Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt 9783412311131, 3412044911, 9783412044916

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Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt
 9783412311131, 3412044911, 9783412044916

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STÄDTEFORSCHUNG Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster

in Verbindung mit

K. Blaschke, W. Ehbrecht, H. Heineberg, H. Jäger, P. Johanek, E. Meynen, R.-E. Mohrmann, F. Opll, H. Naunin, F. Petri, H. Schilling und H.K. Schulze herausgegeben von

Heinz

Stoob

Reihe A: Darstellungen Band

31

RECHT, VERFASSUNG UND VERWALTUNG IN DER FRÜHNEUZEITLICHEN STADT

herausgegeben von Michael

Stolleis

Φ 1991

BÖHLAU

VERLAG KÖLN

WIEN

Diese Arbeit wurde mit Mitteln des Kuratoriums für vergleichende Städtegeschichte e.V., die das Land Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stellte, gedruckt.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Recht, Verfassung und Verwaltung in der friihneuzeitlichen Stadt / hrsg. von Michael Stolleis. - Köln ; Wien : Böhlau, 1991 (Städteforschung : Reihe A, Darstellungen ; Bd. 31) ISBN 3-412-04491-1

NE: Stolleis, Michael [Hrsg.]; Städteforschung / A

Copyright ©1991 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten

Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Werk unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere vorbehalten sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes - auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des Vertrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, der Ubersetzung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung. Textaufnahme, EDV-Satz und Umbruch: Institut für vergleichende Städtegeschichte, Münster Belichtung: Universitätsdruckerei H. Stürtz, 8700 Würzburg 1 Druck: Strauss Offsetdruck GmbH, 6945 Hirschberg 2 Bindung: Buchbinderei Schaumann, 6100 Darmstadt Printed in Germany ISBN 3-412-04491-1

INHALT

Michael Stolleis Einleitung

VII

Verzeichnis der Mitarbeiter

XV

Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen Hermann Kellenbenz ( f )und Stadtwirtschaft in der Frühen Neuzeit Verfassungsentwicklung

XVI 1

Heinz Schilling Stadt und frühmoderner Territorialstaat: Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität

19

Georg Schmidt Städtetag, Städtehanse und frühneuzeitliche Reichsverfassung

41

Frìedrìch Bern ward Fahlbusch Bemerkungen zur Führungsgruppe des Hansischen Verbandes 1560 - 1576 .

63

Rainer Postel Kirchlicher und weltlicher Fiskus in norddeutschen Städten am Beginn der Neuzeit Günther Wartenberg Der Landesherr und die kirchliche Neuordnung in den sächsisch-albertinischen Städten zwischen 1539 und 1546

109

Klaus Flink Rechts- und Verfassungsentwicklung klevischer Städte vom 15. bis zum 17. Jahrhundert

121

Olav Moorman van Kappen Stadtrechtsreformationen des 16. Jahrhunderts in den Niederlanden

141

Christine van den Heuvel Städtisch-bürgerliche Freiheit und fürstlicher Absolutismus. Verfassung und Verwaltung der Stadt Osnabrück in der Frühen Neuzeit

159

91

VI

Inhalt

Rainer Koch Herrschaftsordnung und Sozialverfassung im frühneuzeitlichen Frankfurt am Main

173

Herbert Langer Die „Ungefehrliche Reformation oder Regimentsordnung" des Stralsunder Ratsherrn Balthasar Prütze (1570 - 1632)

199

Franz Quarthai Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten der Frühen Neuzeit

217

Bernhard Kirchgässner Integrationsprobleme einer bürgerlichen Gründungsstadt in der frühen Neuzeit: Mannheim 1660- 1720

241

Heinz Stoob Zwischen Autonomie und Dirigismus: Zum Städtenetz in Mitteleuropa vom Aufgange der Neuzeit bis zur Wende 1800

267

Index der Personennamen

284

Index der Ortsnamen

287

EINLEITUNG von M i c h a e l

Stolleis

I

Die theoretische Reflexion über Aufstieg, Blüte und Verfall der Städte setzt in einer Phase ein, in der die Lage der Städte als krisenhaft empfunden wird, nämlich Ende des 16. Jahrhunderts. Giovanni Botero (1544-1617) veröffentlichte 1588 sein Werk „Delle cause della grandezza e magnificenza delle città" Darin reflektierte er die natürlichen und politischen Bedingungen der Stadtentwicklung, er diskutierte die Faktoren der geographischen Lage, der Volksmenge, der Bildung, des Rechtswesens und der Privilegien für Handel und Gewerbe, und am Ende überlegte er, woher es komme, daß wohlhabende Städte dahinwelken und wie man dem begegnen könne. Kurz darauf veröffentlichte der kurpfälzische Rat Hippolithus à Collibus ein vergleichbares Buch: „Incrementa urbium sive de causis magnitudinis urbium" (1600)2. Von da an sind die Erörterungen über das Phänomen „Stadt" nicht mehr abgerissen, und sie sind stets als Aufgabe unterschiedlichster Disziplinen angesehen worden. Geographie und Ökonomie, Militärwissenschaft, Jurisprudenz, Historie und Staats- und Gesellschaftswissenschaften im umfassenden Sinn waren und sind hier involviert. Die „Stadt" ist ein reich facettiertes Forschungsobjekt. Auch die in der Überschrift dieses Bandes enthaltene thematische Beschränkung läßt noch eine unbestimmbare Vielzahl von Varianten und möglichen Zugängen offen. Nur einige von ihnen konnten im Rahmen einer begrenzten Tagung berührt werden. Die in diesem Band enthaltenen Texte sind als Vorträge auf dem 18. Kolloquium des Kuratoriums fur vergleichende Städtegeschichte vom 30. März bis 1. April 1987 in Münster gehalten und diskutiert worden. Später hinzugekommen sind die Beiträge von Rainer Postel und Heinz Stoob. In den vier Jahren zwischen dem Kolloquium und dem Erscheinen des Bandes ist die städtegeschichtliche Forschung weiter vorangeschritten 3 . Die Autoren haben l

Zü Botero vgl. L. FIRPO, Dizionario Biografleo degli Italiani, Bd. 3 (1971), S. 352-362. Das Werk wurde 1593 ins Spanische, 1606 ins Englische übersetzt. Zu der Übersetzung ins Latein durch den hessischen Pfarrer Georg Draudius vgl. M. STOLLEIS, La Fortuna di Botero in Germania, in: E. BALDINI (Hg.), Botero, Turin 1991. 2 Eine zweite Auflage mit Anmerkungen von M. Naurath ist 1671 in Frankfurt a.M. erschienen. Zum Verfasser K. CONERMANN, Hippolithus a Collibus. Zur Ars politica et aulica im Heidelberger Gelehrtenkreis, in: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert, 3 Bde., Wiesbaden 1981, Bd. 3, S. 693-700. 3 H. BOOKMANN, Die Stadt im späten Mittelalter, München 1986; K. FLINK/W. JANSSEN (Hgg.), Grundherrschaft und Stadtentstehung am Niederrhein (KlArch 9), Kleve 1989; K. GERTEIS, Die deutschen

Vili

Michael Stolleis

ihre Beiträge entsprechend überarbeitet. Der Herausgeber schuldet ihnen dafür ebenso Dank wie dem Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster für die Betreuung des Bandes, insbesondere den Herren Stefan Kerkemeyer und Christoph Schütte.

II

Recht, Verfassung und Verwaltung der Städte sind klassische Felder der historischen Forschung. Stadtgeschichte war zu einem großen Teil stets auch Stadtrechtsgeschichte. Dies lag einmal daran, daß die überlieferten Quellen durchweg Rechtsquellen waren, zum anderen aber auch an einer bestimmten, auf die Normen ausgerichteten Perspektive. Wer die spezifische Lage einer Stadt erfassen wollte, hielt sich zunächst an die Normen der innerstädtischen Machtverteilung, studierte die Stadtrechte und ging den Bindungen der Städte in Städtebünden sowie ihrer Stellung in der Hierarchie des Reiches nach. Die innere Struktur der Stadt, ihr Sozialgefüge und ihre Wirtschaft wurden durch ein immer feiner werdendes Netz von Normen der Stadtverfassung und ihrer militärischen, sozialen und ökonomischen Sektoren geordnet. Auch die kleineren korporativen Untereinheiten wie etwa die Zünfte erhielten ihre Form durch Rechtsnormen. Desgleichen waren die Außenbeziehungen der Städte in der Vertikale des Reichsverfassungsrechts sowie der bündischen Zusammenschlüsse von Städten in der Horizontale rechtlich geordnet. Überall Normen und — speziell in der frühen Neuzeit — städtische Juristen, die das Rechtsargument stark in den Vordergrund schoben. Deshalb können auch Wissenschaften, die sich für Wirtschafts- und Sozialdaten, politische Geschichte, Mentalitäten und geistigen Habitus interessieren, auf die Ausschöpfung von Rechtsquellen nicht verzichten, wenn sie die „hinter" den Normen liegenden Verhältnisse und Verhaltensweisen rekonstruieren wollen. Schon insofern ist also der Rechtstext als vielfältig deutbare Quelle der Stadtgeschichte unverzichtbar. Dennoch ist das Thema „Recht, Verfassung und Verwaltung in der frühneuzeitlichen Stadt" längst nicht so erforscht, wie es wünschenswert wäre. Auch der

Städte in der frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt", Darmstadt 1986; E. ISENMANN, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988; W.R. KRABBE, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1989; K. KRÜGER (Hg.), Europäische Städte im Zeitalter des Barock. Gestalt - Kultur Sozialgefüge, Köln/Wien 1988; B. MOELLER, Reichsstadt und Reformation, bearb. Neuausgabe, Berlin 1987; R.A. MÜLLER (Hg.), Reichsstädte in Franken, München 1987; V. PRESS, Die Reichsstadt in der altständischen Gesellschaft, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, ZHF, Sonderh. 3 (1987), S. 9ff.; D. WILLOWEIT, Deutsche Verfassungsgeschichte, München 1990, S. 158fT. — Vgl. im übrigen die von Heinz Stoob i.V.m. W. Ehbrecht und B. Schröder herausgegebene „Bibliographie zur deutschen historischen Städteforschung", 2 Teile, Köln/Wien 1986, 1991 (im Druck), die Bibliographie bei Klaus Gerteis sowie die .Annotierte Gesamtbibliographie 1976-1988" des vom Institut für vergleichende Städtegeschichte initiierten Sonderforschungsbereichs „Vergleichende geschichtliche Städteforschung" der Universität Münster, 1989. Die Arbeiten zu Recht, Verfassung und Verwaltung werden durch das Institut mit einem 1992 erscheinenden Sammelband fortgeführt werden, der der Behandlung der „Städtischen Selbstverwaltungsorgane vom 14. bis 19. Jahrhundert" gewidmet ist.

Einleitung

IX

vorliegende Band enthält nur einige Querschnitte und Einzelstudien. Der Grund des generellen Defizits mag zunächst darin liegen, daß den deutschen Städten der frühen Neuzeit herkömmlich nur ein Platz auf der Schattenseite der Geschichte zugebilligt wurde. „Die deutsche Geschichte", so schreibt Bernd Moeller4 mit Blick auf die frühe Neuzeit, „wurde von den Städten her nicht mehr beunruhigt". Es schien unbestreitbar: In der Konkurrenz mit dem aufsteigenden absolutistischen Territorialstaat fielen die Städte nach allgemeiner Ansicht zurück, sie gerieten in wirtschaftliche Schwierigkeiten, der Dreißigjährige Krieg ruinierte viele von ihnen vollständig, die Schulden drückten. Das Regiment der Räte und der Zünfte erwies sich als zu unbeweglich, um den Herausforderungen durch die merkantilistische Politik der Flächenstaaten gewachsen zu sein5. Die Bedeutung der Reichsstädte sank, die Landstädte erlagen dem Zugriff der Fürsten. Insgesamt, so der Konsens der Historiker, handelte es sich um eine Periode des Niedergangs und Verfalls6. In den letzten Jahrzehnten hat sich dieses Bild gewandelt. Dazu hat vor allem beigetragen, daß die auf den Staat des 19. Jahrhunderts ausgerichtete Perspektive der älteren Geschichtswissenschaft und der Rechtsgeschichte schrittweise verschoben wurde. Der souveräne Nationalstaat ist nicht mehr wie im 19. Jahrhundert das Maß aller Dinge. Übergreifende Friedensordnungen, die auch für schwächere Glieder Freiräume garantierten und ideologische Gegensätze durch Verfahrensregeln entschärften, erschienen nach den beiden Katastrophen der Weltkriege des 20. Jahrhunderts wieder in positiverem Licht. Das vom 19. Jahrhundert vielgeschmähte Ancien Regime wurde zunehmend nuancierter dargestellt. Der Kausalzusammenhang zwischen dem Niedergang der Städte und dem Aufstieg des Territorialstaates war allenfalls noch als Leitlinie brauchbar, während die Detailbetrachtung zu immer weiteren Ausnahmen führte. So wurde deutlicher, daß die Reichsinstitutionen lebendiger gewesen waren, als man früher angenommen hatte, etwa die Reichskreise7. Das Reichskammergericht entsprach bei genauerer Analyse keineswegs der üblichen Vorstellung eines ineffektiven, zur Bearbeitung seiner Fälle unfähigen Reichsorgans8. Auch die befriedende Funktion des Reichshofrats wird heute klarer gesehen9. Das Reich insgesamt erfüllte als flexible und auf Friedlichkeit angelegte Ordnung eine wichtige Pufferfunktion in Mitteleuropa. Es gab kleineren Einheiten wie den Reichsritterschaften und Reichsstädten Entwicklungschancen zwischen den Blöcken der größeren Territorien10. Die dabei genutzten machtpolitischen „Nischen" dienten der 4

MOELLER, wie Anm. 3, S. S9ff., S. 96.

5

V. PRESS (Hg.), Städtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa, Köln/Wien 1983. «Vgl. dazu auch GERTEIS, wie Anm. 3, S. 5FF.: Die frühneuzeitlichen Städte im Urteil der historischen Forschung. 7 W. DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des Alten Reiches und ihr Eigenleben (1500-1806), Darmstadt 1989. 8 B. DIESTELKAMP, Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16. Jahrhunderts, in: FS für A. Erler, Aalen 1976, S. 4 3 5 - 4 8 0 ; DERS., Das Reichskammergericht im Rechtsleben des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Wetzlar 1985; DERS. (Hg.), Forschungen aus den Akten des Reichskammergerichts, Köln/Wien 1984 (im folgenden zitiert: DIESTELKAMP, Forschungen); F. RANIERI, Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert, 2 Bde., Köln/Wien 1985; HJ. HECKER, Die Reichsstädte und die beiden obersten Reichsgerichte, in: MÜLLER, wie Anm. 3, S. 169-182. 9 0 . VON GSCHLIESSER, Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1599 bis 1806, Wien 1942; P. MORAW, Reichshofrat, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. IV, 27. Lieferung, Sp. 6 3 0 - 6 3 8 . 10

WILLOWEIT, w i e A n m . 3, S. 160.

χ

Michael Stolleis

Verteidigung von Besitzständen, und das war nicht wenig in einer Phase, in der die Städte dem Modernisierungsdruck der Territorien ausgesetzt waren. Immerhin erlaubten sie den geschützten Wiederaufstieg der Städte nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Ansammlung von Wohlstand und die Entfaltung einer stadtbürgerlichen Kultur außerhalb der höfischen Zentren. Je genauer die Rahmenbedingungen der Städte erforscht wurden, desto mehr erwies es sich als notwendig, auch die Städte selbst als mehrdimensionale Handlungseinheiten zu begreifen. Damit ist nicht nur die soziale Binnenstruktur der Stände, Schichten und Gruppen gemeint, sondern auch die Einbindung der Städte in überregionale Verbände, Bündnissysteme, verwandte Rechtsordnungen und Rechtszüge zu gemeinsamen Obergerichten. Auch die unterschiedlichen Städtelandschaften (Oberitalien, Hanseraum, Niederlande, Niederrhein, Oberrhein, Schwaben und Franken) sowie die „Städtetypen" 11 traten schärfer hervor. Speziell die Städtetypologie wies in der frühen Neuzeit Veränderungen auf. Zu den hergebrachten mittelalterlichen Städten mit ihren Zentren von Markt, Burg, Pfalz und Dom traten nun Gründungen, in denen sich der Gestaltungswille des Fürstenstaates manifestierte, so etwa in der Haupt- und Residenzstadt, in der Garnisons- und Festungsstadt 12 , in Bergstädten, Kolonisten- und Exulantenstädten, in Konkurrenzgründungen (Altona) und Freihäfen 13 . Einen Sondertypus bildet die für Deutschland besonders wichtige Universitätsstadt. Unterschiedliche Profile zeigt auch die Gruppe der Reichsstädte; hier reicht der Bogen von der überregional wirkenden „großen" Freien und Reichsstadt bis zur dorfähnlichen Kleinstadt 14 , und es gab Städte, die kurz unterhalb des Status der Reichsstadt verharrten bzw. deren Status trotz überragender Bedeutung unklar blieb (Hamburg, Bremen). Die Forschung ist also differenzierter, aber auch diffuser geworden, weil für fast jeden generellen Satz wieder Ausnahmen beigebracht werden können. Lokalgeschichte und großflächig angelegte Strukturgeschichte, Sozial-, Wirtschafts-, Rechtsund Ideengeschichte durchdringen sich, und es kann als methodisches Gemeingut gelten, daß jeder Zugang zur Stadtgeschichte erlaubt ist, sofern die anerkannten historiographischen Grundregeln eingehalten werden, und daß jede dieser Richtungen auf engste Kooperation mit den anderen angewiesen ist.

" H , STOOB, Über frühneuzeitliche Städtetypen, in: DERS., Forschungen zum Städtewesen in Europa, Bd. 1, Köln/Wien 1970, S. 246-284; DERS., Frühneuzeitliche Städtetypen, in: Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. DEMS., Köln/Wien 21985, S. 191-223. 12 E. ENNEN, Die Festungsstadt als Forschungsgegenstand — Die Herausbildung der Festungs- und Garnisonsstadt als Stadttyp, in: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Fes t u n g s s t a d t , h g . v. H . - W . HERRMANN/F. IRSIGLER, S a a r b r ü c k e n 1 9 8 3 , S. 19-40. 13GERTEIS, w i e A n m . 3, S. 18ff. 14

Aufschlußreiche Quellen zur Situation in solchen Kleinstädten bietet die deutsche Literatur in Fülle, etwa Wielands „Abderiten" oder Jean Pauls „Siebenkäs". Zu letzterem vgl. M. STOLLEIS, Die Verfassung des Reichsmarktfleckens Kuhschnappel, in: Der Aquädukt 1763-1988. Ein Almanach, München 1988, S. 22-28.

Einleitung

XI

III

1. Fragt man nach der Stellung der Städte im frühneuzeitlichen Reich — etwa zwischen 1450 und 1750 —, so ist zunächst festzuhalten, daß es ein Nord-Süd-Gefälle des Interesses und der Bindungen gegenüber dem Reich gibt 15 . Die Städte im Norden waren vom Reich nicht abhängig, der Status einer Reichsstadt bedeutete wenig (Georg Schmidt). Im Süden war die Lage anders; hier war das Verhältnis zum Reich keineswegs spannungsfrei, aber es war ein Geben und Nehmen, bei dem die Städte durchaus an der Erhaltung des Reiches interessiert waren. Das Reich garantierte durch seine übergreifende Rechtsordnung einen friedlich-schiedlichen Ausgleich, so mangelhaft dieser im Einzelfall auch funktionieren mochte, und es bot einen gewissen Rückhalt gegen Begehrlichkeiten der Landesherren, ohne selbst bedrohlich zu sein. Das Reich und die Städte mußten gleichsam „notwendig" aneinander festhalten, da sie beide hinter die Dynamik des Fürstenstaates zurückfielen, also beide auf die Sicherung der Rechtsordnung, genauer: der bestehenden Verhältnisse durch die Rechtsordnung, angewiesen waren. Die konfessionelle Spaltung komplizierte die Lage zusätzlich. Vom katholischen Kaiser wurde die Garantie des Religionsfriedens von 1555 erwartet, die Landesherren griffen über das territoriale Kirchenregiment in die Stadtverfassung ein (Günther Wartenberg), so daß oft die Städte in Schwächeperioden von dem einen Hilfe nicht bekommen konnten, von dem anderen aber nicht bekommen wollten. Die Beziehungen der Freien und Reichsstädte beruhten reichsverfassungsrechtlich auf ihrem „Status als reichsunmittelbare Stände" (Georg Schmidt), sie agierten auf den Reichstagen und sie pflegten direkte Beziehungen zum Kaiser. In diesem Geflecht sank die Bedeutung der spätmittelalterlichen Städtebünde in ökonomischer, militärischer und diplomatischer Hinsicht. Viele Reichsstädte schieden auch aus dem Reichsverband aus, so der gesamte westliche Rand von Metz, Toul und Verdun (1552) über das Elsaß (1648) nach Straßburg (1681) und Besançon (1679) bis zu Basel und Schañhausen (1501), Mühlhausen (1515) und den eidgenössischen Städten (1531). Nach dem Schmalkaldischen Krieg gelang eine kraftvolle bündische Zusammenfassung nicht mehr. Die Städte hatten ein Machtpotential abgeben müssen, das ihnen im Mittelalter Politik im großen Stil erlaubt hatte. Nun ging es — speziell nach 1650 — um Wiederaufbau und Bestandssicherung. 2. Die Formel „Stadtrepublikanismus versus Fürstensouveränität" (Heinz Schilling) bezeichnet die für die Städte bedrohlichste Frontlinie der frühen Neuzeit. Zweifellos hatte vom 15. Jahrhundert an der Fürstenstaat die Initiative ergriffen. Er bildete aus dem Bündel traditioneller Hoheitsrechte die Landeshoheit 16 , er verwandelte — jedenfalls tendenziell — die ständisch gegliederte Gesellschaft in den einheitlichen Untertanenverband, er disziplinierte die Gesellschaft durch intensive Aufsicht, er bestimmte als Kamerai- oder Merkantilstaat die Wirtschaft, baute sich einen bürokratischen Herrschaftsapparat, schuf stehende Heere, gründete Universitäten und wurde so nach innen und außen „souverän" tätig 17 . Dieser Staat war 15

Vgl. dazu nunmehr W. PARAVICINI (Hg.), Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, Sigmaringen 1990. D. WILLOWEIT, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, Köln/Wien 1975. 17 M. STOLLEIS, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a.M. 1990. 16

XII

Michael Stolleis

gewissermaßen naturhaft den unabhängigen, selbstverwalteten und zu eigenständiger Politik fähigen Gebilden auf seinem Territorium feindlich gesonnen. Er wollte ihre Steuerkraft nutzen, sie politisch und militärisch zügeln, und er empfand ihren Sonderstatus als lästig. Er beschränkte deshalb die Privilegien, suchte die Finanzen und die Ratswahlen zu kontrollieren und höhlte die städtische Autonomie aus, soweit es irgend ging. An diesem Bild ist vieles unbestreitbar richtig. Der Fürstenstaat war Träger der Modernisierung, und er überholte insoweit die Städte. Aber vieles ist eben auch unrichtig: Der Absolutismus hat sich keineswegs überall durchgesetzt, weder territorial noch herrschaftstechnisch. Er mußte sich schon aus machtpolitischem Kalkül mit der ständischen Welt in vielfältiger Weise arrangieren. Anspruch und Realität des Absolutismus klafften oft weit auseinander. Vor Ort wurde oft nicht mehr wörtlich genommen, was die Zentrale befahl. Ein „vorindustrieller Lebensrhythmus", mangelhaftes Funktionieren der Behörden und die allgegenwärtige Korruption taten ein übriges. Die Städte befanden sich auch nicht „notwendig" in einer allgemeinen Stagnationsphase, wie sowohl die niederländischen Städte als auch die vom Absolutismus begünstigten Residenz-, Festungs- und Universitätsstädte beweisen. Wo die Städte ihr Terrain gegen den Absolutismus halten konnten, bildeten sie ein zwar meist oligarchisch regiertes, aber doch „nichtabsolutistisches" Element 18 . Sie bewahrten Freiräume für kirchliche und korporative Sonderentwicklungen, für ökonomische, politische und kulturelle „Libertet", freilich auch Residuen für Korruption und hilflose Schuldenpolitik (Rainer Postel), für eine immer dichter werdende Abschirmung der städtischen Führungsschichten (Fahlbusch, Schilling, Quarthai, Koch). Die Bilanz zeigt die deutschen Städte am Ende nicht als eindeutige Verlierer, freilich auch nicht mehr als Träger der politischen Dynamik. Dazu waren die ökonomischen Verschiebungen nach 1550 für sie zu ungünstig verlaufen, dazu waren die Kriegsschäden des 17. Jahrhunderts zu tiefgreifend (Kellenbenz), und dazu war die herkömmliche genossenschaftliche Idee zu stark oligarchisch verbogen und petrifiziert, um mit dem bürokratischen Anstaltsstaat wirklich konkurrieren zu können (Quarthai). 3. Wendet man sich von den Außenbeziehungen der Städte nach innen, dann trifft man auf die frühneuzeitliche Stadtverfassung. Die im Hoch- und Spätmittelalter ausgebildete Grundstruktur erfährt langsame Wandlungen. Zwar bewältigten die Städte die durch die Reformation aufgeworfenen Probleme noch weitgehend selbst, indem sie Kirchenfragen, Bildungswesen und Armenfürsorge neu ordneten. Aber sie mußten sich doch, je mehr das landesherrliche Kirchenregiment entstand, mit dem Landesherrn arrangieren (Wartenberg). Trotz einzelner dramatischer Ereignisse blieb das Muster der Stadtverfassung erhalten. Die Beispiele der klevischen Städte (Flink), der südwestdeutschen Städte (Quarthai), der Städte Osnabrück (van den Heuvel) und Frankfurt (Koch) zeigen kein einheitliches, aber doch insgesamt auch kein sehr bewegtes Bild. In vielen Fällen versuchten die Bürger, die Kontrolle über die vom Rat verwalteten städtischen Finanzen zu erlangen (Postel), es gab Spannungen und Revolten, besonders zwischen 1590 und 161019, die dann durch Rezesse oder Ein18

U. SCHEUNER, Nichtmonarchische Staatsformen in der juristischen und politischen Lehre Deutschlands im 16. und 17. Jahrhundert, in: R. SCHNUR (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 737-773. 19 G. SCHWERHOFF, Bürgerlicher Konflikt in Köln 1608-1610. Zur Vorgeschichte des „Summarischen Extraktes", in: JbKölnGV 60 (1989), S. 31-75.

Einleitung

XIII

griffe von außen beigelegt wurden (Schilling, Postel). Prinzipielle Verschiebungen der Gewichte traten jedoch nicht mehr ein. Frankfurt, nach dem Zusammenbruch des sog. Fettmilch-Aufstandes (1612-1616), ist hierfür das klassische Beispiel: Es gab gewisse Erfolge der Bürgerschaft im Kampf um die Mitbestimmung im Stadtregiment, aber auch zähe Terrainverteidigung durch die Ratsgeschlechter und Abwehr von Innovationen aller Art (Koch, Quarthai). Es ist deshalb auch schlüssig, wenn Schilling feststellt, ein wirklicher Brückenschlag zwischen dem mittelalterlichen, genossenschaftlichen Autonomiemodell der Städte zum „Bürgerrepublikanismus der Neuzeit" sei in Deutschland nicht gelungen, das autoritäre Sozialmodell des Fürstenstaates habe die — etwa in den Niederlanden zu beobachtende — Kontinuität geschwächt und schließlich unterbrochen. Daß das Selbstverwaltungsmodell des 19. Jahrhunderts wieder hoheitlich von oben eingepflanzt werden mußte, ist bezeichnend genug 20 . Von da an erschien die „Stadtverfassung" nicht mehr als historisch gewachsenes Ensemble von Rechten, sondern als gesetzlich geprägtes Einheitsmodell. Die kommunale Selbstverwaltung, historisch älter als der Staat der Neuzeit, wurde nun vom Staat „gewährt" 21. 4. Mit der Neugestaltung der Stadt- und Landrechte, der Umformung der städtischen Gerichtsbarkeit und der zunehmenden Bürokratisierung der Verwaltung 22 ist auch die Frage der Führungsschichten eng verbunden. Vom 14. Jahrhundert an rückten gelehrte Juristen in städtische Funktionen ein, teils als studierte Angehörige der ratsfähigen Schichten, teils als homines novi 23 . Am Ende des 16. Jahrhunderts waren Juristen im Rat fest etabliert. Parallele Verläufe zeigen sich in den Territorien, so daß auf beiden Seiten der Frontlinie von „Autonomie und Dirigismus" (Stoob) Juristen saßen. Dieser Vorgang ist nicht nur für die Rechtsgeschichte der frühen Neuzeit von elementarer Bedeutung, weil er Aussagen über die Rechtspraxis in einem umfassenden Sinn erlaubt, sondern auch für die Sozialgeschichte (Fahlbusch, Schilling, van den Heuvel). Hier steigt eine neue Leistungselite auf, die spezifisch neuzeitliche Fähigkeiten mitbringt: Sie okkupiert einen neutralen Platz jenseits der unterschiedlichen theologischen Bekenntnisse, sie verwaltet das für moderne Verwaltungen wichtige Fachwissen, kanalisiert die Streitigkeiten und entscheidet über Zulassung oder Nichtzulassung bestimmter Argumente. Die Aufstiegswege dieser Personen in die Führungsgruppen, die Umbildung der Führungsgruppen durch die zunehmende Nötigung, ein Studium vorzuweisen, sowie schließlich die für das 18. Jahrhundert typischen Übergänge zum „adeligen Landleben" oder zu Karrieren an den Reichsinstitutionen 24 sind gleichermaßen für Rechtsgeschichte und Sozialgeschichte

20

M. STOLLEIS, Selbstverwaltung, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. IV, 31. Lieferung, Sp. 1621-1625. 21 H. HEFFTER, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart 2 1969. 22

GERTEIS, wie ANM. 3, S. 86f.

23

H. WACHAUF, Nürnberger Bürger als Juristen, Diss, iur., Erlangen-Nürnberg 1972; M. PARIGGER, Die Rechtsgutachten Nürnberger Juristen für die freie Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber, Diss, iur., Würzburg 1975; M.J. SCHMIED, Die Ratsschreiber der Reichsstadt Nürnberg, Diss, iur., Würzburg 1979, Nürnberg 1979; E. ISENMANN, Reichsrecht und Reichsverfassung in Konsilien reichsstädtischer Juristen (15.-17. Jahrhundert), in: SCHNUR, wie Anm. 18, S. 545ff. 24 S. JAHNS, Juristen im Alten Reich - Das richterliche Personal des Reichskammergerichts 1648-1806, in: DIESTELKAMP, Forschungen, wie Anm. 8, S. Iff.; DIES., Der Aufstieg in die juristische Funktionselite

XIV

Michael Stolleis

reizvolle Forschungsgegenstände25. Speziell die durch Filippo Ranieri am Frankfurter Max Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte vorangetriebene prosopographische Erfassung der Juristen des Ancien Régime26 dürfte künftig wesentlich neue Ergebnisse über diese auch für die Städte so wichtige Gruppe liefern.

des Alten Reiches, in: W. SCHULZE (Hg.), Ständische Gesellschaft und Mobilität, München 1987, S. 353-387; G. SCHMIDT (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich, Wiesbaden 1989. Zum Zusammenhang von Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts und „Praxis" M. STOLLEIS, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, S. 255-258. 26 F. RANIERI (Hg.), Biographisches Repertorium der Juristen im Alten Reich, 16.-18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1989 (Buchstabe A), 1987 (Buchstabe E).

25

VERZEICHNIS DER

MITARBEITER

Dr. Friedrich Bernward Fahlbusch Diisternstr. 11, 4410 Warendorf Prof. Dr. Klaus Flink Stadtarchiv Kleve, Tiergartenstr. 41, 4190 Kleve Dr. Christine van den Heuvel Niedersächsisches Staatsarchiv, Am Archive 1, 3000 Hannover Prof. Dr. Bernhard Kirchgässner Seminar für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Mannheim, Schloß, Seminargebäude A S, 6800 Mannheim 1 PD Dr. Rainer Koch Historisches Museum der Stadt Frankfurt, Saalgasse 19, 6000 Frankfurt/Main Prof. Dr. O. Moorman van Kappen Katholieke Universiteit Nijmegen, Stichtij Centrum voor Duitsland-Studies, Comenius Laan 4, Postbus 9102, NL-6500 HC Nijmegen Prof. Dr. Herbert Langer Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Sektion Geschichtswissenschaft, Dornstr. 9a, 0-2200 Greifswald Prof. Dr. Rainer Postel Universität Hamburg, Historisches Seminar, Von-Melle-Park 6, 2000 Hamburg 13 Prof. Dr. Franz Quarthai Historisches Institut der Universität Stuttgart, Abteilung Landesgeschichte, Keplerstr. 17, 7000 Stuttgart 1 Prof. Dr. Heinz Schilling Historisches Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-Behagel-Str. 10 C 1, 6300 Gießen PD Dr. Georg Schmidt Historisches Seminar der Universität Tübingen, Abt. Neuere Geschichte, Wilhelmstr. 36, 7400 Tübingen Prof. Dr. Michael Stolleis Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität, Senckenberganlage 31, 6000 Frankfurt/ Main Prof. Dr. Heinz Stoob Institut für vergleichende Städtegeschichte, Syndikatplatz 4/5, 4400 Münster Prof. Dr. Dr. sc. Günther Wartenberg Karl-Marx-Universität, Sektion Theologie, Emil-Fuchs-Str. 1, 0-7010 Leipzig

VERZEICHNIS

a)

DER A B K Ü R Z U N G E N

UND

SIGLEN

Abkürzungen

Abb. allg. Anm. Art. Aufl.

Abbildungen) allgemein Anmerkung(en) Artikel Auflage(n)

Bd./Bde. bearb./Bearb. Beih. Beil. bes. Bgm. Bl.

Band/Bände bearbeitet/Bearbeiter Beiheft(e) Beilage(n) besonders Bürgermeister Blatt

ca.

circa

d.J. ders./dies. Diss. dt.

der Jüngere derselbe/dieselbe Dissertation deutsch

ebd. Ebf. Erg. H. erw.

ebenda Erzbischof Ergänzungsheft erweitert

f./ff. Faltkt. Fasc./Fasz. fol. FS

folgend(e) Faltkarte Faszikel folio Festschrift

Grkt.

Grundkarte

H. hg./Hg(g). HStA

Heft herausgegeben/Herausgeber Hauptstaatsarchiv

iur. i.V.m. insges.

juristisch in Verbindung mit insgesamt

Kap. Kr. Kt.

Kapitel Kreis Karte(n)

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Lieferung Literatur

m. E. m.W. Mitw. Mskr.

meines Erachtens meines Wissens Mitwirkung Manuskript

ND NF Nr.

Neudruck Neue Folge Nummer(n)

o.g. O.J. o.O.

oben genannt ohne Jahr ohne Ort

Pag./pag. phil. Pubi.

page, pagina philosophisch Publikation(en)

red./Red. Rm.

redaktionell/Redaktion Ratmann

S. sc. schwed. Sekr. Sekt. Ser. sog. Sp. StA StadtA

Seite scilicet [nämlich] schwedisch Sekretär Sektion Serie sogenannt Spalte(n) Staatsarchiv Stadtarchiv

T. Tab. Taf.

Teil Tabelle(n) Tafel (η)

u.a.(m.) u.ö. übers. unv. v. v.a. verm. vgl.

und andere (mehr) und öfter übersetzt unverändert von vor allem vermehrt vergleiche

XVII Vol.

Volume

z.B. z.T.

zum Beispiel zum Teil

z.Zt. zit. ZStA

zur Zeit zitiert Zentralstaatsarchiv

b) Siglen AbhHdlSeeG AbhHdlSozG AbhVerkG AHVN AKG ArbKiG ArbKiGHamburg ArchSächsG ARG BeitrSächsKiG BllDtLG BremJb BraunschweigJb BeitrBaltG ChrDtSt DtStAtl DtStB ElsLothJb FrankfJbb GbllWaldeck Greifswald-StralsundJb GuG HambBeitrArch HambWirtschSozialwissSchrr HRG HansGbll HarzZ HessJb HistSt HVjs HZ IStG JbGFeudal JbUnivBreslau JbAkGöttingen JbbGOsteur JbKölnGV JbWestfKiG JModH KlArch LexMA LThK MdtF MGesKielStG M G H SS MNordböhmHV MWetzlarGV NDB NdsJb

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VERFASSUNGSENTWICKLUNG STADTWIRTSCHAFT

IN

von H e r m a n n

DER

FRÜHEN

Kellenbenz

UND NEUZEIT

(t)

I.

Das Stich wort frühe Neuzeit (wir meinen hier die Phase bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts) weckt die Vorstellung von dem gewaltigen Umschwung, den Entdeckungen und überseeische Expansion im Weltbild des europäischen Menschen der damaligen Epoche hervorgerufen haben. Aber beim näheren Betrachten kommt anderes hinzu, das sowohl die Hintergründe dieses einmaligen Vorgangs zu erhellen vermag, aber auch von Relevanz für Vordergründiges, Alltägliches ist. Stichworte, die in diese Richtung weisen, sind Humanismus und Renaissance, ferner Reformbewegung, sei es unter dem Etikett der Reformation oder der katholischen Reform, der Gegenreformation. Ein neues Lebensgefühl, Hinwendung zur Natur, der Wunsch sie besser kennenzulernen, als dies bisher der Fall war, sie in anderer Weise, zivilisierter, kultivierter, raffinierter zu gemessen und sie gleichzeitig in einem stärkeren Maß als bislang zu beherrschen, mit neuen Künsten, neuen Techniken, einem neuen Konsumverhalten. Gleichzeitig verstärkt ab der Wende des 15. Jahrhunderts eine gesteigerte Sensibilität gegenüber den Folgen dieser neuen Zuwendung zur Welt, Kritik an der wachsenden Veräusserlichung, rebellisches Verhalten, ja revolutionäre Auflehnung gegen die hierarchischen Ordnungen der Kirche wie gegen den zunehmenden Zwang der weltlichen Obrigkeiten und umfassende Bemühungen im Rahmen neuer, von der alten Kirche abgespaltener Glaubensrichtungen wie auch derjenigen, die zur bisherigen Tradition hielten. Seefahrer, Entdecker und Eroberer überseeischer Reiche, Erfinder und Gelehrte, Chronisten und Dichter, Maler und Architekten, Ärzte und Astronomen, Ordensgründer und Missionare, Schwarmgeister, Bilderstürmer und Söldnerführer, Kaufherren, Handwerksmeister und Gesellen: Der Mensch in einer neuen Individualität steht im Vordergrund der veränderten Szene des Welttheaters. Viele von ihnen waren Werkzeuge einer neuen Art von Staatsgewalt. Denken wir an die Piloten, die neue Routen entlang der afrikanischen Küste, über den Atlantik und ums K a p der Guten Hoffnung befuhren und denen die Konquistadoren und Donatare folgten. Sie fügten sich ein in ein neues aussenpolitisches Programm, das in starkem Maße von wirtschaftlichen Erwägungen geprägt war. Die Fahrt nach Westindien wie nach den Kanarischen Inseln behielt sich Spanien (genauer gesagt die Krone von Kastilien) ebenso als Monopol vor, wie der König von Portugal die Fahrt nach Afrika, seinen ostindischen Besitzungen und nach Brasilien zum Kronmonopol

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Hermann Kellenbenz

erklärte. Ihre Überwachung durch die Casa da India e da Mina wurde ebenso institutionalisiert wie die Herrscher von Kastilien es mit der Casa de la Contratación machten. Und diese überseeischen Positionen wurden gegen fremde Eindringlinge, Franzosen, Engländer, Holländer usw. mit allen Mitteln der militärischen Gewalt und der juristischen Formulierungen völkerrechtlicher Spitzfindigkeiten verteidigt. Damit ist nur ein Aspekt eines ganzen Fächers von Veränderungen institutioneller Art angedeutet, die Amintore Fanfani seinerzeit mit dem Stichwort Voluntarismo des modernen Staats im Sinne von Macchiavelli angesprochen hat. Voluntarismo bedeutete die wirtschaftlichen Mittel, die das Füllhorn der sich weitenden Welt den Mächtigen zur Verfügung stellte, voll auszunützen und zur Festigung jener Herrschaftsform einzusetzen, die wir mit dem Schlagwort moderner Staat und fürstlicher Absolutismus etikettieren. Wir brauchen hier nicht darzulegen, wie sich dieser moderne Staat aus den Elementen heraus entwickelt hat, die ihm die spätmittelalterlichen Formen des Feudalsystems zur Verfügung stellten. Wichtig ist dabei die Feststellung, daß die Wirtschaftspolitik eines der wichtigsten Instrumente des modernen Staats darstellt, mit ihren verschiedenen Sektoren der Bevölkerungs-, Agrar-, Bergbau-, Gewerbe-, Handels- und Finanzpolitik. Diese Sektoren waren anfänglich natürlich noch keinesfalls so säuberlich getrennt wie die Historiker und Ökonomen es später sehen wollten, vielmehr war die Trennung in Sektoren oder Departements, Kollegien und Ministerien erst das Ergebnis eines langen Prozesses der Bürokratisierung 1 . Ebenso wichtig ist dabei die Feststellung, daß dieses wirtschaftspolitische Instrumentarium in vielfältiger Weise auf Vorbilder zurückgeht, die nicht am Fürstenhof entwickelt wurden, sondern in den Ratsstuben der Seestädte und den Schreibstuben der Handelsgesellschaften, von denen viele Söhne nach dem Studium der Jurisprudenz in den Fürstendienst gegangen sind. Auch dies ist wieder nur ein Aspekt eines ganzen Bündels von Faktoren, die mit dazu beigetragen haben, die neuen territorialund nationalstaatlich geprägten Imperien der frühen Neuzeit aufzubauen. Was hätten die portugiesischen und kastilischen Herrscher der Epoche, von Heinrich dem Seefahrer und Isabel der Katholischen bis zu Johann III. und Karl V. getan, wenn nicht, abgesehen von den finanziellen Mitteln der Conversos, der Burgalesen und den begrenzten Einsätzen einzelner Adeliger die Kaufleute aus Genua und Florenz, aus Augsburg, Nürnberg und Antwerpen geholfen hätten, die nötigen Rohstoffe herbeizuschaffen, Schiffe auszurüsten, Exportfrachten zu liefern und die überseeischen Güter, vor allem die Gewürze, auf dem europäischen Markt abzusetzen? Der frühmoderne Staat hat es verstanden, diese Kräfte, die sich in den großen Handelszentren entwickelt hatten, in seinen Dienst zu stellen, von ihnen zu profitieren und sie gegebenenfalls gegeneinander auszuspielen und zu unterdrücken. Der frühmoderne Staat mit seiner monarchisch ausgeprägten Form des fürstlichen Territorial- und Nationalstaats war es dann auch, der die Heimat der wirtschaftlichen Führungskräfte, der Stadtrepubliken und ihre Außenposten, da wo sie sich ihm in den Weg stellten, mit allen Mitteln bekämpfte, um sie sich möglichst Untertan zu machen. Nur wenigen blieb die Chance, sich in einer Pufferzone der Neutralität gegen die andrängenden fürstlichen Nachbarn zu behaupten. Damit sind wir an

'Vgl. dazu H. KELLENBENZ, Wirtschaftspolitik in Europa zu Beginn der Neuzeit, in: JbAkGöttingen, Göttingen 1974, S. 37ff.; DERS., Obrigkeitliche Instanzen und Wirtschaft, in: DERS. (Hg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1986, S. 99ff. (im folgenden zitiert: KELLENBENZ, H a n d b u c h ) .

Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft

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der Stelle angekommen, wo unsere Einführung zum Hauptthema überleitet. Wie hat sich die Verfassungsentwicklung d. h. die Verteilung der politischen Kräfte in der frühen Neuzeit auf die städtische Wirtschaft ausgewirkt? Wir müssen hier, wenn auch nur in kurzen Stichworten, unseren Blick zurücklenken auf die Anfänge stadtrepublikanischer Bewegung in Italien. Am Anfang steht das Beispiel Venedig. Dieses republikanische Staatswesen hat seit der Lösung von Byzanz eine Stetigkeit der Herrschaftsform entwickelt, die sich bis in die Trubeln der napoleonischen Epoche behauptete. In wirtschaftspolitischer Hinsicht wurde ein Instrumentarium geschaffen, das die Neuerungen, die die sogenannte kommerzielle Revolution brachte, voll auszuschöpfen verstand. Wir erinnern an die Einrichtung des Notariats, an den schriftlich fixierten Handelsvertrag, in der venezianischen Form der Colleganza, die später durch das Kommissionsgeschäft abgelöst wurde, und an die vielfältigen unternehmerischen Betätigungen dienende Familiengesellschaft der Fraterna. Um dem Handel Stützpunkte in Übersee zu sichern, wurde ein bis in die Regionen des Schwarzen Meeres reichendes Kolonialreich aufgebaut und im italienischen Hinterland das Territorium der Terraferma geschaffen. Auf der Basis dieser Machtstellung konnte die Republik eine Politik betreiben, die im allgemeinen den Linien einer vorsichtigen Neutralität folgte. Mit am deutlichsten kam der Einfluß des Staats im Flottensystem der Galee da Mercato zum Ausdruck, die vom Staat den Kaufleuten zu Verfügung gestellt wurden, um den raschen Transport der kostbaren Güter der Levantefahrt zu sichern. Wenn nötig, konnten sie für militärische Zwecke eingesetzt werden, im Gegensatz zu Genua, wo die Flotten großer privater Unternehmer den Staat von sich abhängig machten. Dieses System der Galee da Mercato hat sich bis ins 16. Jahrhundert hinein behauptet. Ein weiterer Sektor, wo die klug planende Wirtschaftspolitik sichtbar wird, ist die früheste Einrichtung einer konsolidierten öffentlichen Schuld im Monte Vecchio. Diesem System, dem weitere Monti folgten, war es zu verdanken, daß auch nach dem Cypernkrieg die Schulden ohne größere zusätzliche Belastungen abgetragen werden konnten. Diese und andere Einrichtungen fügten sich in ein klug ausgearbeitetes System der Kompetenzenteilung im Rahmen einer republikanischen Verfassung aristokratischen Charakters. Es gab keine schriftliche Form der Verfassung, sie beruhte vielmehr auf der pyramidal aufgebauten Zuständigkeitsordnung von der Generalversammlung bis zum Dogen als oberstem Beamten und dem Mittel besonderer Gesetze. Eine wichtige Rolle kam der Diplomatie und dem Nachrichtenwesen zu. Dies alles wirkte zusammen und half, daß die Krise, die mit der Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung für den venezianischen Levantehandel hereinbrach, vorerst überwunden werden konnte. Zwar ging den Venezianern mit dem Vorstoß der Holländer und Engländer der Gewürzhandel weitgehend verloren, wie den andern Mittelmeerhäfen, doch darf dessen Rolle im Rahmen der venezianischen Gesamtwirtschaft nicht überschätzt werden. Als viel schwerere Schläge muß man die Einbußen Venedigs wie überhaupt der Mittelmeerwelt auf technischem Gebiet (z.B. in der Glastechnik) und im Schiffbau einschätzen. Ohnmächtig mußte die Serenissima zusehen, wie die Holländer dank ihres Zugangs zu den Wäldern der Ostsee und Norwegens zur ersten Seemacht aufstiegen. Verloren gegangene Positionen konnte Venedig teilweise substituieren durch landwirtschaftliche und exportgewerbliche Investitionen in der Terraferma, abgesehen vom Luxusgewerbe in der Stadt selbst. Im übrigen blieb Venedig immer die wichtigste Brücke im transalpinen Handel, trotz der Konkurrenz von Triest, das von Habsburg begünstigt wurde; und Venedig blieb neben Genua

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Hermann Kellenbenz

das wichtigste Bankzentrum des Mittelmeerraums 2 . Ich bin auf das Beispiel Venedig länger eingegangen, weil es wie keine der andern mediterranen Stadtrepubliken verstanden hat, sich neben und gegen die Monarchien zu behaupten. Die Communebewegung gegen das Regiment des Kaisers hat in der Lombardei nirgends längeren Erfolg gehabt. Die Städte fielen früher oder später unter die Herrschaft von Podestàs, die sich dann zu Stadtherren aufschwangen. Mailand erlebte dies schon zu Beginn des 14. Jahrhunderts, als es unter die Herrschaft der ghibellinischen Visconti fiel, die es zur Hauptstadt eines Herzogtums machten. Nach dem Tod des letzten Visconti konnte sich die „Republik des Hl. Ambrosius" nur wenige Jahre behaupten, um dann unter die Herrschaft des Condottierigeschlechts der Sforza zu gelangen. Zeitweilig französisch, ab 1535 kaiserlich und dann als „Estado de Milán" unter spanischer Herrschaft konnte es sein patrizisches Stadtregiment behalten, aber die entscheidenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen erließ jetzt der spanische Gouverneur 3 . Bologna, eine der ältesten italienischen Kommunen, wichtiges Zentrum der Seidenverarbeitung in günstiger Passage am Nordausgang der Apenninen und am Rand der fruchtbaren Romagna, litt unter den wechselvollen Parteikämpfen, unter denen die Bentivoglio herausragten, und wurde schließlich 1512 dem Kirchenstaat einverleibt. Die Stadtrepublik Pisa wurde schon 1406 dem Territorium von Florenz zugefügt. Die Stadtrepublik Siena, die ihre Blütezeit als Bankzentrum längst hinter sich hatte, erlebte ein ähnliches Schicksal, allerdings erst 1557. Die Lage im Binnenland ohne direkten Zugang zum Meer war hier ein mitbestimmender Faktor. Die Stadtrepublik Lucca hatte ebenfalls keinen Hafen und ihr Territorium war immer klein. Auch hier ein bedeutender Platz der Seidenindustrie und ein Bankzentrum mit internationaler Strahlung, dessen Kaufmannschaft es allerdings gelang, die 1369 erkaufte Reichsunmittelbarkeit im Großen und Ganzen bis in die napoleonische Zeit hinein zu behaupten 4 . Florenz, das stärkste wirtschaftliche Zentrum der Toskana, erlebte im Gegensatz zu Venedig eine breiter fundierte demokratische Verfassung, war aber stärker den Wechselfällen der Parteikämpfe ausgesetzt. Dabei gelang die Ausweitung des Territoriums bis zum Meer; Pisa wurde unterworfen und die Häfen Livorno und Porto Pisano erworben. Der theokratische Versuch unter Savonarola und die Wiederherstellung der Republik nach dem Sacco di Roma waren nur Zwischenspiele, bis die Stadt 1531 unter dem Eingriff Habsburgs endgültig unter die monarchische Herrschaft der Medici kam, die als Herzöge und dann als Großherzöge allerdings beachtliche Leistungen der Wirtschaftspolitik erbrachten und so der Stadt, nun als Fürstenresidenz, mit der Förderung des Handels, der Urbarmachung der Maremmen

2

Z u V e n e d i g v g l . d i e A r b e i t e n v o n F . C . LANE, F. BRAUDEL, D . SELLA, U . TUCCI, P H . BRAUNSTEIN u n d R . C .

MUELLER. Einschlägige Literatur findet man vor allem bei F.C. LANE, Venice. A Maritime Republic, Baltimore 1973, sowie DERS./R.C. MUELLER, Money and Banking in Medieval and Renaissance Venice, Bd. I: Coins and Money of Account, Baltimore 1985. 3 Zu Mailand vgl. Gli Sforza a Milano e in Lombardia e i loro rapporti con gli Stati italiani ed europei (1450-1535). Convegno internazionale Milano, 18-21 maggio 1981, Mailand 1982 (im folgenden zitiert: Gli Sforza a Milano); Milano nell'età di Ludovico il Moro. Atti del convegno internazionale 28 febbrai0-4 marzo 1983, 2 Bde., Milano 1983. 4 Zu Lucca vgl. Città italiane del '500 tra Riforma e Controriforma. Atti del Convegno Internazionale die Studi, Lucca, 13-15 ottobre 1983, Lucca 1988.

Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft

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und vor allem durch den Ausbau des Hafens von Livorno den Anschluß an die neuen weltwirtschaftlichen Perspektiven sicherten 5 . Neben Venedig hat im italienischen Bereich einzig Genua als seemächtige Stadtrepublik sich zu behaupten verstanden, allerdings nur mit einem schmalen ligurischen Hinterland, was andererseits umsomehr die Betätigung über See anspornte und zwar, nachdem es in der Levante vor Venedig zurückweichen mußte, umso mehr im westlichen Mittelmeerraum. Hier konnten sich seine führenden Familien aktiv in die überseeische Expansion der Spanier und Portugiesen einschalten, wobei es im 17. Jahrhundert neben Amsterdam das führende Bankzentrum blieb. Im Innern war es freilich starken politischen Parteiungen ausgesetzt, die es mehrfach unter die Fremdherrschaft der Franzosen bzw. der Mailänder führten, bis Andrea Doria 1528 die Unabhängigkeit wiederherstellte, nun in engem Anschluß an Habsburg und nach dem gescheiterten Fieschiaufstand 1547 fest in oligarchischer Hand, d. h. beherrscht von den Adels- und reichen Bürgersfamilien, die im Liber Civitatis erfaßt waren 6 . Die Stadtrepublik Ragusa liefert ein letztes Beispiel für den Mittelmeerraum. Sie war nie völlig frei. Nachdem sie sich von Venedig unabhängig gemacht hatte, stand sie unter der Oberhoheit von Ungarn-Kroatien und ab 1526 unter der der Osmanen. Bedeutende Privilegien sicherten die nötige Bewegungsfreiheit. So beeinträchtigte die Einschränkung der politischen Freiheit die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der von einer Patrizierschicht gelenkten Stadt wenig. Das Territorium der Stadt blieb freilich immer klein. Aber eine kluge Neutralitätspolitik ermöglichte es der Republik im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts bis zum Erdbeben von 1667 ein Netz von Handelsverbindungen in Südosteuropa zu unterhalten und dabei eine Flotte aufzubauen, die erfolgreich mit der von Venedig und Genua konkurrierte. Ragusanische Kapitäne segelten als Frachtfahrer über den atlantischen Ozean bis nach London und bis in die Häfen Spanisch-Amerikas 7 . Der kurze Überblick über das Schicksal dieser mediterranen Stadtrepubliken läßt bei aller Vielfalt eine deutliche Trennungslinie erkennen. Entscheidend war die Lage an der See oder im Binnenland. Für Venedig, Ragusa und Genua war dies das große Glück. Pisa lediglich bildet eine Ausnahme; es unterlag zunächst der Konkurrenz Genuas, dann der Überlegenheit von Florenz. Mailand versuchte es mehrmals, sich in Genua einen Hafen zu sichern, ohne es endgültig zu schaffen. Der mediceeische Territorialstaat baute mit Livorno einen der führenden Häfen des Mittelmeerraums auf, und doch erreichte Florenz auch jetzt nicht die wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten von Venedig und Genua 8 .

5

Vgl. dazu V. FRANCHETTI PARDO, Territorio e città nel Cinquecento mediceo, in: Il potere e lo spazio, Firenze e la Toscana dei Medici nell'Europa del Cinquecento, Firenze 1980, S. 2Iff.

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Z u G e n u a vgl. d i e A r b e i t e n v o n R . S . LOPEZ, J . HEERS, G . FELLONI, G . DORIA u n d d i e e i n s c h l ä g i g e n

Stellen bei A. TENENTI/F. SABA, Italien, in: KELLENBENZ, Handbuch, wie Anm. 1, Bd. 3, S. 662ff. Zu Ragusa (Dubrovnik) vgl. B. KREKIC, Dubrovnik in the 14th and 15th Centuries. A City between East and West, Los Angeles 1972, sowie S. CIRCOVIC, die einschlägigen Stellen seines Kapitels Die östlichen Teile Jugoslawiens 1350-1650, in: KELLENBENZ, Handbuch, wie Anm. 1, Bd. 3, S. 1149ff. 8 Zur Rolle von Livorno als Freihafen vgl. F. BRAUDEL/R. ROMANO, Navires et Marchandises a l'Entrée du Port de Livourne (1547-1611) (Ecole Pratique des Hautes Etudes, VI e Section: Ports, Routes, Trafics I), Paris 1951, S. 15ff.; L. DERMIGNY, Escales, Échelles et Ports francs au Moyen Âge et aux Temps Modernes. Les grandes Escales, Troisième partie, Période contemporaine et Synthèses générales (Recueils de la Société Jean Bodin 34), Brüssel 1974, S. 213-644. 7

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Hermann Kellenbenz

II.

Bei den Stadtrepubliken nördlich der Alpen haben wir in manchem Paralleles, in anderem aber eine ganz verschiedenartige Entwicklung der Dinge. Als Folge der Schwächung der kaiserlichen Macht im Rahmen der territorialstaatlichen Zersplitterung entstanden zahlreiche Stadtrepubliken, die besonders dicht im Südwesten gestreut waren. Hier können wir uns nur exemplarisch mit den wichtigsten befassen, vor allem mit Regensburg, Nürnberg und Augsburg. Regensburg gelang es zwar, sich von der Herrschaft des Bischofs zu lösen und diesen aus der Stadt hinauszudrängen, aber es konnte sich nur ein kleines, wenig über die Stadtmauern hinausreichendes Territorium sichern. Bereits über der Donau drüben im Brückenkopf Stadtamhof sah es sich der Herrschaft der Wittelsbacher gegenüber. Vorübergehend geriet die Stadt in die Hand von Herzog Albrecht, doch konnte der Habsburger Maximilian (1492) seinen Schwiegersohn zwingen, die Reichsstadt wieder herauszugeben. Als die wittelsbachischen Lande, die sich im 14. Jahrhundert aufgespalten hatten, seit Beginn des 16. Jahrhunderts wieder zu einer Einheit zusammengefaßt waren, wurden im ganzen Territorium bisherige Ansätze einer Zoll- und sonstigen Wirtschaftspolitik systematisch ausgebaut. Verschiedene Regensburger Familien verlagerten ihr Schwergewicht nach Nürnberg oder den aufstrebenden Orten der mitteldeutschen Bergbaugebiete. Auf die Dauer wirkte sich die wittelbachische Herrschaft wie ein Würgegriff aus, der der Stadt nur einen geringen Spielraum übrig ließ. Dieser lag begründet in den Schiffahrtsmöglichkeiten auf der Donau und im Flußübergang. Seit 1487 war zwischen Ingolstadt und Kelheim kein anderer Übergang zugelassen. Ein anderes Privileg sicherte der Stadt den Handel mit Halleiner Salz auf der Strecke ab Passau. Die alten Verbindungen zur eisenreichen Oberpfalz und donauabwärts zu Steyr behaupteten sich im Stapelgut Eisen. Erging die Privilegienbestätigung von 1483, die auch einen Eisenstadel vorsah, vom Wittelsbacher Albrecht aus, so konnte die Stadt, obwohl sie zur protestantischen Richtung überging, die Gunst als Reichstagssitz nützen, um sich 1541 von Karl V. das Niederlagsrecht besonders für das Salz bestätigen zu lassen. 1563 bestätigte Kaiser Ferdinand I. nicht nur das Niederlagsrecht für das von Passau heraufkommende Salz sondern auch für Eisen und Stahl aus Steyr, und Kaiser Rudolf schloß sich dem 1577 an. Trotzdem blieb Regensburg ein betonter Transithandelsplatz und wurde im Gegensatz zu Nürnberg nie ein Zentrum der gewerblichen Verarbeitung 9 . Nürnberg lag zwar nicht an einem als Verkehrsweg zu nutzenden Fluß, genoß aber die Gunst der Verknotung einer Reihe von Fernhandelslinien. Dazu hatte es Zugang zu den Rohstoffvorkommen in der Oberpfalz, in Oberfranken und in Böhmen und verstand es, sich das größte Territorium unter allen Reichsstädten zu schaffen. Ferner sicherte es sich für seinen Fernhandel über fast ganz Europa hinwegreichende Privilegien. So befand es sich, inzwischen neben Augsburg zum bedeutendsten Handels- und Gewerbezentrum in Süddeutschland herangewachsen, durchaus 9

Zu Regensburg: H. KELLENBENZ, Bürgertum und Wirtschaft in der Reichsstadt Regensburg, in: BllDtLG 98 (1962), S. 90-120; K. BOSL, Die Sozialstruktur der mittelalterlichen Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg, München 1966; G. HABLE, Geschichte Regensburgs, Regensburg 1970; Regensburg, in: Bayerisches Städtebuch (DtStB 5,1 u. 2), Stuttgart 1971 und 1974 (im folgenden zitiert: Bayerisches Städtebuch), hier T. 2, S. 579ff. ; O. GÖNNENWEIN, Das Stapel- und Niederlagsrechts, Weimar 1939, S. 313, S. 317, S. 262, S. 264, S. 345, S. 418f. (Nr. 140), S. 428 (Nr. 161), S. 430 (Nr. 165).

Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft

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gewappnet als das Territorialfürstentum, hier in der Gestalt des Hohenzollern Albrecht Alcibiades, mit dem reichsstädtischen Gegner abrechnen wollte. Die Stadt, mit dem besten Festungsgürtel in Süddeutschland ausgestattet, blieb, wenn auch stark verschuldet, uneinnehmbar. Unerschüttert behauptete sich das Patriziat, das keine Zünfte duldete, auch während der Schwierigkeiten, die die Reformationszeit und die Verwicklungen des Schmalkaldischen Krieges mit sich brachten. Eine vorsichtige Neutralitätspolitik wurde unterstützt durch die Verbindungen einflußreicher Patrizierfamlien wie der Haller und Pfinzing zu verschiedenen Fürstenhäusern, namentlich zu den Habsburgern 10 . Augsburg, das andere große Wirtschaftszentrum südlich des Mains, konnte sich zwar ähnlich wie die andern Reichsstädte zwischen Iiier, Donau und Lech nur ein kleines Territorium sichern, aber dieser Mangel wurde ausgeglichen durch die günstige Verkehrslage und das hervorragende Geschick seiner großen Unternehmerfamilien, in einer einmaligen historischen Phase alle Trümpfe zu vereinen, die damals nur möglich waren: günstige Vermittlerlage zwischen den großen internationalen Märkten diesseits und jenseits der Alpen, Zugang zu den Bunt- und Edelmetallvorkommen in den Alpen, den Karpaten und Sudeten und eine führende Position im großen Bankgeschäft, vor allem mit dem Hause Habsburg. Im Gegensatz zu Nürnberg herrschte zwar seit 1368 das Zunftregiment, aber tatsächlich gab es zwischen dem Patriziat und den führenden Kaufleuten bezeichnende Verbindungen, die in der Öffnung von 1538 ihren deutlichsten Ausdruck fanden. Die protestantische Parteigängerschaft eines Teils der Führungsschicht brachte allerdings im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg eine schwere Krise, die dann die katholische Gruppe überwinden konnte, mit dem Preis der Abschaffung des Zunftregiments 11 . Das in vielem andersgeartete Pendant im Norden bildeten die Städte, die dem Bund der Hanse angehörten und zum Teil über die Reichsgrenzen hinausgriffen. Auch hier können wir nur exemplarisch einige herausgreifen. Das aufschlußreichste Beispiel ist die Stromkenterung zwischen Hamburg und Lübeck. Hamburg gelang es besser als Lübeck, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen, nicht nur, weil es günstiger zur Nordsee und zu den künftigen Weltmeeren lag, sondern auch, weil es verstand, sich aus gewissen Bindungen der hansischen Tradition zu lösen, insbesondere einer zu engen Auslegung des Gästerechts und der stapelrechtlichen Bestimmungen. Am frühesten zeigte sich dies im Verhalten gegenüber den Merchants Adventurers, die nach vorübergehendem Wandern 1611 endgültig in Hamburg eine neue Heimstatt fanden. Ließen sich die niederländischen Lutheraner ohne weiteres in die konfessionelle Gemeinschaft der „evangelisch" gewordenen Stadt einfügen, so war dies bei den Reformierten und gar den Katholiken italienischer, spanischer und portugiesischer Herkunft schwieriger. Sie bekamen das Aufenthaltsrecht, allerdings hinsichtlich der religiösen Betätigung mit Einschränkungen, die sich am schärfsten bei den iberischen Zuwanderern äußerten, die im Geheimen und dann öffentlich dem sephardischen Glauben anhingen. Hamburg profitierte von dieser großzügigen Haltung gegenüber den Fremden in vielfältiger Weise, so im Ausbau der überseeischen Handelsverbindungen bis Brasilien, Afrika und Ostindien, in der Modernisierung

10

Vgl. G. PFEIFFER (Hg.), Nürnberg — Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, die einschlägigen Kapitel. U G . GOTTLIEB u.a. (Hgg.), Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 2 1985, die einschlägigen Kapitel.

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der kaufmännischen Gebräuche, so in der schriftlichen Fixierung des Wechselrechts, der Einführung des Notariats, der Seeversicherung und der Gründung der Girobank, schließlich in der Zunahme der gesamten Bevölkerung, so daß Hamburg um die Mitte des 17. Jahrhunderts mit rund 60.000 Einwohnern abgesehen von Wien und Prag die volksreichste Stadt in Mitteleuropa war n . Lübeck, das anerkannte Haupt des hansischen Städtebundes, der in der hier betrachteten Zeit mehr und mehr an politischem und wirtschaftlichem Gewicht verlor, verhielt mehr in den traditionellen Spuren. Es bemühte sich mittels einer harten Auslegung des Stapelrechts und des Verbots des Gästehandels schwindende Positionen im Ost-Westaustausch festzuhalten. Bezeichnenderweise stagnierte seine Einwohnerzahl, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts etwa 25.000 betrug. Die Einbußen der hansischen Positionen im skandinavisch-baltischen Raum trafen in erster Linie Lübeck. Nach der Auflösung des Kontors in Novgorod gelang es wohl in Narva einen neuen Stützpunkt zu schaffen, den aber die schwedische Estlandpolitik beeinträchtigte. Die Bemühungen in Novgorod und Pskow neue Kontore zu errichten, hatten auf die Dauer keinen Erfolg. Als Schweden die Bindungen der von Dänemark beherrschten Union abschüttelte, verlor Lübeck seine Privilegien unter Gustav Vasa, dem neuen Herrn Schwedens, und die alte Vorzugsstellung ließ sich auch nach dem Stettiner Frieden (1570) nicht wieder voll erlangen. Die Hauptgewinner im Ostseehandel waren neben den Engländern die Holländer, die seit 1544 im Sund verkehr die selben Vorrechte genossen wie die Hansischen. Deren Verbindungen zu den preußischen und livländischen Städten wie auch zu zahlreichen Klipphäfen an der mecklenburgischen und pommerschen Küste kamen vor allem dem aufblühenden Getreidehandel Amsterdams zugute. Trotz dieser von Lübeck aus gesehen negativen Entwicklungstendenz muß andererseits beachtet werden, daß die Ostsee mit der weltwirtschaftlichen Schwergewichtsverlagerung nach Nordwesteuropa durchaus kein Randmeer wurde, sondern als Rohstofflieferant für den Westen wachsende Bedeutung erlangte. Davon profitierten auch die mecklenburgischen, pommerschen und preußischen Seestädte. Insbesondere konnte Lübeck im Ostseeraum weiterhin eine maßgebliche Rolle spielen und sich aktiv in die Westfahrt einschalten. Auffallend bleibt die traditionsgebundene Zusammensetzung der Lübecker Kaufmannschaft, der die Vorzüge des Stapelrechts in erster Linie zugute kommen sollten. Das Schwergewicht blieb so beim Kommissions- und Speditionsgeschäft 13 . Bremens Entwicklung bot viele gemeinsame Züge mit den übrigen Hansestädten, hatte aber andererseits eine eigene Note, die sich zum Teil aus der engeren Nachbarschaft zu den Niederlanden ergab. Auch Bremens Handel und Gewerbe erfuhr durch den Zuzug von Fremden einen Aufschwung, aber diese Fremden waren vorwiegend

1 2 Zu

Hamburg: PH. DOLLINGER, Die Hanse, Stuttgart 1966, Namensregister: Hamburg; H. MAUERSBERG, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit, Göttingen 1960, die Abschnitte über Hamburg; E. VON LEHE, Hamburg, in: Heimatchronik der Freien und Hansestadt Hamburg (Heimatchroniken der Städte und Kreise des Bundesgebietes 20), K ö l n [1958], S. 38FF.

,3Zu

Lübeck: GÖNNENWEIN, wie Anm. 9, S. 428f. (Nr. 162); DOLLINGER, wie Anm. 12, Namensregister: Lübeck; K.F. OLECHNOWITZ, Handel und Seeschiffahrt der späten Hanse ( A b h H d l S o z G 6), Weimar 1965; H. KELLENBENZ, Die Durchfahrt durch die schleswig-holsteinische Landbrücke als Konkurrenz der Oresundfahrt, in: Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. FS für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, Wien 1979, S. 138ff.; M . L . PELUS, Wolter von Holsten. Marchand lubeckois dans la seconde Moitié du seizième Siècle, in: Q D H a n s G N F 25, K ö l n 1981; H. STOOB, Lübeck als „Caput Omnium" in der Hanse, in: B l l D t L G 121 (1985), S. 157-168.

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Kalvinisten. Auch Bremen übte den Stapelzwang, was für diesen größten Hafen an der unteren Weser wichtig war. Karl V. bestätigte diesen Stapelzwang 1541. Die Entziehung des Stapelrechts 1551 war eine Folge des Schmalkaldischen Kriegs, aber nur eine vorübergehende Maßnahme. Ahnlich wie der dänische Elbzoll und schwedische Eingriffe von Stade her die Entfaltungsmöglichkeiten Hamburgs beeinträchtigten, so wirkte sich der ab 1623 vom Grafen von Oldenburg erhobene Weserzoll bei Elsfleth für Bremen nachteilig aus 14 . Rostock mußte sich mit dem mecklenburgischen Herzog arrangieren, Wismar geriet unter schwedische Herrschaft wie Stralsund, Greifswald und Stettin. Lübeck blieb hinsichtlich seiner Reichsunmittelbarkeit nie ernstlich gefährdet. Hamburg konnte sich mit Erfolg gegen die mächtige Nachbarschaft der Oldenburger und Weifen wehren. Bremen glückte dies gegenüber Schweden; in größerem Maße mußten Goslar und Braunschweig Federn lassen. Goslar verlor mit dem Riechenberger Vertrag von 1552 fast alle Gruben und einen großen Teil seiner Forsten. Braunschweig mußte schließlich dem Druck der Weifen nachgeben, erlangte aber im Rahmen der Territorialpolitik des Herzogtums neue Entfaltungsmöglichkeiten, so mit seinen Messen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überregionale Bedeutung gewannen 15 .

III.

Damit bin ich bei einem weiteren Einschnitt angelangt, der mit den Auswirkungen des Dreißigjährigen Kriegs und der westfälischen Friedensschlüsse am deutlichsten sichtbar wird, aber tatsächlich schon lange im Gange war. Es ist, wir haben es schon angedeutet, der Ausbau des Territorialstaates unter monarchischer Herrschaft. Wir haben die Ansätze bereits angedeutet. Wir wollen die Weiterentwicklung im europäischen Rahmen skizzieren, aber zunächst von Mitteleuropa ausgehen. Mit am deutlichsten äußerten sich die neuen Tendenzen im Bestreben, die reichsunmittelbaren Städte unter fürstliche Herrschaft zu bringen. Die Kette der Hansestädte im Norden macht dies ebenso deutlich wie der Fall Konstanz und der Fall Donauwörth im Süden. Konstanz verlor als Folge der Niederlage der Schmalkaldener 1548 die Reichsfreiheit und wurde künftig als Landstadt im vorderösterreichischen Teil des habsburgischen Machtkomplexes behandelt. Donauwörth, das seit der Reformation eine protestantisch und katholisch geteilte Bevölkerung hatte, wurde wegen des Abweichens der protestantischen Mehrheit vom Augsburger Religionsfrieden 1607 in die Reichsacht getan. Die Acht wurde von Bayern im nächsten Jahr vollstreckt, und künftig blieb die Stadt, wenn auch im langen Krieg umkämpft, unter bayerischer Herrschaft 16 .

