ist zweifelhaft. Das Feststellungsinteresse wird man im Ergebnis auch den Vorstandsmitgliedern zuzubilligen haben308. Aktionären hingegen kann das Feststellungsinteresse nur zustehen, wenn der Beschluss ihr Mitgliedschaftsrecht berührt (z.B. Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss, Zustimmung zu Abwehrmaßnahmen gegen ein Übernahmeangebot)309; es gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze für die Zulässigkeit von Aktionärsklagen gegen Maßnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat310. Dass der Beschluss das Vermögen der Gesellschaft beeinträchtigt, kann hingegen nicht genügen, um ein Feststellungs-

303 Vgl. etwa Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 70; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 101 Rz. 113 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 101 Rz. 250 ff.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 101 Rz. 37 ff.; Höpfner, ZGR 2016, 505, 518 ff.; Lieder, ZHR 178 (2014), 282/290 ff.; Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 305 ff. 304 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 167; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 118; Fleischer, DB 2013, 217, 219; näher Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 203 ff. 305 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 111; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 77 ff.; Baums, ZGR 1983, 300, 343 f. 306 BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, AG 2013, 257 Rz. 13; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248 = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30. 307 So Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30; Fleischer, DB 2013, 217, 219. 308 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 112; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 79; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 193. 309 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 196. 310 Vgl. dazu etwa BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 = AG 1982, 158 (Holzmüller); BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 141 = AG 1997, 465 (Siemens/Nold); BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, BGHZ 164, 241, 254 ff. = AG 2006, 36 (Commerzbank/Mangusta II); OLG Frankfurt a.M. v. 7.9.2010 – 5 U 187/09, AG 2011, 631, 633; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 112; Zöllner, ZGR 1988, 392, 420 ff.; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 353 ff.

332

Der Verfahrensablauf im Aufsichtsrat | Rz. 744 § 11

interesse von Aktionären zu begründen311, vielmehr sind die Aktionäre insoweit auf die Rechtsschutzmöglichkeit des § 148 AktG verwiesen. Eine Heilung der Nichtigkeit kommt außer im Ausnahmefall des § 256 Abs. 6 AktG nicht in Betracht312. Welche Folgen die Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses für daran anknüpfende weitere Maßnahmen (z.B. Beschlussvorschläge zur Tagesordnung der Hauptversammlung, Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, Zustimmung zu Geschäftsführungsmaßnahmen, usw.) hat, hängt vom Einzelfall ab313. Bei fehlerhaften Beschlüssen mit bloß eingeschränkter Nichtigkeitsfolge ist es hingegen erforderlich, die Nichtigkeit innerhalb einer angemessenen Frist geltend zu machen314. Dazu berechtigt sind nur diejenigen Mitglieder des Aufsichtsrats315, die selbst von dem Verfahrensverstoß betroffen sind316. Zur Geltendmachung des Mangels genügt im ersten Schritt eine Erklärung gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden317. Lehnt der Aufsichtsrat es daraufhin ab, den Mangel zu beheben, wird man im zweiten Schritt die Erhebung einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses verlangen müssen318; ob hierfür durch eine entsprechende Satzungsregelung die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts begründet werden kann319, ist zweifelhaft, aber kaum von praktischer Bedeutung. Demgegenüber wurde früher verbreitet angenommen, für die Herbeiführung der Nichtigkeitsfolge genüge allein die Rüge gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden, während eine anschließende Klage nicht mehr erforderlich sei320; diese Lösung wird dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit jedoch nicht ausreichend gerecht. Welche Fristen angemessen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Für die Beanstandung des Beschlusses im ersten Schritt wird man im Allgemeinen verlangen müssen, dass sie rechtzeitig vor der 311 Fleischer, DB 2013, 217, 220; a.A. Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 108 Rz. 79; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 112. 312 Fleischer, DB 2013, 217, 222; Panetta, NJOZ 2008, 4294, 4295. 313 Dazu näher Panetta, NJOZ 2008, 4294, 4295 ff. 314 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 352 = AG 1993, 464 (Hamburg-Mannheimer); Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 117. 315 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 116; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 218 ff.; weitergehend Hopt/Roth, Großkomm. AktG, §108 Rz. 196; Baums, ZGR 1983, 300, 339 ff., die in bestimmten Fällen auch betroffenen Aktionären dieses Recht gebenwollen. 316 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 187; Fleischer, DB 2013, 217, 219; a.A. Kindl, AG 1993, 153, 160 f.; Baums, ZGR 1983, 300, 399; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 219 f. 317 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 352 = AG 1993, 464 (Hamburg-Mannheimer); Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 199; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 17. 318 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 108 Rz. 199; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 177; Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82. 319 Dafür Treffer, Der Aufsichtsrat 2019, 34 f. 320 Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 108 Rz. 95; Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 108 Rz. 203.

333

744

§ 11 Rz. 744 | Die Organisation des Aufsichtsrats

nächsten Aufsichtsratssitzung zu erfolgen hat, damit sich der Aufsichtsrat in dieser Sitzung damit befassen kann321; wenn der Aufsichtsrat trotz der Beanstandung an dem Beschluss festhält, wird man für die dann erforderliche Klage der Monatsfrist des § 246 AktG eine Leitbildfunktion zumessen können322. Die Satzung wird Bestimmungen über die Klagefrist treffen können323. Die rechtzeitige Geltendmachung des Mangels führt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der ihr folgenden Literatur324 dazu, dass es bei der Nichtigkeit bleibt, während nach Ansicht derjenigen Autoren, die zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit unterscheiden, die Geltendmachung des Mangels zur rückwirkenden Vernichtung des Beschlusses führt325.

IV. Aufsichtsratsausschüsse 1. Aufgabendelegation an Ausschüsse und ihre Grenzen 745

§ 107 Abs. 3 AktG lässt es zu, dass der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellt. Aufgabe des Ausschusses kann es sein, die Verhandlungen und Beschlüsse des Aufsichtsrats vorzubereiten (vorbereitender Ausschuss), die Ausführungen der Beschlüsse des Aufsichtsrats zu überwachen (überwachender Ausschuss) oder bestimmte Angelegenheiten anstelle des Aufsichtsrats zu entscheiden (entscheidender Ausschuss). Ziel der Ausschussbildung ist es, die Effizienz der Aufsichtsratstätigkeit zu steigern, indem besondere Aufgaben einem kleineren Kreis von Mitgliedern übertragen werden, die möglichst fachkundig besetzt sind und sich intensiver und effizienter ihrer Aufgabe widmen können als es dem Plenum möglich wäre326. Der Kodex empfiehlt in D.2, dass der Aufsichtsrat – abhängig von den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens und der Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder – fachlich qualifizierte Ausschüsse bildet und deren Mitglieder und Vorsitzende in der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289f HGB) nennt. D.3 des Kodex empfiehlt insbesondere die Einrichtung eines Prüfungsausschusses (näher Rz. 755 ff.), nach Empfehlung D.5 des Kodex soll überdies ein Nominierungsausschuss zur Vorbereitung der Aufsichtsratswahlen gebildet werden (näher Rz. 760 ff.). Die Pflicht des Aufsichtsrats zu sachgerechter Organisation seiner Tätigkeit wird ihn bei größeren Gesellschaften in aller Regel dazu zwingen, von der Möglichkeit der Ausschuss-

321 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 117; großzügiger Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 29; Fleischer, DB 2013, 217, 222, die eine Rüge spätestens in der nächsten Aufsichtsratssitzung verlangen. 322 Habersack, MünchKomm. AktG, § 108 Rz. 82; offener Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30 (mit aller zumutbaren Beschleunigung); Fleischer, DB 2013, 217, 221 f. 323 Fleischer, DB 2013, 217, 222. 324 Vgl. die Nachw. oben Fn. 289. 325 Vgl. z.B. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 101 ff.; Baums, ZGR 1983, 300, 308 ff.; Kindl, Teilnahme, S. 169 ff.; Axhausen, Anfechtbarkeit, S. 183 ff. 326 Näher Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 298 ff.

334

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 747 § 11

bildung Gebrauch zu machen327. Darüber hinaus schreibt das Gesetz für paritätisch mitbestimmte Gesellschaften die Bildung des Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG vor (näher Rz. 793 ff.). Für CRR-Institute sind in § 25d Abs. 8–12 KWG verschiedene Ausschüsse vorgeschrieben. Bei börsennotierten Gesellschaften hat der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung darzulegen, welche Ausschüsse gebildet worden sind (§ 171 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz AktG). Das Gesetz erlaubt in weitem Umfang, Aufsichtsratsaufgaben zur endgültigen Erledigung auf einen entscheidenden Ausschuss zu delegieren. Nur die Erledigung der besonders wichtigen Angelegenheiten des Aufsichtsrats ist zwingend dem Plenum vorbehalten. Die dem Plenum vorbehaltenen Entscheidungen ergeben sich vor allem aus dem in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG enthaltenen Katalog von Aufgaben, die nicht auf einen beschließenden Ausschuss delegiert werden können. Hierzu gehören z.B. die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Stellvertreters, die Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, die Regelung der Vergütung der Vorstandsmitglieder und der Erlass einer Geschäftsordnung für den Vorstand. Darüber hinaus besteht ein ungeschriebenes Delegationsverbot für alle Entscheidungen des Aufsichtsrats über Fragen seiner Selbstorganisation: der Erlass einer Aufsichtsratsgeschäftsordnung, die Bildung von Ausschüssen, der Widerruf der Bestellung zum Aufsichtsratsvorsitzenden oder zum Stellvertreter und die Beschlussfassung über den Antrag auf gerichtliche Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund (§ 103 Abs. 3 Satz 2 AktG) sind zwingend dem Gesamtaufsichtsrat vorbehalten328. Gleiches gilt für die Beschlussfassung über die Abgabe der Entsprechenserklärung (§ 161 AktG)329. Ein allgemeines Delegationsverbot für „alle wichtigen Entscheidungen“ gibt es hingegen nicht330. Die Entscheidungen nach § 32 MitbestG, § 15 MitbestErgG über die Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften können einem Ausschuss übertragen werden, dem allerdings die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner angehören muss; vgl. Rz. 521.

746

Für die Übertragung von Vorbereitungsaufgaben an vorbereitende Ausschüsse sieht das Gesetz keine Schranken vor. Gleichwohl ist in dem Aufgabenbereich, der dem Gesamtaufsichtsrat zur Entscheidung vorbehalten ist, auch eine vorbereitende Tätigkeit durch Ausschüsse nicht ganz unproblematisch. Für den Spezialfall des Personalausschusses wurde dies bereits Rz. 337 angesprochen, bei anderen Ausschüssen im

747

327 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 336; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 94; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 96; E. Vetter in Liber amicorum Winter, 2011, S. 701, 712; Krieger, ZGR 1985, 338, 361 f.; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 14 f. 328 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 168 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 148; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 427 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 5; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 17 f. 329 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 175; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 41; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 227; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 67; a.A. Ihrig/Wagner, BB 2002, 2509, 2513. 330 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 169; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 146; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 430 f.; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 23 ff.

335

§ 11 Rz. 747 | Die Organisation des Aufsichtsrats

Aufgabenbereich des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG stellt sich die Problematik ähnlich: Umfasst die Vorbereitungstätigkeit die selbständige Wertung und Aussonderung gesammelter Informationen, wird der Entscheidungseinfluss des Plenums reduziert und der Zweck des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG berührt. Dies nötigt gleichwohl nicht zu der Konsequenz, dass vorbereitende Ausschüsse sich auf reine Informationssammlung zu beschränken hätten331, sondern es genügt, dass das Plenum aufgrund seines Rechts zur Steuerung der Ausschusstätigkeit und zur Information über diese (Rz. 749 f.) in der Lage bleibt, soweit nötig auf die Ausschusstätigkeit Einfluss zu nehmen, sich eine eigene Meinung zu bilden und eigenverantwortlich zu entscheiden332. 748

Als Aufgabenbereich überwachender Ausschüsse nennt § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG die Überwachung der Ausführung der Aufsichtsratsbeschlüsse durch den Vorstand. Seine allgemeine Überwachungsaufgabe kann der Aufsichtsrat hingegen nicht auf einen Ausschuss delegieren333. Das gilt auch für wesentliche Teilbereiche der allgemeinen Überwachungsaufgabe wie z.B. die Compliance-Überwachung als solche334. Dieses Verbot hindert es aber nicht, einen Ausschuss damit zu betrauen, einzelne Bereiche der Geschäftsführung (z.B. Überwachung einzelner konkreter Geschäftsführungsmaßnahmen oder bestimmte Bereiche der Geschäftsführung) intensiver zu überwachen335, so dass sich das Plenum in diesen Bereichen auf den Ausschuss stützen kann, dessen Tätigkeit es dann seinerseits zu beobachten hat (vgl. Rz. 750).

749

Auch wenn zur Entlastung des Aufsichtsrats Ausschüsse eingesetzt werden, bleibt der Gesamtaufsichtsrat Herr des Verfahrens. Der Ausschuss ist verpflichtet, bei seiner Tätigkeit auf den Willen des Gesamtaufsichtsrats Rücksicht zu nehmen und diesem die Möglichkeit zur Entscheidung zu geben, wenn zwischen der Mehrheitsmeinung des Ausschusses und der des Plenums Widersprüche bestehen336. Der Gesamtaufsichtsrat ist jederzeit befugt, Entscheidungen, die er einem Ausschuss übertragen hat, wieder an sich zu ziehen, sei es generell, sei es für den Einzelfall337. Ebenso kann der Ausschuss jederzeit aufgelöst oder anders besetzt werden. 331 Näher Krieger, Personalentscheidungen, S. 69 f.; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 46 ff., je m.w.N. auch zur Gegenmeinung. 332 Vgl. auch Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 159 f.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 91; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 436 f.; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 48 f., 54 f. 333 OLG Hamburg v. 29.9.1995 – 11 U 20/95, ZIP 1995, 1673, 1675 = AG 1996, 84; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 145 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 27; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 4. 334 Zutreffend v. Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119, 121 ff. 335 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 396; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 3; ausführlich Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 32 ff. 336 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 141; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 97; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 401; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 43 f. 337 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 55 f. = AG 1984, 48; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 19; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 139; Hopt/ Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 377.

336

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 751 § 11

Der Gesamtaufsichtsrat hat die Tätigkeit der Ausschüsse zu überwachen und sich zu diesem Zweck regelmäßig über die Ausschusstätigkeit berichten zu lassen. Das war auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung anerkannt338, ist inzwischen aber auch in § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG klargestellt. Die Berichterstattung hat grundsätzlich in jeder ordentlichen Aufsichtsratssitzung zu erfolgen339. Sie kann sich auf eine Zusammenfassung des Wesentlichen beschränken340. Detailinformationen braucht der Ausschuss nur zu geben, wenn dies durch Mehrheitsbeschluss des Plenums verlangt wird oder bei vorbereitenden Ausschüssen für eine ordnungsgemäße Entscheidung des Plenums nötig ist; vgl. Rz. 787. Zur Verantwortlichkeit der nicht dem Ausschuss angehörenden Aufsichtsratsmitglieder in Bezug auf die Ausschusstätigkeit vgl. Rz. 999 ff.

750

2. Einzelne Ausschüsse In der Praxis ist die Bildung von Aufsichtsratsausschüssen weit verbreitet341. Im Vordergrund stehen Personalausschüsse und Aufsichtsratspräsidien. In börsennotierten Gesellschaften werden entsprechend den Empfehlungen D.3 und D.5 des Kodex zumeist auch Prüfungsausschüsse342 und Nominierungsausschüsse gebildet. Inwieweit die Praxis der börsennotierten Gesellschaften von dem im neu geschaffenen § 107 Abs. 3 Satz 4–6 AktG geregelten RPT-Ausschuss (näher Rz. 763) Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten. Daneben finden sich Ausschüsse für besondere Sachgebiete, etwa für Strategie, Finanzen, Investitionen, Technologie und Compliance343. Für CRR-Institute schreibt § 25d Abs. 8–12 KWG die Einrichtung von Risiko-, Prüfungs-, Nominierungs- und Vergütungskontrollausschüssen mit detailliert geregelten Aufgaben vor; die Deutsche Bank hat überdies einen „Integritätsausschuss“ gebildet. Schließlich werden in der Praxis in Sondersituationen Ad-hoc-Ausschüsse für die Wahrnehmung vorübergehender Aufgaben gebildet, so etwa zur Behandlung von Fragen im Zusammenhang mit einem öffentlichen Übernahmeangebot oder zur Begleitung besonders wichtiger operativer Vorhaben des Vorstands344; in rechtlicher Hinsicht gelten für Ad-hoc-Ausschüsse keine Besonderheiten345. 338 OLG Hamburg v. 29.9.1995 – 11 U 20/95, ZIP 1995, 1673, 1676 = AG 1996, 84; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 57 ff. 339 Begr. RegE TransPuG, BR-Drucks. 109/02, S. 36; LG München I v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, WM 2007, 1975, 1977; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 33; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 42. 340 Begr. RegE TransPuG, BR-Drucks. 109/02, S. 36; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 33; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 42. 341 Vgl. zur praktischen Bedeutung von Aufsichtsratsausschüssen Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 20: Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 303 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 2. 342 Vgl. Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1286, wonach 79 % aller börsennotierten Gesellschaften einen Prüfungsausschuss gebildet haben. 343 Zum „Integritätsausschuss“ der Deutschen Bank vgl. Plagemann, NZG 2013, 1293. 344 Konkrete Praxisbeispiele bei Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 115. 345 Eingehend Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 116 ff.

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751

§ 11 Rz. 752 | Die Organisation des Aufsichtsrats

a) Personalausschuss 752

Am meisten verbreitet ist der Personalausschuss346. Seine Aufgabe ist insbesondere die Vorbereitung der Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, insbesondere der Bestellung von Vorstandsmitgliedern und der Ausgestaltung der Anstellungsverträge. Daneben wird ihm vielfach die Entscheidung über Nebentätigkeiten von Vorstandsmitgliedern (§ 88 AktG), Kreditvergaben nach §§ 89, 115 AktG und Dienstverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern (§ 114 AktG) übertragen347. Die Regelung der Vergütung der Vorstandsmitglieder, die früher die wesentliche Aufgabe des Personalausschusses bildete, ist heute zwingend dem Plenum zugewiesen (§§ 107 Abs. 2 Satz 3, 87 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG); vgl. dazu im Einzelnen Rz. 389 f. b) Aufsichtsratspräsidium

753

In vielen Gesellschaften ist ein Aufsichtsratspräsidium gebildet. Das Aufgabenbild ist vielfältig. Oft sind Präsidien als Personalausschuss des Aufsichtsrats tätig. Daneben werden ihnen auch andere Aufgaben, z.B. die Behandlung von Finanzierungsfragen und Fragen der Investitionspolitik, zugewiesen; häufig wird dem Präsidium auch die Befugnis übertragen, Eilfälle und besonders vertrauliche Angelegenheiten (namentlich Insidersachverhalte) zu behandeln348. Der eigentliche Kern der Funktionen des Präsidiums ist jedoch der Auftrag, mit dem Vorstand ständig Fühlung zu halten; daneben soll das Präsidium üblicherweise die Arbeit im Aufsichtsrat koordinieren und bei der Sitzungsvorbereitung mitwirken349. Auch soweit das Präsidium diese eigentlichen Präsidialaufgaben wahrnimmt, ist es nach herrschender Auffassung ein Ausschuss des Aufsichtsrats350, nach anderer Meinung ein Gremium eigener Art, weil ihm nicht Aufgaben übertragen werden, die eigentlich dem Plenum obliegen, sondern Aufgaben, die ohne Einsetzung eines Präsidiums vom Aufsichtsratsvorsitzenden zu erledigen sind351. Praktische Unterschiede verbinden sich mit diesen verschiedenen Sichtweisen nicht.

754

Die Errichtung eines Präsidiums setzt einen entsprechenden Aufsichtsratsbeschluss voraus. Ohne einen solchen Beschluss wäre die Bildung eines dauernden Beraterkreises des Vorsitzenden (nicht die gelegentliche Beratung einer Einzelfrage mit sachverständigen Aufsichtsratskollegen) pflichtwidrig352. Für die Einsetzung eines Präsidiums gelten im Wesentlichen die gleichen Regeln wie für die Errichtung eines (sonstigen) Ausschusses. Die Entscheidung, ob ein Präsidium gebildet werden soll, obliegt 346 347 348 349

Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 2. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 13. Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 15, 17; Krieger, ZGR 1985, 338 f. BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 114 = AG 1982, 218; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 15; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 103; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 306, 601; Krieger, ZGR 1985, 338, 339. 350 Für die h.M. insbesondere BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 114 = AG 1982, 218; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 103; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 306, 604. 351 Krieger, ZGR 1985, 338, 340 ff., 359 ff. 352 Krieger, ZGR 1985, 338, 363 f.

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Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 756 § 11

ausschließlich dem Aufsichtsrat selbst; die Satzung kann insoweit keine wirksamen Anordnungen treffen353. Über die Größe des Präsidiums kann der Aufsichtsrat frei entscheiden. Der Grundsatz, dass entscheidende Ausschüsse mit mindestens drei Mitgliedern besetzt werden müssen (vgl. Rz. 768), gilt für das Aufsichtsratspräsidium – soweit es um die Wahrnehmung der eigentlichen Präsidialfunktionen geht (vgl. Rz. 753) – nicht354. Der Aufsichtsratsvorsitzende, sein Stellvertreter und etwaige weitere Stellvertreter des Vorsitzenden sind geborene Mitglieder des Präsidiums; ohne sie kann ein Präsidium nicht gebildet werden355. c) Prüfungsausschuss Die Bildung eines Prüfungsausschusses wird durch das AktG zwar nicht vorgeschrieben, seit dem BilMoG (2009) sind der Prüfungsausschuss und seine Aufgaben jedoch in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG besonders hervorgehoben, Der Kodex empfiehlt die Einrichtung eines Prüfungsausschusses schon seit der ersten Kodexfassung im Jahre 2002 (derzeit Empfehlung D.3), und in der Praxis ist dieser Ausschuss seit Ende der 1980er Jahre verbreitet356. Eine Sonderregelung gilt nach § 25d Abs. 9 KWG für CRR-Institute, für welche die Errichtung eines Prüfungsausschusses verpflichtend ist. Nach Empfehlung C.10 Satz 1 des Kodex soll auch der Vorsitzende des Prüfungsausschusses von der Gesellschaft und dem Vorstand unabhängig sein (vgl. dazu Rz. 662); darüber hinaus enthält C.10 Satz 2 des Kodex die als verfehlt anzusehende Empfehlung der Unabhängigkeit des Prüfungsausschussvorsitzenden vom kontrollierenden Aktionär. Nach Empfehlung D.4 Satz 1 des Kodex soll der Vorsitzende über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen sowie mit der Abschlussprüfung vertraut sein. D.4 Satz 2 des Kodex empfiehlt außerdem, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht den Vorsitz im Prüfungsausschuss innehaben soll; auch diese Empfehlung ist als verfehlt abzulehnen357.

755

Als Aufgaben des Prüfungsausschusses358 nennt § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG die Befassung mit der Überwachung des Rechnungslegungsprozesses, der Wirksamkeit des

756

353 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 115 = AG 1982, 218; Krieger, ZGR 1985, 338, 361; Semler, AG 1988, 60, 63; a.A. Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 74, 132. 354 Krieger, ZGR 1985, 338, 362; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 16; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 104. 355 Krieger, ZGR 1985, 338, 363; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 16; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 106. 356 Vgl. aus der Zeit vor dem BilMoG etwa Haasen, ZfbF 40 (1988), 370; Goerdeler, ZGR 1987, 219; Langenbucher/Blaum, DB 1994, 2197; Ranzinger/Blies, AG 2001, 455; Hopt/ Roth in FS Nobel, 2005, S. 147. 357 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 147; Scheffler, ZGR 2003, 236, 261; Coenenberg/Reinhart/Schmitz, DB 1997, 998, 993; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 23; Altmeppen, ZGR 2004, 390, 405. 358 Dazu eingehend Schoch, Der Prüfungsausschuss, S. 156 ff.; Hempelmann, Die Überwachung des Vorstands, S. 256 ff.; Nonnenmacher/Pohle/v. Werder, DB 2009, 1074, 1450 f.; Hönsch, Der Konzern 2009, 553, 559 ff.

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§ 11 Rz. 756 | Die Organisation des Aufsichtsrats

internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems sowie mit der Abschlussprüfung, hier insbesondere der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und den vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen. § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG stellt daneben heraus, dass der Prüfungsausschuss Empfehlungen oder Vorschläge zur Gewährleistung der Integrität des Rechnungslegungsprozesses unterbreiten kann. Der Kernbereich der Tätigkeit des Prüfungsausschusses kommt in dieser gesetzlichen Regelung nur unzureichend zum Ausdruck. Er besteht, wie jetzt auch Empfehlung D.3 des Kodex hervorhebt, in der Vorbereitung der dem Gesamtaufsichtsrat obliegenden Prüfung und Entscheidung über die Billigung von Jahres- und Konzernabschluss359 und in der Behandlung unterjähriger Finanzinformationen, namentlich der Halbjahres- und etwaiger Quartalsfinanzberichte. In kapitalmarktorientierten Gesellschaften (§ 264d HGB), CRR-Kreditinstituten und Versicherungen ist der Vorschlag des Aufsichtsrats zur Wahl des Abschlussprüfers auf eine Empfehlung des Prüfungsausschusses zu stützen (§ 124 Abs. 3 Satz 2 AktG). Darüber hinaus empfiehlt D.11 des Kodex, dass der Prüfungsausschuss regelmäßig eine Beurteilung der Qualität der Abschlussprüfung vornehmen soll. Überdies wird sich der Prüfungsausschuss üblicherweise auch mit der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befassen, auch wenn die frühere Empfehlung in Ziff. 5.3.2 Kodex 2017 inzwischen entfallen ist. All diese Aufgaben können dem Prüfungsausschuss anstelle des Aufsichtsrats zur Erledigung übertragen werden. Nach Empfehlung D.3 des Kodex soll sich der Prüfungsausschuss schließlich auch mit der Compliance befassen, sofern kein anderer Ausschuss damit betraut ist360; vgl. dazu auch Rz. 758. 757

Die in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG genannte Befassung mit der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der vom Abschlussprüfer zusätzlich erbrachten Leistungen, wurde im Kodex früher näher konkretisiert (Ziff. 7.2.1 Kodex 2017). Vor Unterbreitung des Vorschlags zur Wahl des Abschlussprüfers an die Hauptversammlung und dementsprechend vor der Empfehlung des Prüfungsausschusses an das Plenum (§ 124 Abs. 3 Satz 2 AktG) sollte danach eine Erklärung des vorgesehenen Prüfers eingeholt werden, ob und ggf. welche geschäftlichen, finanziellen, persönlichen oder sonstigen Beziehungen zwischen dem Prüfer und seinen Organen und Prüfungsleitern einerseits und dem Unternehmen und seinen Organmitgliedern andererseits bestehen, die Zweifel an der Unabhängigkeit des Prüfers begründen können. Die Erklärung sollte sich auch darauf erstrecken, in welchem Umfang im vorausgegangenen Geschäftsjahr andere Leistungen für das Unternehmen, insbesondere auf dem Beratungssektor, erbracht wurden oder für das folgende Jahr vertraglich vereinbartwaren. Die Einholung dieser Informationen ist auch nach der Streichung von Ziff. 7.2.1 Kodex 2017 sinnvoll und als Bestandteil der Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats anzusehen.

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Die ebenfalls in § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG genannte Überwachung des Rechnungslegungsprozesses meint eine Systemprüfung des Prozesses der Ableitung der Zahlen 359 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 23. 360 Kritisch dazu Sünner, CCZ 2008, 56, 58.

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Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 759 § 11

und Angaben des Jahresabschlusses aus der Rechnungslegung361. Die Überwachung der Wirksamkeit des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems erfasst diese Systeme zum einen im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess, zum anderen geht es hierbei jedoch auch um die übrigen Abläufe im Unternehmen362. Kapitalmarktorientierte Unternehmen haben im Lagebericht die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess zu schildern (§ 289 Abs. 4 HGB). Die Überwachung der Wirksamkeit des internen Revisionssystems betrifft ebenfalls eine Systemprüfung; der Aufsichtsrat hat nicht die interne Revision und deren Mitarbeiter als solche zu überwachen, sondern die Eignung des vom Vorstand eingerichteten Systems363. Auch soweit D.3 des Kodex schließlich empfiehlt, dass sich der Prüfungsausschuss mit der Compliance befasst, sofern damit kein anderer Ausschuss betraut ist, geht es um eine Systemprüfung der Compliance-Organisation (dazu Rz. 75)364. In manchen Unternehmen wird für diese Tätigkeit ein besonderer Compliance-Ausschuss eingerichtet365; das kann sich insbesondere dann empfehlen, wenn konkrete ComplianceProbleme eine gesteigerte Überwachung in diesem Bereich nötig machen. Richtet der Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft (§ 264b HGB), eines CRR-Kreditinstituts (§ 1 Abs. 3d Satz 1 KWG) oder eines Versicherungsunternehmens einen Prüfungsausschuss ein, muss mindestens ein Mitglied des Ausschusses die Voraussetzung des § 100 Abs. 5 AktG erfüllen (§ 107 Abs. 4 AktG), d.h., es muss sich um ein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied mit Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung handeln (sog. Finanzexperte), und die Mitglieder des Ausschusses insgesamt müssen mit dem Geschäftsfeld der Gesellschaft vertraut sein (sog. Sektorkenntnis). Zu den Anforderungen an die Unabhängigkeit vgl. Empfehlungen C.6 Abs. 2 und C.7 des Kodex und näher Rz. 25. Der von § 100 Abs. 5 AktG geforderte Sachverstand des Finanzexperten muss entweder auf dem Gebiet der Rechnungslegung oder auf dem Gebiet des Abschlussprüfung vorhanden sein. Er setzt nicht voraus, dass das Aufsichtsratsmitglied über eine entsprechende Berufsausbildung verfügt oder auf einem dieser Bereiche schwerpunktmäßig beruflich tätig war, sondern es genügt, dass sich das Aufsichtsratsmitglied durch Ausbildung oder Werdegang Kenntnisse und Erfahrungen verschafft hat, die es in die Lage versetzen, die vom Vorstand gegebenen Informationen kritisch zu hinterfragen366. Die daneben geforderte Sektorkenntnis muss nicht in der Person jedes einzelnen Ausschussmitglieds vorliegen, sondern ebenso wie für das Plenum des Auf361 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 24; E. Vetter, ZGR 2010, 751, 766; Nonnenmacher/Pohle/v. Werder, DB 2009, 1447, 1451. 362 Näher Dreher/Hoffmann, ZGR 2016, 445, 464 ff.; Diederichs/Kißler, Board 2012, 215; E. Vetter, ZGR 2010, 751, 768 ff.; Hoensch, Der Konzern 2009, 553, 559 ff.; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 25 f. 363 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 27; E. Vetter, ZGR 2010, 751, 771 f.; Nonnenmacher/Pohle/v. Werder, DB 2009, 1447, 1451. 364 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 29; E. Vetter, ZGR 2010, 751, 777 f. 365 Näher zum Compliance-Ausschuss v. Busekist/Keuten, CCZ 2016, 119. 366 OLG München v. 28.4.2010 – 23 U 5517/09, AG 2010, 639 f.; LG München v. 5.11.2009 – 5HK O 15312/09, AG 2010, 339 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 100 Rz. 24; Mertens/

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§ 11 Rz. 759 | Die Organisation des Aufsichtsrats

sichtsrats reicht es auch für den Ausschuss, wenn seine Mitglieder sich mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen so ergänzen, dass das Gremium insgesamt die nötige Qualifikation aufweist367. d) Nominierungsausschuss 760

D.5 des Kodex empfiehlt dem Aufsichtsrat, einen Nominierungsausschuss zu bilden, der ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner besetzt ist und dem Aufsichtsrat für dessen Vorschläge an die Hauptversammlung zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 124 Abs. 3 AktG) geeignete Kandidaten benennt. Die Empfehlung wurde erstmals in die Kodexüberarbeitung 2007 aufgenommen und geht auf eine entsprechende Empfehlung der EU-Kommission zurück368. Ihre Umsetzungsquote ist in den letzten Jahren gestiegen, aber nach wie vor eher niedrig369. Aufgabe des Ausschusses soll es sein, ein Anforderungsprofil für die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat zu erarbeiten und auf der Basis eines solchen Profils die Wahlvorschläge des Plenums vorzubereiten370. Es handelt sich also um einen vorbereitenden Ausschuss. Es ist aber auch zulässig, ihm als entscheidendem Ausschuss anstelle des Aufsichtsrats die Beschlussfassung über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung zu übertragen371; nach dem Zweck der Empfehlung liegt darin keine Abweichung, so dass es insoweit keiner Einschränkung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG bedarf372.

761

Der Nominierungsausschuss soll ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner besetzt werden. Das ist sachgerecht und rechtlich ohne Weiteres zulässig, da auch der Wahlvorschlag des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nur der Mehrheit der Stimmen der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat bedarf (§ 124 Abs. 3 Satz 5 AktG)373. Wird der Nominierungsausschuss auch mit Arbeitnehmervertretern besetzt, liegt darin eine Kodexabweichung, die eine Einschränkung der Entsprechens-

367 368 369 370 371 372 373

342

Cahn, Kölner Komm. AktG, § 100 Rz. 76; Nowak, BB 2010, 2423 f.; eingehend Meyer, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, S. 276 ff. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 26 i.V.m. § 100 Rz. 25a f.; Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 150d; Merkt, ZHR 179 (2015), 601, 619; Nodoushani, AG 2016, 381,385; Hersch, VersR 2017, 257, 263. Vgl. Abschnitt II, Ziff. 5.6.1 der Empfehlungen der EU-Kommission vom 15.2.2005, ABl. EG Nr. L 52 v. 25.2.2005, S. 51. Vgl. dazu Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1310, der eine Umsetzungsquote von 69 % aller börsennotierten Unternehmen und 93,3 % der DAX-Unternehmen nennt. Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1311; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.3.3 Rz. 1. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 21; Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 31a; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.3.3 Rz. 2. Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.3.3 Rz. 2; ersichtlich auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 21; Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 31a. Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1313; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.3.3 Rz. 3; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 19.

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 763 § 11

erklärung nötig macht374. Der Beschluss des Aufsichtsrats über die Einsetzung und Besetzung des Nominierungsausschusses bedarf nach verschiedenen Stimmen in der Literatur analog § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG nur der Mehrheit der Stimmen der Anteilseignervertreter375. Dem ist allenfalls für den Fall zuzustimmen, dass die Aufgabe des Nominierungsausschusses strikt auf die Vorbereitung des Wahlvorschlags zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern beschränkt bleibt376, aber auch für diesen Fall bleibt die Analogie zweifelhaft377. Für CRR-Institute schreibt § 25 d Abs. 11 KWG die Bildung eines Nominierungsausschusses mit einem deutlich weiter gefassten Aufgabenbereich vor378. Ihm gehören in der Praxis angesichts der weiter gefassten Zuständigkeiten auch Arbeitnehmervertreter an379, was auch rechtlich geboten erscheint (vgl. Rz. 769).

762

e) RPT-Ausschuss Nach § 107 Abs. 3 Satz 4–6 AktG kann der Aufsichtsrat einen Ausschuss bestellen, der über die bei börsennotierten Gesellschaften nach § 111b Abs. 1 AktG erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats zu Geschäften mit nahestehenden Personen entscheidet („RPT-Ausschuss“). Der Ausschuss kann als ad-hoc-Ausschuss oder als dauernder Ausschuss eingesetzt werden; er kann auch weitere Aufgaben wahrnehmen380. Ein RPT-Ausschuss muss als entscheidender Ausschuss aus mindestens drei Mitgliedern bestehen (vgl. Rz. 768). Die an dem konkreten Geschäft beteiligten Personen dürfen nicht Mitglied des Ausschusses sein (§ 107 Abs. 3 Satz 5 AktG). Außerdem muss der RPT-Ausschuss mehrheitlich aus Personen zusammengesetzt sein, bei denen keine Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu „einer“ nahestehenden Person besteht (§ 107 Abs. 3 Satz 6 AktG); trotz der Verwendung des unbestimmten Artikels muss es für diese Beurteilung nach dem Gesetzeszweck auf die Beziehungen zu derjenigen nahestehenden Person ankommen, die an dem konkreten Geschäft beteiligt ist381. Bei Verstoß gegen Satz 5 oder 6 ist ein Zustimmungsbeschluss wegen fehlerhafter Besetzung des Ausschusses wohl nichtig382 (vgl. auch Rz. 739 ff.). Anders als bei der Beschlussfassung im Plenum über die Zustimmung zu einem Geschäft mit nahestehenden Personen (§ 111b Abs. 2 AktG; vgl. dazu Rz. 732) besteht für den RPT-Ausschuss aber kein Stimmverbot für Mitglieder, 374 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 19. 375 Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1313; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 577; Sünner, AG 2012, 265, 268. 376 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 19. 377 Ablehnend Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 109; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.3.3 Rz. 4. 378 Vgl. dazu auch Rieckers, DB 2015, 2131, 2132. 379 Rieckers in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 124 Rz. 31a; Butzke, Großkomm. AktG, § 124 Rz. 95. 380 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76. 381 So erkennbar auch Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76 letzter Absatz; Tarde, NZG 2019, 488, 492. 382 So wohl auch Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76, bei fehlerhafter Besetzung könne ein ordnungsgemäßer Beschluss nicht gefasst werden.

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763

§ 11 Rz. 763 | Die Organisation des Aufsichtsrats

bei denen die Besorgnis eines Interessenkonflikts besteht, sondern es genügt, dass solche Mitglieder im Ausschuss in der Minderheit sind und kein Ausschussmitglied am konkreten Geschäft beteiligt ist. Das Gesetz will damit einen Anreiz schaffen, einen solchen Ausschuss einzurichten383. Ob dieses Ziel erreicht wird, bleibt abzuwarten; angesichts der mit den Anforderungen an die Besetzung des Ausschusses möglicherweise verbundenen Rechtsunsicherheit mag im Einzelfall mehr dafür sprechen, die Zustimmung zu den sog. related party transactions, die angesichts der weitreichenden Ausnahmen (§ 111a Abs. 2 und 3 AktG) und des hohen Schwellenwerts (§ 111b Abs. 1 AktG) ohnehin selten sein dürften, im Plenum zu belassen384. f) Vermittlungsausschuss und Beteiligungsausschuss 764

Zum Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG vgl. Rz. 793 ff. Zum sog. Beteiligungsausschuss, dem die Entscheidungen nach § 32 MitbestG, § 15 MitbestErgG übertragen werden, s. näher Rz. 521. 3. Einsetzung und Besetzung von Ausschüssen a) Einsetzung

765

Über die Einsetzung von Ausschüssen entscheidet der Aufsichtsrat selbst. Die Satzung kann die Bildung von Ausschüssen mit bestimmten Aufgaben im Allgemeinen weder verbieten noch vorschreiben385. Anders ist dies nur, wenn es sich um eine Aufgabe handelt, die dem Aufsichtsrat nicht schon kraft Gesetzes, sondern erst durch die Satzung zugewiesen ist386.

766

Der Aufsichtsrat kann Ausschüsse durch die Geschäftsordnung oder durch Aufsichtsratsbeschluss einsetzen387. Der Einsetzungsbeschluss bedarf der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Eine Verschärfung dieses Mehrheitserfordernisses durch die Satzung ist nicht zulässig. In mitbestimmten Gesellschaften folgt das schon aus der zwingenden Natur von § 29 MitbestG388. Im Übrigen folgt aus der allgemein akzeptierten Annahme, dass die Satzung die Errichtung von Ausschüssen 383 Begr. RegE ARUG II, BT-Drucks. 19/9739, S. 76. 384 Zweifelnd auch Tarde, NZG 2019, 488, 492. 385 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 115 = AG 1982, 218; BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 355 = AG 1993, 464; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 18; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 96. 386 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 86; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 132; differenzierend Schubert in Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 109, der für diese Fälle ein statutarisches Verbot, jedoch kein Gebot der Ausschussbildung zulässt; ablehnend Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 321 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 96. 387 Muster bei Rosengarten, Münchener Vertragshandbuch, Band 1, Form.V.59 § 7–12 und V.63; Hoffmann-Becking, Beck’sches Formularbuch, Form. X.17 §§ 5 u. 6 und X.18 §§ 8– 12. 388 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 8; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 7.

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Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 769 § 11

nicht verbieten kann, dass auch Erschwerungen durch höhere Mehrheitserfordernisse unzulässig sind389. Personelle Veränderungen im Gesamtaufsichtsrat ändern an der Einsetzung des Ausschusses nichts; die Ausschusseinsetzung als solche bleibt wirksam. Der Ausschuss wird allerdings handlungsunfähig, wenn durch das Ausscheiden von Mitgliedern seine Mitgliederzahl unter die Mindestzahl von zwei Mitgliedern bei vorbereitenden und überwachenden bzw. drei Mitgliedern bei abschließend entscheidend tätigen Ausschüssen (Rz. 768) sinkt390.

767

b) Besetzung Die zahlenmäßige Zusammensetzung von Aufsichtsratsausschüssen regelt das Gesetz nicht. Zwar sind, damit von einem Ausschuss geredet werden kann, mindestens zwei Personen erforderlich. Dies hindert es aber nicht, vorbereitende Aufgaben auch einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern zu übertragen391. Zur Entscheidung können hingegen nur Ausschüsse mit mindestens drei Mitgliedern eingesetzt werden392. Ebenso wird man für überwachende Ausschüsse, die einzelne Überwachungsaufgaben abschließend erledigen sollen, eine Mindestzahl von drei Mitgliedern verlangen müssen, auch wenn sich mit der Übertragung der Überwachungsaufgabe keine Beschlusskompetenzen verbinden393. Für vorbereitende und überwachende Ausschüsse, die das Plenum nur unterstützen sollen, kann ein Ausschuss auch mit zwei Personen besetzt sein394. In diesem Rahmen entscheidet über die Zahl der Ausschussmitglieder allein der Aufsichtsrat395. In Abhängigkeit von der Größe des Plenums und den Aufgaben des Aufsichtsrats wird eine angemessene Ausschussgröße häufig zwischen drei und sechs Personen liegen396.

768

Der Entscheidung des Aufsichtsrats obliegt auch die personelle Besetzung der Ausschüsse. Mitglied eines Ausschusses kann nur sein, wer Mitglied des Aufsichtsrats

769

389 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 97; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 34; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 96. 390 Näher Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 142 ff. 391 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 21; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 100; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 36. 392 BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190; BGH v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 = AG 1989, 129; BGH v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869 = AG 1991, 398; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 21; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 36. 393 Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 136; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 36; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 92 ff. 394 Ganz h.M., z.B. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 21; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 36; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 344. 395 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 114; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 343; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 35; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 95 f. 396 Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 6 Rz. 40; Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 177.

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§ 11 Rz. 769 | Die Organisation des Aufsichtsrats

ist. Für die Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Wahl der Ausschussmitglieder gelten die allgemeinen Regeln. Der Aufsichtsrat entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das gilt auch in mitbestimmten Gesellschaften (§ 29 Abs. 1 MitbestG)397; dem Vorsitzenden steht auch hier das Zweitstimmrecht nach § 29 Abs. 2 MitbestG zu398. Für die Auswahl der Ausschussmitglieder gilt in erster Linie das Eignungsprinzip399. Unzulässig ist es allerdings, eine der Gruppen im Aufsichtsrat in diskriminierender Weise von der Mitwirkung an der Ausschussarbeit fernzuhalten. 770

Unter dem MitbestG war in diesem Zusammenhang vor allem umstritten, ob Ausschüsse gesetzlich zwingend paritätisch zu besetzen seien. Sowohl die Auffassung, die dies bejahen400, als auch die Gegenmeinung, welche die personelle Besetzung weiterhin der freien Entscheidung des Aufsichtsrats überlassen wollte401, haben sich in dieser absoluten Form zu Recht nicht durchgesetzt. Einerseits greift das MitbestG hier in die Gestaltungsautonomie des Aufsichtsrats gerade nicht ein, andererseits geht es aber erkennbar von dem Gedanken zweier gleichgewichtiger Gruppen im Aufsichtsrat aus: Eine unterparitätische Besetzung oder der völlige Ausschluss einer Gruppe von der Teilnahme an einem Ausschuss gegen ihren Willen ist nicht per se rechtswidrig, darf aber nur erfolgen, sofern dafür im Einzelfall ein sachlicher Grund besteht402.

771

In Gesellschaften, die nach dem DrittelbG mitbestimmt sind, gelten weniger strenge Grundsätze. Hier ist die Bildung von Ausschüssen ohne Arbeitnehmervertreter im Allgemeinen zulässig, ohne dass dafür jeweils eine sachliche Rechtfertigung dargelegt

397 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 127; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 56; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 38. Anders noch Säcker, Aufsichtsratsausschüsse, S. 52 ff., der Beschlüsse des Aufsichtsrats über die Besetzung von Ausschüssen dem Verfahren nach § 27 Abs. 1 und 2 MitbestG unterwerfen wollte; dagegen BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 148 = AG 1982, 221. 398 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 127; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 57; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 25 MitbestG Rz. 9; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 38. 399 Näher Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 332 f. mit vielen Nachweisen. 400 So etwa Geitner, AG 1976, 210, 211 f.; Reich/Lewerenz, AuR 1976, 261, 271. 401 So etwa Luther, ZGR 1977, 306, 314; Schaub, ZGR 1977, 293, 302. 402 In diesem Sinn BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 355 ff. = AG 1993, 464; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 f. = AG 1982, 221; OLG München v. 27.1.1995 – 23 U 4282/94, AG 1995, 466, 467; OLG Hamburg v. 6.3.1992 – 11 U 134/ 91, DB 1992, 774, 776 = AG 1992, 197; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 31; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 126 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 40; etwas enger Oetker, Großkomm. AktG, § 29 MitbestG Rz. 36 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 127a; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 100, die von einer Vermutung der Diskriminierung ausgehen, wenn einem Ausschuss keine AN-Vertreter angehören.

346

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 773 § 11

werden müsste403. Die Zulässigkeitsgrenze liegt hier erst bei einer Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter. Eine solche liegt jedenfalls dann vor, wenn die Arbeitnehmervertreter ohne sachlichen Grund von der Beteiligung an sämtlichen Ausschüssen ausgeschlossen werden404. Überdies wird ein Ausschuss für sozialpolitische Angelegenheiten im Allgemeinen nicht ohne Beteiligung der Arbeitnehmer gebildet werden dürfen405. Hingegen geht es zu weit, eine unzulässige Diskriminierung schon dann anzunehmen, wenn ein Personalausschuss ohne Arbeitnehmervertreter gebildet wird406. Die Satzung kann weder anordnen, dass bestimmte Aufsichtsratsmitglieder bestimmten Ausschüssen anzugehören oder nicht anzugehören hätten, noch kann sie vorschreiben, dass die Mitgliedergruppen im Aufsichtsrat sich in bestimmter Weise in einem Ausschuss widerspiegeln müssten407. Hingegen sind entsprechende Bestimmungen der Geschäftsordnung zulässig und wirksam, sofern hierüber der Aufsichtsrat selbst entscheidet (vgl. auch Rz. 653)408.

772

Die Amtszeit der Ausschussmitglieder kann mit der Wahl bestimmt werden. Geschieht das nicht, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Wahl für die Dauer der laufenden Amtsperiode als Aufsichtsratsmitglied gelten soll. Bei einer Wiederwahl zum Aufsichtsratsmitglied verlängert sich die Ausschussmitgliedschaft jedoch nicht automatisch, vielmehr ist eine Neuwahl auch zum Ausschussmitglied erforderlich. Das Ausscheiden anderer Aufsichtsratsmitglieder aus dem Aufsichtsrat oder dem Ausschuss berührt die Ausschussmitgliedschaft nicht409.

773

403 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 39; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 101; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 143; Zöllner in FS Zeuner, 1995, S. 161, 182 ff. 404 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 124; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 101; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 39; Zöllner in FS Zeuner, 1995, S. 161, 182 ff. 405 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 124; Spindler in Spindler/Stilz, Komm, AktG, § 107 Rz. 101; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 39; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 107. 406 So aber LG Frankfurt a.M. v. 19.12.1995 – 2/14 O 183/95, ZIP 1996, 1661, 1663; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 125; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 101; wie hier Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 355; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 39. 407 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 115 = AG 1982, 218; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 31; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 35, 37. 408 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 31; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 332; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 103; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 37; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 136 f.; a.A. OLG Hamburg v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, WM 1982, 1090, 1092 ff. = AG 1983, 21; einschränkend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 98. 409 Näher zum Ganzen Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 142.

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§ 11 Rz. 774 | Die Organisation des Aufsichtsrats

4. Innere Ordnung der Ausschüsse 774

Die Arbeitsweise von Aufsichtsratsausschüssen regelt das Gesetz in § 108 Abs. 3 und 4 und § 109 AktG. Nähere Regelungen kann die Satzung treffen, solange sie nicht in die dem Aufsichtsrat vorbehaltene Entscheidungsfreiheit über die Einrichtung und Besetzung von Ausschüssen eingreift410. Soweit die Satzung keine vorrangigen Regelungen getroffen hat, kann der Gesamtaufsichtsrat die Geschäftsordnung der Ausschüsse bestimmen, soweit er keine Regelung trifft, kann der Ausschuss selbst eine Geschäftsordnung für sich beschließen411. Im Übrigen finden die Bestimmungen über die innere Ordnung des Gesamtaufsichtsrats entsprechende Anwendung412.

775

Die Bestellung eines Ausschussvorsitzenden ist möglich, aber nicht notwendig413. Die Entscheidung, ob ein Vorsitzender bestellt werden soll, und die Auswahl des Vorsitzenden stehen in erster Linie dem Gesamtaufsichtsrat zu, der mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Hat der Gesamtaufsichtsrat keine Entscheidung getroffen, kann der Ausschuss selbst über die Wahl eines Vorsitzenden befinden414. Die Satzung kann hierzu keine Bestimmungen treffen. Sie kann die Wahl eines Vorsitzenden weder anordnen noch untersagen, ebenso wenig kann sie bestimmen, dass eine bestimmte Person – z.B. der Aufsichtsratsvorsitzende, das älteste Ausschussmitglied usw. – Vorsitzender des Ausschusses sei415.

776

Hat der Ausschuss einen Vorsitzenden, so obliegt diesem die Einberufung von Ausschusssitzungen; andernfalls ist jedes Ausschussmitglied zur Einberufung berechtigt416. Entsprechend § 110 Abs. 1 AktG kann jedes Ausschuss- (nicht: Aufsichtsrats)Mitglied eine Einberufung des Ausschusses verlangen und notfalls entsprechend § 110 Abs. 2 AktG den Ausschuss selbst einberufen417; vgl. dazu Rz. 695 ff. Das gleiche Recht wird man dem Vorstand zubilligen müssen, denn wenn der Aufsichtsrat Aufgaben einem Ausschuss übertragen hat, würde das Recht des Vorstands, eine Einberufung des Gesamtaufsichtsrats zu erzwingen, seinen Zweck verfehlen, übertrü410 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 118 = AG 1982, 218; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 45. 411 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 115 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 45. 412 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 107; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 162; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 45. 413 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 120; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 110; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 46; a.A., es müsse ein Vorsitzender bestellt werden, Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 359 f. m.w.N. 414 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 120; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 46. 415 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 96; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 46; a.A. Lehmann, DB 1979, 2117, 2121. 416 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 112; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 47. 417 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 129; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 112; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 47.

348

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 778 § 11

ge man es nicht auch auf den Ausschuss418. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats ist hingegen nicht zur Einberufung befugt419. Für die Aufstellung und Bekanntgabe der Tagesordnung zur Ausschusssitzung gilt das Gleiche wie beim Gesamtaufsichtsrat420; vgl. Rz. 693. Zur Teilnahme an Ausschusssitzungen ist jedes Aufsichtsratsmitglied befugt (§ 109 Abs. 2 AktG). Die nicht dem Ausschuss angehörenden Aufsichtsratsmitglieder sind daher – allerdings nur auf Wunsch421 – zu den Sitzungen des Ausschusses einzuladen und über die Tagesordnung zu informieren; in jedem Fall ist auch der Aufsichtsratsvorsitzende zu informieren, wenn er dem Ausschuss nicht angehört422. Mit dem Teilnahmerecht verbindet sich die Befugnis zur Einsichtnahme in alle Unterlagen des Ausschusses423, allerdings nur insoweit, als diese Unterlagen Grundlage der jeweiligen Sitzung sind424. In der Sitzung haben auch die nicht dem Ausschuss angehörenden Aufsichtsratsmitglieder das Recht, sich an der Diskussion zu beteiligen425. Nach der Sitzung kann jedes Aufsichtsratsmitglied, auch wenn es an der Sitzung nicht teilgenommen hat, Einsicht in das Protokoll verlangen (näher Rz. 792)426.

777

Der Aufsichtsratsvorsitzende kann den nicht dem Ausschuss angehörenden Mitgliedern die Teilnahme untersagen (§ 109 Abs. 2 AktG). Mit dem Teilnahmeverbot entfällt das korrespondierende Recht auf Einsicht in die Sitzungsunterlagen und das Sit-

778

418 A.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 129; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 452. 419 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 47; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 164; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 107 Rz. 51; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 165; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 135 ff.; a.A. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 110 Rz. 129; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 452; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 112. 420 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 129; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 47. Zum Gestaltungsspielraum der Satzung hinsichtlich der Sitzungseinberufung vgl. näher Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 166. 421 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 29; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 22; Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 120; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 228 f.; zu weitgehend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 30, der anscheinend auch eine unaufgeforderte Information der ausschussfremden Aufsichtsratsmitglieder über Ort und Zeit von Ausschusssitzungen verlangen will. 422 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 75; Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 120. 423 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 38; vgl. auch Rz. 792. 424 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 229; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 38 f. 425 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 30; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 37; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 230. 426 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 38 f.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 23; weitergehend Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53, der von einem Recht auf Aushändigung einer Protokollabschrift ausgeht.

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§ 11 Rz. 778 | Die Organisation des Aufsichtsrats

zungsprotokoll427. Nur der Vorsitzende des Aufsichtsrats, nicht der Vorsitzende des Ausschusses, ist befugt, das Teilnahmerecht zu entziehen; auch dem Aufsichtsratsplenum steht dieses Recht nicht zu428. Nach h.M. kann das Plenum nicht einmal das vom Aufsichtsratsvorsitzenden ausgeschlossene Teilnahmerecht wieder herstellen, so dass es insoweit also keinen gesellschaftsinternen Rechtsbehelf gegen das Teilnahmeverbot gibt429. Ebenso wenig kann der Aufsichtsratsvorsitzende die Entscheidung an den Ausschuss oder dessen Vorsitzenden delegieren430. Das Teilnahmeverbot kann für einzelne oder alle Aufsichtsratsmitglieder ausgesprochen werden, die dem Ausschuss nicht angehören; es kann sich auf einzelne Ausschusssitzungen beschränken, aber bei entsprechendem Geheimhaltungsbedürfnis auch generell für alle Sitzungen eines bestimmten Ausschusses verhängt werden431. Bestehen mehrere Ausschüsse, ist es aber grundsätzlich nicht zulässig, ein generelles Teilnahmeverbot für sämtliche Ausschüsse anzuordnen432. Ein „wichtiger Grund“ für den Ausschluss des Teilnahmerechts ist nicht erforderlich433. Der Aufsichtsratsvorsitzende entscheidet vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei insbesondere die Wahrung der Vertraulichkeit der Beratungen des Ausschusses, aber auch Gesichtspunkte wie die Effizienz der Ausschusstätigkeit oder die Fernhaltung von Mitgliedern mit Interessenkonflikten u.a. sachgerechte Entscheidungsgesichtspunkte sind434. Der Aufsichtsratsvorsitzende ist bei seiner Entscheidung zur Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet; eine diskriminierende Ausschließung einzelner Aufsichtsratsmitglieder oder Mitgliedergruppen ist unzulässig435. Aufsichtsratsmitgliedern, die den Aus-

427 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 36; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 41; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53; s. auch Rz. 792. 428 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 31; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 25; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 30; a.A. Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 60. 429 Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 30; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 31; a.A. Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 58 ff.; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 230 ff. 430 Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 25; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 30; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 31. 431 LG München I v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, WM 2007, 1975; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 34; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 34; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 28; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 48; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 237 ff.; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 79; Peus, Der Aufsichtsratsvorsitzende, S. 55 ff.; Säcker, NJW 1979, 1521, 1523, die einen Ausschluss nur für einzelne Sitzungen zulassen wollen. 432 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 34; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 28; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; a.A. Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 237 ff. 433 A.A. Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 120. 434 Vgl. etwa LG München I v. 23.8.2007 – 12 O 8466/07, NZG 2008, 348, 349; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 66; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 33. 435 OLG Hamburg v. 25.5.1984 – 11 U 183/83, AG 1984, 248, 250 f.; Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 32; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 26.

350

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 780 § 11

schluss ihres Teilnahmerechts für missbräuchlich erachten, steht die Möglichkeit einer entsprechenden Feststellungsklage offen436. Für die Teilnahme Dritter gelten gemäß § 109 Abs. 1 und 3 AktG die gleichen Regeln wie für Sitzungen des Gesamtaufsichtsrats; vgl. dazu Rz. 703 ff. Entscheidungsbefugte Aufsichtsratsausschüsse müssen, damit der Zweck der Beschlussfähigkeitsvorschrift des § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht unterlaufen wird, aus mindestens drei Mitgliedern bestehen (vgl. Rz. 768) und sind in der Konsequenz dessen auch nur bei Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern beschlussfähig437. Im Übrigen gelten § 108 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 28 Satz 1 MitbestG entsprechend. Das heißt, dass mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen der Ausschuss zu bestehen hat (Sollstärke), an der Abstimmung teilnehmen muss438. Satzung oder Geschäftsordnung können eine höhere oder niedrigere Quote festlegen, allerdings nicht die Mindestzahl von drei Mitgliedern unterschreiten439.

779

Die Beschlussfassung in Ausschüssen muss ebenso wie im Plenum (vgl. Rz. 715) ausdrücklich erfolgen440. Sie bedarf der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der Aufsichtsrat kann ein höheres Mehrheitserfordernis anordnen441; hingegen wird man Verschärfungen des Mehrheitserfordernisses durch die Satzung nicht zulassen können442. Ein Zweitstimmrecht analog § 29 Abs. 2 MitbestG steht dem Ausschussvorsitzenden auch in Gesellschaften unter dem MitbestG nicht zu443. Es ist jedoch zulässig, einem Ausschussmitglied (insbesondere dem Vorsitzenden) in der Satzung, in der Geschäftsordnung oder im Beschluss über die Bildung des Ausschusses das Recht zum Stichentscheid oder ein Zweitstimmrecht nach dem Vorbild des § 29 Abs. 2 MitbestG bei Stimmengleichheit einzuräumen444.

780

436 LG München I v. 23.8.2007 – 12 O 8466/07, NZG 2008, 348, 349 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 31. 437 BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 192 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 50. 438 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 132; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 166; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 50. 439 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 132; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 166; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 50; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 167 f. 440 BGH v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 = AG 1989, 129; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 29. 441 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 136; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 168; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 51. 442 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 169 f.; wohl auch E. Vetter in Marsch-Barner/ Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, § 28 Rz. 22; a.A. die h.M., z.B. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 457; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 108; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 136; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 168. 443 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 148 = AG 1982, 221; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 134. 444 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 117 ff. = AG 1982, 218; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 ff. = AG 1982, 221; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 107 Rz. 32.

351

§ 11 Rz. 781 | Die Organisation des Aufsichtsrats 781

Für schriftliche Stimmabgaben und schriftliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung gelten gemäß § 108 Abs. 3 und 4 AktG die gleichen Vorschriften wie für den Gesamtaufsichtsrat; vgl. dazu Rz. 601 ff. Für fehlerhafte Beschlüsse eines Ausschusses gelten die gleichen Regeln wie für fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse (vgl. Rz. 739 ff.). Ein uneingeschränkter Nichtigkeitsgrund ist es hier auch, wenn ein entscheidungsbefugter Ausschuss nicht mit der erforderlichen Zahl von mindestens drei Mitgliedern (Rz. 768) besetzt war445.

782

Über die Sitzungen des Ausschusses ist entsprechend § 107 Abs. 2 AktG eine Niederschrift anzufertigen446, von der jedes Mitglied des Ausschusses eine Abschrift verlangen kann (zum Recht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder auf Einsicht oder Erteilung von Abschriften vgl. Rz. 792). 5. Informationssystem und Ausschüsse a) Informationsansprüche des Ausschusses

783

Zur Erledigung seiner Aufgaben ist ein Ausschuss ebenso wie das Plenum auf die Erteilung entsprechender Informationen durch den Vorstand angewiesen. Das rechtfertigt die Annahme, dass den Ausschüssen und ihren Mitgliedern entsprechend § 90 Abs. 3 AktG das Recht zusteht, vom Vorstand über Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich des Ausschusses eine Berichterstattung an den Ausschuss zu verlangen447.

784

Will der Vorstand aus eigener Initiative über Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich eines Ausschusses berichten, ist dieser Bericht dem zuständigen Ausschuss zu erstatten448. Mündliche Berichte sind also in einer Ausschusssitzung vorzutragen, schriftliche Berichte den Mitgliedern oder dem Vorsitzenden des Ausschusses direkt zuzuleiten. Parallel dazu ist der Aufsichtsratsvorsitzende zu unterrichten, damit dieser ggf. von seinem Recht aus § 109 Abs. 2 AktG Gebrauch machen kann449. Berichte aus wichtigem Anlass (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AktG) gehen an den Auf-

445 BGH v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295 = AG 1989, 129; BGH v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869 = AG 1991, 398. 446 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 135; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53. 447 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 138; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 465; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 172; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 179 ff., 193. 448 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 138; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 465; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 188 ff., 193 ff.; Semler, AG 1988, 60, 64 f. 449 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 466; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 121; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 172; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 188 ff.; 193 f.; Semler, AG 1988, 60, 64 f.; anders Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 137; Mertens, AG 1980, 67, 73, die Berichte seien zunächst dem Aufsichtsratsvorsitzenden zuzusenden, dem dann die Weitergabe an den Ausschuss obliege.

352

Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 787 § 11

sichtsratsvorsitzenden, der dann entsprechend § 90 Abs. 5 Satz 3 AktG die Ausschussmitglieder zu informieren hat. Ein unmittelbares Einsichts- und Prüfungsrecht entsprechend § 111 Abs. 2 AktG steht den Ausschüssen des Aufsichtsrats grundsätzlich nicht zu450. Das Plenum kann jedoch einen Ausschuss generell oder für den Einzelfall zur Ausübung der Rechte nach § 111 Abs. 2 AktG ermächtigen451.

785

Schließlich ist der Ausschuss ebenso wie der Gesamtaufsichtsrat berechtigt, den fachkundigen Rat Dritter einzuholen, soweit dies für die ordnungsgemäße Erledigung seiner Aufgaben erforderlich ist452; vgl. dazu auch Rz. 656 und 703.

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b) Informationsansprüche des Plenums Informationsansprüche des Aufsichtsratsplenums gegen den Vorstand über Angelegenheiten aus dem Aufgabenbereich beschließender Ausschüsse bestehen – solange die Übertragung der Aufgabe an den Ausschuss nicht rückgängig gemacht ist – grundsätzlich nicht. Vielmehr erfüllt der Vorstand seine Berichtspflicht mit der Unterrichtung des Ausschusses453. Gleiches gilt für vorbereitende Ausschüsse: Solange deren Tätigkeit andauert und das Plenum die Angelegenheit nicht wieder an sich zieht, besteht ein Informationsanspruch des Plenums gegenüber dem Vorstand nicht454. Ist die Vorbereitungsphase abgeschlossen, braucht der Vorstand die dem Ausschuss erstatteten schriftlichen Berichte nicht noch einmal gegenüber dem Plenum zu wiederholen; insoweit hat er seine Pflichten erfüllt455. Anders kann es sich aber bei nur mündlichen Berichten an den Ausschuss verhalten456. Zu beachten ist in jedem Fall, dass dem Plenum stets die allgemeine Überwachung der Geschäftsführung obliegt. Deshalb kann das Plenum weiterhin vom Vorstand solche Informationen verlangen, die zur Verwirklichung der allgemeinen Überwachungspflicht erforderlich sind, auch wenn diese Informationen Tätigkeitsbereiche eines Ausschusses betreffen457. 450 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 137; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 466; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 121; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 199 ff.; a.A. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 130. 451 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 137; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 466; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 172; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 200; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 286. 452 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 201 ff.; Semler, AG 1988, 60, 64. 453 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 138; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 121; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 476; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 184 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 372. 454 Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 122; Mertens, AG 1980, 67, 73 f.; wohl auch Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 107 Rz. 138; vgl. auch Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 377. 455 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 193 f.; Semler, AG 1988, 60, 64. 456 Näher Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 194 ff.; Semler, AG 1988, 60, 65. 457 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 138; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 373.

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787

§ 11 Rz. 788 | Die Organisation des Aufsichtsrats 788

Die Ausschüsse haben das Plenum regelmäßig in zusammengefasster Form über ihre Arbeit zu unterrichten (§ 107 Abs. 3 Satz 5 AktG); vgl. dazu Rz. 750. Das Plenum des Aufsichtsrats kann überdies durch entsprechenden Beschluss von seinen Ausschüssen umfassende Informationen verlangen458. Ein vorbereitender Ausschuss ist darüber hinaus naturgemäß verpflichtet, dem Plenum von sich aus zu berichten, sobald er seine Arbeit getan hat. Schriftliche Vorstandsberichte, die dem Ausschuss erstattet wurden, sind an das Plenum weiterzuleiten, über mündliche Vorstandsberichte ist das Plenum zu informieren459. Außerdem hat der Ausschuss durch einen eigenen Bericht dafür zu sorgen, dass das Plenum die für seine Entscheidung erforderlichen Kenntnisse rechtzeitig erhält460. Anders verhält es sich bei Ausschüssen, denen Angelegenheiten zur abschließenden Erledigung an Stelle des Aufsichtsrats übertragen sind. Vorstandsberichte, die solchen Ausschüssen über Angelegenheiten aus ihrem Bereich erstattet wurden, braucht der Ausschuss nicht von sich aus an das Plenum weiterzuleiten461. Ebenso wenig ist der Ausschuss gehalten, von sich aus sonstige Detailinformationen über die Verhandlungen im Ausschuss dem Plenum zuzuleiten462.

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Die Einsichts- und Prüfungsrechte des Plenums nach § 111 Abs. 2 AktG werden durch die Einsetzung von Ausschüssen nicht berührt. Auch wenn das Plenum einen Ausschuss ermächtigt hat, im Rahmen seines Aufgabenbereichs die Rechte nach § 111 Abs. 2 AktG auszuüben, ist es nicht gehindert, davon auch selbst Gebrauch zu machen. c) Informationsansprüche einzelner Aufsichtsratsmitglieder

790

Das Recht einzelner Aufsichtsratsmitglieder, vom Vorstand nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG Berichterstattung an den Aufsichtsrat zu verlangen, wird durch die Einsetzung von Ausschüssen ebenfalls beschränkt. Über Angelegenheiten, die einem Ausschuss zur abschließenden Erledigung übertragen sind, können einzelne Aufsichtsratsmitglieder ebenso wenig Berichterstattung an den Aufsichtsrat verlangen wie das Plenum selbst463; dieses Recht steht nur noch den Ausschussmitgliedern zu (vgl.

458 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142; Habersack, MünchKomm. AktG, § 107 Rz. 171; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 43; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 359 f. 459 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 119; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 470; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 207 f. 460 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 119; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 44; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 208 ff.; Semler, AG 1980, 60, 65. 461 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 119; Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 122 f. 462 Näher Hasselbach/Seibel, AG 2012, 114, 122 f. 463 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 138; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 476; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 217 ff.; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 372; Semler, AG 1988, 60, 65.

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Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 792 § 11

Rz. 787 ff.). Gleiches wird man für Angelegenheiten vorbereitender Ausschüsse annehmen müssen, solange der Ausschuss tätig ist464. Eine andere Frage ist, inwieweit einzelne Aufsichtsratsmitglieder Berichtsansprüche gegenüber Ausschüssen erheben können. Das wird zum Teil entsprechend § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG angenommen mit der Folge, dass einzelne Aufsichtsratsmitglieder vom Ausschuss einen Bericht an das Plenum verlangen könnten. Gegenüber abschließend tätigen Ausschüssen soll sich dieser Anspruch aber auf Informationen beschränken, die für die Überwachung des Ausschusses erforderlich sind465; weitergehende Informationen durch den Ausschuss kann nur das Plenum durch Mehrheitsbeschluss anfordern466, die Zustimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden dürfte hingegen nicht genügen467. Gegenüber vorbereitenden Ausschüssen soll der Berichtsanspruch hingegen umfassend sein468; Uneinigkeit besteht allerdings über die Frage, ob der Berichtsanspruch erst nach Abschluss der Ausschusstätigkeit bestehe469 oder schon vorher470. Richtigerweise kann wegen § 109 Abs. 2 AktG von vorbereitenden Ausschüssen vor Abschluss ihrer Tätigkeit Berichterstattung nur mit Zustimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden verlangt werden471; das sollte im Interesse des Vertraulichkeitsschutzes auch gelten, wenn das Teilnahmerecht zuvor nicht ausgeschlossen war.

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Die wichtigste Möglichkeit einzelner Aufsichtsratsmitglieder, sich über die Arbeit des Ausschusses zu informieren, ergibt sich aus dem gesetzlichen Recht auf Teilnahme an den Ausschusssitzungen; vgl. dazu Rz. 777 f. Mit dem Recht zur Teilnahme an den Ausschusssitzungen verbindet sich die Befugnis auf Einsichtnahme in alle Unterlagen des Ausschusses und in die Ausschussprotokolle472. Mit einem Teilnah-

792

464 Semler, AG 1988, 60, 65; Paefgen, Aufsichtsratsverfassung, S. 348 f.; wohl auch Mertens/ Cahn, AG 1980, 67, 73 f.; a.A. Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 219 ff. 465 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 224 f.; Semler, AG 1988, 60, 65. 466 LG München I v. 26.7.2007 – 12 O 8466/07, WM 2007, 1975, 1977; Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 107 Rz. 120; a.A. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 381, der nach Abschluss der Ausschusstätigkeit jedem Aufsichtsratsmitglied ein umfassendes Informationsrecht über die Tätigkeit des Ausschusses zuspricht. 467 So aber Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 43; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer,Hdb. börsennotierte AG, § 28 Rz. 28.28. 468 Semler, AG 1988, 60, 65; Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 225 f., der jedoch eine Ausnahme für den Fall macht, dass dem Ausschuss die Funktion eines „Informationsforums“ für alle Aufsichtsratsmitglieder übertragen wurde. 469 So Semler, AG 1988, 60, 65; Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 280 f. 470 So Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 225 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 107 Rz. 476. 471 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 107 Rz. 142. 472 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 23; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 38 f.; weitergehend Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53, wonach ein Anspruch auf Aushändigung der Protokolle bestehe.

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§ 11 Rz. 792 | Die Organisation des Aufsichtsrats

meverbot nach § 109 Abs. 2 AktG entfällt dieses Einsichtsrecht473. Überdies kann der Aufsichtsratsvorsitzende das Einsichtsrecht entsprechend § 109 Abs. 2 AktG auch isoliert ausschließen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied Einsicht begehrt, das an der Sitzung nicht teilgenommen hat474; hingegen muss ein Ausschluss des Einsichtsrechts gegenüber Sitzungsteilnehmern wohl ausscheiden475. Werden das Teilnahme- oder das Einsichtsrecht ausgeschlossen, folgt daraus zugleich die Verpflichtung der Ausschussmitglieder, über den Inhalt der Sitzung gegenüber den vom Verbot betroffenen Aufsichtsratsmitgliedern Stillschweigen zu bewahren476. Eine andere Meinung will demgegenüber jedem Aufsichtsratsmitglied ein vom Teilnahmerecht unabhängiges, umfassendes Recht auf Einsicht und Aushändigung sämtlicher Unterlagen der Ausschüsse zubilligen, wobei auch die Vertreter dieser Auffassung dem Aufsichtsratsvorsitzenden entsprechend § 109 Abs. 2 AktG das Recht zusprechen, Einsicht und Aushändigung auszuschließen, wenn ein Interesse an besonderer Geheimhaltung bestehe477. 6. Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG 793

In mitbestimmten Gesellschaften hat der Aufsichtsrat unmittelbar nach der Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters einen ständigen Ausschuss zu bilden, dem bei der Bestellung von Vorstandsmitgliedern die Vermittlungsaufgabe nach § 31 Abs. 3 Satz 1 MitbestG zufällt (§ 27 Abs. 3 MitbestG). Weitere Aufgaben hat dieser Ausschuss von sich aus nicht. Er kann – was in der Praxis nicht üblich ist – durch Beschluss des Aufsichtsrats mit zusätzlichen Aufgaben betraut werden, untersteht dann aber insoweit den Rechtsregeln eines normalen Aufsichtsratsausschusses i.S. von § 107 Abs. 3 AktG (vgl. Rz. 745 ff.).

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Der Vermittlungsausschuss besteht aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden und seinem Stellvertreter sowie zwei weiteren Mitgliedern, von denen eines von den Arbeitnehmer- und eines von den Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat in getrennter Wahl mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt wird (§ 27 Abs. 3 MitbestG). Etwaige weitere Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden (vgl. dazu Rz. 661, 684) sind nicht Mitglieder des Vermittlungsausschusses. Sie werden es auch nicht im Vertretungsfall478. Die Amtszeit der beiden gewählten Mitglieder ist von etwaigen Wechseln in der Person des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters unabhängig und dauert für die ganze Amtsperiode des Aufsichtsrats an479. Fällt eines der beiden ge473 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 109 Rz. 6; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 109 Rz. 36; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 41; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53. 474 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 32 Rz. 53; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 89. 475 Habersack, MünchKomm. AktG, § 109 Rz. 29; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 109 Rz. 41; a.A. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 109 Rz. 89. 476 Eingehend Oetker in FS Hopt, 2010, Bd. 1, S. 1091, 1101 ff. 477 Rellermeyer, Aufsichtsratsausschüsse, S. 242 ff.; Deckert, ZIP 1996, 985, 992. 478 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 116 = AG 1982, 218. 479 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 22; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 34.

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Aufsichtsratsausschüsse | Rz. 798–820 § 11

wählten Mitglieder aus, ist von der Gruppe, die es gewählt hat, unverzüglich eine Nachwahl durchzuführen. Die Regelungen in § 27 Abs. 3 MitbestG sind zwingend. Weder der Aufsichtsrat selbst noch die Satzung können davon in irgendeiner Form abweichen. Namentlich ist weder eine andere Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses zulässig, noch ein anderes Wahlverfahren480.

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Zur Beschlussfassung im Vermittlungsausschuss vgl. Rz. 351.

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7. Einzelne Aufsichtsratsmitglieder und Dritte Einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern und Dritten können Aufgaben des Aufsichtsrats grundsätzlich nicht zur selbständigen Erledigung übertragen werden; aus § 111 Abs. 6 AktG, wonach die Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen können, folgt zugleich, dass auch das Organ insgesamt seine Aufgaben nicht delegieren kann, soweit nicht das Gesetz selbst dies mit der Möglichkeit der Aufgabendelegation an Ausschüsse zulässt481. Zulässig ist es hingegen, einzelne Mitglieder und Dritte zur Vorbereitung von Entscheidungen und zur sonstigen Unterstützung bei der Aufgabenerledigung heranzuzuziehen482, soweit die allgemeine Sorgfalts- und die Verschwiegenheitspflicht nicht entgegenstehen. Dass auch dabei in gewissem Umfang Detailentscheidungen auf Dritte verlagert werden (z.B. die genaue Ausgestaltung eines Schriftsatzes auf den vom Aufsichtsrat beauftragten Rechtsanwalt), ist akzeptabel, solange der Aufsichtsrat die Tätigkeit der von ihm eingeschalteten Hilfspersonen ingesamt leitet und überwacht. Es geht jedoch zu weit anzunehmen, der Aufsichtsrat müsse nur seine „Kernaufgaben“ selbst erledigen und könne im Übrigen ebenso wie der Vorstand alles Weitere delegieren483. Einstweilen frei.

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798– 820

480 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 21; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 35. 481 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 156; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 78; a.A. v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959. 482 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 156; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 111 Rz. 80; vgl. auch Rz. 768. 483 So aber v. Falkenhausen, ZIP 2015, 956, 959.

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358

§ 12 Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung I. Gleichheit und Unabhängigkeit Alle Aufsichtsratsmitglieder, gleich von wem sie bestellt oder gewählt wurden, sind in ihren Rechten und Pflichten gleich. Das ist in der Literatur unbestritten1 und mehrfach vom Bundesgerichtshof2 bestätigt worden. Ihnen stehen gleiche Informationen und gleiche Mitwirkungsrechte, gleiches Rederecht und – mit Ausnahme der Stichentscheidbefugnis des Vorsitzenden – auch gleiche Stimmrechte zu. Sie sind andererseits ohne Unterschied ihrer Gruppenzugehörigkeit gleichmäßig auf die Wahrung des Unternehmensinteresses verpflichtet3, haben gleiche Pflichten zur Teilnahme an den Aufgaben des Aufsichtsrats und stehen in gleicher Haftung und Verantwortung. Satzungs- oder Geschäftsordnungsbestimmungen, die dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, sind nichtig4. Das gilt auch für Beschlüsse des Aufsichtsrats selbst. Zur Frage der Besetzung von Ausschüssen in diesem Zusammenhang vgl. Rz. 768 ff.

821

In ihrer Tätigkeit sind die Mitglieder des Aufsichtsrats auch keinerlei Weisungen unterworfen, sondern verpflichtet, eigenständig5 und eigenverantwortlich zu handeln, § 111 Abs. 5 AktG6. Niemand kann von einem Aufsichtsratsmitglied – z.B.

822

1 Vgl. etwa Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, Vor § 95 Rz. 14; Spindler, MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 52 Rz. 221 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Anh. § 117 B § 25 MitbestG Rz. 10; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert,Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 230; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 96; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 110; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 566 m.w.N. 2 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 330 (Bayer); BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 120 = AG 1982, 218 (Siemens); BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 154 = AG 1982, 223 (Bilfinger & Berger); BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/ 86, BGHZ 99, 211, 216 = AG 1987, 152. Zuletzt BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11, AG 2012, 248, 250. 3 Vgl. nur BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290, 374; ausführlich Rz. 893. 4 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151 = AG 1982, 223; BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342 = AG 1993, 464. 5 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f. = AG 1983, 133 (Hertie); zur Einschaltung von Hilfspersonen näher Lutter/Krieger, DB 1995, 257 ff. 6 Allg. Meinung, vgl. BGH v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306; Raiser in Raiser/ Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 125; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rz. 1136; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 233; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 5 Rz. 115. Zur Weisungsfreiheit auch des Aufsichtsratsmitglieds

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§ 12 Rz. 822 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

durch einstweilige Verfügung – eine bestimmte Entscheidung erzwingen7. Jedes Mitglied hat vielmehr die volle Freiheit, selbst zu entscheiden8 – vor dem Hintergrund des ebenso vollen Risikos, bei Verletzung seiner Pflichten haften zu müssen. Verträge, mit denen sich Aufsichtsratsmitglieder verpflichten, ihre Stimme nach Weisung irgendeiner Person (Vorstand, Großaktionär o.Ä.) abzugeben, sind in vollem Umfang unwirksam9, gleichgültig wer immer der Partner einer solchen Vereinbarung auch sei: der Großaktionär, ein Kreditgeber, eine Gewerkschaft oder der Betriebsrat. Das Gleiche gilt für eine vertragliche Vereinbarung, in der sich Aufsichtsratsmitglieder zur Amtsniederlegung verpflichten für den Fall, dass sie einer – wie soeben festgestellt: rechtlich unverbindlichen – Weisung nicht folgen wollen10. Allenfalls zulässig sind unverbindliche Richtlinien und Empfehlungen eines Wahl- oder Entsendungsberechtigten. Solche Empfehlungen entbinden ein Aufsichtsratsmitglied nicht von seiner Pflicht, jeweils im Einzelfall seine Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen und am Gesamtinteresse des Unternehmens auszurichten11. Das betreffende Aufsichtsratsmitglied befindet sich in einer schwierigen Situation. Denn einerseits besteht das korporative Amtsverhältnis zur Gesellschaft als Quelle der soeben dargestellten Pflicht zur unverbrüchlichen Wahrung der Interessen dieser Gesellschaft. Andererseits steht das Aufsichtsratsmitglied möglicherweise in einem durchaus gültigen schuldrechtlichen Auftragsverhältnis zum Großaktionär. Steht ein „Wunsch“ des Großaktionärs im Einklang mit den Interessen der Gesellschaft, steht nichts entgegen, wenn das Aufsichtsratsmitglied dem Wunsche folgt. Besteht diese Übereinstimmung hingegen nicht, hat das Unternehmensinteresse Vorrang. Gegen dieses kann sich das Auftragsverhältnis in keinem Falle durchsetzen12. Dies alles gilt so für den Pflicht-Aufsichtsrat nach AktG, GenG, MitbestG und DrittelbG13. Es gilt so nicht für den fakultativen Aufsichtsrat nach § 52 GmbHG14.

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im Pflicht-Aufsichtsrat eines öffentlichen Unternehmens (in privater Rechtsform) vgl. Schwintowski, NJW 1995, 1316, 1318 einerseits, Heidel, NZG 2012, 48 andererseits. Vgl. OLG Köln v. 4.5.1987 – 2 W 27/87, AG 1988, 50. Umfassend zu den Anforderungen an die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern nach dem Kodex (E.1 DCGK 2020), europäischem und deutschem Recht Köhler, BOARD 2018, 146 ff.; Baums, ZHR 180 (2016), 697 ff.; Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801 ff. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 97; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 126. Wie hier die h.M. vgl. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 237; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 7; ausführlich Raiser, ZGR 1978, 391 ff.; Säcker, DB 1977, 1791, 1793; ausführlich auch Krieger, Personalentscheidungen, S. 41 ff.; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 27 Rz. 31. Dazu ausführlich Raiser, ZGR 1978, 391 ff. m.w.N. und Krieger, Personalentscheidungen, S. 41 ff. Eingehend dazu Susanne Kalss in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 631 ff. mit allen Nachw. Vgl. auch schon Rz. 275. OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, GmbHR 2012, 35. BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, BVerwGE 140, 300 = AG 2011, 882; OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, GmbHR 2012, 35; näher Rz. 1213 f. und Hommelhoff in Lutter/

Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 825 § 12

II. Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder Die dem Aufsichtsrat übertragenen Kompetenzen sind diesem als Organ zugewiesen, nicht seinen einzelnen Mitgliedern (dazu bereits Rz. 40 ff., 43). Diesen steht nur die Befugnis zu, innerhalb des Aufsichtsrats an dessen Tätigkeit mitzuwirken15. Daneben verfügen die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats aber über einige selbständige Rechte gegenüber anderen Gesellschaftsorganen und in einigen Fällen über die Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung oder eine sonstige gerichtliche Maßnahme herbeizuführen. Neben diesen organschaftlichen Befugnissen stehen schließlich die persönlichen Ansprüche des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds aus seinem Verhältnis zur Gesellschaft16. Im Einzelnen gilt:

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1. Aufsichtsratsinterne Mitwirkungsbefugnisse Die Mitwirkungsbefugnisse der Aufsichtsratsmitglieder im Organ Aufsichtsrat selbst sind im Wesentlichen bereits behandelt und bedürfen hier nur der Zusammenfassung:

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Alle Aufsichtsratsmitglieder haben das Recht auf Teilnahme an den Sitzungen des Aufsichtsrats17, zu denen sie unter Mitteilung der Tagesordnung rechtzeitig zu laden sind. Ihnen steht ein Anspruch auf Aushändigung oder mindestens Einsicht18 in die schriftlichen Berichte des Vorstands und die sonstigen Beschlussvorlagen des Aufsichtsrats zu, sie können sich vorweg schriftlich und in der Sitzung mündlich zu allen Punkten der Tagesordnung äußern, Beschlussanträge stellen und an der Abstimmung teilnehmen. Jedes Mitglied des Aufsichtsrats ist auch berechtigt, die Einberufung einer Aufsichtsrats-Sitzung zu verlangen und notfalls selbst eine solche Sitzung einzuberufen (§ 110 Abs. 1 und 2 AktG). Den einzelnen Organmitgliedern kann in der Geschäftsordnung – sofern das gleichmäßig für alle geschieht – das Recht eingeräumt werden, eine einmalige Vertagung der Abstimmung zu verlangen. Und schließlich kann die Geschäftsordnung für die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder auch gleichmäßig einen Anspruch auf Anordnung einer erneuten Abstimmung in Pattsituationen vorsehen.

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15 16 17 18

Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 3 ff. und Rz. 107 ff.; s. auch Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1 ff. Dazu OLG Stuttgart v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873. Vgl. dazu auch die Darstellung von Säcker, NJW 1979, 1521 ff. Zum Problem, ob das Teilnahmerecht an Aufsichtsrats-Sitzungen in Konfliktfällen ausgeschlossen ist, vgl. Rz. 897 ff. sowie Behr, AG 1984, 281 ff. Vgl. § 90 Abs. 5 AktG (dazu bereits Rz. 222) sowie speziell § 170 Abs. 3 AktG zur Einsicht in die Unterlagen für die Bilanzaufsichtsratssitzung und dazu OLG Karlsruhe v. 20.11.1986 – 8 W 54/86, Die Mitbestimmung 1987, 72: Mindestens 4 Stunden ungestörte Einsicht in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ist dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zu gewähren!

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§ 12 Rz. 826 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung 826

Jedes Aufsichtsratsmitglied kann die Ergänzung der Tagesordnung verlangen und das auch (allein!) erzwingen (§ 110 Abs. 2 AktG analog)19. Darüber hinaus steht jedem Mitglied ein Vetorecht gegen eine Beschlussfassung ohne förmliche Sitzung zu, es sei denn die Satzung oder die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats regelt es anders (§ 108 Abs. 4 AktG)20.

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An den Sitzungen von Ausschüssen können – mangels gegenteiliger Anordnung des Vorsitzenden – auch diejenigen Aufsichtsratsmitglieder teilnehmen, die dem Ausschuss selbst nicht angehören (§ 109 AktG). Im Rahmen dieses Teilnahmerechts kann dann auch die Übersendung der Einladung zu bzw. die Benachrichtigung von den Ausschusssitzungen und der Mitteilung der Tagesordnung verlangt werden.

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Schließlich hat jedes Organmitglied einen Anspruch auf Aushändigung der Sitzungsprotokolle (§ 107 Abs. 2 Satz 4 AktG) und das Recht, Erklärungen zu Protokoll abzugeben. Es kann auch die sonstigen Unterlagen des Aufsichtsrats einsehen und die Aushändigung der vom Vorstand an den Aufsichtsrat erstatteten Berichte einschließlich der Unterlagen zum Jahresabschluss und des Abhängigkeitsberichts verlangen, soweit die Übermittlung nicht nach § 90 Abs. 5 Satz 2 AktG wirksam ausgeschlossen und auf das Einsichtsrecht in den Räumen der Gesellschaft beschränkt worden ist: Dieses Einsichtsrecht ist unabdingbar und kann weder durch die Satzung noch durch die Geschäftsordnung noch durch einen Beschluss des Aufsichtsrats selbst weiter beschränkt oder gar ausgeschlossen werden21. 2. Rechte gegenüber anderen Gesellschaftsorganen

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Jedes Aufsichtsratsmitglied kann vom Vorstand jederzeit die Erstattung eines Berichts an den Aufsichtsrat über – im weitesten Sinne – alle Angelegenheiten der Gesellschaft und des Konzerns verlangen. Ein solches Verlangen kann vom Vorstand nicht zurückgewiesen werden, § 90 Abs. 3 AktG22.

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Jedes Mitglied des Aufsichtsrats ist zur Teilnahme an den Hauptversammlungen berechtigt und grundsätzlich auch verpflichtet (§ 118 Abs. 3 AktG); die Satzung kann dafür aber auch Bild- oder Tonübertragungen vorsehen. Das Aufsichtsratsmitglied hat dort das Recht zur Äußerung, hingegen weder Antrags- noch Stimmrecht. Ausfluss dieses Teilnahmerechts ist der Anspruch gegen den Vorstand, auf Verlangen die Einberufung der Hauptversammlung nebst den dazugehörigen Unterlagen mitgeteilt zu bekommen (§ 125 Abs. 3 AktG). Dagegen besteht kein Anspruch auf Mitteilung eines etwaigen weiteren Schriftwechsels zwischen dem Vorstand und Gesellschaftern (Aktionären)23. Über weitere und andere Angaben als die in § 125 Abs. 1 19 Ebenso Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 110 Rz. 26; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 43; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1983. 20 Dazu schon Rz. 652. 21 Unstreitig, vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 194 ff. 22 Das TransPuG hat § 90 Abs. 3 AktG geändert und das Erfordernis der Unterstützung dieses Begehrens durch mindestens ein weiteres Aufsichtsratsmitglied beseitigt. 23 So offenbar aber Säcker, NJW 1979, 1521, 1524.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 833 § 12

AktG genannten Mitteilungen kann aber Unterrichtung gemäß § 90 Abs. 3 AktG verlangt werden, d.h. als Bericht an den Gesamtaufsichtsrat. Und schließlich kann jedes Aufsichtsratsmitglied vom Vorstand die schriftliche Mitteilung der Beschlüsse der Hauptversammlung beanspruchen (§ 125 Abs. 4 AktG). 3. Rechte auf Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung Bei der Inanspruchnahme der Gerichte durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder im Zusammenhang mit ihrer Organfunktion gilt es drei Komplexe sorgfältig voneinander zu unterscheiden: Zum einen hat das Gesetz dem Aufsichtsratsmitglied persönlich eine Reihe gerichtlicher Klage- und Antragsbefugnisse eingeräumt, mit denen es auf eine ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands hinwirken und sich gegen fehlerhafte Beschlüsse des Aufsichtsrats selbst, aber auch der Hauptversammlung wenden kann. Daneben kommt eine Einschaltung der Gerichte in Betracht mit dem Ziel, die dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied als Organwalter (Organmitglied) zustehenden Rechte (Rz. 824 ff.) durchzusetzen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und inwieweit einzelne Aufsichtsratsmitglieder anstelle des Gesamtaufsichtsrats in bestimmten Konflikten die Gerichte anrufen können.

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Und über allem ist nicht zu vergessen, dass das Aufsichtsratsmitglied auch persönliche Ansprüche haben kann, die es notfalls gegen die Gesellschaft durchzusetzen berechtigt sein muss.

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a) Ergänzung des unvollständig besetzten Aufsichtsrats Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied hat kraft Gesetzes (§ 104 AktG, § 6 Abs. 2 MitbestG) zunächst einmal die Befugnis, für die zahlenmäßige Vollständigkeit des Aufsichtsrats und des Vorstands zu sorgen24. Ist also etwa ein Aufsichtsratsmitglied gleich aus welchem Grunde weggefallen (Tod, Rücktritt), ist kein Ersatzmitglied bestellt worden (dazu § 14) oder sind alle Ersatzmitglieder schon „verbraucht“ und ist mit einer alsbaldigen Neuwahl nicht zu rechnen25, so kann26 jedes einzelne Auf24 Von der Ersatzbestellung eines Aufsichtsratsmitglieds oder Vorstandsmitglieds ist die Ersatzbestellung des ganzen Organs zu unterscheiden. Sie kam im Grunde nur bei sog. Spaltgesellschaften aus der Teilung Deutschlands vor. Vgl. dazu BayObLG v. 3.2.1987 – BReg 3 Z 162/86, AG 1987, 210, 211: Ein solches Organ darf nur im Rahmen der gerichtlich festgelegten Befugnisse tätig werden. 25 Da Aufsichtsratsmitglieder von der Hauptversammlung oder der Belegschaft gewählt werden, ist der Aufwand für eine Neuwahl sehr hoch, und es kommt nicht selten vor, dass man sich im Aufsichtsrat selbst oder jedenfalls in seinen Gruppen auf einen solchen Antrag auf Ersatzbestellung einigt. 26 Weitergehend Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 2 Rz. 41, die bei mangelnder Beschlussfähigkeit von der (ungeschriebenen) Verpflichtung des Aufsichtsratsmitglieds zu unverzüglicher Antragstellung ausgeht. Zurückhaltender Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 104 Rz. 10, die von einer Pflicht ausgehen, den Vorstand zu einem entsprechenden Antrag zu veranlassen; nur wenn das nicht zum Erfolg führe, müsse das einzelne Aufsichtsratsmitglied den Antrag selbst stellen.

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§ 12 Rz. 833 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

sichtsratsmitglied Antrag bei dem für die Gesellschaft örtlich zuständigen Amtsgericht/Registergericht auf Ersatzbestellung eines Aufsichtsratsmitglieds stellen27. Dieser Befugnis kommt gerade in paritätisch besetzten Gremien große Bedeutung zu. Auch angesichts des Ziels der quotengerechten Besetzung (§§ 96 Abs. 2, 104 Abs. 5 AktG) wird die Bedeutung des Antrags auf gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats steigen28. Das/die antragstellende(n) Aufsichtsratsmitglied(er) kann/können dazu auch persönliche Vorschläge machen29; das Gericht aber ist daran in der Regel nicht gebunden, muss jedoch auf die Einhaltung der gesetzlichen Parität oder bestimmter Voraussetzungen des Gesetzes und der Satzung achten (§ 104 Abs. 4 AktG)30. Das Gleiche gilt auch in Fällen, in denen ein dreiköpfiger Aufsichtsrat infolge eines Stimmverbots eines seiner Mitglieder beschlussunfähig geworden ist31. Für die Beschlussfassung über die Frage, bei der das Stimmverbot besteht, kann die gerichtliche Ersatzbestellung beantragt werden32. Diese durchaus richtige Lösung des Problems wird vom BGH dadurch einfach überflüssig gemacht, dass er schon die Beschlussunfähigkeit leugnet33: Der vom Stimmrecht Ausgeschlossene sei dennoch teilnahme- und redeberechtigt34. Das ist außerordentlich problematisch, wird dem Ausgeschlossenen doch trotz des Interessenkonflikts Einfluss auf die Entscheidung durch seine Teilnahme und sein Rederecht während der Sitzung zu Unrecht ermöglicht35. 834

Nach § 85 AktG, § 31 Abs. 1 MitbestG kann das Aufsichtsratsmitglied auch in den Fällen, in denen der Vorstand nach Gesetz (z.B. trotz § 33 MitbestG nur ein Vorstandsmitglied36) oder Satzung personell unzureichend besetzt ist, einen Antrag auf Bestellung eines Vorstandsmitglieds durch das Gericht stellen. Neben dem Vorliegen

27 Nach OLG Düsseldorf v. 1.2.1994 – 10 W 1/94, WM 1994, 498 = AG 1994, 424 trägt der Antragsteller die Kosten. Dieser aber hat dafür einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft (dazu Rz. 845), da er ja in deren Interesse tätig wird. 28 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 104 Rz. 1; Simons in Hölters, Komm. AktG, § 104 Rz. 5; DAV-Ausschüsse, NZG 2014, 1214, 1227 Rz. 136; Hohenstatt/Willemsen/Naber, ZIP 2014, 2220, 2226. 29 Zum Anspruch des Vorstands und der übrigen Aufsichtsratsmitglieder auf rechtliches Gehör bei der gerichtlichen Bestellung eines (vorgeschlagenen) Aufsichtsratsmitglieds vgl. OLG Dresden v. 30.9.1997 – 15 W 1236/97, NJW-RR 1998, 830 = AG 1998, 427. 30 Vgl. dazu etwa BayObLG v. 20.8.1997 – 3Z BR 193/97, AG 1998, 36 = NJW-RR 1998, 330 sowie Seidel, Gerichtliche Ergänzung, S. 75 ff. 31 BayObLG v. 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, AG 2003, 427, 429; ebenso OLG Frankfurt a.M. v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925. 32 BayObLG v. 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, AG 2003, 427, 429; ablehnend Priester, AG 2007, 190 ff. 33 BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, AG 2007, 484. 34 So auch Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 449. 35 Dazu kritisch Lutter in FS Priester, 2006, S. 417 ff. 36 Allg. Meinung, vgl. Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 85 Rz. 9; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 85 Rz. 6.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 837 § 12

eines dringenden Falls ist Voraussetzung für die gerichtliche Bestellung, dass der gesamte Aufsichtsrat nicht oder nicht schnell genug tätig werden kann37. b) Richtige Zusammensetzung des Aufsichtsrats Ist in der Gesellschaft oder in ihren Organen streitig, nach welchen Regeln der Aufsichtsrat zu bilden ist – nach MontanMitbestG, MitbestG oder DrittelbG –, so kann jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied durch Antrag an das für die Gesellschaft örtlich zuständige Landgericht für gerichtliche Klärung sorgen (§ 98 Abs. 2 Nr. 2 AktG, § 6 Abs. 2 MitbestG). Die auf einen solchen Antrag hin ergehende Entscheidung des Gerichts ist für die Gesellschaft und für alle Beteiligten verbindlich, hat also Wirkung für und gegen alle Beteiligten und Betroffenen.

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c) Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung Darüber hinaus kann jedes Aufsichtsratsmitglied nach § 249 AktG Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses erheben38; das war und ist vor allem von Bedeutung, wenn es um die Klärung der Frage geht, ob Regeln der Satzung dem MitbestG widersprechen39. Unter gewissen zusätzlichen Voraussetzungen (§ 245 Nr. 5 AktG) gilt das Gleiche, wenn ein Beschluss nach Auffassung eines Aufsichtsratsmitglieds gemäß §§ 243 ff. AktG zwar gesetz-/statutenwidrig, aber nicht nichtig ist; die Frage kann dann durch Anfechtungsklage des Aufsichtsratsmitglieds gerichtlich geklärt werden40.

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d) Unwirksamkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrats Wiederum durch Klage beim örtlich für die Gesellschaft zuständigen Landgericht kann41 jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied die Frage klären lassen, ob ein bestimm-

37 BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, AG 2002, 241; ein dringender Fall im Sinne des § 85 AktG liegt z.B. immer dann vor, wenn der Vorstand aufgrund der Unterbesetzung die Hauptversammlung bei Vorlage eines von § 121 Abs. 1 AktG genannten Einberufungsgrunds nicht einberufen kann (Kubis, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2018, § 121 Rz. 16). 38 Die Vorschrift des § 249 AktG wird man entsprechend anzuwenden haben, wenn die Feststellung begehrt wird, dass nach Eintritt der vollen Mitbestimmung entgegenstehende Satzungsvorschriften gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 MitbestG außer Kraft treten. 39 Die Vorschrift findet nach zutreffender Ansicht auch im GmbH-Recht analoge Anwendung; vgl. näher K. Schmidt in Scholz, Komm. GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 45 Rz. 127 und 134; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 212. 40 Problematisch aber ist, ob im GmbH-Recht auch § 245 Nr. 5 AktG analog anzuwenden ist; s. dazu auch näher K. Schmidt in Scholz, Komm. GmbHG, 11. Aufl. 2013, § 45 Rz. 127 und 134 und Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, Anh. § 47 Rz. 212 und 177. 41 Eine Klagepflicht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds besteht allenfalls in ganz eklatanten Fällen, näher dazu Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 101.

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§ 12 Rz. 837 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

ter Aufsichtsratsbeschluss wirksam ist oder nicht42. Die Klage zur Geltendmachung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit erfolgt durch Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO43, die gegen die Gesellschaft zu richten ist44. Abweichend von der Regel des § 78 AktG sollte die AG im Fall aufsichtsratsinterner Streitigkeiten jedoch nicht vom Vorstand vertreten werden. Näher liegt hier eine Vertretung durch den Aufsichtsrat in analoger Anwendung des § 112 AktG45. Das Feststellungsinteresse des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds ergibt sich aus der Mitverantwortung für die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Organs46. Daher kann das Aufsichtsratsmitglied auch als Nebenintervenient einem solchen Verfahren beitreten, und zwar sowohl auf Seiten des klagenden Aufsichtsratsmitglieds als auch auf Seiten der Gesellschaft47. Nichtigkeitsklage (entsprechend §§ 241, 249 AktG) oder Anfechtungsklage (entsprechend §§ 243 ff. AktG) sind nicht möglich48.

42 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 603 f., wollen der Feststellungsklage eine „Anfechtung“ ggü. dem Aufsichtsrats-Vorsitzenden vorschalten. Dieser Versuch einer internen Klärung ist sehr vernünftig und sollte stets versucht werden. Ein rechtlicher Zwang dazu besteht aber nicht. 43 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 347 ff. = AG 1993, 464; BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 115 = AG 1994, 124; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 247 = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck); BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, NZG 2013, 297 = AG 2013, 257 Tz. 13; zustimmend: Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 26; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 108 Rz. 111; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 97; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 5 Rz. 148; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 604. 44 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 = AG 1982, 221; BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 344 = AG 1993, 464; OLG Stuttgart v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 30; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rz. 192; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 97; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 91; a.A.: Bork, EWiR § 243 AktG 1/92, 421; Bork, ZIP 1991, 137, 143 ff.; Noack, DZWiR 1994, 341, 342; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 213. 45 Gegen BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 345 = AG 1993, 464; zur Argumentation vgl. sogleich Rz. 838. 46 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248 = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck); BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, AG 2013, 257 Rz. 13; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 108 Rz. 112; K. Schmidt in FS Semler, 1993, S. 329, 345. 47 BGH v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, NZG 2013, 297 = AG 2013, 257. 48 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 347 ff. = AG 1993, 464; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 108 Rz. 117; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rz. 81; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 28; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 97; Götz in FS Lüke, 1997, S. 167, 178; Kindl, AG 1993, 153, 162; a.A. OLG Hamburg v. 6.3.1992 – 11 U 134/91, AG 1992, 197, 198; LG Hannover v. 27.6.1989 – 7 O 214/89, AG 1989, 448, 449; Baums, ZGR 1983, 300, 305 ff.; Lemke, Der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluss, S. 94 ff., 194; Axhausen, Anfechtbarkeit aktienrechtlicher Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 224 f.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 839 § 12

e) Durchsetzung von subjektiven Organrechten Schließlich kann jedes Mitglied des Aufsichtsrats notfalls die ihm in seiner Organfunktion zustehenden Rechte durch Klage durchsetzen (also insbesondere Teilnahme-, Rede-, Informations- und Stimmrechte); das ist unbestritten49. Besondere Bedeutung kommt diesem Klagerecht für die Individualansprüche50 des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auf Erstattung des Anforderungsberichts (an den Aufsichtsrat, § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG) und auf Kenntnisnahme und Übermittlung dieser Berichte (innerhalb des Aufsichtsrats, § 90 Abs. 5 AktG) zu. Gerichtlich überprüft werden kann schließlich auch die Art und Weise, in der der Anforderungsbericht erstellt wurde. Denn es muss geklärt werden können, ob die vom Vorstand vorgelegten oder erstatteten Berichte den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen oder zu allgemein bzw. inhaltsleer bzw. zu wenig nachvollziehbar sind.

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Kontrovers beurteilt wird die Frage nach dem richtigen Klagegegner bei der Durchsetzung subjektiver Organrechte. Ein Teil der Literatur tendiert dazu, eine solche Klage gegen das betreffende Organ (also den Vorstand) bzw. das betreffende Organmitglied (also den Aufsichtsratsvorsitzenden, der etwa die Vorstandsberichte nicht weiterleitet, oder den Hauptversammlungsleiter, der dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied das Wort verboten hat) zuzulassen51. Demgegenüber weisen der BGH und die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum52 der Gesellschaft die Beklagtenrolle zu. Das hat den Nachteil, dass der Vorstand als Vertreter der dann beklagten Gesellschaft eine Position zu verteidigen hat (z.B. die des „eigentlich“ verklagten Aufsichtsratsvorsitzenden), die nicht die eigene ist und die er vielleicht selbst gar nicht verteidigen will. Deshalb sollte bei aufsichtsratsinternen Streitigkeiten zur Durchsetzung subjektiver Organrechte (z.B. Übermittlung eines Vorstandsberichts gemäß § 90 Abs. 5 AktG), in gleicher Weise aber auch bei (ebenfalls aufsichtsratsinternen) Strei-

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49 Vgl. nur aus der Rechtsprechung BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 = AG 1983, 133; BGH v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 62 = AG 1989, 89 (Opel); aus der Literatur Spindler, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 90 Rz. 63 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 90 Rz. 66; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 144; Grunewald, Gesellschaftsrecht, § 10 Rz. 108; Häsemeyer, ZHR 144 (1980), 265 ff.; Flume, Juristische Person, S. 406 f.; Westermann in FS Bötticher, 1969, S. 369, 378 ff.; v. Schenck in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 320 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 92 ff. Gegenüber dem Vorstand, der gewünschte Informationen verweigert, kann auch das registergerichtliche Verfahren nach § 407 Abs. 1 AktG eingeleitet werden (Zwangsgeld). 50 Gleiche Terminologie bei Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 22; demgegenüber spricht v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 320 von „eigenem Recht“. 51 Vgl. etwa Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 313 ff.; K. Schmidt, ZZP 92 (1979), 212, 224 ff.; Säcker, NJW 1979, 1521, 1526; Teichmann in FS Mühl, 1981, S. 662, 672 ff.; Bork, ZIP 1991, 137, 140 ff. 52 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 = AG 1983, 133 (Hertie); BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 344 f. = AG 1993, 464; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 90 Rz. 66; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 22 f.; Bürgers in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 80 Rz. 20 f.; Flume, Juristische Person, S. 407.

367

§ 12 Rz. 839 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

tigkeiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses (vgl. Rz. 837) eine Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat entsprechend § 112 AktG in Betracht gezogen werden53. f) Klagebefugnis anstelle des Aufsichtsrats? 840

Ob das einzelne Aufsichtsratsmitglied darüber hinaus anstelle des Aufsichtsrats gegen ein (angeblich) rechtswidriges Handeln anderer Gesellschaftsorgane klagen kann, ist sehr problematisch und umstritten. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass das gerügte Verhalten überhaupt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist. Ist das der Fall, schreitet der Aufsichtsrat selbst aber nicht ein, wird teilweise befürwortet, an seiner Stelle das einzelne Organmitglied als klagebefugt anzusehen (vergleichbar der actio pro societate); richtigerweise wird man das jedoch allenfalls in Ausnahmefällen annehmen können54. g) Klagebefugnis aus persönlichen Ansprüchen, insbesondere auf Vergütung

841

Und letztlich ist fraglos, dass das Aufsichtsratsmitglied die ihm persönlich zustehenden Ansprüche gegen die Gesellschaft (Rz. 842 ff.) notfalls auch klageweise gegen die Gesellschaft durchzusetzen berechtigt ist. Insoweit bestehen keinerlei Besonderheiten gegenüber der normalen Situation eines Gläubigers gegenüber seinem angeblich säumigen Schuldner. 4. Persönliche Ansprüche a) Rechtsverhältnis zur Gesellschaft

842

Neben ihrer Rechtsstellung als Mitglied des Organs Aufsichtsrat (dem sog. „Organwalterverhältnis“55), stehen die Mitglieder des Aufsichtsrats auch in einem persönlichen Rechtsverhältnis zur Gesellschaft, das insbesondere für die Frage ihrer Vergütung von Bedeutung ist. Der rechtliche Charakter und Gehalt dieses Rechtsverhältnisses ist umstritten. Richtiger Ansicht nach handelt es sich nicht um ein Dienstverhältnis56 und erst recht nicht um einen Teil des (Arbeitnehmer-)Arbeitsverhältnisses57, sondern um ein rein korporatives Rechtsverhältnis58. Es kommt mit 53 Stodolkowitz, ZHR 154 (1990), 1, 15 f. (§ 112 AktG analog); Rellermeyer, WuB II A. § 107 AktG 1.93 (§ 112 AktG analog); Noack, DZWiR 1994, 341, 342. 54 Dazu OLG Stuttgart v. 30.5.2007 – 20 U 14/06, AG 2007, 873 (der BGH hat die Revision nicht angenommen, Beschluss v. 25.6.2008 – II ZR 141/07). Restriktiv auch v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 316 ff.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, § 10 Rz. 109. 55 Säcker, NJW 1979, 1521, 1525. 56 So aber Säcker, NJW 1979, 1521, 1525; Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781, 783. 57 Zutreffend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 202. 58 So zutreffend Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 67; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 101 Rz. 111; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 2; Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 101 AktG Rz. 1; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 101 Rz. 8; Simons in Hölters, Komm. AktG, § 101 Rz. 7.

368

Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 843 § 12

Annahme der Wahl zustande und kann individuell-schuldrechtlich hinsichtlich der allgemeinen Aufsichtsratsstellung nicht ergänzt werden59, da sie im Gesetz bindend festgelegt ist und es im Übrigen nur einheitliche Vergütungsregeln für alle Aufsichtsratsmitglieder geben darf und kann60, also individuelle Regelungen von Gesetzes wegen gerade ausgeschlossen sind. Daher gilt allein das Korporationsrecht. Gemäß § 113 Abs. 1 AktG und § 25 Abs. 1 MitbestG kann den Mitgliedern des Aufsichtsrats durch die Satzung oder durch Hauptversammlungsbeschluss eine angemessene Vergütung ihrer Tätigkeit gewährt werden61; kraft Gesetzes besteht ein solcher Vergütungsanspruch nicht62. b) Allgemeine Vergütungsgrundsätze Wird die Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder vergütet, ist der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Mitglieder strikt zu wahren: Unterschiedliche Vergütungshöhen für einzelne Aufsichtsratsmitglieder sind nur zulässig, soweit sie sachlich gerechtfertigt sind, sei es durch besondere Funktionen im Aufsichtsrat (G.17 DCGK 2020 empfiehlt die Berücksichtigung von Vorsitz, stellvertretender Vorsitz, Vorsitz und Mitgliedschaft in besonderen Ausschüssen63), sei es durch besondere Qualifikation (unterschiedliches Dienstalter o.Ä.)64. Eine Ungleichbehandlung kommt schließlich auch insoweit in Betracht, als einem untätigen Aufsichtsratsmitglied (Krankheit, 59 So aber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 59 und 202 für die GmbH. 60 Zur gleichen Rechtsstellung aller Aufsichtsratsmitglieder vgl. bereits Rz. 821. 61 Zur Frage, ob eine Vergütungsregelung durch Hauptversammlungsbeschluss im Zweifel nur für ein Jahr oder für alle künftigen Geschäftsjahre gilt, vgl. E. Vetter, BB 1989, 442 f. m.w.N. Zum rechtspolitischen Vorschlag einer gesetzlichen Gebührenordnung für Aufsichtsräte vgl. Geßler, DB 1978, 63; dagegen Lutter, AG 1979, 85. 62 Vgl. Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 1; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 113 Rz. 6. Es entspricht aber allgemeiner Übung, dass eine solche Vergütung geleistet wird, deren Höhe allerdings von Gesellschaft zu Gesellschaft stark abweicht; vgl. Theisen, Überwachung, S. 263, 444 f. Die Vergütung steht dann dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied persönlich zu; dieses kann also darüber frei verfügen, die Vergütung z.B. auch ganz oder teilweise an eine Arbeitnehmer-Organisation weiterleiten (und sich dazu auch dieser Organisation gegenüber wirksam verpflichten). Dazu kritisch Theisen, Überwachung, S. 262 f. 63 Insoweit auch allg. Meinung, vgl. Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 14; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 4; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 113 Rz. 18; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 231 und 269; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019,§ 113 Rz. 43; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 92; Säcker, NJW 1979, 1521, 1525, je m.w.N. 64 Insoweit streitig; wie hier: Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 113 Rz. 10; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 84; Lutter, AG 1979, 85, 89; Vollmer/Maurer, BB 1993, 591, 592; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 531 ff.; E. Vetter, Der Aufsichtsrat 2015, 82; a.A. Säcker, NJW 1979, 1521, 1525; Israel in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 113 Rz. 2; wohl auch Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 269.

369

843

§ 12 Rz. 843 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

sonstige regelmäßige Abwesenheit) die Vergütung gekürzt oder gestrichen werden kann65. 844

Die Höhe der Vergütung kann nur durch die Satzung oder einen Beschluss der Hauptversammlung festgelegt werden66. Sie darf nicht unangemessen sein (§ 113 Abs. 1 Satz 3 AktG) und kann67 neben einem festen Betrag auch variable, erfolgsorientierte Bestandteile (dazu Rz. 848 ff.) enthalten. Daneben kann auch ein Sitzungsgeld als Entgelt für den eingesetzten Zeitaufwand bezahlt werden. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssen sich aber – finden die Sitzungen während ihrer Arbeitszeit statt – das Sitzungsgeld auf ihre Bezüge anrechnen lassen68. Abführungspflichten an die Gewerkschaften sind zulässig69. Die Höhe der Gesamtvergütung des Aufsichtsrats ist in den letzten Jahren weiter angestiegen70. Werden Vergütungen entgegen der Satzung oder ohne Satzungsregel bzw. Hauptversammlungsbeschluss gezahlt, so sind sie nach § 114 Abs. 2 AktG zurück zu gewähren (Rz. 877). Ihre Zahlung kann darüber hinaus als Untreue des Vorstands oder der Aufsichtsratsmitglieder strafbar sein71. c) Aufwendungsersatz

845

Daneben hat jedes Aufsichtsratsmitglied entsprechend §§ 675, 670 BGB Anspruch auf Ersatz derjenigen Aufwendungen, die es zur Ausübung seines Amtes für erforderlich halten durfte. Hierher gehören insbesondere Porto-, Telefon-, Fahrt- und Übernachtungskosten. Welchen Lebensstandard das Aufsichtsratsmitglied bei gesell65 Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 59; einschränkend: Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 113 Rz. 32 (nur bei unentschuldigtem Fehlen). 66 Zur Vergütungsstruktur und -höhe s. die Tabelle im Anhang dieses Buches. 67 Seit der Kodex-Änderung von Mai 2012 (dazu Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2012, 1081) empfiehlt der Kodex (anders als in Ziff. 5.4.6 Abs. 2 Satz 1 der vorhergehenden Fassung) nicht mehr eine variable Vergütung. Das behält der neue Kodex 2020 bei, in dessen G.18 es heißt: „Die Vergütung des Aufsichtsrats sollte in einer Festvergütung bestehen. Wird den Aufsichtsratsmitgliedern dennoch eine erfolgsorientierte Vergütung zugesagt, soll sie auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein“. S. auch Rz. 857. 68 Ebenso Oetker, Erfurter Komm. Arbeitsrecht, § 26 MitbestG Rz. 4. 69 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 4; Maßmann/Bursee, BOARD 2014, 97, 99; zur Vereinbarkeit der Abführungspflichten generell mit § 113 AktG Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 6; umfassende Prüfung in BAG v. 21.5.2015 – 8 AZR 956/13, AG 2016, 39 = NZA 2015, 1319. 70 S. die Kienbaum-Aufsichtsratsstudie 2006/2007, Gummersbach 2008, S. 91 ff. Vgl. dazu auch die Studie Metzner/Rapp/Wolff, Vergütung deutscher Aufsichtsratsorgane 2012; Probst/Theisen, Der Aufsichtsrat 2012, 66 ff.; Hölz, BOARD 2015, 215 ff.; die stetig steigende Vergütung belegen auch die jährlichen DSW-Aufsichtsratsstudien; Zahlen für das Jahr 2018 finden sich in der Tabelle „Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen“ im Anhang dieses Buches, deren Vergleich mit der Tabelle in der Vorauflage ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Bezüge zeigt. 71 OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44 und 45/12, ZIP 2012, 1860 = AG 2013, 47.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 845 § 12

schaftsbezogenen Aufwendungen zugrunde legen darf (Linienflug oder Charterflug, gehobene Hotels oder ausschließlich Luxushotels etc.) kann nicht allgemein gültig, sondern muss einzelfallbezogen beantwortet werden72. In die Beurteilung der Angemessenheit sind (auslagenerhöhend) die Gewohnheiten des Vorstands ebenso einzubeziehen wie (auslagenbegrenzend) die finanzielle Situation der Gesellschaft. Hinsichtlich einzelner Aufwendungen gelten folgende Grundsätze73: Benötigt das Aufsichtsratsmitglied ausnahmsweise zur Erfüllung seiner Aufgaben die Hinzuziehung eines sachverständigen Beraters, so sind diese Kosten zu erstatten74. Bei Rechtsstreitigkeiten, die Aufsichtsratsmitglieder kraft ihres Amtes führen (z.B. Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses), spricht einiges für die Annahme, dass die Kosten (solange es sich nicht um eine mutwillige Prozessführung handelt) von vornherein im Rahmen der prozessualen Kostenentscheidung unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits der Gesellschaft aufzuerlegen sind; zumindest besteht ein entsprechender materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch75. Nicht erstattungsfähig sind in der Regel die Kosten für die Unterhaltung eines persönlichen Sekretariats76. Die Einrichtung eines solchen Büros kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn dessen Anmietung und Ausstattung für die Gesellschaft wegen des Wegfalls von Reisekosten billiger oder wegen der ständigen Verfügbarkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden für die Gesellschaft günstiger ist. In solchen Fällen trägt die Gesellschaft die Kosten eines solchen externen Büros. Nicht im Rahmen des allgemeinen Aufwendungsersatzanspruchs liegen die Kosten für eine Versicherung gegen Haftungsrisiken aus der Aufsichtsratstätigkeit. Denn das dabei versicherte Risiko trifft nicht die Gesellschaft, sondern das einzelne Aufsichtsratsmitglied. Üblich ist heute aber der Abschluss einer sog. D&O-Versicherung seitens der Gesellschaft zugunsten ihrer Aufsichtsratsmitglieder. Ein solcher Abschluss bedarf auch nicht der Zustimmung der Hauptversammlung nach § 113 AktG, da das Interesse 72 Semler in FS Claussen, 1997, S. 381, 386 f.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 14; Gaul, AG 2017, 877, 881; Bulgrin, AG 2019, 101,103 f. 73 Ausführlich hierzu Semler in FS Claussen, 1997, S. 381, 383 ff. 74 Z.B. zur Klärung der Frage, ob ausnahmsweise die Vertraulichkeit gebrochen werden darf; ob ein Beschluss des Aufsichtsrats unwirksam ist etc. Näher dazu Säcker, NJW 1979, 1521, 1526; Säcker in FS Fischer, 1979, S. 635, 641 ff.; vgl. auch Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 552 und dort Fn. 45. 75 Für eine unmittelbare Kostentragungspflicht der Gesellschaft bei Organklagen z.B. Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 224; Bauer, Organklagen, S. 82; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 232 ff. Sieht man dies anders, besteht ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch; ein solcher kann der prozessualen Regelung entgegengerichtet sein, wenn Umstände vorliegen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nach §§ 91 ff. ZPO nicht berücksichtigt werden können; vgl. dazu BGH v. 18.5.1966 – Ib ZR 73/64, BGHZ 45, 251, 257 f.; Schulz, MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, Vor § 91 Rz. 17. 76 Ebenso Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 982; Gaul, AG 2017, 877, 882 und Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 113 Rz. 14. Anders liegt es freilich bei einem von der Gesellschaft eingerichteten und vergüteten Sekretariat des Aufsichtsrats, das dann unter der Leitung des Aufsichtsratsvorsitzenden steht und über das das einzelne Aufsichtsratsmitglied nach Rücksprache mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden ggf. zeitweise verfügen kann. Vgl. dazu bereits Rz. 656 ff.

371

§ 12 Rz. 845 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

der Gesellschaft an einem solventen Schuldner im Vordergrund steht. Näher dazu Rz. 1036 ff. 846

Umstritten ist, ob auch jene Auslagen erstattungsfähig sind, die ein Aufsichtsratsmitglied zur Teilnahme an Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen tätigt. Dies ist jedenfalls abzulehnen, soweit es um den Erwerb von Mindestkenntnissen geht77. Jedes Aufsichtsratsmitglied hat selbst dafür zu sorgen, dass es die erforderliche Qualifikation zu einer sorgfältigen Amtsführung besitzt. Anders liegt es unter Umständen beim Erwerb tiefergehender Spezialkenntnisse78. Vor dem Hintergrund einer wünschenswerten Professionalisierung der Aufsichtsratstätigkeit kann der Besuch bestimmter Fortbildungsveranstaltungen durch ein Aufsichtsratsmitglied durchaus im Interesse der Gesellschaft liegen. Insoweit darf das Aufsichtsratsmitglied die entstandenen Aufwendungen dann auch „für erforderlich halten“ und sie entsprechend § 670 BGB ersetzt verlangen. Für börsennotierte Gesellschaften gilt im Zweifel Ziff. 5.4.5 Abs. 2 des alten Kodex (nahezu identisch D.12 des Kodex 2020): „Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahr. Dabei sollen sie von der Gesellschaft angemessen unterstützt werden“.

Ist diese Bestimmung von der Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat dieser Gesellschaft nach § 161 AktG erfasst, können Aufsichtsratsmitglieder davon ausgehen, dass eine angemessene Fortbildung im Interesse der Gesellschaft liegt und die Kosten dafür von ihr erstattet werden79. 847

Die erstattungsfähigen Aufwendungen können über Pauschalen ersetzt werden80. Da jedes Aufsichtsratsamt ein Teilzeitamt ist, sollten für den Aufsichtsratsvorsitzenden bei der Berechnung der Pauschale aber im Regelfall nicht mehr als drei Arbeitstage pro Monat angesetzt werden. Jede darüber hinausgehende Inanspruchnahme müsste gesondert nachgewiesen werden, damit der gezahlte Aufwendungsersatz auch vor Rückfragen in der Hauptversammlung bestehen kann und nicht der Eindruck einer unzulässigen Zusatzvergütung entsteht. Zur Frage, wer innerhalb der Gesellschaft prüft, ob tatsächlich ein Aufwendungsersatzanspruch besteht und entsprechende Gesellschaftsmittel zur Zahlung an den Aufsichtsrat freigegeben werden sowie einem etwaigen – durch die Hauptversammlung eingeräumten – Budget des Aufsichtsrats81, s. Rz. 656 ff. 77 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 449; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 70; a.A. Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 761. 78 So auch Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 983 und Gaul, AG 2017, 877, 883; Restriktiver wohl Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 69. 79 Vgl. dazu Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1423 f. 80 Wagner in Semler/v. Schenck, Handbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 43; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 24. 81 An dieser Stelle sei nur auf zwei aktuelle Stimmen dazu verwiesen: Bulgrin, AG 2019, 101 ff. sowie Theisen, AG 2018, 589 ff.

372

Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 850 § 12

5. Erfolgsorientierte Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern Die Tätigkeit des Aufsichtsrats ist heute nicht mehr allein auf die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands beschränkt. Sie hat sich vielmehr zu der eines mitunternehmerischen Organs ausgeweitet (dazu Rz. 58). Aufgrund dieses verantwortungsvollen Aufgabenfeldes haben die Mitglieder des Aufsichtsrats früher zusätzlich zu einer festen auch eine erfolgsorientierte variable Vergütung erhalten. Seit 2012 hat sich das deutlich geändert und zunehmend hin zu einer ausschließlich festen Vergütung geführt82.