14

Zu Bremen: DOLLINGER, wie Anm. 12, Namensregister: Bremen; GÖNNENWEIN, wie Anm. 9, S. 356. OLECHNOWITZ, wie Anm. 13; H. KELLENBENZ, Norddeutsche Wirtschaft im europäischen Zusammenhang, in: Landesausstellung Niedersachsen 19S5. Stadt im Wandel (Ausstellungskatalog), Bd. 3: Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150-1650, hg. v. C. MECKSEPER, Stuttgart/Bad Cannstatt 1985, S. 221-241 (mit weiterer Literatur). 16 0. FEGER, Kleine Geschichte der Stadt Konstanz, 1957; Konstanz, in: Badisches Städtebuch (DtStB 4,2), Stuttgart 1959; M. ZELZER, Geschichte der Stadt Donauwörth, Bd. 1, Donauwörth 1950; Donauwörth, in: Bayerisches Städtebuch, wie Anm. 9, hier T. 2, S. 155-162. 15

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Schikanen, Einengung der Bewegungsfreiheit der Reichsstädte bilden einen weiten Katalog der Möglichkeiten. Im Süden zeigen sie sich im Vorgehen Bayerns gegen Regensburg, dann in den Plackereien, die die ebenfalls nur mit kleinen Territorien ausgestatteten Städte Eßlingen und Reutlingen vom Herzogtum Württemberg erfuhren. Für den Norden genügen die schon erwähnten Beispiele Goslar, Braunschweig und Bremen 17 . Eine der Möglichkeiten bestand darin, daß man Siedlungsansätze dicht vor den Toren eines größeren reichsstädtischen Wirtschaftszentrums begünstigte. Das beste Beispiel liefert der Raum um Hamburg. Nach dem Aussterben der Schauenburger gelangte die Herrschaft Pinneberg an die Oldenburger in Kopenhagen, die Altona zur Stadt erhoben und in einer Weise begünstigten, daß es schließlich eine ganz beachtliche Rivalin Hamburgs werden konnte. Ähnliches strebten die Weifen mit Harburg auf der Südseite der Elbe an, allerdings nicht mit dem gleichen Erfolg. Teilweise wurde diese Entwicklung begünstigt durch die Konfessionspolitik der Städte. Köln mußte so erleben, wie eine aktive Gruppe von Protestanten auswanderte, um auf dem östlichen Rheinufer im jülisch-bergischen Mülheim neue Entfaltungsmöglichkeiten zu erlangen 18 . Ein weiteres Feld ergab sich mittels einer betonten Privilegienpolitik zugunsten der Land- und Residenzstädte. Das Stapel- und Umschlagsrecht bot dabei eine günstige Handhabe. Das bekannteste Beispiel liefert Leipzig. Seit Beginn des 14. Jahrhunderts fest in das Territorium der Wettiner eingefügt, erfreute es sich einer besonders günstigen Straßenlage. Systematisch förderte die Landesherrschaft die drei Messen, die seit 1458 alljährlich abgehalten wurden, und die Begünstigung wurde durch die Vermittlung von Privilegien bei Kaiser und Papst unterstützt, so 1497 und 1507. Das Privileg von 1507 sicherte der Stadt Niederlage und Stapel in der Weise, daß innerhalb von 15 Meilen um Leipzig keine Jahrmärkte, Messen und Niederlagen errichtet werden durften. Das richtete sich gegen den Handel von Magdeburg, Naumburg, Halle und Erfurt, die alle nicht zum wettinischen Territorium gehörten. 1514 bestätigte Papst Leo X. das Leipziger Stapelrecht und 1521 erneuerte Kaiser Karl V. das Privileg. Die Ansprüche Leipzigs ließen sich allerdings nicht ohne Widerspruch der Betroffenen durchsetzen 19 . Am entschiedensten wehrte sich Magdeburg. Diese Stadt freilich hatte das Pech, daß Karl V. sie wegen ihrer Beteiligung auf Seiten der Schmalkaldener in die Acht tat und ihr das Stapelrecht entzog. Als Kaiser Maximilian II. 1567 die Acht aufhob, erhielt Magdeburg seine Freiheiten und darunter das Kornverschiffungsrecht wieder zurück. Namentlich gegenüber dem Kurfürsten von Sachsen und dem Kurfürsten von Brandenburg verstand es die Stadt, den Umladeund Feilbietungszwang durchzusetzen. Erst die Eroberung im Dreißigjährigen Krieg setzte darunter einen Strich. Aber nach dem Einmarsch der Schweden nahm die Stadt ihr Recht wieder in Anspruch. Schwierigkeiten von Seiten des benachbarten Burg ließen sich erst überwinden, nachdem Kurfürst Friedrich Wilhelm 1666 Herr der Stadt geworden war. Sofort bestätigte er das Stapelrecht mit der Einschränkung,

17

0 . BORST, Esslingen am Neckar. Geschichte und Kunst einer Stadt, Esslingen 1967; Reutlingen, in: Württembergisches Städtebuch (DtStB 4,2), Stuttgart 1961 (dieser Band im folgenden zitiert: Württembergisches Städtebuch). 18 H. RAMM, Altona, Wandsbek und die südholsteinischen Randgebiete, in: Heimatchronik der Freien und Hansestadt Hamburg, wie Anm. 12, S. 255ff.; D. KAUSCHE, Harburg und der süderelbische Raum, ebd., S. 349fif. ; Rheinische Geschichte, hg. v. F. PETRI/G. DROEGE, Bd. 2, Düsseldorf 1979, S. 315 (Mülheim). 19

Z u L e i p z i g : GÖNNENWEIN, w i e A n m . 9 , S. 1 3 4 f .

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daß es gegen ihn und seine Nachkommen nicht angewandt werden dürfe. Weitere Verordnungen zugunsten der Stadt kamen hinzu 20 . Wie die Wettiner, so handelten Hohenzollern, Habsburger und andere Territorialherren. Die Markgrafen Joachim und Albrecht bestätigten 1512 Frankfurt das Niederlagsrecht auf der Oder. Über ein Jahrhundert später (1643 und 1657) bestätigte Kurfürst Friedrich Wilhelm nocheinmal das Niederlagsrecht der Stadt, und das selbe tat er, wie erwähnt, zugunsten von Magdeburg. 1518 erließ der Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg ein Handelsmandat zugunsten der „drei Städte" Königsberg, daß die ankommenden Waren „nydergelegt und durchs tieff daselbst sehewarts geschifft" werden sollten. 1561 bestätigte der Herzog dieses Recht 21 . Die Begünstigung Königsbergs macht noch auf einen andern Gesichtspunkt aufmerksam. Königsberg war ja Residenzstadt des inzwischen als Herzogtum säkularisierten Ordenslandes, und es ist begreiflich, daß die Fürsten ganz besonders ihre Residenzstädte begünstigten. Hier also mit dem Niederlagsrecht, das der Versorgung der Fürstenresidenz und der Bewohner der Residenzstadt diente. Für Sachsen nehmen wir das Beispiel Dresden. In der Markgrafschaft Meißen hatte zunächst Pirna den Vorrang. Erst als Dresden Residenzstadt des Kurfürstentums wurde, konnte es sich besser durchsetzen. Kurfürst Christian II. regelte das Niederlagsrecht der Stadt erneut, und zwar im Hinblick auf die Waren, die aus Böhmen kamen. Das von dort kommende wie das auf der Elbe heraufgeführte Getreide wurde hervorgehoben, ebenso Holz und Bretter. Tatsächlich erlangte Dresdens Niederlage erst ab Beginn des 17. Jahrhunderts Bedeutung 22 . Im Süden sei das Beispiel von Wien herangezogen. Die Niederlage verschaffte der Stadt im 14. Jahrhundert eine Schlüsselstellung im Handel mit weiten Teilen des Südostens und brachte sowohl den oberdeutsch-ungarischen wie den venezianischböhmischen Handel in die Hände der Wiener. Der Zorn Friedrichs III. und der Ungarneinfall trugen wesentlich zum Verlust dieser Stellung im 15. Jahrhundert bei. Maximilian bestätigte 1512 das alte Niederlagsrecht. Gönnenwein betont zwar, daß die Niederlagsordnung von 1515 das Ende des Wiener Niederlagsrechts bedeutete. Wir sehen die weitere Entwicklung Wiens in einem anderen Licht. Das Regime, das mit Ferdinand I. einsetzte, verlieh der Stadt ganz neue Impulse. Wohl wurde die Niederlage mit dem Inhalt von 1515 in den Jahren 1536, 1615, 1625, 1662 und 1671 weiter bestätigt; wichtiger war indessen, daß Wien als Habsburger- und Kaiserresidenz Vorteile zufielen, die sie zunächst mit Prag teilen, aber nach dem Prager Sturz und vollends nach der Zurückdrängung der Türken in unerwartetem Maße wahrnehmen konnte 23 . Ähnliches, wenn auch in bescheidenerem Umfang, gilt für München. Der Salzstapel ist zunächst ein Stichwort, aber nachdem München Landshut als Residenzstadt der Wittelsbacher verdrängt hatte, strahlten Glanz und Geschäft von der Fürstenresidenz aus. Das Beispiel München zeigt allerdings auch, daß es mit dem Etikett der Fürstenresidenz allein nicht getan war, um zu hoch gesteckte Ziele zu 20

Zu Magdeburg: ebd., S. 136, S. 165f., S. 198ff. 21 Ebd., S. 165f., S. 435. Zu Königsberg ebd., S. 427f., S. 431. 22 Ebd., S. 95f., S. 166, S. 201f., S. 434. 23 Ebd., S. 107ff.; O. BRUNNER, Hamburg und Wien. Versuch einer sozialgeschichtlichen Gegenüberstellung, in: DERS. (Hg.), Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968, S. 322ff.; M. KRATOCHWILL, Wien im 16. Jahrhundert, in: W. RAUSCH (Hg.), Die Stadt an der Schwelle zur Neuzeit (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas IV), Linz/Donau 1980, S. 75-92.

12

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erreichen. Das Ziel, die Isarstadt zu einer Zentrale des südosteuropäischen Handels zu machen und der Jacobidult den Charakter einer großen Messe zu verleihen wurde nicht erreicht. Der Ausbau der Route längs der Isar u.a. mittels der Kesselbergstraße, um dem Nordsüdverkehr nach Venedig von der Lechroute abzulenken, blieb ohne Erfolg. Es ist die Ansicht geäußert worden, daß das Ziel leicht erreicht worden wäre, wenn nicht München und Landshut in ihren handelspolitischen Bestrebungen miteinander rivalisiert hätten. Als die beiden wittelbachischen Territorien wieder vereinigt waren, war es zu spät. Inzwischen hatte die europäische Wirtschaftslage mit dem Vorstoß der Portugiesen nach Ostindien und der Entdeckung Amerikas entscheidende Veränderungen zugunsten der atlantischen Seite erfahren. Dabei verstand das von München nicht allzuweit entfernte Augsburg die Chancen, die sich auf der Achse Niederlande - Italien boten, in einer so überlegenen Weise wahrzunehmen, daß die wenigen Großhändler, die in München noch ihren Sitz hatten, wie die Ligsaltz und die Fleckhamer, gleichzeitig auch in Augsburg tätig wurden 24. Etwas Ähnliches läßt sich für die Weifenresidenz Wolfenbüttel feststellen. Der Stadt kam die Teilung von 1495 zugute, zumal unter dem unternehmerisch tätigen Herzog Julius II. Trotzdem wurde Wolfenbüttel keine große wirtschaftliche Zentrale. Die nahe Reichsstadt Braunschweig wurde zwar 1671 von den verbündeten Weifen unterworfen, konnte aber dann dank der Messen an alte Traditionen anknüpfen, und das noch mehr als es 1753 Residenzstadt wurde. Besser waren die Entfaltungsmöglichkeiten für Hannover, das, günstig am Übergang der Route nach Bremen über die Leine gelegen, über eine hansische Tradition verfügte, deren Vorteile allerdings im Schmalkaldischen und dann im Dreißigjährigen Krieg verloren gingen. Ein neuer Aufstieg begann 1636, als die Stadt nach dem Aussterben der Linien Calenberg und Göttingen Residenz des vergrößerten Territoriums von Braunschweig-Lüneburg wurde und die Herzöge, später Kurfürsten, eine merkantilistische Politik trieben, die vor allem der Neustadt zugute kam 2 5 . Bei Berlin-Coelln, dem wichtigsten Fall unter den norddeutschen Residenzstädten, kam als begünstigender Umstand hinzu, daß die nächsten wirtschaftlichen Zentren Frankfurt an der Oder und Brandenburg weit genug entfernt waren, um nicht als direkt störende Nachbarschaft empfunden zu werden. Zudem lagen sie günstig an der Spree, die sich in ein weit ausgreifendes System von Wasserstraßen einfügen ließ. Die beiden Städte wurden schon im 15. Jahrhundert gezwungen, aus dem Bund der Hanse auszutreten und wurden zu Landstädten gemacht. Aber als „Churfürstliche Haupt- und Residenzstädte" hatten sie den Vorteil, daß sich mit dem Hof eine wachsende Zahl anspruchsvoller Konsumenten ansammelte. Diese Ansätze wurden durch den Dreißigjährigen Krieg vorübergehend gestört. Unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm erfolgten die entscheidenden Neuansätze. Eine zielbewußte territorialprotektionistische Politik kam dem Handel und Gewerbe der wachsenden Haupt- und Residenzstadt Berlin zu-

24

25

F. SOLLEDER, München im Mittelalter, München/Berlin 1938; MAUERSBERG, wie Anm. 12, die Abschnitte über München. Zu Hannover vgl. MAUERSBERG, wie Anm. 12, die einschlägigen Abschnitte. Im übrigen vgl. H. STOOB, Frühneuzeitliche Städtetypen, in: Dauer und Wandel der Geschichte. Aspekte europäischer Vergangenheit. FS für Kurt Raumer zum 15. Dezember 1965, hg. v. R. VIERHAUS/M. BOTZENHART, Münster 1965, S. 204f.; KELLENBENZ, wie Anm. 15, und die dortige Literatur.

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gute, wobei den zuwandernden Fremden, besonders den Hugenotten eine besonders wichtige Rolle zufiel 26 . Nehmen wir noch den Typus der Gewerbestadt hinzu. Das Herzogtum Württemberg liefert zwei Beispiele, das von Calw, dem Sitz einer Zeughandlungskompagnie, und das von Urach, als Sitz einer Leinwandhandlungskompagnie, die dem Leinengewerbe des benachbarten Territoriums der Stadt Ulm Konkurrenz machen sollte. Es ist auf die Tuchmacherordnung des Markgrafen Christoph von Baden hingewiesen worden, als erstem Versuch in einem deutschen Territorium „dieses wichtigste aller Gewerbe in einer ganzen Landschaft einheitlich zu ordnen". In diesem Fall wurde die Stadt Pforzheim besonders begünstigt. Wie das Getreide so sollten auch die Erzeugnisse nebengewerblicher Tätigkeit in den Städten oder Dörfern mit Marktrecht abgesetzt werden. Die in Mode kommenden Polizeiordnungen dienten dazu, für das ganze Territorium geltende Regelungen durchzusetzen 27. Die gewerbepolitische Durchdringung des flachen Landes mit stadtwirtschaftlichen Gesichtspunkten zeigt sich auch in der Welle von Stadtgründungen, die wir in diesem Zeitraum erleben. Der Aufschwung des Bergbaus war hier einer der treibenden Faktoren. Er führte zu einer Reihe von Neugründungen im Bereich des Harzes, des Erzgebirges und der schlesischen Gebirgsregion und fand seinen repräsentativsten Ausdruck in der Gründung von Joachimsthal im Territorium der Grafen Schlick. Der Förderung des Bergbaus im Schwarzwald diente die Gründung von Freudenstadt durch den württembergischen Herzog Friedrich. Für sonstige gewerbliche Betätigungen waren die pfälzischen Exulantengründungen, voran Frankenthal und Neu-Hanau gedacht. Während des Dreißigjährigen Kriegs ließ der Strom protestantischer Flüchtlinge von Kursachsen bis nach Polen hinein verschiedene städtische Siedlungen entstehen. Das von Ladislaus IV. gegründete Rawitsch sei hier hervorgehoben. Ein glänzenderes früheres Beispiel liefert die Residenzstadt Zamosc, die der polnische Kronfeldherr Jan Zamoiski im Jahre 1580 auf seinen weiten Besitzungen östlich von Lublin anlegen ließ 28 . Renaissanceideen wurden hier ebenso fruchtbar wie schon im 15. Jahrhundert bei der Modellstadt Pienza, die der Piccolominipapst Pius II. in der südlichen Toskana 26

Zu Berlin vgl. H. RACHEL, AUS Berlins Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühmerkantilismus, Berlin 1931, Iff. 27 Vgl. bes. B. KIRCHGÄSSNER, Der Verlag im Spannungsfeld von Stadt und Umland, in: E. MASCHKE/J. SYDOW (Hgg.), Stadt und Umland (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Β 82), Stuttgart 1974, S. 72-128, Wiederabdr. in: B. KIRCHGÄSSNER, Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem 65. Geburtstag. Hg. v. J. WYSOCKI/W. BERNHARDT/H.-P. DE LONGUEVILLE, Sigmaringen 1988, S. 260-316 (im folgenden zitiert: Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft); F. GÖTTMANN/H. RABE/J. SIEGLERSCHMIDT, Regionale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, in: SVGBodensee 102 (1984), S. 115flf.; vgl. auch E. MEYNEN (Hg.), Zentralität als Problem der mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung (StF A 8), Köln/Wien 1979, b e s . d i e B e i t r ä g e v o n F. IRSIGLER, R . KJESSLING, M . SCHAB u n d R . SEITZ. F ü r d e n

Ostseebereich

vgl. K. FRITZE, Hansische Studien IV: Gewerbliche Produktion und Stadt-Land-Beziehungen, in: AbhHdlSozG 18, Weimar 1979. 28

E. ENNEN, Die Stadt zwischen Mittelalter und Gegenwart, in: RhVjbll 30 (1965), S. 118-131; STOOB, wie Anm. 25, S. 163-212; D. MOLENDA, Bergstädte und Merkantilismus in Oberschlesien und Kleinpolen im XVII. Jahrhundert, in: V. PRESS, (Hg.), Städtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa (StF A 14), Köln/Wien 1983, S. 286-300. Freudenstadt, in: Württembergisches Städtebuch, wie Anm. 17; B. KIRCHGÄSSNER, Merkantilistische Wirtschaftspolitik und fürstliches Unternehmertum. Die dritte kurpfalzische Hauptstadt Frankenthal, in: Beiträge zur pfalzischen Wirtschaftsgeschichte. Veröffentlichungen der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 58 (1968), S. 99-173, Wiederabdr. in: KIRCHGÄSSNER, Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, wie Anm. 27, S. 123-194.

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Hermann Kellenbenz

angelegt hatte. Ausweitung stadtwirtschaftlicher Prinzipien haben wir in starkem Maße beim Florenz der Mediceer. Das Gebiet der eroberten Stadtrepublik Siena wurde eingefügt in das Territorium des Herzogtums und künftigen Großherzogtums. An der Küste wurde das städtische Hafenzentrum Livorno ausgebaut und in diesen Komplex das alte Pisa durch den Canale dei Navicelli eingefügt. Livorno wurde ebenso als Festung ausgebaut wie Grosseto, das als wirtschaftliches Zentrum der Maremmen gedacht war, aber der Geißel der Malaria ausgesetzt blieb 29 . Im Herzogtum Mailand wird das Unabhängigkeitsstreben der Terre separate vom Contado der Städte beleuchtet durch einen Tatbestand, der im juristischen und steuerpolitischen Bereich am deutlichsten sichtbar wird. Die Terre separate suchen unter Berufung auf mancherlei Privilegien die direkte Unterstellung unter den Souverän und bilden so ein neues Element in der flächenstaatlichen Ausgestaltung über die Städte hinweg. Es kennzeichnet aber das Nachwirken stadtwirtschaftlicher Prinzipien, wenn einige, die am Ende der Blütezeit der Communebewegung zum Borgo herabgesunken waren, sich nun um das Stadtrecht bemühten. Crema wurde, nachdem es an Venedig gelangt war, noch im 15. Jahrhundert zur Stadt erhoben. Vigevano erhielt von Francesco II. Sforza das Stadtrecht und Borgo San Donnino von Papst Clemens VII 30 . Das neue über die Städte hinweggreifende flächenstaatliche Prinzip wird besonders deutlich an der nördlichen Peripherie, einmal in verschiedenen Neugründungen, dann in der Übernahme der Stapelpolitik. Glückstadt an der unteren Elbe wurde gegründet als Exulantensiedlung und als Festung, gleichzeitig in der Absicht, dem nahen Hamburg Konkurrenz zu machen. Die Gottorfer erhoben Tönning und Garding in Eiderstedt zu Städten und Friedrich III. gründete Friedrichstadt an der Eider mit dem Ziel, Exulanten verschiedener Glaubensrichtungen anzulocken, um Gewerbe und Handel zu fördern 31 . Ein ähnliches Städtegründungsprogramm verfolgte man in Schweden und Finnland, so mit der Gründung von Helsingfors am Ende der Regierungszeit von Gustav Vasa und unter Gustav Adolf in Västergötland, Smâland und Blekinge. Bei Helsingfors ging es darum, die Träger der Bauernschiffahrt zwischen den finnischen Schären und Estland in die neue Stadt zu zwingen, um sie besser besteuern zu können. Ebenso sollte auf der schwedischen Seite, wie das Beispiel Borâ s zeigt, der Landhandel der Bauern in einer neuen Stadt zusammengefaßt werden 32 . Die Stadtgründungspolitik Christians IV. von Dänemark hatte wohl vornehmlich militärische Ziele, aber gleichzeitig wurden damit stadtwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Das gilt für das schon erwähnte Glückstadt an der unteren Elbe ebenso wie für Kristianopel in Schonen und für Kristiansand in Norwegen 33 . Auch die russische 29

Vgl. F. PARDO, wie Anm. 5; L.-H. HEYDENREICH, Pius II., Bauherr von Pienza, in: ZKunstG 6 (1937). Vgl. dazu G. CHITTOLINI, Governo ducale e poteri locali, in: Gli Sforza a Milano, wie Anm. 3, S. 27-41. Vgl. auch P. TOUBERT, Les Rapports entre „città e contado" dans l'Italie medievale, les Destinées d'un Thème historigraphique, in: H.K. SCHULZE (Hg.), Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit (StF A 22), Köln/Wien 1985, S. 207-231. 31 A. JÜRGENS, Zur schleswig-holsteinischen Handelsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts (AbhVerkG VIII), Berlin 1914, S. 73ff. 32 E.F. HECKSCHER, Den ekonomiska innebörden av 1500- och 1600-talens svenska stadsgrundningar, in: (schwed.) Hist. Tidskrift 43 (1923), S. 309ff.; H. KELLENBENZ, Die unternehmerische Betätigung der verschiedenen Stände, in: VSWG 44 (1957), S. 8ff.; DERS., Bäuerliche Unternehmertätigkeit im Bereich der Nord- und Ostsee vom Hochmittelalter bis zum Ausgang der neueren Zeit, in: VSWG 49 (1962), S. 8ff. 33 Zu Dänemark und Norwegen vgl. H. RELLENBENZ, Ständewesen und Merkantilismus in SchleswigHolstein und Skandinavien, in: VSWG 50 (1964), S. 437ff. und die dortige Literatur. 30

Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft

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Neugründung Archangelsk an der Dwinamündung sollte die zerstreut siedelnden Kaufleute zusammenfassen, zunächst allerdings ohne den gewünschten Erfolg 34 . Die Randsituation von Schweden und Finnland ist bemerkenswert hinsichtlich der späten Übernahme des mitteleuropäischen Stapel- und Niederlagesrechts. Den ersten Ansatz bildet die Niederlage mit schwedischen Waren in Älvsborg an der Mündung des Göta-Älv, wohin sich die fremden Kaufleute wenden sollten. Nach den Plänen von Karl IX. sollte aller Ein- und Ausfuhrhandel des Landes in Stockholm zusammengefaßt werden. Die Handels- und Schiffahrtsordnung von 1614 teilte die Städte in drei Gattungen ein: in Seestädte, in denen freier Handel für In- und Ausländer gestattet war, so Stockholm und Kalmar an der Ostküste, Göteborg, das an die Stelle von Älvsborg trat, an der Westküste, im Bereich des Bottnischen Meerbusens Gävle, schließlich auf der finnischen Seite Âbo und Viborg. An zweiter Stelle kamen die Uppstäder oder Binnenstädte, die keine fremden Kaufleute empfangen und selber keinen Handel mit dem Ausland treiben durften. Schließlich gab es eine Gruppe von Städten, die kein aktives Schiffahrtsrecht besaßen, aus denen man aber ausfahren durfte. Nach der Handels- und Schiffahrtsordnung von 1636 waren Stapelstädte alle, die die Erlaubnis hatten von Seestädten aus angelaufen zu werden. Ausfuhr war nur in diesen Städten gestattet. Ihre Zahl betrug elf. Begreiflicherweise verbargen sich hinter diesem Verhalten zoll- und steuerpolitische Erwägungen. Im Lauf des 17. und ins 18. Jahrhundert hinein nahm die Zahl weiter zu. Offenbar nach schwedischem Muster übernahm Dänemark den Gedanken der Stapelstadt, allerdings mit Verspätung. Im Zusammenhang mit der sogenannten Staatsumwälzung unter König Friedrich III. erhielt Kopenhagen 1659 und 1661 die Zusage, daß es eine der beiden (geplanten) Stapelstädte werden würde. 1661 erhielten auch Korsör und Nyborg das Vorrecht einer Stapelstadt. 1667 bekam Nakskov ein gleiches Privileg, und 1682 folgten noch weitere Städte 35 . Das neue Regime war gegen den Adel gerichtet und bürgerfreundlich. Doch mußte sich das Bürgertum den Wünschen des absolut regierenden Monarchen und seiner in den verschiedenen Kollegien tätigen Räte fügen, so für Wirtschaftsfragen im Kommerzkollegium, das unter Christian V. neu eingerichtet wurde. Im Sinn des Merkantilismus lautete die Richtlinie Förderung der Manufakturen, Berufung fremder Manufakturisten, wobei man an französische Hugenotten, holländische Sektierer und portugiesische Juden in gleicher Weise dachte. Der Toleranzgedanke stieß allerdings auf den Widerstand der orthodox lutherischen Kirche. Die bisherige Monopolstellung der Zünfte wurde dabei weitgehend zugunsten der vom Staat geförderten Manufakturen eingeschränkt. All dies machte sich begreiflicherweise in erster Linie in Kopenhagen geltend 36 . Mit dieser Art Wirtschaftspolitik befand sich die dänische Monarchie auf der gleichen Linie wie die deutschen Territorialfürsten, wie die mehr oder weniger absolut regierten Nationalstaaten in Westeuropa, und dieser Linie entspricht auch die verspätete Wirtschaftspolitik eines Zaren Peter von

^ N . E . Nosov, Les Villes russes aux XV e et XVI e Siècles, Tendances économiques et politiques, in: Commission Internationale d'Histoire des Villes, Commission Internationale d'Histoire Maritime, Academie Bulgare des Sciences, Le pouvour central et les Villes en Europe de l'Est et du Sud-Est du XV e Siècle aux Débuts de la Révolution industrielle. Les Villes portuaires, Sofia 1985, S. 13-32, bes. S. 30f. 35

GÖNNENWEIN, wie A n m . 9, S. 375ff.

36

KELLENBENZ, w i e A n m . 33.

16

Hennann Kellenbenz

Rußland, für den die Zünfte ein Instrument waren, um die städtische Wirtschaft nach westeuropäischem Muster zu organisieren 37 .

IV.

Richten wir zuletzt unsern Blick auf Westeuropa, wo uns einerseits die Dreiheit Brügge-Antwerpen-Amsterdam, andererseits die Rolle von Sevilla und Lissabon im Vergleich zu den niederländischen Städten beschäftigen soll. Hier im Westen gab es keine Stadtrepublik im Sinne der italienischen Stadtstaaten oder der Reichsstädte. Am interessantesten ist der Aufstieg von Amsterdam und seine beherrschende Rolle im Staatswesen der nordniederländischen Republik. Doch das verlangt zunächst den Blick auf Brügge, das große Handelszentrum in Flandern und auf Antwerpen, die Konkurrentin in Brabant. Brügge verdankte seinen Aufstieg der Gunst der Grafen von Flandern und der Stapelpolitik der Hansestädte. Dies alles trug dazu bei, daß sich hier ähnlich wie einst auf den Champagnermessen Süd und Nord, Ost und West zum Warenaustausch und Zahlungsverkehr treffen konnten. Bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts zeichnete sich der Aufstieg der Rivalin an der Scheide deutlich ab. Auch Antwerpen stützte sich auf Stapelprivilegien, aber sein Aufstieg wurde ebenso begünstigt durch seinen Zugang zu den seeländischen Vorhäfen und durch seine guten Hinterlandverbindungen über die Scheide und Maas hinaus bis zum Rhein und letzten Endes durch eine freiheitlichere, in entscheidenden Augenblicken geschicktere Handelspolitik. Dazu kam die Gunst der Habsburger und der Zustrom der Fremden. Seit 1407 hatten die Merchants Adventurers ihr eigenes Haus hier. Hinzu gesellten sich die Rheinländer, die Oberdeutschen, die Portugiesen, die ihre Faktorei hierher verlegten. Weitere Kaufleute aus dem Mittelmeerbereich und dem hansischen Raum schlossen sich an. Außerdem konnte sich Antwerpen in Verbindung mit Bergen op Zoom ins internationale System der großen Wechselmessen einschalten, woraus sich dann ein ständiger Börsenplatz entwickelte 38 . Die religiösen Unruhen, der Aufstand der sieben nördlichen Provinzen führten zu einem schweren Aderlaß von unternehmerisch tätigen Kräften. Die Krise ließ sich zwar überwinden, und die Stadt behauptete sich weiterhin als Zentrum des Luxuswarengewerbes und Handels wie als Bankplatz im Rahmen des spanischen Herrschaftssystems, aber mittlerweile wurde es von Amsterdam weit überholt 39 . 37

DERS., Probleme der Merkantilismusforschung, in: Comité International des Sciences Historiques, XII e Congrès International des Sciences Historiques. Rapports, Bd. IV: Méthodologie et Histoire Contemporaine, Wien 1965, S. 171-190. 38 Zu Brügge und Antwerpen vgl. außer den Arbeiten von R. HAEPKE, O. GÖNNENWEIN und I. VAN WERVEKE bes. J.A. VAN HOUTTE, Bruges. Essai d'Histoire urbaine, Brüssel 1967, ferner W. BRULEZ, Brugge en Antwerpen in de 15e en 16e eeuw: Een tegenstelling?, in: Tijdschrift voor Geschiedenis 83 (1970), S. 15-37, sowie H. VAN DER WEE, The Growth of the Antwerp Market and the European Economy, 3 Bde., The Hague 1963. Vgl. dazu R. BAETENS, De nazomer van Antwerpens welvaart. De diaspora en het handelshuis De Groote tijdens der eerste helft der 17de eeuw. Prijsgeschiedenis 1972 van het Gemeentekrediet, Gemeentekrediet van Belgie, Historische Uitgaven Pro Civitate, reeks in — 8°, nr. 35, 1976, 2 Teile; ferner F. BRAUDEL, Civilisation Matérielle, Economie et Capitalisme, XV e -XVIII e Siècle, Bd. 3: Le Temps du Monde, Paris 1979, S. 115ff. und die dortige Literatur.

Verfassungsentwicklung und Stadtwirtschaft

17

Amsterdam, schon im 15. Jahrhundert ein bedeutender Seehafen, kam die günstige Lage an der Nordsee zugute, in der Mitte einer ganzen Schar von Seehäfen, die mit ihm zusammenarbeiteten, dann die Öffnung zu einem weit ins Binnenland hineinragenden aktiven Wirtschaftsraum. Wichtige Impulse erhielt der Aufstieg Amsterdams zunächst im Zusammenhang mit dem Aufstand gegen das Herrschaftssystem Philipps II., der zahlreiche wohlhabende und unternehmerisch tätige Persönlichkeiten aus den Südlichen Niederlanden vertrieb. Den Aufschwung begünstigte weiter der zwölfjährige Waffenstillstand und schließlich der Dreißigjährige Krieg. Erst die militärischen Auseinandersetzungen mit Cromwell und dem Frankreich Ludwigs XIV. leiten eine Krisenphase sein, deren weitere Entwicklung, der sogenannte „achteruitgang", neuerdings nicht mehr so negativ beurteilt wird wie früher. Das besonders Bemerkenswerte an dieser Stadt, die um 1600 an die 50 000, um 1700 aber etwa 200.000 Bewohner zählte, ist ihre Stellung im Rahmen des Systems der „Republik der Vereinigten Nördlichen Niederlande", in dem die Rolle des Staats auf ein Minimum zurückgeschraubt ist. Der Staat wird in erster Linie durch den Statthalter, einem erblichen Würdenträger aus dem Haus Oranien, repräsentiert. Sein Gegenpart ist das Regentenpatriziat und dessen Hauptvertreter der Ratspensionär von Holland, d. h. der Sekretär des Staatsrats. Zweimal kommt es zu schweren Konflikten, wobei Jan van Oldenbarnevelt und Jan de Witt die Repräsentanten des Regentenpatriziats sind. An der Spitze dieses Regentenpatriziats stehen die Patrizier von Amsterdam. Sie und mit ihnen die Amsterdamer Kaufmannschaft bestimmen letzten Endes die Politik der Generalstaaten und des Staatsrats. Das alles hat dazu beigetragen, daß Amsterdam nach Venedig und Antwerpen Zentrum eines Wirtschaftssystems werden konnte, das Fernand Braudel mit dem Wort économie-monde gekennzeichnet hat. Freilich verlangt diese „idealtypische" Betrachtungsweise im Fall Amsterdam in verschiedener Hinsicht eine Einschränkung 40 . Vorzüge der Lage und Maßnahmen der monarchischen Staatsmacht lenkten den Aufstieg von Sevilla und Lissabon zu Handelsmetropolen. Spanien erlebte unter Karl I. (unserem Karl V.) mit dem Consejo de Hacienda ein nach burgundischem Vorbild entwickeltes oberstes Gremium nicht nur der Finanz- sondern auch der weiteren Wirtschaftspolitik. Mit dem Consejo de Indias am Hof und der Casa de la Contratación in Sevilla schuf es Organisationen, die die Stellung der Metropole am Guadalquivir und ihren Vorhäfen San Lúcar de Barrameda und Cádiz festigten und im Sinne eines Monopolsystems ausbauten. Dabei verkörperten über der Kaufmannschaft der Universidad de Cargadores, der Teniente des Herrschers und die Veinticuatros, die Repräsentanten der Stadtverwaltung, den verlängerten Arm der Monarchie 41 . Ähnlich war es am Tejo, wo die Behördenorganisation zwar noch nicht so weit ausgebildet war, daß es zu einem Pendant des Consejo de Hacienda gekommen wäre. Aber die Casa da India e da Mina entsprach weitgehend der Casa de la Contratación in Sevilla und das von König Manuel ausgebaute System der Wirtschaftspolitik hat man nicht zu Unrecht als monarchischen Kapitalismus etikettiert. Lissabon

4°Zu Amsterdam vgl. BRAUDEL, wie Anm. 39, S. 148ff. und die dortige Literatur. Vgl. dazu J.I. ISRAEL, Dutch Primacy in World Trade, 1585-1740, Oxford 1989. 41

Z u Sevilla vgl. a u ß e r d e n A r b e i t e n v o n A . DOMÍNGUEZ ORTIZ, Μ . A . LADERO QUESADA, F. MORALES PADRÓN, R . PIKE, P. CHAUNU u n d E. OTTE n o c h : BRAUDEL, w i e A n m . 39, I n d e x : Seville.

18

Hennann Kellenbenz

genoß den Vorzug, daß es nicht nur Haupthafen für den überseeischen Handel Portugals sondern auch Residenzstadt des Herrschers war 42 . Wenn das System weder in Andalusien noch am Tejo voll funktionierte, so gab es dafür verschiedene Gründe. Nicht nur die zu starke Reglementierung des Handels, der immer seine Auswege fand und mit der vielfach korrupten Beamtenmannschaft zusammenspielte, sondern auch die periphere Lage wirkten mit. Weder Sevilla noch Lissabon vermochten sich zu Metropolen vom Gewicht Antwerpens oder Amsterdams und später Londons zu entfalten. Das größte Hindernis war die Rohstoffarmut der Iberischen Halbinsel und die Tatsache, daß der Absatz der transatlantischen Produkte auf dem europäischen Markt eine Organisation kapitalistischer Art verlangten, die weder Sevilla noch Lissabon bieten konnten. Die besten Voraussetzungen dafür lieferten der Nordseeraum von der Scheide bis Amsterdam und Hamburg und bis zur Themse. Der Versuch König Johanns III. durch Aufhebung der Feitoria de Flandres die Kapitalkonzentration in Lissabon zu fördern, blieb ohne Erfolg. Es ist müßig sich zu fragen, ob Lissabon zum Zentrum einer „économie-monde" geworden wäre, wenn Philipp II. im vereinigten spanisch-portugiesischen Imperium seine Hauptstadt von Madrid nach dem Tejo, von Binnenland an der Küste verlegt hätte. Die Würfel waren längst zugunsten der Niederlande gefallen 43 .

V.

Man hat gerne das Verfassungssystem der frühen Neuzeit identifiziert mit dem Aufstieg der Nationalstaaten und Nationalwirtschaften. Das ist eine Sicht, die die Dinge zu sehr vereinfacht. Besser ist es vom Gegensatz Territorialwirtschaft - Stadtwirtschaft auszugehen. Gewiß, der Aufstieg der Nationalstaaten und Nationalwirtschaften hat die Epoche wesentlich mit geprägt und ihre Rolle gegenüber der städtischen Wirtschaft wird vom wachsendem Gewicht. Mit am schwersten sollte das den Städtebund der Hanse treffen; mit der Schließung des Kontors in Novgorod, dem Privilegienabbau in Schweden, in Dänemark und dem Dänemark angeschlossenen Norwegen wie mit dem Verlust der Rechte des Stalhofs in London kam dies am deutlichsten zum Ausdruck. Die Städtebünde hatten sich überlebt. Hatten einst Privilegien den Kaufleuten europaweit die Handelswege geebnet, so gab es jetzt an den Grenzen zahlreicher Territorien Zölle zu entrichten, ebenso wurden die Flüsse und Ströme mit Abgaben belastet. Protektionistische, merkantilistische Wirtschaftspolitik der monarchisch regierten Territorien dirigierten und hinderten die Warenströme, sofern sie nicht dazu dienten, ihre Kammereinnahmen zu vermehren. Daß es in der gewandelten Welt auch neue Chancen gab, zeigen eine Reihe von Beispielen, mit am eindrucksvollsten wohl das von Hamburg.

42

Z u L i s s a b o n vgl. a u ß e r den A r b e i t e n von A . H . d e OLIVEIRA MARQUES, M . NUNES DIAS u n d V. MAGALHÄES GODINHO die einschlägigen A b s c h n i t t e bei B.W. DIFFIE/G.D. WINIUS, F o u n d a t i o n s o f the

Portuguese Empire 1415-1580 (Europe and the World in the Age of Expansion I), Minneapolis 1977, bes. S. 30Iff. « B R A U D E L , w i e A n m . 39, S. 22.

STADT U N D FRÜHMODERNER

TERRITORIALSTAAT:

STADTREPUBLIKANISMUS

VERSUS

FÜRSTENSOUVERÄNITÄT Die politische Kultur des deutschen Stadtbürgertums in der Konfrontation mit dem frühmodernen Staatsprinzip * von H e i n z

Schilling

I.

Das Verhältnis zwischen Stadt und frühmodernem Staat oder — anders formuliert — das Schicksal der mittelalterlichen Stadt innerhalb jenes Umbruches, den wir frühmoderne Staatsbildung nennen, gehört zu den traditionellen Forschungsfeldern von Historikern verschiedenster Fachausrichtungen. Es verwundert daher kaum, wenn Beschreibung und Beurteilung dieses Phänomens immer wieder recht unterschiedlich ausfallen. Zumindest drei Faktoren sind dafür ausschlaggebend : der politische und soziale Standpunkt des jeweiligen Historikers; die Gesamtbewertung der beiden betroffenen Epochen, also des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, in der allgemeinen Geschichtswissenschaft; schließlich die spezielle Fachausrichtung des einzelnen Stadthistorikers1. Jeder dieser Faktoren hat über die Generationen hin der Erforschung des alteuropäischen Städtewesens seinen besonderen Stempel

* Leicht überarbeitete Fassung des Referates, die den Vortragscharakter beibehält. 'K. SCHREINER, Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus, in: Max Weber. Der Historiker, hg. v. J. KOCKA, Göttingen 1986, S. 119-150; DERS., Die Stadt des Mittelalters als Faktor bürgerlicher Identitätsbildung. Zur Gegenwärtigkeit des mittelalterlichen Stadtbürgertums im historisch-politischen Bewußtsein des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel. Katalog zur Landesausstellung Niedersachsen 1985, Bd. IV., Braunschweig 1985, S. 517-541 ; DERS., Kommunebewegung und Zunftrevolution. Zur Gegenwart der mittelalterlichen Stadt im historisch-politischen Denken des 19. Jahrhunderts, in: Stadtverfassung - Verfassungsstaat - Pressepolitik. FS für E. Naujoks zum 65. Geburtstag, hg. v. F. QUARTHAL/W. SETZLER, Sigmaringen 1980, S. 39-168; L. SCHORN-SCHUTTE, Karl Lamprecht. Kulturgeschichtsschreibung zwischen Wissenschaft und Politik (SHistKomBayAk 22), Göttingen 1984, bes. S. 208-224; DIES., K. Lamprecht und die i n t e r n a t i o n a l e Geschichtswissenschaft an d e r J a h r h u n d e r t w e n d e , i n : A K G 67 (1985), S. 417-464; DIES.,

Karl Lamprecht. Wegbereiter einer historischen Sozialwissenschaft?, in: Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, hg. v. N. HAMMERSTEIN, Wiesbaden 1988, S. 153-191; DIES., Stadt und Staat. Zum Zusammenhang zwischen Gegenwartsverständnis und historischer Erkenntnis in der Stadtgeschichtsschreibung der Jahrhundertwende, in: Die alte Stadt 10 (1983), S. 228-266; J. FRÖCHLING, Georg von Below. Stadtgeschichte zwischen Wissenschaft und Ideologie, in: Die alte Stadt 6 (1979), S. 54-85.

20

Heinz Schilling

aufgeprägt und damit ein differenziertes Bild der deutschen Stadtgeschichte hervorgebracht. Nur an einem, aber wesentlichen Punkt wirkten sie in dieselbe Richtung und bestimmten dadurch entschieden Gang und Schwerpunktsetzung der Stadthistoriographie, nämlich bei der generellen Orientierung an mittelalterlichen Verhältnissen und der damit zusammenhängenden Sicht der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte als Niedergang oder Verfall. Hierzu trug die bürgerlich-liberale Einstellung führender Stadthistoriker des 19. Jahrhunderts, die die politischen Träume der eigenen Zeit in die Geschichte der mittelalterlichen Stadt zurückprojizierten, ebenso bei wie die in unseren Tagen wieder besonders deutliche Überbewertung des Mittelalters infolge der traditionellen Dominanz der Mediävistik in der deutschen Geschichtswissenschaft 2 und die gerade unter Stadthistorikern beliebte rechts- und verfassungsgeschichtliche Fachausrichtung, in deren Perspektive der Umbruch von mitterlalterlichen zu neuzeitlichen Formen politischer und gesellschaftlicher Ordnung zwangsläufig besonders akzentuiert erscheint. Demgegenüber läßt die unter deutschen Stadthistorikern lange vernachlässigte sozialhistorische Sicht eher die Langfristigkeit des Wandels und damit gewisse Kontinuitäten zutage treten 3 . Ahnlich verhält es sich mit der Kirchengeschichte, die ebenfalls erst in der letzten Generation intensiv in die Diskussion um den Übergang von der mittelalterlichen zur frühneuzeitlichen Stadt eingriff und sich mit dem Forschungsfeld „Stadt und Reformation" weit zur Sozialgeschichte hin öffnete, wenngleich sie dazu neigt, für die Zeit nach 1550 das einseitig negative Urteil der traditionellen Stadtgeschichte zu übernehmen 4 . 2

F. RÖRIG, Die europäische Stadt und die Kultur des Bürgertums im Mittelalter, Göttingen 4 1964; DERS., Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte, hg. v. P. KAEGBEIN, Köln/Wien/Graz 2 1971; E. KEYSER, Städtegründungen und Städtebau in Nordwestdeutschland im Mittelalter, 2 Bde., Remagen 1958; Die Stadt des Mittelalters, hg. v. C. HAASE, 3 Bde., Darmstadt 3 1976; DERS., Die Entstehung der westfälischen Städte, Münster 2 1965; Altständisches Bürgertum, hg. v. H. STOOB, 2 Bde., Darmstadt 1978; Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, hg. v. H. STOOB, Köln/Wien 1979; E. ENNEN, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 4 1987; DIES., Gesammelte Abhandlungen zum europäischen Städtewesen und zur rheinischen Geschichte, Bonn 1977; H. BOOCKMANN, Die Stadt im späten Mittelalter, München 21987. Zuletzt E. ISENMANN, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, 1250-1500, Stuttgart 1988. 3 Die Beiträge in den Sammelbänden Humanismus und höfisch-städtische Eliten im 16. Jahrhundert, hg. v. K. MALETTKE/J. VOSS, Bonn 1989 und Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter u n d in d e r N e u z e i t , hg. v. H . SCHILLING/H. DIEDERIKS ( S t F A 23), K ö l n / W i e n 1985. D e s w e i t e r e n

O. MÖRKE, Rat und Bürger in der Reformation. Soziale Gruppen und kirchlicher Wandel in den weifischen Hansestädten Lüneburg, Braunschweig und Göttingen, Hildesheim 1983; H. SCHILLING, Bürgerkämpfe in Aachen zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Konflikte im Rahmen der alteuropäischen Stadtgesellschaft oder im Umkreis der frühbürgerlichen Revolution?, in: Z H F 1 (1974), S. 175-231 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Bürgerkämpfe in Aachen); DERS., Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: Stadtbürgertum und Adel in der Reformation, hg. v. W.J. MOMMSEN, Stuttgart 1979, S. 235-308 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Die politische Elite); DERS., Wandlungs- und Differenzierungsprozesse innerhalb der bürgerlichen Oberschichten west- und nord westeuropäischer Städte im 16. und 17. Jahrhundert, in: Schichtung und Entwicklung der Gesellschaft in Polen und Deutschland im 16. und 17. Jahrhundert (VSWG Beih., Bd. 74), hg. v. M. BISKUP/K. ZERNACK, Wiesbaden 1983, S. 121-73 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Wandlungs- und Differenzierungsprozesse). — Letzte zusammenfassende Darstellung zur frühneuzeitlichen Stadt bei K. GERTEIS, Die deutschen Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 1986. — Vom Aspekt der Bürgerunruhen mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte sowohl hinsichtlich der Kontinuität als auch des Wandels erhellend thematisierend jüngst P. BLICKLE, Unruhen in der städtischen Gesellschaft 1300-1800, München 1988. Vgl. auch die Aufsätze in SCHILLING/DIEDERIKS, wie Anm. 3. 4

B. MOELLER, Reichsstadt und Reformation, bearb. Neuausgabe, Berlin (Ost) 1987, mit ausführlicher Darlegung des Forschungsganges im Anhang, S. 69-96 (im folgenden zitiert: MOELLER, Reichsstadt

Stadt und frühmoderner Territorialstaat

21

Die Beziehungsgeschichte von Stadt und frühmodernem Staat wird heute maßgeblich durch zwei fundamentale Neuansätze bestimmt, die seit den sechziger Jahren die deutsche Geschichtswissenschaft generell in neue Bahnen gelenkt haben. Der eine ist die Herausdifferenzierung einer eigenständigen Frühneuzeitforschung, wofür nur auf Otto Brunner, Dietrich Gerhard und Gerhard Oestreich hinzuweisen ist, die ihrerseits an die großen Entwürfe von Max Weber und Otto Hintze anknüpfen konnten. Der andere ist die Hinwendung oder besser Öffnung der Historie allgemein und der genannten Frühneuzeitforschung im besonderen zur Gesellschaftsgeschichte, verstanden als Interesse für die Gesamtheit kollektiver und individueller, rechtlicher wie politischer, sozialer wie religiös-kultureller und ökonomischer Lebensbedingungen. Aus diesem historiographischen Aufbruch resultierten für das Problemfeld „Stadt und frühmoderner Staat" drei wesentliche Umdeutungen: Erstens, die Historisierung des neuzeitlichen Staates, der vom späten Mittelalter über die frühe Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert unterschiedliche Stadien durchlief, die alle von der vollentfalteten Anstaltsstaatlichkeit des 19. Jahrhunderts zu unterscheiden sind 5 . Wir müssen folglich — wie im Untertitel meines Beitrages versucht — den Blick auf die Prozeßhaftigkeit staatlicher Verdichtung, auf die Staatsbildung richten, wollen wir die Konsequenzen für die Stellung der Stadt richtig erfassen. Zweitens, ergab sich ein neues Absolutismusbild, das „das Nichtabsolutistische im Absolutismus" 6 in den Vordergrund rückte, das heißt selbst für den Höhepunkt des alteuropäischen Verstaatungsprozesses die Begrenztheit des vormodernen Staates betonte und komplementär dazu die im Kern ungebrochene Vitalität der gesellschaftlichen Kräfte hervortreten ließ — sei es der Stände und der Kirche, sei es der Korporationen, Familien und Personenverbände oder eben der Städte. Selbst dort, wo — wie etwa in Brandenburg-Preußen — die Städte rigide in den Fürstenstaat integriert wurden, bildete sich häufig eine alteuropäische Symbiose staatlich-zentralistischer und kommunalregionaler Elemente, die zwar nicht mehr mit den fragmentierten Verhältnissen des Mittelalters gleichzusetzen ist, aber auch noch nicht mit den modernstaatlichen des 19. Jahrhunderts 7 . Schließlich wurde mit den sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Fragestellungen drittens stärker als in der traditionellen Stadtgeschichte, die sich häufig mehr um das Gefäß als um den Inhalt — nämlich mehr um die Stadt als um ihre Bewohner — kümmerte, der Blick darauf gerichtet, welche Spuren die frühneuzeitlichen Umbrüche in der Geschichte des Bürgertums hinterließen. Neben der und Reformation). Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert, hg. v. DEMS. (SVRefG 84), Gütersloh 1978 (im folgenden zitiert: MOELLER, Stadt und Kirche). — Öffnung zur Sozial- und Gesellschaftsgeschichte besonders prononciert bei TH.A. BRADY, Ruling Class, Regime und Reformation at Strasbourg, 1520-1555 (Studies in Medieval and Reformation Thought 22), Leiden 1978. Vgl. auch V. PRESS, Stadt und territoriale Konfessionsbildung, in: Kirche und gesellschaftlicher Wandel, hg. v. F. PETRI, Köln/Wien 1980, S. 251-296; O. MÖRKE, Integration und Desintegration. Kirche und Stadtentwicklung in Deutschland vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, in: La Ville, la Bourgeousie et la Genèse de L'État moderne (XII e -XVIII e Siècles), Paris 1988; SCHILLING, Die politische Elite, wie Anm. 3. 'Richtungsweisend: E.W. BÖCKENFÖRDE, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961. 6 G. OESTREICH, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: DERS., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 179-197, Zitat S. 183. Einführend V. PRESS, Der Merkantilismus und die Städte, in: Städtewesen und Merkantilismus in Mitteleuropa, hg. v. DEMS. (StF A 14), Köln/Wien 1983, S. 1-14; G. HEINRICH, Der preußische Spätmerkantilismus und die Manufakturstädte in den mittleren und östlichen Staatsprovinzen (1740-1806), in: dito, S. 301-322. — Zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Eingliederung Göttingens in den Territorialstaat vgl. die sozialgeschichtlich und prosopographisch arbeitende Studie Göttingen 1690-1755. Studien zur Sozialgeschichte einer Stadt, hg. v. H. WELLENREUTHER, Göttingen 1988.

22

Heinz Schilling

westlich liberalen Gesellschaftsgeschichte sind auf diesem Feld wesentliche Impulse von der marxistischen Geschichtswissenschaft ausgegangen 8 . Insgesamt gesehen erscheint uns heute das Problemfeld Stadt und frühmoderne Staatsbildung komplexer und komplizierter als früheren Generationen. Nicht die Gegensätze stehen im Vordergrund, sondern ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht, nicht eindeutig ab- oder aufsteigende Linien, sondern die Ambiguität von Kosten und Chancen, die sich für die Entwicklung der Städte und insbesondere des Bürgertums ergaben. Das Bild ist ohne Zweifel historischer, d.h. realistischer geworden als in der alten, von juristischen Systematikern bestimmten Entgegensetzung von mittelalterlicher Stadtfreiheit und neuzeitlicher Staatsreglementierung. Ich hielte es indes für verfehlt, statt dieser realistischen Ambiguität nun ganz und gar den Kontrast zu übersehen oder den Charakter eines Umbruchs zu leugnen. Daher sollen im folgenden gerade die Spannungen ins Zentrum des Interesses gerückt werden, die sich zwangsläufig für die Stadt und das alteuropäische Stadtbürgertum aus dem Prozeß frühmoderner Staatsbildung ergaben. Das bedeutet nicht, in die traditionelle Schwarzweißmalerei zurückzufallen. Vielmehr sollen die Veränderungen, die sich in der werdenden Neuzeit im Verhältnis zwischen Stadt und überstädtischer politischer Einheit ergaben, als Paradigmawechsel begriffen werden, der wertneutral war, in seiner konkreten historischen Durchsetzung aber erstens Konflikte und zweitens Kosten und Nutzen verursachte 9 .

II.

Eine vollständige Kosten-Nutzen-Rechnung würde den Rahmen eines Aufsatzes sprengen. Zudem wäre es dazu nötig, weit bis ins späte 17. und 18. Jahrhundert auszugreifen. Im Zentrum der nachfolgenden Erörterungen soll statt dessen die zeitlich breit anzusetzende Übergangs- und Umbruchphase stehen, die Zeitspanne des Paradigmawechsels selbst also, die im wesentlichen identisch ist mit dem „langen

8

A. LAUBE, Studien über den erzgebirgischen Silberbergbau von 1470-1546. Seine Geschichte, seine Produktionsverhältnisse, seine Bedeutung für die gesellschaftlichen Veränderungen und Klassenkämpfe in Sachsen am Beginn der Ubergangsepoche vom Feudalismus zum Kapitalismus, Berlin (Ost) 1974; DERS., Die Reformation als soziale Bewegung, in: ZfG 33 (1985), S. 424-441; W. KÜTTLER, Stadt und Bürgertum im Feudalismus, in: JbGFeudal 4 (1980), S. 75-112; G. VOGLER, Nürnberg 1524/25. Studien zur Geschichte der reformatorischen und sozialen Bewegung in der Reichsstadt, Berlin (Ost) 1982; DERS., Reformation als „frühbürgerliche Reformation". Eine Konzeption im Meinungsstreit, in: Zwingli und Europa, hg. v. P. BUCKLE u.a., Göttingen/Zürich 1985, S. 47-69; DERS., Revolutionäre Bewegung und frühbürgerliche Revolution. Betrachtungen zum Verhältnis von sozialen und politischen Bewegungen und deutscher frühbürgerlicher Revolution, in: ZfG 22 (1974), S. 394-411; DERS., Probleme der Klassenentwicklung in der Feudalgesellschaft. Betrachtungen über die Entwicklung des Bürgertums in Mittel- und Westeuropa vom 11. bis zum 18. Jahrhundert, in: ZfG 21 (1973), S. 11821208; E. MÜLLER-MERTENS, Bürgerlich-städtische Autonomie in der Feudalgesellschaft - Begriff und geschichtliche Bedeutung, in: Autonomie, Wirtschaft und Kultur der Hansestädte, hg. v. K. FRITZE u.a., Weimar 1984, S. 11-34.

'Ich benutze hier den wissenschaftstheoretischen Begriff „Paradigma" bewußt sachfremd, nämlich zur Charakterisierung eines tatsächlich vollzogenen Wandels, nicht — wie natürlich von Kuhn gemeint — als Wandel im wissenschaftlichen Begreifen dieses Phänomens.

Stadt und frühmoderner Territorialstaat

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16. Jahrhundert" der Wirtschafts- und Konjunkturhistoriker. Inhaltlich soll der Umbruch in seiner Hauptschneise verfolgt werden, nämlich in der politischen Theorie oder — mit Blick auf das Stadtbürgertum formuliert — bei den gesellschaftlichen und „staatlichen" Ordnungsvorstellungen und dem politischen Bewußtsein. Es geht um die Konfrontation zwischen der politischen Kultur des deutschen Stadtbürgertums und dem neuzeitlichen Staatsprinzip des frühmodernen, territorialen Fürstenstaates. Dabei richtet sich der Blick gleichsam von innen nach außen oder — zeitlich gesehen — vom Alten zum Neuen, d.h. von der Stadt und den Ordnungsvorstellungen des Stadtbürgertums nach außen auf den frühmodernen Staat und die neuen juristischen und politiktheoretischen Kategorien, mit denen seine Protagonisten — die Fürsten und die juristisch geschulte Beamtenschaft also — ihn definierten und ihm damit zugleich Respekt verschafften 10 . Auch wenn — so lautet meine Ausgangsthese — das deutsche Bürgertum im Mittelalter und im Ubergang zur Neuzeit keine explizite politische Theorie entwickelte, wie sie in den oberitalienischen Städten des 14. und 15. Jahrhunderts sowie in Anknüpfung daran seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Holland und England entstand 11 , so existierte dessenungeachtet auch im Reich eine markant ausgeprägte politische Kultur des spätmittelalterlichen Stadtbürgertums. Sie ist im 16. Jahrhundert nicht sang- und klanglos zusammengebrochen 12 , sondern hat die Konfrontation 10

Die folgenden Darlegungen, die den Miinsteraner Vortragstext im großen und ganzen unverändert wiedergeben, sind Teil breiter angelegter Untersuchungen zur politischen Theorie und politischen Kultur der Frühneuzeit im Reich und in Nordwestkontinentaleuropa. Ich verweise auf folgende ausfuhrlichere Darstellungen, deren Ergebnisse in die Überlegungen einbezogen sind, ohne daß sie nochmals in voller Breite belegt wurden: Vor allem auf H. SCHILLING, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus"?, in: Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 11), hg. v. H. KOENIGSBERGER, München 1987, S. 101-143 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Stadtrepublikanismus). Daneben auch auf DERS., Calvinismus und Freiheitsrechte. Die politisch-theolgische Pamphletistik der ostfriesisch-groningischen „Patriotenpartei" und die politische Kultur in Deutschland und in den Niederlanden, in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden 102 (1987), S. 403-434 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Calvinismus und Freiheitsrechte); DERS., Der libertärradikale Republikanimus der holländischen Regenten. Ein Beitrag zur Geschichte des politischen Radikalismus in der frühen Neuzeit, in: GuG 10 (1984), S. 498-533 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Der libertär-radikale Republikanismus); DERS., Konfessionskonflikte und hansestädtische Freiheiten im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: HansGbll 97 (1979), S. 36-59 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Konfessionskonflikte); DERS., Aufstandsbewegungen in der stadtbürgerlichen Gesellschaft des Alten Reiches. Die Vorgeschichte des Münsteraner Täuferreiches 1524-34, in: Der deutsche Bauernkrieg 1524-36, hg. v. H.U. WEHLER, Göttingen 1975, S. 193-238; DERS., Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin 1988, S. 341-349. — Die Beispiele sind vor allem aus dem Norden und Westen des Reiches gewählt. In anderen Regionen waren die Verhältnisse aber nicht prinzipiell unterschiedlich. " H . BARON, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny, Princeton 1966; DERS., Civic Humanism and its Role in AngloAmerican Thought, in: DERS., Politics, Language and Time, London 1972, S. 80-103; vgl. auch die zum Thema einschlägigen Beiträge bei The Languages of Political Theory in Early-Modern-Europe, hg. v. A. PAGDEN, Cambridge 1987; H.E. KOSSMANN, Politieke Theorie in het zeventiende-eeuwse Nederland, Amsterdam 1960; J.G.A. POCOCK, The Machiavellian Moment, Princeton 1975; A.O. HIRSCHMAN, The Passions and the Interests, Princeton 1977; E.O.G. HAITSMA-MULIER, The Myth of Venice and Dutch Republican Thought, Assen 1980.· 12 Aus anderem Blickwinkel kommt Heinz Stoob zu derselben Einschätzung des 16. Jahrhunderts als Epoche eines noch starken Stadtbürgertums, jedenfalls im Norden des Reiches: Η. STOOB, Die Hanse und Europa bis zum Aufgang der Neuzeit, in: Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus. FS für H. Gollwitzer, hg. v. H. DOLLINGER, Münster 1982, S. 1-17. Auch G. SCHMIDT, Der Städtetag in der Reichsverfassung, Wiesbaden 1984, betont, „daß der politische Positionsverlust der Städte im Gefolge der Reformation nicht überbewertet werden d a r f (S. 522).

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mit dem neuen, dem neuzeitlichen Politikverständnis des aufsteigenden Fürstenstaates aufgenommen, wenngleich nicht erfolgreich durchgestanden. Diese politischen Vorstellungen, die Denken und Handeln des deutschen Stadtbürgertums auf der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit leiteten, werden im folgenden unter dem Begriff „frühneuzeitlicher Stadtrepublikanismus" zusammengefaßt und diskutiert 13 . Der spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Stadtrepublikanismus hat eine innerund eine überstädtische Komponente: Innerstädtisch ruhte er auf vier Pfeilern — auf dem Postulat persönlicher „Grund- und Freiheitsrechte" ; der Forderung nach Gleichheit aller Stadtbewohner bei den Lasten und Pflichten; dem politischen Partizipationsanspruch des genossenschaftlichen Bürgerverbandes; schließlich auf der oligarchisch-egalitären Struktur der stadtbürgerlichen Politikelite. Es ist evident und historisch belegt, daß der frühmoderne Territorialstaat unter dem Leitprinzip der Fürstensouveränität jeden dieser Pfeiler aushöhlte, so daß die tragende Konstruktion des Stadtrepublikanismus schließlich auseinanderbrach beziehungsweise nur noch dort intakt bleiben konnte, wo rechtliche und politische Barrieren einen Zugriff des Fürstenstaates verhinderten — also in den Reichsstädten. Die stadtbürgerlichen „Grund- und Freiheitsrechte" wurden durch die unbeschränkte Befehls- und Verfügungsgewalt, die der Fürstenstaat Schritt für Schritt etablierte, ausgehöhlt, wenn hier auch längerfristig durch ein neubegründetes Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gegengesteuert wurde. Das Gleichheitspostulat, das soeben erst gestärkt worden war, als die Städte im Zuge der Reformation die seit langem ärgerliche Sonderstellung des Klerus beseitigt hatten, wurde durch das Vordringen neuer, etatistisch begründeter Exemtionsansprüche unterlaufen, die vor allem die Beamten, aber auch andere Gruppen des territorialen Bürgertums erhoben 14 . Die politische Partizipation des Bürgerverbandes und die egalitäre Struktur der stadtbürgerlichen Politikelite, der dritte und vierte Pfeiler des alteuropäischen Stadtrepublikanismus, wurden beseitigt oder doch entscheidend geschwächt durch die Tendenz des Staates, die städtischen Räte als unterste Instanzen einer hierarchischen Staatsbürokratie anzusehen und anstelle des gemeindlich-genossenschaftlichen Kollegialitäts- das beamtenmäßige Vorgesetztenprinzip zur Geltung zu bringen 15 . Zu diesem innerstädtischen Aspekt wäre im einzelnen noch viel zu sagen 16 . Aus Zeitgründen konzentriere ich mich auf den überstädtischen Aspekt des Stadtrepublikanismus, weil ihm Für unsere Fragestellung der Vorrang gebührt.

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Ich bin mir der Problematik dieses Begriffes bewußt, vor allem der anachronistischen ismus-Bildung. Da mir der internationale Vergleich wichtig ist, gebe ich diesem Begriff dennoch den Vorzug gegenüber den deutschtümlichen Bezeichnungen „gemeindlich-genossenschaftlich" oder „Kommunalismus". Ausführlich dazu SCHILLING, Stadtrepublikanismus, wie Anm. 10. Vgl. auch die weitergreifenden, weil die explizite Politiktheorie untersuchenden, begriffsgeschichtlichen Studien von W. MAGER, Art. Republik, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, Bd. 5, h g . v. O . BRUNNER/W. CONZE/R. KOSELLECK, 1984, S. 5 4 9 - 6 5 1 ; DERS., R e s p u b l i c a u n d

Bürger,

Überlegungen zur Begründung frühneuzeitlicher Verfassungsordnungen, in: Res publica, Bürgerschaft in Stadt und Staat (Beih. zu „Der Staat", Bd. 8), Berlin 1988, S. 67-94. 14 Konkrete Beispiele bei H. SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe (QFRefG 48), Gütersloh 1981, bes. S. 259-282 (im folgenden zitiert: SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung); DERS., Wandlungs- und Differenzierungsprozesse, wie Anm. 3, bes. S. 148-154, S. 168-170; B. MOELLER, Pfarrer als Bürger (Göttinger Universitätsreden 56), Göttingen 1972. 15 Klaus Gerteis spricht treffend von einer „Verbeamtung" der Städte; GERTEIS, wie Anm. 3, S. 78. 16 Dazu ausführlich SCHILLING, Stadtrepublikanismus, wie Anm. 10, S. 120f., 127f.

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Bei den stadtbürgerlichen Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Stadt und außer- bzw. überstädtischem Politiksystem läßt sich ein Grundmuster bürgerlichstädtischer Autonomie und Freiheitsansprüche erkennen. Dieses Grundmuster hatte sich im späteren Mittelalter entwickelt, zu einer Zeit also, in der die Territorialverfassung des Reiches noch im Werden begriffen war und in dieser Hinsicht noch kein prinzipieller Unterschied zwischen reichsfreien und landsässigen Städten ausgebildet war, jedenfalls nicht im politischen Bewußtsein der Bürger der großen, semiautonomen Landstädte, die man zu Recht Freistädte oder privilegierte Städte nennt 17 . Wenn wir diese Autonomievorstellungen dem Begriff „Republikanismus" subsumieren wollen, ist auf die Definition von „republikanisch" als „antimonarchisch" zu verzichten. Stattdessen ist das Augenmerk zu richten auf Elemente im Rechtsbewußtsein und im politischen Denken der Städte, die explizit oder implizit eine von der Welt des Adels und der Fürsten abgehobene Andersartigkeit der städtischen Politikordnung postulieren und eine Distanzierung vom aufziehenden frühmodernen Fürstenstaat vornehmen, somit die Stadt dem fürstlich-monarchischen Herrschaftsanspruch zu entziehen trachteten. Im Prinzip stellte sich das Problem der Distanzierung von der monarchischen Gewalt für alle Städte, gleichgültig, ob sie reichsfrei waren oder nicht. Erinnert sei an die Konflikte Aachens mit Jülich oder Wetzlars mit Hessen 18 . Zudem gaben in beiden Fällen sowohl die territorialfürstliche als auch die kaiserliche Gewalt den außerstädtischen Bezugspunkt ab, wenn auch in je unterschiedlichen politischen und rechtlichen Zusammenhängen. Aus Zeitgründen beschränke ich mich auf die Städte, die nicht die Reichsfreiheit besaßen. Denn da in Deutschland die frühmoderne Staatsbildung in den Territorien ablief, waren sie es, die sich seit dem 15. Jahrhundert direkt und immer brennender mit dem Wesen der fürstlich-monarchischen Gewalt auseinandersetzen mußten. In nahezu allen bedeutenderen Städten läßt sich ein Unabhängigkeits- und Autonomiebewußtsein beobachten, das bis zum Moment der mehr oder weniger gewaltsamen Integration in den Fürstenstaaten des 17. Jahrhunderts nicht an Vitalität einbüßte. Dieser städtische Freiheitsanspruch bedeutete ursprünglich keine prinzipielle Distanzierung vom Territorium im Sinne eines Strebens nach Reichsstandschaft. Ebensowenig implizierte er die Ablehnung der Landesherrschaft im Sinne eines antimonarchischen Republikanismus. Vielmehr verteidigte man von einer traditionellen, altständischen Position aus die überkommenen Freiheiten der jeweiligen Stadt 17

Autonomie, Wirtschaft und Kultur der Hansestädte. FS für Johannes Schildhauer zum 65. Geburtstag, h g . v. K . FRITZE/E. MÜLLER-MERTENS/W. STARCK, W e i m a r 1 9 8 4 ; P. MORAW, Z u r V e r f a s s u n g s p o s i t i o n

der Freien Städte zwischen König und Reich, besonders im 15. Jahrhundert, in: Res publica, Bürgerschaft in Stadt und Staat (Beih. zu „Der Staat", Bd. 8), Berlin 1988, S. 13-66, vor allem S. 19FF. Vgl. auch A. SCHRÖER, Die Reformation in Westfalen, Bd. 1, Münster 1979, Kap. III: „Die erkämpfte Reformation in den privilegierten Städten". 18 Zu Aachen: SCHILLING, Bürgerkämpfe in Aachen, wie Anm. 3. Zu Wetzlar: V. PRESS, Wetzlar Reichsstadt und Reich im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: FS für Herbert Flender (MWetzlarGV 31 [1985]), S. 57-101; zu Südwestdeutschland: G. SCHMIDT, Reichstadt und Territorialstaat. Esslingen, Württemberg und das Städtecorpus um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Esslinger Studien 21 (1982), S. 71-104; zu den Hansestädten: W. EHBRECHT, Bürgertum und Obrigkeit in den hansischen Städten des Spätmittelalters, in : Die Stadt am Ausgang des Mittelalters, hg. v. W. RAUSCH, Linz 1974, S. 275-312; DERS., Hanse und spätmittelalterliche Bürgerkämpfe in Niedersachsen und Westfalen, in: NdsJb 48 (1976), S. 77-105; vgl. auch CHR.R. FRIEDRICHS, German Town Revolts and the Seventeenth-Century-Crisis, in: Renaissance and Modern Studies 26 (1982), S. 27-51; BUCKLE, wie A n m . 3, b e s . S. 7 - 1 2 , 2 5 - 2 8 , 6 7 - 7 1 u n d L i t e r a t u r S. 1 1 4 - 1 1 6 u n d 120-122.

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innerhalb des Territoriums. Die städtische Argumentation war dementsprechend historisch und positivrechtlich bestimmt. Bezugspunkt war die Landesherrschaft und das Territorium mittelalterlicher Prägung: Vor allem im niederdeutsch-hansischen Raum hatte sich in der Gründungs- und Konsolidierungsphase des mittelalterlichen Städtewesens die positive Erfahrung einer Interessenallianz zwischen Bürgertum und Landesherrschaft herausgebildet. Denn das war eine Partnerschaft gewesen, die den Städten manche Vorteile gebracht hatte, weil sie in der Regel der überlegene Partner gewesen waren. Ohne daß die Stadtherrschaft der Landesherren je prinzipiell in Frage gestellt worden wäre, hatten die Städte Zug um Zug Hoheitsrechte an sich gebracht. Am Ausgang des Mittelalters besaßen sie daher gegenüber den Fürsten und den anderen territorialen Kräften eine starke Rechtsposition — von ihrer ökonomischen und finanziellen Überlegenheit ganz zu schweigen. Diese Entwicklung war durch die selbständige, die Territorien übergreifende Wirtschaftspolitik im Rahmen des Hansebundes zusätzlich untermauert worden. Ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu einem Territorium waren diese privilegierten oder Freistädte in der Realität, vor allem aber im Selbstbewußtsein ihrer Bürger freie, politisch weitgehend autonome Kommunen, für die die historisch-analytische Bezeichnung „Stadtrepubliken" durchaus berechtigt erscheint. Läßt man die konkreten Differenzierungen als für unsere Fragestellung kontingent außer acht, so besaßen innerhalb dieses stadtrepublikanischen Modells die Beziehungen zwischen Stadt und Territorium folgendes Grundmuster: Die Bürger betrachteten ihre bischöflichen oder fürstlichen Landesherren als Vertragspartner. In den mannigfaltigen Rechtsabsprachen, die sie im Verlaufe des Mittelalters mit ihnen getroffen hatten, sahen sie Abkommen und Vertragswerke, die nicht einseitig verändert oder gar widerrufen werden konnten. Dabei machte es keinen prinzipiellen Unterschied, ob es sich um umfassende Privilegienverleihungen handelte oder um Einzelrechte, die man bei verschiedenen Gelegenheiten erworben hatte, häufig auf dem Weg der Verpfändung oder direkt durch Kauf. Man ließ sich diese Freiheiten und Privilegien von jedem neuen Herrscher anläßlich der Erbhuldigung bestätigen, teilweise — wie im Falle Braunschweigs — in Form einer „schriftlichen Verpflichtung und Obligation" 19. In ihrer Gesamtheit begriff man diese Absprachen als ein Vertragswerk, das die äußeren Beziehungen der Stadt grundgesetzmäßig regelte und im eingangs beschriebenen Sinne Kernstück der Stadtverfassung war. Im Zuge der frühmodernen Staatsbildung gerieten die skizzierten Vertragsvorstellungen und der damit verbundene Anspruch zunehmend unter Druck. Denn es widersprach der Raison d'être der modernen Fürstengewalt, andere Gewalten im Territorium als Vertragspartner zu akzeptieren. Zudem war die Integration der Urbanen Zentren für die Territorialstaaten eine politische und fiskalische Existenzfrage, und zwar nicht nur im Falle der zahlreichen Kleinterritorien. Ähnlich wie bei den

"Ausführliche Rechtsdeduktionen anläßlich der Konflikte zwischen Stadt und Landesherrn im Anschluß an den Schmalkaldischen Krieg im Bestand Stadtarchiv Braunschweig Β III Vol. 14, Zitat fol. Ζ (Gutachten des sächsischen Juristen Hieronymus Schurff). — Dieser wichtige Bestand wurde am SFB 164 Münster im Projekt C 8 unter Leitung von Franz Petri ausgewertet. Ihm, seinen Mitarbeitern, vor allem Frau M.E. Grüter und Frau M.Th. Leuker-Schnelle, danke ich für die freundliche Hilfe bei der Beschaffung und Bearbeitung dieses Bestandes. Zu den Ergebnissen vgl. W. SPIESS, Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter. Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende der Stadtfreiheit (1491-1671), 1. Halbbd., Braunschweig 1966, S. 94ff.

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innerstädtischen Ordnungsvorstellungen 20 wurden auch in diesem außerstädtischen Kontext die Besteuerungfrage sowie vor allem die Reformation und die Konfessionalisierung zum Kardinalproblem zwischen Stadt und Territorialstaat. Ohne Zweifel ist es richtig, daß der Veränderungsdruck von Seiten der Fürsten und ihrer frühmodernen Beamtenschaft ausging. Das bis heute in der allgemeinen ebenso wie in der Stadtgeschichte gängige Bild, demzufolge die Überlegenheit des Territorialstaates über die Städte bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts realgeschichtlich etabliert gewesen sei, führt jedoch in die Irre. Die Situation war noch über Generationen hinweg offen, jedenfalls für die Akteure in den Städten. Daher ist in der Beziehungsgeschichte von Stadt und frühmodernem Territorialstaat von einem komplizierten Entwicklungsmodell auszugehen. Aufstieg des einen bedeutete nicht automatisch und vor allem nicht sogleich den Niedergang des anderen Partners. Vielmehr war die gesamte Epoche vom ausgehenden Mittelalter bis zum Vorabend des Dreißigjährigen Krieges durch eine Gegenläufigkeit der Entwicklung gekennzeichnet: Längerfristig gesehen und auf der Ebene der reichsverfassungsrechtlichen Satzungen wurden mit der Reformation und der endgültigen reichsrechtlichen Festschreibung der Territorialverfassung die Weichen für den Sieg der landesherrlichen Interpretation des Rechtsverhältnisses zwischen Stadt und Territorium gestellt. Auf diesem Weg bedeutete das Augsburger Gesetzeswerk von 1555 bekanntlich einen Markstein. Und vor allem bildete sich in der Lehre von der superioritas territorialis und später durch den Bodinschen Souveränitätsbegriff ein theoretisches Instrumentarium heraus, das mit dem Postulat einer einheitlichen höchsten Staatsgewalt dem traditionellen Vertragsargument des Stadtbürgertums den Boden entzog. — Gegenläufig zu dieser Entwicklung ergab sich aber infolge der in Niederdeutschland nicht anders als in Oberdeutschland 21 kräftig ausgeprägten Stadtreformation häufig ein aktueller Machtgewinn für die Stadt sowie darauf aufbauend ein Anwachsen ihres Freiheits- und Unabhängigkeitsverlangens, getragen nicht zuletzt von der beschriebenen gemeindlich-genossenschaftlichen Grundströmung in den Bürgerschaften. Auch in Bezug auf das Verhältnis zu den Fürsten ist somit für das gesamte Reformationsund die ersten beiden Jahrzehnte des darauffolgenden Jahrhunderts ein ungebrochenes, ja gesteigertes Eigenständigkeitsbewußtsein der städtischen Kommunen zu konstatieren. In den Städten war man sich der Gefahren der reichsverfassungsrechtlichen Neuregelungen sowie der neuen rechtlichen und politischen Theorien bewußt. Und man hielt nach geeigneten politischen und rechtstheoretischen Gegenmaßnahmen Ausschau. Die erste in dieser Hinsicht signifikante Periode umfaßt die Interimskrise und die Augsburger Friedensverhandlungen. Im Zusammenhang mit dem Widerstand

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SCHILLING, Stadtrepublikanismus, wie Anm. 10, S. 103-121. Inzwischen hat Peter Blickle diesen Zusammenhang für die norddeutschen Städte im Bereich der lutherischen Reformation in Frage gestellt: P. BLICKLE, Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1985; vgl. dazu meine Entgegnung H. SCHILLING, Die deutsche Gemeindereformation. Ein oberdeutsch-zwinglianisches Ereignis vor der „reformierten Wende" des Jahres 1525, in: Z H F 14 (1987), S. 325-332; vgl. auch die Rezension von M.U. EDWARDS, Die Gemeindereformation als Bindeglied zwischen mittelalterlicher und neuzeitlicher Welt, in: HZ 249 (1989), S. 95-103; MOELLER, Reichsstadt und Reformation, S. 92ff. — Aus der Perspektive der allgemeinen Hansegeschichte gelangt Heinz Stoob zu einer ähnlichen Beurteilung der Stellung des 16. Jahrhunderts innerhalb der deutschen Städtegeschichte, wie sie im folgenden mit dem Indikator der politischen Kultur vorgenommen wird. Vgl. STOOB, wie Anm. 12, S. 1-17.

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gegen das Interim kam es in einer Reihe von Städten zu heftigen Konfrontationen mit den Landesregierungen, die aus politischen und reichsrechtlichen Gründen den kaiserlichen Forderungen gegenüber nachgiebiger waren und damit gegen den Widerstandswillen der protestantischen Bürgerschaften verstießen 22 . Dabei ergaben sich erstmals interessante Dreiecksbeziehungen zwischen Städten, Landesherren und Kaiser, deren realpolitische Bedeutung und verfassungsrechtliche wie politiktheoretische Implikation noch nicht hinreichend aufgearbeitet sind. Am Beispiel Braunschweigs kann man den Eindruck gewinnen, als ob die Stadt ihre bedrohte Autonomie durch den Rekurs an den Kaiser zu festigen versuchte: Der Herzog, so heißt es in einem Gutachten des sächsischen Juristen Hieronymus Schurff, sei nicht befugt, mit Braunschweig nach Belieben zu verfahren, weil er „inferior a principe, caesare scilicet" sei 23 . Eine Allianz zwischen Hansestädten und Kaiser, die dem Reichsoberhaupt in Norddeutschland ganz neue Perspekiven eröffnet hätte, lag jedoch wegen der entschiedenen katholischen Option der Habsburger nie im Bereich des Möglichen. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen während der Interimskrise bemühten sich die norddeutschen Hansestädte 1555 während der Verhandlungen in Augsburg darum, mit einem eigenen Artikel in den Religionsfrieden aufgenommen zu werden. Das war primär eine religionspolitische Taktik, die darauf abzielte, das fürstlichterritorialstaatliche cuius-regio-eius-religio-Prinzip für die evangelischen Hansestädte unter katholischer Landesherrschaft, zumal der bischöflichen, zu unterlaufen. Die Argumentation der Hansestädte war zugleich aber auch von erheblicher verfassungsrechtlicher Tragweite und ist daher auch politiktheoretisch relevant. Hätten sich die Hansestädte durchgesetzt, wäre ihr Anspruch, nicht ordinäre Land-, sondern Freistädte eigenen Status zu sein, reichsrechtlich anerkannt worden. Das war bekanntlich nicht der Fall. Dennoch läßt sich von einem Erfolg sprechen. Wie die Verhandlungsprotokolle belegen 24 , ist der Hansestadtartikel am konfessionell begründeten Widerstand König Ferdinands und der drei geistlichen Kurfürsten gescheitert. Dagegen hatten sich die weltlichen Kurfürsten die Argumentation der Städte zu eigen gemacht: In der entscheidenden Sitzung des Kurfürstenrates vom 2. September 1555 brachte der Vertreter Kursachsens vor, daß der Hinweis König Ferdinands auf den Einschluß der Reichsstädte in den Religionsfrieden den Hansestadtartikel nicht überflüssig mache, da „etliche (d.h. der Hansestädte) nit so eigentlich dem Reich, 22

W. HAUSCHILD, Zum Kampf gegen das Interim in niederdeutschen Hansestädten, in: ZKiG 84 (1973), S. 60-81. Vgl. auch F. PETRI, Karl V. und die Stadt im Nordwestraum während des Ringens um die politisch-kirchliche Ordnung in Deutschland, in: JbWestfKiG 71 (1978), S. 7-21; O. MÖRKE, Landständische Autonomie zwischen den Fronten - Göttinger Ratspolitik zwischen Bürgerbewegung, Landesherrschaft und Reichspolitik im Umfeld des Augsburger Interims, in: Niederlande und Nordwestdeutschland im Mittelalter und in der Neuzeit. FS für Franz Petri, hg. v. W. EHBRECHT/H. SCHILLING ( S t F A 15), K ö l n / W i e n 1983, S. 2 1 9 - 2 4 4 ; H . C . RUBLACK, E ß l i n g e n , d i e R e f o r m a t i o n u n d

das Interim, in: Esslinger Studien 20 (1981), S. 73-90; E. WEYRAUCH, Konfessionelle Krise und soziale Stabilität. Das Interim in Straßburg 1548-1562, Stuttgart 1978. 23 Stadtarchiv Braunschweig Β III, 1, Vol. 14, fol. lOv. 24 G. PFEIFFER, Der Augsburger Religionsfrieden und die Reichsstädte, in : ZHVSchwaben 6 (1955), S. 213321, v.a. S. 245ff., 257ff. — Quelle: Wien. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Mainzer Erzkanzlerarchiv, Reichstagsakten Fasz. 38 fol. 766r-767v, 2. September 1555 Reichskurfürstenrat, Beratungen über den Ritterschafts- und Hansestadtartikel. Im Gegensatz zu Sachsen und Brandenburg engagierte sich die Kurpfalz weniger für den Hansestadt- als für den Ritterschaftsartikel. Vgl. auch SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, wie Anm. 14, S. 134, 139; DERS., Konfessionskonflikte, wie Anm. 10, S. 43f.; DERS., The Reformation in the Hanseatic Cities, in: The Sixteenth Century Journal 14 (1983), S. 443-456.

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sondern aber einer obrigkeit unterworffen". Das rechtfertigte aber nicht ihre Unterstellung unter das ius reformandi der Landesherren, denn die Städte wären „nit indeterminante etlichen Herrn zugewendet und underthenig". Die Hansestädte seien — so die stützende Argumentation Kurbrandenburgs — „den mehren theil also geschaffen, ob wol sie einen Herrn recognoscieren, das sie dennoch ir eigen regiment haben". Darüber hinaus, und diesem Argument legen die Fürsten ganz offensichtlich ein noch größeres Gewicht bei, sei der Artikel für einen dauerhaften Frieden unerläßlich, weil die Seestädte bekanntermaßen zur Unruhe neigten und sie sich nie und nimmer von der Augsburger Konfession weisen lassen würden, zudem von den anderen Konfessionsverwandten, d.h. den Fürsten, Unterstützung fänden. „Und also ein newer lerm von irentwegen sich erheben möchte". Dieser „newe lerm" ist dann in der Tat entstanden. Allerdings weitete er sich nicht mehr — wie die Kurfürsten 1555 noch für sicher ansahen — zu einem reichsweiten Religionskrieg aus. Auch in Nord- und Nordwestdeutschland bewährte sich das Reichsfriedenssystem und die Reichsterritorialverfassung, getragen von einer überkonfessionellen Fürstensolidarität. Es waren die einzelnen Fürsten, die mit voller Wucht von dem „newen lerm" der Hansestädte getroffen wurden, als sie versuchten, gemäß dem „cuius-regio-eius-religio-Prinzip" die autochthon gewachsenen reformatorischen Stadtkirchen in ihre Landeskirchen zu integrieren. Sie setzten damit an einem im konfessionellen Zeitalter neuralgischen Punkt an, um endgültig die mittelalterliche Stadtfreiheit zu brechen und die einheitliche Gebietsgewalt des frühmodernen Staates zu errichten. Gleichzeitig kam es zu nämlichen Grundsatzkonfrontationen über rein weltliche Hoheitsansprüche, etwa beim Besteuerungsrecht, der Militärund Gerichtshoheit. Ihren Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen in den zwei Jahrzehnten vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 25 . Unverkennbar war es neben dem staatskirchenrechtlich fundierten Hoheitsanspruch zunehmend die beginnende Rezeption der Souveränitätslehre sowie der Machtstaatsidee eines Justus Lipsius, die der Argumentation auf fürstlicher Seite eine neue Schärfe verlieh. Ahnlich wie beim Verhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft im Innern der Reichsstädte erzwang vor allem der Bodinsche Souveränitätsbegriff eine grundsätzliche staatsrechtliche Klärung der städtischen Position innerhalb der übergreifenden politischen Organisationen — sowohl des Territorialstaats als auch des Reichs. Die Städte vertraten ihren Freiheitsstandpunkt weiterhin durchaus offensiv. So entwickelten die städtischen Juristen in der kirchenverfassungsrechtlichen Frage, die 1555 reichsrechtlich eindeutig zugunsten des Fürstenstaates entschieden worden war, die Theorie einer „sekundären Kirchenhoheit", basierend auf gewohnheitsrechtlicher 25

Vgl. zu dieser Aufstandswelle: SCHILLING, Bürgerkämpfe in Aachen, wie Anm. 3, S. 177 mit Anm. 2; FRIEDRICHS, wie Anm. 18; H. SCHILLING, The European Crisis of the 1590's: The Situation in German Towns, in: The European Crisis of the 1590's, hg. v. P. CLARK, London 1985, S. 135-156, hier bes. S. 151ff. Belege aus dem Ostseeraum bei H. LANGER, Stralsund 1600-1630 (AbhHdlSozG IX), Weimar 1970, S. 161-166, 200, 215f. Zu Korbach: W. MEDDING, Die Geschichte einer hessischen Stadt, Korbach 1955, S. 203-210. H. BEI DER WIEDEN, Rostock zwischen Abhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit, in: Pommern und Mecklenburg, hg. v. R. SCHMIDT, Köln/Wien 1981, S. 111-132. Betroffen waren folgende Städte: Emden (1595-1603), Wismar (1595-1600), Lübeck (1598-1605), Paderborn (1600-1604), Höxter (1600-1604), Schwäbisch-Hall (1601-1604), Braunschweig (1603-1604), Greifswald (1603-1618), Hamburg (1607), Donauwörth (1608-1610), Köln (1608-1614), Aachen (1609-1617), Lemgo (1612-1616), Frankfurt/Main (1612-1616), Stralsund (1613-1616), Worms (1613-1616), Wetzlar (1613-1615), Braunschweig (1613-1623), Korbach (1615-1624), Stettin (1616); daneben auch Anklam, Kolberg und einige kleinere mecklenburgische und pommersche Binnenstädte.

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Wahrnehmung von Episkopalrechten 26 . Hier wie in anderen Streitpunkten blieb man aber bei dem traditionellen Argumentationsmuster: Dem Anspruch der Landesherren auf höchste und ungeteilte Gewalt im Staat (der „Superioriteit und hohen Obrigkeit"), der im Konfliktfall positives und Gewohnheitsrecht zu weichen habe, setzten die Vertreter der Städte die traditionelle Vertragsidee entgegen, derzufolge beide Partner durch historisches Recht gleichermaßen gebunden waren. Im Einzelfall hatte man damit durchaus Erfolg, so daß die Gültigkeit dieses Rechtsstandpunktes noch im 17. Jahrhundert erhärtet wurde durch neu abgeschlossene Rezesse, in denen Städte und Landesherren als Vertragspartner auftraten. So etwa 1615 Braunschweig und seine weifischen Landesherren oder 1617 Lemgo und die Grafen zu Lippe 27 . Die mit den Konflikten um die Neufestsetzung der städtisch-staatlichen Beziehungen verbundenen rechtlichen und politiktheoretischen Diskussionen lassen jedoch unmißverständlich zutage treten, daß sich die altständische Vertragslehre Anfang des 17. Jahrhunderts in der Defensive befand. Denn mit der Herausbildung des Souveränitätsbegriffes war eine qualitative Ungleichheit zwischen dem Inhaber der Staatsgewalt und allen übrigen gesellschaftlich-politischen Kräften postuliert, so daß an die Stelle des mittelalterlichen Ausgleichs- das moderne Befehlsverfahren treten mußte. Messerscharf erscheinen die Gegensätze im Konflikt zwischen Emden und der ostfriesischen Landesherrschaft — politisch, vor allem aber auch juristisch und politiktheoretisch. Ich kann hier die Ereignisse nicht berichten. Ich beschränke mich auf die Diskussion der 1599 zwischen Landesherrschaft und Stadt abgeschlossenen Konkordate, die den vier Jahre zuvor aufgebrochenen offenen Konflikt fürs erste beendeten 28 . Während die Politiker und die meisten Bewohner Emdens im großen und ganzen mit den Abkommen zufrieden waren, nahm die Emder Pamphletistik, und zwar in erster Linie Ubbo Emmius, wahrscheinlich unter Beratung durch Johannes Althusius, die Konkordate zum Anlaß, warnend auf die prinzipielle Unvereinbarkeit der systematischen Standpunkte von Stadt und Landesherrschaft, hinter der der juristisch gewiefte landesherrliche Kanzler Thomas Franzius stand, hinzuweisen, die über die Freude am politischen Kompromiß nicht übersehen werden dürfte. Die Konkordate — so lautet die Fundamentalkritik der Theoretiker — seien ,glicht als ein Vertrag und Vereinbarung streitender Parteien, (wie es die Emder gerne gehabt hätten, H.Sch.) sondern als ein Dekret oder Befehl des Herrn Grafen

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SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, wie Anm. 14, S. 118 mit Anm. 209, S. 295-303, 315f. — J. REGULA, Die Selbstständigkeitsbestrebungen der Städte Göttingen, Northeim, Hannover und Hameln in den Jahren 1584-1601, in: ZGesNdsKiG 22 (1917), S. 123-152. Vgl. auch LANGER, wie Anm. 25, S. 200ff. 27 Zu Braunschweig vgl. H.J. QUERFURTH, Die Unterwerfung der Stadt Braunschweig im Jahre 1671. Das Ende der Braunschweiger Stadtfreiheit (Braunschweiger Werkstücke 16), Braunschweig 1953, S. 24; W. SPIESS, wie Anm. 19, S. 175ff; zu Lemgo: SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, wie Anm. 14, S. 352ff. Vgl. auch LANGER, wie Anm. 25, S. 204 (Erbvertrag vom 1.7.1615). 28 H. WIEMANN, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands. Die Verträge von 1595 bis 1611, Aurich 1974; DERS., Materialien zur Geschichte der ostfriesischen Landschaft, Aurich 1982; H. SCHMIDT, Politische Geschichte Ostfrieslands, Leer 1975; M. SMID, Ostfriesische Kirchengeschichte, Leer 1974; H. SCHILLING, Reformation und Bürgerfreiheit. Emdens Weg zur calvinistischen Stadtrepublik, in: MOELLER, Stadt und Kirche, wie Anm. 4, S. 128-161; DERS., Calvinismus und Freiheitsrechte, wie Anm. 10.

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(veröffentlicht worden), darin er gebietet und ... seines Gefallens schließt" 29 . An die Stelle des in Ostfriesland einzig verfassungsgemäßen Einigungsverfahren, an dessen Ende ein Vertrag steht, habe die landesherrliche Seite das Verordnungs- und Befehlsverfahren gesetzt, hergeleitet aus einer allen übrigen politischen Kräften des Landes qualitativ überlegenen Staatsgewalt. Die Emder beharrten demgegenüber auf dem alten Vertragsmodell. Sowohl die landesherrliche Gewalt selbst als auch jede einzelne politische und religiöse Regelung beruhe auf einer freiwillig gegebenen Zustimmung der freien Friesen aus Stadt und Land. Die historisch wohl fundierte Tradition dieses Vertrags- und Einigungsverfahrens schließe für Ostfriesland die „soluta potestas" des Landesherrn als legitimes Verfassungsmodell aus 30 . Kehren wir von dem besonders gelagerten, politiktheoretisch vor allem im Vergleich mit den Niederlanden aufschlußreichen Fall Emden zu den Hansestädten zurück, so ist noch nachzutragen, daß sich hier unter Anknüpfung an die erwähnten Versuche im Umkreis der Augsburger Friedensverhandlungen im ausgehenden 16. Jahrhundert die Theorie entwickelte, die norddeutschen Städte seien „civitates mixta status" oder kurz „civitates mixtae", denen eine Zwischenstellung zwischen Reichs- und ordinären Landstädten zukomme 31 . — Auf lange Sicht war mit dieser Argumentation, die einerseits die neue Territorialverfassung anerkannte, andererseits aber ihr grundsätzlich widersprechende Rechtsnormen vertrat, das Prinzip städtischbürgerlicher Freiheiten nicht zu behaupten: Der vertragsmäßig abgesicherte Sonderstatus einer Landstadt, wie ihn Braunschweig bis 1671, Rostock bis ins 18. Jahrhundert, Lemgo sogar bis ins 19. Jahrhundert besaßen, wurde zur bald anachronistisch wirkenden Ausnahme 32 . Die Regel war die Unterwerfung unter das Territorialprinzip. Damit wurde die civitas-mixta Theorie obsolet, weil sie auf immer weniger Städte Anwendung finden konnte. Zudem stand sie im Gegensatz zum neuzeitlichen Reichsrecht. Auf rationale Eindeutigkeit angelegt und an der zu Beginn der Neuzeit endgültig zum Sieg gelangten Territorialverfassung des Reiches orientiert, kannte dieses nur Reichs- oder Landstädte. Die größeren landsässigen Hansestädte, die wie Rostock, Stralsund, Osnabrück und Münster noch Mitte des 17. Jahrhunderts eine offensive Freiheitspolitik verfolgten, paßten sich an diese veränderten Macht- und Rechtsverhältnisse an. Konsequent, wenn auch erfolglos, strebten sie nach dem klar fixierten Status einer Reichsstadt 33 . Vom Autonomiemodell der mittelalterlichen und 29

Apologia, Das ist / Vollkommene Verantwortung / so Bürgermeister und Rath / s a m t . . . ¡ der gantzen Bürgerschaft der Stadt Embden, zu entdeckung ihrer unschuldt müssen aufgeben . . . , Groningen 1602, hier S. 236. 30 Vorläuffer für die notwendige volkommene Verantwortung, so Bürgermeister und Rath sampt den Viertzigern und der gantzen Bürgerschaft der Stadt Embden in kurtzer Tagen zu Entdeckung ihrer Unschult außgeben werden, 1602, fol. D2v.; Apologia, wie Anm. 29, S. 235-240. 31 Vgl. W. EBEL, Die Hanse in der deutschen Staatsrechtliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts, in: HansGbll 65/66 (1940-41), S. 145-169; F. FRENSDORFS Das Reich und die Hansestädte, in: Z R G G 20 (1899), S. 113-163; G. FINK, Die rechtliche Stellung der deutschen Hanse in der Zeit ihres Niederganges, in: HansGbll 61 (1936), S. 122-137. Einige weitere Beobachtungen bei SCHILLING, Konfessionskonflikte, wie Anm. 10, v.a. S. 50ff., 57ff. 32 Zu Braunschweig vgl. QUERFURTH, wie Anm. 27; zu Rostock G. VOGLER, Bürgertum und Staatsgewalt in der Epoche des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Zum Verhältnis von Ständen und absolutistischer Herrschaftsform in den Staaten des hansischen Raumes, in: JbGFeudal 1 (1977), S. 305331, hier S. 324-328; H. SCHULTZ, Soziale und politische Auseinandersetzungen in Rostock im 18. Jahrhundert, Weimar 1974; BEI DER WIEDEN, wie Anm. 25; zu Lemgo SCHILLING, Konfessionskonflikt und S t a a t s b i l d u n g , w i e A n m . 14, S. 359FF. 33

Zum Reichsstadtstreben der Städte Eger, Erfurt, Magdeburg, München, Münster, Osnabrück, Rostock, Stralsund, Hamburg vgl. Acta Pacis Westphalicae, Ser. III, Abt. A, Protokolle, Bd. 6: Die Beratungen

32

Heinz Schilling

frühneuzeitlichen Städte führte somit kein direkter Weg zum Bürgerrepublikanismus der Neuzeit. Dieser Befund ist zum einen sicherlich eine Folge des durch den Dreißigjährigen Krieg besiegelten Verlustes an eigenständiger Wirtschafts- und Finanzdynamik bei den kleineren und mittleren Hansestädten. Nicht minder wichtig war aber die Tatsache, daß die stadtbürgerliche Freiheitstheorie durch die neuzeitliche Territorialverfassung des Reiches sowie durch die im Souveränitätsbegriff konzentrierte Staatstheorie der frühmodernen Fürstenstaaten gleichsam aus den Angeln gehoben worden war. Die Städte hatten dem nichts Adäquates entgegenzustellen. Zwar beriefen sie sich immer wieder auf die „iura naturalia defensionis" 34 . Damit blieben sie aber innerhalb ihres traditionellen Argumentationsrahmens. So weit ich sehe, haben sie durchgehend darauf verzichtet, sich der neuen monarchomachisch-naturrechtlichen Politiktheorie zu bedienen, die man seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts vor allem in Westeuropa in direkter Antwort auf die Staatstheorie des Fürstenund Machtstaates entwickelte. Und dort, wo, wie im Falle Emdens oder — in vergleichbarer calvinistischer Konstellation — im waldeckischen Korbach, Elemente der modernen naturrechtlichen Argumentation aufgenommen und mit der traditionellen positivrechtlichen Vertragslehre verkoppelt wurden, blieb das ohne Folgen für das politische Bewußtsein des deutschen Stadtbürgertums 35 . Wie bereits eingangs ausgeführt, wäre es verfehlt, den Niedergang des alteuropäischen Stadtrepublikanismus bzw. den Sieg des frühmodernen, in vielen deutschen Fürstentümern bald absolutistisch zugespitzten Staatsprinzips einflächig als Rückschlag oder Durchbruch zu qualifizieren. Vor allem sozial- und wirtschaftsgeschichtlich wurden dem Bürgertum, aber auch den meisten Städten Perspektiven eröffnet, die denjenigen aus der Zeit mittelalterlicher Städtefreiheit durchaus nicht nachstanden. Wer innerhalb der stadtbürgerlichen Eliten bereit war, sich auf die neuen, vom frühmodernen Fürstenstaat gebotenen Chancen einzulassen, der konnte für sich und seine Nachkommen den Verlust an städtischer Autonomie und stadtrepublikanischer Politikkultur verschmerzen: Ich habe an anderer Stelle im Detail sozialgeschichtlich-prosopographisch nachgewiesen, wie sich die politische Elite der Landstädte aufspaltete — in eine altständisch-städtisch und in eine modernstaatlichterritorial orientierte Faktion 36 . Ähnliches läßt sich für das wirtschaftende Bürgertum aufzeigen. So hat Olaf Mörke am Beispiel vieler deutscher Städte gezeigt, daß Mitte des 17. Jahrhunderts das wirtschaftende Bürgertum, u.a. auch das Handwerk, den

der Städtekurie Osnabrück 1645-49, bearb. v. G. BUCHSTAB, Münster 1981, S. XL, sowie weitere Einzelbelege in den Akten, die über das Register unter den betreffenden Städtenamen zu erschließen sind; dazu die Darstellung von DEMS., Reichsstädte, Städtekurie und Westfälischer Friedenskongreß (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 12), Münster 1981. 34 Beispiele aus der Mitte des 16. Jahrhunderts in den oben Anm. 19 genannten Rechtsdeduktionen im Konflikt Stadt Braunschweig gegen Braunschweig-Wolfenbüttel (v.a. fol. 5v). Beispiele aus dem frühen 17. Jahrhundert: SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, wie Anm. 14, S. 302f. 35 In der Legitimation der Freiheitsrechte dominierte der historische Relativismus, d.h. sie wurden aus den konkreten historisch gewachsenen, positivrechtlich fixierten Verhältnissen abgeleitet und somit nur für den jeweils spezifischen Fall gültig und damit nicht universalisierbar. Ausführlich dazu: SCHILLING, Stadtrepublikanismus, wie Anm. 10, S. 129ff. ; DERS., Calvinismus und Freiheitsrechte, wie Anm. 10, S. 429ff.; zu Korbach: G. MENK, Rechtliche und staatstheoretische Aspekte im Waldeckischen Herrschaftskonflikt 1588-1624, in: GbllWaldeck 72 (1984), S. 45-74. 36 SCHILLING, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, wie Anm. 14, S. 271ff.; DERS., Wandlungs- und Differenzierungsprozesse, wie Anm. 3; DERS., Die politische Elite, wie Anm. 3.

Stadt und frühmoderner Territorialstaat

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„Weg in Richtung Untertan" bewußt einschlug, weil er ihm den Ausbruch aus einer Stadtwirtschaft brachte, die im Zeitalter staatlich-merkantiler Wirtschaftsförderung als verbaute Entwicklungschance erlebt werden mußte 37 . Noch deutlicher ist das nach der zwangsweisen Eingliederung Straßburgs in den französischen Nationalstaat: Während der Fall der Reichsstadt in Deutschland eine Welle des antifranzösischen Reichspatriotismus auslöste, ließ sich das Straßburger Wirtschaftsbürgertum rasch versöhnen, da der sich herausbildende nationalökonomische Großraum Frankreich ihm ungleich größere Entwicklungsmöglichkeiten bot 3 8 . Mit dem Schwinden der sozialen und ökonomischen Attraktivität der Stadtfreiheit verlor auch das stadtrepublikanische Politik- und Ordnungsmodell des altständischen Bürgertums an Anziehungskraft. Eine Ausnahme machten natürlich die Reichsstädte, deren Mehrzahl jedoch zu unbedeutenden home-towns mit entsprechend eingeengter politischer Kultur abgesunken war 39 . Die Weiterentwicklung stadtrepublikanischer Ordnungsvorstellungen in den größeren Reichsstädten (vor allem in Hamburg und Frankfurt) vermochte jedoch bei weitem nicht die Schwächung wettzumachen, die der eigenständigen bürgerlichen Politikkultur durch den Sieg des frühmodernen Staatsprinzips über die Landstädte zugefügt worden war. Alle sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Vorteile des frühmodernen Territorialstaates zugestanden, möchte ich dies weiterhin als schwerwiegende Kosten der frühmodernen Staatsbildung in Rechnung stellen. Im Gegensatz zu Holland, anders gelagert auch in England, konnte das deutsche Bürgertum des 17. und 18. Jahrhunderts keine zukunftoffene Politik- und Gesellschaftstheorie entwickeln, die unabhängig von oder gar gegen den absolutistischen Fürstenstaat gedacht war — wie der englische Puritanerrepublikanismus oder der niederländische Regentenrepublikanismus 40 .

III.

Abschließend seien die Hauptergebnisse meiner Untersuchungen zur politischen Kultur des deutschen Stadtbürgertums in der Konfrontation mit dem frühmodernen Staatsprinzip in sieben Punkten zusammengefaßt. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf die zuletzt angerissene europäisch-komparatistische Perspektive gerichtet werden: 1. Im Verlaufe des späten Mittelalters entwickelte das deutsche Stadtbürgertum ein Vorstellungsbündel über die der Stadt gemäße Form der politischen Ordnung im Innern und über die sich daraus ergebende Stellung der Stadt innerhalb der übergreifenden politischen Einheiten des Territoriums wie des Reiches. Dieses politische Denken war pragmatisch und positivrechtlich, nicht philosophisch und theoretisch 37

0. MÖRKE, Der gewollte, Weg in Richtung „Untertan". Ökonomische und politische Eliten in Braunschweig, Lüneburg und Göttingen vom 15. bis ins 17. Jahrhundert, in: SCHILLING/DIEDERIKS, wie A n m . 3, S. 111-133.

38

P. HERTNER, Stadtwirtschaft zwischen Reich und Frankreich. Wirtschaft und Gesellschaft Straßburgs

39

M. WALKER, German Home Towns - Community, State and General Estate 1648-1871, Ithaca/London

1650-1716, K ö l n / W i e n 1973. 1971.

^Detaillierter dargelegt bei SCHILLING, Der libertär-radikale Republikanismus, wie Anm. 10.

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ausgerichtet: Da es aber gemeinsame Grundzüge besaß, läßt sich von einer impliziten Politiktheorie sprechen. Das stadtbürgerliche Politikmodell war bis weit in die Frühneuzeit hinein im Reich kaum weniger breit fundiert als in den Städtelandschaften Oberitaliens, Flanderns oder Brabants. Inhaltlich war das stadtbürgerliche „Staats- und Gesellschaftsmodell" gemeindlich-genossenschaftlich bestimmt, und zwar sowohl bei den innerstädtischen Ordnungsvorstellungen als auch bei den Grundprinzipien städtischer Außenpolitik. Bei den Beziehungen zwischen Stadt und Territorium, auf die sich unsere Ausführungen konzentrierten, galt — idealtypisch gesehen — wie im Innern das Prinzip verfassungsmäßiger Ordnung: Stadt und Territorium bzw. Landesherr, standen in ordentlichen Vertragsbeziehungen zueinander. Wie im Innern sollte der Magistrat nur als Vertreter der Bürgergemeinde tätig sein. Grundsatzentscheidungen waren von den Bürgern insgesamt zu fällen. Die Grundlagen dieser verfassungsmäßigen Beziehungen wurden vom Landesherrn und Bürgerverband anläßlich der Erbhuldigung je neu gegenseitig beschworen. 2. Die politische und ideologische Offensive der herrschaftlich-territorialstaatlichen Ordnungsprinzipien hat die städtische Politiktheorie zunächst nicht geschwächt. Als Reaktion darauf kam es vielmehr im Verlaufe des 16. Jahrhunderts zu einer Renaissance des gemeindlich-genossenchaftlichen Denkens. Wichtige Impulse für diese Renaissance gingen von den Stadtreformationen aus, die bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts nachwirkten. Der Höhepunkt war in den Jahrzehnten vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges erreicht, als sich in zahlreichen Städten Bürgerbewegungen formierten, die eine Stärkung der genossenschaftlichen Partizipation im Innern sowie der städtischen Freiheitsrechte nach außen verlangten. Indem gegenläufig zu dieser gemeindlich-genossenschaftlichen Renaissance auch die territorialstaatlichherrschaftliche Bewegung seit Mitte des 16. Jahrhunderts erheblich an politischer und theoretischer Dynamik gewonnen hatte, standen diese städtischen Partizipations- und Freiheitsbewegungen zu Anfang des 17. Jahrhunderts in einem neuen Bedingungsfeld. Der fürstliche Territorialstaat war seit dem Friedens- und Verfassungswerk von 1555 rechtlich und politisch nachgerade unanfechtbar, und er besaß eine neue politische Theorie, die den Autonomieforderungen der nun eindeutig als „Landstädte" klassifizierten Kommunen den Boden entzog. Dennoch wäre es falsch, einseitig eine Krise der Städte und ihrer genossenschaftlichen Politiktheorie zu diagnostizieren. Die Wucht der Beziehungskrise, in der Stadt und überstädtisches Politiksystem Anfang des 17. Jahrhunderts standen, ergab sich vielmehr dadurch, daß zwei durch die Ereignisse des 16. Jahrhunderts gestärkte Kräfte aufeinandertrafen, wenn auch die realen Siegeschancen und vor allem die Zukunftsperspektiven sehr unterscheidlich waren, nämlich eindeutig zugunsten des frühmodernen Staates gingen. Das Ausmaß dieser Krise sowie die Tatsache, daß sie nicht zuletzt das politische Bewußtsein des Stadtbürgertums geschärft hatte, zeigt sich in einer ausgeweiteten Produktion von Rechtsdeduktionen, Denk- und Flugschriften. In Städten wie Braunschweig, Emden und Korbach entfaltete das Bürgertum eine politische Propaganda, die in den beiden Jahrzehnten vor dem Krieg eine öffentliche Meinung erzeugte, die niederländische Verhältnisse anklingen läßt. Theoriegeschichtlich war die neue Situation dadurch charakterisiert, daß die städtische Argumentation die neue juristische und politiktheoretische Stoßrichtung der Fürstenstaaten parierte, und zwar nicht nur dort, wo sie — wie in Emden und Korbach — mit den calvinistisch-monarchomachischen Gegenströmungen in Berührung kam.

Stadt und frühmoderner Territorialstaat

35

3. Es gehört zu diesen Veränderungen in den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, daß bei den Konflikten innerhalb der Städte sowie zwischen den Städten und den Fürsten dem Kaiser und dem Reich eine neue Funktion zugewachsen war. Das stand nicht im Widerspruch zur bekannten reichspolitischen Entwicklung des 16. Jahrhunderts, sondern war deren Konsequenz: Auf der Basis des 1555 festgeschriebenen Reichsterritorial- und Reichsfriedenssystems, das das Verhältnis zwischen Fürsten und Städten normiert hatte, waren Kaiser und Reich als Garanten dieses Systems zwangsläufig in den Vordergrund getreten. Für die Städte bedeutete das zwar einen Schutz gegen willkürliche Maßnahmen seitens der Landesherren. Und es lassen sich sogar Ansätze dafür erkennen, daß die Städte durch einen Rekurs auf den Kaiser und das Reich versuchten, ihre Position zu stärken. Das waren aber nur taktische Erfolge, während längerfristig Kaiser und Reich angesichts des territorialstaatlichen Zuschnitts der frühneuzeitlichen Reichsverfassung die Nivellierung der autonomen Freistädte zu ordinären Landstädten hinnahmen, wenn sie sie nicht gar beförderten. In dieselbe Richtung wirkte das prinzipielle Friedensgebot und der Verweis auf den „Weg Rechtens", der den Städten zwar akut helfen konnte, ihnen längerfristig aber zum Nachteil gereichte. Im Gegensatz zu den Territorialstädten wirkten sich in den Reichsstädten 41 die frühneuzeitliche Reichsverfassung und die von ihr hergeleiteten Eingriffe des Kaisers längerfristig als Stärkung der spezifisch bürgerlichen Verfassungsordnung und im Sinne einer Fortentwicklung der genossenschaftlichen hin zur frühneuzeitlich stadtrepublikanischen Form aus. Angesichts der geringen Zahl von Reichsstädten konnte das jedoch nicht die kardinale Schwächung des städtisch bürgerlichen Elementes wettmachen, die durch die Nivellierung der gemeindlich-genossenschaftlichen Tradition der großen territorialen Kommunen in der politischen Kultur Nord- und Nordwestdeutschlands eingetreten war. 4. Um das gemeindlich-genossenschaftliche Ordnungsmodell des deutschen Stadtbürgertums inhaltlich und in seinem entwicklungsgeschichtlichen Ort zu bestimmen, empfiehlt es sich von dem außerordentlichen Erfolg auszugehen, den die Reformation in den deutschen Städten von Konstanz bis Schleswig und von Aachen bis Danzig hatte. Nach einer intensiven und fruchtbaren Forschungsdiskussion wissen wir heute, daß dies wesentlich bedingt war durch die Ubereinstimmung der gemeindlich-genossenschaftlichen Elemente in der Verfassung der Städte, die die Bürger zudem noch als Heilsgemeinschaft begriffen, mit den Grundlagen des Gemeindechristentums — des zwinglianischen ebenso wie des lutherischen. Auch nach der Reformation blieb die in den Städten geforderte Religionsfreiheit im wesentlichen gemeindlich-genossenschaftlich und nicht individuell bestimmt. Von der so markant ausgeprägten Forderung der Städte auf religiöse Selbstbestimmung führte kein direkter Weg hin zur neuzeitlich individualistischen Glaubens- und Gewissensfreiheit. Denn in Fortsetzung der mittelalterlichen Tradition war mit Selbstbestimmung die genossenschaftlich legitimierte Selbstbestimmung des Bürgerverbandes, nicht diejenige des einzelnen Bürgers gemeint. Das hohe Gut des Stadtfriedens setzte nach den Vorstellungen des alteuropäischen Bürgertums religiös-weltanschauliche Einheitlichkeit des Bürgerverbandes voraus, während Individualismus und Pluralismus als

41

V. PRESS, Die Reichstadt in der altständischen Gesellschaft, in: Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, hg. v. J. KUNISCH (ZHF, Beih. 3), Berlin 1987, S. 9-42.

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Bedrohung angesehen wurden, weil man sicher war, daß sie die politische Ordnung zerstören mußten 42 . Diese dialektische Spannung zwischen mittelalterlich-genossenschaftlichem Denken und neuzeitlichem Individualismus markiert nicht nur die Grenzen der Stadtreformation, sondern des gemeindlich-genossenschaftlichen Politik- und Gesellschaftsmodells allgemein. Es läßt sich die These verfechten: Weil das genossenschaftliche Prinzip in den deutschen Städten des Mittelalters so stark war und in der Reformation neu fundiert wurde, tat sich das deutsche Bürgertum im 17. und 18. Jahrhundert so schwer, vom alteuropäischen Stadtrepublikanismus oder — um einen von Peter Blickle eingeführten Begriff zu verwenden — vom vormodernen „Kommunalismus" auf den neuzeitlichen Republikanismus umzuschalten. 5. Ungeachtet dieser Feststellung erscheint es mir aber theoriegeschichtlich wenig fruchtbar und auch nicht sachgerecht, diese älteren politischen Vorstellungen des Stadtbürgertums als traditional und undynamisch zu klassifizieren, um sie von den „eigentlichen" progressiven Theorien des Naturrechtsdenkens oder der Monarchomachen abzusetzen. Das eingangs umrissene differenzierte Bild von der politischen und gesellschaftlichen Realität des Absolutismus gilt auch theoriegeschichtlich. Politische Ordnungsvorstellungen Alteuropas und der Neuzeit standen nicht selten in einer komplizierten Beziehung zueinander. Das wurde an der Diskussion im Umkreis der Emder Revolution besonders deutlich. Denn die neuen naturrechtlich begründeten Freiheitsideen erscheinen dort nicht als Bruch, sondern als konsequente Fortentwicklung und Entfaltung traditioneller Ordnungsvorstellungen. Die neuen Ideen konnten sich in Emden und Ostfriesland so rasch durchsetzen und einen so breiten Widerhall finden, weil es bereits den Resonanzboden der gemeindlich-genossenschaftlichen Politik- und Ordnungskonzeptionen des alteuropäischen Stadtbürgertums gab. Zumindest im Emder Fall war der Durchbruch moderner Elemente innerhalb der bürgerlichen Politiktheorie somit nicht das Ergebnis eines prinzipiellen Wechsels in der Richtung des politischen Denkens, sondern ein weiterer, entscheidender Schritt auf einem Weg, der durch die politische Kultur des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtbürgertums vorgezeichnet war. Das gemeindlich-genossenschaftliche Denken selbst war offensichtlich keineswegs unfähig, sich mit den neuen Ideen zu amalgamieren. Zwar ist unbestreitbar, daß man in Deutschland den realistischen Ansatz des frühneuzeitlichen Republikanismus in Westeuropa nie erreichte, sondern die traditionellen aristotelischen Wege beschritt. Man entwickelte auch keine den genossenschaftlichen Bürgerverband transzendierenden Partizipationsmuster. Modernrepublikanische Ideen drangen erst mit der Französischen Revolution in die Städte ein und hatten es schwer, sich gegenüber den genossenschaftlichen Freiheitsvorstellungen durchzusetzen. Es ist aber unverkennbar, daß trotz dieser prinzipiellen Begrenztheit auch der stadtbürgerliche Republikanismus alteuropäischer Prägung

42

Näher entfaltet und mit Quellen- und Literaturhinweisen belegt bei H. SCHILLING, Alternative Konzepte der Reformation und Zwang zur lutherischen Identität — Möglichkeiten und Grenzen religiöser und gesellschaftlicher Differenzierung zu Beginn der Neuzeit. Vortrag gehalten auf der Konferenz der Historiker-Gesellschaft der D D R anläßlich des 500. Geburtstages Thomas Müntzers in Bautzen am 10.05.1989, erscheint demnächst in einem im Böhlau-Verlag, Weimar, von Günter Vogler edierten Sammelband. Vgl. auch DERS., Alternative Non-Lutheran Conceptions of the Reformation, in : FS for Gerald Strauss, hg. v. S.C. Karant-Nunn/A.C. Fix, Kirksville, Mo., als Band der Reihe „Sixteenth Century Essays and Studies."

Stadt und frühmoderner Territorialstaat

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einen Gegenentwurf zu dem in Deutschland und Europa vorherrschenden absolutistischen Staatsmodell bedeutete, und zwar durch vier zentrale Strukturmerkmale: Durch das Prinzip der Egalität innerhalb der politischen Eliten und die radikale Ablehnung der Einpersonenherrschaft. Durch die „konstitutionell" festgeschriebene Teilhabe des Bürgers als Mitglied des gemeindlich-genossenschaftlichen Rechtsverbandes an der „Staatsgewalt" in den Städten. Durch den öffentlichen Charakter dieser „Staatsgewalt" und deren Verpflichtung auf das vom privaten explizit unterschiedene allgemeine Interesse — für die niederländischen Regentenrepublikaner ein Strukturmerkmal jeder Republik. Schließlich durch die Teilhabe des Bürgerverbandes an der Bestimmung des „Gemeinen Besten", zumindest aber die Kontrolle darüber. Vor allem in diesem vierten Grundprinzip, das sich aus der mittelalterlichen Norm entwickelt hatte, derzufolge alle Grundsatzentscheidungen von der Bürgergemeinde mitzutragen waren, sehe ich die bedeutendste Entsprechung zwischen dem städtischen und dem republikanischen Politikmodell. Denn in diesem für die politische Kultur so zentralen Punkt stehen stadtbürgerliche und republikanische Normen in strengem Gegensatz zum absolutistischen Fürstenstaat, wo das „Gemeine Beste" von oben her, durch den Staat und seine Beamtenschaft, formuliert und bewerkstelligt wird, losgelöst von der Gesellschaft also, wenn auch gedacht zu ihrem Wohle. 6. Meine Ausführungen über die Renaissance des gemeindlich-genossenschaftlichen Bürgerpathos und die darauf aufbauende These, es sei im Prinzip in der Lage gewesen, Elemente der neuzeitlichen Politiktheorie aufzunehmen, ist allenfalls für die deutsche Geschichte überraschend. Stellt man den Befund in den vergleichenden europäischen Kontext, so zeigen sich vor allem in den Niederlanden ganz ähnliche Entwicklungen. Der Aufstand gegen Spanien und damit die spezifische politische Kultur der frühmodernen Bürgerrepublik waren das Ergebnis einer kreativen Verschmelzung der älteren, gemeindlich-genossenschaftlich begründeten Ordnungs- und Freiheitsvorstellungen der niederländischen Stände, voran des Bürgertums in den ökonomisch aufstrebenden holländischen Städten, mit kongenialen Elementen des neuen politischen Denkens im Zeichen des Naturrechts. In den Niederlanden zeigt sich auch deutlich die Dynamisierung dieses Gemischs und damit die Transformation des alteuropäischen, genossenschaftlichen Stadtrepublikanismus zu neuzeitlichen Formen, die den städtischen Rahmen sprengten und in ihrer Konsequenz modern-individualistischer Qualität waren 43 . Daß in den Niederlanden der Weg in die frühneuzeitliche Republik beschritten werden konnte, in Deutschland dagegen selbst in strukturverwandten Regionen, die den Niederlanden benachbart waren, eine solche Entwicklung blockiert war, war nicht Ausdruck spezifischer Schwächen in der politischen Kultur des deutschen Stadtbürgertums. Es läßt sich auch nicht primär konfessionsgeschichtlich erklären als Kosten lutherischer, im Gegensatz zu calvinistischer Reformation. Es lag vielmehr in der Konsequenz der unterschiedlichen politischen und vor allem verfassungsrechtlichen Entwicklung, die die burgundischen

43

Ausführlich und mit den notwendigen Belegen: SCHILLING, Der libertär-radikale Republikanismus, wie Anm. 10; DERS., Calvinismus und Freiheitsrechte, wie Anm. 10; vgl. außerdem die Beiträge von W.P. BLOCKMANS, G . WELLS, N . MOUT u n d H . W . BLOM i n : R e p u b l i k e n u n d R e p u b l i k a n i m u s

im

Europa der Frühen Neuzeit, hg. v. H. KOENIGSBERGER, München 1988; vgl. auch Anm. 11. — Vgl. die komparatistischen Überlegungen bei VOGLER, wie Anm. 2, S. 305-331, wo neben den Niederlanden Dänemark mit den deutschen Verhältnissen, vertreten durch das Beispiel Mecklenburg, konfrontiert wird.

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Provinzen einerseits und das übrige Reichsgebiet andererseits seit dem ausgehenden Mittelalter durchlaufen hatten. Diese Beobachtung gilt auch für andere Randgebiete des mittelalterlichen Reichs: Im europäischen Vergleich schält sich aus unseren Überlegungen die These heraus, daß die Stärkung der städtischen Freiheitsbewegungen und deren Fortentwicklung zu republikanischen Theorien in Oberitalien, der Schweiz und in den Niederlanden nicht zuletzt dadurch begünstigt wurde, daß diese Länder von der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Formierung des Reichssystems nicht mehr betroffen wurden. 7. In Deutschland brachte der Dreißigjährige Krieg den entscheidenden Wendepunkt, an dem die bislang aufsteigende oder doch noch weitgehend stabile Linie des Stadtbürgertums zerbrach, während gleichzeitig die Fürsten freie Hand erhielten, das neuzeitliche Souveränitätsprinzip endgültig durchzusetzen. Dieser Umschwung war doppelt begründet, nämlich sozio-ökonomisch und politisch-verfassungsrechtlich: Während in Holland und England, wo im Vergleich zu den sozial und ökonomisch stimulierenden Kräften des Krieges die Kosten durch Menschenverluste und Verwüstungen gering waren, das Stadtbürgertum gestärkt aus den Wirren der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hervorging und selbstbewußt seine gesellschaftlichen wie politischen Ordnungsvorstellungen in die Diskussion um Charakter und Zielsetzung des frühmodernen Staates einbringen konnte, wurde in Deutschland das breite Fundament des alteuropäischen stadtbürgerlichen Autonomie- und Freiheitsstrebens vom Elend des sich ständig fortzeugenden Krieges verschlungen. Das geschah in zweifacher Hinsicht: Zum einen wurde die Kraft der Selbstverteidigung gegenüber den Ansprüchen der neuen, staatlichen Ordnungskonzeptionen gebrochen. Zum anderen war angesichts des in den Städten rasch schrumpfenden wirtschaftlichen Handlungsspielraumes die Autonomie nur noch für eine kleine Oligarchie von Vorteil, während sie die Masse der Einwohner, aber auch das neuaufstrebende Wirtschaftsbürgertum als beengende Last empfanden und daher den Weg in die territoriale Untertanenschaft begrüßten, wenn sie ihn nicht gar von selbst einschlugen 44 . Auf der anderen Seite spielten Krieg und die auf ihn bezogene necessitas-Argumentation den Fürsten Steuergelder und Soldaten in die Hände und damit geschliffene Instrumente, das im 16. Jahrhundert noch unentscheidbare Ringen zwischen Stadtautonomie und frühmodernem Staat, zwischen städtischer und territorialer Identität gewaltsam zugunsten des fürstlichen Territorialstaates zu beenden. Das westfälische Friedensinstrument setzte dann den verfassungsrechtlichen Schlußpunkt unter die frühneuzeitliche Formierung des Reichssystems, die auf ganzer Linie zugunsten der Territorien und zu Lasten des alten Autonomieanspruches des landsässigen Stadtbürgertums ging. Die politische Ordnung Deutschlands fußte fortan endgültig auf der im späten Mittelalter sich abzeichnenden und im Augsburger Gesetzeswerk von 1555 erstmals rechtlich fixierten Territorialverfassung des Reiches. Der Löwenanteil der eben noch selbstbewußten und mächtigen Städte fiel unter die fortan eindeutig definierte und rechtlich wie machtpolitisch sanktionierte superioritas territorialis, die Landeshoheit der Territorialstaaten mit der Rechtsqualität innerer Souveränität. So wurden in den Jahrzehnten nach Abschluß des Westfälischen Friedens auch die großen unter den Landstädten Schritt für Schritt in den frühmodernen Fürstenstaat eingegliedert, meist auf friedlichem Wege, in einigen

«Vgl. oben S. 32f.

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Fällen aber auch mit verdeckter oder offener Gewalt. So vor allem in Münster (1660/61), Erfurt (1664) und Magdeburg, wohin Brandenburg als neuer Inhaber der Territorialhoheit 1666 eine Garnison legte, oder in Braunschweig, das 1671 von den Weifenherzögen besetzt wurde und damit den von Zeitgenossen wie Stadthistorikern besonders beachteten Schlußpunkt unter diese Entwicklung bildet 45 . Vor allem die Einnahme der thüringischen Metropole Erfurt durch den Mainzer Erzbischof Johann Philipp von Schönborn versinnbildlicht eindrucksvoll den inneren Zusammenhang zwischen dem Umbruch in der politischen Kultur des deutschen Stadtbürgertums auf der einen und der Formierung des frühmodernen Reichssystems auf der Basis der Territorial Verfassung auf der anderen Seite 46 . Denn an der Belagerung Erfurts, die am 15. Oktober mit der Kapitulation der Stadt endete, waren neben Mainzer, Trierer, Münsteraner und Pfalz-Neuburger Truppen auch ein französisches Armeekontingent beteiligt gewesen. Das große und einst mächtige Kultur- und Wirtschaftszentrum des thüringischen Stadtbürgertums war von Truppen des Rheinbundes unterworfen worden; es war damit machtpolitisch gesehen ein Opfer des Bündnisrechtes der deutschen Reichsstände, neben der superioritasterritorialis-Souveränität der zweite der beiden im Westfälischen Frieden reichsrechtlich anerkannten Eckpfeiler frühmoderner Staatlichkeit in den Territorien. Von den einst nach Hunderten zählenden freien und semiautonomen Städten landsässiger oder reichsfreier Rechtsqualität blieben in den letzten eineinhalb Jahrhunderten des Alten Reiches nur die Reichsstädte übrig. Unter diesen gab es wiederum nur noch eine Handvoll, die politisch und wirtschaftlich stark genug waren, der stadtrepublikanischen Tradition reales Gewicht zu geben. Diese Basis war aber bei weitem zu schwach, um dem im Mittelalter und während des 16. Jahrhunderts gerade im Reich stark ausgeprägten Bürgerpathos die Möglichkeit zu sichern, auch unter den neuen Bedingungen die politische Kultur in Deutschland maßgeblich mitzubestimmen.

45

Z u B r a u n s c h w e i g vgl. QUERFURTH, w i e A n m . 7, b e s . S. 1 8 8 - 1 9 5 ; z u M a g d e b u r g F.W. HOFFMANN,

Geschichte der Stadt Magdeburg, bearb. v. G. HERTEL/F. HULSSE, 2 Bde., Magdeburg 1885, Bd. 2, S. 2 7 7 - 2 9 3 . 46

Vgl. U. WEISS, Von der frühbürgerlichen Revolution bis zur völligen Unterwerfung durch Kurmainz vom Ende des 15. Jahrhunderts bis 1664, in: Geschichte der Stadt Erfurt, hg. v. W. GUTSCHE, Weimar 1986, S. 103-144, hier bes. S. 142ίΓ.; A. OVERMANN, Erfurt in zwölf Jahrhunderten, (ND Frankfurt/M. 1980) [o.O.] 1929; B. ERDMANNSDÖRFFER, Deutsche Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Grossen, 1648-1740, 2 Bde., (ND Darmstadt 1974) Leipzig 1932, hier Bd. 1, S. 367ff.; zur Rolle des Rheinbundes: R. SCHNUR, Der Rheinbund von 1658 in der deutschen Verfassungsgeschichte, Bonn 1955, S. 73-76.

STÄDTETAG, STÄDTEHANSE FRÜHNEUZEITLICHE von G e o r g

UND

REICHSVERFASSUNG Schmidt

Die historische Forschung tat sich lange Zeit ausgesprochen schwer, das Alte Reich kritisch zu würdigen. Das pointierte und nicht zuletzt deshalb so häufig zitierte Diktum Samuel Pufendorfs „Germaniam esse irreguläre aliquod corpus, et monstro simile . . . " besaß noch in der jüngsten Vergangenheit eine gewisse Berechtigung, denn das Prokrustesbett des Staates, präziser des dualistischen Anstaltsstaates, das die Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts dem Reich zimmerten, vermochte nie dessen Vielgestaltigkeit befriedigend zu erklären 2 . Mit diesem Modell wurde der Befund präjudiziert, das negative (Vor-)Urteil lediglich bestätigt: Im Vergleich zur „modernen" Staatlichkeit erwies sich das Heilige Römische Reich im wahrsten Sinne als ein sehr altes Reich mit unklaren Grenzen und Kompetenzverteilungen, uneffektiven Verwaltungseinrichtungen, mit Korruption, Inkompetenz, verkrusteten Herrschaftsstrukturen und mit einer Zentralregierung, die weder das Gewaltmonopol besaß, noch die Außenbeziehungen „souverän" regeln konnte. Es ist daher wenig verwunderlich, wenn Fortschritt und Modernität in der deutschen Verfassungsentwicklung bei den Territorialstaaten gesucht und gefunden wurden 3 . Die Fürsten handelten demnach folgerichtig und konsequent, wenn sie sich von den Fesseln des Reiches zu befreien suchten, um die uneingeschränkte Souveränität zu erringen. Doch selbst in der Spätphase des Reiches scheint — vielleicht mit Ausnahme der europäischen Großmächte Osterreich und Preußen — niemand ernsthaft an der Auflösung des politischen Großverbundes „Mitten in Europa" interessiert gewesen zu sein: Offensichtlich war die Konstruktion des Reiches nicht nur den anderen europäischen Mächten als Puffer willkommen, sondern auch den größeren Territorialstaaten, die im Schutz dieses äußerst flexiblen Rahmens ungehindert ihre eigene Interessenpolitik betreiben konnten.

'Severini de Mozambano Veronesis (Pseudonym für SAMUEL PUFENDORF), De statu imperii Germanici, Genf 1667, Kap. 6, § 9; leicht zugänglich in deutscher Übersetzung: S. PUFENDORF, Die Verfassung des deutschen Reiches, übersetzt und mit Anmerkungen sowie einem Nachwort versehen durch H. DENZER, Stuttgart 1976, hier S. 106. — Vgl. B. ROECK, Reichsherkommen und Reichssystem. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Wiesbaden 1984, bes. S. 26-51; K.O. FRH. VON ARETIN/N. HAMMERSTEIN, Art. Reich, Frühe Neuzeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, S. 456-486, hier S. 472f. 2 Vgl. E.-W. BÖCKENFÖRDE, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961; S. SKALWEIT, Der „moderne" Staat, Opladen 1975. 3 Vgl. zusammenfassend W. NXF, Frühformen des „modernen Staates" im Spätmittelalter, in: HZ 171 (1951), S. 225-243.

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Georg Schmidt

Das Alte Reich, das sich nicht zum Nationalstaat weiterentwickelt hatte, geriet ins Abseits der Forschung: Die Aufarbeitung seiner Verfassungsentwicklung wurde zum Monopol der auf eindeutige Zuordnungen fixierten Juristen, weil Verfassungs- und Rechtsgeschichte zu deren Ausbildungskanon gehörte. Es entstand ein nach dem Vorbild des „dualistischen Ständestaates" geformtes, statisches Modell des Alten Reiches. Scheinbare Disfunktionalitäten, wie die Rolle der kleineren Reichsstände 4 , wurden als bloß retardierende Elemente denunziert. Erst nachdem das Dritte Reich den Staat als eine sittliche Idee gründlich pervertiert hatte, und einige Historiker vor noch nicht allzu langer Zeit ihre Scheu vor den neuen systematischen Sozialwissenschaften überwanden, eröffneten sich plötzlich auch neue Perspektiven für das Alte Reich als einem weithin offenen politischen System mit einer erstaunlichen Kohäsion und einer nicht zu unterschätzenden Integrationsleistung 5 . Die reflektierte Anwendung der Konflikt-, Moderaisierungsund Systemtheorien, letztere insbesondere in ihrer funktionalen Variante, provozierte neue Fragen und zeigte bisher wenig beachtete oder in ihrer Wirkung unterschätzte Zusammenhänge 6 . So wurden beispielsweise die Corpora der mindermächtigen Reichsstände, nun erst zum lohnenden Ziel historischer Forschungen : Dies gilt besonders für den allgemeinen Städtetag, einer Versammlung von Delegierten aller Freien und Reichsstädte 7 , der als angeblich „schwache" Spätphase der mächtigen mittelalterlichen Städtebünde zuvor wenig interessant erschienen war. Die reichsständischen Korporationen, d.h. die Verbindungen der Grafen, Ritter, Prälaten und Städte, waren dem Verdikt über das Alte Reich gleich mit zum Opfer gefallen. Für die Freien und Reichsstädte bot sich dabei sogar eine scheinbar naheliegende Erklärung: Man betonte ihre bescheidene Rolle auf dem Immerwährenden Reichstag, ihren auch wirtschaftlichen Niedergang in der frühen Neuzeit und konfrontierte dieses Bild mit dem „blühenden Städtewesen" und den besagten mächtigen Städtebünden im späten Mittelalter. Auf dieser fragwürdigen Folie schien selbst die gemeinsame Politik der Freien und Reichsstädte im Reformationsjahrhundert eine Variante des angeblich allenthalben spürbaren Verfalls 8 .

4

Dazu: G. SCHMIDT, Die politische Bedeutung der kleineren Reichsstände im 16. Jahrhundert, in: JbGFeudal 12 (1989), S. 185-206. Vgl. dazu G. SCHMIDT, Einleitung. Integration im Alten Reich, in : DERS. (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich. Beiträge des zweiten deutsch-amerikanischen Kolloquiums zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Stuttgart 1989, S. 1-16. 6 P. MORAW/V. PRESS, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (13.-18. Jahrhundert), in: Z H F 2 (1975), S. 95-108; P. MORAW, Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte im späten Mittelalter, in: Z H F 4 (1977), S. 59-101 ; V. PRESS, Das römisch-deutsche Reich — Ein politisches System in verfassungs- und sozialgeschichtlicher Fragestellung, in: G. KUNGENSTEIN/H. LUTZ (Hgg.), Spezialforschung und „Gesamtgeschichte", Wien 1981, S. 221-242. 7 G. SCHMIDT, Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur korporativen Politik der Freien und Reichsstädte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1984. Um den Anmerkungsapparat zu entlasten, sei dort, wo mit bereits anderweitig belegtem Material argumentiert wird, grundsätzlich auf diese Arbeit verwiesen. 8 Zu der älteren Literatur zum Städtetag vgl. ebd., S. 1-9. In den letzten Jahren ist die korporative Politik der Freien und Reichsstädte im Reformationsjahrhundert öfter untersucht worden: G. BUCHSTAB, Reichsstädte, Städtekurie und Westfälischer Friedenskongreß. Zusammenhänge von Sozialstruktur, Rechtsstatus und Wirtschaftskraft, Münster 1976; E. ISENMANN, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, in: J. ENGEL (Hg.), Mittel und Wege früher Verfassungs5

Städtetag, Städtehanse und Reichsverfassung

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Daß diese Einschätzung auf falschen Voraussetzungen über die Möglichkeiten und Grenzen reichsstädtischer Politik beruht, soll im folgenden herausgearbeitet werden. Dazu gilt es (I.), das Anforderungsprofil an die Mitgliedschaft im Städtecorpus zu skizzieren und die Unterschiede zur Städtehanse zu markieren. Anschließend (II.) werden kurz Entstehung, Organisation und Zielsetzungen des Städtetages behandelt und die politischen Einflußmöglichkeiten der Kommunen erläutert. Am Schluß soll dann (III.) versucht werden, die Bedeutung des Städtecorpus für das Reichsverfassungsgefüge der frühen Neuzeit aufzuzeigen.

I.

Neben der kleinen Gruppe der Kurfürsten 9 gelang es nur den beinahe 70 Freien und Reichsstädten, unabhängig von den Reichsversammlungen kontinuierlich reichsweit organisierte Tagungen durchzuführen. Deren genaue Anzahl ist nie ermittelt worden: Im Durchschnitt trafen sich die Gesandten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mehr als einmal jährlich — allerdings mit längeren Unterbrechungen zwischen 1508 und 1522 sowie in den dreißiger Jahren. Prinzipiell hatten Delegierte aller Freien und Reichsstädte Zugang zu diesen Versammlungen, sofern die entsendende Kommune außer dem Reichsoberhaupt keinem anderen „Herrn" huldigte und sie das Beratungsgeheimnis zu wahren vermochte, d.h. keine Vertreter anderer Reichsstände in den städtischen Gremien saßen. Beide Bedingungen dürfen in der frühen Neuzeit als entscheidende Kriterien für die Zugehörigkeit einer Kommune zur Gruppe der Freien und Reichsstädte gelten. Es soll und kann natürlich nicht bestritten werden, daß Hansestädte wie Braunschweig oder Rostock eine wesentlich größere wirtschaftliche und politische Bedeutung besaßen wie Reichsstädte von der Größe Pfullendorfs, Bopfingens oder Buchaus. Dennoch sollte der Blick auf die großen hansestädtischen Freiheiten, die es vielen „civitates mixtae" 10 oder „halben Reichsstädten", wie sie Johann Jakob Moser nannte 11 , erlaubte, weder Reichs- noch Landessteuern zu entrichten, die verfassungsrechtlichen Unterschiede nicht völlig verwischen: De jure unterstanden von Politik, Stuttgart 1979, S. 9-223; SCHMIDT, wie Anm. 7; H.R. SCHMIDT, Reichsstädte, Reich und Reformation. Korporative Religionspolitik: 1521-1529/30, Stuttgart 1986; T.A. BRADY, Turning Swiss. Cities and Empire 1450-1550, Cambridge 1985; H. GOLLWITZER, Bemerkungen über Reichsstädte und Reichspolitik auf der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: H. JÄGER u.a. (Hgg.), Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen, Köln/Wien 1984, hier T. 2, S. 488-516. Es fehlt allerdings noch immer eine Untersuchung zum Städtecorpus in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten des 17. Jahrhunderts. 9 W. BECKER, Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß, Münster 1973. 10 Vgl. dazu H. SCHILLING, Konfessionskonfiikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe, Gütersloh 1981, S. 331f.; DERS., Konfessionskonflikte und hansestädtische Freiheiten im 16. und 17. Jahrhundert. Der Fall „Lemgo contra Lippe", in: HansGbll 97 (1979), S. 36-59, sowie dessen Beitrag in diesem Band. — O. MÖRKE, Landstädtische Autonomie zwischen den Fronten, in: W. EHBRECHT/H. SCHILLING (Hgg.), Niederlande und Nordwestdeutschland, FS für Franz Petri zum 80. Geburtstag, Köln/Wien 1983, S. 219-244. iiJ.J. MOSER, Von den Teutschen Reichs-Ständen, Frankfurt a.M. 1767, S. 1056.

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den aktiven Hansestädten des späteren 16. Jahrhunderts nur Lübeck, Köln und Dortmund sowie von den ehemaligen Goslar, Nordhausen und Mühlhausen unmittelbar dem Reichsoberhaupt 12 . Selbst die Konfoderationsnotel von 1557 bringt diese eingeschränkte Autonomie mit einer Gehorsamserklärung gegenüber dem Kaiser und den Landesherren zum Ausdruck 13 . Daß die Städtehanse darüber hinaus wenig Interesse am Städtetag und parallel hierzu auch an dem kurz nach 1500 seine frühneuzeitliche Gestalt annehmenden Reichstag erkennen ließ 14 , vertiefte diese Kluft weiter. Lediglich in der Entstehungsphase des Städtetages war 1481 einmal versucht worden, „etlichen reichsstätten umb Lübeck gelegen" die Beratungsergebnisse zu übermitteln, um sie für das Corpus zu gewinnen 15 . Die angesprochenen Kommunen, sofern sie der Lübecker Rat überhaupt informierte, dachten jedoch nicht daran, sich für das „oberdeutsch" geprägte Reich, das etwa am Rande der Mittelgebirge endete, zu engagieren. Schon die Beteiligung an den Beratungen über die Probleme des Reiches mußte unweigerlich die Aufforderung, die Lasten mitzutragen, nach sich ziehen. Dies hatten Kommunen wie Hamburg 1 6 oder Braunschweig stets abgelehnt. Nicht nur, weil — wie Lübeck 1526 geltend machte — das Reich auch sie in ihren Konflikten nicht unterstütze 17 , sondern weil der Status einer Reichsstadt im Norden wenig bedeutete, wo die Handlungseinheit „Kaiser und Reich" die Selbständigkeit und Unabhängigkeit einer Kommune nicht schützen konnte. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Reichsoberhauptes endeten normalerweise am Rande der Mittelgebirge: Im Norden und Nordwesten war das Reich als Handlungssystem mit einem gewissen Erzwingungspotential nur punktuell und keinesfalls flächendeckend präsent 18 . Die betreffenden Städte betrachteten ihre Reichszugehörigkeit daher nur als eine zusätzliche Option für den Krisenfall. Erst wenn der nominelle Landesherr ihre Freiheiten bedrohlich einengte, versuchten sie, den Kaiser zu mobilisieren, dann aber war es meist zu spät.

12

G. FINK, Die rechtliche Stellung der Deutschen Hanse in der Zeit ihres Niedergangs, in: HansGbll 61 (1936), S. 122-137, hier S. 132. Zoellners Aufstellung zeigt, daß Goslar, Mühlhausen und Nordhausen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf keinem Hansetag vertreten waren. K.-P. ZOELLNER, Hansische Konföderationspläne in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: WZGreifsw 18 (1969), S. 157-162, hier S. 159. — Goslar erklärte allerdings 1619 seinen Wiedereintritt in die Hanse. P. SIMSON, Die Organisation der Hanse in ihrem letzten Jahrhundert, in: HansGBll 13 (1907), S. 207-244 und 3 8 1 - 4 3 8 , h i e r S. 2 1 9 .