848

a) Aktienkursorientierte Vergütung In früheren Jahren bestand die Möglichkeit, Aufsichtsratsmitglieder mit Aktienoptionen zu vergüten und sie so am Unternehmenserfolg teilhaben zu lassen. Seit dem BGH-Urteil vom 16.2.200483 ist eine Gewährung von Aktienoptionen an Aufsichtsratsmitglieder jedoch nicht mehr möglich und auch eine Vergütung in Form von Wertsteigerungsrechten oder der Ausgabe eigener Aktien erscheint zweifelhaft.

849

Zunächst wurde die Zulässigkeit der Ausgabe von reinen Optionsrechten (sog. naked warrants) an Aufsichtsratsmitglieder vom Gesetzgeber im Rahmen der Beratungen zum KonTraG und der damit verbundenen Änderungen der §§ 192, 193 AktG abgelehnt. Der Kreis der Bezugsberechtigen wurde in beiden Vorschriften auf Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung beschränkt und Aufsichtsratsmitglieder folglich ausgenommen. Der BGH erklärte daraufhin in Anlehnung an die Wertung des Gesetzgebers auch die Gewährung von Aktienoptionen, die mit nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG zurückgekauften eigenen Aktien unterlegt werden sollten, für unzulässig und zog in einem obiter dictum die Zulässigkeit der Vergütung mit Aktienoptionen in Form von Wandel- oder Optionsanleihen in Zweifel84. Diese Zweifel wurden vom Gesetzgeber aufgenommen. Im Rahmen des UMAG wurde § 221 Abs. 4 AktG geändert und ein Verweis auf § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG eingefügt. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich bestätigt, dass damit auch auf die Beschränkung der Bezugsberechtigten verwiesen werden soll85. Eine Ausgestaltung der variablen Vergütung in Form von Aktienoptionsprogrammen ist daher nicht mehr möglich.

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82 Für den Trend zu einer reinen Fixvergütung s. die Vergütungstabelle im Anhang der 6. Aufl. S. 593 ff. sowie die aktualisierte Vergütungstabelle im Anhang dieser Auflage; zudem Ludwig, Vergütung, S. 231 ff. und durch Goethe-Universität Frankfurt und PwC durchgeführte Vergütungsstudie 2016, S. 36 und 42 (abrufbar unter https://www.accounting.uni-frankfurt.de/fileadmin/user_upload/dateien_abteilungen/abt_rec/LS_Boecking/ Dokumente/Vergu__tungsstudie_2016.pdf); generell zur Sinnhaftigkeit erfolgsabhängiger Vergütungsformen Geerken, Erfolgsabhängige Aufsichtsratsvergütung, 2015, S. 5 ff., 33 ff. 83 II ZR 316/02, BGHZ 158, 122 = AG 2004, 265. 84 BGH v. 16.2.2004 – II ZR 316/02, BGHZ 158, 122 = AG 2004, 265, dazu u.a. Peltzer, NZG 2004, 509, 510; Paefgen, WM 2004, 1169, 1172. 85 BT-Drucks. 15/5092, S. 25.

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§ 12 Rz. 851 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung 851

Aufgrund dieser Entwicklung ist zweifelhaft, ob die Ausgestaltung einer aktienkursorientierten Vergütung in Form von Wertsteigerungsrechten (stock appreciation rights) oder phantom stocks noch rechtlich zulässig ist86. Mit dieser schuldrechtlichen Nachbildung von Aktienoptionsprogrammen könnte die Wertung des Gesetzgebers, Optionsprogramme für Aufsichtsräte nicht zuzulassen, umgangen werden87.

852

Aus ähnlichen Gründen erscheint auch die Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern mit eigenen Aktien der Gesellschaft jedenfalls in den Fällen problematisch, in denen die Ausgabe der Aktien an bestimmte Bedingungen geknüpft wird und diese Ausgestaltung der eines Aktienoptionsprogramms nahe kommt88.

853

Hierbei stellt sich außerdem das Problem der Beschaffung eigener Aktien durch die Gesellschaft. Ein Erwerb eigener Aktien auf Grundlage einer Ermächtigung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG würde vermutlich von der Rechtsprechung mit dem Verweis auf § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG und den dort beschränkten Kreis der Bezugsberechtigten auf Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung für unzulässig erklärt werden. Die Wahl der letztgenannten Vergütungsmodelle ist aufgrund der mit ihnen verbundenen Rechtsunsicherheit daher nicht zu empfehlen.

854

Möglich ist es dagegen, die Aufsichtsratsmitglieder zu verpflichten, für einen bestimmten Anteil ihrer Barvergütung Aktien der Gesellschaft zu erwerben und diese über einen vorher festgelegten Zeitraum zu halten89. Davon machen einige DAX-Unternehmen bereits Gebrauch90. Dadurch wird für die Mitglieder des Aufsichtsrats ein direkter Anreiz zur Steigerung des Unternehmenserfolgs geschaffen werden. b) Dividendenorientierte Vergütung

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Rechtlich zulässig ist es, einen Teil der Vergütung dividendenorientiert zu gewähren. Die Höhe der zusätzlichen Tantieme wird dabei an die ausgezahlte Dividende angeknüpft. 86 Die DaimlerChrysler AG verzichtete mit Hinweis auf die unsichere Rechtslage nach dem Urteil des BGH darauf, ihren Aufsichtsratsmitgliedern phantom stocks als variable Komponente der Vergütung einzuräumen. Ihre Aufsichtsratsmitglieder erhalten nur noch eine feste Vergütung. Die Meinung der Literatur ist uneinheitlich: für die Unzulässigkeit von phantom stocks und stock appreciation rights Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, WuB II A. § 71 AktG 1.04, 501, 503; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 113 Rz. 36; Paefgen, WM 2004, 1169, 1173; Habersack, ZGR 2004, 721, 731; kritisch dazu Bösl, BKR 2004, 474; von Rosen, BB 37/2004, 1; Spindler/Gerdemann in FS Stilz, 2014, S. 629, 638 ff.; Fuchs, WM 2004, 2233, 2239 und E. Vetter, Der Aufsichtsrat 2015, 82, 83 sprechen sich auch nach der BGH-Entscheidung für die Zulässigkeit der virtuellen Wertsteigerungsmodelle aus. 87 Ebenso Habersack, ZGR 2004, 721, 731 f. 88 Marsch-Barner in FS Röhricht, 2005, S. 401, 417. 89 Marsch-Barner in FS Röhricht, 2005, S. 401, 417. 90 S. dazu im Anhang dieses Werkes: Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 857 § 12

In der Praxis könnte eine entsprechende Formulierung so aussehen: Für jeden Cent, den die Dividende pro Aktie einen Euro (20 Cent, 50 Cent) übersteigt, erhält jedes Aufsichtsratsmitglied 500 Euro (800 Euro, 1000 Euro). Eine solche Ausgestaltung hatten einst zwei Drittel der Dax-30-Unternehmen91. Problematisch an dieser Vergütungsregelung ist aber, dass der Aufsichtsrat an der Feststellung des Jahresabschlusses mitwirkt und gemäß § 124 Abs. 3 AktG der Hauptversammlung die Höhe der Dividendenzahlung vorschlägt. Damit kann er indirekt die Höhe seiner eigenen Vergütung bestimmen. Daher sollte eine dividendenorientierte Vergütung nur ein Zusatz sein und keinesfalls den Großteil der Gesamtvergütung des Aufsichtsratsmitglieds ausmachen. c) Von Unternehmenskennziffern abhängige Vergütung In vielen Fällen werden als Bemessungsgrundlage einer erfolgsorientierten Vergütung interne Unternehmenskennziffern herangezogen. Dies ist ebenfalls zulässig. Dabei kann auf Ergebnisgrößen wie z.B. EBIT (Earnings Before Interest and Taxes)92 oder EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization) zurückgegriffen werden, oder es werden renditeorientierte Kennzahlen, wie z.B. ROI (Return on Investment) oder ROCE (Return on Capital Employed) als Bemessungsgrundlage verwendet. Zweckmäßig ist dabei eine Kombination von ergebnis- und renditeorientierten Größen, da beide Größen für sich genommen den Unternehmenserfolg nicht zwangsläufig richtig abbilden93.

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d) Die heutige Lage Durch das VorstAG von 200994 mit seinen starken Eingriffen in die Vergütung der Vorstände und seinem Anliegen einer am langfristigen Erfolg des Unternehmens orientierten variablen Vergütung haben sich auch die Überlegungen zur Vergütung der Aufsichtsräte geändert95. Da der Langfrist-Gedanke bei der Vergütung von Aufsichtsräten technisch nur schwer zu verwirklichen ist96, tendieren die Unternehmen 91 Gehling, ZIP 2005, 549. 92 Diese Bemessungsgrundlage nutzt z.B. die Metro AG und die ThyssenKrupp AG. 93 So auch die „Empfehlung zur Aufsichtsratsvergütung“ des Deutschen Aktieninstituts, Juni 2003, 32. 94 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2509. 95 Seit der Kodex-Änderung von Mai 2012 (dazu Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2012, 1081) empfiehlt der Kodex (anders als in Ziff. 5.4.6 Abs. 2 Satz 1 der vorhergehenden Fassung) keine variable Vergütung mehr. In G.18 des neuen Kodex 20202 heißt es: „Die Vergütung des Aufsichtsrats sollte in einer Festvergütung bestehen. Wird den Aufsichtsratsmitgliedern dennoch eine erfolgsorientierte Vergütung zugesagt, soll sie auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein“. S. dazu auch Ringleb/ Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2012, 1081, 1088. Zustimmend Peltzer, NZG 2012, 368, 370. Kritisch Stellungnahme des DAV-Handelsrechtsausschusses, NZG 2012, 335, 339. 96 Die Aufsichtsräte müssten mehrere Jahre auf einen Teil ihrer Vergütung warten, ohne zu wissen, ob und wieviel es sein wird.

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§ 12 Rz. 857 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

heute wieder verstärkt zu einer reinen Fix-Vergütung97. Im Vordergrund steht nach den Verlautbarungen der Unternehmen dabei der Gedanke, dass man die Unabhängigkeit der Kontrolle stärken will98. 6. Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern a) Allgemeines 858

Unabhängig und jenseits seiner regulären Aufsichtsratstätigkeit kann es für die Gesellschaft wichtig und interessant sein, das einzelne Aufsichtsratsmitglied auch noch für andere und zusätzliche Aufgaben zu gewinnen, etwa als Personal- oder Organisationsfachmann, als Anwalt oder Steuerberater etc. Das ist, wie § 114 Abs. 1 AktG zeigt, nicht verboten. Der entsprechende Dienstvertrag nach §§ 611, 675 BGB wird zwischen der AG, vertreten durch den Vorstand, und dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied geschlossen, bedarf aber zu seiner Wirksamkeit der Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats99. Doch ist wegen § 113 AktG größte Sorgfalt, Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Alle Unklarheiten im Verhältnis von § 113 AktG zu § 114 AktG im konkreten Einzelfall gehen zu Lasten des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds100. b) Anwendungsbereich der §§ 113, 114 AktG

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Verboten ist aber gemäß § 113 AktG, den Aufsichtsratsmitgliedern an der Hauptversammlung oder Satzung vorbei durch den Abschluss von Beraterverträgen, die nichts anderes umfassen als die ohnehin geschuldete Organpflicht zur Beratung (vgl. dazu oben Rz. 103), zusätzliche Vergütungen zukommen zu lassen. Fehlt die Zustimmung gemäß § 114 AktG oder ist der Vertrag – bei Identität von Beratungsgegenstand und Organpflicht – gemäß § 113 AktG, § 134 BGB nichtig, so sind empfangene Vergütungen nach § 114 Abs. 2 AktG zurückzuzahlen (Rz. 877). Die entscheidende Frage für die Abgrenzung zwischen den nach § 114 AktG erlaubten, aber zustimmungsbedürftigen und den nach § 113 AktG verbotenen Verträgen lautet daher: Wann liegt eine von der Aufsichtsratstätigkeit unabhängige Leistungspflicht (Beratungspflicht) vor oder, anders gewendet, wann decken sich Organpflicht und Bera-

97 Vgl. die Tabelle im Anhang dieses Werkes. S. dazu auch Reimsbach, BB 2011, 940; Spindler/Gerdemann in FS Stilz, 2014, S. 629, 631 m.w.N.; Maßmann/Bursee, BOARD 2014, 97 ff.; Preen/Pacher/Bannas, DB 2014, 1633 ff.; für eine stärkere variable erfolgsabhängige Vergütung E. Vetter, Der Aufsichtsrat 2015, 82f.; dazu auch Thümmel, Der Aufsichtsrat 2015, 89. 98 Vgl. Allen & Overy, Analyse der Vergütungssysteme, 2013, S. 5. 99 Zur Frage, ob das betreffende Aufsichtsratsmitglied dabei mitberatungs- und stimmberechtigt ist, vgl. Rz. 894 ff. Die Frage ist in paritätisch besetzten Aufsichtsräten von großer praktischer Bedeutung, da es zum Einsatz der Zweitstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden nur kommen kann, wenn zunächst eine Pattsituation besteht (§§ 29 Abs. 2, 31 MitbestG). 100 BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, AG 2006, 667; BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 = AG 1994, 508.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 860 § 12

tungstätigkeit101? Anzuknüpfen ist an den Beratungsgegenstand: Ein Beratervertrag ist mit Zustimmung des Aufsichtsrats nur wirksam, wenn die vereinbarte Tätigkeit Fragen eines speziellen Fachgebiets jenseits der Organpflichten betrifft102. Aus § 111 i.V.m. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG sowie § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AktG lässt sich entnehmen, dass die Beratung des Vorstands als Bestandteil der Überwachungsaufgabe nur wesentliche Geschäftsvorgänge von grundsätzlicher Bedeutung erfasst. Wesentliche Fragen der Geschäftsführung können daher nicht Gegenstand eines Beratervertrages sein103, ebenso wenig wie die Beratung der Gesellschaft in „wesentlichen Konzernangelegenheiten“, die „Mitwirkung bei der Betreuung von Tochtergesellschaften“ im In- und Ausland104 und von Beteiligungen aller Art oder die Beratung in allen im Zusammenhang mit der Geschäftsführung auftretenden Rechtsfragen105. Die Abgrenzung ist mithin so vorzunehmen, dass Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats gehören, dagegen nicht Fragen spezieller Art und insbesondere solche des Tagesgeschäfts, seiner Vorbereitung und Umsetzung106. Beispiele für letzteren Bereich sind die Auswahl eines neuen Abteilungsleiters in einem zentralen Unternehmensbereich oder die Vorbereitung einer speziellen Emission, allgemeine oder spezielle Steuerberatung oder Prozessführung, technische Vorbereitung und Abwicklung eines Unternehmenskaufes. Diese – und vergleichbare – Tätigkeiten können nach § 114 AktG Gegenstand eines Beratervertrages sein107. In Zweifelsfällen ist ergänzend auf den Zweck der Beratung abzustellen. Während die organschaftliche überwachende Beratung der Vermeidung von 101 Dazu BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = DB 1991, 1212 mit Anm. Theisen = AG 1991, 312 mit Anm. Wolf = EWiR § 114 AktG 1/91, 525 (Semler) sowie Lutter/ Kremer, ZGR 1992, 87; Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173 ff.; Hoffmann/Kirchhoff, WPg 1991, 592 ff. 102 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 = AG 1991, 312; BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 = AG 1994, 508; BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, AG 2006, 667; BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, AG 2007, 80; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 26 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 114 Rz. 7; Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 181; Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 95 ff.; Beater, ZHR 157 (1993), 420, 421 ff.; Deckert, AG 1997, 109, 111 ff.; HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 45 ff.; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 52 Rz. 127 stellen alternativ auf den Umfang der Inanspruchnahme ab; das halten Hoffmann/Kirchhoff, WPg 1991, 592, 594 und HoffmannBecking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 46 ff. zutr. für zu unbestimmt. Eingehend dazu Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1174 ff. und Ziemons, GWR 2012, 451. 103 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 = AG 1991, 312. 104 Lässt eine Formulierung – wie hier – eine klare Zuordnung nicht zu, so liegt im Zweifel ein Verstoß gegen § 113 AktG vor, näher Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 95 ff. 105 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 95 ff. 106 So im Grundsatz auch Hoffmann/Kirchhoff, WPg 1991, 592, 594; Drygala in K. Schmidt/ Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 10 und 11; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 31; von Bünau, Beratungsverträge, S. 28; Leuering/Simon, NJW-Spezial 2006, 171; E. Vetter, AG 2006, 173. 107 Umfasst die Beratungstätigkeit Bereiche, die an sich zur Organpflicht gehören, aber von einem Ausschuss wahrgenommen werden, dem das betreffende Aufsichtsratsmitglied

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§ 12 Rz. 860 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

Fehlern bei der Unternehmensleitung sowie der Vorbereitung und Mitwirkung an strategischen und Planungsentscheidungen dient, hat eine Beratung im Sinne von § 114 AktG die Lösung konkreter Geschäftsführungsprobleme zum Ziel108. Verbleibende Zweifel und Unklarheiten der Abrede gehen zu Lasten der Gültigkeit des Vertrages109. Bei der Abgrenzung ist zu bedenken, dass die Rechtsprechung den Bereich der organschaftlichen Pflichten sehr weit zieht110. Vor Abschluss eines Beratervertrages ist daher sorgfältige Prüfung und Formulierung erforderlich. Noch einmal: Alle Unklarheiten gehen zu Lasten der Gültigkeit des Vertrages. 861

Rechtsfolge einer möglichen, aber fehlenden und nach § 114 AktG erforderlichen Zustimmung ist die schwebende Unwirksamkeit des Vertrages, nach Verweigerung der Genehmigung dessen endgültige Unwirksamkeit. Das gilt auch dann, wenn dem Aufsichtsrat der Vertrag überhaupt nicht zwecks Zustimmung vorgelegt wird111. Ein Verstoß gegen § 113 AktG führt zur Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 134 BGB. Auch Verträge, die mit Dritten abgeschlossen wurden („Altverträge“), unterfallen den §§ 113, 114 AktG, wenn der Dritte später zum Aufsichtsratsmitglied bestellt wird112. Dies allerdings mit der Maßgabe, dass der Verstoß gegen § 113 AktG nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führt, sondern zu dessen Suspendierung113.

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nicht angehört, kann der Vertrag trotzdem nicht über § 114 AktG wirksam sein, näher Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 97 f. Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1876; zustimmend Deckert, AG 1997, 109, 113 f.; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, Komm. AktG, § 111 Rz. 7; der BGH nennt in seiner Entscheidung vom 20.11.2006 (BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, AG 2007, 80) folgende Fälle: Beratung der Gesellschaft bei dem Abschluss von Unternehmens- und Beteiligungskaufverträgen und bei der Eingehung strategischer Allianzen; Beratung zu Finanzierungsmodellen zur Ausstattung mit liquiden Mitteln (Kapitalerhöhungen, Inhaber- und Wandelschuldverschreibungen, Kreditverträge); Beratung bei sonstigen Kapitalmaßnahmen sowie die Beratung bei internen Strukturierungen. Zu streng daher OLG München v. 5.6.2008 – 7 U 4388/07, Juris = BeckRS 2008, 15555. So ausdrücklich BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 348 = AG 1994, 508. Ziemons, GWR 2012, 451 mit Beispielen aus der Rspr. S. 453 f. Unzutr. OLG Köln v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, GWR 2013, 164 = BB 2013, 592 = EWiR § 113 AktG 1/13 (v. Falkenhausen), wonach die Erstellung des Leitfadens für die Hauptversammlung zum gesetzlichen Pflichtenkreis der von der Satzung zum Versammlungsleiter bestimmten Aufsichtsratsvorsitzenden gehören soll. Das trifft gewiss nicht zu. BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 348 = AG 1994, 508; dem folgend Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1880. Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 182 f.; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 133 = AG 1991, 312 für § 113 AktG; BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 = AG 1994, 508 für § 114 AktG = ZIP 1994, 1216 = EWiR § 114 AktG 1/ 94, 943 (Bork, zustimmend); anders die frühere h.M. für § 114 AktG, vgl. Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 114 Rz. 35 f. BGH v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 134 = AG 1991, 312; a.A. Wolf, AG 1991, 315, 316.

Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 862 § 12

Im Zustimmungsverfahren nach § 114 AktG gilt ein „umfassendes Transparenzgebot“114, das bedeutet, dass zumindest der wesentliche Inhalt des Beratungsvertrages dem Aufsichtsrat vor der Beschlussfassung schriftlich115 offen zu legen ist. Der Aufsichtsrat muss aus den im Vertrag enthaltenen Angaben zur Beratungsleistung ersehen können, ob diese in den Bereich der organschaftlichen Pflichten gehört oder aber genehmigungsfähig ist. Aus dem Vertrag muss sich einwandfrei ergeben, worauf die Beratertätigkeit gerichtet sein soll116. Es genügt nicht, dass allgemein auf „Beratung“ oder „Beratung in allen Angelegenheiten, die nicht in den Aufgabenbereich eines Aufsichtsratsmitglieds fallen“ Bezug genommen wird117. Weiterhin muss sich aus dem Vertrag auch die genaue Höhe der versprochenen Vergütung ergeben, um deren Angemessenheit beurteilen zu können; allerdings genügt insoweit der Verweis auf eine Gebührenordnung118. Erfüllt der Beratungsvertrag diese Konkretisierungsanforderungen nicht, ist er von vornherein nach § 113 AktG zu beurteilen und damit schwebend unwirksam (weil durch nachträgliche Konkretisierung genehmigungsfähig, Rz. 863) oder (wenn nicht nachträglich geheilt) nichtig119. Ausnahmsweise ist, trotz dahin gehender Mängel von seiner Wirksamkeit auszugehen, wenn die Aufsichtsratsmitglieder zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die notwendigen konkreten Angaben verfügt haben, und diese zusätzlich in den ausdrücklich gefassten Zustimmungsbeschluss aufgenommen wurden. Der Schutzzweck des § 114 AktG ist in diesem Fall hinreichend gewahrt120. Vor Erteilung seiner Zustimmung hat der Aufsichtsrat zu prüfen, ob diese dem Interesse der Gesellschaft entspricht. Insoweit gilt folgender Grundsatz: Kann die Beratungsleistung mit gleicher Qualität und unter gleich hohem Kostenaufwand auch von einem Dritten erbracht werden, so ist die Zustimmung im Zweifel zu verweigern, es sei denn, besondere Gründe sprechen gerade für die Beratung durch das Aufsichtsratsmitglied, z.B. wegen kürzerer Einarbeitungszeit oder dessen besonderer Vertrauenswürdigkeit aufgrund bereits bewiesener Kompetenz121.

114 Deckert, AG 1997, 109, 114. 115 Anders sind die hohen Anforderungen an den Vertragsinhalt zur Kenntnis aller Aufsichtsratsmitglieder nicht vorstellbar; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925 Tz. 18. 116 BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, ZIP 2006, 1529, 1533 = AG 2006, 667; OLG Frankfurt a. M. v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925, 926, Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 33 f.; E. Vetter, AG 2006, 173, 177; Peltzer, ZIP 2007, 305, 307. 117 BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, AG 2006, 667; Ziemons, GWR 2012, 451, 454. 118 BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f. = AG 1994, 508; Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 156; Jaeger, ZIP 1994, 1759, 1760. 119 BGH v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 345 = AG 1994, 508 in Anlehnung an Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 96; Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 175, 179. 120 OLG Köln v. 27.5.1994 – 19 U 289/93, AG 1995, 90, 91 stellt vorrangig auf Kenntnis und Beschlussinhalt ab. 121 Rodewig in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 168.

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§ 12 Rz. 863 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

c) Zustimmung 863

Die hier schon mehrfach erwähnte Zustimmung ist (vorherige) Einwilligung oder (nachträgliche) Genehmigung, § 184 BGB. Davon kann zur Sicherung der Rechtslage vor allem dadurch Gebrauch gemacht werden, dass zunächst dem Vertrag mit dem betreffenden Aufsichtsratsmitglied in allgemein umschriebener Form (z.B. Rechtsberatung, Steuerberatung, Beratung in Fragen der Organisation), verbunden mit den Grundlagen der Vergütung, zugestimmt wird, die einzelnen konkreten Leistungen und deren spezielle Vergütung aber später noch einmal dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt werden122. Geht es um konkrete Einzelaufgaben, wie die Vertretung der Gesellschaft in einem Steuerstreit oder einem Anfechtungsprozess, entstehen keine besonderen Probleme. Denn diese Pflichten können sofort und vor Beginn der Arbeit im Vertrag inkl. der Vergütung festgelegt und dem Aufsichtsrat zur Zustimmung vorgelegt werden. Solche Verträge betreffen aber auch häufig die ganz allgemeine Beratung und Vertretung der Gesellschaft in Rechts- und Steuersachen. Deren genauer Inhalt und Umfang lässt sich aber vorweg kaum bestimmen; sie konkret festzulegen gelingt erst im Nachhinein. Das gilt insbesondere, wenn eine Gesellschaft ihre gesamten Rechtsund Steuerangelegenheiten an eine Sozietät ausgelagert hat, an der ein Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist. In diesen Fällen kann die notwendige Konkretisierung erst am Jahresende erfolgen. Das genügt; denn das Gesetz spricht von „Zustimmung“, die nach §§ 183, 184 BGB die nachträgliche Genehmigung mit umfasst123. In solchen Fällen arbeitet die Sozietät auf eigenes Risiko; denn ohne die Konkretisierung ist der Vertrag trotz Zustimmung des Aufsichtsrats nicht gültig und wird das erst mit der Konkretisierung und Genehmigung durch den Aufsichtsrat. Vorher darf daher der Vorstand auch nicht zahlen, sondern muss die Konkretisierung und die Genehmigung des Aufsichtsrats abwarten124. Wird dennoch früher gezahlt, bleibt das Verhalten auch bei späterer Genehmigung rechtswidrig und die Beteiligten können nicht wirksam entlastet werden.

122 Dazu Lutter/Drygala in FS Ulmer, 2003, S. 381, 395 ff.; a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925 und OLG Frankfurt a.M. v. 15.2.2011 – 5 U 30/10, ZIP 2011, 425 mit abl. Anm. Drygala = AG 2011, 256; der BGH lässt diese Frage ausdrücklich offen, BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22, 24 = AG 2007, 80; so erneut in der Entscheidung vom 10.7.2012 – II ZR 48/11, NZG 2012, 1064 = AG 2012, 712 (Fresenius). Im Fall des OLG Köln v. 31.1.2013 – 18 U 21/12, BB 2013, 592 (Solarworld) und dazu Strenger/Brinkschmidt, BOARD 2013, 85 waren die einzelnen Leistungen nicht sorgfältig genug aufgelistet. 123 A.A. aber zu Unrecht OLG Frankfurt a.M. v. 15.2.2011 – 5 U 30/10, AG 2011, 256; zutr. Drygala, ZIP 2011, 427 ff.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 23. 124 BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, AG 2012, 712 (Fresenius); ebenso die Vorinstanz OLG Frankfurt a.M. v. 15.2.2011 – 5 U 30/10, AG 2011, 256; so schon Lutter/Drygala in FS Ulmer, 2003, S. 381; kritisch Cahn, Der Konzern 2012, 501, der von Überdehnung des § 114 AktG spricht; zustimmend Ihrig, ZGR 2013, 417, 430 (der Aufsichtsrat darf vom Vorstand nicht präjudiziert werden).

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 866 § 12

Bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat hat das betreffende Mitglied kein Stimmrecht125 und sollte auch nur auf Wunsch des Aufsichtsrats und zwecks näherer Erläuterung an der Verhandlung über die Zustimmung teilnehmen.

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d) Auftrag durch den Aufsichtsrat selbst Der Aufsichtsrat (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG), aber auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied, können in schwierigen Situationen für sich sachverständigen Rat durch einen Dritten in Anspruch nehmen126. In die gleiche Situation kann aber auch der Aufsichtsrat insgesamt kommen. Das gilt insbesondere bei schwierigen Vertragsproblemen mit dem Vorstand, bei der Aufstellung einer Geschäftsordnung oder der Vorbereitung einer schwierigen Hauptversammlung, die der Aufsichtsratsvorsitzende zu leiten hat. In allen diesen Fällen kann der Aufsichtsrat hierfür in erster Linie Hilfe von Mitarbeitern der Gesellschaft (z.B. Vorbereitung der Hauptversammlung), wo das nicht möglich (fehlendes Personal der Gesellschaft) oder untunlich ist (Behandlung von Vorstandsverträgen), aber auch sachverständige Hilfe von dritter Seite in Anspruch nehmen. Der Aufsichtsrat ist zur Beauftragung externer sachverständiger Berater trotz Fehlens gesellschaftsinterner Lösungen nur befugt, wenn es sich bei dem Beratungsgegenstand um eine konkrete, durch den Einzelfall veranlasste Frage innerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Aufsichtsrats handelt. Weiterhin muss die Vertraulichkeit der in diesem Zusammenhang dem außenstehenden Berater offengelegten Informationen gewahrt sein, z.B. aufgrund dessen Berufsverschwiegenheit oder einer ausdrücklichen vertraglichen Verpflichtung127.

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Unter diesen Voraussetzungen kann der Aufsichtsrat auch eines seiner Mitglieder mit entsprechendem Sachverstand beauftragen128, allerdings sind dabei zusätzlich die Anforderungen der §§ 113, 114 AktG zu beachten129. Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats zur Verpflichtung der Gesellschaft aus dem Beratungsvertrag – sei es mit einem Dritten, sei es mit einem Aufsichtsratsmitglied – ergibt sich aus seiner sog. Annexkompetenz130. Hat der Aufsichtsrat über die Beauftragung des eigenen Mit-

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125 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 114 Rz. 26; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, Komm. AktG, § 114 Rz. 5; Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 114 AktG Rz. 17; OLG Frankfurt a.M. v. 21.9.2005 – 1 U 14/05, AG 2005, 925. 126 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 296 f., 300 = AG 1983, 133. 127 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 296, 296 f., 300 = AG 1983, 133; Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 550 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 122 f. 128 Zum Ganzen Lutter/Drygala in FS Ulmer, 2003, S. 381, 385 ff. Auch Ziff. 5.4.6 Abs. 3 DCGK a.F. akzeptierte das bislang, verlangte aber die Offenlegung der dafür gewährten Vorteile gegenüber der Hauptversammlung; in der neuen Kodex-Fassung fehlt eine solche Passage. 129 In diesem Sinne Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 183 f.; Fischer, BB 1967, 859, 861 f. 130 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 111 Rz. 127, § 112 Rz. 24; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rz. 159; Semler in FS Rowedder, 1994, S. 441, 454 f.; Werner, ZGR 1989, 369, 383.

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§ 12 Rz. 866 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

glieds in Form eines Beschlusses im Sinne von § 108 AktG entschieden, ist darin zugleich der Zustimmungsbeschluss nach § 114 Abs. 1 AktG zu sehen; es bedarf insoweit keines gesonderten Aufsichtsratsbeschlusses131. 867

Eine entgeltliche Beauftragung des einzelnen Organmitglieds durch den Aufsichtsrat, und nicht wie gesetzestypisch durch den Vorstand, wird teilweise generell für unzulässig gehalten, denn dadurch werde die Gefahr einer „Selbstbedienung“ begründet132. Diese Gefahr ist jedoch gering, da die Erteilung eines Beratungsauftrags durch den Aufsichtsrat nur unter den oben dargestellten engen Voraussetzungen zulässig ist und des Weiteren eine Sondervergütung innerhalb der Organpflichten des einzelnen Mitglieds ausgeschlossen ist. Darüber hinaus stellt der ansonsten mitwirkende Vorstand keine geeignete Kontrollinstanz dar, denn vor dessen unsachlicher Beeinflussung soll das gesetzliche Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats gerade schützen133. Die Beratung durch ein Aufsichtsratsmitglied anstelle eines externen Sachverständigen kann vor dem Hintergrund der Vertraulichkeit von gesellschaftsbezogenen Informationen sogar vorzugswürdig sein134. e) Beraterverträge in der GmbH

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In der GmbH135 ist zu unterscheiden zwischen Pflicht-Aufsichtsrat und fakultativem – also durch die Satzung vorgeschriebenem – Aufsichtsrat (näher dazu Rz. 1181 ff.). Handelt es sich um letzteren, so sind drei Gestaltungen denkbar: Die Satzung sagt nichts über die Kompetenzen des Aufsichtsrats. Dann gelten über § 52 Abs. 1 GmbHG die §§ 113, 114 AktG, allerdings mit der Einschränkung, dass die Gesellschafterversammlung die Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 114 AktG durch einen eigenen Beschluss ersetzen136 bzw. nach § 113 AktG verbotene Verträge genehmigen kann.

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Hat die Satzung hingegen die Vergütungskompetenz für Aufsichtsratsmitglieder dem Aufsichtsrat übertragen, so ist jeder Beratervertrag – auch wenn er Organpflichten enthält – zustimmungsbedürftig. Bei der Zustimmung ist aber der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder zu beachten, was reine Scheinverträge zwecks Vergütungserhöhung verbietet. Schließlich kann die Satzung

131 Ein konkludenter Beschluss genügt im Rahmen von § 114 Abs. 1 AktG im Übrigen jedoch nicht: OLG Köln v. 27.5.1994 – 19 U 289/93, AG 1995, 90; LG Stuttgart v. 27.5.1998 – 27 O 7/98, ZIP 1998, 1275, 1280; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 31. 132 Fischer, BB 1967, 859, 861 f.; Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 184, Bernhardt, BB 1967, 863, 865. 133 Zum Zweck des § 114 AktG vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 114 Rz. 1; Begr. RegE zu § 114 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, S. 158. 134 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 550 ff. 135 Zum Folgenden näher Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 100 f.; Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171 ff. 136 Ebenso Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 171.

382

Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 873 § 12

vorsehen, dass die Gesellschafter selbst über den Abschluss von Beraterverträgen mit ihnen entscheiden. Damit ist dem Aufsichtsrat die Zustimmungsbefugnis entzogen. In der mitbestimmten GmbH ist die Bildung eines Aufsichtsrats zwingend vorgeschrieben; es gelten hier uneingeschränkt die §§ 113, 114 AktG137.

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f) Beraterverträge im Konzern Betrachtet man die Zulässigkeit von Beraterverträgen im Konzern138, so ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich Überwachung und Beratung des Vorstands der Konzernobergesellschaft durch deren Aufsichtsrat auch auf die Leitung des Konzerns erstrecken, nicht aber auf die Geschäftsführungsorgane der Tochtergesellschaften (s. Rz. 141 ff.). Dabei sind nur diejenigen Konzernleitungsmaßnahmen des Vorstands Gegenstand der Überwachung und Beratung durch seinen Aufsichtsrat, die für die Obergesellschaft sowie den Unternehmensverband insgesamt von Gewicht und Bedeutung sind. In diesem Maße sind Beraterverträge nach § 113 AktG unzulässig. Im Übrigen verbleibt es bei § 114 AktG, also etwa bei Rechts- und Steuerberatung der Obergesellschaft in Konzernfragen.

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Schließt ein Aufsichtsratsmitglied der Obergesellschaft mit einer Tochtergesellschaft einen Beratervertrag ab, in dem es sich verpflichtet, die Tochter in allen wesentlichen Fragen der Geschäftsführung zu beraten, so gilt auch hier der Rechtsgedanke des § 113 AktG. Dies obwohl an sich keine Aufsichtsratstätigkeit betroffen ist; denn die allgemeine Geschäftsführung in der Tochtergesellschaft gehört nicht zur Überwachungspflicht des Aufsichtsrats in der Obergesellschaft. Aber der Vorstand der Obergesellschaft hat die Möglichkeit, auf den Abschluss des Beratungsvertrages Einfluss zu nehmen und so dem Aufsichtsratsmitglied doch eine Sondervergütung zukommen zu lassen. Daher sind Beraterverträge zwischen Aufsichtsratsmitgliedern und Tochtergesellschaften nicht nur unzulässig, wenn ihr Inhalt (ausnahmsweise) sogar die Pflichten im Aufsichtsrat der Obergesellschaft betrifft, sondern auch, wenn ihr Inhalt, wäre das betreffende Aufsichtsratsmitglied (zugleich) im Aufsichtsrat der Tochter, gegen die dortigen Organpflichten verstößt139.

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Ist beides nicht der Fall, sind Beraterverträge also nicht per se unzulässig, so unterfallen sie aber auch noch der Kontrolle nach § 114 AktG so, wie wenn es um eine Tätig-

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137 Bestellt die Gesellschafterversammlung zusätzlich einen Beirat und werden in den Beirat Aufsichtsratsmitglieder gewählt, so ist § 114 AktG analog anzuwenden, wenn die Beiratstätigkeit reguläre Beratungspflichten betrifft und entgeltlich erfolgt: Die Unvoreingenommenheit der Aufsichtsratsmitglieder soll nicht durch deren Bestellung zum Beirat als geldgleiche Zuwendung beeinträchtigt werden, näher Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 101 ff.; a.A. Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 185 f. 138 Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 103 ff.; Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1181 ff.; a.A. Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 186. 139 Zustimmend Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 148; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 15.

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§ 12 Rz. 873 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

keit für die Obergesellschaft ginge140. Das bedeutet, dass sowohl der Aufsichtsrat der Tochter- als auch der Aufsichtsrat der Muttergesellschaft ihnen zustimmen muss141. Dass anders als in § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG eine konzernweite Anwendung in § 114 AktG nicht geregelt ist142, hat seinen Grund in der recht kurzfristigen Einfügung der Vorschrift im Gesetzgebungsverfahren143. 874

Dasselbe muss auch für Beraterverträge mit Enkelgesellschaften gelten. Auch hier ist eine Einflussnahme des Vorstands der Obergesellschaft nicht auszuschließen und es sind daher die §§ 113, 114 AktG auf diese Verträge analog anwendbar144.

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Schwieriger zu beurteilen ist ein Vertrag eines Aufsichtsratsmitglieds der Tochtermit der Muttergesellschaft. Eine rechtliche oder praktische Möglichkeit des Vorstands der Tochtergesellschaft, auf den Vertragsschluss über den Beratervertrag mit der Obergesellschaft Einfluss zu nehmen, besteht dabei nicht. Damit ist der Schutzzweck der §§ 113, 114 AktG nicht betroffen und Beratungsverträge sind in diesen Konstellationen ohne Beschränkungen und ohne Zustimmungserfordernisse möglich145. g) Beraterverträge mit einer dem Aufsichtsratsmitglied verbundenen Gesellschaft

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Die Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 113, 114 AktG stellt sich auch, wenn der Beratungsvertrag nicht mit dem Aufsichtsratsmitglied, sondern mit einer Gesellschaft abgeschlossen wird, der dieser als Gesellschafter, gesetzlicher Vertreter oder Aufsichtsratsmitglied angehört146. Sie ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn das Aufsichtsratsmitglied kraft seiner verbandsrechtlichen Stellung in der Gesellschaft die Auszahlung des Beratungshonorars an sich bewirken kann, z.B. weil es die Gesell140 Näher Lutter/Kremer, ZGR 1992, 87, 105 f.; Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1184; zustimmend Kummel/Küttner, DB 1996, 193, 195; Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 88; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 15; nun auch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 114 Rz. 4; Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 149; a.A. Mertens in FS Steindorff, 1990, S. 173, 186; Mertens/ Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 114 Rz. 11; ähnlich Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 52: „jedenfalls“ bei ersichtlicher Umgehungsabsicht. 141 Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1184; kritisch Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 803. 142 Darauf stellen ab: Schlaus, AG 1968, 376, 377; Jaeger in Ziemons/Binnewies, Hdb. Aktiengesellschaft, Rz. I 9.292; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 52. 143 Deckert, WiB 1997, 561, 564; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 114 Rz. 52; Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 147. 144 Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1184; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 14 f.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 114 Rz. 7. 145 Lutter in FS Westermann, 2008, S 1171, 1185; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 114 Rz. 17; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 16; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 114 Rz. 7, die Schutz vor Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf das Aufsichtsratsmitglied des abhängigen Unternehmens jedenfalls im bloß faktischen Konzern vom Zweck des § 114 AktG erfasst sehen. 146 Dazu Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1178 ff.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 878 § 12

schaft beherrscht, oder wenn der Vertrag ausdrücklich seine maßgebliche Beteiligung an der vertraglichen Gegenleistung vorsieht147. Im Hinblick auf den Zweck des § 114 AktG, eine unsachliche Beeinflussung von Aufsichtsratsmitgliedern durch Sonderleistungen des Vorstands zu verhindern148, muss die Zustimmung des Aufsichtsrats aber auch dann eingeholt werden, wenn das Mitglied an dem Beratungshonorar nur mittelbar beteiligt wird, z.B. über die Gewinnverteilung in der vertragschließenden Rechtsanwaltssozietät, ohne dabei selbst Partei des Beratungsvertrags zu sein149, es sei denn, diese sind geringfügig oder haben im Vergleich zur offiziellen Aufsichtsratsvergütung nur einen vernachlässigenswerten Umfang150. Nach einer Entscheidung des OLG Köln sind die §§ 113, 114 AktG auch anwendbar, wenn die Gesellschaft einen Beratungsvertrag schließt mit einem Unternehmen, an dem ein Aufsichtsratsmitglied – nicht notwendig beherrschend – beteiligt ist151. h) Rückgewähr ungerechtfertigter Vergütungen Wann immer ein Beratervertrag nach den soeben erläuterten Regeln mangels Genehmigung oder mangels Genehmigungsfähigkeit nichtig ist, muss der Begünstigte das Erhaltene an die Gesellschaft nach § 114 Abs. 2 AktG zurückgewähren152. Da der Anspruch korporativer Natur und kein Bereicherungsanspruch ist, findet § 818 BGB und insbesondere dessen Abs. 3 keine Anwendung153. Zu den strengen Anforderungen an einen etwaigen Gegenanspruch des Aufsichtsratsmitglieds aus § 812 BGB gegen die Gesellschaft vgl. OLG Düsseldorf vom 20.5.2008154.

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i) Offenlegung der Beraterverträge und ihres Inhalts Die Kommission Corporate Governance hatte dem Gesetzgeber in einem Bericht155 vorgeschlagen, eine Pflicht zur Angabe im Anhang zum Jahresabschluss für „persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen, be147 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 114 Rz. 10; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 51: bei Umgehungsabsicht. 148 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 114 Rz. 1; Begr. RegE zu § 114 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, S. 158. 149 BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = AG 2007, 80; Werner, DB 2006, 935, 936; Bosse, NZG 2007, 172, 173; LG Stuttgart v. 27.5.1998 – 27 O 7/98, BB 1998, 1549, 1552; Oppenhoff in FS Barz, 1974, S. 283, 288; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 114 Rz. 19; Rellermeyer, ZGR 1993, 77, 88 f.; a.A. Wissmann/Ost, BB 1998, 1957, 1960, die es für entscheidend halten, ob die Beratungsleistung durch das Aufsichtsratsmitglied erbracht wird; kritisch auch Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 803. 150 BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = AG 2007, 80. 151 OLG Köln v. 11.7.2019 – 18 U 37/18, AG 2019, 844. 152 BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = AG 2007, 80; BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188, AG 2006, 667; vgl. dazu auch Kanzler, AG 2013, 554. 153 Lutter in FS Westermann, 2008, S. 1171, 1186. 154 OLG Düsseldorf v. 20.5.2008 – 23 U 128/07, Juris = BeckRS 2008/13221; OLG Köln v. 11.7.2019 – 18 U 37/18, AG 2019, 844. 155 Baums (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 265.

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§ 12 Rz. 878 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

zogenen Vergütungen oder Vorteile“ vorzusehen. Das ist bislang nicht verwirklicht worden. Dafür aber sieht Ziff. 5.4.6 Abs. 3 DCGK a.F. genau das vor; im neuen Kodex ist dazu nichts mehr gesagt. „Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder soll im Anhang oder im Lagebericht individualisiert, aufgegliedert nach Bestandteilen ausgewiesen werden. Auch die vom Unternehmen an die Mitglieder des Aufsichtsrats gezahlten Vergütungen oder gewährten Vorteile für persönlich erbrachte Leistungen, insbesondere Beratungs- und Vermittlungsleistungen, sollen individualisiert angegeben werden.“ 7. Drittgeschäfte mit Aufsichtsratsmitgliedern a) Kreditierung 879

Aufsichtsratsmitglied und Gesellschaft stehen sich außerhalb des Organverhältnisses wie Dritte gegenüber. Daher können zwischen beiden auch im Übrigen beliebige Rechtsverhältnisse abgewickelt werden. Nur: Das Aufsichtsratsmitglied soll nicht „gekauft“ werden können, soll unabhängig bleiben. Daher missbilligt das Gesetz zu Recht die Kreditierung des Aufsichtsratsmitglieds und der mit diesem verbundenen Personen durch die Gesellschaft und bindet den ausnahmsweise dennoch gewährten Kredit an strenge Regeln und wiederum an die Zustimmung der (anderen) Aufsichtsratsmitglieder (§ 115 AktG)156. Die Zustimmung darf nur erteilt werden, wenn der Kreditgewährung das Interesse der Gesellschaft nicht entgegensteht, z.B. weil der Kreditnehmer an die Gesellschaft gebunden werden soll157. Der Begriff des Kredits in § 115 AktG ist in einem weiten Sinne zu verstehen: Neben Darlehen sind auch Stundungen, die über das verkehrsübliche Maß hinausgehen, die Gewährung von Sicherheitsleistungen für Drittkredite sowie die Zahlung von Gehaltsvorschüssen an arbeitnehmerseitige Aufsichtsratsmitglieder erfasst158. Die gewährten Kredite sind gemäß § 285 Nr. 9c HGB im Anhang des Jahresabschlusses anzugeben. b) Sonstige Drittgeschäfte

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Im Übrigen gilt auch hier und ähnlich wie im Verhältnis Gesellschaft zu Aktionär das at-arm’s-length-Prinzip: Das Aufsichtsratsmitglied darf außerhalb seiner Organfunktion durchaus seine eigenen Interessen verfolgen, auch wenn sie den Interessen der Gesellschaft widersprechen. Insbesondere besteht kein Wettbewerbsverbot. Grenze ist ein Verhalten, das die Gesellschaft in einem Maße belastet, das für die Erzielung des angestrebten Erfolges in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht (Willkürverbot)159. Ebenso darf das Aufsichtsratsmitglied Geschäftschancen, die es außerhalb seines Amts erfahren hat, für eigene Zwecke nutzen160, auch wenn sie gleichzeitig für die Gesellschaft interessant sind. 156 Dazu Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 325 ff.; Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 124 ff. 157 Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 133. 158 Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 326; Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 8 Rz. 130. 159 Ulmer, NJW 1980, 1603, 1606 f. 160 Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 92.

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Die Rechte der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 883 § 12

Anders ist die Rechtslage hingegen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt für geschäftliche Eigeninteressen ausnutzen will: Zwar sind Geschäfte mit der Gesellschaft nicht verboten; tritt aber das Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft als Geschäftspartner gegenüber, so darf es nicht zum Nachteil der Gesellschaft auf deren Geschäftsführung einwirken. Häufig aber werden Aufsichtsräte gerade im Hinblick auf bestehende oder zu erwartende Geschäftsbeziehungen ausgesucht; es ist daher dem Aufsichtsratsmitglied nicht verwehrt, mit der Gesellschaft für ihn günstige – aber nicht objektiv unvertretbare – Vertragsbedingungen auszuhandeln und mit diesem Ziel mit der Geschäftsführung zu verhandeln161.

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Die Grenze ist aber erreicht, wenn das Aufsichtsratsmitglied den Vorstand zu Geschäften bewegt, die absehbar einen nicht mehr vom Unternehmensinteresse gedeckten Nachteil für die Gesellschaft mit sich bringen. Stehen Leistung und Gegenleistung in einem objektiven Missverhältnis zugunsten des Aufsichtsratsmitglieds, so liegt eine Pflichtverletzung nicht nur des Vorstands, sondern eben auch des betreffenden Mitglieds vor. Es gilt insofern nichts anderes als für die verdeckte Gewinnausschüttung bei Aktionären162. Man kann das am besten auf folgende Formel bringen: Das Aufsichtsratsmitglied darf den Vorstand nicht zu einem Handeln veranlassen, das es aufgrund seines Amtes sogleich rügen müsste163. Die Ausnutzung von internen, nicht – oder noch nicht – allgemein bekannten Informationen für eigene Zwecke stellt insbesondere dann einen Verstoß gegen die Treupflichten dar, wenn das Aufsichtsratsmitglied mit diesem „Insiderwissen“ eigene Geschäftsverbindungen zu Dritten auf- oder ausbaut und dabei der Gesellschaft Nachteile entstehen164. Denkbar ist z.B., dass ein Aufsichtsratsmitglied mit seinen im Amt erworbenen Kenntnissen über Absatzorganisation und Kundenkreis der Gesellschaft sich dieser gegenüber Wettbewerbsvorteile verschafft und durch Eigengeschäfte Erwerbschancen der Gesellschaft vereitelt165.

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Probleme können sich auch ergeben, wenn ein Aufsichtsratsmitglied vom Vorstand mit der Ausführung eines Geschäfts einschließlich der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen beauftragt wird. Überschreitet die vereinbarte Vergütung den üblichen Maklerlohn, so liegt eine Pflichtverletzung vor166. Provisionen, die ein von seiner Ge-

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161 Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 93. 162 Dazu Lutter, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 57 Rz. 15 ff.; Drygala, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 57 Rz. 37 ff. 163 Ulmer, NJW 1980, 1603; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 240 f. und BGH v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, AG 1980, 111 = NJW 1980, 1629. 164 Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 100. Für den Nachteil ist ein Schaden im Sinne der §§ 249, 252 BGB nicht erforderlich; es genügen alle immateriellen Schäden, so die Störung der Planungen der Gesellschaft oder Ansehensminderung und Vertrauensverlust durch Weitergabe von Insiderinformationen, Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 417. 165 Zur missbräuchlichen Ausnutzung von durch die Aufsichtsratsstellung erlangten Informationen für Geschäfte mit Wertpapieren („Insiderhandel“) vgl. Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 101 ff. 166 Ein derartiger Vertrag fällt außerdem unter § 114 AktG, wenn er dienstvertragsähnlich ist, also der Auftraggeber entgegen § 652 BGB Honorar auch dann schulden soll, wenn

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§ 12 Rz. 883 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

sellschaft beauftragtes Aufsichtsratsmitglied von der Gegenseite erhält, muss es – abweichende Vereinbarungen sind möglich – gemäß §§ 675, 667 BGB herausgeben167. 884

Handelt das Aufsichtsratsmitglied dagegen nicht im Auftrag des Vorstands, liegt eine Pflichtverletzung darin, dass es sich von einem Dritten eine Provision für die Bemühungen versprechen lässt, ihm einen Auftrag der Gesellschaft zu verschaffen. Solche „Schmiergelder“ kann und muss die Gesellschaft nach §§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB stets herausverlangen168. Das Aufsichtsratsmitglied sollte also über seine besonderen Pflichten bei der Ausgestaltung von Drittbeziehungen zur Gesellschaft nicht sorglos hinwegsehen, insbesondere offen informieren und strikt das atarm’s-length-Prinzip beachten. Andernfalls drohen Schadensersatzforderungen der Gesellschaft nach §§ 93 Abs. 2, 116 Satz 1 AktG, die je nach Umfang der Geschäfte beträchtliche Summen erreichen können.

III. Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder 1. Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder 885

Jedes Aufsichtsratsmitglied ist verpflichtet, an der Erfüllung der dem Aufsichtsrat obliegenden Aufgaben mitzuwirken, und hat dazu seine gesetzlichen Rechte zu nutzen. Diese Mitwirkungspflichten lassen sich wie folgt bündeln169: a) Pflicht zur Mitarbeit

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Jedes Aufsichtsratsmitglied ist verpflichtet, im Aufsichtsrat mitzuwirken. Hierbei handelt es sich gewissermaßen um die Grundpflicht eines jeden Aufsichtsratsmitgliedes. Dieses hat im Rahmen dieser Pflicht regelmäßig an den Aufsichtsratssitzungen teilzunehmen und sich auf diese vorzubereiten, da ohne Vorbereitung eine effektive Aufsichtsratsarbeit nicht möglich ist. Wird dem Aufsichtsratsmitglied seitens des Gesamtaufsichtsrats ein Auftrag übertragen, muss es diesen gewissenhaft wahrnehmen170. b) Pflicht zur Urteilsbildung

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Aus der Pflicht zur Mitarbeit erwächst sodann die Pflicht, sich ein Urteil über Verhandlungsgegenstände des Gesamtaufsichtsrats oder des Aufsichtsratsausschusses zu

167 168 169 170

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die Bemühungen des Aufsichtsratsmitglieds erfolglos waren, Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 104. Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 107 ff. Ein Schaden i.S. von §§ 93 Abs. 2, 116 Satz 1 AktG wird nicht immer nachweisbar sein, dazu ausführlich Fleck in FS Heinsius, 1991, S. 89, 107 ff. Vgl. zu den Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 10 ff.; Deckert, DZWir 1996, 406, 407 ff. Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 11; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 31.

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 889 § 12

machen171. Diese Pflicht jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds zu persönlicher Urteilsbildung hat das OLG Stuttgart in einem Aufsehen erregenden Fall festgestellt172. Für Aufsichtsratsmitglieder, die nicht Mitglied eines Ausschusses sind, ist die Pflicht zur Mitarbeit und zur Urteilsbildung eingeschränkt. Es existiert gewissermaßen eine gestaffelte Verantwortlichkeit: Im Rahmen der Aufgaben des Ausschusses sind in erster Linie dessen Mitglieder für die sorgfältige Erfüllung verantwortlich. Die Pflicht der übrigen Aufsichtsratsmitglieder beschränkt sich auf die Überwachung der Ausschusstätigkeit durch das Plenum und insofern auf Mitarbeit und Urteilsbildung173, arg. § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG. c) Insbesondere: Pflicht zur persönlichen Urteilsbildung über die Eignung des Vorstands Eng mit dem Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats verbunden ist die Pflicht eines jeden Aufsichtsratsmitglieds, sich ein Urteil über die Eignung der Vorstandsmitglieder für die Leitung des Unternehmens und seiner Ressorts zu bilden174. Das gilt nicht nur allgemein, sondern speziell im Hinblick auf eine Wiederbestellung. Im Übrigen hat sich jedes Aufsichtsratsmitglied an der Suche und an der Willensbildung zu beteiligen oder aber – sofern es in den entsprechenden Aufsichtsratsausschuss delegiert ist – bereits bei der Vorauswahl potentieller Vorstandsmitglieder mitzuwirken175.

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d) Organisationspflicht Die Organisationspflicht beschreibt die Pflicht eines Aufsichtsratsmitglieds, auf eine dem Gesetz entsprechende und funktionsgerechte Organisation und Arbeitsweise des Aufsichtsrats hinzuwirken176. Sie dient der Sicherung der effizienten Arbeitsweise des Aufsichtsrats. Daher ist ein Aufsichtsratsmitglied auch verpflichtet, notfalls 171 Betreffend das Mitglied eines freiwilligen Aufsichtsrats bei der Publikums-KG OLG Düsseldorf v. 8.3.1984 – 6 U 75/83, WM 1984, 1080, 1084 ff. = AG 1984, 273. 172 OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, AG 2012, 298 (Piëch); Revision vom BGH nicht angenommen: Beschluss v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, EWiR § 116 AktG 2/13 (Heidel) = AG 2013, 90; der BGH hat in seinem Beschluss aber festgestellt, dass sich ein Aufsichtsratsmitglied über erhebliche Risiken von Vorstandsgeschäften kundig machen und ihr Ausmaß selbständig abschätzen muss. Vgl. dazu auch Westermann in FS Hommelhoff, 2012, S. 1319 ff. 173 A.A. diesbezüglich Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 11: Ein Aufsichtsratsmitglied, das nicht dem Ausschuss angehört, brauche an dessen Arbeit keinen Anteil zu nehmen und trage auch nicht die Verpflichtung zur Kontrolle der Ausschussarbeit. Diese Ansicht wird dem Überwachungsauftrag des Gesamtaufsichtsrats nicht gerecht. 174 Vgl. zu Personalentscheidungen des Aufsichtsrats Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 1 ff. 175 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 15; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 108. 176 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 12; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 75 ff.; vgl. auch Potthoff/Trescher/Theisen, Der Aufsichtsrat, Rz. 796 ff. Im Übrigen vgl. Rz. 651, 654 ff.

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§ 12 Rz. 889 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

Verbesserungsvorschläge für die Arbeitsweise des Aufsichtsrats zu machen. Zur Organisationspflicht gehört es auch, in dringenden Fällen die Einberufung des Aufsichtsrats zu verlangen oder diese zu erzwingen177. Ebenso ist die Pflicht zu nennen, gegebenenfalls auf den Ausschluss eines anderen Aufsichtsratsmitglieds hinzuwirken178. e) Informationspflicht 890

Ein Aufsichtsratsmitglied muss sich ferner über alle für die Tätigkeit des Aufsichtsrats erforderlichen Angelegenheiten informieren. Ziel der Informationspflicht ist es, dass das Aufsichtsratsmitglied mit allen nötigen Informationen versorgt ist, die für eine Urteilsbildung über Beschlussgegenstände des Aufsichtsrats oder des Aufsichtsratsausschusses erforderlich sind. Zu diesem Zweck muss es sich über alle Berichte des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG in Kenntnis setzen179. Reicht dies nicht aus, um sich ein Bild von der Lage der Gesellschaft zu machen, muss das Aufsichtsratsmitglied unter Umständen von seinem individuellen Recht auf zusätzliche Berichterstattung aus § 90 Abs. 3 Satz 2 AktG Gebrauch machen180. f) Prüfungspflicht

891

§ 171 Abs. 1 AktG weist dem Aufsichtsrat die spezielle Pflicht zu, den Jahresabschluss, den Lagebericht, den Konzernabschluss und Konzernlagebericht sowie den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinnes zu prüfen und nach § 171 Abs. 2 Satz 3 AktG zum Prüfungsbericht Stellung zu nehmen. Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat die Pflicht, den Vertrag mit dem von der Hauptversammlung gewählten Abschlussprüfer abzuschließen (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG). Hierbei handelt es sich freilich um eine Pflicht des Aufsichtsrats als Kollegialorgan. Gleichwohl hat hieran jedes Mitglied des Aufsichtsrats durch seine Urteilsbildung mitzuwirken. g) Pflicht zum Einschreiten bei Anhaltspunkten für eine Pflichtverletzung des Vorstands

892

Der Überwachungspflicht des gesamten Aufsichtsrats entspringt die Pflicht eines jeden Aufsichtsratsmitglieds, ein ihm bekannt gewordenes Fehlverhalten des Vorstands oder eine Verletzung seiner Geschäftsführungspflichten den anderen Aufsichtsrats- oder Ausschussmitgliedern oder wenigstens dem Aufsichtsratsvorsitzenden bekanntzumachen. Letzteres wird in der Praxis die sinnvollste Methode sein, um das Vertrauensverhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu zerstören.

177 § 110 AktG. 178 § 103 AktG; s. dazu sogleich Rz. 930 ff. 179 Dem korrespondiert die Pflicht des Aufsichtsratsvorsitzenden, die Berichte den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern auszuhändigen; vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 184. 180 S. dazu Rz. 212 ff.

390

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 893 § 12

h) Pflicht zur Zurückhaltung bei öffentlicher Kritik am Vorstand Mit öffentlicher Kritik am Vorstand hat sich ein Aufsichtsratsmitglied zurückzuhalten, insbesondere wenn die Äußerung die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft gefährden kann181. Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorstand sind grundsätzlich intern auszutragen182. Soweit dem Aufsichtsrat überhaupt die Befugnis zukommt, nach außen etwa mit der Presse, Aktionären und Investoren zu sprechen (dazu Rz. 284), hat er sich mit dem Vorstand abzustimmen183.

892a

2. Die Verpflichtung auf das Wohl der Gesellschaft Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind in ihrer Funktion nicht Vertreter von Partikularinteressen ihrer Wähler, sondern sind alle gleichermaßen allein auf das Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Obwohl im Gesetz der Begriff des Wohles der Gesellschaft gewählt wurde184, entspricht diese Verpflichtung der schon vor der Gesetzesänderung anerkannten Verpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder auf das Unternehmensinteresse185. Dieses ist weder mit den Interessen der Aktionäre noch denen der Arbeitnehmer, weder mit dem der Vertragspartner noch mit dem der Region oder der Allgemeinheit identisch, sondern ist das Ergebnis einer Abwägung der verschiedenen betroffenen Individualinteressen im Einzelfall. Folgt die Gesellschaft dem shareholdervalue-Ansatz, so bedeutet das zwar eine (zulässige) Verschiebung zugunsten der Interessen der Aktionäre. Dies bedeutet aber nicht, dass andere Individualinteressen vollständig ausgeblendet werden dürften. Gleiches gilt umgekehrt bei Befolgung des stakeholder-Ansatzes186. Was im Unternehmensinteresse also zu tun ist, lässt sich nicht in abstrakter Form objektiv vorweg bestimmen, sondern bedarf der Entscheidung aus der Sicht des Unternehmens und seiner Bedürfnisse im Einzelfall187. Das heißt aber nicht, dass dieser Interessenausgleich sich im „Zusammenraufen“ faktisch 181 BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, AG 2013, 90 (Piëch) = EWiR § 116 AktG, 2/13 (Heidel); Fleischer/Bauer/Wansleben, DB 2015, 360, 366; Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735. 182 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735. 183 Hirt/Hopt/Mattheus, AG 2016, 725, 735; M. Roth, ZGR 2012, 343, 370. 184 Die Formulierung ist erst mit der sog. Business Jugdment Rule (dazu Lutter, ZIP 2007, 841) durch das UMAG ins AktG gekommen. 185 Ganz h.M. in Rechtsprechung und Lehre, vgl. etwa BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290, 374 sowie BGH v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306, 310 und BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823, 1826; zur Gleichwertigkeit beider Begriffe vgl. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 116 Rz. 27; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 und 255 = AG 1997, 377; in der Lit. vgl. etwa Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Vorbem. § 95 Rz. 12 ff.; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 108 f.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 923 ff. 186 Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 217 f.; Mülbert, ZGR 1997, 129, 140 ff.; aus der Sicht des Vorstands v. Werder, ZGR 1998, 69, 77 ff. 187 Ebenso Koch, Unternehmensinteresse, S. 66.

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§ 12 Rz. 893 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

voneinander abhängiger Interessenvertreter vollzieht188; vielmehr ist jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied verpflichtet, bei seiner persönlichen Meinungsbildung selbst alle betroffenen Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander sub specie des Unternehmenswohls abzuwägen189. Das Ergebnis dieser Abwägung ist objektiver Beurteilung nur begrenzt zugänglich; durchaus möglich ist es aber, die Überschreitung bestimmter, allerdings weit gesteckter, vom vertretbaren Ermessen nicht mehr gedeckter Grenzen festzustellen190, die jedenfalls dort überschritten sind, wo der langfristige Bestand des Unternehmens gefährdet wird191: In jedem Unternehmen wie in jeder lebendigen Einheit muss gelegentlich unter nur nachteiligen Optionen entschieden werden (Verluste oder Entlassung von wichtigem Fachpersonal; höhere Kosten oder Verlängerung des Streiks etc.). Aber die langfristige Perspektive des Unternehmens, das nur mit ausreichenden Erträgen überleben und konkurrenzfähig bleiben kann, muss stets beachtet werden. Beschlüsse, die hiergegen verstoßen, sind unwirksam (dazu bereits Rz. 739 ff.); Mitglieder, die solche Beschlüsse anregen und mittragen, machen sich der Gesellschaft gegenüber schadensersatzpflichtig – gleichgültig, zu welcher Gruppe von Mitgliedern sie gehören (Rz. 984 ff.). 3. Interessenkonflikte 894

Die Aufsichtsratsmitglieder sind dem Wohl der Gesellschaft (Unternehmensinteresse) verpflichtet; in der Regel stehen sie aber – begünstigt durch die Ausgestaltung des Aufsichtsratsmandates als Nebenamt192 – auch noch in anderen Rollen und Pflichten, die sie unter Umständen in divergierende Interessen einbinden193.

188 So aber die Vertreter des sog. Konfliktmodells, vgl. Laske, ZGR 1979, 173; Naendrup, GK-MitbestG, § 25 Rz. 190; Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 610 ff. 189 So das von der h.M. vertretene sog. Integrationsmodell; vgl. hierzu Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Vorbem. § 95 Rz. 12 m.w.N.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 49; Möllers in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 423 ff.; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 108. 190 Ebenso Ulmer, Der Einfluss des Mitbestimmungsgesetzes, S. 31; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 96, 97; Schilling, ZHR 144 (1980), 136, 144; Brinkmann, Unternehmensinteresse und Unternehmensstruktur, S. 199 ff.; Teubner, ZHR 149 (1985), 470, 485 ff.; so wohl auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Vorbem. § 95 Rz. 13 f. 191 Ebenso etwa Lieder, ZGR 2018, 523, 577 f.; Koberski in Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 283; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, Vorbem. § 95 Rz. 13; Raisch in FS Hefermehl, 1976, S. 347, 361; Raiser in FS R. Schmidt, 1976, S. 101, 105, 107, 109; mit wesentlich strengeren Anforderungen Wiedemann, BB 1978, 5, 10 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 625 ff.; skeptisch gegenüber diesem Ansatz Jürgenmeyer, Das Unternehmensinteresse, 1984, S. 104 ff.; ebenso Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, § 14 III.2a). 192 So schon Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 235; vgl. auch Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 790; Lutter in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245, 252; Westermann in FS Hommelhoff, 2012, S. 1319, 1320 ff.; Butzke in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229 ff. 193 Lutter in FS Coing, 1982, S. 565 ff.; Lutter, ZHR 145 (1981), 224 ff.; Lutter in FS Priester, 2007, S. 471 ff.; Lutter in FS Canaris, 2007 Bd. II, S. 245, 252; Westermann in FS Hommelhoff, 2012, S. 1319, 1320 ff.; Butzke in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229 ff.

392

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 896 § 12

a) Gesetzliche Rahmenbedingungen Die aus solchen Situationen entstehenden Konflikte haben erst in jüngerer Zeit verstärkt Beachtung gefunden194. Das Gesetz nimmt manche Konflikte grundsätzlich hin, beispielsweise bei der unternehmerischen Mitbestimmung195. Zur präventiven Bekämpfung von Konfliktsituationen verlangt § 125 Abs. 1 Satz 5 AktG, dass in börsennotierten Gesellschaften bei der Aufsichtsratswahl neben Beruf und Wohnort (§ 124 Abs. 3 Satz 4 AktG) weitere Aufsichtsratsmandate der Kandidaten angegeben werden. Dies gilt auch für Mitgliedschaften in vergleichbaren in- und ausländischen Kontrollgremien. In börsennotierten Gesellschaften und Kreditinstituten müssen zudem anderweitige Vorstands- und Aufsichtsratsmandate im Anhang zum Jahresabschluss angegeben werden (§§ 285 Nr. 10, 340a Abs. 4 Nr. 1 HGB). Die Aktionäre sollen so sich abzeichnende Risiken für Interessenkonflikte frühzeitig erkennen können196. Gleichwohl kann ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Einsatzfähigkeit im Aufsichtsrat z.B. durch Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen faktisch nicht mehr gegeben ist, im Abberufungsverfahren nicht einwenden, die Aktionäre hätten doch von seiner Sondersituation gewusst und sie billigend in Kauf genommen. Ein solcher Einwand würde voraussetzen, dass die Aktionäre über die Amtsfähigkeit einer Person entscheiden könnten. Das aber trifft nicht zu, wie das Gesetz an vielen Stellen deutlich macht197.

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b) Unterschiedliche Konflikte Zu unterscheiden sind einfache Interessenkonflikte und Pflichtenkollisionen198. Bei Interessenkonflikten widerstreiten die Unternehmensinteressen den eigenen Interessen des Aufsichtsratsmitglieds199. Bei Pflichtenkollisionen kollidiert die Pflicht zur Wahrnehmung des Unternehmensinteresses mit der Pflicht zu einem abweichenden Verhalten aus einem anderen Rechtsverhältnis200. 194 Vgl. etwa Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 79 ff.; Roth/Wörle, ZGR 2004, 565 ff.; Säcker, AG 2004, 180, 182 ff.; Hopt, ZGR 2004, 1 ff.; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 500 ff.; Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 65 ff.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 929 ff.; Krebs, Interessenkonflikte, passim; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der AG, passim; Al-Wraikat, Interessenkonflikte im Aufsichtsrat bei Mehrfachmandaten im faktischen Aktienkonzern, passim. 195 Dazu Lutter in FS Coing, Bd. 1, 1982, S. 565. 196 Vgl. Begr. RegE zu § 124 AktG, BT-Drucks. 13/9712, S. 17; vgl. auch Mülbert, Gutachten E zum 61. DJT, 1996, E 108; Hopt, AG 1997, 42, 43; Kübler, AG 1997, 48, 50; Mertens, AG 1997, 70. 197 Vgl. §§ 85 Abs. 1, 88, 103, 105 AktG. 198 S. schon Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 231; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 257; Dreher, JZ 1990, 896, 900; Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 99; ebenso Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 56 ff. 199 Vgl. Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 56. 200 Zu dieser Unterscheidung für Aufsichtsratsmitglieder Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 99; Deckert, DZWir 1996, 406, 408; Uwe H. Schneider in FS Goette, S. 475, 476; Seibt in FS Hopt, S. 1363, 1364 f.; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 92; Al-Wraikat, Interes-

393

896

§ 12 Rz. 897 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

c) Konfliktlösung 897

Zuvörderst gilt der Grundsatz der Rollentrennung201: Das einzelne Mitglied hat zwischen seinen verschiedenen Rollen zu unterscheiden, das jeweilige Unternehmensinteresse zu beachten und seine Mitarbeit im Aufsichtsrat daran auszurichten202. So darf sich die Zustimmung zu einer Übernahme der Gesellschaft nicht aus dem Wunsch herleiten, nach der Übernahme Vorstandsvorsitzender der nunmehr konzernierten Tochter zu werden.

898

In vielen Fällen indes hilft der Grundsatz der Rollentrennung nicht weiter: Das Aufsichtsratsmitglied kann die eigenen oder fremden Interessen nicht ausblenden oder – unabhängig davon – sein Mitwirken würde zu einer erheblichen Störung der vertrauensvollen Zusammenarbeit führen.

899

Das Gesetz sieht hier folgende Lösungsmöglichkeiten vor: Liegt ein Fall des „Richtens in eigener Sache“ vor, steht dem Betreffenden bereits von Gesetzes wegen kein Stimmrecht zu203. Dies folgt aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der § 34 BGB und § 47 Abs. 4 GmbHG204.

900

In anderen Fällen kann die Treupflicht dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied gebieten, seine Mitwirkung im Aufsichtsrat – in Abhängigkeit von Dauer und Intensität des Konfliktes – zu beschränken. Als „Ultima Ratio“205 kommt die Niederlegung in Betracht, wenn auch nach Beendigung des Konfliktes eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Aufsichtsrat nicht mehr möglich ist. Kommt der Betreffende seiner Pflicht zur Niederlegung nicht nach, kann er nach § 103 AktG abberufen werden.

901

Ist hingegen nach Beendigung des Konfliktes eine vertrauensvolle Mitarbeit noch möglich, ist ein Ruhenlassen des Mandates für die Dauer des Konfliktes ausreichend. Während dieser Zeit entfällt nicht nur das Stimmrecht; das Aufsichtsratsmitglied muss auch den Sitzungen des Aufsichtsrats fernbleiben206.

902

In vielen Fällen indes reicht es aus, sich in der konkreten Konfliktsache von jeder Mitwirkung und erst recht von jeder Stimmabgabe fernzuhalten207. Darüber hinaus

201 202 203 204 205 206 207

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senkonflikte im Aufsichtsrat bei Mehrfachmandaten im faktischen Aktienkonzern, S. 233. Dazu vgl. Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141. Dreher, JZ 1990, 896, 990; Deckert, DZWir 1996, 406, 409; Möllers in Hommelhoff/Hopt/ v. Werder, Handbuch Corporate Governance, S. 434. Das Stimmverbot aus § 34 BGB hat dingliche Wirkung; vgl. Jauernig, Komm. BGB, § 34 Rz. 3; vgl. im Übrigen Koch, ZGR 2014, 697 ff. und Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 512 ff. Näher zum Verbot des „Richtens in eigener Sache“ s. Rz. 904 ff. S. Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 73; Häuser, Interessenkollisionen, S. 158. A.A. der BGH in seiner Entscheidung vom 2.4.2007 – II ZR 325/05, WM 2007, 1025 = ZIP 2007, 1056, der dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied die Teilnahme an der Sitzung erlaubt: zu Unrecht. Wie hier Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. Stimmenthaltung allein genügt nicht; vgl. Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff. sowie Lutter in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245 ff.; ähnlich Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 62

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 905 § 12

sind die anderen Aufsichtsratsmitglieder (ggf. über den Aufsichtsratsvorsitzenden) über den Konflikt zu informieren208. Und schließlich soll der Aufsichtsrat über den Konflikt sogar in seinem Jahresbericht an die Hauptversammlung berichten209. Gleiches gilt im Übrigen auch für Tätigkeiten in einem Ausschuss. Soll etwa der Prüfungsausschuss ein Geschehen im Unternehmen untersuchen, so ist ein auch nur möglicherweise involviertes Ausschussmitglied für die Zeit der Überprüfung ex lege ausgeschlossen.

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d) Fallgruppenbildung aa) Einfache Interessenkonflikte Interessenkonflikte entwickeln sich in der Praxis zumeist in drei Bereichen: Der erste Bereich betrifft Verträge mit der Gesellschaft, die der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. Gesetzlich zustimmungspflichtig sind Beratungsverträge (§ 114 AktG) und Kreditverträge (§ 115 AktG). Darüber hinaus kann die Satzung (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) den Abschluss weiterer Verträge an die Zustimmung des Aufsichtsrats binden. Der zweite Bereich betrifft korporationsrechtliche Geschäfte (Wahl zum Vorstand, zum Aufsichtsratsvorsitzenden, zum Ausschussvorsitzenden etc.). Zum dritten Bereich gehören für das einzelne Aufsichtsratsmitglied nachteilige Maßnahmen (Einleitung oder Beendigung eines Rechtsstreites, die Verweigerung der Teilnahme an einem bestimmten Ausschuss usw.).

904

In diesen Fallgruppen geht es zum einen um die Frage des Stimmrechts, zum anderen um die Frage, ob das Mitglied auch bei der Beratung anwesend sein darf210. Bei der Vertragszustimmung oder bei nachteiligen Rechtsgeschäften hat der Betreffende kein Stimmrecht211. Es gilt der Rechtsgrundsatz der § 34 BGB bzw. § 47 Abs. 4 GmbHG (Verbot der Entscheidung in eigener Sache)212. Hiergegen lässt sich nicht einwenden, die Mitwirkung des Aufsichtsrats sei lediglich „nachgeschaltet“213, würde

905

208 209 210 211 212

213

m.w.N. in Fn. 99; Koch, ZGR 2014, 697, 722 und Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 108 Rz. 13. E.1 Satz 1 DCGK 2020. E.1 Satz 2 DCGK 2020; kritisch hierzu J. Koch, ZGR 2014, 697, 725 und Hoffmann-Becking, NZG 2014, 801, 808. Vgl. Deckert, DZWir 1996, 406, 409; Koch, ZGR 2014, 697, 707/708 und Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 214. Nahezu einhellige Ansicht; vgl. Steinbeck, Überwachungspflicht, S. 58; Deckert, DZWir 1996, 406, 409, jeweils m.w.N. gegen einen Stimmrechtsausschluss bei der Frage der Abberufung eines Mitgliedes als Organ Weick in Staudinger, Komm. BGB, § 34 Rz. 15. Manche Autoren wollen die genannten Vorschriften direkt anwenden; vgl. Meilicke in FS W. Schmidt, 1959, S. 71, 85 f.; zum Teil wird eine analoge Anwendung befürwortet: Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 108 Rz. 65; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rz. 64; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 70; Werner, ZHR 145 (1981), 252, 266; tatsächlich ist ein allgemeiner Rechtsgedanke anzunehmen: Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 247; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 610. So aber Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 122.

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§ 12 Rz. 905 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

dadurch doch der Überwachungsauftrag des Aufsichtsrats zur Gänze in Frage gestellt. Demgegenüber besteht das Stimmrecht, wenn es um die Wahl zum Vorstandsmitglied, Aufsichtsratsvorsitzenden etc. geht. Hier ist – ähnlich wie bei Adenauers Wahl zum Bundeskanzler – die Selbstwahl erlaubt214. Indes wird es ein Akt der Höflichkeit sein, sich der Diskussion zu enthalten. Anders beim Stimmrechtsausschluss215: Hier ist das Mitglied auch von jeder anderen Art der Mitwirkung ausgeschlossen216. Es darf an keiner Beratung mitwirken, denn sein gesamtes Handeln ist von der Tatsache geprägt, dass es nicht im alleinigen Interesse der Gesellschaft handeln kann217. 906

Gleiches gilt im Übrigen auch für Tätigkeiten in einem Ausschuss. Soll etwa der Prüfungsausschuss ein Geschehen im Unternehmen überprüfen, so ist ein auch nur möglicherweise involviertes Ausschussmitglied für die Zeit dieser Überprüfung ex lege von der Mitwirkung im Ausschuss ausgeschlossen. Nach dem neuen § 107 Abs. 3 Satz 4 und 5 AktG dürfen dem Ausschuss, der über die Zustimmung nach § 111b Abs. 1 AktG beschließt, Ausschussmitglieder nicht einmal angehören, die an dem Geschäft beteiligte nahestehende Personen im Sinne des § 111a Abs. 1 Satz 3 AktG sind. Solche Aufsichtsratsmitglieder, bei denen aufgrund ihrer Beziehungen zu einer nahestehenden Person ein Interessenkonflikt besteht, dürfen zwar dem Ausschuss angehören, allerdings muss die Ausschussmehrheit nach § 107 Abs. 3 Satz 6 AktG frei von einem solchen Interessenkonflikt sein218. bb) Pflichtenkollisionen (1) Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat

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Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat stehen regelmäßig in einem Konflikt: Einerseits erwartet ihre Wählerschaft die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen. Andererseits müssen sie den Vorstand unter den Aspekten des Wohls des Unternehmens überwachen. Das Gesetz akzeptiert diesen Konflikt, sind doch die Arbeitnehmervertreter wie alle Aufsichtsratsmitglieder dem Unternehmensinteresse verpflichtet219. Gleichwohl gibt es bestimmte Situationen, in denen sich der Konflikt nicht lösen lässt und eine objektive Teilnahme an Beratung und Stimmausübung gefährdet ist: 214 Weick in Staudinger, Komm. BGB, § 34 Rz. 14; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 108 Rz. 67 m.w.N.; vgl. auch RGZ 60, 172 betreffend den Stimmrechtsausschluss eines Aktionärs bei seiner Wahl in den Aufsichtsrat. 215 Behr, AG 1984, 281, 282 f.; ablehnend Dreher, JZ 1990, 896, 901; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1605; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 502. 216 Dazu Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff. A.A. BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, WM 2007, 1025, der die Teilnahme an der Beratung erlaubt; zu Unrecht. Wie hier Diekmann/ Fleischmann, AG 2013, 141, 147; dort auch zum „mehrstufigen Umgang“ mit Interessenkonflikten. 217 Ähnlich auch Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 307 und Diekmann/Fleischmann, AG 2013, 141, 147. 218 Zu dieser Regelung etwa Hopt, Der Aufsichtsrat, ZGR 2019, 507, 536 f. 219 Deckert, DZWir 1996, 406, 409, 410;

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Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 909 § 12

– Arbeitskämpfe Rechtswidrige Streiks widersprechen dem Unternehmensinteresse; Arbeitnehmervertretern ist daher die Teilnahme verwehrt. Anders bei rechtmäßigen Arbeitskämpfen: Hier ist die Teilnahme, z.B. durch Arbeitsniederlegung, mit dem Aufsichtsratsmandat vereinbar220, einer aktiven Teilnahme sind indes Grenzen gesetzt: Postenstehen, Verteilen von Flugblättern oder gar gegen das Unternehmen gerichtete polemische Reden widersprechen dem Unternehmensinteresse. Insofern ist für Arbeitnehmervertreter in einem Arbeitskampf Zurückhaltung angezeigt221. Daran hat es der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft Ver.di im Konflikt mit der Lufthansa AG, deren stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender er ist, fehlen lassen; ihm ist daher zu Recht die Entlastung verweigert worden222.

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Ein am Streik beteiligter Arbeitnehmervertreter darf nicht an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen, sofern es um Informationen über die von der Arbeitgeberseite (Vorstand) geplanten Gegenmaßnahmen, wie z.B. Aussperrung, geht, besteht doch nicht nur ein evidenter Interessenkonflikt, sondern auch eine erhebliche Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Das gilt auch für ein Aufsichtsratsmitglied, das gleichzeitig Verhandlungsführer der Gewerkschaft in einem Tarifkonflikt mit der Gesellschaft ist223. – Betriebsvereinbarungen und Haustarifverträge Bei der Abstimmung über eine Betriebsvereinbarung oder einen Haustarifvertrag im Aufsichtsrat geht der Arbeitnehmervertreter nicht „automatisch“ seines Stimmrechts verlustig. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitnehmervertreter zuvor als Mitglied des Betriebsrates oder als Gewerkschaftsvertreter maßgeblich für das Zustandekommen der Betriebsvereinbarung oder des Haustarifvertrages gesorgt hat. Nicht einwenden lässt sich hier, die Betriebsvereinbarung diene in aller Regel dem Unternehmensinte-

220 H.M., vgl. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 381; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 123 ff.; Raiser in Raiser/Veil/ Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 144 f.; Uwe H. Schneider, GK-MitbestG, § 29 Rz. 21; jeweils m.w.N. Zum Teil wird jedoch eine Teilnahme von Arbeitnehmervertretern bei Beratungen und Abstimmungen insofern verneint, als sie das Verhalten des Unternehmens im Arbeitskampf betreffen; vgl. Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 502 f.; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 26 MitbestG Rz. 34 f.; zur Streikteilnahme ausführlich Mertens, AG 1977, 306, 312 ff. unter Betonung des Unternehmensinteresses; Seiter in FS Müller, 1981, S. 589, 599 ff. 221 Dazu ausführlich Lutter/Quack in FS Raiser, 2003, S. 259, 266; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 Rz. 183 ff.; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 940; a.A. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 382 f.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 144 ff.; Annuß, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 25 MitbestG Rz. 16; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604 in Fn. 14. 222 Eingehend dazu Lutter/Quack in FS Raiser, 2003, S. 259, 266. 223 Lutter, FAZ v. 15.6.2007.

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§ 12 Rz. 909 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

resse. Dies zu prüfen, ist ja gerade Aufgabe des Aufsichtsrats224! Vielmehr gilt der Grundsatz des § 34 BGB: Der Arbeitnehmervertreter hat bei der Abstimmung kein Stimmrecht225. 910

Eine Teilnahme an der Beratung ist hingegen möglich, wenn der Interessenkonflikt für alle anderen Aufsichtsratsmitglieder offenkundig ist. Der betreffende Arbeitnehmervertreter fungiert gewissermaßen als Sachverständiger für die Arbeitnehmerinteressen, die ins Unternehmensinteresse mit einfließen. (2) Konflikte im Konzern – Vertragskonzerne

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Personelle Verflechtungen im Konzern führen unter Umständen zu Interessenkonflikten. Bei Vertragskonzernen unterstellt sich die abhängige Gesellschaft durch den Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) dem herrschenden Unternehmen und hat dessen Weisungen Folge zu leisten (§ 308 Abs. 2 AktG). Auch nachteilige Weisungen sind zulässig, sofern sie im Konzerninteresse226 liegen227 und nicht unverhältnismäßig sind228. Dies haben die Aufsichtsratsmitglieder der Untergesellschaft – also auch Doppelmandatsträger – zu berücksichtigen: Sie haben ihre Überwachungstätigkeit am Interesse des herrschenden Unternehmens auszurichten, dürfen aber auch das isolierte Interesse der Untergesellschaft nicht aus dem Blick verlieren. Nachteilige Auswirkungen für die Untergesellschaft sind im Auge zu behalten und daraufhin zu prüfen, ob sie vom Interesse des herrschenden Unternehmens erfasst und nicht unverhältnismäßig sind. Gegebenenfalls – z.B. durch Verweigerung seiner Zustimmung (§ 111 Abs. 4 AktG) – ist darauf hinzuwirken, dass die nachteilige Maßnahme unterbleibt. Das herrschende Unternehmen kann in diesem Fall die Weisung wiederholen. In diesem Fall ist die Zustimmung des Aufsichtsrats der Untergesellschaft nicht mehr erforderlich (§ 308 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AktG), wohl aber die Zustimmung des Aufsichtsrats der Obergesellschaft (§ 308 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 AktG)229. 224 Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 132, vertritt ferner die These, dass eine Konfliktlösung bereits vorher auf organisatorischem Wege durch Ausschussbildung gefunden werden muss. Alles andere sei mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aufsichtsratsmitglieder nicht vereinbar. 225 Ebenso Ulmer in Hanau/Ulmer, Komm. MitbestG, 1. Aufl., § 25 Rz. 28; anders Habersack Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 28. 226 Zum Begriff des Konzerninteresses s. Altmeppen, MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2015, § 308 Rz. 107 ff.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 308 AktG Rz. 48 ff.; Geßler, ZHR 140 (1976), 433, 436 ff.; Sina, AG 1991, 1, 4 f. 227 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 308 Rz. 16. 228 Zur Unzulässigkeit existenzbedrohender Weisungen OLG Düsseldorf v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, AG 1990, 490, 492; Krieger, Münchener Hdb. AG, § 71 Rz. 154; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 150; a.A. Koppensteiner, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 308 Rz. 32. 229 Zu den Informationsrechten des Aufsichtsrats in der Konzernobergesellschaft s. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 148 ff.; Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 403 ff.

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Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 915 § 12

– Faktische Konzerne In faktischen Konzernen kommt es häufig vor, dass ein Vorstand der Obergesellschaft Mitglied im Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft ist. Als Vorstand der Obergesellschaft hat das Aufsichtsratsmitglied die Konzerninteressen wahrzunehmen; zugleich ist er aber auch als Mandatsträger der Tochtergesellschaft deren Unternehmensinteresse verpflichtet.

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Geht man von der Billigung faktischer Konzerne durch das Gesetz aus, gilt dies auch für den Vorrang des Konzerninteresses: Das Gesetz lässt für die Untergesellschaft nachteilige Maßnahmen zu, wenn sie von der Obergesellschaft ausgeglichen werden (§ 311 AktG). Dies haben die Aufsichtsratsmitglieder der Untergesellschaft – also auch die Doppelmandatsträger – zu berücksichtigen: Zu prüfen ist daher, ob nachteilige Handlungen im Konzerninteresse liegen und ob nachteilige Maßnahmen überhaupt ausgleichsfähig sind.

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(3) Konflikte von Repräsentanten öffentlicher Einrichtungen Häufig anzutreffen ist die Situation, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats zugleich Repräsentant einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung (Gebietskörperschaft) ist230. In solchen Fällen können Unternehmensinteresse und öffentliches Interesse auseinanderlaufen: So kann ein Vertreter der Landesregierung, der im Aufsichtsrat eines Autoherstellers sitzt, aus politischen Gründen gegen Entlassungen sein. Ein Vorrang öffentlicher Interessen vor dem Unternehmensinteresse besteht nicht231. Insbesondere können Weisungen aufgrund Landesrechts (z.B. §§ 107 ff. GO NW) gesellschaftsrechtliche Pflichten nicht aufwiegen (Art. 31 GG)232. Infolgedessen kann bei langfristigen Konflikten durchaus eine Abberufung aus wichtigem Grund in Betracht kommen233.

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(4) Konflikte durch Beteiligung von Bankenvertretern Hier sind drei Problembereiche zu unterscheiden234: Ein erster Konfliktbereich besteht im Verhältnis der Gesellschaft zur Bank des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds 230 Zu der Situation im schweizerischen Recht siehe Forstmoser/Jaag, Der Staat als Aktionär, 2000, S. 37 ff.; zum deutschen Recht s. Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781 ff. 231 Schwintoski, NJW 1995, 1316, 1318 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 116 Rz. 35 m.w.N.; Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781, 788, 790. 232 Deklaratorisch daher etwa § 108 Abs. 6 Satz 5 GO NW, wonach Bindungen aufgrund der GO NW nicht gelten, sofern zwingende Vorschriften des Gesellschaftsrechts entgegenstehen; siehe auch Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781, 792. 233 Dazu OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, AG 1990, 218; Decher, ZIP 1990, 311, 313 f.; Hirte, EWiR § 103 AktG 2/90, 219, 220; Säcker in FS Rebmann, 1989, S. 781, 788. 234 Interessenkonflikte durch Bankenvertreter waren bereits vor dem Ersten Weltkrieg bekannt und wurden in den 20er Jahren des vor-vergangenen Jahrhunderts im Rahmen einer Enquetekommission breit erörtert; siehe Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft (Enquetekommission), I. Unterausschuss, 3. Arbeitsgruppe, 1928, S. 273, 329 ff.; vgl. auch Lutter, ZHR 145 (1981),

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§ 12 Rz. 915 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

in ihren verschiedenen Tätigkeitsbereichen235. Hier gilt der Grundsatz der Rollentrennung. Das Aufsichtsratsmitglied hat ausschließlich im Interesse dieser Gesellschaft tätig zu werden236. 916

Ein zweiter Konfliktbereich liegt zwischen der Gesellschaft und der Bank als Vertragspartner eines Dritten. So war im Herstatt-Fall ein Vorstandsmitglied der Bank zugleich Aufsichtsratsmitglied der Gesellschaft und als solches in schwierige Sanierungsgespräche eingeschaltet237. Hier stellt sich die Frage, ob die Bank gegenüber ihren Kunden zur Aufklärung verpflichtet ist, wenn diese Geschäfte mit der insolvenzgefährdeten Gesellschaft abschließen wollen. Wäre der Bank das Sonderwissen „ihres“ Aufsichtsratsmitglieds zuzurechnen, müsste sie ihre Kunden aufklären. Indes: Eine Zurechnung ist mit der Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsratsmitglieds nicht zu vereinbaren.

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Ein dritter Konfliktbereich entsteht dadurch, dass Bankenvertreter mehrere Aufsichtsratsmandate gleichzeitig innehaben. Handelt es sich bei den jeweiligen Mandatsgesellschaften um Konkurrenzunternehmen, liegt ein Fall wettbewerbsbedingter Inkompatibilität vor238. cc) Insbesondere: Interessenkonflikte bei Übernahmen

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Bei Übernahmen kann es zu starken Interessenkonflikten kommen239, wenn ein Vertreter des Bieters Mitglied im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft ist240. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, wenn also ein Vertreter der Zielgesellschaft im Aufsichtsrat der Bietergesellschaft ist. (1) Freundliche Übernahme

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Bei einer freundlichen Übernahme sind Interessenkonflikte selten; man ist sich über die Vorteilhaftigkeit der Übernahme für beide Gesellschaften einig. Gleichwohl entbindet dies den Aufsichtsrat nicht von seiner Überwachungsaufgabe. Unter Umständen ist der Vorstand der Zielgesellschaft nur wegen eines großzügigen Abfindungsangebotes oder wegen eines in Aussicht gestellten Managementpostens zur Übernahme bereit. Damit bleibt die Frage der Stimmberechtigung von Aufsichtsratsmitglie-

235 236 237 238 239 240

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224, 235; Ulmer, NJW 1980, 1603, 1604. Indes: Der Gesetzgeber hat seitdem auf eine spezielle Regelung zur Lösung der Interessenkonflikte verzichtet. Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 233 mit Beispielen auf S. 231 f. BGH v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, AG 1980, 111 = NJW 1980, 1629; zustimmend Ulmer, NJW 1980, 1603. BGH v. 29.5.1978 – II ZR 89/76, WM 1978, 588; OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.1976 – 1 U 184/75, WM 1976, 723; LG Frankfurt a.M. v. 11.9.1975 – 2/4 O 554/74 I R (gleicher Fall), WM 1975, 1118. Ausführliche Besprechung bei Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 238. Vgl. bereits Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 238. Dazu eingehend Hopt, Übernahmen, Geheimhaltung und Interessenkonflikte, ZGR 2002, 333 ff.; Heermann, WM 1997, 1689 ff.; Schiessl in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1019, 1034 ff.; Seibt in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1119, 1142 ff. Vgl. den Fall „Mc Graw-Hill“ bei Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 232.

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 924 § 12

dern, die zugleich Vertreter der jeweils anderen Gesellschaft sind, bestehen. Bei auch nur leisen Anzeichen, dass die Übernahme nicht im Interesse der Gesellschaft liegen könnte, muss das Aufsichtsratsmitglied sein Mandat vorerst ruhen lassen oder, fraglos besser, ausscheiden. (2) Feindliche Übernahme Bei feindlichen Übernahmen bestehen regelmäßig erhebliche Interessenunterschiede zwischen Bieter- und Zielgesellschaft: Ist ein Aufsichtsratsmitglied der Zielgesellschaft zugleich Funktionsträger der Bietergesellschaft, kollidiert die Treupflicht gegenüber der Bietergesellschaft mit der gegenüber der Zielgesellschaft.

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Zumeist handelt es sich um einen Fall der wettbewerbsbedingten Inkompatibilität241. Die Konkurrenzsituation ist in vielen Fällen gerade Auslöser des Übernahmeversuches: Der Konkurrent soll durch die Übernahme an die Kette genommen oder er soll zerschlagen werden, um sich wichtige Betriebseinheiten einzuverleiben. Besteht die Konkurrenzsituation schon bei Mandatsantritt, ist bereits die Bestellung unwirksam; entsteht sie erst später, liegt ein wichtiger Grund für die Abberufung des betroffenen Mandatsträgers i.S. von § 103 Abs. 3 AktG vor242.

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Eine Konkurrenzsituation liegt bereits dann vor, wenn der Bieter zwar noch nicht auf dem gleichen Markt wie die Zielgesellschaft tätig ist, sich aber gerade durch die Übernahme eine Marktposition erschließen will. Dies ist der Fall, wenn Ziel der Übernahme die Erschließung eines neuen Geschäftsbereichs oder der Aufbau eines Standbeins im Ausland ist243. Ein Verbleib des betroffenen Aufsichtsratsmitgliedes ist hier selbst bei erfolgreicher Abwehr der Übernahme angesichts der nachhaltig gestörten Vertrauensbasis im Aufsichtsrat nicht hinzunehmen. Daher liegt ein wichtiger Grund i.S. des § 103 Abs. 3 AktG vor.

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Die soeben erörterte Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds der Zielgesellschaft verstößt nicht gegen das sog. Verhinderungsverbot des § 33 WpÜG (früher: Neutralitätsgebot). Denn der hier allein antragsberechtigte Aufsichtsrat und ggf. die Hauptversammlung unterliegen diesem gesetzlichen Verbot nicht244.

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(3) Bankenvertreter bei feindlichen Übernahmen Die Situation bei feindlichen Übernahmen ist bei Beteiligung von Bankenvertretern noch komplizierter; drei Fälle sind denkbar: Erstens kann ein Bankenvertreter Aufsichtsratsmitglied einer Zielgesellschaft sein, dessen Bank die Übernahme finanziell

241 Vgl. Lutter in FS Beusch, 1993, S. 509, 515. 242 S. dazu sogleich Rz. 930 ff. 243 So beispielsweise die Übernahme von Voicestream in den USA durch die Deutsche Telekom AG. 244 Vgl. Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 76–79; Röh in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Komm. WpÜG, § 33 Rz. 34.

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§ 12 Rz. 924 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

oder organisatorisch unterstützt245. Der Fall kann nicht anders entschieden werden, als säße ein Funktionsträger der Bietergesellschaft im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft; denn der Bankenvertreter stammt gewissermaßen aus dem „Heerlager“ der Bietergesellschaft. Legt das Aufsichtsratsmitglied sein Mandat nicht freiwillig nieder246, besteht ein wichtiger Grund für die Abberufung (§ 103 Abs. 3 AktG). 925

Zweitens kann ein Bankenvertreter im Aufsichtsrat der Bietergesellschaft sitzen und die Bank Hausbank der Zielgesellschaft sein. Der Fall liegt hier spiegelbildlich, so dass auch hier eine Abberufung angezeigt ist. Bei der dritten Konstellation sitzt ein Bankenvertreter im Aufsichtsrat sowohl der Ziel- als auch der Bietergesellschaft. Hier liegt erkennbar ein Sonderfall der Inkompatibilität vor, so dass – wenn nicht schon die Berufung unwirksam ist – eine Abberufung aus wichtigem Grund möglich und geboten ist247. e) Zusammenfassung

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Pflichtenkollisionen sind teilweise vom Gesetz veranlasst (Mitbestimmung), lassen sich mithin nicht vermeiden und müssen vom Betroffenen mit Sorgfalt und Fingerspitzengefühl gelöst werden. Teilweise sind sie die Folge einer nicht vorhersehbaren Entwicklung (feindliches Übernahmeangebot oder Aufnahme von Wettbewerbsaktivitäten in einem anderen Unternehmen des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds), Kollisionen, die in der Regel durch Amtsniederlegung gelöst werden müssen, teilweise beruhen sie auf einem „Übernahmeverschulden“ des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds, das vermieden werden muss.

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Auch Interessenkonflikte sind häufig schon in der Person des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds angelegt (z.B. Vorstand eines Zulieferers im Aufsichtsrat des Autoherstellers, Vorstand der Hausbank im Aufsichtsrat), können sich aber auch sporadisch entwickeln. Hier kommt es auf die Intensität und Häufigkeit der Konflikte an: In der Regel können sie von Fall zu Fall durch Abstinenz von Beratung und Beschlussfassung, aber auch z.B. durch einen punktuellen Ausschuss, dem das betref245 So war es tatsächlich beim Übernahmeversuch der Krupp-Hoesch AG bezüglich der Thyssen AG; vgl. im Übrigen den Fall „Übernahmekredit“ bei Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 232; eingehend dazu auch Hopt, Übernahme, Geheimhaltung und Interessenkonflikte, ZGR 2002, 333 ff. 246 Ein bloßes Ruhenlassen des Mandats kommt als milderes Mittel nicht in Betracht. Denn auch nach der Abwehr des Übernahmeversuchs wäre die Vertrauensbasis im Aufsichtsrat gestört. Das betroffene Mitglied wäre regelmäßig mit der Frage konfrontiert, warum es nicht früher von dem Übernahmevorhaben berichtet hat; a.A. Marsch-Barner in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 174 mit dem Hinweis, dass eine Niederlegung des Mandats als Hinweis auf die bevorstehende Übernahme gewertet werden könnte. Hier stellt sich indes die Frage, ob nicht auch das Ruhenlassen des Mandates misstrauisch macht. 247 S. dazu Rz. 915; anders Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 13 Rz. 160, der dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied ein Wahlrecht einräumen will, in welcher der beiden Gesellschaften er das Mandat vorübergehend aussetzen oder niederlegen will.

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Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 930 § 12

fende Aufsichtsratsmitglied nicht angehört, gelöst werden; nur ausnahmsweise und insbesondere bei sich ständig wiederholenden Konflikten führen sie zur Pflicht der Amtsniederlegung. Jedenfalls hat das betroffene Aufsichtsratsmitglied die Pflicht, den anderen Mitgliedern seinen Interessenkonflikt offen zu legen248. Bestehen diese Konflikte breitflächig (z.B. durch Organtätigkeit in Konkurrenzunternehmen), ist das betreffende Mitglied amtsunfähig249. Die heute bei börsennotierten Gesellschaften vorgeschriebene Mitteilung jeder zur Wahl des Aufsichtsrats anstehenden Person, über alle Mitgliedschaften im Aufsichtsrat oder vergleichbaren Kontrollgremien anderer in- und ausländischer Gesellschaften250 Auskunft zu geben (§ 125 Abs. 1 Satz 5 AktG), legt die Gefahr solcher Pflichten- und Interessenkollisionen offen und sollte als Aufforderung des Gesetzes zur Vermeidung solcher Kollisionen verstanden werden.

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f) Der Kodex Der Kodex behandelt Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern in E.1 DCGK 2020 eingehend und verlangt insbesondere deren Offenlegung intern gegenüber dem Aufsichtsrat und extern im Bericht des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung inkl. deren Behandlung. Das ist nicht unproblematisch, weil der Hauptversammlung gegenüber das Gebot der Vertraulichkeit gilt (Rz. 254 ff.). Die Darstellung im Bericht ist daher zu neutralisieren251. Die Namen der Betroffenen und der Gegenstand des Konfliktes können daher bei entsprechenden Fragen nach § 131 AktG abgelehnt werden.

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4. Gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund Im Falle pflichtwidrigen Verhaltens droht dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zum einen die persönliche Haftung für den gesamten der Gesellschaft daraus entstandenen Schaden, §§ 116 Satz 1, 93 AktG (s. dazu Rz. 981 ff.). In gravierenden Fällen pflichtwidrigen Verhaltens kann zudem eine Abberufung erfolgen. Gemäß § 103 Abs. 3 AktG kann ein Aufsichtsratsmitglied durch das zuständige Amtsgericht auf Antrag abberufen werden, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund vorliegt; vgl. dazu auch schon Rz. 288. Ob es sich um gewählte, entsandte oder gerichtlich bestellte Aufsichtsratsmitglieder handelt, spielt keine Rolle. Für Arbeitnehmervertreter besteht die Abberufungsmöglichkeit – wie § 103 Abs. 4 AktG zeigt („gelten außer Absatz 3“) – ebenso wie für Anteilseignervertreter. Auch der „elfte Mann“ der Montan-

248 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 Rz. 302; Lutter in FS Priester, 2007, S. 417 ff.; E.1 DCGK 2020. 249 Dazu bereits eingehend Rz. 22 ff. 250 Insoweit aber nur eine „soll“-Vorschrift. Im Anhang der Bilanz ist nach § 285 Nr. 10 HGB dagegen auch die Angabe der Mitgliedschaft in „anderen Kontrollgremien“ verpflichtend, vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 125 Rz. 6. 251 A.A. OLG Frankfurt a.M. v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, AG 2011, 713 = ZIP 2011, 1613 (LS 4); im Ergebnis wie hier Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1476; zu Recht kritisch Butzke in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 229, 241 ff.

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§ 12 Rz. 930 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

mitbestimmung kann aus wichtigem Grund gerichtlich abberufen werden (§ 11 Abs. 3 MontanMitbestG, § 5 Abs. 3 MitbestErgG). In der Praxis sind solche Abberufungsanträge selten. 931

Antragsbefugt ist stets der Aufsichtsrat (§ 103 Abs. 3 Satz 1 AktG). Er beschließt über die Antragstellung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 103 Abs. 3 Satz 2 AktG). Das betroffene Mitglied ist nach richtiger, aber sehr umstrittener Meinung nicht stimmberechtigt252. Eine Delegation der Entscheidung an einen Ausschuss ist unzulässig (vgl. Rz. 745 ff.). Bei Aufsichtsratsmitgliedern, die aufgrund eines satzungsmäßigen Entsendungsrechts nach § 101 Abs. 2 AktG in den Aufsichtsrat entsandt sind, kann auch eine Aktionärsminderheit die gerichtliche Abberufung beantragen. Die antragstellenden Aktionäre müssen Aktien besitzen, die zusammen mindestens 10 % des Grundkapitals oder den Nennbetrag von 1 Mio. Euro erreichen (§ 103 Abs. 3 Satz 3 AktG). Bei nennwertlosen Aktien folgt der anteilige Betrag aus der Division des Grundkapitals durch die Aktienanzahl253.

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In montanmitbestimmten Gesellschaften schließlich kann eine gerichtliche Abberufung des „elften Mannes“ auch von mindestens drei Aufsichtsratsmitgliedern beantragt werden.

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Eine gerichtliche Abberufung kann nur aus wichtigem Grund erfolgen. Ein wichtiger Abberufungsgrund liegt vor, wenn eine weitere Aufsichtsratsmitgliedschaft des Betreffenden bis zum Ablauf der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist254. Ein „krass gesellschaftswidriges Verhalten“ oder ein Sachverhalt, der das Aufsichtsratsmitglied als „schlechthin untragbar“ erscheinen lässt, ist stets ausreichend, aber heute nach h.M.255 nicht mehr erforderlich256, wohl aber muss der Verbleib des Betreffen252 So auch Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 103 Rz. 58; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 6 MitbestG Rz. 70; Uwe H. Schneider/Nietsch in FS Westermann, 2008, S. 1447, 1459; a.A. Hoffmann/Kirchhoff in FS Beusch, 1993, S. 377, 380 f. 253 Vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 12. 254 OLG Frankfurt a.M. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, AG 2008, 456; OLG Zweibrücken v. 28.5.1990 – 3 W 93/90, AG 1991, 70; LG Frankfurt a.M. v. 14.10.1986 – 3/11 T 29/85, AG 1987, 160; OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, AG 1990, 218 (Hamburger Electricitäts-Werke AG) – obiter = EWiR § 103 AktG 2/90, 219 (Hirte); LG Mühlhausen v. 15.8.1996 – 1 HKO 3127/96, AG 1996, 527; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 198; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 103 Rz. 39 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 15 Rz. 49; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 6 MitbestG Rz. 40; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 10; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 30 Rz. 88 m.w.N.; vgl. auch Kirchhoff/Hoffmann in FS Beusch, 1993, S. 377, 381 ff. 255 Vgl. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 10; Habersack in Habersack/Henssler,Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 71; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 30 Rz. 88. 256 So aber noch AG München v. 2.5.1985 – HRB 2212, AG 1986, 170; Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 821 m.w.N. So auch noch die Rspr. zum AktG 1937, in dem jedoch eine dem § 103 Abs. 3 AktG entsprechende gesetzliche Regelung fehlte, vgl. z.B. BGH v. 21.2.1963 – II ZR 76/62, BGHZ 39, 116, 123.

404

Pflichten und Pflichtenkollisionen der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 934 § 12

den für die Gesellschaft unzumutbar sein257. Als wichtiger Grund kommen vor allen Dingen schwere Pflichtverletzungen des Aufsichtsratsmitglieds in Frage, etwa Verletzungen der Verschwiegenheitspflicht (vgl. Rz. 288 f.), Beteiligungen an „wilden Streiks“, über die Arbeitsniederlegung hinausgehende aktive Mitwirkung an rechtmäßigen Arbeitskämpfen (vgl. Rz. 907 ff.), heimliches anonymes Schreiben ans Bundeskartellamt mit negativer Stellungnahme zu angemeldeten Fusionsvorhaben, ehrenrührige Vorwürfe gegen Geschäftsführung usw. Bei leichteren und fahrlässigen Pflichtverletzungen, wie etwa der einmaligen Bekanntgabe geplanter Dividendenerhöhungen und des Abstimmungsverhaltens anderer Aufsichtsratsmitglieder, ist eine Abberufung in der Regel erst im Wiederholungsfall möglich258. Unverträglichkeit und Unfähigkeit zur Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sind als Abberufungsgründe denkbar259, allerdings nur in sehr schweren Fällen. Eine Abberufung wegen zu weit gehender Ausübung von Auskunfts- und Prüfungsrechten260 ist kaum vorstellbar. In besonderen Einzelfällen können schließlich auch Interessenkollisionen eine Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds rechtfertigen261, so etwa wenn ein Unternehmen, dessen Vorstand es angehört, mit dem Unternehmen, dessen Aufsichtsrat es angehört, in einen gravierenden Interessenkonflikt gerät262. Die Verweigerung der Entlastung durch die Hauptversammlung ist für sich allein kein wichtiger Grund263. Zuständig für die Abberufung ist das Amtsgericht des Sitzes der Gesellschaft (§ 14 AktG). Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des FamFG, § 375 Nr. 3 FamFG. Das Amtsgericht entscheidet durch Beschluss (§ 38 FamFG). Ein die Abberufung aussprechender Beschluss wird mit seiner Bekanntmachung an das betroffene Aufsichtsratsmitglied wirksam (§ 40 FamFG). Gegen den Beschluss des AG ist nach § 58 FamFG die Beschwerde zulässig, über die das OLG(!) entscheidet. Gegen dessen Entscheidung gibt es nur mehr die zulassungsabhängige Rechtsbeschwerde zum BGH (§§ 70 ff. FamFG). Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung, wurde der Betreffende abberufen und ist das Aufsichtsratsamt in der Zwischenzeit schon wieder neu besetzt worden, kann die Abberufung im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgehoben werden. Der 257 OLG Stuttgart v. 7.11.2006 – 8 W 388/06, AG 2007, 218; OLG Frankfurt a.M. v. 1.10.2007 – 20 W 141/07, AG 2008, 456; Uwe H. Schneider/Nietsch in FS Westermann, 2008, S. 1447, 1461; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 103 Rz. 10, 11 m.w.N. 258 Insoweit zutreffend AG München v. 2.5.1985 – HRB 2212, AG 1986, 170; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 30 Rz. 88. 259 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 103 Rz. 39 und 42. 260 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 6 MitbestG Rz. 41. 261 So OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, AG 1990, 218. 262 Vgl. dazu zunächst Rz. 926 f. sowie OLG Hamburg v. 23.1.1990 – 11 W 92/89, WM 1990, 311, 314 = AG 1990, 218; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 103 Rz. 33; Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 103 Rz. 42; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 198 („Eintritt in ein Konkurrenzunternehmen“). 263 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 6 MitbestG Rz. 71; Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 100.

405

934

§ 12 Rz. 934 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung

Gefahr, dass in der Zwischenzeit durch eine Neubesetzung vollendete Tatsachen geschaffen werden, kann durch eine einstweilige Anordnung nach §§ 49 ff. FamFG begegnet werden264.

IV. Weiterbildung 935

1. Der Kodex sagt in Grundsatz 18 und D.12 DCGK 2020): „Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahr.“ „Die Gesellschaft soll die Mitglieder des Aufsichtsrats bei ihrer Amtseinführung sowie den Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angemessen unterstützen und über durchgeführte Maßnahmen im Bericht des Aufsichtsrats berichten.“

Auf diesem Hintergrund haben sich zahlreiche Weiterbildungs-Einrichtungen für Aufsichtsräte gebildet, die die verschiedensten Programme anbieten. Das Gesetz schweigt. Fraglich ist mithin, ob das einzelne Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, an solchen Kursen teilzunehmen. Das hängt von den Kenntnissen und Erfahrungen der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder ab. Besonders schwierige Aufgabenfelder der Aufsichtsräte sind die Planung mit dem Vorstand, die Überwachung seines Risikomanagements und die Zustimmung zur oder Ablehnung der Bilanz und Konzernbilanz, wobei Letztere in aller Regel nach den internationalen Regeln der IFRS erstellt ist. Handelt es sich bei dem konkreten Aufsichtsratsmitglied um den langjährigen Finanzvorstand eines großen oder größeren Unternehmens, so käme dieser dafür eher als Lehrender denn als Lernender in Betracht. Ganz anders wird es sein, wenn der erfolgreiche Chemiker in den Aufsichtsrat gerufen wurde. Er war und ist mit diesen Fragen bisher nicht in Berührung gekommen und schon nach der Hertie-Formel des BGH265 zur Aneignung dieser Fähigkeiten durch entsprechende Fortbildung verpflichtet. Die Entscheidung trifft das einzelne Aufsichtsratsmitglied selbstkritisch und eigenverantwortlich266. 936

2. Von der Pflicht zur Weiterbildung zu unterscheiden ist die Frage, wer die Kosten für die Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen trägt.

937

a) Die Hertie-Entscheidung des BGH sagt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied „diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“ 264 OLG Köln v. 12.10.1988 – 2 Wx 27/88, AG 1989, 205 (zum FGG). 265 Rz. 26 und Rz. 937; kritisch dazu Opitz, BKR 2013, 177 ff.; zu Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder im Hinblick auf die „Digital Corporate Governance“, welche eine entsprechende Vor- bzw. Weiterbuldung der Aufsichtsratsmitglieder voraussetzen, Meckl/Schmidt, Audit Committee Quarterly 2019/II, 24 f. 266 Wobei „eigenverantwortlich“ eben auch bedeutet: unter dem Risiko eigener Haftung nach §§ 93, 116 AktG.

406

Weiterbildung | Rz. 940 § 12

Diese Fähigkeiten muss das Aufsichtsratsmitglied bei Amtsantritt haben oder sich umgehend aneignen267. Das ist seine Pflicht und dafür trägt es die Kosten268. b) Diese „Mindestkenntnisse und -fähigkeiten“ entsprechen aber zunehmend nicht mehr den tatsächlichen Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder. Wer in den Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats gewählt wird, muss etwas von Bilanzen und von Risiko-Management verstehen, wer im Ausschuss für Forschung und Entwicklung mitreden will, muss etwas von der Organisation von Forschung verstehen, sonst erreicht er die Augenhöhe mit dem zu überwachenden Vorstand nicht. Entschließt sich hier das Aufsichtsratsmitglied zur Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen, hat ihm die Gesellschaft diese Kosten als notwendige Auslagen zu erstatten269.

938

3. Über diese Fragen hinaus kann aber auch der Aufsichtsrat selbst zu der Auffassung gelangen, dass er seinen Kenntnisstand über den gesetzlich geforderten Standard hinaus anheben und zu diesem Zweck einen Fortbildungskurs organisieren will. Ein solcher Beschluss führt im Zweifel zur Teilnahmepflicht aller seiner Mitglieder. Und da die Maßnahme im Interesse der Gesellschaft geschieht, hat diese auch die Kosten zu tragen270.

939

4. Für die Mindestfähigkeiten der Aufsichtsratsmitglieder von Kreditinstituten und Finanzdienstleistern hat der Bundesgesetzgeber in Umsetzung der EU-Richtlinie 2013/36/EU271, die in ihrem Art. 91 Abs. 9 expressis verbis eine Schulung vorschreibt, in § 25d Abs. 4 KWG Folgendes geregelt272:

940

„Institute, Finanzholding-Gesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften müssen angemessene personelle und finanzielle Ressourcen einsetzen, um den Mitgliedern des

267 Unstr., vgl. Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 27; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.4.1 Rz. 14. 268 Habersack, MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 27; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2e. 269 Kremer in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, Komm. DCGK, Rz. 1423 f.; Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, NZG 2010, 1161, 1166; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 113 Rz. 14; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 113 Rz. 12. 270 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 113 Rz. 33; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, 3. Aufl. 2012, § 112 Rz. 24; Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 142; Opitz, BKR 2013, 177; Wilsing in Wilsing, Komm. DCGK, Ziff. 5.4.1 Rz. 15; Leyendecker-Langner/ Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1416. 271 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 338. 272 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz) vom 28.8.2013, BGBl. I 2013, 3395.

407

§ 12 Rz. 940 | Rechte und Pflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder; Vergütung Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans die Einführung in ihr Amt zu erleichtern und die Fortbildung zu ermöglichen, die zur Aufrechterhaltung der erforderlichen Sachkunde notwendig ist.“273

Diese Norm wird im Zweifel auf die Rechtsmeinung auch im AktG ausstrahlen und vor allem für die Börsen-Gesellschaften in dem Sinne Auswirkung haben, dass Fortbildungs-Maßnahmen der Aufsichtsräte und ihrer Mitglieder auf Kosten der Gesellschaft als verpflichtend angesehen werden. 941 –980 Einstweilen frei.

273 Vgl. dazu Velte/Buchholz, ZBB 2013, 400 sowie das Schlusskapitel dieses Buches (§ 21).

408

§ 13 Haftung der Aufsichtsratsmitglieder I. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) 1. Grundlagen Aufsichtsratsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, unterliegen verschiedenen Sanktionen. Ihnen kann die Entlastung verweigert werden (§ 120 AktG), eine trotz eindeutiger und schwerwiegender Pflichtverletzung erteilte Entlastung kann angefochten werden1, sie können aus ihrem Amt abberufen werden, sei es durch das jeweilige Wahlorgan2, sei es durch das Gericht3, und sie können sich gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig machen.

981

Die Schadensersatzhaftung ist im Wesentlichen durch §§ 116 Satz 1, 93 AktG geregelt. Danach haben Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds zu erledigen. Verletzen sie diese Pflicht schuldhaft, sind sie zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 AktG). Das Verschulden wird vom Gesetz vermutet. Das betreffende Aufsichtsratsmitglied muss das fehlende Verschulden seinerseits dartun und beweisen. Und das ist, liegt objektiv ein Pflichtverstoß vor, sehr schwer.

982

Daneben enthält das Gesetz einige spezielle Haftungsvorschriften, die jedoch nicht von praktischer Bedeutung sind. Dazu gehört die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach § 117 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AktG im Zusammenhang mit vorsätzlich schädigenden Einflussnahmen auf die Gesellschaft und die konzernrechtliche Haftung nach §§ 310 Abs. 1, 318 Abs. 2 AktG. Einige spezielle Pflichtverletzungen sind darüber hinaus unter Straf- oder Bußgeldandrohung gestellt (§§ 399, 400, 404, 404a, 405 AktG; §§ 331, 334 HGB). Überdies kann sich naturgemäß eine Haftung aus den allgemeinen Vorschriften über die unerlaubte Handlung ergeben, und besonders gravierende Pflichtverletzungen können Straftatbestände, insbesondere den Untreuetatbestand, verletzen4.

983

1 Vgl. nur BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439 = AG 2013, 90 (Piëch) mit vielen Nachweisen; OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625, 626 ff. = AG 2012, 298 (Piëch). 2 § 103 Abs. 1 und 2 AktG, § 12 DrittelbG, § 23 MitbestG, § 11 MontanMitbestG, § 10m MitbestErgG. 3 § 103 Abs. 3 AktG, vgl. im Einzelnen Rz. 9 ff. 4 Vgl. dazu z.B. BGH v. 28.5.2013 – 5 StR 551/11, ZIP 2013, 1382 = AG 2013, 640 zur Frage der Untreue bei Risikogeschäften; OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12, ZIP 2012, 1860 = AG 2013, 47: Untreue von Aufsichtsratsmitgliedern bei Abrechnung und Entgegennahme einer Vergütung unter Verstoß gegen § 113 AktG; eingehend zur Aufsichtsratsuntreue Brammsen, ZIP 2009, 1504.

409

§ 13 Rz. 984 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

2. Pflichtverletzung a) Sorgfaltsverpflichtung 984

Bei der Frage nach der Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern geht es in erster Linie um die Pflicht zur sorgfältigen und gewissenhaften Erledigung der Aufgaben des Aufsichtsrats, d.h. vor allem der Überwachung und Besetzung des Vorstands. aa) Amtspflichten des Aufsichtsrats

985

Die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats sind oben eingehend behandelt. Überwachungsgegenstand sind die Führungsentscheidungen des Vorstands der Gesellschaft (vgl. Rz. 63 ff.). Der Aufsichtsrat haftet also nicht für Versäumnisse im Tagesgeschäft, weil dieses nicht seiner Überwachung unterliegt. Er haftet auch nicht für Fehler, die auf nachgeordneten Führungsebenen oder in untergeordneten Konzerngesellschaften vorkommen. Denn diese sind nicht vom Aufsichtsrat, sondern vom Vorstand zu überwachen. Zur Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats gehört insoweit allerdings die Frage, ob der Vorstand seiner Führungs- und Überwachungsaufgabe im Hinblick auf nachgeordnete Führungsebenen und Konzerntöchter – insbesondere durch Schaffung geeigneter Organisationsrichtlinien, ein ordnungsgemäßes konzernweites Controlling und ein funktionsfähiges konzernweites Compliance-System – nachkommt (vgl. Rz. 141 ff.). Versäumnisse des Vorstands bei der Überwachung von Tochtergesellschaften können auf diese Weise auch zur Haftung des Aufsichtsrats führen, wenn dieser seinerseits die Konzernleitung des Vorstands nicht hinreichend überwacht hat.

986

Überwachungsmaßstab des Aufsichtsrats sind Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung durch den Vorstand (vgl. Rz. 73 ff., 147 ff.). Deshalb handelt der Aufsichtsrat z.B. pflichtwidrig, wenn er rechtswidriges Vorstandshandeln duldet, z.B. – in Kenntnis der Überschuldung der AG und jenseits der vom Gesetz erlaubten Sanierungsfrist sich nicht nachdrücklich für die Insolvenzantragstellung durch den Vorstand einsetzt5, – trotz bestehender Anhaltspunkte, dass der Vorstand Zahlungen entgegen dem Verbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG leisten wird, nicht darauf hinwirkt, dass die verbotswidrigen Zahlungen unterbleiben6, – drohende Rechtsverletzungen wie Kartellabsprachen oder Patentverletzungen, die ihm bekannt werden, nicht verhindert7, 5 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, AG 2009, 404, 405; BGH v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, BGHZ 75, 96, 107 ff. = AG 1979, 263 (Herstatt); OLG Brandenburg v. 17.2.2009 – 6 U 102/07, AG 2009, 662, 664 f. 6 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 Tz. 13 = AG 2010, 785 (Doberlug); BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, AG 2009, 404, 405; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – I-16 U 176/10, ZIP 2012, 2299, 2300 f. = AG 2013, 171. Vgl. dazu auch Altmeppen, ZIP 2010, 1973; Schürnbrand, NZG 2010, 1207; Thiessen, ZGR 2011, 275. 7 Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rz. 247.

410

Innenhaftung | Rz. 988 § 13

– es zulässt, dass Aktien vor Leistung der Bareinlage ausgegeben werden8, oder gegen die fehlerhafte Festsetzung einer untauglichen Sacheinlage nicht einschreitet, sondern ihr zustimmt9, – Geschäfte des Vorstands duldet, die den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand der Gesellschaft überschreiten10, – es duldet, dass der Vorstand unter Verstoß gegen § 113 AktG unzulässige Vergütungszahlungen an Aufsichtsratsmitglieder leistet11. Im Rahmen der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung muss der Aufsichtsrat darauf achten, dass die sachgerechten kaufmännischen Instrumente für die Unternehmensführung, insbesondere eine funktionierende Planung, ein funktionierendes Berichtswesen und ein funktionierendes Risikomanagement12 vorhanden sind. Im Rahmen dieser Überwachungsaufgabe hat der Aufsichtsrat überdies zu prüfen, ob das Unternehmen ein den Anforderungen genügendes Compliance-System eingerichtet hat13. Lässt der Aufsichtsrat dies außer Betracht, verhält er sich pflichtwidrig und kann haften.

987

Bei Zweckmäßigkeitsentscheidungen hat der Vorstand im Rahmen der Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ein weites unternehmerisches Ermessen. Das gilt auch im Verhältnis zum Aufsichtsrat. Bei unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands hat der Aufsichtsrat die Sorgfalt der Entscheidungsfindung des Vorstands zu prüfen und etwaige eigene Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit der Vorstandsabsichten darzulegen und zu diskutieren, er kann aber im Ergebnis grundsätzlich den Vorstand gewähren lassen und braucht nicht sein eigenes Zweckmäßigkeitsurteil an die Stelle des Vorstands zu setzen, solange dessen Handeln kaufmännisch ebenfalls vertretbar erscheint (vgl. Rz. 93). Der Aufsichtsrat hat jedoch das Vorhaben des Vorstands zunächst sorgfältig zu prüfen und verletzt daher seine Pflichten,

988

8 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 Tz. 17 = AG 2008, 383 (Rheinmöve). 9 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 27 = AG 2011, 876 (Ision). 10 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Tz. 16 = AG 2013, 259 (Corealcredit Bank); OLG Düsseldorf v. 9.12.2009 – I-6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 30 f. = AG 2010, 126 (IKB). 11 OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12, ZIP 2012, 1860, 1861 ff. = AG 2013, 47. 12 Zu den Überwachungspflichten und Haftungsrisiken des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Risikomanagement vgl. eingehend Pahlke, NJW 2002, 1680 ff.; Röhrich, ZCG 2006, 41 ff.; Ehlers, ZInsO 2008, 524, 529. Vgl. dazu überdies Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 104 f.; Preußner, NZG 2008, 574. 13 Dazu näher M. Winter in FS Hüffer, 2010, S. 1103, 1119 f. Zur Compliance in Finanzdienstleistungsunternehmen und in Industrieunternehmen näher z.B. Gebauer/Fett in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 24 sowie Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 25.