13

FINK, wie Anm. 12. Freilich konnte oder wollte die Hanse den Kreis ihrer Mitglieder nie genau definieren, so daß auch dem Reichstag, der die Hanse des öfteren zur Beteiligung an den Reichslasten aufforderte, die städtischen Verhältnisse im Norden des Reiches fraglich erschienen. Vgl. W. EBEL, Die Hanse in der deutschen Staatsrechtliteratur im 17. und 18. Jahrhundert, in: HansGbll 65/66 (1940/41), S. 145-169, hier S. 155ff. — Aus der Tabelle bei ZOELLNER, wie Anm. 12, S. 159 geht hervor, daß nur noch 36 Kommunen auf wenigstens einem der Hansetage in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vertreten waren 14 P. MORAW, Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: H. WEBER (Hg.), Politische Ordnungen und soziale Kräfte im Alten Reich, Wiesbaden 1980, S. 1-36. Vgl. auch mit einer etwas anderen Akzentsetzung : H. BOOCKMANN, Geschäfte und Geschäftigkeit auf dem Reichstag im späten Mittelalter, in: HZ 246 (1988), S. 297-325. 15 Städtetagsabschied Esslingen, 1481, Febr. StadtA Speyer, 1 A, Nr. 233,3. Vgl. SCHMIDT, wie Anm. 7, S. 25f. 16 Kaiser Maximilian I. und die in Augsburg versammelten Reichsstände hatten noch 1510 der Stadt Hamburg bestätigt, daß sie eine uralte Reichsstadt sei. J.C. LÜNIG, Des Teutschen Reichs-Archivs, partis specialis [= Bd. 13] Leipzig 1714, S. 965. 17

SCHMII>T, w i e A n m . 7, S. 60.

18

Vgl. R. HÄPKE, Die Regierung Karls V. und der europäische Norden, Lübeck 1914.

Städtetag, Städtehanse und Reichsverfassung

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Göttingen, das zu Beginn des 16. Jahrhunderts dicht vor der Anerkennung als Reichsstadt stand 19 , protestierte gegen die Veranlagung zu den Kammerzielern mit dem Hinweis, daß man nicht dem Reich, sondern dem Haus Braunschweig unterworfen sei 20 . Ob hier bereits die neuen Machtverhältnisse — Herzog Erich von Braunschweig hatte 1497 das Schultheißenamt wieder eingelöst und seine Herrschaft auch sonst intensiviert 21 — durchschlugen oder die traditionelle Ablehnung jeder Beteiligung an den Lasten des Reiches ausschlaggebend war, mag offen bleiben: Göttingen verspielte jedenfalls seine letzte Chance, die Reichsunmittelbarkeit zu erringen. Daran änderte auch die 1521 erfolgte Zuweisung zum niedersächsischen Reichskreis und der Beitritt zum Schmalkaldischen Bund nichts mehr 22 . Wie Göttingen entzog sich auch Braunschweig allen Bemühungen Maximilians, die Stadt für das Reich zu aktivieren, und auch hier sollte sich auf Dauer der Stadtherr durchsetzen 23 . Dagegen forderte die Stadt Bremen 1529 das Kammergericht auf, sie aus der Gewalt des Erzbischofs zu lösen und zur Reichsstadt zu erklären. Sie erreichte dieses Ziel jedoch erst im 17. Jahrhundert und wurde dann auch vom Städtecorpus rezipiert 24 . Von diesen „selbständigen" Kommunen sind alle ehemaligen Reichsstädte wie Soest, Warburg oder Brakel zu unterscheiden. Sie waren, obwohl sie noch in den Reichsmatrikeln des 16. Jahrhunderts erschienen, längst mediatisiert. Basel und Mülhausen gingen noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts an die Eidgenossenschaft verloren. Freilich war das „Turning Swiss" 25 — hier aber keineswegs verbunden mit kommunalen Bewegungen des gemeinen Mannes 26 — für die Reichsstädte damit auch schon fast zu Ende. Die Eidgenossenschaft büßte ihre im späten Mittelalter zweifellos große Attraktivität sehr schnell ein, zumal es ja durchaus nicht das gleiche war, ob sich ihr reichsstädtische Magistrate anschlossen oder ob der „gemeine Mann" damit drohte 27 . Rottweil mußte am Ende froh sein, daß es über das Städtecorpus wieder Aufnahme in das politische System des Reiches fand, nachdem der Reichstag die Stadt 1522 wegen ihres Vertrages mit der Schweiz ausgeschlossen hatte 28 . " D i e Behauptung, die Stadt Göttingen sei „um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert als ordentlicher Reichsstand behandelt" worden, wird sich allerdings nicht aufrecht erhalten lassen. O. MÖRKE, Göttingen im politischen Umfeld. Städtische Macht- und Territorialpolitik, in: D. DENECKE/H.-M. KÜHN (Hgg.), Göttingen. Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 1, Göttingen 1987, S. 260-297, hier S. 261. 20

SCHMIDT, w i e A n m . 7, S. 43f.

21

H. MOHNHAUPT, Stadtverfassung und Verfassungsentwicklung, in: Göttingen, wie Anm. 19, S. 228-259, hier bes. S. 240ff. 22 MÖRKE, wie Anm. 19, S. 288f. — Zur Integration der Stadt in das Herzogtum Braunschweig: Ebd., S. 293-297. — Die eigenständige Mitgliedschaft im Schmalkaldischen Bund war jedoch der Kulminationspunkt der Autonomie dieser selbständigen Städte. Die Niederlage 1546/47 beschleunigte zweifellos ihren Einordnungsprozeß in die Territorien. M. E. ist es allerdings anachronistisch zu argumentieren, daß der Anschluß an das Glaubensbündnis dabei mitgeholfen habe, die spezifische Freiheit dieser Kommunen zu zerstören, denn es gab für die betreffenden Kommunen dazu keine Alternative. Vgl. O. MÖRKE, Integration und Desintegration. Kirche und Stadtentwicklung in Deutschland vom 14. bis ins 17. Jahrhundert, in: La Ville, la Bourgeoisie et la Genèse de l'État moderne (XII e -XVIII e Siècles), Paris 1988, S. 297-321, hier S. 316. 23 24

Vgl. W. SPIESS, Geschichte der Stadt Braunschweig im Nachmittelalter, T. 1, Braunschweig 1966. H. SCHWARZWÄLDER, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen 1975, S. 183f. und 3 4 4 f f . ; BUCHSTAB, wie A n m . 8, S. 31ff.

25

V g l . BRADY, w i e A n m . 8.

26

27

2

P. BLICKLE, Deutsche Untertanen. Ein Widerspruch, München 1981; DERS., Gemeindereformation. Die Menschen des 16. Jahrhunderts auf dem Weg zum Heil, München 1985, bes. S. 165-204. Vgl. dazu: T.A. BRADY, Der Gemeine Mann und seine Feinde: Betrachtungen zur oberdeutschen

G e s c h i c h t e d e s 15. u n d 16. J a h r h u n d e r t s , i n : SCHMIDT, w i e A n m . 5, S. 223-230. "P. KLÄUI, R o t t w e i l u n d d i e E i d g e n o s s e n s c h a f t , i n : Z W ü r t t L G 18 (1959), S. 1-14.

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Die Mitgliedschaft im Städtecorpus, d.h. die von den Freien und Reichsstädten autonom gehandhabte Zulassung zu den Städtetagen und zur Städtekurie, war in der frühen Neuzeit die entscheidende Voraussetzung für die Mitwirkung an den Beratungen der reichsständischen Versammlungen. Die Nennung einer Kommune als Unterzeichner des Reichsabschiedes oder ihre Aufführung in den Reichsmatrikeln sagen über ihre tatsächliche Reichsstandschaft und damit über ihren verfassungsrechtlichen Status wenig aus. In den Matrikeln wurden die ehemaligen Reichsstädte, aber auch solche, die nie reichsunmittelbar gewesen waren, von Mal zu Mal weitergeführt, weil niemand den damit verbundenen Anspruch des Reiches aufgeben wollte und konnte. Den Reichsabschied durften alle tatsächlichen und ehemaligen Reichsstädte unterzeichnen, sofern sich ein bevollmächtigter Vertreter bei der Mainzer Kanzlei angemeldet hatte. Dies besagt allerdings nicht, daß ihre Delegierten auch an den Beratungen der Städtekurie teilnehmen konnten. Das Städtecorpus hatte die Autonomie einer Kommune bei der innerstädtischen Entscheidungsfindung zum weiteren unumgänglichen Zulassungskriterium erhoben. Selbst den anscheinend eindeutig als Reichsstädte ausgewiesenen Kommunen Gelnhausen, Friedberg und Verdun blieben die Türen der Städtekurie verschlossen, obwohl sie zu den allgemeinen Reichsversammlungen zugelassen wurden und die Reichsabschiede unterzeichnen konnten. Während Gelnhausen, das an die Kurpfalz und an die Grafschaft Hanau verpfändet war, am Ende des 15. Jahrhunderts eher stillschweigend aus dem Städtecorpus verschwand, wurden Friedberg und Verdun förmlich ausgeschlossen. Friedberg nahm zwischen 1510 und 1544 an neun Reichstagen mit eigenen Vertretern teil, die aber nie zur Städtekurie zugelassen waren. Weil der Burggraf und einige Burgmannen im städtischen Rat saßen, ging das Städtecorpus sicherlich nicht zu Unrecht davon aus, daß Friedberg das Beratungsgeheimnis nicht wahren konnte und andere Reichsstände alle Interna der städtischen Politik erfahren würden. Als der Vertreter der Stadt jedoch 1545 die Einschaltung des Kaisers androhte, wurde erneut diskutiert und 1559 schließlich eine Beteiligung an allen Beratungsgegenständen in Aussicht gestellt, die die Freien und Reichsstädte nicht im besonderen betrafen 29. Da dies für kaum einen Verhandlungspunkt des Reichstages galt, blieb der Friedberger Vertreter weiterhin vor der Tür. Der dortige Rat hatte 1555 alle Befürchtungen bestätigt, als er Daniel Brendel von Homburg, den Burggrafen der am Rande der Stadt gelegenen mächtigen Ganerbschaft, mit der städtischen Reichstagsvertretung beauftragte 30 . Anfang des Jahres 1585 empfahl daher der Frankfurter Rat, nachdem die Stadt auf das Mißverhältnis hingewiesen hatte, daß sie zwar zu den Städteanlagen herangezogen werden solle, aber nicht mitberaten könne, auf die Friedberger Beiträge zu verzichten 31 . Die an sich eindeutige Regelung, nur Kommunen einzuladen, die ihr Regiment ohne fremde Einwirkungen fuhren konnten, durchbrach der Städtetag 1539 zugunsten von Mühlhausen in Thüringen, das nach dem Bauernkrieg unter die Aufsicht der beiden sächsischen Herzöge und des hessischen Landgrafen geraten war 32 . Eine 29

SCHMIDT, w i e A n m . 7, S. 69FF.

30

Ncue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede, welche ..., T. 3, (ND Osnabrück 1967) Frankfurt a. M. 1747, S. 42. 31 Frankfurter Instruktion zu dem von Kaiser Rudolf II. für den 6. Jan. (n. K.) nach Dinkelsbühl einberufenen Städtetag. StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 1290. "Städtetagsabschied Frankfurt 1539, März. StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 867.

Städtetag, Städtehanse und Reichsverfassung

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Kommune, die bisher stets zur Korporation gehört hatte, wollte man nicht aus dem Kreis der Freien und Reichsstädte hinausdrängen und auf diese Weise zur Perpetuierung der fürstlichen Kontrolle beitragen. Die selbstgewählten Vorbedingungen einer Mitgliedschaft wurden also durchaus flexibel gehandhabt. Während des Speyerer Reichstages 1570 sahen sich die Städteboten erneut und überraschend mit der Teilnahmefrage konfrontiert. Besançon, Verdun und Cambrai, die Bevollmächtigte zum Reichstag gesandt hatten, forderten Sitz und Stimme in der Städtekurie 33 . Der Städtetag entschied über diesen Antrag im folgenden Jahr. Die Straßburger Gesandten, die mit der Prüfung der Verduner Verhältnisse betraut worden waren, erklärten, daß die Stadt sehr stark der französischen Krone verpflichtet sei. Es existiere dort nicht nur eine Zitadelle, sondern der französische König stelle einen Gouverneur und den Präsidenten des Rats. Die Städteboten beschlossen deswegen unter Verweis auf ihre alten Prinzipien, Verdun solle, solange dieser Zustand anhalte, zu den „reichs- und ander der erber stett Versammlungen" nicht mehr eingeladen werden. Der in Speyer erschienene Gesandte Besançons wurde daraufhin ebenfalls einem genauen Verhör unterzogen. Insbesondere sollte er erklären, ob der spanische König als Graf von Burgund der Stadt einen Gouverneur oder Ratspräsidenten stelle. Der Delegierte erwiderte, Besançon erkenne nur den Kaiser und das heilige römische Reich als seinen Herrn an. Die Stadt würde allein durch den von der Gemeinde gewählten Magistrat regiert und besäße nur ein Bündnis mit dem spanischen König, der, jedoch nur nach Aufforderung durch den Rat, die Stadt im Kriegsfall schütze. Nachdem der Gesandte auch noch gelobt hatte, über die Beratungen nur den eigenen Rat zu informieren, wurde Besançon förmlich kooptiert und erhielt die Session unmittelbar hinter Hagenau zugewiesen 34 . Obwohl sich Besançoner Gesandte in den folgenden Jahren nur sporadisch auf den Reichs- und Städtetagen einfanden, beweist diese Episode die fortdauernde Attraktivität des Städtecorpus. Zumindest die Reichsstädte aus den westlichen Grenzgebieten, die eigentlich kaum mehr zum engeren politischen System des Reiches gehörten, waren bemüht, den Anschluß an den Verbund der Freien und Reichsstädte nicht zu verlieren. Der damit verknüpfte Status schien noch immer einen gewissen Schutz vor allzugroßen Übergriffen und Zumutungen selbst des französischen oder des spanischen Königs zu bieten. Die meisten selbständigen Kommunen aus der nördlichen und nordwestlichen Peripherie des Reiches verharrten dagegen auch in der zweiten Jahrhunderthälfte in ihrer selbstgewählten Isolation, obwohl die „Verdichtung" des Reichsverbandes nun auch diese ehemals „reichsfernen" Zonen erfaßte. Nachdem sich die Städtehanse 1557 mit der Annahme der Konföderationsnotel politisch reorganisiert und in gewisser Weise der Struktur des Städtecorpus angenähert hatte 35 , ergriff der Augsburger Städtetag 1559 die Initiative und empfahl, die beiden großen städtischen

33

F.D. HÄBERLIN, Neueste Teutsche Reichs-Geschichte, vom Anfange des Schmalkaldischen Krieges bis auf unsere Zeiten, Bd. 8, Halle 1779, S. 348. ^Städtetagsabschied Esslingen, 1571, Sept. StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 1238. 35 SIMSON, wie Anm. 12, S. 405f.; P. DOLLINGER, Die Hanse, Stuttgart 21976, S. 429-434; J. SCHILDHAUER/K. FRITZE/W. STARK, Die Hanse, Berlin 1985, S. 217ff.; E. PITZ, Steigende und fallende Tendenzen in Politik und Wirtschaftsleben der Hanse im 16. Jahrhundert, in: HansGbll 102 (1984), S. 39-77, hier S. 42.

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Korporationen auf dem Boden des Reiches wenigstens mittels eines Korrespondenzvertrages zu verknüpfen 36 . Die Bemühungen der Freien und Reichsstädte stießen bei der Hanse jedoch nur anfangs, d.h. als wieder regelmäßig Hansetage stattfanden, auf eine größere Resonanz 37 . Als der Städtetag 1576 sein Angebot wiederholte 38 , lag im Sommer 1579 noch keine Reaktion der Hansestädte vor. Köln und Lübeck, die als wichtigste Mitglieder beider „Systeme" mit der Übermittlung der Schreiben betraut worden waren, mußten auf den zwischenzeitlichen Städtetagen stets von neuem erklären, daß noch kein Hansetag stattgefunden habe 3 9 . Eine weitere Konsultationsrunde zu Beginn des 17. Jahrhunderts blieb ebenso erfolglos 40 . Obwohl sich die Hanse nach der Jahrhundertmitte neu organisiert hatte, konnten die Diskrepanzen und Interessenunterschiede zwischen den großen Handelsstädten an der See und den binnenländischen Kommunen immer weniger ausgeglichen werden 41 . Daß der Korrespondenzvertrag nie zustandekam, schadete auf Dauer wohl eher den Hanse- als den Freien und Reichsstädten. Die Hanse blieb damit vom Reichstag, wie von der Reichspolitik überhaupt, abgekoppelt, obwohl diese auch für die nördlichen Reichsgebiete schnell an Bedeutung gewann. Lübeck, das unbestrittene Haupt der Hanse 42 , erkannte diese Entwicklung und versuchte, vorsichtig gegenzusteuern: Seine Gesandten zum Augsburger Reichstag 1582 sollten beispielsweise das Reich um Unterstützung im Kampf um die Behauptung des Lübecker Handels bitten 43 . Im Februar 1584 erschien sogar Dr. Heinrich Sudermann, der Hansesyndikus, auf dem Dinkelsbühler Städtetag, um eine Eingabe des Städtecorpus an den Kaiser gegen die Geschäfte der englischen Handelsgesellschaft, der „merchant adventurers", im Reich zu erbitten 44 . Doch diese Kontakte blieben vereinzelt, weil sich die hansischen Kommunen nicht für das Reich und seine Probleme, vor allem die Türkenabwehr, engagieren wollten. Ihnen fehlte damit ein wichtiger Integrationsfaktor und der Zwang, die eigenen Interessen durch die Formulierung einer gemeinsamen Politik wirkungsvoll gegenüber den anderen Ständen vertreten zu müssen. Da sich im Hansebereich Landesherr und Stadt stets einzeln gegenüberstanden und das Städtebündnis seine Mitglieder jeweils nur individuell unterstützte, scheint es der Hanse zunehmend schwerer gefallen zu sein, Sinn und Zielsetzungen des politischen Zusammenwirkens angesichts der faktischen Dominanz der Landesherren zu verdeutlichen 45 . Die Städtetagsakten legen jedenfalls den Schluß nahe, daß das Städtecorpus, vor allem wegen seiner direk-

36

Städtetagsabschied Augsburg, 1559, Aug. StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 1150. In der erst drei Jahre später dem Speyerer Städtedeputationstag übermittelten Antwort der Hansestädte, erklärten sich diese grundsätzlich zum Abschluß eines Korrespondenzvertrages bereit. Vgl. ebd., Nr. 1171. 38 Städtetagsabschied Regensburg, 1576, Aug. Ebd., Nr. 1249. 39 Vgl. Abschied des städtischen Deputationstages Frankfurt, 1577, Aug.; Abschied des städtischen Deputationstages Speyer, 1578, Aug. Ebd. 37

•«»Vgl. SIMSON, w i e A n m . 12, S. 421f. 41

Vgl. dazu zusammenfassend PITZ, wie Anm. 35. H. STOOB, Lübeck als 'caput omnium' in der Hanse, in: BUDtLG 121 (1985), S. 157-168. 43 R. REUTER, Der Kampf um die Reichsstandschaft der Städte auf dem Augsburger Reichstag 1582, München/Leipzig 1919, S. 88. 44 Städtetagsabschied Dinkelsbühl, 1584, Febr. StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 1290, Tomus 2. L. BEUTIN, Hanse und Reich im handelspolitschen Endkampf gegen England, Berlin 1929. Zu Sudermanns Tätigkeit für die Hanse: PITZ, wie Anm. 35, S. 47. 45 Vgl. dazu SIMSON, wie Anm. 12, S. 412-419. 42

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ten Beteiligung an der Reichspolitik und dem damit verbundenen Einigungszwang, besser und effektiver zusammenarbeitete als die Hanse 46 . Für diesen Zusammenschluß, aber auch für die meisten seiner Mitglieder, bedeutete die „Verdichtung" des Reiches, die den Reichstag zur zentralen Instanz werden ließ, den entscheidenden Schritt ins politische Abseits. Während die ausländischen Mitglieder der Hanse immer stärker in die „nationale" Pflicht genommen wurden und für eine gemeinsame Interessenpolitik nur noch bedingt zur Verfügung standen, gerieten die Hansestädte im Reich in die Isolierung und konnten dem nun verstärkten Druck der Landesherren kaum mehr standhalten 47 . Nicht nur die überlegene Macht der Territorialstaaten, sondern auch die geringe Anbindung an das politische System des Reiches machte diese — im Gegensatz zu den Freien und Reichsstädten — beinahe wehrlos gegenüber den Mediatisierungsbestrebungen der Fürsten. Selbst große Hansestädte wurden am Reichstag durch ihre nominellen und bald auch wieder tatsächlichen Landesherren vertreten. Heinz Schilling hat die daraus resultierenden Konflikte am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Lemgo und Lippe ausgewertet. Daß in diesem besonderen Fall die Kommune ihre Freiheiten größtenteils bewahren konnte, hing in erster Linie mit der relativen Schwäche der Lipper Grafen zusammen. Wichtiger erscheint in diesem Kontext die Frage, wer die selbständige Landstadt auf der Ebene des Reiches vertreten durfte: Lübeck als Reichsstand und Haupt der Hanse oder der Lipper Graf. Dessen Argumentation, daß Lübeck seine Rechte massiv tangiere, wenn es seine „Mediatstadt" gegen ihn vor den Gremien des Reiches vertrete 48 , entsprach voll und ganz den Gegebenheiten des Reichsverfassungssystems. Auch das Städtecorpus agierte in solchen Fällen ausgesprochen zurückhaltend und prüfte vorher sorgsam den Status der betreffenden Kommune, um nicht „innerterritoriale" Konflikte zum Ausgangspunkt einer generellen Debatte über die Selbständigkeit der Städte im Reich werden zu lassen. Das mit der Verdichtung des Reichsverbandes und dessen zunehmendem Wirksamwerden auch in den nördlichen Bereichen immer spürbarer werdende Manko der Städtehanse, im Gegensatz zum Städtecorpus oder anderen Zusammenschlüssen mindermächtiger Reichsstände zur gemeinsamen politischen Interessenvertretung keine Anerkennung als Reichskorporation gefunden zu haben, versuchte der Lübecker Syndikus Dr. David Gloxin während der Westfälischen Friedensverhandlungen zu korrigieren. Als Vertreter seiner Heimatstadt und des Herzogtums SachsenLauenburg Mitglied des Städte- und des Fürstenrates gelang es ihm, die „Hanse" als eigenständige Körperschaft zu präsentieren und in den Friedensvertrag aufnehmen zu lassen 49 . Politische Konsequenzen besaß dieser Akt allerdings nicht mehr. Die petrifizierten Verfassungsverhältnisse im Reich ließen ein Hineinwachsen der Hansestädte in den Reichstag nicht mehr zu — 150 Jahre früher wäre dies noch eher denkbar gewesen. ^Ritter bewertete dagegen die Hanse als nach wie vor „bedeutender" als den Verbund der Freien und Reichsstädte: „Indes zu einer nachdrücklichen politisch-militärischen Wirksamkeit war auch diese Vereinigung nicht mehr geeignet." M. RITTER, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555-1648), Bd. 1, (ND Darmstadt 1974) Stuttgart 1889, S. 54. 47 Die wichtige Funktion der landesherrlichen Kirchenorganisation fur diesen Eingliederungsprozeß hat MÖRKE, wie Anm. 22, S. 319, gezeigt. Vgl. auch DERS., Der gewollte Weg in Richtung „Untertan", in: H. SCHILLING/H. DIEDERIKS (Hgg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, K ö l n / W i e n 1985, S. 111-133. ^SCHILLING, K o n f e s s i o n s k o n f l i k t e , w i e A n m . 9, bes. S. 51f. 4

»H.-B. SPIES, Lübeck, die Hanse und der westfälische Frieden, in: HansGbll 100 (1982), S. 110-124.

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II.

Die Freien und Reichsstädte konzentrierten sich in den traditionellen Kerngebieten des Alten Reiches, in Schwaben, in Franken und am Rhein. Die Unterschiede zwischen den Freien und den Reichsstädten waren seit dem 15. Jahrhundert weitgehend eingeebnet, beide Typen hatten Leistungen für Kaiser und Reich zu erbringen, beide waren für das Reichsoberhaupt zu wichtigen Partnern bei der Durchdringung weiter Räume geworden 50 . Die Grenzen des Städtecorpus deckten sich mit denjenigen des Reiches bzw. griffen im Westen sogar darüber hinaus. Insgesamt veränderte sich der Kreis der Freien und Reichsstädte nur geringfügig. Dazu trug vor allem die kaiserliche Wahlkapitulation von 1519 bei, die ein beliebtes Mittel der spätmittelalterlichen Könige zur Geldbeschaffung unterband: die Verpfändung von Reichsgut 51 . Neben den um die Jahrhundertmitte an den König von Frankreich abgetretenen Metz, Toul und Verdun verlor im 16. Jahrhundert nur noch Konstanz als unmittelbare Folge des Schmalkaldischen Krieges seinen Reichsstadtstatus und wurde der österreichischen Landesherrschaft unterstellt 52 . Zu Beginn des folgenden Jahrhunderts ging Donauwörth an das Herzogtum Bayern verloren. Das Städtecorpus setzte sich demnach nur aus den Freien und Reichsstädten zusammen, die ihr innerstädtisches Regiment noch unbeaufsichtigt führen konnten. Der erste allgemeine Städtetag fand im Oktober 1471 in Frankfurt statt. Im Gegensatz zu allen vorhergehenden Städteversammlungen stand er in keinem Zusammenhang mit einem Städtebündnis, sondern es wurden die Probleme des Reiches beraten, da von den Freien und Reichsstädten fixierte Anschläge zur Abwehr der türkischen Expansion verlangt worden waren. Die städtischen Delegierten trafen sich, um diese so gering wie möglich zu halten und ihr weiteres Vorgehen abzustimmen. Dabei waren sie stets bemüht, einen für alle Mitglieder akzeptablen Kompromiß zu finden: Die von den Kurfürsten und Fürsten ohnehin wenig beachtete städtische Stimme in den reichsständischen Versammlungen sollte nicht durch interne Uneinigkeit weiter geschwächt werden. Daß es meist gelang, die oft sehr unterschiedlichen Zielvorstellungen der großen und kleinen oder auch der schwäbischen und rheinischen Kommunen auszugleichen, demonstriert die allgemeine Kompromißbereitschaft und die von Beginn an hohe Effektivität des neuen Verbundes. Der allgemeine Städtetag war eine Organisation der Freien und Reichsstädte sui generis. Während in den ersten Jahren die folgenden Tagungen jeweils von der vorhergehenden angesetzt wurden, etablierten sich um 1500 Nürnberg, Frankfurt, Straßburg und Augsburg als ausschreibende, d.h. die Versammlungen einberufende und die Tagesordnung festlegende Städte. Augsburg wurde jedoch 1523 von Ulm abgelöst, nicht zuletzt weil der dortige Rat zu eng mit den Monopolgesellschaften

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P.J. HEINIG, Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389-1450. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte, Wiesbaden 1983; P. MORAW, Reichsstadt, Reich und Königtum im späten Mittelalter, i n : Z H F 6 (1979), S. 3 8 5 - 4 2 4 .

51

RTA j.R., Bd. 1, Nr. 387, S. 869. Vgl. G. LANDWEHR, Die Verpfändung der deutschen Reichsstädte im Mittelalter, Köln/Graz 1967. 52 H.-C. RUBLACK, Die Außenpolitik der Reichsstadt Konstanz während der Reformationszeit, in: B. MOELLER (Hg.), Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer 1492-1564, Konstanz 1964, S. 56-80, h i e r b e s . S. 7 3 - 7 7 .

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liiert schien, deren undurchsichtiges Geschäftsgebaren bei den anderen Kommunen, wie bei den Reichsständen überhaupt, auf große Skepsis stieß. Da die nun fast permanente Bedrohung des Reiches an seiner südöstlichen Flanke und die weitreichenden Pläne Maximilians viele neue Reichsanlagen notwendig machten, mußten auch die Städtetage recht häufig einberufen werden: Ihre Organisation verfestigte sich dementsprechend schnell — eine Entwicklung die große Parallelen zur Entstehung des Reichstages aufweist. 1523 wurden Speyer und Esslingen als Tagungsorte künftiger Versammlungen festgelegt. Sie erfüllten die gestellten Bedingungen am besten: genügend große Beherbergungskapazität sowie zentrale und verkehrstechnisch günstige Lage. Tatsächlich mußte man aber immer wieder auf andere Kommunen ausweichen, um kostensparend parallel zum Reichstag zu tagen, oder weil Seuchen, Konflikte mit den Nachbarn bzw. die Anwesenheit von Reichsinstitutionen Versammlungen in Esslingen oder Speyer nicht opportun erscheinen ließen. Der ständige Wechsel des Tagungsorts führte allerdings zu einer die korporative Politik behindernden Aufsplitterung des Aktenmaterials, so daß nach langen Diskussionen ein Registrator eingestellt wurde. Er sollte die einschlägigen Quellen, insbesondere jene, die für Stand, Stimme und Session auf dem Reichstag von Bedeutung sein konnten, sichten und zentral in Speyer aufbewahren. Die sog. städtische Registratur, die einzige — später zweigeteilt in Speyer und in Ulm bzw. Augsburg residierende — „Behörde" des Städtecorpus hat hier ihren Ursprung 53 . Gegen die damit verbundene zunehmende Institutionalisierung des Städtetages hatten sich die kleineren Städte lange gewehrt. Nicht ganz zu Unrecht fürchteten sie, die »Angestellten", die vorwiegend die Interessen der „Großstädte" fördern und deren ohnehin dominierende Stellung weiter verstärken würden, lediglich mitfinanzieren zu müssen. Zwar besaßen alle Delegierten das gleiche Recht, während der Umfrage ihre Meinung zu äußern, doch dieses egalitäre Moment kam de facto nie zum Tragen. Uber die einzelnen Punkte der Tagesordnung wurde nicht alternativ abgestimmt, sondern der die Sitzung leitende Vertreter der gastgebenden Stadt faßte die unterschiedlichen Voten zu einer Konklusion zusammen — die Stimmen wurden nicht gezählt sondern gewichtet. Diese Form der Entscheiungsfindung begünstigte diejenigen überproportional, die ihre Stimmen zu Beginn der Umfrage abgeben durften, mithin die Vertreter der führenden Kommunen, weil die nachfolgenden Delegierten es meist nicht wagten, sich gegen die Einlassungen der benachbarten Großstadt auszusprechen. Sie drohten sich sonst selbst zu isolieren, zumal ihr Votum — stellvertretend sei der zu Fuß zum Reichstag angereiste Vertreter der Stadt Buchau erwähnt — für die Konklusion ohnehin einen geringeren Stellenwert besaß als die Stimme eines Jakob Sturms aus Straßburg, eines Konrad Peutingers aus Augsburg oder eines Philipp Fürstenbergers aus Frankfurt. Mehrheitsentscheidungen waren zwar prinzipiell möglich, wurden jedoch nur höchst selten angewandt: Gegen die Opposition einer mächtigen Reichsstadt waren sie praktisch wertlos, weil diese die Bestimmungen jederzeit unterlaufen konnte. Das Städtecorpus besaß abgesehen vom Ausschluß, einer wegen ihrer systemsprengenden Wirkung recht stumpfen und gegenüber den zum festen Kreis der Freien und Reichsstädte gehörenden Mitglieder nie exekutierten Waffe, keinerlei Zwangsmittel, um Mehrheitsbeschlüsse auch wirklich durchzusetzen. 53

M. HUBER, Städtearchiv und Reichsstandschaft der Städte im 16. Jahrhundert, in: Ulm 35 (1958), S. 9 4 - 1 1 2 .

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Grundsätzlich ist jedoch zu bedenken, daß die Institutionalisierung des Städtecorpus das Ergebnis einer Entwicklung war. Nach wie vor bestimmten die Städteboten bzw. deren Instruktionen und nicht etwa fixierte Verfahrensordnungen den Verhandlungsgang. Die Gesandten entstammten ausnahmslos der Führungselite ihrer Heimatstädte: Patrizier, wohlhabende Zunftmitglieder, Stadtschreiber und Ratskonsulenten 54 . Während die „Außenvertretung" meist zu den im Bestallungsvertrag geregelten Dienstpflichten der städtischen Angestellten gehörte, konnten die anderen Deputierten sich die oft monatelange Abwesenheit leisten. Sie waren „abkömmlich" in dem von Max Weber aufgezeigten Wortsinn 55 . Ihre Instruktionen, eine Art imperatives Mandat, hatten sie meist selbst mitformuliert. Während eines Reichstages konnten sie durch eine geschickte Informationsauswahl die Anweisungen ihres Rates entscheidend präformieren. Die unbedingte Verpflichtung, über die Anweisungen ihrer Instruktion nicht hinauszugehen, sollte daher weniger Eigenmächtigkeiten der Gesandten unterbinden als diese gegenüber den Pressionen und Gratifikationen des kaiserlichen Hofes resistent machen. Der relativ locker gewirkte Verbund der Freien und Reichsstädte bewährte sich in der Reichspolitik des 16. Jahrhunderts. Er berücksichtigte die Verdichtungsbestrebungen und reagierte auf die seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert stets negativen Erfahrungen mit den Städtebünden. In der offenen Feldschlacht konnten sich die hinter ihren dicken Mauern noch immer relativ sicheren Städte gegen die Heere der Territorialherren nicht mehr behaupten. Statt weiterer Konfrontation mußten die Kommunen zur Wahrung ihrer relativen Selbständigkeit und zur Sicherung ihres Wirtschaftsgebietes die Kooperation mit den benachbarten Fürsten suchen 56 . Der Schwäbische Bund wies hier den Weg: Als Landfriedenseinung war er wesentlich erfolgreicher als alle Städtebünde zusammen. Trotz zahlreicher Projekte kam daher im 16. Jahrhundert kein reines Städtebündnis mehr zustande. Gerade das Scheitern aller Einungsprojekte bewahrte dem Städtecorpus aber den Spielraum zu einer effektiven politischen Zusammenarbeit. Anders als in einem starren Bündnissystem mit festgelegten Hilfsverpflichtungen durfte sich niemand auf den automatischen Beistand der anderen Mitglieder verlassen, statt dessen mußten stets von neuem alle Möglichkeiten zum Interessenausgleich oder zur Konfliktregulierung gesucht werden. Zur obersten Maxime reichsstädtischer Politik wurde daher die Friedenswahrung um nahezu jeden Preis. Trotz zahlreicher lokaler Konflikte zwischen Reichsstädten und Territorialherren konnte auf diese Weise eine prinzipielle, bewaffnete Konfrontation zwischen den Kommunen und den höheren Ständen vermieden werden — eine wichtige Voraussetzung für die Bewahrung der relativen Selbständigkeit bis zum Ende des Alten Reiches. Neben der Einfadelung immer neuer gütlicher Verhandlungen bildeten die Sicherung der Reichsstandschaft und die Erringung eines mit den Kurfürsten und Fürsten ^ N a c h wie vor wichtig: E.M. MASCHKE, Verfassung und soziale Kräfte in der deutschen Stadt des späten Mittelalters, vornehmlich in Oberdeutschland, in: VSWG 46 (1959), S. 289-349 und 433-476. Aus der Fülle der weiteren Literatur seien herausgegriffen: P. EITEL, Die oberschwäbischen Reichsstädte im Zeitalter der Zunftherrschaft. Untersuchungen zu ihrer politischen und sozialen Struktur unter besonderer Berücksichtigung der Städte Lindau, Memmingen, Ravensburg und Überlingen, Stuttgart 1970; T.A. BRADY, Ruling Class, Regime and Reformation at Strasbourg, Leiden 1978. 55 M. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Tübingen 4 1956, S. 170. 56 Völlig zu recht hat PITZ im Zusammenhang mit dem nordischen siebenjährigen Krieg (1563-1570) darauf aufmerksam gemacht, „daß es auch den Interessen der Bürger und Kaufleute nicht mehr entsprach, den Handel der Städte mit Waffengewalt zu verteidigen". PITZ, wie Anm. 35, S. 42.

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gleichberechtigten Reichstagsvotums sowie die Geltendmachung und Durchsetzung der Handels- und Wirtschaftsinteressen die Hauptziele der korporativen reichsstädtischen Politik. Die Freien und Reichsstädte mußten versuchen, ihre Vorstellungen auf den Reichstagen und den anderen reichsständischen Versammlungen durchzusetzen bzw. sich dort gegen die vor allem finanziellen Zumutungen der höheren Stände zu wehren. Dieser heilsame Zwang zum Arrangement mit den anderen Reichsständen erwies sich vor allem im späteren 16. Jahrhundert, aber auch schon in der Reformationszeit, als wichtiges Integrationsband, um die auseinanderstrebenden Interessen der Kommunen immer wieder neu zusammenzubinden. Im verdichteten Reich der frühen Neuzeit rückte der diplomatische Ausgleich mit einem an sich überlegenen Konkurrenten in den Vordergrund. Die politischen Möglichkeiten der Städte in den reichsständischen Versammlungen sollten nicht überschätzt werden. Vor 1495 besaßen die Freien und Reichsstädte nicht einmal ein unbestrittenes Teilnahmerecht an den königlichen (Hof-)Tagen, den Vorläufern der Reichstage des 16. Jahrhunderts. Die Verhandlungen wurden dort nach dem Modell des täglichen Hofes, d.h. nach dem Prinzip von „Rat und Hilfe" geführt. Es erschienen nur die Stände, die auf das Reichsoberhaupt angewiesen waren bzw. diejenigen, die zum Erscheinen gezwungen werden konnten — beispielsweise die Städte. Die geringere ständische Dignität der städtischen Delegierten qualifizierte sie jedoch nicht zu vollwertigen Beratern des Königs. Sie waren eingeladen, um mit ihrer Zusage die reibungslose Durchführung der beschlossenen Maßnahmen zu gewährleisten. Die Freien und Reichsstädte empfanden dementsprechend die Ladung eher als lästige Pflicht, denn als Privileg. Noch 1495 diskutierten die Städteboten darüber, ob sie überhaupt aktiv an allen Beratungen dieser Reichsversammlung mitwirken sollten. Indem sie die ihnen angebotenen Plätze im Ausschuß schließlich besetzten, trugen sie dem Wandlungsprozeß dieser Ständeversammlung Rechnung: Aus dem königlichen Hoftag wurde der ständisch geprägte Reichstag. Den höheren Ständen gelang es allerdings mühelos, ihren traditionellen Vorrang auch unter den neuen Bedingungen zu behaupten. Die alten Prinzipien galten weiter: Kurfürsten und Fürsten berieten und beschlossen bestimmte Maßnahmen über die sie dann die Städteboten informierten. Sie schalteten diese nur frühzeitig in den Entscheidungsprozeß ein, wenn deren Sachverstand benötigt wurde. Fühlten sich die städtischen Deputierten übervorteilt, wandten sie sich an das Reichsoberhaupt und konnten so meist das Ärgste abwehren. Die Schwierigkeiten der Städte begannen erst mit der zügigen Entwicklung zum sog. Drei-Kurien-Reichstag und der stärkeren Zurückdrängung des Kaisers am Beginn der Regierungszeit Karls V. Das Städtecorpus war nun gezwungen, eine den anderen Ständen gleichberechtigte Stellung anzustreben, wollte es verhindern, daß diese sich ständig auf seine Kosten einigten. Nach einer beinahe 15-jährigen Pause trafen sich deswegen 1522 die städtischen Delegierten und formulierten erstmals ihre Forderung nach Stand und Stimme. Da ihre Vorstellungen auf dem folgenden Nürnberger Reichstag unberücksichtigt blieben, protestierten sie gegen den Abschied und wandten sich, entsprechend dem traditionellen Modell, an den nun allerdings in Spanien weilenden Kaiser. Um ihrem Anspruch den nötigen Nachdruck zu verleihen und ihm eine kleine Realisierungschance zu geben, kleideten sie ihn in die Formel einer Zurückgewinnung des uralten Herkommens — nach wie vor der wichtigste Verfassungsgrundsatz des Alten Reiches. Das von ihnen entworfene Bild früherer Verhandlungsabläufe entsprach zwar ihren Wünschen, nicht jedoch

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der Realität. Die höheren Reichsstände boten 1524 den Kommunen an, zwei Vertreter in den Reichsfürstenrat zu entsenden, wie beispielsweise die Grafen und später auch die Prälaten, doch das Städtecorpus winkte ab und forderte die prinzipielle Gleichstellung. Es hat oft den Anschein, daß die Freien und Reichsstädte die Forderung nach einer gleichberechtigten Reichsstandschaft als wichtigen Integrationsfaktor immer dann hervorkramten, wenn sie in anderen Fragen heillos zerstritten waren oder keine anderen schwerwiegenden Probleme anstanden. Auch die großen Initiativen der Städteboten auf den Reichstagen der vierziger Jahre, die in ein gewichtiges Gutachten der beiden Juristen Dr. Hieronymus zum Lamb aus Frankfurt und Dr. Ludwig Gremp aus Straßburg mündeten, das Karl V. 1544 übergeben wurde, brachten nicht den erhofften Erfolg 57 . Der Kaiser verbriefte 1548 den Städten zwar das Recht auf Anhörung, doch nur die höheren Stände sollten darüber befinden, ob die städtischen Einwände in das ständische Votum aufgenommen würden 58 . Auf dieser Basis scheint man sich während der folgenden Reichstage verständigt zu haben. Der Mainzer Kanzler trug den Städteboten die Beratungsergebnisse der beiden höheren Kurien als „bedenken" vor und hörte die städtischen Einwände. Aus der Sicht der Städteboten verglich man sich dann eines gemeinsamen Votums. Ihre Möglichkeiten zur gestaltenden Einflußnahme waren allerdings ausgesprochen gering und nur dann erfolgreich, wenn sie in das politische Konzept der Kurfürsten und Fürsten paßten. Auf dem Speyerer Reichstag 1570 wich der neue Mainzer Kanzler Dr. Christoph Fabri von dieser bisherigen Gewohnheit ab und übermittelte den städtischen Deputierten das Beratungsergebnis der beiden höheren Kurien als „beschluß". Die Städteboten gerieten über diese Wortwahl, die der Realität ausgesprochen nahe kam 59 , in helle Empörung. Alle Städtetage der siebziger Jahre beschäftigten sich daraufhin wieder mit dem Komplex „Stand, Stimme und Session", und eine Kommission hochrangiger Juristen erstellte erneut ein gemeinsames Gutachten zum weiteren Vorgehen, bestätigte inhaltlich jedoch nur das 1544 Karl V. übergebene Libell, das alles Wesentliche enthalte und nur um die Vorgänge auf den letzten Reichstagen ergänzt werden müsse. Der neue Ratschlag zeigt letztlich nur die Ohnmacht der Kommunen. Die vier Juristen begründen darin ausführlich, warum die Freien und Reichsstädte die in der Entscheidung Karls V. enthaltene Möglichkeit "Vgl. SCHMIDT, wie Anm. 7, S. 247-287; DERS., Städtecorpus und Grafenvereine. Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit kleinerer Reichsstände zwischen dem Wormser und dem Speyerer R e i c h s t a g 1521 b i s 1526, i n : Z H F 10 (1983), S. 4 1 - 7 1 ; E . ISENMANN, Z u r F r a g e d e r R e i c h s s t a n d s c h a f t

der Frei- und Reichsstädte, in: F. QUARTHAL/W. SETZLER (Hgg.), Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. FS für Eberhard Naujoks, Sigmaringen 1980, S. 91-110. Bereits SCHUBERT hat, ältere Auffassungen korrigierend, darauf verwiesen, daß das bürgerliche Element auf dem Reichstag deutlich hinter dem fürstlichen zurückstand. F.H. SCHUBERT, Der deutsche Reichstag in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966, S. 83. 58 H. GERBER, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Städte um Stand, Stimme und Session, in: ElsLothJb 9 (1930), S. 168-208, hier bes. S. 201ff.; ISENMANN, wie Anm. 8, S. 162f. 59 Vgl. dazu die Angaben des wohl 1577 in der Mainzer Kanzlei entstandenen Gutachtens zum Verhandlungsgang auf den Reichstagen: Danach wurden die Städte über die Beratungen der Kurfürsten und der Fürsten informiert und konnten ihre Bedenken vortragen. „Doch ist im Reich wenig gehört, daß die Stät, ob sie wol ein ander Bedencken haben, der zweyen andern Räht Bedencken disputiren, sondern lassens gemeinlich dabey bleiben." K. RAUCH (Hg.), Traktat über den Reichstag im 16. Jahrhundert. Eine offiziöse Darstellung aus der Kurmainzischen Kanzlei, Weimar 1905, S. 87.

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eines rechtlichen Austrags über die gleichberechtigte Mitwirkung an den Reichstagsverhandlungen nicht genutzt hätten: Die Fürsten sollten nicht verärgert bzw. provoziert werden, denn was dies bedeute, sei den Kommunen nur zu gut bekannt. Zudem müsse ein derart langwieriger Rechtsstreit die städtischen Finanzen immens belasten und dessen Ausgang sei sehr ungewiß. Auch — und dies sollte nur gegenüber den höheren Ständen als Argument benutzt werden — stärke ein solches Rechtsverfahren zwangsläufig die kaiserliche Position auf dem Reichstag. Die Juristen plädierten deshalb für direkte Verhandlungen mit den befreundeten Fürsten und für eine kräftige „Verehrung" an den neuen Mainzer Kanzler, damit dieser zum alten Usus zurückkehre. Die Städte müßten mit allen Mitteln versuchen, wenigstens dieses Herkommen zu behaupten, denn sonst gerieten sie zwangsläufig unter das ,joch" der Fürsten. Sollte dies auf gütlichem Wege nicht zu erreichen sein, dürfe ein Rechtsstreit nicht länger grundsätzlich ausgeschlossen werden. Er solle dann aber nicht am kaiserlichen Hofrat, dessen Beisitzer den höheren Ständen „geneigt" seien, sondern am Kammergericht in Speyer geführt werden, weil die dortigen Assessoren auf das „recht" vereidigt seien 60 . Das anvisierte Ziel, das „votum decisivum", konnten die Freien und Reichsstädte unter den Verfassungsbedingungen des Alten Reiches nie realisieren. Ein Rechtsverfahren wurde nie anhängig gemacht, und auch das auf dem Augsburger Reichstag 1582 beschlossene Junktim zwischen Türkenhilfe und gleichberechtigtem städtischem Votum ließ sich nicht durchhalten 61 . Das „votum decisivum" wurde den Freien und Reichsstädten im Westfälischen Friedensvertrag zwar formal zugestanden, faktisch blieb jedoch alles beim alten 62. Im Zusammenspiel mit dem Reichsoberhaupt gelang es den Freien und Reichsstädten allerdings hin und wieder, die gröbsten Mißverhältnisse zu korrigieren. Überhaupt zeigte sich, daß das Städtecorpus dort am wirkungsvollsten agierte, wo die Wirtschaftsinteressen seiner Bürger unmittelbar tangiert waren. So konnte das Projekt eines Reichszolls zur Finanzierung des Regiments und des Kammergerichts Anfang der zwanziger Jahre abgewehrt werden. Dabei wurde allerdings deutlich, daß ihre Vorstellungen nur dann erfolgreich waren, wenn sie vom Reichsoberhaupt und/oder einer gewissen Anzahl höherer Stände geteilt wurden. In der Frage der Limitierung der Handelsgesellschaften blieben die Städte dagegen gespalten: Augsburg lehnte Beschränkungen der Kapitalsumme, der Niederlassungen oder der Angestellten kategorisch ab. Ein Eklat, d.h. der Ausschluß dieser Kommune aus dem Städtecorpus, konnte 1524 gerade noch vermieden werden. Während die Städte allen Eingriffen des Reichstages in die Wirtschaft mit Ausnahme der Antimonopolgesetzgebung skeptisch gegenüberstanden, suchten sie die Landfriedensregelungen auszubauen und vor allem die Exekution der Urteile zu verbessern. Gleiches gilt für alle Ordnungen, die zu reichs- oder wenigstens kreisweit einheitlichen Regelungen führten und somit den städtischen Handel erleichterten. Die Städteboten diskutierten daher häufig Probleme der Münz- oder Polizeiordnungen und forderten stets, daß diese nicht nur von den Reichstagen verkündet, ^ D a s Gutachten der städtischen Juristen: StadtA Frankfurt, Reichssachen II, Nr. 1246. Die Städtetagsbzw. Städtedeputationstagsabschiede: Ebd., Nr. 1238 und 1249. 61

REUTER, w i e A n m . 33.

62

Vgl. K. MÜLLER (Bearb.), Instrumenta Paris Westphalicae (Quellen zur neueren Geschichte 12/13), Bern 1949, Art. VIII, §4, S. 48f. ISENMANN, wie Anm. 8, S. 175ff.; BUCHSTAB, wie Anm. 8, S. 127-148. Zur weiteren Entwicklung: A. LAUFS, Die Reichsstädte auf dem Regensburger Reichstag 1653/1654, in: ZSSD 1 (1974), S. 23-48.

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sondern auch in den Territorien beachtet werden müßten. Insbesondere die Einschränkung der Zunftautonomie sowie die Zurückdrängung der Handwerkerbruderschaften und Gesellenverbände lag den reichsstädtischen Magistraten am Herzen. Freilich scheiterte der Vollzug aller diesbezüglichen Regelungen an der Angst der städtischen Führungsgruppen vor einem möglichen Aufstand und — insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte — vor der Abwanderung ganzer Gewerbezweige in landsässige Kommunen, die inzwischen zur ernsthaften Konkurrenz herangewachsen waren. Nun zeigte sich, daß Absprachen unter den Freien und Reichsstädten alleine nicht mehr ausreichten, um bestimmte Wirtschaftsprobleme zu lösen — man war auf die Kooperation mit den Fürsten angewiesen. Der Ordnungsgesetzgebung des Reiches standen die Städte somit zwiespältig gegenüber: Sie förderten lediglich Maßnahmen, die ihren Handelsinteressen dienlich schienen und die die Position des städtischen Rates als Obrigkeit stärkten 63 . Die Politik des Städtecorpus war wie die aller Gruppen im Reichsverfassungssystem ausschließlich am eigenen Vorteil orientiert, wobei dieser allerdings zwischen den Interessen der größeren und denjenigen der kleineren Kommunen immer wieder neu definiert werden mußte.

III.

Die Geschichte der Freien und Reichsstädte und erst recht diejenige ihrer Korporation ist stets zugleich die Geschichte von Kaiser und Reich. In weit höherem Maß als ihre fürstlichen Gegenspieler blieben die kleinen Reichsstände auf den Schutz des Reichsoberhauptes angewiesen. Hätten ihre Führungsgruppen wirklich bloße Kirchturmpolitik betrieben oder sich in „negativem Reichsbewußtsein" erschöpft 64 , die relative Autonomie der Reichsstädte wäre schnell zu Ende gegangen. Die ständigen Konflikte mit den anderen Reichsständen, die Suche nach Nischen und die Regelung eines friedlichen Nebeneinanders gehörten zu den täglichen Aufgaben aller verantwortlichen reichsstädtischen Politiker. Der friedliche Ausgleich mit den mächtigen Nachbarn stellte dabei an die Magistrate der Kommunen große diplomatische Anforderungen 65 . Daß die Freien und Reichsstädte den Territorialisierungsprozeß äußerlich unbeschadet überstanden, scheint auf den ersten Blick verwunderlich : Bei genauerem Hinsehen zeigen sich die vielfältigen Verpflichtungen, Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen, die die theoretische Gleichrangigkeit aller reichsunmittelbaren Stände als bloße Illusion entlarven.

63

G. SCHMIDT, „Frühkapitalismus" und Zunftwesen. Monopolbestrebungen und Selbstverwaltung in der frühneuzeitlichen Wirtschaft, in: B. KIRCHGÄSSNER/E. NAUJOKS (Hgg.), Stadt und wirtschaftliche Selbstverwaltung, Sigmaringen 1987, S. 77-114. M K.S. BADER, Der deutsche Südwesten in seiner territorialstaatlichen Entwicklung, Sigmaringen 21978, bes. S. 150f. 65 Diese Konsolidierungspolitik der städtischen Magistrate weckte bei den Historikern meist negative Assoziationen. Ritter sprach beispielsweise von einem „Stilleben", das er als Zeichen „des Erlöschens des schöpferischen Lebens und des kräftigen Gemeingeistes" gewertet sehen will. RITTER, wie Anm. 46, S. 53.

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Die drei Regionen mit dem höchsten reichsstädtischen Anteil — Schwaben, Franken und das Gebiet längs des Rheinstromes — sind die traditionellen Königslandschaften, in denen die territoriale Verdichtung des späten Mittelalters wegen fortbestehender Eingriffsrechte des Reichsoberhauptes nur ansatzweise wirksam werden konnte. Der permanente Wechsel der Königsdynastie — Luxemburger, Wittelsbacher und Habsburger — erwies sich zudem als Vorteil für die noch selbständigen Kommunen: In der vergleichsweise kurzen Regierungszeit war die benachbarte Königslandschaft dem eigenen Territorium nicht einzugliedern Diese Verhältnisse wirkten bis zum Ende des Alten Reiches, obwohl sich spätestens mit der Wahl Karls V. die Habsburger durchgesetzt hatten. In der frühen Neuzeit war daher vor allem die Position der schwäbischen Reichsstädte bedroht. Sofern sie nicht zur Württemberger oder bayerischen Klientel gehörten, gerieten sie zwar in eine mehr oder weniger deutliche Abhängigkeit vom Haus Habsburg, doch die Karl V. aufgenötigte Wahlkapitulation, die den territorialen Status quo garantierte, blockierte etwaige Annexionspläne. Die Verhältnisse waren für die habsburgische Klientelbildung in Schwaben dennoch besonders günstig: Lediglich vom Rand her konnten die Eidgenossenschaft, Bayern oder Württemberg eigene Ansprüche geltend machen. Das Haus Osterreich dominierte die kleineren Reichsstände Innerschwabens eindeutig: Als Inhaber der schwäbischen Landvogtei mit allen davon abgeleiteten Gerichts-, Zoll- und Geleitsrechten, als wichtigster Lehensherr und als mächtiger territorialer Nachbar in Tirol, Vorarlberg und insbesondere in den vorderösterreichischen Landen 67 . Aus diesem feingeknüpften Netz von direkten Machtpositionen und informeller Kontrolle gab es für diese Reichsstädte kein Entrinnen. Auch ohne den „staatsrechtlichen" Anschluß müssen die schwäbischen Reichsstädte stets in Verbindung mit dem Haus Habsburg gesehen und gewürdigt werden. Die, wenn man so will, einzige gravierende Abweichung gestatteten sich einige von ihnen mit der Einführung der Reformation. Sie achteten allerdings peinlich genau darauf, daß trotz ihrer Religionsentscheidung das Verhältnis zum Haus Österreich intakt blieb. Dennoch hat König Ferdinand das evangelische Bekenntnis in diesem Raum nur geduldet, weil die politische Gesamtkonstellation eine Bereinigung der Religionsfrage nicht zuließ 68 . Ansonsten gehörten die schwäbischen Reichsstädte mit Augsburg an der Spitze jedoch weiterhin zu den entschieden habsburgischen Parteigängern im Reich. Was die Lechstadt für die habsburgischen Kaiser bedeutete, waren im späten Mittelalter Nürnberg als Mittelpunkt der fränkischen für die Luxemburger und Frankfurt als „Haupt" der rheinischen Freien und Reichsstädte für die Wittelsbacher gewesen: Kultur-, Kredit-, Wirtschafts- und Informationszentren. ^Vgl. P. MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Berlin 1985. 67 Vgl. H.E. FEINE, Die Territorialbildung der Habsburger im deutschen Südwesten vornehmlich im späten Mittelalter, in: Z R G G 67 (1950), S. 176-308; V. PRESS, Schwaben zwischen Bayern, Österreich und dem Reich 1486-1806, in: P. FRIED (Hg.), Probleme der Integration Ostschwabens in den bayerischen Staat, Sigmaringen 1982, S. 17-78; F. METZ (Hg.), Vorderösterreich. Eine geschichtliche Landeskunde, Freiburg 2 1967; BADER, wie Anm. 33; H.-G. HOFACKER, Die schwäbischen Reichslandvogteien im späten Mittelalter, Stuttgart 1980; H. MAIER/V. PRESS (Hgg.), Vorderösterreich in der frühen Neuzeit, Sigmaringen 1989. 68 B. MOELLER, Reichsstadt und Reformation, Gütersloh 1962. Zum Forschungsgebiet Stadt und Reformation siehe die beiden Forschungsüberblicke: H.-C. RUBLACK, in: B. MOELLER (Hg.), Stadt und Kirche, Gütersloh 1978, S. 9-26; K. v. GREYERZ, in: ARG 76 (1985), S. 6-63. Vgl. auch SCHMIDT, wie Anm. 7; G. SCHMIDT, Die Freien und Reichsstädte im Schmalkaldischen Bund, in: V. PRESS/D. STIEVERMANN (Hgg.), Martin Luther. Probleme seiner Zeit, Stuttgart 1986, S. 177-218.

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Wie das Reichsoberhaupt suchten auch die anderen mächtigen Territorialherren ihre Herrschaftsgrundlagen durch die Eingliederung, wenigstens aber die Zuordnung kleinerer Stände zu arrondieren. Während im Norden, Osten und Südosten des Reiches im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit bisher selbständige Herrschaftspositionen der Städte, des Adels oder der Kirche nach und nach in die großen Territorialherrschaften integriert wurden, war dies im Südwesten, in Franken oder in der Wetterau wegen fortbestehender kaiserlicher Eingriffsrechte und vor allem wegen der Konkurrenz verschiedener Herrschaftszentren so nicht möglich. Zwar konnten auch hier weite Teile des Adels der Landesherrschaft unterworfen werden, doch die Mediatisierung von Grafen und Reichsstädten war nur noch gegen das Reichsrecht möglich und blieb keineswegs immer folgenlos, wie Herzog Ulrich von Württemberg erfahren mußte, als er in Reutlingen einmarschierte und die Stadt kurzerhand seinem Fürstentum angliederte 69 . Doch die Territorialherren verfügten auch ohne die Annexion der mindermächtigen Stände über genügend Möglichkeiten, um diesen ihre Ziele zu verdeutlichen und sie zum Nachgeben zu zwingen: Die Sperrung des eigenen Wirtschaftsraumes gegenüber dem reichsstädtischen Handel, die extensive Auslegung von Zoll- und Geleitsprivilegien oder gar eine Wirtschaftsblockade ließen die Freien und Reichsstädte schnell einlenken 70 . Zur Sicherung ihrer relativen Selbständigkeit benötigten sie die intensive Kooperation, nicht die Konfrontation mit den benachbarten Fürsten. Bereits im 15. Jahrhundert schlossen die meisten Kommunen daher sog. „Schutzund Schirmverträge" mit den Territorialherren, aber auch mit Grafen und sogar mit Rittern. Gegen einen festen jährlichen Geldbetrag erkauften sie sich nicht etwa militärischen Schutz, sondern lediglich ein „Stillhalten" der Nachbarn. Hatten sich die Freien und Reichsstädte im 15. Jahrhundert noch bemüht, den Feind des eigenen Feindes als Koalitionspartner zu gewinnen, so nahmen im 16. Jahrhundert durchweg benachbarte Fürsten die Position des Schutzherrn ein: Man hatte sich endgültig arrangiert, zumal auch die Fürsten einsehen mußten, daß ihre Landstädte die Freien und Reichsstädte als Kredit-, Handels- und Kommunikationszentren vorerst nicht zu ersetzen vermochten 71 . Darüber konnten auch einige erfolgreiche landesherrliche Gegengründungen nicht hinwegtäuschen. Ebenso scheiterte der Versuch, die eigenen städtischen Mittelzentren auf Kosten der Reichsstädte zu fordern, an den zu geringen finanziellen Möglichkeiten der dortigen Kaufleute, aber auch an den zu starren landesherrlichen Reglementierungen. Wenn der Württemberger Bauer in Böblingen, Tübingen oder in Urach keinen Kredit auf die bevorstehende Ernte bekam, wandte er sich trotz aller landesherrlichen Verbote an die reichen Händler in Esslingen oder Reutlingen. Die innerhalb oder in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Territorialstaates gelegenen Reichsstädte boten einen

69

H. ULMANN, Fünf Jahre württembergische Geschichte unter Herzog Ulrich, Leipzig 1867, S. 125ff., H. LUTZ, Conrad Peutinger, Augsburg (1958), S. 145ff.; V. PRESS, Der Kaiser und Württemberg im 16. Jahrhundert, in: Protokoll der 51. Sitzung (1978) des Arbeitskreises für Landes- und Heimatgeschichte im Verband der württembergischen Geschichts- und Altertumsvereine, S. 14-36, hier S. 21f. 70 Vgl. beispielsweise die Konflikte zwischen Esslingen und Württemberg: E. NAUJOKS, Reichsfreiheit und Wirtschaftsrivalität. Eine Studie zur Auseinandersetzung Esslingens mit Württemberg im 16. Jahrhundert, in: ZWürttLG 16 (1957), S. 279-302; G. SCHMIDT, Reichsstadt und Territorialstaat. Esslingen, Württemberg und das Städtecorpus um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Esslinger Studien 21 (1982), S. 71-104. "SCHMIDT, w i e A n m . 7, S. 182ff.

Städtetag, Städtehanse und Reichsverfassung

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gewissen Freiraum und erfüllten somit auch eine Art Ventilfunktion sowohl für die landesherrlichen Untertanen als auch für die Fürsten selber: Hier waren — zumal von „Fremden" — Dinge möglich und erlaubt, die in den zentral gelenkten Territorialstaaten die Obrigkeiten auf den Plan gerufen hätten. Dieser kulturelle, religiöse und wirtschaftliche „Freiraum" durfte aber für den Territorialstaat zu keiner Gefahr werden. Die städtischen Magistrate hatten jedoch ihre Lektionen gelernt und wußten, daß ihr Handlungsspielraum eng begrenzt war und sie sich keinesfalls gegen die Intentionen und vorrangigen Zielsetzungen des fürstlichen Hegemonen wenden durften. Am besten war es, wenn sie dessen Vorstellungen zu ihren eigenen machten und sie dort komplementierten, wo den großen Landesherrschaften die Hände gebunden waren, zum Beispiel beim jüdischen Kleinhandel und Kleinkredit oder bei der Bereitstellung des fürstlichen Luxusbedarfes. Es ließe sich nun im einzelnen nachweisen, wie und warum die Freien und Reichsstädte im Sog der großen Herrschaftszentren des Reiches blieben und sich in deren Konstellationsraum einordnen mußten, auch wie um bestimmte städtische Positionen zwischen den Großen gerungen wurde. Das Ergebnis war nahezu überall gleich. Die jeweilige Stadt hatte entsprechend ihrer eigenen Bedeutung mit kleinerem oder größerem Spielraum darauf zu achten, daß ihre Politik nicht zu sehr von den vorgegebenen Rahmenbedingungen des regionalen Hegemonen abwich. Sie mußte aber gleichzeitig auch auf das Reichsoberhaupt Rücksicht nehmen, um dessen Unterstützung im ständigen Kampf um den Grad der verbliebenen Selbständigkeit nicht zu verlieren. Die Kunst reichsstädtischer Politik bestand darin, die richtige Balance zwischen Einordnung in den regionalen Konstellationsraum und der Unterstützung des Reichsoberhauptes zu finden und zu bewahren. Den Reichsstädten gelang es besser oder schlechter, sich im Schatten der Territorialstaaten einzurichten, doch außer den an Frankreich verlorengehenden Kommunen an der westlichen Peripherie des Reiches, wurden in der frühen Neuzeit nur noch Konstanz und Donauwörth dauerhaft mediatisiert — ein überzeugenderes Argument für das Geschick reichsstädtischer Diplomatie läßt sich kaum denken. Die Einteilung des Reiches in Klientelverbände und Konstellationsräume 72 wurde im übrigen mit der Etablierung der Reichskreise reichsrechtlich sanktioniert und zementiert. Das Reich war überschaubarer geworden. Die Freien und Reichsstädte gehörten zu recht unterschiedlichen Kristallisationszentren der Reichspolitik: zum Haus Habsburg, zu Württemberg, zu Bayern, zur Kurpfalz, zu Hessen und anderen Hegemonialsystemen mehr. Neben diesen regionalen Untergliederungen blieb allerdings auch die auf der Lehenspyramide beruhende, ältere, ständische Struktur des Reiches erhalten. Um die gemeinsamen Interessen aller vom und für das Reich zu mobilisierenden Kommunen zu vertreten und einzelne bedrängte Mitglieder wirkungsvoll unterstützen zu können, behielt daher das Städtecorpus seine Funktion als ständisch begrenztes Subsystem der Reichsverfassung — analog zum Kurfürstentag oder den Korrespondenztagen der Reichsritterschaft. Wichtig war, daß sich die Freien und Reichsstädte unabhängig vom Reichstag gemacht hatten, um Lösungsmöglichkeiten für ihre spezifischen Anliegen zu erörtern. Die separaten Versammlungen wurden vom Kaiser und den 72

Zur Gliederung des Reiches in Hegemonialzonen : P. MORAW, Franken als königsnahe Landschaft im späten Mittelalter, in: BllDtLG 112 (1976), S. 123-138; DERS., Hessen und das deutsche Königtum im späten Mittelalter, in: HessJb 26 (1976), S. 43-95, hier bes. S. 90ff.

60

Georg Schmidt

anderen Ständen anerkannt: Sie schickten hin und wieder ihre Delegierten zu den Städtetagen, weil sie damit die Vertreter bzw. Beauftragten sämtlicher Freien und Reichsstädte an einem Punkt erreichten. Die Bildung des Städtecorpus gehört wie diejenige des Reichstags, des Kammergerichts, der Reichskreise oder die Durchsetzung des ewigen Landfriedens zum Prozeß des Zusammenwachsens, der Verdichtung des Reichsverbandes 73 . Daneben bildete der korporative Verbund auch eine Art Ersatz für die fehlende Territorialstaatlichkeit der Freien und Reichsstädte, um den auf der Territorialisierung basierenden Verfassungsstrukturen des Reiches Genüge zu tun. Die Freien und Reichsstädte traten jedoch nur solche Rechte an die Korporation ab, die ihre eigene Handlungsfreiheit nicht einengten und vor allem ihren verfassungsrechtlichen Status nicht tangierten. Das Corpus sollte die eigene relative Selbständigkeit und Unabhängigkeit schützen und diese nicht in eine wie auch immer geartete Föderation überführen. Die geringe politische Dichte der Korporation half zwar bei deren Bestandserhaltung — strittige Fragen wie die Einführung der Reformation wurden einfach ausgeklammert —, doch der Verbund erwies sich letztlich als zu schwach, um die vorhandenen Ressourcen an den jeweiligen Brennpunkten zu konzentrieren. Dies aber wäre nötig gewesen, um zu einem eigenständigen Hegemonialsystem der Reichsverfassung, wie es beispielsweise der kurpfälzische oder der sächsische Klientelverband war, aufzusteigen. Selbst so bedeutende Kommunen wie Nürnberg oder Ulm, die zudem über ein beträchtliches Landgebiet verfügten, gelang es nicht, sich völlig aus den regionalen Hegemonialverhältnissen zu lösen: Sie waren wichtige Partner der dominierenden Fürsten, nicht aber Zentren überständischer Konstellationsräume. Im Bereich der Städtehanse, die für das petrifizierte System der frühneuzeitlichen Reichsverfassung praktisch nicht existierte, konnten sich dagegen nur ganz wenige Kommunen der Ein- und Unterordnung in den fürstlichen Territorialverband entziehen. Das Manko der Hanse als einem Verbund von Reichs- und Landesstädten, der nicht den Status einer Reichskorporation erreicht hatte und weder auf den Reichstagen noch — wie die Reichsritterschaften — in der Reichspolitik direkt präsent war, machte sich in allen Konflikten um die kommunalen Freiheiten bemerkbar: Weder Lübeck noch ein anderes Hansemitglied, das zum Städtecorpus gehörte, konnte zugunsten der bedrängten Kommunen in den Gremien des Reiches agieren. Hatte das Vertretungsmonopol der nominellen Landesherren im späten Mittelalter, als das Reich als Handlungssystem die Belange der Hansestädte kaum tangierte, praktisch keine Rolle gespielt, ja war von den betroffenen städtischen Räten zur Abwehr aller möglichen Verpflichtungen geradezu gesucht worden, so wurden die daraus resultierenden Konsequenzen in der frühen Neuzeit doch entscheidend: Reichsrechtlich gesehen waren die gegen die fürstlichen Vereinheitlichungsbestrebungen opponierenden Hansestädte lediglich hoch privilegierte Mediatstädte, gegenüber denen der Landesherr — im Rahmen der bestehenden Verträge und des alten Herkommens — seine Zielvorstellungen durchsetzen durfte. Damit enden aber auch schon die Unterschiede zu den Freien und Reichsstädten. In der täglichen Praxis kam es 73

Zur neuerlichen Kontroverse um Begriff und Inhalt der „Reichsreform" : H. ANGERMEIER, Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984; P. MORAW, Fürstentum, Königtum und „Reichsreform" im deutschen Spätmittelalter, in: B U D t L G 1 2 2 ( 1 9 8 6 ) , S. 1 1 7 - 1 3 6 .

Städtetag, Städtehanse und Reichsverfassung

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für alle Kommunen darauf an, die Fürsten nicht zu provozieren, ihr Wohlwollen zu bewahren und ihren politischen, oft aber auch ihren wirtschaftlichen Vorstellungen möglichst zu entsprechen. Ein Konfrontationskurs endete normalerweise mit der Niederlage des städtischen Magistrats, der schließlich doch das tatsächliche Machtgefalle anerkennen und sich als Reichsstadt den fürstlichen Zielvorstellungen beugen, als Landstadt diesen unterwerfen mußte. Zusammenfassend ist zu betonen, daß auch die Einbindung der Freien und Reichsstädte in das Reichsverfassungssystem keineswegs alleine über deren Status als reichsunmittelbare Stände, ihre direkte Vertretung auf den Reichstagen oder ihre bilateralen Beziehungen zum Kaiser und den Reichsinstitutionen erfolgte. Die Verhältnisse waren komplizierter, zugleich aber — sieht man das Reich als Ganzes — auch wesentlich einfacher. Der reichsunmittelbare Status war in der frühen Neuzeit eine Voraussetzung Für die durch den eigenen korporativen Verbund, die regionalen Führungszentren und nicht zuletzt den Kaiser erfolgte Einbindung in die größeren Zusammenhänge der Reichsverfassung. Diese drei Ebenen liefen allerdings nur selten parallel und ließen sich auch nur in wenigen Fällen spannungs- und konfliktfrei miteinander verbinden. Die große Kunst reichsstädtischer Politik bestand darin, keines dieser Netze zu zerreißen und sich vor allem nicht darin zu verheddern. Daß die Freien und Reichsstädte diese komplizierte Aufgabe recht ordentlich gelöst haben, beweist wiederum die Fortdauer ihrer — wenn auch eingeschränkten — Selbständigkeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.

BEMERKUNGEN

ZUR

DES H A N S I S C H E N von F r i e d r i c h

FÜHRUNGSGRUPPE

VERBANDES Bernward

1560 -

1576*

Fahlbusch

I.

Die Chronik des 1587 in Lübeck zum Ratsherrn, 1589 zum Bürgermeister gewählten Gotthardt von Hoeveln 1 führt zum Jahre 1562 aus: „Uth dersulvigen Orsake [nämlich den Unruhen in Bremen, die zum Auszug eines Teiles des Rates geführt hatten, und die sofort den Hansetag beschäftigten] 2 hefft Hertich Hinrick van Brunswich einen Kreißdach tho Luneborch den ersten Juni verschreven ...De Heren van Lübeck hedden dar ock alse Lidtmate des Creises hengesant Her Joachim Knepell, Radtmann 3 , und M. Sebastianum Ersam, Protonotarium 4 ; averst de Heren der Hense hebben intsunderige dar eine Legation van Lübeck uth sick an de Kreißheren gesant, einen Borgermester van Lübeck, van Hamborch usw." 5 . Es ist im vorliegenden Zusammenhang belanglos, daß der Chronist etwas ungenau berichtet. Zum Kreistag nach Lüneburg hatte die hansische Versammlung nach •Mskr.-Abschluß: Januar 1989; Schrifttum wurde in Auswahl nachgetragen. 'E.F. FEHLING, Lübeckische Ratslinie von den Anlangen der Stadt bis auf die Gegenwart, (ND 1978) Lübeck 1925, S. 109, Nr. 696. J. ASCH, Gotthardt von Hoeveln, in: NDB, Bd. 9, 1972, S. 373. 2 Zu Bremen: H. SCHWARZWÄLDER, Geschichte der freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen 1975, S. 231ff., bes. S. 241-251. W. JANSSEN, „Zur befurderung der Stadt besten". Zwei Schreiben an den Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg im Zusammenhang mit den „Hardenbergschen Unruhen", in: BremJb 66 (1988), S. 157-163. Am 4. Januar 1563 wurde die Verhansung ausgesprochen: Kölner Inventar, Bd. 1: 1531-1571, bearb. v. K. HÖHLBAUM unter Mitw. v. H. KEUSSEN (Inventare Hansischer Archive des 16. Jahrhunderts 1: Köln), Leipzig 1896, Nr. 2157. 3

4

FFEHLING, w i e A n m . 1, S. 105, N r . 6 6 9 .