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§ 13 Rz. 988 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

– wenn er die Zustimmung zu einem mit erheblichen Risiken behafteten oder nachteiligen Geschäft erteilt, ohne zuvor die mit dem Geschäft zusammenhängenden Chancen und Risiken selbst sorgfältig ermittelt und abgewogen zu haben14. Zu unterbinden hat der Aufsichtsrat überdies unvertretbare Geschäftsführungshandlungen. Er handelt deshalb z.B. pflichtwidrig, – wenn er der Veräußerung eines Grundstücks weit unter seinem Verkehrswert zustimmt15, – es zulässt, dass der Vorstand übergroße und existenzbedrohende Risiken eingeht16. 989

Für unternehmerische Entscheidungen des Aufsichtsrats, etwa bei der Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung zu einem zustimmungsbedürftigen Geschäft, steht dem Aufsichtsrat der gleiche weite Ermessensspielraum zu wie dem Vorstand. § 116 Satz 1 AktG verweist auch für die Mitglieder des Aufsichtsrats auf die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats haften daher nicht, wenn sie bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln17. Hingegen verletzen die Aufsichtsratsmitglieder ihre Pflichten, wenn sie einer Maßnahme die Zustimmung erteilen, ohne sich selbst die zur Entscheidung erforderlichen Informationen zu verschaffen und darauf aufbauend die Chancen und Risiken abzuwägen18. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Aufsichtsrat nicht alle denkbaren Informationen beiziehen muss, sondern seiner Informationspflicht genügt, wenn er vernünftigerweise davon ausgehen kann, ausreichende Informationen zu haben; auch das ist eine Beurteilung, bei der dem Aufsichtsrat Ermessen zusteht19. Überdies muss der Aufsichtsrat sich die Informationen nicht in jedem Fall selbst beschaffen. Vielmehr kann er in der Regel von den ihm durch den Vorstand vermittelten Informationen ausgehen, solange er nicht den Eindruck haben muss, dass diese unrichtig oder unvollständig sind20. Die Business 14 BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2112, 2438, 2439 = AG 2013, 90 (Piëch); OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625, 627 f. = AG 2012, 298 (Piëch); BGH v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224, 225 f. = AG 2007, 167. 15 LG Stuttgart v. 29.10.1999 – 4 KfH O 80/98, DB 1999, 2462 = AG 2000, 237 (Ass): Verkehrswert 34 Mio. DM, Kaufpreis 14 Mio. DM. 16 OLG Düsseldorf v. 9.12.2009 – I 6 W 45/09, ZIP 2010, 28, 32 = AG 2010, 126 (IKB). 17 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 5 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 67 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 39 ff.; eingehend zur Informationspflicht des Aufsichtsrats Cahn, WM 2013, 1293, 1297 ff.; anschaulich LG Essen v. 25.4.2012 – 41 O 45/10, NZG 2012, 1307, 1308 f. 18 BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439 = AG 2013, 90 (Piëch); OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625, 627 f. = AG 2012, 298 (Piëch); BGH v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224 = AG 2007, 167. 19 Dies betonend auch Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 71; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 45; Spindler, NZG 2005, 865, 872. 20 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 144; Lederer, Die Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern, S. 91 f.; Cahn, WM 2013, 1293, 1298 f.; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1400 f.;

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Innenhaftung | Rz. 990 § 13

Judgment Rule gilt unmittelbar nur bei unternehmerischen Zweckmäßigkeitsentscheidungen, nicht hingegen bei rechtlich gebundenen Entscheidungen. Auch diese erfordern allerdings häufig Prognosen und Bewertungen, die danach verlangen, dem Aufsichtsrat einen gewissen Beurteilungs- und Ermessensspielraum einzuräumen21. Das gilt auch bei unklaren Rechtsfragen. Hier muss der Aufsichtsrat sich sachgerecht informieren, nötigenfalls Rechtsrat einholen (näher Rz. 1012 ff.) und sich fragen, welche Rechtsauffassung sich im Streitfall voraussichtlich bei den Gerichten durchsetzen würde. Bleibt die Frage unklar, kann er der Entscheidung die für die Gesellschaft günstigere Rechtsauffassung zugrunde legen, sofern er unter Berücksichtigung der rechtlichen Risiken vernünftigerweise annehmen darf, damit die für die Gesellschaft bessere Entscheidung zu treffen22. Hinsichtlich des Überwachungsumfangs reicht im Normalfall die sorgfältige Prüfung der regelmäßig erstatteten Vorstandsberichte, auf deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufsichtsrat grundsätzlich vertrauen darf. Ergeben sich hierbei Bedenken, ist diesen nachzugehen. Eine vertiefte Prüfung kann nötig sein, wenn besondere Umstände, wie eine wirtschaftlich schwierige Lage der Gesellschaft (vgl. Rz. 95), vorliegen, die Gesellschaft erst vor relativ kurzer Zeit angelaufen ist23, besonders riskante Geschäfte zu beurteilen sind24 oder der Vorstand in der Vergangenheit seinen Berichtspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist25. Das Gebot, in solchen Fällen vertieft zu prüfen, bedeutet konkret, dass bei schwieriger Lage der Gesellschaft insbesondere die Sitzungs- und Berichtsfrequenz erhöht werden muss, dass bei Risikogeschäften der Aufsichtsrat von seinen Informationsrechten aktiv Gebrauch machen und gegebenenfalls Sachverständige einschalten muss, dass er sich bei der Verletzung von Berichtspflichten in der Vergangenheit nicht auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der erstatteten Berichte verlassen darf, sondern von Fall zu Fall sein

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Fonk, ZGR 2006, 841, 861 ff.; in diese Richtung auch BGH v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224, 225 f. = AG 2007, 167, wo weitergehende Informationspflichten mit vorangegangenen Eigenmächtigkeiten des Vorstands begründet werden. Wohl nur missverständlich BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439 = AG 2013, 90 (Piëch) und OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625, 627 f. = AG 2012, 298 (Piëch), wo davon die Rede ist, der Aufsichtsrat müsse sich über erhebliche Risiken, die der Vorstand mit Geschäften eingehe, kundig machen und dürfe sich nicht auf die Entgegennahme der Informationen des Vorstands beschränken: tatsächlich ging es dabei wohl weniger um die Beschaffung als um die Auswertung der vom Vorstand erteilten Informationen. Ausführlich Cahn, WM 2013, 1293, 1294 ff.; v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 646 f. Näher Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 29 ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 90 ff.; Verse, ZGR 2017, 174 ff.; Cahn, WM 2013, 1293, 1294 f.; Buck/ Heeb, BB 2013, 2247, 2254 ff.; Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22 f. (zum Bankenaufsichtsrecht). BGH v. 22.10.1979 – II ZR 151/77, BB 1980, 546, 548 = AG 1980, 109; OLG Stuttgart v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, AG 2012, 762, 764; OLG Düsseldorf v. 8.3.1984 – 6 U 75/83, WM 1984, 1080, 1084 = AG 1984, 273. BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439 = AG 2013, 90 (Piëch); OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 U 3/11, ZIP 2012, 625, 627 f. = AG 2012, 298 (Piëch). Semler, Leitung und Überwachung, Rz. 158; Kiethe, WM 2005, 2122, 2124.

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§ 13 Rz. 990 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

Frage- und Einsichtsrecht ausüben muss. Gleiches kann bei einer verhältnismäßig neuen Gesellschaft gelten. Pflichtwidrig handelt der Aufsichtsrat deshalb z.B., wenn er – trotz Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung keine Untersuchungen und weitere Maßnahmen veranlasst26, – Hinweisen auf eine massive Gefährdung der Gesellschaft nicht unverzüglich nachgeht und geeignete Gegenmaßnahmen einleitet27, – in schwieriger Lage den Vorstand, der keine einwandfreien Zeugnisse hat, keiner strengen Überwachung unterstellt28, oder – sich bei einer erst kürzlich angelaufenen und vornehmlich im Ausland tätigen Gesellschaft nicht vor Ort selbst einen Eindruck von dem Geschäft verschafft oder sich wenigstens durch unabhängige Sachverständige diesen Eindruck verschaffen lässt29. 991

Zu den Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats gehört es, die ihm zur Verfügung stehenden Überwachungsmittel zweckgerecht einzusetzen, d.h. für die pünktliche Berichterstattung durch den Vorstand zu sorgen, das Frage- und Einsichtsrecht auszuüben, soweit dazu Anlass besteht, und für wichtige Geschäftsführungsmaßnahmen einen Zustimmungsvorbehalt einzurichten (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Unvertretbare Geschäftsführungsmaßnahmen muss der Vorstand verhindern. Pflichtwidrig handelt der Aufsichtsrat daher, wenn er – nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ungewöhnlich leichtfertige Maßnahmen des Vorstands einschreitet30, – nicht notfalls zur Verhinderung unvertretbarer Geschäftsführungsmaßnahmen ad hoc einen Zustimmungsvorbehalt für das Einzelgeschäft einrichtet, um sodann die Zustimmung zu verweigern31.

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Eine Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats kann ferner darin liegen, dass er die zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben nötige Selbstorganisation vernachlässigt. Dazu gehört die Abhaltung der nötigen Anzahl von Sitzungen, die Einrichtung von Ausschüssen, die Schaffung eines Berichtssystems zwischen Ausschuss und Plenum, das dem Plenum die Überwachung der Ausschusstätigkeit ermöglicht, und die Zuziehung von Beratern, wo dies nötig ist. Es ist daher z.B. als Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsrats anzusehen, wenn dieser sich trotz Unerfahrenheit nicht von Spezialis26 BGH v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224, 225 = AG 2007, 167; vgl. auch die Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts, BGE 97 II 403 ff., 411 ff. 27 LG München I v. 31.5.2007 – 5 HKO 11977/06, NZI 2007, 609, 610. 28 Vgl. die Nachweise in SAG 9 (1936/37), 118 ff. 29 OLG Düsseldorf v. 8.3.1984 – 6 U 75/83, WM 1984, 1080, 1084 = AG 1984, 273. 30 BGH v. 4.7.1977 – II ZR 150/75, BGHZ 69, 207, 214. 31 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = AG 1994, 124; OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12, ZIP 2012, 1860, 1862 = AG 2013, 47; LG Bielefeld v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, WM 1999, 2457, 2465 = AG 2000, 136 (Balsam).

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Innenhaftung | Rz. 994 § 13

ten beraten lässt32, während umgekehrt die Einholung sachverständigen Rats zur Enthaftung führen kann; vgl. näher Rz. 1015 ff. Im Bereich der Personalmaßnahmen kann der Aufsichtsrat durch die Bestellung ungeeigneter Personen zu Vorstandsmitgliedern pflichtwidrig handeln. Da ihm hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, kommt das aber nur bei völlig unvertretbaren Auswahlentscheidungen in Betracht. Überdies sind Pflichtwidrigkeiten bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung (näher Rz. 395 ff.) denkbar, insbesondere durch Zusage unvertretbar hoher Zahlungen33 oder Herbeiführung einer Vergütungsstruktur, die den Anforderungen des § 87 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG nicht genügt; ebenso kann es zur Haftung führen, wenn der Aufsichtsrat bei Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht von dem Herabsetzungsrecht des § 87 Abs. 2 AktG Gebrauch macht34. Obwohl § 116 Satz 3 AktG die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für die Festsetzung einer unangemessenen Vorstandsvergütung ausdrücklich hervorhebt, gilt allerdings auch hier, dass bei der Vergütungsentscheidung ein sehr weites Ermessen des Aufsichtsrats anzuerkennen ist. Von hoher praktischer Bedeutung ist die Mannesmann-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, nach der der Aufsichtsrat pflichtwidrig handelt, wenn er freiwillige Leistungen an Vorstandsmitglieder bewilligt, denen kein adäquater Vorteil für die Gesellschaft gegenübersteht35; vgl. dazu näher Rz. 416.

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Überdies können Haftungsgefahren für den Aufsichtsrat im Zusammenhang mit seiner Verpflichtung entstehen, bei gegebenem Anlass das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern zu prüfen. Nach der ARAG-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet, etwaige Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu verfolgen, und ein Verzicht auf die Anspruchsverfolgung ist nur zulässig, wenn im Einzelfall gewichtige Zweifel an der Begründetheit oder Durchsetzbarkeit des Anspruchs bestehen oder überwiegende Interessen der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen36; näher Rz. 459 ff. Der Aufsichtsrat kann also pflichtwidrig handeln und selbst in die Haftung geraten, wenn er Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder trotz überwiegender Erfolgsaussichten nicht verfolgt, sondern verjähren lässt37. Vielfach hat der Aufsichtsrat daher gar keine andere Wahl, als Schadensersatzansprüche geltend zu machen.

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32 Schweizerisches Bundesgericht, SJZ 38 (1941/42), 79 und BGE 93 II, 22 ff., 26; österreichischer OGH v. 31.5.1977 – 5 Ob 306/76, AG 1983, 81, 82. 33 Eingehend dazu Hüffer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 589 ff.; Spindler, AG 2011, 725 ff.; Reichert/Ullrich in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1017, 1020 ff. 34 Reichert/Ullrich in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1017, 1029 ff.; Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 3; Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, Rz. 80. 35 BGH v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, ZIP 2006, 72, 74 = AG 2006, 110 (Mannesmann). 36 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 255 f. = AG 1997, 377 (ARAG/Garmenbeck). 37 Zuletzt BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, ZIP 2018, 2117 Rz. 15 (Easy Software); Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2343.

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§ 13 Rz. 995 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder 995

Des Weiteren verdient die Verpflichtung des Aufsichtsrats zur jährlichen Abgabe der Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG (näher Rz. 510 ff.) auch in haftungsrechtlicher Hinsicht Aufmerksamkeit. Wird gegen die Erklärungspflicht aus § 161 AktG verstoßen – insbesondere weil die Erklärung nicht oder von vornherein fehlerhaft abgegeben wird, oder bei unterjährigen Abweichungen die notwendige Einschränkung der bisherigen Entsprechenserklärung unterbleibt (vgl. dazu Rz. 512) – so liegt hierin zugleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft auslösen kann, sofern der Gesellschaft daraus ein Schaden entsteht38. Zum Schadensersatzanspruch von Anlegern vgl. Rz. 1034. Eine ganz andere Frage ist es demgegenüber, ob die Entscheidung, einzelne oder alle Empfehlungen des Kodex zu befolgen oder nicht zu befolgen, für sich genommen ein Indiz für sorgfaltsgemäßes oder sorgfaltswidriges Verhalten des Aufsichtsrats darstellen kann. Zum Teil wird in der Tat angenommen, Abweichungen vom Kodex könnten als Indiz für eine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG angesehen werden39. Dem ist jedoch nicht zu folgen, denn die Empfehlungen des Kodex sollen gerade unverbindlich sein40. Näherliegend ist es demgegenüber, die Einhaltung des Kodex als Indiz für pflichtgemäßes Verhalten zu werten41.

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Schließlich kann eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei Übernahmeangeboten in Betracht kommen. Zum einen verpflichtet § 27 WpÜG den Aufsichtsrat der Zielgesellschaft, eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot abzugeben. Kommt der Aufsichtsrat dieser Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nach (vgl. dazu Rz. 620 ff.), verletzt er seine Sorgfaltspflichten gegenüber der Gesellschaft, so dass – vorausgesetzt der Gesellschaft entsteht hierdurch ein Schaden – eine Haftung in Fra-

38 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 25a; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 154 ff.; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 518 ff.; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 100 ff.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 97 ff.; eingehend Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 115 ff. 39 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 164; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 166 f.; Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 178 ff., 211 f. 40 Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 161 Rz. 68; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 27; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 530 ff.; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 1016; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 99; Bachmann, WM 2002, 2137, 2138; Ettinger/Grützedick, AG 2003, 353, 354 f. 41 So etwa Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 164; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 542; Kort in FS K. Schmidt, 2009, S. 945, 949; Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 178 ff., 210 ff.; Seibt, AG 2002, 249, 251, der sogar von einer Umkehr der Beweislastregelung des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG zugunsten der Organmitglieder, die die KodexEmpfehlungen beachten, ausgehen will; a.A. Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 27; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm AktG, § 161 Rz. 68; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 25; Bachmann, WM 2002, 2137, 2138 f.; Ettinger/Grützedick, AG 2003, 353, 355.

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Innenhaftung | Rz. 997 § 13

ge kommen kann42. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Zustimmung zu Verteidigungsmaßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2 oder § 33 Abs. 2 Satz 4 WpÜG seine Pflichten verletzen, wenn die Maßnahme nicht im besten Interesse der Gesellschaft liegt43; für den Aufsichtsrat besteht dabei aber, ebenso wie für den Vorstand, ein weites unternehmerisches Ermessen (vgl. Rz. 988)44. bb) Mitwirkungspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder Die einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats haften allerdings nicht automatisch deshalb, weil der Aufsichtsrat seine Pflichten verletzt, sondern ihre Haftung setzt eine individuelle Pflichtverletzung voraus. Um diesen Pflichten zu genügen, reicht es jedoch nicht, in kritischen Situationen nichts zu tun oder bei einer rechtswidrigen Beschlussfassung lediglich mit Nein zu stimmen. Vielmehr hat jedes Aufsichtsratsmitglied nach besten Kräften an der Aufgabenerledigung durch den Aufsichtsrat mitzuwirken45. Dazu gehört die Herbeiführung einer Aufsichtsratssitzung, wenn dazu Anlass besteht, eine sorgfältige Vorbereitung auf die Sitzungen des Aufsichtsrats, die Teilnahme an den Sitzungen und die Beteiligung an den Erörterungen und der Urteilsbildung im Aufsichtsrat. Dazu gehört es auch, bei einer als problematisch erkannten Entscheidung den eigenen Standpunkt darzulegen und beurteilungsrelevante Informationen an den Aufsichtsrat weiterzugeben. Deshalb handelt z.B. ein Aufsichtsratsmitglied pflichtwidrig, das – es unterlässt, für die rechtzeitige Durchführung einer Aufsichtsratssitzung zu sorgen, um dort die zur Verhinderung rechtswidriger Maßnahmen des Vorstands46 oder zur Vermeidung der Insolvenz47 nötigen Beschlüsse zu fassen, – es unterlässt, vor der Beschlussfassung über die Vergabe eines ungesicherten Kredits die übrigen Aufsichtsratsmitglieder über die wirtschaftlich prekäre Situation des Darlehensempfängers aufzuklären48, – Hinweise auf existenzbedrohende Geschäfte des Vorstands nicht weitergibt und ihnen nicht unverzüglich nachgeht49,

42 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 155; Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 159 i.V.m. 154. 43 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 314; Grunewald in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 111 i.V.m. 105. 44 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 183 ff., 236; Grunewald in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 111 i.V.m. 105. 45 Näher Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 10 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 37 ff.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 30 ff. 46 OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12, ZIP 2012, 1860, 1862 = AG 2013, 47. 47 LG München I v. 31.5.2007 – 5 HKO 11977/06, AG 2007, 827, 828. 48 LG Hamburg v. 16.12.1980 – 8 O 229/79, ZIP 1981, 194 = AG 1982, 51. 49 LG Bielefeld v. 16.11.1999 – 15 O 91/98, WM 1999, 2457, 2464 f. = AG 2000, 136 (Balsam).

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997

§ 13 Rz. 997 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

– Kenntnisse über unrechtmäßiges Handeln des Vorstands (ungesicherte Darlehensgewährung an Muttergesellschaft) nicht an den gesamten Aufsichtsrat weitergibt50. 998

Erscheint eine Beschlussfassung des Aufsichtsrats unvertretbar, genügt es nicht, sich der Stimme zu enthalten, sondern das Aufsichtsratsmitglied muss mit Nein stimmen51. Allerdings ist es – etwa in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat – nicht verpflichtet, zur Verhinderung einer Entscheidung die Beschlussunfähigkeit des Gremiums herbeizuführen52.

999

Wird ein Aufsichtsratsmitglied bei einer Entscheidung überstimmt, die es für fehlerhaft ansieht, tut es gut daran, um später dem Vorwurf der Pflichtverletzung und der Gefahr der Haftung zu entgehen, seine Ablehnung des Beschlusses ausdrücklich zu Protokoll zu geben53.

1000

Im Einzelfall kann sich auch die Frage stellen, ob ein Aufsichtsratsmitglied gehalten sein kann, die Durchführung eines für rechtswidrig angesehenen Aufsichtsratsbeschlusses durch Klageerhebung zu unterbinden. Diese Frage lässt sich nicht generell beantworten, sondern es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an. Eine Klage belastet die weitere Zusammenarbeit im Aufsichtsrat erheblich und kann der Gesellschaft durch negative Öffentlichkeitswirkung schaden. Deshalb wird man eine Pflicht zur Klageerhebung nur ausnahmsweise dann annehmen können, wenn der Vollzug eines rechtswidrigen Aufsichtsratsbeschlusses für die Gesellschaft mit ganz erheblichen Schäden verbunden sein kann54.

1001

Eine Pflicht zur Amtsniederlegung kann es wohl in keinem Fall geben55. Aufsichtsratsmitglieder haben ihre internen Möglichkeiten zu nutzen, um auf eine sachgerechte Aufsichtsratsarbeit hinzuwirken. Sie können jedoch nicht verpflichtet – wohl aber 50 LG Dortmund v. 1.8.2001 – 20 O 143/93, DB 2001, 2591 = AG 2002, 97. 51 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 11; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 37; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 18. 52 Im Grundsatz ebenso Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 269, die allerdings für „ganz extrem gelagerte Ausnahmefälle“ eine Pflicht zur Herbeiführung der Beschlussunfähigkeit für denkbar halten. 53 LG Berlin v. 8.10.2003 – 101 O 80/02, ZIP 2004, 73, 76; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 51; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 269. Zum Recht jedes Aufsichtsratsmitglieds, Widerspruch zu Protokoll zu geben, um sich gegen die Haftung für rechtswidrige Aufsichtsratsbeschlüsse zu sichern, vgl. Rz. 710; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 31 Rz. 107. 54 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 51; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 38; E. Vetter, DB 2004, 2623, 2626; Kiethe, WM 2005, 2122, 2127; enger Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 64 (nur in „Extremfällen“); Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 270 (Beschränkung auf strafbares Verhalten als Leitlinie). 55 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 51; E. Vetter, DB 2004, 2623, 2627; Doralt/Doralt in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rz. 166; Kiethe, WM 2005, 2122, 2127; weitergehend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 19; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 38; Hopt/Roth, Groß-

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Innenhaftung | Rz. 1004 § 13

naturgemäß berechtigt – sein, ihre Mitwirkung einzustellen, wenn sie sich mit ihrer Auffassung innerhalb des Aufsichtsrats nicht durchsetzen können. cc) Überwachungsverpflichtung und Ausschusstätigkeit Aufsichtsräte können und sollen Aufgaben zur Vorbereitung oder zur abschließenden Erledigung an Ausschüsse übertragen (vgl. Rz. 745 ff.). Kommt es im Tätigkeitsbereich eines Ausschusses zu Pflichtverletzungen, sind davon in erster Linie die Mitglieder des Ausschusses betroffen. Im Hinblick auf sie gelten für ihre Tätigkeit im Ausschuss die vorstehend Rz. 997 ff. dargelegten allgemeinen Grundsätze. Die Frage, wie sich die Einsetzung eines Ausschusses auf die Pflichten- und Haftungslage der übrigen Aufsichtsratsmitglieder auswirkt, hängt davon ab, inwieweit das Gesamtorgan mit der Angelegenheit befasst war oder nicht:

1002

War der Ausschuss nur vorbereitend tätig, wurde die Entscheidung – z.B. die Zustimmung zu einer Investitionsmaßnahme – letztlich aber vom Gesamtorgan getroffen, haben alle Mitglieder des Aufsichtsrats trotz der Ausschussvorbereitung ihre Meinungsbildung mit derselben Sorgfalt zu treffen, die sie auch sonst bei der Erledigung der Aufsichtsratsaufgaben anzuwenden haben. Das schließt es nicht aus, sich bei der Entscheidung auf die Vorbereitungstätigkeit des Ausschusses zu stützen, denn sonst wäre diese sinnlos. Erforderlich ist es aber, dies mit der nötigen Sorgfalt zu tun und sich auf den Ausschuss nicht blind zu verlassen, sondern dessen Meinung sorgfältig auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen56.

1003

Schwieriger sind Vorgänge zu beurteilen, an denen das Gesamtorgan nicht beteiligt war. Hier gilt der Grundsatz, dass jedes Mitglied des Aufsichtsrats allgemein auch die Tätigkeit der Ausschüsse im Auge behalten muss57. Das bedeutet nicht, dass das Plenum oder die Aufsichtsratsmitglieder, die dem Ausschuss nicht angehören, sich ohne Anlass in die Tätigkeit des Ausschusses einschalten müssten. Wer aber Informationen erhält, die Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Ausschusstätigkeit wecken, muss diesen nachgehen und entweder den Aufsichtsratsvorsitzenden oder das Gesamtorgan einschalten, die dann ihrerseits einzugreifen haben und notfalls die Angelegenheit wieder in das Plenum zurückholen müssen. Darüber hinaus ist der Gesamtaufsichtsrat verpflichtet, die Tätigkeit der Ausschüsse zu überwachen und sich zu diesem Zweck regelmäßig über die Ausschusstätigkeit berichten zu lassen (vgl. näher Rz. 750). Eine Verletzung dieser Überwachungspflicht führt bei Pflichtversäumnissen im Ausschuss auch dann zur Haftung der übrigen Aufsichtsratsmit-

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komm. AktG, § 116 Rz. 271, die in (nicht näher beschriebenen) Ausnahmefällen eine Amtsniederlegung zur Vermeidung der Haftung für nötig halten. 56 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 55; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 6; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 84; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1401 f. 57 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 16; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 55; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 6; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 83; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1402.

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§ 13 Rz. 1004 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

glieder, wenn diese nicht informiert waren, bei ordnungsgemäßer Überwachung des Ausschusses aber hätten informiert sein müssen. b) Treuepflicht und Verschwiegenheitspflicht 1005

Die Mitglieder des Aufsichtsrats trifft neben der Verpflichtung zur Mitwirkung an den Aufgaben des Aufsichtsrats eine Treuepflicht und eine Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Gesellschaft.

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Inhalt der Treuepflicht ist die Verpflichtung, das Unternehmensinteresse zu wahren, und das Verbot, das Aufsichtsratsamt zu benutzen, um im eigenen Interesse oder im Interesse eines anderen Unternehmens nachteilig auf die Gesellschaft einzuwirken58. Pflichtwidrig handelt deshalb z.B., – wer im Widerstreit von Interessen den Vorstand zu einer für die Gesellschaft schädlichen, einem anderen Unternehmen aber günstigen Maßnahme veranlasst59, – wer Informationen, die er in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied erhalten hat, benutzt, um Geschäftschancen der Gesellschaft für sich selbst zu nutzen60. Das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft zu nutzen, gilt allerdings nur insoweit, wie das Aufsichtsratsmitglied gerade aufgrund seines Amtes Zugriff auf diese Geschäftschancen gewonnen hat. Außerhalb seines Mandats ist das Aufsichtsratsmitglied frei61.

1007

Interessenkollisionen entlasten das Aufsichtsratsmitglied nicht, sondern es bleibt bei Ausübung seines Aufsichtsratsmandates verpflichtet, allein die Interessen der Gesellschaft zu wahren62. Es ist ihm aber gestattet – und in aller Regel zweckmäßig – sich bei der Abstimmung der Stimme zu enthalten63 und auch von sonstigen Einflussnahmen auf die Entscheidung abzusehen; denkbar ist auch ein Verzicht auf die Einbindung in den Informationsfluss zu dem betreffenden Gegenstand und der Ver58 Eingehend dazu Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 24 ff.; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 74 ff.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 25 ff. 59 BGH v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, NJW 1980, 1629 = AG 1980, 111 (Schaffgotsch); dazu Ulmer, NJW 1980, 1603; Lutter, ZHR 145 (1981), 224 ff., 239 ff. 60 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, WM 1985, 1443 = GmbHR 1986, 293 (für GmbH-Geschäftsführer); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 31; Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 78. 61 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 31; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 57, 78. 62 BGH v. 21.12.1978 – v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, NJW 1980, 1629, 1630 = AG 1980, 111 (Schaffgotsch); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 25; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 47; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 78 ff. 63 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 25, 34; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 37; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 29.27; a.A. Habersack, MünchKomm. AktG, § 100 Rz. 102.

420

Innenhaftung | Rz. 1010 § 13

zicht auf die Sitzungsteilnahme bei der Erörterung und Entscheidung der betreffenden Angelegenheit, vgl. dazu näher Rz. 894 ff. Die Verschwiegenheitspflicht gebietet den Aufsichtsratsmitgliedern, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die ihnen durch ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat bekanntgeworden sind, insbesondere auch über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen, Stillschweigen zu bewahren (§ 116 Satz 2 AktG); vgl. dazu näher Rz. 254 ff. Auch eine Verletzung dieser Pflicht kann Schadensersatzansprüche nach sich ziehen, wenn sie zu einem bezifferbaren Schaden der Gesellschaft führt.

1008

3. Verschulden Die Haftung der Aufsichtsräte ist eine Verschuldenshaftung. Verschuldensmaßstab ist ebenfalls die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds64. Wer nicht mit dieser Sorgfalt handelt, handelt nicht nur pflichtwidrig, sondern zugleich schuldhaft. Es gilt also ein objektivierter Verschuldensmaßstab für alle Aufsichtsratsmitglieder ohne Unterschied ihrer persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten65. Jedes Aufsichtsratsmitglied, gleichgültig ob Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter, muss die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, die ihn in die Lage versetzen, diesem Maßstab gerecht zu werden. Eine Entschuldigung: „Das habe ich nicht verstanden“, oder: „Das ging über meine Fähigkeiten hinaus“, gibt es nicht, wenn es an diesen Mindestkenntnissen und -fähigkeiten fehlt. Vielmehr haben alle Aufsichtsratsmitglieder für diejenige Sorgfalt einzustehen, die von einem durchschnittlichen Aufsichtsratsmitglied erwartet werden kann66.

1009

Den unterschiedlichen Kenntnissen und Fähigkeiten trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass es die Arbeitsverteilung im Aufsichtsrat zulässt mit der Folge, dass sich die Verantwortung vor allem auf diejenigen Aufsichtsratsmitglieder verlagert, die mit der konkreten Aufgabe betraut worden sind; vgl. Rz. 1002 ff. Darüber hinaus ist selbst bei Maßnahmen, die an sich einem Ausschuss überwiesen werden dürfen, aber gleichwohl im Plenum erledigt werden, nichts dagegen einzuwenden, wenn einzelne Aufsichtsratsmitglieder sich auf die Beurteilung der fachlich kompetenteren Kollegen verlassen, nachdem sie deren Beurteilung auf ihre Plausibilität hin überprüft haben67. Nur bei den Tätigkeiten, die zwingend dem Plenum vorbehalten sind, kann sich nie-

1010

64 Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 132; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 75; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 43. 65 Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 75; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 132; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 74; Doralt/Doralt in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 14 Rz. 134; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 237 ff.; Schwark in FS Werner, 1984, S. 841 ff. 66 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 = AG 1983, 133 (Hertie); österreichischer OGH v. 26.2.2002 – 1Obl44/01k, GesRZ 2002, 86, 89; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 3; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 22 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 63; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 74. 67 Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 300; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 75; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, Rz. 59.59.

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§ 13 Rz. 1010 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

mand auf mangelnde Kenntnisse und Fähigkeiten berufen; hier hat jedes Aufsichtsratsmitglied für seine ausreichende Qualifikation einzustehen, denn niemand ist verpflichtet, Aufsichtsratsmitglied zu werden68. 1011

Mitglieder, die innerhalb des Aufsichtsrats besondere Funktionen übernehmen, das heißt insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende und die Mitglieder von Ausschüssen, unterliegen einem strengeren Maßstab. Sie haben für die Kenntnisse und Fähigkeiten einzustehen, die ihre Funktion erfordert, und wenn sie diese nicht besitzen, dürfen sie die Funktion nicht übernehmen69. Darüber hinaus erhöhen besondere Kenntnisse individueller Aufsichtsratsmitglieder für diese den Verschuldensmaßstab70. Wer Sonderkenntnisse besitzt und nicht anwendet, kann sich nicht damit entschuldigen, dass ein durchschnittliches Aufsichtsratsmitglied diese Sonderkenntnisse gar nicht besitzen müsse. Zwar gilt der Grundsatz der Gleichheit aller Aufsichtsratsmitglieder (vgl. Rz. 821), aber einzelne Mitglieder werden vielfach gerade wegen ihrer besonderen Kenntnisse als Ingenieur, als Vertriebsfachmann, als Bankier, als Wirtschaftsprüfer, als Rechtsanwalt usw. in den Aufsichtsrat gewählt, und sie haben dann auch dafür einzustehen, dass sie diese speziellen Kenntnisse bei ihrer Amtsführung einsetzen. 4. Haftungsentlastung durch externe Sachverständige a) Recht und Pflicht zur Einholung externen Rats

1012

Ergeben sich bei der Erledigung der Aufgaben des Aufsichtsrats Fragestellungen, für welche die Kenntnisse und Erfahrungen der Aufsichtsratsmitglieder nicht reichen, ist der Aufsichtsrat berechtigt, zu seiner Unterstützung Sachverständige hinzuzuziehen. Das Gesetz regelt dies ausdrücklich im Zusammenhang mit dem Recht des Aufsichtsrats, die Bücher und Schriften der Gesellschaft und deren Vermögensgegenstände einzusehen und zu prüfen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). Auf diesen engen Bereich ist das Recht zur Einschaltung von Sachverständigen aber nicht beschränkt. Vielmehr gilt, dass der Aufsichtsrat immer dann, wenn er zur Erfüllung seiner Aufgaben sachverständiger Hilfe bedarf, zur Beauftragung eines Sachverständigen befugt ist. Dieses Recht steht ihm als Annex zu den ihm vom Gesetz übertragenen Aufgaben

68 Reiches Fallmaterial aus der Schweiz bei Hütte, ZGR 1986, 1 ff.; Bär/Forstmoser/v. Greyerz/Pedrazzini/Vischer, Die Verantwortung des Verwaltungsrats in der AG, 1978; Forstmoser/Sprecher/Töndury, Persönliche Haftung nach Schweizer Aktienrecht, 2005. 69 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 4; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 16 Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 75; Mutter/Gayk, ZIP 2003, 1773, 1774 f.; Dreher in FS Boujong, 1996, S. 71, 83 ff. 70 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 28 = AG 2011, 876 (Ision); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 116 Rz. 63; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 28; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 18; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 116 Rz. 4; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 116 Rz. 40 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 33 Rz. 74 f.; a.A. noch Schwark in FS Werner, 1984, S. 841, 850 f., 853 f.; kritisch auch Selter, AG 2012, 11, 18 f.

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Innenhaftung | Rz. 1014 § 13

zu71. Er kann deshalb z.B. für die Suche nach einem neuen Vorstandsmitglied einen Personalberater, und für die Gestaltung des Vergütungssystems einen Vergütungsberater hinzuziehen. Hat er Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestimmter Maßnahmen des Vorstands, kann er dazu Rechtsrat in Auftrag geben, und will er die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit z.B. eines Investitionsvorhabens beurteilen, hat er das Recht, einen auf dem jeweiligen Gebiet erfahrenen Berater hinzuzuziehen, wenn seine eigene Sachkunde nicht ausreicht. Grenzen ziehen dabei der Aufgabenbereich des Aufsichtsrats und die grundsätzliche Pflicht zur persönlichen Amtsführung. Der Aufsichtsrat kann Sachverständige zur eigenen Unterstützung hinzuziehen, aber kann keine Angelegenheit auf Sachverständige übertragen, für die er selbst nicht zuständig ist. Zudem muss sich die Einschaltung eines Sachverständigen auf konkrete Einzelaufgaben beschränken; der Aufsichtsrat darf nicht einen Dauerberater für die Unterstützung seiner Überwachungsaufgabe einschalten72. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen kann zur Pflicht des Aufsichtsrats werden, wenn externer Rat für die Erledigung der Aufgaben des Aufsichtsrats benötigt wird73. Bei der Überwachung des Vorstands spielt dies in der Praxis eine besondere Rolle, soweit es um die dem Aufsichtsrat obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle (vgl. Rz. 74) geht. Hat der Aufsichtsrat Anlass, Verstöße z.B. gegen Vorschriften des Kartellrechts, des Umweltrechts, des Antikorruptionsrechts usw. zu befürchten, muss er dem nachgehen. Reichen die eigenen Kenntnisse nicht, muss er sich beraten lassen. Rat muss der Aufsichtsrat allerdings nur dann einholen, wenn dazu Anlass besteht, weil er eine Rechtsfrage als problematisch erkennt und die eigene Fachkompetenz nicht genügt. Vom Aufsichtsrat kann hingegen nicht verlangt werden, dass er über die Sensibilität verfügt, jedes Rechtsproblem zu erkennen74. Allerdings wird man von den Aufsichtsratsmitgliedern einer Aktiengesellschaft verlangen müssen, dass sie die wesentlichen Grundregeln des Aktienrechts und die Kardinalpflichten aus den für die Geschäftstätigkeit ihrer Gesellschaft wesentlichen Rechtsbereichen, etwa dem Wertpapierhandelsrecht, dem Kartellrecht, dem Betriebsverfassungsrecht u.Ä. kennen.

1013

Über die Hinzuziehung eines externen Sachverständigen entscheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss. Er ist dann auch zur Vertretung der Gesellschaft beim Abschluss des Beratungsvertrages befugt75, kann diese aber auch dem Vorstand überlassen76.

1014

71 Vgl. etwa Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 156 ff.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 54 ff.; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 49; HoffmannBecking, ZGR 2011, 136, 140 f. 72 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 87, 159; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 111 Rz. 63; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 49. 73 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = GmbHR 1994, 539; OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386, 2389 = AG 2010, 133; Lutter, DB 1994, 129, 135. 74 So aber, wohl missverständlich, Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139; dagegen Krieger, ZGR 2012, 496, 498 f. 75 Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 159, § 112 Rz. 4; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 112 Rz. 56; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 29 Rz. 49. 76 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 112 Rz. 24; Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 141; Werner, ZGR 1989, 369, 383 f.

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§ 13 Rz. 1014 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

Geht es um Angelegenheiten, die einem Ausschuss zu Erledigung anstelle des Aufsichtsrats übertragen sind, steht das Recht zur Hinzuziehung des Sachverständigen dem Ausschuss zu; Gleiches wird man annehmen müssen, wenn der Ausschuss eine Plenumsentscheidung vorbereiten soll. b) Enthaftung durch Beratung 1015

Wird ein Berater eingeschaltet, kann dies zur Haftungsentlastung des Aufsichtsrats führen, auch wenn der Rat des Sachverständigen objektiv unrichtig war. Die Aufsichtsratsmitglieder müssen sich den Irrtum des Sachverständigen nicht nach § 278 BGB zurechnen lassen77. Die Rechtsprechung stellt an eine Haftungsentlastung durch fehlerhafte Beratung allerdings hohe Anforderungen78:

1016

Zunächst muss der Berater für die Aufgabe fachlich befähigt sein. Ob das der Fall ist, hängt von der konkreten Fragestellung und den beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen des Beraters ab. Formale Qualifikationen aufgrund einer bestimmten Berufsträgereigenschaft oder zum Beispiel einer Fachanwaltsqualifikation sind keine zwingenden Voraussetzungen79, aber auch nicht per se genügend80; je komplexer die Fragestellung ist, um so weniger wird die formale Qualifikation ausreichen, sondern es auf die konkreten Kenntnisse und Erfahrungen ankommen, über die sich der Aufsichtsrat informieren muss81.

1017

Die Rechtsprechung verlangt weiterhin, dass es sich um einen unabhängigen Berater handelt. Dies hat in der Praxis zu manchen Zweifelsfragen geführt, vor allem zu der Frage, ob dann, wenn bereits ein Berater tätig war, nur ein anderer Berater in Betracht kommt, weil der erste aufgrund seiner Vorbefassung nicht mehr als unabhängig angesehen werden kann82. Das ist so pauschal jedenfalls nicht der Fall. Zumindest im ersten Schritt kann der Aufsichtsrat den bereits zuvor mit der Sache befassten Berater hinzuziehen und seine Fragen mit diesem erörtern. Lassen sich die Zweifel dabei ausräumen, bedarf es keines weiteren Sachverständigen mehr. Das Er77 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 17 = AG 2011, 876 (Ision); Cahn, WM 2013, 1293, 1302 f.; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142 f.; Wagner, BB 2012, 651, 654 f. 78 Insbesondere BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 16 ff. = AG 2011, 876 (Ision); BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Tz. 16 = GmbHR 2012, 746; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Tz. 16 f. = AG 2007, 548; OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386, 2389 = AG 2010, 133; LG Essen v. 25.4.2012 – 41 O 45/10, NZG 2012, 1307, 1309 f.; aus der Literatur insbesondere Strohn, ZHR 176 (2012), 137 mit Erwiderung Krieger, ZGR 2012, 496; Strohn, CCZ 2013, 177, 180 ff.; Cahn, WM 2013, 1293, 1301 ff.; Fleischer, KSzW 2013, 3; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254 ff.; Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 746 ff.; Wagner, BB 2012, 651; Selter, AG 2012, 11; Uwe H. Schneider, DB 2011, 99; Uwe H. Schneider, NZG 2010, 121; Uwe H. Schneider, ZIP 2009, 1397. 79 Fleischer, KSzW 2013, 3, 7; Müller, NZG 2012, 981, 982; a.A. Selter, AG 2012, 11, 16. 80 Tendenziell a.A. wohl Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141. 81 OLG Stuttgart v. 25.11.2009 – 20 U 5/09, ZIP 2009, 2386, 2389 = AG 2010, 133. 82 So namentlich Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139 f.

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Innenhaftung | Rz. 1019 § 13

fordernis der Unabhängigkeit soll lediglich sicherstellen, dass das Gremium kein „Gefälligkeitsgutachten“, sondern einen objektiven, allein nach sachlichen Gesichtspunkten erteilten Rat erhält. Diese Zielsetzung schließt es nicht per se aus, den bereits zuvor tätigen Berater anzuhören und sich von seinem Rat überzeugen zu lassen83. Aus dem gleichen Grund ist es auch nicht in jedem Fall, in dem sachverständiger Rat benötigt wird, erforderlich, einen externen Berater hinzuzuziehen, sondern es kann auch eine Fachabteilung des eigenen Unternehmens, bei Rechtsfragen also z.B. die Rechtsabteilung, den nötigen unabhängigen Rat geben84. Damit sich der Aufsichtsrat auf den Berater verlassen kann, ist dessen vollständige Information über den zu beurteilenden Sachverhalt unumgänglich. Ein Rat kann nur so gut sein, wie die Informationen, auf denen er basiert. Zu beachten ist aber, dass in der Regel der Berater selbst am besten weiß, auf welche Informationen es für seine Beurteilung ankommt. Daher genügt der Aufsichtsrat seiner Sorgfaltspflicht, wenn er für die Bereitstellung derjenigen Informationen sorgt, die den Berater in die Lage versetzen, den Sachverhalt im Wesentlichen zu überschauen und selbst zu beurteilen, ob und welche zusätzlichen Informationen er noch benötigt85.

1018

Schließlich darf sich der Aufsichtsrat auf seinen Berater nicht blind verlassen. Die Meinung des von ihm eingeschalteten Sachverständigen muss er einer eigenen Plausibilitätsprüfung unterziehen86. Der Bundesgerichtshof verlangt dazu – jedenfalls bei weder einfach gelagerten noch besonders eilbedürftigen Fragen – in aller Regel ein schriftliches Gutachten87. Tatsächlich geht das jedoch zu weit, sondern, ob es eines schriftlichen Gutachtens bedarf, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab88. Ebenso wäre es überzogen zu verlangen, dass jedes Mitglied des Aufsichtsrats das Gutachten stets selbst im Detail durcharbeiten müsse89, sondern auch bei der Auswertung eines schriftlichen Gutachtens müssen sich die Aufsichtsratsmitglieder der Unterstützung Dritter, etwa der Rechtsabteilung, bedienen können90. Empfehlens-

1019

83 Cahn, WM 2013, 1293, 1304; Fleischer, KSzW 2013, 3, 8; Krieger, ZGR 2012, 496, 500 f.; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 500; Binder, ZGR 2012, 757, 772. 84 Cahn, WM 2013, 1293, 1303 f.; Fleischer, KSzW 2013, 3, 8; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 140 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 500; Wagner, BB 2012, 651, 655 f.; Selter, AG 2012, 11, 14 f. 85 Cahn, WM 2013, 1293, 1304; Krieger, ZGR 2012, 496, 499; ähnlich Selter, AG 2012, 11, 17. 86 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rz. 18 = AG 2011, 876 (Ision) verlangt sogar eine „sorgfältige“ Plausibilitätsprüfung, während BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Tz. 16 = GmbHR 2012, 746 auf das Adjektiv „sorgfältig“ verzichtet. Anschaulich auch LG Essen v. 25.4.2012 – 41 O 45/10, NZG 2012, 1307, 1309 f. 87 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 23 f. = AG 2011, 876 (Ision); Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142. 88 Krieger, ZGR 2012, 496, 502 f.; Strohn, CCZ 2013, 177, 183; Fleischer, KSzW 2013, 3, 9; Fleischer, NZG 2010, 121, 124 f.; Binder, ZGR 2012, 775, 772. 89 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 44a; Fleischer, DB 2015, 1764, 1769; Strohn, CCZ 2013, 177, 183; strenger noch Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142, der Geschäftsleiter müsse „jedenfalls das Gutachten gründlich lesen“. 90 Cahn, WM 2013, 1293, 1305; Strohn, CCZ 2013, 177, 183 f.; Krieger, ZGR 2012, 496, 503.

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§ 13 Rz. 1019 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

wert ist es aber zumeist, dass der Sachverständige an der Sitzung des Aufsichtsrats teilnimmt, seine Ergebnisse darlegt und für Nachfragen zur Verfügung steht91. 5. Schaden und Kausalität 1020

Eine Ersatzpflicht setzt voraus, dass die Pflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds einen Schaden der Gesellschaft verursacht hat. Bedeutung hat dabei die Frage, ob und inwieweit Bußgelder einen ersatzpflichtigen Schaden darstellen können, die der Gesellschaft etwa wegen eines Kartellverstoßes (§ 81 GWB) oder wegen einer Verletzung der Aufsichtspflicht im Unternehmen (§ 130 OWiG) auferlegt werden. Hierzu wird teilweise die Ansicht vertreten, aus Grundsätzen des Ordnungswidrigkeitenrechts folge, dass wegen einer Geldbuße kein oder jedenfalls nur ein beschränkter Regress genommen werden könne92. Andere Erwägungen gehen dahin, die Haftung der Organmitglieder unter Rückgriff auf die aktienrechtliche Fürsorgepflicht auf einen angemessenen Teil der Geldbuße zu beschränken93. Die wohl herrschende Meinung sieht Bußgelder hingegen uneingeschränkt als ersatzfähigen Schaden an94. Allerdings ist zu beachten, dass Geldbußen vielfach nur zu einem Teil Ahndungscharakter, zum größeren Teil aber Abschöpfungscharakter haben; der Abschöpfungsteil stellt keinen Schaden dar, sondern beseitigt nur den wirtschaftlichen Vorteil, den die Gesellschaft aus der Pflichtverletzung erlangt hat95. Soweit der Gesellschaft durch die Pflichtverletzung Vermögensvorteile verbleiben, sind die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung anwendbar, d.h. der erzielte Vorteil mindert den ersatzpflichtigen Schaden96. 6. Beweislastumkehr

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Während normalerweise der Anspruchsteller, der einen Schadensersatzanspruch geltend machen will, die Voraussetzungen dafür zu beweisen hat, trifft gemäß §§ 116 91 Krieger, ZGR 2012, 496, 503. 92 So etwa LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, ZIP 2015, 829, 830 ff.; Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 103 f.; Grunewald, NZG 2016, 1121 ff.; Labusga, VersR 2017, 304, 396 ff.; differenzierend Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 56. 93 J. Koch in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 329, 330 ff.; J. Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 97. 94 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 48; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 Rz. 213b ff.; Spindler, MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 172; Werner, CCZ 2010, 143, 144 f.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 730; Zimmermann, WM 2008, 433, 437; Hasselbach/Seibel, AG 2008, 770, 773. 95 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 48; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 213h. 96 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Tz. 26 = AG 2013, 259 (Corealcredit Bank); BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 31 = AG 2011, 876 (Ision); Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 56, 63; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 38 ff.; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rn.31.32 ff.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723 ff.; Zimmermann, WM 2008, 433, 439; ablehnend Säcker, WuW 2009, 362, 368; Lohse in FS Hüffer/Koch, 2010, S. 581, 598 f.; zurückhaltend Thole, ZHR 173 (2009), 504, 526 ff.

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Innenhaftung | Rz. 1022 § 13

Satz 1, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG die Aufsichtsratsmitglieder die Beweislast dafür, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds angewandt haben. Der Umfang dieser Beweislastumkehr beschränkt sich nicht allein auf die Frage des Verschuldens97, sondern erfasst auch die objektive Pflichtwidrigkeit des Aufsichtsratshandelns98. Das bedeutet allerdings nicht, dass schon der bloße Eintritt eines Schadens der Gesellschaft die Beweislastumkehr auslöst und die Aufsichtsratsmitglieder nun darzulegen hätten, dass dieser Schaden nicht auf einer pflichtwidrigen Handlung oder Unterlassung des Aufsichtsrats beruhe. Vielmehr ist es Sache der Gesellschaft darzulegen, dass ein Schaden eingetreten ist und auf einem zumindest möglicherweise pflichtwidrigen Verhalten des Aufsichtsrats beruht; erst dann ist es Sache der Aufsichtsratsmitglieder, sich zu entlasten99. 7. Haftungsausschlüsse und -einschränkungen a) Mitwirkung der Hauptversammlung Gemäß §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 1 AktG tritt die Ersatzpflicht der Gesellschaft gegenüber nicht ein, wenn die schadensstiftende Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht. Der Vorstand ist verpflichtet, von der Hauptversammlung im Rahmen ihrer Zuständigkeit beschlossene Maßnahmen auszuführen (§ 83 Abs. 2 AktG), und die Beschlussfassung der Hauptversammlung schaltet einen etwaigen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG aus100. Demgemäß kann die pflichtgemäße Durchführung des Beschlusses keine Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat nach sich ziehen. Diese Haftungsentlastung betrifft nicht nur Entscheidungen, für die eine originäre Zuständigkeit der Hauptversammlung besteht, sondern sie greift auch in den Fällen ein, in denen der Vorstand von sich aus gemäß § 119 Abs. 2 AktG Geschäftsführungsmaßnahmen der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegt101. Erforderlich ist aber ein gesetzmäßiger Beschluss der Hauptversammlung, d.h. ein Beschluss der weder nichtig noch anfechtbar ist102. Auf diesem Beschluss der Hauptversammlung muss die schädigende Handlung beruhen; deshalb reicht eine bloß nachträgliche Billigung durch 97 So noch Fleck, GmbHR 1997, 237, 239. 98 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Tz. 26 = AG 2013, 259 (Corealcredit Bank); BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Tz. 31 = AG 2011, 876; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 53; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rn.14.7, 14.10. 99 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = AG 2003, 381; OLG Stuttgart v. 19.6.2012 – 20 W 1/12, AG 2012, 762; eingehend Goette, ZGR 1995, 645 ff.; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 50; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rn.14.7, 14.10. 100 Mülbert, Großkomm. AktG, § 119 Rz. 194; Kubis, MünchKomm. AktG, § 119 Rz. 24; Spindler in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 119 Rz. 19. 101 Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 265; Spindler, MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 270; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 148. 102 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 73; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 268 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 155 f.; eingehend Hopt, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 480 ff.

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1022

§ 13 Rz. 1022 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

Beschluss der Hauptversammlung nicht103. Darüber hinaus darf sich der Aufsichtsrat bei Zustandekommen des Beschlusses nicht pflichtwidrig verhalten haben. Deshalb entlastet ein Hauptversammlungsbeschluss nicht, wenn die Hauptversammlung nicht richtig oder vollständig informiert wurde104. Die Entlastungswirkung entfällt auch dann, wenn sich im Zeitpunkt der Ausführung des Beschlusses die zugrundeliegenden Umstände seit dem Zeitpunkt der Beschlussfassung wesentlich verändert haben105. b) Verzicht, Vergleich, Verjährung 1023

Sind Schadensersatzansprüche einmal entstanden, ist es schwierig, sie wieder aus der Welt zu schaffen. Die Verjährungsfrist beträgt bei börsennotierten Gesellschaften zehn, sonst fünf Jahre (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 6 AktG). Sie beginn mit der Entstehung des Anspruchs (§ 200 BGB), d.h. mit dem Eintritt des Schadens dem Grunde nach, ohne dass er schon bezifferbar sein muss106. Liegt die Pflichtverletzung darin, dass der Aufsichtsrat Ersatzansprüche gegen den Vorstand verjähren lässt (Rz. 994), beginnt die Verjährung der Aufsichtsratshaftung nach Ansicht des BGH erst, wenn die Ersatzansprüche gegen den Vorstand nach 5 bzw. 10 Jahren verjährt sind107. Die Gesellschaft kann auf Ersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder nur verzichten und sich über sie auch nur vergleichen, wenn seit der Entstehung des Anspruchs drei Jahre vergangen sind (Ausnahme § 93 Abs. 4 Satz 4 AktG), außerdem die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Aktionärsminderheit von mindestens 10 % des Grundkapitals gegen den Zustimmungsbeschluss Widerspruch zu Protokoll erhebt (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Den Gläubigern gegenüber ist ein Vergleich oder Verzicht selbst bei Einhaltung dieser Voraussetzungen unwirksam (§ 93 Abs. 5 Satz 3 AktG). Bedeutung hat die Möglichkeit eines Vergleichs über Schadensersatzansprüche vornehmlich bei geschlossenen Gesellschaften, aber auch bei Publikumsgesellschaften wird davon trotz der Notwendigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses Gebrauch gemacht108.

103 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 73; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 267; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 153. 104 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 74; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 154; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 272. 105 Hopt, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 490 f.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 158; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 275. 106 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, ZIP 2018, 2117 Rz. 17 (Easy Software); Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2343. 107 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, ZIP 2018, 2117 Rz. 19 ff. (Easy Software); dazu Bayer/ Scholz, NZG 2019, 201, 207 ff.; Löbbe/Lüneborg, Der Konzern 2019, 53, 56 ff.; Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2343 ff.; Guntermann, NZG 2018, 851, 853 ff.; ablehnend Schockenhoff, AG 2019, 745, 747 ff., der sich mit guten Argumenten für einen Beginn der Aufsichtsratsverjährung im Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der Pflichtverletzung des Vorstands ausspricht. 108 Z.B. die Zustimmungsbeschlüsse der Hauptversammlungen zum Vergleich mit ehemaligen Vorstandsmitgliedern bei Siemens (HV 2010), MAN (HV 2014) und Deutscher Bank (HV 2016).

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Innenhaftung | Rz. 1024 § 13

c) Haftungsbeschränkungen Aus dem gesetzlichen Verbot, vor Ablauf von drei Jahren auf Schadensersatzansprüche zu verzichten (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG), folgt zugleich, dass auch eine Haftungsbeschränkung zu Gunsten der Aufsichtsratsmitglieder weder durch Satzungsregelung noch durch individuelle Vereinbarung vorgesehen werden kann109. Denn darin läge ein vorweggenommener teilweiser Forderungsverzicht, der § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zuwider liefe. Einzelstimmen, die sich für die Zulässigkeit haftungsentlastender Regelungen in der Satzung oder durch Vereinbarung aussprechen110 oder einen Anspruch auf Haftungsreduzierung aus der Fürsorgepflicht zu begründen versuchen111, haben sich nicht durchsetzen können. Selbst die Grundsätze der Rechtsprechung zur Begrenzung der Arbeitnehmerhaftung bei betrieblichen Tätigkeiten, lassen sich auf Organmitglieder nach ganz herrschender Meinung angeblich nicht übertragen112. Rechtspolitisch wird schon seit langem mit Recht eine Reform der übermäßig strengen Haftungssituation (leichte Fahrlässigkeit, betragsmäßig unbeschränkte Haftung, Beweislastumkehr, Verfolgungspflicht, Wartefrist und HV-Zustimmung für Vergleich) verlangt, weil sie die Organmitglieder existenzgefährdenden Risiken aussetzt, denen auch durch eine D&O-Versicherung nicht zuverlässig begegnet werden kann. Insbesondere der 70. Deutsche Juristentag 2014 hat sich für weitgehende Veränderungen ausgesprochen, darunter vor allem die Möglichkeit einer satzungsmäßigen Haftungsbegrenzung ausgesprochen113. Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber die Kraft findet, sich diesem in der öffentlichen Meinung unpopulären Thema zu widmen.

109 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 2; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 3 ff.; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 8; Hopt, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 47 ff. 110 Vgl. etwa Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1395; Bachmann in FS Stilz, 2014, S. 25, 30 ff. (Beschränkung auf Vorsatz u. grobe Fahrlässigkeit); Fischer, Die existenzvernichtende Vorstandshaftung und ihre Begrenzung durch Satzungsbestimmung (de lege lata), 2018, S. 126 ff. (Haftungshöchstsumme von 1,5 Jahresgehältern); Grunewald, AG 2013, 813, 815 f.; Spindler, AG 2013, 889, 895 (Haftungsobergrenze); Seibt, NZG 2015, 1097, 1102; Seibt, NZG 2016, 361, 362 f. (Vereinbarung einer Halbvermögensschonung). 111 Vgl. für die Fälle des Regresses bei Verhängung von Unternehmensbußgeldern bereits Rz. 1020 sowie allg. J. Koch, AG 2012, 424, 435 ff. 112 BGH v. 27.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467, 469; OLG Düsseldorf v. 22.6.1995 – 6 U 104/94, ZIP 1995, 1183, 1192 = AG 1995, 416; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 51; Hopt, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 339 ff.; Ehlers, ZInsO 2008, 524, 525; a.A. aber mit überzeugenden Überlegungen Bachmann, ZIP 2017, 841 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681 ff. 113 Ausführliche Darstellung der Reformdiskussion bei Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 23 ff.; vgl. im Übrigen Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT Hannover 2014; Kremer, Sailer-Coceani und Uwe H. Schneider in Verhandlungen des 70. DJT Hannover 2014, Bd. II/1 S. N 11 ff.; Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht, aaO, S. N 61 ff.; Brommer, Die Beschränkung der Rechtsfolgen der Vorstandsinnenhaftung, 2016; Hopt in FS Roth, 2015, S. 225 ff.

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1024

§ 13 Rz. 1025 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

8. Durchsetzung des Ersatzanspruchs a) Zuständigkeit und Handlungspflicht des Vorstands 1025

Gemäß § 78 AktG ist es Sache des Vorstands, die Gesellschaft gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten. Darunter fällt auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder. Für die umgekehrte Konstellation, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand, hat der BGH im ARAG-Fall entschieden, dass der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet ist, erfolgversprechende Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zu verfolgen (vgl. näher Rz. 459 ff.). Das gilt spiegelbildlich auch für die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen durch den Vorstand gegen Mitglieder des Aufsichtsrats114. Der Vorstand ist also – sofern nicht im Einfall überwiegende Interessen des Unternehmens entgegenstehen – verpflichtet, erfolgversprechende Ersatzansprüche gegen den Aufsichtsrat durchzusetzen, will er sich nicht selbst ersatzpflichtig machen. Das hat in der Praxis namentlich dann Bedeutung, wenn die Gesellschaft insolvent geworden oder wenn ein neuer Vorstand ins Amt gekommen ist und die Aufsichtsratsmitglieder inzwischen ausgeschieden sind. Hingegen wäre es lebensfremd anzunehmen, dass der alte Vorstand, der an den Vorgängen selbst beteiligt war, den amtierenden Aufsichtsrat wegen mangelnder Überwachung auf Schadensersatz in Anspruch nehmen werde. b) Anspruchsverfolgung durch die Hauptversammlung oder eine Aktionärsminderheit

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Da eine ordnungsgemäße Anspruchsverfolgung durch den Vorstand nicht in jedem Fall gewährleistet ist, enthält das Gesetz zunächst in § 147 AktG Regelungen, die es der Hauptversammlung erlauben, die Anspruchsverfolgung zu erzwingen. Dazu kann die Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit beschließen, dass die Ersatzansprüche geltend zu machen sind (§ 147 Abs. 1 Satz 1 AktG). Es ist dann in erster Linie Sache des Vorstands, den Anspruch zu verfolgen. Die Hauptversammlung kann jedoch besondere Vertreter bestellen, die an Stelle des Vorstands für die Anspruchsverfolgung zuständig sind (§ 147 Abs. 2 Satz 1 AktG)115. Außerdem kann eine Minderheit, deren Anteile zusammen 10 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von 1 Mio. Euro erreichen, bei Gericht den Antrag stellen, an Stelle des Vorstands oder an Stelle des von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreters andere Vertreter der Gesellschaft zur Geltendmachung des Ersatzanspruchs 114 Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 55; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 8; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 140. 115 Zur Bestellung und Rechtsstellung des besonderen Vertreters instruktiv OLG München v. 28.11.2007 – 7 U 4498/07, ZIP 2008, 73 = AG 2008, 172; OLG München v. 7.10.2008 – 7 W 1034/08, AG 2009, 119; OLG München v. 21.10.2010 – 7 W 2040/10. AG 2011, 177; OLG Köln v. 9.3.2017 – 18 U 19/16, AG 2017, 351; OLG Karlsruhe v. 14.3.2018 – 11 U 35/17, AG 2018, 367; OLG Düsseldorf v. 20.12.2018 – 6 U 215/16, AG 2019, 348, 352 ff.; LG Heidelberg v. 28.8.2019 – 12 O 8/19 KfH, AG 2019, 804; LG Stuttgart v. 27.10.2009 – 32 O 5/09 KfH, ZIP 2010, 329; Bungert in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 16.72 ff.

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Innenhaftung | Rz. 1028 § 13

zu bestellen. In der Praxis sind Fälle, in denen die Hauptversammlung die Anspruchsverfolgung beschließt, nicht häufig und zumeist auf Situationen beschränkt, in denen ein Großaktionär vorhanden, aber bei der Entscheidung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist116. Solange die Gesellschaft ihren Ersatzanspruch nicht selbst gerichtlich geltend macht, gibt § 148 AktG einer qualifizierten Aktionärsminderheit die Möglichkeit, ein gerichtliches Klagezulassungsverfahren zu betreiben. Das Verfahren richtet sich darauf, dass das Gericht die antragstellenden Aktionäre ermächtigt, die Schadensersatzansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen, aber auf Zahlung an die Gesellschaft geltend zu machen. Antragsberechtigt sind Aktionäre, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen 1 % des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von 100 000 Euro erreichen. Die Aktionäre müssen ihre Aktien vor Kenntniserlangung von den Pflichtverstößen erworben haben (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG), und sie müssen zudem zunächst die Gesellschaft unter Setzung einer angemessenen Frist auffordern, selbst Klage zu erheben (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, lässt das Gericht die Klage durch die Aktionäre zu, wenn Tatsachen vorliegen, die den dringenden Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung Schaden zugefügt wurde und der Geltendmachung des Ersatzanspruchs keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AktG). Die Gesellschaft bleibt berechtigt, ihren Ersatzanspruch trotz eines laufenden Klagezulassungsverfahrens selbst geltend zu machen (§ 148 Abs. 3 Satz 1 AktG), ein von der Aktionärsminderheit aufgrund entsprechender Zulassung anhängig gemachtes Klageverfahren kann die Gesellschaft übernehmen (§ 148 Abs. 3 Satz 2 AktG). War das Klagezulassungsverfahren erfolgreich, wird der Vorstand in aller Regel verpflichtet sein, selbst für die Gesellschaft Klage zu erheben oder das von den Aktionären anhängig gemachte Verfahren zu übernehmen117. In der Praxis ist das Verfahren nach § 148 AktG bedeutungslos118.

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c) Anspruchsverfolgung durch einzelne Aktionäre und Gläubiger Wenn der Vorstand nicht handelt und §§ 147, 148 AktG versagen, bleibt die Frage, ob unter besonderen Voraussetzungen auch einzelne Aktionäre die Anspruchsverfolgung in die Hand nehmen können. Die herrschende Meinung in der juristischen Literatur lehnt dies mit Recht ab119. Das Gesetz hat das Problem in §§ 147, 148 AktG geregelt; daneben gibt es konzernrechtliche Sondervorschriften, die ausnahmsweise 116 Am bekanntesten wohl die Fälle der HypoVereinsbank, Strabag und Gelita; vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise in der vorangehenden Fußnote; eingehende rechtstatsächliche Bestandsaufnahme bei Bayer/Hoffmann, AG 2018, 337 ff. 117 Mock in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 148 Rz. 133; Schröer, ZIP 2005, 2081, 2086; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 351. 118 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 148 Rz. 3; Bayer, AG 2016, 637, 640. 119 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 148 Rz. 2; Liebscher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 148 AktG Rz. 2; Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 344; Habersack, DStR 1998, 533; Zöllner, ZGR 1988, 392, 408; a.A. Wellkamp, DZWiR 1994, 221, 223 f.

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§ 13 Rz. 1028 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

einzelne Aktionäre zur Anspruchsverfolgung ermächtigen (§§ 309 Abs. 4, 318 Abs. 2 und 4 AktG). Das steht der richterlichen Schaffung weitergehender Minderheitsbefugnisse entgegen. 1029

Gläubiger haben normalerweise nicht das Recht, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Gläubiger von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können und zusätzlich entweder eine der in § 93 Abs. 3 AktG aufgeführten besonderen Pflichtverletzungen vorliegt oder die Aufsichtsratsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds gröblich verletzt haben (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 5 AktG). Der Anspruch des Gläubigers ist im eigenen Namen geltend zu machen und richtet sich auf Zahlung an den Gläubiger, nicht an die Gesellschaft120. Ist über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, wird das Verfolgungsrecht der Gläubiger durch den Insolvenzverwalter, im Falle der Eigenverwaltung durch den Sachwalter, ausgeübt (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 5 Satz 4 AktG).

II. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) 1030

Von der Frage der Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft zu unterscheiden ist eine mögliche Schadensersatzhaftung gegenüber Aktionären, Kapitalanlegern, Gesellschaftsgläubigern und sonstigen Dritten. 1. Haftung gegenüber Aktionären

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Gegenüber Aktionären kommt eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern vor allem als deliktische Haftung wegen eines Eingriffs in die Mitgliedschaft in Betracht, die als absolutes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist121. Dazu reicht allerdings nicht schon eine nur mittelbare Beeinträchtigung des Mitgliedschaftsrechts durch Schädigung der Gesellschaft aus, sondern erforderlich ist eine unmittelbare Verletzung des Mitgliedschaftsrechts122. Als derartige unmittelbare Verletzung des Mitgliedschaftsrechts kommen etwa die Durchführung von Umstrukturierungsmaßnahmen unter Missachtung von Mitentscheidungsbefugnissen der Hauptversamm-

120 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 81; Spindler, MünchKomm. AktG, § 93 Rz. 306. 121 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 = AG 1982, 158 (Holzmüller); Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 625; Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 83; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 80; kritisch Spindler in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 213. 122 Vgl. etwa BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 327 und 334 f. (für Vereinsvorstand); Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 83; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 213 f.; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 626 ff.

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Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung) | Rz. 1033 § 13

lung123 oder ein rechtswidriger Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre124 in Frage. Eine Pflichtverletzung durch den Aufsichtsrat kann sich in diesen Fällen daraus ergeben, dass er der Maßnahme des Vorstands zugestimmt oder sie trotz Erkennbarkeit der bevorstehenden Rechtsverletzung nicht verhindert hat125. Darüber hinaus wird erörtert, ob eine Haftung von Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Aktionären im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten denkbar ist, insbesondere im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Stellungnahme des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zum Angebot (§ 27 WpÜG) oder im Falle pflichtwidriger Zustimmung zu Abwehrmaßnahmen nach § 33 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 4 WpÜG. Im Ergebnis scheidet eine Haftung insoweit wohl aus. Nach herrschender Meinung sind weder § 27 WpÜG126 noch § 33 WpÜG127 Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Ebenso wenig scheint es überzeugend, bei einer fehlerhaften Stellungnahme zum Angebot eine Haftung nach den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung anzuerkennen128. Unzulässige Abwehrmaßnahmen stellen, so lange keine Hauptversammlungskompetenzen verletzt werden, schließlich auch keinen Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs (vgl. Rz. 1031) dar129.

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Neben Deliktsansprüchen können sich im Einzelfall Ansprüche von Aktionären aufgrund von Spezialvorschriften ergeben. Eine unmittelbare Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber Aktionären kommt danach gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 AktG in den Fällen der vorsätzlich schädigenden Einflussnahme auf die Gesellschaft in Betracht, und daneben im Falle der konzernrechtlichen Schadensersatzverpflichtung nach § 317 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 AktG, jeweils vorausgesetzt, dass den Aktionären ein über die Schädigung der Gesellschaft hinausgehender Schaden entstanden ist.

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123 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 und 135 = AG 1982, 158 (Holzmüller). 124 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 140 f. (Siemens/Nold); BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 254 ff. = AG 2006, 38 (Mangusta/Commerzbank II). 125 Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 83; Thümmel, DB 1999, 885, 887; einschränkend Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 214 f. 126 Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 142 ff.; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 150 ff.; Noack/Holzborn in Schwarz/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Komm., § 27 WpÜG Rz. 34; Louven in Angerer/Geibel/Süßmann, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 51; a.A. Röh, Frankfurter Komm. WpÜG, § 27 Rz. 92. 127 Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 312, 317 f.; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Komm., § 33 WpÜG Rz. 44; Grunewald in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 33 Rz. 107; a.A. Röh, Frankfurter Komm. WpÜG, § 33 Rz. 142. 128 So aber Röh, Frankfurter Komm. WpÜG, § 27 Rz. 86 ff.; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, Kapitalmarktrechts-Komm., § 27 WpÜG Rz. 35; a.A. Harbarth in Baums/Thoma/Verse, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 139; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Komm. WpÜG, § 27 Rz. 145. 129 Röh, Frankfurter Komm. WpÜG, § 33 Rz. 141; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Komm., § 33 WpÜG Rz. 44.

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§ 13 Rz. 1034 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

2. Haftung gegenüber Anlegern 1034

Gegenüber Kapitalanlegern wird eine mögliche Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Abgabe der jährlichen Entsprechenserklärung nach § 161 AktG erörtert130. Eine Haftung für eine fehlerhafte oder unterlassene Entsprechenserklärung kommt zum einen im Fall einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung in Betracht (§ 826 BGB)131, zum anderen kann sich eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben. Zwar sind weder der Kodex noch § 161 AktG Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB132, eine fehlerhafte Entsprechenserklärung kann aber Straf- und Bußgeldvorschriften verletzen, die ihrerseits als Schutzgesetze anerkannt sind133. Hingegen wird man im Ergebnis aus dem Gesichtspunkt einer prospekt- und kapitalmarktrechtlichen Vertrauenshaftung keine Schadensersatzansprüche von Anlegern begründen können, die im Vertrauen auf die Richtigkeit der Entsprechenserklärung ihre Anlageentscheidung getroffen haben134. 3. Haftung gegenüber Gesellschaftsgläubigern und sonstigen Dritten

1035

Eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber Gläubigern der Gesellschaft und sonstigen Dritten wird nur in seltenen Fällen praktisch werden. Denkbar ist eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung von Schutzgesetzen. Als praktisches Beispiel mag insbesondere eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO in Betracht kommen, die ein Schutzgesetz zu Gunsten der Gläubiger darstellt135 und die Schadensersatzansprüche auch gegen Aufsichtsratsmitglieder nach sich ziehen kann. Da die Insolvenzantragspflicht dem Vorstand obliegt, kann eine Aufsichtsratshaftung jedoch nur unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung oder Beihilfe (§ 830 Abs. 2 BGB) entstehen, was wiederum Vorsatz 130 Dazu etwa Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 30; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 102 ff.; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 168 ff.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 102; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 543 ff. 131 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 30; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 102; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 185 ff.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 102. 132 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 28; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 102; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 101; Lutter; Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 179 ff.; Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 571 ff.; Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 255 f. 133 Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 101; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 182 ff. 134 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 161 Rz. 30; Bayer/Scholz in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 161 Rz. 102; Leyens in Großkomm. AktG, § 161 Rz. 558 ff., 561 ff.; Goette, MünchKomm. AktG, § 161 Rz. 102; Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 233 ff.; a.A. Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 172 ff.; Lutter in FS Druey, 2002, S. 463, 469 ff.; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 168 f. 135 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106 (Herstatt); BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = GmbHR 1994, 539, je zur Vorläufernorm des § 92 Abs. 1 AktG a.F.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 92 Rz. 26 m.w.N.

434

D&O-Versicherung | Rz. 1037 § 13

voraussetzt136. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die den Mitgliedern des Geschäftsführungsorgans gegenüber Dritten eine Garantenstellung für eine ordnungsgemäße Organisation der Gesellschaft auferlegt137, lässt sich auf den Aufsichtsrat als reines Innenorgan nicht übertragen; auch insoweit kommt eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern daher allenfalls unter dem Gesichtspunkt der (vorsätzlichen) Anstiftung oder Beihilfe zu einer entsprechenden Pflichtverletzung des Vorstands in Betracht. Gleiches gilt für die Haftung gegenüber Gläubigern oder Dritten wegen der Verletzung sonstiger Schutzgesetze, insbesondere aus dem Bereich der Produkt- und Umwelthaftung, des Wettbewerbsrechts und der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten des Vorstands138, sowie für die Haftung aus §§ 826, 830 Abs. 1, 2 BGB139.

III. D&O-Versicherung Zur Versicherung des Haftungsrisikos werden von den Gesellschaften üblicherweise Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen für das Management abgeschlossen, für die sich – abgeleitet von der amerikanischen Directors’ and Officers’ Liability Insurance – die Kurzbezeichnung D&O-Versicherung durchgesetzt hat. Versichert sind Haftpflichtansprüche der Gesellschaft und Dritter, d.h. also sowohl die Innenals auch die Außenhaftung. Versicherungsnehmer und Prämienschuldner ist die Gesellschaft. Zu den versicherten Personen gehören neben den Mitgliedern des Vorstands in aller Regel auch die Mitglieder des Aufsichtsrats und vielfach ein größerer Kreis leitender Angestellter140.

1036

Die Zulässigkeit solcher Versicherungen steht außer Zweifel. Allerdings wird befürchtet, dass die mit der Haftungsdrohung verbundene Präventivwirkung, die Mitglieder des Aufsichtsorgans zur ordnungsgemäßen Amtsführung anzuhalten, durch den Abschluss einer D&O-Versicherung beeinträchtigt werde. Aus diesem Grund ordnet § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG für D&O-Versicherungen zugunsten von Vorstandsmitgliedern einen zwingenden Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des eineinhalbfachen der jährlichen Festvergütung an. Für Aufsichtsratsmitglieder schreibt das Gesetz einen Selbstbehalt nicht vor, sondern er-

1037

136 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107 (Herstatt). 137 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 302 ff. (Baustoff); dazu etwa Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 93 Rz. 66; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 661 ff. m.w.N.; Groß, ZGR 1998, 551, 563 ff. 138 Vgl. zur Vorstandshaftung insoweit eingehend Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 93 Rz. 656 ff., 666 f., 668 ff., 673 ff. 139 Vgl. dazu etwa BGH v. 11.9.2012 – XI ZR 92/11, BGH v. 11.9.2012 – VI ZR 92/11, AG 2012, 914 Tz. 34 ff.; OLG Düsseldorf v. 23.6.2008 – I-9 U 22/08, AG 2008, 668 f.; OLG Karlsruhe v. 4.9.2008 – 4 U 26/06, AG 2008, 900, 902 ff. 140 Vgl. zum Inhalt von D&O-Versicherungen näher Sieg in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rn.18.2 ff.; Ihlas in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 19.1 ff.; Hemeling in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 491, 493 ff. Zum Sinn und Unsinn der D&O-Versicherung Hoffmann-Becking, ZHR 181 (2017), 737 ff.

435

§ 13 Rz. 1037 | Haftung der Aufsichtsratsmitglieder

klärt § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ausdrücklich als unanwendbar (§ 116 Satz 1 AktG). Früher empfahl Ziff. 3.8 Abs. 3 des Kodex 2017 einen entsprechenden Selbstbehalt auch für die Mitglieder des Aufsichtsrats; diese Empfehlung ist mit der Neufassung des Kodex 2020 jedoch entfallen. 1038

Schwierig zu beantworten und entsprechend umstritten ist die Frage, ob der Abschluss einer D&O-Versicherung als (Sach-)Vergütung anzusehen ist und deshalb gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG entweder in der Satzung festgesetzt oder von der Hauptversammlung bewilligt werden muss. Eine früher überwiegende und noch heute verbreitete Meinung geht vom Vergütungscharakter einer D&O-Versicherung aus mit der Folge, dass der Abschluss einer solchen Versicherung zu Gunsten von Aufsichtsratsmitgliedern eine entsprechende Satzungsregelung oder einen Hauptversammlungsbeschluss erfordere. Mittlerweile hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass die D&O-Versicherung jedenfalls dann, wenn sie, wie üblich, als Gruppenversicherung ausgestaltet ist141, keinen Vergütungscharakter hat, sondern in erster Linie den Vermögensinteressen der Gesellschaft dient142. Auch die Finanzverwaltung folgt der Auffassung, dass bei Abschluss einer D&O-Versicherung das Unternehmensinteresse im Vordergrund stehen könne und dann die Beiträge zu dieser Versicherung keine lohn- und einkommensteuerpflichtigen Einkünfte der versicherten Person darstellen143.

1039 –1050 Einstweilen frei.

141 Hierauf abstellend etwa Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 16; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 116 Rz. 16. 142 S. außer den Nachweisen in der vorstehenden Fn. noch Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2a; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 70 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 93 Rz. 234; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 93 Rz. 246; a.A. weiterhin z.B. Armbrüster, NJW 2016, 897, 900 f.; Fassbach/Wettich, GWR 2016, 199, 200 ff. 143 BMF-Schreiben v. 24.1.2002, AG 2002, 287; Erlass des Finanzministeriums Niedersachsen v. 25.1.2002, DStR 2002, 678; Loritz/Wagner, DStR 2012, 2205, 2209 f.; Küppers/Dettmeier/Koch, DStR 2002, 199.

436

§ 14 Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats I. Überblick Nach § 101 Abs. 3 Satz 2–4 AktG kann für jedes Aufsichtsratsmitglied (Ausnahme: das neutrale Mitglied nach § 4 Abs. 1 Satz 2 lit. c MontanMitbestG und § 5 Abs. 1 Satz 2 lit. c MontanMitbestErgG) ein Ersatzmitglied bestellt werden. Davon wird in großen und größeren Aktiengesellschaften häufig Gebrauch gemacht, und zwar sowohl von den Arbeitnehmern als auch von den Anteilseignern, da Zeitaufwand und Kosten für die Nachwahl eines weggefallenen Aufsichtsratsmitglieds sehr hoch sind (vgl. Rz. 18). Die Wahl von Ersatzmitgliedern ist vom Gesetz nicht zwingend vorgesehen, sie liegt vielmehr im Ermessen des jeweils zuständigen Wahlorgans. Ihre Anordnung in der Gesellschaftssatzung ist ebenso unzulässig wie eine Regelung, welche die Bestellung von Ersatzmitgliedern ausschließt1.

1051

II. Bestellung des Ersatzmitglieds und Nachrücken in den Aufsichtsrat Ersatzmitglieder können jeweils nur für eine bestimmte „Kategorie“ von Aufsichtsratsmitgliedern gewählt werden2 (also für Anteilseigner-Vertreter oder Arbeitnehmer-Vertreter und diese dann wiederum unterschieden in Arbeitnehmer und leitende Angestellte) und nur von demjenigen Organ, das für die Wahl der „Hauptmitglieder“ zuständig ist, also derjenigen, die es ggf. zu ersetzen gilt (§ 101 Abs. 3 Satz 2 AktG, § 7 DrittelbG, § 17 MitbestG). Die Wahl muss gleichzeitig mit der Wahl des ggf. zu ersetzenden Aufsichtsratsmitglieds erfolgen, also in der gleichen Haupt- oder Gesellschafterversammlung, der gleichen Wahlmänner-Versammlung oder der gleichen Direktwahl im Unternehmen3. Ein einheitlicher Abstimmungsvorgang ist normalerweise nicht erforderlich4, lediglich § 7 Abs. 2 DrittelbG verknüpft die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds und des Ersatzmitglieds zu einer Einheit.

1052

Ersatzmitglieder können „Person zu Person“ (so meist bei den Arbeitnehmervertretern nach MitbestG), aber auch in einer geringeren Zahl gewählt werden (so die Regel bei den Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner), also z.B. ein Ersatzmitglied für mehrere Aufsichtsratsmitglieder oder mehrere Ersatzmitglieder in bestimmter

1053

1 Begr. RegE zu § 101 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, S. 140; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 13; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 85. 2 Vgl. § 17 MitbestG, § 7 DrittelbG sowie Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 19. 3 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 14; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 79. 4 Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 79; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 101 Rz. 213; OLG Frankfurt a.M. v. 5.12.1989 – 22 U 148/88 (nicht veröffentlicht).

437

§ 14 Rz. 1053 | Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats

Reihenfolge für alle Aufsichtsratsmitglieder der betreffenden Kategorie (sog. Listen)5 derart, dass bei der ersten Vakanz A, bei der nächsten B etc. in den Aufsichtsrat einrücken. Eine solche Liste mit mehreren Ersatzmitgliedern kann auch für ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied aufgestellt werden6. 1054

Fällt das betreffende Aufsichtsratsmitglied weg (zu den Gründen s. Rz. 31 ff.), so soll nach der herrschenden Meinung das Ersatzmitglied automatisch an seine Stelle treten; eine besondere Annahme des Amtes sei nicht mehr erforderlich, weil der Betreffende mit Annahme seiner Wahl zum Ersatzmitglied mindestens konkludent auch schon das Aufsichtsratsamt akzeptiert habe7. Eine solche Vorweg-Annahme des Aufsichtsratsamtes ist gewiss möglich; sie führt zum abgeschlossenen Bestellungsakt im Augenblick des Eintritts des Ersatzfalles. Erfüllt das Ersatzmitglied in diesem Augenblick dann die persönlichen Voraussetzungen nicht, so ist die Bestellung unheilbar nichtig. Vor diesem Hintergrund ist die These von der mindestens konkludent erklärten antizipierten Annahme des Aufsichtsratsamtes nicht überzeugend. Sie ist eine reine Fiktion, vom Gesetz weder vorgeschrieben noch vorgezeichnet und zudem ausgesprochen unzweckmäßig, da sie die denkbaren Veränderungen in der Gesellschaft und in der Person des Ersatzmitglieds gänzlich außer Betracht lässt8. Insbesondere hätte das Ersatzmitglied vor dem Hintergrund dieser These keine Möglichkeit, nach Eintritt des Ersatzfalles etwa noch notwendige Voraussetzungen in seiner Person – Voraussetzungen, die erst bei Amtsübernahme vorhanden sein müssen9 – zu schaffen. Das Ersatzmitglied könnte z.B. nicht rechtzeitig vom Vorstandsamt der Gesellschaft (§ 105 Abs. 1 AktG) oder von einem Aufsichtsratsposten zurücktreten, um die Voraussetzung der „nicht mehr als zehn Sitze“ zu erfüllen (§ 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG): Seine Bestellung wäre unheilbar unwirksam. Der Einwand, der Bestellte könne seine Annahmeerklärung mit einem entsprechenden Vorbehalt versehen, wenn seine persönlichen Verhältnisse das nahe legten10, verkennt demgegenüber, dass daran im Zweifel nicht gedacht wird, aber die Interessenlage beider Parteien gegen eine antizipierte Annahme spricht. Richtigerweise muss man daher annehmen, 5 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 214 = AG 1987, 152; BGH v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070, 1071 = AG 1987, 348; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 86; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 82 ff.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 17 f.; a.A. noch Roussos, AG 1987, 239, 240 f.; Damm, AG 1987, 44, 47. 6 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211 = AG 1987, 152, Leitsatz c und die Nachweise in der vorherigen Fn. Für die Arbeitnehmervertreter kann allerdings gemäß § 17 Abs. 1 MitbestG, § 7 DrittelbG nur je ein einziges Ersatzmitglied bestellt werden, wie sich aus den Wahlordnungen zum MitbestG und DrittelbG ergibt, vgl. dazu Wißmann in Wißmann//Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 17 MitbestG Rz. 6; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 17 MitbestG Rz. 9, § 7 DrittelbG Rz. 3. 7 BayObLG v. 29.3.2000 – 3Z BR 11/00, AG 2001, 50, 51; Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 101 Rz. 92 f.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 81; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 15. 8 Dazu Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 576. 9 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 219 f. = AG 1987, 152; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 100 Rz. 48 f. 10 So Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 15; zweifelnd Spindler in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 101 Rz. 93.

438

Ausscheiden des Ersatzmitglieds und Vermeidung des Nachrückfalles | Rz. 1056 § 14

dass das Ersatzmitglied dann, wenn es bei der Annahme des Ersatzamtes nicht ausdrücklich die etwaige Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied annimmt, die Annahme des Aufsichtsratsamtes erst bei Eintritt des Ersatzfalles erklären will und muss – das dann allerdings unverzüglich nach Mitteilung des Ersatzfalles11. Die hierdurch bewirkte kurzfristige Vakanz des betreffenden Aufsichtsratssitzes schadet demgegenüber nicht, da die Vakanz ohne das Ersatzmitglied erst recht und für eine gewiss längere Zeit gegeben wäre.

III. Ausscheiden des Ersatzmitglieds und Vermeidung des Nachrückfalles Der Notwendigkeit von Ersatzmitgliedern zur Aufrechterhaltung der Parität im – mitbestimmten – Aufsichtsrat steht das Interesse gegenüber, möglichst entsprechend qualifizierte Aufsichtsratsmitglieder zu haben. Bei einer Ersatzliste kann ja der erste Kandidat sowohl für den Bankenvertreter als auch für den Vertreter des Großaktionärs oder aber der Kleinaktionäre nachrücken. Deshalb wird in der Praxis versucht, die Mitgliedschaft des Ersatzmitglieds im Aufsichtsrat möglichst kurz zu halten oder ganz zu vermeiden12.

1055

1. Entziehende Nachwahl So kann die Amtszeit des Ersatzmitglieds in der Satzung derart festgelegt werden, dass sie mit der Neuwahl einer anderen Person durch das zuständige Wahlorgan für das weggefallene Aufsichtsratsmitglied endet, spätestens aber mit Ablauf der Amtsperiode des „Weggefallenen“ (§ 102 Abs. 2 AktG)13. Eine solche Nachwahl eines Aufsichtsratsmitglieds setzt aber wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes14 eine ¾-Mehrheit voraus, da ja das nachgerückte, „ehemalige“ Ersatzmitglied gleichzeitig de facto von seinem Amt abberufen wird (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG)15. Möglich

11 Wie hier Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 101 Rz. 178; Lehmann, DB 1983, 485, 487; Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 576. 12 Dazu Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 573 ff.; unzutreffend demgegenüber Roussos, AG 1987, 239, 242 ff., dessen Unterscheidung zwischen Ersatzmitgliedern mit Nachfolgefunktion und solchen mit Überbrückungsfunktion dem Gesetz nicht zu entnehmen ist. 13 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 214 f. = AG 1987, 152; OLG Frankfurt a. M. v. 17.7.2007 – 5 U 229/05, ZIP 2007, 1463, 1464 f. = AG 2007, 672; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 16; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 90. 14 Dazu Rz. 821. 15 Entgegen BGH v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, WM 1988, 377, 378 = AG 1988, 139, wird man eine solche Kopplung zweier Rechtsfolgen auch für zulässig halten dürfen, wenn für die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds an sich nur die einfache Mehrheit erforderlich ist. Die darin liegende „Übererfüllung“ bei der Bestellung des neuen Aufsichtsratsmitglieds widerspricht nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da dieser erst für die im Amt befindlichen Aufsichtsratsmitglieder relevant wird. Wie hier Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 16; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 91; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 105; Neu, WM 1988, 481, 484.

439

1056

§ 14 Rz. 1056 | Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats

ist die Nachwahl mit einfacher Mehrheit, wenn auch für die Abberufung in der Satzung generell die einfache Mehrheit vorgesehen ist16. 1057

Verliert ein für alle oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder bestelltes Ersatzmitglied durch eine Nachwahl die zunächst erlangte Position im Aufsichtsrat, so kann festgelegt sein, dass es wieder in die Liste der Ersatzmitglieder einrückt, sei es an vorderer, sei es an letzter Position17. Erforderlich ist eine solche Festlegung jedoch nicht, sondern Ersatzmitglieder, die für alle oder mehrere Aufsichtsratsmitglieder bestellt sind, rücken auch ohne besondere Festlegung wieder in die Position des Ersatzmitglieds ein, wenn die zunächst erlangte Position im Aufsichtsrat durch Nachwahl wieder beendet wird18. 2. Überholende Nachwahl

1058

Lässt sich absehen, wann ein Aufsichtsratsmitglied sein Amt niederlegt oder aus sonstigen Gründen verliert, kann durch rechtzeitiges Abhalten einer Hauptversammlung und Neuwahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Eintritt eines Ersatzfalles vermieden werden. Ein Ersatzmitglied rückt nur dann in den Aufsichtsrat nach, wenn dort ein Mitglied nicht nur vor Ablauf der Amtszeit ausscheidet, sondern auch eine Lücke hinterlässt19. Wird zeitlich vor dessen Ausscheiden ein Nachfolger gewählt, besteht kein „Ersetzungsbedürfnis“20. Der Gegenmeinung21, die in einer solchen Nachwahl gleichzeitig eine Abberufung des Ersatzmitglieds aus seinem Amt als Ersatzmitglied sieht – für die nach § 103 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AktG ebenfalls eine ¾-Mehrheit erforderlich ist –, ist nicht zuzustimmen. Die Ersatzmitgliedschaft soll der Gesellschaft nur die Chance geben, die Nachwahl zum Aufsichtsrat – und damit vor allem die Kosten einer außerordentlichen Hauptversammlung – zu vermeiden22. Das Vorhandensein von Ersatzmitgliedern beinhaltet aber keine Sperrwirkung gegenüber der Hauptversammlung, durch zeitlich vorausgehende Wahl einen Nachfolger für ein ausscheidendes Aufsichtsratsmitglied zu bestimmen23. Wichtig ist hier nur, jede Vakanz auch nur für eine „logische Sekunde“ zu vermeiden, da sonst 16 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 215 = AG 1987, 152; BGH v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070 = AG 1987, 348; BGH v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, WM 1988, 377, 378 = AG 1988, 139; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 105; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 91; kritisch Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 578. 17 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211 = AG 1987, 152, Leitsatz b; Heinsius, ZGR 1982, 232, 238 ff. 18 Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 93; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 94; Bommert, AG 1986, 315, 320; Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 572; offen gelassen von BGH v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 220 = AG 1987, 152. 19 BGH v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, WM 1987, 1070, 1071 = AG 1987, 348; ebenso schon vorher LG Mannheim v. 18.11.1985 – 24 O 114/85, WM 1986, 104, 105. 20 So prägnant, wenn auch in der Sache ablehnend, Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 574. 21 Bommert, AG 1986, 315, 317; Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 574. 22 Vgl. Begr. RegE zu § 101 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, S. 139. 23 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 102; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 85; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 101 Rz. 16; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 101 Rz. 219.

440

Rechte und Pflichten des Ersatzmitglieds | Rz. 1060–1090 § 14

nach h.M. der Ersatzberechtigte einrückt (vgl. Rz. 1054) und dann die Grundsätze für die entziehende Nachwahl (Rz. 1056) eingreifen.

IV. Rechte und Pflichten des Ersatzmitglieds Ersatzmitglieder sind bis zu ihrem Einrücken in den Aufsichtsrat nicht Aufsichtsratsmitglieder; sie sind, wie jeder andere auch, außenstehende Dritte und haben daher als solche weder Rechte noch Pflichten aus ihrer Stellung als Ersatzmitglied. Diese wachsen ihnen erst zu, und dann ohne jede Einschränkung, mit dem Augenblick ihres Einrückens in den Aufsichtsrat24. Dieser Augenblick ist hier identisch mit dem Augenblick der Annahme des Aufsichtsratsamtes. Ausnahmsweise sind die Ersatzmitglieder bereits vor diesem Zeitpunkt zur Verschwiegenheit analog § 116 AktG verpflichtet, wenn der Vorstand ihnen im Hinblick auf ihren absehbaren Eintritt in den Aufsichtsrat vertrauliche Informationen zukommen lässt25. Einstweilen frei.

1059

1060– 1090

24 Allg. Meinung, vgl. nur Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 92; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 87; Rellermeyer, ZGR 1987, 563, 571. 25 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 101 Rz. 92; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 87.

441

442

§ 15 Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH I. Überblick 1. Allgemeines Gesellschaften mbH haben nach dem GmbHG nur zwei Organe, die Gesellschafterversammlung und den bzw. die Geschäftsführer; sie müssen also normalerweise keinen Aufsichtsrat haben, können ihn aber einführen (§ 52 GmbHG; dazu § 16 Rz. 1181 ff.). Von dieser „Kann“-Lösung abgesehen schreiben das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB)1 sowie vor allem die verschiedenen Mitbestimmungsgesetze, namentlich das DrittelbG2, das MitbestG sowie das MontanMitbestG und das MontanMitbestErgG (MitbestErgG) der GmbH unter bestimmten Voraussetzungen die Bildung eines Aufsichtsrats als drittes Organ der Gesellschaft vor. In der GmbH gilt also eine dreifache Stufung:

1091

(1) Nach dem GmbH-Gesetz besteht kein Aufsichtsrat; (2) die Gesellschafter können in der Satzung der GmbH einen Aufsichtsrat einführen (§ 52 GmbHG) und (3) sie müssen dies, wenn die Voraussetzungen bestimmter Spezialgesetze vorliegen. Die Rechte und Pflichten eines Pflichtaufsichtsrats gemäß (3) sind weitgehend denen des aktienrechtlichen Aufsichtsrats angepasst3. Die Montan-Mitbestimmungsgesetze verweisen global auf die Bestimmungen des Aktienrechts (§ 3 Abs. 2 MontanMitbestG; § 3 Abs. 1 Satz 2 MitbestErgG i.V.m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG). Im KAGB sowie im DrittelbG und im MitbestG wird ein umfangreicher Katalog aktienrechtlicher Bestimmungen für anwendbar erklärt (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 3 KAGB, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG) und durch das DrittelbG bzw. die §§ 27–29, 31 und 32 MitbestG ergänzt. Im Übrigen gilt das GmbHG.

1092

2. Rechtstatsachen, „Mitbestimmungslücke“ Der Montan-Mitbestimmung unterliegen derzeit nur einige wenige Gesellschaften mbH, während die Zahl der GmbHs mit einem Aufsichtsrat nach dem MitbestG zum Ende des Jahres 2017 363 betrug4. Die Zahl der Gesellschaften mbH mit einem 1 Eingeführt durch Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz) vom 4.7.2013, BGBl. I 2013, 1981; damit ist das Investmentgesetz (InvG) außer Kraft getreten (Art. 2a). 2 Eingeführt durch Zweites Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat (Art. 1 Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) vom 18.5.2004, BGBl. I 2004, 974; damit ist das BetrVG 52 außer Kraft getreten (Art. 6). 3 Es gelten insbesondere auch die §§ 113, 114 AktG, vgl. dazu näher Rz. 868 ff. 4 Mitbestimmung 1/2018, S. 50.

443

1093

§ 15 Rz. 1093 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

Aufsichtsrat nach dem DrittelbG lag nach einer Erhebung des Jenaer Instituts für Rechtstatsachenforschung aus dem Jahr 2009 bei 715 GmbHs5. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen jeweils noch wesentlich höher lägen, wenn tatsächlich alle Gesellschaften mbH, die mehr als 500 bzw. mehr als 2000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen und damit den Mitbestimmungsgesetzen unterliegen (Rz. 1096, 1098, 1101), gesetzeskonform einen Aufsichtsrat bilden würden. Eine Stichprobe des Jenaer Instituts für Rechtstatsachenforschung aus dem Jahr 2015 ergab, dass nur 44 % (!) der GmbHs, die nach dem DrittelbG einen Aufsichtsrat zu bilden haben, einen solchen tatsächlich eingerichtet haben6. 1093a

Diese gesetzwidrige Mitbestimmungslücke ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Nichtanwendung der Mitbestimmungsgesetze nicht durch hinreichend abschreckende Sanktionen bewehrt ist. Der Abschlussprüfer muss zwar in seinem Prüfungsbericht auf den Verstoß hinweisen (§ 321 Abs. 1 Satz 3 HGB)7. Auch handeln die Geschäftsführer einer GmbH, die einem der Mitbestimmungsgesetze unterfällt, aber keinen mitbestimmten Aufsichtsrat hat, pflichtwidrig, wenn sie entgegen § 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG, § 6 Abs. 2 MitbestG, §§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AktG (dazu Rz. 1112) nicht auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Aufsichtsrats hinwirken8. Die Nicht-Installation des Aufsichtsrats dürfte allerdings in aller Regel nicht zu einem nachweisbaren Schaden führen9; Fälle der Organhaftung (§ 43 Abs. 2 GmbHG) sind daher in diesem Zusammenhang bisher nicht bekannt geworden. 3. Unternehmergesellschaft

1094

Die vorstehend beschriebene dreifache Stufung (kein Aufsichtsrat, fakultativer Aufsichtsrat, Pflichtaufsichtsrat) gilt in gleicher Weise auch für die durch das MoMiG10 eingeführte Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Da es sich bei ihr lediglich um eine Variante der GmbH handelt, wird auch sie von den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften zur GmbH erfasst11. Die folgenden Ausführungen zum Pflichtaufsichtsrat der GmbH beziehen sich daher auch auf die UG (haftungsbeschränkt). Da aber die Mitbestimmung erst bei Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern eingreift (Rz. 1096) und die Rechtsform der UG typischerweise von kleinen Unternehmen gewählt wird, dürften mitbestimmte Unternehmergesellschaften – wenn überhaupt – nur sehr selten vorkommen. 5 Bayer/Hoffmann in Bayer, Aktienrecht in Zahlen, S. 28, 30 f. 6 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909, 915. 7 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909, 911, 917; Schüppen/Walz, WPg 2015, 1155, 1157 ff. (dort auch zur Frage der Auswirkungen auf den Bestätigungsvermerk). 8 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909, 911; zur AG Habersack, MünchKomm. AktG, § 97 Rz. 28. 9 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2015, 909, 911; zur AG Habersack, MünchKomm. AktG, § 97 Rz. 28. 10 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 11 Näher Forst, GmbHR 2009, 1131 ff.

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Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats | Rz. 1098 § 15

II. Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats – Größenmerkmale Alle soeben genannten Spezialgesetze sind nur anwendbar und führen nur dann zu der Pflicht, einen Aufsichtsrat zu bilden, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. So ist für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze insbesondere das Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern erforderlich:

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1. Nach dem Drittelbeteiligungsgesetz Eine GmbH mit mehr als 500, aber nicht mehr als 2000 Arbeitnehmern (dann ist das MitbestG einschlägig, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DrittelbG i.V.m. § 1 Abs. 1 MitbestG) ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG verpflichtet, einen Aufsichtsrat zu bilden. Dies führt dann zur sog. Drittel-Mitbestimmung: Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder muss durch drei teilbar sein; den Arbeitnehmern gebührt jeder dritte Sitz.

1096

Keine Anwendung findet das DrittelbG hingegen auf GmbHs mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmern; ferner ist das DrittelbG nicht anwendbar auf GmbHs mit mehr als 1000 Arbeitnehmern und überwiegender Tätigkeit im Montanbereich sowie auf herrschende GmbHs von solchen Unternehmen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DrittelbG): Für diese Gesellschaften gelten die insoweit spezielleren Vorschriften des MitbestG, MontanMitbestG und MitbestErgG. Ausgenommen vom Anwendungsbereich des DrittelbG sind überdies sog. Tendenzunternehmen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 DrittelbG) und kirchliche Einrichtungen; für sie besteht nach § 1 Abs. 2 Satz 2 DrittelbG keine Verpflichtung zur Bildung eines Aufsichtsrats.

1097

2. Nach dem Mitbestimmungsgesetz Eine GmbH mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmern wird vom Anwendungsbereich des MitbestG erfasst (§ 1 Abs. 1 MitbestG) und muss einen Aufsichtsrat bilden, der sich je zur Hälfte aus Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammensetzt, sog. paritätische Mitbestimmung (§§ 6, 7 Abs. 1 MitbestG). Die Größe des Aufsichtsrats darf 20 Mitglieder keinesfalls übersteigen (§ 7 Abs. 1 MitbestG)12. Das MitbestG ist wiederum nicht anzuwenden auf sog. Tendenzbetriebe und kirchliche Einrichtungen (§ 1 Abs. 4 MitbestG) und auf solche GmbHs, die der Montan-Mitbestimmung unterliegen (§ 1 Abs. 2 MitbestG).

12 Die Satzung kann daher nicht bestimmen, dass der Aufsichtsrat neben 20 stimmberechtigten Aufsichtsratsmitgliedern noch aus weiteren Mitgliedern mit lediglich beratender Funktion besteht; BGH v. 30.1.2012 – II ZB 20/11, AG 2012, 248 = GmbHR 2012, 391 m. zust. Anm. Pröpper; Stoffels, LMK 2012, 333919.

445

1098

§ 15 Rz. 1099 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

3. Nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz und MontanMitbestimmungsergänzungsgesetz 1099

Nach dem MontanMitbestG ist die Bildung eines Aufsichtsrats für die GmbH obligatorisch, wenn sie in der Regel mehr als 1000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 Abs. 2 MontanMitbestG) und die Tätigkeit der betreffenden GmbH überwiegend im sog. Montanbereich, also im Bereich von Kohle und Stahl liegt (§ 1 Abs. 1 MontanMitbestG). Sind diese Voraussetzungen bei der GmbH gegeben, führt dies ebenfalls zur paritätischen Mitbestimmung (§§ 3 Abs. 1, 4 MontanMitbestG); den Arbeitnehmervertretern stehen im obligatorischen Aufsichtsrat also ebenso viele Sitze zu wie den Vertretern der Gesellschafter. Das Gleiche gilt nach dem MitbestErgG für eine herrschende GmbH, die zwar nicht selbst, wohl aber deren abhängiges Unternehmen diese Voraussetzungen erfüllt (§§ 1, 2, 3 Abs. 1 MitbestErgG). 4. Nach dem Kapitalanlagegesetzbuch

1100

Für in der Rechtsform der GmbH organisierte externe Kapitalverwaltungsgesellschaften, d.h. Gesellschaften, die von einem Investmentvermögen zur Verwaltung desselben bestellt sind (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 KAGB), sieht das KAGB stets die Bildung eines Pflichtaufsichtsrats vor (§ 18 Abs. 2 Satz 1 KAGB, früher § 6 Abs. 2 Satz 1 InvG). Auf die Zahl der Arbeitnehmer kommt es in diesem Fall nicht an. 5. Maßgebende Arbeitnehmerzahl

1101

Die für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze maßgebende Arbeitnehmerzahl muss nicht zu einem bestimmten Stichtag vorliegen. Entscheidend ist vielmehr, wie viele Arbeitnehmer die Gesellschaft „in der Regel“ hat (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 2 MontanMitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 DrittelbG); ein vorübergehendes Über- oder Unterschreiten der erforderlichen Anzahl von Arbeitnehmern führt also nicht bereits zu der Pflicht, einen Aufsichtsrat zu bilden, bzw. befreit hiervon nicht13. Diese „Regel“ ist ein Erfahrungswert aus der Vergangenheit, ggf. verbunden mit konkreten Anhaltspunkten für die Entwicklung in der Zukunft. Für die Schwellenwerte sind allein die Arbeitnehmer maßgeblich, die in den in Deutschland belegenen Betrieben beschäftigt sind14, da nach herrschender, vom EuGH als unions13 Allg. Meinung: BAG v. 22.2.1983 – 1 AZR 260/81, AP Nr. 7 zu § 113 BetrVG; LG Stuttgart v. 11.9.1984 – 2 AktE 1/84, BB 1984, 2082; OLG Düsseldorf v. 9.12.1994 – 19 W 2/ 94, AG 1995, 328; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 150; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 165; Müller, Beck’sches Hdb. GmbH, § 6 Rz. 74; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 39. 14 So zuletzt nochmals LG Frankfurt a.M. v. 21.12.2017 – 3-05 O 85/17, ZIP 2018, 128 (STADA); LG Rostock v. 22.5.2018 – 6 HK O 122/17 (juris) m.w.N. aus der jüngeren Rechtsprechung der Instanzgerichte; aus dem Schrifttum statt vieler Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 MitbestG Rz. 43 ff.; Ott/M. Goette, NZG 2018, 281; a.A. unter Hinweis auf – inzwischen vom EuGH (nachfolgende Fn.) jedenfalls für die Praxis ausgeräumte – unionsrechtliche Bedenken noch LG Frankfurt a.M. v. 16.2.2015 – 3-16 O 1/14, 3/16 O 1/14, AG 2015, 371 (Deutsche Börse).

446

Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats | Rz. 1103 § 15

rechtskonform gebilligter Auffassung auch nur sie aktiv und passiv wahlberechtigt sind15. 6. Arbeitnehmerbegriff Hinsichtlich des für die Bestimmung der Arbeitnehmerzahl maßgeblichen Arbeitnehmerbegriffs ist zunächst davon auszugehen, dass hierunter alle Personen fallen, die in einem Anstellungsverhältnis zu der GmbH stehen, also Angestellte, Arbeiter und Auszubildende16. Dieser allgemeine Begriff des Arbeitnehmers wird in den einzelnen Mitbestimmungsgesetzen teilweise modifiziert, indem einzelne Personengruppen ausdrücklich ausgenommen bzw. hinzugerechnet werden; der für die Bestimmung der Arbeitnehmerzahl maßgebliche Arbeitnehmerbegriff ist in den einzelnen Mitbestimmungsgesetzen deshalb zum Teil unterschiedlich weit gefasst:

1102

a) Das DrittelbG verweist in § 3 Abs. 1 für die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs auf § 5 Abs. 1 BetrVG, nimmt aber die in § 5 Abs. 3 BetrVG bezeichneten leitenden Angestellten von dieser Definition aus17. Ein klarstellender Verweis insbesondere auf § 5 Abs. 2 BetrVG existiert nicht, die Geschäftsführer sind jedoch schon im Sinne der allgemeinen Definition nicht persönlich abhängig und damit keine Arbeitnehmer. Folglich zählen sie jedenfalls nicht mit. Mangels klarstellenden Verweises gestaltet sich die Einordnung von Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art oder medizinische oder erzieherische Gründe bestimmt ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BetrVG), schwierig18. Bei ihnen ist jeweils im Einzelfall festzustellen, ob sie Arbeitnehmer im Sinne der hergebrachten Definition sind oder nicht. Teilzeitkräfte und Auszubildende rechnen mit, ebenso wie die in Heimarbeit Beschäftigten, soweit sie in der Hauptsache für die Gesellschaft tätig sind (§ 5 Abs. 1 BetrVG). Mitzuzählen sind ferner von der GmbH verliehene Arbeitnehmer (arg. § 14 Abs. 1 AÜG)19. Von der Gesellschaft geliehene Arbeitnehmer sind nach der zum 1.4.2017 in Kraft getretenen AÜG-Reform ebenfalls einzurechnen, sofern ihre Einsatzdauer sechs Monate übersteigt (§ 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG). Diese Vorschrift ist nicht arbeitnehmer-, sondern arbeitsplatzbezogen auszulegen; bei der Berechnung der Einsatz-

1103

15 Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 7/4845, S. 4; KG v. 2.11.2017 – 14 W 89/15, AG 2018, 487 (TUI); Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 MitbestG Rz. 43 ff. m.z.N.; zu der – zuvor heftig umstrittenen – Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht (Art. 45, 18 AEUV) s. EuGH v. 18.7.2017 – C-566/ 15, AG 2017, 387 = ZIP 2017, 1413 (Erzberger/TUI) m. Anm. Habersack, NZG 2017, 1021. 16 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 147 ff.; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 163. 17 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 DrittelbG Rz. 3 ff. (mit berechtigter rechtspolitischer Kritik). 18 Lt. Regierungsbegründung (BT-Drucks. 15/2542, S. 12) ist mit der Regelung in § 3 Abs. 1 DrittelbG keine materielle Änderung verbunden. Zustimmend Henssler in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 3 DrittelbG Rz. 3 mit dem Hinweis, § 5 Abs. 2 BetrVG sei ohnehin nur deklaratorischer Natur. 19 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 149.

447

§ 15 Rz. 1103 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

dauer kommt es also nicht darauf an, ob ein bestimmter Leiharbeitnehmer länger als sechs Monate beschäftigt wird, sondern darauf, ob ein bestimmter Arbeitsplatz über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten besetzt wird, sei es auch mit jeweils wechselnden Leiharbeitnehmern20. 1104

Nach § 2 Abs. 2 DrittelbG sind den eigenen Arbeitnehmern der GmbH nur die Arbeitnehmer von solchen Unternehmen hinzuzurechnen, mit denen ein Beherrschungsvertrag i.S. des § 291 AktG besteht21. Bei anderen Unternehmensverträgen, wie z.B. einem Gewinnabführungsvertrag22, sowie bei Bestehen eines bloß faktischen Konzernverhältnisses sind die Arbeitnehmer des abhängigen Unternehmens (anders als bei § 5 MitbestG) indes nicht mitzuzählen.

1105

b) Der Arbeitnehmerbegriff des MitbestG weicht teilweise von dem des DrittelbG ab: Arbeitnehmer i.S. des MitbestG sind neben Teilzeitkräften, Auszubildenden und Heimarbeitern (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG i.V.m. § 5 Abs. 1 BetrVG) auch leitende Angestellte (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG). Ausgenommen sind auch hier insbesondere der oder die Geschäftsführer (§ 3 Abs. 1 Satz 2 MitbestG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG).

1106

Ist die GmbH Komplementärin einer KG, so sind nach § 4 Abs. 1 Satz 1 MitbestG den eigenen Arbeitnehmern der GmbH die Arbeitnehmer der KG zuzurechnen, sofern die Mehrheit (berechnet nach Kapital- oder Stimmanteilen) der Kommanditisten der KG die Mehrheit der Anteile oder Stimmen an der GmbH halten; dies gilt nicht, wenn die GmbH einen eigenen Geschäftsbetrieb mit i.d.R. mehr als 500 Arbeitnehmern hat. Ist eine so strukturierte GmbH & Co. KG wiederum Komplementärin einer anderen KG, so zählen auch deren Arbeitnehmer mit (§ 4 Abs. 1 Satz 2 MitbestG). Entsprechendes gilt, wenn sich eine solche Hintereinanderschaltung von GmbH & Co. KGs weiter fortsetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 3 MitbestG).

1107

Zugerechnet werden der GmbH nach MitbestG aber vor allem auch die (in Deutschland beschäftigten, Rz. 1101) Arbeitnehmer aller von ihr abhängigen Gesellschaften im Sinne der §§ 17, 18 Abs. 1 AktG23; zugerechnet werden insoweit auch die Arbeitnehmer der Gesellschaft, die Komplementärin einer beherrschten KG ist (§ 5 Abs. 1 20 BGH v. 25.6.2019 – II ZB 21/18, NZA 2019, 1232 Rz. 14 ff. = AG 2019, 798. 21 BayObLG v. 10.12.1992 – 3Z BR 130/92, NJW 1993, 1804 = AG 1993, 177. Der in § 2 Abs. 2 DrittelbG überdies geregelte Fall der Hinzurechnung bei Eingliederung des abhängigen in das herrschende Unternehmen betrifft die GmbH nicht, da eine Eingliederung nur zwischen Aktiengesellschaften möglich ist. 22 S. hierzu OLG Düsseldorf v. 27.12.1996 – 19 W 4/96 AktE, AG 1997, 129. 23 Eine arbeitnehmerlose Holding-GmbH, die die 100 %ige Stimmrechtsmacht an (nur) einer anderen mitbestimmungspflichtigen GmbH innehat, muss gemäß § 5 MitbestG als Konzernspitze im mitbestimmungsrechtlichen Sinne jedenfalls dann einen mitbestimmten Aufsichtsrat bilden, wenn sie auf die unternehmerische Führung der anderen GmbH einen maßgeblichen Einfluss ausübt, LG Stuttgart v. 29.11.1988 – 2 AktE 1/88, DB 1989, 98 = AG 1989, 445; bestätigt durch OLG Stuttgart v. 3.5.1989 – 8 W 38/89, WM 1989, 1650 = AG 1990, 168. Anders nach dem DrittelbG, vgl. OLG Zweibrücken v. 18.10.2005 – 3 W 136/05, WM 2005, 2271.

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Voraussetzungen für die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats | Rz. 1111 § 15

Satz 2 MitbestG). Ist das herrschende Unternehmen eine GmbH & Co. KG, so werden der Komplementär-GmbH die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen gemäß § 5 Abs. 2 MitbestG zugerechnet, sofern bei der KG die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 MitbestG gegeben sind. Unterliegt die Spitze eines Gesamtkonzerns selbst nicht der Mitbestimmung (z.B. Personengesellschaft oder ausländische Gesellschaft), sind dieser aber eine GmbH (oder GmbH & Co. KG) nachgeschaltet, so werden diesen Gesellschaften als herrschenden Unternehmen des Teilkonzerns die Arbeitnehmer entsprechend zugerechnet (§ 5 Abs. 3 MitbestG).

1108

c) Im MontanMitbestG selbst ist nicht bestimmt, wer als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes anzusehen ist. Nach h.M. gilt der Arbeitnehmerbegriff des BetrVG, der neben den Geschäftsführern auch leitende Angestellte ausschließt24. Eine Hinzurechnung der Arbeitnehmer abhängiger Unternehmen erfolgt nicht25, da es an einer Parallelvorschrift zu § 5 MitbestG oder § 2 Abs. 2 DrittelbG fehlt.

1109

7. Feststellung des einschlägigen Aufsichtsratssystems, Statusverfahren Die Feststellung, ob und ggf. welches Mitbestimmungsgesetz auf die betreffende GmbH Anwendung findet und welche Vorschriften danach bei der Bildung des obligatorischen Aufsichtsrats sowie im Hinblick auf seine Rechte und Pflichten zu beachten sind, kann aufgrund der teilweise recht komplizierten Regelungen der Mitbestimmungsgesetze zuweilen schwierig sein. Besteht Streit über die Voraussetzungen zur Bildung eines Pflichtaufsichtsrats, so entscheidet das für die betreffende GmbH örtlich zuständige Landgericht in einem Verfahren nach den §§ 98 und 99 AktG, die auf die GmbH sinngemäß Anwendung finden26. Antragsberechtigt sind nach § 98 Abs. 2 AktG unter anderem die Gesamtheit der Geschäftsführer27, jedes Aufsichtsratsmitglied, jeder Gesellschafter und vor allem auch der (Gesamt-)Betriebsrat des Unternehmens.

1110

Das sog. Statusverfahren nach den §§ 97 bis 99 AktG ist stets zu beachten, wenn die GmbH bereits einen obligatorischen Aufsichtsrat hat, dieser aber nunmehr nach den Vorschriften eines anderen Mitbestimmungsgesetzes zusammenzusetzen ist28. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 27 EGAktG sowie der Bezugnahme der § 6 Abs. 2

1111

24 Näher Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 MontanMitbestG Rz. 16 m.w.N. 25 Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 1 Montan-MitbestG Rz. 16. 26 Vgl. § 27 EGAktG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Halbsatz 2 DrittelbG, § 6 Abs. 2 MitbestG, § 3 Abs. 2 MontanMitbestG, § 3 Abs. 1 Satz 2 MitbestErgG i.V.m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG. 27 Sie treten bei der sinngemäßen Anwendung des § 98 Abs. 2 Nr. 1 AktG auf die GmbH an die Stelle des Vorstands; Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 32. 28 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 13; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 14.

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§ 15 Rz. 1111 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG auf die §§ 96 Abs. 4, 97 ff. AktG. Dasselbe gilt, wenn die GmbH bisher einen fakultativen Aufsichtsrat hat, inzwischen aber in den Anwendungsbereich eines Mitbestimmungsgesetzes fällt und deshalb die Bildung eines Aufsichtsrats mit entsprechender Zusammensetzung obligatorisch geworden ist29. 1112

Sofern eine bestehende GmbH noch keinen Aufsichtsrat hat und nun durch das MitbestG zur Bildung eines Aufsichtsrats verpflichtet ist, ist das Statusverfahren ebenfalls einzuhalten30. Zwar beziehen sich die §§ 96 Abs. 4, 97 ff. AktG i.V.m. § 27 EGAktG unmittelbar nur auf die Zusammensetzung, nicht auf die Bildung des Aufsichtsrats. § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG erklärt die genannten Vorschriften aber auch hinsichtlich der Bildung des Aufsichtsrats für entsprechend anwendbar. Nichts anderes gilt, wenn die Pflicht zur Bildung eines obligatorischen Aufsichtsrats durch das DrittelbG begründet wird. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG verweist zwar (anders als § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG) nur hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf die §§ 96 Abs. 4, 97 ff. AktG. Trotz dieser unpräzisen Formulierung ist aber das Statusverfahren nach heute ganz h.M. auch in diesem Fall anwendbar, da das Bedürfnis nach rechtssicherer Klärung des Mitbestimmungsstatus im Anwendungsbereich des DrittelbG in gleicher Weise besteht wie im Geltungsbereich des MitbestG31. Bilden die Gesellschafter also nicht freiwillig den jetzt nach MitbestG oder DrittelbG vorgeschriebenen Aufsichtsrat, so kann der Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat das Verfahren nach §§ 98 f. AktG einleiten (s. Rz. 1110). Solange dieses Verfahren aber nicht betrieben wird oder noch nicht abgeschlossen ist, bleibt die Gesellschaft in Anwendung des Kontinuitätsprinzips (§ 96 Abs. 4 AktG) mitbestimmungsfrei; die Zuständigkeiten des Aufsichtsrats nach DrittelbG bzw. MitbestG greifen also in diesem Fall noch nicht ein32.

29 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 15; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 38. 30 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 11; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 15; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 50; Wißmann in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 7; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 15. 31 BAG v. 16.4.2008 – 7 ABR 6/07, BAGE 126, 286 Rz. 13 ff.; Henssler/Michel, SAE 2009, 134, 136 ff.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 50; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 15; a.A. die früher überwiegende Ansicht (Nachw. bei Henssler/Michel a.a.O.). 32 BAG v. 16.4.2008 – 7 ABR 6/07, BAGE 126, 286 Rz. 17; Henssler/Glindemann, ZIP 2014, 2105, 2108 f.; Rieble in Bork/Schäfer, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 99. Der Konstruktion einer „Auffangzuständigkeit“ der Gesellschafterversammlung anstelle des an sich zuständigen, aber nicht gebildeten Aufsichtsrats (so Fedke, NZG 2017, 848 ff.) bedarf es daher nicht. Vielmehr ist vor Abschluss des Statusverfahrens noch gar keine Zuständigkeit des Aufsichtsrats begründet worden.

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Die Leitungsstruktur in der mitbestimmten GmbH | Rz. 1114 § 15

Nichts anderes gilt schließlich in dem umgekehrten Fall, dass die Aufsichtsratspflicht durch Absinken der Mitarbeiterzahl wieder entfällt. Auch in diesem Fall ist das Verfahren nach §§ 97 ff. AktG (entsprechend) anwendbar33. Befindet sich die GmbH hingegen erst im Gründungsstadium, also vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister, ist der Aufsichtsrat nicht obligatorisch: Einerseits werden die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze (mindestens 500 Arbeitnehmer) im Gründungsstadium regelmäßig nicht vorliegen; andererseits besteht aber nach zutreffender Ansicht auch in dem denkbaren Fall der Einbringung eines Unternehmens mit mehr als 500 bzw. 2000 Arbeitnehmern im Rahmen der Sachgründung keine Aufsichtsratspflicht34. Letzteres ergibt sich daraus, dass die Mitbestimmungsgesetze eine Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats nur für die bereits entstandene GmbH und nicht für die Vor-GmbH vorsehen. Die Eintragung der GmbH im Handelsregister kann daher nicht von der Bildung eines Aufsichtsrats abhängig gemacht werden. Die Geschäftsführer der GmbH sind erst nach der Eintragung verpflichtet, ein Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG einzuleiten.

1113

III. Die Leitungsstruktur in der mitbestimmten GmbH 1. Gesellschafterversammlung als oberstes Organ, Weisungsrecht Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft ist die GmbH hierarchisch organisiert: Oberstes Organ ist die Gesellschafterversammlung, deren Weisungen der/die Geschäftsführer unterworfen ist/sind (§ 37 Abs. 1 GmbHG)35. Die Bildung eines Aufsichtsrats infolge der Mitbestimmung verändert diese gesellschaftsrechtliche Struktur der GmbH nicht. Auch in den mitbestimmten Gesellschaften mbH bleibt die Gesell-

33 Allgemeine Ansicht, OLG Frankfurt a.M. v. 2.11.2010 – 20 W 362/10, NZG 2011, 353; LAG Frankfurt a.M. v. 29.7.2010 – 9 TaBVGa 116/10, Der Konzern 2011, 72; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 38; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 68 m.w.N. 34 BayObLG v. 9.6.2000 – 3Z BR 92/00, ZIP 2000, 1445 = AG 2001, 89 mit zust. Bespr. Halm, BB 2000, 1849 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 7, § 1 DrittelbG Rz. 22; K. Schmidt in Scholz, Komm. GmbHG, § 11 Rz. 61 m.w.N.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 51; a.A. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 169: für unmittelbare Anwendung der Mitbestimmungsvorschriften; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Komm. GmbHG, § 11 Rz. 53 ff.: vorsichtige Analogie zu §§ 30, 31 AktG; für analoge Anwendung des § 31 AktG auch Joost/Hoger in Lutter, Komm. UmwG, § 218 Rz. 16; Joost in FS Claussen, S. 194 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 158. 35 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 1, 17 ff.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 33 ff.; je m.w.N.