Bereits 1542 hatte Ersam neben Claus Bardewick und Hauptmann Claus Hermeling Lübeck auf dem Kreistag vertreten. A. NEUKIRCH, Der Niedersächsische Kreis und die Kreisverfassung bis 1542 (Quellen und Darstellungen aus der Geschichte des Reformationsjahrhunderts 10), Leipzig 1909, Beilage II (Kreisabschied zu Helmstedt zu 1542 Juni 2). F. BRUNS, Die Lübecker Syndiker und Ratssekretäre bis zur Verfassungsänderung von 1851, in: ZVLübG 29 (1938), S. 91-168, hier S. 139: Ersam war Schwiegersohn von Thomas Wickede. 5 Gotthart V. von Hövel Chronik ... [von A. FAHNE] (Die Herren und Freiherren von Hövel... 3), Cöln 1856-1860, S. 26. Die Abschnitte dieser Chronik bis 1565 dürften auf hinterlassenen Aufzeichnungen von Reimar Kock beruhen. SCHWARZWÄLDER, wie Anm. 2, S. 245f. Zum Kreistag im Überblick: W. DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise in der Verfassung des alten Reiches und ihr Eigenleben (1500-1806), Darmstadt 1989, S. 314f.

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Friedrich Bernward Fahlbusch

schneller Beratung aus ihren Reihen den Syndikus Dr. Heinrich Sudermann sowie den aus Elbing gebürtigen Danziger Bürgermeister Dr. Georg Kiefeld und den Braunschweiger Syndikus Dietrich Prusse abgefertigt. Nachdem seitens des Kreises Einverständnis mit einem hansischen Vorgehen gegen Bremen zugesichert worden war, wenn auch unter dem Vorbehalt, sich gleichfalls selber um die Angelegenheit kümmern zu wollen, reiste eine hansische Delegation nach Bremen, die sich so zusammensetzte, wie es Gotthardt von Hoeveln berichtet 6 . Geführt wurde sie von Anton Lüdinghausen und Dr. Hermann von Vechelde, dieser Lübecker Syndikus, jener lübischer Bürgermeister7. Schimmert hier einerseits die führende Funktion des 'caput omnium' als „gemeiner Anße verordnete Hauptstatt" 8 auf, so ist andererseits vor allem die scharfe Trennung zwischen der Travestadt als städtischem Gemeinwesen, repräsentiert durch die Herren von Lübeck, und dem hansischen Verband, vertreten durch die Herren der Hanse, zu betonen. Diesen Herren der Hanse als der Führungsgruppe des Verbandes gelten die nachstehenden Ausführungen. Der Untersuchungszeitraum wurde einmal aufgrund seiner dichten Folge zumeist gut besuchter hansischer Tagfahrten (1562, 1564, 1566, 1567, 1572, 1576) gewählt, zum anderen bot er sich an, weil der 1554/57 reorganisierte hansische Verband vor dem Hintergrund eines konjunkturellen Hochs und kriegerischer Verwicklungen im Westen und Osten seine unveränderte Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen mußte, zum dritten weil die Endzeit der Hanse in den allgemeinen Darstellungen üblicherweise recht wenig Beachtung findet9. Selten wohl waren hansisches Denken und Handeln im Ostseebereich so konträr, während gleichzeitig wohl selten eine so große Einmütigkeit der Hansen in der Politik gegenüber den westlichen Nachbarn festzustellen ist. 6

7

Neben den Lübeckern Anton Lüdinghausen und Dr. Hermann von Vechelde bestand die Gesandtschaft aus den Kölner, Magdeburger, Danziger und Braunschweiger Hansetagsdelegierten sowie ferner dem Hamburger Bürgermeister Albrecht Hackemann, den Hamburger Ratmannen Hermann Wetken und Nikolaus Vogeler und wurde vervollständigt durch den Lüneburger Ratsherrn Dirk Döring und den Protonotar Valentin Guede: Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 64*, S. 503-505 zu 1562 Mai 27 bis Juli 8. Zu Dr. Georg Kiefeld (f 1576), auf den hier nicht näher eingegangen werden kann: Iii. HIRSCH, Herr George Klefelt und seine Zeit, in : Neue Preuszische Provinzialblätter 36 (1846). P. SIMSON, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 2, Danzig 1918, S. 215f. G. LÖSCHIN, Die Bürgermeister, Ratsherren und Schoppen des Danziger Freistaates..., (ND als Sonderschriften des Vereins fur Familienforschung in Ost- und Westpreußen Nr. 29, 1974), Danzig 1868, S. 33. Auf dem Kreistag war auch ein Vertreter Goslars anwesend, der Ratmann Johann Recke, der für die Harzstadt 1557 zum letzten Mal an einem Hansetag teilgenommen hatte: C. RÖMER, Goslar im Niedersächsischen Reichskreis 1531-1797, in: HarzZ 28 (1976), S. 25-41, hier S. 32; Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 36*, S. 433.

FEHLING, wie Anm. 1, S. 103f., Nr. 664. Zu von Vechelde sieh unten S. 74-76. Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 64*, S. 503-508 (Recess des Tages 1562). Danziger Inventar: 1531-1591, bearb. v. P. SIMSON (Inventare hansischer Archive des sechzehnten Jahrhunderts 3: Danzig), München/Leipzig 1913, Nr. 4099, 4101. 8 Zitat aus einem Schreiben Kölns an Münster; Abschrift im StadtA Warendorf A 81 fol. 61f. zu 1552 Mai 10, erwähnt in Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Nr. 681. H. STOOB, Lübeck als 'caput omnium' in der Hanse, in: BUDtLG 121 (1985), S. 157-168. 'Allgemein zur Hansegeschichte 1560-1576 etwa F.W. BARTHOLD, Geschichte der deutschen Hansa, 3 Theile, Leipzig 1862, T. 3, Kap. 6, S. 451-476. PH. DOLLINGER, Die Hanse, Stuttgart 4 1989, S. 426ff.; es ist typisch für die Situation der Hanseforschung, daß sich Dollingers Aussagen über den Hansekaufmann zuvörderst auf das 14./15. Jahrhundert beziehen. Zur Konjunktur vgl. etwa die Angaben bei H. DE BUHR, Konjunktur und beginnender Niedergang einer Hafenstadt. Emden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: See- und Flußhäfen vom Hochmittelalter bis zur Industrialisierung, hg. v. H. STOOB (StF A 24), Köln/Wien 1986, S. 161-174; H.-F. SCHÜTT, Flensburgs Privilegien und Schiffahrtskonjunkturen, in: BremJb 66 (1988), S. 183-208, hier S. 193ff.

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

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Im Mittelpunkt steht nun derjenige Personenkreis der hansischen Welt, dem es zur Zeit des sogenannten Dreikronenkrieges10 oblag, die Geschicke des Verbandes maßgeblich zu bestimmen. Diese Gruppe setzte sich durchweg aus führenden Vertretern der hansestädtischen Räte und Verwaltungen zusammen. Die Ereignisse dieser sechzehn Jahre führten nicht nur in der Hanse zu einer gesteigerten Beratungstätigkeit, sondern auch auf allen anderen politischen Bühnen; sie können aufgrund der disparaten Quellenlage hier nur teilweise einbezogen werden. Weist man auf die eskalierenden Verhältnisse in Livland hin, auf den siebenjährigen Nordischen Krieg oder auf die Errichtung der neuen Niederlassung in Antwerpen und den Beginn des Niederländischen Aufstandes, so kommt der Frage, wer die hansischen bzw. allgemeiner die städtischen Außenbeziehungen11 wahrnahm, besondere Bedeutung zu. In einem ersten Schritt ist die politische Lage im hansischen Wirtschaftsraum zu umschreiben, um nachfolgend einige Vertreter der hansischen Führungsgruppe zu charakterisieren. Das dann gewonnene prosopographische Material bietet eine Grundlage, auf der der Frage nach der Führungsgruppe des Verbandes im Sinne einer politischen Elite näher nachgegangen werden kann, um Antwort darauf zu geben, nach welchen Kriterien diese Elite zu beschreiben ist. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei die Beobachtung, daß die Gruppe der Hansetagsteilnehmer über längere Zeiträume große personelle Konstanz bzw. Identität aufweist. So sandte der Münsterer Rat zum Beispiel zu den fünfundzwanzig zwischen 1549 und 1572 stattfindenden gesamthansischen und kölnischen Versammlungen fünfzehnmal eine Delegation. Von den insgesamt 31 Gesandtschaftspositionen entfielen allein siebzehn [= 54,8% ] auf nur drei Personen, vier auf den Ratmann und späteren Bürgermeister Dr. Heinrich Venth, sechs auf den Syndikus und späteren Bürgermeister Dr. Christian v. d. Wyck sowie sieben auf Hilbrandt Plönies, ebenfalls Ratmann und später Bürgermeister12. Auffallend häufig ist dem Münsterer Delegierten ein Sekretär bzw. der Syndikus beigeordnet13. Diese Beobachtung ist ähnlich auch für andere Hansestädte zu machen. So vertreten die Stadt Köln im genannten Zeitraum weit überdurchschnittlich häufig Mitglieder des Bürgermeisterfamilienverbandes RinckKannegießer-Sudermann-Wesel, unter denen besonders Konstantin von Lyskirchen sowie Kaspar und Heinrich Kannegießer zu nennen sind 14 . Die Hamburger RatlODazu jetzt grundlegend F.P. JENSEN, Danmarks Konflikt med Sverige 1 5 6 3 - 1 5 7 0 (Skrifter udgivet af det historiske institut ved Kobenhavns universitet 12), Kobenhavn 1982. Sieh weiter die Angaben in Anm. 30. " Z u Begriff und Definition vgl. etwa F.B. FAHLBUSCH, Die Außenbeziehungen der Stadt Paderborn im 15. Jahrhundert, in: WestfZ 139 (1989), S. 219ff., bes. S. 221f. 12 W. MOOREES, Het Miinstersche Geslacht van der Wyck, s'Gravenhage 1911, S. 149f. und Taf. Nr. 45. V. d. Wyck verfugte über Landbesitz und nahm häufig auch Aufträge des bischöflichen Stadt- und Landesherrn wahr; so war er 1547 auf dem Augsburger Reichstag Gesandter des Bischofs Franz von Waldeck: A. SCHRÖER, Die Reformation in Westfalen. Der Glaubenskampf einer Landschaft, Bd. 2, Münster 1983, S. 224. C. STEINBICKER, Vom Geschlechterkreis der münsterischen Rats- und Bürgermeisterfamilie Timmerscheidt, in: WestfZ 111 (1961), S. 95-117, hier S. 102f. zu Venth. Zu Plönies unten Anm. 77. Weitere Hinweise finden sich in der alphabetisch geordneten Personenkartei des Stadtarchivs Münster. Frau E. Korn (t) danke ich für die Hinweise zur Familie Plönies. 13 Vgl. K. WRIEDT, Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte, in: HansGbll 96 (1978), S. 15ff., hier S. 34f. 14 W. HERBORN, Verfassungsideal und Verfassungswirklichkeit in Köln während der ersten zwei Jahrhunderte nach Inkrafttreten des Verbundbriefes von 1396, dargestellt am Beispiel des Bürgermeisteramtes, in: Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, hg. v. W. EHBRECHT (StF A 9), Köln/Wien 1980, S. 25-52, hier S. 49f.

66

Friedrich Bernward Fahlbusch

mannen Anton Elers und Lic. Nikolaus Vogeler nehmen im genannten Zeitraum jeweils dreimal an hansischen Tagfahrten teil 15 , während der Braunschweiger Syndikus Dietrich Prusse zwischen 1558 und 1567 gleich sechsmal anwesend ist 16 . Zwar steht in diesem Beitrag der hansische Verband im Vordergrund, aber es ist darauf zu verweisen, daß die Städte und ihre Handlungsträger auch noch in weiteren Beziehungsfeldern standen, im Verhältnis zum Stadt- und Landesherren, in bündischer Verflochtenheit im territorialen, regionalen und überregionalen Rahmen, in der Kreisorganisation des Reiches oder im System der Landstände 17 .

II.

Nachdem der Hansetag 1557 erfolgreich seine Beratungen über den Tohopesatenentwurf abgeschlossen hatte, und diese „grundfestung der Anze" in den folgenden Monaten auf Drittelstagen beraten, schließlich durch die meisten Städte angenommen sowie durch die vier Quartiervororte besiegelt worden war 18 , stand der Verband organisatorisch auf neuer Grundlage, zumal gleichzeitig auch die bereits im Vorjahr aufgestellte Besendungsordnung definitiv verabschiedet worden war 19 . Bereits 1554 hatte man in Fragen der Unkostenbeiträge eine theoretische Regelung erreicht 20 , 1556 mit dem Amt des Syndikus die Voraussetzung strafferer und kontinuierlicherer Politik geschaffen 21 . Angesichts der Belastungen der folgenden Jahre waren dies sicherlich willkommene Umstände, zumal die einzelnen Gliedstädte immer mehr dem zugreifenden Druck der Landesherren ausgesetzt waren; unter dem Eindruck der Braunschweiger Belagerung 1492/94 22 wurde seit dem Hansetag 1494 über dieses Problem und damit verbunden über die Frage, einen fürstlichen Schutzherrn anzunehmen, verhandelt. Der Verband sah sich gezwungen, in einigen Fällen bestimmte,

15

Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, S. 450 (Elers 1558), S. 503 (Elers 1562), S. 535 (Elers 1564), S. 567 (Elers 1566). Danziger Inventar, wie Anm. 7, S. 878 (Vogeler 1567). Kölner Inventar, Bd. 2: 1572-1591, bearb. v. K. HÖHLBAUM (Inventare Hansischer Archive des 16. Jahrhunderts 2: Köln), Leipzig 1903, S. 371 (Vogeler 1572), S. 437 (Vogeler 1576). 16 Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, S. 450 (1558), S. 453 (1559), S. 502 (1562), S. 535 (1564), S. 567 (1566). Danziger Inventar, wie Anm. 7, S. 878 (1567). 17 Vgl. etwa F.B. FAHLBUSCH, Zur Hansischen Organisation im Hochstift Münster im 15. und 16. Jahrhundert, in: WestfF 35 (1985), S. 60-72. DERS., wie Anm. 11, S. 225-234. 18 Neueste Edition: F.B. FAHLBUSCH u.a., Beiträge zur westfälischen Hansegeschichte, Warendorf 1988, S. 145-154, dort Angaben zur Überlieferung und den vorhergehenden Editionen. Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 31*, S. 423, 425: Der Hansetag 1556 berät über eine neue Tohopesate, ein dafür gebildeter Ausschuß legt einen Entwurf vor, den die Sendeboten zu näherer Beratung mit nach Hause nehmen. Ebd., Anhang Nr. 36*, S. 435f.: Der Tag 1557 berät den Entwurf weiter, nimmt ihn an und beschließt das Ratifikationsverfahren. Ebd., Anhang Nr. 39*, S. 446: Die Notul wird auf dem Kölner Drittelstag beraten, die meisten Städte erklären sich zur Annahme bereit. 19 Druck: FAHLBUSCH u.a., wie Anm. 18, S. 142-145. P. SIMSON, Die Organisation der Hanse in ihrem letzten Jahrhundert, in: HansGbll 13 (1907), S.207ff., 381ff„ hier S. 399-401 und passim. DOLLINGER, wie Anm. 9, S. 429. 20 Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 16*, S. 378f. zu Juli 14. Danziger Inventar, wie Anm. 7, Anhang Nr. 12*, S. 857. 21 Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 31*, S. 427 mit Anm. 1. 22 M. PUHLE, Die Politik der Stadt Braunschweig innerhalb des sächsischen Städtebundes und der Hanse im späten Mittelalter (Braunschweiger Werkstücke A 20), Braunschweig 1985, S. 184ff.

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

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dem Zugriff des Stadtherren erlegene Städte nicht mehr zu Beratungen heranzuziehen bzw. sie minder zu informieren, und sprach folgerichtig bereits 1560 von den 'demembratis civitatibus'23. Als Reaktion auf das am 15. September 1557 zwischen dem Orden in Livland und Polen-Litauen geschlossene Bündnis (Vertrag von Pozvol)24, fielen die Truppen des Moskauer Großfürsten Iwan IV. im Januar 1558 in Livland ein 25 . Narva wurde im Mai erobert, Dorpat fiel am 18. Juli. Völlig zerstört, hatte letzteres fürderhin als „hansischer Totalverlust" zu gelten, ersteres aber vermittelte in den nächsten Jahren den Rußlandhandel, erlebte infolgedessen eine glänzende Konjunktur und sorgte in Sonderheit für erbitterte Feindschaft zwischen Reval und Lübeck, zumal der Revaler Vorwurf, über Narwa liefere Lübeck Kriegsmaterial an die Russen, wohl begründet war, wenn auch verschwieg, daß auch Reval selbst den Russen Kriegsmaterial zuspielte; zudem noch hatte die Affaire Facke das politische Klima ganz ungebührlich vergiftet26. Die diplomatischen Bemühungen des 1563 gestorbenen Wilhelm von Brandenburg, Erzbischofs von Riga, und des Landmeisters Gotthard Kettler führten 1559 zu den Verträgen von Wilna, in denen beide sich dem Schutz des polnischen Königs und des litauischen Reichsrates unterstellten. 1559 und 1560 gingen dann die Bistümer Oesel und Kurland in dänischen Besitz zu Händen des Herzogs Magnus von Holstein über, am 4. Juni 1561 huldigte die estländische Ritterschaft dem frisch

23

H a n s e r e c e s s e I I I , 3, N r . 353, S. 272. SIMSON, wie A n m . 19, S. 217f. u n d S. 4 2 2 z u m S c h u t z h e r r n . PUHLE,

wie Anm. 22, S. 188f. Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 49*, S. 468 zu 1560 Juli 31: „Sunt autem nomina demembratarum civitatum subsequentia" : Stendal, Salzwedel, Berlin, Brandenburg, Frankfurt, Breslau, Halle, Aschersleben, Quedlinburg, Halberstadt, Helmstedt, Kiel und Nordheim. Kölner Inventar 2, wie Anm. 15, Nr. 32 zu 1572 [Februar 8]. ^Zusammenfassende Darstellung der Vorgeschichte: A. DREYER, Die lübisch-livländischen Beziehungen zur Zeit des Unterganges livländischer Selbständigkeit 1551-1563. Eine Vorgeschichte des nordischen siebenjährigen Krieges (VGLüb 1,2), Lübeck 1912, S. 1-26. Überblick zum Folgenden: R. WITTRAM, Baltische Geschichte. Die Ostseelande Livland, Estland, Kurland 1180-1918. Grundzüge und Durchblicke, (unv. Abdruck der 1. Aufl. 1954), Darmstadt 1973, S. 64-77. E. DONNERT, Der livländische Ordensritterstaat und Rußland. Der livländische Krieg und die baltische Frage in der europäischen Politik 1558-1583, Berlin 1963, bes. S. 43f. G. RHODE, Geschichte Polens. Ein Überblick, 3. verb. Aufl., Darmstadt 1980, S. 210-220. DERS., Polen-Litauen vom Ende der Verbindung mit Ungarn bis zum Ende der Vasas (1444-1669), in: Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 3, Stuttgart 1971, S. 1030ff. Gründlich: K. RASMUSSEN, Die livländische Krise 1554-1561, Kopenhagen 1973, hier bes. S. 83ff. W. URBAN, The Origin of the Livonian War, 1558, in: Lituanus 29 (1983), S. 11-25. E. TÌBERG, Zur Vorgeschichte des Livländischen Krieges. Die Beziehungen zwischen Moskau und Litauen 1549-1562 (Acta Univ. Uppsaliensis/Studia Hist. Uppsaliensia 134), Uppsala 1984. Vgl. N. ANGERMANN, Studien zur Livlandpolitik Ivan Groznyjs, phil. Diss. Hamburg 1971 (Marburger Ostforschungen 32), Marburg 1972, S. 25ff. Vgl. allgemein K. ZERNACK, Das Zeitalter der nordischen Kriege von 1558 bis 1809 als frühneuzeitliche Geschichtsepoche, in: Z H F 1 (1974), S. 55-79. 25

DREYER, w i e A n m . 24, S. 27FF. H . VON ZUR MÜHLEN, R e v a l v o m 16. bis z u m 18. J a h r h u n d e r t . G e s t a l t e n

und Generationen eines Ratsgeschlechts (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte 6), Köln/Wien 1985, S. 42FF. 26

W. KIRCHNER, Die Bedeutung Narwas im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zum Studium der Beziehungen zwischen Rußland und Europa, in: HZ 172 (1951), S. 265-284. VON ZUR MÜHLEN, wie Anm. 25, h i e r bes. S. 58f. WITTRAM, w i e A n m . 24, S. 73f. v o n H ö v e l C h r o n i k , wie A n m . 5, S. 21. DREYER,

wie Anm. 24, S. 53f., 103, 127 sowie passim zur hochexplosiven, von Kaperei, Arrestierung und Reichskammergerichtsprozeß gekennzeichnetem Verhältnis zwischen Reval/Riga und Lübeck. Dorpat: G. VON RAUCH, Stadt und Bistum Dorpat zum Ende der Ordenszeit (1975), in : DERS., Aus der baltischen Geschichte ... (Beiträge zur baltischen Geschichte 9), Hannover 1980, S. 74-146. Vgl. DONNERT, wie Anm. 24, S. 109f. zum Verbot des Reichstages 1560, Waffen nach Rußland zu liefern, und S. 167 zum Waffenhandel. Zum Narvahandel beizuziehen auch M.-L. PELUS, Wolter von Holsten ... (QDHansG N F 25), Paris/Köln/Wien 1981.

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Friedrich Bernward Fahlbusch

gekrönten schwedischen König Erich XIV. Zwei Tage danach folgte die Stadt Reval diesem Beispiel. Schon am 2. August 1560 war das Ordensheer vernichtend, aber zum letzten Mal von den russischen Truppen geschlagen worden; am 21. August hatten diese Fellin erobert 27 . Diese Rahmenbedingungen führten 1561 zur Auflösung des livländischen Ordensstaates. Unter der Lehnshoheit des polnischen Königs und des litauischen Reichsrates, seit 1569 dann auch zusätzlich des polnischen Reichsrates, wurde das erbliche Herzogtum Kurland und Semgallen für die Familie Kettler begründet, gleichzeitig das nördlich der Düna gelegene Gebiet Livlands direkt dem König von Polen unterstellt. Estland mit Reval aber befand sich in schwedischem, Oesel und Kurland in dänischem Besitz 28 . Riga hingegen Schloß sich keiner Seite an und vermochte es, bis 1581 eine fast reichsunmittelbare Stellung zu behaupten. Intensiv verhandelten nicht nur die Hansestädte, sondern auch Kaiser und Reich in diesen Jahren über das Livlandproblem und die gewünschte Livlandhilfe, worauf an dieser Stelle nur verwiesen werden kann 29 . Zur selben Zeit verschärfte sich der im baltischen Raum schon bestehende Gegensatz zwischen Dänemark und Schweden auch in bezug auf die Grafschaften Schonen, Bleckinge und Halland. Im Mai 1563 kam es zum ersten bewaffneten Zusammenstoß dänischer und schwedischer Schiffe, dem sich der bis zum Dezember 1570 andauernde, mit dem dem Wortlaut nach auch für Lübeck glänzenden Frieden von Stettin endende Dreikronenkrieg anschloß 30 . Da Erich XIV. im Revaler Interesse den Narwa-Handel, den besonders Lübeck nach dem Ausfall Dorpats in großem Stil direkt betrieb, blockierte, Schloß sich die Travestadt im Juni 1563 Dänemarks Krieg gegen Schweden an, in dem trotz gegenläufiger Tendenzen der hansischen

2 7 Ebf.

Wilhelm war ein Bruder des letzten Meisters in Preußen. DREYER, wie Anm. 24, S. 72-121.

DONNERT, w i e A n m . 2 4 , S . 4 4 f f . RASMUSSEN, w i e A n m . 2 4 , S . 143ff. VON ZUR MÜHLEN, w i e A n m . 2 5 ,

S. 59. 28DREYER,

wie Anm. 24, S. 122ff. K.-D. STAEMMLER, Preußen und Livland in ihrem Verhältnis zur Krone Polens 1561 bis 1586 (WBeitrGLdkdOstmitteleuropa 8), Marburg 1953, bes. S. 2ff. S. ARNELL, Die Auflösung des livländischen Ordensstaates . . . , Diss. Lund 1937. DONNERT, wie Anm. 24, S. 173ff. RASMUSSEN, wie Anm. 24, S. 21 Iff. F. VON KLOCKE, Gotthard Ketteier, in: Westfälische Lebensbilder, Bd. 2, Münster 1931, S. 411-438. Zuletzt F.B. FAHLBUSCH, Gotthard Kettler, in: BiographischBibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 3 [1990/91] mit Schrifttumshinweisen (im Druck). 2 9 H. VON RAMM-HELMSING, Das staatsrechtliche Verhältnis der Stadt Riga zu Polen/Litauen 1561-1581, in: JbbGOsteur 6 (1941), S. 171-200. E. REIMANN, Das Verhalten des Reiches gegen Livland in den Jahren 1559-1561, in: HZ 35 (1876), S. 346-380. STAEMMLER, wie Anm. 28, S. 20f., 64ff. G. SOMMERFELD, Die Beratungen über eine gegen Rußland . . . zu gewährende Reichshilfe 1560-1561, in: HVjs 13 (1910), S. 191-201. SIMSON, wie Anm. 19, S. 414-417. Vgl. F. FRENSDORFS Das Reich und die Hansestädte, in: Z R G G 20 (1899), S. 115-163, hier S. 138f. DREYER, wie Anm. 24, passim. DONNERT, wie Anm. 24, S. lOlff., 154ff., bes. S. 161-164 zu Plänen, Livland seitens der Hanse zu erwerben. W. LENZ, Riga zwischen dem römischen Reich und Polen-Litauen in den Jahren 1552-1582 (WBeitrGLdkdOstmitteleuropa 82), Marburg 1968. Vgl. etwa A. SCHNEIDER, Der NiederrheinischWestfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorgans des alten Reiches, phil. Diss. Düsseldorf 1984, Darmstadt 1984, S. 205-219, zum Niederschlag des Livland-Problems auf Kreisebene. 30 Oben

Anm. 10 und bes. dort S. 352-360: Quellen und Schrifttum; weiter dazu F. GIRARDET, Der Stettiner Friede. Ein Beitrag zur Geschichte der baltischen Frage, phil. Diss., Halle a. S. 1888. STAEMMLER, wie Anm. 28, S. 22-24. P.G. SCHWARZ, Die Haltung Danzigs im nordischen Kriege 1563-1570 mit bes. Berücksichtigung der Beziehungen zu Schweden, in: Zeitschrift des westpreussischen Geschichtsvereins 49 (1907), S. 1-99. Vgl. auch J. ASCH, Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598-1669. Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert . . . (VGLüb 17), Lübeck 1961, S. 56-60 zum Verhältnis zu Schweden 1570 bis 1600.

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

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Historiographie das Hansehaupt als der Juniorpartner zu gelten hat 3 1 . Die Initiative zum Kriegseintritt lag unverkennbar bei dem 1561 zum Bürgermeister gekörten, aus einer mit fünfzehn Ratmannen, davon fünf Bürgermeistern, in 481 Jahren für die Besetzung der Ratsstühle ungemein produktiven Familie stammenden Hieronymus Lüneburg, über den Gotthardt von Hoeveln bemerkt: „Jeronimus Luneborch, alße ein Stifter dußes Kriges, ein hoverdich, upgeblasen Minsche, deme de Adell uth dem Munde stanck . . . " 3 2 . Zwar hatte Lübeck vor diesem Schritt versucht, die Meinung der wendischen Städte einzuholen, aber diese leisteten einer entsprechenden Tagfahrtseinladung mit der Ausnahme der Stadt Lüneburg vorsichtshalber erst gar nicht Folge; eine Bürgerversammlung in Lübeck am 14. Mai 1S63 allerdings sprach sich für den Kriegseintritt aus 33 . Hatte die hansische Tagfahrt 1562 noch über die Frage der Privilegienneubestätigung in Schweden verhandelt, hatten die Städte Lübeck, Rostock, Stralsund und Danzig noch 1561 zur Krönung Erichs XIV. Gesandtschaften abgeordnet, so wurde eine lübische Delegation, die sich seit Ende August 1562 in Schweden aufhielt und dort versuchen sollte, die lübischen Privilegien in Reval sicher zu stellen, die schwedische Zustimmung zur Narwafahrt zu erreichen und über Schadensregulierungen, die durch die Revaler Betätigung im Kapereiwesen nötig geworden waren, zu verhandeln, seitens des Königs recht ungnädig behandelt und lange vertröstet. Sie verzeichnete bis zu ihrer Rückkehr am 4. März 1563 keinen Erfolg. Sie bestand aus dem Ratmann Gottschalk Timmermann und seinem Schwager Johann Kerkring, die beide zum Familienverband Plönies-Kerkring zählten 34 . Erst auf der Tagfahrt 1564 wurde der hansische Verband offiziell mit diesem Krieg konfrontiert; Lübeck bat um den Beistand aller Städte in seinem Krieg gegen Schweden, da es doch um den Ostseehandel allgemein ginge. Konkret ging es den Lübeckern aber um den direkten Narwa-Handel, dessen Verbot Reval auf der Tagfahrt durchzusetzen versuchte, und darum, daß Stralsund und andere die Lage nutzten, um zum Nachteil Lübecks Kriegsmaterial nach Schweden zu liefern 35 . Formal anerkannte die Versammlung das behauptete allgemeine Interesse an diesem Krieg, warf aber — unter Wortführung des Syndikus Sudermann, der diesmal seine Heimatstadt Köln vertrat — Lübeck vor, ohne Rücksprache mit der Gemeinschaft den Krieg vom Zaune gebrochen zu haben, und somit gehe das Ganze die Hanse nichts an. Lübeck hingegen versuchte die eingeräumte fehlende Rücksprache zu verharmlosen, so daß ein Entscheid dieses Punktes immerhin vertagt werden konnte 36 . 1566 aber zeigten schon die regionalen Vorverhandlungen, daß die anderen Städte keineswegs Lust verspürten, sich in diese Auseinandersetzung hineinziehen zu lassen, wodurch auch das gänzliche Desinteresse ganzer Teilgruppen am Rußland-und/oder 31

JENSEN, wie Anm. 10, S. 68f. Regesta Diplomatica Historiae Danicae. Index chronologicus diplomatum et literarum . . . , Ser. 2, Bd. II, 1, Kopenhagen 1895, Nr. 4543f., S. 382 zu 1563 Juni 13. DREYER, wie Anm. 24, S. 156ff. DONNERT, wie Anm. 24, S. 165ff. zu Narwa. 32 von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 32. Die Zahlen nach G. WEGEMANN, Die führenden Geschlechter Lübecks und ihre Verschwägerungen, in: ZVLübG 31 (1949), S. 17-51. 33 Geht hervor aus Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 73*, S. 538f. von Hövel Chronik, wie A n m . 5, S . 3 2 . DREYER, w i e A n m . 2 4 , S. 1 6 3 f . M

Vgl. unten S. 76-78. Zur Gesandtschaft: Danziger Inventar, wie Anm. 7, Nr. 3956, 3968. DREYER, wie Anm. 24, S. 140-155. 35 Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 73*, S. 538f. Danziger Inventar, wie Anm. 7, Nr. 4070. DREYER (wie A n m . 24) u n d DONNERT (wie A n m . 24), beide hier wie A n m . 31. 36

Kölner Inventar 1 (wie Anm. 2), hier wie Anm. 35, zu Sept. 4 und 5 (Recess 1564).

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Schwedenhandel deutlich zutage tritt. Der Kölner Rat instruierte seine Gesandten dahingehend, die Äußerungen der anderen zur Kenntnis zu nehmen, aber auf gar keinen Fall irgendwelche Verbindlichkeiten einzugehen. Andere, so die Städte von Overijssel und von Geldern, schrieben von vorneherein mit formalen, durchsichtigen Begründungen ab 3 7 . Auf dem Hansetag wiederholte Lübeck seine Bitte um Hilfe. Selber hatte es große Rüstungsanstrengungen unternommen; im Winter 1565 war die 'Adler' auf Kiel gelegt worden, vorher waren bereits die 'Morían' und die 'Josua' vom Stapel gelaufen. Die Masse der Kriegsschiffe allerdings wurde gechartert 38 . Diese Rüstungen lassen auf eine unveränderte wirtschaftliche Potenz und Konjunktur in der Travestadt schließen, die durch Rolf Hammels Untersuchungen über den Häusermarkt in Lübeck unterstrichen wird 39 . Im Juli 1566, während die Herren der Hanse in Lübeck Beratungen pflogen, erlitten die dänischen und lübischen Einheiten vor Gotland herbe Einbußen, zu denen auch das Leben des kommandierenden Bürgermeisters Bartholomäus Tinnappel zählte 40 . Aber auch 1566 ließen die Städte Lübeck allein. Im folgenden Jahr bot sich das nämliche Bild. Danzig und Rostock wiesen darauf hin, daß sie unter dänischen Übergriffen zu leiden hätten, und gaben unverhohlen Lübeck daran die Schuld. Dennoch will dieses Lübeck mit etwas Proviant zu Hilfe kommen, jenes immerhin seine Häfen den Feinden Lübecks verschlossen halten. Weitere Hilfe aber konnte Lübeck nicht erwarten, das somit innerhalb der Hanse in eine eindeutige Außenseiterposition geraten war; wohl Grund genug, bis 1572 keinen weiteren Hansetag mehr einzuberufen. Die vor 1590 verfaßte Chronik des Rostocker Dietrich vam Lohe vermerkt gleich zweimal mit Entschiedenheit, daß im Sommer 1563 der dänische König einen Krieg angefangen hat „mit hulpfen der Stadt Lübeck jegen den koning to Sweden" 41 . Ab 1572 setzten die Lübecker dann wiederholt die Frage einer Kriegskostenerstattung auf die hansische Tractandaliste, aber mit der bereits bekannten Begründung wurden ihre Vorstöße immer wieder abgelehnt. Lübeck hatte den Krieg also allein geführt, und sogar das wendische Quartier war abseits gestanden, ja einzelne Städte wie Rostock und Stralsund hatten zudem von Waffenlieferungen nach Schweden auf Lübecks Kosten profitiert. Allerdings darf man Wismar wie Rostock ihr gespanntes Verhältnis zum Stadtherrn zu gute halten, muß man in Rostock zudem die Unruhen in der Bürgerschaft in Rechnung stellen 42 .

37

Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 83*, S. 562 (Kölner Instruktion), Nr. 85* (Recess 1566) zu Juli 15. Niederländische Akten und Urkunden zur Geschichte der Hanse ..., bearb. v. R. HÄPKE, Bd. 2: 1558-1669, Lübeck 1923, Nr. 422-426, 428, S. 170-172 zu Overijssel und Geldern. 38 H. KLOTH, Lübecks Seekriegswesen in der Zeit des nordischen Siebenjährigen Krieges 1563-1570, in: ZVLübG 21 (1923), S. 1-51 und 185-256, hier S. 248-255; ZVLübG 22 (1925), S. 325-379. von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 40 zum Bau der 'Adler'. 39 R. HAMMEL, Häusermarkt und wirtschaftliche Wechsellagen in Lübeck von 1284 bis 1700, in: HansGbll 106 (1988), S. 41-107, hier S. 69, 76f., 97. "°Zu Tinnappel: KLOTH, wie Anm. 38, S. 19f., 22f. FEHLING, wie Anm. 1, S. 102, Nr. 657. von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 41. Die Chronik des Dietrich vam Lohe (1529 bis 1583), hg. v. E. DRAGENDORFF, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock 17 (1931), S. 1-110, hier S. 26. 41 Danziger Inventar, wie Anm. 7, Anhang Nr. 24* (Recess 1567), S. 879f„ 883f. SCHWARZ, wie Anm. 30, bes. S. 64 zu 1566. Die Chronik des Dietrich vam Lohe, wie Anm. 40, S. 10, 12. 42 Kölner Inventar 2, wie Anm. 15, Anhang Nr. 1*, S. 339 [Position 26], Anhang Nr. 4* (Instruktion für die Kölner Gesandten 1572), S. 346 [Position 25]. Ebd., Nr. 15 (Recess 1572), S. 390 [Position 25]. Ebd., Nr. 44* (Recess 1576), S. 448. von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 34 zur Unterstützung Schwedens durch Rostock und die pommerschen Städte. H. BEI DER WIEDEN, Rostock zwischen Abhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit, in: Pommern und Mecklenburg. Beiträge zur mittelalterlichen Städtegeschichte,

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

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Ähnlich geriet Hamburg 1567 in hansische Isolation, als man den englischen Kaufleuten, deren Emdener Unternehmen 1564/65 sich als Fehlschlag erwiesen hatte, eine Niederlassung konzedierte, um aber nach Ablauf der zehnjährig befristeten Privilegierung unter gesamthansischem Druck von einer Verlängerung Abstand zu nehmen. So versuchten es die Engländer, als 1576 in Antwerpen tiefe wirtschaftliche Depression herrschte, noch einmal in Emden, um dann aber im Sommer 1587 ihren Stapel nach Stade zu verlegen. Dieser war augenscheinlich für die Stadt so lukrativ, daß Stade die 1601 deshalb folgende Verhansung gerne in Kauf nahm 4 3 . Ebenso hatten es die merchants adventurers verstanden, in der Ostsee Fuß zu fassen: 1563 in Stolp, 1579 in Elbing 44 . Die 1553 für den europäischen Handel erstmals befahrene Weißmeerroute und die 1584 folgende Gründung von Fort und Stadt Archangelsk brachten die lübische Handelspolitik ebenso weiter unter Druck wie die von Danziger und Revaler Schiffen getätigte direkte Fahrt durch den Sund nach Westen 45 . Kann in diesen Jahren mithin von einer Ostseepolitik d e r Hanse keine Rede sein, so verblüfft es umso mehr, mit welcher Einigkeit die in der Ostsee heillos zerstrittenen Hansen an einem Strang ziehen, wenn es um die Fragen der Kontore in London und Antwerpen, um den Neubau daselbst, seine innere Ordnung wie seine dramatische Schuldenlage, in die die Niederlassung bereits kurz nach Bezug des neuen Hauses geraten war, geht 46 . Im Oktober 1563 hatten die hansischen Vertreter Gottschalk Timmermann, Henning van Damme und Dietrich Prusse sowie Arnold von Siegen den Vertrag mit der Stadt Antwerpen unterzeichnet, im Mai des folgenden Jahres legte man den Grundstein, vier Jahre später war der Bau vollendet 47 . Die schnell folgenden Querelen, verursacht von den Kölnern, die sich zum Schaden eigener Sonderrechte den neuen Ordnungen für Antwerpen nur ungern fügen wollten, und die teilweise von der lübischen Meinung abweichenden Danziger Auffassungen muten angesichts der oben benannten Konflikte geringfügig an 4 8 . Auch die englandpolitischen Fragen, wo unter Edward IV. die hansischen Privilegien revoziert worden hg. v. R. SCHMIDT (VHistKomPommern V,19), Köln/Wien 1981 , S. 111-132, hier S. 127f. Die Chronik des Dietrich vam Lohe, wie Anm. 40, S. 11 ff. 43 L. BEUTIN, Hanse und Reich im handelspolitischen Endkampf gegen England (Studien zur Geschichte der Wirtschaft und Geisteskultur VI), Berlin 1929, S. 3-5, 29ff. J. WIEGANDT, Die Merchants Adventurers' Company auf dem Kontinent zur Zeit der Tudors und Stuarts (Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4), Kiel 1972, S. 69ff. G.D. RAMSEY, Britische Inseln 1350-1650, in: Handbuch der Europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, hg. v. H. KELLENBENZ, Stuttgart 1986, S. 502ff., hier S. 547-549. Vgl. DERS., The Queen's Merchants and the Revolt of the Netherlands. The End of the Antwerp Market, Bd. 2, Oxford 1986, bes. S. 116ff. Der Niederlassung in Emden ab 1576 ist es wohl zu verdanken, daß die Münsterer Leinwandausfuhr nach Emden von diesem Jahr an um das ca. 6fache stieg: E. PLANETH, wie Anm. 80, S. 48. **J. SCHILDHAUER u.a., D i e H a n s e , B e r l i n 6 1 9 8 5 , S. 216. SIMSON, wie A n m . 19, S. 410. Vgl. E. CARSTENN,

Elbing, Die Hanse und Westfalen (Elbinger Hefte 17), Essen 1955, S. 67. J.K. FEDOROWTCZ, The Struggle for the Elbing Staple . . . , in: JbbGOstmitteleuropa N F 27 (1979), S. 220-230. 45 DREYER, wie Anm. 24, S. lOf. DOLLINGER, wie Anm. 9, S. 436. Besonders Danziger Kaufleute handelten nennenswert direkt nach Schottland. N. ELLINGER BANG, Tabeller over skibsfart og varetransport gennen Oresund 1497-1660, 2 Bde., Kopenhagen/Leipzig 1906-1922, hier bes. Bd. 1, S. 26fT : Sundpassagen 1560ff.: Anzahl wendischer, Danziger, englischer und schottischer Schiffe in Relation zueinander. SCHUTT, wie A n m . 9, S. 200, T a b . 1.

^ Z u Antwerpen: W. EVERS, Das hansische Kontor in Antwerpen, phil. Diss., Kiel 1915. Vgl. H. VAN DER WEE, The Growth of the Antwerp Market and the European Economy (Fourteenth-Sixteenth Centuries), 2 Bde., The Hague 1963. 47 Vertrag Antwerpen: Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Anhang Nr. 69", S. 520-527 zu 1563 Okt. 22. EVERS, w i e A n m . 46, S. 23-31. 48

EVERS, wie Anm. 46, S. 122ff. mit den Quellennachweisen.

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und unter Elisabeth I. durchgängig bedroht waren, werden ebenso einvernehmlich behandelt, wie Fragen, die die niederen Lande oder Frankreich betreffen, wohin eine Gesandtschaft abzuordnen, der französische Beauftragte in Dänemark nicht müde wurde anzuregen, ohne daß sich die Hanse dazu letztlich entschließen konnte 49 . Wenn auch abgestuft, erkennt man hier eine von allen regionalen Gruppen des Verbandes gemeinsam getragene Politik. Zwar betonen die preußischen Städte, sie hätten kaum Nutzen vom Antwerpener Kontor, und ebenso halten sich die von Braunschweig geführten niedersächsischen Städte — trotz gut bezeugter Verbindungen nach Antwerpen — auf hansischer Ebene sehr zurück, wozu sie ihre jeweilige spezifische Situation, in Preußen das Verhältnis zum polnischen König, im Falle Braunschweigs die unverändert einer Klärung harrende Beziehung zum weifischen Herzog, anhielt, zumal Braunschweig in Wolfenbüttel eine unverhohlen vom Landesherrn gestützte Konkurrentin bekommen hatte 50 . Bestanden also immer noch genügend gemeinsame Interessen, so wurde doch der Vorwurf des Eigennutzes allmählich zum Dauerbrenner der Tagfahrten. Aus lübischer Sicht kommentiert Gotthardt von Hoeveln, daß die Hamburger, als sie merkten, eine englische Niederlassung würde wohl Gewinn abwerfen, ohne Wissen der anderen Hansestädte ihres Eigennutzes halber den Engländern eine Residenz gewährten: „Den anderen erbaren Steden helft duth egennutziges vornehment der Hamborger sehr verdraten" 51. Das gegensätzliche, durch die jeweiligen Handelsinteressen bedingte Bild, das der hansische Verband bot, spiegelt seine Elastizität, aber auch den Pragmatismus seiner führenden Vertreter in einer Zeit wider, die man als seine Spätblüte bezeichnen mag. Ihr Ende deutet sich an, als die Vertreter von Münster und Osnabrück 1572 kriegsumständehalber den Hansetag vorzeitig verlassen müssen 52 , ein Vorzeichen, das in den bekannten Antwerpener Vorgängen des Jahres 1576 gipfelt, die eine tiefe, wenn auch nur kurzfristige Depression zur Folge haben 53 . Im Ostseeraum mag man es als Zeichen eines beginnenden Umbruchs ansehen, daß Lübeck gleichzeitig den seit 1525 innegehabten Pfandbesitz Bornholm an Dänemark zurückgeben muß 5 4 . Seine unveränderte Existenz verdankte der Verband in dieser Zeit den eingangs genannten Herren der Hanse, weniger einer wirtschaftlichen Notwendigkeit und schon gar nicht dem Eigenleben eines verfaßten Organisationsgefüges.

49

Überblicke: DOLLINGER, wie Anm. 9, S. 440ff. und SCHILDHAUER, wie Anm. 44, S. 213ff. Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Nr. 2069, 2126, 2826 u.ö.: Korrespondenz mit Charles Dancey in Kopenhagen; ebd., S. 572, 582ff. Danziger Inventar, wie Anm. 7, S. 882 [Artikel 12]. 50 Zu Braunschweig ein Uberblick von W.-D. MOHRMANN, Braunschweig. Die Stadt, der Fürst und das Reich im 16. Jahrhundert, in: Brunswiek 1031 - Braunschweig 1981. Folgeband zur FS, hg. v. G. SPIES, Braunschweig 1982, S. 61-71. Vgl. H. SCHILLING, Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland, hg. v. W.J. MOMMSEN (VDHILondon 5), Stuttgart 1979, S. 262-271. 5 'von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 44 zu [ca. 1577]. 52 Kölner Inventar 2, wie Anm. 15, Anhang Nr. 15* (Recess 1572), S. 395. 53 H. KELLENBENZ, Aufstieg und Krise des Hafens Antwerpen (bis ca. 1650), in: STOOB, wie Anm. 9, S. 141-159, hier S. 154ff. RAMSEY, The Queen's Merchants, wie Anm. 43, S. 183f. EVERS, wie Anm. 46, S. 129f. zu 1576. KRUSE, Bornholm als Lübecks Lehnsbesitz 1525-1576, in: ZVLübG 49 (1969), S. 21FF. und ZVLübG 5 0 (1970), S. 5-68, h i e r b e s . S. 4 9 - 6 8 .

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

73

III.

Der 1506 in Lüneburg als Sohn eines dortigen Bürgermeisters geborene Nikolaus Bardewick, 1527 im Todesjahr seines Schwiegervaters Thomas von Wickede, dessen weiterer Schwiegersohn der Ratssekretär Sebastian Ersam war, in den Rat und 1544 zum Bürgermeister von Lübeck gewählt, kennzeichnet nicht nur die engen personellen Verbindungen zwischen den führenden lübischen und lüneburgischen Familien 55 , sondern zusammen mit seinem Amtsbruder Anton von Stiten auch in hohem Maße die personale Kontinuität Lübecker Politik. Sechzehn Jahre hatten beide zusammen deren Richtlinien bestimmt. Ihr Tod 1560 und, wohl unter Pesteinwirkung, 1564 bedeutete, nachdem 1561 der Bürgermeister Paul Wiebekind 56 gesundheitshalber ausgeschieden und bereits 1559 der Bürgermeister Dr. Hermann Falcke todeshalber abgegangen war, einen Umbruch im Bürgermeisterkollegium, wie er ähnlich auch bereits 1501/03, 1510/11 und 1527/28 festgestellt werden kann 5 7 . 1532 amtete Bardewick als Befehlshaber der lübischen Flotte, im selben Jahr reiste er als Gesandter nach Kopenhagen, von 1537 bis 1543 war er lübischer Sachwalter in Bergedorf und Mölln. Als Bürgermeister vertrat er seine Stadt von 1549 bis 1559 auf den hansischen, zugleich auch auf den wendischen Tagfahrten und den Tagungen des niedersächsischen Kreises, so besonders 154258. Ebenso wie Anton von Stiten heiratete er ein in den Familienverband von Wickede, wie dieser hatte er 1534 vorübergehend sein Ratsmandat niedergelegt 59 . Krönung und Abschluß seines Lebens war 1560 die Führung der hansischen Gesandtschaft nach Odense: „Aldar sin vele Klagete der Denen bigelecht, nie Artikel, de Schonefahren unnd Bargefaren belangent, angerichtet", besonders aber die Fragen des Sundzolls geregelt worden. Dieser „sehr klock unnd wollberedet Mann" starb im Verlaufe der Verhandlungen, und obwohl Friedrich II. von Dänemark erbötig war, „tho Odense ein herlick Graf bereden tho laten", sorgten die beiden anderen Lübecker, der schon bekannte Bartholomäus Tinnappel und der Sekretär Nikolaus Wulff dafür, daß er in einem Bleisarg nach Lübeck überführt wurde, wo er mit großem Aufwand eingeholt und beigesetzt wurde 60 . Zusammen mit Anton von Stiten, dieser seit 1528 Ratmann und seit 1540 Bürgermeister, darf er fraglos zu den Herren der Hanse gerechnet werden, was in gleicher Weise auch für den 1556 zum ersten Syndikus der Hanse bestallten, seit 1576 auf Lebenszeit in dieser Position amtierenden Kölner Dr. Heinrich

"Vgl. H.

DIIERFELDER,

Brömses in Lübeck und Lüneburg, in: ZVLübG 51 (1971), S. 93-99. O.

AHLERS,

Art. Bardewik, in: NDB, Bd. 1, 1953, S. 585. FEHLING, wie Anm. 1, S. 92f., Nr. 618. 56

Sein Vater stammte aus der Kleinstresidenz Rietberg (Westfalen); vgl. A. HANSCHMIDT, Eine Stiftung für die Rietberger Kirche im Jahre 1516, in: Westfalen 54 (1976), S. 204f., dort das weitere Schrifttum. 57 Dieser Aspekt wurde besonders im Oberseminar von Prof. Dr. Heinz Stoob im WS 1985/86 erörtert. Den Seminarteilnehmern A. Cosanne und J. Belker danke ich für entsprechende Anregungen. Zur Pest 1564: Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Nr. 2656 zu 1565 August 13. Vgl. K. KOPPMANN, Über die Pest des Jahres 1565 und zur Bevölkerungsstatistik Rostocks ..., in: HansGbll 29 (1901), S. 43-63. Die Chronik des Dietrich vam Lohe, wie Anm. 40, S. 18f. 58 Angaben nach FEHLING, wie Anm. 1, S. 92f, Nr. 618. »FEHLING, wie Anm. 1, S. 93, Nr. 620. Zur Mandatsniederlegung und zum Umfeld 1534 (Grafenfehde): W.-D. HAUSCHILD, in: Lübeckische Geschichte, hg. v. A. GRASSMANN, Lübeck 1988, S. 341ff., hier S. 398ff. mit Schrifttumsangaben. '"Die Lüneburger Chronik des Probstes Jakob Schomaker, hg. ν. TH. MEYER, Lüneburg 1901, S. 193. von Hövel Chronik, wie Anm. 5, S. 24.

74

Friedrich Bernward Fahlbusch

Sudermann gilt, der sich in dem hier näher untersuchten Zeitraum als die Seele des Hanse-Geschäfts erweist 61 . Ausführlich im Schrifttum gewürdigt, ist zu ihm hier nur in gebotener Kürze anzumerken, daß sein Vater Hermann mehrmals zwischen 1541 und 1569 das Amt eines Bürgermeisters in Köln bekleidete, was zwischen 1576 und 1601 ebenfalls mehrmals auch sein Bruder Hildebrandt durfte. Mehrfach war der hansische Syndikus mit Kölner Bürgermeisterfamilien verschwägert, und in einem Schreiben an seinen Lübecker Kollegen Dr. von Vechelde weist er 1561 bezüglich der Antwerpener Angelegenheit darauf hin, daß der dortige Bürgermeister Anton van Straelen ja sein Vetter sei ; ein deutlicher Beleg dafür, daß in führenden Hansekreisen Verwandtschaften als förderlich für Verhandlungen angesehen wurden 62 . Neben Sudermann ist bis zu seinem Tod 1572 der lübische Syndikus Dr. Hermann von Vechelde der wohl bestinformierteste Politiker der Hanse. Als Sohn des Braunschweiger Großhändlers Tile von Vechelde und der Remborg van Damme, deren Bruder Großer Altstadtbürgermeister 63 gewesen war, mithin aus ältesten Ratsfamilien stammend 64 , am 8. August 1524 geboren, studierte er in Wittenberg und Ferrara, wo er auch promoviert wurde 65 . Seit 1556 vertrat er, nach Präsentation durch den Magdeburger Erzbischof und die emestinischen Herzöge, den Niedersächsischen Kreis als Assessor am Kammergericht 66 , von welcher Stelle ihn 1559 der Lübecker Rat zum Syndikus der Travestadt berief. Neben seinen juristischen Fähigkeiten dürften dabei auch seine Herkunft wie seine Familienbeziehungen und die Handelsverbindungen seiner weitverzweigten Sippe eine Rolle gespielt haben. Im Jahr nach seiner Wahl ehelichte er mit Engel Carstens eine lübische Bürgertochter, über die er sich mit den Bürgermeisterfamilien von Wickede und Falcke verschwägerte. Es unterstreicht seine Fähigkeiten, daß er am 13. Juni 1571 in den Rat und sofort zum Bürgermeister gewählt wurde, welchen Posten er aber bis zu seinem Tod am 23. Dezember 1572 nur noch kurze Zeit versehen konnte. Nach Klaus Wriedt bereitete sein Syndikat diesen Wechsel ins Bürgermeisteramt vor; in ähnlicher Weise trifft dies auch für den bereits genannten Münsterer Syndikus Dr. Christian von der Wyck, einem Verwandten des Dr. Johann von der Wyck, zu 67 . Kurz nach seiner Wahl teilte der Hansetag v. Vechelde einer Gesandtschaft

61

Einführender Überblick mit den entsprechenden weiterführenden Angaben: K. WRIEDT, Heinrich Sudermann (1520-1591), in: Rheinische Lebensbilder 10, Köln 1985. DERS., wie Anm. 13, S. 17f. Kölner Inventar 1, wie Anm. 2, Nr. 1990 zu 1561 Juli 24 und Nr. 2077 zu 1562 März 30. HERBORN, wie Anm. 14, S. 49 zu den van Straelen. 63 Dieser führte den Vorsitz im Gesamtrat der Stadt: W. SPIESS, Die Ratsherren der Hansestadt Braunschweig 1231-1671 (Braunschweiger Werkstücke A 5), 2., verm. Aufl., Braunschweig 1970, S. 49. M Vgl. H. SCHILLING, Vergleichende Betrachtungen zur Geschichte der bürgerlichen Eliten in Nordwestdeutschland und in den Niederlanden, in: Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland, hg. v. DEMS./H. DIDERIKS (StF A 23), Köln/Wien 1985, S. Iff., hier S. 12f. 65 W. SPIESS, Von Vechelde. Die Geschichte einer Braunschweiger Patrizierfamilie 1332-1864 (Braunschweiger Werkstücke 13), Braunschweig 1951 bes. S. 98f. FEHLING, wie Anm. 1, S. 108, Nr. 690. BRUNS, wie Anm. 4, S. lOOf. Memoriae ... D. Hermanni a Vechtelde ... consulis Lubecensis, Rostock 1574. Nach K. WRIEDT, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. v. J. FRIED (VuF 30), Sigmaringen 1986, S. 507, war für das Amt des Syndikus in Lübeck seit Mitte des 15. Jahrhunderts die juristische Promotion übliche Voraussetzung. 62

66

NEUKIRCH, w i e A n m . 4, S. 40f.

"WRIEDT, wie Anm. 13, S. 24f. DERS., wie Anm. 65, S. 521f., 524f. Zu Johann v.d. Wyck: R. STUPPERICH, Dr. Johann von d. Wyck. Ein münsterscher Staatsmann der Reformationszeit, in: WestfZ 123 (1973), S. 9-50.

Führungsgruppen des Hansischen Verbandes

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230

F. Quarthai

unterschiedlichen Rechtsbezirken. Wenn sich die Stadt einen eigenen Gerichtsbezirk im ländlichen Umfeld schuf, geschah dies zumeist über den städtischen Spital. Die meisten der habsburgischen Städte in Südwestdeutschland kamen nach kurzer Zeit als „Mediatstädte" (so die Bezeichnung im 18. Jahrhundert) wieder unter einen Pfandherren. Da die Habsburger ihre Immediatstädte wie die Pfandherren die Mediatstädte in unterschiedlichem Maße privilegierten, wurde die Verfassungsentwicklung der österreichischen Städte in Südwestdeutschland zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert eher uneinheitlicher als homogen. Ein Versuch, Entwicklungslinien vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit hin aufzuzeigen, mag deswegen problematisch sein. Als Maßstab kann die Entwicklung der Selbstverwaltung mit den Institutionen von Gericht und Rat dienen M . Im Laufe des 14. Jahrhunderts gelang den meisten habsburgischen Städten die Ausweitung ihrer Gerechtsame in zwei Richtungen : Sie konnten — mit Ausnahme von Binsdorf, Obernau, Tengen und Burgau — eigene Gerichtsbezirke bilden. Dazu wurde das mit Bürgern besetzte Stadtgericht zur bestimmenden Gerichtsinstanz; dies war eine der wesentlichen Grundlagen städtischer Unabhängigkeit. Als der Mehrzahl der Gerichte auch die hohe bzw. die Blutsgerichtsbarkeit verliehen wurde, vergrößerte sich der Kompetenzbereich des Ammans, der dem Gericht jeweils vorstand. Die Auseinandersetzung um größere städtische Autonomie der südwestdeutschen Städte der Habsburger läßt sich danach in drei Phasen gliedern : erstens dem Versuch, das Wahl- oder Einsetzungsrecht für den Amman zu erlangen und ihn dadurch zu kommunalisieren, zweitens die Periode der Einrichtung eines bürgerlichen Ratsgremiums, das unter einem gewählten Bürgermeister neben das Gericht trat und drittens die Phase der Ablösung des Ammans durch den Bürgermeister, wobei ersterer auf den Gerichtsvorsitz beschränkt wurde. Die frühneuzeitliche Stellung der habsburgischen landsässigen Städte bestimmte sich jedoch nur teilweise aus ihrer im Spätmittelalter durch Stadtrecht und Privilegierung, Territorialbesitz und Gerichtsrechte erworbenen Stellung. Stärker war die Abhängigkeit von unmittelbaren herrschaftlichen Einwirkungsmöglichkeiten. Dabei lassen sich folgende Stufen feststellen: 1. Städte mit „quasi reichsstädtischer Freiheit". Dies galt für wenige Städte während einer begrenzten Periode, wobei eine gute rechtliche Privilegierung, Territorialbesitz und Gerichtsrechte sowie die Auslösung aus Pfandbesitz vor der Institutionalisierung neuer Mittelbehörden im 18. Jahrhundert die Voraussetzung waren. In diese Gruppe gehören Ehingen und die fünf Donaustädte in der Zeit zwischen 1680 und der Oberamtsreform Kaiser Karls VI. nach 1726. 2. Städte mit herrschaftlichem Gerichtsvorsitz, aber teilweise unabhängiger Ratsverfassung (z.B. Rottenburg, Horb, Günzburg, Villingen) 3. Städte unter stark herrschaftlichem Regiment (Burgau, Binsdorf) 4. Städte in deutlicher Abhängigkeit von einer Pfandherrschaft (Triberg, Weißenhorn).

64

Als modellhaft sind immer noch die Arbeiten von R. SEIGEL anzusehen (Gericht und Rat in Tübingen. Von den Anfangen bis zur Einführung der Gemeindeverfassung 1818-1822 [VKomLk in BadenWürttemberg Β 13], Stuttgart 1960).

Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten

231

Stadtrechtserneuerung gab es zwar während der ganzen Zeit des 16., 17. und frühen 18. Jahrhunderts, doch beschränkte sie sich jeweils auf Einzelfalle. Zu einer durchgehenden Kommunordnung ist es nicht gekommen; entsprechende Versuche der Innsbrucker Behörden nach 1726 sind in Ansätzen stecken geblieben. Erst mit der theresianischen Staatsreform wurden 1753/56 alle landesherrlichen Eingriffe in das Städtewesen systematisiert 65 und alle Stadtverfassungen nach einem einheitlichen Plan, wenn auch mit geringen lokalen Abweichungen, erneuert 66 . Nach dieser Reform waren in allen österreichischen Städten der Vorlande „neue Stattsverfassungen zu Einfuhr- und Unterhaltung besserer oekonomiae und Polizey einzurichten". Der Rat war nunmehr dreigliedrig aufzubauen. Das wichtigste Gremium war die „Engere Deputation", die aus den fähigsten Bürgern — ,jedoch ausschließlich der Zunfftmäßigen Handtwercksglieder" — bestehen sollte, nämlich einem Bürgermeister, dem Stadtamman und zwei Ratsmitgliedern neben einem rechtsgelehrten Kanzleiverwalter. Die Anstellung des Kanzleiverwalters als eines nunmehr landesfürstlichen Beamten behielt sich die vorderösterreichische Regierung vor. Keines der Mitglieder dieser „Engeren" oder „Ökonomiedeputation", die das „Universalaufsehen" über die Stadtgeschäfte haben sollte, durfte ein verrechnetes Amt (Säckel-, Steuer-, Wald-, Bau-, Spitalamts- oder Mildestiftungspflegerei, Umgeld-, Fleisch- und Brotbeschauamt) innehaben. Zusammen mit acht weiteren Räten bildete die Ökonomiedepuation als „Innerer Rat" die städtische Zivil- und Kriminalinstanz zur Entscheidung über bürgerliche Streitsachen. Der Innere Rat hatte alle vierzehn Tage zusammenzutreten. Das dritte Gremium, die „bürgerliche Deputation" oder der „Große (Äußere) Rat", bestand aus sechs Personen und dem Inneren Rat. Sie hatten zu befinden, wenn es um wichtige Stadtangelegenheiten wie Verpfändung, Verkauf von Stadtgütern oder Kapitalaufnahmen ging. Da diese Beschlüsse nur Gültigkeit hatten, wenn sie die Zustimmung des jeweiligen Oberamtes fanden, war die wirkliche Kompetenz des „Großen Rates" nur gering. Überdeutlich war nunmehr die obrigkeitliche Einbindung der kommunalen Entscheidungen in die landesherrliche Administration 67 . Wichtig erscheint es mir jedoch, darauf hinzuweisen, daß selbst in einem Großterritorium, wie es die habsburgischen Erblande darstellten, es nicht auf Anhieb gelang, die Reform durchzusetzen 68 . Auch das jahrhundertelang und ständig erweiterte und institutionalisierte Eingriffsrecht des Landesherrn in Belange der Verfas65

Wichtig ist, daß diese Veränderung der Stadtverfassung nicht nur die Vorlande, sondern alle deutschen Erbländer betraf. Vgl. z.B. für Niederösterreich F. BALTZAREK, Beiträge zur Geschichte des vierten Standes in Niederösterreich. Eine vergleichende Stadtgeschichtsuntersuchung mit besonderer Auswertung der Gaisruckschen Städteordnung von 1745-1747, in: MÖStA 23 (1970), S. 64-104. ^Zusammenfassend stellt die Reform dar CH. LINTZ, Die habsburgischen Erblande, die böhmischen Länder und Salzburg, in: K.G.A. JESERICH u.a. (Hgg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1983, S. 516-543; zur Entwicklung in den Vorlanden vgl. F. QUARTHAL, Zur Geschichte der Verwaltung der österreichischen Vorlande, in: F. QUARTHAL/G. WIELAND (Hgg.), Die Behördenorganisation Vorderösterreichs und die Beamten in Verwaltung, Justiz und Unterichtswesen (VAlemanlnst 43), Bühl/Baden 1977, S. 43-130; zu den Reformen in den Städten: QUARTHAL, wie Anm. 51, S. 121-138; SEIDLER, wie Anm. 40, S. 88-152. Entsprechend der früheren Einführung der theresianischen Reformen in den habsburgischen Kernlanden erfolgte die Reform der Stadtverwaltungen und die Unterstellungen der Städte unter die „städtische Wahlkommission" der „Niederösterreichischen Repräsentation und Kammer" bereits 1747 (BRUNNER, wie Anm. 20, S. 245). 67 68

Zu den Einzelheiten vgl. die in Anm. 66 genannten Arbeiten. In Niederösterreich führt OTTO BRUNNER (wie Anm. 20, S. 246) die Städte Krems und Stern als Beispiele vor. Zu ähnlichen Schwierigkeiten in Preußen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

232

F. Quarthai

sung der Landstädte wurde nicht ohne Widerspruch, teilweise sogar verbunden mit Aufständen, hingenommen. Einige Beispiele mögen dies belegen: In Munderkingen, das ausgesprochen zünftisch bestimmt war, wurde die Instruktion glatt übergangen. Man änderte die Namen der Gremien, beließ jedoch inhaltlich alles beim alten. Erst als die Zunftmeister mit Zuchthaus und Bürgerrechtsentzug bestraft und ein Militärkommando in die Stadt gelegt wurde, konnte die Reform mit mehrjähriger Verspätung durchgesetzt werden. Wesentlich größere Unruhen gab es in Villingen. Hier dauerte der bürgerschaftliche Widerstand fast 30 Jahre mit Höhepunkten 1757/58, 1773/74, 1781/82 69. In Freiburg verband sich der zunächst von den Zunftmeistern geführte Widerstand gegen die neue Stadtverfassung mit Aufstandsbewegungen gegen den unbeliebten und ungeschickt agierenden Kreishauptmann von Schauenburg, die die Regierung mit militärischen Sanktionen beantwortete. Erst als Schauenburg 1762 abgelöst wurde, verebbten auch die gegen die neue Stadtverfassung gerichteten Unruhen 70 . In Breisach kam es zu Unruhen gegen die neueingesetzten Gremien, als deren Unfähigkeit und Korruptheit bekannt wurde 71 . Diese Bewegungen machen deutlich, wie relativ begrenzt die Machtmittel noch des absolutistischen Staates für eine solche umfassende kommunale Verfassungsreform waren. Ein wesentliches Element zur „Verstaatlichung" der kommunalen Verwaltungsorganisation waren die Kreisämter, die es dem Staat ermöglichten, die bisherigen lokalen Zwischengewalten zu mediatisieren 11 . Bereits zwischen 1725 und 1729 hatte Kaiser Karl VI. Versuche unternommen, diese Kreisämter nach böhmischem Vorbild in den Vorlanden einzuführen, was aber teils aus personellen Gründen, teils wegen des massiven und konzentrierten Widerstandes der vorländischen Stände nur partiell gelang 73 . Unter Maria Theresia wurden die notwendigen organisatorischen Strukturen geschaffen, die jedoch — wie oben gezeigt — nur gegen teilweise erheblichen Widerstand durchgesetzt werden konnten. Mit der josephinischen Magistratsreform ab 1785 wurde das theresianische System weitgehend perfektioniert. Die Kommunen waren damit effektiv zu staatlichen Verwaltungsinstanzen unterer Ebene geworden 74. Doch nicht nur organisatorische Reformen hatten den Erfolg dieser Maßnahmen bewirkt. Wesentlich war, daß es Österreich zwischen 1750 und 1780 gelang, einen

vgl. G. HEINRICH, Saatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus ( 1 6 6 0 - 1 8 0 6 ) , i n : RAUSCH (Hg.), wie A n m . 6, S. 155-172, h i e r S. 162. 69

N. SCHLEICHER, Die frühe Ratsverfassung der Stadt Villingen und der Kampf der Schnabuliner, Mordiner und Finkenreiter um das Stadtregiment, Konstanz 1873, S. 26-92. 70 Vgl. QUARTHAL, wie Anm. 41, S. 210f.; H. KOPF, Christoph Anton von Schauenburg, Freiburg 1978, S. 40-188.

71

HASELIER, w i e A n m . 61, Bd. 2, S. 68-82.

72

BRUNNER, wie Anm. 20, S. 246; F. DÖRRER, Probleme rund um die theresianische Kreiseinteilung Tirols, in: Beiträge zur geschichtlichen Landeskunde Tirols. FS fur F. Huter. hg. V. E. TROGER/G. ZWANOWETZ (Schiernschriften 207), Insbruck 159, S. 57-85, hier S. 57; F. SUNDNER, Die Kreisämter als Vorläufer politischer Behörden I.Instanz (1748-1848), in: J. GRÜNDLER (Hg.), 100 Jahre Bezirkshauptmannschaften in Österreich, Wien 1970, S. 9-18; QUARTHAL, wie Anm. 41, S. 47-55.

73

QUARTHAL, w i e A n m . 4 1 , S. 6 5 - 8 2 ; DERS., wie A n m . 5, S. 288.

74

Die josephinische Magistratsreform ist in den vorderösterreichischen Städten wesentlich einschneidender empfunden worden als die theresianische Reform und hat deswegen in der lokalgeschichtlichen Literatur eine umfängliche Beachtung gefunden, während die Maßnahmen von 1753-1756 häufig unbeachtet blieben, bzw. mit den theresianischen Reformen zusammengeworfen wurden. Einen Überblick gibt SEIDLER, wie Anm. 40, S. 156-180.

Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten

233

Beamtenstand heranzuziehen, der bereit war, sich voll dem Dienstgedanken des absolutistischen Staates zu unterwerfen. Nur durch den tiefgreifenden Mentalitätswandel in der Beamtenschaft — bis hinein in die Stadtmagistrate — konnte der absolutistische Staat seine volle Wirksamkeit entfalten 75 . Durch Formung eines durch Bildung, Laufbahnvorschrift, Austauschbarkeit und Mentalität weitgehend homogenen Beamtenstandes konnte die „Verstaatlichung" weiter korporativ und genossenschaftlich geregelter Lebensbereiche in den Territorien des 18. Jahrhunderts durchgesetzt werden. Was zuvor in feudalem Sinn der persönliche Dienst und die persönliche Treueleistung für den Landesherrn gewesen war, entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Dienst an dem Staat. Der „allerhöchste Dienst" wurde zu einer konkreten und realen Norm, an der der Einsatz der einzelnen Beamten gemessen wurde — lange vor dem berühmten „Hirtenbrief' Kaiser Josephs II., in dem er eine neue Gesinnung seiner Beamtenschaft in einer quasi religiösen Hingabe an den Staat forderte. Ohne diesen Mentalitätswandel der Beamtenschaft wäre die theresianische Reform zwischen 1750 und 1760 in Schwaben ebenso gescheitert wie die Maßnahmen Kaiser Karls VI. im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Erst seit 1756 bzw. 1785 waren die Kommunalverwaltungen in den habsburgischen Städten Südwestdeutschlands auf den modernsten Stand im Sinne absolutistischen Staatsverständnisses gebracht. Dann aber mußten Unterschiede zu der Praxis in Reichsstädten auffällig werden und bei unmittelbarer Nachbarschaft, die zu Vergleichen einlud, Kritik herausfordern. In den kleineren südwestdeutschen Territorien änderten die Landesherren — zumindest nach dem bisherigen Forschungsstand — wenig an den äußeren Formen der Kommunalverfassung, sicherten sich jedoch einen maßgeblichen Einfluß auf die Verwaltung. Zugleich wurden wesentliche Kompetenzen den Kommunen entzogen und auf die Zentralbehörden übertragen. Durch strenge Aufsicht über alle Verwaltungshandlungen, insbesondere im finanziellem Bereich, war auch dort eine Integration in die absolutistische Verwaltung geglückt, auch wenn dort der Absolutismus stärker personell durch den jeweiligen Landesfürsten des Kleinterritoriums geprägt war 76 . Stärker formalisiert war das staatliche Handeln in dem zweiten Großterritorium Südwestdeutschlands, in Württemberg. Die württembergischen Verhältnisse sollen nur noch skizziert werden. Auch hier waren die wenigsten Städte landesherrliche Gründungen, sondern sie waren durch Kauf, Heirat oder Verpfändung an das Territorium gefallen. Sehr viel früher als in den habsburgischen Besitzungen begannen hier Vereinheitlichungstendenzen 11 . Im 15. Jahrhundert wurde das Gericht das tragende städtische Gremium; an die Stelle des häufig mit der Ehrbarkeit versippten Schultheiß trat ebenfalls im 15. Jahrhundert der landesherrliche Vogt 78 . Die Stadtrechte blieben im Prinzip unangetastet. Recht und Herkommen waren zumindest der Form nach Größen, die landesherrliches Handeln banden, auch wenn seit dem 16. Jahrhundert die Landesordnungen neues Recht schufen und über Wahlbeeinflussung und Kompetenzbeschneidung der "QUARTHAL, wie A n m . 41, S. 86-102, 190-312. 76

LEISER, wie Anm. 4, S. 130-134. Vgl. allgemein zur Eingliederung der Städte in den Territorialstaat den Beitrag von Karl Czok, der allerdings die Entwicklung mehr als einen Kampf der Fürsten gegen die landsässigen Städte denn als einen staatlichen Entwicklungsprozeß interpretiert (CZOK, wie Anm. 17,

S. 21-42, hier S. 31-33). SEIGEL, wie A n m . 52, S. 177-193. 78 DERS., wie A n m . 64, S. 14-43. 77

234

F. Quarthai

landesherrliche Einfluß bis zum 18. Jahrhundert beständig wuchs. Die erste Kommunordnung von 1702 und die zweite von 175679 setzten dann ein einheitliches Recht, auch wenn die Entmündigung der Kommunen bei weitem nicht so weit ging wie in Vorderösterreich unter Maria Theresia oder Joseph II. 80 . Im Gegenteil wurden dort im württembergischen Erbvergleich von 1770 kommunale Selbstbestimmungsrechte festgeschrieben 81 . Wichtig erscheint mir jedoch der Hinweis, daß die Entwicklung in Württemberg bisher nur im Rahmen der landesherrlichen Verordnungen verfolgt werden kann. Konkrete Untersuchungen im Rahmen einzelner Städte fehlen bislang, so daß die Entwicklung vielleicht glatter aussieht als sie im historischen Verlauf wirklich war. In einem Zusammenhang mit den landesherrlichen Veränderungen von Stadtverfassung und Stadtverwaltung landsässiger Städte möchte ich ein Phänomen in den Reichtsstädten stellen, das lange Zeit unter negativem Vorzeichen gesehen wurde: ich meine die Bürgerunruhen und die daraus entstehenden Reichshofratsprozesse 82 . Johann Jakob Moser, der von 1650 bis 1770 Beispiele solcher Prozesse in 30 Städten anführt, urteilte darüber aufgrund seines auf Ausgleich bedachten Staatsverständnisses : „Wann die Magistrate und Bürgerschaften so klug wären und bald anfangs überlegten, was dergleichen Prozesse und die daraus entstehende, auch darauf erfolgende Commissionen und militärische Executionen kosten, wurden sie auch so klug seyn und sich lieber bald Anfangs mit einander vergleichen." Mit diesen Konflikten haben sich in den letzen Jahren Karl Czok 83 , Klaus Gerteis 84 , Reinhard Hildebrandt 85 , und Jean Francois Noel 86 beschäftigt. Die Tendenzen der reichshofrätlichen Rechtssprechung sind deutlich : Bewahrung der obrigkeitlichen Rechte des Rates, die Betonung der Teilhabe der Bürgerschaft an der Vertretung der Reichsstandschaft, und der Versuch, Mißbräuche, namentlich finanzielle Gebrechen, abzustellen.

79

SPECKER, wie A n m . 52, S. 1-21.

80

Generalverordnung von 1702 (A.L. REYSCHER, Sammlung der württembergischen Gesetze, Bd. 13, Tübingen 1851, S. 755-804), „Commun-Ordnung" von 1758 (REYSCHER, Bd. 14, S. 537-777). Ebd., S. 15. 82 Zu den Reichshofratsprozessen vgl. MOSER, wie Anm. 14, S. 427-468; O. VON GSCHLIESSER, Der Reichshofrat. Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806, Wien 1942; W. SELLERT, Prozeßgrundsätze und Stilus curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Reichsgeschichte N F 18), Aalen 1973; BADER, wie Anm. 2, S. 56, 64; CZOK, wie Anm. 17, S. 21-42, hier S. 29; zuletzt V. PRESS, Die Reichsstädte des schwäbischen Reichskreises zwischen Revolution und Mediatisierung, in: Katalog der Ausstellung „Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons", Stuttgart 1987, S. 121-135. Zur Reflexion der Bürgerunruhen in der zeitgenössischen reichsstädtischen Historiographie vgl. SCHURIG, wie Anm. 29, S. 260-262. "Vgl. Anm. 63. 84 K. GERTEIS, Repräsentation und Zunftverfassung. Handwerkerunruhen und Vefassungskonflikte in südwestdeutschen Städten vor der Französischen Revolution, in: ZGO 122 (1974), S. 275-287; DERS., wie Anm. 17, S. 43-58. 85 HILDEBRANDT, wie Anm. 17, S.221-241; DERS., Zur Frage der reichsstädtischen Finanzen und Haushaltspolitik seit dem Westfälischen Frieden, in: E. MASCHKE/J. SYDOW (Hgg.), Städtisches Haushaltsund Rechnungswesen (Stadt in der Geschichte 2), Sigmaringen 1977, S. 91-107. 81

86

NOEL, wie A n m . 18, S. 121-131.

Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten

235

Stellt man jedoch die wenigen gut untersuchten Beispiele reichshofratlicher Tätigkeit zusammen — Augsburg 87 , Ulm 8 8 , Rottweil 89 , Reutlingen 90 , Isny 91 — so wird offenbar deutlich, daß es um weit mehr als Rechtssprechung geht. Den Urteilen ging in der Regel eine intensive Bestandsaufnahme des gesamten Stadtzustandes voraus. Die Tätigkeit des Reichshofrates war zu guten Teilen eher eine administrative denn einen jurisdiktionelle. So mußte die Reichsstadt Ulm dem Reichshofrat um 1770 einen ausführlichen Bericht über die städtischen Aktiva und Passiva, zusammen mit ausgearbeiteten Verbesserungsvorschlägen, einreichen, bevor ihr die Veräußerung städtischer Realien gestattet wurde 92 . Über das weitere Vorgehen mußte die Stadt regelmäßige Jahresberichte nach Wien senden, in denen das Finanz- und Verwaltungsgebaren Ulms überprüft wurden. In Fragen der Besoldungsregelung in Heilbronn, Schweinfurt und Dinkelsbühl nahm der Reichshofrat nahezu die Funktion einer landesherrlichen Oberbehörde ein. Jean Francois Noel sprach von einem „halb gerichtlichen, halb administrativem Verfahren 93 . Die Modernisierung der städtischen Verwaltung und Rechnungsführung — etwa im Fall von Isny — wurde im Auftrag des Reichshofrates vorgenommen. Seine Entscheidungen hatten — wie sich an Isny und Rottweil zeigen läßt — Verfassungscharakter wie das Stadtrecht. Uber Lokal-und Hofkommissionen konnte der Reichshofrat intensiv in das innerstädtische Leben eingreifen. Eine bekannte Tatsache ist es, daß das Reich keine Unterbehörden hatte, und daß die Kreise seit dem 17. Jahrhundert teilweise in diese Funktion hineingewachsen sind. Eine besondere Rolle fiel dabei den kreisausschreibenden Fürsten zu. Ihre Tätigkeit als kaiserliche Kommissare, die seit dem späten 17. Jahrhundert einen breiten Raum einnahm — in Form der Subdelegationskommission —, ist trotz einer breiten archivalischen Überlieferung für Südwestdeutschland so gut wie nicht untersucht, worauf unlängst Raimund Weber hingewiesen hat 9 4 . Durch die Tätigkeit landesfürstlicher Beamter als Subdelegationskommissare ist in vielen Fällen der Modernisierungsschub der landesherrlichen Verwaltung namentlich im Finanzwesen an die Reichsstädte weitergegeben worden. Reichsstädte stehen im Ruf, eine überteuerte Verwaltung gehabt zu haben 95 . Dort, wo dies nachprüfbar ist — etwa im Falle Isnys — scheint dies im Vergleich mit landesfürstlichen Verwaltungen oder landsässigen Städten nicht unbedingt zu stimmen. Isny hatte zwischen 1777 und 1785 Personalausgaben in Höhe von rund 3700 fl., wobei der graduierte Stadtschreiber rund 500 fl. erhielt 96 . Auf diese Summe 87

BÁTORI, w i e A n m . 3 2

88

GÄNSSLEN, w i e A n m . 32, S. 1 2 0 - 2 0 2 .

89

A. LAUFS, Verfassung und Verwaltung der Stadt Rottweil 1650-1806 (VKomLk in Baden-Württemberg Β 22), Stuttgart 1963. '•'S. STÄHLE, Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Reutlingen zwischen 1740 und 1770. Aspekte reichsstädtischer Geschichte im 18. Jahrhundert, in: Reutlinger Geschichtsblätter N F 23, (1984), S. 7207. 91

92

C.-H. HAUPTMEYER, Verfassung und Herrschaft in Isny. Untersuchungen zur reichsstädtischen Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte, vornehmlich in der Neuzeit (Göppinger Akademische Beiträge 97), Göppingen 1976.

GXNSSLEN, w i e A n m . 32, S. 120f.

« N O E L , w i e A n m . 18, S. 124. 94

R.J. WEBER, Die kaiserlichen Kommissionen des Hauses Württemberg in der Neuzeit, in: ZWürttLG 43 (1984), S. 205-236; für Reutlingen vgl. STÄHLE, wie Anm. 90, S. 66-96. 95 So zusammenfassend GERTEIS, wie Anm. 5, S. 91. 9

SPETH, w i e A n m . 37, S. 147-149.

236

F. Quarthai

kamen vergleichbare landesfiirstliche Städte auch. Für einen promovierten Juristen war diese Summe zu Ende des 18. Jahrhunderts keine exorbitante Bezahlung. Auch reichsstädtische Verwaltungen und Verfassungen wandelten und modernisierten sich während des 17. und 18. Jahrhunderts. Wie in den landsässigen Städten kam der Druck dazu von außen. Im Unterschied zur systematischen Tätigkeit landesherrlicher Verwaltung blieb das Reich gegenüber den Reichsstädten auf einer altertümlichen Stufe stehen: Die Tätigkeit des Reichshofrates glich der intermittierenden Territorialverwaltung des 16. Jahrhunderts, obwohl auch hier Übergangsformen festzustellen sind, wenn etwa der Rat die Finanzverwaltung und das Steuerwesen über einen langen Zeitraum an den Reichskreis abtreten mußte. Auf jeden Fall muß man, um das Verhältnis Kaiser — Reichshofrat — Reichsstadt besser zu beurteilen, weniger den jurisdiktionellen Aspekt der Reichshofratsentscheidung, sondern ihre administrative Funktion herausstellen. In der Beurteilung des Erfolges reichshofrätlicher Maßnahmen wird oft betont, daß sie erfolglos gewesen seien, weil sich nach 15 oder 20 Jahren die gleichen Mißstände gezeigt hatten. Ich meine jedoch, aus der zeitgenössischen Situation gesehen, sind 20 Jahre eine lange Zeit, die eher für eine erfolgreiche Tätigkeit spricht. Dem Konzentrationsprozeß der Territorien und deren Integration der Städte in die Territorialverwaltung folgte das Reich über den Reichshofrat und die Kreiskommissionen zwar abgeschwächt, aber doch spürbar, wenn auch in antiquierten Formen. Der Kaiser als Stadtherr war in den Reichsstädten seit dem 18. Jahrhundert keine Leerform 97 ; in seinem Verhältnis zu den Reichsstädten nahm er teilweise landesherrliche Züge an, so sehr, daß man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Tätigkeit der Magistrate als Auftrags Verwaltung für den Kaiser interpretiert hat 9 8 . Wesentlich aber erscheint die Tatsache, daß Schuldenkrisen, Oligarchisierung der Verwaltung, Bürgerunruhen in landesherrlichen wie in Reichsstädten im 17. und 18. Jahrhundert gleichermaßen auftraten. Es gab in dieser Periode eine Krise städtischer Existenz, die bei den Reichsstädten nur deswegen so manifest wurde, weil Remeduren nur über ein Eingreifen von außen möglich waren. Die wirtschaftliche Krise der Städte nach dem Dreißigjährigen Krieg war allgemein, in Südwestdeutschland wurde sie verstärkt durch den Ausfall der traditionellen Handelspartner in Norditalien seit der gleichen Zeit. Die Territorialisierung des Gewerbes, der Verfall des neckarschwäbischen Weinhandels, die Präponderanz Norddeutschlands im geistigen Leben, die enorme Kriegsbelastung des südwestdeutschen Raumes bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts und dann ieder seit 1756, dazu die Belastung durch die hohe strukturelle Arbeitslosigkeit dieses Raumes, die Konkurrenz durch die wirtschaftlich agile Schweiz in der neuen Arbeitsform, der Manufaktur, und der modernen Vertriebsform, dem Verlag, das Fehlen einer wirklich großen Territorialmacht, die in der Hochphase des absolutistisch und kameralistisch geprägten Zeitalters Impulse in Südwestdeutschland hatte setzen können, all dies führte die im Grund mittelalterlich strukturierten Städte dieses Raumes in eine soziale und ideelle Krise. Im Territorium gab es durch die absolutistisch geprägte Regierungsspitze eine Kraft, die gegen beharrende Kräfte eine Veränderung aufzwingen konnte. Daß dabei die Verbesserung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen und strukturelles 97

98

Im Gegensatz dazu sah K.S. BADER ein „merkwürdig gehemmtes Verhältnis der Reichsstädte zum Reich" und sprach von einer .Abwehrhaltung G. J. auf Kaiser und Reich". (BADER, wie Anm. 2, S. 66.)

HILDEBRANDT, w i e A n m . 17, S. 2 4 0 .

Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten

237

Machtinteresse absolutistischer Herrschaft unter Hintansetzung gewachsener Privilegien und genossenschaftlicher Selbstbestimmung Hand in Hand gingen, steht außer Frage. Territorium und Stadt waren jedoch in dieser historischen Situation aufeinander angewiesen. Es kann kein Zweifel bestehen, daß „landesfürstliche Städte aus staatlicher Einordnung neue Lebenskräfte zur Förderung des Wohlstandes, Handels und Gewerbes zogen" 99 . Landesherrliche Städte wurden von außen gezwungen, mit den Entwicklungen des modernen Rechts- und Verfassungslebens Schritt zu halten 10°. Auf Territorium und Stadt lastete durch die wirtschaftliche Veränderung gleichermaßen ein externer Druck zur Veränderung, doch nur die Territorien besaßen die Instrumentarien, ihre Städte zur nötigen Anpassung zu zwingen. Eine wesentliche Aufgabe des 18. Jahrhunderts war es, die auf Grund von Privilegien, Herkommen und oligarchischer Abschließung besetzten Führungsgremien der Städte in einem Rationalisierungsprozeß durch qualifizierte und in den modernen Bildungssystemen bewährte Beamte und Gremien zu ersetzen. Daß dabei durchaus gleichwertige Normen wie Selbstbestimmung, Wahlrecht, soziale Vernetzung hintangesetzt wurden, steht außer Frage. Der gemeine Nutzen wurde weitgehend an Effizienz und finanziellem Ertrag gemessen. Verwaltungsreformen gelangen also Städten der Territorialstaaten des 18. Jahrhunderts nur durch Eingriffe von außen. Die Reichsstadt war in der Territorialstruktur des 18. Jahrhunderts ein antiquiertes, keineswegs jedoch statisches Gebilde. Mangels ausgebildeter institutioneller Wege konnten Neuerungen dort nur auf dem Wege über Bürgerunruhen, kaiserliche und reichshofrätliche Eingriffe geschehen. Bislang hat man die Bürgerunruhen in den Reichsstädten des 18. Jahrhunderts mit Blick und im Vergleich zu den Ereignissen des revolutionären Frankreichs bewertet. Ein Interpretationsmodell, daß Reichs- und Territorialstädte einander annähert, das im Kaiser einen „Landesherrn" der Reichsstädte sieht, der mit antiquierten Methoden reagieren mußte und der über Quasi-Verwaltungsinstrumente wie Reichshofrat, Subdelegatskommission und Debitkommission unter pfleglicher Wahrung traditioneller Rechtszustände eine Modernisierung von Sozialstruktur, Wirtschaft, Verwaltung und Verfassung der Reichsstädte erreichen wollte und sich dabei des Modernisierungsvorsprungs der Reichsstände durch die Übertragung von Kommissionen auf deren Beamte bediente, dies erscheint mir für die historische Realität schlüssiger zu sein als bisherige Deutungen. Da diese Modernisierung in den Reichsstädten jedoch nur mit Verzögerung gegenüber den Territorien erfolgte, ist ein Nachweis einer Effizienz dieser Reformen in vielen Fällen wegen der baldigen Mediatisierung der Reichsstädte nur in wenigen Fällen zu erbringen 101 . Über Ulm beispielsweise brach die Mediatisierung 1802 mitten in Verhandlungen zwischen Rat und Bürgerschaft unter Vermittlung des kaiserlichen Ministers beim Schwäbischen Kreis herein; ein vom

"HUBATSCH, w i e ANM. 33, S. 35 100 l01

Ebd. Verwiesen sei nochmals auf den Tenor älterer Darstellungen, wo es hieß: „Längst hatten die Reichsstädte ihre Zeit erfüllt. Alt und morsch geworden, wurden sie von den Stürmen der napoleonischen Kriege hinweggefegt. Ruhmlos fielen sie Mächten zum Opfer, die im Laufe der Jahrhunderte stärker geworden waren als sie selbst: 'Die Länder, nicht die Stadtstaaten wurden das Rückgrat der deutschen Staatsentwicklung"'. (E. SCHELL, Die Reichsstädte beim Übergang an Baden, Heidelberg 1929, S. 14).

238

F. Quarthai

Ratskonsulenten Holl vorgelegter demokratischer Verfassungsentwurf konnte weder beschlossen noch konnte seine Realisierbarkeit getestet werden 102 . Sicher ist die Verwaltung der Reichsstädte nicht das, was ihre Bedeutung ausmacht. Otto Borst hat in seinem grundlegenden Aufsatz die kulturelle Leistung der Reichsstädte auch für die Zeit nach 1550 als ihren eigentlichen Beitrag zur Geschichte Südwestdeutschlands in der Neuzeit herausgearbeitet 103 . Und nicht zuletzt war auch das Reichsbewußtsein, das von ihnen getragen wurde, ein wichtiges Element für die Existenz dieses Reiches 104 . Im Blick reichsstädtischer Historiographen waren die Reichsstädte für den Kaiser „opes et robur Imperii, ja welche man mit Fug als edle Kleinodien der kaiserlichen Krön ansehen mag" 105. Das Kaiserhaus galt für die Geschichtsschreiber als „die Pflegemutter mindermächtiger Reichsstände, absonderlich der Reichsstädte, die Grundveste des Reichs, die Haupt und Glieder durch Jahrhunderte hin in dieser Verfassung glücklich befestigt hat" 106. Jede Anstrengung zur Erhaltung der Reichsstädte war zugleich ein Dienst am Reich. Dies erklärt das Bestreben reichsstädtischer Geschichtsschreibung, den Konnex mit Kaiser und Reich herauszustellen und die Existenz der Reichsstädte mit historisch fundierten Argumenten zu verteidigen. Auf der anderen Seite kann die reichshofrätliche Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ihren Rückhalt im Kaiser hatte, als Bemühung des Reichsoberhauptes verstanden werden, mit den Mitteln, die die Reichsverfassung bot, einen Beitrag zur Bewahrung der kleinen Reichsstände und der Reichsstädte gegenüber den Territorien zu leisten. Beide Bemühungen sind gescheitert. Das Bindeglied zum Mittelstaat des 19. Jahrhunderts war das Territorium, nicht das mit unzureichenden Mitteln um Reform bemühte Reich. Um so anrührender ist die Passage in der Denkschrift des Rottweiler Bürgermeisters Hofer, die er 1802 „namens der freien Reichsstädte in Schwaben" der Reichsdeputation in Regensburg übergab, in der er die Selbstaufgabe der Reichsstädte als Mittel zum Fortbestehen des Reiches erklärte : „So empfindlich ihnen dieses unverschuldete Schicksal ist, [... ] so wollen doch diejenigen Reichsstädte in Schwaben, welche ausersehen sind, dieses letzte Opfer, sofern es zur eigentlichen Beruhigung des deutschen Vaterlandes unvermeidlich ist, auch noch bringen und dadurch beweisen, daß unser den von ihren Vorfahren auf sie gekommen echt reichsstädtische Tugenden, Vaterlandsliebe und Liebe zum Wohl des Ganzen, sie vorzüglich zu beseelen" 107. Mit den Reichsstädten ging das Reich unter, wie dies aus einer eindrucksvollen Stelle aus einem Schreiben der Frau Rath Goethe an ihren Sohn vom 19. August 1806 hervorgeht. Sie schrieb dort: „Mir ist übrigens zumuthe als wenn ein alter Freund sehr kranck ist, die Ärzte geben ihn auf, mann ist versichert daß er sterben "»GANSSLEN, wie A n m . 32, S. 127-142. 103

Vgl. O. BORST, Die geistigen und politischen Traditionen der Reichsstadt Esslingen am Ende des alten Reiches, in: Esslinger Studien 1 (1956), S. 43-55. 104 Vgl. H J . HERBIG, Kaisertum und Reichsstadt. Eine Studie zum dynastischen Patriotismus der Reichsstädte nach dem Westfälischen Frieden bis zum Untergang des Reiches, in: MVGNürnberg 58 (1971), S. 211-268. 105 E. ROTH, Historia Universalis Pragmatica, Ulm 1706, S. 2f. (zit. nach SCHURIG, wie Anm. 29, S. 228). 106 J.F. SCHÖPPERLIN, Von der Römischen Königswahl, in: DERS., Kleine historische Schriften, Bd. 1, Nördlingen 1782, S. 30, (zit. nach SCHURIG, wie Anm. 29, S. 294). 107 Die J.B.-Hofer-Denkschrift Namens der freien Reichsstädte in Schwaben 1802 überreicht bei der Reichsdeputation zu Regensburg, (hg. v. E. MACK), Rottweil 1926, (zit. nach SCHURIG, wie Anm. 29, S. 296).

Verfassung und Verwaltung in südwestdeutschen Städten

239

wird und mit all der Gewißheit wird man doch erschüttert wann die Post kommt er ist tot. So gehts mit und der gantzen Stadt. Gestern wurde zum ersten mahl Kaiser und Reich aus dem Kirchengebet weggelassen" 108. Dieser Brief stammt mit gutem Grund aus einer Reichsstadt. Trotz aller Reformbemühungen hatten die in der Reichsverfassung eingebetteten Reichsstädte bis auf wenige Ausnahmen nicht den Weg in die Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts gefunden. Obwohl den Landstädten in ihrer Verfassungsform nur wenig unterlegen, zählte die Reichsstadt neben den reichsfreien Abteien und der Reichsritterschaft zu den Verlierern bei der Reichsreform von 1803 und bei dem schließlichen Untergang des Reiches im Jahre 1806.

108

Wesentlich kritischer das Urteil K.S. Baders: „Die Reichsstädte von 1800 vermochten jedenfalls dem Heiligen Römischen Reich nichts mehr zu geben, was Kraft und staatliche Geltung bedeutet hätte. Sie waren reif für den Untergang." (wie Anm. 2, S. 70).

INTEGRATIONSPROBLEME GRÜNDUNGSSTADT

EINER

BÜRGERLICHEN

IN DER F R Ü H E N

MANNHEIM von B e r n h a r d

1660 -

NEUZEIT:

1720

Kirchgässner

I. Z u P r o b l e m s t e l l u n g u n d

Quellen

Der Terminus einer „bürgerlichen Gründungsstadt" wird hier in einem sehr spezifischen Sinn verwendet: Natürlich waren Stadtgründungen ein Privileg, die Rechtsverleihung also in breitestem Ausmaß nicht aus bürgerlichem Wollen und bürgerlicher Kraft allein zu vollziehen: Strukturgebung und Organisation einer förmlichen Stadtgründung waren zu allen Zeiten ein Akt hoheitlicher Gewalt und deren Ausübung. Die bewußt gewählte Formulierung dieses Themas will aber zum einen besagen und auch hervorheben, daß hier fürstliches Wollen seine Verwirklichung fand in einer ganz offensichtlich überaus aktiven Kommune, die es allem Anschein nach in erstaunlich kurzer Zeit verstanden hatte, aus einem aus vieler Herren Länder zusammenströmenden Konglomerat unterschiedlichster ethnischer — und zum Teil auch hier wiederum noch einmal in sich gespaltener religiöser — Gruppen eben eine Kommune herauswachsen zu lassen, die sich als solche verstand und auch als solche agierte. Zum anderen wollen diese Überlegungen versuchen, das vorhandene — und überaus spärliche — Quellenmaterial wie auch die Literatur, die angesichts der verheerenden Verluste in ihren älteren Beständen zum Teil ihrerseits schon wieder Quellenwert hat, auf moderne Problemstellungen abzufragen. Gelinde Zweifel des Autors dieser Zeilen gegenüber so mancher Aussage der Literatur legen ohnehin eine Überprüfung nahe. Zum Dritten ist schließlich — vor allem in der Literatur- und Musikgeschichte — das Mannheim der kurfürstlichen Zeit berechtigtermaßen wieder verstärkt Gegenstand wissenschaftlichen Interesses, das in der jüngsten Zeit auch der musikgeschichtlichen Bedeutsamkeit der „Mannheimer Schule" und ihrem Eigenwert vermehrte Aufmerksamkeit schenkt. Dagegen ist das Mannheim der bürgerlichen Zeit eigentlich nur in jener Ausprägung, wie sie das 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg sah, deutlicher beleuchtet. Die Zeit vor 1720, vor der Absichtserklärung und dem schließlichen Überwechseln des Hofes von Heidelberg nach Mannheim, ist dagegen wenig unter-

242

Bernhard Kirchgässner

sucht. Es mag vorläufig nur auf die häufig religiös bzw. konfessionell begründete Motivierung dieses „Standortwechsels" hingewiesen werden, mit deren unbesehener Rezeption man doch sehr vorsichtig sein muß : die ersten Baupläne für ein Schloß in der Ebene, für das im engen Talgrund Heidelbergs keine Entfaltungsmöglichkeit gewesen wäre, stammen schließlich aus der Zeit Johann Wilhelms, also längst vor dem berühmten Streit um die Heidelberger Jesuitenkirche. Ein Territorium wie die Pfalz am Rhein brauchte als Conditio sine qua non ihrer politischen Bedeutung ein entsprechend repräsentatives Gebäude zentraler Machtentfaltung. In Wirklichkeit haben die Heidelberger diese Chance, eine große Residenz in diesem Raum erbaut zu sehen, nicht erkannt, wie Hansjörg Probst neuerdings wieder betont hat; ihr Widerstand veranlaßte Johann Wilhelm, nach Düsseldorf zu gehen und dort seine „prächtige Residenz" zu bauen 1 . Im übrigen stellte sich dieses Problem für die Kurpfalz nicht anders, als für beide badischen Markgrafschaften, die in ihren Gründungen in Rastatt (von Baden-Baden aus) und Karlsruhe (von Durlach her) dieselbe Taktik verfolgten; ähnlich verfuhr das Bistum Speyer mit seinem einzigartigen Schloß von Bruchsal, als der Fürstbischof in dem engen Raum der Reichsstadt Speyer mit dem dortigen Rat kein Einvernehmen zu finden vermochte, oder auch Württemberg mit seinem Schloßbau in Ludwigsburg u.a.m. Der Zeitraum schließlich, der hier vorgestellt werden soll, ist vorgegeben nicht nur durch das Wiederanlaufen städtischen Lebens in der vom Dreißigjährigen Krieg schlimm heimgesuchten Stadt, sondern vor allem von der Quellenlage her: Neben den erhaltenen Privilegien sind die Ratsprotokolle, die kontinuierlich anfangs der 1660er Jahre einsetzen, nahezu der einzige Quellenbestand größeren Umfangs, der uns über das Alltagsleben jener Zeit unterrichtet. Als Endpunkt unserer Untersuchung wurde — wie oben schon angedeutet — das Jahr 1720 gewählt, in dem der Beschluß des Hofes erging, von Heidelberg nach Mannheim überzusiedeln. Damit war natürlich die spezifisch „bürgerliche" Phase der Mannheimer Stadtgeschichte im Ancien regime vorbei. Alltag ist es, was uns hier entgegenschaut, und er korrigiert in manchem den Höhenflug landesherrlicher Privilegienerteilung gründlich. Den Wirtschaftshistoriker freilich fasziniert gerade dieser Bereich städtischen Lebens erheblich mehr, als es die politische Geschichte tut. Diese bildet natürlich nicht nur den Rahmen unserer Untersucheung, innerhalb dessen sich Alltagsgeschichte vollzieht, sondern sie brachte auch 1689 mit dem Eingebettetsein gerade dieser Stadt und dieses Raumes in die europäische Politik die schlimmste Katastrophe vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, als seinerzeit der Befehlhaber der französischen Truppen in der Pfalz, Graf Mélac — ob nur in getreuer Befolgung erhaltener Befehle, ob in Überschreitung seiner Kompetenz, ist nicht immer klar ersichtlich — den ganzen Bereich des von ihm besetzten südwestdeutschen Raumes in Schutt und Asche legte: Die Pfalz am Rhein war ein rauchender Trümmerhaufen, in dem sogar der Wiederaufbau längere Zeit verboten war. Was sich hier aus den Ruinen noch einmal erheben konnte, war dann freilich kaum mehr als ein dürftiger Abklatsch eines einmal blühenden bürgerlichen Gemeinwesens. Die Ratsprotokolle zeigen nur allzu deutlich, daß von einem wirklich großen Zug, von einer zielstrebigen Bevölkerungs- und Gewerbepolitik nach 1689 kaum mehr die Rede sein konnte. •Hierzu R. HAAS/H. PROBST, Die Pfalz am Rhein, Mannheim 4 1984, S. 43 und 61ff.; ferner: H. EICHBERG, Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exerzitien, in: Z H F 4 (1977), S. 17ff.

243

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

II. T e r r i t o r i a l e

Probleme

Das Umland, in das die Stadt eingebettet war (und bis zur Stunde eingebettet blieb !), ist wie wenig andere deutsche Landschaften Spiegelbild territorialer Zerklüftung. Dies gilt bereits für die mehr als schwierigen Konfessionsverhältnisse: 1546 lutherisch geworden, 1559 zum Calvinismus übergewechselt und hier — wie Haselier mit Recht hervorhebt — durch rigide Strenge ausgezeichnet 2 , sollte die Pfalz ein Stützpunkt calvinistischer Lehre und reformierten Lebens werden, wie sie sich auch und gerade in Mannheim besonders deutlich ausgeprägt habe. 1576 kommt wieder orthodoxes Luthertum an die Macht, um nach wenigen Jahren unter dem calvinistisch gebliebenen Johann Kasimir erneut der reformierten Lehre zugeführt zu werden, wobei dieser Fürst nach anfänglichem Zögern nicht weniger rücksichtslos seine Auffassung vom wahren Evangelium durchzusetzen suchte. Der Dreißigjährige Krieg brachte den Landen am Oberrhein durch die Ambitionen Friedrichs V. für eine Politik in großem Stil verheerende Schäden: Der Landesherr mußte die Uberschätzung der eigenen Mittel wie auch der Beistandsbereitschaft seiner Glaubensgenossen bitter büßen, und mit ihm in noch größerem Umfange seine Untertanen. Kaiserliche Truppen, Schweden (besonders nach der Schlacht bei Nördlingen), Spanier — sie alle wollten aus dem Land leben, das ohnehin schon wirtschaftlich darniederlag. Karl Ludwig trat ein schweres Erbe an, als er 1619 in Mosbach auf pfälzischem Boden empfangen wurde. Klugheit wie wohl auch Veranlagung und Erfahrung ließen es ihm geraten erscheinen, konfessionelle Forderungen nicht mit allzu großer Strenge durchzusetzen. Die noch seinerzeit von Rudolf Haas zu recht betonte „Assimilierungsfähigkeit der Altpfälzer Restbevölkerung" ermöglichte es, die zuziehenden „Neubürger" in zwei bis drei Generationen einzuschmelzen. Damit sind wir aber bei dem Schicksal der Stadt selbst angelangt, dessen Ereignisse uns im folgenden beschäftigen sollen 3 .

III. Die Stadt zwischen D r e i ß i g j ä h r i g e m Krieg und

1. D e r S t a n d o r t u n d s e i n e

1689

Topographie

Für eine Festung war die Lage der Stadt Mannheim nahezu ideal: Auf der Landzunge zwischen Rhein und Neckarmündung gelegen, war lediglich von Osten her der Landzugang zu verteidigen. Der Rheinübergang bot nach Westen mancherlei Entwicklungschancen verkehrsmäßiger Art, technisch war er mit dem Wissen

2

Vgl. hierzu die gedrängte Zusammenstellung von G. HASELIER/G.W. SANTE, Die Pfalz — Das Saarland, in: Geschichte der Deutschen Länder, Bd. 1: Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches („Territorien-Ploetz"), hg. v. G.W. SANTE/A.G. PLOETZ-VERLAG, Würzburg 1964, hier S. 246ff. und HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 61ff.

3

HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 67.

244

Bernhard Kirchgässner

der damaligen Zeit zu bewältigen. Noch hatten ja die französischen Raubkriege nicht jegliche Hoffnung auf wirtschaftlich vernünftige Entwicklungsmöglichkeiten zunichte gemacht, noch war nicht das ganze so fruchtbare Land jemals völlig in eine Trümmerstätte verwandelt worden. Für eine Stadt allerdings sah die Sache anders aus, doch wird man vorsichtig sein müssen, die Stadtentwicklung von Anfang an in der später vollzogenen Weise als geplant vorauszusetzen, denn ein „um 1663" datierter Plan spricht bezeichnenderweise von der Festung nebst der daran liegenden (sie!; B.K.)

Statt Mannheim

4

.

Der Rhein war natürlich ein uralter Verkehrsweg, änderte jedoch den Stromverlauf mit jedem Hochwasser. Es gab Dörfer, die das eine Mal auf der linken, das andere Mal auf der rechten Seite des Flußbettes lagen, und die Ratsprotokolle sind voll von den ständigen Mühen und Kosten, welche allein diese Stromveränderungen verursachten. Der Neckar schließlich war mit seiner extremen Wasserführung noch viel gefährlicher; noch heute kann er, trotz aller technischer Bändigung, über Nacht um mehrere Meter anschwellen und die Schiffahrt lahmlegen, denn die Steilhänge des Odenwaldes halten bei schweren Regengüssen nicht allzu viel Regenwasser fest. Sollte damals die Stadt in dem geplanten Maße wirklich wachsen, mußte zudem die Einschnürung der Fortifikation von außen u n d zugleich von innen dieses Wachstum beengen, denn die Festung Friedrichsburg war ja gegen die Stadt nochmals in sich durch Wall und Graben abgeschirmt. Herrschte niedriger Wasserstand wie bei Tillys Belagerung 1622, dann half diese militärisch zweifelhafte Anlage freilich wenig, und bei hohem Wasserstand bildeten die stehenden Gewässer der Festungsanlagen sogar noch zu Ende des 18. Jahrhunderts eine ständige Quelle hygienischer Gefahren. Selbst Schiller, der die Stadt und ihre Bürger ja sehr schätzte, hat sich darüber noch sehr zu beklagen gehabt! Daß erst Rheinkorrektion unter Tulla und Eisenbahnverkehr für Mannheim die vollen Standortvorteile seiner Lage zum Tragen gebracht haben, sollte man deshalb füglich nicht vergessen. Daß schließlich die Ureinwohner des Dorfes Mannheim dem Plan einer Befestigung dieser Siedlung nicht allzu viel Begeisterung entgegenbrachten, gehört ebenfalls hierher. Dies läßt sich schon aus der ersten Gründungsurkunde von 1605 und ihren Ermahnungen ablesen, denn Walter schrieb zu recht, daß den Mannheimern nahegelegt worden sei, „von der Vereinbarung nicht wiederum abzuspringen oder irgendwelche Ausflucht zu suchen, die Arbeit der Befestigung nicht länger zu verhindern und den damit beauftragten Beamten nicht durch ungebührliche Worte ... Eintrag zu tun" 5 . Offenbar hatten sich also die Mannheimer gegen die landesherrlichen Wünsche gewehrt, solange sie überhaupt konnten. Festgehalten darf auch werden, daß schon die erste Anlage der Stadt den bürgerlichen Bereich in rechteckige Wohnblocks aufgeteilt hat; die heute noch ganz selbstverständlich so genannten „Quadrate" gehören damit von Anfang an zum Bild dieser Stadt. Dies soll deshalb noch einmal hervorgehoben werden, weil Walter seinerzeit meinte, es sei „eine ganz irrige Ansicht, als wäre in Mannheim die heutige Bezeichnung nach „Quadrat" alt". Es stimmt zwar, daß die Benennung der Straßen mit Straßennamen zeitgenössisch ist, aber der

4

H. FRIEDMANN, Alt-Mannheim im Wandel seiner Physiognomie, Struktur und Funktion (1606-1965), Bad Godesberg 1968, S. 12ff. 5 F. WALTER, Mannheim in Vergangenheit und Gegenwart, 3 Bde., Mannheim 1907, hier Bd. 1, S. 121ff., 131 (dieser erste Band des sog. „Roten Walter"im folgenden, auch im fortlaufenden Text, zitiert: WALTER); DERS., Schicksal einer deutschen Stadt, 2 Bde., Mannheim 1949/50.

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

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Terminus „Quadrate" taucht — wenn auch in anderer Reihenfolge als in der heutigen Innenstadt — bereits im 17. Jahrhundert öfter auf. Die Durchnumerierung erfolgte seinerzeit freilich nicht, wie heute, in der den von der senkrechten Achse nach rechts und links ausgehenden Waagerechten, die die Stadt in ihrer Topographie heute noch in zwei Hälften teilt, sondern „schlangenförmig" durch das Gesamt-Corpus der Stadt hindurch. Den Terminus der „Quadrate" verwendete man übrigens damals auch in denjenigen Fällen, in denen die kreisförmige Befestigung noch nicht einmal den Raum für ein halbiertes oder abgeschrägtes Rechteck ausgespart ließ. Dies ist deshalb für die Stadtgeschichte wie für die Stadttopographie von Interesse, weil heute nur noch wenige "planwidrige" Schrägstraßen in dem sonst rechtwinkligen Stadtplan erkennen lassen, wo einstens die Notwendigkeit der Fortifikation über den rational geplanten Rahmen einer „Quadratestadt" den Sieg davongetragen hat. Nicht selten hat man beide Bezeichnungen zusammengefaßt, wenn man etwa von einem Haus in der Wormbser Gaß im 40. Quadrat gesprochen hat; heute würde die Bezeichnung „E 7" hierfür genügen. Eine Fülle von Literaturbelegen kann man übrigens dafür anfügen, daß man die Planmäßigkeit einer solchen Stadtanlage im Ancien regime als ausgesprochen ästhetischen Wert angesehen hat, während sie dem heutigen Betrachter gelegentlich etwas nüchtern und allzu schematisch erscheinen mag 6 . Das nahegelegene Frankenthal zeigt übrigens nicht annähernd diese Regelmäßigkeit; Kassel, Hanau, Erlangen usw. sind Annexe bereits bestehender oder Fortführung ursprünglich vorhandener Siedlungen, während Mannheim eines der wenigen Beispiele sein dürfte, in denen noch heute die City der modernen Großstadt den Raum der seinerzeitigen „Quadrate-Grwwdwngs -Stadt" überdeckt. Für die Entwicklung noch wichtiger war damals die Herauslösung aus dem Oberamt Heidelberg und damit die direkte Unterstellung unter die Regierung bzw. den Kurfürsten: Noch in großherzoglich-badischer Zeit führte das Mannheim des 19. Jahrhunderts denjenigen Titel, den in kurpfälzischer Zeit nur noch Heidelberg und Frankenthal führte: Es nannte sich „Hauptstadt". Die ersten Privilegien von 1606 sind übrigens insofern ein Unikum, als sie zwar eine Reihe wertvoller Rechte nennen wie etwa Fron- und Zollfreiheit, freien Zu- und Abzug bei Hausbau innerhalb von 20 Jahren (wobei lediglich eine Zahlungspflicht für den Bodenzins von 4 Pfennigen je Rute festgelegt wurde und die Bauplätze ansonsten unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden). Wie aber die Stadt strukturiert sein könne, wie also die Stadtverwaltung funktionieren würde, war ebenso wenig festgelegt, wie auch nur die eigentliche Stadterhebung als solche präzise formuliert worden war. Walter stellt — mit Recht sehr erstaunt — fest : „Über seine Erhebung zur Stadt und Festung erhielt Mannheim vom Kurfürsten keine förmliche Urkunde" 7 . Man nahm in der Folgezeit offenbar an, daß dieses Procedere seine rechtliche Ordnung haben werde. Die Festlegung der Konfession fehlt freilich nicht: Angehörigen des reformierten Glaubens — und nur ihnen allein — sollten diese Freiheiten gelten 8 . Auch die Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg änderte an

'Hierzu FRIEDMANN, wie Anm. 4, S. 13ff. (für das 17./18. Jahrhundert) und S. 27ff. (für das Barockzeitalter) ; die zeitgenössischen Belege für die „Quadrate" u.a. in : Ratsprotokolle der Stadt Mannheim im StadtA Mannheim (im folgenden zitiert: RP) 1677, S. 227; 1680, S. 515; 1686, S. 208 u.a.m. Ab 1700 findet sich diese Bezeichnung mit einiger Regelmäßigkeit. 7

WALTER, w i e A n m . 5, S. 130.

8

Ebd., S. 129f.

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den Verhältnissen wenig, lediglich der Festung Friedrichsburg wurde beim Wiederaufbau nun auch statt der bisherigen — weitgehend radial geführten — Straßen die Rechteckform der Wohnblocks vorgegeben. Die Wasserversorgung scheint anfangs ein großes Problem gewesen zu sein; die Zahl der Brunnenmeister, die in den Ratsprotokollen aufgeführt werden und wohl auch die Zahl der einzelnen Brunnen in der Stadt widerspiegeln, steigt von den 15 des Jahres 1661 auf die 30 des Jahres 1678 an. Schon bei dieser Alltagsfrage werden wir auf eine der Integrationsschwierigkeiten verwiesen, denn 1672 wird ein Vorschlag auf Errichtung von Pumpbrunnen abgewiesen mit dem Vermerk, daß diese im Winter zu leicht einfrieren würden, vor allem im Hinblick auf Lenthe, welche dergleichen allhie zu Landt [hierzulande] nicht gewohnt sind, die also aus ihrer Heimat keine strengen Winter mit länger andauerndem Frost kannten und keine dementsprechenden Erfahrungen mitbrachten. Da die Stadt bei einer anderen Entscheidung mit erheblichen Kosten einen eigenen Brunnenmacher hätte anstellen müssen, blieb es bei den gewohnten Kettenbrunnen mit ihren Schöpfeimern, auch wenn das gelegentlich für die Viehtränkung problematisch werden konnte 9 . Eine zweite, fast trivial anmutende Tatsache mag dies Zusammenwachsen so heterogener Menschengruppen zu einem Gemeinwesen drastisch beleuchten: Die unterschiedlichen Lebens-, und vor allem die Eßgewohnheiten werden schlagartig deutlich in einer Beschwerde, welche 1682 von Seiten der Bäcker beim Rat angelangt ist: Das Weißbrot müßten sie, so argumentieren sie, vom Gewicht her etwas kleiner backen als Schwarzbrot und Roggenbrot, denn die meisten von den welschen Bürgern und Einwohnern dahier [wollen] kein Schwarzbrot oder Rückenbrot eßen 10. Wenn man weiß, welch zentralen Punkt in der Ratspolitik die Durchsetzung vernünftiger Preise gerade für die Grundnahrungsmittel bedeutet haben, wie erbittert man um jede Preis-Heraufsetzung oder -Herabsetzung gekämpft hat, erkennt man unschwer, daß mit solchen — von der Sache her durchaus berechtigten — Forderungen die Preispolitik des Rates unterlaufen werden konnte. Wollte der Stadtrat, der sich da in den Anfangszeiten nach 1648 sogar mehrheitlich aus Zu Wanderern (und zwar großenteils Zuwanderern aus französischsprachigem Gebiet) zusammengesetzt hat, dem Gemeinwesen dienlich sein, mußte er solchen Forderungen oft genug nachgeben. Daß hierbei dann die Belange der Einheimischen, die allen politischen und militärischen Rückschlägen zum Trotz am Ort geblieben waren, auch wiederum nicht verprellt werden durften, liegt auf der Hand. In solchen Alltäglichkeiten mußte sich die Gemeinsamkeit des Schicksals einer Gründungsstadt bewähren, denn die Möglichkeit freien Abzugs, welche die Privilegien ja ausdrücklich offengehalten haben, war für die Stadt eine ständige Bedrohung eines neuerlichen, diesmal dann friedlichen Aderlasses. Die Kunst des Improvisierens und ein gehöriger Schuß Pragmatismus kennzeichnen den Pfälzer mit seiner gegenüber allen Extrempositionen vorsichtigen Haltung bis hin zur religiösen Indifferenz übrigens bis zum heutigen Tag.

9 R P 1672, S. 201f. vom 11.6. 10RP 1682, S. 49 vom 31.1.

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2. D i e P r i v i l e g i e n v o n 1 6 5 2 u n d i h r e

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Auswirkungen

a) Recht und Verfassung Über die Exemtion aus dem Verband des Oberamtes Heidelberg und die oben schon genannten Freiheiten hinaus mußten die Anreize zur Zuwanderung in eine nunmehr ja zerstörte Stadt erheblich vermehrt und vertieft werden, wollte man neue Zuwanderer — und zwar potente Zuwanderer, denn auf diese legte man Wert und nicht etwa auf arme Schlucker — gewinnen. Hier sind nun in erster Linie Gewerbe- und Zollfreiheit zu nennen, aber auch das — schlußendlich mißglückte — neuerliche Aufgreifen des „Wildfangrechtes", kraft dessen der Pfalzgraf Anspruch erhob auf „alle unehelich geborenen oder nicht fest ansässigen Leute in den Nachbargebieten" n . Unterschiedliche Zeiten, unterschiedliche Anschauungen und entsprechend unterschiedliche Autoren haben gerade die Toleranzpolitik Karl Ludwigs hoch gepriesen (so etwa von Feder) oder auch nicht so recht akzeptieren wollen, daß „das religiöse Moment nicht mehr wie früher den Ausschlag in der pfälzischen Politik" bildete, daß also diesem Kurfürsten ferngelegen habe, „die gefährliche Rolle des Führers der protestantischen Stände zu übernehmen" (Walter). Freilich bleibt unbestritten, daß es sich nach dem Dreißigjährigen Krieg hier um eine zweite Gründung, „um ein vollständiges Neuschaffen und Neubegründen handelte", denn der Beibericht zu den Privilegien von 1652 charakterisiert die Lage der Stadt eindringlich als eingenommen, abgebrannt, ausgeplündert und übel zugerichtet, daß sie viele Jahre ohne Einwohner wüst gestanden u. Das Mekka aller, die aufbauwillige Menschen suchten, waren damals eindeutig die Niederlande. Zuzügler aus Holland oder einem anderen freien Land der Welt sind in den pfälzischen Akten dieser Zeit schon beinahe eine stehende Redensart; in unserem Zusammenhang steht sie in Artikel I der Privilegien. Generell wandte man sich freilich an alle ehrlichen Leute von allen Nationen (les gens de bien de toutes sortes de nationes). In der Tat lassen die Privilegien von 1652 eine erstaunlich freiheitliche Struktur von Verwaltung und Wirtschaft erkennen 13 . Zusätzlich zu den Rechten, die man Frankenthal gewährt hatte, die offenbar für die Neugründung Mannheims als beispielhaft angesehen und auf die ausdrücklich verwiesen wurde (Art. I), wird die Befreiung von Leibeigenschaft und Fron, für 20 Jahre Freiheit von pfälzischen Steuern und Zöllen, schließlich neben der Handelsfreiheit geradezu revolutionär Gewerbefreiheit verkündet: Kein Handwerck oder Handwercksleut sollen in Mannheim unter Zünfften stehen, sondern mag ein jeder aida arbeiten nach seinem

11

WALTER, w i e A n m . 5, S. 131 u n d 171f.

12

Hierzu H. VON FEDER, Geschichte der Stadt Mannheim, Bd. 1, Mannheim und Straßburg 1875, S. 44; ferner WALTER, wie Anm. 5, S. 171f. Dieselbe Problemstellung wird neuerdings aufgegriffen bei HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 88.

"WALTER, w i e A n m . 5 ; VON FEDER, w i e A n m . 12, S. 48. H i n s i c h t l i c h F r a n k e n t h a l s i e h e B. KIRCHGÄSSNER,

Merkantilistische Wirtschaftspolitik und fürstliches Unternehmertum: Die dritte kurpfalzische Hauptstadt Frankenthal, in: Beiträge zur pfalzischen Wirtschaftsgeschichte (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 58), Speyer 1968, S. 99FF, hier S. 109FF. Die Privilegien wurden Verf. in einem Druck von Vögelins Erben im StadtA Mannheim in einer Fotokopie zur Verfügung gestellt, vermutlich aus dem Jahre 1752; Signatur: Kl.Erw. 445. In Art. II heißt es übrigens ausdrücklich, die freie Passage „mit allen ihren Gütern an den Chur-Pfältzischen Rhein- und anderen Zöllen" gelte für die „nechst folgenden dreyssig Jahren", nicht für 20 Jahre, wie e s b e i HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, a u f S. 88 s t e h t .

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Belieben, und zwar mit so viel Knechten und Instrumenten, als er gut finden wird (Art. XII der Privilegien). Bedeutsam war, daß der Artikel II auch den freien Abzug nicht nur für Mannheimer, sondern auch für alle Außländischen zugestanden hat; Art. IV und V legten die Freiheit von Accis oder Ungelt fest, soweit es den Hausgebrauch betraf; die für den überschießenden Betrag anfallenden Gelder sollte der Stadtrat vereinnahmen und für die Pflasterung oder für andere, für die Stadt notwendigen Aufwendungen verwenden. Auch das Recht zur Niederjagd behält Art. VI den Mannheimern offen, soweit die — gar nicht geringe — Mannheimer Gemarkung reicht; die Konzessionierung entsprechender Wochen- und Jahrmärkte wird in Art. VII festgelegt, gehört also auch von Anfang an zum Bild dieser Stadt. Die Rekognitionsgebühren für Grund und Boden werden auf 4 Doppelpfennige je Rute festgelegt, Baumaterial will der Kurfürst umb billigen Preiß ... lieffern lassen (Art. VIII und IX). Den Schutz der Tuchmacherei, deren hohe Blüte er ja während seines Exils in den Niederlanden hat bewundern können, wollte er auch hier gewahrt wissen: Er versprach, den Tuchhandel dargestalten frey handzuhaben, wie er jetzo zu Leyden, Verviers und anderswo florirt. Ausdrücklich wird auch die Freiheit vor zünftischer Kontrolle festgehalten — ob das wirklich einer den Niederlanden vergleichbaren Qualitätsproduktion im Textilsektor dienlich gewesen wäre, kann man freilich bei aller Faszination eines solchen Konzeptes von Wirtschaftsfreiheit doch fragen. Mußte der Kurfürst in die Stadt militärische Besatzung legen, sollten die Soldaten in Baracken, und nicht gegen den Will[en] bey den Bürgern logiren. „Dragonaden" sollte es also in einer solch freiheitlich konzipierten Stadt nicht geben; die Kosten für „Wehr und Waffen" durften in dieser Hinsicht nicht den Bürgern aufgebürdet werden. Die wohl wichtigste Gruppe von Bestimmungen, welche die Stadt in manchem in die Nähe einer Reichsstadt alten Stils rückte, betraf die Selbstverwaltung bzw. das Wahlrecht zu den einzelnen Organen: Der Magistrag sollte aus wiircklichen Einwohnern aida, doch ohne Unterschied von Nationen bestehen. Zwar behielt sich der Kurfürst das förmliche Ernennungsrecht der obersten Funktionsträger vor, die Ernennungg sollte aber aus einem Dreiervorschlag des Rates an den Fürsten vorgenommen werden und bildete somit praktisch ein modifiziertes Selbstergänzungsrecht (Art. XV). In diesem Zusammenhang wird die Unterstellung unmittelbar unter ihrer Kurförstlichen Durchlaucht festgelegt, darüber hinaus erhalten alle „Einwohner" — also wohl auch die 1660 privilegierten Juden als „Schutzverwandte" — das jus de non evocando: Sie brauchen ausschließlich vor Mannheimer Gericht Recht zu suchen und Recht zu finden. Dies bedingt freilich auch die Zuständigkeit des örtlichen Gerichtes für alle Fälle bis 50 Gulden oder Reichstaler Streitwert. Erst bei darüber hinaus gehendem Streitwert ist eine Appellation an die nächsthöhrere Instanz möglich. Die gantze politzey, die auch die Gewerbeförderung u.ä.m. einschließt, wie auch die zivile Jurisdiktion obliegt dem Stadtrat; am Leben zu strafen ist freilich eine Sache des Kurfürsten. Öffentliche Rechenschaftslegung wird jährlich im vollen Rat vorgeschrieben, damit erkenntlich sei, daß die gemeine Gelder wohl administrirt werden. Wir werden freilich sehen, wie der gute Wille des Landesherren gerade hier nicht zu hindern vermochte, daß der Schlendrian sich Bahn gebrochen hat. Bei Kapitalaufnahme von Seiten der Stadt durften übrigens keine Einwohner oder Burger von Mannheim darvor verbunden, versetzt oder verobligirt werden. Zwei oder drei begabte Kinder will der Kurfürst ohne Unterschied der Nation ... solang studiren oder reisen

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[lassen], biß das sie in der Polizey, Kirchen oder Schulen gebraucht werden können (Art. XVI). Die vielfältig gerühmte und auch hier schon wiederholt angesprochene religiöse Toleranz Karl Ludwigs sollte man freilich im Kontext zeitgenössischer Gewohnheiten sehen 14 . Sicher ist, daß ihm konfessionelle Zänkereien zuwider waren. Die Privilegien verweisen allerdings ausdrücklich auf die öffentliche Übung der reformierten Religion, Schulen, Liturgia, Katechismus, Kirchenordnung und was dem anhängig. Des weiteren wird festgelegt: Sobald funfftzig Familien, die außländischer Sprach gewont seyn, aida wohnen werden, wird der Kurfürst Pfarrer und Schulmeister für diese Sprachgruppe unterhalten. Die Wahl dieser Amtsträger obliegt den jeweiligen Konsistorien, bedarf aber der Zustimmung des Stadtrates und auch des Kirchenrates zu Heidelberg. Immerhin wurden damit für diese Zeit schon beinahe ideale Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wenigstens innerhalb ein- und derselben Konfession die unterschiedlichen ethnischen und die religiös differierenden Gruppen zu einem Ganzen sich zusammenfügen konnten. Daß dies freilich eben zeitgenössische Grenzen hatte, zeigt der Bau der Eintrachtskirche, der 1677 begonnen und 1680 eingeweiht wurde: Es sprachen neben dem lutherischen auch ein reformierter Geistlicher und ein katholischer Pfarrer bei der Einweihung ein Gebet, aber zum einen war die hübsche Luise von Degenfeld — Karl Ludwigs zunächst morganatische, später kraft eigener Souveränität des Kurfürsten seine offizielle Frau — Anhängerin der reformierten Lehre; die Vermutung, die habe bei der ganzen Sache ihre Hand im Spiele gehabt, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Diese Kirche stand freilich noch im Festungsbereich der Friedrichsburg, die ja mit ihrem Festungsgürtel seinerzeit weit in das spätere Corpus der Stadt hineinreichte; für gute Soldaten hat man aber auch schon zu Ende des 17. Jahrhunderts mancherlei getan, was im zivilen Bereich nicht durchsetzbar gewesen wäre. Für die Bürgerstadt jedenfalls sprechen die Privilegien, wie wir oben sahen, immer nur und ausdrücklich von Angehörigen des reformierten Bekenntnisses. Auf diese bezieht sich das abschließende Versprechen des Kurfürsten, daß die Bürger von Mannheim gegenüber ihm oder einem anderen etwa kommenden Stadtherrn nicht zu huldigen noch ihre Pflichten abzulegen schuldig seyn sollen, ehe der Stadtherr vorhin (d.h. zuvor) mit Handtrew an eydsstatt gelobt habe, diese Privilegien zu respektieren, und zwar sowohl was den reformierten Kirchendienst, als [auch] die Policey betrifft. Bei Veränderung der Herrschaftsverhältnisse soll Mannheim genau wie Frankenthal einen Versicherungsbrieff hierüber erhalten. Man darf aber festhalten, daß diese Amalgam-Wirkung der einen Kommune bis zur Zerstörung von 1689 sich doch recht zielstrebig durchsetzen konnte, wobei die Privilegien nicht nur in der Stadt, sondern auch in der beherrschenden Festung Friedrichsburg Geltung haben sollten, denn auch für dort erfolgte 1663 eine förmliche Neuredaktion. Es war freilich ein mehr als buntes Volk, das sich hier ein Stelldichein gab: „Hugenotten und Wallonen, vorwiegend Tuchmacher aus der Gegend von Calais, Guiñes, Paris, Poitou und Sedan, Handwerker und Kaufleute aus den Gegenden von Amsterdam, Vlissingen, Leyden, Maastricht, Middelburg, Rotterdam, St. Quentin,

14

Die vermutlich zu optimistisch vorausgesetzte Toleranz Karl Ludwigs u.a. bei VON FEDER, wie Anm. 12, S. 42, 48 und 112 (mit Anm.), wo der Einfluß der Raugräfin von Degenfeld auf das Entstehen der reformierten Gemeinde in der Festung Friedrichsburg deutlich herausgearbeitet wird. Hierzu auch WALTER, w i e A n m . 5, S. 180.

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Utrecht und aus der französischen Schweiz" fanden sich hier zusammen 15 . Zu ihnen kamen dann die später noch zu behandelnden Juden, die sich ihrerseits wieder in „deutsche", portugiesische und polnische Juden unterschieden, wobei wir bei den „Portugiesen" wohl über Südfrankreich (Lyon/Avignon?) in die Pfalz eingewanderte Sepharden vermuten können. Für jede dieser Grupppen gab es Reibungsflächen in Fülle : Sprache und Kultur, unmittelbar erlebte Schicksale wie völlig unterschiedliche Lebensgewohnheiten, Herkunft aus ganz unterschiedlichen Rechtskreisen usw. usw. vermengten sich in einem ganzen Netzwerk rechtlicher und sozialer Überkreuzungen, innerhalb dessen Toleranzen der Stadtrat agieren mußte. Dies alles mußte ihn, der ja zunächst einmal sowohl Auffangbecken für die unterschiedlichen Auffassungen, wie auch Schiedsinstanz für die daraus resultierenden Rechtshändel größeren und kleineren (gelegentlich aus kleinlichen!) Formates war, in beträchtlichem Maße beanspruchen. Seine häufigen Sitzungen, die ja für die beteiligten Ratsherren das Problem der Abkömmlichkeit vom eigenen Wirtschaftsbetrieb im Weber'schen Sinne notwendig mit sich brachten, stellte in einer Gründungsstadt damit den Stadtrat vor überaus schwierige Probleme. Daß die Großzügigkeit der Privilegien doch beachtenswerten Erfolg hatte, läßt sich an mancherlei Zeichen ablesen. Einer der nächstliegenden, feilich auch mehr als problematischen Indikatoren ist das Wachsen der Stadtbevölkerung. Ob man die 1.200 Seelen vor der Einnahme der Stadt durch Tilly ernst nehmen soll, bleibt angesichts jeglicher zuverlässiger Quellen offen. Mehr als problematisch ist die für 1688 bereits wieder mit 12.000 Seelen angegebene Bevölkerung, die in der Literatur des 19. Jahrhunderts auftaucht und bis in die Neuzeit hinein dankbar nachgeschrieben wird 16 . Friedmann wiederum glaubt für 1650 überhaupt keine Einwohner ansetzen zu sollen, 1663 seien es dagegen schon 3.750 gewesen, 1684 gar 7.200 und 1688 10.500. Bei der letzten Zahl, die unter Rückgriff auf von Feder angeführt wird, rekurriert man auf die Basis einer Geburtenzahl von 441, wobei der Multiplikator von 24 von Mauersberg übernommen wird. Es zeigt sich schon in dieser Zusammenbringung unterschiedlichster Autoren mit ihren Untersuchungen über ganz unterschiedliche Zeiten, daß hier mit einer gewissen Willkür — wenn sicherlich nicht auch ohne einige Überlegung — gearbeitet worden ist, daß aber auf der anderen Seite all diese Berechnungen auf schwachen Füßen stehen. Das von Friedmann angenommene Wachstum von 7.200 von 1684 auf 10.500 bis 1688 wirkt jedenfalls durchaus glaubwürdig. Lutheraner und Deutsch-Reformierte hatten 1685/86 80 bzw. 120 Geburten, die Französisch-Reformierten immerhin 90; katholische Geburten sind hier mangels Quellen noch nicht faßbar, wobei wir den in jener Zeit sicherlich nicht unbeträchtlichen Unterschied einmal außer acht lassen wollen, daß Friedmann von „Geburten" spricht, die Zahlen aber aus den Kirchenbüchern stammen, also vermutlich die Taufen widerspiegeln. Das Areal der Stadt gibt Friedmann mit 900 bebauten Hausplätzen bei einem Gesamtareal von ca. 70 ha an und baut auf diesen approximativ wirkenden Angaben seine Berechnungen auf; die gesamte Gemarkung wird mit 2.000 Morgen beziffert, „wovon allein 900 Morgen nutzbares Land der Stadt

15

G. JACOB, Art. „Mannheim", in: Badisches Städtebuch, hg. v. E. KEYSER (DtStB 4.2), Stuttgart 1959, S. 109fT., hier S. 112 unter Ziffer 6a. 16 VON FEDER, wie Anm. 12, S. 72 und 74; im o.g. „Badischen Städtebuch" werden hiervon die „11.000 bis 12.000" in etwa übernommen (vgl. Anm. 15).

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gehörten" 17. Das oben genannte Recht der (Nieder-)Jagd war also so uninteressant nicht: Als zu Anfang des 18. Jahrhunderts vom kurpfálzischen Oberjägermeister , Jagdstöcke" unmittelbar vor der Stadt aufgestellt wurden, um so den herrschaftlichen Jagdbereich abzustecken, wehrte sich die Stadt energisch und mit Erfolg um ihre Rechte, in deren immemoriali possessione libertatis diese Rechte enthalten seien. Die Heidelberger Regierung hat auch den Oberjägermeister prompt zurückgewiesen mit dem deutlichen Hinweis, daß die Statt Mannheim die klein Jadt [ !] in dasigem ganzen District überlaßen worden, dieselbe sich auch von undenklichen Jahren her in dem Exercitio sothaner kleiner Jadtbarkeith ruhig befunden. Das war immerhin schon im Vorfeld des kurfürstlichen Residenzwechsels, in einer Zeit also, da die Regierung ansonsten mit den Rechten der Stadt nicht gerade zimperlich umgesprungen war 1 8 . Amtssprache war — zumindest was die Ratsprotokolle anbetrifft — Deutsch. Zur Ehre der Schreiber muß man übrigens festhalten,, daß sie im allgemeinen diese Protokolle sorgfältig geführt haben — daß oft genug Latinismen in wenig klassischer Form in den Text eingeflossen sind, gehört zum Stil der Zeit. Die Verwendung der deutschen Sprache ist um so bemerkenswerter, als ein großer Teil des Rates aus dem französischen Sprachraum stammte; man wird also davon ausgehen dürfen, daß in beträchtlichem Umfang Zweisprachigkeit herrschte. Die Führung der Ratsprotokolle als der wohl wichtigsten laufenden Aktenreihe in deutscher Sprache zeigt aber doch, daß — zumindest auf Dauer — ein gewisser Einschmelzungsprozeß erfolgt ist, zumindest insoweit, als es die Verwaltung der Stadt betrifft. Das religiöse Leben wird man hiervon freilich ausnehmen müssen — in Frankenthal wurde bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts (auch) noch französisch gepredigt. Nach der formalen Seite hin legt übrigens der häufig feststellbare Wechsel der Schriftform die Vermutung nahe, daß nicht nur der Stadtschreiber für die Führung dieser — bis über 800 Seiten anschwellenden — Bände verantwortlich war, sondern daß er Gehilfen hatte. Immerhin erfuhren diese Leute oft genug die intimsten Einzelheiten aus dem Leben ihrer Mitbürger, es gehörte also schon ein Stück Verantwortungsbewußtsein zu diesem Amt, zumal der Ratsschreiber angesichts der häufigen Wechsel in den einzelnen Ämtern so etwas wie „der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht" gewesen war. Wohl nur er allein wußte in allen Einzelheiten Bescheid, wo man etwa wichtige Präzedenzfälle suchen und finden konnte — er allein überschaute die Geschäfte der städtischen Verwaltung wohl mehr, als die jährlich wechselnden Bürgermeister, die oft genug aus dem Handwerkerstand stammten. Das Archiv- und Registraturwesen war offenbar gleichfalls Gegenstand sorgfältiger Pflege: 1765 werden der Statt Mannheim Documenta und Briefschaften aus der Festung Friedrichsburg zurückgeholt, da die Registraturkammer im Rathaus fertig war; die Stadtprivilegien werden in einer eigenen eisernen Kiste in der BürgermeisterStube verwahrt, in einer weiteren die Deposita (also wohl die anderen wichtigen Urkunden). Als die kriegerisschen Ereignisse das Schlimmste befürchten ließen, hat man vor 1689 fünf Kisten städtischer ,Akten" nach Frankfurt gebracht, wollte sie aber aus Sorge, sie könnten durch Feuchtigkeit Schaden nehmen, möglichst bald wieder zurück haben: Zur Wiederaufrichtung einer Registratur wird ein bestimmter

"VON FEDER, wie Anm. 12, S. 104; FRIEDMANN, wie Anm. 4, S. 12f. und S. 16ff., schließlich aus dessen Gewährsmann H. VON MAUERSBERG, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit, Göttingen 1959; Friedmann verweist hier auf S. 22ff. 18 RP 1714/15, S. 487ff. und 1716/17, S. 308f.

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Raum bereitgestellt, doch haben die Kriegsläufte es anders erzwungen, denn die Kisten mit Documenten und Briefschaften mußten in Frankfurt bleiben. Nach Meinung des Stadtschreiberei-Verwesers waren es übrigens nur noch vier — wo die fünfte, die oben genannt wurde, hingekommen war, bleibt offen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind dann (auf der Flucht per Schiff?) die alten sowohl als neue uff Pergament hiesiger Statt Mannheimb gnädigst concedine Privilegia gantz und gar verdorben ... worden. 1704 konnte man endlich den Rücktransport in Angriff nehmen, der genaue Zeitpunkt ist freilich nicht feststellbar. Als der Gang der Verwaltungsgeschäfte dann immer größeres Ausmaß angenommen hat, erbittet und erhält der Stadtschreiber 1715 eine Zulage wegen Haltung eines Scribenten ; der Rat erhöht sogar die erbetenen 50 fl Salär auf 50 Reichstaler (= 75 fl), damit man die Stattraths Registratur in gutem Standi bringe und darin erhalte 19. Vielleicht hatten jene schlimmen Erfahrungen dazu beigetragen, welche die Stadt 1711 in der Feststellung zusammenfaßte, wonach sie bekanntlich in vorigem Seculo zwey biß 3 [ !] Mahlen totaliter ruiniret und dardurch die mehreste hiesiger Statt Documenta und Acta zerstrewet wordten sind. Das Wenige, was man retten konnte, war in dem letzteren Heydelberger Brandt verloren gangen, also das mann kümmerlich die Orginalia der General-Privilegien dahier und noch etliche wenige Protocolla salviret 20 . Mit aller Zähigkeit hat man deshalb immer wieder auf die alten Rechte rekurriert, konnte doch nur so aus einer bunt zusammengewürfelten Menschenmenge noch einmal eine eigentliche Kommune zusammenwachsen. Erstaunlich war es also schon, daß Deutsch die Verwaltungssprache blieb, zumindest für die Ratsprotokolle mit ihren zahllosen Rechtsentscheidungen, Vormundschaftsbestellungen, „Polizei-" (d.h. in unserem Sprachgebrauch: Gewerbe-) Verordnungen usw. usw. Immerhin setzte sich der Rat der Stadt entsprechend der Zusammensetzung der Bevölkerung aus Wallonen, Franzosen, Niederländern und Deutschen reformierten Glaubens zusammen; anfangs waren sogar die „ A u s l ä n d e r " in der Mehrzahl. Ahnliches galt übrigens für die im Alltagsleben der Stadt wichtigen Brunnenmeister: Von den 15 namentlich Aufgezählten des Jahres 1661 führten 10 Funktionsinhaber Namen aus dem französischen oder niederländischen Sprachraum — die vier, die als Einzieher des Brunnengeldes amtierten, sogar allesamt. 1672 waren es von der auf 26 Personen angestiegenen Zahl dann immer noch 14, also mehr als die Hälfte 2 1 . Bemerkenswert ist übrigens, daß bei aller Liberalität in all diesen Alltagsämtern keine Juden auftauchen. Dies könnte damit zusammenhängen, daß solche Amtsträger erwehlt und mit gewönlichen Pflichten belegt wurden — sind sie im Moment der Wahl ortsabwesend, wird die Verpflichtung nachgeholt und im Protokoll festgehalten: Es ist nicht auszuschließen, daß die Übernahme dieses Amtes bzw. die dabei zu leistende Verpflichtungsformel wegen religiös eingefärbten Formulierungen von den Juden selbst als inakzeptabel angesehen worden sind. b) Stadtverwaltung und bürgerliche Verhältnisse Angesichts der Quellenarmut ist es nicht ganz einfach, sich vom tatsächlichen städtischen Leben auch nur ein halbwegs wirklichkeitsgetreues Bild zu machen. Mit Recht

19

RP 1675, S. 26; 1681, S. 712; 1689, S. 11 und 320; 1703, S. 374; 1704, S. 174, 322 und 331; 1713, S. 549; 1714/15, S. 506f. und 683. 20RP 1711, S. 80ff. 21 HAAS/PROBST, wie Anm. 1, S. 88; R P 1661, S. 153ff. Für den Vermerk nachträglicher Verpflichtung bei momentaner Abwesenheit als Beispiel: R P 1663, S. 403 und 407ff.; R P 1672. S. 41X11'.