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§ 15 Rz. 1114 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

schafterversammlung das oberste Organ, ihr Weisungsrecht gegenüber den Geschäftsführern bleibt bestehen36. 1115

Nicht einheitlich beurteilt wird allerdings die Reichweite des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung in der paritätisch mitbestimmten GmbH. Aus dem Umstand, dass die Geschäftsführer in der paritätisch mitbestimmten GmbH (anders als in der mitbestimmungsfreien oder drittelmitbestimmten GmbH) nach § 31 Abs. 1 Satz 1 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 3 AktG nur aus wichtigem Grund abberufen werden können (Rz. 1133), wird im Schrifttum teilweise auf eine generelle normative Stärkung der Geschäftsführerstellung geschlossen; dieser gestärkten Stellung soll es entsprechen, in der paritätisch mitbestimmten GmbH einen weisungsfreien Bereich der laufenden Tagesgeschäfte anzuerkennen und das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung auf grundsätzliche oder für die Geschäftsführung wesentliche Fragen zu beschränken37. Dem ist jedoch in Übereinstimmung mit der h.L. nicht zu folgen38, da eine derartige Beschränkung des Weisungsrechts im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze findet und die für eine teleologische Reduktion erforderliche Anschauungslücke des Gesetzgebers nicht dargetan ist. Im Übrigen wird auch zum beherrschungsvertraglichen Weisungsrecht (§ 308 AktG), soweit ersichtlich, nirgends vertreten, dass dieses durch die paritätische Mitbestimmung in dem beschriebenen Sinn eingeschränkt wird39.

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Ebenso wenig lässt sich begründen, dass das Weisungsrecht in mitbestimmten Gesellschaften seine Grenze darin findet, dass die Weisung die Interessen der Arbeitnehmer nicht gröblich verletzen darf40. Dem Schutz der Arbeitnehmerbelange wird dadurch Rechnung getragen, dass Weisungen, die gegen zwingendes Arbeitsrecht 36 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = AG 1984, 48; BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 55; ebenso die ganz h.L., statt vieler Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 19; Paefgen in Ulmer/Habersack/ Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 31, 47; Beurskens in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 35; Oetker, ZIP 2015, 1461, 1463 f. m.z.N.; a.A. Naendrup in GK-MitbestG, § 25 Rz. 141 ff. und Reich/Lewerenz, AuR 1976, 261, 272 f., die Weisungsbefugnisse der Gesellschafter prinzipiell ausschließen und den Geschäftsführern der mitbestimmten GmbH aktienrechtliche Autonomie zuweisen wollen. 37 So etwa Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 20; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 62; im Erg. auch schon Säcker, DB 1977, 1845 Fn. 4. 38 Gegen eine derartige Beschränkung des Weisungsrechts auch Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 24; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 31; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 91; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 30 f. 39 Darauf verweisen auch Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 24; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 31; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 31. 40 So aber Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 138 f.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 37 Rz. 90. Wie hier ablehnend die ganz h.L., etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 32; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1309 f.; Stephan/Tieves, MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 52 m.w.N.

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Die Leitungsstruktur in der mitbestimmten GmbH | Rz. 1119 § 15

verstoßen, nichtig sind und von den Geschäftsführern nicht befolgt werden dürfen. Eine weitergehende Beschränkung des Weisungsrechts im Arbeitnehmerinteresse ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. 2. Ausübung des Weisungsrechts bei Maßnahmen, die einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats unterliegen Von besonderer Bedeutung ist für den Aufsichtsrat, dass die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer auch dann zu einer Maßnahme anweisen kann, wenn der Aufsichtsrat diese einem Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG (i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, Rz. 1129) unterworfen hat. Die Einzelheiten sind allerdings lebhaft umstritten.

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Nach verbreiteter Ansicht soll es bei Vorliegen einer Gesellschafterweisung, die den Geschäftsführern kein Ausführungsermessen belässt, von vornherein entbehrlich sein, die Maßnahme dem Aufsichtsrat zur Zustimmung vorzulegen, da dieser die Entscheidung der Gesellschafterversammlung ohnehin zu respektieren habe41; der Aufsichtsrat müsse lediglich von der angewiesenen Maßnahme in Kenntnis gesetzt werden42. Diese Auffassung lässt sich indes mit dem Wortlaut der § 111 Abs. 4 AktG, § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, der eine solche Einschränkung des Zustimmungsvorbehalts nicht vorsieht, nicht in Einklang bringen43. Ein Seitenblick auf das beherrschungsvertragliche Weisungsrecht zeigt im Gegenteil, dass das Gesetz auch in § 308 Abs. 3 AktG davon ausgeht, dass die Ausübung des Weisungsrechts den Zustimmungsvorbehalt nicht außer Kraft setzt44. Dass sich der Aufsichtsrat mit solchen Maßnahmen zu befassen hat, bedeutet auch keine sinnentleerte Förmelei, da eine Ablehnung der Maßnahme durch den Aufsichtsrat als zweck- oder gar rechtswidrig den Gesellschaftern Anlass geben wird, ihre Entscheidung zu überprüfen45.

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Verweigert der Aufsichtsrat seine Zustimmung, müssen die Geschäftsführer die Gesellschafter darüber unverzüglich informieren46. Soweit keine Anhaltspunkte für einen Sinneswandel der Gesellschafter vorliegen, wird man die Geschäftsführer zudem als verpflichtet ansehen müssen, von sich aus die Gesellschafterversammlung ein-

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41 So etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 75; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 233; Deilmann, BB 2004, 2253, 2256 („unnötiger Formalismus“); ebenso auch noch 6. Aufl. Rz. 1120. 42 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 75; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 233. 43 Gegen eine Außerkraftsetzung des Zustimmungsvorbehalts auch Oetker, ZIP 2015, 1461, 1465 ff.; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 50a; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 214; Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 136 ff. 44 Zu diesem Argument auch Oetker, ZIP 2015, 1461, 1467. 45 Ebenso Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 140 f.; Oetker, ZIP 2015, 1461, 1466. 46 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 34; vgl. auch § 308 Abs. 3 Satz 1 AktG.

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§ 15 Rz. 1119 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

zuberufen, um eine neuerliche Beschlussfassung herbeizuführen47. Die Gesellschafterversammlung kann sodann, sei es auf Vorlage der Geschäftsführer, sei es aus eigener Initiative48, durch Wiederholung der Weisung das Votum des Aufsichtsrats überspielen, sofern die Maßnahme nicht rechtswidrig ist. Ob für die Wiederholung der Weisung ein Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit genügt (§ 47 Abs. 1 GmbHG)49 oder eine Dreiviertelmehrheit nach § 111 Abs. 4 Sätze 3-4 AktG (i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG) erforderlich ist50, ist bisher ungeklärt. Der Wortlaut des Gesetzes und die auf die GmbH übertragbare ratio legis des qualifizierten Mehrheitserfordernisses, das gerade auch der Mitbestimmung im Aufsichtsrat Rechnung tragen soll51, sprechen für Letzteres.

IV. Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH 1. Überblick 1120

Auch dem Pflichtaufsichtsrat einer GmbH obliegt – wie dem Aufsichtsrat in der AG – vor allem die Aufgabe, die Geschäftsführung zu überwachen. Mit Ausnahme der Aufsichtsräte nach dem DrittelbG haben sie – wie in der AG – die Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen. Ebenso wie in der AG ist der Aufsichtsrat schließlich laut Satzung der GmbH oder kraft eigenen Beschlusses (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) zur Mitentscheidung (Zustimmung) bei einzelnen und wichtigen Maßnahmen der Geschäftsführung befugt. Diese Aufgaben haben die Aufsichtsratsmitglieder eigenverantwortlich, d.h. frei von Weisungen der Gesellschafter, wahrzunehmen52. 47 Generell für eine Einberufungspflicht in solchen Fällen Oetker, ZIP 2015, 1461, 1467 f. 48 § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG steht dem Initiativrecht der Gesellschafterversammlung nicht entgegen; ganz h.L., s. nur Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 34; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 67; Oetker, ZIP 2015, 1461, 1468; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 380. 49 So Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 74; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 326, 340 f.; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 15, 365, 380; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 254, 300; Bachmann, BOARD 2018, 152, 153; Deilmann, BB 2004, 2253, 2256; Schindeldecker, Die paritätisch mitbestimmte GmbH, 2014, S. 54 f.; 6. Aufl. Rz. 1120. 50 So Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 66 f.; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 47; Oetker, ZIP 2015, 1461, 1468 ff.; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 50a; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 92; Streicher, GmbHR 2014, 1188, 1192; zwischen MitbestG und DrittelbG differenzierend Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 217 ff. (qualifizierte Mehrheit nur im Rahmen des MitbestG). 51 Vgl. Ausschussbericht bei Kropff, Aktiengesetz, S. 156; Oetker, ZIP 2015, 1461, 1469. 52 Der Grundsatz der Weisungsunabhängigkeit folgt nach h.M. aus § 111 Abs. 5 AktG (Rz. 822), auf den die Mitbestimmungsgesetze jeweils Bezug nehmen. Von diesem Grundsatz kann im Pflichtaufsichtsrat auch die Satzung nicht abweichen (ganz h.M., Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 69b; E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 457; Rodewald/Wohlfarter, GmbHR 2013, 689, 690), und zwar auch nicht in

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Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1123 § 15

Gegenüber dem Aufsichtsrat der AG sind ausgenommen von seiner Zuständigkeit im Grunde nur die Befugnisse nach den §§ 124 Abs. 3 und 172 AktG, also die Befugnisse, Beschlussvorschläge der Gesellschafterversammlung zu unterbreiten und an der Feststellung des Jahresabschlusses mitzuwirken (diese Feststellung obliegt allein der Gesellschafterversammlung). Beim häufigsten Fall eines mitbestimmten Aufsichtsrats, dem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG, ist darüber hinaus aber auch die Befugnis zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern ausgenommen; diese bleibt den Gesellschaftern vorbehalten, soweit sie nicht ausnahmsweise durch Satzungsbestimmung an den Aufsichtsrat delegiert worden ist (Rz. 1134).

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2. Die Überwachung der Geschäftsführung a) Der Überwachungsauftrag Dem Aufsichtsrat der mitbestimmten GmbH obliegt grundsätzlich der gleiche Überwachungsauftrag wie dem Aufsichtsrat der AG; er hat die Geschäftsführung durch die Geschäftsführer (nach Auflösung der Gesellschaft auch die der Abwickler) nach den gleichen Maßstäben der Legalität, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überwachen53. Wie in der AG gehört zu seinem Kontrollbereich auch der Jahresabschluss54, dessen Feststellung allerdings der Gesellschafterversammlung obliegt.

1122

Der Aufsichtsrat hat insbesondere auch die Einrichtung eines Überwachungssystems zur frühzeitigen Erkennung der den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen durch die Geschäftsführung sowie dessen Tauglichkeit zu überwachen55. Zu der Einrichtung eines solchen Überwachungssystems ist der Vorstand einer AG nach § 91 Abs. 2 AktG verpflichtet. Zwar verweisen § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG und § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG nicht auf diese Vorschrift, doch wird darin lediglich eine allgemeine Pflicht aus dem Bereich ordnungsgemäßer Geschäftsführung (deklaratorisch) hervorgehoben. Dieser insoweit nur klarstellende Hinweis des AktG gilt deshalb auch für den oder die Geschäftsführer einer GmbH, wenn ein solches Früherkennungssystem nach Größe der Gesellschaft erforderlich ist; dies ist bei einer mitbestimmten GmbH (mehr als 500 Arbeitnehmer) im Zweifel anzunehmen. Für die Überwachung der Einrichtung eines solchen Instruments sowie seiner Tauglichkeit zur Früherkennung durch den Aufsichtsrat spricht insbesondere auch, dass der Abschlussprüfer einer GmbH insoweit nicht prüfungspflichtig ist (vgl. § 317 Abs. 4 HGB).

1123

der Einpersonen-GmbH im Verhältnis zwischen Alleingesellschafter und Anteilseignervertretern (so aber Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, S. 1, 13; Heidel, NZG 2012, 48, 54; dagegen zu Recht Spindler, ZIP 2011, 689, 694). 53 S. dazu schon Rz. 73 ff.; vgl. dazu auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 51 und Rz. 16; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 7 Rz. 1 ff. 54 S. hierzu auch Rz. 1131 sowie Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 21 und Rz. 82. 55 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 51; ähnlich Altmeppen, ZGR 1999, 300 ff.

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§ 15 Rz. 1124 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH 1124

Anders als in der AG ist dem Aufsichtsrat die Überwachung der Geschäftsführung aber nicht allein übertragen: Neben ihm ist auch die Gesellschafterversammlung der GmbH zur Überwachung der Geschäftsführung befugt. In die umfassenden Befugnisse der Gesellschafterversammlung, namentlich ihr Weisungsrecht gegenüber den Geschäftsführern (Rz. 1114 ff.), kann und darf der Aufsichtsrat nicht eingreifen. Wie dargelegt bleibt es der Gesellschafterversammlung unbenommen, die Geschäftsführer auch dann zu einer Maßnahme anzuweisen, wenn der Aufsichtsrat diese einem Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG (Rz. 1129) unterworfen und seine Zustimmung verweigert hat; ein entsprechender Gesellschafterbeschluss bedarf allerdings nach § 111 Abs. 4 Satz 4 AktG qualifizierter Mehrheit (str., Rz. 1119). b) Informationsrechte

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Überwachung ohne Kenntnis ist ausgeschlossen; Kenntnis des Aufsichtsrats aber beruht auf Information56. Dennoch findet das gesetzliche Informationssystem des Aktienrechts uneingeschränkt nur in den montanmitbestimmten Gesellschaften mbH Anwendung57. In den mitbestimmten Gesellschaften mbH nach dem DrittelbG und dem MitbestG sowie in den GmbHs mit einem Aufsichtsrat nach dem KAGB ist hingegen die Geschäftsführung von sich aus mangels gesetzlicher Verweisung auf § 90 Abs. 1 und 2 AktG zu keiner kontinuierlichen Berichterstattung an den Aufsichtsrat verpflichtet58. Zwar sind auch hier von der Geschäftsführung die Vorlageberichte im Zusammenhang mit zustimmungspflichtigen Geschäften und mit der Übersendung des Jahresabschlusses an den Aufsichtsrat zu erstatten. Auch stehen dem Aufsichtsrat und einzelnen seiner Mitglieder die in § 90 Abs. 3 AktG geregelten Rechte zu (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG), d.h. der Aufsichtsrat und einzelne seiner Mitglieder können jederzeit einen Bericht zu konkreten Angelegenheiten der Gesellschaft von der Geschäftsführung verlangen. Es besteht in diesem System also keine Pflicht der Geschäftsführung zu Regularberichten, wohl aber die Pflicht zur Beantwortung aller Fragen des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder sowie zur Erstattung aller angeforderten Berichte.

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Man würde die Verweisung der einschlägigen Gesetze auf § 90 Abs. 3 AktG allerdings missverstehen, wollte man daraus ableiten, der Aufsichtsrat könne die Frage 56 Zur Unterrichtung des Aufsichtsrats in der mitbestimmten GmbH s. ausführlich v. Hoyningen-Huene/Powietzka, BB 2001, 529. 57 § 3 Abs. 2 MontanMitbestG bzw. § 3 Abs. 1 Satz 2 MitbestErgG i.V.m. § 3 Abs. 2 MontanMitbestG verweisen insoweit global auf die Vorschriften des AktG. 58 Str.; wie hier: Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 55; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 260, 307 i.V.m. Rz. 134; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 22, 52; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 290; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 220; v. Hoyningen-Huene/Powietzka, BB 2001, 529, 530; Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 154; a.A. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 115, 235; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 87 i.V.m. Rz. 32; näher hierzu Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 753 ff., 758.

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Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1128 § 15

seiner Unterrichtung nachlässig behandeln. Sachgerechte Überwachung setzt regelmäßige und umfassende Information voraus; zu sachgerechter Überwachung aber ist der Aufsichtsrat auch hier verpflichtet (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 AktG). Auch in der GmbH ist der Aufsichtsrat deshalb verpflichtet, sich von der Geschäftsführung regelmäßig Bericht erstatten zu lassen59. Er kann dieser Pflicht zwar durch die regelmäßige Anforderung von Ad hoc-Berichten genügen, setzt sich dabei aber leicht der Gefahr von Pflichtverletzungen aus, indem er zeitliche und sachliche Berichtserfordernisse übersieht. Es ist deshalb jedem Pflichtaufsichtsrat dringend zu empfehlen, gestützt auf § 90 Abs. 3 AktG ein generelles Berichtsverlangen zu formulieren und darauf basierend eine allgemeine Informationsordnung zu erlassen60. Diese Ordnung sollte sich in der Regel und auf jeden Fall in den großen Gesellschaften mbH nach dem MitbestG an dem überlegten und bewährten System der Abs. 1 und 2 von § 90 AktG orientieren61. Insoweit kann auf die Ausführungen in § 6 (Rz. 191 und 317) Bezug genommen werden. c) Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführer Die Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats einer GmbH auf die Geschäftsführer außerhalb von Bestellung und Abberufung, Anstellung und Kündigung (dazu Rz. 1132 ff.) sind deutlich geringer als im Aktienrecht; teils fehlen bestimmte Befugnisse überhaupt, teils können sie von der Satzung beschränkt werden.

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In allen mitbestimmten GmbHs hat der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 3 AktG (i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG) das Recht, die Gesellschafterversammlung einzuberufen, wann immer er es für erforderlich hält62. Dieses Recht kann ihm durch die Satzung weder entzogen noch eingeschränkt werden. Diesem Recht kommt stärkeres Gewicht zu als in der AG, da eine solche Gesellschafterversammlung einfacher und mit geringeren Kosten durchgeführt werden kann und größere Kompetenzen hat als die Hauptversammlung in der AG. Auf diese Weise kann der Aufsichtsrat dem gegenüber den Geschäftsführern weisungsberechtigten Organ Gesellschafterversammlung seine – andere – Sicht zu Fragen der Geschäftsführung vortragen. Entscheidet allerdings die Gesellschafterversammlung im Sinne der Geschäftsführung und folgt sie also nicht der Sichtweise des Aufsichtsrats, so kann dieser nichts weiter unternehmen, als allenfalls zurückzutreten.

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59 Vgl. die parallelen Erwägungen des BGH für das freiwillig gebildete Aufsichtsorgan einer Publikums-Personengesellschaft: BGH v. 22.10.1979 – II ZR 151/77, WM 1979, 1425, 1427 = AG 1980, 109; dazu auch Hüffer, ZGR 1980, 320, 335. Wie hier auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 22, 52. 60 v. Hoyningen-Huene/Powietzka, BB 2001, 529, 530 ff.; Köstler/Müller/Sick, Aufsichtsratspraxis, Rz. 500; v. Schenck in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 1 Rz. 105; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 712 f. 61 Ebenso v. Hoyningen-Huene/Powietzka, BB 2001, 529, 531 f.; vgl. zum Ganzen ausführlich Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 753 ff. 62 Vgl. nur Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 53; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 310.

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§ 15 Rz. 1129 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH 1129

Für alle mitbestimmten Gesellschaften mbH ist § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG für anwendbar erklärt, wonach durch die Satzung oder den Aufsichtsrat bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen an die Zustimmung des Aufsichtsrats gebunden werden müssen. Auch dann, wenn die Satzung bereits Zustimmungsvorbehalte formuliert, bleibt es dem Aufsichtsrat unbenommen, weitere Vorbehalte anzuordnen und die satzungsmäßigen Vorbehalte zu verschärfen63. Die Satzung kann dieses Recht des mitbestimmten GmbH-Aufsichtsrats nach heute herrschender Ansicht ebenso wenig ausschließen oder einschränken wie in der AG (Rz. 114)64. Besteht ein Zustimmungsvorbehalt, ist dieser wie dargelegt nach zutreffender Ansicht auch dann zu beachten, wenn die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer zu der betreffenden Maßnahme angewiesen hat (Rz. 1118); eine Ablehnung der Maßnahme durch den Aufsichtsrat kann aber durch Wiederholung der Weisung mit qualifizierter Mehrheit (§ 111 Abs. 4 Satz 4 AktG) überspielt werden (Rz. 1119).

1129a

Demgegenüber soll der Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH nach herrschender Meinung nicht einmal subsidiär die Befugnis haben, eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer zu erlassen65. Dieser wichtige Einfluss auf die Geschäftsführung und ihre Steuerung soll in der GmbH nur den Gesellschaftern zustehen und dem Aufsichtsrat auch dann nicht, wenn die Gesellschafter von ihrer Befugnis keinen Gebrauch machen. Das ist für die paritätisch mitbestimmte GmbH, in der die Bestellungskompetenz beim Aufsichtsrat liegt, zu eng gesehen (näher Rz. 1143–1145).

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Und schließlich hat der Aufsichtsrat keine Befugnis, an der Feststellung des Jahresabschlusses der GmbH mitzuwirken. Diese Feststellung erfolgt in der GmbH stets durch die Gesellschafterversammlung66, nicht also wie in der Aktiengesellschaft durch ein Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat (§ 172 AktG). Damit ist der Aufsichtsrat in der GmbH von allen Entscheidungen über die Verwendung des 63 Umgekehrt kann der Aufsichtsrat einen in der Satzung angeordneten Vorbehalt aber nicht aufheben oder durch Erteilung einer „Generalzustimmung“ überspielen (s. Rz. 114 zur AG). 64 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 64; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 242; Raiser in Raiser/Veil/ Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 94 f.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 324; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 376; Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 151 f.; Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 132; abw. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 754; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 253: Satzung kann Vorbehalte selbst formulieren und damit für den benannten Gegenstand die Festlegung weiterer Vorbehalte durch den Aufsichtsrat sperren. 65 Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 236; Uwe H. Schneider/ Sven H. Schneider in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 37 Rz. 114; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 21; Raiser in Raiser/Veil/ Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 23. A.A. die Nachw. in Rz. 1145. 66 Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 89; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 233, 297; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 60; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 193.

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Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1132 § 15

finanziellen Ergebnisses (Jahresüberschuss) ausgeschlossen, insbesondere also von der Entscheidung, ob und welche Teile des Jahresüberschusses den Rücklagen zugeführt und welche an die Gesellschafter ausgeschüttet werden. 3. Prüfung des Jahresabschlusses und Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer Obwohl der Aufsichtsrat von der Feststellung des Jahresabschlusses ausgeschlossen ist, hat er in der mitbestimmten GmbH doch die Pflicht zur selbständigen Prüfung des von den Geschäftsführern aufgestellten Jahresabschlusses sowie des Lageberichts und des Vorschlags für die Verwendung des Bilanzgewinns67. Sofern die GmbH Mutterunternehmen i.S. des § 290 HGB ist, gilt dies auch für den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht (vgl. §§ 170, 171 AktG und die entsprechenden Verweise in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG und § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG). Diese Prüfungspflicht ist für den obligatorischen Aufsichtsrat zwingend und kann durch die Satzung nicht reduziert oder abbedungen werden68. Über das Ergebnis seiner Prüfung hat er an die Gesellschafterversammlung zu berichten (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG)69. Ferner hat der Aufsichtsrat bei prüfungspflichtigen GmbHs (§ 316 HGB) das Recht und die Pflicht, dem Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahresabschluss zu erteilen (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG)70, und er muss zu dem Ergebnis der Prüfung des Jahresabschlusses durch den Abschlussprüfer der Gesellschafterversammlung gegenüber Stellung nehmen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 AktG)71, eine Aufgabe, die der Aufsichtsrat – wie die soeben erwähnte Berichtspflicht – sehr ernst nehmen muss72.

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4. Personalentscheidungen a) Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH In den mitbestimmten Gesellschaften mbH nach dem MontanMitbestG und dem MitbestG ist die Bestellung der Geschäftsführer und der Widerruf ihrer Bestellung dem Aufsichtsrat zugewiesen (§ 12 MontanMitbestG, § 31 MitbestG i.V.m. § 84 AktG). Es gelten mithin die gleichen Regeln wie für die AG. Ob der Aufsichtsrat 67 S. hierzu auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 21, 82. 68 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 245; Müller, Beck’sches Hdb. GmbH, § 6 Rz. 88; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 82. 69 Dazu eingehend Lutter, AG 2008, 1 ff. 70 Die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung des Abschlussprüfers verbleibt jedoch bei der Gesellschafterversammlung (s. § 318 Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB). S. hierzu sowie allgemein zur Reform des Aufsichtsrats der mitbestimmten GmbH durch das KonTraG von 1998 Altmeppen, ZGR 1999, 291, 306 ff.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 317. 71 Vgl. dazu Rz. 176 ff. sowie OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, ZIP 2006, 756 ff. = AG 2006, 379 (RTV). 72 Vgl. erneut OLG Stuttgart v. 15.3.2006 – 20 U 25/05, ZIP 2006, 756 ff. = AG 2006, 379.

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§ 15 Rz. 1132 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

auch einen Vorsitzenden der Geschäftsführung ernennen kann, ist umstritten (vgl. dazu Rz. 1142, 1146). Die Zahl der Geschäftsführer ist im Gesetz nicht festgelegt. Da ebenso wie in der mitbestimmten AG nach MitbestG und MontanMitbestG auch hier ein Arbeitsdirektor zu bestellen ist, müssen auch hier mindestens zwei Geschäftsführer bestellt werden (s. Rz. 338). Ob und ggf. wie viele weitere Geschäftsführer darüber hinaus bestellt werden müssen oder können, ist in erster Linie Sache der Satzung, in zweiter Linie von der Gesellschafterversammlung zu entscheiden. Schweigen beide, so entscheidet der Aufsichtsrat selbst nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Gleiche gilt für die Dauer der Bestellung, die gemäß der hier anwendbaren Norm des § 84 Abs. 1 AktG fünf Jahre nicht überschreiten darf, wohl aber unterschreiten kann. 1133

Auch für eine Abberufung der Geschäftsführer vor Ablauf ihrer Bestellungszeit ist allein der Aufsichtsrat zuständig. Doch gilt auch insoweit das aktienrechtliche System, d.h. die Abberufung kann während der Laufzeit, für die der betreffende Geschäftsführer vom Aufsichtsrat bestellt worden ist, nur aus wichtigem Grund erfolgen (§ 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 3 AktG)73. bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG

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In den drittelmitbestimmten GmbHs nach DrittelbG steht dem Aufsichtsrat die Befugnis zur Bestellung und Abberufung des oder der Geschäftsführer nicht zu, da § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG nicht auf § 84 AktG Bezug nimmt. Diese Befugnis gehört daher – wie auch sonst im GmbH-Recht – zur Kompetenz der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG)74. Die Satzung kann mit dieser Aufgabe ein anderes Organ betrauen, also auch den Aufsichtsrat, aber auch einen nicht mitbestimmten Beirat oder Gesellschafterausschuss. Auch ist in diesen GmbHs kein Arbeitsdirektor vorgeschrieben, so dass die Bestellung auch nur eines Geschäftsführers von Gesetzes wegen ausreicht; alles andere ist Sache der Satzung bzw. der Gesellschafterversammlung. Da hier die Regeln des GmbH-Rechts unberührt weitergelten, ist die Gesellschafterversammlung auch für die Abberufung zuständig (soweit die Satzung diese Kompetenz nicht einem anderen Organ übertragen hat). Es gilt darüber hinaus § 38 GmbHG und nicht § 84 AktG; das hat zur Folge, dass die Geschäftsführer einerseits für eine beliebig lange oder kurze Zeit bestellt werden können75, dass sie andererseits aber auch in der Regel jederzeit und ohne dass ein wichtiger Grund vorliegen müsste, abberufen werden können. Die Satzung kann davon abweichen und die Abberufung an bestimmte Gründe oder allgemein auch an einen

73 Ganz h.M., etwa Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 29; Oetker, Erfurter Komm. zum Arbeitsrecht, § 31 MitbestG Rz. 7; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 58; a.A. Bernhardt/ Bredol, NZG 2015, 419, 423: teleologische Reduktion. 74 Statt aller Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 47; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 384. 75 Die Bestellung von Geschäftsführern auf Lebenszeit hat mancher GmbH schon sehr geschadet!

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Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1136 § 15

„wichtigen“ oder „sachlichen“ Grund binden76. Das gilt insbesondere für Geschäftsführer, die zugleich auch Gesellschafter dieser GmbH sind. b) Anstellungsvertrag und Kündigung aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH Aus der Bestellungskompetenz des Aufsichtsrats – soweit sie gegeben ist (Rz. 1132 f.) – folgt weiter, dass der Aufsichtsrat insoweit – also bei GmbHs nach MontanMitbestG und MitbestG, nicht aber nach DrittelbG – zum Abschluss des Anstellungsvertrages der Geschäftsführer berechtigt und verpflichtet ist77. Es gilt insoweit das Gleiche wie für die AG (Rz. 386 ff.). Die Kompetenz des Aufsichtsrats folgt notwendig aus der untrennbaren inneren Zusammengehörigkeit von Anstellung und Bestellung78. Auch kann eine verantwortliche und sachgerechte Auswahl vom Aufsichtsrat nur getroffen werden, wenn er dabei die vom Bewerber verlangten Anstellungsbedingungen mit in die Überlegungen einbeziehen und darüber mitentscheiden kann79.

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Die Gesellschafter können allerdings verbindlich Vergütungsrichtlinien erlassen, solange damit die personelle Auswahlfreiheit des Aufsichtsrats nicht entscheidend beeinträchtigt wird80. Nach Erlass des VorstAG81 ist die Frage entstanden, ob der Aufsichtsrat bei der Festsetzung der Vergütung der Geschäftsführer im Anstellungsvertrag an die Vorgaben des neu gefassten § 87 AktG (Rz. 401 ff.) gebunden ist. Die Frage ist zu verneinen, da § 25 MitbestG auf § 87 AktG bewusst keinen Bezug nimmt82. Jedoch ergibt sich schon aus allgemeinen Grundsätzen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. §§ 116, 76 Näher Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 38 Rz. 7 ff. und Lutter, ZIP 1986, 1195 m.w.N. 77 Heute einhellige Ansicht; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 58 = AG 1984, 48 (Reemtsma); Hohenstatt in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 35 Rz. 334; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 303; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 18; Paefgen in Ulmer/Habersack/ Löbbe, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 328; Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 10 Rz. 369; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 24; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 38 f. 78 Ebenso BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 52 ff. = AG 1984, 48. 79 Ebenso BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 52 ff. = AG 1984, 48. 80 Ebenso Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 40a; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 224; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 332; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 25; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 1688; Krieger, Personalentscheidungen, S. 288 f. m.w.N. 81 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2509. 82 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 6 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 40; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26 Rz. 77 f.; Raiser in Raiser/Veil/ Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 27; Schubert in Wißmann/ Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 94; Spindler, Münch-

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§ 15 Rz. 1136 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

93 Abs. 1 AktG), dass der Aufsichtsrat keine unangemessen überhöhte Vergütung festlegen darf83. Praktisch bedeutsamer ist daher die weitere Frage, ob die durch das VorstAG eingeführte zwingende Zuständigkeit des Aufsichtsratsplenums für die Vergütungsentscheidung (§ 107 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 87 AktG) auf die paritätisch mitbestimmte GmbH übertragbar ist oder die Delegation auf einen Ausschuss zulässig bleibt. Für Letzteres spricht, dass § 87 AktG keine Anwendung findet und daher bei wortlautgetreuer Auslegung auch die Verweisung des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG insoweit ins Leere geht84. Gänzlich zweifelsfrei ist diese Schlussfolgerung allerdings nicht, da der Zweck des Delegationsverbots (Verbesserung der Transparenz der Vergütungsfestsetzung85) auch betroffen ist, wenn das materielle Angemessenheitsgebot nicht § 87 AktG, sondern §§ 116, 93 AktG entnommen wird86. 1137

Spiegelbildlich zum Abschluss des Anstellungsvertrags fällt auch die Kündigung desselben in die Kompetenz des Aufsichtsrats87. Wird im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Geschäftsführers mit diesem ein Beratervertrag für die Zeit nach dem Ausscheiden abgeschlossen, so ist auch hierfür wegen des Sachzusammenhangs der Aufsichtsrat zuständig88. bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG

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In der drittelmitbestimmten GmbH nach DrittelbG stehen der Abschluss des Anstellungsvertrages und dessen Kündigung dagegen allein den Gesellschaftern zu (Annexkompetenz zu § 46 Nr. 5 GmbHG), sofern in der Satzung oder dem Bestellungsbeschluss kein anderes Organ ermächtigt wird. Der in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG in Bezug genommene § 112 AktG (Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat) wird insoweit verdrängt89.

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Komm. GmbHG, § 52 Rz. 391; a.A. Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 31 MitbestG Rz. 35. Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 391; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 40; s. auch schon BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/ 83, BGHZ 89, 48, 57 = AG 1984, 48 (Reemtsma). Gegen die Anwendbarkeit des Delegationsverbots daher Feddersen/v. Cube, NJW 2010, 576, 578 ff.; Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 6 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 41a; Schönemann, Die Vergütung der Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften, 2012, S. 116 ff. Begr. zum Fraktionsentwurf, BT-Drucks. 16/12278, S. 6. Für die Anwendbarkeit des Delegationsverbots daher Oetker in FS Säcker, S. 443, 455; Spindler in FS Uwe H. Schneider, S. 1287, 1294 ff.; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 393 m.w.N. S. zum Ganzen auch schon Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26 Rz. 77 f. („nicht zweifelsfrei“). Statt vieler Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 390; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 42. Leinekugel/Heusel, GmbHR 2012, 309, 314. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 104; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 77; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 390; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 250 i.V.m. Rz. 116.

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1141 § 15

c) Einfluss des AGG auf die Besetzung der Geschäftsführung Von zunehmender Bedeutung für die ordnungsgemäße Besetzung der Geschäftsführung ist die Beachtung der Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Unter den in § 7 i.V.m. § 1 AGG aufgelisteten Diskriminierungsverboten hat insbesondere die Benachteiligung wegen des Alters hervorgehobene praktische Bedeutung (s. bereits Rz. 343 ff. zur AG). Die Anwendung des AGG auf GmbH-Geschäftsführer bereitet allerdings Schwierigkeiten, da noch nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen die Geschäftsführer als Arbeitnehmer i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG oder als Organmitglieder i.S. des § 6 Abs. 3 AGG anzusehen sind. Ersterenfalls ist das AGG uneingeschränkt anwendbar, letzterenfalls nur in Bezug auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg (§ 6 Abs. 3 AGG).

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Für die Bestellung und Wiederbestellung von Geschäftsführern sowie den Abschluss des Anstellungsvertrags kann die Frage dahinstehen. Da hier der Zugang zur Erwerbstätigkeit i.S. des § 6 Abs. 3 AGG betroffen ist, ist das AGG allemal anwendbar90, also auch dann, wenn man die GmbH-Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer einstuft. Nicht gesagt ist damit, dass Benachteiligungen eines Bewerbers wegen des Alters per se unzulässig wären; sie bedürfen jedoch einer sachlichen Rechtfertigung nach §§ 8, 10 AGG91. Diese ist jedenfalls bei Anknüpfung einer Höchstaltersgrenze an die gesetzliche Regelaltersgrenze gegeben (§ 10 Satz 3 Nr. 5 AGG)92.

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Dagegen fallen die Kündigung des Anstellungsvertrags und die Abberufung nicht unter den Zugang zur Erwerbstätigkeit nach § 6 Abs. 3 AGG93. Insoweit kommt es daher für die Anwendbarkeit des AGG auf die Arbeitnehmereigenschaft der Geschäftsführer an. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind auch Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft (ungeachtet ihrer Organqualität nach nationalem Gesellschaftsrecht) als Arbeitnehmer im europarechtlichen Sinne anzusehen, sofern sie gegen Entgelt tätig werden, in die Gesellschaft eingegliedert sind, ihre Tätigkeit nach den Weisungen oder unter der Aufsicht eines anderen Gesellschaftsorgans ausüben und jederzeit ohne Einschränkung von ihrem Amt abberufen werden können94.

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90 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 10 = GmbHR 2012, 845; zuvor bereits Lutter, BB 2007, 725 ff.; kritisch – für Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 6 Abs. 3 AGG nur auf das Anstellungs-, nicht aber auf das Bestellungsverhältnis – Bauer/Arnold, NZG 2012, 921, 922; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 65 f. 91 Näher dazu BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 10 = GmbHR 2012, 845 Rz. 41 ff.; Lutter, BB 2007, 725, 727 f.; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1993 ff. 92 Ganz h.M., etwa Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 600; Lutter, BB 2007, 725, 727; Ziemons, KSzW 2013, 19, 26 f. m.w.N.; einschränkend in Bezug auf nicht sozialversicherungspflichtige Geschäftsführer aber Kort, WM 2013, 1049, 1053 f. Zur umstrittenen Frage der Zulässigkeit niedrigerer Altersgrenzen Rz. 346. 93 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 10 = GmbHR 2012, 845 Rz. 21; BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, ZIP 2019, 960 Rz. 18 ff. 94 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, Slg. I-11405 = AG 2011, 165 Rz. 51 (Danosa) (zur Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG); EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C2015:455 Rz. 39 (Balkaya) (zur Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG).

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§ 15 Rz. 1141 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

Nach diesen Kriterien ist ein Fremdgeschäftsführer der GmbH, der nach § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit abberufen werden kann und den Weisungen der Gesellschafterversammlung untersteht (§ 37 Abs. 1 GmbHG), als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinn anzusehen95. Gleiches muss konsequent auch für Gesellschafter-Geschäftsführer gelten, sofern sie jederzeit frei abberufen werden können und an der GmbH nur unwesentlich beteiligt sind, d.h. die Erteilung von Weisungen nicht zu steuern oder zu blockieren vermögen96. Es liegt überaus nahe, diese zu anderen Richtlinien ergangene Rechtsprechung auf die dem AGG zugrunde liegenden Antidiskriminierungsrichtlinien zu übertragen. Daraus folgt, dass im Wege richtlinienkonformer Auslegung auch Geschäftsführer einer mitbestimmungsfreien oder drittelmitbestimmten GmbH unter den genannten Voraussetzungen als Arbeitnehmer i.S. des § 6 Abs. 1 AGG anzusehen sind97. Anderes wird aber für Geschäftsführer einer paritätisch mitbestimmten GmbH gelten müssen, da diese nach § 84 Abs. 3 AktG i.V.m. § 31 Abs. 1 MitbestG nur aus wichtigem Grund abberufen werden können (Rz. 1133)98. d) Organisationskompetenz aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH 1142

Das MitbestG verweist nicht auf § 77 AktG. Daraus wird überwiegend abgeleitet, dass Geschäftsordnung und Geschäftsverteilung der Gesellschafterversammlung vorbehalten sind99. Der Aufsichtsrat könne deshalb auch weder bei der Bestellung noch im Anstellungsvertrag100 eine Verteilung der Geschäftsführungsbereiche der Geschäftsführer vornehmen. 95 So explizit für den Fremdgeschäftsführer einer deutschen GmbH EuGH v. 9.7.2015 – C229/14, ECLI:EU:C2015:455 Rz. 40 f. (Balkaya) mit Bespr. Forst, EuZW 2015, 664. 96 Forst, EuZW 2015, 664, 666. 97 Für Anwendung des § 6 Abs. 1 AGG daher jetzt auch BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, ZIP 2019, 960 Rz. 22 ff. (Fremdgeschäftsführer einer drittelmitbestimmten GmbH); ebenso zuvor bereits die überwiegende Ansicht, etwa Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 598 f.; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989 f.; Kort, NZG 2013, 601, 607; Schubert, ZIP 2013, 289, 290 f.; a.A. Bauer/Krieger/Günther, Komm. AGG, § 6 Rz. 35a: wegen Eindeutigkeit der Regelung sei kein Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung. 98 Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 45. Aus diesem Grund werden auch Vorstandsmitglieder einer AG überwiegend nicht als Arbeitnehmer i.S. des § 6 Abs. 1 AGG angesehen; s. Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 598 f.; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Kort, NZG 2013, 601, 606; grds. auch Kliemt, RdA 2015, 232, 237 f.; a.A. Ziemons, KSzW 2013, 19, 20. 99 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 21; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 139; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 37 Rz. 114 f.; Raiser in Raiser/ Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 30 MitbestG Rz. 15; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, Komm. MitbestG, § 30 Rz. 27; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 234; Schindeldecker, Die paritätisch mitbestimmte GmbH, 2014, S. 55 ff. 100 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 21; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 35 Rz. 236; insoweit anders Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 58.

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Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1146 § 15

Diese Auffassung ist nicht unbedenklich: Ebenso wie die Bestellung und die Anstellung bilden Bestellung und Geschäftsverteilung eine im Grunde untrennbare Einheit. Sachgerechte Personalauswahl kann nur funktionsbezogen erfolgen; ohne zugleich über den Aufgabenbereich befinden zu können, kann der Aufsichtsrat seiner Aufgabe zu sachgerechter Bestellung von Geschäftsführern kaum nachkommen. In Gesellschaften mit mehr als 2000 Mitarbeitern – und davon ist hier die Rede – sucht man eben für die Geschäftsführung einen Ingenieur, einen Chemiker, einen Verkaufschef oder einen Marketingexperten, einen Finanzchef oder Steuerfachmann, aber nicht jemanden, der irgendetwas kann. Es dürfte deshalb eher zutreffen, die Kompetenz der Gesellschafter auf die abstrakt-generelle Einrichtung der Geschäftsbereiche zu beschränken und die Zuweisung dieser Bereiche an bestimmte Personen dem Aufsichtsrat als Teil seiner Bestellungshoheit vorzubehalten101.

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Diese Überlegungen werden durch die Pflicht zur Bestellung eines Arbeitsdirektors nach § 13 MontanMitbestG, § 33 MitbestG bestätigt. Denn hier hat das Gesetz ein bestimmtes Ressort zwingend vorgeschrieben und den Aufsichtsrat angewiesen, es mit einer bestimmten, von ihm auszuwählenden Person zu besetzen. In diesen Vorgang kann die Gesellschafterversammlung nicht eingreifen102.

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Aus diesen Gründen wird man die Kompetenz der Gesellschafter zum Erlass einer Geschäftsordnung entgegen der h.M. nur als vorrangige, nicht als ausschließliche Befugnis gegenüber dem Aufsichtsrat verstehen müssen. Die Gesellschafter können eine Geschäftsordnung für die Geschäftsführer erlassen und sind dabei – anders als nach § 77 Abs. 2 Satz 2 AktG103 – nicht auf die Regelung von Einzelfragen beschränkt. Machen sie von diesem Recht aber keinen Gebrauch, steht dem Aufsichtsrat als Annex zu seiner Bestellungskompetenz die Befugnis zu, von sich aus die Geschäftsordnung zu regeln104.

1145

Die Entscheidung, ob ein Vorsitzender der Geschäftsführung zu bestellen ist, bleibt ebenfalls vorrangig der Gesellschafterversammlung vorbehalten; sie kann die Bestellung eines Vorsitzenden anordnen oder untersagen105. Verzichten die Gesellschafter aber auf eine Regelung, kann der Aufsichtsrat selbst entscheiden; ordnen sie die Bestellung eines Vorsitzenden an, obliegt seine Auswahl allein dem Aufsichtsrat106.

1146

101 Näher dazu Krieger, Personalentscheidungen, S. 294. 102 Diese Grenze der Geschäftsverteilungskompetenz seitens der Gesellschafterversammlung wird auch von der h.M. anerkannt; vgl. etwa Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 30 MitbestG Rz. 15 und Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 18. 103 S. dazu nur Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 77 Rz. 20 m.w.N. 104 Im Ergebnis ebenso Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 30 MitbestG Rz. 40 und näher Krieger, Personalentscheidungen, S. 294 ff.; a.A. die h.M. (Nachw. in Rz. 1142): subsidiäre Zuständigkeit der Geschäftsführer. 105 Ebenso Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 9. 106 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 9; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 10 m.w.N.; näher Krieger, Personalentscheidungen, S. 297 ff.; a.A. – Zuständigkeit der Gesellschafter-

465

§ 15 Rz. 1147 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG 1147

Alle diese Fragen entstehen in drittelmitbestimmten GmbHs nach dem DrittelbG nicht: Hier stehen alle diese Aufgaben und Kompetenzen allein der Gesellschafterversammlung zu. e) Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH

1147a

Zu den Aufgaben des Aufsichtsrats der paritätisch mitbestimmten GmbH107 gehört seit dem 1.5.2015 entsprechend der Parallelregelung in § 111 Abs. 5 AktG auch die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern (§ 52 Abs. 2 Satz 2 GmbHG)108. Mit der Zielgröße ist zugleich eine Frist für ihre Erreichung festzulegen, die nicht länger als fünf Jahre betragen darf (§ 52 Abs. 2 Sätze 4-5 GmbHG)109. Der Aufsichtsrat beschließt über die Zielgrößen und die Frist mit einfacher Mehrheit (Rz. 1156)110; er kann die Entscheidung auch an einen Ausschuss delegieren111.

1147b

Die Zielgrößen sind für den Aufsichtsrat und die Geschäftsführer jeweils gesondert festzulegen, da das Gesetz im Plural von „Zielgrößen“ und vom „jeweils“ erreichten Anteil spricht. Die Zielgröße für den Aufsichtsrat bezieht sich grundsätzlich auf das Gesamtgremium; der Aufsichtsrat kann aber für Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank auch getrennte Ziele beschließen112. Die festgelegten Ziele müssen nicht zwingend erreicht werden („weiche“ Quote), die Zielverfehlung als solche zieht keine Sanktionen nach sich. Insbesondere ergeben sich unstreitig keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern oder die Bestellung von Ge-

107

108 109 110 111 112

466

versammlung – Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 44; Schindeldecker, Die paritätisch mitbestimmte GmbH, 2014, S. 107 ff. Maßgeblich ist mit Blick auf § 96 Abs. 4 AktG (Rz. 1112) auch hier, dass die GmbH tatsächlich einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat gebildet hat (nicht, dass sie wegen Überschreitens der Schwelle von 2000 Arbeitnehmern einen solchen Aufsichtsrat bilden müsste); ganz h.L., s. nur Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 332 m.z.N.; a.A. Schüppen/Walz, WPg 2015, 1155, 1157. Eingefügt durch das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst vom 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. Nach § 5 GmbHG musste die erste Zielgröße spätestens am 30.9.2015 festgelegt werden, und die erstmals festzulegende Frist durfte nicht länger als bis zum 30.6.2017 dauern. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 341. § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG sehen für diesen Fall kein Delegationsverbot vor; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 104f; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 85e. Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 23; Kleinsorge in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 52; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 340; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 462; a.A. Oetker, Erfurter Komm. z. Arbeitsrecht, § 111 AktG Rz. 12: mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar.

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1147d § 15

schäftsführern113. Über die Erreichung der Ziele und ggf. die Gründe, warum sie nicht erreicht wurden, ist aber nach § 289f Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 HGB im Lagebericht zu berichten114. Bei fehlenden, unvollständigen oder fehlerhaften Erklärungen im Lagebericht drohen der Gesellschaft Bußgelder (§ 30 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 331 Nr. 1, 334 Abs. 1 Nr. 3 HGB)115. Liegt der Frauenanteil im Zeitpunkt der Festlegung der Zielgrößen unter 30 %, dürfen diese den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten (sog. Verschlechterungsverbot, § 52 Abs. 2 Satz 3 GmbHG). Der Aufsichtsrat muss daher vor Festlegung der Zielgrößen immer erst den Status quo ermitteln. Lag der Anteil bisher bei 0 %, kann die Zielgröße jedenfalls dann auch bei 0 % liegen, wenn dafür nachvollziehbare Gründe vorliegen116. Die Gesetzesmaterialien nennen als Beispiel, dass zwei männliche Gesellschafter zugleich die einzigen Geschäftsführer sind und eine Änderung nicht abzusehen und gewünscht ist117. Dasselbe wird aber auch gelten müssen, wenn die Geschäftsführer nicht zugleich Gesellschafter sind. Bei großen Gremien wie dem paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat mit 12, 16 oder 20 Mitgliedern (§ 7 Abs. 1 MitbestG) wird eine Zielgröße von 0 % dagegen in der Regel keiner sorgfaltsgemäßen Ermessensausübung entsprechen118. Erforderlich ist nach der ratio legis stets die Festlegung einer konkret überprüfbaren Zielgröße; eine pauschale Umschreibung (z.B. „angemessener“ Frauenanteil) genügt daher nicht119. Auch die Festlegung eines Zielkorridors (z.B. 20 % bis 30 %) wird teilweise für unzulässig gehalten120, was sich aus dem Gesetzeszweck jedoch nicht erschließt121.

1147c

Flankiert werden die Regelungen zum Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern durch die weitere Vorgabe des § 36 GmbHG: Danach sind die Geschäftsführer einer (paritätisch oder drittel-) mitbestimmten GmbH ihrerseits verpflichtet, jeweils Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer festzulegen122.

1147d

113 Allg.M., s. nur Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 90c; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 348. 114 Näher zu den Modalitäten der Berichterstattung Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 464 f.; Seibt in Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquoten, Rz. 313 ff. 115 Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 465; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 64t. 116 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123 („in besonderen Konstellationen“); ebenso Weller/Benz, AG 2015, 467, 471; weitergehend – 0 %-Zielgröße bei entsprechendem Status quo uneingeschränkt zulässig – Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 460; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 90b. 117 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 123. 118 Seibt in Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquoten, Rz. 291; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 20. 119 Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 462; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 90b; Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1161. 120 So Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 345 i.V.m. § 36 Rz. 15. 121 Für Zulässigkeit auch Herb, DB 2015, 964, 970; Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 936. 122 Weiterführend dazu etwa Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 462 ff.; Seibt in Hohenstatt/ Seibt, Geschlechter- und Frauenquoten, Rz. 297 ff.

467

§ 15 Rz. 1147e | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG 1147e

Für die GmbH mit einem Aufsichtsrat nach dem DrittelbG123 bestimmt § 52 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, dass die Festlegung der Zielgrößen für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und unter den Geschäftsführern grundsätzlich in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt124. Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass auch die Kompetenz zur Bestellung der Geschäftsführer in der drittelmitbestimmten GmbH bei der Gesellschafterversammlung liegt125.

1147f

Da es der Gesellschafterversammlung aber freisteht, die Bestellungskompetenz durch Regelung in der Satzung dem drittelmitbestimmten Aufsichtsrat zu übertragen (Rz. 1134), lässt das Gesetz konsequenterweise auch zu, dass die Gesellschafterversammlung die Kompetenz zur Festlegung der Zielgrößen für Aufsichtsrat und Geschäftsführung auf den Aufsichtsrat überträgt (§ 52 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz GmbHG). Wenngleich sich dies nicht aus dem Gesetzeswortlaut ergibt und nicht zweifelsfrei ist, soll hierfür eine Bestimmung in der Satzung erforderlich sein126. Ob eine Satzungsregelung, welche die Bestellungskompetenz dem Aufsichtsrat zuweist, zugleich als implizite Übertragung der Kompetenz zur Zielgrößenfestlegung angesehen werden kann, wird unterschiedlich beurteilt127. Dagegen spricht, dass jedenfalls theoretisch beide Kompetenzen unterschiedlichen Organen zugewiesen werden können.

1147g

Im Übrigen gelten für die Festlegung der Zielgrößen, die Fristbestimmung und die Berichterstattung im Lagebericht dieselben Anforderungen wie in der paritätisch mitbestimmten GmbH (Rz. 1147a ff.). Eine Besonderheit des DrittelbG besteht allerdings darin, dass es noch eine weitere (ältere) Regelung zum Geschlechterproporz vorsieht: Nach § 4 Abs. 4 DrittelbG sollen unter den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat Frauen und Männer entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Unternehmen vertreten sein. Dabei handelt es sich aber um eine reine Soll-Vorschrift, die nicht sanktionsbewehrt ist128. Eine Möglichkeit, bei Festlegung der Zielgröße für den Aufsichtsrat auch § 4 Abs. 4 DrittelbG Rechnung zu tragen, besteht 123 Maßgeblich ist mit Blick auf § 96 Abs. 4 AktG (Rz. 1112) auch insoweit, dass tatsächlich ein drittelmitbestimmter Aufsichtsrat gebildet wurde (nicht, dass die GmbH wegen Überschreitens der Schwelle von 500 Arbeitnehmern einen solchen Aufsichtsrat hätte bilden müssen); ganz h.L., s. nur Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 332 m.z.N.; a.A. Schüppen/Walz, WPg 2015, 1155, 1157. 124 Für die Zielgrößen betreffend die beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer bleiben dagegen die Geschäftsführer zuständig (§ 36 GmbHG, Rz. 1147d). 125 Bericht des Ausschusses für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, BT-Drucks. 18/ 4227, S. 26. 126 So Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 52; Wicke, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 25; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 333. 127 Verneinend Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 19; bejahend Röder/Arnold NZA 2015, 1281, 1282. 128 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 17; Kleinsorge in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 39; Veil in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 4 DrittelbG Rz. 15.

468

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1149 § 15

darin, die Zielgröße für Anteilseigner- und Arbeitnehmerbank ggf. gesondert festzulegen (Rz. 1147b)129. f) Bestellung von Prokuristen aa) Paritätisch mitbestimmte GmbH Die Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb ist nach § 46 Nr. 7 GmbHG Aufgabe der Gesellschafter. Diese fällen die interne Entscheidung; für den Bestellungsakt nach außen sind die Geschäftsführer zuständig130. Das MitbestG und das MontanMitbestG weichen davon zwar nicht ausdrücklich ab; nach verbreiteter Auffassung soll es aber wertungswidersprüchlich sein, der Gesellschafterversammlung das Recht zur Bestellung der Geschäftsführer zu nehmen, ihr aber die personalpolitische Entscheidungshoheit unterhalb der Geschäftsführung zu belassen. Deshalb müsse auch diese Kompetenz dem Aufsichtsrat, nach Meinung anderer den Geschäftsführern, zugemessen werden131. Dem ist nicht zuzustimmen132. Da die Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte der Weisung und Aufsicht durch die Geschäftsführer unterstehen, führt die Gesellschafterkompetenz zur Entscheidung über ihre Bestellung allenfalls zu leichten Friktionen gegenüber der Aufsichtsratskompetenz zur Bestellung der Geschäftsführer, nicht aber zu dem für eine teleologische Gesetzeskorrektur erforderlichen schwerwiegenden Wertungswiderspruch133.

1148

Dies ließe sich allenfalls dann anders beurteilen, wenn nachgeordnete Führungskräfte von der Aufsicht durch die Geschäftsführer und ihrer Weisungsbefugnis freigestellt werden könnten. Das jedoch widerspräche schon geltendem GmbH-Recht und widerspräche erst recht dem Grundgedanken des Mitbestimmungsrechts: Die Gesellschafter können zwar auf die Geschäftsführer einwirken, nicht aber auf das Personal unterhalb der Geschäftsführer134.

1149

129 Auf diese Möglichkeit verweisen auch Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 23; Kleinsorge in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 4 DrittelbG Rz. 52. 130 BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334, 336 = GmbHR 1985, 79; Hüffer/ Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 94 m.w.N. 131 Für Aufsichtsratskompetenz: Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl., § 25 MitbestG Rz. 67; Naendrup in GK-MitbestG, § 25 Rz. 133; für Geschäftsführerkompetenz: Säcker, Anpassung von Satzungen, S. 38. 132 Ablehnend auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 32; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 6; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 14; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 52. 133 Ausführlich zum Ganzen Krieger, Personalentscheidungen, S. 299 ff. sowie 4. Aufl. Rz. 945. 134 Näher Krieger, Personalentscheidungen, S. 303 ff.

469

§ 15 Rz. 1150 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

bb) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG 1150

Das zuvor unter Rz. 1148 f. Gesagte gilt erst recht für die drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG. 5. Mitwirkung auf Gesellschafterebene a) Paritätisch mitbestimmte GmbH

1151

Sind in der nach MontanMitbestG oder MitbestG mitbestimmten GmbH wesentliche Geschäftsführungsentscheidungen von vornherein den Gesellschaftern vorbehalten und haben diese darüber hinaus das Recht zu verbindlicher Anweisung an die Geschäftsführer, so gewinnt die Frage Bedeutung, ob und inwieweit der Aufsichtsrat hier zur Teilnahme an oder gar Überwachung der Gesellschafterversammlung berufen ist.

1152

Echte Mitentscheidungsbefugnisse stehen dem Aufsichtsrat insoweit nicht zu. Weder sind Gesellschafterentscheidungen unmittelbar von seiner Mitwirkung abhängig, noch kann er die Ausführung von Gesellschafterweisungen durch die Geschäftsführer verhindern. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, für die ein Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats (Rz. 1129) angeordnet ist, da die Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit (§ 111 Abs. 4 Satz 4 AktG) ein ablehnendes Votum des Aufsichtsrats überspielen kann (Rz. 1119). Auch hat der Aufsichtsrat keine Kompetenz und keine Mittel zur rechtlichen Durchsetzung einer Überwachung der Gesellschafterversammlung. Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats bezieht sich also allein auf den oder die Geschäftsführer135.

1153

Die Mitbestimmungsgesetze räumen dem Aufsichtsrat aber beratenden Einfluss ein, wenn sie seinen Mitgliedern – durch Verweisung auf §§ 118 Abs. 3, 125 Abs. 3 und 4 AktG – das Recht auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen (und auf vorherige Mitteilung der Tagesordnung mitsamt Beschlussvorschlägen) und das damit verbundene Recht zur Kundgabe ihrer Meinung zubilligen136. Dieses Recht ist zugleich Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder: Sie haben an den Gesellschafterversammlungen teilzunehmen und sind verpflichtet, den Gesellschaftern mit ihrem Rat und ihrer Meinung zur Verfügung zu stehen. Die Pflicht zur Beratung erstreckt sich in der GmbH auch auf die Geschäftsführung durch die Gesellschafter.

1154

Ob es in der Hand der Gesellschafter liegt, diese Teilnahme der Aufsichtsratsmitglieder durch Beschlussfassung außerhalb von Gesellschafterversammlungen auszuschließen und damit jeglichen Aufsichtsratseinfluss in bestimmten Fragen der Geschäftsführung zu hindern, wird kontrovers diskutiert. Zwar lässt sich dem Mit135 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 277; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 252; vgl. auch Martens, AG 1982, 113, 117 und Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 70 Fn. 55. 136 Vgl. dazu und zur Frage eines Auskunfts- und eines Beschlussantragsrechts der Aufsichtsratsmitglieder in den Gesellschafterversammlungen einer GmbH Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 147; Zöllner in FS Fischer, S. 905, 908 sowie Duden in FS Fischer, S. 95, 98.

470

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1156 § 15

bestG kein Verbot versammlungsloser Gesellschafterbeschlüsse entnehmen137, andererseits legt die durch § 118 Abs. 3 AktG bewusst eröffnete Teilnahmemöglichkeit durchaus die Erwägung nahe, dass die Gesellschafter vor versammlungsloser Beschlussfassung den Aufsichtsrat zumindest in Kenntnis setzen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen138. Mag dabei auch eine Information sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder nicht in Betracht kommen können, so spricht jedenfalls viel für eine Verpflichtung, zumindest durch Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden oder seines Präsidiums dem Gesamtorgan Gelegenheit zur Meinungsäußerung zu geben. b) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG In drittelmitbestimmten GmbHs entstehen alle diese Fragen nicht; der Aufsichtsrat hat keinen (personellen) Einfluss auf die Geschäftsführung und kann sich daher auch in solche Fragen auf der Ebene der Gesellschafterversammlung nicht einmischen. Allerdings steht auch diesem Aufsichtsrat gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG, §§ 118 Abs. 3, 125 Abs. 3 und 4 AktG ein Teilnahmerecht an den Gesellschafterversammlungen zu. Er hat also Anspruch auf rechtzeitige Unterrichtung von solchen Versammlungen und ihrer Tagesordnung, kann auf der Versammlung selbst sein Rederecht ausüben. Darüber hinaus können die Gesellschafter jederzeit seinen Rat in Anspruch nehmen.

1155

6. Innere Organisation des Aufsichtsrats a) Paritätisch mitbestimmte GmbH Hinsichtlich der inneren Organisation des Aufsichtsrats verweist § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG voll auf das AktG, also insbes. seine §§ 107 ff. Daher kann zunächst auf die obigen Rz. 651 ff. verwiesen werden. Es gelten jedoch einige Besonderheiten: (1) Über den Vorsitz im Aufsichtsrat entscheidet der Aufsichtsrat in dem besonderen Verfahren des § 27 MitbestG139. (2) Die Beschlussfähigkeit richtet sich nicht nach § 108 Abs. 2 AktG, sondern ist in § 28 MitbestG abschließend geregelt.

137 Wohl einhellige Ansicht; s. nur Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 91a; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 48 Rz. 29 m.w.N.; Zöllner in FS Fischer, S. 905, 915 ff. 138 So Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 148 f.; Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 48 Rz. 57 f. m.w.N.; nachdrücklich a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Komm. GmbHG, § 48 Rz. 29; Zöllner in FS Fischer, S. 905, 917 ff.; Säcker, NJW 1979, 1521, 1524; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 91a, je mit zahlreichen weiteren Nachw. 139 Näher dazu Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 27 MitbestG Rz. 3 ff.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 27 MitbestG Rz. 5 ff.

471

1156

§ 15 Rz. 1156 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

(3) Bei Abstimmungen gilt zunächst das Mehrheitsprinzip (§ 29 Abs. 1 MitbestG). Scheitert dieses aber durch ein Patt-Ergebnis, so ist eine zweite Abstimmung über den gleichen Gegenstand anzusetzen. Ergibt auch diese ein Patt, so hat der Aufsichtsratsvorsitzende zur Pattauflösung zwei Stimmen (Doppelstimmrecht nach § 29 Abs. 2 MitbestG)140. b) Drittelmitbestimmte GmbH nach DrittelbG 1157

In der drittelmitbestimmten GmbH gelten schlechthin die Regeln des Aktienrechts, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG. 7. Rechte und Pflichten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds

1158

Die Rechte und Pflichten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds unterscheiden sich bei allen mitbestimmten GmbHs in nichts von denjenigen in einer AG. Insbesondere gilt auch hier der Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 821). Die Satzung allgemein oder die Gesellschafterversammlung durch speziellen Beschluss legen die Vergütung des Aufsichtsrats fest; § 113 AktG ist anwendbar. Ferner dürfen Aufsichtsratsmitglieder auch hier nur in eingeschränktem Maße141 und nur mit Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats zusätzliche Aufgaben gegen Vergütung in der Gesellschaft übernehmen; § 114 AktG ist also ebenfalls anwendbar142. In Bezug auf § 115 AktG und die dort niedergelegten strengen Regeln für die Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder (Rz. 879) ist dagegen zu differenzieren: § 115 AktG gilt nur für die paritätisch mitbestimmte GmbH, nicht für die drittelmitbestimmte, da § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG (wie schon § 77 Abs. 1 BetrVG 1952) jene Vorschrift gerade nicht in Bezug nimmt. Da es sich um ein außergewöhnliches Geschäft handelt, dürfen die Geschäftsführer Kredite an Aufsichtsratsmitglieder aber auch in der drittelmitbestimmten GmbH nicht eigenmächtig vergeben, sondern müssen die Zustimmung der Gesellschafter einholen (§ 49 Abs. 2 GmbHG)143.

140 Zum Ganzen Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 29 MitbestG Rz. 9 ff.; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 29 MitbestG Rz. 5 ff., jeweils m.w.N. 141 Vgl. BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, ZIP 2006, 1529 = AG 2006, 667; BGH v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, ZIP 2007, 22 = AG 2007, 80; BGH v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1185 = AG 2007, 484; BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, ZIP 2012, 1807 = AG 2012, 712 (Fresenius). S. Rz. 858 ff. 142 Ungeachtet der starken Position der Gesellschafterversammlung in der GmbH kann die nach § 114 AktG erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats in der mitbestimmten GmbH nicht durch eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung ersetzt werden, da sonst der mitbestimmungsrechtliche Gehalt der Verweisung auf § 114 AktG unterlaufen würde; s. dazu Scheuffele/Baumgartner, GmbHR 2010, 400, 405; Lutter in FS H.P. Westermann, S. 1171, 1177; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 254 m.w.N. 143 Für Zustimmungserfordernis auch Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 255 i.V.m. Rz. 129 (allerdings ohne Bezugnahme auf § 49 Abs. 2 GmbHG); a.A. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 550.

472

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1161 § 15

8. Das besondere Weisungsrecht der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat aus § 32 MitbestG Ist eine paritätisch mitbestimmte GmbH Inhaberin von mehr als 25 % der Aktien oder Geschäftsanteile einer anderen paritätisch mitbestimmten AG oder GmbH, so steht allein den Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat der beteiligten GmbH für bestimmte wesentliche Entscheidungen „unten“ ein verbindliches Weisungsrecht gegenüber den eigenen Geschäftsführern zu, § 32 MitbestG.

1159

Wie sich dieses spezielle Weisungsrecht zum allgemeinen Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung verhält, ist unklar. Nach einer Ansicht besteht zwischen beiden kein Rangverhältnis, es bedürfe vielmehr einer Koordinierung beider Rechte, nach der die Vertreter der Anteilseigner im Aufsichtsrat ausnahmsweise den Weisungen der Gesellschafter unterstünden und verpflichtet seien, deren Weisungen in der Beschlussfassung nach § 32 MitbestG umzusetzen144. Dem wird entgegengehalten, § 32 MitbestG hindere die Gesellschafter nicht, die Entscheidung an sich zu ziehen und dem Vertretungsorgan Weisungen zu erteilen, soweit sie allgemein dazu berechtigt seien. Starr an § 32 MitbestG festzuhalten sei übertriebener Formalismus. In der Tat kann der Zweck des § 32 MitbestG, einer Kumulation der Mitbestimmung entgegenzuwirken145, auch durch eine direkte Entscheidung der Gesellschafter erreicht werden, und zwar dergestalt, dass auch die gesetzliche Zuständigkeitsordnung gewahrt bleibt. Folglich geht das allgemeine Weisungsrecht dem spezielleren des § 32 MitbestG vor146. 9. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder a) Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung) Verletzen die Mitglieder des mitbestimmten Aufsichtsrats – gleich ob Anteilseigneroder Arbeitnehmervertreter – ihre Pflichten gegenüber der GmbH, sind sie ihr gegenüber nach Maßgabe der §§ 116, 93 AktG zum Schadensersatz verpflichtet. Die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG) nehmen vollumfänglich auf § 116 AktG und damit auch auf § 93 AktG (mit Ausnahme des Abs. 2 Satz 3147) Bezug. Dies ist insofern bemerkenswert, als das Gesetz für den fakultativen Aufsichtsrat eine abweichende Regelung trifft: § 52 Abs. 1 GmbHG verweist ausdrücklich nur auf § 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG, nicht auf § 93 Abs. 3–6 AktG.

1160

Da die §§ 116, 93 AktG entsprechende Anwendung finden, kann hinsichtlich der Modalitäten der Haftung weitgehend auf die zur AG getroffenen Feststellungen

1161

144 Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 21. 145 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 1. 146 Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 27; Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Rz. 35; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 19; Streyl/Schaper, ZIP 2017, 410, 416. 147 S. dazu Rz. 1172 (kein notwendiger Selbstbehalt bei D&O-Versicherung).

473

§ 15 Rz. 1161 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

(Rz. 981 ff.) Bezug genommen werden. Haftungsbegründend ist also auch hier grundsätzlich jede schuldhafte Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder, die zu einem Schaden der Gesellschaft geführt hat148. Und ebenso wie in der AG ist es auch hier infolge der Beweislastumkehr (§§ 116, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG) Sache des in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieds, den Entlastungsbeweis der fehlenden Pflichtwidrigkeit oder des fehlenden Verschuldens zu führen, sofern die Gesellschaft nur ihrerseits dargetan hat, dass der Schaden auf einem zumindest möglicherweise pflichtwidrigen Verhalten des Aufsichtsrats beruht (Rz. 1018). 1162

Die Verweisung auf die aktienrechtlichen Vorschriften entbindet den Rechtsanwender jedoch nicht davon, den rechtsformspezifischen Besonderheiten der GmbH Rechnung zu tragen. Inwiefern sich daraus Modifikationen im Vergleich zur Rechtslage in der AG ergeben, ist noch nicht in allen Punkten hinreichend geklärt.

1163

Die in § 116 i.V.m. § 93 Abs. 3 AktG besonders hervorgehobenen Kardinalverstöße gegen ausgewählte Bestimmungen des AktG sind in der GmbH auf die jeweils funktional vergleichbaren Vorschriften des GmbH-Rechts zu beziehen, soweit sich solche finden lassen149. An die Stelle einer gegen § 57 AktG verstoßenden Einlagenrückgewähr (§ 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG) tritt also in der GmbH der Verstoß gegen § 30 GmbHG, an die Stelle eines gegen § 71 AktG verstoßenden Aktienrückerwerbs (§ 93 Abs. 3 Nr. 3 AktG) ein Verstoß gegen § 33 GmbHG usw.

1164

Anwendung findet nach herrschender, aber nicht unbestrittener Ansicht auch die weitreichende Haftung nach §§ 116, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG150. Nach diesen Vorschriften machen sich die Aufsichtsratsmitglieder haftbar, wenn sie es schuldhaft versäumen, die Geschäftsführer von verbotenen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, §§ 17, 19 InsO) abzuhalten. An die Stelle des in § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG genannten Zahlungsverbots nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG tritt dabei die Parallelvorschrift des § 64 Satz 1 GmbHG. Diese Haftung hat es in sich: Sie geht nach h.M. weiter als die allgemeine Ersatzpflicht nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG, da sie auch dann eingreift, wenn die vom Aufsichtsrat nicht verhinderte Zahlung die insolvente Gesellschaft nicht geschädigt, sondern nur die Insolvenzmasse geschmälert hat (wie z.B. die Tilgung einer Verbindlichkeit). Damit offen148 Dies gilt auch, wenn die Aufsichtsratsmitglieder (nahezu) unentgeltlich tätig werden. Die vereinsrechtliche Haftungsprivilegierung des § 31a BGB ist nach zutreffender h.M. nicht analog anwendbar; s. Verse in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG Rz. 2; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 187; jew. m.w.N. 149 Näher dazu etwa Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 686; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 209. 150 Habersack, JZ 2011, 1191, 1192 a.E.; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 258; Schürnbrand, NZG 2010, 1207, 1209 f.; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 686; Weller, GWR 2010, 541, 543; wohl auch (obiter) BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = AG 2010, 785 = GmbHR 2010, 1200 Rz. 21 (Doberlug); z.T. abweichend Kiefner/Langen, NJW 2011, 192, 195: Anwendung nur auf den paritätisch mitbestimmten, nicht den drittelmitbestimmten GmbH-Aufsichtsrat (teleologische Reduktion); kritisch auch Noack in FS Goette, S. 345, 353 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 209.

474

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1167 § 15

bart sich an dieser Stelle ein beträchtliches Haftungsgefälle zwischen obligatorischem und fakultativem GmbH-Aufsichtsrat. Für den fakultativen Aufsichtsrat hat es der BGH nämlich bei der Schadensersatzhaftung nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG bewenden lassen, da § 52 Abs. 1 GmbHG nur hierauf und nicht auf § 93 Abs. 3 GmbHG verweist151. Von größerer Bedeutung als in der AG ist in der GmbH wegen der umfassenden Befugnisse der Gesellschafterversammlung die entsprechende Anwendung des § 116 i.V.m. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG. Danach können weder die Geschäftsführer noch die sie überwachenden Aufsichtsratsmitglieder für einen Schaden verantwortlich gemacht werden, der auf der Befolgung einer rechtmäßigen und damit verbindlichen Weisung der Gesellschafter an die Geschäftsführer beruht152.

1165

Gleichfalls entsprechend anwendbar ist nach herrschender Ansicht § 116 i.V.m. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG153. Nach diesen Vorschriften ist ein Verzicht auf einen entstandenen Ersatzanspruch nur zulässig, wenn seit Anspruchsentstehung drei Jahre vergangen sind (Ausnahme § 93 Abs. 4 Satz 4 AktG), die Gesellschafterversammlung zugestimmt und nicht eine Gesellschafterminderheit von mindestens 10 % des Stammkapitals Widerspruch erhoben hat154. Die Anwendung dieser Einschränkungen führt allerdings zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass für den Haftungsverzicht hinsichtlich der Aufsichtsratsmitglieder strengere Voraussetzungen gelten als bei der Haftung der Geschäftsführer155. Im Umkehrschluss zu § 52 Abs. 1 GmbHG wird darin jedoch überwiegend eine bewusste und damit hinzunehmende Entscheidung des Gesetzgebers gesehen156.

1166

Ganz ähnliche Ungereimtheiten zeigen sich bei der Frage, ob die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bereits vorab durch Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag oder durch sonstige Vereinbarungen abgemildert werden kann (z.B. durch Begrenzung

1167

151 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = AG 2010, 785 = GmbHR 2010, 1200 (Doberlug); im Schrifttum sehr str., s. dazu noch Rz. 1228. 152 Näher dazu Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 687. 153 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 264, 307; Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 35; Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 63; Rieble in Bork/Schäfer, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 139; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 688; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 210; a.A. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 644 (allerdings ohne Unterscheidung nach obligatorischem und fakultativem Aufsichtsrat). 154 Auch eine innerhalb der Dreijahresfrist erteilte Entlastung hat somit (anders als beim fakultativen Aufsichtsrat) keine haftungsbefreiende Wirkung; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 64. 155 Auf Ansprüche gegen die Geschäftsführer kann in den Grenzen des § 43 Abs. 3 GmbHG auch schon vor Ablauf der Dreijahresfrist und gegen den Willen der Minderheitsgesellschafter verzichtet werden; statt aller Fleischer, MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 281; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 264. 156 S. etwa Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 264, 307; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 210: „als klare gesetzliche Anordnung zu respektieren“.

475

§ 15 Rz. 1167 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit oder Abkürzung der fünfjährigen Verjährungsfrist nach § 93 Abs. 6 AktG). Die überwiegende Ansicht betrachtet die Haftung als zwingend157 und weiß sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtslage in der AG158. Geht man mit der h.M. von der Anwendbarkeit der Verzichtsbeschränkungen nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG aus (Rz. 1166), ist die Annahme einer zwingenden Haftung in der Tat konsequent. Unbefriedigend ist allerdings auch hier wieder, dass die Aufsichtsratsmitglieder damit strenger behandelt werden als die Geschäftsführer; für Letztere ist die Zulässigkeit von Haftungserleichterungen heute im Grundsatz anerkannt159. 1168

Über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Aufsichtsratsmitglieder entscheidet vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 8 GmbHG analog)160. Bei pflichtwidrigem Unterbleiben der Geltendmachung kommt auch in Betracht, dass einzelne Gesellschafter den Anspruch im Wege der actio pro socio durchsetzen161. Die Gläubiger der Gesellschafter können den Anspruch nur, aber immerhin unter den engen Voraussetzungen des § 93 Abs. 5 AktG unmittelbar selbst geltend machen162; im Übrigen sind sie auf den Umweg der Pfändung und Überweisung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft verwiesen. b) Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten (Außenhaftung)

1169

Wie in der AG begründen die entsprechend anwendbaren §§ 116, 93 AktG nur eine Innenhaftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft. Eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Gesellschaftern, Gläubigern oder Dritten (Außenhaftung) kann sich nur aus anderen Anspruchsgrundlagen ergeben, wobei primär an deliktische Ansprüche (§§ 823 ff. BGB) zu denken ist. Eine solche Haftung

157 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 63; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 622; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 256, 307; a.A. Altmeppen, ZIP 2010, 1973, 1978; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 644. 158 S. nur Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 4 m.w.N. 159 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197; eingehend Fleischer, MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 299 ff. m.w.N. 160 Für analoge Anwendbarkeit des § 46 Nr. 8 GmbHG auch K. Schmidt in Scholz, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 146; Wicke, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 19 a.E.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 59 m.w.N.; abw. Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 624. 161 Nach vordringender und heute wohl herrschender Ansicht erstreckt sich der Anwendungsbereich der actio pro socio nicht nur auf Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter, sondern auch auf Ansprüche gegen ihre Organwalter; s. K. Schmidt in Scholz, Komm. GmbHG, § 46 Rz. 161; Verse in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 124; Verse in FS Uwe H. Schneider, S. 1325, 1333 f. m.w.N. 162 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 265, 307; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 210; a.A. – kein Verfolgungsrecht – Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 694.

476

Aufgaben und Kompetenzen des Pflichtaufsichtsrats in der GmbH | Rz. 1171 § 15

wird sich jedoch nur selten begründen lassen; auf die entsprechenden Ausführungen zur AG kann Bezug genommen werden (Rz. 1027 ff.). Von praktischer Bedeutung ist namentlich die Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO), die neben das insolvenzrechtliche Zahlungsverbot aus § 64 Satz 1 GmbHG (Rz. 1164) tritt. Die Stellung des Insolvenzantrags obliegt zwar nach § 15a Abs. 1 InsO dem Vertretungsorgan, in der GmbH mithin den Geschäftsführern. Der Aufsichtsrat hat aber die Erfüllung dieser Pflicht durch die Geschäftsführer zu überwachen. Stellen die Aufsichtsratsmitglieder fest, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist (§§ 17, 19 InsO), haben sie die Geschäftsführer dazu anzuhalten, rechtzeitig den Insolvenzantrag zu stellen163. Leisten diese der Aufforderung keine Folge, muss der paritätisch mitbestimmte Aufsichtsrat die Geschäftsführer abberufen. Der drittelmitbestimmte Aufsichtsrat, der keine eigene Kompetenz zur Abberufung hat, muss die Gesellschafterversammlung einberufen und diese von der Insolvenzreife unterrichten164. Bleiben die Aufsichtsratsmitglieder trotz Kenntnis der Insolvenzreife hinter diesen Anforderungen zurück, sind auch sie als Gehilfen (§ 830 Abs. 2 BGB) für die Insolvenzverschleppung haftbar165.

1170

Ist die Gesellschaft ausnahmsweise führungslos, d.h. ohne Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO) – etwa weil die bisherigen Geschäftsführer ihr Amt niedergelegt haben und noch kein neuer bestellt ist –, geht die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO nicht wie in der AG auf die Aufsichtsratsmitglieder, sondern auf die Gesellschafter über. Diese Regelung leuchtet für die GmbH mit fakultativem oder drittelmitbestimmtem Aufsichtsrat unmittelbar ein, da hier die Gesellschafter für die Bestellung der Geschäftsführer verantwortlich sind. Bei der paritätisch mitbestimmten GmbH spricht dagegen die Bestellungskompetenz des Aufsichtsrats (§ 31 MitbestG) eigentlich dafür, die Antragspflicht entsprechend der Rechtslage in der AG den Aufsichtsratsmitgliedern aufzubürden166. Für eine Korrektur des Wortlauts des § 15a Abs. 3 InsO ist gleichwohl kein Raum: Es fehlt an einer planwidrigen Lücke, da der Gesetzgeber ausweislich der Materialien den Fall einer GmbH mit Aufsichtsrat gesehen und eine Ersatzzuständigkeit desselben verworfen hat167. Die Antragspflicht der Gesellschafter entbindet die Aufsichtsratsmitglieder aber nicht davon, auf eine rechtzeitige Antragstellung durch die Gesellschafter oder neu zu bestellende Geschäftsführer hinzuwirken.

1171

163 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, AG 2009, 404 = GmbHR 2009, 654 Rz. 15 (zur AG). 164 Haas in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 64 Rz. 248; Strohn, NZG 2011, 1161, 1163. 165 Näher dazu Strohn, NZG 2011, 1161, 1163. 166 So denn auch Haas in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 64 Rz. 233; Habersack, JZ 2010, 1191, 1192; Thiessen, ZGR 2011, 275, 289. 167 Vgl. Rechtsausschuss, BT-Drucks. 16/9737, S. 56; wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, Vor § 64 Rz. 62; Schmidt-Leithoff/Schneider in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, Vor § 64 Rz. 66.

477

§ 15 Rz. 1172 | Der Pflichtaufsichtsrat einer GmbH

c) D&O-Versicherung 1172

Zur Versicherung des Haftungsrisikos werden zunehmend auch in Gesellschaften mbH D&O-Versicherungen abgeschlossen, die bei Existenz eines Aufsichtsrats typischerweise neben den Geschäftsführern auch die Aufsichtsratsmitglieder als versicherte Personen miteinschließen. Ein Selbstbehalt der Aufsichtsratsmitglieder muss dabei ebenso wenig vereinbart werden wie in der AG, da § 116 AktG nicht auf § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG verweist. Auch im Übrigen kann auf die Ausführungen zur AG Bezug genommen werden (Rz. 1033 ff.).

V. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse 1173

In Umsetzung von Art. 39 der geänderten Abschlussprüferrichtlinie168 stellt das Gesetz für Unternehmen und damit auch GmbHs von öffentlichem Interesse besondere Anforderungen auf, die sich auf die Bildung eines Prüfungsausschusses beziehen. Unter den Begriff der Unternehmen von öffentlichem Interesse (Art. 2 Nr. 13 Abschlussprüfer-RL) fallen zum einen die in der Sprache des deutschen Gesetzes kapitalmarktorientierten Gesellschaften (§ 264d HGB), d.h. solche, die im organisierten Markt (§ 2 Abs. 11 WpHG) gehandelte Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere (z.B. Genussscheine) ausgegeben oder die Zulassung zum Handel am organisierten Markt beantragt haben. Zum anderen fallen darunter CRR-Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG (mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KWG genannten Institute) sowie Versicherungsunternehmen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 91/674/EWG.

1174

Hat eine GmbH von öffentlichem Interesse einen Aufsichtsrat, wie dies in der hier interessierenden mitbestimmten GmbH der Fall ist169, gewährt das deutsche Recht diesem ein Wahlrecht, ob er einen Prüfungsausschuss einrichtet oder dessen Aufgaben selbst wahrnimmt. Das Wahlrecht ergibt sich wie in der AG (Rz. 755) aus der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG („kann“), auf die die Mitbestimmungsgesetze Bezug nehmen (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG)170.

168 Richtlinie 2006/43/EG vom 17.5.2006, ABl. EU Nr. L 157 v. 9.6.2006, S. 87; zuletzt geändert durch Art. 1 Richtlinie 2014/56/EU vom 16.4.2014, ABl. EU Nr. L 158 v. 27.5.2014, S. 196. 169 Zu dem Fall, dass eine GmbH von öffentlichem Interesse keinen (auch keinen fakultativen) Aufsichtsrat hat, s. noch Rz. 1232. 170 Zur Frage der Richtlinienkonformität dieser nur fakultativen Ausgestaltung des Prüfungsausschusses eingehend Hoffmann, NZG 2016, 441 ff. mit dem Hinweis, dass als Rechtsgrundlage nicht Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 (so aber Begr. RegE AReG, BT-Drucks. 18/7219, S. 30, vorletzter Spiegelstrich), sondern nur Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie in Betracht kommt. Der deutsche Gesetzgeber hätte daher die Unternehmen von öffentlichem Interesse, die keinen Prüfungsausschuss bilden, zu der Erklärung nach Art. 39 Abs. 4 Satz 2 anhalten müssen (Erklärung, dass der Aufsichtsrat die Aufgaben übernimmt und wie er zusammengesetzt ist).

478

Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse | Rz. 1177–1180 § 15

Die Aufgaben des Prüfungsausschusses erstrecken sich, wiederum wie in der AG (Rz. 756 ff.), auf die Überwachung der Rechnungslegung, der Wirksamkeit der internen Kontroll-, Risikomanagement- und Revisionssysteme sowie der Abschlussprüfung (§ 107 Abs. 3 Sätze 2-3 AktG, Art. 39 Abs. 6 Abschlussprüfer-RL). Auch das Erfordernis, dass in einem Unternehmen von öffentlichem Interesse mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss (Finanzexperte) und die Ausschussmitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen (§§ 107 Abs. 4, 100 Abs. 5 AktG, Rz. 759), gilt in der GmbH nicht anders als in der AG. Wenn der Aufsichtsrat einen Vorschlag für die Wahl des Abschlussprüfers unterbreitet, muss dieser Vorschlag auch in einer GmbH von öffentlichem Interesse auf eine Empfehlung des Prüfungsausschusses gestützt werden (§ 124 Abs. 3 Satz 2 AktG analog)171.

1175

Sieht der Aufsichtsrat von der Bildung eines Prüfungsausschusses ab, muss er dessen Aufgaben selbst wahrnehmen; auch das Erfordernis des Finanzexperten und der Sektorvertrautheit der Gesamtheit der Mitglieder sind dann auf das Aufsichtsratsplenum zu beziehen (§ 6 Abs. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG i.V.m. § 100 Abs. 5 AktG).

1176

Einstweilen frei.

1177– 1180

171 Anders als § 52 Abs. 1 GmbHG für den fakultativen Aufsichtsrat verweisen die Mitbestimmungsgesetze zwar nicht explizit auf § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG. Dies beruht aber ersichtlich auf einem Redaktionsversehen, das mit Blick auf Art. 39 Abs. 6 lit. f Abschlussprüfer-RL i.V.m. Art. 16 Abschlussprüfer-VO im Wege unionsrechtskonformer Auslegung zu korrigieren ist; ebenso (zu Art. 41 Abs. 3 Abschlussprüfer-RL a.F.) Braun/ Louven, GmbHR 2009, 965, 969; Gernoth, NZG 2010, 292, 295; ferner Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 299.

479

480

§ 16 Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH I. Überblick Jede Aktiengesellschaft muss einen Aufsichtsrat haben, nur die Zahl seiner Mitglieder und deren Zusammensetzung hängen von der Größe der Gesellschaft, der Zahl ihrer Arbeitnehmer und dem Tätigkeitsbereich des Unternehmens ab. In der GmbH gibt es den Aufsichtsrat als Pflichtorgan im Grundsatz nicht. Nur ausnahmsweise – und gemessen an der Zahl von heute mehr als 1,25 Mio.1 GmbHs ist es tatsächlich nach wie vor die Ausnahme – ist ein Aufsichtsrat spezialgesetzlich vorgeschrieben: zum einen, sofern die Gesellschaft mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, nach den Mitbestimmungsgesetzen (DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG, MitbestErgG) und zum anderen für externe Kapitalverwaltungsgesellschaften nach dem Kapitalanlagegesetzbuch (§ 18 Abs. 2 KAGB)2.

1181

Vor diesem Hintergrund erlaubt das Gesetz in § 52 Abs. 1 GmbHG der mitbestimmungsfreien und nicht dem § 18 Abs. 2 KAGB unterfallenden GmbH die Einführung eines fakultativen Aufsichtsrats. Aber das Gesetz erlaubt nicht nur die Einführung, sondern auch seine individuelle Ausgestaltung: Während die Rechte und Pflichten jedes Pflichtaufsichtsrats nach AktG, DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG, MitbestErgG und KAGB im Gesetz festgelegt sind, können die Rechte und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats nach § 52 GmbHG nahezu beliebig gestaltet werden (vgl. § 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG). Nur dann und nur insoweit, wie die Satzung der betreffenden GmbH von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, verweist das Gesetz mit § 52 GmbHG auf bestimmte Regeln des AktG: Es gilt dann – hinsichtlich der Rechte und Pflichten, nicht hinsichtlich der Zusammensetzung – weitgehend das Gleiche wie für den Pflicht-Aufsichtsrat nach DrittelbG.

1182

II. Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats 1. Einrichtung durch Satzung, Öffnungsklausel Grundlage der Einrichtung eines solchen fakultativen Aufsichtsrats ist die Satzung der betreffenden GmbH. Ein einfacher Gesellschafterbeschluss oder schuldrechtliche Vereinbarungen genügen nicht3. Die Regelung in der Satzung kann aber auch noch

1 Vgl. die Erhebung von Kornblum, GmbHR 2018, 669, 670: 1 252 915 GmbHs (incl. 133 576 UG) (Stand: 1.1.2018). 2 S. dazu im Einzelnen unter § 15 (Rz. 1091 ff.). 3 Allgemeine Ansicht, s. nur Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 34 f. m.w.N.

481

1183

§ 16 Rz. 1183 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

nachträglich durch Satzungsänderung eingeführt werden4. Ungesichert war bisher, ob es auch genügt, wenn die Satzung lediglich eine Ermächtigung (Öffnungsklausel) enthält, durch Gesellschafterbeschluss einen Aufsichtsrat einzuführen, und auf dieser Grundlage dann ein einfacher, nicht den Anforderungen einer Satzungsänderung (§§ 53 f. GmbHG) genügender Gesellschafterbeschluss gefasst wird. Der BGH hat diese Möglichkeit nunmehr im Anschluss an die schon bisher überwiegende Ansicht5 ausdrücklich gebilligt, sofern die Ermächtigung ausreichend bestimmt ist6. Hierfür ist es notwendig, aber auch ausreichend, wenn die Öffnungsklausel neben der Grundsatzentscheidung über die Möglichkeit der Einrichtung eines Aufsichtsrats die wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrats – die Überwachungsfunktion – benennt und, sofern weitere Kompetenzen übertragen werden sollen, diese jedenfalls in den Grundzügen aufführt7. Diese Rechtsprechung verdient Zustimmung; sie ist konsequent, da Öffnungsklauseln auch sonst als ausreichend angesehen werden, sofern sie sich auf konkret bestimmte Satzungsbestimmungen beziehen8. 1184

Die Satzung kann sich darauf beschränken, die Einrichtung des Aufsichtsrats in der GmbH anzuordnen. Geschieht nicht mehr, so gelten für die Rechte und Pflichten dieses Aufsichtsrats im Wesentlichen die obigen Ausführungen (Rz. 1091 ff.) zum Aufsichtsrat nach DrittelbG; denn die dann maßgebende Verweisung des § 52 Abs. 1 GmbHG auf bestimmte Vorschriften des AktG entspricht weitgehend9 der Verweisung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG. Die Satzung kann aber auch vielfache Einzelregelungen treffen. Soweit das geschieht, verdrängen diese statutarischen Regelungen diejenigen des AktG bis auf wenige Grundsätze, die unabdingbar sind und nachstehend ausdrücklich erwähnt werden.

1185

Wie der freiwillige Aufsichtsrat der nicht mitbestimmten GmbH durch die ursprüngliche Satzung oder eine Satzungsänderung geschaffen werden kann, so kann er durch entsprechende Satzungsänderung auch jederzeit wieder abgeschafft werden10. Dafür genügt in Abwesenheit abweichender Satzungsregeln die qualifizierte Mehrheit (§ 53 4 Statt aller Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 16, 25; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 4. 5 Statt vieler Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 7; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 8; Otto, GmbHR 2016, 19 ff.; Priester, NZG 2016, 774 ff. 6 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, GmbHR 2019, 988 Rz. 59 ff.; anders noch in der Vorinstanz KG v. 9.11.2017 – 23 U 67/15, GmbHR 2018, 361, 365 f.; sowie zuvor KG v. 23.7.2015 – 23 U 18/15, GmbHR 2016, 29, 31. 7 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, GmbHR 2019, 988 Rz. 68. 8 Allg. dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 53 Rz. 33; Harbarth, MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 47; Priester/Tebben in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 53 Rz. 27a; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 53 Rz. 40. 9 Aber nicht durchweg; s. insbesondere zur Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Rz. 1226 ff. 10 Dazu Großfeld/Brondics, AG 1987, 293, 294 f.; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 26. Enthält die Satzung eine entsprechende Öffnungsklausel, kann die Aufhebung des Aufsichtsrats darüber hinaus auch durch einfachen Gesellschafterbeschluss erfolgen; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 8; str., vgl. Rz. 1183.

482

Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1189 § 16

Abs. 2 GmbHG), soweit nicht Sonderrechte einzelner Gesellschafter auf Teilhabe in diesem Aufsichtsrat statutarisch festgelegt sind; nur dann bedarf der Beschluss ihrer Zustimmung (§ 35 BGB). Auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied hat keinen Anspruch auf Verbleib und Bestand des Aufsichtsrats; sein Amt erlischt mit Eintragung der Satzungsänderung ins Handelsregister. Auch hier gilt anderes wiederum nur dann, wenn das Mitglied zugleich Gesellschafter ist und ein Sonderrecht auf Teilhabe im Aufsichtsrat hat. 2. Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats Die Satzung kann zunächst einmal die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder beliebig festlegen. Üblich sind mindestens drei und höchstens fünf Mitglieder. Nach der h.M. soll aber auch ein Aufsichtsrat mit nur einem Mitglied zulässig sein11. Das ist problematisch, da sich die Vorstellung vom Aufsichtsrat allgemein und so, wie § 52 GmbHG das meint, am Kollegium orientiert12. Man sollte daher bei solcher Gestaltung nicht von Aufsichtsrat sprechen, sondern von einem Delegierten (der Gesellschafterversammlung) oder allenfalls einem Beirat.

1186

Regelt die Satzung die Frage nach der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder nicht, so ist nach § 52 Abs. 1 GmbHG die Vorschrift des § 95 Satz 1 AktG anzuwenden. Danach besteht der Aufsichtsrat aus drei Mitgliedern. Allerdings ist jeweils sorgfältig zu prüfen, ob die Satzung so ausgelegt werden kann, dass die Festlegung der Mitgliederzahl dem Bestellungsakt vorbehalten bleiben soll. In diesem Fall kann die Gesellschafterversammlung auch eine höhere Zahl von Mitgliedern wählen13.

1187

Trifft die Satzung zu den Modalitäten der Wahl keine Regelung, so werden die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit gewählt (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 47 Abs. 1 GmbHG; s. auch noch Rz. 1198 f.).

1188

Im Übrigen finden sich in diesem Zusammenhang nicht selten Regelungen in der Satzung, die einem oder mehreren Gesellschaftern ein statutarisches Recht auf Mitgliedschaft im Aufsichtsrat einräumen oder ihnen die Befugnis geben, sich oder einen Dritten direkt als Aufsichtsratsmitglied zu bestellen (sog. Entsendungsrecht). Es mag aber auch sein, dass die betreffenden Gesellschafter (nur) berechtigt sein sollen, sich oder andere zur Wahl in den Aufsichtsrat zu benennen mit der Folge, dass die Gesellschafterversammlung dann zur Wahl dieser Person in den Aufsichtsrat ver-

1189

11 RG v. 13.6.1913, RGZ 82, 386; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 32; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 28; Rieble in Bork/Schäfer, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 103; Simon, GmbHR 1999, 258. 12 Ähnlich schon RG v. 2.11.1934, RGZ 146, 145, 151: der Aufsichtsrat als Kollegium; zweifelnd auch Geßler, GmbHR 1974, 202, 205; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 5; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 121. 13 Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 80; generell für diese Möglichkeit Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 5.

483

§ 16 Rz. 1189 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

pflichtet ist, soweit nicht in der betreffenden Person ein wichtiger Grund entgegensteht14. 1190

Die gleichen Rechte können auch einer bestimmten Gesellschaftergruppe (z.B. den Mitgliedern eines bestimmten Familienstammes) eingeräumt werden. 3. Persönliche Voraussetzungen

1191

Aufsichtsratsmitglieder müssen natürliche Personen und voll geschäftsfähig sein (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 100 Abs. 1 AktG). Das ist abweichend vom Grundsatz der Satzungsfreiheit (§ 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG) richtiger Ansicht nach unabdingbar15. Ebenso unabdingbar ist die Unvereinbarkeit von Geschäftsführung und Mitgliedschaft im Aufsichtsrat (§ 105 Abs. 1 AktG): Niemand kann sich in unserem System des Aufsichtsrats selbst überwachen16. Außerdem gilt kraft ausdrücklicher Verweisung hier auch § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG, wonach Mitglied im Aufsichtsrat nicht sein kann, wer Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied eines von dieser GmbH abhängigen Unternehmens ist17. Im Sonderfall der GmbH von öffentlichem Interesse muss ferner mindestens ein Mitglied unabhängig und in Rechnungslegungsfragen sachverständig sein (§ 100 Abs. 5 AktG, dazu noch Rz. 1231 f.).

1192

Allen diesen Regelungen aber steht nicht entgegen, dass die Satzung ein Beratungsgremium schafft, dem auch der oder die Geschäftsführer der GmbH bzw. eines abhängigen Unternehmens angehören. Nur: Es handelt sich dann nicht um einen Aufsichtsrat mit den – in dieser Form gar nicht erfüllbaren – Pflichten der Überwachung (s. dazu auch noch Rz. 1205 ff.).

1193

Soweit die Satzung keine andere Regelung trifft, gelten mangels Bezugnahme in § 52 Abs. 1 GmbHG hier nicht die Beschränkungen aus § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3, Satz 3 AktG, also weder die Beschränkung auf zehn Mandate mit der vom KonTraG

14 Vgl. OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188 mit Anm. Lutter, ZIP 1986, 1195 ff. zum Recht auf Geschäftsführung. 15 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 11; Heermann in Ulmer/ Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 30; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 12; a.A. aber Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 215; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 135; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 34. 16 OLG Frankfurt a.M. v. 21.11.1986 – 20 W 247/86, DB 1987, 85; Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 11; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 137; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 28 und 39; a.A. aber Großfeld/Brondics, AG 1987, 293, 299 f.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 218; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 36 (unter Hinweis auf die Aufweichung der Funktionstrennung in der monistischen SE). 17 Auch diese Vorgabe ist richtigerweise zwingend, s. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 36 m.w.N.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 221; a.A. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 32.

484

Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1195 § 16

geschaffenen Doppelzählung des Aufsichtsratsvorsitzes noch das Verbot der sog. Über-Kreuz-Verflechtung18. Im Übrigen kann die Satzung beliebige zusätzliche Erfordernisse wie insbesondere Mindestvoraussetzungen bezüglich der beruflichen Erfahrung, der Familien- oder Stammeszugehörigkeit etc. festlegen. Die Satzung kann in diesem Zusammenhang aber auch vorsehen, dass eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern der Gesellschaft in den Aufsichtsrat gewählt werden muss19 oder dass z.B. der Vorsitzende des Betriebsrats kraft Amtes Mitglied im Aufsichtsrat ist.

1194

Ein Verstoß gegen die gesetzlich vorgesehenen persönlichen Voraussetzungen (Rz. 1191) führt zur Nichtigkeit der Wahl (analog § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG)20, ein Verstoß gegen zusätzliche Erfordernisse der Satzung zur Anfechtbarkeit (analog § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG)21. Die erfolgreiche Anfechtung führt ihrerseits zur Nichtigkeit der Wahl (analog §§ 250 Abs. 1, 241 Nr. 5 AktG) und damit nach der Rechtsprechung des BGH dazu, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied in Bezug auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat rückwirkend als Nichtmitglied zu behandeln ist22. Die im Schrifttum mit guten Gründen vertretene Gegenansicht, die auch insoweit die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis anwenden und das fehlerhaft bestellte Mitglied einem (vorläufig) wirksam bestellten gleichstellen will23, hat der BGH bedauerlicherweise verworfen24.

1195

18 Ebenso Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 223; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 35 und 38. 19 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 11; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 136; kritisch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, Einl. Rz. 162. Wer die Auswahl unter den Arbeitnehmern letztlich trifft, ist wiederum Sache der Satzung; diese kann die Gesellschafterversammlung verpflichten, drei Arbeitnehmer z.B. aus einer Liste des Betriebsrats zu wählen etc. 20 § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist auch auf Verstöße gegen § 105 Abs. 1 AktG entsprechend anwendbar; Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 19; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 126. 21 Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 138. 22 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, AG 2013, 387 Rz. 18 ff. unter Berufung insbes. auf E. Vetter, ZIP 2012, 701, 707 ff.; zu den Konsequenzen dieser Entscheidung näher Ch. Arnold/ Gayk, DB 2013, 1830 ff. In Bezug auf Pflichten, Haftung und Vergütung soll dagegen auch nach Ansicht des BGH die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis zur Anwendung kommen; BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = AG 2006, 667 Rz. 14; BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, AG 2013, 387 Rz. 19. 23 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 6 f.; Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 70 ff., jew. m.w.N.; ferner die Schrifttumsnachw. in nachfolgender Fn. 24 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = AG 2013, 387 Rz. 18 ff. Mit Recht kritisch dazu Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 ff.; Priester, GWR 2013, 175 ff.; Rieckers, AG 2013, 383 ff.; Schürnbrand, NZG 2013, 481 ff.

485

§ 16 Rz. 1196 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

4. Altersregelungen 1196

Hinsichtlich des Alters sind die Vorgaben des AGG25 zu beachten. Zwar wird man Aufsichtsratsmitglieder, sofern sie dem gesetzlichen Leitbild entsprechend weisungsfrei operieren, auch nach dem weiten europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff (Rz. 1141) nicht als Arbeitnehmer anzusehen haben26. Da die Aufsichtsratsmitglieder aber Organmitglieder i.S. des § 6 Abs. 3 AGG sind, muss sich ihre Bestellung und Wiederbestellung (erstaunlicherweise aber nicht die Abberufung, vgl. Rz. 1140 f.) gleichwohl am AGG messen lassen – allerdings nur, sofern sie für ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat eine Vergütung beziehen, da es sonst an einer „Erwerbstätigkeit“ i.S. des AGG fehlt27. Ist der Anwendungsbereich des AGG eröffnet, sind nicht hinreichend gerechtfertigte Benachteiligungen wegen des Alters verboten (§ 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG) und führen zu Entschädigungsansprüchen des Betroffenen (§ 15 AGG).

1197

Die Anwendbarkeit des AGG steht aber der Festlegung einer angemessenen Mindestaltersgrenze nicht entgegen (§ 10 Satz 3 Nr. 2 AGG). Ein Mindestalter von 30– 35 Jahren dürfte als verhältnismäßig anzusehen sein28. Schwieriger gestaltet sich die Beurteilung von Höchstaltersgrenzen29. Sie sind aber jedenfalls dann unbedenklich, wenn sie mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter übereinstimmen (§ 10 Satz 3 Nr. 5 AGG). 5. Bestellung und Abberufung

1198

Soweit die Satzung keine Regelung trifft (Entsendungsrecht, Wahlverpflichtung) und die übrigen persönlichen Beschränkungen (Rz. 1191 ff.) beachtet werden, ist die Gesellschafterversammlung in der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder frei. Es gilt das schlichte Mehrheitsprinzip bis zur Grenze des Missbrauchs; insbesondere gibt es hier keinen Minderheitenschutz. Soll dieser verwirklicht sein, so muss er in der Satzung ausdrücklich niedergelegt werden30.

1199

Die Bestellung jedes Aufsichtsratsmitglieds erfolgt mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Rz. 1188). Eine gerichtliche Bestellung nach § 104 AktG kommt nicht in Betracht31, da § 52 Abs. 1 GmbHG (im Gegensatz zu § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG) jene Vorschrift offensichtlich mit Bedacht 25 26 27 28

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14.8.2006, BGBl. I 2006, 1897. Forst, EuZW 2015, 664, 667. Lutter, BB 2007, 725, 730; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 125. Vgl. auch Bauer/Krieger/Günther, Komm. AGG, § 10 Rz. 31: 35 Jahre für einen Personalleiter angemessen. 29 Näher dazu Lutter, BB 2007, 725, 729 f.; vgl. ferner Rz. 346 und Rz. 1140 zu Altersregelungen für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer. 30 Vgl. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 177; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 40. 31 Ganz h.M., OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.2013 – 20 W 335/13, GmbHR 2014, 477; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 11; Heermann in Ulmer/Habersack/ Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 46; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 17; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 45; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 199; a.A.

486

Die Einrichtung und Zusammensetzung des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1201 § 16

nicht in Bezug nimmt. Für die Abberufung während der laufenden Amtsperiode ist vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung infolge der Verweisung von § 52 Abs. 1 GmbHG auf § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG eine ¾-Mehrheit erforderlich32. Ob dies auch dann gilt, wenn die Abberufung aus einem wichtigen Grund in der Person des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds erfolgt, ist umstritten33. Der Gesetzeswortlaut spricht auch hier für eine ¾-Mehrheit. Jedoch können die Gesellschafter nach Lage des Einzelfalls verpflichtet sein, für die Abberufung aus wichtigem Grund zu stimmen, wenn das Aufsichtsratsmitglied für die Gesellschaft untragbar geworden ist34. Die Fragen der Amtsdauer von Aufsichtsratsmitgliedern sind beim fakultativen Aufsichtsrat ganz ungeregelt; insbesondere gilt hier nicht die Beschränkung auf eine Höchstdauer der Bestellung von fünf Jahren, da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 102 AktG verweist. Aufsichtsratsmitglieder können also auch auf unbestimmte Zeit oder für eine längere Zeit als fünf Jahre in den fakultativen Aufsichtsrat gewählt werden. Im Übrigen kann eine Regelung durch die Satzung, sonst im Bestellungsbeschluss frei getroffen werden. Dabei ist nicht erforderlich, dass die verschiedenen Aufsichtsratsmitglieder gleich behandelt werden: Ein Mitglied kann auf Lebenszeit, das andere für eine Amtsdauer von nur einem Jahr wirksam bestellt werden35.

1200

Erfolgt keine Regelung in der Satzung und auch keine im Bestellungsbeschluss, so ist das betreffende Aufsichtsratsmitglied auf unbestimmte Zeit bestellt36. Sein Amt endet dann nur – von Tod und Amtsniederlegung abgesehen – durch Abberufung nach den obigen (Rz. 1199) Regeln. Eine solche Regelung bzw. Nicht-Regelung ist ganz unzweckmäßig und sollte tunlichst durch entsprechende Ordnung in der Satzung vermieden werden.

1201

32 33

34 35 36

bei Bezugnahme der Satzung auf § 104 AktG Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 107. H.M., Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 50; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 19; a.A. für Bestellung auf unbestimmte Zeit Simon, GmbHR 1999, 260: einfache Mehrheit genügt. Für einfache Mehrheit in diesem Fall Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 9; a.A. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 50; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 198; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 47. So zur Abberufung der Geschäftsführer BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, NJW 1991, 846 = AG 1991, 137; Verse in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 105a. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 242; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 176. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 241; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 175.

487

§ 16 Rz. 1202 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

6. Ersatzmitglieder und Vertreter 1202

Sofern die Satzung dies vorsieht, können auch Ersatzmitglieder (vgl. § 14) gewählt werden. Ob diese Möglichkeit auch ohne Satzungsgrundlage besteht, ist dagegen zweifelhaft, da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 101 Abs. 3 AktG verweist37.

1203

Darüber hinaus können im freiwilligen GmbH-Aufsichtsrat aufgrund entsprechender Satzungsbestimmung auch richtige Stellvertreter von Aufsichtsratsmitgliedern bestellt werden. Das Stellvertretungsverbot des § 101 Abs. 3 Satz 1 AktG gilt hier nicht38. Je nach dem Inhalt der Satzung bzw. des Bestellungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung können dann solche Vertreter entweder stets für das betreffende Mitglied tätig werden – wenn dieses, gleich aus welchem Grund, nicht teilnimmt – oder nur bei dessen tatsächlicher Verhinderung.

III. Befugnisse und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats 1. Befugnisse 1204

Trifft die Satzung hinsichtlich der Befugnisse des fakultativen Aufsichtsrats keine Regelung, so ist dieser wie der Aufsichtsrat nach dem DrittelbG nur zur Überwachung der Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet, nicht hingegen zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer und nicht zur Feststellung der Bilanz39. Zur Überwachung gehört auch die Überprüfung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses nach § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. §§ 170, 171 AktG sowie seit dem KonTraG bei prüfungspflichtigen Gesellschaften (§ 316 HGB) auch die Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG)40.

1205

Da nach § 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG die gesetzlichen Regelungen zum fakultativen Aufsichtsrat grundsätzlich abdingbar sind, scheint auf den ersten Blick die Annahme nahe zu liegen, dass die Zuständigkeiten in der Satzung noch weiter eingeschränkt werden können und der Aufsichtsrat auf eine bloße Beratungsfunktion beschränkt werden kann41. Bei näherem Hinsehen erweist sich ein solches Verständnis jedoch als problematisch. Schon bei den persönlichen Voraussetzungen der Aufsichtsratsmitglieder (Rz. 1191) ist deutlich geworden, dass die Bezugnahmen des § 52 Abs. 1 GmbHG auf die aktienrechtliche Regelung nach h.M. nicht durchweg 37 Ablehnend daher Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 144; für analoge Anwendung des § 101 Abs. 3 AktG aber Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 186. 38 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 45; Uwe H. Schneider/ Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 495. 39 § 52 Abs. 1 GmbHG verweist auf § 111 AktG, nicht aber auf § 84 AktG und auch nicht auf § 172 AktG. 40 S. hierzu sowie allgemein zu den Auswirkungen des KonTraG auf den Aufsichtsrat bei der GmbH Altmeppen, ZGR 1999, 291, 306 ff. m.w.N.; Bremer, GmbHR 1999, 116. 41 In diesem Sinne Rieble in Bork/Schäfer, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 143.

488

Befugnisse und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1206 § 16

disponibel sind. Dahinter steht die Überlegung, dass der Rechtsverkehr gewisse Mindeststandards erwartet, wenn sich die Gesellschaft eines „Aufsichtsrats“ berühmt, und infolgedessen die Gefahr der Irreführung besteht, wenn diesen Erwartungen nicht entsprochen wird. Dass auch das Gesetz mit der Bezeichnung Aufsichtsrat eine herausgehobene Funktion verbindet, legen die Transparenzpflichten der §§ 35a Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 3 GmbHG nahe, nach denen der Rechtsverkehr zwingend über die Existenz eines Aufsichtsrats zu unterrichten ist42. Geht man daher von einer rechtlich geschützten Verkehrserwartung hinsichtlich gewisser Mindestkompetenzen des Aufsichtsrats aus, ist es nur konsequent, dass es nach herrschender Ansicht einen „Aufsichtsrat“ ohne Überwachungsfunktion nicht geben kann43; denn ein Aufsichtsrat ohne die Befugnis zur Überwachung der Geschäftsführung ist schon dem Wortsinn nach kein Aufsichtsrat44. Damit ist jedoch umgekehrt nicht gesagt, dass bereits jedwede Schmälerung der Überwachungskompetenz gegenüber dem gesetzlichen Standard dazu führen würde, dass kein Aufsichtsrat mehr vorliegt; eine solche Annahme wäre mit der in § 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG eingeräumten Satzungsfreiheit nicht vereinbar. Nur der Kern der Überwachungsaufgabe darf nicht tangiert werden. So ist es etwa zulässig, das Recht des Aufsichtsrats zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) in der Satzung einzuschränken oder auszuschließen45; denn der Aufsichtsrat kann seine Überwachungsaufgabe auch wahrnehmen, indem er sich von den Geschäftsführern unterrichten lässt und bei Missständen die Gesellschafterversammlung einberuft. Auch besteht weithin Einigkeit, dass das formalisierte Verfahren der Prüfung der Rechnungslegung nach §§ 170 f. AktG für den fakultativen Aufsichtsrat nicht zwingend ist. Mit dem Status als Aufsichtsrat unvereinbar wäre es aber, die Prüfung des Abschlusses dem Aufsichtsrat völlig zu entziehen, da es sich dabei um einen Kernbestandteil der Überwachungsaufgabe handelt46.

42 Zu diesem Argument Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 263; E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 453; jew. m.w.N.; einschränkend Bachmann in FS E. Vetter, 2019, S. 15, 22 f. 43 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 13; Heermann in Ulmer/ Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 17; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 263; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 27 f.; Müller/Wolf, NZG 2003, 751, 754; Schürnbrand, NZG 2010, 1207, 1211; ausführlich E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 452 ff. („Wo Aufsichtsrat drauf steht, muss auch Aufsicht drin sein.“). 44 Ganz in diesem Sinne sah der Referentenentwurf des GmbH-Gesetzes von 1969 noch eine Regelung vor, welche die Unverzichtbarkeit der Überwachungsaufgabe als Kernaufgabe auch des fakultativen Aufsichtsrats explizit klarstellen sollte (§ 105 Abs. 1, Abs. 8 GmbHG-RefE); s. dazu Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf eines GmbHG, 1969, S. 254, 264; ferner E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 453. 45 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 15; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 362 m.w.N.; kritisch Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 129 f. Anderes gilt für den mitbestimmten GmbH-Aufsichtsrat (Rz. 1129). 46 Näher E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 453; ferner Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 21; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 113.

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§ 16 Rz. 1207 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH 1207

Wollen die Gesellschafter ein Gremium einrichten, das hinter den soeben skizzierten Minimalkompetenzen zurückbleibt, also etwa ein Gremium mit reinen Beratungsaufgaben, so ist ihnen dies keineswegs verboten. Es handelt sich dann aber eben nicht um einen Aufsichtsrat, sondern lediglich um einen Beirat47 o.Ä. Folglich darf in diesem Fall die Bezeichnung Aufsichtsrat im Rechtsverkehr nicht geführt werden48. Bezeichnet die Satzung ein solches Organ gleichwohl als Aufsichtsrat, kann das Registergericht diese Falschbezeichnung beanstanden (§ 9c Abs. 2 Nr. 2 GmbHG). Im Schrifttum wird darüber hinaus die Ansicht vertreten, dass Satzungsbestimmungen, die dem fakultativen Aufsichtsrat die Überwachungsaufgabe entziehen, nichtig seien mit der Folge, dass die Aufsichtsratsmitglieder entgegen dem Satzungstext doch zur Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe verpflichtet seien49. Dem ist jedoch nicht zu folgen, da die bloße Falschbezeichnung nichts daran ändert, dass die Gesellschafter kein Überwachungsgremium schaffen und die „Aufsichtsratsmitglieder“ keine Überwachungsaufgabe übernehmen wollten. Vielmehr ist die Einrichtung des Gremiums mit den gewünschten begrenzten Kompetenzen, d.h. als Beirat, wirksam.

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Während also eine weitere Reduzierung der Befugnisse des fakultativen Aufsichtsrats unter die Grenzen dessen, was nach dem soeben Gesagten zu den Minimal- oder Kernkompetenzen des Aufsichtsrats gehört, nicht möglich ist, ohne dass er die Eigenschaft eines Aufsichtsrats verliert, gilt das nicht für eine Ausweitung seiner Befugnisse50. Dem freiwilligen Aufsichtsrat nach § 52 Abs. 1 GmbHG können daher durch die Satzung Mitentscheidungsrechte, etwa die Feststellung der Bilanz oder die Festlegung eines für die Geschäftsführung maßgebenden Budgets, Finanzplans oder Investitionsrahmens, übertragen werden. Ebenso kann die Satzung dem Aufsichtsrat die Befugnis zu Weisungen gegenüber der Geschäftsführung überantworten51. Nicht zuletzt können dem Aufsichtsrat auch das Bestellungs- und Abberufungsrecht bezüglich der Geschäftsführung sowie die Befugnis zum Abschluss und zur Kündigung des Anstellungsvertrages mit den Geschäftsführern übertragen werden52. Trifft die Satzung darüber hinaus keine Regelung, so vertritt der Aufsichtsrat gemäß § 52 47 Dazu Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 109 ff.; ferner Härer, Erscheinungsformen und Kompetenzen des Beirats in der GmbH, 1991; Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1990. 48 E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 454; Großfeld/Brondics, AG 1987, 293, 295: „Täuschung im Rechtsverkehr“. 49 So namentlich E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 454 unter Berufung auf Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, Komm. GmbHG, 1. Aufl., § 52 Rz. 96, die jedoch (ebenso wie nunmehr Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 96) ausdrücklich auf die Möglichkeit hinweisen, dass die Satzungsregelung u.U. als wirksame Einrichtung eines Beirats auszulegen sei. 50 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 13; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 307; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 123. 51 Allg. M.; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 13, 69b m.w.N.; Rodewald/Wohlfarter, GmbHR 2013, 689, 691. 52 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, WM 1997, 1015 = AG 1997, 328; Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 13; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm.

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Befugnisse und Pflichten des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1211 § 16

Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 112 AktG die GmbH auch gegenüber ausgeschiedenen Geschäftsführern in Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis53. Art und Ausmaß dieser Delegation von Befugnissen der Gesellschafterversammlung auf den Aufsichtsrat ist also allein Angelegenheit der Satzung. Und dies kann durch Satzungsänderung zugunsten und zu Lasten des Aufsichtsrats stets und jederzeit auch geändert werden: Es gibt kein Recht der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder auf gleichbleibende Befugnisse, wohl aber die Möglichkeit jedes Mitglieds, deswegen jederzeit sein Amt niederzulegen54. Solche Satzungsänderungen können nur die Gesellschafter beschließen; insoweit kommt eine Delegation an den Aufsichtsrat nicht in Betracht.

1209

Im Übrigen verweist § 52 Abs. 1 GmbHG ohne Einschränkung auf § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Die Satzung kann55 also Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Geschäfte zugunsten des Aufsichtsrats anordnen (näher dazu Rz. 112 ff., 1129). Diese Kompetenz steht auch dem Aufsichtsrat selbst zu, soweit sie nicht von der Satzung ausgeschlossen wird (Rz. 1206), etwa weil deren eigener Zustimmungskatalog als abschließend zu interpretieren ist.

1210

Der Zustimmungsvorbehalt ist nach zutreffender Ansicht auch dann zu beachten, wenn die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer zu der betreffenden Maßnahme angewiesen hat. Die insoweit zum mitbestimmten GmbH-Aufsichtsrat getroffenen Feststellungen (Rz. 1118) gelten auch hier56. Verweigert der Aufsichtsrat die Zustimmung, kann die Gesellschafterversammlung dieses Votum aber durch Wiederholung der Weisung überspielen. Erforderlich ist dafür nach § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 4 Satz 4 AktG ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit57; anders als beim mitbestimmten Aufsichtsrat kann die Satzung freilich auch die ein-

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GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 347; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 122; Großfeld/Brondics, AG 1987, 293, 297. BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630 = AG 1990, 359; BGH v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, GmbHR 2004, 259, 260; BGH v. 23.4.2007 – II ZR 149/06, DStR 2007, 1358; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 401. Vgl. Rz. 35 ff.; ferner Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 10; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 211 ff. Das „Muss“ („hat“) des Satzes 2 von § 111 Abs. 4 AktG gilt hier nicht, weil die Verweisung ausdrücklich für abdingbar erklärt worden ist. Ebenso wie zum mitbestimmten Aufsichtsrat auch hier str.; wie im Text etwa Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 141 f.; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 50a; für Wegfall des Zustimmungsvorbehalts bei Gesellschafterweisung dagegen Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 25; Giedinghagen in Michalski/ Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 233. Sehr str., wie hier Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 34; Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 217; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 37 Rz. 50a; für einfache Mehrheit dagegen Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 24; Giedinghagen in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 233; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 36; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 124; jeweils m.w.N. Vgl. zur Parallelfrage im mitbestimmten Aufsichtsrat Rz. 1119.

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§ 16 Rz. 1211 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

fache Mehrheit genügen lassen58. Aus rechtspolitischer Sicht mag das qualifizierte Mehrheitserfordernis im nicht mitbestimmten Aufsichtsrat fragwürdig sein59; das allein berechtigt aber nicht zu einer teleologischen Reduktion. 2. Pflichten 1212

Die Pflichten des Aufsichtsrats folgen seinen Rechten und Befugnissen. Ist er nur zur Überwachung berufen, so hat er allein die in Rz. 61 ff. erörterten Pflichten mit der Sorgfalt eines ordentlichen Aufsichtsrats wahrzunehmen. Sind ihm weitere Befugnisse zugewiesen, so wachsen die rechtlichen Aufgaben und das Maß an Verantwortung für die Gesellschaft. Das gilt insbesondere dann, wenn der Aufsichtsrat die Personalhoheit über die Geschäftsführung durch die Satzung zugewiesen erhalten hat (vgl. dazu Rz. 331 ff.). Zur Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 116 Satz 2 AktG) s. noch Rz. 1219, 1435.

IV. Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat 1. Weisungsfreiheit 1213

Die Aufsichtsratsmitglieder haben ihr Amt eigenverantwortlich, d.h. frei von Weisungen der Gesellschafter, zum Wohl der Gesellschaft wahrzunehmen (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 111 Abs. 6 AktG)60. Während in der AG und der mitbestimmten GmbH hiervon auch in der Satzung nicht abgewichen werden kann, ist dies beim fakultativen Aufsichtsrat umstritten. Die Frage ist insbesondere für GmbHs von Bedeutung, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist (s. dazu Rz. 1428 f.); sie stellt sich aber auch darüber hinaus.

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Nach einer Entscheidung des BVerwG soll es möglich sein, in der Satzung eine Weisungsbindung vorzusehen, ohne dass dadurch die Eigenschaft als Aufsichtsrat entfällt61. Nach überwiegender Ansicht im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum ist dagegen eine Weisungsbindung der Aufsichtsratsmitglieder, die es etwa ermöglicht, bestimmte Bereiche per Weisung aus der Überwachung auszunehmen, mit der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats unvereinbar62. Das kann allerdings nicht bedeuten, dass eine derartige Satzungsbestimmung per se nichtig wäre63. Allerdings spricht 58 Brouwer, Zustimmungsvorbehalte, S. 217. 59 Generell kritisch zu § 111 Abs. 4 Satz 4 AktG Jagenburg, DB 1967, 1399, 1400. 60 Ganz h.M., statt vieler Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 216 f.; kritisch zur Herleitung aus § 111 Abs. 6 AktG Heidel, NZG 2012, 48, 52; Bachmann in FS E. Vetter, 2019, S. 15, 18 f. 61 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16/10, BVerwGE 140, 300 Rz. 21 = GmbHR 2011, 1205 = NJW 2011, 3735 m. Anm. Altmeppen; ebenso Bachmann in FS E. Vetter, 2019, S. 15, 19 ff. 62 Spindler, ZIP 2011, 689, 695; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 220; E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 457 f.; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 184 ff. m.w.N. 63 So aber E. Vetter, GmbHR 2011, 449, 458; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 185 m.w.N.; wohl auch Spindler, ZIP 2011, 689, 695.

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Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat | Rz. 1217 § 16

Einiges dafür, dass es sich dann – ebenso wie in anderen Fällen, in denen die Ausgestaltung des „Aufsichtsrats“ hinter den Minimalanforderungen eines Aufsichtsorgans zurückbleibt – nicht mehr um ein Organ handelt, das als Aufsichtsrat bezeichnet werden darf und auf das § 52 GmbHG Anwendung findet, sondern um einen Beirat (Rz. 1207; auch Rz. 1429). 2. Vergütung, Beraterverträge Ob und in welcher Höhe die Aufsichtsratsmitglieder eine Vergütung erhalten, ist ausschließlich Sache der Satzung oder eines Gesellschafterbeschlusses (§ 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 113 AktG). Ohne eine solche Maßnahme besteht auch hier kein Vergütungsanspruch des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds64.

1215

Die Gesellschafterversammlung ist im Rahmen der Festsetzung der Höhe der Vergütung nicht zur Gleichbehandlung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet. Besonders sorgfältig bedacht werden sollte die Höhe der Vergütung aber, wenn ein Aufsichtsratsmitglied zugleich Gesellschafter oder naher Angehöriger eines Gesellschafters ist; denn bei einer zu großzügigen Handhabung besteht die Gefahr, dass die Vergütung dann wegen ihrer Höhe steuerlich und gesellschaftsrechtlich als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet wird65.

1216

Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern für Leistungen außerhalb der Organtätigkeit unterliegen grundsätzlich den Erfordernissen des § 114 AktG, bedürfen also der Zustimmung des gesamten Aufsichtsrats. Wegen der hierarchischen Struktur der GmbH kann aber (anders als in der mitbestimmten GmbH, Rz. 1158) die Gesellschafterversammlung die Zustimmung oder Zustimmungsverweigerung des Aufsichtsrats durch einen eigenen ablehnenden oder zustimmenden Beschluss ersetzen, soweit die Satzung die Vergütungskompetenz nicht auf den Aufsichtsrat übertragen hat66. Im Übrigen kann die Satzung § 114 AktG auch ganz abbedingen (§ 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG).