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hebt die Darstellung von Rudolf Haas und Hansjörg Probst in der Neuauflage der Publikation „Die Pfalz am Rhein" darauf ab, daß an der Spitze der Stadt Stadtschultheiß und Stadtdirektor standen, nicht etwa — wie von Feder seinerzeit etwas irreführend formuliert hat — der R a t 2 2 : Mannheim war natürlich bei all den konzedierten Freiheiten eine landesherrliche Stadt. Die Verfassungswirklichkeit sah freilich ein wenig anders aus, als zwar der erste Schultheiß, den der Kurfürst nach dem Dreißigjährigen Krieg ernannte, der Niederländer van Deyl aus Haag war und der erste Stadtdirektor der Wallone Heinrich Clignet, dessen Familie 1573 nach Schönau bei Heidelberg kam und dann nach Otterberg übersiedelte. Clignet selbst war 1603 geboren und von 1653 bis zu seinem Tode 1683 im Amte des Stadtdirektors. Gerade er — von dem nach eigenen Worten der Entwurf der Privilegien von 1652 stammt — hat sich aber ganz und gar mit dieser „seiner" Stadt identifiziert. Er betrieb Ölmühlen und Ziegeleien, scheint aber seine Machtstellung nie ausgenutzt zu haben. Gerade ihm schreibt die Literatur ein wesentliches Verdienst für das Zusammenwachsen dieses heterogenen Bevölkerungsgemisches zu einer funktionsfähigen Stadtgemeinde zu 2 3 . Bei der Durchsicht der Ratsprotokolle hat man freilich mitunter den Eindruck, dieser Einsatz für die Stadt habe ihn nicht daran gehindert, gelegentlich unter Rückendeckung des Kurfürsten den Stadtrat vor vollendete Tatsachen zu stellen, wenn dieser allzu schwerfällig um eine Meinungsbildung rang 2 4 . Aber Mannheim verdankte diesem Manne viel, und er hat sich auch gegenüber seinem fürstlichen Herrn die Freiheit herausgenommen, in recht deutlicher Sprache die Schwierigkeiten zu erläutern, welche die Mixtur so vieler Nationen mit sich bringe. Es sei kein Geld im Lande, klagt er 1659, und deshalb herrsche schlechte Nahrung. Ferner sei weder Weingartbau, das [!] anderswo Geld bringt, noch einige Manufaktur annoch aufgerichtet — wobei man aufgrund von vorhandener Literatur gelinde Zweifel hat, ob diese Eingabe an den Kurfürsten nicht doch auch mit einigem Zweckpessimismus durchsetzt war. Einleuchtend dagegen sind seine Klagen über das Mainzer Stapelrecht, wo man die Waren in andere Schiff überschlagen und oft mancher sein Schifflein um den vierten Teil seines Werts verkaufen muß. In der Tat setzte die territoriale Zersplitterung auch einer großzügig konzipierten Wirtschaftsund „Peuplierungs"-Politik harte Grenzen in den faktischen Machtverhältnissen, wenn man auch Clignets weitere Ausführungen eher rhetorisch aufnehmen möchte, wonach Nationen [sie!], welche hie zu Mannheim wohnen und meist aus den Wasserländern hieher zu größerm [ !] Kosten seind gekommen, als sie nach Indien sollen haben fahren können — ein Sperriegel war der Mainzer Stapel allemal 25 . Unverkennbar ist auch, daß die Stellung der Bürgermeister schwach war und durch die zunehmende Stärkung der Position des Stadtschultheißen, also des landesherrlichen Beamten, in wachsendem Maße beschnitten worden ist. Ob sie ihre Kompetenzen überschritten haben, oder ob der Territorialherr ganz einfach seinen Einfluß vergrößern wollte, ist schwer zu sagen. Die Bürgermeister werden jedenfalls — und zwar schon vor

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VON FEDER, wie A n m . 12, S. 74; HAAS/PROBST, wie A n m . 1, S. 88. VON FEDER, wie A n m . 12, S. 74ff.; WALTER, wie A n m . 5, S. 173f.; schließlich HAAS/PROBST, wie A n m . 1, S. 88f.

24

Hierzu etwa der — ebenso umständliche wie für den Zeitgeist höchst bemerkenswerte — Streit über d e n g e n a u e n P l a t z des M a r k t b r u n n e n s : R P 1663/64, S. 325FF.; 1665, S. 138; 1666/67, S. 4, 27 u n d 4 0 9 ;

1675, S. 415. Möglicherweise einen zweiten Brunnen auf dem Marktplatz zeigen: RP 1679, S. 391, ferner 1680, S. 187 und 514 u.a.m. 25 Zitiert nach WALTER, wie Anm. 5, S. 181.

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Bernhard Kirchgässner

der Katastrophe von 1689 — zunehmend in ihre Schranken verwiesen. Dabei muß man offenlassen, ob so mancher brave Handwerksmeister nicht einfach überfordert war, denn die häufigen Sitzungen brachten durch den Verdienstausfall erhebliche Probleme mit sich. Strafen für das Zuspätkommen, genauere Überwachung der Reisekosten, die Notwendigkeit einer Straffung der Verhandlungsführung u.v.a.m. zeigen, wie mühsam diese Geschäfte waren. Dies galt in vermehrtem Umfange dann, wenn der Bürgermeister auch noch „Handwerksherr" (auch gelegentlich „Zunftmeister" genannt) gewesen ist, also die Interessen einer einzelnen Zunft in unerläßlichem Interessenausgleich zur ganzen Stadt wahrnehmen mußte 26 . Der früher geschilderten Regelmäßigkeit der Stadtanlage entsprach es, daß die Häuser nach vorgeschriebenem Modell gebaut werden sollten. Die reichlich optimistische Darstellung alter Stadtpläne auch schon für die Zeit vor 1620 begegnen in der ortsgeschichtlichen Literatur mit Recht einiger Skepsis, da insbesondere der Ausbau der Festung recht langsam vor sich ging, weil zugleich am Heidelberger Schloß und in Frankenthal an Stadt und Festung gebaut werden sollte: „Schon 1609 stockten die Arbeiten und wurden 1610 vorläufig eingestellt" 27 . Überhaupt wird man der Feststellung zustimmen müssen, daß die Siedlung erst allmählich ihren dörflichen Charakter verloren hat; Rückschläge wie die schlimme Pest 1666 schwächten den Wiederaufbau nach dem Dreißigjährigen Krieg erneut; ein Verbot gegenüber dem Bader, wegen jetziger Zeit großer Gefahr bis auf weitere Rats- Anordnungen kein Baadt mehr [zu] halten, waren nur primitive Mittel, angesichts einreißender Contagion wenigstens zu hemmen, was mit den Mitteln der damaligen Zeit gehemmt werden konnte 2 8 . Übrigens beschritt die Stadt — vermutlich sogar aus eigenem Entschluß, denn es wird nichts von einem kurfürstlichen Befehl erwähnt — den Weg einer förmlichen Volkszählung, die wir erstmals 1676 erfassen, ohne daß wir allerdings ihre Ergebnisse übermittelt bekämen: In diesem Jahr weist der Rat die sog. „Viertelmeister" an, in ihren Quartieren alle Einwohner und Beysaßen, wie sie heißen und wo sie her sind, zugleich auch zu notirn, waß in allen Quartirn vor Logementer umb Geld oder sonst zu haben seyen. Ein wenig überraschend scheint hier das Abheben dieser Zählung auf „Einwohner", nicht etwa auf „Bürger" mit all deren Rechten und Pflichten zu sein. Ob man diesen Terminus — im Gegensatz zu „Beysassen" — synonym gebraucht, oder ob man sich nur einfach einen zuverlässigen Überblick über die schon genannte Mixtur [von] so vielerlei Nationen verschaffen wollte? 29 . In einer ähnlichen Veranstaltung, die man genau zehn Jahre später vorgenommen hat, sollten die Viertelmeister ausdrücklich statistisch zusammenfassen: a) b) c) d)

die in Mannheim befindlichen kurfürstlichen Leibeigenen, alle jetzo hier seyenden winklichen Bürger, schließlich alle Ortsanwesenden, die weder Bürger noch Beisassen gewesen sind, und zusätzlich sollten die Judenvorsteher ein accurat Verzeichnis aller allhier sich aufhaltenden Juden mit ihren Angehörigen aufs Rathaus lieffern.

26

Hierzu aus vielen anderen die folgenden Passagen in den Ratsprotokollen: 1674, S. 391ff.; 1675, S. 357; 1680, S. 61 und 415; insbesondere aber die Einschränkung der Befugnisse der Bürgermeister auf S. 416ff. HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 8 5 u n d 8 9 f .

28RP 1666/67, S. 128 (Badeverbot); 1678, S. 363; 1679, S. 101; 1683, S. 313. 29RP 1676, S. 248; 1686, S. 284; die Stelle aus dem Schreiben Clignets aus WALTER, wie Anm. 5, S. 181.

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Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

In Zeiten grassierender Krankheit — so etwa 1678 — wird auf herrschaftlichen Befehl sogar jemand fest angestellt, der einmal wöchentlich durch alle Gassen zu gehen hat, um alle bettlägerigen Kranken und sämtliche Todesfälle aufzuschreiben. Er muß sogar diese Vorfälle in eine Tabell bringen und alßdann dem Stadtschreiber einliefern. Seine Entlohnung muß von der Stadt übernommen werden; immerhin bekommt der 1679 einen vollen Gulden je Woche und wird zusätzlich von Wachdienst und Frohnleistung befreit. 1683 ist freilich seine Tätigkeit occasione der nunmehr Gottlob ufgehörten Contagion ... beendet. Wie immer man damals dieses Bevölkerungsgemisch beurteilt haben mag — der Rat wollte offenbar die Übersicht behalten, denn es kamen auch „viele nach Mannheim, die weiter nichts anlockte, als die Zollprivilegien", und viele ließen sich hier nieder „ohne Anspruch auf das Bürgerrecht" (Walter). In der Tat bezog sich ja derr Art. II der Privilegien auf alle die jenige, welche von nun an und in den nechst folgenden dreyssig Jahren nach Mannheim werden wohnen [sie!] kommen. Da sich unter dieser Wohnbevölkerung auch „wohlhabende Handelleute, die dem Aufbau derr Stadt durch ansehnliche Häuser genützt hätten", befunden haben, verwandte sich der Rat für deren Interessen, drang aber bei der Regierung nicht durch 3 0 . Ob die Regierung dann im Nachhinein die Privilegien restriktiver handhabte, oder ob sie nicht explizit ausgeführte Rechtstatbestände mit einem ihr genehmen Inhalt füllte, kann man heute nicht mehr sagen; Walter rechnete immerhin mit einem Anteil an Nichtbürgern von einem runden Drittel. Festhalten darf man freilich, daß nach der Katastrophe von 1689 die städtischen Organe sich nahezu ausschließlich nur noch für Bürger und Schutzverwandte, hierunter insbesondere für die Juden, eingesetzt hatten.

IV. Die K a t a s t r o p h e :

1689 -

1698

Die Politik der „verbrannten Erde", die der französische General Mélac auf Betreiben des französischen Kriegsministers Louvois in der Pfalz rücksichtslos — und wohl auch zum ersten Mal in dieser barbarischen Systematik über einen ganzen Landstrich hin — angewandt hat, ist hinreichend bekannt, so daß wir uns hier mit einigen wenigen Punkten begnügen können, die für die Geschichte der Stadt Mannheim wesentlich sind. Eingegrenzt wird dieser Zeitraum unserer Betrachtung einerseits durch die Verbrennung der Stadt und die Vertreibung ihrer Bewohner im März 1689, andererseits durch den 1698 erfolgten Befehl Johann Wilhelms zum Wiederaufbau. Ein solcher „Befehl" von Düsseldorf aus mochte zwar gut gemeint sein, brachte aber nur wenig Menschen dazu, ein weiteres Mal von vorne anzufangen. Vielleicht das erschütterndste Dokument dieser Zeit ist das Vorstelligwerden der „Bürgervorsteher" (sie!) bei der Regierung im Jahre 1691, es möge doch den Maurern und Zimmerleuten per Decretum verbotten werden, ...an keinem Gebaw zu Mannheim bey Straf nichts mehr aufzumauern oder aufzuschlagen : Man war gewarnt worden, der französische Kommandant zu Philippsburg warte nur darauf, bei einem

30

Hierzu nochmals die Belegstellen in den Anm. 28 und 29.

256

Bernhard Kirchgässner

entgegen dem französischen Verbot vorgenommenen Wiederaufbau erneut alles niederzubrennen und die neu zugezogenen Menschen als Gefangene wegzuschleppen 31 . Als die Franzosen dann schließlich doch gegen hohe Kontribution eine Notlösung auf dem rechten, d.h. auf dem nördlichen Neckarufer erlaubten, wo sich wieder an die 1.000 Menschen in rund 200 Hütten zu einem „Neu-Mannheim" zusammengefunden haben sollen, mußte die Stadt bis einschließlich 1714 eine jährliche Kontribution errichten. Die Ratsprotokolle sprechen zunächst von 3.000 Gulden (1705); da die Juden hiervon zum Teil ein Siebtel, in manchen Jahren 300 Gulden Anteil zu entrichten hatten, kann man annehmen, daß die „Normalzahlung" bei 2.000 Gulden pro Jahr lag. Dies bedeutete für eine ausgeblutete Stadt eine beinahe unerträgliche Last, die sie oft genug nur durch eigene Geldaufnahme bewältigen konnte. Tatsächlich hat man zur Begleichung dieser und anderer drückender Belastungen über Jahrzehnte hinweg immer wieder das eine Loch aufgerissen, um das andere zu stopfen 32 . Um die Jahrhundertwende mag Mannheim dann „etwa 500 Bürger" gehabt haben — wieviele davon Alt-, wieviele Neubürger gewesen sind, wissen wir ebenso wenig, wie wir etwa unterscheiden können, ob es sich hier tatsächlich um Bürger im vollen Rechtssinne gehandelt hat oder ob man das einfach als statistische Größe hinnehmen muß. Angesichts der schrecklichen Not hatte man ohnehin andere Dinge zu tun, als sich zunächst einmal um solche Rechtsfragen zu kümmern. Offen blieb auch die Frage, ob weiterhin durch die Festungsanlage das Gesamtareal der Stadt in zwei Bereiche getrennt bleiben sollte, woran natürlich weder der Stadtrat noch die zur Rückkehr aufgeforderten Flüchtlinge ein großes Interesse bezeugten 33 . Die Hanauer Kolonie bzw. Schultheiß und Ratsherren, soweit sie dort lebten, forderten in einer ausführlichen Denkschrift die Schleifung der Festung bzw. die Vereinigung von Stadt und Friedrichsburg zu einem einzigen Gesamtcorpus. Die Pfälzer Kolonie in Magdeburg wurde noch deutlicher: In ihrem unter dem 18.12.1697 geschriebenem Memorandum, das noch nicht einmal an den Kurfürsten, sondern an die führenden Kräfte in „Neu-Mannheim" gerichtet war, wiesen sie darauf hin, daß sie durch Krieg ausgetrieben und ohne landesherrlichen Schutz geblieben seien. Im übrigen seien sie keine Leibeigenen, sondern freie Leute, die unter brandenburgischem Zepter ruhig leben könnten, während in der Pfalz die drohende Nachbarschaft Frankreichs abschreckend wirke. Sie wollten deshalb bleiben, wo sie seien. Der Rath von Neu-Mannheim leitete die Schreiben sofort an den Kurfürsten weiter; vielleicht war dessen Anordnung vom 14.3.1698 zum Wiederaufbau tatsächlich eine indirekte Antwort auf jene deutlichen Formulierungen aus Magdeburg, wie von Feder seinerzeit angenommen hat 3 4 . Wie dem auch sei, eines wird hier mit aller Deutlichkeit klar: Ohne nachdrückliche Hilfe des Staates — noch mehr: ohne die Präsenz des Hofes am Oberrhein war keine Hoffnung auf einen dauerhaften Neuanfang möglich.

31

RP 1689/92, S. 211 vom 10.10.1691. Die wenigen Notizen aus vier Katastrophen- und Notjahren fanden in einem Band Platz! 32 Hierzu u.a. Belege in folgenden Ratsprotokollen: 1705, S. 233; 1709, S. 307 und 319; 1710, S. 117 und 128; 1711, S. 48 und 188; 1712/13, S. 56 (vom 23.2.1712) und S. 585 (vom 20.9.1713); schließlich für dieses letzte Mahl 1714/15, S. 90f. (vom 12.4.1714). 33

HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 93.

34

Hierzu die Belege in den RP 1689/91, S. 212 vom 10.10.1691 und S. 400 vom 26.9.1692 (Verweigerung der Ungeldzahlung); ferner RP 1692, S. 3f.

257

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

V. P r o b l e m e d e s

Wiederaufbaues:

1. N e u a u f b a u d e r V e r w a l t u n g : T e r r i t o r i a l s t a a t im W i d e r s t r e i t

und

Kommune

Rein rechtlich gesehen lagen die Verhältnisse natürlich weitgehend offen: Zum einen konnte nur die verstärkte Einwirkung des Territorialstaates einen gedeihliche Neubeginn ermöglichen, denn ohne ihn war ein solches Unterfangen hoffnungslos. Auf der anderen Seite besaß zwar die Stadt ihre alten Rechte, es zeigt sich aber bei genauem Zusehen rasch, daß gerade auf zünftischer Seite in diesen Jahren bitterer Not der Horizont sich zunehmend verengte. Die Regierung konnte — oder wollte — dem nicht entgegentreten; der 1701 einsetzende Spanische Erbfolgekrieg trägt ja die Kriegsflagge erneut nach Süddeutschland und läßt das geplagte Land nicht zur Ruhe kommen. Zu bedenken ist schließlich, daß in dieser Zeit ja fast ununterbrochen die Türkenkriege vom Reich gewaltige Opfer an Menschen, Geld und Material fordern, so 1683-1699 bis zum Frieden von Karlowitz, 1714—1718 bis zum Frieden von Passarowitz. Man kann also die Bedrängnisse, in denen die Menschen am Oberrhein leben mußten, nur allzu gut verstehen — das „Zeitalter der Aufklärung" begann für diese Landschaft mit einer Reihe fast ununterbrochener und schrecklicher Kriege. Dies festzuhalten scheint deshalb wichtig, weil erst auf diesem Hintergrund verständlich wird, daß für Land und Leute am pfälzischen Oberrhein das dann folgende 18. Jahrhundert in der Tat zum „Saeculum illustre" werden konnte: Mehr als ein halbes Jahrhundert Frieden hatte diese Landschaft seit Menschengedenken ja nicht mehr erlebt. Vielleicht war dies die größte Leistung der beiden Kurfürsten Karl Philipp und Karl Theodor — selbst die dem Barockzeitalter reichlich verständnislos gegenüberstehende Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kommt nicht daran vorbei, daß — bei allem Stöhnen über die finanziellen Lasten der späteren Ära — Mannheim innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer Metropole des geistigen und künstlerischen Lebens von europäischem Range emporwuchs. Vom Standpunkt bürgerlicher Selbstverwaltung aus gesehen war freilich der Preis für diese spätere Blüte hoch: Zum einen war nach 1689 von einer funktionierenden Stadtverwaltung keine Rede mehr, zum anderen hatten die Einwohner insgesamt in ihrem Kampf um das nackte Überleben andere Sorgen. 1691 erwirkten die „Bürgervorstände" — immer noch sprechen die Quellen nur von solchen — harte Strafandrohungen gegen die renitenten Einwohner, die ihrerseits 1692 Schwierigkeiten haben, die Besitz verhältnisse uff dem so genanten Sand allwo das Dorf Neu-Mannheim gestanden, rechtsgültig nachzuweisen. Die dort befindlichen Kellerlöcher [!] müssen ausgefüllt werden, damit man der Herrschaft den von diesen Äckern geschuldeten Zehnten abstatten kann. Die ganze Misere wurde hier deutlich: Die Rechts- und Besitzverhältnisse sind obsolet, die Einwohner sperren sich offenbar — und dies aus verständlichen Gründen — gegen die Verwaltungstätigkeit, denn diese bedeutet (auch) Steuerzahlung, und die Herrschaft drängt auf Abgaben-Entrichtung 35 . Dabei haben die Franzosen bereits im gleichen Jahr 1692 die Stadt erneut mit abermahligen Brandt und Außtreibung der Burgerschaft heimgesucht, und jetzt treibt sich auch

35

Zu diesem Komplex die Belege in den RP 1689/92, S. 281 und 282f.; ferner 1703, S. 362.

258

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noch marodierendes fremdes Volk herum, das noch unverbrannte Mobilien fallens veralieniren könten. Noch 1703 gab es zeitweise überhaupt keine Ratssitzungen, weil fast die ganze Statt mit ihrem besten Hausrath und Mobilien sich ... theilß den Necker hinauff, theils den Rhein hinunter, theils nach Frankfurt oder Hanau sich [hat] retiriren müssen, und ist also dieser Tag ein sehr trauriger und deplorabler Tag gewesen, massen [ = weil] alles in höchstem Allarm und fast alles drunter und drüber gienge. Eindringlicher als dieses Zitat kann man die üble Situation der Zeit um die Jahrhundertwende wohl kaum beschreiben 36 . Auf diesem Hintergrund muß man wohl auch das immer stärkere Eingreifen der territorialstaatlichen Verwaltung in das städtische Verwaltungsgeschehen sehen. Am deutlichsten manifestiert sich dieser Vorgang in der zunehmenden Zahl der auf „gnädigsten Befehl" eingesetzten, d.h. praktisch also der aufoktroyierten Ratsmitglieder. Privilegien hin — Stadtrechte und Immunitätsrechte her: Die Staatsverwaltung wollte die ihr genehmen Leute im Stadtrat wissen, wobei dies der Stadt noch nicht einmal immer zum Schaden gereichen mußte. Es kam noch hinzu, daß bislang bei anstehender Neuwahl eines Ratsherrn in dem oben genannten Dreiervorschlag zwischen teutscher Seite ... undt Frantzosen auszuwählen war, während nach 1685 — also nach Übernahme der Regierungsgewalt durch die katholische Linie Pfalz-Neuburg — aus jeder der drei reichsrechtlich anerkannten Konfessionen je ein Kandidat zu benennen war. Dies bedeutet freilich noch keine grundsätzliche Schwächung der bürgerlichen Korporationsrechte 37 , ab 1709 setzen sich dann aber die massiven Einwirkungen des Territorialstaates durch: In diesem Jahr ließ der Kurfürst aus Düsseldorf wissen, daß man bei einer künftigen Vacatur einer Ratsstelle ... auff den dermahligen Rentmeister Jacob Laujfs reflectiren ... solle. 1710 wird die Sache noch deutlicher faßbar: Der Rentmeister präsentiert die Resignation seines Schwiegervaters auf dessen Ratssitz, den dieser übrigens auch vom Kurfürsten erhalten hatte, und beantragt jetzt von sich aus die eigene Einsetzung. Der Rat erklärt: Er sei nicht ungeneigt, doch möge der Rentmeister zuvor die noch ausstehenden Rechnungsjahre erst einmal abschließen — noch nicht einmal das hatte dieser bis dahin also erledigt. Notgedrungen mußte der Stadtrat dem ganzen Procedere zustimmen, wenn er auch erklärte, dies müsse der Statt Privilegien ohne Nachtheil [sein]. 1712 schließlich übergibt Johann Philipp Fuchs einen Schriftwechsel seines verstorbenen Vaters mit dem Kurfürsten, in dem dieser — ganz offensichtlich ohne Wissen des Rates — gebeten wurde, bei kommender Vakanz eines Ratssitzes seinen Sohn berücksichtigen zu wollen. Der Kurfürst erließ auch prompt ein Dekret, wonach im Hinblick auf über 40 Jahr bey der Statt Mannheim geleyster [ !] guter und ersprieslicher Dienste der Hofgerichtsrat (d.h. also die Staatsverwaltung), der Stadtdirektor (der kurfürstlicher Beamter war) und schließlich auch Bürgermeister und Rat angewiesen wurden, den Petenten bei der nächsten falligen Wahl zu berücksichtigen. 1715 erklärt der Ratsherr Wildscheydt bei der Regierung (sie!) den Verzicht auf seine Ratsstelle zugunsten seines Tochtermannes — der Rat muß auch hier nachgeben; wenn er erklärt, daß ex Privilegiys ... die Rathstellen nicht erblich noch ... vergeblich (= vergebbar) seien, 36

RP 1683, S. 353f. (mit je einem Vorschlag fur einen Kandidaten deutscher und französischer Zunge) ; RP 1706/07, S. 59 (je ein Kandidat von den drei „Religionen"); die Belege ließen sich beliebig vermehren. 37 Belege aus folgenden Ratsprotokollen: 1708/09, S. 445; 1710, S. 115f.; 1712/13, S. 54f.; 1714/15, S. 486 vom 21.6.1715; 1716/17, S. 230f. vom 18.6.1716 und S. 248 vom 3.7. dieses Jahres.

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so ist das bestenfalls eine salvatorische Klausel. Schlußendlich muß er nun doch erklären, er habe keine Einwände, wenn der Kurfürst die Nachfolge post mortem verfüge. Das war zwar ein Aufschub — an der Tatsache, daß der Kurfürst hier an Stelle der freien Ratswahl einfach über die Nachfolge verfügen konnte, änderte sich aber nichts. Dies wird im folgenden Jahr 1716 festzementiert, als die Regierung in Heidelberg kurzer Hand befiehlt, dem ansuchenden Amtmann von Ilvesheim die nächste frei werdende Ratsstelle zu übertragen. Im Grund genommen war dies ja ein Rechtsbruch, denn Art. XV der Privilegien legte — wie oben gesagt — ausdrücklich fest, daß die Ratsherren von wurklichen Einwohnern der Stadt genommen werden müssen, und Ilvesheim gehörte eben — übrigens damals wie heute — nicht zur Stadt Mannheim. Die ganze Sache muß allerdings in der Bürgerschaft doch allmählich erheblichen Unmut angestaut haben, denn als 1716 die Regierung den gnädigsten Befehlch ahn [den] Statt Rath ergehen läßt, Amtmann Reibold nun nachrücken zu lassen, hat nicht nur der Stadtrat den Vorbehalt angemahnt, daß künftighin zu Manutenirung hiesiger Statt Privilegien ... die freye Wahl... wird observiret werden, sondern auch aus der Bevölkerung selbst heraus wird remonstriert, daß bei künftigen Vakanzen auff die allhiesige Burgern [ !] welche allen bürgerlichen Last tragen, reflectirt werden mögte. Wie unsicher aber die Wahrung dieses ursprünglich ja elementaren Rechtes der Stadt jetzt geworden war, zeigt die Antwort des Rates an die Bürgerschaft: Er verweist auf den oben angeführten Beschluß und erklärt, er werde auf die angemahnte Manutenirung allhiesiger Privilegien Antrag stellen 38 ! Man wird sich freilich auch fragen müssen, ob die Verwaltung einer frühneuzeitlichen Stadt in einer ihrer schwierigsten Phasen mit all ihren diffizilen Rechtsfragen nun von Ratsherren aus einem neuerlich zusammengewürfelten Bevölkerungspotential überhaupt geleistet werden konnte. Schließlich ist das ein Problem, mit dem sich kommunale Demokratie bis zur Stunde herumschlagen muß, denn nicht immer sind diejenigen, die am fähigsten sind, auch zur Mitarbeit in politischen Gremien bereit (und umgekehrt). Um 1700 war jedenfalls die staatliche Verwaltung im Zugzwang, wenn aus den schlimmen Zerstörungen neues Leben wachsen sollte. Daß sie die Gunst wie auch die Not der Stunde auf ihre Weise nutzte, kann dann kaum verwundern.

2. G r u p p e n p r o b l e m e

innerhalb der

Stadtbevölkerung

a) Die Mehrkonfessionalität Im Haller Rezeß von 1685 hatte sich das Haus Pfalz-Neuburg, das 1614 katholisch geworden war, für den erwarteten Fall des Aussterbens der reformierten Linie Pfalz-Simmern verpflichtet, die konfessionellen Dinge zu belassen, soweit sie die Kirchen der Reformation betrafen. Auch für diese war das übrigens ein nur seit kurzem dauernder Zustand, denn die lutherische Gemeinde war in dem bislang streng reformierten Mannheim erst kurz zuvor, nämlich 1682, konstituiert worden. Daß die dritte reichsrechtlich anerkannte Konfession, die katholische also, nunmehr ebenfalls gleichberechtigt an die Seite der anderen beiden Konfessionen zu treten hatte, verstand sich aus dem Verständnis der Zeit von selbst 39 . Für die Stadt und 38

39

Zum Haller Rezeß u.a.: HAAS/PROBST, wie Anm. 1, S. 73; VON FEDER, wie Anm. 12, S. 68 (lutherische Gemeinde) und S. 70.

VON FEDER, w i e A n m . 1 2 ; f e r n e r : R P 1681, S. 350f.

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ihr bürgerliches Leben bedeutete freilich Mehrkonfessionalität einige Belastung, war doch der Rat bislang in umfangreicher Rechtssprechung als erste Instanz auch und gerade in Ehesachen tätig gewesen, wie ihm auch die Bestellung von Vormundschaften oblag. Von daher gesehen ist die rigide Haltung vor 1685 schon verständlich, zumal vordem Kurfürst Karl im Gegensatz zu seines Vaters Karl Ludwig toleranter Einstellung „streng reformiert" war 4 0 . Unter ihm war noch 1681 die landesherrliche Verordnung ergangen, daß selbst Krankenseelsorge von katholischen Geistlichen nicht geduldet werden dürfte, soweit man am betreffenden Ort kein exercitium religionis habe. D a man diese Anordnung in Mannheim vier namentlich genannten katholischen Einwohnern mitgeteilt hat, müssen um diese Zeit Katholiken tatsächlich eine winzige Minderheit gebildet haben. Es ist deshalb verständlich, d a ß in den folgenden Jahren die Gegensätze nur um so heftiger aufeinander geprallt sind. Der Rat mußte sich freilich auch hier dem Staatsrecht beugen, wenn er dies auch höchst ungern tat: 1685 erging ein Erlaß des neuen Kurfürsten wegen der drei Religionen Friedlich- und Einigkeit, nachdem man im Jahre zuvor noch erklärt hatte, man könne den Antrag auf Abhaltung des Gottesdienstes in einem (Privat-) Haus nicht verwehren, wolle aber sie Catholische nebst denen Reformirten und Lutheranern auf die Gottesdienste in der Festungskirche verweisen. Ein katholisches Begräbnis wurde in diesem Jahr jedenfalls immer noch verweigert, sogar die Bitte um Verbringung der Leiche nach Mundenheim — also auf das linke Rheinufer — wurde zunächst an den Zollschreiber gewiesen, [um] zu vernehmen, ob es des Zolls halber geschehen könnte !41 Hier schaltete sich der neue Landesherr nun freilich ein: Katholische Waisen mußten katholische Vormünder bekommen, vor allem aber soll der linckhe Rathauß Fliegel (!) den Katholiken für den Ausbau einer eigenen Kirche überlassen werden: Das war also der Anfang der heutigen sog. „Unteren Pfarrei" 4 2 . D a ß diese „aus städtischen Mitteln erbaut und 1710 dem Heiligen Sebastian geweiht" wurde, stimmmt freilich nur sehr bedingt. Zwar gibt es eine Anordnung des Kurfürsten, wonach die Catholische Kirch auß denen Statt-Mitteln dem Rathaus zugleich gebawet werden sollen, und die Stadt, die solche Mittel in ihrer mehr als bedrängten Lage nicht hatte, nahm deshalb von einem Ratsherrn 1.500 fl gegen 6 % Zinsen auf. Die frisch zugezogenen Katholiken hatten selbst auch nur wenig Geld — da der Kurfürst mitsamt seiner Regierung ebenso vorsichtig wie sparsam in ihrer Konfessionspolitik verfahren wollten, verfiel man auf eine höchst "originelle", für die damalige Zeit aber keineswegs abwegige Idee einer (Teil-) Finanzierung durch Juden. Auf diesen lastete seit Anfangszeiten die Pflicht, innerhalb 4 Jahren ein Haus zu bauen, eine Vorschrift, die bei Bürgerrechtserwerb oder -Verleihung in den zerstörten Gebieten am Oberrhein als generelle Vorschrift öfters zu finden ist. Kraft kurfürstlicher Anordnung konnten sechs Juden von dieser Verpflichtung befreit werden, wenn sie die Ablösesummen für diese Befreiung dem Bau der katholischen Kirche zuwandten; der Stadtrat traf dahero mit der gemeinen Judenschafft auff 5 Juden den Accord zu achthundert Gülden : Gegen Zahlung von 160 fl an die katholische Kirche war jeder

""von Feder, wie Anm. 12, S. 113; ferner RP 1685, S. 398 und 404. 41 RP 1686, S. 428f.; 1706/07, S. 153 und 212; die Zusammenhänge bei: A. Straub, Mannheimer Kirchengeschichte, Mannheim o.J. [1957], S. 11 und 45f. 42 RP 1708/09, S. 199f. vom 5.10.1708 und S. 307 vom 19.2.1709.

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

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der hier einzeln genannten Juden von der Hausbaupflicht befreit 43 . Es war dies freilich ein Verfahren, das nicht etwa für diesen Kirchenbau zur Finanzierung eigens erfunden, sondern auch sonst angewandt und offenbar von den Juden selbst durchaus geschätzt worden war. Insbesondere für den Freikauf von heiratenden Kindern, die weiterhin im elterlichen Haus wohnen wollten, war diese Möglichkeit begehrt, soweit die Quellen das überhaupt erkennen lassen; die Belege hierfür sind über Jahre hinweg verfolgbar 44 . Nach 1685 hat sich also die innen- und konfessionspolitische, nach 1689 noch viel tiefgreifender die wirtschaftliche Szenerie verändert. Karl Philipp hat zwar in Heidelbergs konfessionell gespannter Atmosphäre recht unglücklich tatkiert, war aber insgesamt doch eher auf Ausgleich bedacht. Sollte aber aus Mannheim etwas werden, konnte er sich konfessionelle Unduldsamkeit ohnehin nicht leisten 45 . So mußte man sich nun auch in der Mannheimer Verwaltung auf ein schiedlich-friedliches Nebeneinander einstellen. Die strenge Drittelung der eingehenden Strafgelder, soweit sie in das Almosen fielen, mag ein Indiz für die Gleichberechtigung der „drei Religionen" wie sie im Amtsdeutsch genannt wurden, angesehen werden, wenngleich man natürlich davon ausgehen darf, daß die ursprünglich allein empfangsberechtigte reformierte Konfession hierüber nicht gerade glücklich war. Das Uberwechseln des Hofes von Heidelberg nach Mannheim schuf dann ohnehin völlig neue Verhältnisse. Einigermaßen erstaunlich ist das — für heutiges Denken reichlich inkonsequente — Verhalten gegenüber verschiedenen Denominationen außerhalb der drei großen Konfessionen: Mennoniten hatten zwar nicht das Recht auf Abhaltung öffentlichen Gottesdienstes, sollten aber kraft ausdrücklichen Befehls auch „im Landt ferner tolerirt werden". Soweit ersichtlich, wurden sie rechtlich bei Auseinandersetzungen völlig korrekt behandelt; bei Erbschaftsangelegenheiten vor Rat läßt sich jedenfalls kein anderes Verfahren erkennen, als es gegenüber den übrigen Stadtbewohnern auch durchgeführt wurde. In der pfälzischen Statistik des ausgehenden 18. Jahrhunderts sind sie dann freilich noch immer separat ausgeworfen, wie die Juden übrigens auch 46 . Dagegen wehrt sich die Stadt vehement gegen den Aufenthalt einiger „Pietisten" (was immer man damals darunter verstanden haben mag): Sie wurden 1706 wegen ihres Glaubens, den man als „Frevel" bezeichnet hat, in den tiefsten Thurm getan. Da man für das runde Dutzend, dessen man habhaft wurde, nicht Gefangnusse gnug hette, solche Leuth auff zu heben, erhielten sie Stadtverweis, weil in dem römischen Reich keine andere alß [die] drei Religionen tolerirt werden. Das Protokoll füllt volle 11/2 Folioseiten, das soziale Leben der Stadt muß tatsächlich völlig aufgerührt bewesen sein. Das Versprechen eines der Aufgegriffenen, von dem angefangenen Leben abzustehen und hinfftihro in die Kirch zu gehen, könnte den Weg zum Verständnis dieser an sich quantitativ wie qualitativ ja marginal erscheinenden Sache erleichtern: Wer sich nicht in die gegebene Ordnung, die den allgemeinen Kirchgang mehr oder weniger bindend einschloß, einfügen wollte, Schloß sich selbst auch aus dem 43

Belege für den Freikauf im Zusammenhang mit dem Kirchenbau: RP 1708, S. 164, 168 und 199; RP 1710, S. 291f.; RP 1712/13, S. 327f. und 447; RP 1714/15, S. 115; RPP 1716/17, S. 469. ^Vgl. hierzu neuerdings die gegenüber früheren Einseitigkeiten wohlabgewogene Darstellung bei HAAS/PROBST, w i e A n m . 1, S. 76f. 45

Hierzu nochmals die Angaben bei KIRCHGÄSSNER, wie Anm. 13, S. 166 (für Frankenthal 1778) und S. 172 (für die ganze Pfalz). 46 Ebd.

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Corpus der Stadtbewohner aus. Die unterschiedliche Behandlung gegenüber den Mennoniten, deren landwirtschaftliche Kenntnisse man auch sonst in der Kurpfalz zu schätzen wußte, bleibt freilich unerklärlich, denn diesen wurde ja auch ihr eigener Prediger zugestanden. Sie hatten sogar ausdrücklich das Vorrecht, vor Rat nicht eidlich aussagen zu müssen, weil die Mennonisten nach ihrer Religion keine wiirckliche Jurament ... ablegen 47. b) Juden in Mannheim Das 1984 erschienene Buch von Karl Otto Watzinger über die „Geschichte der Juden in Mannheim 1650-1945" bringt in einem einleitenden Kapitel „Die kurpfalzische Zeit (1650-1803)" zu Gesicht, während das monumentale Werk von Heinrich Schnee im 4. Band die „Hoffaktoren an süddeutschen Höfen" recherchiert 48 . Lassen wir einige der wichtigsten Ereignisse und auch den Versuch zur Rekonstruktion des sozialen Lebens dieses Mannheimer jüdischen Bevölkerungsteils vor unseren Augen Revue passieren: 1660 erließ Karl Ludwig die Konzession für die „deutschen" Juden seines Territoriums, deren wichtigsten Punkte hier rekapituliert werden sollen: Hausbaupflicht über zwei Stockwerke; Befreiung vom Schutzgeld für 12 Jahre; Gleichstellung hinsichtlich der Privilegien mit den Bürgern von Mannheim (mit Ausnahme der Zollfreiheit für Holz und Wein), danach Schutzgeld von 10 Reichstalern je Familie, wobei die Juden den pauschalierten Betrag untereinander je nach Vermögenslage für die einzelne Falmilie erhöhen oder erniedrigen konnten; Berechtigung zur Ausübung von „allerlei Handwerk" ; eigenes Rabbinat nebst Vorsänger und Schulmeister; Exemtion von allen anderen Judengemeinden; bei Heirat die Möglichkeit eines Freijahres von der Baupflicht bei Wohnung im elterlichen Haus, zweier weiterer Freijahre in gelehnten Häusern unter Hinterlegung von 20 fl bei der Stadt; Freiheit von der Baupflicht bei Hauserwerb von einem verstorbenen Juden. Dies waren Freiheiten, die anderwärts ganz außergewöhnlich gewesen wären. Sie galten für die deutschen Juden; die sog. „portugiesischen Juden" erhielten noch weitergehende Rechte, die aber nicht mehr im einzelnen erhalten sind; einiges davon können wir hier aufgrund der Nachrichten aus den Ratsprotokollen rekonstruieren. Insbesondere hinsichtlich der Baupflicht bzw. hinsichtlich der Befreiung hiervon haben die „Portugiesen" — die wir oben schon als vermutlich über Südfrankreich zu uns gekommene Sepharden angesprochen haben — erheblich erweiterte Rechte. Nachweisen kann man dies etwa am Einzelfall des Juden Hertz Solomon, der 1705 auf Regierungsbefehl als Schutzjude angenommen und des Bauens krafft der Portugiesischen Concession befreyet wurde. Oder 1711 lesen wir von einer Frau, daß sie von denen Portugiesen herrühret, deshalb wird bei der Hochzeit solcher Judt [= ihr Mann] vermöge der jüdischen Concession des Bawens befreyet, und noch 1716 wird auf einen „Befehl" der Regierung hingewiesen, wonach von denen Portugesen herstammende [!] Juden künfftighin [bis] auff den dritten Grad inclusive von dem Bawen befreyt seyn sollen 49 . Da die erste Einwanderung dieser „Portugiesen" ja 47

R P 1706/07, S. 140, ferner 1708/09, S. 265 und 268ff.; 1710, S. 273; 1712, S. 228 und 297; 1716/17, S. 60S (Mennoniten); für die gefangengesetzten „Pietisten", für die es in Mannheim noch nicht einmal genug Gefängnisraum gab (!): RP 1706/07, S. 126f. und S. 383f. ^K.O. WATZINGER, Die Geschichte der Juden in Mannheim 1650-1945, Stuttgart u.a. 1984; ferner H. SCHNEE, Die Hoffinanz und der moderne Statt, Bd. 4: Hoffaktoren an süddeutschen Fürstenhöfen ..., Berlin 1936. 49 RP 1705, S. 68f.; 1711, S. 404f. und 1716, S. 131f.

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

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schon Jahrzehnte zurücklag, müssen deren Privilegien entweder wiederholt erneuert oder vielleicht sogar für jede Generation neu in Kraft gesetzt worden sein. Die Pfalz-Neuburger Linie setzte jedenfalls in unserer Berichtszeit die judenfreundliche Politik ihrer Vorgänger ungemindert fort. Sie hatte freilich auch guten Grund dafür, denn unter diesen Juden müssen, wie wir schon gesehen haben, sehr vermögende Leute gewesen sein; die berühmten Namen so mancher Hoffaktoren, für die wir nur auf die bei Schnee ja detailliert nachgewiesene Familie der Oppenheimer hinweisen wollen, tauchen hier auf. Ob die Bürgerschaft wirklich „in ihrer Abneigung gegen die Juden eine seltene Einmütigkeit" an den Tag gelegt hat, scheint deshalb aufgrund der zeitgenössischen Quellen zumindest „frag-würdig" zu sein. Die Ratsprotokolle lassen jedenfalls deutlich erkennen, daß man die Juden — die gegeneinander nicht selten und gelegentlich auch noch gegen ihren eigenen Rabbi vor dem Rat prozessiert haben — korrekt behandelt hat. Wenn man schon 1681 ihre Zahl zu begrenzen suchte, damit sie nicht durch ihr gewaltiges Multipliciren die Christen zahlenmäßig überrunden und diesen alle Händel (d.h. also den ganzen Handel) gäntzlich entziehen würden, so ist das der übliche Konkurrenzneid, den die Christen auch innerhalb ihrer Berufsgruppen gegenseitig eifrig praktizierten. Die genannte Gleichbehandlung läßt sich übrigens auch daraus ableiten, daß jüdische Metzger eben die gleiche „Taxation" wie christliche Metzger zu entrichten hatten, zumal beide bei dieser Gelegenheit ausdrücklich dieselben Strafen bei Unterschlagung der fälligen Abgaben angedroht bekamen. Ebenfalls Gleichbehandlung erfahren Bettler und vagierende Juden, soweit sie nicht ausdrücklich Schutzrecht genossen: Wer nicht im Corpus der Stadtbevölkerung geborgen war, genoß eben auch nicht dessen Schutz und Rechte, war er nun Christ oder Jude 5 0 . Hier drängt sich eine Beobachtung auf, die seit langem Gegenstand literarischer Diskussion gewesen ist: 1717 war die Höchstzahl jüdischer Familien in der Konzession für diese Bevölkerungsgruppe auf 200 festgesetzt worden. Einerseits meinte die ältere Literatur, diese Grenze sei „bis zur Säkularisation nicht mehr hinausgeschoben [worden]". Auf der anderen Seite aber wissen wir, daß die tatsächliche Anzahl doch erheblich höher gelegen haben muß, was man bislang der sogenannten „Klaus"- und anderen Stiftungen zugeschrieben hat, wenn auch genauere Zahlen erst für spätere Jahrzehnte faßbar sind. Eine sorgfaltige Exegese der Quellen schon aus der Zeit vor 1720 scheint hierfür eine naheliegende Erklärung anzubieten. Um nur wenige Beispiele zu benennen: 1712 wird dem Juden Abraham Moyses nicht etwa für sich selbst, sondern für zwei seiner Kinder — die er dazu auch noch erst zu gegebener Zeit benennen muß — Befreiung gewährt von der Pflicht zum Hausbau, weil er sein Hindterhaus zu bawen resolvirt. Er will dies offensichtlich in besonders aufwendiger Weise ausführen lassen: es wird ausdrücklich vermerkt, der Bau soll 52 Schuh breit und 40 Schuh tief errichtet werden, und zwar mit steinern Fenstern und gewölbten [!] Keller. Ebenfalls 1712 erreicht der Jude Wolff Löb dieselbe Befreiung: Er hat zu seinem eigenen Haus zwei weitere Häuser gekauft, von denen er eines wiederum mitt steinernen Fenstern ausstatten und darüber hinaus in den Hoff einen kostbaren Baw auffzußhren im Werckh sei. Auch „Lemble Moyses", der aus der Literatur ja hinreichend bekannte Oberhoffaktor, hat verschiedene Bauten errichten lassen oder

50

RP 1681, S. 610ff. (für das „Multipliciren"); RP 1716, S. 510 (für die Metzger); RP 1685, S. 431; RP 1708/09, S. 507 und 520 (für das Schutzrecht).

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ist im Begriff, das zu tun. Für das Haus schließlich, das er zu seinem anlegenden kostbahren Garten jetzt im 59 Quadrat (= E 6) bauen will, kann auch er jemand zur Befreiung von der eigenen Hausbaupflicht benennen. Man könnte die Liste derartiger Befreiungen beliebig fortsetzen, sie werden an Kinder vergeben oder auch an andere Juden,, die dem Erstberechtigten in irgendeiner Weise verpflichtet sind. Gerade die Weitergabe dieser Berechtigung an die eigenen Kinder deutet aber doch wohl unmißverständlich darauf hin, daß die oben genannte Zahl von 200 Familien ein rechtliches Fixum ist und in der Wirklichkeit des Alltags offenbar praktisch immer wieder unterlaufen werden konnte 51 . Im Grunde genommen ist das natürlich eine Lösung, wie sie so recht eigentlich für das Ancien regime typisch ist: Der Kurfürst hatte wie oben gezeigt der dritten reichsrechtlichen Konfession einen Kirchenbau verschafft; die Stadt selbst war aus dem Obligo zum Kirchbau herausgekommen, das ihr ansonsten wegen ihrer schwierigen Finanzlage erhebliche Schwierigkeiten hätte bereiten können; die Katholiken hatten ihre Kirche — und bezahlen mußten die ganze Sache zu einem erheblichen Teil die Juden, die aber ihrerseits dafür wieder eine sie einengende Bestimmung zu erheblichen Teilen außer Kraft setzen konnten. Insofern gehen also auch diese Überlegungen über die Konzeption von Kruedeners hinaus, der bei den in seinen Quellen genannten, bei den Eltern wohnenden Kindern das Ledigsein vorausgesetzt hat. Daß hier Juden beträchtliche Bauten — die Quellen nennen sie im Steil der Zeit „kostbar" — errichten konnten, daß etliche von ihnen auch schon mehrere Häuser in der Stadt hatten oder bauen ließen, mag en passant darauf hinweisen, daß die Judenschaft schon zu damaliger Zeit vermögende Leute in einiger Anzahl gesehen haben muß, ohne daß man diese Vermögen bis zur Stunde näher beziffern könnte 52 . Juden müssen zu den wirtschaftlich erfolgreichen, freilich auch zu den streitbarsten Einwohnern der Stadt gehört haben. Korn- und Viehhandel waren offensichtlich weitgehend in ihrer Hand, seltener derjenige mit Mehl; ihre Streitsachen vor Rat gehen zahlenmäßig jedoch weit über ihren prozentualen Anteil der Stadtbevölkerung hinaus. Aufwendiges Bauen gibt Hinweise auf ihre wirtschaftliche Potenz, deren Genesis bis zur Stunde unbekannt ist; im Zusammenhang mit den schon genannten Befreiungen, von denen oben die Rede war, tauchen sie immer wieder auf 5 3 . Daß sie die von der Regierung erlassene Kleiderordnung beachten mußten, war für diese Zeit übrigens durchaus nicht ungewöhnlich; Kleiderordnungen, an die „man" sich zu halten hatte und für deren Überschreiten auch christliche Bürgersleute oft hart bestraft wurden, waren im 17./18. Jahrhundert eher die Regel als die Ausnahme 54 . 1691, 1698 und 1717 wurden die Privilegien der Stadt neu herausgegeben und die Rechte der Juden erweitert. Rat und Bürgerschaft, die sich in ihren Privilegien beeinträchtigt fühlten, waren über die Erhöhung dieses Kontingentes freilich alles andere als erbaut. Ihr Einspruch scheint freilich nicht viel gefruchtet zu haben,

51

Hierzu für zahlreiche andere Belege: RP 1708, S. 164, 168f. und 234f.; RP 1710, S. 291f.; RP 1711, S. 404f.; RP 1712/13, S. 134, 137, 224 und 327f.; 1712/13, S. 447; 1714/15, S. 115; RP 1716/17. S. 609, ferner J. FRHR. VON KRUEDENER, Die Bevölkerung Mannheims im Jahre 1719, in: ZGO 116 [NF 77] (1968), S. 291ff„ hier S. 309, 312ff„ 314 und die dort genannte weiterführende Literatur. 52 Hierzu nochmal VON KRUEDENER, wie Anm. 51, S. 309, 311, 314 u.a.m. 53RP 1712/13, S. 134, 137, 327 (für 1712); S. 447 (für 1713); RP 1714/15, S. 115; RP 1716/17, S. 168 (für 1716) und S. 609 (für 1717). « R P 1716/17, S. 548.

Integrationsprobleme einer Gründungsstadt

265

denn außer der Feststellung, daß man eben diesen Einspruch erheben werde, findet sich kein weiterer Quellenbeleg 55 . Auch hat der Rat die heftigen Beschwerden von Viertelmeister und gemeine[r] Bürgerschaft gegen den geplanten Bau bzw. Kauf eines Hauses zu einem Spital im Grunde genommen so lange hingezogen, bis die beiderseitigen Standpunkte und Gegensätze abgeklärt waren: Die Juden mußten in dem geplanten Spital den versprochenen Brunnen bauen und die — sicherlich leichte — Zustimmung geben, daß sie in das Haus zur Statt Strasburg genant niemandt änderst als ihr Brodgesind, wann solches krankh wurde, hineinthun. Schlußendlich erklärte der Rat aber dann trotz aller Proteste definitiv, der Kauf dieses Hauses sei nun konfirmiert undt von Raths wegen bestätiget wordten. Das alles ergibt ein Bild von Rechtsverhältnissen, die sicherlich nicht mit modernen Maßstäben gemessen werden dürfen, die aber das bürgerliche Mannheim der Zeit vor der Residenzverlegung weit aus der damals üblichen Rechtspraxis gegenüber jüdischen Einwohnern heraushebt 5 6 .

VI. Die S t a b i l i s i e r u n g der

Sozialverhältnisse

Es mag sein, daß der Zusammenschluß zu Zünften auf Druck der Obrigkeit hin zustandekam und auch die zunehmend restriktive Gewerbepolitik, die beim Stadtrat wachsende Zustimmung fand, den wirtschaftlichen Horizont der Stadt zunehmend eingeengt haben mochte. Die neuerliche, sogar mehrmals wiederholte Zerstörung durch die Franzosen hatte jedenfalls dem Elan des fürstlichen Gründerwillens aus der Mitte des 17. Jahrhunderts den Boden entzogen. War es nach 1648 gelungen, mit einer ausnehmend freiheitlichen Gewerbe- und Wirtschaftspolitik unternehmungslustige und vor allem vermögende Leute anzulocken, so war das nach 1689 ff. praktisch unmöglich geworden. Das Beispiel der Magdeburger Kolonie, die ihrem Landesherrn die mangelnde Schutzfähigkeit seines Regiments glatt ins Gesicht sagte, belegt zur Genüge, daß es mit Worten allein — und seien es auch Worte feierlich verbriefter Privilegien — jetzt einfach nicht mehr getan war. Die zunehmende Schließung der Mannheimer Zünfte nach der Jahrhundertwende, die oft nur mühsam gegen diesen Zunftegoismus durchgesetzte Ratsautorität, die wiederholte Heraufsetzung des Meistergeldes (mit den üblichen Ausnahmen für Meisterkinder und für den Fall der Heirat einer Meisterwitwe) — all das zeigt, daß der Horizont eng geworden war. Ihn zu weiten war jetzt nur noch dem entschlossenen Handeln des Landesherrn möglich: Der Entschluß zur Residenzverlegung nach Mannheim, der dem Rat unter dem 19.4.1620 mitgeteilt wurde, war im Grunde genommen eine logische Konsequenz sowohl der allgemein-politischen, wie der örtlich-wirtschaftlichen Entwicklung. Dieser Entschluß sollte dann freilich in einer für die bürgerliche Welt bis dahin kaum vorstellbaren Weise die ohnehin immer mehr zementierten Strukturen vollends festigen: In einer Residenzstadt war das bürgerliche Element Teil eines feudalen Ganzen, des es zu dienen hatte. Die demographische Basis für den dann fast 55

WATZINGER, wie Anm. 48, S. 16 und 19f.; der Einspruch gegen die Konzession vom 23.3.1717 in: RP 1716/17, S. 693 unter dem 3.12.1717. 56RP 1711, S. 199, 257 und 277f.; RP 1711, S. 357f.

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Bernhard Kirchgässner

kometenhaften Aufstieg in die Glanzzeit des höfischen Mannheim im 18. Jahrhundert bildete eine „Stammbevölkerung", die von Kruedener auf 3670 Personen beziffert. In Übereinstimmung mit Meinrad Schaab und zum Teil auch Karl Kollnig wird man für die Zeit unmittelbar vor Verlegung des Hofes von einer Gesamtbevölkerung von etwa 5.000 bis 6.000 Menschen ausggehen dürfen, wie sie auch von Kruedener detailliert dargestellt hat. Wiederum auf die Stammbevölkerung bezogen, zählt er allein 548 jüdische Einwohner, doch sagten wir bereits oben, daß diese Zahl mit Sicherheit zu nieder gegriffen ist; die genannten Quellen geben hierfür ausreichend Erklärungsmöglichkeiten. Bestehen bleibt aber, daß nur vom Hof her eine Entwicklung eingeleitet werden konnte, die über den eng gewordenen geistigen Habitus der Stadt unmittelbar nach der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert hinausführte 57 .

57

Hierzu noch einmal VON KRUEDENER, wie Anm. 51; ferner M. SCHAAB, Die Sozialstruktur der Gemeinden des pfälzischen Unterneckarlandes im 18. Jahrhundert, in: Festschrift zum XXXIV. deutschen Geographentag vom 4.-7.6.1963 in Heidelberg, S. 246, und K. KOLLNIG, Wandlungen im Bevölkerungsbild des pfälzischen Oberrheingebietes (Heidelberger Veröffentlichungen zur Landesgeschichte und Landeskunde 2), Heidelberg 1952.

ZWISCHEN AUTONOMIE ZUM STÄDTENETZ VOM A U F G A N G E

IN

UND

MITTELEUROPA

DER NEUZEIT von H e i n z

DIRIGISMUS:

BIS Z U R W E N D E

1800

Stoob

Unter dem Stichwort „Leistungsverwaltung und Städtebildung" wurde dem kürzlich vorgelegten Gedächtnisbande für Peter Schöller eine Verbreitungskarte mit dem Zeitrahmen 1800/1940 beigegeben, die auch ein Gesamtdiagramm zur Städtebildung in Mitteleuropa bot, und zwar in gegenüber älteren Entwürfen wesentlich vollständigerer Gestalt 1 . Die Karte selbst konnte dort naturgemäß nur die Städtebildung ab 1800 darstellen, erlaubte also die um 1800 vorhandenen oder bis dahin vorhanden gewesenen Bürgergemeinden lediglich indirekt aus den Leerpunkten der Grundkarte zu erschließen. Diesen Mangel zu beheben, zugleich aber das mitteleuropäische Städtewesen der frühen Neuzeit im Überblick vorzustellen, das noch nach dem — durchaus zutreffenden — Urteil von Volker Press „nie besonders im Blickfelde der Historiker lag" 2 , bot der vorliegende Band Gelegenheit. Seinem Herausgeber ist für die freundliche Zustimmung zu einem entsprechenden Vorschlage sehr zu danken. Jene Jahrhunderte also, „in denen die aufsteigenden Nationalstaaten Europas feste Gestalt gewannen", und die auch nach dem Urteil von Hans Herzfeld „nicht eigentlich zu den großen Epochen der Städtegeschichte" gehören, deren „mechanistische(s) Denken" in der „Uberzeugung von der Heilsamkeit des staatlichen Zentralismus" gipfelte — so Reinhard Wittram — 3 , sollen anhand eines Verbreitungsbildes der Stadt in ihrer Bedeutung für das altständische bürgerliche Leben näher betrachtet werden. Waren sie wirklich, wie seinerzeit bei Interpretation des Diagramms von uns aus einer lediglich statistischen Anschauung heraus formuliert, von anderen aber, ohne diese Eingrenzung, mißverständlich übernommen 4 , ein „Städtetal" im Sinne auch qualitativer Beurteilung? 1

H. STOOB, Leistungsverwaltung und Städtebildung zwischen 1840 und 1940, in: H. BLOTEVOGEL (Hg.), Städtewesen und Leistungsverwaltung (StF A 29), Köln 1990; die ältere Diagramm-Fassung in: DERS., Forschungen zum Städtewesen in Europa I, Köln 1970, hier S. 21. 2 V. PRESS (Hg.), Städtewesen und Merkantilismus (StF A 14), Köln 1983, hier S. 1; vgl. auch E. ENNEN, Die Stadt zwischen Mittelalter und Gegenwart, in: RhVjbll 30 (1965), S. 118ff. 3 H. HERZFELD, Die Stadt in den aufsteigenden Nationalstaaten, in: O. HASELOFF (Hg.), Die Stadt als Lebensform, Berlin 1970, S. 73ff. (Zitat: S. 73); R. WITTRAM, Rußland von 1689 bis 1796, in: Handbuch der EuropHischen Geschichte Bd. 4: Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, hg. v. F. WAGNER, Suttgart 1968, hier (Zitat) S. 501 ; dazu auch E. MASCHKE/H. SYDOW (Hgg.), Verwaltung und Gesellschaft in der südwestdeutschen Stadt des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1969, die im Vorwort „die neuere Geschichte der deutschen Stadt vergleichsweise fast unbeachtet" nennen. 4 H. STOOB, Kartographische Möglichkeiten zur Darstellung der Stadtentstehung, besonders zwischen 1450 und 1800, in: Historische Raumforschung 1 (Forschungs- und Sitzungsberichte der Akademie für

268

Heinz Stoob

Es liegt auf der Hand, daß dem Phänomen „Stadtbildung" allein dafür noch keine hinlängliche Beweiskraft zugebilligt werden kann. Auch wenn im Untersuchungsrahmen „die Stadt als baulicher Körper", um den Titel des von uns innerhalb des Sonderforschungsbereichs 164 durch längere Jahre vertretenen Projektbereichs zu wiederholen, über das innere Gefüge hinaus auf den Umkreis einer damals vielfach zum bastionären System fortentwickelten Befestigung ausgedehnt wird 5 , bedarf es darüber weiter hinausgreifender Ermittlungen zur Klärung des Problems. Nicht ohne tiefer gehende Gründe betitelt Hans Mauersberg seine fünf bedeutenden Städten in dieser Zeit gewidmeten Untersuchungen, die nach Gestalt und Ertrag mit das wichtigste neuere Buch zur Sache ergaben, eine „Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit", und er bezog dabei auch demographische, verfassungs- und verwaltungsorientierte Fragen mit ein 6 . Dementsprechend hat der von Wilhelm Rausch geleitete Österreichische Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung dieser Epoche denn auch zwei Sammelbände gewidmet 7 , und so gab es hinreichende Veranlassung auch für unser Kuratorium, das Tagungsthema zu wählen, aus dem der vorliegende Band erwachsen ist. Als Beitrag dazu möge unsere Verbreitungskarte verstanden werden; von der Grundlagenforschung wird sie seit längerer Zeit benötigt, statistisch und im Kartenbilde durch die von uns vertretene Bündelung von Kriterien städtischen Lebens näher bestimmt 8 , ist sie nunmehr in der 1989 vervollständigten Form des Diagramms und in der beigefügten Faltkarte darstellbar geworden 9 . Beides ergibt zunächst, daß hinsichtlich der Neubildung von Städten im Zeitraum 1451-1800 zwar infolge vertiefter und weiter differenzierter Erfassung die interessanten und eigenständigen Neuansätze wesentlich kräftiger zu betonen sind, als das ältere Entwürfe erkennen ließen, daß aber angesichts der Kulminationspunkte im Spätmittelalter sowie, schwächer, auch im Zeichen von Bevölkerungsexplosion, Verkehrsverdichtung und gewerblich-industrieller Ausweitung nach 1800, die noch sehr viel ausgeprägter abzuheben waren, die statistische „Talsituation" für das frühneuzeitliche Städtewesen unverändert zu konstatieren ist. Der Anteil pro Jahrhundert, ja pro Jahrzehnt, neu

Raumforschung und Landesplanung VI), Bremen-Horn 1956, S. 21FF., neu in: STOOB, Forschungen, wie Anm. 1, hier S. 20; mißverständlich benutzt etwa bei E. ISENMANN, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, hier S. 27; vgl. auch K. GERTEIS, Die deutschen Städte in der frühen Neuzeit. Zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt", Darmstadt 1986, hier S. 5. 5 H. STOOB, Die Stadtbefestigung. Vergleichende Überlegungen zur bürgerlichen Siedlungs- und Baugeschichte, besonders der frühen Neuzeit, in: K. KRÜGER (Hg.), Europäische Städte im Zeitalter des Barock (StF A 28), Köln 1988, S. 25-54 mit Faltkt.; vgl. G. EIMER, Die Stadtplanung im schwedischen Ostseereich 1600-1715, Stockholm 1961; K. GRUBER, Die Gestalt der deutschen Stadt. Ihr Wandel aus der geistigen Ordnung der Zeiten, München 4 1983, S. 135ff. 6 H. MAUERSBERG, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit. Dargestellt an den Beispielen von Basel, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover und München, Göttingen 1960. 7 Die Städte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert, hg. v. W. Rausch (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas V), Linz 1981 und Städtische Kultur in der Barockzeit (Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas VI), hg. v. DEMS., Linz 1982. 8

STOOB, F o r s c h u n g e n , wie A n m . 1, S. 20FF.; vgl. H . STOOB, D i e h o c h m i t t e l a l t e r l i c h e S t ä d t e b i l d u n g i m

Okzident, in: DERS. (Hg.), Die Stadt. Gestalt und Wandel bis zum industriellen Zeitalter, Köln 21985, S. 125ff. Zum Belegapparat unten, Anm. 39. 'Vgl. auch die zu STOOB, Leistungsverwaltung, wie Anm. 1, gefügte Faltkt., ferner ältere, kleinermaßstäbliche Entwürfe in STOOB, Städtebildung, wie Anm. 8, S. 142, 155, 226.

Zwischen Autonomie und Dirigismus

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zuwachsender Stadtbildung liegt 1450/1800 wesentlich, zu Zeiten sogar extrem niedriger als vorher sowie nachher. Darüber hinaus gibt uns das Verbreitungsbild, insofern genauer informierend als Diagramm, den gewiß für viele mit der Untersuchung städtischen Lebens befaßte Sachkenner überraschenden Beweis, daß um 1800 die absolute Zahl vorhandener Bürgergemeinden im Okzident geringer war als um 1450; anders gesagt: Verluste städtischer Qualität betrafen das mittelalterlich gebildete Städtenetz nach 1450 derart nachhaltig, daß die Zahl zu Dörfern absinkender, in etwa zwei Dutzend Einzelfallen sogar gänzlich verschwindender Stadtsiedlungen durch die gleichzeitige Neubildungen nicht mehr ganz ausgeglichen werden konnte. Das wäre noch bestimmter festzustellen, zöge man das Verbreitungsbild erst nach 1800 eingetretener Verluste von Städten hinzu. Für Schlesien und Nachbargebiete konnte davon ein Teilausschnitt kartiert werden 10 . Man erkennt daraus, daß gerade dort der Abgang von älteren Städten die Neubildung der letztvergangenen anderthalb Jahrhunderte bei weitem übertrifft, und zwar auch dann, wenn die für Schlesien mit verzeichneten Verluste des Stadtcharakters infolge Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach 1945 ausgeklammert werden 11 . Auf unserer Karte sind jedoch wegen des Sachzusammenhangs lediglich die bis 1800 bereits eingetretenen Abgänge von Städten verzeichnet, und diese in den drei Stufen bis 1580, bis 1680 und bis 1800; die erste zählt rund 250, die zweite im Jahrhundert der großen Kriege gut 150, die dritte im Zeitalter formierter, also am Einebnen von Zwergstädten interessierter Flächenstaaten an die 250 Orte; dazu sind übrigens nach 1800 bis zum letzten Kriegsende weitere etwa 400 Fälle gekommen. Die Zahlen müssen Annäherungswerte bleiben, zumal sich in zahlreichen Fällen keine begründeten Datierungen angeben lassen. Auch die keineswegs fehlenden Orte mit nur zeitweiligem Verlust der Stadtqualität — ungerechnet kriegs- oder flächenbrandzerstörte, aber vergleichsweise rasch neu aufgebaute Städte —, anders gesagt Orte mit doppelter, oder gar mehrfacher Stadtbildung, meist nach 1800, blieben dabei unberücksichtigt. Endlich war zu bedenken, daß vielfach ein Absinken zum Dorfe nur allmählich, oft fast unmerklich, stattgefunden hat; in solchen Fällen bleibt die Datierung problematisch. Gerade in unserem Untersuchungszeitraum haben oft erstarrende Verfassungslagen des Bürgertums, tiefgreifender Umbruch wo nicht Fortfall der wirtschaftlichen Grundlagen oder auch scharf gestraffte Verwaltungsanforderungen der Flächenstaatlichkeit die Abgänge an Städten bewirkt, sei es mittelbar oder unmittelbar 12 . Daraus 10

H. STOOB, Schlesien im Rahmen der Verbreitungskarten zum Deutschen Städteatlas, in : JbUnivBreslau 25 (1984), S. 3ff., hier Kt. 4 auf S. 16; vorläufige Kartierung: STOOB, Leistungsverwaltung, wie Anm. 1; die Schätzung dort neben dem Diagramm ist für 1800ff. auf 500-600 korrigierend zu präzisieren. " A . GIEYSZTOR u.a. (Hgg.), Miasta polskie w tysiacleciu, 2 Bde., Warschau 1965/67 nebst den von H. CYIOWSKI redigierten Übersiehtskärtchen Nrr. 5, 12 und 17. 12 HerausgegrifFene Belege: Arnhausen (Grundkarte Ρ 4 [Grundkarte im folgenden: Grkt.]) noch auf der Lubinkarte „Stadt", spätestens v. 1800 Marktort, dann Dorf; Seußlitz (Grkt. Ν 8) zuletzt 1772 „Stadt" (W. SCHLESINGER, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Bd. 2: Das Zeitalter des Ostsiedlung [1100-1300] (MdtF 27, 2), Köln/Graz 1962, S. 325ff., 632); Fürstenberg/Westf. (Grkt. Η 7) zu 1449 ,/reyheit" (C. HAASE, Die Entstehung der westfälischen Städte, Münster 41984, S. 159), vor 1801 Dorf; Muggensturm (Grkt. G l i ) 1353 „bürg und stat", noch 1683 „oppidum" (G. HASELIER, Die Markgrafen von Baden und ihre Städte, in: ZGO 107 (1959), S. 263-290, hier S. 281f.), vor 1800 Dorf; Obernau (Grkt. H 12) „stedtelin" vor 1297; Steinbering 1412/58, 1806 Dorf, an Württemberg (H. JÄNICHEN, in: HistSt 6: Baden-Württemberg, hg. ν. M. MILLER, Stuttgart 1965, S. 498f.) ; Namiescht/Mähren (Grkt. Ρ 11) 1319 „oppidum forense" (RegBoh III, 510), im Josefinischen Kataster um 1770 „marktflecken" (KriegsA Wien, AB IX a 155, Sekt. 62).

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Heinz Stoob

folgert, daß etwa ein Achtel der auf unserer Grundkarte aufzuführenden Punkte sich auf 1945 nicht mehr vorhandene städtische Siedlungen beziehen. Andererseits muß vor weiterer Diskussion einer Verbreitungskarte abgekommener Städte auf bestimmte Mißweisungen infolge unterschiedlichen Forschungsstandes hingewiesen werden: die Häufung im schweizerischen Voralpenlande ist auch ein Ergebnis dort besonders eindringender Ermittlungen durch Hektor Ammann 1 3 . Dabei wurden auch Fehlplanungen sowie Anlagen ohne längeren Bestand einbezogen, die streng genommen auf unserer Grundkarte nicht zu berücksichtigen wären 14 . Da dies bei den alemannischen Fehlplanungen des öfteren ungeklärt bleiben mußte, wurden sie — zumal es der Zahl nach um eine unerhebliche Gruppe ging — auf unserer Karte als Abgänge mit verzeichnet. Ungeachtet solcher Mißweisungen ist das Verbreitungsbild aufschlußreich genug für die Hintergründe etwaiger Verluste von vorhanden gewesener Stadtqualität. Von einer gleichmäßigen Streuung über ganz Mitteleuropa ist dabei keine Rede, vielmehr stehen sich Häufungen und ausgesprochene Leerzonen gegenüber. Das gesamte Einzugsgebiet des Rheins im Westen, bis hinüber zur Weser, weist bereits für das ausgehende Mittelalter und bis zum späteren 16. Jahrhundert zahlreiche Abgänge von durchweg unbedeutenderen Städten auf, dagegen fehlen solche Fälle im küstenbezogenen Bereich zwischen Zuiderzee und Greifswalder Bodden, von spektakulären Sonderfällen wie der schon hochmittelalterlichen Überwältigung von Bardowick durch Heinrich den Löwen einmal abgesehen, die ohnehin im Zusammenhang mit der Entstehung von Lübeck zu beurteilen ist. Auch im böhmischen Kessel treten bereits vor 1580 Spuren des Verlustes von Stadtqualität auf, die nur selten mit den Folgen hussitischer Zerstörung zusammenhängen; zwischen Oder und Weichsel gehören ebenfalls einige Abgänge schon in diese vor unserem Berichtsabschnitt liegende Zeit. Dagegen erstreckt sich von Schlesien über ganz Posen, Kleinpolen und den masowischen Weichselbogen bis tief in das litauisch-weißrussisch-ukrainische Ostgebiet hinein ein vorwiegend im Zeitraum 1580-1800 — und über ihn hinaus in das 19. Jahrhundert fortlaufend, wie zu ergänzen ist — eingetretenes Absinken von ganz überwiegend zwerghaften städtischen Anlagen, die meist aus Adelsherrschaft seit dem späteren Mittelalter entstanden waren 15 . Hervorzuheben ist demgegenüber, daß die Harzumlande, das Thüringer Becken, aber auch der Bereich um die mittlere Elbe bis hinüber zur Oder von städtischen Abgängen ähnlich unberührt bleiben, wie das südliche Franken oder das bayerisch-österreichische Alpenvorland. Hinter dem Verlust von Städten verbirgt sich kein Kontrast zwischen Altsiedelbereich und Landschaften der Ostbewegung. Als hier nur zu streifende Sonderentwicklung muß schließlich das oft schlimme Schicksal städtischer Vorposten im ungarischen Südosten zuzeiten der Türkenkriege bis 1699 gelten 16 .

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H. AMMANN, Schweizer Städtebuch (unvollend. Mskr. im IStG, Münster), vgl. H. AMMANN/K. SCHIB (Hgg.), Historischer Atlas der Schweiz, Aarau 21958, Kt. 17; H. BOESCH/P. HOFER, Flugbild der Schweizer Stadt, Bern 1963, Kt. S. 96. 14 Eine Kartierung entfiel sonst bei Lebensdauer unter 25 Jahren. 15 Nähere Angaben: W. KUHN, Die deutschrechtliche Siedlung in Kleinpolen, in: W. SCHLESINGER (Hg.), Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte (VuF 18), Sigmaringen 1975, S. 369ff.; HistSt 12: Schlesien, hg. v. H. WECZERKA, Stuttgart 1977, passim; Miasta polskie, wie Anm. 11, bis zur gegenwärtigen polnischen Ostgrenze. "Vgl. die gerissen angegebene Grenze türkischer Kontrolle; Fünfkirchen, Stuhlweißenburg und Gran fielen 1543, Temesvár 1552, Sziget, Csánád und Gyula 1566, Erlau erst 1596 an die Türken.