1217

64 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 70; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 225. Demgegenüber halten Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 39 und Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 123, § 612 BGB (stillschweigend vereinbarte „übliche“ Vergütung) für anwendbar, Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 60 und Müller, Beck’sches Hdb. GmbH, § 6 Rz. 57 jedenfalls für gesellschaftsfremde dritte Aufsichtsratsmitglieder. Dem ist nicht zu folgen: denn die Zuständigkeit der Gesellschafter ist klar gegeben und es gibt keine „stillschweigenden“ Beschlüsse. Etwas anderes kann daher allenfalls in der Einpersonen-GmbH gelten. 65 Vgl. nur Lutter in FS Stiefel, S. 505, 523 ff. sowie Verse in Scholz, Komm. GmbHG, § 29 Rz. 115 ff. 66 Lutter in FS H.P. Westermann, S. 1171, 1177; Scheuffele/Baumgartner, GmbHR 2010, 400, 405; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 256 m.w.N.

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§ 16 Rz. 1218 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

V. Information des fakultativen Aufsichtsrats, Vertraulichkeit 1218

Das Informationssystem im freiwilligen Aufsichtsrat der GmbH und die Pflichten seiner Mitglieder zur Vertraulichkeit entsprechen nach dem Gesetz (§ 52 Abs. 1 GmbHG verweist auf § 90 Abs. 3, 4, 5 Satz 1 und 2 AktG sowie auf §§ 116, 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 AktG) dem des mitbestimmten Aufsichtsrats; auf die Ausführungen unter Rz. 1125 f. kann daher verwiesen werden.

1219

Die Satzung oder eine Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat kann und sollte dieses unzureichende Informationssystem ordnen und in eine regelmäßige Informationspflicht von der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat nach dem Vorbild des § 90 Abs. 1 AktG überführen; s. dazu bereits Rz. 317, 112667. Zugleich kann die Satzung oder die Geschäftsordnung aber auch die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§ 116 Satz 2 AktG) näher regeln und insbesondere verschärfen68. Auch hier empfiehlt sich nachdrücklich jedenfalls eine Ordnung dieses Komplexes69.

VI. Innere Ordnung des fakultativen Aufsichtsrats 1220

Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (entsprechend § 32 Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Beschlussfassung erfolgt grundsätzlich in einer ordnungsgemäß mit Tagesordnung geladenen Sitzung (dazu Rz. 692 ff.). Zulässig sind aber entsprechend § 108 Abs. 4 AktG auch schriftliche, fernmündliche oder vergleichbare Formen der Beschlussfassung ohne Sitzung, wenn die Satzung oder eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats dies vorsieht oder wenn kein Aufsichtsratsmitglied dem Verfahren im konkreten Einzelfall widerspricht70. § 52 Abs. 1 GmbHG verweist zwar nicht auf § 108 Abs. 4 AktG; es ist aber kein Grund ersichtlich, die GmbH insoweit strenger zu behandeln als die Aktiengesellschaft.

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Soll die Abstimmung analog § 108 Abs. 4 AktG außerhalb einer Sitzung erfolgen, muss der Aufsichtsratsvorsitzende den Aufsichtsratsmitgliedern die Aufforderung zur Stimmabgabe unter Darlegung des Beschlussantrags mitteilen. Außerdem muss er einen Termin zur Stimmabgabe festlegen sowie Verlauf und Ergebnis der Abstim-

67 Vgl. auch die von Lutter in ZGR 1982, 1, 5 ff. und in Information und Vertraulichkeit, Rz. 759 ff. vorgeschlagene Informationsordnung in der GmbH, an die der freiwillige Aufsichtsrat „angehängt“ werden könnte. 68 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 777 m.w.N. sowie Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 25; a.A., aber ohne Begründung Gaul, GmbHR 1986, 296, 298 mit Fehlzitat. 69 Zum Vorschlag einer Vertraulichkeitsordnung s. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Anhang (S. 307 ff.) mit Textbeispielen. 70 Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 75; Uwe H. Schneider/ Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 456; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 83.

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Innere Ordnung des fakultativen Aufsichtsrats | Rz. 1224 § 16

mung protokollieren71 und das Ergebnis spätestens auf der nächsten Aufsichtsratssitzung bekannt geben. Ist ein Aufsichtsratsmitglied der Meinung, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende unkorrekt verhalten hat, so kann es den Aufsichtsratsbeschluss anfechten72. Umstritten ist, ob bei Schweigen der Satzung bestimmte Regeln der Beschlussfähigkeit zu beachten sind. Da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 108 Abs. 2 AktG verweist, wird man annehmen müssen, dass die Anwesenheit auch nur eines Aufsichtsratsmitglieds zur wirksamen Beschlussfassung genügt73. Zur Vermeidung von Zweifeln sollte die Frage aber in der Satzung geregelt werden.

1222

Die Bestellung eines Vorsitzenden und eines oder mehrerer Stellvertreter ist im fakultativen Aufsichtsrat nicht gesetzlich vorgesehen, da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 107 Abs. 1 AktG Bezug nimmt. Vorbehaltlich einer Satzungsregelung muss der Aufsichtsrat somit weder einen Vorsitzenden noch einen Stellvertreter bestellen, er kann dies aber74. Zweckmäßig ist eine solche Bestellung in jedem Fall75; sie sollte daher auch in der Satzung angeordnet und ggf. mit Einzelheiten geregelt sein. Sieht die Satzung die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden durch die Mitglieder des Aufsichtsrats vor, so ist es der Gesellschafterversammlung auch dann versagt, ihrerseits mit einfacher Mehrheit einen Vorsitzenden zu wählen, wenn im Aufsichtsrat aufgrund der Stimmrechtsverhältnisse eine Patt-Situation besteht und der Vorsitz vorübergehend vakant bleibt76.

1223

Satzungsfreiheit besteht schließlich auch für die Bildung von Ausschüssen des Aufsichtsrats und ihre Zuständigkeit: Die Satzung ist in der Anordnung, Einrichtung oder Erlaubnis zur Bildung solcher Ausschüsse und ihrer Zuständigkeit ebenso frei wie in ihrem Verbot77. Schweigt die Satzung, so kann der Aufsichtsrat als Ausfluss seiner Organisationsautonomie unstreitig vorbereitende und beratende Ausschüsse bilden. Umstritten ist dagegen, ob der Aufsichtsrat auch ohne ausdrückliche Ermächtigung in der Satzung Beschlusskompetenzen von sich auf einen solchen Aus-

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71 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 108 Rz. 42 ff. 72 Näher dazu Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 93 ff. 73 H.M., Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 77; Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 9; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 554; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 88; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 26; a.A. Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 437 (mindestens drei Teilnehmer). 74 Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 397; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 448. 75 Vgl. auch Fuhrmann, GmbH-Handbuch, Lfg. 155/2016, Rz. I 1889. 76 Vgl. den Fall der SAT 1 GmbH, LG Mainz v. 29.11.1989 – 10 HO 65/89, GmbHR 1990, 513 = AG 1991, 33, 34 (dort allerdings mit Vorbehalt für den Fall, dass Gefahr im Verzug sei) und OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21. 77 So auch Gittermann in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 6 Rz. 31; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 493 m.w.N.

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§ 16 Rz. 1224 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

schuss verlagern kann78. Richtigerweise ist dies zu bejahen, da nicht einzusehen ist, warum die Organisationsautonomie des fakultativen Aufsichtsrats hinter derjenigen des obligatorischen zurückbleiben sollte. Auch insoweit empfiehlt sich aber vorsorglich eine Regelung in der Satzung. 1225

Hinsichtlich etwaiger Mängel solcher Beschlüsse des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse sowie ihrer Rechtsfolgen gilt das in Rz. 739 ff. Gesagte auch hier79; darauf kann verwiesen werden.

VII. Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat 1. Innenhaftung 1226

Die Innenhaftung der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats gegenüber der GmbH unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von derjenigen im Pflichtaufsichtsrat (Rz. 1160 ff.). Im Unterschied zu den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften verweist § 52 Abs. 1 GmbHG nämlich nicht pauschal auf die gesamten §§ 116, 93 AktG, sondern nur auf §§ 116, 93 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG.

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Im Ausgangspunkt gilt allerdings auch hier der strenge Grundtatbestand der §§ 116, 93 Abs. 1 und 2 AktG mit der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung und der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Aufsichtsratsmitglieder unentgeltlich tätig werden80. Im Gegensatz zum obligatorischen Aufsichtsrat (Rz. 1167) kann die Haftung aber durch Regelung in der Satzung oder durch schuldrechtliche Vereinbarung abgemildert werden, etwa durch Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit81 oder – mit Ausnahme der Vorsatzhaftung (§ 202 Abs. 1 BGB) – durch Abkürzung der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 52 Abs. 4 GmbHG82. Ob darüber hinaus auch die Haftung für grobe Fahrlässigkeit abbedungen werden kann, ist umstritten, nach allgemeinen Grundsät-

78 Ablehnend Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 74; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 28; befürwortend Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 471; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 493; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 99. 79 S. auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 93 ff. 80 § 31a BGB ist nach h.M. nicht entsprechend anwendbar; Verse in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG Rz. 2; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 187; jew. m.w.N. 81 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 32; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 621. 82 H.L., s. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 35; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 647; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 710; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 78; jew. m.w.N.; anders aber noch BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, BGHZ 64, 238, 245. Umgekehrt kann die Verjährungsfrist in den Grenzen des § 202 Abs. 2 BGB auch verlängert werden; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 710.

496

Haftung der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat | Rz. 1228 § 16

zen (§ 276 Abs. 3 BGB) aber zu bejahen83. Ferner kann die Gesellschafterversammlung – gegenüber Gesellschaftern in den Grenzen des § 30 GmbHG – auf den entstandenen Anspruch verzichten, ohne an die Einschränkungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG (dreijährige Wartefrist, kein Widerspruch einer Minderheit von 10 %) gebunden zu sein84. Ein derartiger Verzicht liegt im GmbH-Recht anders als im Aktienrecht (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG) auch in der Entlastung der Organwalter, sofern kein Vorbehalt erklärt wird oder die Gesellschafterversammlung den fraglichen Sachverhalt weder kannte noch kennen musste85. Ungeachtet der fehlenden Verweisung auf § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG scheidet eine Haftung auch dann aus, wenn der Schaden auf der Befolgung einer rechtmäßigen und damit verbindlichen Weisung der Gesellschafterversammlung an die Geschäftsführer beruht86. Da § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 93 Abs. 3 AktG verweist, kommt eine Haftung wegen der dort genannten Pflichtverletzungen nur in Betracht, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 AktG vorliegen. Das wird zwar häufig der Fall sein, muss aber nach der Rechtsprechung des BGH nicht immer so sein. So verneint der BGH einen Schaden der Gesellschaft, wenn die Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife unter Verstoß gegen das Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 GmbHG (entspricht §§ 92 Abs. 2, 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG) Zahlungen auf fällige Verbindlichkeiten der Gesellschaft leisten; es werde dann zwar die Insolvenzmasse geschmälert, nicht aber das Vermögen der Gesellschaft, da sie von der betreffenden Verbindlichkeit befreit wird87. Daraus hat der BGH in der vieldiskutierten „Doberlug“-Entscheidung abgeleitet, dass in einem solchen Fall nur die Geschäftsführer für den Verstoß gegen das Zahlungsverbot haften (§ 64 Satz 1 GmbHG), trotz unzureichender Überwachung der Geschäftsführer aber nicht die Aufsichtsratsmitglieder nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG88. Die Entscheidung ist im Schrifttum auf ein geteiltes Echo gestoßen89 83 Schnorbus/Ganzer, BB 2017, 1795, 1805 f.; Uwe H. Schneider/Seyfarth in Scholz, Komm. GmbHG, 12. Aufl. 2020, § 52 Rz. 644 (Grenze bildet die vorsätzliche Pflichtverletzung); a.A., aber ohne Begründung, Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 72; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 130 a.E. (bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit). Zur – ebenfalls umstrittenen – Parallelfrage im Rahmen der Haftung der Geschäftsführer wie hier Fleischer, MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 312 m.w.N. 84 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 32; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 689. 85 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 36; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 683. 86 Allgemeine Ansicht, etwa Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 20; Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 152; Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 687. 87 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = AG 2010, 785 Rz. 14 = GmbHR 2010, 1200 (Doberlug). 88 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = AG 2010, 785 = GmbHR 2010, 1200 (Doberlug). 89 Zustimmend Habersack, JZ 2010, 1191; Kiefner/Langen, NJW 2011, 192 ff.; Noack, LMK 2010, 310151; Poertzgen, NZI 2010, 915 ff.; Thiessen, ZGR 2011, 275 ff.; E. Vetter, EWiR 2010, 713 f.; Weller, GWR 2010, 541 ff.; nur im Ergebnis auch K. Schmidt, GmbHR 2010,

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1228

§ 16 Rz. 1228 | Der freiwillige (fakultative) Aufsichtsrat in der GmbH

und in der Tat in mehrerlei Hinsicht nicht zweifelsfrei. Unsicher ist bereits, ob man nicht doch von einem (normativen) Schaden der Gesellschaft ausgehen kann, da die Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife wirtschaftlich vor allem eine Veranstaltung der Gläubiger ist90. Nachdenklich stimmt ferner, dass nach Ansicht des BGH zwar eine Pflicht der Aufsichtsratsmitglieder besteht, die Geschäftsführer von Zahlungen in der Insolvenz abzuhalten, Verstöße gegen diese Überwachungspflicht aber praktisch weithin sanktionsfrei gestellt werden91. Schließlich mag man sich fragen, warum die Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats insoweit kraft Gesetzes besser stehen sollen als diejenigen eines mitbestimmten Aufsichtsrats, obwohl ein solches Haftungsgefälle teleologisch in keinem Zusammenhang mit der Mitbestimmung steht92. 1229

Über die Geltendmachung bestehender Ersatzansprüche befindet auch hier entsprechend § 46 Nr. 8 GmbHG die Gesellschafterversammlung; subsidiär ist an die actio pro socio zu denken (vgl. Rz. 1168). Ein Verfolgungsrecht der Gläubiger nach § 93 Abs. 5 AktG besteht mangels Bezugnahme in § 52 Abs. 1 GmbHG nicht93. 2. Außenhaftung

1230

Hinsichtlich der Außenhaftung gegenüber Dritten ergeben sich im fakultativen Aufsichtsrat keine Besonderheiten gegenüber dem mitbestimmten Aufsichtsrat (Rz. 1169 ff.).

VIII. Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse 1231

In Umsetzung von Vorgaben der Abschlussprüferrichtlinie (Rz. 1173) nimmt § 52 Abs. 1 GmbHG auch die Sondervorschriften der §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4, 124 Abs. 3 Satz 2 AktG in Bezug, die für Unternehmen von öffentlichem Interesse gelten. Angesprochen sind damit kapitalmarktorientierte Gesellschaften (§ 264d HGB), CRRKreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG (mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KWG genannten Institute) sowie Versicherungsunternehmen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 91/674/EWG. In diesen Gesellschaften ist nach §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG darauf zu achten, dass dem fakultativen Aufsichtsrat

90 91 92

93

1319 ff. (auf Grundlage einer abweichenden Grundkonzeption zu § 64 Satz 1 GmbHG); ablehnend dagegen Altmeppen, ZIP 2010, 1973 ff.; Cahn, WuB II C. § 52 GmbHG 1.11; Schürnbrand, NZG 2010, 1207 ff. Cahn, WuB II C. § 52 GmbHG 1.11. Schürnbrand, NZG 2010, 1207, 1211 f. Vgl. Noack in FS Goette, S. 346, 353 f. und Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 209, die den Widerspruch jedoch in der entgegengesetzten Richtung auflösen und auch die Haftung des mitbestimmten Aufsichtsrats für Verstöße gegen das Zahlungsverbot einschränken wollen. Heermann in Ulmer/Habersack/Löbbe, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 152; ferner Spindler, MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 694, der § 93 Abs. 5 AktG abweichend von der h.M. auch im mitbestimmten GmbH-Aufsichtsrat für unanwendbar hält.

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Besonderheiten bei GmbHs von öffentlichem Interesse | Rz. 1233–1250 § 16

und ggf. auch dem vom Aufsichtsrat freiwillig gebildeten Prüfungsausschuss ein in Rechnungslegungsfragen sachverständiges Mitglied angehört und die Mitglieder des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sind. Ferner müssen nach § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG etwaige Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats zur Wahl der Abschlussprüfer auf eine Empfehlung des Prüfungsausschusses gestützt werden, sofern ein solcher gebildet wurde (vgl. Rz. 1173 ff.). Anders als im Pflichtaufsichtsrat kann die Satzung allerdings von diesen Vorgaben abweichen (§ 52 Abs. 1 letzter Halbsatz GmbHG)94. Theoretisch könnte der fakultative Aufsichtsrat einer Gesellschaft von öffentlichem Interesse also auch weiterhin ohne Rücksicht auf § 100 Abs. 5 AktG zusammengesetzt werden. Dies wird sich jedoch in aller Regel nicht empfehlen: Im Fall eines nicht nach § 100 Abs. 5 AktG besetzten fakultativen Aufsichtsrats würde nämlich ebenso wie bei gänzlich fehlendem Aufsichtsrat die Auffangvorschrift des § 324 HGB (ggf. i.V.m. §§ 340k Abs. 5 Satz 1, 341k Abs. 4 Satz 1 HGB) eingreifen95. Nach dieser Vorschrift wäre neben dem Aufsichtsrat als zusätzliches Organ noch ein eigenständiger Prüfungsausschuss zu bilden. In diesem eigenständigen Organ müssten dann doch wieder die genannten Erfordernisse (Finanzexperte, Sektorvertrautheit) eingehalten werden (§ 324 Abs. 2 Satz 1 HGB). Zudem müsste in diesem Gremium die Mehrheit der Mitglieder, darunter der Vorsitzende, unabhängig sein (§ 324 Abs. 2 Satz 1 HGB) – ein Erfordernis, das eigentümlicherweise nur für den eigenständigen Prüfungsausschuss nach § 324 HGB gilt. Nach alledem erscheint es ratsam, sich den doppelten Gremienaufwand zu ersparen, indem man schon den Aufsichtsrat den Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG entsprechend besetzt und die Vorschrift nicht abbedingt. Einstweilen frei.

1232

1233– 1250

94 Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 92; Habersack/Schürnbrand, Großkomm. HGB, § 324 Rz. 8; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 329; a.A. offenbar Henssler in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 22. 95 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 329.

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500

§ 17 Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft I. Überblick 1. Bildung eines Aufsichtsrats nach dem GenG Die eingetragene Genossenschaft muss als Organe neben der Generalversammlung (und/oder einer Vertreterversammlung nach § 43a GenG) einen Vorstand und grundsätzlich auch einen Aufsichtsrat haben (§ 9 Abs. 1 Satz 1 GenG). Seit dem Reformgesetz von 20061, das anlässlich der Einführung der Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, SCE)2 auch das Genossenschaftsgesetz modernisiert hat, besteht allerdings eine Ausnahme für sog. Kleingenossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern. Für sie eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, durch entsprechende Regelung in der Satzung auf einen Aufsichtsrat zu verzichten (§ 9 Abs. 1 Satz 2 GenG). An seine Stelle tritt dann die Generalversammlung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 GenG, näher Rz. 1280 ff.).

1251

2. Mitbestimmung Gleichwohl kann es Fälle geben, in denen auch eine Kleingenossenschaft verpflichtet ist, einen Aufsichtsrat einzurichten. Falls sie in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt, ist gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 MitbestG ein Aufsichtsrat zu bilden. Bei Berechnung der Arbeitnehmerzahl sind den eigenen Arbeitnehmern der Genossenschaft die Arbeitnehmer inländischer abhängiger Konzernunternehmen hinzuzurechnen (§ 5 Abs. 1 MitbestG). Beschäftigt eine Kleingenossenschaft ohne Aufsichtsrat in der Regel mehr als 500, aber nicht mehr als 2000 Arbeitnehmer selbst oder in abhängigen Unternehmen im Vertragskonzern (§ 2 Abs. 2 DrittelbG), ist die Rechtslage weniger klar geregelt; eine § 6 Abs. 1 MitbestG entsprechende Regelung findet sich in § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG nicht. Man wird aber auch hier in analoger Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 Halbsatz 1 DrittelbG von einer Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrats ausgehen müssen, da mit der Reform des Genossenschaftsrechts keine Änderungen bei der Arbeitnehmermitbestimmung beabsichtigt waren3. Hinsichtlich der Einzelheiten, wie die Arbeitnehmerzahlen zu be1 Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts vom 14.8.2006, BGBl. I, 1911. 2 Die Europäische Genossenschaft hat bisher kaum Verbreitung gefunden; nach einer Erhebung von Libertas Europäisches Institut GmbH gab es am 25.8.2018 EU-weit nur 42 SCE (www.libertas-institut.com/ewiv-informationszentrum/sce-list; letzter Abruf: 20.9.2018). Die SCE wird in diesem Buch nicht eigens behandelt; näher zu ihr etwa Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 14 Rz. 1 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rz. 46.1 ff. m.w.N. 3 Die Regierungsbegründung (BT-Drucks. 16/1025, S. 83) geht davon aus, dass ein „Verzicht auf einen Aufsichtsrat unzulässig [ist], wenn die Voraussetzungen des Drittelbeteiligungsgesetzes vom 18.5.2004 (BGBl. I, 974) oder des Mitbestimmungsgesetzes vorlie-

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1252

§ 17 Rz. 1252 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

rechnen sind, kann auf die in (Rz. 1101 ff.) getroffenen Feststellungen Bezug genommen werden. 3. Zusammensetzung und persönliche Voraussetzungen 1253

Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats in der Genossenschaft ist abhängig von der Frage der Mitbestimmung (Rz. 1252). In der mitbestimmungsfreien Genossenschaft, also bei nicht mehr als 500 Arbeitnehmern, richtet sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats allein nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GenG (drei Mitglieder) und ggf. den Sonderregeln der Satzung. So kann die Satzung z.B. eine höhere (aber keine niedrigere) Mitgliederzahl als drei festsetzen oder vorsehen, dass die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei teilbar sein soll4. Zuständiges Wahlorgan ist grundsätzlich die Generalversammlung (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GenG). Seit Inkrafttreten der Genossenschaftsrechtsreform 20175 sieht das Gesetz aber auch die Möglichkeit vor, einzelnen Mitgliedern durch Satzungsbestimmung ein Entsendungsrecht einzuräumen (§ 36 Abs. 5 GenG; s. noch Rz. 1255).

1254

Hat die Gesellschaft mehr als 500, aber nicht mehr als 2000 eigene Arbeitnehmer oder Arbeitnehmer im Vertragskonzern, so richtet sich die Zusammensetzung des Aufsichtsrats wie dargelegt nach dem DrittelbG (Rz. 1252). In diesen Genossenschaften muss (wie im Aktien- und GmbH-Recht) die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder durch drei teilbar sein und der Aufsichtsrat zu zwei Dritteln aus Vertretern der Mitglieder der Genossenschaft und zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern zusammengesetzt sein (§§ 1 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3, 4 Abs. 1 DrittelbG). Beschäftigt die Genossenschaft selbst oder in inländischen abhängigen Konzernunternehmen mehr als 2000 Arbeitnehmer, so ist der Aufsichtsrat nach dem MitbestG paritätisch mitbestimmt (§§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1 MitbestG). Er setzt sich also zur Hälfte aus Vertretern der Mitglieder der Genossenschaft und zur Hälfte aus Vertretern ihrer Arbeitnehmer oder ihrer Gewerkschaften zusammen. Bestehen Unklarheiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, so entscheidet das Landgericht am Sitz der Genossenschaft im Statusverfahren nach §§ 97–99 AktG (i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG, § 6 Abs. 2 Satz 1 MitbestG, Rz. 1110 ff.).

1255

Für die Vertreter der Mitglieder der Genossenschaft im Aufsichtsrat gilt, unabhängig davon, ob sie von der Generalversammlung gewählt oder aufgrund eines Entsendungsrechts (Rz. 1253) entsandt worden sind6, das Prinzip der Selbstorganschaft (§ 9 Abs. 2 Satz 1 GenG); sie müssen also selbst Mitglieder der Genossenschaft sein oder zumindest den Anforderungen von § 9 Abs. 2 Satz 2 GenG genügen7. Für die

4 5 6 7

gen.“ Ebenso Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Komm. GenG, § 9 Rz. 3; Holthaus/ Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 9 Rz. 8 a.E. Zu Letzterem vgl. OLG Köln v. 2.5.1990 – 11 U 285/89, NJW-RR 1990, 1182. Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2434. Das Gesetz ist nach seinem Art. 6 am Tag nach seiner Verkündung, d.h. am 22.7.2017, in Kraft getreten. Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 36 Rz. 7a. Kritisch dazu Beuthien, NZG 2008, 210, 215.

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Überblick | Rz. 1256 § 17

Arbeitnehmerseite gilt dieses Gebot nicht (§ 1 Abs. 3 DrittelbG; § 6 Abs. 3 Satz 2 MitbestG). Zu beachten ist ferner, dass die Zahl sog. investierender Mitglieder (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GenG) im Aufsichtsrat ein Viertel nicht übersteigen darf (§ 8 Abs. 2 Satz 4 GenG). Zudem darf die Summe aus investierenden Mitgliedern und kraft Entsendungsrechts entsandten Mitgliedern im Aufsichtsrat nicht mehr als ein Drittel der Mandate ausmachen (§ 36 Abs. 5 Satz 2 GenG). § 37 GenG stellt schließlich besondere Inkompatibilitätsregeln auf. Nach § 37 Abs. 2 GenG kann ein ehemaliges Vorstandsmitglied erst dann in den Aufsichtsrat wechseln, wenn ihm vorher Entlastung erteilt wurde. 4. Besonderheiten in Genossenschaften von öffentlichem Interesse In kapitalmarktorientierten Genossenschaften i.S. des § 264d HGB, also solchen, die an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 11 WpHG) Schuldverschreibungen, Genussscheine oder sonstige Wertpapiere emittiert haben oder die Zulassung dazu beantragt haben, und in Genossenschaften, die als CRR-Kreditinstitut i.S. des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG einzustufen sind, sind zusätzlich die Anforderungen des § 36 Abs. 4 GenG zu beachten. Diese Bestimmung ist der Parallelvorschrift des § 100 Abs. 5 AktG nachgebildet und verlangt wie diese, dass die Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Genossenschaft tätig ist, vertraut sein müssen; zudem muss mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats als sog. Finanzexperte über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen (zu Einzelheiten Rz. 759). Denselben Anforderungen muss nach dem Vorbild des § 107 Abs. 4 AktG auch der Prüfungsausschuss genügen, sofern der Aufsichtsrat einen solchen bildet (§ 38 Abs. 1a GenG, Rz. 1271). Wie die §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG dienen auch die §§ 36 Abs. 4, 38 Abs. 1a GenG der Umsetzung von Art. 39 der geänderten Abschlussprüferrichtlinie8. Für Kreditinstitute sind ferner die besonderen Anforderungen zu beachten, die das Aufsichtsrecht an die Zuverlässigkeit und Sachkunde der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder (§ 25d Abs. 1 KWG) sowie an die Qualifikation des Gesamtorgans (§ 25d Abs. 2 KWG) stellt. Auch gelten in Kreditinstituten verschärfte Inkompatibilitätsvorschriften: So dürfen ehemalige Vorstandsmitglieder der Kreditgenossenschaft nicht in den Aufsichtsrat gewählt werden, wenn diesem bereits zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören (§ 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ausgeschlossen von der Übernahme eines Aufsichtsratsmandats sind ferner Personen, die bereits in einem anderen Unternehmen Geschäftsleiter sind und zugleich in mehr als zwei weiteren Unternehmen dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan angehören (§ 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KWG), sowie Personen, die bereits in mehr als drei anderen Unternehmen dem Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan angehören (§ 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KWG); näher zu diesen aufsichtsrechtlichen Besonderheiten Rz. 1450 ff.

8 Richtlinie 2006/43/EG vom 17.5.2006, ABl. EU Nr. L 157 v. 9.6.2006, S. 87; zuletzt geändert durch Art. 1 Richtlinie 2014/56/EU vom 16.4.2014, ABl. EU Nr. L 158 v. 27.5.2014, S. 196.

503

1256

§ 17 Rz. 1257 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

5. Die Rechte und Pflichten nach dem GenG, Verhältnis zur Generalversammlung 1257

Für die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats sind vor allem die §§ 38–41 sowie §§ 57 und 58 GenG maßgebend. Sie sind seit dem Reformgesetz von 2006 (Rz. 1251) weitgehend an die Regeln des AktG angepasst. Dies gilt allerdings nicht für die Bestellung und Abberufung des Vorstands; diese Kompetenz ist der Generalversammlung und nicht dem Aufsichtsrat zugewiesen (§ 24 Abs. 2 Satz 1 GenG), sofern die Satzung nichts anderes bestimmt oder die Genossenschaft der paritätischen Mitbestimmung nach dem MitbestG unterliegt (Rz. 1276 f.).

1257a

Eine Neuerung, die vom AktG erheblich abweicht, hat indes die Genossenschaftsrechtsreform von 2017 (Rz. 1253) mit sich gebracht. Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 GenG n.F. ist es nunmehr in Kleingenossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern wieder9 möglich, den Vorstand einem Weisungsrecht der Generalversammlung zu unterstellen und der Generalversammlung damit auch in Geschäftsführungsangelegenheiten den Rang als oberstes Organ zuzuweisen10. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Satzungsbestimmung. Dieses satzungsmäßige Weisungsrecht bezieht sich zwar ebenso wie das gesetzliche Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung der GmbH nur auf das Verhältnis zum Leitungsorgan (Vorstand), während der Aufsichtsrat auch in der Genossenschaft frei von Weisungen der Generalversammlung agiert11. Gleichwohl hat das Weisungsrecht auch erhebliche Auswirkungen auf die Stellung des Aufsichtsrats – soweit auf diesen in der Kleingenossenschaft nicht ohnehin verzichtet wird (Rz. 1251, 1280 ff.) –, da der Aufsichtsrat bei seiner Überwachung des Vorstands dessen Weisungsbindung zu berücksichtigen hat.

1257b

Macht die Generalversammlung von ihrem Weisungsrecht Gebrauch, stellt sich auch in der Genossenschaft die aus dem GmbH-Recht bekannte Frage, welche Folgen Weisungen für etwaige Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats (Rz. 1263) haben. Entsprechend den zur GmbH getroffenen Feststellungen (Rz. 1118 f.) ist auch hier davon auszugehen, dass die Erteilung einer Weisung den Zustimmungsvorbehalt nicht außer Kraft setzt, die Generalversammlung eine Verweigerung der Zustimmung durch den Aufsichtsrat aber durch Wiederholung der Weisung überspielen kann. In der paritätisch mitbestimmten Genossenschaft bedarf die Wiederholung der Weisung nach hier vertretener Ansicht der qualifizierten Mehrheit nach § 111 Abs. 4 Satz 4 AktG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG (vgl. Rz. 1119). Für die drittelmitbestimmte oder mitbestimmungsfreie Genossenschaft nehmen dagegen weder das DrittelbG noch das GenG auf § 111 Abs. 4 Satz 4 AktG Bezug; daher dürfte hier die Wiederholung der Weisung mit einfacher Mehrheit genügen (§ 43 Abs. 2 Satz 1 GenG).

9 Bis 1973 unterstand der Vorstand der Genossenschaft kraft Gesetzes den Weisungen der Generalversammlung. 10 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11506, S. 27. 11 Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 38 Rz. 3.

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Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen | Rz. 1260 § 17

II. Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen 1. Überwachung Jeder Aufsichtsrat, ob nun nach GenG, DrittelbG oder MitbestG gebildet, ist berechtigt und verpflichtet, den Vorstand bei dessen Geschäftsführung zu überwachen. Die Formulierung der einschlägigen Vorschrift des § 38 Abs. 1 GenG ist mit der Reform von 2006 weitgehend an § 111 Abs. 1 und 2 AktG angeglichen worden12. Daher kann für die Überwachung auf die Ausführungen zum Aufsichtsrat in der AG verwiesen werden (Rz. 61 ff., 241 ff.). Dies gilt auch für die Frage nach dem Zugriff des Aufsichtsrats auf das Personal der Genossenschaft unterhalb der Vorstandsebene (Rz. 245a ff.)13.

1258

Inhaltlich ist mit Überwachung exakt das Gleiche gemeint wie oben zur Aktiengesellschaft bereits eingehend ausgeführt (Rz. 73 ff.). Die Überwachung betrifft hier also ebenfalls die Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung. Darüber hinaus ist der Aufsichtsrat hier gerade und im Besonderen gehalten, über die Vorhaben und die geplante Geschäftsführung mit dem Vorstand zu beraten. Das Gesetz geht davon aus, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats als gleichzeitige Mitglieder der Genossenschaft deren Geschäfte kennen (z.B. landwirtschaftliche Genossenschaft, Kreditgenossenschaft, Baugenossenschaft) und daher im besonderen Maße in der Lage sind, die Chancen und Risiken der vom Vorstand geplanten Geschäftspolitik beratend zu begleiten. Damit geht insbesondere auch die Überwachung der Einhaltung des Förderzwecks einher. Ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand steht dem Aufsichtsrat aber ebenso wenig zu wie in der AG14.

1259

2. Information des Aufsichtsrats a) Die regelmäßige Information Obwohl die Pflichten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft denen des Aufsichtsrats in der AG angeglichen wurden, obwohl auch in der Genossenschaft der Aufsichtsrat von der aktiven Geschäftsführung ausgeschlossen ist und obwohl keines seiner Mitglieder zugleich im Vorstand tätig sein kann (§ 37 Abs. 1 GenG), hat der Gesetzgeber bisher davon abgesehen, eine § 90 Abs. 1 AktG vergleichbare Vorschrift zu schaffen. Der Vorstand einer Genossenschaft ist also nach dem Gesetz nicht zu regelmäßigen Berichten an seinen Aufsichtsrat verpflichtet. Das gilt für jede Genossenschaft, auch für die mitbestimmte Genossenschaft nach dem MitbestG und dem 12 Eine Ausnahme gilt für § 111 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AktG (Prüfung durch Sachverständige, dazu Rz. 1265). 13 Das war allerdings auch nach früherer Fassung umstritten, vgl. K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 16. 14 Arg. § 27 Abs. 1 Satz 1 GenG (Vorstand leitet „in eigener Verantwortung“); statt vieler Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 27 Rz. 7, § 38 Rz. 3. Zur Möglichkeit, der Generalversammlung ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand einzuräumen, s. aber Rz. 1257b.

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1260

§ 17 Rz. 1260 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

DrittelbG; in den § 38 GenG, § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG, § 25 MitbestG wird an keiner Stelle auf § 90 Abs. 1 AktG verwiesen. Stattdessen belässt es das GenG dabei, dass der Aufsichtsrat und einzelne seiner Mitglieder jederzeit vom Vorstand Auskunft an den Aufsichtsrat verlangen können (§ 38 Abs. 1 Sätze 2 und 4 GenG, Rz. 1269) und dem Aufsichtsrat ein Einsichts- und Prüfungsrecht zusteht (§ 38 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GenG, Rz. 1265). Ergänzend ist anerkannt, dass der Vorstand analog § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG den Aufsichtsratsvorsitzenden aus wichtigem Anlass von sich aus informieren muss (Rz. 1269). 1261

Dieses gesetzliche System mag Vorzüge der Flexibilität haben, hat aber auch erhebliche Nachteile, die vor allem in der Gefahr einer nachlässigen Behandlung des Informationssystems bestehen. Da der Aufsichtsrat keine eigene Kenntnis aus der Geschäftsführung der Genossenschaft hat, hängt auch hier die Qualität seiner Überwachung unmittelbar von der Qualität und Tiefe der ihm zukommenden Informationen ab. Daher empfiehlt es sich, in der Satzung ergänzende Regelungen über eine Regelberichterstattung des Vorstands an den Aufsichtsrat zu treffen, was in der Praxis auch häufig geschieht15. Fehlt es an einer hinreichenden Satzungsregelung, ist jeder Aufsichtsrat einer Genossenschaft gut beraten, wenn er eine Informationsordnung für den Aufsichtsrat beschließt. Er kann dabei auf die Systematik des § 90 AktG zurückgreifen16, aber auch die Besonderheiten der jeweiligen Genossenschaft, ihrer Größe, ihrer saisonalen Schwerpunkte etc. berücksichtigen. Da der Aufsichtsrat zu ordnungsgemäßer Überwachung verpflichtet ist (§§ 38 Abs. 1 Satz 1, 41 i.V.m. § 34 Abs. 1 GenG) und diese ohne Kenntnis vom Geschehen in der Genossenschaft nicht möglich ist, muss man den Aufsichtsrat zum Erlass einer entsprechenden Informationsordnung durch Beschluss dann für verpflichtet ansehen, wenn nicht schon die Satzung eine ausreichende Ordnung geschaffen hat oder der Vorstand ohne besondere Festlegung diesen Erfordernissen entspricht. Entscheidend dabei ist, dass die Berichte in regelmäßigen Abständen und in gleicher Ordnung so erfolgen, dass der Aufsichtsrat unschwer zum Periodenvergleich in der Lage ist. Für die Überwachung des allgemeinen Geschäftsbetriebs, für den erforderlichen Überblick über Ertrag und Liquidität der Genossenschaft sind diese regelmäßigen und gleichförmigen Berichte das entscheidende Instrument.

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Auf die Haftung jedes Aufsichtsratsmitglieds bei schuldhaft unsorgfältiger Ausübung der Überwachungspflicht (§§ 41, 34 Abs. 2 GenG) sei hier besonders hingewiesen. b) Zustimmungsvorbehalte und Vorlageberichte

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Der Vorstand bedarf in verschiedenen Situationen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Das gilt kraft Gesetzes etwa in den Fällen einer Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder (§ 39 Abs. 2 GenG). Es gilt aber auch dann, wenn die Satzung nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 3 GenG eine Zustimmungspflicht für bestimmte Geschäfte in 15 Vgl. § 17 der Mustersatzungen der Genossenschaftsverbände (Stand November 2015); Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 4. 16 So auch Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 801 a.E.; K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 10.

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Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen | Rz. 1265 § 17

ähnlicher Weise wie nach § 111 Abs. 4 Satz 2 Var. 1 AktG (Rz. 112 ff.) eingeführt hat. Solche Zustimmungsvorbehalte können in der Genossenschaft aber nur durch die Satzung, nicht wie in § 111 Abs. 4 Satz 2 Var. 2 AktG auch durch den Aufsichtsrat, verbindlich festgelegt werden17. Um die eigenverantwortliche Leitung durch den Vorstand (§ 27 Abs. 1 Satz 1 GenG, vgl. § 76 Abs. 1 AktG) nicht auszuhöhlen, dürfen Zustimmungsvorbehalte ebenso wie in der AG (Rz. 115, 121) nur für bedeutsame Angelegenheiten angeordnet werden18; bei der Konkretisierung, was als bedeutsam einzustufen ist, steht dem Satzungsgeber freilich ein Beurteilungsspielraum zu19. Im Unterschied zur AG kann die Satzung auf Grundlage der §§ 27 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 3 GenG im Übrigen nicht nur Zustimmungsvorbehalte, sondern auch die Mitwirkung des Aufsichtsrats an Geschäftsführungsentscheidungen in Form von gemeinsamer Beratung mit dem Vorstand, aber getrennter Abstimmung vorsehen20. Darüber hinaus hat der Vorstand den von ihm aufgestellten Jahresabschluss und den Lagebericht, ggf. einschließlich nichtfinanzieller Erklärung21, unverzüglich dem Aufsichtsrat vorzulegen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 GenG). Dieser hat die Unterlagen seinerseits zu prüfen und über seine Prüfung an die Generalversammlung (Vertreterversammlung) zu berichten (§ 38 Abs. 1 Satz 5, Abs. 1b GenG). Erst auf dieser Grundlage kann dann die Generalversammlung (Vertreterversammlung) den Jahresabschluss feststellen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GenG).

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c) Einsichts- und Prüfungsrechte Der Aufsichtsrat der Genossenschaft hat gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 GenG in gleicher Weise und in gleichem Umfang wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft nach § 111 Abs. 2 AktG ein eigenes Einsichts- und Untersuchungsrecht; auf die obigen Ausführungen (Rz. 241 ff.) kann daher verwiesen werden. Wie in der Aktiengesellschaft ist ein Beschluss des Aufsichtsrats zur Einleitung der Einsicht oder Prüfung erforderlich. Auch hier kann der Aufsichtsrat die von ihm beschlossene Einsicht oder Prüfung durch eines oder mehrere seiner Mitglieder ausüben lassen (§ 38 Abs. 1 Satz 3 GenG). Da § 111 Abs. 2 Var. 2 AktG in § 38 Abs. 1 Satz 3 GenG keine Ent17 Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 27 Rz. 11, § 38 Rz. 9; Geibel in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 27 GenG Rz. 1; Hoffmann/Preu, Der Aufsichtsrat, Rz. 802; K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 49 m.w.N. Daneben kommt in Betracht, dass der Vorstand sich in seiner Geschäftsordnung von sich aus einem Zustimmungsvorbehalt unterwirft, doch tritt dadurch keine Selbstbindung des Vorstands ein; näher Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 27 Rz. 11; Fett/Heuser, ZfgG 2015, 209, 217 ff. 18 Ähnlich Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Komm. GenG, § 38 Rz. 16 (nur Angelegenheiten von besonderer Bedeutung); weitergehend Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 33. 19 Vgl. zur AG Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 122. 20 Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 32. 21 Handelt es sich um eine große Genossenschaft i.S. des § 267 Abs. 3 Satz 1 HGB, die kapitalmarktorientiert ist (§ 264d HGB) und im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, muss der Lagebericht um eine nichtfinanzielle Erklärung erweitert werden (§§ 289b, 336 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 HGB); eingeführt durch CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz vom 11.4.2017, BGBl. I 2017, 802.

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1265

§ 17 Rz. 1265 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

sprechung findet, kann der Aufsichtsrat aber nicht einen Sachverständigen mit dieser Prüfung beauftragen22, es sei denn, die Satzung enthält eine entsprechende Ermächtigung. d) Prüfungsbericht des Verbandsprüfers 1266

Im Genossenschaftsrecht ist die Prüfung der Genossenschaft und ihrer Geschäftsführung durch einen Prüfungsverband von besonderer Bedeutung. Diese Prüfung hat mindestens in jedem zweiten Geschäftsjahr stattzufinden (§ 53 Abs. 1 Satz 1 GenG), bei Genossenschaften mit einer Bilanzsumme von mehr als 2 Mio. € in jedem Geschäftsjahr (§ 53 Abs. 1 Satz 2 GenG). Bei Kleinstgenossenschaften i.S. des § 336 Abs. 2 Satz 3 HGB kann sich jede zweite Prüfung auf eine vereinfachte Prüfung beschränken (§ 53a GenG). Über das Ergebnis seiner Prüfung hat der Prüfungsverband zu berichten (§ 58 Abs. 1 GenG)23 und in diesem Bericht auch dazu Stellung zu nehmen, ob und auf welche Weise die Genossenschaft im Prüfungszeitraum einen zulässigen Förderzweck verfolgt hat (§ 58 Abs. 1 Satz 3 GenG n.F.)24. Jedes Mitglied des Aufsichtsrats hat den Prüfungsbericht zur Kenntnis zu nehmen (§ 58 Abs. 3 Satz 2 GenG). Daraus folgt zugleich, dass jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied aufgrund eines eigenen subjektiven Rechts die Aushändigung des Berichts verlangen kann25, ohne dass es hierzu eines Beschlusses des Gesamtaufsichtsrats bedürfte und ohne dass dieses Recht ausgeschlossen werden könnte26.

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Und schließlich hat der Aufsichtsrat für die nächste Generalversammlung zum Ergebnis dieses Prüfungsberichts Stellung zu nehmen (§ 59 Abs. 2 GenG), muss also den Inhalt dieses Berichts und seine Ergebnisse zuvor beraten und eine eigene Stellungnahme dazu beschlossen haben27.

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Über die §§ 53 Abs. 2, 58 Abs. 1 GenG gelten im Rahmen der Abschlussprüfung auch einige Vorschriften über die Prüfung von Kapitalgesellschaften, insbesondere in Bezug auf die Ausgestaltung des Prüfungsberichts (§ 321 Abs. 1 bis 3 sowie 4a HGB) und den Umfang der Prüfung von größeren Genossenschaften, die bei der Stellungnahme zu berücksichtigen sind. e) Sonderberichte und angeforderte Berichte

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Komplettiert wird die Information des Aufsichtsrats dadurch, dass der Vorstand den Aufsichtsrat oder mindestens den Aufsichtsratsvorsitzenden in entsprechender An22 K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 23; a.A. Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 38 Rz. 5; Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Komm. GenG, § 38 Rz. 18. 23 Die Vorschrift verweist auf § 321 Abs. 1 HGB und stellt damit die Vergleichbarkeit mit der Prüfung des Jahresabschlusses einer AG oder GmbH durch einen Wirtschaftsprüfer her. 24 Eingeführt durch die Genossenschaftsrechtsreform 2017 (Rz. 1253). 25 Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 58 Rz. 6. 26 Eine abweichende Regelung in der Satzung ist nicht möglich, da auch im Genossenschaftsrecht der Grundsatz der Satzungsstrenge gilt (§ 18 Satz 2 GenG). 27 Wartenberg, Stellung und Aufgaben des genossenschaftlichen Aufsichtsrats, S. 219 f.

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Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen | Rz. 1272 § 17

wendung von § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG bei wichtigen Anlässen von sich aus zu informieren hat28. Zudem hat der Vorstand dem Aufsichtsrat auf Verlangen des Aufsichtsrats oder eines seiner Mitglieder jederzeit über alle Angelegenheiten der Genossenschaft Bericht zu erstatten (§ 38 Abs. 1 Satz 2 und 4 GenG). Insofern gilt das Gleiche wie nach § 90 Abs. 3 AktG für die Aktiengesellschaft; auf die obigen Ausführungen (Rz. 212 ff.) kann somit verwiesen werden. 3. Geheimhaltung und Vertraulichkeit Auch in der Genossenschaft gilt der Satz: Es gibt keinen Bereich der Verschwiegenheit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat29. Auf der anderen Seite sind die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder zu Geheimhaltung und Vertraulichkeit in den §§ 41, 34 Abs. 1 Satz 3 GenG wortgleich mit § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geregelt. Das Gleiche gilt für die Strafvorschrift des § 151 GenG in ihrem Verhältnis zu § 404 AktG. Es kann daher uneingeschränkt auf die obigen Ausführungen (Rz. 254 ff.) zu diesen Fragen verwiesen werden. Diese Übereinstimmung gilt auch für die Feststellung, dass Änderungen in diesem System weder durch die Satzung (§ 18 Satz 2 GenG) noch die Geschäftsordnung möglich sind. Und noch in einem weiteren Aspekt gilt Gleiches wie im Aktienrecht: Die anderen Genossen sind „Dritte“; ihnen gegenüber sind die Aufsichtsratsmitglieder also in gleichem Maße wie Außenstehenden gegenüber zur Geheimhaltung und Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet30.

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4. Ausschüsse Das Genossenschaftsgesetz enthält keine allgemeine Regelung zur Bildung von Ausschüssen nach dem Vorbild des § 107 Abs. 3 AktG. In Reaktion auf die Abschlussprüferrichtlinie sowie in Anlehnung an § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG (Rz. 755) sieht aber § 38 Abs. 1a GenG vor, dass der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss bilden kann, der sich mit der Überwachung der Rechnungslegung, der Abschlussprüfung sowie der Wirksamkeit des internen Kontroll-, Risikomanagement- und Revisionssystems befasst. Wird ein solcher Ausschuss eingerichtet – was dem Aufsichtsrat freisteht –, muss dieser in Genossenschaften, die kapitalmarktorientiert i.S. des § 264d HGB oder CRR-Kreditinstitut i.S. des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG sind, den Anforderungen des § 36 Abs. 4 GenG (Sektorvertrautheit der Gesamtheit der Ausschussmitglieder, Finanzexperte) genügen (§ 38 Abs. 1a Satz 2 GenG, vgl. § 107 Abs. 4 AktG, s. auch schon Rz. 1256).

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Aus der Regelung zum Prüfungsausschuss ist nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass dem Aufsichtsrat die Einrichtung weiterer Ausschüsse verwehrt wäre. Im Gegenteil ist allgemein anerkannt, dass auch der Aufsichtsrat einer Genossenschaft als

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28 Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 38 Rz. 5; K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 10; Potthoff/Trescher/Theisen, Das Aufsichtsratsmitglied, Rz. 710; a.A. Lippert, ZfgG 1978, 181, 183 mit Fn. 7. 29 K. Müller, Komm. GenG, § 38 Rz. 11; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 8; Lippert, ZfgG 1978, 181, 183 mit Fn. 7. 30 Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 41 Rz. 36.

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§ 17 Rz. 1272 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

Ausfluss seiner Organisationsautonomie jedenfalls vorbereitende und beratende Ausschüsse bilden kann. Streitig ist dagegen, ob der Aufsichtsrat auch beschließende Ausschüsse einrichten kann31. Für die herrschende Ansicht, die auch die Bildung beschließender Ausschüsse von der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats gedeckt sieht, lässt sich insbesondere § 38 Abs. 1a GenG anführen. Dieser beschränkt die Kompetenz des Prüfungsausschusses nicht auf eine nur vorbereitende oder beratende Funktion32. Wenn aber in diesem sensiblen Bereich die Einrichtung eines beschließenden Ausschusses möglich ist, wäre es ungereimt, wenn das Gesetz diese Möglichkeit andernorts generell ausschließen würde. Ganz in diesem Sinne versteht auch die amtliche Begründung § 38 Abs. 1a Satz 1 GenG nicht als Ausnahmevorschrift, sondern als bloße Klarstellung dessen, was schon nach allgemeinen Grundsätzen gilt33. In der Praxis sind beschließende Ausschüsse, namentlich Kreditausschüsse von Genossenschaftsbanken, denn auch seit langem weit verbreitet34. 1273

Lässt man beschließende Ausschüsse zu, stellt sich die Folgefrage, ob und inwieweit die Delegationsverbote des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG entsprechend anzuwenden sind. Eine analoge Anwendung wird zwar verschiedentlich schon im Ansatz ausgeschlossen, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle35. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass es an einer klaren Aussage des Gesetzgebers mangelt und nicht recht einsichtig ist, warum die Organisationsautonomie des Aufsichtsrats generell weiter reichen soll als in der AG. Daher spricht viel dafür, sich im Ausgangspunkt an dem aktienrechtlichen Katalog zu orientieren und für jedes der dort genannten Delegationsverbote zu prüfen, ob es die rechtsformspezifischen Besonderheiten der Genossenschaft rechtfertigen, vom aktienrechtlichen Vorbild abzuweichen36.

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Seit Inkrafttreten des VorstAG wird insbesondere darüber gestritten, ob die Entscheidung über die Vergütung der Vorstandsmitglieder noch dem Personalausschuss zugewiesen werden kann oder einer solchen Regelung nunmehr die Aufnah31 Verneinend K. Müller, Komm. GenG, § 36 Rz. 108; Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 36 Rz. 28; bejahend aber die h.M. Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Komm. GenG, § 36 Rz. 47; Geibel in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 36 GenG Rz. 6; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 45, § 41 Rz. 43; Heutz, NZG 2013, 2013, 611, 612; Scholderer, NZG 2011, 528, 529 f. m.w.N. 32 Scholderer, NZG 2011, 528, 529. Die Prüfung des Jahresabschlusses ist allerdings dem Plenum vorbehalten (arg. §§ 107 Abs. 4 Satz 3, 171 AktG); Bauer, Genossenschafts-Handbuch, Lfg. 3/14, § 36 GenG Rz. 220, 227, Lfg. 3/16, § 38 GenG Rz. 11d. 33 Begr. RegE BilMoG, BT-Drucks. 16/10067, S. 107: „In § 38a Abs. 1 Satz 1 GenG wird klargestellt, dass der Aufsichtrat jeder Genossenschaft einen Prüfungsausschuss einrichten kann.“ (Hervorhebung der Verf.). 34 Vgl. auch Scholderer, NZG 2011, 528, 529 („gängige Praxis“). 35 Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Komm. GenG, § 36 Rz. 47a; Rolf/Hautkappe/ Schmidt-Ehmann, NZG 2011, 129 f.; Heutz, NZG 2013, 611, 613; dagegen für entsprechende Anwendung des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG Bauer, Genossenschafts-Handbuch, Lfg. 3/14, § 36 GenG Rz. 220 (anders aber Rz. 222 für die Festsetzung der Vergütung); Beuthien, NZG 2010, 333, 334. 36 Gleichsinnig Geibel in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 36 GenG Rz. 6.

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Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen | Rz. 1276 § 17

me des § 87 AktG in den Katalog des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG entgegensteht37. Die Frage erinnert an das umstrittene Parallelproblem in der paritätisch mitbestimmten GmbH (Rz. 1136). Richtigerweise spricht mehr gegen als für ein Delegationsverbot. Vordergründig lässt sich gegen ein Delegationsverbot bereits einwenden, dass das Genossenschaftsgesetz gar keine dem § 87 AktG vergleichbare Sondervorschrift zur Angemessenheit der Vergütung kennt; doch mag man dem entgegenhalten, dass die Aufsichtsratsmitglieder aufgrund ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht (§§ 41, 34 GenG) selbstverständlich auch für die Angemessenheit der Vorstandsvergütung Sorge tragen müssen. Ausschlaggebend sollte vielmehr eine andere Überlegung sein: Das Anliegen des Delegationsverbots, die Transparenz und Kontrolle der Vergütungsfestsetzung durch Befassung des Gesamtaufsichtsrats zu verbessern, ist in der Genossenschaft insgesamt weniger dringlich als in der AG, da Genossenschaften einer erweiterten Prüfung durch den Prüfungsverband unterliegen, die sich auch auf die Angemessenheit der Vorstandsvergütung erstreckt38. Es fehlt daher an einer hinreichenden Vergleichbarkeit der Interessenlage; eine analoge Anwendung des aktienrechtlichen Plenumsvorbehalts muss folglich insoweit ausscheiden. Über den gesamten Anstellungsvertrag einschließlich der Vergütungsregelung kann somit der Personalausschuss entscheiden. Hingegen besteht Einigkeit, dass die Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder, so sie denn durch Satzungsbestimmung nach § 24 Abs. 2 Satz 2 GenG dem Aufsichtsrat anstelle der Generalversammlung zugewiesen ist (Rz. 1276), mit Rücksicht auf ihre herausragende Bedeutung nicht auf einen Ausschuss delegiert werden kann39. Dies entspricht dem Rechtsgedanken des § 107 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AktG. Unabhängig von der Frage der analogen Anwendbarkeit des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht delegationsfähig sind zudem alle Fragen, welche die Selbstorganisation des Aufsichtsrats betreffen. Dazu gehören etwa die Wahl und Abberufung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters, der Erlass einer Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, die Bildung und Auflösung von Ausschüssen und dergleichen40.

1275

5. Bestellung und Abberufung des Vorstands a) Grundsatz: Zuständigkeit der Generalversammmlung Der Vorstand wird in der mitbestimmungsfreien und in der drittelmitbestimmten Genossenschaft von der Generalversammlung (§ 24 Abs. 2 Satz 1 GenG) oder der 37 Für ein Delegationsverbot Beuthien, NZG 2010, 333, 334 f. (sogar in Bezug auf den gesamten Anstellungsvertrag); dagegen jedoch Scholderer, NZG 2011, 528, 529 f.; ferner diejenigen, die schon die Anwendbarkeit des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG generell verneinen (s. Rz. 1273). 38 Näher Scholderer, NZG 2011, 528, 530; ferner Heutz, NZG 2013, 611, 613. 39 Bauer, Genossenschafts-Handbuch, Lfg. 3/14, § 36 GenG Rz. 222, 224; Geibel in Henssler/ Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 36 GenG Rz. 6; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 47. 40 Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 38 Rz. 46; vgl. Rz. 746.

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§ 17 Rz. 1276 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

Vertreterversammlung (§ 43a GenG) gewählt und abberufen (§ 24 Abs. 3 Satz 2 GenG), es sei denn, diese Befugnis ist in der Satzung dem Aufsichtsrat übertragen worden, § 24 Abs. 2 Satz 2 GenG. Ist dies nicht der Fall und ist der Aufsichtsrat mit der Leistung oder dem Verhalten eines Vorstandsmitglieds (das von der Generalbzw. Vertreterversammlung abzuberufen ist, arg. § 40 GenG) nicht einverstanden, so kann er selbst nicht abberufen. Er kann nach § 40 GenG das betreffende Vorstandsmitglied vorläufig seiner Rechte und Pflichten entheben, muss dann aber unverzüglich eine Generalversammlung (Vertreterversammlung) einberufen41 und deren endgültige Entscheidung (endgültige Abberufung oder Aufhebung der vorläufigen Amtsenthebung) herbeiführen. Mit dem Widerrufsrecht steht der General- bzw. Vertreterversammlung auch die ausschließliche Entscheidung über eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages zu42. Daraus folgt weiter, dass der Aufsichtsrat ohne einen entsprechenden Beschluss der General- bzw. Vertreterversammlung auch keine Vereinbarung über die vorzeitige Auflösung des Dienstvertrags treffen kann, obgleich dies in der Praxis immer wieder geschieht. Ein solches Vorgehen verletzt die alleinige – und nicht zur Disposition von Vorstand und Aufsichtsrat stehende – Kompetenz der General- bzw. Vertreterversammlung zur vorzeitigen Beendigung des Vorstandsamtes und ist deshalb unwirksam43. Es empfiehlt sich jedoch, in der Satzung von der durch § 24 Abs. 2 Satz 2 GenG eröffneten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Befugnis zur Bestellung und zur Abberufung des Vorstands dem Aufsichtsrat zu übertragen. In einem solchen Falle ergibt sich aus der Annexkompetenz zur Abberufung auch die Befugnis zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags44, wenn diese nicht ohnehin in der Satzung dem Aufsichtsrat zugewiesen wurde. Dies erleichtert insbesondere die fristlose Kündigung mangels Pflicht zur Einberufung der Generalversammlung. Es bleibt aber rechtlich möglich, nur die Bestellungsbefugnis auf den Aufsichtsrat zu übertragen und die Befugnis zur Abberufung der Generalversammlung zu belassen45. Das alles gilt auch in der zu einem Drittel mitbestimmten Genossenschaft nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 DrittelbG.

41 Alternativ kann die Einberufung auch unverzüglich durch den Vorstand erfolgen (§ 44 GenG); Geibel in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 40 GenG Rz. 2. 42 Vgl. BGH v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, NJW 1984, 2689; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 24 Rz. 75. 43 Zutreffend OLG Hamm v. 4.12.1991 – 8 U 262/89, ZfgG 1994, 284; a.A. (solange nicht zugleich ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche vereinbart wird) OLG Oldenburg v. 18.4.1991 – 1 U 174/90, DB 1992, 1179, 1180 und Carspecken, DB 1992, 1180 f. mit der unzutreffenden Annahme, die Kündigungskompetenz der Generalversammlung diene nicht zuletzt dem Schutz des Vorstandsmitglieds, welches auf diesen Schutz verzichten könne. 44 Geschwandtner/Helios, NZG 2006, 691, 693 f. Der Abschluss und die Änderung der Anstellungsverträge sowie deren ordentliche Kündigung stehen dem Aufsichtsrat nach § 39 Abs. 1 Satz 1 GenG ohnehin zu; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 24 Rz. 48, 71. 45 Keßler, BB 2006, 561, 563.

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Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats im Einzelnen | Rz. 1279a § 17

b) Zuständigkeit des Aufsichtsrats nach MitbestG In der großen Genossenschaft mit mehr als 2000 eigenen oder konzernangehörigen Arbeitnehmern wird der Vorstand nur vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen (§ 31 MitbestG). Es gelten insoweit keine Besonderheiten gegenüber den obigen Ausführungen (Rz. 332 ff.) zur Bestellung und Abberufung des Vorstands durch den Aufsichtsrat in der Aktiengesellschaft nach MitbestG.

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6. Vertretung der Genossenschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern In allen Genossenschaften – also unabhängig von seiner Kompetenz zur Bestellung und Abberufung – vertritt der Aufsichtsrat gemäß § 39 Abs. 1 GenG die Genossenschaft gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich, d.h. beim Abschluss und (mit den in Rz. 1276 geschilderten Einschränkungen) bei der Kündigung des Anstellungsvertrages ebenso wie bei etwaigen Klagen der Genossenschaft gegen sie auf Schadensersatz etc. Dies gilt wie in § 112 AktG auch im Verhältnis zu ehemaligen Vorstandsmitgliedern, soweit ein Zusammenhang mit der früheren Vorstandstätigkeit besteht (vgl. Rz. 454)46.

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7. Pflichtverletzung und Haftung Es gelten nach §§ 41, 34 GenG nahezu wortgleich die gleichen Regeln wie nach §§ 116, 93 AktG. Durch die Genossenschaftsreform 2017 (Rz. 1253) ist nach dem Vorbild des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auch die Geltung der Business Judgment Rule für unternehmerische Entscheidungen klargestellt worden (§ 41 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG n.F.)47. Auf die obigen Ausführungen zur Haftung der Aufsichtsratsmitglieder der AG (Rz. 981 ff.) kann also verwiesen werden. Die Konkretisierung der Sorgfalt auf die des Geschäftsleiters einer Genossenschaft betont den Förderauftrag der Genossenschaft und die Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen der Mitglieder. Auch hier gilt, dass niemand verpflichtet ist, ein Aufsichtsratsamt zu übernehmen. Tut er es aber, so hat er es ordentlich, ordnungsgemäß und sorgfältig auszuüben; er kann sich weder auf Zeitmangel noch auf Unerfahrenheit berufen.

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Eine Besonderheit, die im Aktienrecht keine Entsprechung findet, enthält allerdings die durch die Reform 2017 (Rz. 1253) neu eingeführte Bestimmung des § 34 Abs. 2 Satz 3 (i.V.m. § 41) GenG. Sie ordnet an, dass bei Beurteilung der Sorgfalt von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, die im Wesentlichen unentgeltlich tätig sind, dieser Umstand zu ihren Gunsten berücksichtigt werden muss48. Der Gesetzgeber hat damit einer Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit nach dem Vorbild

1279a

46 Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 39 Rz. 6; Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 39 Rz. 11 f. 47 Die Geltung der Business Judgment Rule wurde freilich schon zuvor auch im Genossenschaftsrecht ganz überwiegend anerkannt; s. 6. Aufl. und Cobe/Kling, NZG 2015, 48, 49; jeweils m.w.N.; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11506, S. 28 (Geltung wird „klargestellt“). 48 Nach bisheriger Rechtsprechung verhielt es sich dagegen so, dass diesem Umstand allenfalls im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs zwischen ehrenamtlichen und nicht eh-

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§ 17 Rz. 1279a | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

des § 31a BGB eine Absage erteilt und einer flexibleren, freilich auch viel unbestimmteren Haftungsmilderung den Vorzug gegeben49. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass §§ 34 Abs. 2 Satz 3, 41 GenG auch bei „Ehrenamtspauschalen“ oberhalb der in § 31a BGB genannten Grenze von 720 € pro Jahr zur Anwendung kommen kann50. Wie sich der mildere Sorgfaltsmaßstab inhaltlich konkretisieren lässt, ist dagegen einstweilen völlig offen. Denkbar erscheint etwa, einem im Wesentlichen unentgeltlich tätigen Organwalter eine großzügiger bemessene Einarbeitungszeit zuzugestehen51.

III. Die Generalversammlung als Überwachungsorgan 1. Ausgangspunkt: möglicher Verzicht auf den Aufsichtsrat in Kleingenossenschaften 1280

In Kleingenossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern besteht seit 2006 die Möglichkeit, durch Bestimmung in der Satzung auf den Aufsichtsrat zu verzichten (§ 9 Abs. 1 Satz 2 GenG)52, sofern nicht die Mitbestimmung nach DrittelbG oder MitbestG eingreift (Rz. 1252). Falls eine Genossenschaft mit der Mindestzahl von nur noch drei Personen (§ 4 GenG) gegründet werden soll, muss u.U. sogar auf den Aufsichtsrat verzichtet werden, um den Anforderungen an Selbstorganschaft (§ 9 Abs. 2 GenG), Mindestzahl der Aufsichtsratsmitglieder (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GenG) und Inkompatibiliät von gleichzeitiger Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedschaft (§ 37 GenG) Rechnung zu tragen53. 2. Übergang der Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats auf die Generalversammlung

1281

Wird von der Verzichtsmöglichkeit Gebraucht gemacht, nimmt die Generalversammlung die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats wahr (§ 9 Abs. 1 Satz 3 GenG)54. Sie hat also den Vorstand bei dessen Geschäftsführung zu überwachen (§ 38 Abs. 1 Satz 1 GenG). Aber auch die Beratung der Geschäftsführung ist Aufgabe des Aufsichtsrats und damit in der aufsichtsratslosen Genossenschaft Aufgabe der

49 50 51 52

53 54

renamtlichen Organwaltern Bedeutung zugemessen wurde; vgl. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 216/01, NJW RR 2004, 900, 901 f. (unter II. 5.), 904 (unter III. 2.) = ZIP 2004, 407. Zur Diskussion im Vorfeld der Reform etwa Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 34 Rz. 6 ff. Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11506, S. 28. Geibel in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 34 GenG Rz. 7, § 41 GenG Rz. 4. Eingeführt durch das Reformgesetz 2006 (Rz. 1251). Falls die Kleingenossenschaft kapitalmarktorientiert i.S. des § 264d HGB oder ein CRR-Kreditinstitut i.S. des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG ist, muss bei Verzicht auf den Aufsichtsrat allerdings ein Prüfungsausschuss als selbständiges Organ der Genossenschaft eingerichtet werden, § 53 Abs. 3 GenG i.V.m. § 324 HGB (vgl. Rz. 1232). Geschwandtner/Helios, Genossenschaftsrecht, S. 92. Weiterführend dazu insbesondere Geschwandtner/Wittenberg, BB 2008, 1748, 1752 ff.

514

Die Generalversammlung als Überwachungsorgan | Rz. 1284 § 17

Generalversammlung. Die Vorteile der mit der Selbstorganschaft verbundenen Sachkunde (Rz. 1259) kommen auch hier zum Tragen. Die Informations-, Einsichts- und Prüfungsrechte des Aufsichtsrats (§ 38 Abs. 1 Sätze 2-3 GenG) stehen ohne Abstriche der Generalversammlung zu. Um den Informationsfluss zwischen Vorstand und Überwachungsorgan zu optimieren, ist auch in einer verhältnismäßig kleinen Genossenschaft der Erlass einer an § 90 AktG angelehnten Berichtsordnung zweckmäßig. Um bei Kleingenossenschaften mit annähernd 20 Mitgliedern die Effektivität der Überwachung zu erhöhen, bietet sich die Einrichtung von Ausschüssen an (Rz. 1271 ff.).

1282

Es gibt aber auch Situationen, in denen die Generalversammlung kein geeigneter Ersatz für den Aufsichtsrat ist, und in denen das GenG daher besondere Regelungen getroffen hat. Für die Vertretung der Genossenschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern (und im Anfechtungsfall, § 51 Abs. 3 Satz 2 GenG) ist von der Generalversammlung ein Bevollmächtigter (der nicht Mitglied der Genossenschaft sein muss55) zu wählen, § 39 Abs. 1 Satz 2 GenG; die Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden im Prüfungsverfahren hat ein von der Generalversammlung aus ihrer Mitte gewählter Bevollmächtigter wahrzunehmen, § 57 Abs. 6 und § 58 Abs. 3 Satz 1 GenG. Wenn die Einberufung einer Generalversammlung im Interesse der Genossenschaft erforderlich ist, so ist der Vorstand verpflichtet, dies zu tun, §§ 38 Abs. 2 Satz 2, 44 GenG.

1283

3. Konsequenzen für die Rechtsstellung und Haftung der einzelnen Mitglieder Dass nach § 9 Abs. 1 Satz 3 GenG die Generalversammlung an die Stelle des Aufsichtsrats tritt, hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung der einzelnen Mitglieder der Kleingenossenschaft. Ihnen stehen einerseits die Rechte zu, die in der Normal-Genossenschaft dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied zustehen (wie z.B. das Auskunftsrecht nach § 38 Abs. 1 Satz 4 GenG). Andererseits sollen nach der Vorstellung des Gesetzgebers offenbar auch die Pflichten, die sonst die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder treffen, die Mitglieder persönlich treffen. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass bei Verletzung einer Sorgfaltspflicht in Wahrnehmung einer dem Aufsichtsrat obliegenden Aufgabe durch ein Mitglied der Genossenschaft eine Haftung dieses Mitglieds entsprechend §§ 41, 34 GenG in Betracht komme56. Allerdings ist im Schrifttum umstritten und in der Tat nicht zweifelsfrei, ob die Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder und die strengen Grundsätze der Aufsichtsratshaftung tatsächlich auf die Mitglieder der aufsichtsratslosen Genossenschaft übertragen werden können57. Selbst wenn man hiervon grundsätzlich aus55 Geschwandtner/Helios, NZG 2006, 691, 692. 56 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1025, S. 82. 57 Bejahend Geschwandtner/Wittenberg, BB 2008, 1748, 1753; Scheibner, DZWiR 2010, 137 f.; gegen Übertragung der Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder auf die einzelnen Mitglieder aber Beuthien in Beuthien, Komm. GenG, § 9 Rz. 5; einschränkend auch Fiedler in FS Schaffland, S. 133, 142 ff.; ferner Holthaus/Lehnhoff in Lang/Weidmüller, Komm. GenG, § 9 Rz. 8, und Keßler, Berliner Komm. GenG, § 9 Rz. 8 f., die die Überwachung des Vorstands aus der Haftung der Mitglieder ausklammern und die Haftung auch im Übrigen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken wollen.

515

1284

§ 17 Rz. 1284 | Besonderheiten des Aufsichtsrats in der Genossenschaft

gehen wollte, müsste zugunsten der Mitglieder nach dem neuen § 34 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. §§ 41, 9 Abs. 1 Satz 3 GenG wenigstens Berücksichtigung finden, dass sie für ihre Überwachungstätigkeit keine Vergütung beziehen. 1285 –1300 Einstweilen frei.

516

§ 18 Der Aufsichtsrat in der KGaA I. Überblick Ebenso wie die Aktiengesellschaft hat auch die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) einen Pflichtaufsichtsrat, §§ 278 Abs. 3, 287 AktG. Allerdings unterscheiden sich die innere Struktur der KGaA und das Verhältnis der Organe zueinander grundlegend von der AG, wenngleich auch die KGaA Kapitalgesellschaft und nicht Personengesellschaft ist1. Die wohl wichtigsten Rechte des Aufsichtsrats in der KGaA sind im Vergleich zu denen des Aufsichtsrats in der AG diejenigen Rechte, die er nicht hat2. Der Aufsichtsrat in der KGaA hat in der gesetzestypischen Ausgestaltung kein Recht zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung (Rz. 1305 f.), kein originäres Recht zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten (Rz. 1316) und kein Recht zur Feststellung des Jahresabschlusses (vgl. § 286 AktG). Die Ursachen dafür liegen in der Organisationsstruktur der KGaA: Vereinfacht lässt sich sagen, dass sich das Innenverhältnis und damit die Führungsstruktur nach dem Recht der Kommanditgesellschaft bestimmt, die Kapitalstruktur sich hingegen nach Aktienrecht beurteilt3, § 278 Abs. 2 und 3 AktG. Diese Struktur hat Auswirkungen auf den Aufsichtsrat in der KGaA und seine Rechte und Pflichten. Zum einen erfüllt er eine Doppelfunktion: Er überwacht einerseits die Geschäftsführung und repräsentiert andererseits bei Rechtsstreitigkeiten mit den persönlich haftenden Gesellschaftern die Gesamtheit der Kommanditaktionäre4. Zum anderen unterliegt die KGaA nicht ganz der Satzungsstrenge der AG, sondern hinsichtlich ihrer Führungsstruktur der inneren Gestaltungsfreiheit der Personengesellschaften (§§ 109, 163 HGB)5, so dass die Stellung des Aufsichtsrats auch stark von der Satzung der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Wichtigster Unterschied zur AG und zentral für die (geringe) Macht des Aufsichtsrats ist die Tatsache, dass er kein Recht zur Bestellung und Anstellung der Geschäftsführung hat. „Geborene“ Leitungsorgane in der KGaA sind die persönlich haftenden Gesellschafter6. Insoweit ist die Position des Aufsichtsrats in der KGaA durchaus mit der eines freiwilligen Aufsichtsrats in der GmbH (§ 52 Abs. 1 GmbHG) vergleichbar7. 1 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 32 I, 1; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 278 Rz. 1; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 1; zur Geschichte der KGaA K. Schmidt in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 26. Kap., S. 1188 ff. 2 Vgl. Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 744 ff. 3 BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392, 396 = AG 1997, 370; zu den anwendbaren Normen vgl. den umfangreichen Katalog bei Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 278 Rz. 6. 4 Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 1. 5 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 28 Rz. 2. 6 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 2; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, Vor § 278 Rz. 65; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 53. 7 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 31 Rz. 11.

517

1301

§ 18 Rz. 1302 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats 1302

1. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats in der KGaA richtet sich gemäß § 278 Abs. 3 i.V.m. §§ 95 ff. AktG nach Aktienrecht und erfolgt durch Wahl der Hauptversammlung oder durch Entsendung8. Daher gelten auch die Inkompatibilitätsvorschriften des § 100 AktG. Handelt es sich um eine KGaA von öffentlichem Interesse (kapitalmarktorientierte Gesellschaften, CRR-Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen), sind die besonderen Anforderungen des § 100 Abs. 5 AktG zu beachten (mindestens ein Finanzexperte, Sektorvertrautheit der Gesamtheit der Mitglieder, Rz. 759). Bei der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung sind die persönlich haftenden Gesellschafter nicht stimmberechtigt; gemäß § 285 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG können sie bei der Beschlussfassung über die Wahl und Abberufung des Aufsichtsrats das Stimmrecht weder für sich noch für einen anderen ausüben9. Das führt in Zusammenhang mit dem Verbot für Komplementäre, selbst Aufsichtsratsmitglied zu sein (§ 287 Abs. 3 AktG), auch zur Unzulässigkeit der Begründung von Entsendungsrechten zugunsten der persönlich haftenden Gesellschafter10. Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder bedarf auch nicht der Zustimmung der persönlich haftenden Gesellschafter (§ 285 Abs. 2 Satz 1 AktG), da sonst das Stimmverbot leerliefe11.

1303

2. Auch die Repräsentation der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat entspricht der in der Aktiengesellschaft: Beschäftigt die Gesellschaft in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmer, so sind grundsätzlich keine Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vertreten12. Hat die Gesellschaft mehr als 500, aber nicht mehr als 2000 Arbeitnehmer, so muss der Aufsichtsrat gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 DrittelbG zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen. Beschäftigt die KGaA schließlich mehr als 2000 Arbeitnehmer, setzt sich der Aufsichtsrat gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 MitbestG zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern zusammen.

1304

Mit der Anzahl der Sitze im Aufsichtsrat ist allerdings noch keine Aussage über die sachliche Bedeutung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer verbunden (dazu sogleich).

8 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 31 Rz. 9; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 3. 9 Zur Übertragung der Aktien vom Komplementär auf nahestehende Dritte vgl. BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192 = AG 2006, 117 mit Anm. Fett, BGHReport 2006, 375 f.; mit Anm. Ek/Schiemzik, BB 2006, 456 f.; mit Anm. Kersting, WuB II B § 287 AktG 1.06; mit Anm. Dürr, EWiR 2006, 193; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 285 Rz. 12. 10 BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 202 = AG 2006, 117; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 285 Rz. 26; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 4b. 11 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 285 Rz. 50. Zu weiteren Ausnahmen vom Zustimmungsrecht der Komplementäre vgl. Perlitt, MünchKomm. AktG, § 285 Rz. 46 ff. 12 Anderes gilt für Gesellschaften, die vor dem 10.8.1994 eingetragen worden sind und keine Familiengesellschaften sind, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Nr. 1 Sätze 2-3 DrittelbG; vgl. dazu Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 DrittelbG Rz. 13.

518

Keine Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung | Rz. 1307 § 18

III. Keine Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung 1. Wie bereits erwähnt hat der Aufsichtsrat in der KGaA kein Recht zur Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung. Da gemäß § 278 Abs. 2 AktG i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 114, 125 HGB die persönlich haftenden Gesellschafter das „geborene“ Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Kommanditgesellschaft auf Aktien sind, findet § 84 AktG keine Anwendung. Damit gilt auch das für Personengesellschaften typische Prinzip der Selbstorganschaft für die KGaA.

1305

Für Gesellschaften, die dem Mitbestimmungsgesetz unterfallen, und in denen der Aufsichtsrat gewöhnlich das Recht zur Bestellung und Abberufung der Mitglieder des zur gesetzlichen Vertretung befugten Organs hat, sieht § 31 Abs. 1 Satz 2 MitbestG für die KGaA ausdrücklich eine Ausnahme vor. Diese Ausnahme wird damit gerechtfertigt, dass sich persönliche Haftung der Komplementäre und unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausschließen13. Gesellschafter, die die Risiken der persönlichen Haftung übernehmen, sollten auch in der Lage bleiben, die Geschicke der Gesellschaft weitgehend selbst zu bestimmen14. Auch muss in der mitbestimmten KGaA kein Arbeitsdirektor bestellt werden, § 33 Abs. 1 Satz 2 MitbestG.

1306

2. Umstritten ist aber, wie die Mitbestimmung in der sog. „kapitalistischen“ oder „atypischen“ KGaA auszusehen hat, also in der KGaA, in der die persönlich haftende Gesellschafterin eine juristische Person (etwa eine GmbH, AG oder SE) ist15. Argumentiert wird, dass mit dem Fehlen einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter auch die Rechtfertigung für die mitbestimmungsrechtliche Privilegierung der KGaA entfalle. Wenn eine Kapitalgesellschaft persönlich haftende Gesellschafterin sei, dann gelte in dieser KGaA auch der Grundsatz nicht mehr, dass sich persönliche Haftung und Mitbestimmung ausschlössen. Durch die atypisch ausgestaltete KGaA entstehe eine Lücke in der Mitbestimmung, die geschlossen werden müsse. Streit besteht außerdem darüber, wie sich eine „vollwertige“ Mitbestimmung in der atypischen KGaA verwirklichen lässt. So wird einerseits eine (entsprechende) Anwendung von § 4 Abs. 1 MitbestG vorgeschlagen, um eine Mitbestimmung auf Ebene der Komplementärin zu begründen16; andere plädieren dagegen für einen Fortfall der Mitbestimmungsprivilegien (§§ 31 Abs. 1 Satz 2, 33 Abs. 1 Satz 2 MitbestG) im Aufsichtsrat der KGaA17.

1307

13 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 73; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, Vor § 287 Rz. 9. 14 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, Vor § 287 Rz. 9. 15 Die Zulässigkeit dieser Gestaltung ist seit BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392 ff. = AG 1997, 370 anerkannt; sie hat in § 279 Abs. 2 AktG (in der Fassung des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474) auch im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden. 16 So etwa Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 1 MitbestG Rz. 40 f. m.w.N. 17 So namentlich K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 5. Vgl. zu dieser Diskussion statt vieler Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, Vor § 287 Rz. 9 ff. und Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 85 ff.; jew. mit umfangreichen Nachweisen.

519

§ 18 Rz. 1308 | Der Aufsichtsrat in der KGaA 1308

Der Bundesgerichtshof steht diesbezüglich auf dem Standpunkt, dass die Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Mitbestimmung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung nicht vorliegen, da der Gesetzgeber von Änderungen des MitbestG abgesehen hat, obwohl ihm die Existenz von KGaA mit einer GmbH als Komplementärin bekannt ist. Es könne daher nicht Aufgabe der Gerichte sein, den auf politischem Wege gefundenen Mitbestimmungskompromiss durch eine Rechtsfortbildung zu korrigieren18. Trotz verbleibender Zweifel an dieser Position ist die Frage damit für die Praxis entschieden.

IV. Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA 1. Überwachung 1309

Die Überwachung der Geschäftsführung ist in der KGaA die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats. § 278 Abs. 3 AktG verweist auf das Erste Buch des AktG und damit auf § 111 Abs. 1 und 2 AktG, weshalb die Überwachung durch den Aufsichtsrat im Wesentlichen wie in der AG erfolgt. Setzt sich die Überwachungsaufgabe in der AG jedoch aus Kontrolle, Beratung und Mitentscheidung zusammen (vgl. Rz. 62), so liegt der Schwerpunkt bei der KGaA fast ausschließlich auf der (nachträglichen) Kontrolle, gefolgt von der Beratung mit den Komplementären. Dagegen ist es dem Aufsichtsrat der KGaA nicht möglich, sich durch Begründung von Zustimmungsvorbehalten Mitentscheidungsrechte zu verschaffen (Rz. 1316 ff.). a) Umfang der Überwachung

1310

Objekt der Überwachung ist die Geschäftsführung der Gesellschaft durch die persönlich haftenden Gesellschafter. Der Umfang der Überwachung, insbesondere das Ausmaß der Berichte an den Aufsichtsrat gemäß § 90 AktG, kann auch in der Satzung nicht eingeschränkt werden (§§ 278 Abs. 3, 23 Abs. 5 AktG)19. Wird die Befugnis der Komplementäre zur Führung der Geschäfte eingeschränkt oder auf andere Organe oder Gremien übertragen, so verringert sich auch der Überwachungsumfang des Aufsichtsrats; Kontrollrechte stehen dem Aufsichtsrat ausschließlich gegenüber den Komplementären zu20. Im Übrigen hat der Aufsichtsrat der KGaA, wie in der AG, die Geschäftsführung auf ihre Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit hin zu überwachen. Insoweit sei auf die Rz. 73 ff. verwiesen.

18 BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392, 400 = AG 1997, 370. 19 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 14; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 16. 20 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 16; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 35; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 7.

520

Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA | Rz. 1314 § 18

b) Information des Aufsichtsrats Da auch in der KGaA die umfassende Information des Aufsichtsrats unabdingbare Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Überwachung ist, gelten, wie § 283 Nr. 4 AktG hervorhebt, insbesondere die §§ 90 und 111 Abs. 2 AktG auch hier. Dem Aufsichtsrat in der KGaA stehen folglich dieselben Informationsrechte im gleichen Umfang zu wie dem Aufsichtsrat in der AG; die Struktur der KGaA bedingt keine Abweichung von der Berichterstattung in der AG21. So ist der Aufsichtsrat auch über die beabsichtigte Geschäftspolitik zu unterrichten, selbst wenn ihm diesbezüglich (vorbehaltlich Rz. 1313 f.) keine Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen22.

1311

Der aus Sicht einer guten Corporate Governance empfehlenswerte Erlass einer Informationsordnung für die persönlich haftenden Gesellschafter gestaltet sich in der KGaA jedoch schwierig, handelt es sich der Sache nach doch um eine Geschäftsordnung (vgl. Rz. 317), zu deren Erlass der Aufsichtsrat in der KGaA mangels Personalkompetenz nicht berechtigt ist, sofern nicht die Satzung Abweichendes bestimmt (Rz. 1319). Es empfiehlt sich daher für den Aufsichtsrat, eine solche Berichtsordnung mit den persönlich haftenden Gesellschaftern einvernehmlich auszuhandeln. Schlägt dies fehl, ließe sich gleichwohl über eine Berichtsordnung nachdenken, die als antizipiertes Berichtsverlangen nach § 90 Abs. 3 AktG ausgestaltet werden könnte. Schließlich besteht die Möglichkeit, dem Aufsichtsrat das Recht zum Erlass einer Berichtsordnung in der Satzung einzuräumen.

1312

c) Einwirkungsmöglichkeiten Die Möglichkeiten des Aufsichtsrats, unmittelbar auf die Geschäftsführung einzuwirken, sind gering. Stimmt der Aufsichtsrat mit der langfristigen Unternehmensentwicklung nicht überein oder gelangt er zu der Ansicht, dass die persönlich haftenden Gesellschafter die Geschäfte nicht ordnungsgemäß führen bzw. sich pflichtwidrig verhalten, hat er zunächst nur die Möglichkeit, seine Bedenken den persönlich haftenden Gesellschaftern mitzuteilen23.

1313

Machen sich die persönlich haftenden Gesellschafter diese Bedenken nicht zu eigen oder weisen sie die Bedenken des Aufsichtsrats zurück, so bleibt dem Aufsichtsrat lediglich die Einberufung einer Hauptversammlung gemäß §§ 278 Abs. 3, 111 Abs. 3 AktG, um die Kommanditaktionäre darüber zu informieren24. Auch hat er dort die Kommanditaktionäre über rechtlich mögliche Maßnahmen zu unterrichten25, wie z.B. die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 278 Abs. 2 AktG,

1314

21 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 40; Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 73. 22 Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 73. 23 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 43; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 15. 24 Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 747; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 15; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 42; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 46; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 7; a.A. Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 71 f. 25 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 46.

521

§ 18 Rz. 1314 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

§§ 161 Abs. 2, 117 HGB) oder die Möglichkeit der Verweigerung der Zustimmung zu außergewöhnlichen Geschäften (§ 278 Abs. 2 AktG, §§ 164 Satz 1 Halbsatz 2, 161 Abs. 2, 116 Abs. 2 HGB). Dem Aufsichtsrat kommt insoweit die Funktion eines Gegengewichts gegenüber der Information der Hauptversammlung durch die Komplementäre zu26. Ultima ratio ist die Amtsniederlegung des Aufsichtsrats bzw. einzelner seiner Mitglieder, die allerdings keine Flucht aus der Verantwortung sein darf27. Zu konstatieren bleibt in diesem Zusammenhang, dass den Aufsichtsrat keine Haftung trifft, wenn eine beanstandete Maßnahme einen Schaden für die Gesellschaft zur Folge hatte, er seiner Überwachung aber wie beschrieben ordnungsgemäß nachgekommen ist. d) Unterrichtung durch den Aufsichtsrat 1315

In engem Zusammenhang mit den Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats stehen seine Pflichten aus § 171 Abs. 1 AktG zur Prüfung von Jahres- und gegebenenfalls Konzernabschluss sowie des Lageberichts und des Gewinnverwendungsvorschlags. Diese Pflichten hat der Aufsichtsrat, auch wenn er nicht an der Feststellung des Jahresabschlusses mitwirkt28; diese obliegt vielmehr der Hauptversammlung im Zusammenwirken mit den Komplementären (§ 286 Abs. 1 AktG). Über das Ergebnis seiner Prüfung hat der Aufsichtsrat der Hauptversammlung gemäß § 171 Abs. 2 AktG zu berichten; darin liegt eine wichtige Informationsquelle für die Kommanditaktionäre29. 2. Zustimmungsvorbehalte

1316

Der Stellung des Aufsichtsrats in der gesetzestypischen KGaA als Überwachungsorgan entspricht es auch, dass er – im Gegensatz zum unternehmerisch mitentscheidenden Aufsichtsrat in der AG – kein originäres Recht zur Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten hat. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG findet in der KGaA keine Anwendung30, da für die Geschäftsführung über § 278 Abs. 2 AktG Personengesellschaftsrecht gilt. Nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen ist es stattdessen die Hauptversammlung, die bei allen außergewöhnlichen Maßnahmen über ein Zustimmungsrecht verfügt (Rz. 1314). Selbst wenn dieses Zustimmungsrecht in der Satzung abbedungen wird, lebt eine Befugnis des Aufsichtsrats nicht von selbst wieder auf31.

26 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 42. 27 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 46. 28 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 34; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 9. 29 Zum Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung vgl. Rz. 561 ff. sowie Lutter, AG 2008, 1 ff. 30 Heute allgemeine Ansicht; Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 68 f.; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 15; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 193 und 211; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 17; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 39; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 10. 31 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 193; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 10.

522

Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA | Rz. 1320 § 18

Da die in § 278 Abs. 2 AktG in Bezug genommenen Regelungen des HGB über die Geschäftsführung dispositiv sind, besteht aber die Möglichkeit, in der Satzung nach dem Vorbild des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bestimmte Arten von Geschäften an die Zustimmung des Aufsichtsrats zu binden oder diesem die Befugnis einzuräumen, selbst für bestimmte Arten von Geschäften Zustimmungsvorbehalte zu begründen32. Die Grenze für den Umfang der Übertragung von Befugnissen auf den Aufsichtsrat ergibt sich aus dem Prinzip der Trennung von Leitung und Kontrolle33. Flächendeckende Zustimmungsvorbehalte auch für gewöhnliche Maßnahmen des Tagesgeschäfts können daher ebenso wenig begründet werden wie in der AG34.

1317

Es besteht auch die Möglichkeit, die notwendige Zustimmung der Hauptversammlung zu außergewöhnlichen Geschäften (Rz. 1314) in der Satzung abzubedingen und auf den Aufsichtsrat zu übertragen35. Gleichzeitig empfiehlt es sich dann für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, im Sinne einer guten Corporate Governance dem Aufsichtsrat nach dem Vorbild der AG in gewissem Umfang Zustimmungsvorbehalte einzuräumen.

1318

3. Erlass einer Geschäftsordnung Gleiches gilt auch für eine Geschäftsordnung für die persönlich haftenden Gesellschafter. Ein originäres Recht zum Erlass einer solchen steht dem Aufsichtsrat in der KGaA mangels Personalkompetenz nicht zu36. Es kann37 und sollte aber für ihn in der Satzung geschaffen werden.

1319

4. Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Komplementären Gemäß § 278 Abs. 3 i.V.m. § 112 AktG vertritt ausschließlich der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern gerichtlich und au-

32 H.M., Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 39, 44, 76; Bachmann in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 10, 16; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 54; Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 67; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 25; a.A. Servatius in Grigoleit, Komm. AktG, § 278 Rz. 18. 33 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 67; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 278 Rz. 92; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 236. Dagegen steht der Grundsatz der Selbstorganschaft Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats auch dann nicht entgegen, wenn dieser mehrheitlich mit Nicht-Gesellschaftern besetzt ist (vgl. dazu noch Rz. 1335). 34 Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 278 Rz. 92; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 77; dort jeweils auch zu der Möglichkeit, ein auf bestimmte Gegenstände beschränktes Weisungsrecht des Aufsichtsrats in der Satzung vorzusehen (s. dazu auch noch Rz. 1328, 1335). 35 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 76. 36 Kallmeyer, ZGR 1983, 57, 67; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 278 Rz. 70; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 78; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 9. 37 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 40; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 213; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 16.

523

1320

§ 18 Rz. 1320 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

ßergerichtlich bei Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten mit diesen38. Gleiches gilt für Streitigkeiten mit nicht geschäftsführungsbefugten und ausgeschiedenen Komplementären39 und deren überlebenden Ehegatten (im Fall der Geltendmachung von Rentenansprüchen)40. Ist die Komplementärin eine juristische Person, gilt § 112 AktG entsprechend auch für Geschäfte zwischen den Geschäftsführern der Komplementärin und der KGaA (Rz. 1332). Auch bei sog. Tätigkeitsvereinbarungen41, die regelmäßig Vergütungsklauseln enthalten und daher in der Satzung vorgesehen sein müssen (§§ 278 Abs. 3, 26 Abs. 1 AktG), vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber den Komplementären42. Die persönlich haftenden Gesellschafter sind in diesen Fällen von der Vertretung ausgeschlossen. Ihre Vertretungsmacht ergibt sich auch nicht aus § 278 Abs. 2 AktG i.V.m. §§ 161 Abs. 2, 125, 126 HGB43, selbst dann nicht, wenn, wie in einer KG, ein Rechtsgeschäft mit einem der Komplementäre oder einem Prokuristen als Vertreter der Gesellschaft und einem anderen Komplementär als Drittem denkbar wäre. Die Rechtfertigung dafür ist in der Tatsache zu sehen, dass die Interessenlage in der KGaA hinsichtlich möglichen Missbrauchs dieselbe ist wie in der AG. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die persönlich haftenden Gesellschafter die Vertretungsberechtigung zu Lasten der KGaA missbrauchen könnten44. 1321

Umstritten ist aber, ob diese Kompetenz des Aufsichtsrats zwingend ist und daher jede abweichende Satzungsbestimmung nichtig ist45. Für diese Annahme wird der zwingende Charakter des § 112 AktG in der AG (§ 23 Abs. 5 AktG) angeführt. Zu bedenken ist aber, dass das Verhältnis zwischen Komplementären und KGaA grund38 H.M.; BGH v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348, 349 = AG 2005, 239; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 67 f.; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 67 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 278 Rz. 16; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 11 f.; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 278 Rz. 45, § 287 Rz. 20; Habersack, ZIP 2019, 1453, 1454 f.; a.A. Bürgers in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 496 ff.: vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung nur Vertretung durch Komplementäre; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 20 f.: Vertretungsbefugnis auch der Komplementäre. 39 BGH v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348 ff. = AG 2005, 239; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 72; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 13. 40 BGH v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 = AG 2007, 86. 41 Vgl. zu diesen Vereinbarungen Reger in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 259 ff.; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 288 Rz. 74 ff.; A. Arnold in Henssler/Strohn, Komm. Gesellschaftsrecht, § 288 AktG Rz. 3 f. 42 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 288 Rz. 76; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 14. 43 So aber Bürgers in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 498; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 21. 44 BGH v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348 f. = AG 2005, 239. 45 Bejahend etwa Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 68; Bachmann in Spindler/ Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 11 f.; ebenso 6. Aufl.; für Übertragbarkeit der Vertretungskompetenz auf ein anderes Organ (z.B. einen Beirat oder Gesellschafterausschuss) dagegen OLG München v. 26.7.1995 – 7 U 5169/94, AG 1996, 86; Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 66; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 69; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 647; Habersack, ZIP 2019, 1453, 1455.

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Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats in der KGaA | Rz. 1322 § 18

sätzlich gemäß § 278 Abs. 2 AktG dem Personengesellschaftsrecht unterfällt und daher durch die Satzung gestaltbar ist46. Die Anwendbarkeit des § 112 AktG ergibt sich zwar nicht aus § 278 Abs. 2 AktG, sondern aus dem diese Vorschrift ergänzenden § 278 Abs. 3 AktG. Das ändert aber nichts daran, dass die Anwendung des § 112 AktG im Recht der KGaA in einem anderen Regelungskontext steht als in der AG. Auch in der Sache ist mit Blick auf den angestrebten Schutz vor Interessenkonflikten nicht einzusehen, warum es nicht möglich sein soll, die Vertretung der KGaA gegenüber den Komplementären anstelle des Aufsichtsrats einem anderen von den Komplementären unabhängigen Organ zu übertragen. Zumindest in solchen Fällen, in denen die Satzung für eine andere interessenkollisionsfreie Vertretungsregelung sorgt, sollte daher eine Abweichung von § 112 AktG möglich sein47. 5. Vertretung der Kommanditaktionäre Neben seiner Funktion als Vertreter der Gesellschaft gegenüber den Komplementären kommt dem Aufsichtsrat die Aufgabe zu, die „Gesamtheit der Kommanditaktionäre“ bei Rechtsstreitigkeiten mit den persönlich haftenden Gesellschaftern zu vertreten, § 287 Abs. 2 AktG. Diese Funktion des Aufsichtsrats hat kein Äquivalent in der AG48, da sie auf die Verschiedenheit der Gesellschaftergruppen in der KGaA zurückgeht49. Die Gesamtheit der Kommanditaktionäre entspricht insoweit dem Kommanditisten einer KG50. Streitigkeiten nach § 287 Abs. 2 AktG sind Rechtsstreitigkeiten aus der Gesellschafterstellung, die nicht die organschaftlichen Rechte der Beteiligten betreffen. Es handelt sich beispielsweise um Klagen der Kommanditaktionäre auf Zustimmung der Komplementäre zur Feststellung des Jahresabschlusses (§ 286 Abs. 1 AktG)51. Nach neuerer und inzwischen ganz herrschender Ansicht handelt der Aufsichtsrat auch insoweit als Organ der Gesellschaft52, nicht als Organ der Kommanditaktionäre53. Vorsorglich wird aber empfohlen, bei der Parteibezeichnung im Klagerubrum der gesetzlichen Formulierung gemäß die Gesamtheit der Kommanditaktionäre der XY-KGaA, vertreten durch den Aufsichtsrat, anzuführen54. Folgt man der herrschenden Ansicht, ergibt sich ein weiteres Problem: Als Organ der Gesellschaft ist der Aufsichtsrat verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Nun ist es denkbar, dass die Gesamtheit der Kommanditaktionäre Ansprü46 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 66; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 647. 47 Gleichsinnig Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 647. 48 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 57. 49 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 57. 50 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 57. 51 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 57. 52 BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 199 = AG 2006, 117; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 20; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 65; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 2, 22; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 287 Rz. 2. 53 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 78 Rz. 59. 54 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 62; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 287 Rz. 2; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 20.

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1322

§ 18 Rz. 1322 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

che gegenüber den Komplementären durchzusetzen plant, die überwiegend ihren eigenen Interessen dienen und weniger denen der Gesellschaft. Der Aufsichtsrat ist dann in einem Interessenkonflikt, da er nicht zwei Herren gleichzeitig dienen kann55. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Aufsichtsrat auch insoweit im Konfliktfall die Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen56. Hier empfiehlt es sich, den bereits vom Gesetz vorgezeigten Weg zu gehen: die Wahl eines besonderen Vertreters durch die Hauptversammlung (§ 287 Abs. 2 Satz 1, letzter Halbsatz AktG). Dieses Vorgehen ist auch noch in einem laufenden Verfahren möglich, insbesondere, wenn man den Aufsichtsrat als verpflichtet ansieht, den Kommanditaktionären einen Interessenkonflikt anzuzeigen57. 6. Ausführungsfunktion 1323

Neben seiner Funktion als Vertreter der Kommanditaktionäre kommt dem Aufsichtsrat die Aufgabe zu, die Beschlüsse der Kommanditaktionäre auszuführen, § 287 Abs. 1 AktG. Dabei handelt es sich aber nur um die Beschlüsse, die ausführungsbedürftig sind und Rechte betreffen, die auch den Kommanditisten einer KG gegenüber der Gesellschaft oder den Komplementären zustehen würden58. Beschlüsse, die die Hauptversammlung aufgrund ihrer durch das Aktienrecht gegebenen Zuständigkeiten fasst, werden dagegen von den Komplementären ausgeführt59. Auch in den Fällen, in denen der Aufsichtsrat seiner Ausführungsfunktion nachkommt, besteht die Möglichkeit einer Interessenkollision zwischen den Interessen der Kommanditaktionäre und dem Gesellschaftsinteresse. Diesen Konflikt hat der Aufsichtsrat auf Grund seiner organschaftlichen Treuepflicht in dem Sinne aufzulösen, dass er keine die Gesellschaft schädigenden und auch keine für nichtig erachteten Beschlüsse ausführen darf60.

1324

Für die Lösung möglicher Konflikte empfiehlt es sich, die Ausführungsfunktion in der Satzung auf einen Beirat oder ein vergleichbares fakultatives Gremium zu übertragen, das, anders als der Aufsichtsrat, auch keiner Mitbestimmung unterliegt. Existiert ein solches Gremium nicht, kann es zweckmäßig sein, die Ausführung auf eine einzelne Person (Vorsitzender des Aufsichtsrats, Aktionärsvertreter) zu übertragen; in jedem Falle unzulässig ist eine Übertragung auf die Komplementäre61. Auch kann die Satzung eine fallweise Entscheidung der Hauptversammlung über die Ausführungszuständigkeit vorsehen62. 55 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 66. 56 BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 199 = AG 2006, 117; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 66. 57 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 66. 58 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 49; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 20 f.; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 58. 59 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 59. 60 Näher Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 52; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 19. 61 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 10; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 55. 62 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 11.

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Besonderheiten der gesetzesuntypischen KGaA | Rz. 1328 § 18

7. Kapitalmarktrechtliche Pflichten Auch eine KGaA kann börsennotierte Gesellschaft im Sinne von § 3 Abs. 2 AktG sein63. In diesem Fall unterliegt sie den besonderen Vorschriften für börsennotierte Gesellschaften mit der Folge, dass sich der Aufsichtsrat einer KGaA beispielsweise gemäß § 161 AktG zum Deutschen Corporate Governance Kodex zu erklären hat64, obwohl nicht alle Kodex-Empfehlungen auf die KGaA passen. Zu den weiteren kapitalmarktspezifischen Aufgaben des Aufsichtsrats vgl. Rz. 611 ff.

1325

Einstweilen frei.

1326

V. Besonderheiten der gesetzesuntypischen KGaA 1. Möglichkeiten der Satzungsgestaltung Die Möglichkeiten, eine KGaA sowohl den Wünschen und Bedürfnissen der Gründer als auch den ökonomischen und rechtlichen Entwicklungen anzupassen, sind mannigfaltig. Denkbar sind hauptversammlungs-, beirats-, und komplementärdominierte KGaA sowie Gesellschaften mit einem einflussreichen Aufsichtsrat65.

1327

Die Position des Aufsichtsrats kann durch entsprechende Satzungsgestaltungen erheblich gestärkt werden66. Es ist möglich, ihm das Recht zur Festlegung von Zustimmungsvorbehalten (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) zu übertragen oder ihn zum Erlass einer Geschäftsordnung für die Komplementäre zu ermächtigen (Rz. 1317, 1319). Das Recht zur Entscheidung über außergewöhnliche Geschäfte kann den Kommanditaktionären entzogen und dem Aufsichtsrat übertragen werden (Rz. 1318). Auch die Aufnahme von persönlich haftenden Gesellschaftern kann von seiner Zustimmung abhängig gemacht bzw. ihm vollständig übertragen werden. Schließlich ist es möglich, ihm im Bereich der Geschäftsführung gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern Weisungsrechte einzuräumen67. Die Grenze liegt allerdings dort, wo der Aufsichtsrat zum allzuständigen Geschäftsherrn gemacht wird68.

1328

63 K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 278 Rz. 3; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 95. Prominente Beispiele sind Fresenius, Henkel, Merck oder auch Borussia Dortmund. 64 Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 103; Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 16, 30 f.; nunmehr auch Wieneke/Fett in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 10 Rz. 105 ff. 65 Assmann/Sethe in FS Lutter, 2000, S. 251, 264; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 3; Herfs, Münchener Hdb. AG, § 76 Rz. 17. 66 Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 67; Bürgers in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 507; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 16 ff. 67 H.M., vgl. Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 77; Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 234 ff.; a.A. Herfs, Münchener Hdb. AG, § 79 Rz. 67. Ist der Aufsichtsrat nicht mehrheitlich mit Gesellschaftern besetzt, sind allerdings die Grundsätze der Selbstorganschaft zu beachten, vgl. Rz. 1335. 68 Perlitt, MünchKomm. AktG, § 278 Rz. 237; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 278 Rz. 58, § 287 Rz. 18 (Komplementäre dürfen nicht zu Statisten degradiert werden).

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§ 18 Rz. 1329 | Der Aufsichtsrat in der KGaA 1329

Dagegen dürfen dem Aufsichtsrat die ihm nach § 278 Abs. 3 AktG i.V.m. den aktienrechtlichen Vorschriften zugewiesenen Kompetenzen grundsätzlich nicht durch die Satzung entzogen werden (§ 23 Abs. 5 AktG)69. Unabdingbar beim Aufsichtsrat verbleiben müssen namentlich die Aufgabe der Überwachung einschließlich der damit verbundenen Befugnisse (§§ 90, 111 Abs. 1–3, 5 AktG)70. Ob dies auch für die Vertretung der Gesellschaft in den Fällen des § 112 AktG gilt, ist wie dargelegt umstritten (Rz. 1321). 2. Insbesondere: Die Kapitalgesellschaft und Co. KGaA

1330

Beim Aufsichtsrat der Kapitalgesellschaft und Co. KGaA ergeben sich diverse Unterschiede zur Rolle des Aufsichtsrats in der gesetzestypischen KGaA. Zunächst wirkt sich das Fehlen einer natürlichen Person als persönlich haftendem Gesellschafter auf die mögliche Zusammensetzung des Aufsichtsrats aus. Die geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Personen (Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder) der Komplementärgesellschaft werden in den Anwendungsbereich von § 287 Abs. 3 AktG einbezogen und wie persönlich haftende Gesellschafter behandelt; sie können folglich nicht Aufsichtsratsmitglieder der KGaA sein71. Gleiches soll nach bisher überwiegender Ansicht auch für Gesellschafter der Komplementärgesellschaft mit maßgeblicher Beteiligung an dieser gelten72. Unterschiedlich beurteilt wird dabei, wann eine maßgebliche Beteiligung anzunehmen ist, namentlich ob beherrschender Einfluss (§ 17 AktG) genügt73 oder es darüber hinaus auf die Weisungsbefugnis ankommt (so dass nur der herrschende Gesellschafter einer Komplementär-GmbH erfasst wird, nicht aber der herrschende Gesellschafter einer faktisch konzernierten AG)74. In neuerer Zeit stößt die analoge Anwendung des § 287 Abs. 3 AktG auf maßgeblich beteiligte 69 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 75; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 16. 70 Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 16. 71 Unstreitig, Perlitt, MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 28; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 10; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 5; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 10; Habersack, ZIP 2019, 1453, 1459; Hennemann, ZHR 182 (2018), 157, 166 f.; Wollburg in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1425, 1429 f.; tendenziell auch BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 197 f. = AG 2006, 117 („mag geboten sein“). Anderes gilt aber für Aufsichtsratsmitglieder der Komplementärin; Hennemann, ZHR 182 (2018), 157, 167 ff.; Wollburg in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1425, 1430 f.; Otte, AG & Co. KGaA, S. 148 f. 72 Förl/Fett in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 287 Rz. 10; K. Schmidt in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 287 Rz. 9; Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 10; Hennemann, ZHR 182 (2018), 157, 171 ff.; offen gelassen in BGH v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 198 = AG 2006, 117. 73 So Hennemann, ZHR 182 (2018), 157, 171 ff. 74 So Förl/Fett in Bürgers/Körber, Komm. AktG, § 287 Rz. 10. In anderem Zusammenhang, nämlich im Kapitalschutzrecht und im früheren Kapitalersatzrecht, lässt der BGH für das Vorliegen einer „maßgeblichen Beteiligung“ eine Mehrheitsbeteiligung für sich genommen nicht genügen, wenn mit ihr kein Weisungsrecht des Gesellschafters verbunden ist; s. etwa BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rz. 42 f. = AG 2011, 548 (Telekom III) und Verse in Scholz, Komm. GmbHG, § 30 Rz. 43 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung.

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Besonderheiten der gesetzesuntypischen KGaA | Rz. 1332 § 18

Gesellschafter der Komplementärin jedoch zunehmend auf Widerspruch75. In der Tat ist nicht einzusehen, warum es dem Mehrheitsgesellschafter der Komplementärin verwehrt sein soll, die Kontrolle über die Tätigkeit des Geschäftsleiters der Komplementärin nur in dieser Eigenschaft und nicht auch als Aufsichtsratsmitglied der KGaA wahrzunehmen76. Ganz ähnliche Fragen stellen sich mit Blick auf die Stimmrechtsbeschränkungen des § 285 Abs. 1 AktG. Auf die Geschäftsführer der Komplementärin sind auch sie zweifellos analog anwendbar77; in Bezug auf die Gesellschafter der Komplementärin, auch maßgeblich beteiligte, ist dagegen Zurückhaltung geboten78. Darüber hinaus hat die Struktur der Kapitalgesellschaft und Co. KGaA auch Auswirkungen auf den Umfang der Überwachungsaufgabe. Der Aufsichtsrat überwacht die Führung der Geschäfte durch die Komplementärgesellschaft und dort durch das vertretungs- und geschäftsführungsbefugte Organ, also den Vorstand der persönlich haftenden AG79 bzw. den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH. Fraglich ist aber, in welchem Umfang der Aufsichtsrat Auskünfte über die Vorgänge in der Komplementärgesellschaft verlangen kann. Bei Komplementärgesellschaften, deren Unternehmensgegenstand über die Funktion als persönlich haftendem Gesellschafter in der KGaA hinausgeht, erstreckt sich die Überwachungsaufgabe jedenfalls nicht auf Sachverhalte in Zusammenhang mit dem erweiterten Teil, da diese nichts mit der Geschäftsführung der KGaA zu tun haben. Im Übrigen beschränkt sich die Überwachung auf elementare Vorkommnisse bei der Komplementärgesellschaft, die Auswirkungen auf ihre Funktion als persönlich haftende Gesellschafterin haben können, wie z.B. drohende Insolvenz, Änderungen des Gesellschafterbestandes etc.80

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Besonderheiten sind schließlich auch im Rahmen der Vertretung der KGaA zu beachten. Weithin Einigkeit besteht, dass der Aufsichtsrat die KGaA gemäß §§ 278 Abs. 3, 112 AktG (Rz. 1320) nicht nur gegenüber der Komplementärgesellschaft vertritt, sondern in entsprechender Anwendung auch gegenüber deren vertretungs- und

1332

75 Bachmann, AG 2019, 581 ff. (anders noch Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 5a f.); Habersack, ZIP 2019, 1453, 1458 ff.; zuvor bereits Mertens in FS Ulmer, 2003, S. 419, 421 ff., und Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 10; Wollburg in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1425, 1431 ff. 76 Eingehend Bachmann, AG 2019, 581 ff.; Habersack, ZIP 2019, 1453, 1458 ff. 77 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 285 Rz. 25; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 25. 78 Anders aber auch insoweit die bisher h.M.; etwa Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 285 Rz. 25; wie hier Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 285 Rz. 8. 79 Zugleich wird der Vorstand einer persönlich haftenden AG auch von deren Aufsichtsrat überwacht. Zu den Konsequenzen dieser Kompetenzüberschneidung Marsch-Barner in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 777 ff., der für eine Zusammenarbeit beider Aufsichtsräte plädiert. 80 A. Arnold, Die GmbH und Co. KGaA, S. 128; Marsch-Barner in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 777, 783 f.

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§ 18 Rz. 1332 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

geschäftsführungsbefugten Geschäftsleitern81. Ob Gleiches auch für die Vertretung gegenüber Gesellschaftern der Komplementärin mit maßgeblichem Einfluss gilt, ist dagegen umstritten und richtigerweise ebenso zu verneinen wie die ähnliche Frage im Rahmen des § 287 Abs. 3 AktG (Rz. 1330). Bei Geschäften zwischen der KGaA und dem herrschenden Gesellschafter der Komplementärin droht weder ein Fall des Insichgeschäfts noch ein Fall der Mehrfachvertretung; die Situation ähnelt vielmehr dem Geschäft einer AG mit ihrem Mehrheitsaktionär, das ebenfalls nicht an § 112 AktG, sondern an anderen Schutzinstrumenten (insbesondere den §§ 311 ff. AktG) zu messen ist82.

VI. Fakultative Gremien in der KGaA 1333

Die KGaA bietet auf Grund ihrer weitgehenden Satzungsautonomie vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für die Schaffung fakultativer Gremien in Form von Beiräten, Verwaltungsräten, Gesellschafterausschüssen etc.83 Ebenso vielfältig sind die Motive für solche Gestaltungen84. In Betracht kommt etwa das Anliegen, die im Vergleich zur AG erweiterten Zuständigkeiten der Hauptversammlung durch Satzungsbestimmung partiell auf das fakultative Gremium zu übertragen, um dadurch in Publikumsgesellschaften den Aufwand einer Hauptversammlung zu vermeiden und Anfechtungsrisiken zu reduzieren. Zu denken ist dabei namentlich an die – jeweils im Personengesellschaftsrecht wurzelnden und damit satzungsdispositiven – Hauptversammlungskompetenzen bei außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen85 und der Aufnahme neuer Komplementäre86. Denkbar ist ferner, die Geschäftsführung der Komplementäre durch weitere Zustimmungsvorbehalte zugunsten des fakultativen Gremiums zu beschränken87. Zwar könnten all diese Kompeten81 Ganz h.M., etwa Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 15; Bachmann, AG 2019, 581, 591; Habersack, ZIP 2019, 1453, 1456; Perlitt in MünchKomm. AktG, § 287 Rz. 65; jeweils m.w.N.; abw. Dirksen/Möhrle, ZIP 1998, 1377, 1384, 1388. 82 Gegen Anwendung der §§ 278 Abs. 3, 112 AktG auf diesen Fall daher mit Recht Habersack, ZIP 2019, 1453, 1456 ff.; Bachmann, AG 2019, 581, 591 ff. (anders noch Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 15); abw. etwa Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 73; A. Arnold, Die GmbH und Co. KGaA, S. 130; ebenso noch 6. Aufl. 83 Behandelt werden im Folgenden allein organschaftliche Gremien, die aufgrund entsprechender Satzungsbestimmung gebildet werden. Zu sog. schuldrechtlichen Beiräten, die ohne Satzungsregelung auf Grundlage von Dienstverträgen eingerichtet werden und nur beratende Funktion haben können, sei verwiesen auf Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 55 ff. 84 S. dazu und zum Folgenden etwa Assmann/Sethe in FS Lutter, 2000, S. 251, 254 ff.; Habersack in FS Hellwig, 2010, S. 143, 146; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 629. 85 Zur Delegation dieser Kompetenz auf den Beirat ausführlich Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 633 ff. 86 Dazu Habersack in FS Hellwig, 2010, S. 143, 148; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 633, 640 f.; s. aber auch noch Rz. 1335. 87 Habersack in FS Hellwig, 2010, S. 143, 147; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 287 Rz. 31; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 649 ff.

530

Fakultative Gremien in der KGaA | Rz. 1336 § 18

zen auch dem Aufsichtsrat übertragen werden. Ist der Aufsichtsrat der KGaA mitbestimmt, mag aber ein Interesse bestehen, diese Kompetenzen lieber einem fakultativen, nicht mitbestimmten Gremium zuzuweisen. Ein weiterer Grund hierfür kann darin liegen, dass die Komplementäre auf die Besetzung des Aufsichtsrats keinen Einfluss nehmen können (§ 285 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG). Schließlich kann auch nur der Wunsch bestehen, zusätzlich zum Aufsichtsrat noch ein weiteres Überwachungs- und Beratungsgremium einzurichten88. Die Grenzen der Gestaltungsfreiheit sind freilich dort erreicht, wo dem Beirat oder Gesellschafterausschuss Kompetenzen zugewiesen werden sollen, die nach zwingendem Recht einem anderen Organ zustehen. Die aktienrechtlich vorgegebene Überwachung durch den Aufsichtsrat, die aktienrechtlichen Hauptversammlungskompetenzen sowie die Komplementärrechte nach § 283 AktG müssen also in jedem Fall unangetastet bleiben89.

1334

In Fällen, in denen der Beirat auch mit Nicht-Gesellschaftern besetzt werden soll, sind als weitere Zulässigkeitsschranken das Prinzip der Verbandssouveränität und der auf Geschäftsführung und Vertretung bezogene Grundsatz der Selbstorganschaft zu beachten. Aus der Verbandssouveränität folgt, dass der Beirat nur dann über strukturändernde Maßnahmen wie die Aufnahme neuer Komplementäre entscheiden darf, wenn er vollständig oder wenigstens mehrheitlich mit Gesellschaftern besetzt ist90. Unter dem Blickwinkel der Selbstorganschaft verbietet sich ferner die Übertragung von Weisungsbefugnissen in Geschäftsführungsfragen an ein Gremium, dem nicht mehrheitlich Gesellschafter angehören91. Zu weit geht es aber, diese strenge Haltung auch auf die Einräumung von Zustimmungsvorbehalten zu erstrecken92.

1335

Keine Beschränkung für die Ausgestaltung fakultativer Organe ergibt sich dagegen aus den Vorschriften des Mitbestimmungsrechts, da dieses an die ihm vorgegebenen gesellschaftsrechtlich zulässigen Gestaltungen anknüpft93. Auch bezieht sich die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats nur auf die Geschäftsführung durch die

1336

88 Habersack in FS Hellwig, 2010, S. 143, 148. 89 Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 29. 90 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 102 f.; Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 31. 91 Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 97; zur KG a.A. Mutter, Münchener Hdb. KG u.a., § 8 KG Rz. 27 m.w.N.; strenger Bürgers in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 590, der ein vollständig mit Gesellschaftern besetztes Gremium verlangt; a.A. Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 31, und Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 656 ff.: unbedenklich, da Beirat durch Satzungsänderung jederzeit wieder aufgelöst werden kann. 92 Die h.M. im Personengesellschaftsrecht hält Zustimmungsvorbehalte zugunsten eines ganz oder teilweise mit Dritten besetzten Beirats für unbedenklich; Mutter, Münchener Hdb. KG u.a., § 8 KG Rz. 25; C. Schäfer, Großkomm. HGB, § 109 Rz. 53; jew. m.w.N. Ebenso zur KGaA Bachmann in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 287 Rz. 31; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 656 ff.; a.A. etwa Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 97. 93 Assmann/Sethe in FS Lutter, 2000, S. 251, 264 f.; Habersack in FS Hellwig, 2010, S. 143, 147; Schnorbus in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 627, 631 f.

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§ 18 Rz. 1336 | Der Aufsichtsrat in der KGaA

persönlich haftenden Gesellschafter; einen Beirat, dem Geschäftsführungskompetenzen eingeräumt sind, hat der Aufsichtsrat grundsätzlich nicht zu kontrollieren94. 1337

Im Ergebnis ist es unter den genannten Voraussetzungen somit möglich, ein aufsichtsratsähnliches Gremium zu schaffen, das mit dem Recht zur Entscheidung über die Aufnahme neuer persönlich haftender Gesellschafter ausgestattet ist und nicht mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden muss. Herauszuheben ist allerdings, dass in allen genannten Punkten eine sorgfältige und umfassende Regelung in der Satzung unabdingbare Voraussetzung für ein funktionierendes Zusammenwirken aller Organe und Gremien ist. Dort sollte beispielsweise festgelegt sein, ob das Gremium Organ der Gesellschaft oder der Gesellschaftergruppen ist, ob das Gremium eigene Geschäftsordnungskompetenz haben soll, ob Wettbewerbsverbote für die Mitglieder des Gremiums bestehen und so fort95.

VII. Haftung 1338

Aufsichtsratsmitglieder in der KGaA haften über § 278 Abs. 3 AktG wie ihre Kollegen in der AG gemäß §§ 116, 93 AktG96. Sie sind also der Gesellschaft zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der aus der schuldhaften Verletzung ihrer Pflichten entsteht. Für den Aufsichtsrat in der KGaA bedeutet dies daher auch, dass er Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern grundsätzlich durchzusetzen hat. Unterlässt er dies pflichtwidrig, kommt seine eigene Haftung in Betracht97. Mitglieder eines Beirats oder vergleichbaren fakultativen Gremiums haften vorbehaltlich von Modifikationen in der Satzung analog §§ 116, 93 Abs. 1, 2 AktG98.

1339 –1350 Einstweilen frei.

94 Bürgers in Bürgers/Fett, Die Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 5 Rz. 595 f.; Assmann/ Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 35, 118. 95 Assmann/Sethe in FS Lutter, 2000, S. 251, 267. 96 S. Rz. 981 ff. 97 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 ff. = AG 1997, 377 (ARAG). 98 Näher Assmann/Sethe, Großkomm. AktG, § 287 Rz. 130 ff.

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§ 19 Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland I. Überblick Am 8. Oktober 2004 trat die SE-Verordnung1 (SE-VO) in Kraft und führte die Societas Europaea (SE) als supranationale Rechtsform europaweit ein, flankiert von nationalen Ausführungsgesetzen2 und der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer3. Da die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft lediglich einen Regelungsrahmen vorgibt4 und im Übrigen die Anwendung des nationalen (Aktien-)Rechts des Sitzstaates vorsieht, gibt es die SE in 28 (nach dem Brexit 27) + 3 nationalen Ausprägungen5. Nur ein Bruchteil des Rechts einer SE ist europäisch, der überwiegende Teil des anwendbaren Rechts entfällt auf nationales Recht. Eine Darstellung aller Varianten würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Daher beschränkt sich das folgende Kapitel auf die Rechte und Pflichten des Aufsichtsorgans und seiner Mitglieder in der dualistisch organisierten SE mit Sitz in Deutschland6. Die Praxis hat insbesondere in Deutschland in den letzten Jahren von der Rechtsform der SE im Allgemeinen und der dualistischen SE im Besonderen in durchaus 1 Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 1 ff., abgedr. u.a. in Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 51; Lutter/Hommelhoff/ Teichmann, Komm. SE, S. 1 ff. 2 Für Deutschland: Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SEAG) vom 22.12.2004 als Art. 1 Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22.12.2004, BGBl. I 2004, 3675, abgedr. u.a. in Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 53; Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, S. 28 ff. 3 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8.10.2001, ABl. EG Nr. L 294 v. 10.11.2001, S. 22, umgesetzt durch Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG) vom 22.12.2004 als Art. 2 Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft vom 22.12.2004, BGBl. I 2004, 3675, 3686, abgedr. u.a. in Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 52; Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, S. 992 ff. 4 Vgl. zum Verhältnis von nationalem zu Gemeinschaftsrecht insbes. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Europäische Gesellschaft, S. 5 ff. 5 Der Anwendungsbereich der SE-VO erstreckt sich nicht nur auf die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch auf die drei EWR-Staaten, die nicht Mitglied der EU sind; dazu Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 1 Fn. 1. 6 Die SE mit Sitz in Deutschland kann auch mit monistischer Verfassung gegründet werden, Art. 43 ff. SE-VO, §§ 20 ff. SEAG. Dann besteht in dieser Gesellschaft kein Aufsichtsorgan; näher dazu Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 43 SE-VO Rz. 63 ff.; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO Vor § 20 SEAG Rz. 1 ff.

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1351

§ 19 Rz. 1351 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

nennenswertem Umfang Gebrauch gemacht7. Die Gründe hierfür liegen neben dem Anliegen, durch die Firmierung als SE die internationale Ausrichtung des Unternehmens zu unterstreichen, vor allem im Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer (dazu sogleich Rz. 1353 ff.).

II. Die Grundstrukturen des Aufsichtsorgans in der dualistischen SE 1352

Nicht nur dem hohen Anteil nationalen Rechts, sondern auch der Ausgestaltung des sog. two tier system in der SE-VO ist die enge Verwandtschaft des Aufsichtsorgans einer SE mit dem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft geschuldet. Im Grundsatz funktioniert das Aufsichtsorgan der SE wie ein Aufsichtsrat einer AG. Aufgabe des Aufsichtsorgans in der SE ist damit gleichfalls die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans, deren Kontrolle sowie ihre Beratung, in einigen Angelegenheiten auch die echte Mitentscheidung8.

1353

Erhebliche Unterschiede zum Aufsichtsrat der AG bestehen allerdings vor allem im Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Die für die AG geltenden deutschen Mitbestimmungsgesetze (DrittelbG, MitbestG, MontanMitbestG, MontanMitbestErgG) finden auf die SE keine Anwendung9. Vielmehr sieht die SE-VO im Zusammenspiel mit der Richtlinie 2001/86/EG, die im SEBG ihre nationale Umsetzung erfahren hat, eine Verhandlungslösung mit einer Auffangregelung über die Fragen der Arbeitnehmerbeteiligung vor. Im Rahmen der Gründung bzw. Umwandlung in eine SE werden also zunächst Verhandlungen zwischen der Unternehmensleitung der an der Gründung beteiligten Gesellschaft(en) und einem eigens hierfür gebildeten besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer geführt, die ggf. in eine Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG) münden. Scheitern die Verhandlungen, greift die gesetzliche Auffangregelung ein; diese sieht vor, dass sich der Umfang der Mitbestimmung nach dem sog. Vorher-Nachher-Prinzip bemisst, d.h. im Fall der Umwandlungsgründung nach dem bisherigen Mitbestimmungsstatus (§ 35 Abs. 1 SEBG) und in den übrigen Varianten der SE-Gründung, namentlich der Verschmelzungsgründung, nach dem höchsten Anteil an Arbeitnehmervertretern, der in den Organen der an der Gründung beteiligten Gesellschaftenvor Eintra-

7 Prominente Beispiele (jeweils mit dualistischer Führungsstruktur): Allianz, BASF, E.ON, MAN, Porsche, SGL Carbon. Bei Bertelsmann und Fresenius fungiert eine dualistisch organisierte SE jeweils als Komplementärin einer SE & Co. KGaA. Näher zur rechtstatsächlichen Verbreitung der SE in Deutschland Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 6; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO Vor § 20 SEAG Rz. 11. 8 Vgl. für die AG Rz. 62. 9 Vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG und dazu Oetker in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, § 47 SEBG Rz. 6; Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, § 47 SEBG Rz. 3.

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Die Grundstrukturen des Aufsichtsorgans in der dualistischen SE | Rz. 1355 § 19

gung der SE bestanden hat (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SEBG)10. Ist an der Gründung der SE eine dem MitbestG oder dem DrittelbG unterliegende AG beteiligt, findet daher die paritätische Beteiligung bzw. Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer regelmäßig auch im Aufsichtsrat der SE ihre Fortsetzung. Maßgeblich für den Vorher-Nachher-Vergleich ist dabei nach zutreffender Ansicht im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich das vor Eintragung der SE tatsächlich praktizierte Mitbestimmungsniveau („Ist“-Statut), nicht der Mitbestimmungsstatus, den die betreffende Gesellschaft bei korrekter Rechtsanwendung hätte anwenden müssen („Soll“-Statut)11. Ist allerdings noch vor Eintragung der SE ein Statusverfahren (§§ 98 f. AktG) zur Klärung des Mitbestimmungsstatus eingeleitet worden, ist dem Ausgang dieses Verfahrens noch Bedeutung für die Auffangregelung beizumessen12. Trotz des Vorher-Nachher-Prinzips unterscheidet sich die Mitbestimmung im Aufsichtsorgan der SE insbesondere in folgenden Punkten signifikant von derjenigen im Aufsichtsrat der AG:

1354

(i) Die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans ist anders als in der paritätisch mitbestimmten AG nicht an die Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 MitbestG gebunden. Stattdessen lässt § 17 Abs. 1 SEAG (i.V.m. Art. 40 Abs. 3 SE-VO) einen wesentlich weitergehenden Regelungsspielraum, der von mindestens drei bis höchstens (je nach Höhe des Grundkapitals) 21 Mitgliedern reicht. Mehrere große Gesellschaften haben daher die Umwandlung in eine SE zu einer Verkleinerung des Aufsichtsrats genutzt13. Umstritten ist dabei allerdings, ob die Festlegung der Mitgliederzahl allein dem Satzungsgeber (also den Gründern bzw. der Hauptversammlung) vorbehalten ist oder ob sie auch in der Mitbestimmungsvereinbarung nach § 21 SEBG festgelegt werden kann14. Obschon mit Blick auf Art. 40 Abs. 3 Satz 1 SE-VO gute Gründe für eine ausschließliche Kompetenz des Satzungsgebers sprechen15, hat eine instanzge-

1355

10 Näher zu den Modalitäten des Verhandlungsverfahrens und der Auffangregelung Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 36 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Rz. 45.186 ff. 11 Ausführlich Habersack, AG 2018, 823 ff. m.z.N. zum Meinungsstand; offengelassen von BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, BB 2019, 2300 Rz. 28 ff. 12 BGH v. 23.7.2019 – II ZB 20/18, BB 2019, 2300 Rz. 34 ff.; Habersack, AG 2018, 823, 829 m.w.N. 13 Bei Allianz, BASF und E.ON z.B. von vormals 20 auf 12 Mitglieder; weitere Beispiele bei Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 7. 14 Für Ersteres Habersack, AG 2006, 345 ff. und ZHR 171 (2007), 613, 632 ff.; Henssler/Sittard, KSzW 2011, 359, 361 ff.; Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 175 ff.; Ott in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 16 Rz. 16; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 23 SEAG Rz. 9 f.; für Letzteres aber LG Nürnberg-Fürth v. 8.2.2010 – 1 HK O 8471/09, AG 2010, 384 (GfK); Oetker, ZIP 2006, 1113 ff.; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 43 SE-VO Rz. 36 ff.; Austmann in FS Hellwig, 2010, S. 105, 110 ff.; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 66 m.w.N. 15 Dass nach Art. 4 Abs. 2 lit. g SE-RL und § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SEBG auch die Zahl der Arbeitnehmervertreter zum Inhalt der Beteiligungsvereinbarung gehört, kann für die hier interessierende Frage nicht den Ausschlag geben, da diese Regelung auch dann ihren Sinn behält, wenn man davon ausgeht, dass der Satzungsgeber die Organgröße bestimmt

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§ 19 Rz. 1355 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

richtliche Entscheidung gegenteilig entschieden und die Größe des Aufsichtsorgans als zulässigen Gegenstand einer Mitbestimmungsvereinbarung angesehen16. 1356

(ii) Das Mitbestimmungsrecht der SE sieht keine dynamische Anpassung der Intensität der Mitbestimmung in Abhängigkeit zur Zahl der Arbeitnehmer vor (Drittelbeteiligung, paritätische Mitbestimmung), sondern schreibt das Ausmaß der Mitbestimmung zum Zeitpunkt der Gründung der SE grundsätzlich für immer fest, gleichgültig wie sich die Zahl der Arbeitnehmer in der Zukunft entwickelt. Lediglich eine strukturelle Änderung der SE kann unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 SEBG eine Pflicht zur Nachverhandlung über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer auslösen17. Durch dieses „Einfrieren des Mitbestimmungsstatus“ können die Gesellschaften also verhindern, dass sie durch späteres Überschreiten der Beschäftigten-Schwellenwerte des DrittelbG oder des MitbestG in die Drittelbeteiligung bzw. in die paritätische Mitbestimmung hineinwachsen18.

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(iii) Während die deutschen Mitbestimmungsgesetze nur unzureichend auf internationale Sachverhalte zugeschnitten sind, führt das Mitbestimmungsrecht der SE zu einer Internationalisierung der Arbeitnehmerbank, da der Aufsichtsrat für Repräsentanten ausländischer Arbeitnehmer geöffnet wird19. Die internationale Verteilung der Arbeitnehmersitze kann in der Beteiligungsvereinbarung geregelt werden; ergänzend sieht auch die Auffangregelung eine angemessene Repräsentation ausländischer Arbeitnehmer vor (§ 36 SEBG). Auch im Übrigen bietet der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung die Gelegenheit, die Mitbestimmungsregelung flexibler auf die konkreten Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Belegschaften zuzuschneiden, als es in der AG unter Geltung der zwingenden Mitbestimmungsgesetze der Fall ist20.

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und die Sozialpartner die Zahl der Arbeitnehmervertreter in Relation zu der satzungsmäßigen Größe vereinbaren. LG Nürnberg-Fürth v. 8.2.2010 – 1 HK O 8471/09, AG 2010, 384 (GfK), allerdings ohne nähere Begründung; zustimmende Besprechungen bei Kiefner/Friebel, NZG 2010, 537 ff.; Seibt, ZIP 2010, 1057 ff.; Teichmann, BB 2010, 1114 f.; ablehnend Kiem, Der Konzern 2010, 275 ff. Vgl. dazu Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, § 18 SEBG Rz. 7 ff.; Oetker in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, § 18 SEBG Rz. 16 ff.; Ringe, NZG 2006, 931 ff.; Rieble, BB 2006, 2018 ff. Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 45 m.w.N. Allerdings steht diese Regelung zur Disposition der Sozialpartner: In der Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG) kann vorgesehen werden, dass bei Überschreiten bestimmter Belegschafts-Schwellenwerte Verhandlungen über die Anpassung des Mitbestimmungsstatus aufzunehmen sind; Oetker in FS Konzen, 2006, S. 635, 646; Hohenstatt/Müller-Bonanni in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, § 21 SEBG Rz. 29. Näher dazu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 13 Rz. 8 m.w.N. Zu der nahe liegenden Forderung, diese Vorzüge der Verhandlungslösung auch für eine Reform der deutschen Mitbestimmungsgesetze fruchtbar zu machen, s. den Vorschlag des Arbeitskreises Unternehmerische Mitbestimmung, ZIP 2009, 885 ff., sowie die darauf bezogenen Beiträge von Habersack, Hanau, Teichmann, Jacobs und Veil in ZIP 2009, Beil. zu Heft 48.

Zusammensetzung und Organisation | Rz. 1361 § 19

III. Anwendbares Recht Die Frage, welches Recht, welche nationalen Gesetze und europäischen Regelungsakte auf die SE anzuwenden ist, lässt sich nicht ganz einfach beantworten21. Unabhängig von der Diskussion um die Zahl der Regelungsebenen und der Hierarchie in der Normenpyramide22, steht die SE-VO als unmittelbar anwendbare Verordnung und mit ihr Art. 9 SE-VO im Zentrum.

1358

Nach Art. 9 SE-VO gilt zunächst die Verordnung selbst und, soweit sie es zulässt, die Satzung der SE. Komplizierter ist die Anwendung von nationalem Recht gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO. Dieses gilt für die nicht in der SE-VO geregelten Bereiche. Sobald dieser Bereich eröffnet ist, gilt zunächst das SEAG (i), dann das allgemeine deutsche Aktienrecht (ii) und schließlich die Satzung (iii), soweit sie der Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG genügt. Damit ergeben sich vier Ebenen: SE-VO, SEAG, AktG und Satzung23. Vereinfacht gesagt: Es gilt für die SE das allgemeine nationale Aktienrecht des Sitzstaates, soweit es nicht durch die speziellen Regelungen der Satzung bzw. die vorrangigen Bestimmungen des Ausführungsgesetzes und der SEVO verdrängt wird24.

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IV. Zusammensetzung und Organisation 1. Zusammensetzung des Aufsichtsorgans Die Mitglieder des Aufsichtsorgans werden in der SE grundsätzlich von der Hauptversammlung bestellt (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO). In mitbestimmten Gesellschaften ist jedoch zwischen den Vertretern der Anteilseigner und denen der Arbeitnehmer zu unterscheiden, bei letzteren nochmals, ob eine Verhandlungslösung oder die Auffangregelung (Rz. 1353) zur Anwendung kommt25.

1360

Die Bestellung der Anteilseignervertreter erfolgt entweder durch Wahl in der Hauptversammlung (Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO) oder durch Entsendung (Art. 40 Abs. 2 Satz 3, 47 Abs. 4 SE-VO). Der Beschluss der Hauptversammlung wird mit

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21 Ausführlich zur Normenhierarchie; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Europäische Gesellschaft, S. 5 ff. 22 Vgl. dazu Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 9 SE-VO (§ 1 SEAG) Rz. 34 ff.; C. Schäfer, MünchKomm. AktG, Art. 9 SE-VO Rz. 20 f. 23 Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 9 SE-VO (§ 1 SEAG) Rz. 34 ff.; C. Schäfer, MünchKomm. AktG, Art. 9 SE-VO Rz. 20 f. 24 Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 9 SE-VO (§ 1 SEAG) Rz. 42; C. Schäfer, MünchKomm. AktG, Art. 9 SE-VO Rz. 2. 25 Für das erste Aufsichtsorgan ist umstritten, ob dieses bereits mitbestimmt ist und ob nationales Recht (§§ 30, 31 AktG) zur Anwendung kommt, vgl. Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 40 SE-VO (§ 17 SEAG) Rz. 29; Schwarz, Komm. SEVO, Art. 40 Rz. 51 ff.; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 43 ff.; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 47 ff.

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§ 19 Rz. 1361 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

einfacher Stimmenmehrheit gefasst (Art. 57 SE-VO)26. Organisation und Ablauf der Hauptversammlung sowie die Einberufungsmodalitäten richten sich gemäß Art. 53, 54 Abs. 2 SE-VO nach den Vorschriften für die Aktiengesellschaften des Sitzstaats, für die SE mit Sitz in Deutschland mithin nach den Regelungen des AktG für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder einer AG. Die Zulässigkeit der Bestellung von Entsenderechten ergibt sich aus Art. 40 Abs. 2 Satz 3, 47 Abs. 4 SE-VO. Mangels eigener Regelung in der SE-VO richtet sich die Entsendung gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO nach § 101 Abs. 2 AktG27. 1362

Für die Bestellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsorgan gilt gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 3 SE-VO zunächst die Vereinbarung, die im Verfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer nach dem SEBG erzielt worden ist28. Gegenstand dieser Vereinbarung kann das Recht der Arbeitnehmer sein, einen Teil der Mitglieder des Aufsichtsorgans selbst und direkt zu bestellen oder aber die Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen (§ 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SEBG). Zulässig ist mit anderen Worten sowohl (i) die Vereinbarung, dass die Arbeitnehmervertreter die Bestellung unmittelbar selbst vornehmen, als auch (ii) die Regelung, dass die Arbeitnehmervertreter auf Empfehlung der Arbeitnehmer von der Hauptversammlung bestellt werden29. Letzteres entspricht der Lösung, die bei Eingreifen der Auffangregelung gilt: Nach § 36 Abs. 4 SEBG wählt die Hauptversammlung auch die Vertreter der Arbeitnehmer, ist insoweit aber an deren Vorschläge gebunden30.

26 Hiervon abweichende Satzungsregeln (§ 133 Abs. 2 AktG) sind nach zutreffender Ansicht mit Art. 57 SE-VO unvereinbar, da sie nicht vom nationalen Recht „vorgeschrieben“ werden; Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 38; Seibt in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 36; a.A. Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 40 SE-VO (§ 17 SEAG) Rz. 6; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 29. 27 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 35; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 37. 28 Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 40 SE-VO (§ 17 SEAG) Rz. 20; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 38. 29 Verschiedentlich wird allerdings vertreten, dass Art. 40 Abs. 2 Satz 1 SE-VO nur für die zweite Variante Raum lasse; Jacobs, MünchKomm. AktG, § 21 SEBG Rz. 39; Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 44 ff. Dem ist jedoch in Übereinstimmung mit der h.M. und mit Blick auf Art. 40 Abs. 2 Satz 3 SE-VO nicht zu folgen; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 38; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 43 Rz. 29 mit zahlreichen Nachw. 30 Kritisch Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 40 Rz. 44, der § 36 Abs. 4 SEBG für nicht verordnungskonform hält und der Bestellung durch die Hauptversammlung nur deklaratorischen Charakter attestiert. Gegen diese Kritik jedoch mit Recht die h.M., etwa Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 40 SE-VO (§ 17 SEAG) Rz. 21; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 39; Verse in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 43 SE-VO Rz. 30.

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Zusammensetzung und Organisation | Rz. 1365 § 19

Im Übrigen sind die Vorschriften über die gerichtliche Entscheidung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats gemäß §§ 98 f. und § 104 AktG anwendbar31. Zu möglichen Bestellungshindernissen (§ 100 AktG) s. noch Rz. 1403.

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2. Abberufung, Amtsniederlegung Die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern ist in der SE-VO nicht geregelt. Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c ii, 52 Unterabs. 2 SE-VO kommt folglich nationales Recht und damit § 103 AktG zur Anwendung32. Die Anteilseigner im Aufsichtsrat können somit wie in der AG von der Hauptversammlung vorzeitig abberufen werden (§ 103 Abs. 1 Satz 1 AktG). Ebenfalls wie in der AG bedarf es hierfür einer Stimmenmehrheit von drei Vierteln, sofern nicht die Satzung die erforderliche Mehrheit absenkt (Art. 57 Halbsatz 2 SE-VO i.V.m. § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG)33. Für entsandte Mitglieder und für die Möglichkeit der gerichtlichen Abberufung gelten § 103 Abs. 2 und 3 AktG. Die Abberufung der Arbeitnehmervertreter bemisst sich nach der Mitbestimmungsvereinbarung und hilfsweise nach § 37 SEBG34.

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Auch die Amtsniederlegung richtet sich nach nationalem Recht35; auf die Ausführungen zur AG (Rz. 35 ff.) kann daher Bezug genommen werden. 3. Amtszeit Die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder richtet sich nach der Satzung der SE. Diese hat, anders als die Satzung einer AG, zwingend einen Bestellungszeitraum festzulegen36; dieser Zeitraum darf sechs Jahre nicht überschreiten, Art. 46 Abs. 1 SE-VO. Man wird es aber als ausreichend ansehen können, in der Satzung eine Höchstdauer 31 Dies folgt aus Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, Art. 40 SE-VO Rz. 42, 74. 32 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 57 ff.; Seibt in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 55 ff.; differenzierend Wilk, Aktionärsrechte in der deutschen SE, S. 236 f.: Zuständigkeit der Hauptversammlung folgt aus der SE-VO selbst (Annex zur Bestellungskompetenz), Mehrheitserfordenis folgt aus § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG i.V.m. Art. 57 Halbsatz 2 SE-VO. 33 Str., wie hier Bücker in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 57 SE-VO Rz. 20; Kiem, Kölner Komm. AktG, Art. 57 SE-VO Rz. 28; ferner Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 29 SEAG Rz. 5 ff. (zur Parallelfrage im monistischen System); a.A. – stets einfache Mehrheit, da § 103 Abs. 1 Satz 2 AktG dispositiv ist und daher keine höhere Mehrheit im Sinne des Art. 57 Halbs. 2 SE-VO „vorschreibe“ – Brandt, Die Hauptversammlung der Europäischen Aktiengesellschaft, S. 148, 243; Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 81; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 55; mit umgekehrter Stoßrichtung – zwingend Dreiviertelmehrheit – Wilk, Aktionärsrechte in der deutschen SE, S. 92 f., 237. 34 Näher dazu Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 60 f. 35 Vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO; Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 93; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 64. 36 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 46 SE-VO Rz. 3; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 3; Drinhausen in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 46 SE-VO Rz. 9.

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§ 19 Rz. 1365 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

vorzusehen und es im Detail dem Bestellungsorgan zu überlassen, diese Regelung auszufüllen37. Der Zweck der Vorschrift, die Personalkompetenz des Bestellungsorgans zu sichern, ist nämlich auch bei dieser Lesart gewahrt. Eine Wiederbestellung kann, wie sich aus Art. 46 Abs. 2 SE-VO ergibt, zwar nicht automatisch erfolgen, ist aber vorbehaltlich satzungsmäßiger Einschränkungen möglich38. Bei vorzeitiger Wiederbestellung ist der Rest der laufenden Amtszeit in die Berechnung der zulässigen Höchstdauer einzubeziehen, um eine Umgehung der Begrenzung auf sechs Jahre zu verhindern39. 1366

Damit sind die für die Satzungsgestaltung relevanten Punkte der Amtszeit und der Wiederbestellung abschließend in der SE-VO geregelt. Für weitergehende Restriktionen durch den nationalen Gesetzgeber lässt Art. 46 SE-VO keinen Raum. Die Regelung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG, nach der die Wiederbestellung von Vorstandsmitgliedern frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit erfolgen kann (Rz. 358), findet daher schon auf die Vorstandsmitglieder der SE keine Anwendung. Erst recht muss eine analoge Anwendung auf Aufsichtsratsmitglieder ausscheiden40. 4. Vorsitz und stellvertretender Vorsitz

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Der Aufsichtsrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden, der in einer paritätisch mitbestimmtem Gesellschaft nur ein Vertreter der Kapitalseite sein kann (Art. 42 SE-VO)41. Bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat gibt nach Art. 50 Abs. 2 Satz 1 SE-VO die Stimme des Vorsitzenden bei Stimmengleichheit den Ausschlag42. Dieser Stichentscheid gilt im Ausgangspunkt für mitbestimmte und nicht mitbestimmte Gesellschaften gleichermaßen. Allerdings ist er nur in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften zwingend (Art. 50 Abs. 2 Satz 2 SE-VO). Auf diese Weise wird in diesen

37 H.M., Eberspächer in Spindler/Stilz, Komm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 5; Hoffmann-Becking, ZGR 2004, 355, 364; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 3; ausführlich Drinhausen/Nohlen, ZIP 2009, 1890, 1892 ff.; a.A. Austmann, Münchener Hdb. AG, § 86 Rz. 4 f.; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 46 SE-VO Rz. 4. 38 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 46 SE-VO Rz. 9 f.; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 12; Drinhausen in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 46 SE-VO Rz. 19 f. 39 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 12; Drinhausen in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 46 SE-VO Rz. 19. 40 Ebenso Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 46 SE-VO Rz. 19; a.A. aber sowohl für Vorstands- als auch für Aufsichtsratsmitglieder Siems, Kölner Komm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 18 ff., 21. 41 Zum Wahlverfahren s. Art. 50 Abs. 1 SE-VO (dazu sogleich Rz. 1369 ff.); ferner Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 42 SE-VO Rz. 9 ff. 42 Anders als in der paritätisch mitbestimmten AG bedarf es bei Stimmengleichheit keiner zweiten Abstimmung (§ 29 Abs. 2 Satz 1 MitbestG); vielmehr gibt die Stimme des Vorsitzenden gleich bei der ersten Abstimmung den Ausschlag; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 50 SE-VO Rz. 24; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 50 SE-VO Rz. 17.

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Zusammensetzung und Organisation | Rz. 1370 § 19

Gesellschaften das Letztentscheidungsrecht der Anteilseigner gesichert43. In nicht paritätisch mitbestimmten Gesellschaften kann dagegen die Satzung den Stichentscheid abbedingen. Über die Wahl eines oder mehrerer stellvertretender Vorsitzender schweigt die SEVO. Daher kommt über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO die Regelung des § 107 Abs. 1 AktG zur Anwendung, nach der mindestens ein Stellvertreter gewählt werden muss. Bei Verhinderung des Vorsitzenden hat der Stellvertreter nach § 107 Abs. 1 Satz 3 AktG die gleichen Rechte wie der Vorsitzende. Daraus folgt, dass vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung grundsätzlich auch das Recht zum Stichentscheid auf ihn übergeht44. Einschränkende Voraussetzung hierfür ist aber nach Sinn und Zweck des Stichentscheids jedenfalls in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften, dass es sich auch bei dem stellvertretenden Vorsitzenden um einen Vertreter der Kapitalseite handelt. Auf einen Arbeitnehmervertreter geht der Stichentscheid also nicht über45. Dagegen besteht kein Anlass, Arbeitnehmervertreter in paritätisch mitbestimmten Gesellschaften von der Übernahme des stellvertretenden Vorsitzes auszuschließen; zur Wahrung des Letztentscheidungsrechts der Anteilseigner genügt es, dass der Stichentscheid nicht auf die Arbeitnehmerseite übergeht46.

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5. Beschlussfassung und Geschäftsordnung a) Das Aufsichtsorgan in der SE entscheidet durch Beschluss. Die Regelungen über die Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung sind dabei einer Ausgestaltung durch die Satzung zugänglich, wenn auch mit Ausnahmen für Gesellschaften mit paritätischer Arbeitnehmermitbestimmung.

1369

So sieht die SE-VO in Art. 50 Abs. 1 lit. a die Beschlussfähigkeit der Organe vor, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend oder vertreten ist. Eine abweichende Regelung in der Satzung, nach der ein größeres Quorum vonnöten ist, würde es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen, eine Beschlussfassung im Aufsichtsorgan zu verhindern, und ist daher für paritätisch mitbestimmte Gesellschaften un-

1370

43 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 50 SE-VO Rz. 26; Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 SE-VO Rz. 28. 44 Str., wie hier Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 42 SE-VO Rz. 35; Sven H. Schneider, AG 2008, 887, 889 f.; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 34 SEAG Rz. 9 ff. (zum monistischen System); a.A. Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Anh. Art. 43 SE-VO (§§ 34, 54 SEAG) Rz. 9; alle m.w.N. 45 In den Satzungen paritätisch mitbestimmter SE wird diese Einschränkung regelmäßig explizit klargestellt, sie gilt allerdings nach richtiger Ansicht ohnehin; dazu Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 34 SEAG Rz. 11 f. 46 Wie hier Kiem, ZHR 173 (2009), 156, 168; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, Anh. Art. 43 SE-VO § 34 SEAG Rz. 5 m.w.N.; a.A. – auch der stellvertretende Vorsitzender muss in der paritätisch mitbestimmten SE zwingend ein Anteilseignervertreter sein (Art. 42 Satz 2 SE-VO analog) – Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 42 SE-VO Rz. 36; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 42 SE-VO Rz. 19; Ott in Semler/ v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 16 Rz. 54.

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§ 19 Rz. 1370 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

zulässig47. Die Beschlussfassung selbst erfolgt gemäß Art. 50 Abs. 1 lit. b SE-VO mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder. Da umstritten ist, ob Enthaltungen und ungültige Stimmen nicht mitgezählt48 oder, wie der Wortlaut des Art. 50 Abs. 1 lit. b SE-VO im Gegensatz zu dem des Art. 58 SE-VO nahelegt, als „Nein“-Stimmen gewertet werden49, empfiehlt sich eine Regelung in der Satzung. Diese könnte beispielsweise eine Beschlussfassung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen vorsehen50. 1371

b) Für die Stimmangabe durch abwesende Aufsichtsratsmitglieder gelten über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO dieselben Regelungen wie in der AG (§§ 108 Abs. 3, 109 Abs. 3 AktG; Rz. 726 ff.)51. Keine Besonderheiten gelten auch für Beschlussverfahren ohne Sitzung; diese können nach Maßgabe des § 108 Abs. 4 AktG wie in der AG (Rz. 729) schriftlich, fernmündlich oder in vergleichbarer Form vorgenommen werden52. Vorschriften zum Stimmrechtsausschluss wegen Interessenkollision enthält die SEVO nicht. Es bewendet daher auch insoweit bei den zur AG dargestellten Regeln (Rz. 731 f.)53.

1372

c) Das Aufsichtsorgan kann sich schließlich eine Geschäftsordnung geben; mangels Regelung in der SE-VO richtet sich auch dies nach nationalem Aktienrecht (Rz. 652 f.). Damit kann die Geschäftsordnung, sofern ihr Bestimmungen in der Satzung und in nationalen Gesetzen sowie der SE-VO nicht entgegenstehen, alle Fragen der inneren Organisation des Aufsichtsorgans regeln54. 6. Wahrnehmung der Geschäftsleitung durch Mitglieder des Aufsichtsorgans

1373

Als Ausnahme zur Inkompatibilität der Mitgliedschaft im Leitungs- und im Aufsichtsorgan (Art. 39 Abs. 3 Satz 1 SE-VO) ermöglicht Art. 39 Abs. 3 Satz 2–4 SE-VO i.V.m. § 15 SEAG, einen nicht besetzten Posten im Leitungsorgan durch ein Mitglied des Aufsichtsorgans zu besetzen. Über diese Abstellung eines seiner Mitglieder ent47 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 50 SE-VO Rz. 5. 48 Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 50 SE-VO Rz. 4. 49 So mit Recht die h.M., Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 SE-VO Rz. 16; Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 50 Rz. 12; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 50 SE-VO Rz. 17; ausführlich Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 50 SE-VO Rz. 12 ff. 50 S. zum Aktienrecht Rz. 735 ff. 51 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 SE-VO Rz. 12 f. m.w.N.; ausführlich Schumacher, NZG 2009, 697 ff. § 108 Abs. 3 AktG lässt zwar nur die Stimmbotenschaft und keine Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB zu. Das steht aber zu Art. 50 Abs. 1 SE-VO („anwesend oder vertreten“) nicht im Widerspruch, da die SE-VO mit „Vertretung“ nur untechnisch auf die Möglichkeit der Einschaltung von Hilfspersonen verweist. 52 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 SE-VO Rz. 11. 53 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 SE-VO Rz. 21; Ott in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 16 Rz. 67. 54 Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 40 Rz. 87; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, Art. 40 SE-VO Rz. 28.

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Zusammensetzung und Organisation | Rz. 1376 § 19

scheidet der Aufsichtsrat durch Beschluss; die Abstellung ist nur für einen im Voraus bestimmten Zeitraum zulässig, der auch bei wiederholter Bestellung oder Verlängerung ein Jahr nicht überschreiten darf (§ 15 SEAG). Voraussetzung für eine Abordnung ist, dass ein Posten im Leitungsorgan „nicht besetzt“ ist (Art. 39 Abs. 3 Satz 2 SE-VO). Anders als bei der vergleichbaren Vorschrift in § 105 Abs. 2 AktG kommt daher eine Abstellung bei nur vorübergehender Verhinderung (z.B. Krankheit, Sabbatical) nicht in Betracht55. Für die Zeit der Abstellung ruht das Amt des abgestellten Mitglieds im Aufsichtsorgan (Art. 39 Abs. 3 Satz 3 SE-VO), die Mitgliedschaft selbst bleibt aber erhalten.

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7. Zahl der Sitzungen, Einberufung Über die Zahl der Sitzungen schweigt sich die SE-VO aus56. § 110 Abs. 3 AktG findet damit über Art. 9 Abs. 1 lit c ii SE-VO Anwendung, so dass das Aufsichtsorgan halbjährlich mindestens zweimal zusammentreten muss, bei börsenfernen Gesellschaften genügt aber auch nur eine Sitzung im Halbjahr. Darüber hinaus kann jedes Mitglied des Aufsichtsorgans sowie das Leitungsorgan jederzeit vom Vorsitzenden des Aufsichtsorgans verlangen, dass dieser das Aufsichtsorgan unverzüglich einberuft; § 110 Abs. 1 und 2 AktG sind ebenfalls anwendbar57.

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8. Ausschüsse Die Bildung von Ausschüssen innerhalb des Aufsichtsorgans folgt, da die SE-VO keine Ausschüsse vorsieht, nationalem Recht (§ 107 Abs. 3 AktG)58. Auch in der SE können somit nicht nur vorbereitende und überwachende, sondern auch beschließende Ausschüsse gebildet werden59. Einer Satzungsermächtigung zur Bildung beschließender Ausschüsse bedarf es nach zutreffender Ansicht nicht; ein solches Erfordernis folgt insbesondere nicht aus Art. 50 SE-VO, da dieser Vorschrift keine Aussage zur Zulässigkeit beschließender Ausschüsse zu entnehmen ist60. Für die Beschlussfassung im Ausschuss ist aber Art. 50 SE-VO entsprechend anzuwenden; für die Ermittlung des Quorums und der Beschlussmehrheit kommt es dabei auf die Zahl der Mitglieder des Ausschusses an, nicht auf die Zahl der Mitglieder des Ge-

55 Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 39 SE-VO (§§ 15, 16 SEAG) Rz. 47; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 39 SE-VO Rz. 50. 56 Anders aber Art. 44 Abs. 1 SE-VO zum Verwaltungsrat im monistischen System. 57 Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 25. 58 Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 40 SE-VO (§ 17 SEAG) Rz. 5; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 27. 59 Zu den Grenzen der Delegation von Beschlusskompetenzen s. aber § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG und Rz. 745. 60 Ausführlich Kocher, AG 2016, 351, 353 f.; ferner Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 34 SEAG Rz. 22; a.A. Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 50 SE-VO Rz. 22 f.; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 40 SE-VO Rz. 5, 19.

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1376

§ 19 Rz. 1376 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

samtaufsichtsrats61. Ein Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG ist in der SE mangels Anwendbarkeit des MitbestG (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) nicht zu bilden. Im Übrigen bewendet es bei den aktienrechtlichen Regelungen (Rz. 745 ff.).

V. Überwachung 1377

Die zentrale Aufgabe des Aufsichtsorgans besteht auch in der SE in der Überwachung der Führung der Geschäfte durch das Leitungsorgan (Art. 40 Abs. 1 Satz 1 SE-VO). Das Aufsichtsorgan darf, wie der Aufsichtsrat in der AG auch, die Geschäfte der SE nicht selbst führen (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 SE-VO). Daraus folgt zugleich, dass das Aufsichtsorgan grundsätzlich ebenso wenig wie der Aufsichtsrat der AG befugt ist, zu Geschäftsführungsfragen in der Öffentlichkeit oder gegenüber Investoren oder sonstigen Dritten anstelle des Leitungsorgans Stellung zu beziehen62. 1. Überblick

1378

Das wichtigste Mittel der Überwachung ist die Information. Ohne genaue Information können sich die Mitglieder des Aufsichtsorgans kein Bild über die Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung durch das Leitungsorgan machen. Das Wissen um die Vorgänge innerhalb der Gesellschaft ist mithin unerlässliche Voraussetzung für eine funktionierende Kontrolle. 2. Information

1379

Die Be- und Verschaffung dieser Informationen ist in Art. 41 SE-VO geregelt. Davon umfasst ist sowohl eine selbständige Pflicht des Leitungsorgans zu regelmäßigen und zu außerordentlichen Berichten als auch das Recht des Aufsichtsorgans, alle erforderlichen Informationen zu verlangen sowie Überprüfungen vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Umstritten ist, ob und in welchem Umfang nationales Recht und damit §§ 90, 111 Abs. 2 AktG neben Art. 41 SE-VO Anwendung finden63; Einigkeit besteht jedoch insoweit, dass sich inhaltlich kaum ein Unterschied zur Information des Aufsichtsrats in der AG ergibt64. 61 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 50 Rz. 23; Kocher, AG 2016, 351, 353 f.; Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SEVO § 34 SEAG Rz. 22. 62 Näher zur Unternehmenskommunikation durch den Aufsichtsrat der AG Rz. 680. Die dort getroffenen Feststellungen gelten ohne Abstriche auch für die dualistische SE; für Gleichlauf auch Schaper, AG 2018, 356, 360. 63 Ablehnend Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 41 Rz. 33; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 41 SE-VO Rz. 31; befürwortend Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 3; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, Art. 41 SE-VO Rz. 4. 64 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 2; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 41 SE-VO Rz. 31; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 2.

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Überwachung | Rz. 1382 § 19

a) Information des Aufsichtsorgans gemäß Art. 41 SE-VO Die Information des Aufsichtsorgans erfolgt, wie bereits angedeutet, zum einen unaufgefordert durch selbständige Unterrichtung durch das Leitungsorgan, sei es regelmäßig (Art. 41 Abs. 1 SE-VO), sei es aus besonderem Anlass (Art. 41 Abs. 2 SEVO). Auch jedes Mal, wenn das Leitungsorgan eine Entscheidung des Aufsichtsorgans, beispielsweise einen Beschluss über ein zustimmungsbedürftiges Geschäft, herbeiführen will oder muss, hat es das Aufsichtsorgan im Vorfeld ausführlich zu unterrichten65. Zum anderen kann die Initiative vom Aufsichtsorgan ausgehen: Art. 41 Abs. 3 SE-VO berechtigt das Aufsichtsorgan, vom Leitungsorgan jegliche Informationen zu verlangen, die zur Ausübung der Kontrolle erforderlich sind (Art. 41 Abs. 3 SE-VO); ferner kann es entsprechende Überprüfungen vornehmen bzw. vornehmen lassen (Art 41 Abs. 4 SE-VO). Diese Systematik entspricht der in der AG.

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aa) Die regelmäßigen Berichte des Leitungsorgans gemäß Art. 41 Abs. 1 SE-VO über den Gang der Geschäfte und deren voraussichtliche Entwicklung haben mindestens alle drei Monate zu erfolgen (Quartalsberichte) und entsprechen im Wesentlichen § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 AktG66. Insoweit kann auf die Ausführungen (Rz. 193 ff.) verwiesen werden. Aus der Formulierung des Art. 41 Abs. 1 SE-VO folgt außerdem die Pflicht zu zukunftsgerichteter Berichterstattung, verbunden mit sog. „follow up“-Berichterstattung, in der auf die Vergleichszahlen zum vorangegangenen Zeitraum und zu den Planzahlen einzugehen ist67. Selbstverständlich ist die Berichtsintensität immer auch von der einzelnen SE und ihrer Größe, ihren Geschäftsfeldern etc. sowie ihrer wirtschaftlichen Lage abhängig. Auch sind ggf. abhängige Gesellschaften in den Bericht einzubeziehen, soweit sich deren Lage auf die der SE auswirkt68.

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bb) Über Ereignisse, die sich spürbar auf die Lage der SE auswirken können, hat das Leitungsorgan dem Aufsichtsorgan rechtzeitig zu berichten und alle Informationen mitzuteilen. Art. 41 Abs. 2 SE-VO vereint dabei in wesentlichen Zügen die Sonderberichte nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG69, wenngleich die Schwelle berichtspflichtiger Umstände in der SE nach dem Gesetzeswortlaut etwas niedriger ist („spürbare Auswirkungen“) als in der AG („erhebliche Bedeu-

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65 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 3. 66 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 2 f. Nach Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 7 liegt dagegen der unionsrechtliche Mindestgehalt der Berichte unterhalb der Detailtiefe nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 AktG; allerdings soll für die SE mit Sitz in Deutschland über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO doch wieder § 90 AktG zur Anwendung kommen; Seibt a.a.O. Rz. 4. 67 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 6; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 8. 68 Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 41 Rz. 8; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SERecht, Art. 41 SE-VO Rz. 9. 69 Vgl. zu den Sonderberichten in der AG Rz. 208 ff.; Beispiele bei Sailer-Coceani in Lutter/ Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 13.

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§ 19 Rz. 1382 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

tung“)70. Die berichtsauslösenden Ereignisse können Vorkommnisse innerhalb der Gesellschaft sein oder von außen kommen, sie können positive oder negative Auswirkungen haben71. Rechtzeitig ist ein Bericht dann, wenn er vor dem Ereignis erstattet wird, und zwar dergestalt, dass das Aufsichtsorgan ggf. noch eigene Entscheidungen im Hinblick auf das Ereignis treffen kann, bei erhöhter Eilbedürftigkeit ist eine Information des Vorsitzenden statt des Gesamtorgans ausreichend72. War eine vorangehende Berichterstattung nicht mehr möglich, hat der Bericht unverzüglich danach zu erfolgen. 1383

cc) Das Informationsrecht des Aufsichtsorgans aus Art. 41 Abs. 3 Satz 1 SE-VO findet seine nationale Entsprechung in § 90 Abs. 3 Satz 1 AktG73, geht in der Formulierung aber noch darüber hinaus. Das Aufsichtsorgan kann demnach jegliche Informationen, die zur Erfüllung seiner Kontrollaufgabe erforderlich sind, verlangen74. Darunter fallen auch Vorgänge in verbundenen Unternehmen, ohne dass diese von erheblichem Einfluss auf die Lage der SE sein müssten75. Zur Information verpflichtet ist nach Art. 41 Abs. 3 Satz 1 SE-VO allein das Leitungsorgan. Daraus wird im Schrifttum verbreitet der Gegenschluss gezogen, dass das Aufsichtsorgan grundsätzlich kein Recht habe, sich am Leitungsorgan vorbei unmittelbar bei den nachgeordneten Angestellten zu informieren; Anderes soll nur in Ausnahmefällen, namentlich bei Verdacht erheblicher Pflichtverletzungen von Mitgliedern des Leitungsorgans, in Betracht kommen76. Diese restriktive Auffassung lässt sich jedoch mit Art. 41 Abs. 4 SE-VO, der dem Aufsichtsorgan jede zur Aufgabenerfüllung erforderliche Überprüfung gestattet, nicht vereinbaren (s. noch Rz. 1385a).

1384

dd) Das Informationsrecht steht jedem einzelnen Mitglied des Aufsichtsorgans zu, allerdings mit der Maßgabe, die Information nur an das Aufsichtsorgan als Ganzes verlangen zu können, Art. 41 Abs. 3 Satz 2 SE-VO i.V.m. § 18 SEAG.

1385

ee) Schließlich hat das Aufsichtsorgan das Recht, alle Überprüfungen vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind, Art. 41 Abs. 4 SE-VO. Hiervon umfasst ist jedenfalls die Befugnis, – wie nach § 111 70 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 12; Schwarz, Komm. SE-VO, Art. 41 Rz. 20. 71 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 7. 72 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 16; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 17 m.w.N. 73 Zur AG vgl. Rz. 212 ff. 74 Dies gilt freilich nur bis zur Grenze des offensichtlichen Missbrauchs, wobei dem Aufsichtsorgan ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen ist; vgl. dazu Seibt in Habersack/ Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 20 f. 75 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 19. 76 Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 30; Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO Rz. 22; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 23; ebenso 6. Aufl.; zur Parallelfrage in der AG s. Rz. 246 ff.

546

Überwachung | Rz. 1386 § 19

Abs. 2 AktG in der AG (Rz. 241) – die Bücher und Schriften sowie die Vermögensgegenstände der Gesellschaft einzusehen und zu prüfen. Dabei ist es gleichgültig, ob diese Überprüfungen durch ein Mitglied des Aufsichtsorgans selbst durchgeführt, oder, wie es der Wortlaut gestattet, delegiert werden77. Zu beachten ist, dass sich das Überprüfungsrecht des Aufsichtsorgans nur auf solche Unterlagen und Gegenstände erstreckt, die in „seiner“ Gesellschaft vorhanden sind; dagegen erlaubt es keinen Zugriff auf Unterlagen und Gegenstände, die sich bei anderen, wenn auch abhängigen Gesellschaften befinden78. Nicht geklärt ist bisher, ob und inwieweit Art. 41 Abs. 4 SE-VO dem Aufsichtsorgan auch das Recht gewährt, am Leitungsorgan vorbei Mitarbeiter der Gesellschaft zu befragen. Jedenfalls soweit eine solche Befragung zum Verständnis und zur Erläuterung der eingesehenen Unterlagen oder Gegenstände notwendig ist, muss dem Aufsichtsorgan eine entsprechende Befugnis zustehen79. Da der Wortlaut des Art. 41 Abs. 4 SE-VO anders als derjenige des § 111 Abs. 2 AktG nicht auf die Prüfung der Bücher und Vermögensgegenstände beschränkt ist, wird man aber auch sonst eine leitungsorganunabhängige Befragung von Mitarbeitern der Gesellschaft durch das Aufsichtsorgan als zulässig ansehen müssen, sofern sie – aus welchem Grund auch immer – zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist80. Dass das Aufsichtsorgan von dieser Befugnis nicht vorschnell Gebrauch machen sollte, um das Leitungsorgan in der Belegschaft nicht ohne Not zu desavouieren, steht auf einem anderen Blatt.

1385a

ff) Von allen Informationen, die dem Aufsichtsorgan übermittelt werden, kann jedes einzelne Mitglied Kenntnis nehmen. Art. 41 Abs. 5 SE-VO umfasst damit, anders als bei der nationalen Komplementärnorm in § 90 Abs. 5 AktG, nicht nur Berichte, sondern sämtliche Informationen, die dem Aufsichtsorgan vorliegen, insbesondere dann, wenn die Informationen dem Vorsitzenden des Aufsichtsorgans als Empfangsvertreter übermittelt wurden81. Neben dem Recht auf Kenntnisnahme hat jedes einzelne Mitglied das Recht, Berichte in Textform übermittelt zu bekommen, soweit das Aufsichtsorgan für die Übermittlung nichts anderes beschlossen hat; § 90 Abs. 5 Satz 2 AktG findet mangels Regelung in der SE-VO über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO Anwendung82.

1386

77 Bei Beauftragung eines Sachverständigen ist durch eine Vertraulichkeitsvereinbarung der Schutz der Gesellschaftsgeheimnisse sicherzustellen, vgl. Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 24; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 39. 78 Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 52; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 41 SE-VO Rz. 35 m.w.N.; s. auch Rz. 245 zur AG. 79 Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 41 SE-VO Rz. 51; vgl. auch Rz. 247 zur AG. 80 Hopt/Roth, Großkomm. AktG 4. Aufl., § 111 Rz. 852; wohl auch Manz in Manz/Mayer/ Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 41 SE-VO Rz. 23; a.A. – nur zur Aufklärung eines Verdachts von Pflichtverletzungen der Leitungsorganmitglieder – die Nachw. in Rz. 1383. Zum Diskussionsstand in der AG Rz. 246 ff. 81 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 30, 32. 82 Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 31.

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§ 19 Rz. 1387 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland 1387

gg) Auch hinsichtlich der Form der Berichte und der Art und Weise ihrer Erstattung schweigt sich die SE-VO aus, so dass diesbezüglich auf nationales Aktienrecht und damit auf § 90 Abs. 4 AktG zurückgegriffen werden kann83.

1388

Im Ergebnis zeigt sich also, dass die SE-VO für den Bereich der Information des Aufsichtsorgans in den überwiegenden Fällen Vorrang vor nationalem Recht hat, inhaltlich jedoch mindestens den Informations- und Berichtsstandards in der Aktiengesellschaft gerecht wird. Das Netz der Überwachung ist in der SE also nicht weniger engmaschig als in der AG. b) Information des Aufsichtsorgans im Konzern

1389

Durch die Bildung eines Konzerns mit der SE an seiner Spitze nehmen der Umfang und die Komplexität der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsorgans zu, ohne dass damit eine Erweiterung seiner Rechte einhergeht. Das Aufsichtsorgan überwacht nach wie vor nur die Geschäftsführung durch das Leitungsorgan seiner SE. Dies umfasst jedoch auch die Führung des Konzerns durch das Leitungsorgan. Die Situation entspricht der in der AG, weshalb ein Verweis auf Rz. 141 ff. hier ausreicht. Dabei ist das Verhältnis der Rechte und Pflichten aus Art. 41 SE-VO zu nationalem Recht zu beachten, was dazu führt, dass z.B. abhängige Gesellschaften in den Bericht nach Art. 41 Abs. 1 SE-VO einzubeziehen sind, soweit sich deren Lage auf die SE auswirkt, oder Ereignisse im Sinne von Art. 41 Abs. 2 SE-VO auch solche in verbundenen Unternehmen sein können. Aber auch nach Art. 41 SE-VO hat das Aufsichtsorgan der SE kein Zugriffsrecht auf Unterlagen oder Personal in abhängigen Gesellschaften (Rz. 1385). Andererseits ergeben sich aber ebenso wie in der AG auch in der SE Möglichkeiten zur Einrichtung konzernweiter Zustimmungsvorbehalte und einer auf Konzernbelange ausgerichteten Berichtsordnung (dazu Rz. 159 ff., 228 ff.). c) Berichtsordnung

1390

Um das Netz der Information auf die Besonderheiten der einzelnen SE anpassen zu können, und um so ihrer Größe, ihrer wirtschaftlichen Lage, ihrem Unternehmen und dem Konzern Rechnung zu tragen, empfiehlt sich der Erlass einer Berichtsordnung für das Leitungsorgan durch das Aufsichtsorgan. Bei einer Berichtsordnung handelt es sich der Sache nach um eine Geschäftsordnung (s. Rz. 317), und da Geschäftsordnungen in der SE-VO keine Regelung erfahren haben, ist gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO die Bestimmung des § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG für eine diesbezügliche Regelung einschlägig84. Für die Einzelheiten einer Berichtsordnung kann unter Berücksichtigung der Ausführungen zu Art. 41 SE-VO auf Rz. 317 ff. verwiesen werden85. 83 Lediglich hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Berichte ist Art. 41 Abs. 2 SE-VO abschließend, vgl. Sailer-Coceani in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 41 SE-VO (§ 18 SEAG) Rz. 33; im Übrigen s. Rz. 223 ff. 84 Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 40 SE-VO Rz. 21. 85 Zur Berichtsordnung in der AG vgl. auch Lutter, Information und Vertraulichkeit, Rz. 100; zur Geschäftsordnung für den Verwaltungsrat einer monistischen SE vgl. Lutter/ Kollmorgen/Feldhaus, BB 2007, 509 ff.

548

Überwachung | Rz. 1393 § 19

3. Verschwiegenheitspflicht Ebenso wie ihre Kollegen in den Aufsichtsräten einer AG unterliegen die Mitglieder des Aufsichtsorgans der SE gemäß Art. 49 Halbsatz 1 SE-VO der Pflicht zur Verschwiegenheit. Dies gilt insbesondere auch für die Arbeitnehmervertreter, § 38 Abs. 1 SEBG. Die Pflicht zur Verschwiegenheit umfasst nicht nur vertrauliche Angaben und Geschäftsgeheimnisse, sondern alle Informationen, deren Verbreitung den Interessen der Gesellschaft schaden könnte, unabhängig davon, ob die Informationen bereits bekannt sind86. Damit reicht eine mögliche Rufschädigung der Gesellschaft schon aus, um die Mitglieder des Organs zum Stillschweigen zu verpflichten. Ausnahmen von diesem Vertraulichkeitsgebot, das auch über das Ende der Amtszeit hinausreicht, ergeben sich gemäß Art. 49 Halbsatz 2 SE-VO, wenn das nationale Recht die Informationsweitergabe vorschreibt oder zulässt oder die Weitergabe im öffentlichen Interesse liegt. Für Gesellschaften mit Sitz in Deutschland bedeutet das beispielsweise den Vorrang der Ad-hoc-Publizität ebenso wie für Auskunftsrechte von Behörden oder gegenüber dem Abschlussprüfer87. Die Pflicht zur Vertraulichkeit ist das funktionale Pendant zum umfassenden Informationsrecht des Art. 41 SE-VO. Daher verbietet es sich z.B. für das Leitungsorgan, ein Berichtsverlangen des Aufsichtsorgans oder eines seiner Mitglieder mit der Begründung zurückzuweisen, bei den verlangten Informationen handele es sich um Geschäftsgeheimnisse.

1391

4. Einwirkungsmöglichkeiten Das Aufsichtsorgan hat nach der Kompetenzverteilung in der SE nur eingeschränkte Möglichkeiten, auf das Leitungsorgan einzuwirken. Neben (der Drohung mit) der Abberufung sind Zustimmungsvorbehalte und eine Geschäftsordnung für das Leitungsorgan als Regelungselemente zu nennen.

1392

a) Zustimmungsvorbehalte Zustimmungsvorbehalte sind eines der effektivsten Mittel des Aufsichtsorgans, auf die Geschäftsführung der Gesellschaft im Sinne einer vorbeugenden Überwachung Einfluss zu nehmen. Die Einrichtung von Zustimmungsvorbehalten richtet sich in der SE mit Sitz in Deutschland nach Art. 48 SE-VO i.V.m. § 19 SEAG. Danach hat, anders als in der AG88, zunächst die Satzung zwingend Zustimmungsvorbehalte vor-

86 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 49 SE-VO Rz. 4; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 49 SE-VO Rz. 5. Im Ergebnis besteht darin keine Verschärfung zur Rechtslage in der AG. Zwar bezieht sich die Verschwiegenheitspflicht nach §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 Satz 2 AktG nur auf vertrauliche Angaben und Geheimnisse. Sofern ausnahmsweise auch durch die Verbreitung nicht vertraulicher Informationen ein Schaden droht, müssen die Organmitglieder hiervon aber auch in der AG aufgrund ihrer organschaftlichen Treuepflicht Abstand nehmen; Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 49 SE-VO Rz. 7. 87 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 49 SE-VO Rz. 8 ff.; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 49 SE-VO Rz. 10 ff. 88 Vgl. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG: „Die Satzung oder der Aufsichtsrat [...]“.

549

1393

§ 19 Rz. 1393 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

zusehen89. Eine Satzung ohne Zustimmungsvorbehalte ist fehlerhaft und bildet daher ein Hindernis für die Eintragung der SE90. Im Anschluss an die Satzung hat das Aufsichtsorgan das Recht, diese Zustimmungsvorbehalte auszufüllen und zu ergänzen (Art. 48 Abs. 1 Unterabs. 2 SE-VO i.V.m. § 19 SEAG). Die Möglichkeit des Aufsichtsorgans, eigene Zustimmungsvorbehalte festzulegen, kann auch ad hoc ausgeübt werden91. Einen gesetzlichen Mindestkatalog gibt es für Deutschland nicht. Die Hauptversammlung der SE kann, wie in der AG, eine durch das Aufsichtsorgan verweigerte Zustimmung gemäß Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO i.V.m. § 111 Abs. 4 Satz 3 und 4 AktG ersetzen92. 1394

Im Übrigen und insbesondere im Hinblick auf das zulässige Ausmaß von Zustimmungsvorbehalten mag hier der Verweis auf Rz. 112 ff. genügen. b) Geschäftsordnung für Leitungsorgan

1395

Eine Möglichkeit, die Arbeit des Leitungsorgans zu organisieren, besteht für das Aufsichtsorgan im Erlass einer Geschäftsordnung mit Regelungen über die Geschäftsverteilung. Die SE-VO ist insoweit regelungsoffen, so dass § 77 Abs. 2 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO Anwendung findet93.

VI. Bestellung/Anstellung/Abberufung des Leitungsorgans 1396

1. Die für die Gesellschaft wohl wichtigsten Entscheidungen fällt das Aufsichtsorgan mit der Bestellung der Mitglieder des Leitungsorgans und deren Abberufung nach Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 1 SE-VO. Da der deutsche Gesetzgeber von der Ermächtigung in Unterabs. 2 keinen Gebrauch gemacht hat, steht dem Aufsichtsorgan die alleinige Personalkompetenz zu. Die Anzahl der Mitglieder des Leitungsorgans ergibt 89 H.M., etwa Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 48 SE-VO Rz. 4; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 48 SE-VO Rz. 5 f.; Wilk, Aktionärsrechte in der deutschen SE, S. 267 ff.; a.A. Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 48 SE-VO Rz. 1: Satzungsgeber ist frei, ob er von dieser Befugnis Gebrauch macht. 90 Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 48 SE-VO Rz. 4; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 48 SE-VO Rz. 6. 91 Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 48 SE-VO Rz. 15. 92 Str., wie hier Kiem, Kölner Komm. AktG, Art. 52 SE-VO Rz. 33; Schwarz, Komm. SEVO, Art. 48 Rz. 29; Reichert/Brandes, MünchKomm. AktG, Art. 48 SE-VO Rz. 16; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 48 SE-VO Rz. 19; a.A. – Art. 48 SEVO abschließend – Spindler in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 52 Rz. 37; Siems, Kölner Komm. AktG, Art. 48 SE-VO Rz. 20; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 48 SE-VO Rz. 14; Wilk, Aktionärsrechte in der deutschen SE, S. 270 f. 93 Drygala in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 39 SE-VO (§§ 15, 16 SEAG) Rz. 19; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 39 SEVO Rz. 59, 113.

550

Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan | Rz. 1399 § 19

sich aus der Satzung (Art. 39 Abs. 4 Satz 1 SE-VO), konkretisiert durch § 16 Satz 1 SEAG. Eine Pflicht zur Bestellung eines Arbeitsdirektors kann sich aus § 16 Satz 2 SEAG i.V.m. § 38 Abs. 2 Satz 2 SEBG ergeben94. Die Bestellung erfolgt auf den in der Satzung bestimmten Zeitraum, der im Unterschied zum nationalen Recht (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG) maximal sechs Jahre (Art. 46 Abs. 1 SE-VO) beträgt. Eine Wiederbestellung ist je nach Ausgestaltung der Satzung möglich (Art. 46 Abs. 2 SE-VO); sie kann aber nicht automatisch erfolgen, sofern dadurch die gesamte Amtszeit mehr als sechs Jahre beträgt95. Da Art. 46 Abs. 2 SE-VO ausschließlich statutarische Einschränkungen zulässt, sind weitere Einschränkungen durch den nationalen Gesetzgeber nicht zulässig. § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG, der eine Wiederbestellung frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit zulässt (Rz. 358), kommt daher nach zutreffender Ansicht nicht zur Anwendung96. 2. Die Abberufung von Mitgliedern des Leitungsorgans erfolgt ebenfalls durch das Aufsichtsorgan (Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 1 SE-VO). Die materiellen Voraussetzungen richten sich gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO nach nationalem Recht; § 84 Abs. 3 AktG findet Anwendung97. Auch für die Amtsniederlegung gilt nationales Recht (Rz. 35 ff.)98.

1397

3. Auch der Abschluss (und die Kündigung) des Anstellungsvertrags mit den Mitgliedern des Leitungsorgans obliegt, wie in der AG, dem Aufsichtsorgan. Dieses vertritt gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO i.V.m. § 112 AktG die Gesellschaft gegenüber jenen99. Lediglich aus Art. 46 Abs. 1 SE-VO ergibt sich eine Abweichung zum Aktienrecht: Die Höchstdauer des Anstellungsvertrags richtet sich nach der maximalen Bestellungsdauer und darf damit sechs Jahre nicht überschreiten.

1398

VII. Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan Die Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern des Leitungsorgans ist in der SE-VO nicht geregelt, weshalb mit § 112 AktG nationales Recht zur Anwendung kommt. Der Verweis auf Rz. 452 ff. soll daher genügen.

94 Zur streitigen Frage, ob diese Regelung mit Art. 13 Abs. 2 der SE-Mitbestimmungsrichtlinie (Richtlinie 2001/86/EG) vereinbar ist, s. einerseits Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rz. 41; andererseits Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 39 SE-VO Rz. 111. 95 Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 46 SE-VO Rz. 10; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 46 SE-VO Rz. 4. 96 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 46 SE-VO Rz. 19; a.A. Siems, Kölner Komm. AktG, Art. 46 SE-VO Rz. 18, 21. 97 Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 39 SE-VO Rz. 69 f.; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rz. 25; jew. mit zahlreichen Nachw. 98 Paefgen, Kölner Komm. AktG, Art. 39 SE-VO Rz. 72; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rz. 26. 99 Statt aller Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rz. 29, 31.

551

1399

§ 19 Rz. 1400 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

VIII. Rechnungslegung 1400

Im Hinblick auf Fragen der Rechnungslegung zeigt sich die SE-VO kurz und aussagekräftig: Art. 61 ordnet (vorbehaltlich des Art. 62 SE-VO) die Anwendung des Rechts des Sitzstaates an. Dies bedeutet die Anwendung des nationalen Rechts für den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss, den Lage- und den Konzernlagebericht sowie für die Prüfung und Offenlegung dieser Abschlüsse und Lageberichte. Nach nationalem Recht richtet sich ferner die Bestellung des Abschlussprüfers durch die Hauptversammlung (Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG, § 318 HGB)100 und die Erteilung des Prüfungsauftrags durch das Aufsichtsorgan (Art. 61 SE-VO, § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG)101. Auch auf den Bericht des Aufsichtsorgans an die Hauptversammlung, die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung ist nationales Recht anzuwenden (§§ 170 bis 176 AktG), die Verweisung erfolgt insoweit jedoch über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO102.

IX. Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex 1401

Ein wenig schwieriger gestaltet sich die Erklärung zum Kodex. Da die SE-VO keine Vorschriften zu einer Entsprechenserklärung enthält, findet § 161 AktG über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO Anwendung103. Zu bedenken ist, dass der Kodex von seiner Struktur her auf eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts zugeschnitten ist. Die insgesamt nur geringen Unterschiede zwischen dualistischer SE und AG sind im Einzelnen bei Abgabe der Entsprechenserklärung zu berücksichtigen104.

100 Bücker in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 52 SE-VO Rz. 25. Das nationale Recht ist insoweit freilich seinerseits durch Richtlinienrecht harmonisiert; vgl. Art. 37 der Abschlussprüfer-Richtlinie (Richtlinie 2006/43/EG, zuletzt geändert durch Richtlinie 2014/56/EU). 101 Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 16. 102 Habersack in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 61 SE-VO Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 61 SE-VO Rz. 3. 103 Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 32 m.w.N.; zweifelnd Leyens, Großkomm. AktG, § 161 Rz. 128. Der Kodex selbst geht in seiner Präambel davon aus, dass er auf die SE mit Sitz in Deutschland anwendbar ist. 104 Bei einer monistisch organisierten SE bereitet die Abgabe der Entsprechenserklärung dagegen erheblich größere Schwierigkeiten; dazu Verse in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 22 SEAG Rz. 56 ff. Aus diesem Grund mag man in diesem Fall sogar die vollständige Ablehnung des Kodex erwägen, solange dieser die Besonderheiten des monistischen Systems ignoriert; vgl. Lutter, Kölner Komm. AktG, § 161 Rz. 32.

552

Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds | Rz. 1403 § 19

X. Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds Neben den Rechten und Pflichten des Organs sind auch die Rechte und Pflichten des einzelnen Mitglieds des Aufsichtsorgans denen von Aufsichtsratsmitgliedern einer AG sehr ähnlich.

1402

1. Persönliche Voraussetzungen Neben der Inkompatibilitätsregelung des Art. 39 Abs. 3 SE-VO, die eine Doppelmitgliedschaft im Aufsichts- und Leitungsorgan verbietet, finden über Art. 47 Abs. 2 lit. a SE-VO die Bestellungsverbote des nationalen Aktienrechts Anwendung. Für die dualistische SE mit Sitz in Deutschland bedeutet dies, dass § 100 Abs. 1, 2, 5 und § 105 Abs. 1 AktG anzuwenden sind105. Die in Art. 47 Abs. 1 SE-VO grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, dass auch juristische Personen bestellt werden können, besteht folglich in der SE mit Sitz in Deutschland nicht (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AktG). Über die Rechtslage bei der AG hinaus kann sich ein Bestellungshindernis auch aus einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung eines Mitgliedstaats ergeben (Art. 47 Abs. 2 lit. b SE-VO), und zwar unerheblich davon, in welchem Mitgliedstaat diese Entscheidung ergangen ist106. Weitere persönliche Voraussetzungen kann gemäß Art. 47 Abs. 3 SE-VO die Satzung der jeweiligen SE festlegen, jedoch nur in einem Umfang, in dem dies auch nach nationalem Recht zulässig wäre, und auch nur für Vertreter der Kapitalseite. Für eine SE mit Sitz in Deutschland bedeutet dies, dass die freie Auswahl der Organmitglieder durch die Hauptversammlung gewährleistet sein muss (§ 100 Abs. 4 AktG)107. Auch sind für Altersregelungen die Vorschriften des AGG zu berücksichtigen (dazu Rz. 1196 f.). Weitere Voraussetzungen für Vertreter der Arbeitnehmerseite können in der Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG) festgelegt werden108. Im Übrigen ergeben sie sich aus § 36 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 6 Abs. 2–4 SEBG; dort ist bestimmt, dass die Arbeitnehmervertreter aus dem Kreis der Belegschaft und der Gewerkschaften zu rekrutieren und nach einem bestimmten Proporz zu wählen sind.

105 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 47 SE-VO Rz. 15 ff.; speziell zu § 100 Abs. 5 AktG Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SEVO Rz. 46. 106 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 47 SE-VO Rz. 20; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 47 SE-VO Rz. 6. 107 Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 47 SE-VO Rz. 17. 108 Jacobs, MünchKomm. AktG, § 21 SEBG Rz. 40.

553

1403

§ 19 Rz. 1404 | Das Aufsichtsorgan in der SE mit Sitz in Deutschland

2. Vergütung 1404

Die Vergütung der Mitglieder des Aufsichtsorgans ist in der SE-VO nicht geregelt. Über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO und Art. 52 Unterabs. 2 SE-VO ist daher § 113 AktG anzuwenden109. Für die Details kann daher auf die entsprechenden Ausführungen (Rz. 843 ff.) verwiesen werden. 3. Interessenkonflikte

1405

Ebenso verhält es sich bei Interessenkonflikten. Die Auflösung von Interessenkollisionen hat die SE-VO ebenfalls nationalem Recht vorbehalten. §§ 114, 115 AktG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO110 sowie die einschlägige nationale Rechtsprechung regeln diesen Bereich, weshalb auch hier der Verweis auf die AG genüge (Rz. 894 ff.).

XI. Haftung 1406

Schließlich unterstellt Art. 51 SE-VO die Innenhaftung der Leitungs- und der Aufsichtsorganmitglieder gegenüber der SE dem nationalstaatlichen Regime. Folglich kommen die §§ 93, 116 AktG (Rz. 981 ff.) vollumfänglich zur Anwendung111. Die Außenhaftung gegenüber Dritten ist demgegenüber nicht in Art. 51 SE-VO angesprochen; im Ergebnis richtet sich aber auch sie über Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO112 nach nationalem Recht (Rz. 1027 ff.).

1407 –1420 Einstweilen frei.

109 Spindler in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 52 SE-VO Rz. 38; Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 40 SE-VO Rz. 36. 110 Manz in Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft SE, Art. 40 SE-VO Rz. 39; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 40 SE-VO Rz. 33. 111 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 51 SE-VO Rz. 7; Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, Komm. SE, Art. 51 SE-VO Rz. 13. 112 Drinhausen in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 51 SE-VO Rz. 1.

554

§ 20 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Unternehmen der öffentlichen Hand I. Einführung Die öffentliche Hand bedient sich seit langem neben den Rechtsformen des öffentlichen Rechts auch privatrechtlicher Rechtsformen – namentlich der Aktiengesellschaft und der GmbH –, um öffentliche Einrichtungen zu betreiben. Insbesondere auf kommunaler Ebene ist es gang und gäbe, Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, Häfen und Flughäfen, Messen, Sportstätten, Kultureinrichtungen usw. als GmbH oder AG zu organisieren. In vielen Fällen ist die öffentliche Hand dabei der einzige Gesellschafter, zunehmend sind neben ihr aber auch private Investoren beteiligt, namentlich bei den populären Public Private Partnerships, in denen Bund, Länder und Gemeinden große Investitionsprojekte gemeinsam mit privaten Investoren umsetzen1. Und schließlich sind die Fälle zu nennen, in denen die öffentliche Hand mit nennenswerten Anteilen an großen börsennotierten, ehemals staatlichen Unternehmen beteiligt ist2.

1421

Werden in Unternehmen mit Beteiligung der öffentlichen Hand Aufsichtsräte gebildet, gelten für deren Aufgaben und Kompetenzen, ihre innere Ordnung und die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder zunächst die allgemeinen Regeln der jeweiligen Rechtsform, wie sie oben dargestellt wurden. Die öffentliche Hand unterliegt, wenn sie die Rechtsformen des Privatrechts für sich nutzt, dem für diese geltenden Gesellschaftsrecht3. Die besondere Aufgabenstellung der öffentlichen Hand kann aber in dem durch das Gesellschaftsrecht gesteckten Rahmen zu Besonderheiten auch im Hinblick auf die Stellung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder in Unternehmen der öffentlichen Hand führen und Konflikte zwischen dem öffentlichen und dem privaten Recht begründen4. Ständige Konfliktbereiche sind insbesondere die gesellschaftsrechtliche Weisungsfreiheit und die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder.

1422

1 Vgl. dazu etwa Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts, Rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten erstellt im Auftrag des Bundesministerium des Inneren, 2001; Eifert, VerwArch 93 (2002), 561; Mehde, VerwArch 91 (2000), 540; Häfner, LKV 2005, 340; Kiethe, NZG 2006, 45. 2 Beispiele sind etwa die Beteiligungen der Ruhrgebietskommunen an der RWE AG, des Landes Niedersachsen an der Volkswagen AG und des Bundes an der Deutsche Post AG und der Deutsche Telekom AG. 3 BGH v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306; OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/ 12, AG 2012, 883 Tz. 3 f.; VGH Kassel v. 9.2.2012 – 8 A 2043/10, AG 2013, 35 Rz. 74; vgl. auch Nowak/Wanitschek-Klein, Der Konzern 2007, 665. 4 Oebbecke, Handbuch Kommunale Unternehmen, § 9 Rz. 1.

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§ 20 Rz. 1423 | Besonderheiten in Unternehmen der öffentlichen Hand

II. Zusammensetzung des Aufsichtsrats 1423

Die Vorschriften des öffentlichen Haushaltsrechts machen Beteiligungen der öffentlichen Hand an Unternehmen privater Rechtsformen in der Regel davon abhängig, dass die öffentliche Hand einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat, erhält5. Viele Gemeindeordnungen verpflichten die Gemeinden überdies, bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages einer Kapitalgesellschaft darauf hinzuwirken, dass ihnen das Recht eingeräumt wird, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu „entsenden“6, wobei sich der Anteil der Vertreter der öffentlichen Hand im Allgemeinen an der Beteiligungsquote zu orientieren hat7. Über die Auswahl der kommunalen Vertreter entscheidet sodann der Rat8, was in der Praxis kommunaler Unternehmen häufig dazu führt, dass die Ratsfraktionen die zu besetzenden Plätze unter sich aufteilen. In manchen Gemeindeordnungen ist sogar vorgeschrieben, dass die Aufsichtsratssitze, die für Vertreter der Gemeinde zur Verfügung stehen, nach dem Verhältnis der Ratsfraktionen zu besetzen sind9. Solche Proporzregeln beschränken sich allerdings auf die kommunale Auswahlentscheidung und lassen den gesellschaftsrechtlichen Bestellungsakt unberührt. Auch eine Aufsichtsratswahl, die gegen Proporzregeln des Gemeinderechts verstößt, ist gesellschaftsrechtlich wirksam und nicht anfechtbar10.

1424

Zu betonen ist, dass öffentlich-rechtliche Proporzbestimmungen die Anforderungen an die persönliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder in keiner Weise berühren. Auch das auf Vorschlag der öffentlichen Hand gewählte Aufsichtsratsmitglied muss diejenigen Mindestkenntnisse und -erfahrungen mitbringen, die für die Erfüllung des Aufsichtsratsmandats erforderlich sind (vgl. Rz. 1009). Es kann sich nicht mit dem Einwand entlasten, ihm hätten diese Kenntnisse gefehlt, aber es sei schließlich als Vertreter der Gemeinde in den Aufsichtsrat entsandt worden und habe dieser Entscheidung des Rates Folge leisten müssen.

III. Weisungsfreiheit und Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse 1425

Im Zusammenhang mit den Vertretern der öffentlichen Hand – namentlich mit Vertretern der Kommunen – in öffentlichen Unternehmen spielt in der Praxis immer wieder die Frage eine Rolle, ob die Aufsichtsratsmitglieder den Weisungen der Gebietskörperschaft unterliegen, auf deren Vorschlag sie gewählt oder von der sie entsandt wurden. In einem Fall beschließt der Rat, die auf Veranlassung der Gemeinde gewählten Aufsichtsratsmitglieder in den städtischen Versorgungsbetrieben anzuwei5 Vgl. etwa § 65 Abs. 1 Nr. 3 BHO; § 65 Abs. 1 Nr. 3 LHO NW; § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GO NRW; § 137 Abs. 1 Nr. 6 NKomVG; Art. 92 Abs. 1 Nr. 2 GO Bay. 6 Vgl. z.B. § 113 Abs. 3 Satz 1 GO NRW; § 138 Abs. 3NKomVG; Art. 93 Abs. 2 GO Bay. 7 Zieglmeier, LKV 2005, 338, 339. 8 Vgl. z.B. § 113 Abs. 3 Satz 2 GO NRW;§ 138 Abs. 3 Satz 2 NKomVG. 9 Vgl. z.B. § 104 Abs. 2 GO BW; § 88 Abs. 3, 1 Satz 5 i.V.m. § 45 GO RP; § 98 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 42 Abs. 2 GO Sachs. 10 Zieglmeier, LKV 2005, 338, 339; Keßler, GmbHR 2000, 71, 76.

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Weisungsfreiheit und Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse | Rz. 1426 § 20

sen, einer von der Geschäftsführung befürworteten Erhöhung der Erdgas- und Wärmeabgabepreise nicht zuzustimmen11. In einem anderen Fall weist der Stadtrat die von ihm in den Aufsichtsrat entsandten Mitglieder des kommunalen Nahverkehrsunternehmens an, sich für die Fortführung einer Buslinie in den Abendstunden einzusetzen, obwohl die Einstellung des Nahverkehrs ab 21 Uhr mangels Rentabilität geboten ist12. Und in einem dritten Fall beschließt der Rat eine Anweisung an die kommunalen Vertreter im Aufsichtsrat einer stadteigenen GmbH, einen Geschäftsführer abzuberufen13. Sind solche Versuche, auf das Abstimmungsverhalten der Aufsichtsratsmitglieder Einfluss zu nehmen, für die betroffenen Aufsichtsratsmitglieder verbindlich? Im Aufsichtsrat einer AG haben auch die Vertreter der öffentlichen Hand ihr Amt eigenverantwortlich und frei von Weisungen zu führen. Das war nicht immer unumstritten, ist inzwischen jedoch anerkannt14. Auch die in den Gemeindeordnungen durchweg vorgesehene Bindung der auf Veranlassung der Gemeinde gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder an Ratsbeschlüsse15 ändert daran nichts. Diese Regelungen stehen teilweise unter dem ausdrücklichen gesetzlichen Vorbehalt, dass sie nur gelten, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist16; eine solche abweichende gesetzliche Bestimmung ist der aktienrechtliche Grundsatz der Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder17. Unabhängig davon könnten sich kommunalrechtliche Weisungsbindungen als nachrangiges Landesrecht gegen das AktG als Bundesrecht ohnehin nicht durchsetzen (Art. 31 GG)18. Die früher noch vertretene Meinung, die in den Gemeindeordnungen vorgesehene Weisungsbindung bestehe so 11 VG Arnsberg v. 13.7.2007 – 12 K 3965/06, ZIP 2007, 1988 mit Anm. Lutter. 12 Beispiel bei Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 76. 13 Beispiel bei Harder/Ruter, GmbHR 1995, 813. 14 Vgl. nur BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, ZIP 2011, 2054 Rz. 20 f.; OVG Münster v. 24.4.2009 – 15 A 2592/07, ZIP 2009, 1718, 1720; OVG Kassel v. 9.2.2012 – 8 A 2043/10, AG 2013, 35 Rz. 74, 80 ff.; OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, AG 2012, 883; Hüffer/ Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 28 f.; Oebbecke, Handbuch Kommunale Unternehmen, § 9 Rz. 41; Früchtl, Die Aktiengesellschaft als Rechtsform für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S. 134 f.; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 91 ff.; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 21 ff.; Spindler, ZIP 2011, 689, 694; Weckerling-Wilhelm/Mitsching, NZG 2011, 327, 328 f.; Lutter, ZIP 2007, 1991 f.; a.A. Heidel, NZG 2012, 48, 53 f., der ein Weisungsrecht aus § 394 AktG ableiten will, dabei jedoch den engen Anwendungsbereich der Vorschrift (vgl. näher Rz. 1431) überdehnt. 15 Z.B. § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW; § 88 Abs. 5 Satz 2 GO RP. 16 Z.B. § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW; § 88 Abs. 5 Satz 2 GO RP; § 71 Abs. 1 Satz 5, Abs. 2 KVerf M-V. 17 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, ZIP 2011, 2054 Rz. 20 f.; OVG Münster v. 24.4.2009 – 15 A 2592/07, ZIP 2009, 1718, 1720; OVG Kassel v. 9.2.2012 – 8 A 2043/10, AG 2013, 35 Tz. 74, 80 ff.; OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, AG 2012, 883; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 30. 18 Vgl. nur OVG Münster v. 24.4.2009 – 15 A 2592/07, ZIP 2009, 1718, 1720 = AG 2009, 840; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 30; Kiethe, NZG 2004, 993, 997; übersehen von VG Arnsberg v. 13.7.2007 – 12 K 3965/06, ZIP 2007, 1988, 1990 f.

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1426

§ 20 Rz. 1426 | Besonderheiten in Unternehmen der öffentlichen Hand

lange, wie die konkret in Rede stehende Weisung der gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder auf das Wohl der Gesellschaft nicht zuwider laufe19, ist heute überholt. Welche Maßnahme dem Wohle der Gesellschaft entspricht, können weder der Rat der Gemeinde noch die Verwaltungsgerichte entscheiden, sondern allein das dafür zuständige Gesellschaftsorgan. 1427

Ebenso sind auch die auf Vorschlag der öffentlichen Hand gewählten oder von dieser entsandten Aufsichtsratsmitglieder einer AG, allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet, nicht den Interessen der Gebietskörperschaft, der sie ihre Wahl verdanken, und schon gar nicht den Interessen der Ratsfraktion dieser oder jener Partei, auf deren Vorschlag sie gewählt wurden. Zwar sehen manche Gemeindeordnungen für die Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat die Pflicht vor, bei ihrer Amtstätigkeit die Interessen der Gemeinde zu verfolgen20. Aber auch diese Regelungen stehen zum Teil unter dem ausdrücklichen gesetzlichen Vorbehalt, dass sie nur insoweit gelten, wie nicht durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist21; im Übrigen gilt auch in diesem Zusammenhang, dass kommunalrechtliche Regelungen, die im Widerspruch zu den Regeln des Aktienrechts stehen, als nachrangiges Landesrecht gegenüber dem höherrangigen Bundesrecht zurücktreten müssen (Art. 31 GG). Die Grundsätze des Aktienrechts über die ausschließliche Bindung der Aufsichtsratsmitglieder an das Unternehmensinteresse gehen daher vor22. Das Unternehmensinteresse muss allerdings keinen Gegensatz zum öffentlichen Interesse darstellen: Das Schutzziel „Unternehmensinteresse“ enthält auch die Interessen der Anteilseigner und damit auch die der öffentlichen Hand. Die besonderen Gemeinwohlinteressen der öffentlichen Hand werden daher über die Interessen der Anteilseigner von den Aufsichtsratsmitgliedern mitberücksichtigt23.

1428

Ganz die gleichen Grundsätze gelten auch für den Pflichtaufsichtsrat einer GmbH. Auch seine Mitglieder haben ihr Amt weisungsfrei und allein im Interesse des Unternehmens zu führen24. Zu Besonderheiten führt hier allerdings das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung; vgl. dazu Rz. 1124.

19 So noch OVG Münster v. 11.12.2006 – 15 B 2625/06, NVwZ 2007, 609; VG Arnsberg v. 13.7.2007 – 12 K 3965/06, ZIP 2007, 1988, 1990; ähnlich auch noch Mertens, Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. § 101 Rz. 55; Schwintowski, NJW 1990, 1009, 1013, 1015. 20 Z.B. § 113 Abs. 1 Satz 1 GO NW; § 88 Abs. 4 GO RP; § 104 Abs. 3 GO BW. 21 Z.B. § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NW. 22 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, ZIP 2011, 2054 Rz. 20 f.; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 31; Oebbecke, Handbuch Kommunale Unternehmen, § 9 Rz. 48; Banspach/Nowak, Der Konzern 2008, 195, 198; Schön, ZGR 1996, 429, 448 ff. 23 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 31; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 185; Banspach/ Nowak, Der Konzern 2008, 195, 198; Schwintowski, NJW 1995, 1316, 1318; Lutter/Grunewald, WM 1984, 385, 395. 24 Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 23; Pauly/Schüler, DöV 2012, 339, 340 f.; Schodder, NdsVBl. 2012, 121, 124; Spindler, ZIP 2011, 689, 694; Leitzen, ZNotP 2011, 453, 461; Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327, 329; Strobel, DVBl 2005, 77, 80; für die Einmann-GmbH a.A. Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1, 13 f.

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Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 1430 § 20

Anders ist demgegenüber die Situation im fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH. Zwar haben auch in einem freiwillig gebildeten GmbH-Aufsichtsrat die Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt grundsätzlich eigenverantwortlich im Interesse der Gesellschaft zu führen. Auch in einer kommunalen GmbH mit freiwillig gebildetem Aufsichtsrat sind die Aufsichtsratsmitglieder daher normalerweise nicht an Weisungen des Rates gebunden25. Eine andere Frage ist es jedoch, ob die Satzung der GmbH die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats an Weisungen binden kann. Die Frage ist umstritten. Nach verbreiteter Auffassung sind Weisungsrechte in Bezug auf die Überwachungsaufgabe auch beim fakultativen Aufsichtsrat nicht zulässig, weil sich mit der Bezeichnung als „Aufsichtsrat“ die schützenswerte Verkehrserwartung der Unabhängigkeit seiner Mitglieder verbinde26. Andere Stimmen wollen Weisungsrechte in der Satzung hingegen zu lassen27, wenn auch teilweise mit dem Hinweis, dass es sich dann nicht mehr um einen echten „Aufsichtsrat“ handele28. Letzterem ist zuzustimmen. Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats verträgt sich zwar nicht mit einer Weisungsbindung29, d.h. aber nicht, dass eine statutarische Weisungsbindung unzulässig wäre, sondern nur, dass in einem solchen Fall das Organ den Namen Aufsichtsrat nicht verdient, und es sich insoweit um eine Fehlbezeichnung handelt (vgl. Rz. 1207).

1429

IV. Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder In der Aktiengesellschaft unterliegen auch Aufsichtsratsmitglieder der öffentlichen Hand grundsätzlich der gleichen strengen Verschwiegenheitspflicht wie die anderen Aufsichtsratsmitglieder auch (vgl. Rz. 254 ff.). Von diesem Grundsatz weichen §§ 394, 395 AktG für solche Aufsichtsratsmitglieder ab, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft gewählt oder von einer solchen entsandt worden sind. Sie dür25 OVG Sachsen v. 3.7.2012 – 4 B 211/12, AG 2012, 883; Heermann, Großkomm. GmbHG, § 52 Rz. 145 f.; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 25 f.; Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327, 329. 26 Heermann, Großkomm. GmbHG, § 52 Rz. 147; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 130; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 184; Spindler, ZIP 2011, 689, 695; Krämer/Winter in FS Goette, 2011, S. 253, 255 ff.; Bäcker in FS Schwark, 2009, S. 101, 106 ff.; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, S. 224 ff.; Keßler, GmbHR 2000, 71, 76 f.; Banspach/Nowak, Der Konzern 2008, 195, 198. 27 So namentlich BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, ZIP 2011, 2054 Rz. 21 mit allerdings zweifelhafter Vertragsauslegung in Tz. 25 ff. (zur Kritik nur Altmeppen, NJW 2011, 3737 f.; Trölitzsch, EWiR 2011, 779; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 [2013], 13, 25); OVG Münster v. 24.4.2009 – 15 A 2592/07, ZIP 2011, 1718, 1721 f. = AG 2009, 840; Oebbecke, Handbuch Kommunale Unternehmen, § 9 Rz. 41; Altmeppen in Altmeppen/Roth, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 3 f.; Altmeppen, NJW 1993, 2561, 2563 ff.; Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1, 4 ff., 13; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 25 ff.; Schodder, NdsVBl. 2012, 121, 125; Pauly/Schüler, DöV 2012, 339, 341 ff.; Leitzen, ZNotP 2011, 459, 461 f.; Weckerling-Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327, 329 f.; R. Schmidt, ZGR 1996, 345, 354. 28 Strobel, DVBl. 2005, 77, 80 f.; Schodder, NdsVBl. 2012, 121, 125. 29 Heermann Großkomm. GmbHG, § 52 Rz. 147; Strobel, DVBl. 2005, 77, 80.

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1430

§ 20 Rz. 1430 | Besonderheiten in Unternehmen der öffentlichen Hand

fen ihrem Vorgesetzten berichten, sofern insoweit eine Berichtspflicht besteht (§ 394 AktG). Wird aufgrund einer solchen Verpflichtung Bericht erstattet, unterliegt der Berichtsempfänger der Vertraulichkeitspflicht (§ 395 AktG). 1431

Für die Anwendung der §§ 394, 395 AktG ist die Veranlassung der Wahl oder die Entsendung des Aufsichtsratsmitglieds durch eine Gebietskörperschaft erforderlich, wobei es gleichgültig ist, um welche Art von Gebietskörperschaft es sich handelt (Bund, Land, Gemeinde, Gemeindeverband)30. Die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht setzt nicht voraus, dass die Gebietskörperschaft eine Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft hält31, auch eine Minderheitsbeteiligung ist ausreichend32. Ebenso kann eine mittelbare Beteiligung genügen33. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 201234 empfohlen, § 394 AktG dahingehend zu erweitern, dass die Vorschrift auch für Aufsichtsratsmitglieder gelten solle, die auf Veranlassung einer der Rechtsaufsicht einer Gebietskörperschaft unterstehenden rechtsfähigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts oder auf Veranlassung eines Unternehmens, an dem eine oder mehrere Gebietskörperschaften mit insgesamt mehr als 50 % beteiligt sind, in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind35. Der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages zu dem – später gescheiterten – „Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle der Vorstandsvergütung und zur Änderung weiterer aktienrechtlicher Vorschriften (VorstKoG)“ griff diese Empfehlung nicht auf36.

1432

Die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht setzt voraus, dass eine Berichtspflicht des Aufsichtsratsmitglieds besteht. Diese Berichtspflicht muss nach der durch die Aktienrechtsnovelle 201637 neu eingefügten Vorschrift des § 394 Satz 3 AktG auf Gesetz, Satzung oder auf einem dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteilten Rechtsgeschäft beruhen. Als Grundlage einer Berichtspflicht qua Gesetz genügen auch eine 30 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 33; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 5; Oetker in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 394 Rz. 8. 31 So aber Martens, AG 1984, 29, 36; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, S. 153. 32 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 33; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 5; Oetker in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 394 Rz. 8; Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Sonderbeilage 13, S. 7 fordern eine „ins Gewicht fallende“ Beteiligung; dass die Beteiligung Gewicht hat, ergibt sich aber schon daraus, dass die Gebietskörperschaft in der Lage war, das Aufsichtsratsmitglied zu entsenden oder seine Wahl zu veranlassen (vgl. Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 5; ähnlich Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 33). 33 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 33; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 5; Oetker in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 394 Rz. 8. 34 BT-Drucks. 17/8989. 35 BR-Drucks. 852/11, S. 2 f.; ablehnend die Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks. 17/8989, Anl. 4, S. 27; DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2012, 380, 383; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 17; Sünner, CCZ 2012, 107, 113. 36 BR-Drucks. 637/13. 37 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565.

560

Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 1433 § 20

Rechtsverordnung38 oder eine kommunale Satzung39. § 394 AktG selbst taugt als allgemeine Rechtsgrundlage für die Durchbrechung der Schweigepflicht jedoch nicht, da keine allgemeine öffentlich-rechtliche Berichtspflicht der Aufsichtsratsmitglieder zur Berichterstattung an die Gebietskörperschaft besteht40. Erforderlich ist vielmehr eine spezielle Berichtspflicht. Ob sich diese für beamtete Aufsichtsratsmitglieder aufgrund der beamtenrechtlichen Weisungsbindung (z.B. § 62 Abs. 1 BBG) ergibt, war früher zweifelhaft und umstritten und dürfte angesichts der weiten Ausdehnung des § 394 Satz 3 AktG aber jedenfalls heute anzuerkennen sein41. Die in § 394 Satz 3 AktG des weiteren genannte Berichtspflicht aufgrund Satzung bezieht sich auf die Satzung der Gesellschaft42. Schließlich kann die Berichtspflicht auf einem Rechtsgeschäft beruhen. Damit will das Gesetz Berichtspflichten aufgrund „einer vertraglichen Vereinbarung, eines Auftrags oder einer Nebenabrede mit der Gebietskörperschaft“ genügen lassen, aber auch „alle denkbaren Varianten“43. Die Vereinbarung als solche bedarf keiner besonderen Form44, muss dem Aufsichtsrat aber in Textform (§ 126b BGB) mitgeteilt worden sein, um von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien. Berichtsempfänger können nur die in § 395 Abs. 1 AktG genannten Personen sein, die mit der Beteiligungsverwaltung oder Betätigungsprüfung betraut sind. Viele Gemeindeordnungen verpflichten die kommunalen Vertreter im Aufsichtsrat, den Rat über alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung zu unterrichten, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist45; vereinzelt sind sogar Auskunftsrechte des Rates gegenüber den kommunalen Vertretern im Aufsichtsrat vorgesehen, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt46. Diese Regelungen sind jedoch nicht geeignet, eine Berichtspflicht gegenüber den Gemeinderäten zu begründen, die gemäß § 394 AktG von der Verschwiegenheitspflicht befreien könnte. Denn aus § 395 AktG wird deutlich, dass die Verschwiegenheitspflicht nicht durchbrochen, sondern „nach oben“ verlagert wird. Aus diesem Grunde darf nicht an eine Institution berichtet werden, bei der – wie in Gemeinde- und Landesparlamenten – die Geheimhaltung nicht ge-

38 Begr. RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks. 18/4349, S. 31; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 38. 39 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 38; Kersting, Kölner Komm. AktG, § 394 Rz. 126. 40 Begr. RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks. 18/4349, S. 31; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 36; eingehend dazu Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Sonderbeilage 13, S. 10 ff., 24. 41 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 40; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 10; Schürnbrand, MünchKomm. AktG, § 394 Rz. 20; Ihrig/Wandt, BB 2016, 6, 13; Schockenhoff, NZG 2018, 521, 526; a.A. Kersting, Kölner Komm. AktG, § 394 Rz. 18. 42 Begr. RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks. 18/4349, S. 31. 43 Begr. RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks. 18/4349, S. 31. 44 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 38; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 9; Harbarth/v. Plattenberg, AG 2016, 145/154; a.A. Kersting, Kölner Komm. AktG, § 394 Rz. 143. 45 Z.B. § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NRW; § 138 Abs. 4 NKomVG; § 104 Abs. 4 GO Bbg.; § 98 Abs. 3 GO Sachs.; Art. 93 Abs. 2 Satz 2 GO Bay. 46 Z.B. § 71 Abs. 4 KVerf M-V; § 115 Abs. 1 Satz 2 KSVG Saarl.

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§ 20 Rz. 1433 | Besonderheiten in Unternehmen der öffentlichen Hand

währleistet ist47. Das hiergegen vorgebrachte Argument, verfassungsrechtliche Gesichtspunkte, wie die ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit den staatlichen Aufgaben betrauten Organen der Verwaltung (Art. 20 Abs. 1 GG) sowie die Pflicht der Kommune zur Überprüfung der Erfüllung des öffentlichen Zwecks, erforderten Informations- und Kontrollrechte gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern48, ist schon deshalb verfehlt, weil niemand die öffentliche Hand zwingt, sich privatrechtlicher Rechtsformen zu bedienen49. 1434

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings unlängst entschieden, bei einer mehrheitlich oder vollständig in der Hand des Bundes befindlichen Aktiengesellschaft folge aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ein Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung, das nicht durch die Verschwiegenheitsregelungen des AktG beschränkt sei50. Die Entscheidung betrifft jedoch nur einen Informationsanspruch des Parlaments gegenüber der Bundesregierung, nicht jedoch gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern51. Sie hat allerdings für Bundesbeteiligungen zur Folge, dass eine etwa nach § 394 AktG bestehende Berichtspflicht des Aufsichtsratsmitglieds nicht nach § 385 AktG deshalb entfällt, weil der Berichtsempfänger möglicherweise dem Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestags unterliegt52. Etwaige landesverfassungsrechtliche Frage- und Informationsrechte von Landes- und Gemeindeparlamenten können an den Grundsätzen der §§ 394, 395 AktG wegen des Vorrangs des Bundesrechts hingegen nichts ändern (Art. 31 GG).

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Für die Aufsichtsratsmitglieder einer GmbH besteht im Grundsatz die gleiche Verschwiegenheitspflicht wie im Aktienrecht, da § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 52 Abs. 1 GmbHG jeweils auf § 116 AktG verweisen. § 52 Abs. 1 GmbHG verweist für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat auch auf §§ 394, 395 AktG, so dass die in Rz. 1430 ff. geschilderte Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht in öffentlichen Unternehmen auch für ihn gilt. Gleiches wird man auch für den Pflicht-Aufsichtsrat einer GmbH annehmen müssen, auch wenn die Mit-

47 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 394 Rz. 42 f.; Oetker in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 394 Rz. 26 f.; Kersting, Kölner Komm. AktG, § 394 Rz. 176 ff.; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 17; Land/Hallermayer, AG 2011, 114, 119; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 158 ff.; zweifelnd VG Regensburg v. 2.2.2005 – RN 3 K 04.1408, LKV 2005, 365; Zieglmeier, LKV 2005, 338, 340; a.A. Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 14; Huber/Fröhlich, Großkomm. AktG, § 394 Rz. 39 ff.; v. Danwitz, AöR 120 (1995), 595, 623 f. 48 VG Regensburg v. 2.2.2005 – RN 3 K 04.1408, LKV 2005, 365; Zieglmeier, LKV 2005, 338, 340. 49 Vgl. dazu auch OVG Kassel v. 9.2.2012 – 8 A 2043/10, AG 2013, 35 Rz. 75, 59 ff. 50 BVerfG v. 7.11.2017 – 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 Rz. 195 ff., 211 ff. 51 Mann, AG 2018, 57, 61; Kersting, WPg 2018, 1, 5; Schockenhoff, NZG 2018, 521, 522. 52 Ebenso wohl Schockenhoff, NZG 2018, 521, 527; Kersting, WPg 2018, 1, 5; anders wohl Mann, AG 2018, 57, 61 ff.

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Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 1436–1449 § 20

bestimmungsgesetze eine Verweisung auf §§ 394, 395 AktG nicht enthalten53. Über § 394 AktG hinaus kann für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat auch die Satzung den Umfang der Verschwiegenheitspflicht einschränken54, während dies für den Pflichtaufsichtsrat nicht möglich ist55. Soweit die Satzung einer kommunalen GmbH die Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats an die Weisungen des Gemeinderats bindet, folgt daraus zugleich eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Rat56, für die § 394 AktG nicht genügt (vgl. Rz. 1432). Schwieriger ist die Rechtslage, wenn die Satzung beim fakultativen Aufsichtsrat eine entsprechende Lockerung der Verschwiegenheitspflicht nicht enthält oder wenn ein Pflichtaufsichtsrat besteht. Auch in diesen Fällen gilt die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder nicht gegenüber Gesellschaftern, da das GmbH-Recht viel weitergehende Informationsrechte des Gesellschafters kennt als das Aktienrecht (§ 51a GmbHG)57. Daraus wird zum Teil gefolgert, die Verschwiegenheitspflicht bestehe auch nicht gegenüber dem Gemeinderat58. Dem wird man jedoch allenfalls zustimmen können, wenn es sich um eine 100 %-Tochter der Gemeinde handelt59, sind jedoch Mitgesellschafter vorhanden, kann das Informationsrecht des Gesellschafters eine direkte Information des Rates kaum rechtfertigen. Denn Gesellschafter ist nicht der Rat, sondern die Gemeinde, die durch den Bürgermeister60 oder einen vom Rat bestellten Vertreter61 in der Gesellschafterversammlung vertreten wird. Einstweilen frei.

1436– 1449

53 Schürnbrand, MünchKomm. AktG, § 394 Rz. 9 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 100; Schall in Spindler/Stilz, Komm. AktG, § 394 Rz. 4. 54 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 67; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 30; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 26. 55 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 363; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 113, § 1 DrittelbG Rz. 39; van Kann/Keiluweit, DB 2009, 2251, 2254. 56 Überzeugend Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1, 11 ff. 57 BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56 f. = AG 1997, 372; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 25; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 30; Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 18; Spindler, ZIP 2011, 689, 692; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 67. 58 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 30; Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566; wohl auch Oebbecke, Handbuch Kommunale Unternehmen, § 9 Rz. 36; a.A. Weber-Rey/Buckel, ZHR 177 (2013), 13, 19; Spindler, ZIP 2011, 689, 691. 59 Für diesen Fall auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Komm. GmbHG, § 52 Rz. 67; Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1, 13 f.; auch insoweit a.A. Spindler, ZIP 2011, 689, 691. 60 Z.B. § 88 Abs. 1 Satz 1 GO RP; Art. 93 Abs. 1 Satz 1 GO Bay.; § 104 Abs. 1 Satz 1 GO BW. 61 Z.B. § 113 Abs. 2 Satz 1 GO NW; § 138 Abs. 1 Satz 1 NKomVG; §§ 28 Nr. 20, 104 Abs. 1, 105 GO S-H.

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§ 21 Besonderheiten des Aufsichtsrats in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen I. Einführung In Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen werden die in diesem Buch dargestellten gesellschaftsrechtlichen Regeln über den Aufsichtsrat durch die bank- und versicherungsaufsichtsrechtlichen Sonderregeln überlagert, die sich im KWG, im VAG und im europäischen Aufsichtsrecht finden. Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht sind Teil des Gewerberechts; es handelt sich um von der BaFin überwachtes besonderes Gefahrenabwehrrecht („Gewerbepolizeirecht“), das darauf abzielt, die Interessen der Einleger und Versicherten zu schützen und ein funktionsfähiges, stabiles Kredit- und Versicherungswesen zu gewährleisten1. Um dieses Ziel zu erreichen, lässt es das Aufsichtsrecht nicht dabei bewenden, den Banken und Versicherungsunternehmen strikte Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen abzuverlangen. Vielmehr greift es auf vielfältige Weise und mit zunehmender Intensität auch in die Organisationsverfassung von Banken und Versicherungsunternehmen ein, zuletzt besonders eindringlich in Reaktion auf die Finanzmarktkrise, da der europäische und deutsche Gesetzgeber Schwächen in der Corporate Governance als eine maßgebliche Ursache der Krise ausgemacht haben. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch der Aufsichtsrat zunehmend ins Visier des aufsichtsrechtlichen Gesetzgebers geraten2.

1450

Infolgedessen enthält das Aufsichtsrecht inzwischen detaillierte Vorgaben zum Aufsichtsrat, die über die aktienrechtlichen Vorgaben zum Teil weit hinausgehen,

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1 Vgl. zur Bankenaufsicht Begr. RegE zum KWG von 1961, BT-Drucks. 3/114 („Die Bankenaufsicht soll durch vorbeugende Überwachung allgemein das Entstehen von Schäden im Kreditwesen und von Verlusten der Institutsgläubiger verhindern, also vorwiegend gefahrenabwehrend wirken.“); näher Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 481 ff.; zur Versicherungsaufsicht Begr. RegE 10. VAGÄndG, BT-Drucks. 17/9342; Bürkle in Kaulbach/Bähr/ Pohlmann, Komm. VAG, Einl. Rz. 40 f., sowie auf europäischer Ebene Art. 27 f. Solvabilität II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit, ABl. EU Nr. L 335 v. 17.12.2009, S. 1). 2 S. etwa Europäische Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik vom 2.6.2010, KOM (2010) 284, S. 2, 7: „Die Finanzkrise hat deutlich belegt, dass die Verwaltungsräte [scil. im dualistischen System die Aufsichtsräte] der Finanzinstitute ihre Schlüsselrolle als Machtzentrum nicht wahrgenommen haben. Deshalb waren sie nicht in der Lage, die Geschäftsführung wirksam zu kontrollieren ...“. Ob und in welchem Umfang Mängel der Corporate Governance und insbesondere der Überwachung der Geschäftsleitung tatsächlich eine wesentliche Ursache der Finanzkrise bildeten, ist freilich zweifelhaft und umstritten; s. einerseits Mülbert/Wilhelm in Busch/ Ferrarini, European Banking Union, Rz. 6.74 ff.; andererseits Hopt, ZGR 2017, 438, 440; jeweils m.z.N.

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§ 21 Rz. 1451 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

angefangen von Vorschriften zur Qualifikation und Zusammensetzung des Aufsichtsrats, zu seiner internen Organisation durch Bildung von Ausschüssen, zu besonderen Informationsrechten bis hin zur Vergütung. Gemeinsames Anliegen dieser Vorschriften ist es, Professionalität und Effektivität der Kontrolle durch den Aufsichtsrat zu verbessern und damit nicht zuletzt auch die Legalitätskontrolle über die Einhaltung der vielfältigen aufsichtsrechtlichen Vorgaben durch den Vorstand zu stärken. 1452

Besonders weit vorangeschritten ist diese sektorspezifische Regulierung der Corporate Governance im Bankaufsichtsrecht; hier wird bereits von der Herausbildung eines eigenständigen „Bankgesellschaftsrechts“ gesprochen3. Einschneidende Änderungen des Bankaufsichtsrechts mit erheblichen Auswirkungen auch auf die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats haben die europäische Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirements Regulation, CRR)4 sowie die Umsetzung der Vierten Kapitaladäquanzrichtlinie (CRD IV-Richtlinie)5 durch das CRD IV-Umsetzungsgesetz6 mit sich gebracht. Diese Neuerungen sind mit Wirkung zum 1.1.2014 in Kraft getreten. Tiefgreifende Veränderungen hat aber auch das Versicherungsaufsichtsrecht erfahren, namentlich aufgrund der Solvabilität II-Richtlinie7, die der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (VAMoG)8 mit Wirkung zum 1.1.2016 umgesetzt hat, und einer die Richtlinie ergänzenden Delegierten Verordnung der Europäischen Kommission (Solvabilität II-Verordnung)9.

1453

Die Besonderheiten, die sich aus der aufsichtsrechtlichen Regulierung für den Aufsichtsrat in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen ergeben, sollen in diesem Kapitel am Beispiel der Rechtsform der Aktiengesellschaft vorgestellt werden. Ungeachtet dessen gelten die aufsichtsrechtlichen Vorgaben in gleicher Weise auch 3 Langenbucher, ZHR 176 (2012), 652, 662 f.; Langenbucher in Hölscher/Altenhain, Handbuch Aufsichts- und Verwaltungsräte in Kreditinstituten, S. 3, 5. 4 EU-Verordnung Nr. 575/2013 vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 1. 5 Richtlinie 2013/36/EU vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/ EG, ABl. EU Nr. L 176 v. 27.6.2013, S. 338. 6 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/36/EU über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Anpassung des Aufsichtsrechts an die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRD IV-Umsetzungsgesetz), BGBl. I 2013, 3395. 7 Richtlinie 2009/138/EG vom 25.11.2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl. EU Nr. L 335 v. 17.12.2009, S. 1. 8 Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen vom 1.4.2015, BGBl. I 2015, 434. 9 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10.10.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG, ABl. EU Nr. L 12 v. 17.1.2015, S. 1; zuletzt geändert durch Art. 1 Verordnung (EU) 2019/981 vom 8.3.2019.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1454 § 21

für Aufsichts- und Verwaltungsräte anderer Rechtsformen, also z.B. auch für den Aufsichtsrat einer Genossenschaft oder eines VVaG oder den Verwaltungsrat einer Sparkasse.

II. Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat 1. Überblick, Allgemeines Das Aufsichtsrecht enthält zunächst eine Reihe von Vorschriften, die das Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat näher ausgestalten und neben (nicht anstatt) den aktienrechtlichen Anforderungen (§§ 100, 105 AktG) zu beachten sind. Im Einzelnen finden sich aufsichtsrechtliche Vorgaben zu Qualifikation, Zuverlässigkeit, zeitlicher Verfügbarkeit, Inkompatibilitäten (Begrenzung der Ämterhäufung) sowie zur Zusammensetzung (Diversität) des Aufsichtsrats. Einen wesentlichen Teil dieser Vorgaben hat der deutsche Gesetzgeber 2009 zunächst aus eigenem Antrieb eingeführt10. Inzwischen sind die betreffenden Regelungen jedoch durch die CRD IV-Richtlinie und die Solvabilität II-Richtlinie europarechtlich unterlegt und infolgedessen richtlinienkonform auszulegen; im Bereich der Versicherungsaufsicht treten die unmittelbar anwendbaren Vorgaben der Solvabilität II-Verordnung hinzu. Von erheblicher Bedeutung für die praktische Anwendung der europäischen Vorgaben sind die Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA, die im Interesse einer möglichst einheitlichen Anwendung des Unionsrechts teilweise sehr detaillierte Auslegungsdirektiven geben11. Diese sind zwar weder für die Finanzinstitute noch für die nationalen Aufsichtsbehörden rechtlich verbindlich; wollen die nationalen Behörden von einer Leitlinie abweichen, müssen sie dies aber offenlegen („comply or explain“)12. Die deutsche Verwaltungspraxis ist in zwei Merkblättern der BaFin zusammengefasst, die zuletzt im November/Dezember

10 Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht (FMVAStärkG) vom 29.7.2009, BGBl. I 2009, 2305. 11 Im vorliegenden Kontext sind insbesondere zu nennen: EBA, Leitlinien zur Internen Governance (EBA/GL/2017/11) vom 15.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017); ESMA/EBA, Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017); EIOPA, Leitlinien zum Governance System vom 14.9.2015 (EIOPA-BoS-14/ 253) nebst Erläuterungen (EIOPA, Explanatory Text, BoS-14/253 vom 28.1.2015). Eingehend zu den ESMA/EBA-Leitlinien Henning/Gissing, AG 2018, 925 ff. 12 Art. 16 Abs. 3 EBA-VO (Verordnung [EU] Nr. 1093/2010), § 7b Abs. 1 Satz 4–5 KWG; Art. 16 Abs. 3 ESMA-VO (Verordnung [EU] Nr. 1095/2010); Art. 16 Abs. 3 EIOPA-VO (Verordnung [EU] Nr. 1094/2010); näher dazu Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 875 ff. In Bezug auf die ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017) hat die BaFin die Abweichung von den Leitlinien zur Unabhängigkeit von Aufsichts- und Verwaltungsratsmitgliedern erklärt; s. dazu Rz. 1480.

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1454

§ 21 Rz. 1454 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

2018 aktualisiert wurden13. Für die als bedeutend im Sinne der SSM-Verordnung eingestuften Kreditinstitute14, die seit Inkrafttreten des einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) nicht mehr von der BaFin, sondern direkt von der EZB beaufsichtigt werden15, ist schließlich der EZBLeitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit zu beachten, der die Verwaltungspraxis der EZB wiedergibt16. 2. Qualifikation a) Ausgangspunkt 1455

Blickt man zunächst auf die Anforderungen an die fachliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder, so ist im Ausgangspunkt daran zu erinnern, dass sich bereits aus dem Gesellschaftsrecht bestimmte Mindestanforderungen ergeben. So hat der BGH in der vielzitierten „Hertie“-Entscheidung aus dem Gebot der persönlichen und eigenverantwortlichen Amtsausübung (§ 111 Abs. 6 AktG) die allgemeine Vorgabe abgeleitet, dass „ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.“17 Darüber hinaus ergibt sich aus dem neu gefassten § 100 Abs. 5 AktG, dass in Unternehmen von öffentlichem Interesse – darunter fallen neben kapitalmarktorientierten Gesellschaften im Sinne des § 264d HGB auch CRRKreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG (mit Ausnahme der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KWG genannten Institute) sowie Versicherungsunternehmen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 91/674/EWG – mindestens ein Finanzexperte dem Aufsichtsrat angehören muss und der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein muss (Rz. 759). 13 Für Kreditinstitute: Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018; für Versicherungsunternehmen: Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018. Zur Rechtsnatur der BaFin-Merkblätter Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 897 m.w.N.: für die Gerichte unverbindliche norminterpretierende Verwaltungsvorschriften. 14 Zur Definition des „bedeutenden“ Instituts, die u.a. bei einer Bilanzsumme von mehr als € 30 Mrd. erfüllt ist, s. Art. 6 Abs. 4 SSM-Verordnung und dazu EuGH v. 19.3.2019 – C450/17 P, , EuZW 2019, 559 (L-Bank/EZB). 15 Vgl. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 SSM-Verordnung (Verordnung [EU] Nr. 1024/2013 vom 15.10.2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. EU Nr. L 287 v. 29.10.2013, S. 63). Die Zuständigkeit der EZB ändert aber nichts daran, dass auch sie an das nationale Recht zur Umsetzung der CRD IV-Richtlinie, in Deutschland also an die Bestimmungen des KWG, gebunden ist; vgl. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 SSM-Verordnung. Dabei hat auch die EZB die Leitlinien der EBA im Rahmen des „comply or explain“-Mechanismus zu beachten, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 SSM-Verordnung i.V.m. Art. 16 Abs. 3 EBA-Verordnung; Gurlit, ZHR 177 (2013), 862, 878 mit Fn. 85. 16 EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018. 17 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f. = AG 1983, 133; s. Rz. 29.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1457 § 21

Diese gesellschaftsrechtlichen Mindestanforderungen werden durch das Aufsichtsrecht nicht verdrängt, aber in verschiedener Hinsicht ergänzt und konkretisiert, und zwar sowohl in Bezug auf die individuelle Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder (Rz. 1456 ff.) als auch in Bezug auf die Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats (Rz. 1469 ff.). b) Individuelle Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder aa) Kreditinstitute (1) Qualifikationsanforderungen für alle Aufsichtsratsmitglieder. § 25d Abs. 1 Satz 1 KWG verlangt zunächst, dass jedes Aufsichtsratsmitglied eines Kreditinstituts18 über die erforderliche Sachkunde zur Wahrnehmung der Kontrollfunktion verfügen muss. Die Konkretisierung dieser Vorgabe im Einzelfall hängt vom jeweiligen Unternehmen ab, namentlich von Umfang und Komplexität der betriebenen Geschäfte (§ 25d Abs. 1 Satz 2 KWG; Proportionalitätsgrundsatz). Unionsrechtlich ist das Sachkundeerfordernis durch Art. 91 Abs. 1 Satz 1 CRD IV-Richtlinie vorgegeben; nach dieser Vorschrift müssen die „Mitglieder des Leitungsorgans“ – damit sind in der Terminologie der Richtlinie nicht nur Vorstands-, sondern auch Aufsichtsratsmitglieder gemeint19 – „ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben“ haben. Zu betonen ist, dass die daraus abzuleitenden Anforderungen ausnahmslos und ohne Abstriche für alle Aufsichtsratsmitglieder gelten, ohne Unterschied, ob es sich um Anteilseigner- oder Arbeitnehmervertreter handelt20.

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Sachkundig in diesem Sinne ist ein Aufsichtsratsmitglied nur, wenn es imstande ist, die von dem Institut „getätigten Geschäfte zu verstehen, deren Risiken für das Unternehmen zu beurteilen und nötigenfalls Änderungen in der Geschäftsführung durchzusetzen.“21 Das bedeutet freilich nicht, dass ein Aufsichtsratsmitglied alle erdenk-

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18 Genau genommen erfasst § 25d KWG nicht nur Kreditinstitute (§ 1 Abs. 1 KWG), sondern auch Finanzdienstleistungsinstitute (§ 1 Abs. 1a, Abs. 1b KWG), Finanzholding-Gesellschaften (Art. 4 Abs. 1 Nr. 20 CRR) und gemischte Finanzholding-Gesellschaften (Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 CRR). Im Folgenden ist vereinfachend nur von Kreditinstituten die Rede. 19 Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 CRD IV-Richtlinie. 20 Annuß, MünchKomm. AktG, § 7 MitbestG Rz. 10; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 6 MitbestG Rz. 48a; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 19, 57; Binder, ZGR 2018, 88, 99 f.; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, NZG 2016, 41, 44; a.A. Gach, MünchKomm. AktG, 4. Aufl., § 7 MitbestG Rz. 28; Raiser/ Jacobs in Raiser/Veil/Jacobs, Komm. MitbestG und DrittelbG, § 7 MitbestG Rz. 14 (jeweils zu § 36 Abs. 3 KWG a.F.). Dass nach § 25 Abs. 2 Satz 2 KWG die Mitbestimmungsgesetze „unberührt“ bleiben, kann schon deshalb keine abweichende Beurteilung rechtfertigen, weil der CRD IV-Richtlinie eine Unterscheidung der Qualifikationsanforderungen nach Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern fremd ist (vgl. Art. 91 Abs. 13 CRD IV-Richtlinie); zutr. Kleinert und Binder a.a.O. 21 So Begr. RegE FMVAStärkG, BT-Drucks. 16/12783, S. 16 (zu § 36 Abs. 3 KWG a.F.); Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 25d Rz. 5b m.w.N.; ganz ähnlich BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß

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§ 21 Rz. 1457 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

lichen Geschäfte des Instituts im Einzelnen verstehen können muss. Es muss aber zumindest über solche Kenntnisse des Bankgeschäfts verfügen, die es ihm ermöglichen, das Geschäftsmodell des Instituts zu verstehen und die typischerweise anfallenden Geschäfte und damit verbundenen Risiken nachvollziehen zu können22. Nach den ESMA/EBA-Leitlinien und dem EZB-Leitfaden kommt es dabei auf die theoretische23 und praktische Erfahrung in folgenden Bereichen an24: – Bankwesen und Finanzmärkte, – rechtliche Anforderungen und Regulierungsrahmen25, – strategische Planung, Verständnis der Geschäftsstrategie und deren Erfüllung, – Risikomanagement (Ermittlung, Bewertung, Überwachung, Beherrschung und Minderung der Hauptrisikoarten eines Instituts), – Buchhaltung und Rechnungsprüfung, – die Beurteilung der Wirksamkeit der Regelungen eines Instituts im Hinblick auf eine effektive Unternehmensführung und -überwachung; und

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KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 20 („muss ... die vom Unternehmen getätigten Geschäfte verstehen und deren Risiken beurteilen können“); ferner ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 66 („sollten in der Lage sein, die Entscheidungen des Leitungsorgans in seiner Leitungsfunktion konstruktiv zu hinterfragen und dieses effektiv zu überwachen“). Vgl. (für Versicherungsunternehmen) Dreher/Lange, ZVersWiss 2011, 211, 224 f.; ferner Binder, ZGR 2018, 88, 102. Mit theoretischer Erfahrung sind Kenntnisse und Fähigkeiten gemeint, die durch Ausund Weiterbildung erworben wurden; vgl. EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 12. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 64; EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 12 f. Die nachfolgenden Kriterien gelten im Ausgangspunkt sowohl für Vorstands- als auch für Aufsichtsratsmitglieder (in der Diktion der Leitlinien: Mitglieder eines „Leitungsorgans in seiner Leitungsfunktion“ und Mitglieder des „Leitungsorgans in seiner Aufsichtsfunktion“; ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 11, vgl. auch Art. 3 Abs. 1 Nr. 8 CRD IV-Richtlinie). Sie sind aber jeweils aufgabenspezifisch zu konkretisieren, so dass sich die Qualifikationsanforderungen an Vorstandsmitglieder letztlich doch von denen an Aufsichtsratsmitglieder unterscheiden; s. noch Rz. 1459. Dieses Kriterium betont auch das BaFin-Merkblatt KWG/KAGB (Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018), S. 20, was vor dem Hintergrund des § 25d Abs. 6 Satz 1 KWG (Rz. 1503) unmittelbar einleuchtet.

Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1459 § 21

– die Auswertung der Finanzinformationen eines Instituts, die Ermittlung von wichtigen Sachverhalten auf Grundlage dieser Informationen und entsprechende Kontrollen und Maßnahmen26. Spezialkenntnisse in allen genannten Bereichen werden von den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern nicht verlangt27; eine sinnvolle Kombination verschiedener Spezialisierungen ist vielmehr eine Frage der Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats (Rz. 1469). Die Kenntnisse müssen das einzelne Aufsichtsratsmitglied aber dazu befähigen, an der Kollektiventscheidung des Kontrollorgans mitzuwirken28 und ggf. einen Beratungsbedarf zu erkennen29, um auch sachgerecht darüber entscheiden zu können, wann es der – nach Maßgabe der §§ 109 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 2 Satz 2 AktG zulässigen – Hinzuziehung externer Berater bedarf. Kenntnisse der deutschen Sprache sind nicht zwingend erforderlich, sofern in dem Institut eine andere Arbeitssprache (englisch) üblich ist30.

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Die von den Aufsichtsratsmitgliedern geforderte Sachkunde ist nicht gleichzusetzen mit der „fachlichen Eignung“, wie sie von den Geschäftsleitern im Sinne des § 1 Abs. 2 KWG, in der AG also von den Vorstandsmitgliedern, der aufsichtsunterworfenen Unternehmen verlangt wird (§ 25c Abs. 1 KWG). Die fachliche Eignung der Vorstandsmitglieder setzt insbesondere Leitungserfahrung voraus (§ 25c Abs. 1 Satz 2 KWG)31; diese muss bei Aufsichtsratsmitgliedern nicht gegeben sein32. Diese Differenzierung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Qualifikationsanforderun-

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26 Ergänzend listet Anhang II der ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/ 2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017) insgesamt 16 Fähigkeiten auf, welche die Institute bei der Durchführung ihrer Eignungsbewertungen „in Erwägung ziehen“ sollten, angefangen von Authentizität über Kommunikations- und Teamfähigkeit bis hin zu Verhandlungsgeschick, Stressresistenz und Verantwortungsgefühl. 27 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 87; BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 20. 28 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 87. 29 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 20. 30 Vgl. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Anhang II lit. b („Landessprache oder Arbeitssprache des Standorts des Instituts“). 31 Dem entspricht das Verständnis der unionsrechtlichen Vorgaben in den ESMA/EBALeitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 65 (mit Präzisierung der Anforderungen an die Leitungserfahrung). 32 Von der Forderung, auch Aufsichtsratsmitglieder müssten fachliche Eignung einschließlich Leitungserfahrung aufweisen, ist man im Gesetzgebungsverfahren zum FMVAStärkG bewusst abgerückt; näher Dreher, ZGR 2010, 496, 509 ff.; ferner Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 540; Thaten, Ausstrahlung des Aufsichtsrechts, S. 266. Auch die ESMA/ EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung

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§ 21 Rz. 1459 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

gen stets mit Blick auf die jeweils zu erfüllende Aufgabe zu konkretisieren sind33. Auch eine Vortätigkeit in der Finanzbranche ist ausweislich der Gesetzesmaterialien und der Verlautbarungen der BaFin und der europäischen Aufsichtsbehörden keine zwingende Voraussetzung für hinreichende Sachkunde34. Vielmehr kann auch eine Tätigkeit in anderen Branchen oder in der öffentlichen Verwaltung die erforderliche Qualifikation begründen; die BaFin verlangt in diesem Fall, dass die Tätigkeit über einen längeren Zeitraum maßgeblich auf wirtschaftliche und rechtliche Fragestellungen ausgerichtet war35. Nach den ESMA-/EBA-Leitlinien können auch einschlägige wissenschaftliche Vortätigkeiten genügen36. 1460

Die vorstehenden Grundsätze gelten prinzipiell auch für die der direkten Aufsicht der EZB unterstehenden bedeutenden Kreditinstitute (Rz. 1454). Allerdings enthält der EZB-Leitfaden noch weitergehende Konkretisierungen dieser Grundsätze, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Beaufsichtigung bedeutender Institute von besonderer Komplexität und Bedeutung ist und daher – in Konsequenz des Proportionalitätsprinzips und der Aufgabenabhängigkeit der geforderten Sachkunde – auch die Anforderungen an die Qualifikation steigen. So spricht nach dem EZB-Leitfaden nur dann eine Vermutung für die nötige Sachkunde eines Aufsichtsratsmitglieds, wenn es in jüngster Vergangenheit mindestens drei Jahre lang einschlägige praktische Erfahrung in oberen Führungspositionen gesammelt hat37. Geht es um den Vor-

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vom 26.9.2017), Rz. 67, verlangen für die Aufsichtsratsmitglieder keine Leitungserfahrung. Zum EZB-Leitfaden s. aber noch Rz. 1460. Vgl. Art. 91 Abs. 1 Satz 1 CRD IV-Richtlinie: „ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben“; allgemein zu dieser Abstufung ESMA/ EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 27; EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 12, 14; Binder, ZGR 2018, 88, 101 f. Bericht des Finanzausschusses zum FMVAStärkG, BT-Drucks. 16/13684, S. 29 f. (zu § 36 Abs. 3 KWG a.F.); BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 21; ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 66; im Ergebnis auch, wenngleich mit restriktiverer Tendenz, EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 14 unten: „Nicht alle Mitglieder des Leitungsorgans in seiner Aufsichtsfunktion müssen über praktische Erfahrung in Bereichen mit Bezug zu Bankoder Finanzdienstleistungen verfügen.“ BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 21. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 66; s. auch EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 14 (dazu sogleich Rz. 1460). EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 14 (mit dem Zusatz, dass auch praktische Erfahrung aus dem administrativen oder akademischen Bereich je nach Position einschlägig sein kann).

Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1461 § 21

sitzenden des Aufsichtsrats, soll die Sachkunde sogar erst dann vermutet werden können, wenn er über mindestens zehn Jahre einschlägige praktische Erfahrung verfügt und umfangreiche theoretische Kenntnisse im Bankgeschäft oder einem vergleichbaren relevanten Gebiet vorweisen kann38. Bleibt das Aufsichtsratsmitglied hinter diesen Anforderungen zurück, ist zwar nicht automatisch von unzureichender Qualifikation auszugehen; die EZB verlangt in diesem Fall aber eine besondere Begründung, warum das betreffende Mitglied ausnahmsweise gleichwohl als hinreichend sachkundig angesehen werden kann39. Heikel ist die Frage, ob die Sachkunde bereits bei Amtsantritt uneingeschränkt gegeben sein muss oder es genügt, dass das Aufsichtsratsmitglied den erforderlichen Kenntnisstand erst nach einer Einarbeitungs- und Qualifizierungsphase im Amt erlangt. Die BaFin geht von Letzterem aus und lässt es ausreichen, wenn entsprechende Fortbildungsmaßnahmen nachträglich innerhalb von sechs Monaten nach Amtsantritt abgeschlossen werden40. Die ESMA/EBA-Leitlinien sind sogar noch großzügiger und halten eine Nachqualifizierungsphase von bis zu einem Jahr für zulässig41. Der EZB-Leitfaden hält eine nachträgliche Qualifizierung ebenfalls für möglich, allerdings beschränkt auf Fälle „teilweise fehlender Erfahrung in einem spezifischen Bereich“42. Dass diese insgesamt recht großzügige Verwaltungspraxis den Vorgaben der CRD IV-Richtlinie genügt, darf indes mit Fug bezweifelt werden. Nach Art. 91 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Organwalter „allzeit“ ausreichend qualifiziert sein, also nicht erst nach Ablauf einer Qualifizierungsphase. Dass diese Formulierung richtigerweise beim Wort zu nehmen ist, leuchtet mit Blick auf den Schutzzweck des Qualifikationserfordernisses unmittelbar ein. Zu der gleichartigen Vorgabe im Versicherungsaufsichtsrecht (Art. 273 Abs. 1 Solvabilität II-VO: „jederzeit“) hat sich denn auch inzwischen die Ansicht durchgesetzt, dass die Qualifikation bereits bei Amtsantritt vorliegen muss; die BaFin hat ihre Verwaltungspraxis im Rahmen der Versicherungsaufsicht entsprechend korrigiert (Rz. 1467). Im Übrigen wird auch zur gesellschaftsrechtlich geforderten Mindestqualifikation (Rz. 1455) im neueren Schrifttum überwiegend vertreten, dass diese bereits beim Amtsantritt gegeben sein 38 EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 14 (in diesem Fall ohne den Zusatz, dass auch praktische Erfahrung aus dem administrativen oder akademischen Bereich genügen kann). 39 Näher dazu EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 15. 40 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 22 (unter II. 1. c); zustimmend Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 25d Rz. 7; Wolfgarten in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 25 Rz. 27; in dieselbe Richtung auch Bericht des Finanzausschusses zum FMVAStärkG, BT-Drucks. 16/13684, S. 29: Sachkundig sind auch Personen, die „bereit sind, sich diese Kenntnisse nach ihrer Wahl in ein Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan anzueignen.“ 41 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 96 (i.V.m. Anhang III Nr. 3.2). 42 EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 15.

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§ 21 Rz. 1461 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

muss43. Schon aus haftungsrechtlichen Gründen kann den Aufsichtsratsmitgliedern daher nur geraten werden, ihr Amt nur bei bereits bestehender Sachkunde anzutreten. 1462

(2) Qualifikationsanforderungen an Ausschussmitglieder. Besondere Anforderungen stellt das KWG darüber hinaus an Aufsichtsratsmitglieder, die einem der nach § 25d Abs. 7-12 KWG gebildeten Ausschüsse (Risiko-, Prüfungs-, Nominierungs-, Vergütungskontrollausschuss) angehören. Diese Ausschüsse müssen jedenfalls in CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung zwingend eingerichtet werden (Rz. 1520). Sämtliche Mitglieder dieser Ausschüsse müssen die zur Erfüllung der jeweiligen Ausschussaufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen (§ 25d Abs. 7 Satz 3 KWG). So müssen etwa die Mitglieder des Risikoausschusses (Rz. 1524 f.) in der Lage sein, Risikostrategie und Risikobereitschaft des Unternehmens vollständig zu erfassen und zu überwachen44.

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Für den Prüfungsausschuss (Rz. 1526 ff.) wird ferner verlangt, dass zumindest der Ausschussvorsitzende über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung und Abschlussprüfung verfügen muss (§ 25d Abs. 9 Satz 3 KWG). Zur Konkretisierung des geforderten Sachverstands dieses „financial expert“ kann an die zu §§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG anerkannten Grundsätze angeknüpft werden45. Abweichend von § 107 Abs. 4 AktG muss der geforderte Sachverstand aber nicht nur in der Person irgendeines Mitglieds des Prüfungsausschusses gegeben sein, sondern gerade in der Person des Ausschussvorsitzenden. Im Vergütungskontrollausschuss (Rz. 1533 ff.) muss zudem mindestens ein Mitglied über Sachverstand und Berufserfahrung im Bereich Risikomanagement und -controlling verfügen, insbesondere im Hinblick auf die Ausrichtung der Vergütungssysteme (§ 25d Abs. 12 Satz 3 KWG). Dem Aufsichtsrat von CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung muss mit anderen Worten neben dem financial expert auch noch ein Vergütungs- und Risikoexperte angehören. bb) Versicherungsunternehmen

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In Versicherungsunternehmen46 ergeben sich die Anforderungen an die individuelle Qualifikation von Aufsichtsratsmitgliedern seit der Neufassung des VAG durch das 43 Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 24 a.E.; Kocher/Lönner, ZCG 2010, 273, 275 f.; jeweils m.w.N. zum Meinungsstand; großzügiger Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 100 Rz. 30 f.; wohl auch BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f. = AG 1983, 133 (Hertie) („Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss“). 44 Vgl. Art. 76 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 2 CRD IV-Richtlinie. Zu den Anforderungen an die Mitglieder des Risikoausschusses auch Velte/Buchholz, ZBB 2013, 400, 402. 45 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 88. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass § 100 Abs. 5 AktG im Unterschied zu § 25d Abs. 9 Satz 3 KWG nur Sachverstand in Rechnungslegung „oder“ Abschlussprüfung verlangt. 46 Neben Versicherungsunternehmen (i.S. des § 7 Nr. 33 VAG) gilt § 24 VAG entsprechend auch für Versicherungs-Holdinggesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften (§ 293 Abs. 1 Satz 1 VAG, Art. 257 Solvabilität II-RL) sowie VersicherungsZweckgesellschaften (§ 168 Abs. 2 VAG, Art. 322 Solvabilität II-VO).

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1465 § 21

VAMoG (Rz. 1452) aus § 24 Abs. 1 VAG, der Art. 42 Abs. 1 Solvabilität II-Richtlinie umsetzt, und aus den ergänzenden Bestimmungen der Solvabilität II-Verordnung (Art. 258 Abs. 1 lit. d, 273). Nach § 24 Abs. 1 VAG müssen sowohl die Personen, die das Versicherungsunternehmen „tatsächlich leiten“, als auch diejenigen, die „andere Schlüsselaufgaben wahrnehmen“, für ihre Aufgabe fachlich geeignet sein. Zu diesem Personenkreis gehören in einer dualistisch verfassten Rechtsform wie der deutschen AG nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers47 und der Verwaltungspraxis der BaFin auch sämtliche Aufsichtsratsmitglieder48. Nach umstrittener, aber herrschender und zutreffender Auffassung entspricht auch nur diese Lesart den Vorgaben der Richtlinie49. Für die Anwendung des § 24 Abs. 1 VAG macht es dabei im Ergebnis keinen Unterschied, ob man die Aufsichtsratstätigkeit aufgrund einer weiten Auslegung des Leitungsbegriffs i.S. der Richtlinie noch den Leitungsaufgaben zurechnet50 oder – so die Gesetzesmaterialien – als andere Schlüsselaufgabe einordnet51. Da unter § 24 Abs. 1 VAG, Art. 42 Abs. 1 Solvabilität II-Richtlinie auch die Vorstandsmitglieder fallen, mag man sich auf den ersten Blick fragen, ob Vorstands47 Begr. RegE VAMoG BT-Drucks. 18/2956, S. 240; s. außerdem § 47 Nr. 1 VAG, der ebenfalls davon ausgeht, dass Aufsichtsratsmitglieder unter § 24 Abs. 1 VAG fallen. 48 BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 12; ebenso die h.L. (Nachw. in folgender Fn.); a.A. Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 48 ff. i.V.m. Einl. Rz. 83 ff. (aufgrund eines abweichenden Verständnisses der als vollharmonisierend verstandenen Richtlinie, dazu folgende Fn.). 49 Einzuräumen ist zwar, dass die Formulierung des Art. 42 Abs. 1 Solvabilität II-Richtlinie („Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten oder andere Schlüsselaufgaben innehaben“) die Mitglieder des Aufsichtsorgans im Gegensatz zu anderen Bestimmungen der Richtlinie nicht eigens erwähnt. Bei der gebotenen teleologischen Auslegung drängt sich aber die Annahme auf, dass die Richtlinie Personen, die Aufgaben von derart zentraler Bedeutung wahrzunehmen haben, wie sie den Aufsichtsratsmitgliedern einer deutschen AG obliegen, ebenso wenig vom Qualifikationserfordernis ausnehmen will wie in der Bankenaufsicht. In dieselbe Richtung weist, dass die Aufsichtsratsmitglieder bei funktionaler Betrachtung den non-executive directors einer monistisch verfassten Gesellschaft nahestehen und Letztere von der Richtlinie gewiss erfasst werden sollen. Im Ergebnis wie hier Brand in Brand/Baroch Castellvi, Komm. VAG, § 24 Rz. 27 ff.; Pohlmann, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2012, S. 29, 37 ff.; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/ Pohlmann, Komm. VAG, § 24 Rz. 22 f., 49 f.; Krauel/Broichhausen, VersR 2012, 823, 824 f.; Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 540; Hersch, VersR 2016, 145, 151; Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 260 ff.; vgl. auch EIOPA-Leitlinien zum Governance System vom 14.9.2015 (EIOPA-BoS-14/253), Ziff. 1.21 i.V.m. 1.42 (Aufsichtsratsmitglieder zählen „unter Berücksichtigung des nationalen Rechts“ zu den Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten); a.A. Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 505 ff.; Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 48 ff.; Grote/ Schaaf, VersR 2012, 17, 22. 50 So Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 283 ff., 325 ff.: richtlinienkonforme Auslegung des § 24 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VAG. 51 So Begr. RegE VAMoG BT-Drucks. 18/2956, S. 240; Brand in Brand/Baroch Castellvi, Komm. VAG, § 24 Rz. 27 ff.; Hersch, VersR 2016, 145, 147 f., 151.

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§ 21 Rz. 1465 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

und Aufsichtsratsmitglieder (und Inhaber sonstiger Schlüsselaufgaben) nunmehr denselben Qualifikationsanforderungen unterliegen52. Diese Frage ist zweifelsfrei zu verneinen53, da die notwendige Qualifikation stets aufgabenspezifisch zu konkretisieren ist, wie Art. 258 Abs. 1 lit. d, 273 Abs. 2-3 Solvabilität II-Verordnung klarstellen54. Schon das Unionsrecht gibt somit vor, dass die Anforderungen an Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder auch weiterhin gesondert zu bestimmen sind. Auch dem deutschen Gesetzgeber schwebte erklärtermaßen keine Angleichung des Anforderungsprofils vor55. Dass die Qualifikationsanforderungen für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder nicht wie im KWG (Rz. 1459) und im früheren VAG56 in zwei getrennten Bestimmungen geregelt sind und nunmehr einheitlich der Begriff der fachlichen Eignung verwendet wird, darf also nicht missverstanden werden. 1466

Eine Legaldefinition der fachlichen Eignung findet sich in § 24 Abs. 1 Satz 2 VAG, der sich eng an Art. 42 Abs. 1 lit. a Solvabilität II-Richtlinie anlehnt. Diese Vorschrift wird ihrerseits durch Art. 258 lit. d, 273 Solvabilität II-Verordnung ergänzt57. Verlangt werden nach § 24 Abs. 1 Satz 2 VAG „berufliche Qualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen, die eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens gewährleisten.“ Für Aufsichtsratsmitglieder heißt das, dass sie fachlich in der Lage sein müssen, den ihnen obliegenden Aufgaben ordnungsgemäß nachzukommen (vgl. Art. 258 lit. d, 273 Abs. 2-3 Solvabilität II-Verordnung), d.h. die Geschäftsführung durch den Vorstand wirksam zu kontrollieren und aktiv zu begleiten58. Dies wiederum setzt – nicht anders als in der Bankenaufsicht (Rz. 1457) – voraus, dass sie die von dem Unternehmen betriebenen Geschäfte (jedenfalls im Kern) verstehen und deren Risiken für das Unternehmen beurteilen können müssen59. Dazu gehören in Versicherungsunternehmen zumindest ein Grundverständnis der Versicherungstechnik, der Kapitalanlage, der Rechnungslegung sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen des Versicherungsgeschäfts60. Wie in der Bankenaufsicht bedient sich die BaFin der Formu52 Zweifelnd Thaten, Die Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, S. 269. 53 Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 72; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 24 Rz. 77; Krauel/Broichhausen, VersR 2012, 823, 827. 54 Ebenso im Bankaufsichtsrecht Art. 91 Abs. 1 CRD IV-Richtlinie („für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben“); s. Rz. 1459. 55 Begr. RegE VAMoG BT-Drucks. 18/2956, S. 240. 56 Vgl. einerseits § 7a Abs. 1 VAG a.F. („fachliche Eignung“ der Geschäftsleiter/Vorstandsmitglieder), andererseits § 7a Abs. 4 VAG a.F. („Sachkunde“ der Aufsichtsratsmitglieder). 57 Diese ergänzenden Bestimmungen gelten allerdings nur für Versicherungsunternehmen, die der Solvabilität II-Richtlinie unterfallen, also nicht für kleine Versicherungsunternehmen (Art. 4 Abs. 1 Solvabilität II-Richtlinie). 58 BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 13. 59 Begr. RegE FMVAStärkG, BT-Drucks. 16/12783, S. 18 (zu § 7a Abs. 4 VAG a.F.); BaFinMerkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungsoder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 13. 60 Dreher/Lange, ZVersWiss 2011, 211, 224 f. Die Kenntnis der für das Unternehmen wesentlichen gesetzlichen Vorgaben betont auch das BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen ge-

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1467 § 21

lierung, dass keine Spezialkenntnisse verlangt werden, das Aufsichtsratsmitglied aber in der Lage sein muss, ggf. seinen Beratungsbedarf zu erkennen61. Und wie in der Bankenaufsicht (§ 25d Abs. 1 Satz 2 KWG) versteht sich, dass auch hier stets der Proportionalitätsgrundsatz zu beachten ist62, die Anforderungen an die fachliche Eignung also von Umfang und Komplexität der von dem jeweiligen Unternehmen betriebenen Geschäfte abhängen. Auch in der weiteren Konkretisierung zeigen sich unverkennbare Parallelen zur Bankenaufsicht. So ergibt sich aus Art. 273 Abs. 2 Solvabilität II-Verordnung, dass für die Beurteilung der fachlichen Eignung nicht nur Erfahrung im Versicherungssektor, sondern auch in anderen Finanzsektoren oder anderen Unternehmen relevant sein kann. Die BaFin schließt daraus, dass ebenso wie in Kreditinstituten auch branchenfremde (Vor-)Tätigkeiten die notwendige Erfahrung von Aufsichtsratsmitgliedern begründen können, wenn sie über einen längeren Zeitraum auf wirtschaftliche und rechtliche Fragestellungen ausgerichtet waren63. Übereinstimmung mit der Bankenaufsicht besteht auch insofern, als Leitungserfahrung keine Voraussetzung für die Qualifikation als Aufsichtsratsmitglied ist64. Eine bemerkenswerte Abweichung von der Verwaltungspraxis in der Bankenaufsicht besteht allerdings hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem die fachliche Eignung spätestens vorliegen muss: Unter Hinweis auf Art. 273 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung, der die Qualifikation „jederzeit“ verlangt (ebenso Art. 42 Abs. 1 Solvabilität II-RL), besteht die BaFin im Rahmen der Versicherungsaufsicht inzwischen65 mit Recht darauf, dass die Aufsichtsratsmitglieder bereits bei Amtsantritt und nicht erst nach Ablauf einer mehrmonatigen Einarbei-

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mäß VAG vom 6.12.2018, S. 13; zur Bankenaufsicht bereits Rz. 1457 mit BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 20. BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 13. BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 12; Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 371. BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 13 (unter 1.), 14 (unter 1. d); zur Bankenaufsicht vgl. Rz. 1459. § 24 Abs. 1 Satz 3 VAG verlangt Leitungserfahrung nur bei Wahrnehmung von Leitungsaufgaben; die Überwachung durch den Aufsichtsrat ist nach dem Verständnis des deutschen Gesetzgebers aber gerade keine Leitungsaufgabe, sondern „andere Schlüsselaufgabe“ i.S. des § 24 Abs. 1 VAG; Begr. RegE VAMoG BT-Drucks. 18/2956, S. 240; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 24 Rz. 77. Im vorliegenden Kontext kann daher dahinstehen, ob das in § 24 Abs. 1 Satz 3 VAG aufgestellte Kriterium der Leitungserfahrung, das sich in den europäischen Vorgaben nicht explizit wiederfindet, überhaupt unionsrechtskonform ist; s. dazu einerseits Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 77; andererseits Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 24 Rz. 60. Anders noch BaFin, Merkblatt zur Kontrolle der Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und VAG vom 3.12.2012, unter I. 1. c.

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§ 21 Rz. 1467 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

tungs- und Qualifizierungsphase fachlich geeignet sind66. In der Bankenaufsicht verfährt die Verwaltungspraxis dagegen – zu Unrecht – großzügiger (Rz. 1461). 1468

Sondervorschriften zu Qualifikationsanforderungen für Ausschussmitglieder finden sich im Versicherungsaufsichtsrecht – anders als im KWG (Rz. 1462 f.) – nicht. c) Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats

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Die vorstehend geschilderten Anforderungen an die individuelle Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder werden sowohl in Kreditinstituten als auch in Versicherungsunternehmen durch aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats ergänzt, die neben die aktienrechtliche Vorgabe der Sektorvertrautheit des Gesamtaufsichtsrats im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG (Rz. 759) treten. So verlangt § 25d Abs. 2 Satz 1 KWG in Umsetzung von Art. 91 Abs. 7 CRD IVRichtlinie, dass der Aufsichtsrat eines Kreditinstituts in seiner Gesamtheit die Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen haben muss, die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Kontrollfunktion notwendig sind. Ganz ähnlich bestimmt Art. 258 Abs. 1 lit. c Solvabilität II-Verordnung für Versicherungsunternehmen, dass die Aufsichtsratsmitglieder „in ihrer Gesamtheit über die Qualifikationen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Berufserfahrung in den relevanten Geschäftsbereichen verfügen [müssen], die erforderlich sind, um das Unternehmen effektiv und professionell (...) zu überwachen.“67 Die von diesen Vorschriften geforderte Gesamtqualifikation ergibt sich nicht schon daraus, dass alle Mitglieder die individuellen Qualifikationsanforderungen erfüllen; bei diesem Verständnis wäre die Vorgabe redundant. Gemeint ist stattdessen, dass im Aufsichtsrat unterschiedliche fachliche Qualifikationen repräsentiert sein müssen, damit sich die über die individuelle Mindestqualifikation hinausgehenden Spezialkenntnisse der einzelnen Mitglieder sinnvoll ergänzen68. So wird man z.B. nicht von jedem Aufsichtsratsmitglied Spezialkenntnisse im 66 BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 14 (unter 1. e); ebenso aus dem Schrifttum Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 514; Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 540; Pohlmann, Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2012, S. 29, 68, 71; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 24 Rz. 81; Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 395 f. Eine Ausnahme will das BaFin-Merkblatt a.a.O. allerdings für kleine Versicherungsunternehmen zulassen, da Art. 42 Abs. 1 Solvabilität II-Richtlinie, Art. 273 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung auf diese keine Anwendung findet (Art. 4 Abs. 1 Solvabilität II-RL); mit Recht kritisch zu dieser Ausnahme Pohlmann a.a.O. § 24 Rz. 81. 67 Vollständig lautet der letzte Halbsatz des Art. 258 Abs. 1 lit. c Solvabilität II-Verordnung: „um das Unternehmen effektiv und professionell zu leiten und zu überwachen“. Die Bezugnahme auf die Leitung erklärt sich daraus, dass die Vorschrift neben dem Aufsichtsrat auch den Vorstand (das „Managementorgan“) und den Verwaltungsrat einer monistisch verfassten Gesellschaft anspricht. Für den Aufsichtsrat kann es nur darum gehen, eine effektive und professionelle Überwachung zu gewährleisten. 68 Vgl. auch Art. 91 Abs. 1 Satz 2 CRD IV-Richtlinie („angemessen breites Spektrum an Erfahrung“); Art. 273 Abs. 3 Solvabilität II-Verordnung („angemessene Vielfalt der Qualifikationen“). Ausführlich dazu Dreher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 313, 315 ff.;

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1471 § 21

Bereich des Risikomanagements erwarten können. Die zentrale Bedeutung des Risikomanagements, das in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen wesentlich detaillierteren und strengeren Anforderungen unterliegt (§ 25a KWG, § 26 VAG) als im Aktienrecht (§ 91 Abs. 2 AktG), verlangt aber danach, dass wenigstens bei einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern diese Spezialkenntnisse vorhanden sind69. Dem trägt das Erfordernis der Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats Rechnung. Um eine Konkretisierung der gebotenen Gesamtqualifikation bemühen sich die Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden. Nach den ESMA/EBA-Leitlinien sollen vom Aufsichtsrat eines Kreditinstituts alle – man wird hinzufügen dürfen: wesentlichen – Wissensbereiche abgedeckt werden, die für die Geschäftstätigkeit des Instituts erforderlich sind, möglichst sogar jeweils mit mehreren Mitgliedern, um eine Diskussion zu ermöglichen70. Als Bereiche, auf die sich die Gesamtqualifikation beziehen muss, werden neben den wesentlichen Tätigkeitsfeldern des Instituts und finanziellen Fachkenntnissen u.a. Rechnungslegung, Risikomanagement, Compliance und interne Revision, IT, Recht und strategische Planung angeführt71. Ähnlich verlangen die EIOPA-Leitlinien für Versicherungsunternehmen, dass sich die Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats zumindest auf folgende Bereiche erstreckt: Versicherungs- und Finanzmärkte, Geschäftsstrategie und Geschäftsmodell, Governance-System, Finanz- und versicherungsmathematische Analyse, regulatorische Anforderungen72. Die BaFin hebt für Versicherungsunternehmen die Bereiche Kapitalanlage, Versicherungstechnik und Rechnungslegung besonders hervor73.

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d) Regelmäßige Überprüfung der Qualifikation, Fortbildung Um die Einhaltung der Anforderungen an die individuelle Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder und die Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats dauerhaft zu gewährleisten, muss sie nicht nur bei Ausscheiden und Neubestellung von Mitgliedern, sondern regelmäßig überprüft werden. Daher bestimmt § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 4 KWG in Umsetzung von Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. c CRD IV-Richtlinie, dass in

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ferner Binder, ZGR 2018, 88, 107 f.; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 54; Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 397 ff. Dreher, ZGR 2010, 496, 513; s. auch Apfelbacher/Metzner, AG 2013, 773, 776 mit weiteren Beispielen. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 70 (i.V.m. Rz. 67, aus dem sich ergibt, dass diese Anforderung für Vorstand und Aufsichtsrat jeweils gesondert verlangt wird). ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 72. EIOPA-Leitlinien zum Governance System vom 14.9.2015 (EIOPA-BoS-14/253), Rz. 1.43. Diese Bereiche werden näher erläutert in EIOPA, Explanatory Text BoS-14/253 vom 28.1.2015, Rz. 2.46-2.50. BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 19.

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§ 21 Rz. 1471 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Kreditinstituten von erheblicher Bedeutung, die einen Nominierungsausschuss einzurichten haben (Rz. 1520, 1529 ff.), dieser Ausschuss mindestens einmal jährlich eine Neubewertung der Individual- und Gesamtqualifikation vorzunehmen hat. In den übrigen Instituten soll eine Überprüfung nach den ESMA/EBA-Leitlinien zumindest alle zwei Jahre stattfinden74. Zudem soll in allen Instituten anlassbezogen eine Neubewertung durchgeführt werden, wenn neue Umstände eintreten, die wesentliche Auswirkungen auf die individuelle oder kollektive Qualifikation haben können (z.B. eine wesentliche Änderung des Geschäftsmodells)75. Nach Art. 273 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung müssen auch Versicherungsunternehmen angemessene Verfahren einführen, um die Qualifikation dauerhaft zu gewährleisten76. Die BaFin verlangt hierfür, dass der Aufsichtsrat eines Versicherungsunternehmens ihr einmal jährlich eine Selbsteinschätzung über die Qualifikationen seiner Mitglieder vorlegt und in einem Entwicklungsplan erläutert, in welchen Themenfeldern die Mitglieder sich einzeln und als Gremium weiterentwickeln wollen77. 1472

Zudem muss durch Fortbildungsmaßnahmen sichergestellt werden, dass die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder nicht nur bei ihrem Amtsantritt, sondern während der gesamten Amtszeit gegeben ist78. In diesem Zusammenhang bestimmt § 25d Abs. 4 KWG, dass die Kreditinstitute angemessene personelle und finanzielle Ressourcen einsetzen müssen, um den Aufsichtsratsmitgliedern die Einführung in ihr Amt zu erleichtern und die Fortbildung zu ermöglichen, die zur Aufrechterhal-

74 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 155, s. dort auch Rz. 153 ff. zu Einzelheiten des Verfahrens der Neubewertung und dessen Dokumentation. 75 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 28, 32 ff. 76 S. dazu auch EIOPA-Leitlinien zum Governance System vom 14.9.2015 (EIOPA-BoS-14/ 253), Rz. 1.45 lit. b, c. 77 BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 19 f. In der Selbsteinschätzung sollen die Kenntnisse der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder (mindestens) in den Bereichen Kapitalanlage, Versicherungstechnik und Rechnungslegung aufgelistet werden, abgestuft in einer Skala von A (fundierte Kenntnisse) bis E (keine bis geringe Kenntnisse). 78 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 22; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 15. Eine entsprechende Fortbildungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder ergibt sich auch schon aus der aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG); Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1416 ff.; Merkelbach, Der Konzern 2012, 227, 231. Sie wird in Grundsatz 18, Empfehlung D.12 DCGK 2020 vorausgesetzt.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1474 § 21

tung der Sachkunde notwendig ist79. Auch diese Vorgabe beruht auf der CRD IVRichtlinie (Art. 91 Abs. 9) und wird durch die ESMA/EBA-Leitlinien konkretisiert80. Um seiner Fortbildungsverantwortung gerecht zu werden, muss das Kreditinstitut entweder selbst auf eigene Kosten interne Schulungen für die Aufsichtsratsmitglieder durchführen oder diesen ermöglichen, auf Rechnung des Instituts an öffentlich zugänglichen externen Seminaren teilzunehmen. Diese Verpflichtung des Instituts steht zwar nach dem Gesetzeswortlaut unter dem Vorbehalt der Angemessenheit des Aufwands. Jedoch bezieht sich die Vorgabe des § 25d Abs. 4 KWG ohnehin nur auf Fortbildungsmaßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der Sachkunde, mithin der gesetzlich vorausgesetzten Mindestqualifikation, notwendig sind81. Der darauf verwendete Aufwand wird stets auch angemessen sein, solange sich nur die Modalitäten der Fortbildungsveranstaltung (Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer etc.) im üblichen Rahmen halten82.

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Dass das Institut auch für Fortbildungen zur Aufrechterhaltung der Mindestqualifikation aufkommen muss, steht in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen, die nach herkömmlicher Ansicht im Aktienrecht gelten. Im Aktienrecht geht man zwar davon aus, dass die Gesellschaft die Kosten für von ihr angebotene Schulungen den Aufsichtsratsmitgliedern nicht in Rechnung zu stellen braucht, auch nicht, wenn zur Erhaltung der Mindestqualifikation erforderliche Kenntnisse vermittelt werden83. Bietet die Gesellschaft aber von sich aus keine derartigen Veranstaltungen an und nimmt ein Aufsichtsratsmitglied daher an einer externen Fortbildung teil, so soll das Mitglied dafür nach jedenfalls bisher herrschender Ansicht im aktienrechtlichen Schrifttum keine Kostenerstattung beanspruchen können, soweit die Fortbildung nur der Aufrechterhaltung der Mindestqualifikation dient; denn diese Qualifikation schulde das Aufsichtsratsmitglied ohnehin84. Für Kreditinstitute ist diese Frage nun-

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79 Eine entsprechende Regelung für die Fortbildung der Geschäftsleiter (Vorstandsmitglieder) findet sich in § 25c Abs. 4 KWG. 80 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 94 ff. 81 Dieser enge Wortlaut des § 25d Abs. 4 KWG ist aus unionsrechtlicher Sicht allerdings nicht unbedenklich, da Art. 91 Abs. 9 CRD IV-Richtlinie keine vergleichbare Einschränkung enthält. S. auch ESMA/EBA, Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 96 a.E.: erforderliche Kenntnisse „aufrecht erhalten und vertiefen“. 82 Vgl. zur Angemessenheit von Fortbildungsveranstaltungen (im aktienrechtlichen Kontext) auch Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1417. 83 Eine Vergütung i.S. des § 113 AktG liegt in dem kostenfreien Angebot derartiger Fortbildungsveranstaltungen nicht; Habersack, MünchKomm. AktG, § 113 Rz. 28; Kocher/ Lönner, ZCG 2010, 273, 277; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 113 Rz. 12. 84 Habersack, MünchKomm. AktG, § 113 Rz. 27; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 113 Rz. 12; Fonk, NZG 2009, 761, 769; ferner Rz. 846, 936 ff. (dort auch zu Grundsatz 18, D.12 DCGK 2020). Für weitergehende Kostenerstattung hingegen Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1416 f. (Differenzierung zwischen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen); kritisch gegenüber der h.M. auch Opitz, BKR 2013, 177, 183; reser-

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§ 21 Rz. 1474 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

mehr durch § 25d Abs. 4 KWG im gegenteiligen Sinn entschieden. Mag diese aufsichtsrechtliche Vorschrift auch für sich allein keinen zivilrechtlichen Erstattungsanspruch des Aufsichtsratsmitglieds begründen85, so muss das Kreditinstitut doch im Ergebnis die Kosten übernehmen, um seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten nachzukommen. Ob sich im Lichte des § 25d Abs. 4 KWG auch der aktienrechtliche Meinungsstand ändern wird, bleibt abzuwarten86. 1475

Auch wenn § 25d Abs. 4 KWG nur die zur Aufrechterhaltung der Mindestqualifikation (Sachkunde) notwendigen Fortbildungsmaßnahmen erwähnt, sind die Kreditinstitute selbstverständlich nicht gehindert, den Aufsichtsratsmitgliedern über die Mindestqualifikation hinausgehende Schulungen anzubieten. Ebenso wenig darf aus § 25d Abs. 4 KWG der Umkehrschluss gezogen werden, dass einem Aufsichtsratsmitglied, das an einer externen, über die Mindestqualifikation hinausgehenden Fortbildungsveranstaltung teilnimmt, eine Kostenerstattung verwehrt wäre. Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze; danach besteht ein Erstattungsanspruch analog § 670 BGB, sofern die Fortbildung bei Abwägung mit den damit verbundenen Kosten im Gesellschaftsinteresse lag (Rz. 846).

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Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, wer innerhalb der AG über die Durchführung interner Schulungen für die Aufsichtsratsmitglieder und über die Kostenerstattung für die Teilnahme derselben an externen Fortbildungen entscheidet. Nach zutreffender Ansicht liegt diese Entscheidungszuständigkeit nicht beim Vorstand87, sondern beim Aufsichtsrat88. Entschiede man anders, würde dem Vorstand mittelbar Einfluss auf die Qualität der Arbeit des ihn kontrollierenden Organs zugestanden; dies liefe der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats zuwider. Aus demselben Grund wird man den Aufsichtsrat auch als vertretungsbefugt ansehen dürfen, Verträge mit Anbietern von Fortbildungsveranstaltungen namens der Gesellschaft abzuschließen89; der Vertragsschluss erfolgt dann durch den Aufsichtsratsvorsitzenden als Repräsentant des Aufsichtsrats (Rz. 682). Um eine Kontrolle durch die Aktionäre zu

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viert ferner Kocher/Lönner, ZCG 2010, 273, 277 (u.a. mit dem zutr. Hinweis, dass eine exakte Eingrenzung des Bereichs der Mindestqualifikation schwerfällt). Ein solcher könnte sich allenfalls aus § 670 BGB analog ergeben (mit dem Argument, dass das Aufsichtsratsmitglied die getätigten Ausgaben mit Blick auf § 25d Abs. 4 KWG für erforderlich halten durfte). Für Ausstrahlung auf das Aktienrecht Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2e; Menkel, AG 2019, 330, 335; s. auch Rz. 846, 940. So aber Bosse/Malchow, NZG 2010, 972, 974; für die Kostenerstattung auch HoffmannBecking, ZGR 2011, 136, 142; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 113 Rz. 2e; Koch, ZHR 180 (2016), 578, 603 ff.; differenzierend Wagner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, § 11 Rz. 85 ff. Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1418 f.; Merkelbach, Der Konzern 2012, 227, 231 f.; für die Kostenerstattung auch Habersack, MünchKomm. AktG, § 113 Rz. 30; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 113 Rz. 39; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 113 Rz. 13. Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 142; Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1418 f.; Merkelbach, Der Konzern 2012, 227, 231 f.; a.A. Menkel, AG 2019, 330, 335.

Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1478 § 21

gewährleisten, sollte der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) angeben, ob und inwieweit Fortbildungsmaßnahmen auf Kosten der Gesellschaft durchgeführt wurden90. Für Versicherungsunternehmen fehlt es an einer dem § 25d Abs. 4 KWG unmittelbar entsprechenden Regelung. Wenn Art. 273 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung aber von den Versicherungsunternehmen die Einführung angemessener Verfahren verlangt, um die Qualifikation jederzeit zu gewährleisten, dürfte damit auch die Bereitstellung von Ressourcen für Fortbildungsmaßnahmen gemeint sein, zumal Art. 41 Abs. 4 Satz 2 CRD IV-Richtlinie ganz generell die Bereitstellung verhältnismäßiger Ressourcen für die Einhaltung der Governance-Anforderungen verlangt. Im Ergebnis dürfte daher (auch) in dieser Frage in der Versicherungsaufsicht nichts anderes gelten als in der Bankenaufsicht.

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3. Zuverlässigkeit Die Aufsichtsratsmitglieder müssen nicht nur fachlich qualifiziert, sondern auch zuverlässig sein (§ 25d Abs. 1 Satz 1 KWG, § 24 Abs. 1 Satz 1 VAG)91. Daran fehlt es, wenn persönliche Umstände die Annahme rechtfertigen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Kontrollmandats gefährdet ist92. Nach Art. 273 Abs. 4 Solvabilität II-Verordnung umfasst die Prüfung der Zuverlässigkeit einer Person „eine Bewertung ihrer Redlichkeit sowie der Solidität ihrer finanziellen Verhältnisse auf der Grundlage von Nachweisen, die ihren Charakter, ihr persönliches Verhalten und ihr Geschäftsgebaren betreffen, einschließlich etwaiger strafrechtlicher, finanzieller und aufsichtlicher Aspekte, die für die Zwecke der Bewertung relevant sind.“93 Die Unzuverlässigkeit kann sich namentlich aus früherem Fehlverhalten des Mitglieds, insbesondere aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, ergeben94. Auch laufende Un-

90 Für eine entsprechende Rechtspflicht Leyendecker-Langner/Huthmacher, NZG 2012, 1415, 1419, die sich zudem für eine Anzeigeobliegenheit des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand aussprechen. 91 Vgl. Art. 91 Abs. 1 CRD IV-Richtlinie („ausreichend gut beleumundet“); Art. 42 Abs. 1 lit. b Solvabilität II-Richtlinie („zuverlässig und integer“). 92 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 23; BaFin, Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 15. 93 Ganz ähnlich auch für die Bankenaufsicht BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 23. 94 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 75; EIOPA, Explanatory Text, BoS-14/253 vom 28.1.2015, Rz. 2.51 ff.; BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 23; BaFinMerkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungsoder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 15.

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§ 21 Rz. 1478 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

tersuchungen sollen bei dieser Prüfung zu berücksichtigen sein95. Voraussetzung ist freilich stets, dass es um ein für den Aufsichtszweck relevantes Fehlverhalten geht96. Bedroht ist die Zuverlässigkeit ferner, wenn die betreffende Person in der Vergangenheit als säumiger Schuldner aufgefallen ist, eine geschäftliche oder private Insolvenz zu verantworten hat oder große Risikopositionen Zweifel an ihrer finanziellen Solidität begründen97. 1479

Zu den Umständen, die zur Einstufung als unzuverlässig führen können, zählen nach Ansicht der BaFin auch dauerhafte Interessenkonflikte, die geeignet sind, die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe zu beeinträchtigen98. Die Einzelheiten hierzu sind allerdings noch wenig geklärt99. Der EZB-Leitfaden betont mit Recht, dass ein Interessenkonflikt nur dann die Inhabilität begründen kann, wenn er ein wesentliches Risiko darstellt und es nicht möglich ist, ihn durch geeignete, mildere Maßnahmen (z.B. ein Verbot der Teilnahme an Sitzungen zu einem bestimmten Themenkreis) zu vermeiden oder angemessen abzuschwächen100. Einen möglichen Anwendungsfall bilden nach der Verwaltungspraxis der BaFin Interessenkonflikte, die sich aus persönlichen Beziehungen ergeben, etwa aus einem familiären Angehörigkeitsverhältnis zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und einem der zu überwachenden Vorstandsmitglieder101. Ein Automatismus, dass ein Angehörigkeitsverhältnis zur Inhabilität führt, besteht freilich nicht; es kommt stets auf die Umstän95 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 75 f.; EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 16; EIOPA, Explanatory Text, BoS-14/253 vom 28.1.2015, Rz. 2.52, 2.54; kritisch Dreher, VersR 2012, 1061, 1067; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 27. 96 Art. 273 Abs. 4 letzter Halbs. Solvabilität II-Verordnung; Dreher, VersR 2012, 1061, 1067. 97 Vgl. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 77. 98 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 24; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16; aus dem Schrifttum Kleinert in Beck/ Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 28 ff.; Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 97 ff.; zurückhaltend Langenbucher in Hölscher/Altenhain, Handbuch Aufsichts- und Verwaltungsräte in Kreditinstituten, S. 3, 12 f. 99 Ebenso Langenbucher in Hölscher/Altenhain, Handbuch Aufsichts- und Verwaltungsräte in Kreditinstituten, S. 3, 12 („wissenschaftlich noch nicht hinreichend ausgeleuchtet“). 100 EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 18 f. 101 Die BaFin-Merkblätter nennen darüber hinaus auch familiäre Beziehungen zu anderen Aufsichtsratsmitgliedern oder – im Fall der Versicherungsaufsicht – zu Personen, die andere Schlüsselaufgaben wahrnehmen; BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 24; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1480 § 21

de des Einzelfalls an102. Dauerhafte Interessenkonflikte können sich ferner aus geschäftlichen oder beruflichen Beziehungen ergeben. Als Beispiel für einen zur Inhabilität führenden Interessenkonflikt führt die BaFin die Tätigkeit als oder für einen Finanz- oder Versicherungsvermittler an, der Produkte des zu überwachenden Unternehmens vertreibt und in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu diesem steht103. Darüber hinaus steht die BaFin auf dem Standpunkt, dass – jenseits der gesetzlichen Mitbestimmung – die Beschäftigung als Mitarbeiter des zu beaufsichtigenden Unternehmens einen Interessenkonflikt begründe, der die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat grundsätzlich ausschließe104. Dies soll nicht nur für Arbeitnehmer gelten, die ohnehin nach § 105 Abs. 1 AktG inhabil sind (Prokuristen, Generalhandlungsbevollmächtigte), sondern auch für andere Mitarbeiter. Eine tragfähige Rechtsgrundlage für diese Verwaltungspraxis ist indes nicht ersichtlich. Würde die Stellung als Arbeitnehmer der Gesellschaft tatsächlich die Unzuverlässigkeit begründen, müssten konsequenterweise auch die Arbeitnehmervertreter in kraft Gesetzes mitbestimmten Aufsichtsräten als unzuverlässig eingestuft werden; dies entspricht aber offensichtlich weder dem Willen des europäischen noch dem des deutschen Gesetzgebers und wird auch von der BaFin zu Recht nicht angenommen. Warum dann anderes gelten soll, wenn die Anteilseigner freiwillig einen Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat wählen, leuchtet nicht ein. 4. Unabhängigkeit? Von der Frage, ob Interessenkonflikte ausnahmsweise die Zuverlässigkeit beeinträchtigen, ist die Frage zu unterscheiden, ob die Aufsichtsratsmitglieder nicht nur zuverlässig, sondern auch unabhängig sein müssen. Die ESMA/EBA-Leitlinien bezeichnen es ausdrücklich als Ausweis „guter Praxis“, dass zwar nicht unbedingt alle, aber doch eine „ausreichende“ Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sind105. Zur Konkretisierung führen sie zahlreiche Umstände an, die zu einer (widerleglichen) Vermutung fehlender Unabhängigkeit führen sollen, darunter insbesondere Verbindungen zum beherrschenden Anteilseigner, zu wesentlichen Kunden und Lieferanten des Unternehmens, Vortätigkeiten als Geschäftsleiter, aber auch die Be102 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 24; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16; näher Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 29. 103 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 24; ansatzweise auch BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16. 104 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 24; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16. 105 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 88 f.

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§ 21 Rz. 1480 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

schäftigung als Arbeitnehmer (mit bestimmten Ausnahmen) sowie familiäre Beziehungen zu den Geschäftsleitern106. Die BaFin hat jedoch erklärt, die Leitlinien bezüglich der Unabhängigkeit nicht in ihre Verwaltungspraxis zu übernehmen107. 1481

Die Position der BaFin verdient Zustimmung, da die Forderung nach einer ausreichenden Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder als verbindliche Vorgabe im geltenden Recht keine Grundlage findet. Auf den ersten Blick könnte man zwar erwägen, an die Vorgabe des Art. 91 Abs. 8 CRD IV-Richtlinie anzuknüpfen, der zufolge die Aufsichtsratsmitglieder „unvoreingenommen“ handeln müssen. Diese (ins KWG nicht ausdrücklich übernommene) Vorgabe gilt aber nach dem klaren Wortlaut der Richtlinie für jedes Mitglied. Wäre Unvoreingenommenheit mit Unabhängigkeit gleichzusetzen, müssten also alle Aufsichtsratsmitglieder unabhängig sein. Ein so weitgehendes Verständnis würde zu mehr als fragwürdigen, ersichtlich nicht gewollten Konsequenzen führen108 und wird auch in den ESMA/EBA-Leitlinien mit Recht nicht vertreten; diese differenzieren im Gegenteil explizit zwischen unabhängig und unvoreingenommen109. In der Tat versteht es sich, dass auch ein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied stets unvoreingenommen handeln muss; es muss, wenn es im Einzelfall selbst in einen Interessenkonflikt gerät, sein persönliches Interesse zurückstellen, ggf. bestehende Stimmverbote (§ 34 BGB) beachten etc.110 Für die Frage, in welchem Ausmaß der Aufsichtsrat mit unabhängigen Mitgliedern besetzt sein muss, lässt sich aus dem Kriterium der Unvoreingenommenheit daher nichts ableiten. Vielmehr bewendet es diesbezüglich auch im Finanzsektor bei den unverbindlichen Empfehlungen in C.6 ff. DCGK 2020 (Rz. 25). 5. Zeitliche Verfügbarkeit

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Für Kreditinstitute stellt das Gesetz zusätzlich klar, dass die Aufsichtsratsmitglieder der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen müssen (§ 25d Abs. 1 Satz 1 KWG)111. Für Versicherungsunternehmen fehlt eine entsprechende Klarstellung; das Kriterium der zeitlichen Verfügbarkeit wird hier aber in die Zuverlässigkeit 106 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 81, 91 ff. Die Leitlinien sind in der Frage der Unabhängigkeit ersichtlich inspiriert von der Empfehlung der Europäischen Kommission 2005/162/EG zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften, Ziff. 4 i.V.m. Anhang II; näher dazu Henning/Gissing, AG 2018, 93, 98 f.; allg. zu der Empfehlung Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rz. 22 m.w.N. 107 BaFin Journal, Oktober 2017, S. 9. Zum „comply or explain“-Mechanismus nach Art. 16 Abs. 3 ESMA-Verordnung, Art. 16 Abs. 3 EBA-Verordnung s. Rz. 1454. 108 Z.B. dazu, dass kein einziger Repräsentant des herrschenden Unternehmens dem Aufsichtsrat angehören dürfte! 109 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 79 ff. 110 Allgemein zum Umgang mit Interessenkonflikten Rz. 894 ff. 111 Vgl. Art. 91 Abs. 2 CRD IV-Richtlinie.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1483 § 21

(§ 24 Abs. 1 Satz 1 VAG) mit hineingelesen112. Im Übrigen folgt diese Anforderung selbstverständlich auch schon aus der aktienrechtlichen Sorgfaltspflicht der Aufsichtsratsmitglieder (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG; vgl. auch Grundsatz 12 DCGK 2020)113. Als prozedurale Ergänzung bestimmt § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 1 KWG, dass in Kreditinstituten der Nominierungsausschuss (Rz. 1520, 1529 ff.) im Vorfeld der Bestellung eine Stellenbeschreibung fertigt, in der u.a. der erforderliche Zeitaufwand anzugeben ist. Wie die „ausreichende Zeit“ zu bestimmen ist, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von Art, Umfang und Komplexität der Geschäfte des Unternehmens und der von dem Aufsichtsratsmitglied übernommenen Aufgabe114. Zu den relevanten Umständen des Einzelfalls zählt auch die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, da sich in Krisenzeiten die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats intensiviert115. Gleiches gilt bei Geschäften von ganz besonderer wirtschaftlicher Bedeutung wie grundlegenden Restrukturierungen, Fusionen oder Übernahmen116. An den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, seinen Stellvertreter sowie die Vorsitzenden und Mitglieder wichtiger Ausschüsse sind insgesamt höhere zeitliche Anforderungen zu stellen als an einfache Aufsichtsratsmitglieder117; dieser erhöhte Zeitaufwand spiegelt sich gewöhnlich auch in einer entsprechend abgestuften Vergütung (vgl. G.17 DCGK 2020). Einen weiteren Anhaltspunkt für die Konkretisierung der zeitlichen Anforderungen bilden die Vorschriften über die Begrenzung der Ämterhäufung. Diese fallen im Aufsichtsrecht strenger aus als im Aktienrecht, wie sich etwa an dem Vergleich zwischen § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3a Nr. 3 KWG, § 24 Abs. 4 Satz 2 VAG (max. vier bzw. fünf Aufsichtsratsmandate) und § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG (max. zehn Aufsichtsratsmandate) zeigt. Dennoch lassen die angeführten Vor112 Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 94; ohne dogmatische Festlegung BaFinMerkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungsoder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 16, unter II. 4. 113 Binder, ZGR 2018, 88, 114; Plagemann, WM 2014, 2345. 114 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 43 lit. b, g; EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 23. 115 Vgl. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 42; Plagemann, WM 2014, 2345, 2347; aus dem aktienrechtlichen Schrifttum etwa Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 20. 116 Vgl. ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 42; Drygala in K. Schmidt/Lutter, Komm. AktG, § 116 Rz. 20. 117 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 43 lit. g; EZB, Leitfaden zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit, Stand: Mai 2018, S. 23; Apfelbacher/Metzner, AG 2013, 773, 775 mit Fn. 14; Plagemann, WM 2014, 2345, 2346.

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§ 21 Rz. 1483 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

schriften erkennen, dass das Aufsichtsratsmandat auch in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen vom Gesetzgeber weiterhin nicht als Vollzeittätigkeit, sondern als (freilich zeitintensives) Nebenamt konzipiert ist118. Allerdings besteht zunehmend ein Spannungsverhältnis zwischen diesem gesetzlichen Leitbild und den gewachsenen inhaltlichen Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder. Für den Aufsichtsratsvorsitzenden eines großen Kreditinstituts wurde der Zeitaufwand vor einigen Jahren auf annäherungsweise 100 Tage pro Jahr beziffert119; heute wird dieser Aufwand eher noch höher zu veranschlagen sein120. 6. Inkompatibilität, unzulässige Ämterhäufung 1484

Auch die aktienrechtlichen Vorschriften zur Inkompatibilität und zur Beschränkung der Ämterhäufung (§ 100 Abs. 2 AktG) werden durch strengere aufsichtsrechtliche Vorgaben ergänzt. Für Kreditinstitute ergeben sich diese aus § 25d Abs. 3 und Abs. 3a KWG121, für Versicherungsunternehmen aus § 24 Abs. 4 VAG. a) Kreditinstitute

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Hinsichtlich der Kreditinstitute differenziert das Gesetz zwischen CRR-Instituten (§ 1 Abs. 3d KWG) von erheblicher Bedeutung, die in Umsetzung der CRD IVRichtlinie insgesamt höheren Anforderungen unterliegen (§ 25d Abs. 3 KWG, Rz. 1486 ff.), und sonstigen Instituten (§ 25d Abs. 3a KWG, Rz. 1490). Von erheblicher Bedeutung sind nach der Legaldefinition in § 25d Abs. 3 Satz 8 KWG alle Institute mit einer Bilanzsumme von mindestens € 15 Mrd. (im Durchschnitt der letzten drei Geschäftsjahre) sowie alle Institute, die der direkten Aufsicht der EZB (Rz. 1452) unterstehen122. Gleichgestellt sind nach § 25d Abs. 3 Satz 2 KWG Finanzholding-Gesellschaften und gemischte Finanzholding-Gesellschaften, wenn sie nach §§ 10a Abs. 2 Satz 2-3, § 12 Abs. 2 FKAG als übergeordnetes Unternehmen bestimmt worden sind und ihnen ein CRR-Institut nachgeordnet ist.

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aa) Für CRR-Institute von erheblicher Bedeutung und ihnen gleichgestellte Unternehmen (Rz. 1485) bestimmt zunächst § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KWG, dass kein Aufsichtsratsmitglied zugleich Geschäftsleiter (Vorstandsmitglied) desselben Insti118 Zust. Binder, ZGR 2018, 88, 114. 119 Breuer in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, S. 516, 525; vgl. auch (nicht speziell für Kreditinstitute) Lutter in Allmendinger/Dorn/Lang/ Lumpp/Steffek, Corporate Governance nach der Finanz- und Wirtschaftskrise, S. 140, 150: zwei bis drei Monate pro Jahr für den Aufsichtsratsvorsitz in größeren Unternehmen. 120 Dezidiert Börsig/Löbbe in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 125, 145: Aufsichtsratsvorsitz in größeren börsennotierten Unternehmen heute ein „Fulltime-Job“. 121 Beachte dazu die eigene Übergangsvorschrift des § 64r Abs. 14 KWG (vgl. Art. 91 Abs. 3 CRD IV-Richtlinie): Altmandate aus der Zeit vor dem 1.1.2014 genießen danach Bestandsschutz; in potenziell systemgefährdenden Instituten entfällt dieser Bestandsschutz jedoch ab 1.7.2014. 122 Hinzukommen als potentiell systemgefährdend eingestufte Institute im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 SAG sowie Finanzhandelsinstitute im Sinne des § 25f Abs. 1 KWG.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1486 § 21

tuts sein darf. Für Institute in der Rechtsform der AG ergibt sich diese Inkompatibilität bereits aus § 105 Abs. 1 AktG123. Eine Verschärfung bewirkt jene Vorgabe daher allenfalls insofern, als sie bei strikter Anwendung wohl auch der temporären Abordnung eines Aufsichtsratsmitglieds in den Vorstand nach § 105 Abs. 2 AktG entgegensteht124. Verschärfungen im Vergleich zum Aktienrecht bringen aber vor allem die Regelungen des § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2–4 KWG mit sich: – Nach Satz 1 Nr. 2 dürfen dem Aufsichtsrat maximal zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören. Im Aktienrecht gibt es hierfür lediglich eine unverbindliche Empfehlung in C.11 DCGK 2020. In börsennotierten Gesellschaften ist beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat ergänzend die „Cooling-off“-Regelung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG zu beachten. – Ferner darf nach Satz 1 Nr. 4 ein Aufsichtsratsmitglied insgesamt maximal vier Verwaltungs- oder Aufsichtsratsmandate (Kontrollmandate) innehaben125, neben dem in Rede stehenden Aufsichtsratsmandat also noch höchstens drei weitere in anderen Unternehmen. Diese Regelung ist deutlich strenger als die des § 100 Abs. 2 Nr. 1 AktG, die bis zu zehn weitere Aufsichtsratsmandate zulässt und nur Mandate in solchen Unternehmen mitzählt, die kraft Gesetzes einen Aufsichtsrat bilden müssen. Sie geht auch über die Empfehlung in C.4 DCGK 2020 hinaus, die eine Begrenzung auf insgesamt fünf konzernexterne Aufsichtsratsmandate empfiehlt (wobei allerdings ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt zählt). – Ist das Aufsichtsratsmitglied zugleich Geschäftsleiter eines anderen Unternehmens, so darf es sogar nur ein weiteres Verwaltungs- oder Aufsichtsratsmandat, in Summe also höchstens ein Geschäftsleiteramt und zwei Kontrollmandate, innehaben (§ 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KWG)126. Das Aktienrecht kennt keine vergleichbare zwingende Vorgabe; C.5 DCGK 2020 enthält aber immerhin eine Empfehlung ähnlichen Inhalts127. 123 Für die dualistische SE folgt dasselbe aus Art. 39 Abs. 3 Satz 1 SE-VO. Bedeutung hat die Vorgabe aber für den Verwaltungsrat der monistischen SE; Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10794, S. 87. 124 Zust. Binder, ZGR 2018, 88, 112 mit Fn. 119. Die Abordnung führt zwar nach § 105 Abs. 2 Satz 3 AktG zum Ruhen des Aufsichtsratsmandats; der Abgeordnete bleibt aber Mitglied des Aufsichtsrats (Rz. 471). Gleiches gilt im Ergebnis in der dualistischen SE; Seibt in Habersack/Drinhausen, Komm. SE-Recht, Art. 39 SE-VO Rz. 36. 125 Vgl. Art. 91 Abs. 3 Satz 2 lit. b CRD IV-Richtlinie; etwas weniger streng noch § 36 Abs. 3 Satz 6 KWG a.F. (maximal vier weitere Kontrollmandate). 126 Vgl. Art. 91 Abs. 3 Satz 2 lit. a CRD IV-Richtlinie. Die bis zum 18.7.2014 geltende Fassung des § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KWG hatte die Grenze dagegen richtlinienwidrig erst bei einem Geschäftsleitermandat und drei (zwei „weiteren“) Kontrollmandaten gezogen (6. Aufl. Rz. 1476). Durch das Gesetz zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes vom 15.7.2014, BGBl. I 2014, 934, hat der Gesetzgeber diesen Fehler korrigiert. 127 Nach C.5 DCGK 2020 soll das Vorstandsmitglied eines börsennotierten Unternehmens nicht mehr als zwei (früher: drei) Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften und keinen Aufsichtsratsvorsitz in einer konzernexternen börsennotierten Gesellschaft wahrnehmen.

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§ 21 Rz. 1486 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

– Allerdings besteht die Möglichkeit einer Einzelfallbefreiung durch die BaFin. Diese kann einem Aufsichtsratsmitglied gestatten, ein Kontrollmandat mehr auszuüben, als nach Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4 eigentlich zulässig wäre, sofern die ausreichende zeitliche Verfügbarkeit gesichert ist (§ 25d Abs. 3 Satz 5 KWG)128. 1487

Die Zählung der Mandate regelt § 25d Abs. 3 Satz 3 KWG129, der ebenfalls von seinem aktienrechtlichen Pendant (§ 100 Abs. 2 Sätze 2–3 AktG) abweicht. Von besonderer Bedeutung ist das Gruppenprivileg nach § 25d Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KWG, dem zufolge mehrere Mandate, die in Unternehmen derselben Gruppe wahrgenommen werden, nur als ein Mandat zählen. Nach dem Gesetzeswortlaut ist dieses Privileg zwar auf Gruppen beschränkt, in denen zumindest einzelne Konzerngesellschaften der Bankaufsicht unterliegen (Institutsgruppe, Finanzholding-Gruppe, gemischte Finanzholding-Gruppe, gemischte Holding-Gruppe130). Die BaFin erstreckt das Gruppenprivileg aber über den Wortlaut hinaus auch auf Konzerne außerhalb der Finanzbranche, da ansonsten die – im Interesse einer vielseitigen Gesamtqualifikation erwünschte – Gewinnung von geeigneten Aufsichtsratsmitgliedern aus Unternehmen außerhalb der Finanzbranche erheblich erschwert wäre131. Im Ergebnis wäre es in der Tat wenig überzeugend, Industriekonzerne auszuklammern, da der Grundgedanke, dass konzerninterne Mandate bei typisierender Betrachtung weniger zeitaufwändig sind als externe Mandate, eine Privilegierung unabhängig von der Branchenzugehörigkeit des Konzerns rechtfertigt132. Methodisch steht die Verwaltungspraxis allerdings auf unsicherem Fundament, da die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke zweifelhaft ist. Neben dem Gruppenprivileg sieht das Gesetz noch in zwei weiteren Fällen eine Zusammenrechnung der Mandate vor, nämlich für Mandate in Unternehmen, die an dasselbe institutsbezogene Sicherungssystem angeschlossen sind (§ 25d Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 KWG)133 oder an denen das Institut eine bedeutende Beteiligung hält (§ 25d Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 KWG). Eine bedeutende Be128 Vgl. Art. 91 Abs. 6 CRD IV-Richtlinie. 129 Vgl. Art. 91 Abs. 4 CRD IV-Richtlinie. Eingehend zu § 25d Abs. 3 KWG mit Anwendungsbeispielen BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 29 ff. 130 Zu den Begriffen Institutsgruppe, Finanzholding-Gruppe, gemischte FinanzholdingGruppe s. § 10a Abs. 1 KWG; ferner Binder in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, S. 685, 689 ff.; zu der nachträglich eingefügten Erweiterung auf gemischte Holding-Gruppen (d.h. Gruppen, bei denen die Mutter ein nicht der Bankenaufsicht unterliegendes [Industrie-]Unternehmen und mindestens eine Tochter ein Institut ist) s. Begr. RegE AbwMechG, BT-Drucks. 18/5009, S. 74; Kleinert in Beck/ Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 81. 131 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 29 f., mit der Präzisierung, dass sich die Zugehörigkeit zu einem Konzern nach den Rechnungslegungsvorschriften bzw. -standards richten soll (§§ 290 ff. HGB, IFRS 10). 132 Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 81a. 133 Darunter fallen insbesondere die Mitgliedsinstitute des Bundesverbandes der Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. sowie der Haftungsverbund der Sparkassen-Finanzgruppe; BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 32.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1489 § 21

teiligung in diesem Sinne liegt schon dann vor, wenn das Institut an dem anderen Unternehmen direkt oder indirekt eine Beteiligung von mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte hält oder eine andere Möglichkeit der Wahrnehmung eines maßgeblichen Einflusses auf die Geschäftsführung dieses Unternehmens hat (§ 1 Abs. 9 KWG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 36 CRR). Umstritten ist, ob die vorstehend beschriebene „Herunterrechnung“ auf ein einziges Mandat für Geschäftsleiter- und Kontrollmandate jeweils getrennt zu erfolgen hat oder für beide Mandatsgruppen gemeinsam. Letzteres würde bedeuten, dass z.B. zwei Geschäftsleiter- und zwei Aufsichtsratsmandate innerhalb einer Gruppe auf ein einziges Geschäftsleitermandat (nicht: auf ein Geschäftsleiter- und ein Kontrollmandat) heruntergerechnet werden können. Die BaFin steht einer derartigen „Überkreuz-Herunterrechnung“ bisher ablehnend gegenüber134. Die besseren Argumente sprechen indes dafür, sie zuzulassen135: Der Regierungsentwurf des CRD IV-Umsetzungsgesetzes wollte Geschäftsleiter- und Kontrollmandate zwar noch getrennt erfassen („gelten jeweils als nur ein Mandat“)136. Die verabschiedete Fassung des Gesetzes ist jedoch – in Anlehnung an Art. 91 Abs. 4 CRD IV-Richtlinie137 – abweichend formuliert („gelten als ein Mandat“), was den Schluss nahelegt, dass die Überkreuz-Herunterrechnung letztlich doch zugelassen werden sollte. Nur diese Sichtweise leuchtet auch unter teleologischen Gesichtspunkten ein. Die Position der BaFin läuft nämlich auf das wertungswidersprüchliche Ergebnis hinaus, dass zwei oder mehr Geschäftsleitermandate auf ein einziges Geschäftsleitermandat heruntergerechnet werden können, während ein Geschäftsleiter- und ein Aufsichtsmandat stets als zwei Mandate betrachtet würden, obwohl damit typischerweise eine geringere zeitliche Beanspruchung verbunden ist. Völlig zu Recht gehen denn auch die ESMA/EBA-Leitlinien davon aus, dass eine Überkreuz-Herunterrechnung auf ein Geschäftsleitermandat mit Art. 91 Abs. 4 CRD IV-Richtlinie vereinbar ist138.

1488

Sachlich fragwürdige Erleichterungen gelten für Vertreter der öffentlichen Hand. Kommunale Hauptverwaltungsbeamte wie Bürgermeister und Landräte, die kraft kommunaler Satzung zur Wahrnehmung eines Mandats in einem Unternehmen verpflichtet sind, sind nach § 25d Abs. 3 Satz 7 KWG von der Beschränkung auf höchs-

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134 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 29 (allgemein), 30 (Nr. 1), 32 (Nr. 2), 33 (Nr. 3); ebenso Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 84, Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 25d Rz. 25, und Wolfgarten in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 25d Rz. 46, die sich allesamt auf die Begründung des RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz (BT-Drucks. 17/10794, S. 87) berufen, dabei aber übersehen, dass die Fassung des RegE in diesem Punkt gerade nicht Gesetz geworden ist (s. sogleich im Text). 135 Wie hier Sven H. Schneider in Verband der Auslandsbanken in Deutschland (Hrsg.), Bankenaufsicht 2014 – Praxisseminar 12.11.2013, S. 36 (Folie 11). 136 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10794, S. 33, 87. 137 Vgl. Finanzausschuss, BT-Drucks. 17/13541, S. 20. 138 ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 51; ebenso Lackhoff, Kreditwesen 2014, 663, 665.

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§ 21 Rz. 1489 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

tens vier Kontrollmandate (Satz 1 Nr. 4) ausgenommen139. Gedacht ist dabei offenbar insbesondere an die Satzungen der kommunalen Sparkassen, die häufig Bürgermeister und Landräte zu „geborenen“ Verwaltungsratsmitgliedern bestimmen. Ferner sehen § 25d Abs. 3 Sätze 4 und 6 KWG vor, dass Mandate bei Unternehmen, die nicht überwiegend gewerbliche Ziele verfolgen (insbesondere Unternehmen der kommunalen Daseinsvorsorge140), sowie Mandate als Vertreter des Bundes oder der Länder bei Ermittlung der Höchstzahlen nach Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4 nicht mitgerechnet werden. Mit der Richtlinie verträgt sich indes nur die Nichtberücksichtigung im Rahmen von Satz 1 Nr. 4 (höchstens vier Kontrollmandate), nicht auch diejenige im Rahmen von Satz 1 Nr. 3 (vgl. Art. 91 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 lit. b CRD IV-Richtlinie). 1490

bb) Die vorgenannten Mandatsbeschränkungen hatte der deutsche Gesetzgeber in überschießender Umsetzung der CRD IV-Richtlinie zunächst nicht nur für CRR-Institute von erheblicher Bedeutung, sondern auch für alle sonstigen Institute angeordnet. Mit dem Gesetz zur Anpassung von Gesetzen auf dem Gebiet des Finanzmarkts141 hat er diese Entscheidung jedoch wieder revidiert. Seither sieht § 25d Abs. 3a KWG für Institute, die nicht CRR-Institut von erheblicher Bedeutung sind, wieder die alten, insgesamt weniger strengen Inkompatibilitätsregeln vor142. Während die Mandatsbeschränkungen nach Abs. 3a Nr. 1 (Inkompatibilität von Leitungs- und Kontrollmandat in demselben Institut) und Abs. 3a Nr. 2 (maximal zwei ehemalige Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat) mit Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 übereinstimmen, findet die Begrenzung auf höchstens ein Geschäftsleiter- und zwei Kontrollmandate (Abs. 3 Satz 1 Nr. 3) in Abs. 3a keine Entsprechung. Eine weitere Erleichterung besteht darin, dass das Aufsichtsratsmitglied nicht nur vier (wie nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 4), sondern fünf Kontrollmandate halten darf, wobei zudem nur Mandate in Unternehmen zählen, die unter der Aufsicht der BaFin stehen (Abs. 3a Nr. 3)143.

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Merkwürdigerweise sieht § 25d Abs. 3a KWG aber nicht dieselben Privilegierungen vor, die im Rahmen des Abs. 3 für CRR-Institute von erheblicher Bedeutung gelten. 139 Vgl. Art. 91 Abs. 5 CRD IV-Richtlinie. 140 Näher zu diesem Begriff BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 37. 141 Gesetz vom 15.7.2015, BGBl. I 2014, 934. 142 Die frühere Regelung (§ 36 Abs. 3 Satz 5-6 KWG a.F.) wurde zu diesem Zweck in § 25d Abs. 3a KWG übernommen. § 25d Abs. 3a Nr. 1 KWG wurde allerdings erst nachträglich durch das Abwicklungsmechanismusgesetz vom 2.11.2015 (BGBl. I 2015, 1864) hinzugefügt. 143 Unerheblich ist dabei, ob sich die Aufsicht der BaFin nach dem KWG oder nach anderen Gesetzen (z.B. dem VAG) vollzieht; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 98. Die weitere Frage, ob auch Aufsichtsmandate in unmittelbar von der EZB beaufsichtigten Instituten mitzählen, stellt sich dagegen nicht, da diese Institute stets unter Abs. 3 fallen, so dass das Aufsichtsratsmitglied ohnehin den strengeren Vorgaben nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 genügen muss; zutr. Kleinert a.a.O.; abw. Wolfgarten in Boos/ Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 25d Rz. 61.

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1492 § 21

Kontrollmandate in Unternehmen, die demselben institutsbezogenen Sicherungssystem angehören (Rz. 1487), werden zwar auch bei den sonstigen Instituten nicht mitgezählt (Abs. 3a Nr. 3). Keine Entsprechung findet aber nach dem Gesetzeswortlaut das Gruppenprivileg (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) sowie die Privilegierung von Mandaten, an denen das Institut eine bedeutende Beteiligung hält (Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Rz. 1487). Nimmt man diese Regelung beim Wort, ergibt sich ein eklatanter Wertungswiderspruch, da unerklärlich ist, warum für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat eines sonstigen Instituts insoweit strengere Anforderungen gelten sollen als in CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung. Die BaFin will es offenbar dennoch bei einer wortlautgetreuen Anwendung belassen144. Deutlich mehr spricht indes dafür, von einer so nicht gewollten, mithin planwidrigen Regelungslücke auszugehen, die durch analoge Anwendung der Privilegierungen des Abs. 3 zu schließen ist145. b) Versicherungsunternehmen Für Versicherungsunternehmen enthält das VAG ganz ähnliche Mandatsbegrenzungen, wie sie das KWG für die sonstigen Kreditinstitute (nicht CRR-Institute von erheblicher Bedeutung) vorsieht. Nach § 24 Abs. 4 Satz 1 VAG (§ 7a Abs. 4 Satz 3-4 VAG a.F.) dürfen maximal zwei ehemalige Vorstandsmitglieder der Gesellschaft dem Aufsichtsrat angehören; diese Vorgabe entspricht § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3a Nr. 2 KWG. Ferner dürfen die Aufsichtsratsmitglieder – wie nach § 25d Abs. 3a Nr. 3 KWG – maximal fünf Kontrollmandate in Unternehmen innehaben, die der Aufsicht der BaFin unterstehen (§ 24 Abs. 4 Satz 2 VAG)146. Mandate bei Unternehmen derselben Versicherungs- oder Unternehmensgruppe bleiben dabei außer Betracht (§ 24 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 VAG). In der Solvabilität II-Richtlinie finden diese Mandatsbegrenzungen keine Entsprechung. Es handelt sich mithin um autonom gesetztes Recht, das der deutsche Gesetzgeber für europarechtlich zulässig hält, da er der Richtlinie insoweit keine vollharmonisierende Wirkung beimisst147.

144 Vgl. BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 43 (dort wird nur dasselbe institutsbezogene Sicherungssystem als Priviligierungsgrund genannt); ferner Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 101. 145 Wie hier Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 25d Rz. 31. 146 Ebenso wie im Rahmen des § 25d Abs. 3a Nr. 3 KWG (Rz. 1490) spielt auch für § 24 Abs. 4 Satz 2 VAG keine Rolle, ob die BaFin die Unternehmen nach dem VAG, dem KWG oder nach anderen Gesetzen beaufsichtigt; Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 157. 147 Allgemein dazu Begr. RegE VAMoG, BT-Drucks. 18/2956, S. 227: „Die Richtlinie sieht nicht in allen Bereichen eine Vollharmonisierung vor, sondern will nur so weit Unterschiede angleichen, als dies notwendig ist, um einheitliche aufsichtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Das neue VAG hat deshalb die bestehenden Regelungen, auch wenn sie strenger sind, beibehalten, soweit sie nicht im Widerspruch zur Richtlinie stehen.“ A.A. – auch insoweit Vollharmonisierung – Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 24 Rz. 148 i.V.m. Rz. 132 ff.

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§ 21 Rz. 1493 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

7. Diversität, Frauenförderung 1493

Dem Bankaufsichtsrecht ist zudem daran gelegen, die Diversität (diversity) der Zusammensetzung im Aufsichtsrat zu fördern (Art. 91 Abs. 1 Satz 2, Abs. 10 CRD IVRichtlinie). Damit sind nicht nur unterschiedliche berufliche Qualifikationen gemeint (insoweit besteht eine Überschneidung mit dem Erfordernis der Gesamtqualifikation, Rz. 1469 f.), sondern auch und gerade Unterschiede in Bezug auf Alter, Geschlecht und – insbesondere für Institute, die international tätig sind – geografische Herkunft148. Den Konnex zu den Zielen des Aufsichtsrechts sieht der (europäische) Gesetzgeber in der Annahme, dass Diversität unkritischem „Gruppendenken“ entgegenwirke und daher eine wirksamere Überwachung der Geschäftsführung verspreche149. Das KWG trägt diesem Anliegen insgesamt weniger klar Rechnung als die CRD IV-Richtlinie. Nach § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 1 KWG muss der Nominierungsausschuss (Rz. 1520, 1529 ff.) bei Vorschlägen, die er dem Aufsichtsrat für die Besetzung des Vorstands oder für die Formulierung von Beschlussvorschlägen zur Aufsichtsratswahl unterbreitet, die „Ausgewogenheit und Unterschiedlichkeit der Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen“ der Organmitglieder des Aufsichtsrats berücksichtigen. In richtlinienkonformer Auslegung ist darunter Diversität in dem beschriebenen Sinn zu verstehen150. Deutlicher wird das KWG beim Thema Frauenförderung: Nach § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 2 KWG (Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a CRD IV-Richtlinie) muss der Nominierungsausschuss eine Zielsetzung zur Förderung des unterrepräsentierten Geschlechts im Aufsichtsrat sowie eine Strategie zu deren Erreichung erarbeiten (Rz. 1529). Diese Vorschrift gilt auch in börsennotierten und/oder mitbestimmten Instituten, die den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Geschlechterquote im Aufsichtsrat (§§ 96 Abs. 2, 111 Abs. 5 AktG, § 289f Abs. 2 Nr. 4-5, Abs. 4 HGB) unterfallen; sie ist kumulativ zu diesen Bestimmungen anzuwenden151.

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Das Versicherungsaufsichtsrecht kennt bisher keine vergleichbaren Vorgaben zur Diversität. Insbesondere lässt sich dieses Kriterium nicht unter den Begriff der fachlichen Eignung im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 VAG fassen152. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben zur Geschlechterquote für börsennotierte und/oder mitbestimmte

148 Erwägungsgrund 60 CRD IV-Richtlinie; ESMA/EBA-Leitlinien zur Beurteilung der Eignung von Mitgliedern des Leitungsorgans und von Inhabern von Schlüsselfunktionen (EBA/GL/2017/12) vom 21.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017), Rz. 105. 149 Erwägungsgrund 60 CRD IV-Richtlinie. 150 Vgl. Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a Satz 1, 91 Abs. 10 CRD IV-Richtlinie. 151 So wohl auch, allerdings missverständlich, Begr. RegE Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, BT-Drucks. 18/3784, S. 124: § 25d Abs. 11 KWG „gilt nach Inkrafttreten des § 111 Abs. 5 AktG-E als lex specialis fort“; wie hier für kumulative Anwendung Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 934 („zudem“); a.A. – Zielgrößenbestimmung nach § 111 Abs. 5 AktG wird in Bezug auf die Besetzung des Aufsichtsrats durch § 25d Abs. 11 KWG verdrängt – Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 152; Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 111 Rz. 56. 152 Dreher/Lange, ZVersWiss 2011, 211, 216 (zu § 7a Abs. 4 Satz 1 VAG a.F.).

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Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1496 § 21

Gesellschaften (§§ 96 Abs. 2, 111 Abs. 5 AktG) bleiben selbstverständlich auch hier anwendbar. 8. Anzeige- und Berichtspflichten Damit die Aufsichtsbehörden die Einhaltung der genannten Voraussetzungen kontrollieren können, sehen KWG und VAG gleichermaßen vor, dass die aufsichtsunterworfenen Unternehmen die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern der BaFin – und im Fall von Kreditinstituten auch der Bundesbank – anzuzeigen haben (§ 24 Nr. 15 KWG, § 47 Nr. 1 VAG)153. Der Anzeige sind die Angaben beizufügen, die zur Beurteilung der Zuverlässigkeit, der Sachkunde bzw. fachlichen Eignung und der zeitlichen Verfügbarkeit notwendig sind154. Anzeigepflichtig ist erst die Bestellung selbst, nicht schon die darauf gerichtete Absicht155, da § 24 Abs. 1 Nr. 1 KWG und § 47 Nr. 1 VAG eine Vorausanzeigepflicht nur für Geschäftsleiter (Vorstandsmitglieder) vorsehen. Anzeigepflichtig ist im Übrigen nur die Erst-, nicht die Wiederbestellung156. Ebenfalls anzuzeigen ist das Ausscheiden von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 24 Nr. 15a KWG, § 47 Nr. 2 VAG).

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Die CRR schreibt Kreditinstituten zusätzlich vor, dass sie mindestens einmal jährlich über die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat, namentlich die Anzahl der von den Organmitgliedern bekleideten Ämter, die Strategie für die Auswahl der Organmitglieder sowie die Förderung der Diversität, Bericht erstatten müssen (Art. 435 Abs. 2 CRR)157. Dies kann im Rahmen der jährlichen Rechnungslegung oder an anderer geeigneter Stelle geschehen (Art. 434 CRR). Ähnliche Angaben müssen auch Versicherungsunternehmen in ihrem jährlichen Bericht über Solvabilität und Finanzlage veröffentlichen (Art. 294 Abs. 1-2 Solvabilität II-Verordnung).

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153 Nach § 24 Abs. 3c Satz 2 KWG ist die Anzeige auch dann nur an BaFin und Bundesbank zu richten, wenn das Institut der unmittelbaren Aufsicht der EZB untersteht; zum Hintergrund Süßmann in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 24 Rz. 80. 154 Einzelheiten zu den einzureichenden Unterlagen ergeben sich für Kreditinstitute aus den §§ 5 ff. AnzV und dem BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 9 ff., für Versicherungsunternehmen aus dem BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 5 ff. 155 Braun in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 24 Rz. 173; Süßmann in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 24 Rz. 44. 156 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 8; BaFin-Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Mitgliedern von Verwaltungs- oder Aufsichtsorganen gemäß VAG vom 6.12.2018, S. 5. 157 Zur Nutzung dieser Angaben durch die Aufsichtsbehörden s. Art. 91 Abs. 11 CRD IVRichtlinie. Die erste, aber auch sehr frühe, Evaluierung der im Bereich der Diversität erreichten Fortschritte durch die Kommission (Art. 161 Abs. 5 CRD IV-Richtlinie) fiel ernüchternd aus, Bericht der Kommission vom 8.12.2016 (COM [2016] 774).

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§ 21 Rz. 1497 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

9. Rechtsfolgen bei Verstößen a) Aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse (Abberufungsverlangen, Tätigkeitsverbot) 1497

Bei Verstößen gegen die genannten Vorgaben zur Sachkunde, Zuverlässigkeit und zeitlichen Verfügbarkeit oder gegen die Inkompatibilitätsvorschriften gewährt das KWG der BaFin die Befugnis, von dem jeweiligen Institut die Abberufung des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds zu verlangen oder diesem unmittelbar ein Tätigkeitsverbot aufzuerlegen (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1–3, 6–9 KWG). Das VAG kennt eine vergleichbare Befugnis bei fehlender fachlicher Eignung oder fehlender Zuverlässigkeit (§ 303 Abs. 2 Nr. 1 VAG). Zuwiderhandlungen gegen entsprechende Anordnungen der BaFin sind für Kreditinstitute mit Bußgeldern bis zu € 500000 bedroht (§ 56 Abs. 1, Abs. 6 Nr. 2 KWG)158. Die Abberufung selbst wird nach den allgemeinen Regeln vollzogen, hinsichtlich der Anteilseignervertreter mithin regelmäßig durch Beschluss der Hauptversammlung (§ 103 Abs. 1 AktG) oder auf Antrag des Aufsichtsrats durch Beschluss des Amtsgerichts (§ 103 Abs. 3 AktG). Ein wirksames Abberufungsverlangen der BaFin stellt einen wichtigen Grund im Sinne des § 103 Abs. 3 AktG dar159. Den Antrag auf gerichtliche Abberufung kann auch die BaFin stellen, wenn der Aufsichtsrat dem Abberufungsverlangen nicht nachkommt (§ 36 Abs. 3 Satz 3 KWG, § 303 Abs. 3 VAG). Hinsichtlich der Arbeitnehmervertreter bestimmt § 36 Abs. 3 Satz 4 KWG, dass ihre Abberufung „allein nach den Vorschriften der Mitbestimmungsgesetze“ erfolgt. Damit ist nicht gemeint, dass die BaFin hinsichtlich der Arbeitnehmervertreter keine Abberufung verlangen darf160, sondern nur, dass sich der Vollzug der Abberufung auch hier nach den allgemeinen, d.h. in diesem Fall nach den mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften (§ 23 MitbestG, § 12 DrittelbG, § 37 SEBG, § 26 MgVG) richtet. Trotz des irreführenden Wortlauts („allein“) kommt neben den mitbestimmungsrechtlichen Bestimmungen auch die Vorschrift des § 103 Abs. 3 AktG über die gerichtliche Abberufung zur Anwendung. Es wäre systematisch ungereimt und in der Sache befremdlich, wenn die Möglichkeit der gerichtlichen Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG, die sonst unstreitig auch bezüglich der Arbeitnehmervertreter besteht161, ausgerechnet im vorliegenden Kontext 158 In Versicherungsunternehmen ist demgegenüber die Zuwiderhandlung gegen ein Abberufungsverlangen, das allein auf § 303 Abs. 2 Nr. 1 VAG gestützt ist, nicht bußgeldbewehrt. Anderes gilt aber, wenn das Abberufungsverlangen (auch) auf § 303 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 VAG beruht, § 332 Abs. 1 Nr. 2 lit. b VAG und dazu Schmidt in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 332 Rz. 26. 159 Fischer/Müller in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 36 Rz. 139; einschränkend Berger, VersR 2010, 422, 427. Damit lässt sich auch das von Langenbucher, ZHR 176 (2012), 652, 665, aufgeworfene Problem der abberufungsunwilligen Hauptversammlung lösen. 160 So aber Schmitz in Luz/Neus/Schaber/Scharpf/Schneider/Weber, Komm. KWG, § 36 Rz. 100; wie hier implizit BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 50. 161 Statt aller Habersack, MünchKomm. AktG, § 103 Rz. 33, 53; vgl. auch den Wortlaut des § 103 Abs. 4 AktG („außer Abs. 3“).

596

Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat | Rz. 1500 § 21

ausgeschlossen wäre. Die Materialien zeigen denn auch, dass der Gesetzgeber diese Möglichkeit gar nicht ausschließen wollte; ihm ging es bei § 36 Abs. 3 Satz 4 KWG nur um die Klarstellung, dass die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften „unberührt bleiben“162. In diesem einschränkenden Sinn sollte man die Vorschrift daher auch lesen. Der Rechtsschutz der Gesellschaft und des betroffenen Organwalters gegen das Abberufungsverlangen richtet sich nach verwaltungsprozessualen Grundsätzen163.

1498

b) Gesellschaftsrechtliche Folgen Verstöße gegen die genannten persönlichen Anforderungen haben freilich nicht nur aufsichtsrechtlich, sondern auch haftungsrechtlich Konsequenzen. Ein Aufsichtsratsmitglied, das sich in den Aufsichtsrat, einen Ausschuss oder dessen Vorsitz wählen lässt, obwohl es die gesetzlich geforderten Anforderungen nicht erfüllt, verletzt schon dadurch seine Sorgfaltspflicht (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 1 AktG). Es haftet daher unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens, sofern die fehlende Qualifikation zu einer Schädigung der Gesellschaft beigetragen hat164.

1499

Noch vergleichsweise wenig diskutiert ist die Frage, ob Verstöße gegen die aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen persönlichen Anforderungen und Inkompatibilitätsregeln auch die Wirksamkeit der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder tangieren oder zu einem Erlöschen des Amtes führen können. Nicht ernstlich zweifelhaft sollte sein, dass ein derartiger Verstoß für sich allein jedenfalls nicht die Nichtigkeit der Wahl des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds analog § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG zu begründen vermag165. Die Bestimmungen der § 36 Abs. 3 KWG, § 303 Abs. 2 Nr. 1 VAG gehen nämlich ersichtlich auch in diesen Fällen von einer wirksamen Bestellung aus; sonst bedürfte es keiner Abberufung auf Betreiben der BaFin166. Nichtigkeit kommt daher nur in Betracht, wenn – wie im Fall von § 25d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3a Nr. 1 KWG und § 105 Abs. 1 AktG167 – mit dem Verstoß gegen die aufsichtsrechtlichen Vorgaben ein Verstoß gegen ein aktienrechtliches Bestellungshindernis konkurriert.

1500

162 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 90. 163 Zu den Einzelheiten (Widerspruch, Anfechtungsklage, Antrag auf Wiederherstellung der nach § 49 KWG ausgesetzten aufschiebenden Wirkung, ggf. Fortsetzungsfeststellungsklage) s. Fischer/Müller in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Komm. KWG, § 36 Rz. 82 ff.; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 36 Rz. 57 ff.; Schmitz in Luz/ Neus/Schaber/Scharpf/Schneider/Weber, Komm. KWG, § 36 Rz. 101 ff.; zum VAG Bähr in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 303 Rz. 20 ff. 164 Habersack, MünchKomm. AktG, § 116 Rz. 22, 26, 75 (zur aktienrechtlichen Mindestqualifikation); Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 266. 165 Lackhoff, Kreditwesen 2014, 663, 666; Mimberg, WM 2015, 1791 f.; a.A. noch Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, 2. Aufl., § 36 Rz. 55 (zu den Inkompatibilitätsregeln nach § 36 Abs. 3 Satz 5 und 6 KWG a.F.). 166 Lackhoff, Kreditwesen 2014, 663, 666; Mimberg, WM 2015, 1791 f. 167 Ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 AktG führt analog § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG anerkanntermaßen zur Nichtigkeit; Habersack, MünchKomm. AktG, § 105 Rz. 19; Kiefner, Kölner Komm. AktG, § 250 Rz. 53.

597

§ 21 Rz. 1501 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen 1501

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob Verstöße gegen die aufsichtsrechtlichen Vorgaben die Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses nach § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG zur Folge haben. Eine im Schrifttum verbreitete Auffassung will dies bejahen168. Bei Licht besehen erweist sich diese Annahme allerdings als zweifelhaft169. Für die Anfechtbarkeit spricht zwar der Wortlaut des § 251 Abs. 1 Satz 1 AktG, der jede Gesetzesverletzung erfasst. Aber dieses Wortlautargument ist schwach, da es nicht durch weitere Auslegungskriterien unterstützt wird. Der historische Gesetzgeber hat die Frage der Anfechtbarkeit nicht bedacht; bei Einführung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder hat er sich ganz auf die öffentlich-rechtlichen Eingriffsbefugnisse (Rz. 1497) konzentriert. Da die aufsichtsrechtlichen Anforderungen bereits durch die BaFin intensiv überwacht werden und diese mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet ist, ist ein Bedürfnis, zusätzlich ein private enforcement des Aufsichtsrechts durch Beschlussmängelklagen der Aktionäre zuzulassen, nicht erkennbar170. Hinzu kommt, dass man die Wirksamkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ohne Not mit nicht unerheblicher Rechtsunsicherheit belasten würde, wenn man auf die aufsichtsrechtlichen Vorgaben gestützte Anfechtungsklagen zuließe171. Dies gilt insbesondere für Anfechtungsklagen wegen (angeblich) unzureichender Sachkunde, da sich die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder im Vorhinein häufig nur schwer beurteilen lässt172. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat es die herrschende Ansicht im Aktienrecht bisher stets abgelehnt, das Fehlen der vom AktG vorausgesetzten Mindestqualifikation zum Anfechtungsgrund zu erheben173. Im Ergebnis spricht daher mehr dafür, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen nicht als Anfechtungsgründe im Sinne des § 251 Abs. 1 AktG zu qualifizieren.

168 Kiefner, Kölner Komm. AktG, § 251 Rz. 13 (zu § 36 Abs. 3 Satz 1 KWG a.F., § 7a Abs. 4 Satz 1 VAG a.F.); Simon in Hölters, Komm. AktG, § 251 Rz. 5 (zu § 36 Abs. 3 Satz 5 und 6 KWG a.F., § 24 Abs. 1, 3 und 4 VAG); Weber/Kersjes, Hauptversammlungsbeschlüsse vor Gericht, § 1 Rz. 480 (zu § 36 Abs. 3 Satz 5 KWG a.F.); ausführlich Mimberg, WM 2015, 1791 ff. (zu § 25d Abs. 3-3a KWG). 169 Wie hier gegen Anfechtbarkeit Binder, ZGR 2018, 88, 123; Habersack, MünchKomm. AktG, § 100 Rz. 15; grundsätzlich auch Grunewald, NZG 2015, 609, 612, die allerdings in Ausnahmefällen gänzlich fehlender Qualifikation anders entscheiden will. 170 Zust. Binder, ZGR 2018, 88, 123. 171 Binder, ZGR 2018, 88, 123; Grunewald, NZG 2015, 609, 612. 172 Vgl. Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 100 Rz. 25. 173 Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 100 Rz. 32; Habersack, MünchKomm. AktG, § 100 Rz. 16, 50, 59; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 30 Rz. 4; Kiefner, Kölner Komm. AktG, § 251 Rz. 13; Ihrig in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 617; a.A. in Fällen offenkundig fehlender Sachkunde Semler, MünchKomm. AktG, 2. Aufl., § 100 Rz. 109; ferner Wardenbach, Interessenkonflikte und mangelnde Sachkunde als ungeregelte Bestellungshindernisse zum Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft, S. 262 ff., 299 (sogar Nichtigkeit analog § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG).

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Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats | Rz. 1503 § 21

III. Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats 1. Aufgaben a) Ausgangspunkt Die Aufgaben des Aufsichtsrats einer Bank- oder Versicherungs-AG entsprechen im rechtlichen Ausgangspunkt zunächst denen in jeder anderen Aktiengesellschaft. Die zentrale Aufgabe besteht auch hier neben der Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder (§ 84 AktG) in der Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands (§ 111 Abs. 1 AktG). Zu dieser gehört nach allgemeinen Grundsätzen nicht nur die retrospektive Kontrolle, sondern auch die zukunftsgerichtete Überwachung, d.h. die Beratung des Vorstands bei Entscheidungen über die künftige Unternehmenspolitik und in bestimmten Fällen (namentlich § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG) auch die Mitentscheidung (Rz. 57 ff., 62). Prüfungsmaßstab ist wie sonst auch die Rechtund Ordnungsmäßigkeit sowie die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung des Vorstands (Rz. 73 ff.).

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b) Gesteigerte Bedeutung der Legalitätskontrolle Die Konkretisierung dieser allgemeinen Aufgabenstellung hat freilich auf die Besonderheiten des Bank- und Versicherungssektors Rücksicht zu nehmen. So ergibt sich aus der Tatsache, dass der Finanzsektor wesentlich stärker reguliert ist als andere Branchen und das Vorstandshandeln somit besonders weitgehend durch rechtliche Vorgaben bestimmt wird, dass die Kontrolle der Rechtmäßigkeit (Legalitätskontrolle) des Vorstandshandelns in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen von besonders herausgehobener Bedeutung ist174; sie ist erheblich umfangreicher als in nicht aufsichtsunterworfenen Unternehmen. Das KWG hebt diesen Aspekt des Überwachungsauftrags denn auch eigens hervor und stellt klar, dass sich die Kontrolle auch auf die Einhaltung des Aufsichtsrechts zu erstrecken hat: „Das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan muss die Geschäftsleiter auch im Hinblick auf die Einhaltung der einschlägigen bankaufsichtsrechtlichen Regelungen überwachen“ (§ 25d Abs. 6 Satz 1 KWG). Der Aufsichtsrat eines Kreditinstituts muss sich also insbesondere vergewissern, dass der Vorstand hinreichend175 dafür sorgt, – dass Mindesteigenkapital, Liquidität und Kapitalpuffer den komplexen Anforderungen der CRR und der §§ 10 ff. KWG entsprechen, – dass die Begrenzungen für Groß- und Organkredite eingehalten werden (Art. 387 ff. CRR, §§ 13 ff. KWG), – dass das Institut über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation nach §§ 25a, 25c Abs. 4a KWG verfügt und insbesondere ein funktionsfähiges Risikomanagement im Sinne dieser Vorschriften einschließlich der zugehörigen Kontrollverfah-

174 Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 500 f.; Binder, ZGR 2018, 88, 122. 175 Dazu Hopt, ZIP 2013, 1793, 1799, in Erwiderung auf die weitergehende „Optimierungsthese“ von Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22 f.

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§ 21 Rz. 1503 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

ren (internes Kontrollsystem mit Risikocontrolling- und Compliance-Funktion, interne Revision) eingerichtet hat176, – dass das Vergütungssystem den Vorgaben des § 25a Abs. 5–6 KWG und der Institutsvergütungsverordnung genügt (Rz. 1507 f.) und – dass das Institut seinen umfassenden Berichts- und Offenlegungspflichten gegenüber der Aufsicht und der Öffentlichkeit nachkommt. Schon dieser Überblick mag einen Eindruck vermitteln, wie anspruchsvoll die Aufgabe der Legalitätskontrolle in Kreditinstituten ist. Mit der erheblich angewachsenen Komplexität des Aufsichtsrechts, welche die Umsetzung des Basel III-Rahmenwerks durch das sog. CRD IV-Paket mit sich gebracht hat, ist korrespondierend zur Leitungsaufgabe des Vorstands auch die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats noch anspruchsvoller geworden als zuvor. Eine nähere Spezifizierung der Aufgaben (auch) im Bereich der Legalitätskontrolle ergibt sich aus den Aufgabenkatalogen, die § 25d Abs. 8–12 KWG für die zu bildenden Ausschüsse des Aufsichtsrats formuliert (dazu Rz. 1520 ff.). 1504

Ähnliches gilt für Versicherungsunternehmen. Wenngleich das VAG (anders als § 25d Abs. 6 Satz 1 KWG) dies nicht gesondert hervorhebt, ist auch im Versicherungssektor die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben durch den Vorstand ein zentraler Gegenstand des Überwachungsauftrags des Aufsichtsrats177. Auch hier kann sich der Aufsichtsrat ebenso wenig wie im Banksektor darauf zurückziehen, dass die Überwachung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen bereits von der BaFin wahrgenommen wird178. Und auch hier muss sich der Aufsichtsrat auf erheblich gestiegene Anforderungen einrichten, da der Vorstand seit Umsetzung der Solvabilität II-Richtlinie wesentlich komplexere Anforderungen an die Kapitalausstattung179, die Geschäftsorganisation180 und die Berichterstattung an Aufsichtsbehörden und Öffentlichkeit181 erfüllen muss und dementsprechend auch die Komplexität der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats zugenommen hat182.

176 S. dazu die detaillierten Vorgaben der BaFin im Rundschreiben 09/2017 (BA) vom 27.10.2017, Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk BA) nebst Anlagen; Mülbert/Wilhelm, ZHR 178 (2014), 502, 505 ff. 177 Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 500 f. 178 Eingehend Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 483 ff.; ferner Armbrüster, KSzW 2013, 10, 17 f.; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265. 179 § 89 VAG, Art. 62 ff., 83 ff. Solvabilität II-Verordnung. 180 § 23 VAG, Art. 258 ff. Solvabilität II-Verordnung; s. dazu neben den EIOPA-Leitlinien zum Governance System vom 14.9.2015 (EIOPA-BoS-14/253) auch BaFin, Rundschreiben 2/2017 (VA) – Mindestanforderungen an die Geschäftsorganisation von Versicherungsunternehmen (MaGo). 181 Art. 290 ff. Solvabilität II-Verordnung (Bericht über Solvabilität und Finanzlage, regelmäßige aufsichtliche Berichterstattung). 182 Näher Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 501 ff.; Hemeling in Priester/Heppe/Westermann, 10 Jahre Österberg-Seminare, 2018, S. 151 ff.; Winkler, Der Aufsichtsrat im Versicherungsunternehmen nach Solvency II, S. 19 ff., 99 ff.

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Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats | Rz. 1507 § 21

c) Besondere Betonung der Zukunftsgerichtetheit der Kontrolle Es entspricht einer allgemeinen Entwicklung im Aktienrecht, dass sich seit den 1990er Jahren die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats erheblich ausgeweitet hat: Neben die retrospektive Kontrolle ist mit zunehmender Tendenz die zukunftsgerichtete Kontrolle des Vorstandshandelns getreten (Rz. 46 ff., 57 ff.). Die damit einhergehende Verpflichtung des Aufsichtsrats, seine Rolle als mit-unternehmerisches Organ zu verstehen und dem Vorstand in Fragen der künftigen Unternehmenspolitik beratend zur Seite zu stehen, wird im Aufsichtsrecht besonders betont. So wird in § 25d Abs. 6 Satz 2 KWG ausdrücklich klargestellt, dass der Aufsichtsrat insbesondere „der Erörterung von Strategien, Risiken und Vergütungssystemen für Geschäftsleiter und Mitarbeiter ausreichend Zeit widmen“ muss183. Auch wenn im VAG eine gleichlautende Klarstellung fehlt, gilt für die Aufsichtsräte von Versicherungsunternehmen nichts anderes.

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Unter Strategien ist dabei zunächst die eigentliche Geschäftsstrategie zu verstehen, in der die Ziele des Unternehmens für jede wesentliche Geschäftsaktivität sowie die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele dargestellt werden184. Gleichermaßen erörterungsbedürftig ist aber auch die Risikostrategie, die zur Beherrschung der aus der Geschäftsstrategie resultierenden Risiken und insbesondere zur Vermeidung von Risikokonzentrationen (Klumpenrisiken) entwickelt wird185. Bei der Überprüfung der Risikostrategie wird der Aufsichtsrat durch seinen Risikoausschuss unterstützt (§ 25d Abs. 8 KWG, Rz. 1520, 1524 ff.). Sofern § 25d Abs. 6 Satz 2 KWG darüber hinaus generell die Erörterung von Risiken fordert, kann es im Aufsichtsrat und im Risikoausschuss sinnvollerweise nur um die für das Institut wesentlichen Risiken gehen. Diese hängen vom Risikoprofil des jeweiligen Unternehmens ab. Zu berücksichtigen sind bei Kreditinstituten insbesondere Adressenausfallrisiken (einschließlich Länderrisiken), Marktpreis-, Liquiditäts- und operationelle Risiken186, bei Versicherungsunternehmen insbesondere versicherungstechnische Risiken, Markt-, Kredit-, Liquiditäts- und operationelle Risiken187.

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Dass ferner die Erörterung der Vergütungssysteme für Geschäftsleiter und Mitarbeiter eigens hervorgehoben wird, ist durch eine EBA-Leitlinie inspiriert188 und vor dem Hintergrund zu sehen, dass der europäische und deutsche Gesetzgeber die im Finanzsektor ehemals gängigen Vergütungsstrukturen als einen für die Finanzmarkt-

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183 Die Zukunftsgerichtetheit der Kontrolle betont das Gesetz im Übrigen auch für die Aufsicht der BaFin, vgl. insbesondere § 6b Abs. 2 KWG. 184 §§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 25c Abs. 4a Nr. 1 KWG; AT 4.2 Tz. 1 MaRisk BA. 185 §§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 25c Abs. 4a Nr. 1 KWG; AT 4.2 Tz. 2 MaRisk BA; für Versicherungsunternehmen § 26 Abs. 1 Satz 2 VAG, Art. 258 Abs. 2, 259 Abs. 1 lit. a Solvabilität II-Verordnung. 186 § 25c Abs. 4a Nr. 2 lit. a, Abs. 4b Satz 2 Nr. 2 lit. a KWG, AT 2.2 MaRisk BA. 187 Art. 295 Abs. 1, 309 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung. 188 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 87 unter Bezugnahme auf EBA, Leitlinien zur Internen Governance (GL 44) vom 27.9.2011, Nr. 19 Tz. 2.

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§ 21 Rz. 1507 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

krise maßgeblich mitverantwortlichen Faktor ausgemacht haben189. In Reaktion hierauf sind sehr detaillierte aufsichtsrechtliche Vorschriften über die Ausgestaltung der Vergütungssysteme erlassen worden. Für Kreditinstitute finden sich diese in den (in Umsetzung von Art. 92–94 CRD IV-Richtlinie neu gefassten) Vorschriften der §§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, Abs. 5–6, 25d Abs. 5, Abs. 12 KWG und der Institutsvergütungsverordnung (InstVergV)190, für Versicherungsunternehmen in Art. 258 Abs. 1 lit. l, 275 Solvabilität II-Verordnung191, § 25 VAG und der Versicherungsvergütungsverordnung (VersVergV)192. Diese Vorschriften verlangen die Errichtung angemessener, transparenter und auf Nachhaltigkeit ausgerichteter Vergütungssysteme für Geschäftsleiter, Mitarbeiter und Aufsichtsratsmitglieder193. Über die Ausgestaltung der Systeme und ihre Anwendung ist jährlich öffentlich Rechenschaft abzulegen (Art. 450 CRR, § 16 InstVergV, Art. 294 Abs. 1 lit. c Solvabilität II-Verordnung). Ziel dieser aufwändigen Regulierung ist es, im Interesse der Stabilität des Finanzsektors sicherzustellen, dass die handelnden Personen nicht mehr durch Fehlanreize zur Eingehung unverhältnismäßig hoher Risiken verleitet werden. Zu diesem Zweck setzt der Gesetzgeber namentlich auf eine Begrenzung der variablen Vergütung. Während Aufsichtsratsmitgliedern von Kreditinstituten gar keine variable Vergütung mehr gewährt werden darf (§ 25d Abs. 5 KWG; Rz. 1541), sind variable Vergütungen für Geschäftsleiter und Mitarbeiter zwar im Grundsatz weiterhin zulässig; sie müssen 189 Vgl. Empfehlung der Kommission vom 30.4.2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor (2009/384/EG), ABl. EU Nr. L 120 vom 15.5.2009, S. 22, Erwägungsgrund 2; Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik vom 2.6.2010, KOM (2010) 284, S. 11; Begr. RegE Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen (VergAnfG), BT-Drucks. 17/1291, S. 1. 190 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme von Instituten vom 16.12.2013, BGBl. I 2010, 4270; zuletzt geändert durch Verordnung vom 25.7.2017, BGBl. I 2017, 3042, in Reaktion auf die EBA-Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik (EBA/GL/2015/22) vom 27.6.2016 [engl. Fassung vom 21.12.2015]; näher dazu BaFin, Auslegungshilfe zur InstVergV vom 15.2.2018; Fischbach, WM 2018, 1491 ff.; Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 23 ff.; Herz, NZG 2018, 1050 ff.; Duplois, Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankaufsichtsrecht, S. 177 ff., 206 ff. 191 S. dazu BaFin, Auslegungsentscheidung Aspekte der Vergütung (Art. 275 DVO (EU) 2015/35) vom 20.12.2016; Kruchen, VersR 2017, 198 ff.; de Raet/Dörfler, CCZ 2017, 253, 260 ff. Da die Solvabilität II-Richtlinie keine Regelungen zur Vergütung enthält, ist allerdings nicht zweifelsfrei, ob die Art. 258 Abs. 1 lit. l, 275 Solvabilität II-Verordnung von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvabilität II-Richtlinie, Art. 290 Abs. 1 AEUV gedeckt sind; dazu einerseits Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 22; andererseits Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 10 ff.; Obal, ZVersWiss 2015, 411, 416 ff. 192 Verordnung über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Vergütungssysteme im Versicherungsbereich vom 18.4.2016, BGBl. I 2016, 763. Die VersVergV hat allerdings nur noch begrenzte praktische Bedeutung, da nach ihrem § 1 Abs. 2 die wesentlichen Vorschriften der §§ 3, 4 und 6 VersVergV nicht auf Unternehmen anzuwenden sind, die in den Anwendungsbereich des Solvabilität II-Regimes (Art. 2 ff. Solvabilität II-Richtlinie) und damit auch des Art. 275 Solvabilität II-Verordnung fallen oder diese Vorschrift freiwillig anwenden. 193 Zur Aufsichtsratsvergütung s. noch gesondert Rz. 1540 ff.

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Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats | Rz. 1508 § 21

aber in einem angemessenen Verhältnis zur Festvergütung stehen194 und dürfen in Instituten im Sinne des KWG grundsätzlich 100 % der festen Vergütung nicht übersteigen195. Zudem muss die variable Vergütung, sofern sie überhaupt vorgesehen wird196, auf längerfristige Ziele ausgerichtet sein, die nur den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens prämieren197. Bei unzureichender Eigenmittelausstattung des Unternehmens kann die BaFin weitere Beschränkungen für die Auslobung und Auszahlung variabler Vergütungen anordnen198. Im Unterschied zu den aktienrechtlichen Anforderungen (§§ 87, 87a, 162 AktG i.d.F. des ARUG II, DCGK 2020, Rz. 401 ff.) gelten die aufsichtsrechtlichen Vergütungsregeln nicht nur für die Bezüge der Organwalter, sondern auch für die Mitarbeiter der Institute und Versicherungsunternehmen. Für den Aufsichtsrat ergibt sich daraus eine gestufte Verantwortlichkeit: Die Vereinbarkeit des Vergütungssystems der Mitarbeiter mit den aufsichtsrechtlichen Vorgaben fällt primär in den Verantwortungsbereich des Vorstands199; hier ist der Aufsichtsrat „nur“ als Überwachungsorgan gefordert. Für die Recht- und Zweckmäßigkeit der Vergütung der Vorstandsmitglieder und damit auch die Einhaltung der diesbezüglichen aufsichtsrechtlichen Vorgaben ist der Aufsichtsrat dagegen im Rahmen seiner Personalkompetenz in Vorstandsfragen unmittelbar selbst verantwortlich (§ 84 AktG, § 3 Abs. 2 InstVergV, § 3 Abs. 1 Satz 4 VersVergV). Bei der Erfüllung dieser beiden Aufgaben wird der Aufsichtsrat in CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung durch den aus seiner Mit194 Vgl. § 25a Abs. 5 Satz 1 KWG, § 6 InstVergV; für Versicherungsunternehmen Art. 275 Abs. 2 lit. a Solvabilität II-Verordnung; ausführlich Dreher/Gerigk, WM 2018, 1433 ff. 195 § 25a Abs. 5 Satz 2 KWG, § 6 Abs. 2 InstVergV (für Geschäftsleiter und alle Mitarbeiter; insoweit noch über Art. 94 Abs. 1 lit. g, 92 Abs. 2 CRD IV-Richtlinie hinausgehend). Eine höhere variable Vergütung von bis zu 200 % der fixen Vergütung darf nur vereinbart werden, wenn die Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit zustimmt (§ 25a Abs. 5 Sätze 5–9 KWG). Auf die Versicherungsaufsicht lässt sich die 100%- bzw. 200%Grenze ebenso wenig übertragen wie auf das Aktienrecht (§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG); zu Ersterem Dreher/Gerigk, WM 2018, 1433, 1438 f.; zu Letzterem Duplois, Beeinflussung aktienrechtlicher Corporate Governance durch das Bankaufsichtsrecht, S. 217 ff. 196 Zulässig, wenngleich auf Ebene des Vorstands unüblich, ist auch eine reine Festvergütung; für Versicherungsunternehmen BaFin, Auslegungsentscheidung Aspekte der Vergütung (Art. 275 DVO (EU) 2015/35) vom 20.12.2016, unter 3. („wenn damit keine Fehlanreize in Hinblick auf eine unangemessene Steigerung der Risikoneigung und die Eingehung unverhältnismäßiger Risiken verbunden sind“); Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 72; Dreher/Gerigk, WM 2018, 1433, 1437; Kruchen, VersR 2017, 198, 200 f.; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 45; für Kreditinstitute Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 23, 25 m.w.N.; a.A. Krauel/Broichhausen, VersR 2015, 1189, 1194, 1195 (Fixvergütung nur für Aufsichtsratsmitglieder). 197 S. insbesondere § 10 Abs. 2 InstVergV (für Geschäftsleiter) und dazu BaFin, Auslegungshilfe zur InstVergV vom 15.2.2018 , S. 31 f. (mehrjährige Bemessungsgrundlage, mindestens drei Jahre); ferner §§ 18 Abs. 1, 19 Abs. 3, 20–22 InstVergV (für Risikoträger bedeutender Institute); für Versicherungsunternehmen Art. 275 Abs. 1 lit. a Solvabilität IIVerordnung („im Einklang mit den langfristigen Interessen und der langfristigen Leistung des Unternehmens“), § 25 Abs. 1 VAG. 198 § 45 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a, 6 KWG, § 25 Abs. 4 VAG. 199 § 76 Abs. 1 AktG, § 3 Abs. 1 Satz 1 InstVergV, § 3 Abs. 1 Satz 4 VersVergV.

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1508

§ 21 Rz. 1508 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

te zu bildenden Vergütungskontrollausschuss unterstützt (Rz. 1520, 1533 ff.), in Versicherungsunternehmen durch den Vergütungsausschuss, sofern ein solcher nach Maßgabe des Art. 275 Abs. 1 lit. f Solvabilität II-Verordnung gebildet wird (Rz. 1539). In formaler Hinsicht hat der Aufsichtsrat darauf zu achten, dass die Vergütung der Vorstandsmitglieder abschließend im Anstellungsvertrag festgelegt sein muss und dieser ebenso wie spätere Änderungen der Schriftform bedarf (§ 10 Abs. 4 InstVergV, § 3 Abs. 3 VersVergV). Zur Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder selbst s. noch Rz. 1540 ff. d) Zusätzliche aufsichtsrechtliche Einzelaufgaben 1509

Über die genannten Aufgaben hinaus weisen das KWG und vor allem das VAG dem Aufsichtsrat eine Reihe von speziellen aufsichtsrechtlichen Einzelaufgaben zu, die hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden können. In Instituten im Sinne des KWG obliegt dem Aufsichtsrat die Mitentscheidung über Organkredite nach §§ 15, 17 KWG; diese Sonderregeln verdrängen die allgemeine Regelung des § 89 AktG (§ 89 Abs. 6 AktG). In Versicherungsunternehmen besteht eine zusätzliche Aufgabe des Aufsichtsrats insbesondere darin, dass ihm anstelle der Hauptversammlung die Bestellung des Abschlussprüfers des Jahresabschlusses und ggf. auch des Konzernabschlusses obliegt (§ 341k Abs. 2 Satz 1 HGB i.V.m. § 36 VAG; Abweichung von §§ 318 Abs. 1 HGB, § 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Als weitere aufsichtsrechtliche Aufgaben des Aufsichtsrats eines Versicherungsunternehmens sind zu nennen: – die Bestellung eines zuverlässigen und fachlich geeigneten Verantwortlichen Aktuars in Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen (§§ 141 Abs. 3, 156 Abs. 1 VAG), – die Bestellung eines geeigneten Treuhänders für das Sicherungsvermögen (§ 128 Abs. 3 Satz 1 VAG), – die Mitentscheidung über die Beiträge, die in Lebensversicherungsunternehmen für die Überschussbeteiligung der Versicherten zurückzustellen sind (§ 139 Abs. 2 Satz 1 VAG), – in Lebensversicherungsunternehmen die Stellungnahme zu dem Erläuterungsbericht des Verantwortlichen Aktuars im Bericht an die Hauptversammlung (§ 141 Abs. 4 Satz 2 VAG), und – bei Ermächtigung durch die Hauptversammlung: die Anpassung beschlossener Satzungsänderungen an ein Änderungsverlangen der BaFin (§§ 33 Abs. 1, 195 Abs. 3 VAG, Abweichung von § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG). 2. Überwachungsinstrumente a) Allgemeines

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Zur Erfüllung seiner Überwachungsaufgabe stehen dem Aufsichtsrat einer Bankoder Versicherungs-AG zunächst die allgemeinen aktienrechtlichen Überwachungsinstrumente zur Verfügung: die Rechte aus § 111 Abs. 2–4 AktG (insbesondere das Einsichts- und Prüfungsrecht und die Festlegung von Zustimmungs604

Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats | Rz. 1512 § 21

vorbehalten), die Geschäftsordnungsbefugnis nach § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG, die Informationsrechte gegenüber dem Vorstand nach § 90 AktG, das Recht zur Hinzuziehung von Sachverständigen und Auskunftspersonen zur Sitzung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AktG sowie die Befugnisse im Zusammenhang mit Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses nach §§ 171 f. AktG (Rz. 109 ff., 191 ff.). Diese allgemeinen Vorschriften werden im Aufsichtsrecht zunächst dadurch ergänzt, dass die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90 AktG) weiter konkretisiert wird, so in Bezug auf die Risikosituation des Unternehmens und des Konzerns200 und in Bezug auf die Ausgestaltung der Vergütungssysteme für die Mitarbeiter201. Bemerkenswert ist aber vor allem, dass das Aufsichtsrecht auch darauf setzt, die vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats zu stärken, und dem Aufsichtsrat zu diesem Zweck ausdrücklich den direkten Zugang zu bestimmten Funktionsträgern unterhalb des Vorstands eröffnet.

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b) Direktkontakte zu Mitarbeitern im Besonderen aa) Schon vor der CRD IV-Umsetzung verlangte die BaFin als Mindestanforderung für ein angemessenes Risikomanagement (§ 25a KWG), dass der Aufsichtsratsvorsitzende beim Leiter der Internen Revision Auskünfte einholen kann, allerdings „unter Einbeziehung der Geschäftsleitung“202. Zudem zählte schon bisher zu einem angemessenen Risikomanagement, dass die Interne Revision mindestens vierteljährlich nicht nur an den Vorstand, sondern auch an den Aufsichtsrat berichtet203 und den Aufsichtsratsvorsitzenden unverzüglich über schwerwiegende Feststellungen gegen Vorstandsmitglieder in Kenntnis setzt, wenn der Vorstand diese Feststellungen nicht von sich aus weitergibt204. In Wertpapierdienstleistungsunternehmen treten Kontakte zwischen dem Aufsichtsrat und dem Compliance-Beauftragten hinzu205. Seit Umsetzung der CRD IV-Richtlinie geht das KWG indes weiter206: Es gewährt den Vorsitzenden der in CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung zu bildenden Aufsichtsratsausschüsse (Rz. 1520 ff.) bzw. – soweit die Ausschüsse nicht gebildet wurden – dem Aufsichtsratsvorsitzenden die Befugnis, am Vorstand vorbei, d.h. ohne dessen Zustimmung und ohne dessen Anwesenheit, Informationen direkt von wichtigen Funktionsträgern unterhalb des Vorstands einzuholen. Im Einzelnen ist dies vorgesehen für:

200 In angemessenen Abständen, mindestens vierteljährlich nach § 25c Abs. 4a Nr. 3 lit. e, Abs. 4b Satz 2 Nr. 3 lit. d KWG. 201 Mindestens einmal jährlich nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InstVergV, § 3 Abs. 5 Satz 1 VersVergV. 202 BaFin, MaRisk BA, AT 4.4.3 Tz. 2. 203 § 25c Abs. 4a Nr. 3 lit.g, Abs. 4b Nr. 3 lit. g KWG; BaFin, MaRisk BA, BT. 2.4 Tz. 4. 204 BaFin, MaRisk BA, BT 2.4 Tz. 5. 205 BaFin, MaComp BT 1.1 Tz. 2 (Zugang des Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder des Prüfungsausschusses zum Compliance-Beauftragten, allerdings wieder nur „unter Einbeziehung der Geschäftsleitung“). 206 S. zum Folgenden auch Velte/Buchholz, ZBB 2013, 400, 405 f.; Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 542 f.

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1512

§ 21 Rz. 1512 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

– den Vorsitzenden des Risikoausschusses und den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses im Verhältnis zu dem Leiter der Internen Revision und dem Leiter des Risikocontrollings (§ 25d Abs. 8 Satz 7, Abs. 9 Satz 4 KWG) sowie für – den Vorsitzenden des Vergütungskontrollausschusses im Verhältnis zu dem Leiter der Internen Revision, den Leitern der für die Ausgestaltung der Vergütungssysteme zuständigen Organisationseinheiten (§ 25d Abs. 12 Satz 7 KWG) und dem in bedeutenden Instituten zu bestellenden Vergütungsbeauftragten (§§ 23 Abs. 1 Satz 2, 24 Abs. 2 Satz 2 InstVergV, Rz. 1535). Der Vorstand muss jeweils von dem Direktkontakt unterrichtet werden (§ 25d Abs. 8 Satz 8, Abs. 9 Satz 5, Abs. 12 Satz 8 KWG); ausgenommen ist hiervon nur der Direktkontakt zum Vergütungsbeauftragten207. Da das Gesetz nicht ausdrücklich auf einer Vorabunterrichtung besteht, ist anzunehmen, dass ein (unverzüglicher) nachträglicher Hinweis genügt. Dass der Aufsichtsrat häufig gleichwohl eine Vorabunterrichtung vornehmen wird, um das Verhältnis zum Vorstand nicht ohne Not zu belasten, steht auf einem anderen Blatt. Soweit die Ausschüsse nicht gebildet wurden (Rz. 1520), gehen die Befugnisse auf den Vorsitzenden des Aufsichtsrats über (§ 25d Abs. 8 Satz 7, Abs. 9 Satz 4, Abs. 12 Satz 7 KWG). 1513

Die genannten Befugnisse zum direkten Zugriff auf leitende Angestellte bestehen jeweils unabhängig davon, ob Verdachtsmomente dafür vorliegen, dass der Aufsichtsrat oder seine Ausschüsse vom Vorstand unvollständig oder unrichtig informiert worden sind. Das ist insofern bemerkenswert, als die herkömmliche (allerdings zunehmend bestrittene) Auffassung im Aktienrecht abweichend entscheidet und verdachtsunabhängigen Direktkontakten des Aufsichtsrats zum Personal ohne Zustimmung des Vorstands ablehnend gegenübersteht208.

1514

bb) Im Versicherungsaufsichtsrecht ist die Frage der Direktkontakte dagegen bisher nur ansatzweise geregelt209. Ein unbedingtes, verdachtsunabhängiges Direktinformationsrecht ist hier lediglich im Verhältnis zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden und dem in der VersVergV vorgesehenen Vergütungsausschuss, einem mit Vergütungsfragen befassten Gremium unterhalb des Vorstands, geregelt (§ 4 Abs. 7 Satz 3 VersVergV). Seit Inkrafttreten des Solvabilität II-Regimes hat der Vergütungsausschuss nach der VersVergV aber keine praktische Bedeutung mehr210. Ferner ist ein punktueller Direktkontakt zwischen dem Aufsichtsrat und dem Verantwort207 § 24 InstVergV sieht keine Unterrichtungspflicht vor. 208 Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 90 Rz. 11, § 111 Rz. 21; Sailer-Coceani in K. Schmidt/ Lutter, Komm. AktG, § 90 Rz. 39; Mertens/Cahn, Kölner Komm. AktG, § 90 Rz. 52; Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 152 f.; s. auch Rz. 246 ff.; weitergehend Habersack, MünchKomm. AktG, § 111 Rz. 80; Leyens/Schmidt, AG 2013, 533, 542 f. m.w.N. 209 Kritisch Bürkle, ZVersWiss 2012, 493, 503 f. 210 § 4 Abs. 7 VersVergV gilt nämlich nur für Unternehmen, die einerseits bedeutend sind (§ 4 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 VersVergV), andererseits aber nicht dem Solvabilität II-Regime unterliegen (§ 1 Abs. 2 VersVergV). Solche Fälle dürften praktisch nicht vorkommen; Hasse in Annuß/Früh/Hasse, Komm. InstVergV und VersVergV, § 4 VersVergV Rz. 1 („seit dem 1.1.2016 kein praktischer Anwendungsbereich mehr“). Zum Vergütungsausschuss nach Art. 275 Abs. 1 lit. f Solvabilität II-Verordnung s. noch Rz. 1539.

606

Aufgaben und Überwachungsinstrumente des Aufsichtsrats | Rz. 1516 § 21

lichen Aktuar in der Lebensversicherung vorgesehen; dieser hat an der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats teilzunehmen (§ 141 Abs. 4 VAG). 3. Besonderheiten im Konzern Besondere Fragen wirft das Aufsichtsrecht auch für die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats im Konzern auf. Sowohl das Bank- als auch das Versicherungsaufsichtsrecht nehmen in einer Reihe von Vorschriften die Konzernobergesellschaft ausdrücklich in die Pflicht, konzernweit für die Beachtung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu sorgen. Das gilt namentlich für die angemessene Eigenmittelausstattung in Institutsgruppen und Finanzkonglomeraten (§ 10a Abs. 8 KWG, § 18 Abs. 3 FKAG) sowie die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation, insbesondere zur Einrichtung eines wirksamen Risikomanagements und zur angemessenen Ausgestaltung der Vergütungssysteme (§§ 25a Abs. 3, 25c Abs. 4b KWG, § 27 InstVergV; §§ 275, 25 Abs. 3 VAG, § 5 VersVergV). Die ohnehin schon anspruchsvolle Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats einer Konzernobergesellschaft (Rz. 141 ff.) erweitert sich in Bank- und Versicherungskonzernen somit um die Aufgabe, den Vorstand auch daraufhin zu überwachen, ob dieser seiner konzernweiten Verantwortung für die Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben nachkommt211.

1515

Bei der Durchsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben im Konzern stellen sich komplexe konzernrechtliche Fragen, die hier nur angedeutet werden können. Vergleichsweise unproblematisch ist die Rechtslage im Vertragskonzern212. Hier verfügt der Vorstand der Obergesellschaft über schlagkräftige Weisungsrechte, um die aufsichtsrechtlichen Vorgaben konzernweit durchzusetzen (§ 308 AktG)213. Schwieriger ist die Situation im faktischen AG-Konzern. Hier kann der Vorstand der Obergesellschaft mangels Weisungsrecht nur versuchen, den Vorstand der Tochter zu den gewünschten Maßnahmen zu bewegen. In der Regel wird der Tochtervorstand mit Rücksicht auf die Personalgewalt der Obergesellschaft zwar kooperativ sein, doch darf er Einflussnahmen der Obergesellschaft nach § 311 AktG nur nachkommen, wenn die betreffende Maßnahme für die Tochter nicht nachteilig ist oder der Nachteil von der Obergesellschaft ausgeglichen wird. Auf ähnliche Restriktionen mag man je nach anwendbarem Recht auch in ausländischen Konzerngesellschaften stoßen. Das deutsche Aufsichtsrecht bringt im Zusammenhang mit der Eigenmittelausstattung zum Ausdruck, dass es an diesen gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten

1516

211 Näher zum Verhältnis zwischen der aufsichtsrechtlichen Gruppenverantwortung und der aktienrechtlichen Konzernleitungspflicht des Vorstands der Obergesellschaft Binder in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, S. 685, 693 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 495 ff. 212 Das Aufsichtsrecht steht dem Abschluss von Beherrschungsverträgen, mit denen sich ein aufsichtsunterworfenes Unternehmen auch nachteiligen Weisungen des herrschenden Unternehmens unterstellt, nach heute herrschender und zutreffender Auffassung nicht im Wege; s. BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, NZG 2013, 987 = AG 2013, 680 Rz. 41 ff.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 504 f. m.w.N. auch zur Gegenansicht. 213 Binder in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, S. 685, 704 f.; Tröger, ZHR 177 (2013), 475, 503 f.; Dreher/Schaaf, WM 2008, 1765, 1772 f.

607

§ 21 Rz. 1516 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

nicht rütteln will, sondern die allgemeinen konzernrechtlichen Grenzen der Einflussnahme akzeptiert (§ 10a Abs. 8 Satz 2 KWG, § 18 Abs. 3 Satz 2 FKAG)214. Eine neuere Ansicht im Schrifttum versucht jedoch, die konzernrechtlichen Grenzen aufzuweichen, indem sie aus dem Aufsichtsrecht ungeschriebene Kooperationspflichten der Untergesellschaft ableitet, die sich letztlich aus dem öffentlichen Interesse an einer effektiven konzernweiten Durchsetzung des Aufsichtsrechts ergeben sollen215.

IV. Interne Organisation des Aufsichtsrats 1517

In mehrfacher Hinsicht durch das Aufsichtsrecht überlagert werden auch die aktienrechtlichen Regeln zur internen Organisation des Aufsichtsrats. 1. Teilnahmerecht der BaFin an Sitzungen

1518

Besonderheiten gelten zunächst für die Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen. An diesen können auch Vertreter der BaFin teilnehmen (§ 44 Abs. 4 KWG, § 306 Abs. 1 Nr. 4 VAG), was in der Praxis vielfach geschieht216. Die BaFin-Vertreter haben in den Sitzungen ein Rederecht (§ 44 Abs. 4 Satz 2 KWG, § 306 Abs. 1 Nr. 4 VAG), aber kein Stimmrecht217. Zudem ist die BaFin befugt, die Einberufung von Aufsichtsratssitzungen zu verlangen (§ 44 Abs. 5 KWG, § 306 Abs. 1 Nr. 5 VAG). Entsprechendes gilt für Sitzungen von Aufsichtsratsausschüssen218. Diese Befugnisse stehen

214 S. darüber hinaus zum Risikomanagement Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BTDrucks. 17/10974, S. 86, wo es zwar zunächst heißt, dass die Einwirkungsrechte des übergeordneten Unternehmens uneingeschränkt gelten sollen, sodann aber folgende Feststellung getroffen wird: „unberührt bleibt das Recht des nachgeordneten Unternehmens, Weisungen des übergeordneten Unternehmens zum Abschluss für das nachgeordnete Unternehmen nachteiliger (...) Rechtsgeschäfte oder zur Durchführung anderer nachteiliger Maßnahmen nicht auszuführen. Damit wird Grundsätzen deutschen Gesellschaftsrechts Rechnung getragen.“ 215 Binder in Hopt/Wohlmannstetter, Handbuch Corporate Governance von Banken, S. 685, 709 f.; eingehend Tröger, ZHR 177 (2013), 475 ff. („Sonderkonzernrecht“, „Überformung des Verbandsrechts infolge aufsichtsrechtlicher Wertungen“), u.a. unter Berufung auf einen Umkehrschluss aus Art. 104 Abs. 3 CRD IV-Richtlinie und § 25a Abs. 3 Satz 3 KWG; ferner Mülbert/Wilhelm, ZHR 178 (2014), 502, 532 f.; Weber-Rey/Gissing, AG 2014, 884, 888 ff. Ablehnend Dreher/Ballmaier, ZGR 2014, 753, 771 ff.; Dreher, WM 2015, 649, 656, 658 f.; Wundenberg, Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, S. 177 f., 197 ff. 216 Hemeling in Priester/Heppe/Westermann, 10 Jahre Österberg Seminare, 2018, S. 151, 153. 217 Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 44 Rz. 28; Bähr in Kaulbach/ Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 306 Rz. 16. Näher zum Ganzen Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 501 ff. 218 Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 501 (a maiore ad minus).

608

Interne Organisation des Aufsichtsrats | Rz. 1521 § 21

der BaFin auch zu, wenn ein Institut der unmittelbaren Aufsicht der EZB untersteht; die BaFin wird dann in Abstimmung mit der EZB tätig (Art. 6 Abs. 6 Unterabs. 2 SSM-Verordnung)219. 2. Ausschüsse des Aufsichtsrats Vor allem aber enthält das Aufsichtsrecht, genauer gesagt das Bankaufsichtsrecht, seit der CRD IV-Umsetzung detaillierte Vorgaben über die vom Aufsichtsrat aus seiner Mitte zu bildenden Ausschüsse (§ 25d Abs. 7-12 KWG; Rz. 1520 ff.). Es greift damit tief in das Selbstorganisationsrecht des Aufsichtsrats ein220. Das Versicherungsaufsichtsrecht kennt dagegen keine vergleichbaren Vorgaben (zum Vergütungsausschuss s. aber noch Rz. 1539).

1519

a) Kreditinstitute aa) Allgemeines, Besetzung der Ausschüsse Nach § 25d Abs. 8–12 KWG müssen Verwaltungs- und Aufsichtsräte von CRR-Instituten von erheblicher Bedeutung (Abs. 3 Satz 1) und ihnen gleichgestellte Unternehmen (Abs. 3 Satz 2) vier Pflichtausschüsse bilden: Risiko-, Prüfungs-, Nominierungs- und Vergütungskontrollausschuss221. In Bezug auf Risiko-, Nominierungsund Vergütungskontrollausschuss werden damit die Vorgaben aus Art. 76, 88 und 95 CRD IV-Richtlinie umgesetzt; hinsichtlich des Prüfungsausschusses ist der deutsche Gesetzgeber einer Empfehlung der EBA gefolgt222.

1520

Für die sonstigen (nicht von § 25d Abs. 3 Satz 1-2 KWG erfassten) Institute bestimmt § 25d Abs. 7 Satz 1 KWG inzwischen nur noch, dass der Aufsichtsrat abhängig von Größe, interner Organisation sowie Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäfte des Unternehmens die Ausschüsse gemäß Abs. 8-12 einrichten

1521

219 S. dazu auch Begr. RegE Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz, BT-Drucks. 18/10935, S. 29. 220 Kritisch Hopt, ZIP 2013, 1793, 1797 („eng geschnürtes Verhaltenskorsett“). 221 In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften kommt noch der zwingend zu bildende Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG hinzu. 222 Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 88 unter Bezugnahme auf EBA, Leitlinien zur Internen Governance (GL 44) vom 27.9.2011, Nr. 14 Tz. 9; in der aktuellen Fassung der EBA, Leitlinien zur Internen Governance (EBA/GL/2017/11) vom 15.3.2018 (engl. Fassung vom 26.9.2017) findet sich die betreffende Passage nicht mehr. Die Aufgaben des Prüfungsausschusses sind in Art. 39 Abs. 6 der Abschlussprüfer-Richtlinie geregelt (Richtlinie 2006/43/EG vom 17.5.2006; zuletzt geändert durch Richtlinie 2014/56/EU vom 16.4.2014). Diese Richtlinie verlangt aber nicht zwingend die Einrichtung eines Prüfungsausschusses, sondern lässt auch die Erledigung seiner Aufgaben durch den Gesamtaufsichtsrat zu; s. Art. 39 Abs. 4 der Richtlinie und dazu Rz. 190; Habersack, MünchKomm. AktG, § 100 Rz. 5, § 107 Rz. 111; eingehend Hoffmann, NZG 2016, 441 ff.

609

§ 21 Rz. 1521 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

„soll“223. Diese Bestimmung wird so verstanden, dass dem Aufsichtsrat ein Organisationsermessen verbleibt224, dessen Ausübung von der BaFin nur eingeschränkt überprüft wird. Die BaFin erwartet lediglich, dass der Aufsichtsrat anhand der genannten Kriterien nachvollziehbar über die Bildung der Ausschüsse entscheidet, diese Entscheidung dokumentiert und sie bei unterbliebener Ausschussbildung in angemessenen Abständen überprüft225. Widrigenfalls kann die BaFin die Bildung der Ausschüsse verbindlich anordnen (§ 25d Abs. 7 Satz 5 KWG). Werden keine Ausschüsse gebildet, sind die Aufgaben der Ausschüsse nach § 25d Abs. 8–12 KWG vom Aufsichtsratsplenum wahrzunehmen226. Auch der Aufsichtsrat eines kleineren Instituts hat also grundsätzlich die gleichen Kontrollfunktionen zu erfüllen; in Konsequenz des Proportionalitätsprinzips ergeben sich jedoch geringere Anforderungen an die Häufigkeit, Intensität und Tiefe der Erfüllung einzelner Aufgaben227. 1522

Jeder der zu bildenden Ausschüsse soll mindestens drei Mitglieder haben228 und eines davon zum Vorsitzenden wählen (§ 25d Abs. 7 Satz 2 KWG). Bei der Besetzung der Ausschüsse sind die besonderen Anforderungen an die Qualifikation der Ausschussmitglieder zu berücksichtigen, namentlich die des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses sowie des Vergütungs- und Risikoexperten im Vergütungskontrollausschuss (Rz. 1463). Ferner ist darauf zu achten, dass dem Vergütungskontrollausschuss in mitbestimmten Gesellschaften mindestens ein Arbeitnehmervertreter angehören muss (§ 25d Abs. 12 Satz 4 KWG)229 und dass mindestens ein Mitglied eines jeden Ausschusses einem weiteren Ausschuss angehören soll (§ 25d Abs. 7 Satz 4 KWG). Diese partielle personelle Überlappung („cross participation“) soll die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den Ausschüssen verbessern230. Da es 223 So die seit dem Abwicklungsmechanismusgesetz (AbwMechG) vom 2.11.2015, BGBl. I 2015, 1864, geltende Fassung; weitergehend noch § 25d Abs. 7 KWG a.F. („hat zu bestellen“). 224 Binder, ZGR 2018, 88, 117. 225 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 47 f. 226 Begr. RegE AbwMechG, BT-Drucks. 18/5009, S. 75; BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 49; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 126. 227 BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 49. 228 So BaFin-Merkblatt zu den Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 12.11.2018, S. 48. Sofern dem Ausschuss Beschlusskompetenzen übertragen werden (Rz. 1523), ergibt sich dies zwingend schon aus dem Aktienrecht (§ 108 Abs. 2 Satz 3 AktG); im Übrigen genügen nach Aktienrecht zwei Ausschussmitglieder (Rz. 768). 229 Vgl. Art. 95 Abs. 2 Satz 3 CRD IV-Richtlinie. 230 Der deutsche Gesetzgeber greift damit eine Leitlinie der EBA auf; Begr. RegE CRD IVUmsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 88 unter Hinweis auf EBA, Leitlinien zur Internen Governance (GL 44) vom 27.9.2011, Nr. 14 Tz. 8 (entspricht Nr. 56 der aktuellen EBA-Leitlinien zur Internen Governance [EBA/GL/2017/11] vom 15.3.2018 [engl. Fassung vom 26.9.2017]).

610

Interne Organisation des Aufsichtsrats | Rz. 1525 § 21

sich um eine „Soll“-Vorschrift handelt, kann hiervon bei Vorliegen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung auch ohne Zustimmung der BaFin abgewichen werden. Das KWG spricht davon, dass die zu bildenden Ausschüsse den Gesamtaufsichtsrat bei seinen Aufgaben „beraten und unterstützen“ (§ 25d Abs. 7 Satz 1 KWG). Die Möglichkeit, den Pflichtausschüssen oder sonstigen Ausschüssen zusätzlich auch Beschlusskompetenzen zu übertragen, wird dadurch jedoch nicht ausgeschlossen231. In den Grenzen des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG und der anerkannten ungeschriebenen Delegationsverbote (Rz. 746) können somit auch in Kreditinstituten beschließende Ausschüsse eingerichtet werden. Ebenso steht es dem Aufsichtsrat frei, den Pflichtausschüssen neben den Aufgaben nach § 25d Abs. 8-12 KWG noch weitere Aufgaben zu übertragen. Auch im Übrigen bleiben, soweit die aufsichtsrechtlichen Sonderregeln nichts Abweichendes vorschreiben, die allgemeinen aktienrechtlichen Regeln über Aufsichtsratsausschüsse anwendbar (Rz. 745 ff.). Insbesondere bleibt es auch hier dabei, dass die Aufgabendelegation an die Ausschüsse den Gesamtaufsichtsrat nicht von seiner Verantwortung für die delegierten Aufgaben entbindet, sondern dieser die Tätigkeit der Ausschüsse überwachen und sich zu diesem Zweck regelmäßig über die Ausschusstätigkeit berichten lassen muss (Rz. 750).

1523

bb) Risikoausschuss Zu den Aufgaben des Risikoausschusses gehört dreierlei: Erstens hat er den Aufsichtsrat in Fragen der Risikostrategie und der Überwachung der Umsetzung dieser Strategie durch den Vorstand zu beraten und zu unterstützen (§ 25d Abs. 8 Satz 2 KWG)232. Zweitens obliegt es ihm, die Vereinbarkeit der Konditionen im Kundengeschäft mit dem Geschäftsmodell und der Risikostruktur des Instituts zu überwachen (§ 25d Abs. 8 Satz 3–4 KWG)233. Unbeschadet der Aufgaben des Vergütungskontrollausschusses hat er drittens die von dem Vergütungssystem ausgehenden Anreize auf die Risiko-, Kapital- und Liquiditätsstruktur des Unternehmens zu prüfen (§ 25d Abs. 8 Satz 5–6 KWG)234. Letzteres bedingt eine enge Zusammenarbeit mit dem Vergütungskontrollausschuss (§ 25d Abs. 12 Satz 5 KWG).

1524

Damit der Risikoausschuss seine Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehmen kann, wird dem Ausschussvorsitzenden der direkte Zugriff auf den Leiter der Internen Revision und den Leiter des Risikocontrollings eröffnet (§ 25d Abs. 8 Satz 7–8 KWG, Rz. 1512 f.). Zudem kann er, soweit zur Aufgabenerfüllung erforderlich, externen Sachverstand einholen (§ 25d Abs. 8 Satz 9 KWG). Dabei handelt es sich allerdings bei Licht besehen nur um die Klarstellung eines allgemeinen, auch für andere Ausschüsse geltenden Grundsatzes235. Um eine hinreichende Informationsversorgung des Risikoausschusses sicherzustellen, wird dem Risikoausschuss aufgegeben, eine

1525

231 Zutreffend Apfelbacher/Metzner, AG 2013, 773, 779; Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 300 f.; a.A. offenbar Thelen-Pischke/Sawahn, Kreditwesen 2013, 72, 74. 232 Vgl. Art. 76 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 1 CRD IV-Richtlinie. 233 Vgl. Art. 76 Abs. 3 Unterabs. 3 CRD IV-Richtlinie. 234 Vgl. Art. 76 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 2 CRD IV-Richtlinie. 235 S. Rz. 786; ferner Hoffmann-Becking, ZGR 2011, 136, 139 ff., 142 („Annexkompetenz“).

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§ 21 Rz. 1525 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Informationsordnung zu erlassen und darin Format und Häufigkeit der Vorstandsberichte zum Thema Strategie und Risiko festzulegen (§ 25d Abs. 8 Satz 10 KWG)236. . Über die Bildung des Risikoausschusses und die Anzahl seiner Sitzungen ist nach Art. 435 Abs. 2 lit. d CRR jährlich öffentlich zu berichten (Rz. 1496). cc) Prüfungsausschuss 1526

Die Aufgaben des Prüfungsausschusses (§ 25d Abs. 9 Satz 2 KWG) decken sich weitgehend mit den in §§ 107 Abs. 3 Satz 2-3, 124 Abs. 3 Satz 2 AktG beschriebenen Aufgaben237. Auf die dazu getroffenen Feststellungen (Rz. 755 ff.) kann Bezug genommen werden, wobei freilich zu beachten ist, dass das zu überwachende Risikomanagementsystem in Kreditinstituten nach §§ 25a, 25c Abs. 4a KWG wesentlich strengeren Anforderungen genügen muss als in der Normal-AG. Über den Aufgabenkatalog des § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG hinaus verlangt das KWG, dass der Prüfungsausschuss dem Aufsichtsrat auch Vorschläge zur Vergütung des Abschlussprüfers unterbreiten muss (§ 25d Abs. 9 Satz 2 Nr. 3 KWG). Zudem hat er den Aufsichtsrat dabei zu unterstützen, die Behebung der vom Abschlussprüfer festgestellten Mängel durch den Vorstand zu überwachen (§ 25d Abs. 9 Satz 2 Nr. 4 KWG)238.

1527

Um die Aufgabenwahrnehmung durch den Prüfungsausschuss zu effektivieren, ist auch hier der Direktkontakt zwischen dem Ausschussvorsitzenden und dem Leiter der Internen Revision und dem Leiter des Risikocontrollings vorgesehen (§ 25d Abs. 9 Satz 4–5 KWG, Rz. 1512 f.). Hinsichtlich der Person des Ausschussvorsitzenden sind neben dem geforderten Sachverstand in Rechnungslegung und Abschlussprüfung (Rz. 1463) in börsennotierten Gesellschaften die Empfehlungen in D.4 DCGK 2020 zu berücksichtigen (Unabhängigkeit, Inkompatibilität mit Aufsichtsratsvorsitz; Rz. 755).

1528

Risiko- und Prüfungsausschuss können zu einem gemeinsamen Ausschuss verbunden werden, wenn dies unter Berücksichtigung von Größe und Organisation des Instituts sowie Umfang, Art, Komplexität und Risikogehalt der betriebenen Geschäfte sinnvoll ist (§ 25d Abs. 10 Satz 1 KWG)239. Die Verbindung der Ausschüsse muss der BaFin angezeigt werden (§ 25d Abs. 10 Satz 2 KWG).

236 Vgl. Art. 76 Abs. 4 Unterabs. 2 Satz 1 CRD IV-Richtlinie. 237 Diese beruhen ihrerseits auf den Vorgaben des Art. 39 Abs. 6 Abschlussprüfer-Richtlinie (Richtlinie 2006/43/EG vom 17.5.2006, zuletzt geändert durch Richtlinie 2014/56/EU vom 16.4.2014); näher Rz. 755 ff. 238 Diese Ergänzungen sind durch die früheren EBA-Leitlinien zur Internen Governance (GL 44) vom 27.9.2011, Nr. 14 Tz. 9, inspiriert; vgl. Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 88. 239 Vgl. Art. 76 Abs. 3 Unterabs. 4 CRD IV-Richtlinie.

612

Interne Organisation des Aufsichtsrats | Rz. 1530 § 21

dd) Nominierungsausschuss Der Nominierungsausschuss (§ 25d Abs. 11 KWG)240 unterstützt den Aufsichtsrat in Personalfragen. Sein Aufgabenbereich bezieht sich zum einen auf die Besetzung des Vorstands: Er erarbeitet ein Anforderungsprofil und unterbreitet dem Aufsichtsrat Vorschläge für geeignete Vorstandskandidaten, wobei er neben der Qualifikation auch die Diversität zu berücksichtigen hat (§ 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 1 KWG)241. Zudem evaluiert er mindestens einmal jährlich Zusammensetzung, Leistung und Qualifikation des Vorstands und seiner einzelnen Mitglieder (§ 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 3–4 KWG). Zum anderen hat sich der Nominierungsausschuss mit der Besetzung des Aufsichtsrats zu befassen. Er bereitet die Wahlvorschläge des Aufsichtsrats nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG vor (erneut unter Rücksicht auf Qualifikation und diversity, § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 1 KWG). Ferner entwickelt er eine Zielvorgabe und Strategie zur Frauenförderung im Aufsichtsrat (§ 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 2 KWG)242. In mitbestimmten und/oder börsennotierten Gesellschaften sind daneben die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen zur Geschlechterquote (§§ 96 Abs. 2, 111 Abs. 5 AktG, § 289f Abs. 2 Nr. 4-5, Abs. 4 HGB) zu beachten (Rz. 1493). Mindestens einmal jährlich hat der Nominierungsausschuss ferner die Zusammensetzung, Leistung und Qualifikation des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder zu bewerten (§ 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 3–4 KWG, Rz. 1471). Nach Art. 435 Abs. 2 lit. b, c CRR sind die Strategien für die Besetzung des Vorstands und des Aufsichtsrats einschließlich der Diversitätsstrategie mindestens einmal jährlich zu veröffentlichen.

1529

Unklar und missglückt ist die Vorschrift des § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 5 KWG. Nach ihr hat der Nominierungsausschuss den Aufsichtsrat auch bei der „Überprüfung der Grundsätze der Geschäftsleitung für die Auswahl und Bestellung der Personen der oberen Leitungsebene und bei diesbezüglichen Empfehlungen an die Geschäftsleitung zu unterstützen. Dunkel bleibt, wer die angesprochenen „Personen der oberen Leitungsebene“ sein sollen. Versteht man darunter die Geschäftsleiterebene, so bleibt die Vorschrift ohne Anwendungsbereich, da sich die Geschäftsleiter (in der AG: die Vorstandsmitglieder, § 1 Abs. 2 KWG) nicht selbst auswählen und bestellen. Ein Blick auf die zugrunde liegende Richtlinienbestimmung (Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. d CRD IV-Richtlinie) legt nahe, dass § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 5 KWG in der Tat redundant ist und auf einem Redaktionsversehen bei der Umsetzung beruht243. Eine extensivere Interpretation in dem Sinne, dass mit Personen der oberen

1530

240 Vgl. Art. 88 Abs. 2 CRD IV-Richtlinie. Eingehend zum Nominierungsausschuss Hönsch/ Kaspar, AG 2014, 297 ff. 241 S. bereits Rz. 1493. 242 Diese Vorschrift bleibt allerdings hinter der Vorgabe aus Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. a, 91 Abs. 10 CRD IV-Richtlinie zurück. Die Richtlinie gibt dem Nominierungsausschuss die Erarbeitung einer Frauenförderungsstrategie in Bezug auf das gesamte „Leitungsorgan“ auf, also auch für die Besetzung des Vorstands; Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 165; Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 303. 243 Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. d CRD IV-Richtlinie lautet: „Er (scil. der Nominierungsausschuss) überprüft den Kurs des Leitungsorgans bei der Auswahl und der Bestellung der Geschäftsleitung und richtet Empfehlungen an das Leitungsorgan.“ Der Begriff Leitungsorgan umfasst nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 7 CRD IV-Richtlinie im dualistischen System

613

§ 21 Rz. 1530 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Leitungsebene auch die erste Ebene unterhalb der Geschäftsleiter gemeint ist244, ist jedenfalls durch die Richtlinie nicht veranlasst; sie ist offenbar auch vom deutschen Gesetzgeber nicht beabsichtigt245. 1531

Auch der Nominierungsausschuss kann – wie jeder Ausschuss (Rz. 786, 1525) – externe Berater hinzuziehen (§ 25d Abs. 11 Satz 3–4 KWG). Darüber hinaus kann er nach dieser Vorschrift auch sonst „auf alle Ressourcen zurückgreifen, die er für angemessen hält“, also z.B. auch auf die Zuarbeit durch Personal des Unternehmens246.

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Nicht abgestimmt auf die Bestimmungen des KWG ist die Kodexempfehlung in D.5 DCGK 2020, den Nominierungsausschuss nur mit Anteilseignervertretern zu besetzen (Rz. 760 f.)247. Die Empfehlung geht von der Vorstellung aus, dass sich die Aufgabe des Nominierungsausschusses auf die Erarbeitung von Vorschlägen für die Aufsichtsratswahl konzentriert. Für diesen Fall leuchtet die empfohlene Beschränkung auf Anteilseignervertreter unmittelbar ein, da auch über den Wahlvorschlag selbst nach § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG allein diese entscheiden. Die Aufgaben des Nominierungsausschusses nach dem KWG sind aber weiter gefasst; sie beziehen sich auch auf Vorschläge für die Besetzung des Vorstands und umfassen damit Aufgaben, die in der Normal-AG häufig dem Personalausschuss (Rz. 752) zugewiesen werden. Sachliche Gründe, die Arbeitnehmervertreter auch von diesen Aufgaben fernzuhalten, bestehen nicht; eine Besetzung nur mit Anteilseignervertretern würde daher bei fehlender Zustimmung der Arbeitnehmerbank gegen das mitbestimmungsrechtliche

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neben dem Vorstand auch den Aufsichtsrat. Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 2 lit. d CRD IVRichtlinie hat daher die Bestellung der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat oder (im monistischen System) die Bestellung der geschäftsführenden Direktoren durch den Verwaltungsrat (board) im Blick; hierbei soll der Nominierungsausschuss den Aufsichtsbzw. Verwaltungsrat unterstützen. In der deutschen Umsetzung ist diese Aufgabe bereits durch § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 1, 3 und 4 KWG abgedeckt. Die missglückte Regelung des § 25d Abs. 11 Satz 2 Nr. 5 KWG beruht dagegen darauf, dass der deutsche Gesetzgeber den Begriff Leitungsorgan i.S. der Richtlinie fehlerhaft mit dem engeren Begriff Geschäftsleitung (§ 1 Abs. 2 KWG) übersetzt hat. So Brogl in Reischauer/Kleinhans, Komm. KWG, § 25d Rz. 157; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, Komm. KWG, § 25d Rz. 76; Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 306 f.; ferner Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 173 (erste Führungsebene unterhalb der Geschäftsleitung und sonstige Inhaber von Schlüsselfunktionen). Der Wille zu einer überschießenden Umsetzung ist aus den Materialien nicht ablesbar; vgl. Begr. RegE CRD IV-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 17/10974, S. 88. Fraglich ist allerdings, ob er sich uneingeschränkt unmittelbar an das Personal wenden kann oder diese Unterstützung grundsätzlich nur über den Vorstand anfordern kann; für Letzteres Brogl in Reischauer/Kleinhans, Komm. KWG, § 25d Rz. 159 (Umkehrschluss aus § 25d Abs. 8 Satz 7, Abs. 9 Satz 4, Abs. 12 Satz 7 KWG); zurückhaltend auch Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 307; allgemein zu der Streitfrage der Reichweite des Direktinformationsrechts Rz. 246 ff., 1513. Seit 2015 enthält die Präambel des Kodex aber immerhin den Hinweis, dass sich aus dem Aufsichtsrecht Besonderheiten für die Corporate Governance börsennotierter Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen ergeben, die im Kodex nicht berücksichtigt sind.

Interne Organisation des Aufsichtsrats | Rz. 1534 § 21

Diskriminierungsverbot (Rz. 769 f.) verstoßen248. In der Praxis sind denn auch regelmäßig Arbeitnehmervertreter in den Nominierungsausschüssen von mitbestimmten Instituten vertreten249. Soweit der Nominierungsausschuss allerdings darüber abstimmt, welche Kandidaten für die Wahl von Anteilseignervertretern er dem Aufsichtsrat für dessen Vorschlag an die Hauptversammlung benennt, ist es den Arbeitnehmervertretern verwehrt, daran mitzuwirken250. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG, der die Arbeitnehmervertreter von der Abstimmung über den Wahlvorschlag im Aufsichtsrat ausschließt251. ee) Vergütungskontrollausschuss Der vierte Pflichtausschuss des Aufsichtsrats ist der Vergütungskontrollausschuss (§ 25d Abs. 12 KWG)252. Ihm müssen mindestens ein Vergütungs- und Kontrollexperte und in mitbestimmten Gesellschaften mindestens ein Arbeitnehmervertreter angehören (§ 25d Abs. 12 Satz 3–4 KWG, Rz. 1463, 1522). Der Vergütungskontrollausschuss ist nicht zu verwechseln mit dem Vergütungsausschuss, der nach § 6 InstVergV a.F. in bedeutenden Instituten von der Geschäftsleitung – nicht vom Aufsichtsrat – einzurichten und mit Mitarbeitern des Instituts zu besetzen war; diese Verpflichtung ist mit der Neufassung der InstVergV im Zuge der CRD IV-Umsetzung entfallen.

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Die in § 25d Abs. 12 Satz 2 Nr. 1–3 KWG, § 15 Abs. 2–4 InstVergV und den einschlägigen EBA-Leitlinien253 wortreich umschriebenen Aufgaben des Vergütungskontrollausschusses bestehen zusammengefasst darin, zum einen die vom Vorstand eingerichteten Vergütungssysteme für die Mitarbeiter zu überwachen und zum anderen die dem Aufsichtsrat obliegende Gestaltung der Vorstandsvergütung vorzubereiten und zu unterstützen. Dabei hat der Ausschuss insbesondere darauf zu achten, dass die detaillierten rechtlichen Vorgaben des § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, Abs. 5–6

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248 Kleinert in Beck/Samm/Kokemoor, Komm. KWG, § 25d Rz. 161; Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 299. Die Arbeitnehmervertreter können aber auf eine Mitwirkung im Nominierungsausschuss verzichten, da das Gesetz diese anders als im Vergütungskontrollausschuss (§ 25d Abs. 12 Satz 4 KWG) nicht zwingend verlangt. 249 Dies berichten Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 299; ferner Rieckers, DB 2015, 2131, 2132, unter Hinweis darauf, dass sich die börsennotierten Institute mit der Erklärung einer Kodexabweichung behelfen. 250 Nach Hönsch/Kaspar, AG 2014, 297, 299, soll ihnen darüber hinaus auch die Mitwirkung an der vorausgehenden Beratung verwehrt sein; s. dazu nachfolgende Fn. 251 Ob die Arbeitnehmervertreter – über den Wortlaut des § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG hinaus – neben der Abstimmung auch von der Beratung ausgeschlossen sind, ist zweifelhaft und umstritten; bejahend etwa Hüffer/Koch, Komm. AktG, § 124 Rz. 26; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, § 101 Rz. 79; wohl zu Recht verneinend aber Habersack, MünchKomm. AktG, § 101 Rz. 16; Hoffmann-Becking, Münchener Hdb. AG, § 30 Rz. 37 mit berechtigtem Hinweis auf die Parallele zu § 32 Abs. 1 Satz 2 MitbestG. 252 Vgl. Art. 95 CRD IV-Richtlinie (dort als Vergütungsausschuss bezeichnet; zur Terminologie im deutschen Recht s. aber sogleich im Text). 253 EBA-Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik (EBA/GL/2015/22) vom 27.6.2016 (engl. Fassung vom 21.12.2015), Rz. 51 f.

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§ 21 Rz. 1534 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

KWG und der InstVergV (Rz. 1507 f.), in Bezug auf Vorstandsmitglieder auch des § 87 AktG (Rz. 395 ff.), eingehalten werden. In börsennotierten Gesellschaften werden nach Umsetzung der geänderten Aktionärsrechte-Richtlinie zudem die neuen Vorschriften zum Aktionärsvotum über die Vergütungspolitik und den Vergütungsbericht (§§ 87a, 113 Abs. 3, 120a, 162 AktG-E, Rz. 579 ff.) zu beachten sein. 1535

Was zunächst die Vergütungssysteme für die Mitarbeiter betrifft, so fällt deren angemessene Ausgestaltung in die Zuständigkeit des Vorstands; insoweit bewendet es also bei einer überwachenden Tätigkeit des Aufsichtsrats und damit auch des Vergütungskontrollausschusses. Dabei hat der Ausschuss besonderes Augenmerk auf die Vergütungen für die Leiter der Risikocontrolling- und der Compliance-Funktion sowie solcher Mitarbeiter zu richten, die einen wesentlichen Einfluss auf das Gesamtrisikoprofil des Instituts haben (sog. risk taker, § 25d Abs. 12 Satz 2 Nr. 1 KWG)254. Zudem hat er die Auswirkungen der Vergütungssysteme auf das Risiko-, Kapitalund Liquiditätsmanagement zu bewerten. Unterstützt wird der Ausschuss bei seiner Überwachungstätigkeit durch den in bedeutenden Instituten (§ 17 InstVergV) zwingend zu bestellenden Vergütungsbeauftragten. Dabei handelt es sich um einen unterhalb des Vorstands angesiedelten leitenden Angestellten, der vom Vorstand nach Anhörung des Aufsichtsrats bestellt wird und die Vergütungssysteme der Mitarbeiter ständig zu überwachen hat (§§ 23 f. InstVergV). Der Vergütungsbeauftragte ist angehalten, eng mit dem Vorsitzenden des Vergütungskontrollausschusses zu kooperieren und diesem – ohne dass es dazu der Einschaltung des Vorstands bedürfte – Auskünfte zu erteilen (§ 24 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 InstVergV). Zudem hat der Beauftragte einmal jährlich einen Vergütungskontrollbericht zu verfassen und diesen dem Vorstand, dem Aufsichtsrat und dem Vergütungskontrollausschuss vorzulegen (§ 24 Abs. 3 Satz 1 InstVergV). Der Ausschuss kann eine häufigere Berichterstattung verlangen; zudem hat der Beauftragte auch anlassbezogen Bericht zu erstatten (§ 24 Abs. 3 Satz 2 und 3 InstVergV).

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Die Festsetzung der Vorstandsvergütung obliegt dagegen unmittelbar dem Aufsichtsrat (§ 84 AktG, § 3 Abs. 2 InstVergV); hier geht es somit nicht nur um Überwachung, sondern um eigene aktive Gestaltung. Die letztverbindlichen Entscheidungen über die Vorstandsvergütung sind zwar zwingend dem Aufsichtsratsplenum vorbehalten (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG). Der Vergütungskontrollausschuss hat die betreffenden Entscheidungen aber vorzubereiten und die Angemessenheit des angewendeten Vergütungssystems regelmäßig zu überprüfen. Nach § 25d Abs. 12 Satz 2 Nr. 2 KWG255 muss er dabei besonders die Auswirkungen auf die Risikoneigung des Vorstands berücksichtigen und neben den Interessen der Anteilseigner, Anleger und sonstiger Beteiligter (namentlich der Arbeitnehmer) auch dem „öffentlichen Interesse“ Rechnung tragen. Allerdings wird man davon ausgehen können, dass bei Einhaltung der detaillierten rechtlichen Vorgaben des § 25a Abs. 5 KWG und der InstVergV praktisch immer auch dem öffentlichen Interesse Rechnung getragen ist, da 254 Zur Konkretisierung dieses Personenkreises s. Art. 3 f. der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 604/2014 vom 4.3.2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2013/36/EU, ABl. EU Nr. L 167 v. 6.6.2014, S. 30. 255 Vgl. Art. 95 Abs. 2 Satz 4 CRD IV-Richtlinie.

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Interne Organisation des Aufsichtsrats | Rz. 1539 § 21

diese Vorschriften gerade dem öffentlichen Interesse an einem stabilen Kreditwesen zu dienen bestimmt sind. Im Interesse der effektiven Aufgabenwahrnehmung werden dem Ausschussvorsitzenden auch hier Direktkontakte zu wichtigen Funktionsträgern unterhalb des Vorstands ermöglicht (§ 25d Abs. 12 Sätze 7–8 KWG, § 24 Abs. 2 InstVergV, s. Rz. 1512 f.). Wegen der engen Verbindung zwischen Vergütungssystem und Risikostrategie soll der Vergütungskontrollausschuss eng mit dem Risikoausschuss kooperieren; zudem soll er sich „beispielsweise“ durch das Risikocontrolling oder extern von vorstandsunabhängigen Personen beraten lassen (§ 25d Abs. 12 Satz 5 KWG)256. Schließlich wird angeordnet, dass Vorstandsmitglieder an Sitzungen des Vergütungskontrollausschusses, in denen über ihre Vergütung beraten wird, nicht teilnehmen können (§ 25d Abs. 12 Satz 6 KWG, Einschränkung des § 109 Abs. 1 AktG).

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ff) Sonstige Ausschüsse Das KWG schließt es nicht aus, über die im KWG genannten Ausschüsse hinaus und unbeschadet ihrer Aufgaben und Befugnisse weitere Ausschüsse zu bilden, und zwar nicht nur auf Verlangen der BaFin (§ 25d Abs. 7 Satz 5 KWG), sondern auch freiwillig auf Betreiben des Aufsichtsrats257. So hat etwa der Aufsichtsrat der Deutschen Bank AG neben den Pflichtausschüssen auch einen Präsidialausschuss (Rz. 753 f.) und einen Integritätsausschuss eingerichtet258.

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b) Versicherungsunternehmen Das Versicherungsaufsichtsrecht enthält keine vergleichbar detaillierten Vorgaben zur Bildung von Ausschüssen des Aufsichtsrats. Zu erwähnen ist lediglich, dass Art. 275 Abs. 1 lit. f Solvabilität II-Verordnung die Bildung eines unabhängigen Vergütungsausschusses verlangt, soweit dies aufgrund der Bedeutung des Versicherungsunternehmens hinsichtlich Größe und interner Organisation angezeigt erscheint259. Aufgabe dieses Ausschusses soll es sein, das Verwaltungs-, Managementoder Aufsichtsorgan regelmäßig bei der Überwachung des Vergütungssystems und seiner Umsetzung zu unterstützen. Da die Vorschrift nicht auf die dualistische Organisationsverfassung zugeschnitten ist, verhält sie sich nicht explizit dazu, ob der Ausschuss auf Ebene des Aufsichtsrats oder auf oder unterhalb der Ebene des Vorstands anzusiedeln ist. Weil es aber inhaltlich um die Überwachung des Vergütungssystems nicht nur der Mitarbeiter, sondern auch der Vorstandsmitglieder geht260, kann jedenfalls in Bezug auf die Vorstandsvergütung im dualistischen System nur ein Aufsichtsratsausschuss in Betracht kommen, ggf. neben einem weiteren Ausschuss, der 256 257 258 259

Vgl. zur Unabhängigkeit des Vergütungsberaters auch G.5 DCGK 2020. Dabei kann es sich auch um beschließende Ausschüsse handeln; s. Rz. 1523. Näher zum Integritätsausschuss Plagemann, NZG 2013, 1293 ff. Die Regelung zum Vergütungsausschuss nach § 4 Abs. 7 VersVergV hat daneben keine praktische Bedeutung mehr; s. schon Rz. 1514. 260 Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 38; Obal, ZVersWiss 2015, 411, 419 f.

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§ 21 Rz. 1539 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

den Vorstand hinsichtlich des Vergütungssystems für die Mitarbeiter berät. Die weiche, unbestimmte Formulierung („soweit es angezeigt erscheint“) deutet aber darauf hin, dass Vorstand und Aufsichtsrat ein Beurteilungsspielraum zusteht, ob sie eine Ausschussbildung für erforderlich erachten261.

V. Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder 1540

Die persönliche Rechtsstellung des Aufsichtsratsmitglieds richtet sich auch in Banken und Versicherungen grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln. Dies gilt im Ausgangspunkt auch für die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder (§ 113 AktG, Rz. 843 ff.), über die in börsennotierten Gesellschaften künftig in regelmäßigen Abständen die Hauptversammlung zu beschließen hat262. Allerdings sind zusätzlich auch hier wieder die schon erwähnten (Rz. 1507) aufsichtsrechtlichen Vergütungsregeln zu beachten. 1. Kreditinstitute

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Anders als das Aktienrecht, das für Aufsichtsratsmitglieder zwar keine börsenkursorientierte, aber eine ergebnisorientierte Vergütung zulässt (Rz. 848 ff.), qualifiziert das Bankaufsichtsrecht variable Vergütungen für Aufsichtsratsmitglieder seit Ende 2016 als generell unzulässig (§ 25d Abs. 5 Satz 2 KWG)263. Der deutsche Gesetzgeber hat damit eine entsprechende Leitlinie der EBA aufgegriffen264. Zweck dieser Regelung ist es, Interessenkonflikte zu vermeiden, welche die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats beeinträchtigen könnten265; es geht mit anderen Worten um die Stärkung der Unabhängigkeit der Kontrolle. Keine variable Vergütung in diesem Sinne und damit unbedenklich sind Sitzungsgelder, die in Abhängigkeit von der Anzahl der wahrgenommenen Sitzungstermine gezahlt werden266. Auch die üblichen Funktionszulagen für den Vorsitz im Aufsichtsrat und den Vorsitz oder die Mitgliedschaft in den Ausschüssen (G.17 DCGK 2020) bleiben selbstverständlich zulässig. Neben dem Verbot variabler Vergütungen nach § 25d Abs. 5 Satz 2 KWG dürfte die allgemeine Vorgabe des Abs. 2 Satz 1, dass die Ausgestaltung der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder keine Inte261 Ähnlich Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 180 („Ermessen“). 262 § 113 Abs. 3 AktG i.d.F. des ARUG II (Beschlussfassung über das Vergütungssystem mindestens alle vier Jahre); §§ 120a Abs. 4, 162 AktG i.d.F. des ARUG II (jährliche Beschlussfassung über den Vergütungsbericht); dazu Rz. 579. 263 Eingeführt durch das FMSA-Neuordnungsgesetz vom 23.12.2016, BGBl. I 2016, 3171. 264 Begr. RegE FMSA Neuordnungsgesetz, BT-Drucks. 18/9530, S. 57, unter Hinweis auf EBA-Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik (EBA/GL/2015/22) vom 27.6.2016 (engl. Fassung vom 21.12.2015), Rz. 171; ebenso zuvor bereits Committee of European Banking Supervisors (CEBS), Guidelines on Remuneration Policies and Practices vom 10.12.2010, Rz. 47. 265 EBA-Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik (EBA/GL/2015/22) vom 27.6.2016 (engl. Fassung vom 21.12.2015), Rz. 171. 266 Begr. RegE FMSA Neuordnungsgesetz, BT-Drucks. 18/9530, S. 57.

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Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder | Rz. 1542 § 21

ressenkonflikte erzeugen darf, keine eigenständige Bedeutung mehr haben. § 25d Abs. 5 Satz 3 KWG erinnert schließlich daran, dass auch die Aufsichtsratsvergütung in den jährlichen Vergütungsbericht des Kreditinstituts nach Art. 450 CRR aufzunehmen ist (Rz. 1507). 2. Versicherungsunternehmen In Versicherungsunternehmen entspricht es ebenfalls weit verbreiteter Praxis, den Aufsichtsratsmitgliedern eine reine Festvergütung zu gewähren267. Anders als das KWG kennt das Versicherungsaufsichtsrecht aber kein generelles Verbot variabler Aufsichtsratsvergütungen. Einschränkungen für variable Vergütungen ergeben sich allerdings – neben den aktienrechtlichen Beschränkungen (Rz. 848 ff.) – aus Art. 275 Solvabilität II-Verordnung268. Diese Vorschrift enthält zum einen allgemeine Anforderungen an ein transparentes Vergütungssystem, das auf den langfristigen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet ist und Interessenkonflikte vermeidet (Art. 275 Abs. 1 Solvabilität II-Verordnung); zum anderen formuliert sie Anforderungen speziell für die Vergütung der wesentlichen Risikoträger des Unternehmens (Art. 275 Abs. 2 Solvabilität II-Verordnung). Zu dem damit angesprochenen Personenkreis gehören auch die Mitglieder des Aufsichtsrats269. Hervorzuheben ist insbesondere das Erfordernis, die variable Vergütung an langfristigen Erfolgszielen auszurichten (Art. 275 Abs. 1 lit. a Solvabilität II-Verordnung)270. Das, was G.18 Satz 2 DCGK 2020 für den Fall der Gewährung einer variablen Vergütung lediglich als Empfehlung und nur für börsennotierte Gesellschaften formuliert, gilt in Versicherungsunternehmen mithin als bindende rechtliche Vorgabe. Die variable Vergütung muss ferner in einem ausgewogenen Verhältnis zur Festvergütung stehen (Art. 275 Abs. 2 lit. a Solvabilität II-Verordnung), und sie darf zu einem wesentlichen Teil erst mit zeitlichem

267 Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 123 („nahezu allein üblich“). Zur aufsichtsrechtlichen Zulässigkeit einer reinen Festvergütung s. Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 72; Dreher/Gerigk, WM 2018, 1433, 1437; Kruchen, VersR 2017, 198, 200 f.; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 45; für Kreditinstitute Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 23, 25 m.w.N.; a.A. Krauel/Broichhausen, VersR 2015, 1189, 1194, 1195 (Fixvergütung nur für Aufsichtsratsmitglieder). 268 Die Wirksamkeit dieser Vorschrift sei hier unterstellt; zur streitigen Frage der Ermächtigungsgrundlage einerseits Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 22; andererseits Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 10 ff.; Obal, ZVersWiss 2015, 411, 416 ff.. 269 Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 123; Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 22; de Raet/Dörfler, CCZ 2017, 253, 261 f., 264; Kruchen, VersR 2017, 198, 199 f.; letztlich auch Krauel/Broichhausen, VersR 2015, 1189, 1192, 1195; a.A. Hasse in Annuß/Früh/Hasse, Komm. InstVergV und VersVergV, Art. 258, 275 Solva II-VO Rz. 16; unklar BaFin, Auslegungsentscheidung Aspekte der Vergütung (Art. 275 DVO (EU) 2015/35) vom 20.12.2016, Ziff. 2 (dort werden Aufsichtsratsmitglieder nicht eigens genannt). 270 Eine bloße Jahrestantieme wird dem nicht gerecht; vgl. de Raet/Dörfler, CCZ 2017, 253, 264 (zur Nachhaltigkeit i.S. des § 25 Abs. 1 VAG).

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§ 21 Rz. 1542 | Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen

Aufschub ausgezahlt werden (Abs. 2 lit. c)271. Vorgesehen ist ferner, dass die Aufsichtsratsvergütung in dem jährlichen Bericht über Solvabilität und Finanzlage offenzulegen ist (Art. 294 Abs. 1 lit. c Solvabilität II-Verordnung). 1543

Die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder wird daneben auch in § 25 VAG und der VersVergV (mit-)geregelt. Soweit der Anwendungsbereich des Solvabilität II-Regimes reicht272, sind die Bestimmungen des nationalen Rechts allerdings gegenüber Art. 275 Solvabilität II-Verordnung nachrangig; etwaige Widersprüche sind wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zugunsten der Verordnung aufzulösen273. Im Ergebnis dürften sich solche Widersprüche indes, sofern sie überhaupt bestehen, in engen Grenzen halten274. So trägt die VersVergV dem Vorrang des Unionsrechts dadurch Rechnung, dass ihre wesentlichen Bestimmungen nur außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 275 Solvabilität II-Verordnung zur Anwendung kommen (§ 1 Abs. 2 VersVergV). In § 25 VAG fehlt zwar eine entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs; der Sache nach finden sich die Anforderungen, die § 25 Abs. 1 VAG an das Vergütungssystem stellt (Angemessenheit, Transparenz, Ausrichtung auf Nachhaltigkeit) aber allesamt auch in Art. 275 Solvabilität II-Verordnung wieder275, so dass auch hier im Ergebnis kein Konflikt bestehen dürfte.

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Fraglich ist dagegen, wie mit der weiteren Vorgabe des § 25 Abs. 2 KWG zu verfahren ist. Danach dürfen Vergütungen für andere Tätigkeiten, die das Aufsichtsratsmitglied für das Unternehmen erbringt, nur gewährt werden, soweit dies mit den Aufgaben als Organmitglied vereinbar ist. Die Vorschrift zielt insbesondere darauf ab, dass die Aufsichtsratsmitglieder nicht zugleich Vergütungen für die Vermittlung von Versicherungsverträgen beziehen sollen276. Im Schrifttum ist diese Vorgabe als unionsrechtswidrig bezeichnet worden, da sie in Art. 275 Solvabilität II-Verordnung keine Entsprechung finde277. Zwingend erscheint dies allerdings nicht; immerhin verlangt auch Art. 275 Abs. 1 lit. a Solvabilität II-Verordnung, dass das Vergütungssystem Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten vorsehen muss, und um nichts anderes geht es bei dem Verbot der Zusatzvergütungen nach § 25 Abs. 2 KWG. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, eine entsprechende Einschränkung auch schon aus der Solvabilität II-Verordnung abzuleiten278. Unabhängig davon sind 271 Näher dazu BaFin, Auslegungsentscheidung Aspekte der Vergütung (Art. 275 DVO (EU) 2015/35) vom 20.12.2016, Ziff. 4-5. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Kriterienkatalog des Art. 275 Abs. 2 Solvabilität II-Verordnung nicht auf den Aufsichtsrat zugeschnitten ist und daher eine Reihe der weiteren Vorgaben, namentlich diejenigen zur individuell leistungsbezogenen Vergütung, nicht uneingeschränkt auf den Aufsichtsrat passen; näher dazu de Raet/Dörfler, CCZ 2017, 253, 264 f. 272 Vgl. Art. 2 ff. Solvabilität II-Richtlinie. 273 Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 7, 59 f. 274 Ebenso Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 59 f. 275 Näher dazu Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 48, 54, 55. 276 Begr. RegE VergAnfG, BT-Drucks. 17/1291, S. 12 (zu § 64b VAG a.F., Vorgängernorm von § 25 Abs. 2 VAG n.F.); vgl. auch § 3 Abs. 6 Satz 1 VersVergV. 277 Dreher in Prölss/Dreher, Komm. VAG, § 25 Rz. 157. 278 Pohlmann in Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Komm. VAG, § 25 Rz. 60.

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Haftung und sonstige Folgen von Pflichtverletzungen | Rz. 1546 § 21

jedenfalls die aktienrechtlichen Restriktionen für Beratungsverträge und sonstige Dienst- oder Werkverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern zu beachten, die sich aus § 114 AktG ergeben (Rz. 858 ff.).

VI. Haftung und sonstige Folgen von Pflichtverletzungen Die zivilrechtliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder folgt auch in den aufsichtsunterworfenen Unternehmen den allgemeinen Regeln, namentlich den §§ 116, 93 AktG (Rz. 981 ff.). Allerdings verschärfen die vielfältigen aufsichtsrechtlichen Vorgaben über das Bindeglied der Legalitätspflicht des Vorstands die Anforderungen an die sorgfaltspflichtgemäße Leitung der aufsichtsunterworfenen Unternehmen und damit korrespondierend auch die Anforderungen an die pflichtgemäße Überwachung durch den Aufsichtsrat279. Halten sich Vorstand und Aufsichtsrat bei der Erfüllung ihrer aufsichtsrechtlichen Pflichten an eine Auslegung der gesetzlichen Vorgaben durch die BaFin, wird allerdings ein schuldhafter Verstoß gegen die Legalitäts- bzw. Legalitätskontrollpflicht regelmäßig ausscheiden280. Stets einzustehen haben die Aufsichtsratsmitglieder dafür, dass sie über die gesetzlich geforderte Mindestqualifikation verfügen (s. schon Rz. 1499).

1545

Erhebliche Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder, die trotz Verwarnung durch die BaFin nicht abgestellt werden, können darüber hinaus ein Abberufungsverlangen der BaFin oder ein von ihr ausgesprochenes Tätigkeitsverbot zur Folge haben (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 KWG, § 303 Abs. 2 Nr. 3 VAG). Ein solches stellt zugleich einen wichtigen Grund für die gerichtliche Abberufung nach § 103 Abs. 3 AktG dar (Rz. 1497).

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279 Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 487; Armbrüster, KSzW 2013, 10, 17; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265; s. schon Rz. 1503 f. 280 S. dazu etwa BGH v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, AG 2017, 662 Rz. 15 ff.; BGH v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, ZIP 2018, 1678 Rz. 28 ff. (jeweils zu §§ 32, 54 KWG: schuldloser Rechtsirrtum über Bankerlaubnispflicht, wenn nach Rechtsauffassung der BaFin keine Erlaubnispflicht bestand); ferner Fleischer, DB 2009, 1335, 1337; Louven/Raapke, VersR 2012, 257, 265 f.; speziell zu den MaRisk aber auch Dreher/Häußler, ZGR 2011, 471, 498 f.

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Anhang Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen Verfasser: Florian Gröntgen, Rechtsreferendar und Mitarbeiter am Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Die nachstehende tabellarische Übersicht orientiert sich an den aktuell verfügbaren Geschäftsberichten der DAX-Unternehmen für das Jahr 2018. Im Vergleich zu den Vergütungsmodellen der letzten Jahre zeigt sich eine deutliche Entwicklung: Die DAX-Unternehmen verzichten inzwischen ganz überwiegend auf eine kurz- oder langfristige variable Vergütung. Stattdessen gewähren sie ihren Aufsichtsräten feste jährliche Zahlungen, die unabhängig von der aktuellen oder zukünftigen Unternehmensentwicklung ausgestaltet sind. Im Berichtsjahr 2007 gewährten noch sechsundzwanzig (von dreißig!) DAX-Unternehmen eine variable Vergütung, die sich entweder nach der ausgeschütteten Dividende oder dem Konzernergebnis je Aktie richtete. Im Jahr 2013 unterschritt die Zahl der Unternehmen, die eine variable Vergütungskomponente vorsehen, erstmals die 50 %-Grenze (13 von 30). Fünf Jahre später gewährten nur noch vier DAX-Unternehmen – neben einer festen – eine variable Vergütung: die BMW AG, die Continental AG, die Fresenius SE & Co. KGaA und die Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA. Dabei wird der variablen Vergütung jeweils ein mindestens dreijähriger Betrachtungszeitraum zugrunde gelegt. Diese Entwicklung entspricht G.18 des DCGK in der neuen Fassung (2020): „Die Vergütung des Aufsichtsrats sollte in einer Festvergütung bestehen. Wird den Aufsichtsratsmitgliedern dennoch eine erfolgsorientierte Vergütung zugesagt, soll sie auf eine langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein.“ Die Praxis entspricht zudem G.17 DCGK, weil den „Vorsitzenden und [...] stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats sowie de[n] Vorsitzenden und [...] Mitglieder[n] von Ausschüssen“ stets eine zusätzliche feste Vergütung gewährt wird, deren Höhe sich von Gesellschaft zu Gesellschaft und von Ausschuss zu Ausschuss unterscheidet. Für den Nominierungs- und den Vermittlungsausschuss nach § 27 Abs. 3 MitbestG wird in der Regel keine zusätzliche Vergütung gezahlt.

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Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

Neben den – seltenen – variablen Vergütungsbestandteilen sind die Aufsichtsratsmitglieder oftmals dadurch mittelbar am Unternehmenserfolg beteiligt, dass sie 20 % oder 25 % ihrer – in der Regel festen – Vergütung in Aktien der betreffenden AG anlegen (BASF SE, Bayer AG, Daimler AG, Deutsche Bank AG, RWE AG)1.

1 So lautet es etwa im Vergütungsbericht der BASF AG „25 % der festen Vergütung sind für den Erwerb von BASF-Aktien zu verwenden und die Aktien für die Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat zu halten“, oder im Vergütungsbericht der Bayer AG „Die Aufsichtsratsmitglieder haben gegenüber dem Aufsichtsrat im Rahmen einer Selbstverpflichtung erklärt, dass sie für jeweils 25 % der gewährten festen Vergütung einschließlich der Vergütung für Ausschusstätigkeit (vor Abzug von Steuern) Bayer-Aktien kaufen und jeweils während der Dauer ihrer Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Bayer AG halten werden“.

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80.000 €

125.000 €

200.000 €

132.000 €

Adidas AG

Allianz SE

BASF SE

Bayer AG

Feste Vergütung









Kurzfristige variable Vergütung









Langfristige variable Vergütung2

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

2,5-fach

3-fach

1.000 €5

2-fach

1.000 €4



3-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

2-fach

1,5-fach

1,5-fach

2-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitzender bzw. Mitglieder des Prüfungsausschusses erhalten zusätzlich das 1-fache bzw. 0,5-fache der Fixvergütung. Für andere Ausschüsse mit Ausnahme des Nominierungsausschusses werden das 0,5-fache bzw. 0,25-fache der einfachen Vergütung gezahlt6.

Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 50.000 €, in einem anderen Ausschuss mit Ausnahme des Nominierungsausschusses 12.500 €; die jeweiligen Vorsitzenden erhalten das 2-fache, die stellvertretenden Vorsitzenden das 1,5-fache.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Personal-, Risiko-, Technologie- und ständigen Ausschuss 50.000 € bzw. 25.000 €; im Prüfungsausschuss 100.000 € bzw. 50.000 €.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Präsidial- sowie Finanz- und Investitionsausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €; im Prüfungsausschuss 160.000 € bzw. 80.000 €3.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)

1.000 €

Sitzungsgeld

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen | Anhang

625

626 –

3-fach

1.000 €14



100.000 €

Covestro AG

3-fach

3-fach

2,5-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

1,5-fach

1,5-fach

2-fach

1,5-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 50.000 € bzw. 25.000 €; in anderen Ausschüssen mit Ausnahme des Nominierungsausschusses 30.000 € bzw. 20.000 €15.

2,5-fach für Vorsitzenden des Prüfungsausschusses; 2-fach für Vorsitzenden eines anderen Ausschusses 1,5-fach je Mitglied13

Für Vorsitz bzw. Mitgliedschaft in einem Ausschuss wird zusätzlich das 2-fache bzw. 1,5-fache der fixen und variablen Vergütung gezahlt11.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 100.000 € bzw. 40.000 €; in anderen Ausschüssen mit Ausnahme des Vermittlungsausschusses (MitbestG) und des Nominierungsausschusses 50.000 € bzw. 20.000 €8.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)

1.000 €



+12

1.000 €

Continental 75.000 € AG



Langfristige variable Vergütung2

+9 2.000 €10 Cap bei Zweifachem der festen Vergütung

70.000 €

BMW AG



Kurzfristige variable Vergütung

Sitzungsgeld



85.000 €

Beiersdorf AG7

Feste Vergütung

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

70.000 €

Deutsche Post AG







80.000 €

Deutsche Lufthansa AG



70.000 €

Deutsche Börse AG







100.000 €

Deutsche Bank AG



Langfristige variable Vergütung2





Kurzfristige variable Vergütung

Daimler AG 144.000 €

Feste Vergütung

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

1.000 €

2-fach

3-fach

170.000 €

1.00018 –

2-fach

3-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

1,5-fach

1,5-fach

105.000 €

1,5-fach

2-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft in Ausschüssen mit Ausnahme des Vermittlungs- und Nominierungsausschusses 70.000 € bzw. 35.000 €.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 60.000 € bzw. 30.000 €, in sonstigen Ausschüssen 40.000 € bzw. 20.000 €20.

Vorsitz und Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 60.000 € bzw. 35.000 €, in sonstigen Ausschüssen 40.000 € bzw. 30.000 €19.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungs-, Risikound Integritätsausschuss 200.000 € bzw. 100.000 €, in den übrigen Ausschüssen mit Ausnahme des Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG 100.000 € bzw. 50.000 €.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 144.000 € bzw 72.000 €, Mitgliedschaft im Präsidialausschuss 57.600 €, in anderen Ausschüssen 28.800 €17.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)



1.100 €16

Sitzungsgeld

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen | Anhang

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Fresenius Medical Care AG & Co. KGaA

Heidelberg 70.000 € Cement AG

88.000 USD24

150.000€22 –

Fresenius SE & Co. KGaA





140.000 €

E.ON SE



70.000 €

Kurzfristige variable Vergütung

Deutsche Telekom AG

Feste Vergütung

1,5-fach

2,5-fach

2.00026



1,5-fach

3.500 USD 2-fach Gemeinsamen Ausschuss

1,5-fach

320.000 €

1,5-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

+25 Cap bei 80.000 USD

3-fach

440.000 €

2-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 50.000 € bzw. 25.000 €; im Personalausschuss 40.000 € bzw. 20.000 €.

Vorsitz, stellvertretender Vorsitz bzw. Mitgliedschaft in einem Ausschuss mit Ausnahme des Nominierungs- und des gemeinsamen Ausschusses 66.000 USD, 55.000 USD bzw. 44.000 USD.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 40.000 € bzw. 20.000 €.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungs- und Risikoausschuss 180.000 € bzw. 110.000 €, in sonstigen Ausschüssen 140.000 € bzw. 70.000 €21.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €, im Präsidialausschuss 70.000 € bzw. 30.000 €, im Nominierungsausschuss 25.000 € bzw. 12.500 €, in anderen Ausschüssen 40.000 € bzw. 25.000 €.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)



1.000 €

1.000 €

Sitzungsgeld

+23 Cap bei 150.000 €





Langfristige variable Vergütung2

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen





150.000 €

47.000 €

Linde plc

Merck KGaA

Münchener 90.000 € Rück AG





90.000 €

Infineon Technologies AG



70.000 €

Kurzfristige variable Vergütung

Henkel AG & Co. KgaA27

Feste Vergütung











Langfristige variable Vergütung2

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

2-fach

1.000 €34

3-fach32

1.000 €31 2-fach

2-fach

2.000 €29

750 €

2-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

1,5-fach

1,5-fach

1,5-fach33

120.000 €

1,5-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 90.000 € bzw. 45.000 €, im ständigen Ausschuss 27.000 € bzw. 13.500, im Personalsowie im Vergütungsausschuss 54.000 € bzw. 27.000 €35; keine Vergütung für Funktionen im Vermittlungs- oder Nominierungsausschuss.



Mitgliedschaft im Prüfungs- oder ständigen Ausschuss 30.000 €; Vorsitz im Prüfungsausschuss 60.000 €..

Vorsitz im Investitions-, Finanz- und Prüfungsbzw. Strategie- und Technologieausschuss 25.000 €; Mitgliedschaft in einem Ausschuss 15.000 €. Vermittlungs- und Nominierungsausschuss werden nicht berücksichtigt30.

Vorsitzende bzw. Mitglieder in einem Ausschuss oder mehreren Ausschüssen mit Ausnahme des Nominierungsausschusses erhalten zusätzlich das 1-fache bzw. 0,5-fache der festen Vergütung.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)

1.000 €28

Sitzungsgeld

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen | Anhang

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Siemens AG 140.000 €

ThyssenKrupp AG

50.000 €



165.000 €

SAP SE



100.000 €

Kurzfristige variable Vergütung

RWE AG

Feste Vergütung









Langfristige variable Vergütung2

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

3-fach42

4-fach41

500 €

220.000 €

2-fach

1.500 €38

220.000 €

2-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender

275.000 €

3-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 40.000 € bzw. 20.000 €, in jedem anderen Ausschuss – mit Ausnahme des nach § 27 Abs. 3 MitbestG gebildeten Ausschusses – 25.000 € bzw. 12.500 €.

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 160.000 € bzw. 80.000 €, im Präsidium 120.000 € bzw. 80.000 €, im Vergütungsausschuss 100.000 € bzw. 60.000 €39, im Innovations- und Finanzausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €, im Compliance-Ausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €40.

Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 16.500 €, in anderen Ausschüssen 11.000 €37; Vorsitz im Prüfungsausschuss 27.500 €, in anderen Ausschüssen 22.000 €

Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €, in sonstigen Ausschüssen abgesehen vom Nominierungsausschuss 40.000 € bzw. 20.000 €36.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)





Sitzungsgeld

Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen



100.000 €

120.000 €

Vonovia SE

Wirecard AG





Langfristige variable Vergütung2

1.250 €



1.000 €43

Sitzungsgeld

2-fach

2-fach

3-fach

Aufsichtsratsvorsitzender

1,5-fach

1,5-fach

2-fach

stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender



Vorsitz bzw. Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss 80.000 € bzw. 40.000 €, in sonstigen Ausschüssen45 40.000 € bzw. 20.00046

Vorsitz, stellvertretender Vorsitz bzw. Mitgliedschaft in einem Ausschuss mit Ausnahme des Nominierungs- und Vermittlungsausschusses 100.000 €, 75.000 € bzw. 50.000 €44.

Erhöhte Vergütung Zusätzliche Vergütung der Mitarbeit in Aus(soweit nicht anders schüssen nach DCGK angegeben, bezieht sich der Faktor auf die Gesamtvergütung)

7 Die genannten Zahlen galten ab dem 1.7.2018 (Satzung in der Fassung vom 25.4.2018); seitdem wird keine variable Vergütung mehr gewährt.

6 Ausschusstätigkeiten werden höchstens für die Mitgliedschaft in zwei Ausschüssen (dann die beiden höchstdotierten Mitgliedschaften) berücksichtigt. Mit der Vergütung als Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats gilt die Vergütung von Mitgliedschaften und Vorsitzen in Ausschüssen als abgegolten.

5 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

4 Bei mehreren Sitzungen, die an einem Tag oder an aufeinander folgenden Tagen stattfinden, wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

3 Wer Mitglied in mehreren dieser Ausschüsse ist, erhält nur die Ausschusstätigkeit mit der betragsmäßig höchsten Vergütung vergütet.

2 In diese Kategorie sind alle Vergütungsformen eingeordnet, die sich auf den langfristigen Unternehmenserfolg (Bemessungszeitraum mindestens 3 Jahre) beziehen. Dabei gibt es die verschiedensten Ausgestaltungen.



Kurzfristige variable Vergütung

Volkswagen 100.000 € AG

Feste Vergütung

Vergütung eines einfachen Mitglieds im Geschäftsjahr 2018

Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen | Anhang

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23 Richtet sich nach der jeweiligen durchschnittlichen Wachstumsrate des Konzernergebnisses für das Vergütungsjahr und die beiden vorangegangenen Geschäftsjahre (3-Jahres-Durchschnittswachstum des Konzernergebnisses). Dabei werden mindestens (bei 0 bis 2,5 %) 30.000 €

22 Bei gleichzeitiger Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der persönlich haftenden Fresenius Medical Care Management SE reduziert sich die Vergütung anteilig (50 %).

21 Bei Mitgliedschaft in mehreren Ausschüssen wird nur diejenige mit der höchsten Vergütung vergütet. Der Vorsitzende und die stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats erhalten keine zusätzliche Vergütung für ihre Tätigkeit in Ausschüssen.

20 Voraussetzung ist, dass der jeweilige Ausschuss mindestens einmal im Geschäftsjahr tagt.

19 Es wird maximal die Tätigkeit in zwei Ausschüssen (die jeweils höchstdotierten) vergütet.

18 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

17 Wird für maximal drei Ausschussmandate gezahlt (dann Berücksichtigung der drei höchstdotierten Mitgliedschaften) und davon abgesehen nur, wenn der jeweilige Ausschuss im laufenden Geschäftsjahr getagt hat.

16 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

15 Ausschusstätigkeiten werden höchstens für die Mitgliedschaft in zwei Ausschüssen (dann die beiden höchstdotierten Mitgliedschaften) berücksichtigt. Mit der Vergütung als Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats gilt die Vergütung von Mitgliedschaften und Vorsitzen in Ausschüssen als abgegolten.

14 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

13 Zahlung nur für höchstvergütete Funktion.

12 90 € für jeden Eurocent, um den der Durchschnitt aus dem den Anteilseignern zuzurechnenden Konzernergebnis pro Aktie des Geschäftsjahres, für das die Vergütung gezahlt wird, und dem Konzernergebnis pro Aktie für jedes der ihm unmittelbar vorausgehenden beiden Geschäftsjahre den Betrag von Euro 2 übersteigt.

11 Vorausgesetzt, der Ausschuss ist an mindestens drei Tagen des Geschäftsjahres zu einer Sitzung zusammengekommen. Gehört ein Aufsichtsratsmitglied mehreren Ausschüssen an, so wird nur die betragsmäßig höchste Mitgliedschaft vergütet. Mitgliedschaften in anderen Ausschüssen werden nicht vergütet.

10 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

9 Nach der ordentlichen Hauptversammlung des Folgejahres wird als variable Vergütung gezahlt: 170 € je volle 0,01 €, um die das Ergebnis je Stammaktie im Geschäftsjahr einen Mindestbetrag von 2,00 € übersteigt.

8 Gehört ein Aufsichtsratsmitglied mehreren Ausschüssen an, so wird nur die betragsmäßig höchste Mitgliedschaft vergütet.

Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

37 Diese Vergütung wird nur gezahlt, wenn der jeweilige Ausschuss in dem Geschäftsjahr getagt hat.

36 Diese Vergütung wird nur gezahlt, wenn der jeweilige Ausschuss mindestens einmal im Geschäftsjahr tagt. Mitglieder mit mehreren Ämtern werden nur für das mit der höchsten Vergütung vergütet.

35 Für Aufsichtsratsmitglieder, die neben dem Vergütungsausschuss auch dem Personalausschuss angehören, ist die Mitgliedschaft im Vergütungsausschuss bereits durch die Vergütung ihrer Tätigkeit im Personalausschuss abgegolten.

34 Nicht für Mitglieder des Vermittlungsausschusses. Bei mehreren Sitzungen an einem Tag maximal 1.000 €.

33 Mit dieser Vergütung sind auch die Mitgliedschaft und der Vorsitz in Ausschüssen abgegolten.

32 Mit dieser Vergütung sind auch die Mitgliedschaft und der Vorsitz in Ausschüssen abgegolten.

31 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

30 Jeweiliger Ausschuss muss sich innerhalb des Geschäftsjahres mindestens einmal versammelt oder Beschlüsse gefasst haben. Soweit mehrere Funktionen ausgeübt werden, bemisst sich die Vergütung nach der am höchsten vergüteten Funktion.

29 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

28 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

27 Neben dem Aufsichtsrat hat die Henkel AG & Co. KGAA einen Gesellschafterausschuss, der gemäß den Satzungsvorgaben an der Geschäftsführung mitwirkt und dessen Mitglieder ebenfalls vergütet werden.

26 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag oder an aufeinander folgenden Tagen wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

25 Richtet sich nach der jeweiligen durchschnittlichen Wachstumsrate des Gewinns je Aktie der Gesellschaft (Earnings per share, EPS) während des Zeitraums der letzten drei abgelaufenen Geschäftsjahre, der dem Auszahlungszeitpunkt jeweils vorangeht (3-Jahres-Durchschnitts-EPSWachstum): 60.000 $ bei Erreichen eines 3-Jahres-Durchschnitts-EPS-Wachstums-Korridors von 8,00-8,99 %, 70.000 $ für den Korridor 9,00-9,99 % und 80.000 $ für ein 3-Jahres-Durschnitts-EPS-Wachstum von 10,00 % oder darüber.

24 Bei gleichzeitiger Aufsichtsratsmitgliedschaft in der Fresenius Medical Care Management AG erfolgt Halbierung der Bezüge; ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Fresenius Medical Care Management AG, wird seine Tätigkeit als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Fresenius Medical Care nicht vergütet.

und maximal (bei über 10 %) 150.000 € gewährt. Ein Anspruch darauf entsteht jedoch erst ab Erreichen eines 3-Jahres-Durchschnittswachstum des Konzernergebnisses größer 0 %. Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen | Anhang

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46 Cap für die Summe aller Vergütungen zuzüglich Vergütungen für die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten und vergleichbaren Kontrollgremien von Konzernunternehmen bei 300.000 € je Aufsichtsratsmitglied im Kalenderjahr.

45 Diese Vergütung wird nur gezahlt, wenn der jeweilige Ausschuss in dem Geschäftsjahr getagt hat.

44 Ausschusstätigkeiten werden für höchstens zwei Ausschüsse berücksichtigt, wobei die zwei höchstdotierten Funktionen maßgeblich sind.

43 Bei mehreren Sitzungen (Aufsichtsrat und Ausschuss oder mehrere Ausschüsse) an einem Tag wird Sitzungsgeld nur einmal gezahlt.

42 Mit dieser Vergütung sind auch die Mitgliedschaft und der Vorsitz in Ausschüssen abgegolten.

41 Mit dieser Vergütung sind auch die Mitgliedschaft und der Vorsitz in Ausschüssen abgegolten.

40 Die Tätigkeit im Compliance-Ausschuss wird jedoch nicht zusätzlich vergütet, soweit einem Mitglied dieses Ausschusses eine Vergütung wegen seiner Tätigkeit im Prüfungsausschuss zusteht.

39 Die Vergütung für eine Tätigkeit im Präsidium wird auf die Vergütung für eine Tätigkeit im Vergütungsausschuss angerechnet.

38 Nimmt ein Aufsichtsratsmitglied an einer Sitzung des Aufsichtsrats nicht teil, reduziert sich ein Drittel der ihm insgesamt zustehenden Vergütung prozentual im Verhältnis der im Geschäftsjahr stattgefundenen Aufsichtsratssitzungen zu den Aufsichtsratssitzungen, an denen das Aufsichtsratsmitglied nicht teilgenommen hat.

Anhang | Die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen

Stichwortverzeichnis Die Zahlen verweisen auf die Randzahlen des Textes. Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern – Anteilseignervertreter in der AG 14 – Anteilseignervertreter in der Genossenschaft 15 – Anteilseignervertreter in der GmbH 16 – Anzeigepflichten in Kreditinstituten 1495 – Anzeigepflichten in Versicherungsunternehmen 1495 – Arbeitnehmervertreter 10 ff. – gerichtliche A. aus wichtigem Grund 930 ff. – in der SE 1364 – Überblick 9 ff., 34 Abschlussprüfer – und Aufsichtsrat 172 – Auftragserteilung 173 ff. – Bestellung 173 – Bilanzsitzung des Aufsichtsrats, s. dort – Früherkennungs- und Überwachungssystem 86 – GmbH mit Pflichtaufsichtsrat 1131 – kleine AG 188 f. – KonTraG 1998 45, 85, 172 – Konzernabschlussprüfung 187 – in Kreditinstituten 1509 – Pflichtprüfungen 172 ff. – und Prüfungsausschuss 174, 756 – Prüfungsbericht, s. Prüfungsbericht des Abschlussprüfers – Prüfungsschwerpunkte 173 – in der SE 1400 – zusätzliche Prüfungen 185 f. Ad hoc-Publizität – Überblick 304 ff., 612 – Verpflichtung 534 – und Verschwiegenheitspflicht 290 ff.

Amtsniederlegung – Form 37 – Grundsatz 35 – vertragliche Bindungen 36 – Wirkung 38 Anteilseignervertreter – Abberufung in der AG 14 – Abberufung in der Genossenschaft 15 – Abberufung in der GmbH 16 – Wahl in der AG 14 – Wahl in der Genossenschaft 15 – Wahl in der GmbH 16 – Wahlvereinbarungen 17 Arbeitnehmervertreter – Abberufung 10 ff. – DrittelbG 12 – MitbestG 13 – Montan-Mitbestimmung 11 – Wahl 10 ff. Arbeitsdirektor – Abberufung 483 – Auswahl 484 – Bestellung 483 – Gleichberechtigung des A. 485 ff. – in der GmbH 488, 1132 ff. – Mitbestimmung 481, 485 – Überblick 481 ff. Audit Committee, s. Prüfungsausschuss Aufsichtsrat – Beratervertrag mit Dritten 865 – Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, s. Aufsichtsrat, Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen – Dauer der Mitgliedschaft, s. Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat – kompetenzorientierte Besetzung 59 635

Stichwortverzeichnis

– als Pflichtorgan, s. Pflicht-Aufsichtsrat – unternehmerische Aufgaben 57 ff. – Zusammensetzung, s. Zusammensetzung des Aufsichtsrats Aufsichtsrat, Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen – Ämterhäufung 1484 ff. – Anforderungsprofil für die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat 1454 ff. – Anzeigepflichten bei Bestellung und Ausscheidung von Aufsichtsratsmitgliedern 1495 – Aufgaben des Aufsichtsrats 1502 – aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse bei Verstößen gegen das Anforderungsprofil für Aufsichtsratsmitglieder 1497 f. – aufsichtsrechtliche Einzelaufgaben 1509 – Ausschüsse des Aufsichtsrats in Kreditinstituten 1519 ff. – Ausschüsse des Aufsichtsrats in Versicherungsunternehmen 1519 – Berichtspflicht über Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat in Kreditinstituten 1496 – beschließende Ausschüsse des Aufsichtsrats in Kreditinstituten 1523 – Besetzung der Ausschüsse des Aufsichtsrats in Kreditinstituten 1520 ff. – Bestellung des Abschlussprüfers 1509 – CRD-IV-Richtlinie 1452 – CRR 1452 – Direktkontakte zu den Mitarbeitern in Kreditinstituten 1512 f. – Direktkontakte zu den Mitarbeitern in Versicherungsunternehmen 1514 – Diversität im Aufsichtsrat in Kreditinstituten 1493 – Diversität im Aufsichtsrat in Versicherungsunternehmen 1494 – fachliche Eignung der Aufsichtsratsmitglieder 1459 – financial expert 1463 636

– Folgen von Pflichtverletzungen der Aufsichtsratsmitglieder 1545 f. – Fortbildung der Aufsichtsratsmitglieder eines Kreditinstituts 1471 ff. – Fortbildung der Aufsichtsratsmitglieder eines Versicherungsunternehmens 1477 – Frauenquote in Kreditinstituten 1493, 1529 – gemeinsamer Ausschuss in Kreditinstituten 1528 – Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats eines Kreditinstituts 1469 – Gesamtqualifikation des Aufsichtsrats eines Versicherungsunternehmens 1469 – gesellschaftsrechtliche Folgen bei Verstößen gegen das Anforderungsprofil für Aufsichtsratsmitglieder 1499 ff. – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder bei Pflichtverletzungen 1545 – Information des Aufsichtsrats 1510 ff. – Informationsordnung des Aufsichtsrats in Kreditinstituten 1525 – Inkompatibilität in Kreditinstituten 1484 ff. – Inkompatibilität in Kreditinstituten und Gruppenprivileg 1487 – Inkompatibilität in Versicherungsunternehmen 1486, 1492 – Inkompatibilität bei Vertretern der öffentlichen Hand in Kreditinstituten 1489 – Inkompatibilitätsregelung in Kreditinstituten und Befreiung von durch die BaFin 1486 – Interessenkonflikte bei Aufsichtsratsmitgliedern eines Kreditinstituts 1479 – interne Organisation des Aufsichtsrats 1517 ff. – Kapitaladäquanzverordnung 1452 – Konzern 1515 f. – Legalitätskontrolle 1503 ff. – Nominierungsausschuss 1520, 1529 ff.

Stichwortverzeichnis

– Organisation des Aufsichtsrats 1517 ff. – Organkredite 1509 – persönliche Voraussetzung der Mitgliedschaft in einem Ausschuss des Aufsichtsrats 1462 f., 1522 – Prüfungsausschuss 1512, 1520, 1526 ff. – Qualifikation 1455 ff. – Qualifikation der Mitglieder von Ausschüssen des Aufsichtsrats in Kreditinstituten 1468, 1522 – Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Anforderungsprofil für Aufsichtsratsmitglieder 1497 ff. – Risikoausschuss 1520, 1524 f. – Sachkunde der Aufsichtsratsmitglieder 1456 ff. – Solvabilität II-Richtlinie 1452 – Solvabilität II-Verordnung 1452 – Teilnahmerecht der BaFin an den Sitzungen des Aufsichtsrats 1518 – Überblick 1450 ff. – Überwachung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat 1502 ff. – Überwachungsinstrumente 1510 ff. – Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder in Kreditinstituten 1542 – Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder in Versicherungsunternehmen 1542 ff. – Vergütungs- und Risikoexperte 1463 – Vergütungskontrollausschuss 1463, 1512, 1520, 1533 ff. – Vergütungssysteme für Geschäftsleiter und Mitarbeiter 1507 f., 1524, 1534 ff. – Vielfalt im Aufsichtsrat in Kreditinstituten 1493 – Vielfalt im Aufsichtsrat in Versicherungsunternehmen 1494 – vorstandsunabhängige Information des Aufsichtsrats 1511 – zeitliche Verfügbarkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1482 f.

– Zukunftsgerichtetheit der Kontrolle 1505 ff. – Zuverlässigkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1478 Aufsichtsratsausschüsse, s. Ausschüsse des Aufsichtsrats Aufsichtsratsmitglieder – Abberufung, s. Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern – Anteilseignervertreter, s. dort – Arbeitnehmervertreter, s. dort – Beraterverträge, s. Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern – Berichtspflicht 1432 – Dauer der Mitgliedschaft, s. Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat – Drittgeschäfte 879 ff. – Ersatzmitglieder, s. Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats – Gleichheit der A. 821 – Haftung, s. Aufsichtsratsmitglieder, Haftung – Höchstzahl der Aufsichtsratssitze 45 – Insiderrecht 293 ff. – Interessenkonflikte, s. Aufsichtsratsmitglieder, Interessenkonflikte – Kreditgewährung 879 – persönliche Voraussetzungen, s. Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder – Pflichten der A., s. dort – Rechte der A., s. dort – Rechtsverhältnis zur Gesellschaft 842 – Unabhängigkeit der A. 822 – Vergütung der A., s. Aufsichtsratsmitglieder, Vergütung – Wahl, s. Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern – Weiterbildung 935 ff. Aufsichtsratsmitglieder, Haftung – gegenüber Aktionären 1031 ff. – gegenüber Anlegern 1034 – D&O-Versicherung, s. dort 637

Stichwortverzeichnis

– fakultativer Aufsichtsrat der GmbH, s. GmbH, fakultativer Aufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – in der Genossenschaft 1279 – gegenüber der Gesellschaft, s. Aufsichtsratsmitglieder, Haftung gegenüber der Gesellschaft – gegenüber Gesellschaftsgläubigern und sonstigen Dritten 1035 – Grundlagen 981 ff. – in der KGaA 1338 – in Kreditinstituten 1499, 1545 – Pflicht-Aufsichtsrat in der GmbH, s. GmbH, Pflichtaufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – in der SE 1406 – in Versicherungsunternehmen 1499, 1545 Aufsichtsratsmitglieder, Haftung gegenüber der Gesellschaft – bei Abgabe der Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 995 – Beweislastumkehr 1021 – Business Judgment Rule 986 – Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch eine Aktionärsminderheit 1027 – Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch einzelne Aktionäre 1028 – Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch einzelne Gläubiger 1029 – Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch die Hauptversammlung 1026 – Durchsetzung des Ersatzanspruchs durch den Vorstand 1025 – Enthaftung durch Beratung 1015 ff. – ersatzfähiger Schaden 1020 – Haftungsausschlüsse und -einschränkungen 1022 ff. – Haftungsbeschränkungen 1024 – Haftungsentlastung durch externe Sachverständige 1012 ff. – Haftungsvoraussetzungen 982, 984 ff. – individuelle Pflichtverletzung 997 – Interessenkollisionen 1007 – Kausalität 1020 – Klagezulassungsverfahren 1027 638

– Mitwirkung der Hauptversammlung bei schadensstiftender Handlung 1022 – bei Nichtverfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder 994 – bei Personalmaßnahmen 993 – Pflichten bei Ausschusstätigkeit 1002 ff. – Pflichten bei Beschlussfassung 998 ff. – Sorgfaltsverpflichtung 984 ff. – Überblick 981 ff. – bei Übernahmeangeboten 996 – Vergleich 1023 – Verjährung 1023 – Verletzung der Amtspflichten des Aufsichtsrats 985 ff. – Verletzung der Mitwirkungspflichten der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder 997 ff. – Verletzung der Treuepflicht 1006 – Verletzung der Überwachungsverpflichtung bei Ausschusstätigkeit 1002 ff. – Verletzung der Verschwiegenheitspflicht 1008 – Verschulden 1009 ff. – Verzicht 1023 Aufsichtsratsmitglieder, Interessenkonflikte – Arbeitskämpfe 908 – Betriebsvereinbarungen 909 f. – Corporate Governance Kodex 929 – einfache Interessenkonflikte 904 ff. – gesetzliche Rahmenbedingungen 895 – Haftung 1007 – Haustarifverträge 909 f. – Interessenkonflikte bei Übernahmen 918 ff. – Konfliktlösung 897 ff. – in Kreditinstituten 1479 – Pflichtenkollisionen bei Arbeitnehmervertretern 907 ff. – Pflichtenkollisionen bei Bankenvertretern 915 ff.

Stichwortverzeichnis

– Pflichtenkollisionen im Konzern 911 ff. – Pflichtenkollisionen bei Repräsentanten öffentlicher Einrichtungen 914 – in der SE 1405 – Überblick 926 ff. Aufsichtsratsmitglieder, Vergütung – aktienkursorientierte Vergütung 849 ff. – allgemeine Vergütungsgrundsätze 843 f. – Aufwendungsersatz 845 ff. – D&O-Versicherung 1036 ff. – dividendenorientierte Vergütung 855 – erfolgsorientierte Vergütung 848 ff. – fakultativer Aufsichtsrat in der GmbH 1215 ff. – Gleichbehandlungsgrundsatz 843 – heutige Lage 857 – in Kreditinstituten 1540 – in der SE 1404 – Überblick über die Vergütungen der Aufsichtsratsmitglieder der DAX 30 Unternehmen Anhang – von Unternehmenskennziffern abhängige Vergütung 856 – in Versicherungsunternehmen 1526 ff. – VorstAG 2009 857 Aufsichtsratspräsidium – Aufgaben 753 – Errichtung 754 – Wesen 753 Aufsichtsratssitzungen, s. Sitzungen des Aufsichtsrats Ausschüsse des Aufsichtsrats – Amtszeit der Ausschussmitglieder 773 – Audit Committee, s. Prüfungsausschuss – Aufsichtsratspräsidium, s. dort – Ausschussvorsitzender 775 f.

– Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften 518 ff. – Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung über A. 596 – Berichterstattung an den Gesamtaufsichtsrat 750 – Beschlussfassung in den A. 780 f. – Besetzung der A. 768 ff. – Beteiligungsausschuss 521, 764 – und DrittelbG 771 – Einberufung der Sitzungen der A. 776 – Einsetzung von A. 765 ff. – in der Genossenschaft 1271 ff. – und Gesamtaufsichtsrat 749 – Geschäftsordnung 774 – Grenzen der Aufgabendelegation 745 ff. – Informationsansprüche einzelner Aufsichtsratsmitglieder 790 ff. – Informationsansprüche der A. 783 ff. – Informationsansprüche des Gesamtaufsichtsrats 787 ff. – innere Ordnung der A. 774 ff. – in Kreditinstituten 1519 ff. – Mindestgröße entscheidungsbefugter A. 779 – und MitbestG 770 – Niederschrift über Sitzungen der A. 782 – Nominierungsausschuss 760 f., 1520, 1529 ff. – Personalausschuss, s. dort – Pflichtausschüsse 745 – Prüfungsausschuss, s. dort – RPT-Ausschuss 763 – in der SE 1376 – Teilnahme an Sitzungen der A. 777 f. – Teilnahmeverbot 778 – Überblick 745 ff. – überwachende A. 748 – Vermittlungsausschuss 793 ff. – in Versicherungsunternehmen 1519 – vorbereitende A. 747 – Vorsitzender des A. 775 f. 639

Stichwortverzeichnis

Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern – mit einer dem Aufsichtsratsmitglied verbundenen Gesellschaft 876 – Auftrag durch den Aufsichtsrat selbst 865 ff. – Beratung des Aufsichtsrats 858 ff. – Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung über B. 592 – in der GmbH 868 ff. – im Konzern 871 ff. – Organpflichten der Aufsichtsratsmitglieder 859 ff. – Publizität 862, 878 – Rückgewähr ungerechtfertigter Vergütungen 877 – Überblick 858 – Zustimmung des Aufsichtsrats 863 f. Beratung der Geschäftsführung – Gestaltung der Zukunft des Unternehmens 103 – Grenzen des Beratungsauftrags 107 f. – im Konzern 158 – Kritik an Beratungspflicht und -recht 105 f. – Pflicht des Vorstands, sich beraten zu lassen 104 – Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats 103 ff. – Wesen 103 ff. Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung – Auslage und Zusendung an die Aktionäre 599 – über Ausschüsse 596 – und Beauftragung des Abschlussprüfers 587 – über Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern 592 – über Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern 580 ff. – und Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 586 – Form und Inhalt 598 f. – Gestaltung 598 ff. 640

– Interessenkonflikte 588 ff. – zu Jahres- und Konzernabschluss 562 ff. – zur Prüfung des Abhängigkeitsberichts 574 ff. – Rechenschaftsbericht 566 ff. – rechtliche Konflikte 593 ff. – Überblick 561 – ungewöhnliche Ereignisse 597 – Vergütungsbericht 579 – Verstöße gegen die Berichtspflicht 601 – zur Verwendung des Bilanzgewinns 565 – Vollständigkeit 598 Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat – Berichts- und Informationsordnung für den Vorstand 191, 317 ff. – Berichtssystem 191 – Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern 240 – Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats, s. dort – Empfänger 222 – Form 225 ff. – inhaltliche Anforderungen 223 f. – im Konzern, s. Berichte des Vorstands im Konzern – regelmäßige Berichte des Vorstands, s. Berichte des Vorstands, regelmäßige – Sonderberichte, s. Berichte des Vorstands, Sonderberichte – TransPuG 2002 46 – Überblick 191 – und Überwachung der Leitung 66 – und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats 192 – Unternehmensplanung 46 – Vorlageberichte, s. Berichte des Vorstands, Vorlageberichte Berichte des Vorstands im Konzern – regelmäßige Berichte 231 ff. – Sonderberichte 238

Stichwortverzeichnis

– Überblick 228 ff. – Vorlageberichte 239 Berichte des Vorstands, regelmäßige – Einschränkung der Berichtspflichten 207 – Erweiterung der Berichtspflichten 207 – Jahresberichte 198 ff. – im Konzern 231 ff. – Rentabilitätsbericht 204 – Überblick 205 f. – unterjährige Finanzberichte (WpHG) 197a – Vierteljahresberichte 193 ff. Berichte des Vorstands, Sonderberichte – angeforderte B. 212 ff. – im Konzern 238 – im Krisenfall 210 f. – Rechtsgeschäfte von erheblicher Bedeutung 208 – bei wichtigen Anlässen 209 Berichte des Vorstands, Vorlageberichte – Abhängigkeitsbericht 218 ff. – CSR-Bericht 217 – und Jahresabschluss 217 – im Konzern 239 – und zustimmungsbedürftige Geschäfte 220 f. Beschlussfassung im Aufsichtsrat – Abstimmung 722 ff. – Beschlussfähigkeit 717 ff. – fehlerhafte Beschlüsse 739 ff. – formlose Abstimmung 729 – geheime Abstimmung 723 – gemischte Beschlussfassung 730 – Geschäfte mit nahestehenden Personen 732 – Mehrheitserfordernisse 735 ff. – nicht angekündigte Abstimmungsgegenstände 724 – schriftliche Stimmabgabe 726 ff. – Stimmverbote 731 f. – Überblick 715 f.

– Vertagung von Beschlussanträgen 725 – Wirksamwerden des Beschlusses 734 Betriebsrat – Bericht des Aufsichtsrats 42 Bilanzsitzung des Aufsichtsrats – Anwesenheit des Abschlussprüfers 182 ff. – und Feststellung des Jahresabschlusses 181 – Prüfung des Jahresabschlusses 181 Börsennotierte Gesellschaften – Vergütungssytem 396 ff. Business Judgment Rule – Grundsatz 47 – Haftung 986 – UMAG 2005 47 – bei Zustimmungsvorbehalten 112 Compliance – Haftung 986 – im Konzern 150 – Überwachung der Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung 75 – Verschwiegenheitspflicht 303 – Wertpapierdienstleistungsunternehmen 303 Corporate Governance – Deutscher Corporate Governance Kodex, s. dort – Neuerungen durch die Aktienrechtsnovelle 2016 53 – Neuerungen durch das AReG 49, 54 – Neuerungen durch das ARUG 2009 51 – Neuerungen durch das ARUG II 2019 55 – Neuerungen durch das BilMoG 2009 49 – Neuerungen durch das FüPoG 2015 52 – Neuerungen durch das KonTraG 1998 45 641

Stichwortverzeichnis

– Neuerungen durch das MoMiG 2008 48 – Neuerungen durch das TransPuG 2002 46 – Neuerungen durch das UMAG 2005 47 – Neuerungen durch das VorstAG 2009 50 – Regierungskommission Corporate Governance 5 – Überblick 44 CRR-Kreditinstitute 1173 ff., 1256 CSR-Bericht 217, 138, 509, 562 D&O-Versicherung – Vergütungscharakter 1036 – Wesen 1036 – Zulässigkeit 1037 Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat – Abberufung, s. Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern – Amtsniederlegung, s. dort – Regelfall 31 ff. Deutscher Corporate Governance Kodex – Besetzungsplan für den Aufsichtsrat 27 – Bestellung des Vorstands 342 ff. – Erklärung gemäß § 161 AktG, s. Deutscher Corporate Governance Kodex, Erklärung gemäß § 161 AktG – Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern 929 – persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder 25 – Prüfung der Effizienz der Tätigkeit des Aufsichtsrats 655 – Prüfungsausschuss 503, 755 ff. – Überblick 6, 56 – variable Vergütung 407 – Vorbesprechungen bei mitbestimmten Aufsichtsräten 699 642

– Vorsitzender des Aufsichtsrats 662, 677 – Vorstandsvergütung 401, 414 Deutscher Corporate Governance Kodex, Erklärung gemäß § 161 AktG – Abgabetermin 512 – Ausübung des Entscheidungsermessens 513 – und Berichterstattung an die Hauptversammlung 586 – Bezugszeitraum 512 – Entscheidung durch Beschluss 514 – in der SE 1401 – Überblick 56, 510 ff., 613 – Unrichtigkeit 516 – Vergangenheitsbezogenheit 513 – Zugänglichmachung 515 – Zukunftsbezogenheit 513 – Zuständigkeit 514 Diversität 344 f., 1493 Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats – Aufgaben 687 – Rechte und Pflichten 686 – Überblick 685 Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats – Gegenstand 243 – in der Genossenschaft 1265 – Informationsrecht 244 – Konzerngesellschaften 245 – Wesen 241 – Zuständigkeit 242 Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats – Ausscheiden des Ersatzmitglieds 1055 ff. – Bestellung 1052 ff. – entziehende Nachwahl 1056 f. – fakultativer Aufsichtsrat bei der GmbH 1202 – Nachrücken der E. 1054 – Rechte und Pflichten der E. 1059 – Überblick 1051

Stichwortverzeichnis

– überholende Nachwahl 1058 – Wahl 18, 1052 f. Frauenquote, s. Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder – Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil 1147a ff. Genossenschaft, Aufsichtsrat – Abberufung des Vorstands 1276 f. – angeforderte Berichte 1269 – Aufsichtsratsausschüsse 1271 ff. – beschließende Ausschüsse 1272 – Bestellung des Vorstands 1276 f. – CRR-Kreditinstitut 1256 – Delegationsverbote 1273 ff. – Einrichtung 1251 f. – Einsichts- und Prüfungsrechte 1265 – Generalversammlung, Verhältnis 1257 ff., s. auch Genossenschaft, Generalversammlung – Genossenschaft von öffentlichem Interesse 1256 – Haftung 1279 – Information des Aufsichtsrats 1260 ff. – kapitalmarktorientierte Genossenschaften 1256 – Mitbestimmung 1252 – persönliche Voraussetzungen der Aufsichtsratsmitglieder 1253 ff. – Pflichtverletzung 1279 – Prüfungsbericht des Verbandsprüfers 1266 f. – Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats 1258 ff. – regelmäßige Information 1260 f. – Sonderberichte 1269 – Überblick 1251 ff. – Überwachung der Geschäftsführung 1258 f. – Verschwiegenheitspflicht 1270 – Vertretung der Genossenschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern 1278 – Vorlageberichte 1264

– Zusammensetzung 1253 ff. – Zustimmungsvorbehalte 1263 Genossenschaft, Generalversammlung – Aufgaben 1281 – Haftung 1284 – Pflichtverletzung 1284 – Rechte und Pflichten der Mitglieder der Generalversammlung 1284 – Überwachung durch die Generalversammlung 1281 Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat – Einsetzung von Aufsichtsratsausschüssen 766 – Überblick 652 f. – Zustimmungsvorbehalte 116 Geschäftsordnung für den Vorstand – Geschäftsverteilung 464 f. – in der SE 1395 – Zustimmungsvorbehalte 116 Geschlechterquote 30 GmbH – und Arbeitsdirektor 488 – Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern 868 ff. – fakultativer Aufsichtsrat, s. GmbH, fakultativer Aufsichtsrat – Führungslosigkeit 1171 – Pflichtaufsichtsrat, s. GmbH, Pflichtaufsichtsrat GmbH, fakultativer Aufsichtsrat – Abberufung 1201 – Abgrenzung zum Beirat 1207 – Abschaffung durch Satzungsänderung 1185 – AGG und die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder 1196 f. – Altersregelungen 1196 f. – Amtsdauer 1200 f. – Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder 1186 ff. – Aufsichtsratsvorsitzender 1223 – Befugnisse 1204 ff. 643

Stichwortverzeichnis

– Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern 1217 – Beschlussmängel 1225 – Bestellung 1198 ff. – Bildung von Ausschüssen 1224 – Einrichtung durch Satzung 1183 – Entscheidung durch Beschluss 1220 ff. – Ersatzmitglieder 1202 – Falschbezeichnung 1207 – fehlerhafte Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern 1195 – GmbH von öffentlichem Interesse 1231 f. – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, s. GmbH, fakultativer Aufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – Information 1218 f. – Informationssystem 1219 – interne Ordnung des Aufsichtsrats 1220 ff. – öffentliche Unternehmen 1429 – Öffnungsklausel 1183 – persönliche Voraussetzungen der Aufsichtsratsmitglieder 1191 ff. – Pflichten 1204 ff. – Rechte 1204 ff. – stellvertretende Mitglieder 1203 – Überblick 1181 f. – Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder 1215 ff. – Vertraulichkeit der Aufsichtsratsmitglieder 1218 f. – Wahl der Aufsichtsratsmitglieder 1188 – Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder 1213 f. – Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung 1211 – Zusammensetzung 1186 ff. – Zustimmungsvorbehalte 1210 f. GmbH, fakultativer Aufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – Begrenzung der Haftung 1227 – Geltendmachung von Ersatzansprüchen 1229 644

– Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten 1230 – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft 1226 ff. – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder für einen Verstoß gegen das Zahlungsverbot des § 64 Satz 1 GmbHG 1228 – Verzicht 1227 GmbH, Pflichtaufsichtsrat – Arbeitnehmerbegriff 1102 ff. – Aufgaben und Kompetenzen, s. GmbH, Pflichtaufsichtsrat, Aufgaben und Kompetenzen – CRR-Kreditinstitute 1173 ff. – GmbH von öffentlichem Interesse 1173 ff. – Gründungsstadium 1113 – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, s. GmbH, Pflichtaufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – kapitalmarktorientierte GmbH 1173 ff. – Leitungsstruktur der GmbH bei Pflichtaufsichtsrat 1114 ff. – maßgebende Arbeitnehmerzahl 1101 – öffentliche Unternehmen 1428 – Statusverfahren zur Feststellung des einschlägigen Aufsichtsratssystems 1110 ff. – Überblick 1091 ff. – Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder 1435 – Versicherungsunternehmen 1173 ff. – Voraussetzungen nach dem DrittelbG 1096 f., 1103 f. – Voraussetzungen nach dem KAGB 1100 – Voraussetzungen bei Kapitalverwaltungsgesellschaften 1100 – Voraussetzungen nach dem MitbestErgG 1099, 1109 – Voraussetzungen nach dem MitbestG 1098, 1105 ff. – Voraussetzungen nach dem MontanMitbestG 1099, 1109

Stichwortverzeichnis

– Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung 1124 GmbH, Pflichtaufsichtsrat, Aufgaben und Kompetenzen – Abberufung der Geschäftsführer in der drittelmitbestimmten GmbH 1134 – Abberufung der Geschäftsführer in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1133 – AGG und die Besetzung der Geschäftsführung 1139 ff. – Angemessenheit der Vergütung der Geschäftsführer 1136 – Anstellung der Geschäftsführer in der drittelmitbestimmten GmbH 1138 – Anstellung der Geschäftsführer in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1135 f. – besonderes Weisungsrecht der Anteilseigner-Vertreter in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1159 – Bestellung der Geschäftsführer in der drittelmitbestimmten GmbH 1134 – Bestellung der Geschäftsführer in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1132 – Bestellung von Prokuristen in der drittelmitbestimmten GmbH 1150 – Bestellung von Prokuristen in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1148 f. – Einberufung der Gesellschafterversammlung 1128 – Einwirkungsmöglichkeiten auf die Geschäftsführer 1127 ff. – Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer 1131 – Feststellung des Jahresabschlusses 1130 – und Geschäftsordnung für die Geschäftsführung 1129a – Informationsrechte 1125 f. – innere Organisation des Aufsichtsrats in der drittelmitbestimmten GmbH 1157

– innere Organisation des Aufsichtsrats in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1156 – Insolvenzantragspflicht 1171 – Kündigung des Anstellungsvertrags in der drittelmitbestimmten GmbH 1138 – Kündigung des Anstellungsvertrags in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1137 – Mitwirkung auf Gesellschafterebene in der drittelmitbestimmten GmbH 1155 – Mitwirkung auf Gesellschafterebene in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1151 ff. – Organisationskompetenz in der drittelmitbestimmten GmbH 1147 – Organisationskompetenz in der paritätisch mitbestimmten GmbH 1142 ff. – Überblick 1120 f. – Überwachung der Geschäftsführung 1122 ff. – VorstAG 2009 1136 – und Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung 1124 – Zielgrößen für den Frauenanteil 1147a ff. – zustimmungsbedürftige Geschäfte 1129 ff. GmbH, Pflichtaufsichtsrat, Haftung der Aufsichtsratsmitglieder – Begrenzung der Haftung 1167 – D&O-Versicherung 1172 – Geltendmachung von Ersatzansprüchen 1168 – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber Dritten 1169 ff. – Haftung der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft 1160 ff. – Insolvenzverschleppungshaftung 1170 – Verzicht 1166 645

Stichwortverzeichnis

Haftung der Aufsichtsratsmitglieder, s. Aufsichtsratsmitglieder, Haftung

– Verbot von Insidergeschäften 637 – Verschwiegenheitspflicht 290 ff.

Handelsregister – Abberufung von Vorstandsmitgliedern 385 – Bestellung von Vorstandsmitgliedern 385 – und Vorsitzender des Aufsichtsrats 664

Insolvenz – Überwachung der Insolvenzantragstellung 96

Hauptversammlung – Berichterstattung an die Hauptversammlung, s. Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung – Beschlussvorschläge durch den Aufsichtsrat 525 – Einberufung durch den Aufsichtsrat 137, 523 f. – Klage auf Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat 526 – Klage auf Anfechtung/Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder 836

Jahresabschluss – Bericht des Aufsichtsrats 562 ff. – Bilanzsitzung des Aufsichtsrats, s. dort – Feststellung durch den Aufsichtsrat 181, 502 ff. – in der SE 1400

Information des Aufsichtsrats – Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat, s. dort – durch Dritte 245a ff. – Einsichts- und Prüfungsrecht des Aufsichtsrats, s. dort – in Kreditinstituten 1510 ff. – durch das Personal 246 ff. – Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen 1540 ff. – in Versicherungsunternehmen 1510 ff. Insiderrecht – Handelsverbot 634 f. – Insiderinformationen 296, 534 – Überwachungspflicht 612 – unbefugte Weitergabe 296 ff. 646

Interessenkonflikte von Aufsichtsratsmitgliedern, s. Aufsichtsratsmitglieder, Interessenkonflikte

Kapitalmarktrechtliche Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder – Ad hoc-Publizität, s. dort – allgemeine Pflichten 612 ff. – Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG, s. Deutscher Corporate Governance Kodex, Erklärung gemäß § 161 AktG – Insiderhandelsverbot, s. Insiderrecht – Managers’ Transactions 630 – Offenlegung des Aktienbesitzes 636 – Sanktionen 639 – Übernahmerecht, s. dort KGaA, Aufsichtsrat – Abberufung der Geschäftsführung 1305 ff. – Ausführung der Beschlüsse der Kommanditaktionäre 1323 f. – Bestellung der Geschäftsführung 1305 ff. – börsennotierte KGaA 1325 – Einberufung einer Hauptversammlung 1314 – Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats auf die Geschäftsführung 1313 f.

Stichwortverzeichnis

– fakultative Gremien in der KGaA 1333 ff. – Geschäftsordnung für die Geschäftsführung 1319 – gesetzesuntypische KGaA 1327 ff. – Gestaltungen durch die Satzung 1327 ff. – Haftung 1338 – Information des Aufsichtsrats 1311 ff. – Informationsordnung 1312 – Kapitalgesellschaft & Co. KGaA 1330 ff. – Mitbestimmung 1303 ff., 1324, 1333, 1336 – Pflichtverletzung 1338 – Überblick 1301 – Überwachung der Geschäftsführung 1309 ff. – Umfang der Überwachung der Geschäftsführung 1310 – Unterrichtung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat 1315 – Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Komplementären 1320 f. – Vertretung der Kommanditaktionäre 1322 – Zusammensetzung 1302 f. – zustimmungsbedürftige Geschäfte 1316 ff. Konzern – Abhängigkeitsbericht 218 ff. – Abschlussprüfung im K. 187, 189 – Anstellungsvertrag zwischen Vorstand der abhängigen Gesellschaft und Konzernobergesellschaft 449 ff. – Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern 871 ff. – Beratung von Vorstand und Aufsichtsrat 158 – Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen 1515 f. – Billigung des Konzernabschlusses 502 ff. – Einsichtnahme durch den Aufsichtsrat der herrschenden Gesellschaft 245

– Personalkompetenz 490 ff. – Überwachung der Geschäftsführung im Konzern, s. Überwachung der Geschäftsführung im Konzern – Verschwiegenheitspflicht 281 f. – Wesen 141 – zustimmungspflichtige Geschäfte 159 ff. Kreditinstitute, Besonderheiten des Aufsichtsrats, s. Aufsichtsrat, Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen Marktmissbrauchsverordnung (MMVO, MAR) 290, 293 ff., 612 ff. Mitbestimmung – Abberufung von Vorstandsmitgliedern 370 – Anstellung von Vorstandsmitgliedern 387 – Arbeitsdirektor 481, 485 – Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften 518 ff. – Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats 717 ff. – Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen 770 f. – Beteiligungsausschuss 521, 764 – Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Vorstand 474 – Ersatzmitglieder des Aufsichtsrats 1052 f. – in der KGaA 1303 ff., 1324, 1333, 1336 – Mehrheitserfordernisse bei Beschlussfassung des Aufsichtsrats 736 f. – Pflichtaufsichtsrat in der GmbH, s. GmbH, Pflichtaufsichtsrat – in der SE 1353 ff. – Vermittlungsausschuss 793 ff. – Verschwiegenheitspflicht 255 f. – Vorsitzender des Aufsichtsrats 668 ff. – Vorstandsvorsitzender 479 – Wahlverfahren bei der Wahl der Vorstandsmitglieder 349 ff. 647

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Mitentscheidung durch den Aufsichtsrat – und Ausnutzung eines genehmigten Kapitals 517 – und Ausübung von Beteiligungsrechten in mitbestimmten Gesellschaften 518 ff. – Berichterstattung an die Hauptversammlung, s. Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung – Beschlussvorschläge für die Hauptversammlung 525 – Einberufung der Hauptversammlung 523 f. – Erklärung zum Deutsche Corporate Governance Kodex, s. Deutscher Corporate Governance Kodex, Erklärung gemäß § 161 AktG – Feststellung des Jahresabschlusses 502 ff. – Kontrolldichte des Aufsichtsrats 101 f. – Kreditgewährung an Führungskräfte 531 f. – Satzungsänderung 528 – Stellungnahme zu Übernahmeangeboten 620 ff. – Verträge mit Führungskräften 533 – Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern, s. dort – Zustimmungspflichtige Geschäfte, s. dort Öffentliche Unternehmen, Aufsichtsrat – Aufsichtsratsmitglieder einer Gebietskörperschaft 1430 ff. – Berichtspflicht des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber den Gebietskörperschaften 1430 ff. – Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestags 1434 – und GmbH, fakultativer Aufsichtsrat 1429 – und GmbH, Pflichtaufsichtsrat 1428 648

– und Inkompatibilität in Kreditinstituten 1489 – Mitbestimmung 1435 – persönliche Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder 1424 – Pflichtenkollisionen im Aufsichtsrat 914 – Überblick 1421 f. – Verpflichtung auf das Unternehmensinteresse 1427 – Verschwiegenheitspflicht 277, 1430 ff. – Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer GmbH 1435 – Weisungsfreiheit der Aufsichtsratsmitglieder 1425 f. – Zusammensetzung des Aufsichtsrats 1423 f. Organhaftpflichtversicherung, s. D&O-Versicherung Organisation der Aufsichtsratsarbeit – Ausstattung des Aufsichtsrats 656 ff. – Effizienzprüfung 655 – Geschäftsordnung, s. Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat – in Kreditinstituten 1517 ff. – Selbstorganisationspflicht 654 – Überblick 651 – in Versicherungsunternehmen 1517 ff. – Vorsitzender des Aufsichtsrats, s. dort Personalausschuss 752 – Anstellung von Vorstandsmitgliedern 389 ff. – Entscheidungsvorbereitung für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern 337 Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder – allgemeine Voraussetzungen 20 ff. – Besetzungsplan 27 – Corporate Governance Kodex 24, 25, 27

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– fachliche Qualifikationen 24 – fakultativer Aufsichtsrat der GmbH 1191 ff. – Frauenquote 30, 344 f., 1147a ff., 1493, 1529 – KWG 29, 1450 ff. – Konkurrenzsituation mit anderen Unternehmen 22 f. – Mindestqualifikationen 29 – öffentliche Unternehmen 1424 – Rechtsfolgen des Fehlens von persönlichen Voraussetzungen 23 – Satzungsbestimmungen 24 – in der SE 1403 – Überblick 20 – Unabhängigkeit 26 – Unvereinbarkeiten 21 ff. – VAG 29, 1450 ff. Pflicht-Aufsichtsrat – Überblick 7 Pflichten der Aufsichtsratsmitglieder – Einschreiten bei Pflichtverletzungen des Vorstands 892 – beim fakultativen Aufsichtsrat der GmbH 1204 ff. – gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund 930 ff. – Informationspflicht 890 – Interessenkonflikte, s. Aufsichtsratsmitglieder, Interessenkonflikte – KonTraG 1998 45 – Mitarbeitspflicht 886 – Organisationspflicht 889 – Prüfungspflicht 891 – shareholder value-Ansatz 893 – stakeholder value-Ansatz 893 – Überblick 885 – Urteilsbildungspflicht 887 – Urteilsbildungspflicht über die Eignung des Vorstands 888 – Verpflichtung auf das Wohl der Gesellschaft 893 – Verschwiegenheit, s. Verschwiegenheitspflicht Planung, s. Unternehmensplanung

Prüfungsausschuss – und Abschlussprüfer 174, 757 – Anforderungen an den Vorsitzenden des P. 755 – Aufgaben 756 ff. – BilMoG 2009 755 – Corporate Governance Kodex 503, 755 ff. – Einrichtung durch den Aufsichtsrat 190, 755 – in der kapitalmarktorientierten Gesellschaft 756, 759 – in Kreditinstituten 1512, 1520, 1526 ff. – Prüfungsbericht 179, 180 – Überblick 174 – Unternehmensplanung 88 – Vorbereitung der Prüfung und Billigung des Jahresabschlusses 503, 756 Prüfungsbericht des Abschlussprüfers – Befangenheit des Prüfers 180 – börsennotierte Gesellschaften 176 – Empfänger 178 f. – Inhalt 176 – Kommentar zum Lagebericht des Vorstands 177 – Prüfungsumfang durch den Aufsichtsrat 180 Rechte der Aufsichtsratsmitglieder – gegenüber anderen Gesellschaftsorganen 829 f. – aufsichtsratsinterne Mitwirkungsbefugnisse 824 ff. – Berichterstattung durch den Vorstand 829 – Ergänzung des unvollständig besetzten Aufsichtsrats 833 f. – Ergänzung des unvollständig besetzten Vorstands 833 f. – beim fakultativen Aufsichtsrat der GmbH 1204 ff. – auf Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung 831 ff. 649

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– und Klage anstelle des Aufsichtsrats 840 – Klage auf Anfechtung/Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses 836 – Klage auf Durchsetzung von subjektiven Organrechten 838 f. – Klage auf Feststellung der Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen 837 – Klage auf persönliche Ansprüche 841 – Klage auf Vergütung 841 – richtige Zusammensetzung des Aufsichtsrats 835 – Teilnahme an der Hauptversammlung 830 – Vergütung, s. Aufsichtsratsmitglieder, Vergütung Related Party Transactions 55, 113, 134, 588 – RPT-Ausschuss 763 Risiko-Überwachungssystem – und Abschlussprüfer 86 – BilMoG 2009 88 – KonTraG 1998 85 – Umfang 87 Sitzungen des Aufsichtsrats – Anzahl der Sitzungen 688 ff. – Anwesenheit Dritter 703 – Aufhebung der Sitzung 698 – Einberufungsverlangen eines Aufsichtsratsmitglieds 695 ff. – Konzern 704 – Selbsteinberufung durch Aufsichtsratsmitglieder 696 f. – Sitzungsleitung 706 f. – Sitzungsniederschrift 708 ff. – Sitzungssprache 705 – Tagesordnung 693 f. – Teilnahmerecht 700 ff. – Teilnahmerecht von Vorstandsmitgliedern 702 – Telefon-/Videokonferenzen 690 – Verlegung der Sitzung 698 650

– Vorbesprechungen bei mitbestimmten Aufsichtsräten 699 – zusätzliche Sitzungen 691, 695 ff. Societas Europaea (SE), Aufsichtsorgan – Abberufung der Mitglieder des Aufsichtsorgans 1364 – Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans 1397 – und Abschlussprüfer 1400 – Amtsniederlegung der Mitglieder des Aufsichtsorgans 1364 – Amtszeit 1365 f. – Anstellung der Mitglieder des Leitungsorgans 1398 – anwendbares Recht 1358 f. – Anzahl der Mitglieder 1355 – Anzahl der Sitzungen 1375 – Aufsichtsorgan in der dualistischen SE 1352 ff. – Ausschüsse des Aufsichtsorgans 1376 – Berichtsordnung 1390 – Beschlussfähigkeit 1370 – Beschlussfassung 1369 ff. – Bestellung der Anteilseignervertreter 1361 – Bestellung der Arbeitnehmervertreter 1362 – Bestellung der Mitglieder des Leitungsorgans 1396 – Einberufung 1375 – Einwirkung auf das Leitungsorgan 1392 ff. – Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 1401 – Geschäftsleitung durch Mitglieder des Aufsichtsorgans 1373 f. – Geschäftsordnung des A. 1372 – Geschäftsordnung für das Leitungsorgan 1395 – Grundstrukturen 1352 ff. – Haftung 1406 – Information des Aufsichtsorgans 1379 ff. – Information des Aufsichtsorgans im Konzern 1389

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– Inkompatibilität 1403 – innere Ordnung des Aufsichtsorgans 1369 ff., 1375 – Interessenkonflikte 1405 – Internationalisierung der Arbeitnehmerbank 1357 – Jahresabschluss 1400 – Letztentscheidungsrecht der Anteilseigner 1367 – Mitbestimmung 1353 ff. – persönliche Voraussetzungen der Mitglieder des Aufsichtsorgans 1403 – Pflichtverletzungen 1406 – Prüfungsrecht 1385 – Rechnungslegung 1400 – regelmäßige Berichte des Leitungsorgans 1381 – Sonderberichte 1382 – stellvertretender Vorsitzender 1368 – Stimmangabe durch abwesende Aufsichtsratsmitglieder 1371 – Überblick 1351 – Überwachung des Leitungsorgans 1377 ff. – Vergütungen der Aufsichtsorganmitglieder der DAX 30 Unternehmen (Überblick) Anhang – Vergütungen der Mitglieder des Aufsichtsorgans 1404 – Verschwiegenheitspflicht 1391 – Vertretung der Gesellschaft gegenüber dem Leitungsorgan 1399 – Vorsitz des Aufsichtsorgans 1367 – Wiederbestellung 1365 f. – Zusammensetzung 1360 ff. – Zustimmungsvorbehalte 1393 f. Übernahmerecht – erhöhte Überwachungspflicht des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft 625 – Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitspflichten 614 – Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber Aktionären 1029 – Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft 993

– Interessenkollisionen 918 ff. – Stellungnahme zu Übernahmeangeboten 620 ff. – Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Bietergesellschaft 615 ff. – Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft 619 ff. – Verhaltenspflichten des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen 626 ff. Überwachung der Geschäftsführung – Abberufung von Vorstandsmitgliedern 135 – Algorithmen 71a f. – Beratung, s. Beratung der Geschäftsführung – Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat, s. dort – Einberufung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsrat 137 – Einwirkungsmöglichkeiten des Aufsichtsrats 109 ff. – Gegenstand, s. Überwachung der Geschäftsführung, Gegenstand – Geschäftsordnung für den Vorstand, s. dort – Kontrolldichte, s. Überwachung der Geschäftsführung, Kontrolldichte – im Konzern, s. Überwachung der Geschäftsführung im Konzern – in Kreditinstituten 1502 ff. – und Mitentscheidung, s. Mitentscheidung durch den Aufsichtsrat – Prüfungsmaßstab, s. Überwachung der Geschäftsführung, Prüfungsmaßstab – Prüfungsmittel 91 – in der SE 1377 ff. – spezielle Prüfungspflichten 138 – Stellungsnahmen und Beanstandungen 110 – Überblick 61 f. – Umfang 72 – in Versicherungsunternehmen 1502 ff. 651

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Überwachung der Geschäftsführung, Gegenstand 63 ff. – Angestellte des Unternehmens 70 – Berichtspflichten des Vorstands 66 – Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen an leitende Angestellte 70 f. – Leitungsmaßnahmen der Geschäftsführung 65 – Risikomanagement 65, 85 ff. – Tagesgeschäft 68 – Überblick 63 f. Überwachung der Geschäftsführung, Kontrolldichte – Insolvenzantragstellung 96, 100 – in der Krise 95 ff. – im Normalfall 93 f. – Personalentscheidungen 97 – Sanierungskonzept 98 – bei Zustimmungsvorbehalten 101 f. – zwingende Geschäftsführungsmaßnahmen 97 Überwachung der Geschäftsführung im Konzern – abhängige Gesellschaften 164 ff. – Compliance 150 – Eingliederungskonzern 168 – erweiterte Überwachungsaufgaben 142 ff. – faktischer Konzern 146 – Informationsordnung 145 – Interessenkollisionen 166 – Konzernleitung 142 – Ordnungsmäßigkeitskontrolle 151 f. – OWiG 152 – Rechtmäßigkeitskontrolle 148 ff. – Rentabilitätskontrolle 153 – Schwierigkeiten 144 f. – in der SE 1389 – Überblick 156 – Umfang 146, 156 f. – Vertragskonzern 146, 167 – Zweckmäßigkeitskontrolle 154 f. 652

Überwachung der Geschäftsführung, Prüfungsmaßstab – Compliance 75 – fehlende Rechts- oder Sachkunde beim Aufsichtsratsmitglied 78 – Ordnungsmäßigkeit 79 ff. – Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung 74 ff. – und Satzungsänderungen 77 – Unternehmensplanung 80 ff. – Wirtschaftlichkeit 89 – Zweckmäßigkeit 90 Unabhängigkeit, s. Aufsichtsratsmitglieder; Persönliche Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder Unternehmensplanung – BilMoG 2009 88 – Informationswesen 84 – KonTraG 1998 85 – kurzfristige U. 81 – langfristige U. 82 – mittelfristige U. 81 – Neuplanung 83 – Personalplanung 84 – Pflicht des Vorstands zur U. 80 ff. – Prüfungsausschuss 88 – Rechnungs- und Berichtswesen 84 – Risiko-Überwachungssystem 85 ff. – Unternehmensorganisation 79 Unternehmensverfassung – duales System 3, 57 ff. – in Europa 4 – und Europäische Privatgesellschaft (SPE) 4 – und Mitbestimmung 1, 4 – monistisches (one tier-)System 3 – Verbindung von dualem und monistischem System 57 ff. Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) 1094 Vergütung von Aufsichtsratsmitgliedern, s. Aufsichtsratsmitglieder, Vergütung

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Vergütungsbericht 429, 579 Vergütungssystem – börsennotierter Gesellschaften 396 ff. Verschwiegenheitspflicht – Abstimmungsgeheimnis 267 – und Ad hoc-Publizität, s. Ad hoc-Publizität – Beratungsgeheimnis 266 – Compliance 303 – Dauer 285 – fakultativer Aufsichtsrat der GmbH 1218 f. – finanzielle Geheimnisse 273 – Geheimnis, Wesen 259 ff. – in der Genossenschaft 1270 – Insiderrecht, s. dort – kaufmännische Geheimnisse 272 – Kenndaten 269 f. – und Marktmissbrauchsverordnung, s. dort – Meinungsfreiheit 257 f. – und Mitbestimmung 255 f. – öffentliche Unternehmen 1430 ff. – planerische Geheimnisse 274 – Rückkoppelung von Wählern und Gewählten 268 – Sanktionen 288 f. – in der SE 1391 – Selbstbefreiung von der - 284a – technische Daten 271 – TransPuG 2002 46 – Überblick 254 ff. – Umfang, s. Verschwiegenheitspflicht, Umfang – Unterlagen 275 – vertrauliche Angaben 264 – Vertraulichkeitsordnung 320 – Zuständigkeit für die Weitergabe von Informationen 284 Verschwiegenheitspflicht, Umfang – Grenzen 283 – im Konzern 281 f. – öffentliche Unternehmen 277, 1430 ff. – persönlicher Umfang 276

– bei „Vertretern von Großaktionären“ 276 Versicherungsunternehmen, Besonderheiten des Aufsichtsrats, s. Aufsichtsrat, Besonderheiten in Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern – ausgeschiedene Vorstandsmitglieder 454 – Befreiung vom Wettbewerbsverbot 452 – Business Judgment Rule 460 f. – fehlerhaft bestellte Vorstandsmitglieder 454 – Fehlerhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses 457 – Grundsatz der Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat 452 f. – Hinterbliebene früherer Vorstandsmitglieder 454 – und Kreditgewährung 452 – künftige Vorstandsmitglieder 454 – Mängel 457 – Passivvertretung 458 – Umfang 453 ff. – Verfolgung von Schadensersatzansprüchen 459 ff. – Vertretung gegenüber Dritten 455 – Zuständigkeit 456 Vielfalt 344 f., 1493 f. Vorsitzender des Aufsichtsrats – Abberufung 666, 675 – Amtsniederlegung 667 – Amtszeit 665, 674 – Ansprechpartner für institutionelle Investoren 680 – Aufgaben 677 ff. – Bestellung 660 ff. – Corporate Governance Kodex 662, 677 – Handelsregisteranmeldung 664 653

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– Leitung der Aufsichtsratssitzungen 706 f. – und Mitbestimmung 668 ff. – Stellvertreter 661, 672 Vorstand – Bericht an den Aufsichtsrat, s. Bericht des Vorstands an den Aufsichtsrat – Geschäftsverteilung, s. Vorstand, Geschäftsverteilung Vorstand, Geschäftsverteilung – Änderung der G. 457 f. – Geschäftsordnung 465 – Satzung 465 ff. – Zuständigkeit des Aufsichtsrats 465, 470 Vorstandsmitglieder – Abberufung, s. Vorstandsmitglieder, Abberufung – Amtsniederlegung 378 – Amtszeit 355 ff. – Anstellung, s. Vorstandsmitglieder, Anstellung – Anzahl 338 – Arbeitsdirektor, s. dort – Ausschlussgründe 339 ff. – Bestellung, s. Vorstandsmitglieder, Bestellung – Eignungsvoraussetzungen 339 ff. – einvernehmliche Aufhebung 377 – Entsendung von Aufsichtsratsmitgliedern in den Vorstand 471 ff. – Schadensersatzansprüche, Verfolgung durch den Aufsichtsrat 459 ff. – stellvertretende V. 489 – Vertretung der Gesellschaft gegenüber V., s. dort – Vorstandssprecher 480 – Vorstandsvorsitzender, s. dort Vorstandsmitglieder, Abberufung – Arbeitsdirektor 483 – Ausübung des Widerrufsrechts 369 ff. – Bericht an die Hauptversammlung 580 ff. – Dienstbefreiung 384 654

– gerichtliche Überprüfung der A. 373 ff. – Gründe der A. 365 ff. – Handelsregister 385 – Information des Aufsichtsrats 240 – im Konzern 490 ff. – Mängel der A. 372 ff. – und Mitbestimmung 370 – Suspendierung 379 ff. – Überblick 362 ff. – Überwachung 135 – Voraussetzungen der A. 365 ff. – Wirksamwerden der A. 371 – Zuständigkeit des Aufsichtsrats 438 f. Vorstandsmitglieder, Anstellung – Änderungskündigung 445 – und Bestellung 386, 391, 393, 436 ff. – Dauer der Anstellung 393 – einvernehmliche Aufhebung 444 – Interim Management 451 – im Konzern 490 ff. – mit Konzernobergesellschaft 449 ff. – Kündigung aus wichtigem Grund 440 ff. – Kündigung durch das Vorstandsmitglied 446 f. – Mängel 394 – und Mitbestimmung 387 – ordentliche Kündigung 444 – Personalausschuss des Aufsichtsrats 389 ff. – Rechtsnatur des Anstellungsvertrages 386 – Rechtsschutz 448 – Übertragung auf einen Ausschuss 389 ff. – Umwandlung in Arbeitsverhältnis 437 – Vergütung, s. Vorstandsmitglieder, Vergütung – Zuständigkeit des Aufsichtsrats 387 f., 438 f. Vorstandsmitglieder, Bestellung – Altersrente 346 – Arbeitsdirektor 483

Stichwortverzeichnis

– Bericht an die Hauptversammlung 580 ff. – Beschlussfassung 347 ff. – Corporate Governance Kodex 342 ff. – Dauer der Bestellung 355 f. – Entscheidungsermessen des Aufsichtsrats 338 ff. – Entscheidungsvorbereitung durch Personalausschüsse 337 – Frauenanteil 344 f. – Geschäftsverteilung 465 ff. – Handelsregister 385 – im Konzern 490 ff. – Mängel der Bestellung 360 f. – Verlängerung der Amtszeit 357 – Vielfalt bei der Zusammensetzung des Vorstands 344 f. – Wahlverfahren nach dem MitbestG 349 ff. – Zeitpunkt der Neubestellung 359 – Zeitpunkt der Wiederbestellung 358 – Zuständigkeit des Aufsichtsrats 332 ff. Vorstandsmitglieder, Vergütung – Abfindung bei Ausscheiden 420 – aktienbasierte Vergütungsbestandteile 410 – Angemessenheit der Bezüge 401 ff. – Begrenzungsmöglichkeit (Cap) 413 – Beschlussfassung durch die Hauptversammlung 395, 430 ff. – börsennotierte Gesellschaften 396 ff. – Business Judgment Rule 406 – Change of Control-Klauseln 422 – Clawback-Klauseln 426 – Corporate Governance Kodex 401 – einmalige erfolgsabhängige Vergütung 416 – Erfolgsparameter 409 – Festvergütung 407 – Herabsetzung der Bezüge 423 ff. – Herabsetzung festgelegter Erfolgsziele 411 – Hinzuziehung eines Vergütungsberaters 406

– jährliche erfolgsabhängige Vergütung 408 ff. – konzernweite Betrachtung 412 – langfristige erfolgsabhängige Vergütung 408 ff. – Leistungen an ausscheidende Vorstandsmitglieder 419 ff. – Offenlegung der Vergütung 428 f. – Repricing 411 – Ruhegehalt 417 – Tantieme 415 – Überblick 395 – Übergangsgeld bei Ausscheiden 418 – Übertragung auf einen Ausschuss 389 ff. – variable Vergütung 407 ff. – Vergütungsbericht 429 – Vergütungsbestandteile 407 ff. – Vergütungsleistungen durch Dritte 427 – Vergütungssystem in Kreditinstituten 1507 f., 1524, 1534 ff. – Vergütungssystem in Versicherungsunternehmen 1507 f. – Wettbewerbsverbot 421 Vorstandsvorsitzender – Chief Executive Officer 478 – Rechte 477 f. – Überblick 476 – Zuständigkeit für die Ernennung 479 Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern – Anfechtung 19 – Anteilseignervertreter in der AG 14 – Anteilseignervertreter in der Genossenschaft 15 – Anteilseignervertreter in der GmbH 16 – Arbeitnehmervertreter 10 ff. – Ersatzmitglieder 18 – fehlerhafte Wahl in der AG 19 – fehlerhafte Wahl in der GmbH 1195 – Überblick 9 ff. – Wahlvereinbarungen 17 655

Stichwortverzeichnis

Zusammensetzung des Aufsichtsrats – Überblick 8 Zustimmungspflichtige Geschäfte – Ad hoc-Zustimmungsvorbehalt 117 – Berichterstattung durch den Vorstand 220 f. – Einflussnahme auf den Vorstand 112 ff. – Einrichtung 114 ff. – Folgen der Nicht-Einhaltung 133 – Folgen der (versagten) Zustimmung 123 ff. – generalklauselartige Zustimmungsvorbehalte 118 – Generalzustimmung 127 – in der Genossenschaft 1263

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– Geschäftsordnung 116 – in der GmbH mit Pflichtaufsichtsrat 1129 ff. – Information des Aufsichtsrats 125 – Katalog 118 – in der KGaA 1316 ff. – im Konzern 159 ff. – MitbestG 163 – nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) 221 – Related Party Transactions 134 – in der SE 1393 f. – TransPuG 2002 46 – Übertragung auf einen Ausschuss 128 – Umfang 118 ff., 130 ff. – Zweck 118