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Weder das ungleichmäßige Verbreitungsbild von abgekommenen Städten noch deren durchweg meist geringe Bedeutung erlaubt es demnach, aus dem rein statistisch recht beträchtlichen Auftreten von Verlusten in der frühen Neuzeit Rückschlüsse auf die allgemeine Lage für das Städtewesen zu damaliger Zeit zu gewinnen. Die Ursachen des Niedergangs erscheinen sehr vielfaltig, sie bedürfen von Fall zu Fall der näheren Prüfung, wie sie hier nicht geleistet werden soll und kann. Immerhin gibt es Anhaltspunkte dafür, daß gerade in Gebieten hoher Dichte der Städtedecke das Absinken mancher weniger leistungsfähiger Glieder häufiger vorkam, daß mithin dort das Netz an Städten sich vermutlich enger zusammengezogen hatte, als daß es in den nachfolgenden Zeiten oft zunehmend erstarrender bürgerlicher Verfassungsund Rechtsverhältnisse, zugleich — mindestens regionalabnehmender wirtschaftlicher Lebensmöglichkeiten bei wachsender Gefährdung durch längerfristige Kriegsläufe, Seuchenzüge oder Brandzerstörungen, hätte ohne Einbußen intakt gehalten werden können. Trat noch der Zugriff zentralistisch denkender und handelnder Staatsverwaltungen hinzu, wie von den Rheinlanden bis nach Polen oft genug, so führten die oft weithin eingetretenen Reduktionen kleinstädtischer Bevölkerungszahlen, deren Maxima bereits vorher mehrheitlich unter 1.000 gelegen hatten, zu förmlicher Aberkennung der städtischen Privilegierung, wie namentlich in zahlreichen, sowohl preußischen wie russischen Fällen nach unserem Erfassungseinschnitt von 180017. In wenigen Ausnahmefallen betraf der Verlust städtischer Qualität immerhin ansehnlichere Ortschaften: wir haben Bardowick (Grkt, Κ 5) erwähnt, das auch nach der Zerstörung durch den Löwen noch als der Fläche wie zum Teil auch der Bebauung nach kräftiger Flecken mit mehreren Kirchen um das Zentrum des nun von Lüneburg finanzierten Stiftkonvents fortbestand 18 , und wenden uns dem flämischen Terwaan/Thérouanne (Grkt. Β 9) an der Leye/Lys zu. Das spätantike „Taruenna" in der „civitas Morinum" wurde sogar Bischofssitz, nach der normannischen Zwischenphase ab 1010 von seinem Diözesan Baldewin wieder aufgebaut, dann unter dem bedeutenden Bischof Johann durch Kathedral-Neubau verschönt, den der Nachfolger Milo 1133 einweihen konnte, seit 1479 aber in die Kämpfe um das burgundische Erbe verwickelt. Nach mehrfacher Belagerung zerstörte Karl V. die Stadt 1553 so völlig, daß selbst die Kirchen verschwanden; das Domportal überführte man an den neuen Bischofssitz St. Omaars/St. Omer. Der „öde platz" wurde den Franzosen überlassen, sollte aber „nimmermehr ... mit mauren umbgeben werden" ; Teile der Diözese gingen auch an Ypern und Boulogne. Die noch

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Vgl. Angaben der preußischen Inspektionsberichte: D.F. SOTZMANN, Generalkarte von den sämtlichen Königlich Preußischen Staaten — zugleich Postkarte — 1802 und geographisch-statistisches Repertorium von Adam Christian Gaspari, neu bearb. u. eri. v. W. SCHARFE (PublHistKomBerlin/Kartenwerke zur Preußischen Geschichte 1), Berlin 1981, Generalkarte, T. I: West-, Süd- und Neu- Ostpreußen; Protokolle zur Josefinischen Landesaufnahme, KriegsA Wien; Einwohner-Verlustangaben der Miasta Polskie, wie Anm. 11. 18 W. HÜBENER, Eine topographisch-archäologische Studie zu Bardowick, Kr. Lüneburg, in: H. HXBLER (Hg.), Studien zur Sachsenforschung 4, Hildesheim 1983, S. 11 Iff.; W. HÜBENER, Archäologische Untersuchungen in Bardowick 1979-1982 (HambBeitrArch 10/1983), hg. v. W. HÜBNER/H.G. NIEMEYER, Hamburg 1984, (Schrifttum!) S. 77ff.; DERS., ZU den Anfangen von Bardowick, in: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 17 (1986), S. 201-218 sowie DERS., Zur Besiedlung Bardowicks im hohen und späten Mittelalter, in: Hammaburg [Vor- und Frühgeschichte aus dem niederelbischen Raum] N F 7 (1986), S. 163ff.

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von François I. 1515 mit 8 rondellartigen Türmen modernisierte Festung hatte eine Fläche von 70-80 ha 1 9 . Längere Verödungszeiten folgten auch auf die Erstürmung von Dorpat (estn. Tartu, russ. Jurjew) durch Iwan IV. von Moskau im Jahre 1558; ein Aufstand gegen die östlichen Besetzer scheiterte blutig 1571, Deportationen waren die Folge. Der polnische König Stefan Báthory warf zwar 1582 die Russen hinaus, doch nach seinem Tode folgte 1600 erstmals eine schwedische Eroberung, bis Gustaf-Adolf 1625 Dorpat für längere Zeit seinem Ostseereich einverleiben konnte. Die Russen brachen 1656 erneut ein und verschleppten viele der inzwischen heimgekehrten Dorpater, und 1704 fiel die Stadt endgültig Scheremetjew in die Hände; Peter d. Gr. ließ 1708 noch die restlichen Einwohner deportieren. Erst 1721 begann unter dem russischen Vorzeichen eine gewisse Erholung, der die bastionäre Neubefestigung bis 1767 folgte. Es ist also von einer etwa 150jährigen Unterbrechung städtischer Kontinuität in Dorpat auszugehen. Allerdings waren Reste der Domschule 1558 nach Pernau an die Küste geflüchtet, was Bedeutung erhielt für die Universitätsgründung in Dorpat durch Gustaf-Adolf 1632. Nach 1710 kam sie faktisch in deutsche Hand, blieb es auch nach der erweiterten Neustiftung durch Zar Alexander 1802. Um diese Zeit (1790) waren von 3600 Einwohnern 1630 deutsch, 1625 estnisch, 337 russisch, 9 schwedisch, 2 polnisch; erst um 1860 gewannen die Esten eine relative Mehrheit. Eine Umstellung auf russischen Lehrbetrieb erfolgte 1889/9520. Das ungarische Eger /Erlau (Grkt. U 13) erhielt seine Bischofsburg noch unter Stephan d. Hl. und gewann vor 1241 städtische Qualität, als die Tataren „civitatem Agriensem" vernichteten, von „hominum de civitate" und denen „qui ad defensionem ipsius convenerant aliis combustis, aliis gladio interemptis" ; ein Teil der Domkanoniker und auch der Weinbauern des Umlandes waren aus der Reichswallonie um Verdun gekommen. Wiederaufbau und Neubesetzung folgten hier unverzüglich, ein Bering des 14. Jahrhunderts bot erweiterten Schutz, konnte aber den Hussitenbrand von 1442 sowie die polnische Zerstörung von 1490 nicht abhalten. Nach der Katastrophe von Mohács 1526 suchte Ferdinand das wichtige Erlau mit deutschen Truppen zu halten; als 1541 die Deutschen von Budapest den Türken zum Opfer fielen, baute man seit 1542 fieberhaft starke Befestigungen um Erlau aus. Der Magnat Dobó behauptete 1552 die Stadt gegen eine schwere türkische Belagerung, doch

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H. VAN WERVEKE, Het bisdom Terwaan van den oorsprong tot het begin der veertiende eeuw (Université de Gand. Recueil de Travaux publié par la Faculté de Philosophie et Lettres 52), Gent/Paris 1924, bes. S. 18ff.; O. BLED, Thérouanne, une Ville disparue, in: BullComTravHSc 1894; C. ENLART, Villes mortes du Moyen-Age, Paris 1920, S. 15ff.; J. EICHART (Hg.), Les Villes du Moyen-Age, in: La Documentation Photographique 5-270/1966, Taf. 4; R. KAISER, Bischofsherrschaft zwischen Königtum und Fiirstenmacht. Studien zur bischöflichen Stadtherrschaft im westfränkisch-französischen Reich im frühen und hohen Mittelalter (Pariser historische Studien 17), Bonn 1981, S. 610ff.; Holbein malte das 1513 belagerte Terwaan, Merian (1659, S. 214f.) zeigt Terwaan bereits als offene Ortschaft. 20 Dorpat ist auf dem nördlichen Ergänzungsblatt zur Grundkarte Städteatlas zu finden; vgl. dazu M. HELLMANN, Art. Dorpat im Lexikon des Mittelalters (im folgenden LexMA), Bd. III, München/Zürich 1986, Sp. 1322ff., ferner G. VON RAUCH, Dorpat, Stadt und Universität, in: BeitrBaltG 9 (1980), (S. 369ff. mit Baublockplan); DERS., Stadt und Bistum Dorpat zum Ende der Ordenszeit, in: ZfO 24 (1975), S. 577ff. und DERS., Der Wiederaufbau der Stadt Dorpat nach dem nordischen Kriege, in: ZfO 32 (1982), S. 481-517; N. ANGERMANN, Studien zur Livlandpolitik Ivan Groznyis, Hamburg 1972; EIMER, wie A n m . 5, S. 2 9 7 ; F S f ü r Η . WEISS, h g . v. J. VON HEHN/C. KENEZ, M a r b u r g 1980, d a r i n Η . VON RIMSCHA, S. 55ff. u n d L. PEEP/P. KAEGBEIN, S. 473ff.

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erlag Erlau trotz neuer italienischer Bastionen der muslimischen Übermacht nach aufopfernder Verteidigung endlich 1596. Es blieb 91 Jahre, bis 1687, türkisch, erhielt als orientalische Stadt seine Freitagsmoschee, aber bei gänzlich unterbrochener Kontinuität der Einwohnerschaft. Die Rückgewinnung zur Zeit des Prinzen Eugen bedeutete daher einen völligen Neubeginn bürgerlichen Lebens 21 . Genug dieser Hinweise auf solche, meist für Mitteleuropa randgelegenen Fälle des frühneuzeitlichen Verlustes von städtischer Substanz bei Orten größerer Bedeutung. Es gilt aber noch auf eine weitere, bisher stets übersehene Gruppe von Städten aufmerksam zu machen, die diesen Charakter zwar auch nach 1450 behielten, aber doch mehr oder weniger beträchtliche Einbuße an Umfang und Bewohnerschaft hinzunehmen hatten. Waren für die hoch- bis spätmittelalterlichen Bürgergemeinden Wachstumsvorgänge geradezu selbstverständlich und kontinuierlich bei großen, naturgemäß gerade wichtigen Teilen des Städtenetzes gegeben, so lassen sich nunmehr sehr bezeichnende Schrumpfungsphasen feststellen. Im Rahmen der Atlasarbeiten bot sie schon die staufische „Reichslandstadt" Gelnhausen (Grkt. H9); weitere Beispiele, bereits aus dem Spätmittelalter, ergaben sich nachfolgend aus Westfalen, etwa mit Rheda (Grkt. H7) oder Vreden (Grkt. F6) 2 2 ; an einem bescheideneren Platz wie Kleinenberg (Grkt. H7) südöstlich Paderborn blieb die rigorose, fast geradlinige Amputation des südlichen Kreissegments der Umfestigung, die vor 1249 datiert werden kann, bis in das heutige Katasterbild hinein besonders ungestört erhalten, und hier kann im Atlasblatt zugleich auch der Lageplan und Grundriß einer völligen, kleineren Stadtwüstung des ausgehenden 14. Jahrhunderts von immerhin 17 ha Fläche geprüft werden, der wohl von Marsberg aus vor 1240 angelegten Bergbaustadt Blankenrode

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.

In aller Knappheit ist ferner zu erinnern an die oft beträchtlichen Einwohnerverluste, denen leistungsfähige und zuvor wirtschaftlich blühende Städte vielfach seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert ausgesetzt waren. So ungleichmäßig das verfügbare statistische Material derzeit ist und wohl auch künftig zumeist wird bleiben müssen, es bezeugt doch in Hunderten von Einzelfällen, daß die um 1800 endlich einigermaßen exakt vorliegenden Zahlen wesentlich niedriger gelegen haben, als vermutlich das zu erschließende oder näher zu berechnende Stadtvolk ausgangs des Mittelalters betragen haben dürfte 24. Wenn etwa eine alte, große Bürgergemeinde wie Dortmund (Grkt. G 7) gegenüber dem vermutlich als äußerer Höhepunkt anzusprechende Befunde von gut 8000 Einwohnern zuzeiten des Kaiserbesuchs Karls IV. im Jahre 1377 nach schweren Schlägen des Niederganges um 1800 immer noch wenig mehr als die Hälfte davon aufzuweisen hatte 25 , so kann das keineswegs als ein Sonderfall bezeich-

21 Zitate: Rogens carmen miser. (MGH SS 29, 567); G. GYÖRFFY, Art. Erlau im LexMA III, 1986, Sp. 2153 (wenig ergiebig); vgl. LThK III, Freiburg 21963, S. 669f.; I. GENTHON, Kunstdenkmäler in Ungarn, Budapest 1974, S. 376ff. 22 Gelnhausen (DtStAtl I, 4/1973, H. STOOB): partielle Wüstung im späten 15. Jahrhundert: „die ußeren gassin, die damalen (sc. vor 1395) in guden buwen stunden, sint sieder verfalln und zu garthen gemacht", entscheidend dann 1634/35; Rheda (WestfStAtl I, 12/1975, H. STOOB): Reduktionsbefestigung nach 1375; Vreden (WestfStAtl II, 14/1981, W. EHBRECHT) die 1252 erreichte Fläche nach 1375 auf 12 ha fast halbiert. 23 Kleinenberg (WestfStAtl II, 7/1981, H. SCHOPPMEYER) dort, Textseite 2, Kt. und Art. Blankenrode; dazu vgl. H. STOOB, Blankerode, in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern 20 (1971), S. 261fr. 24 Zu den Zahlen vgl. passim: DtStB, ÖStB und Miasta Polskie, wie Anm. 11. 25 Dortmund (DtStAtl I, 3/1973, H. STOOB) mit Angaben und Belegen.

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net werden, sondern es steht für eine ganze Schar von mittleren und großen Städten im Rahmen der altständischen Größenordnung, wie wir sie für die Zeit um 14501500 im Grundkartenausschnitt, aber verkleinert auf den Maßstab von 1:8.000.000 verzeichnen konnten 26 . Leider steht bisher die seit langer Zeit angeforderte zweite Übersicht der Einwohnerzahlen größerer Gemeinwesen aus, die wir für einen Querschnitt um 1810/30 auf besser zu sichernder statistischer Basis anstreben. Würde sie gezeichnet und mit Angabe der Zahlen auch eine Auswertung verhältnisweiser Entwicklungen seit Ausgang des Mittelalters verbunden, so ergäbe sich mutmaßlich ein sehr aufschlußreiches Abbild ganz unterschiedlicher, zum Teil auch regional kraß wechselnder Tendenzen. Hier sollte die Städteforschung von der Demographie weitere Antwort einfordern, bevor der für beträchtliche Teile der Städtedecke zu konstatierende Vorgang markanter Einwohnerverluste genauer beschrieben und in seinen recht vielgestaltigen Hintergründen aufgehellt werden kann 2 7 . Es bedarf nicht erst der Hinweise auf den eingangs erwähnten, von Hans Mauersberg exakt behandelten Fünferkreis größerer Städte zwischen Hamburg und Basel, um andererseits bestimmte, gerade in unserem Untersuchungszeitraum kräftig an Volkszahl wachsende Städtegruppen dem hier skizzierten, in Teilgebieten vorherrschenden Sachverhalt rückläufiger Entwicklungen gegenüberzustellen. Neue politisch-administrative Schwerpunkte wie etwa Königsberg, Breslau und Berlin, Dresden und Kassel, Düsseldorf und Stuttgart, München und Wien treten da hervor, zu schweigen von west- und südeuropäischen Hauptstädten, aber auch die nordischen Kapitalen wären hier zu nennen, oder so eigenständige Küstensterne wie die niederdeutsch-niederländischen von Hamburg und Bremen bis nach Amsterdam, Leiden und Delft im scharfen Gegensatz zu dem 1585 aus der Bahn geworfenen Antwerpen. Die starke Differenziertheit der städtischen Lebensbedingungen ist für das frühneuzeitliche Gefüge unverkennbar! Das gilt erst recht im regionalen Bereich, hat es doch erst kürzlich Karlheinz Blaschke mit Bezug auf das Königreich Sachsen als „eine tiefgreifende Umschichtung in den wirtschaftlichen Grundlagen" gekennzeichnet, die nur solchen Städten eine Behauptung oder gar Verbesserung ihrer alten Stellung ermöglicht habe, „die sich auf die neue Lage einstellen konnten" 28. Dabei sind auch die neuen Antriebe nach Umfang und Wirkungszeit oft recht schwankend aufgetreten. Im Zusammenhang mit der frühneuzeitlichen Welle des wieder aufsteigenden Bergsegens möge dafür Zeugnis ablegen das böhmische Joachimsthal /Jachymov (Grkt. M 9), die führende Silberstadt des 16. Jahrhunderts am Erzgebirgshang 29 . Seit 1515 von dem Ortsherren, dem Grafen Stefan Schlick aus 26

H. STOOB, Stadtformen im späten Mittelalter, in: DERS., Die Stadt, wie Anm. 8, Kt. auf S. 155. Dazu allg. R. MOLS, Introduction à la Démographie historique des Villes d'Europe du XIV e au XVIII e Siècle. Tome 1-3 (Recueil de Traveaux d'Histoire de Philologie, Ser. 4, Fase. 1-3), Gembloux 1954-56, hier bes. Bd. II, S. 520ff.; H. IMHOFF, Demographische Stadtstrukturen der frühen Neuzeit. Gießen in seiner Umgebung im 17. und 18. Jahrhundert als Fallstudie, in: ZSSD 2 (1975), bes. S. 190ff.; GERTEIS, wie Anm. 4, S. 55ff. (ungleichmäßiges Zahlenmaterial !) ; A. SCHEUERBRANDT, Südwestdeutsche Stadttypen und Städtegruppen bis zum frühen 19. Jahrhundert, Heidelberg 1972, bes. S. 294ff. 28 K. BLASCHKE, Grundzüge der sächsischen Stadtgeschichte im 17. und 18. Jahrhundert, in: RAUSCH, wie Anm. 7, Bd. V, S. 173fï., hier S. 174f. 29 W. KUHN, Geschichte der deutschen Ostsiedlung in der Neuzeit, 2 Bde., Köln 1955-57, hier Bd. I, S. 66 u. 189f.; E. SCHWARZ, Volkstumsgeschichte der Sudetenländer, 2 Bde., München 1965-66, hier Bd. I, S. 161 f.; K. KRATZSCH, Bergstädte des Erzgebirges. Städtebau und Kunst zur Zeit der Reformation (Münchner Kunsthistorische Abhandlungen 4), München 1972, S. 32ff. ; H. STURM, Das Werden von Stadt und Bezirk Joachimsthal, Joachimsthal 1932; vgl. Josefinische Landesaufnahme Β IX a 92, Sekt. 51 (KriegsA Wien). 27

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alter Egerer Bürgerfamilie, auf der Flur des wüsten Dorfes Konradsgrün südwestlich des Keilberges in der Anlage gefördert, waren hier schon 1518 an 3000 Knappen zugelaufen; bis 1523 verdreifachte sich die Bewohnerzahl, und als die neue Stadt gut 15 Jahre alt war, zählte sie etwa 18 000 Einwohner. Die seit 1518 geprägten Guldengroschen des Ortsherren wurden als (Joachims)-Thaler schnell zur normgebenden Silbergroßmünze des Zeitalters; Ludwig II. von Böhmen-Ungarn hatte Joachimsthal 1520 auf Schlicks Ansuchen hin ein bestätigendes Stadtprivileg verliehen. Um 1540 stand es auf der Höhe seiner Entwicklung, sie übertraf nun an Größe selbst Dresden und Leipzig zeitweilig, von den böhmischen Mittelstädten — außer Prag — zu schweigen. Dann aber gingen die meisten der bis zu 900 Zechen ein, und was überlebte, mußte sich vom reichen Silber auf das bescheidenere Zinn umstellen. 1613 lebten in Joachimsthal nur mehr 3000 Menschen, und mit der nachfolgenden, kriegsbedingten Fluchtbewegung sank die Zahl noch weiter ab. Selbst im 19. Jahrhundert zählte man nicht einmal ein Drittel der im hohen 16. erreichten Zahlen in der bis 1945 deutschsprachigen Stadt. Entsprechend, aber aus ganz anderer Ursache, liegen die Verhältnisse bei der von Konfessionsflüchtlingen geprägten Stadt Lissa/Leszno (Grkt. Q 7). Dort hatte der übernehmende Grundherr Leszczynski 1547 neben der Fernstraße Glogau Posen eine schon durch ihre Größe von den vielen spät- bis nachmittelalterlichen Adelsstädtchen in Polen abgehobene Plananlage unweit der schlesischen Grenze entstehen lassen, an deren deutsch-evangelischem Gymnasium sich seit 1548 auch die Böhmische Bruderunität einrichtete 30 . Das aufblühende Tuchgewerbe ließ die Stadt aus kleinen Anfängen rasch zu stattlichem Umfange wachsen; mehrere Zuzugsschübe fügten eine ganze Reihe von Wachstumsgliedern hinzu, so daß um die Mitte des 17. Jahrhunderts in etwa 1600 Häusern bereits an die 12 000 Einwohner lebten. Nach 1620 flüchtete die Unität unter dem großen Amos Comenius auch ihr Archiv und ihre Druckerei nach Lissa, dann aber wurde die Stadt 1656 und 1707 von schwerer Kriegsverwüstung infolge der schwedisch-polnischen Kämpfe betroffen, verlor dadurch sowie durch nachfolgende Seuchen über die Hälfte ihrer Bewohner und blieb nun eine mittlere Bürgergemeinde, wenn auch immer noch als protestantischer Synodalort von einiger Bedeutung. Mit 6761 Einwohnern war Lissa 1790 immer noch nächst Posen die volkreichste Stadt im 1793 erworbenen preußischen Teilungsgebiet, aber nur noch halb so groß wie um die Mitte des 17. Jahrhunderts. Ein dritter Fall führt uns abermals in völlig andere Bedingungen der Entfaltung: Ludwigsburg in Württemberg (Grkt. H 11) 31 . In einem bevorzugten Jagdgebiet des 30

KUHN, wie Anm. 29, Bd. I, S. 137, 162 d., 171; G. WRÓBLEWSKA, Rozplanowanie nowozytnich miast w Wielkopolsce od XVI do konca XVIII wieku (Planung der neuzeitlichen Städte in Großpolen vom XVI. bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts), Warszawa/Poznan (Warschau/Posen) 1977, S. 145ff.; A. WÇDZKI, Ze studiów nad procesami osadniczymi ziem Polski zachodniej Wroclaw (deutsch: Studien zur Entwicklung der Besiedlung der polnischen Westgebiete) (Prace Slawistyczne 64), Breslau 1987, S. 79ff.; A. RHODE, Geschichte der evangelischen Kirche im Posener Lande, Würzburg 1956, bes. S. 86ff., 96ff.; Miasta Polskie, wie Anm. 11, Bd. II, 255ff. 31 E. MÜLLER, Die Zwingburg des Absolutismus. Ludwigsburg in der Epoche des Herzogs Karl Eugen, in: Schwäbische Heimat 10 (1959), S. 54-73, hier S. 54ff. (Zitat S. 55); dort auch P. KELLER, S. 76ff., und E. STEMMLER, S. 48ff. ; H. STRÖBEL, Ludwigsburg, die Stadt Eberhard-Ludwigs, Ludwigsburg 1918; P. SAUER, Art. Ludwigsburg im DtStB IV, 2, Stuttgart 1962, S. 151ff.; M. SCHAAB, Neuzeitliche Gründungsstädte in Südwestdeutschland, in: ZGO 133 (1985), S. 103-155, hier S. 118f.; gute Pläne gab H. GAESE in der Ludwigsburger Kreiszeitung 1 (1949), S. 26f. heraus; Nachweise ferner bei STOOB, Forschungen, wie Anm. 1, S. 281 ; der Mauerverlauf bei O. PARET, 250 Jahre Ludwigsburg, Ludwigsburg 1954, S. 155, dort auch S. 21ff. die wichtigsten Privilegientexte.

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Fürsten war hier ab 1704 ein großer Schloßbau entstanden, und die zugehörige Siedlung erhielt 1708/9 städtisches Aussehen. Nach 1715 in diesem älteren Teil auch als „Ludwigstadt" bezeichnet, 1718 mit einem Stadtrechtsprivileg versehen, hatte sie nach erfolgter Erweiterung um die „Karlstadt" um 1760 an 22 ha Umfang erreichte. Bis 1733 waren mit 5668 Einwohnern fast zwei Drittel des damals in Stuttgart lebenden Stadtvolks vorhanden. Unter Herzog Eberhard IV. Ludwig wurde der Ort, seit ab 1706 das Verhältnis zu Wilhelmine von Grävenitz begonnen hatte, mit entsprechenden Unterbrechungen fast zur Nebenresidenz, mit den daraus folgenden Spannungen gegenüber Stuttgart und Tübingen. Als der Herzog aber 1733 verstarb und die Nachfolge auf dessen Vetter überging, sank die Einwohnerschaft von Ludwigsburg infolge Abzugs der Kanzlei und des Hofes fast schlagartig auf nur mehr 2.343 Personen. Nach fast 25 Jahren „Zauberschlaf', so Ernst Müller, belebten sich dann jedoch die zum Teil erhebliche Zeit leergestandenen Verwaltungsbauten und Wohnhäuser bemerkenswert unter Karl II. Eugen, dem Dienstherren des in der Karlsschule erzogenen, späteren Regimentsmedikus Friedrich Schiller. Die Gewerbefreiheit wurde 1752 erneuert, auch einige andere Privilegien wieder erweckt, und mit dem Ausbau neuer Ortsteile zwischen Wilhelmstraße und Stuttgarter Tor sowie größeren Kasernenbauten kam es 1758-60 zu jener eigenartigen Stadtmauer, die nun statt des Schutzes der Ortschaft vor allem der Verhinderung von Desertionen dienen sollte. Dem entsprach das gewandelte Selbstverständnis der Bewohner, die nun weniger von Lieferungen an den Residenzbetrieb und textilen Spezialgewerben Gewinn zogen, als von Kasernenversorgung, Einquartierungen, Fuhrwesen und Wirtshausleben. Damit hatte sich das Gesicht Ludwigsburgs aus dem einer frühneuzeitlichen Residenz in das einer ausgesprochenen Soldatenstadt gewandelt. Jedenfalls wuchs der Einwohnerstand auch auf dieser Basis abermals kräftig, bis 1766 auf 8815, bis 1774 auf 11 607 Personen. Als der Hof dann zum zweiten Male nach Stuttgart zurückkehrte (1775), und zudem das Truppenkontingent einschneidend verringert werden mußte, sank entsprechend erneut auch das im Ort bleibende Stadtvolk auf 5525 Seelen, also die knappe Hälfte. Das alles kennzeichnet hier die weitgehende Abhängigkeit der Stadt von einer herzoglichen Willkürherrschaft, gegen die es zwar nicht an bürgerschaftlichen Abwehrversuchen mit Eingaben und Petitionen aller Art mangelte, die aber am Auf und Nieder wechselhafter Schicksale in Ludwigsburg ursächlich beteiligt blieb. So ist der Ort ein treffender Zeuge für jene auf ihre Weise einen der Grundzüge städtischen Lebens in unserem Berichtsabschnitt darstellende, zahlenmäßig recht ansehnliche Gruppe von flächenstaatlich-absolutistisch verwalteten Gemeinwesen. Dabei hatten es die Insassen der Garnison kaum besser: nach Ausbleiben französischer Subsidien machte der Herzog sie, wie etwa das oft genannte „Kapregiment", zu Geld; bei dem damals immer noch — ob zu Recht oder nicht — geringen Ansehen des Soldatenstandes in Abwägung gegen den dafür erlösten Beitrag zu den Landesfinanzen wohl nicht einmal ohne Billigung seitens der Landesinsassen. Wir stehen damit am anderen Ende der Skala von mannigfaltigen Stadtschicksalen während der frühen Neuzeit. Es besteht kaum ein Zweifel über das mehr oder weniger straffe Ausgeliefertsein besonders kleinerer Bürgergemeinden an den zu wachsender administrativer Energie sich kräftigenden Flächenstaat in mitteleuropäischen Größenverhältnissen, wie das auch Untersuchungen in letzter Zeit an

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mancherlei Beispielen dargestellt haben 32 . Hier liegen die deutlichsten Kontraste zu dem auch Verfassung und Verwaltung im autonomen Sinne belebenden Entfaltungsprozeß, wie ihn Mauersberg durchaus zutreffend beschrieben hat. Suchen wir angesichts derart starker Divergenzen im Entwicklungsbilde des frühneuzeitlichen Städtewesens nach allgemeiner zutreffenden Beobachtungen, so dürften diese in dem auf allen Gebieten bürgerlichen Lebens unverkennbaren Wandel der stadtschaffenden und städtisches Dasein fördernden, wie der ihm umgekehrt hinderlichen, wo nicht schädlichen Kräfte zu sehen sein. Nicht nur das administrative und verfassungsmäßige Ordnungsgefüge änderte sich ja von Grund auf, wie es etwa beispielhaft an größeren wie kleineren Gemeinwesen im Rahmen unserer Atlasarbeiten hervorgetreten ist 3 3 ; ähnlich folgenreich waren vielmehr — auch hier teils förderlich, teils abträglich — die wirtschaftlichen Umwälzungen, im besonderen für den Fernverbund, aus denen sich folgerichtig soziale Wandlungen ergeben haben 34 . Im Zeichen konfessioneller Auseinandersetzungen stand ferner das mit stark schwankenden Tendenzen wechselnden Schicksalen ausgesetzte kirchliche Leben sowie die damit verbundenen, von der jeweiligen Stadtführung selbst obrigkeitlich gesteuerten Fürsorgeeinrichtungen aller Art, war doch die frühe Neuzeit Pflanzstätte der Waisenhäuser, Altersstiftungen und Genossenheime wie auch der Arbeits-, Zucht-und Spinnhäuser unter bürgerlicher, kollegialer Verwaltung; auch an das Bildungswesen in allen Stufen ist dabei zu erinnern, ob es den zur Sicherung des Konfessionsstandes nach Überzeugung der Zeit unerläßlichen Elementarunterricht angeht, wie ihn auch Comenius von Lissa aus mit seinen mehrsprachigen Lehrbüchern zu fordern suchte, oder die beiderkonfessionell hochqualifizierten Gymnasien samt den ersten Lyceen sowie den akademischen Oberbau an städtisch subventionierten, führenden Universitäten 35 . Diese tiefgreifenden Umwälzungen dokumentierten sich schließlich im baulichen Körper der frühneuzeitlichen Stadt, den wir oft — wo er noch rudimentär überkommen ist — auf irrige Weise als Zeugnis des späteren Mittelalters ansehen. Er bietet nach Grundriß wie Aufriß jedenfalls Belege für alle Einzelglieder städtisch-altständischen Lebens, im sakralen wie im profanen Bereich, bei den Befestigungsanlagen wie den öffentlichen, besser gemeindlichen Bauten aller Art, bei großbürgerlichen Handelshäusern wie Buden, Höfen und Kellern des nicht- oder kleinbürgerlichen Mitwohnerkreises 36 . Der Blick muß auch in dieser Richtung von den Extremen

32

Dazu bes. R. DIETRICH, Merkantilismus und Städtewesen in Kursachsen, in: PRESS, wie Anm. 2, S. 222FF.; auch W. HUBATSCH, Ziele und Maßnahmen landesherrlicher Politik im Absolutismus gegenüber den Städten aus der Sicht des Verwaltungshistorikers, in: dito, S. 30ff. und G. HEINRICH, Der preußische Späterkantilismus und die Manufakturstädte in den mittleren und östlichen Staatsprovinzen (17401806), i n : d i t o , S. 301FF.; vgl. f e r n e r BLASCHKE, w i e A n m . 28, S. 177FF.

33

Sieh bes. Bad Frankenhausen (DtStAtl IV, 2/1989, H. STOOB) Text mit Anm. 28f., auch Kaiserslautern (DtStAtl IV, 7/1989, H. STOOB) Text mit Anm. 28ff.; allg. GERTEIS, wie Anm. 4, S. 76ff. 34 Dazu oben über Ludwigsburg, Joachimsthal, Lissa; allg. vgl. etwa W. LEISER, Die Stadt im süddeutschen Kleinstaat des Ancien Regime, in: PRESS, wie Anm. 2, S. 11 Iff.; H. HAUSSHERR, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit, Weimar 21955, S. 152ff.; MAUERSBERG, wie Anm. 6, bes. S. 113ff., 121ff. 35 Vgl. z.B. R. ARDELT, Stadt und Schule in Oberösterreich, in: RAUSCH, wie Anm. 7, Bd. VI, S. 121 ff.; auch N. ZASKE, Mittelalterliche Backsteinstädte der Hanse. Gestalt — Ikonologie, WZJena 30 (1981), S. 377ff. 36 Dazu jetzt M. SCHEFTEL, Gänge, Buden und Wohnkeller in Lübeck (Häuser und Höfe in Lübeck. Historische, archäologische und baugeschichtliche Beiträge zur Geschichte der Hansestadt im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit 2), Neumünster 1988.

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großzügiger Erweiterungen mit oder ohne planerischen Eingriff bis zu den Phänomenen weitgehender Erstarrung in Hunderten entkräfteter oder auch zerstörter Mitteibis Zwergstädte ausgreifen; das Profil einer Stadt ist gerade in unserem Untersuchungsabschnitt, was den Selbstverstand ihrer Bewohner angeht, durch den Wandel ihres baulichen Bestandes mit bestimmt. Nehmen wir nach diesen grundsätzlichen Überlegungen zur Städtedecke der frühen Neuzeit, die uns zu starker Zurückhaltung veranlassen gegenüber manchem problematisch Untersuchungsergebnisse an einzelnen Bürgergemeinden oder kleineren Gruppen verallgemeinernden Urteil im Schrifttum, nun das Kartenbild in den Blick. Es beruht auf Jahrzehnten der Datierungsarbeit anhand seinerzeit vorgeschlagener 37 und später nur unwesentlich ergänzter, stellenweise präzisierter Kriterien; insofern bietet es — mit allem Vorbehalt hinsichtlich der notwendigerweise persongebundenen eigenen Urteilsbildung — einen Forschungsertrag, nicht aber eine lediglich objektiv kartierende Faktensammlung. Diese wäre angesichts des Quellenbefundes ohnehin mißweisend und so zum Scheitern verurteilt. Das höchst komplexe Phänomen der Stadtbildung ist nur durch Bündelung der Anhaltspunkte einer angenäherten Datierung zugänglich. Bei der vierstelligen Fülle des in unserem Kartenausschnitt erfaßten mitteleuropäischen Städtenetzes war auch der etwa von Walter Kuhn 3 8 für eine der Teillandschaften vorgelegte Listennachweis für den Gesamtvorgang unzweckmäßig, weil einerseits zu knapp, andererseits bei weitem zu umfangreich; der für unsere Karte verfügbare Apparat ist im Bedarfsfalle für Nachfragen über das Münsteraner Institut für vergleichende Städtegeschichte immer zugänglich 39 . Die in vier Farbstufen untergliederte Städtebildung der frühen Neuzeit konnte unverändert mit den vor nunmehr 35 Jahren zuerst in einer Marburger Vortragsfassung vertretenen, lediglich marginal abgewandelten Zeitstaffeln erfaßt werden. Die seither wegen dieser Einteilung hin und her geführten Diskussionen überzogen allerdings das durchaus pragmatisch gedachte und keineswegs gedanklich überfrachtete Schema. Alle regional orientierten Abwandlungen, zu denen man, aus welchen Sachzwängen auch immer, glaubte sich entschließen zu müssen, überzeugen für das Gesamtbild nicht; das gilt namentlich hinsichtlich der Anfangskerbe 1450, aber sinngemäß entsprechend für die Zwischenstufen 1500, 1580 und 1680. Konfrontiert, wie oben behandelt, mit dem dreistufig erfaßten Verlust an Stadtqualitäten bis 1800, ergibt sich zunächst ein erster Überblick. Er bedarf aber als Grundlage selbstverständlich der Gegenüberstellung mit dem bis 1450 erreichten Stande. Diese bereits mittelalterliche Städtebildung wird in zwei Staffeln mit Kleinpunkten gegeben, einer hochmittelalterlichen bis 1250 sowie einer spätmittelalterlichen 1251-1450. Wegen der außerordentlichen Dichte und mancherlei vielgestaltiger Datierungsprobleme war die Ermittlung dieser beiden unverzichtbaren Vorstufen, ohne die kein rechtes Verständnis des in Zuwachs und Abgang darauf zu beziehenden Hauptverbreitungsbildes gegeben sein würde, sehr zeitraubend und mühevoll. Wenn sie nun zu

37

Zuerst in Marburger Vorträgen

285ff„ 293ff. W. Kuhn, Die

38

1954 und 1957, vgl.

dazu

Stoob,

Forschungen, wie Anm.

1, S. 15ff.,

deutschrechtlichen Stadtgründungen in Kleinpolen, in: H. Stoob (Hg.), Die mittelalterliche Städtebildung im südöstlichen Europa (StF A 4), Köln/Wien 1977, S. 39ff., hier 76ff. 39 Die radizierende Datenliste und der zugrundeliegende Zettelapparat sind dabei zu unterscheiden, beide über das Institut verfügbar.

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gut 90% in für jeden Einzelfall klar identifizierbarer Gestalt vorgelegt werden kann, so hat die vergleichende Städteforschung damit eine Arbeitsgrundlage von bisher nicht verfügbarer Zuverlässigkeit gewonnen. Natürlich verbleiben im Prüfungsvergleich mit regionalen Verbreitungskarten in einigem Umfange strittige Fälle, zumal soweit zum Teil andere Stufungen gewählt wurden. Selbst wenn aber, so geben wir zu bedenken, bei kritischer Beurteilung ein dreistelliger Fehleranteil ermittelt werden könnte, bedeutete auch das angesichts des Zahlenbildes insgesamt noch keine ins Gewicht fallende Korrektur! Nimmt man das Diagramm hinzu, so steht der künftigen Beurteilung des mitteleuropäischen Städtewesens ausgangs des Mittelalters die bisher fehlende, abgesicherte Ausgangsbasis zur Verfugung. Zu der frühesten Schicht bereits vor 1250 gebildeter Städte braucht hier nicht eingehender Stellung genommen zu werden 40 ; wir erinnern lediglich daran, daß deren kennzeichnende Verdichtungsräume bereits am Ende der Stauferzeit ausgebildet waren. Sie markieren eindeutig das westliche Mitteleuropa, mit herausragenden Ballungen im flämisch-niederlothringischen, im westfälisch-hessischen und im ostfälischthüringischen Räume; aber auch das Rhein/Maingebiet sowie der alemannischfränkische Wirkungskreis des Königtums heben sich heraus, das spricht dafür, neueren Urteilen zur vermuteten Vorreiterfunktion zu begegnen, wie sie gegenüber älteren, auf andere Familien gerichteten Vorschlägen sich als gerechtfertigt erwiesen haben 41 . Auch das in Ostholstein, Mecklenburg und dem westlichen Pommern beidseits der unteren Oder sowie in der nördlichen Kurmark schon um 1250 vorhandene Planschachbrett der städtischen Anlagen, weit überwiegend aus dem letzten hochmittelalterlichen Zeitabschnitt, bleibt im Vergleich zu den westlichen Ballungsräumen lockerer, so interessant es die den Ostseerändern folgende Küstenkette vor- bis frühhansischer Häfen ins jeweilige Landesinnere hinein abstützt. Ebenso sind die weiteren Wege zum Osten, über Schlesien und Polen, bis zu den Anfängen ordensstaatlicher Herrschaftsbildung an der unteren Weichsel noch nicht von der Kettenzur Netzgestalt des Städtewesens fortentwickelt. Dagegen fügen sich die südöstlichen Territorien um den Alpenriegel bereits mit auf die Donauachse bezogenen Gruppen städtischer Anlagen eindrücklich zusammen. Hier beginnt auch schon jener umstrittene Vorgang einer abgestuften Weiterentwicklung zu Märkten und Städten, dem wir sogleich noch weiter nachgehen müssen. Richten wir dazu den Blick auf die zweite Vorgängerschicht mit der Fortbildung städtischer Erschließung in den beiden spätmittelalterlichen Jahrhunderten, aus dem Diagramm ist uns gegenwärtig, welche krassen Unterschiede den Zugang an Städten in diesem Zeitraum kennzeichnen: bis 1350 brachte er ein um 1290/1300 kulminierendes Maximum von kaum glaublicher Höhe, danach verlief er sich bis zu einem um 1450 erreichten Minimum. Das war bereits in der 1956 vorgelegten, unvollständigen Erstfassung des Diagramms eindeutig faßbar, es hat sich in der nunmehr endgültigen Gestalt nicht nennenswert abgewandelt. Am Verbreitungsbilde bestätigt sich nun dieser Befund, zumal er in Bezug auf neue oder erneute Ansätze sowie neustädtische Erweiterungen ergänzt wird, wie sie alle (da Zweitzählung) im Diagramm nicht auftauchen.

^Vgl. die oben, Anm. 8ff., 26 erwähnten Karten, sowie STOOB, Die Stadt, wie Anm. 8, S. 141ff. 41 Zuletzt bei F. OPLL in dessen bemerkenswertem Buch: Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125— 1190) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 6, Beihefte zu Reglmp.), Wien/Köln/Graz 1986, bes. S. 519ff, 537ff.

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Damit stellt sich nun heraus, daß im Untersuchungsbereich ausgangs des Mittelalters das Städtenetz bis zu einem kaum noch zu steigernden Ausmaße verdichtet war; an den Städten erweist sich so die nun gefestigte Einheit Mitteleuropas. Gleichwohl behält der zweite Abschnitt 1251-1450 sehr kennzeichnende Unterschiede zur hochmittelalterlichen Entwicklung. Jetzt ist vor allem der Akzent in die Osthälfte des Kartenausschnitts verschoben, obwohl es auch im Westen, besonders längst der Rheinlinie, noch Landstriche mit einem starken Zuwachs neuer Stadtbildungen zu verzeichnen gilt. Die kräftige Ausweitung der Städtedecke über den Weichselbogen hinaus nach Osten/Südosten erkennen wir als zweites Charakteristikum. Drittens muß festgehalten werden, daß nunmehr mit Ausnahme einiger wenig siedlungsfreundlichen Teilräume in Verzahnung mit der älteren Basisschicht ein weitgehend geschlossener Zusammenhang hergestellt erscheint, der das Profil des Bürgertums für die folgende Zeit bestimmend zu prägen vermochte. Was ferner nachdrücklich zu unterstreichen ist: die hervortretende Häufigkeit von Hohlkreisen weist als Signatur auf minderstädtische Bildungen aller Art hin. Hierzu muß ein klärendes Wort folgen, da noch kürzlich erneut bezweifelt wurde, daß wir berechtigt wären, eine derartige Differenzierung des „Bodensatzes" von der spätmittelalterlichen Stadtbildung vorzunehmen 42 . Es fragt sich, ob man angesichts des überprüfbaren Kartenbildes noch von einer „kaum nachweisbare(n) bewußte(n) Reduktion" sprechen kann. Ganz davon abgesehen, daß im romanischsprachigen Räume etwa die „borghi franchi" von der „città" ebenso geschieden sind, wie — noch auf den Cassini-Karten des 18. Jahrhunderts eindeutig zu belegen! — die französische „bourg" von der „ville"/„cité", haben wir eben erst etwa zu Kufstein (Grkt. L 13) für 1356 nachweisen können, daß in einem Textkonzept für das damals verliehene Jahrmarktsprivileg eigens das Wort „stat" zu „margt" berichtigt worden ist 43 . Ein Blick auf die beträchtliche Verbreitung der „Märkte" im oberdeutschen Räume, nicht weniger aber auf die der „Burgtäler", „Freiheiten" oder „Wigbolde" im Westen und Norden unseres Verbreitungsbildes, zu erheblichem Teil auch der „stadtl"-Städtlein (meist „oppida" in den Belegen) von Böhmen bis hinauf zur Kurmarkt wird genügen, um die von uns nach langer Erwägung getroffene Entscheidung zu begründen. Weder können diese Minderformen sehr unterschiedlicher Gestalt, davon die „Minderstädte" selbst nur eine herauszuhebende Spielart, dem spätmittelalterlichen Erscheinungsbilde „Stadt" undifferenziert gleichgesetzt werden, noch darf man sie andererseits bei Untersuchung des Gesamtphänomens übergehen. Dies mußte gewiß und aus guten Gründen bei Bearbeitung des „Österreichischen Städtebuchs" ganz, bei der des „Deutschen" bis auf Einzelfälle geschehen, die vom ersten Herausgeber ohne erkennbare Konsequenz aber dennoch begrüßenswert einbezogen worden sind. Unbeschadet der ausstehenden und sachlich notwendigen eindringenderen Behandlung waren minderstädtische Formen demnach in unsere Grundkarte aufzunehmen bis auf etwa 15-20% infolge der näheren Prüfung ausgeschiedene Fälle (offene Talschaften, Lockersiedlungen, Saisonmärkte, Kleinstformen). Ganz entsprechend ist das Problem im neueren Schrifttum beurteilt worden 44 .

42

ISENMANN, wie Anm. 4, hier S. 28 mit dem nachfolgenden Zitat. STOOB, wie Anm. 5, hier S. 29 mit Nachweisen und Schrifttum zu Kufstein, 1356, Sept. 15. 44 Ähnlich bereits W. SPIESS, Das Marktprivileg. Die Entwicklung von Marktprivileg und Marktrecht insbesondere auf Grund der Kaiserurkunden (Deutschrechtliche Beiträge 11, H. 3), Heidelberg 1916, hier S. 336f., 388ff.; vgl. jetzt bes. K. SCHWARZ, Bäuerliche „cives" in Brandenburg, in: BllDtLG 99 43

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Ein konkretes Beispiel, das in unseren Untersuchungsrahmen der frühen Neuzeit gehört, sei zu besserem Verständnis hier angeführt: Haida (Grkt. D 9), heute „NovyBor", nordöstlich Böhmisch-Leipa am südwestlichen Sudetenrande. In der Absicht, der Glasbläserei aufzuhelfen, richtete Josef Graf Kinsky Anfang 1756 eine Gesuch an die Kaiserin Maria Theresia, „das dorf Heyde in eine Stadt zu verändern" ; nach Prüfung seitens der Kammer urkundet die Landesmutter am 26.2.1756 und erhebt „das dorf Hayde zum stadtl und marktflecken". Dem entspricht das Ortsbild in der Josefinischen Landesaufnahme ein Jahrzehnt später; vom in der Südostecke liegende Schloß aus ist ein großer Rechteckring vermessen, doch bleibt der Ort unbefestigt. Er zählt 1768 etwa 50 Häuser und hat ein Piaristenkolleg. Spätestens um 1800 ist an kleinstädtischem Aussehen und Gewerbe nicht mehr zu zweifeln; man hat sich auf Kristallglas spezialisiert und gewinnt so Absatz wie Einwohner, 1910 sind es bereits 3093, davon 91 Tschechen. Auch nach der Umbesiedlung infolge des letzten Krieges lebt das Gewerbe fort, der Ort wird im Kartenmaterial der CSFR als Kleinstadt über 5000 Einwohner verzeichnet 45 . Mit den Klein- und Zwergstädten überschneiden sich Größe, Gewicht und Bedeutung der minderstädtischen Formen sehr häufig. Zumal in den vielen Fällen, wo es auch noch zu einer Befestigung gekommen ist. Sie gehören dem der Zahl, weniger der Leistungsfähigkeit nach ausgangs des Mittelalters in großen Teilen der Untersuchungsgebiets deutlich übersetzt erscheinenden Städtekreis zu, dessen Entfaltung nunmehr als Gesamtheit dem frühneuzeitlich zuwachsenden Stadtprofil wie dem gleichzeitig eingetretenen Verlust an Bürgergemeinden gegenüber zu stellen ist. Das dazu gehörige Kartenbild hebt sich grundsätzlich von dem vergleichsweise geschlossenen Raster der bereits 1450 vorhandenen Städtedecke ab: unzusammenhängende Häufungen treten auf der Basis ganz verschiedener Entstehungsursachen hervor. So werden die älteren Zeitstaffeln bis 1500 und bis 1580 besonders durch die den erzführenden Gebirgen zugeordneten Bergstädte geprägt, vom Harz und von den böhmischen Randgebirgen beobachten wir sie bis zu bestimmten Alpentälern hin. Die namentlich den Lausitzen, Posen-Westpreußen, in Streulage aber auch den westlichen Landschaften verbundenen Flüchtlingsstädte treten vor allem im Zeitabschnitt bis 1680 hervor, nur der hugenottische Abschluß — meist freilich durch beträchtlichen Zuzug in vorhandene, ältere Städte und weniger durch ausgesprochene Neuanlagen wie Karlshafen (Grkt. I 7) bemerkenswert — geht zeitlich darüber hinaus in das 18. Jahrhundert weiter. Kräftig hebt sich ferner ein Saum von Küstenhäfen zur Nordsee hin ab; mehr Vielzahl von Punkten als für den Gesamtkreis von Städten bedeutsam erscheinen die gehäuft dem ostpolnisch-litauischen Bereich entwachsenden Adelsanlagen kleinster und verkümmerter Größe. Über das ganze Kartenbild breiten sich dagegen die aus residenzbezogener, administrativer oder militärischer Wurzel entstandenen neuen Bürgergemeinden aus, von ganz unterschiedlicher Größe und Gestalt, ihrer auf Zentralität gerichteten Funktion nach ohne besondere Ballungszusammenhänge. Deshalb wird das neu auftretende, ( 1 9 6 3 ) , S. 126FF.; M . SCHAAB, D e r D i l s b e r g u n d s e i n e F r e i h e i t e n , i n : Z G O

113 (1965), S. 442FF.; K .

BLASCHKE, Zur Statistik der sächsischen Städte im 16. Jahrhundert, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. FS für H. Sproemberg, hg. v. H. KRETZSCHMAR (Forschungen zur Mittelalterlichen Geschichte 1), B e r l i n 1956, S. 133FF. 45

Zitate: J. SIEBER, Geschichte der Stadt Haida, Haida 1913, bes. S. 17ff.; SCHWARZ, wie Anm. 29, Bd. I, 277; E. NEDER, Beiträge zur Geschichte der Stadt Haida, in: MNordböhmHV 37 (1914), S. 139ff.; Josefinische Kataster Β IX a 92 nebst Protokollband.

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gleichsam zerrissene und unruhige Verteilungsbild von dieser Gruppe nur noch unterstrichen, wie ebenso durch die oben behandelten Abgänge. Der Sonderentwicklung im Südosten während jenes gut anderthalb Jahrhunderte überschattenden Vorstoßes der Türken in den Donauraum „verdankt" eine weitere Ungewöhnlichkeit des Bildes ihre Entstehung. Einzelzüge dieser Art geben zwar dem Kartenbild des frühneuzeitlichen Städtenetzes eine unverwechselbare Eigenart, begründen aber zugleich, daß es nur schwer geschlossen darzustellen ist. Dem hier angestrebten Überblick unter Vorlage der zugehörigen Grundlagenforschungsergebnisse stände es aber ohnehin kaum an, darauf gerichteten Untersuchungen vorzugreifen. Es geht vielmehr bei einem solchen Versuch darum, den bisher noch unzureichend behandelten, angesichts seiner dreieinhalb Jahrhunderte aber doch in der Bedeutung für die Entfaltung städtischen Lebens in Mitteleuropa nicht zu unterschätzenden Zeitabschnitt möglichst eindeutig abzuheben sowohl von dem vorhergegangenen mittelalterlichen als auch von dem nachfolgenden Dasein der Stadt. Dieses in den nachrevolutionären anderthalbhundert Zeitspannen von globalem Überwachstum der Bevölkerung, von großgewerblich-industriellem europäischen Ausgriff, gepaart mit entartendem Kolonialismus, von konstruktivistisch fehlgeleiteten Ideologien und von zunehmender, egoistisch-materieller Kälte geprägt, zugleich aber mit erstaunlicher Lebens- und Leistungskraft sich den ungewöhnlichen Anforderungen stellende bürgerliche Dasein mit seiner bestimmte Schwerpunkte gerade Mitteleuropas zu städtischen Großregionen umgestaltenden Verhaltensweise bietet ein zum Verständnis des frühneuzeitlichen Städtewesens wertvolles und belehrendes Kontrastbild. Zeichen der Besinnung, wie es die neu erwachte Wende zum innerstädtischen Leben, das Bemühen um Bewältigung chaotischer Entartungen, etwa des Verkehrs, die unversehens neu erinnerte Neigung zur Umwelt, die kritischen Fragen an die Groß- und namentlich Staatswirtschaft, wegen möglicher Folgen für die Städte und deren Bewohner, die Warnungen vor Problemen der Bevölkerungsentwicklung und des Mißbrauchs am Leben sein könnten, um nur einige der wichtigen Aspekte zu nennen, wären gut beraten, wenn sie sich Klarheit über die Lebensbedingungen von Stadt und Bürgertum auch in altständischer Zeit verschaffen würden. Belehrung im eigentlichen Sinne ist davon, wie von der Vergangenheit überhaupt, gewiß nicht zu erwarten, aber wohl Orientierung über den Entwicklungsgang bis zur Gegenwart. Dazu mag die hier vorgelegte Verbreitungskarte ihren Beitrag leisten.

INDEX DER

Agricola, Georgius (Bg., Chemnitz) 118 Alba, Fernando Alvarez, Hz. v. Toledo (Generalstatthalter, Niederlande) 151, 154, 164 Albrecht Alcibiades, Mgf. v. Ansbach-Bayreuth 7 Albrecht v. Brandenburg, Hochmeister des Deutschen Ordens 11 Albrecht, Ehz. v. Österreich 154 Albrecht VI., Ehz. v. Österreich 226 Albrecht, Hz. v. Wittelsbach 6 Alexander, russ. Zar 272 Althusius, Johannes (u.a. Synd., Emden) 30 Arcimboldi (päpstlicher Ablaßkommissar) 94 Baegert, Derik (Maler) 124 Bardewick, Nikolaus (Bgm., Lübeck) 73, 81 Baruch (jiid. Gemeindevorsteher, Frankfurt/M.) 194 Bernhard v. Waldeck, Bf. v. Osnabrück 167 Berswordt, Ditmar v. (Rm., Dortmund) 80 Berswordt, Johann (Bgm., Münster) 80 Berswordt, Konrad v. (Rm., Soest) 80 Bodin, Jean 202f, 213 Bolongaros (Fam., Frankfurt/M.) 189 Bonnus, Hermann (Reformator) 162 Bogislav X., Hz. v. Pommern 205 Botero, Giovanni (Jurist) VII Brechte, Hermann (Dh., Lübeck) 78 Brechte, Werner, (Bgm., Hamm) 77, 78 Brenz, Johannes (Superintendent, SchwäbischHall) 118 Brömse (Fam., Lüneburg) 79 Brömse, Nikolaus (Bgm., Lübeck) 79 Bugenhagen, Johannes (Reformator) 98-100 Carstens, Engel (Bg., Lübeck) 74 Christian IV., Kg. v. Dänemark 14 Christian V., Kg. v. Norwegen 15 Christian I I , Kf. v. Sachsen 11 Christian I I , Hz. v. Holstein 97 Christoph, Mgf. v. Baden 13 Clemens VII, Pp. 14 Clemens August, Ebf. v. Köln 167 Clever, Albert (Rm, Lübeck) 77 Clignet, Heinrich (Stadtdir, Mannheim) 253 Cromwell, Oliver (engl. Feldherr) 17 Dael, van (Fam, Soest) 78-80 Damme, Henning van (Bgm., Braunschweig) 71, 76, 81

PERSONENNAMEN

Damme, Remborg van (Braunschweig) 74 Daniel Brendel v. Homburg, Burggf. 46 Deyl, van (Schultheiß, Mannheim) 253 Deynck (Fam, Soest/Dortmund) 80 Dietrich X , Gf. v. Kleve 135 Dinnies, Nikolaus (Rh, Stralsund) 202 Döring, Hans (Bgm., Braunschweig) 76 Dumsdorf, v. (Fam, Osnabrück) 80 Dusterhoep, Franz (Rm, Lüneburg) 79 Eberhard IV. Ludwig, Hz. v. Württemberg 276 Edward IV, Kg. v. England 71 Elers, Anton (Rm, Hamburg) 66 Elisabeth I , Kg. v. England 72 Elver, Leonhardt (Rh, Lüneburg) 79 Emmius, Ubbo (Emden) 30 Erich XIV, Kg. v. Schweden 68f Erich I , Hz. v. Braunschweig 45 Ernst August, Hz. v. Braunschweig-Lüneburg 164 Emst August I , Kf. v. Hannover 166ff, 171 Ernst August I I , Bf. v. Osnabrück 167, 168 Ersam, M. Sebastian (Ratssekretär, Lübeck) 63, 73 Ertmann, Ertwin (Bgm., Osnabrück) 80, 168 Fabri, Christoph (Kanzler, Mainz) 54 Fachs, Ludwig (Rm, Leipzig) 111 Falcke, Hermann (Bgm., Lübeck) 73 Ferdinand I , dt. Kg, Ks. 6, 11, 28, 57 Fettmilch, Vincenz 176, 180, 195, 200, 204 Fleckhamer (Großhändler, München) 12 Francesco II. Sforza, Hz. v. Mailand 14 Franz Stephan, Hz. v. Lothringen 224 Franz Wilhelm v. Wartenberg, Bf. v. Osnabrück 159, 163f, 168 Franz v. Waldeck, Bf. v. Osnabrück 162, 168 Franzius, Thomas (Kanzler, Ostfriesland 1599) 30 Frauensteiner (adeliges Geschlecht, Frankfurt/M.) 174, 184 Friedrich I , Barbarossa, dt. Ks. 173 Friedrich I I , dt. Ks. 173 Friedrich I , Kg. v. Dänemark 97 Friedrich I I , Kg. v. Dänemark 73, 80 Friedrich III, Kg. v. Dänemark 15 Friedrich III, Hz. v. Österreich 11, 14 Friedrich V, Kf. v. der Pfalz 243 Friedrich d.J. v. Sachsen 109f

285 Friedrich Wilhelm, Kf. v. Brandenburg lOff, 125, 134-138 Fuchs, Johann Philipp (Bg., Mannheim) 258 Fugger (Fam., Augsburg) 197 Fiirstenberger, Philipp (Frankfurt) 51 Georg III., Fürst ν. Anhalt 118 Georg v. Karlowitz (sächs. Rat) 112 Georg, Hz. v. Sachsen 109-112, 115 Georg Wilhelm, Kf. v. Brandenburg 134, 136 Gloede, Hieronymus (Rm., Lüneburg) 79 Gloxin, David (Synd., Lübeck) 49 Goethe, Frau Rath 238 Gremp, Ludwig (Jurist, Straßburg) 54 Gule, Balthasar (Bgm., Rostock) 79 Gustav I. Vasa, Kg. v. Schweden 8, 14 Gustaf II. Adolf, Kg. v. Schweden 14, 272 Haß, Heinrich (Rat Karls V.) 219 Haller (Patrizierfam., Nürnberg) 7 Hast, Joachim Wilhelm (Bgm., Osnabrück) 169 Heerde, Hermann (Bgm.) 78f Heinrich der Löwe 270 Heinrich der Seefahrer 2 Heinrich V., Hz. v. Sachsen 112-116 Heinrich, Hz. v. Braunschweig 63 Heinrich-Julius, Hz. v. Braunschweig-Wolfenbüttel 101 Hippolithus à Collibus (kurpfálzischer Rat) VII Hoeveln, Gotthardt v. (Bgm., Lübeck) 63, 64, 69, 72, 79 Hoeveln, Gotthardt v. [Vater] (Rm., Lübeck) 79 Hoeveln, Gotthardt v. [Sohn] (Rm., Lübeck) 79 Hoeveln, Johann v. [Vater] (Rm., Dortmund) 79 Hoeveln, Johann v. [Sohn] (Rm., Dortmund) 79 Hofer (Bgm., Rottweil) 238 Hohenberg, v. (Adelsfam.) 226 Husanus, J. F. (Jurist, Autor) 208 Isabella v. Spanien 154 Israhel, Härmen (Bg., Lübeck) 101 Iwan IV., russ. Zar 67, 272 Johann II., Hz. v. Kleve 123 Johann III., Kg. v. Portugal 18 Johann Friedrich, Kf. v. Sachsen 113 Johann Kasimir v. der Pfalz 243 Johann Moritz v. Nassau-Siegen 137 Johann Philipp v. Schönborn, Ebf. v. Mainz 39 Johann Wühelm, Kf. v. der Pfalz Johannes v. Diepholz, Bf. v. Osnabrück 160 Jonas, Justus (Visitator, Leipzig) 114 Josef I., Ks. 181 Joseph II., Ks. 233f Julius II., Hz. v. Braunschweig-Wolfenbüttel 12 Kampferbeke (Rm., Lübeck) 84 Kannegießer, Heinrich (Bgm., Köln) 65 Kannegießer, Kaspar (Rm., Köln) 65

Karl II. Eugen, Hz. v. Württemberg 276 Karl IV., dt. Ks. 173f, 273 Karl V., Ks.2, 6, 9f, 17, 53-55, 57, 137, 144-152, 219, 271 Karl VI., dt. Ks. 182, 232ff Karl IX., Kg. v. Schweden 15 Karl v. Lothringen, Bf. v.Osnabrück 167 Karl II., Kf. v. der Pfalz 260 Karl Ludwig, Kf. v. der Pfalz 243, 247, 249, 260, 262 Karl Philipp, Kf. v. der Pfalz 257, 261 Kerkring, Johann (Rm., Lübeck) 69 Kettler (hzgl. Fam., Kurland/Semgallen) 68 Kettler, Gotthard (Landmeister) 67 Kirchhoff, Lambert (Rm., Rostock) 79 Kiefeld, Georg (Bgm., Danzig) 64 Klepping (Fam., Soest) 78, 80 Konrad III., Bf. v. Osnabrück 168 Konrad IV., Bf. v. Osnabrück 168 Ladislaus IV., Kg. v. Polen 13 Lamb, Hieronymus zum (Jurist, Frankfurt) 54 Lauffs, Jacob (Rentmeister, Mannheim) 258 Lauterbach, Anton (Superintendent, Dresden) 111 Leo X., Pp. 10 Leopold, Ks. 219 Ligsaltz (Großhändler, München) 12 Limpurger (adeliges Geschlecht, Frankfurt/M.) 174, 176, 178, 184 Linde, Hans v. der (Rm., Danzig) 81 Lipsius, Justus (Staatsphilosoph) 29, 202 Löb, Wolff (Jude, Mannheim) 263 Lohausen, Christoph (Bgm., Osnabrück) 169 Lohe, Dietrich vam (Chronist, Rostock) 70 Louvois (franz. Kriegsminister) 255 Lüdinghausen, Anton (Bgm., Lübeck) 64, 76 Ludwig d. Bayer, Kg. 173 Ludwig XIV., Kg. v. Frankreich 17 Ludwig II. v. Böhmen-Ungarn 275 Ludwig, Lgf. zu Hessen-Darmstadt 176 Lüneburg, Hieronymus (Bgm., Lübeck) 69, 79, 80 Luther, Martin (Reformator) 94f, 98, 111, 113, 117,202,215 Lyskirchen, Konstantin v. (Bgm., Köln) 65, 81, 84 Machiavelli 2, 202 Magnus, Hz. v. Holstein 67 Margaretha v. Savoyen (Generalstatthalterin, Niederlande) 149 Maria Theresia, Ksn. v. Osterreich 224, 226, 232, 234 Maria v. Ungarn (Generalstatthalterin, Niederlande) 149 Matthias, Ks. 176, 193 Maximilian I., Ks. 6, 11, 45, 51 Maximilian II., Ks. 10 Mélac, Gf. 242, 255

286 Melanchthon, Philipp (Reformator) 118 Melchior Friedrich, Gf. v. Schönborn 182 Mendelssohn, Moses (Philosoph) 194 Menges (Fam., Soest/Dortmund) 80 Meyer, Ambrosius (Bgm., Lübeck) 76 Michels (Fam., Soest/Dortmund) 80 Mohr, Egidius (Bg., Leipzig) 118 Moritz, Hz. v. Sachsen 115f Moser, Johann Jakob (Jurist, Württemberg) 220, 223, 224 Moyses, Abraham (Jude, Mannheim) 263 Moyses, Lemble (Oberhoffaktor, Mannheim) 264

Sigismund v. Lindenau, Bf. v. Merseburg 113 Solomon, Hertz (Schutzjude, Mannheim) 262 Specht, Augustin (Jurist, Leipzig) 111 Stefan Báthory, Kg. v. Polen 272 Steinwich, Lambert (Jurist) 201 Stiten, Anton v. (Lübeck) 73f Straelen, Anton van (Bgm, Antwerpen) 74 Sturm, Jakob (Straßburg) 51 Stüve, Johann Eberhard (Synd, Osnabrück) 170 Sudermann (Fam, Soest) 79 Sudermann, Heinrich (Synd, Köln) 48, 64, 69, 74, 76-78, 81, 84 Sudermann, Hermann (Bgm, Köln) 74 Sudermann, Hildebrandt (Bgm, Köln) 74

Oldenbarnevelt, Jan van 17 Paracelsus 202 Paul, Jean (Schriftsteller) 221 Peraudi, Raimund (Kardinal) 93 Peter, der Große, russ. Zar 272 Peutinger, Konrad (Augsburg) 51 Pfinzing (Patrizierfam., Nürnberg) 7 Philipp I., der Schöne, Kg. v. Spanien 145 Philipp I I , Kg. v. Spanien 17f, 145, 146-150, 152, 154 Philipp Julius, Hz. v. Pommern-Wolgast 199, 204f Philipp Sigismund, Bf. v. Osnabrück 165, 168 Pius I I , Pp. 13 Plönies, Heinrich (Rm, Lübeck) 77 Plönies, Hermann (Rm, Lübeck) 77 Plönies, Hermann (Dh, Münster) 78 Plönies, Hilbrandt (Rm, Münster) 65, 77-79 Plönies, Werner 78 Proit, Johann (Bgm., Danzig) 81 Prusse, Dietrich (Synd, Braunschweig) 64, 66, 71, 81 Prütze, Balthasar 199f, 202-214 Prütze, Joachim 201 Prütze, Melchior 201 Pufendorf, Samuel (Staatsphilosoph) 41 Recke, Johann (Bgm., Goslar) 84 Reibold (Amtmann, Mannheim) 259 Rinck (Bgmfam, Köln) 65 Rintelen, Jost van, (Bgm., Bielefeld) 81 Roland, Jost (Bgm., Osnabrück) 168 Rothschild (Fam, Frankfurt/M.) 194 Rudolf I I , Ks. 6 Savonarola 4 Schapphausen (Fam, Soest) 78 Schein, Calixt (Synd, Kiel, Synd, Lübeck) 79 Schepeler, Gerhard (Bgm, Osnabrück) 159, 169 Schiller, Friedrich (Dichter) 244, 276 Schräder, Heinrich (Bgm, Osnabrück) 168 Schurff, Hieronymus (Jurist, Sachsen) 28 Schütze, Hieronymus (Bg, Chemnitz) 118 Siegen, Arnold v. (Rm, Köln) 71, 81 Sigismund, Ks. 173

Tilly, Johann, Graf v, (Feldherr) 244, 250 Timmermann, Gottschalk (Rm, Lübeck) 69,71, 81 Tinnappel, Bartholomäus (Bgm, Lübeck) 70, 73, 84 Tode, Christoph (Bgm, Lübeck) 79 Trautenbuel, Christoph (Synd, Goslar) 84 Trautenbuel, Johann (Kanzler des Erzstifts Magdeburg) 84 Ulrich, Hz. v. Württemberg 58 Vechelde, Bernd v. (Aldermann/ Antwerpen) 76 Vechelde, Cyriak v. [Vater] (Rm, Braunschweig) 76 Vechelde, Cyriak v. [Sohn] (Bgm, Braunschweig) 76 Vechelde, Hans v. (Rm, Braunschweig) 76 Vechelde, Hermann v. (Synd, Bgm, Lübeck) 64, 74, 76f, 81, 84 Vechelde, Tile ν. [Vater] (Großhändler, Braunschweig) 74 Vechelde, Tile ν. [Sohn] (Kaufmann, Braunschweig) 74 Venth, Heinrich (Bgm, Münster) 65, 78 Vogeler, Nikolaus (Rm, Hamburg) 66 Walter, Hieronymus (Bg, Chemnitz) 118 Wedekindt, Christoph (Synd, Bremen) 81 Wenzel, dt. Kg. 175 Wesel (Bgmfam, Köln) 65 Wickede, v. (Bgmfam.) 73f Wiebekind, Paul (Bgm, Lübeck) 73 Wieland, Christoph Martin (Schriftsteller) 221 Wildscheydt (Rh, Mannheim) 258 Wilhelm, Hz. v. Kleve 133 Wilhelm v. Brandenburg, Ebf. v. Riga 67 Witt, Jan de (Regentenpatriziat, Holland) 17 Wullenwever, Johann (Bg, Lübeck) 92, 105 Wulff, Nikolaus (Sekr, Lübeck) 73 Wyck, Christian v. d. (Synd, Münster) 65, 74, 78 Wyck, Johann v. d. (Synd.) 74, 76, 78f Zamoiski, Jan (poln. Feldherr) 13

INDEX DER

Aach 226, 229 Aachen 35, 123, 126, 133 Abo 15 Altenberg 116 Altona 10 Älvsborg 15 Amsterdam 5, 8, 16-18, 156, 249, 274 Annaberg 109 Antwerpen 2, 16-18, 65, 71, 74, 76f., 81, 154, 274 Archangelsk 15, 71 Arnheira 157 Artois 155 Augsburg 2, 6f., 12, 27, 31, 50f„ 55, 57, 76, 84, 143, 217, 218, 235 Avignon 250 Baden 217 Baden-Baden 242 Bardowick 270, 271 Basel XI, 45, 274 Bayern, Herzogtum 50, 57, 59, 218 Berg 133 Bergedorf 73, 99 Berlin 12, 125, 139, 274 Besançon XI, 47 Biberach 221 Bielefeld 81 Binsdorf 230 Blankenrode 273 Bleckinge 68 Böblingen 58 Bologna 4 Bopfingen 43 Borás 14 Bornholm 72 Boulogne 271 Brabant 34, 146, 148, 152f. Brakel 45 Brandenburg 12, 39, 121, 134f., 137, 138 Braunschweig 9, 10, 12, 26, 28, 30f., 34, 39, 43-45, 63f., 66, 72, 74, 76, 81, 96, 99, 164 Bräunlingen 229 Breisach 226-229 Bremen 8-10, 12, 45, 63f., 76, 93, 95, 99f., 143, 274 Breslau 274 Bruchsal 242 Brügge 16 Buchau 43, 51

ORTSNAMEN

Budapest 272 Büderich 140 Burgau 230 Burkheim 229 Byzanz 3 Cádiz 17 Calais 249 Calw 13 Cambrai 47 Cassel 153 Chemnitz 109, 112, 115, 118 Coelln 12 Crema 14 Dänemark 8, 68, 72, 92, 99 Danzig 35, 64, 69, 70f., 76, 81 Delft 274 Delitzsch 109 Deventer 77 Dinkelsbühl 235 Dinslaken 130, 140 Dithmarschen 97 Donauwörth 9, 50 Dordrecht 156 Dorpat 67f„ 272 Dortmund 44, 78, 80, 123, 126, 273 Drenthe 144 Dresden 11, 111, 114-116, 274, 275 Duisburg 121-123, 126, 128-130, 133, 140 Durlach 242 Düsseldorf 133, 242, 255, 258, 274 Eger 272 Ehingen 229f. Elbing 64, 71 Ellwangen 217 inde, item Emden 30-32, 34, 36, 71 Emmerich 121-134, 140 Endingen 229 England 23, 33, 38, 71, 72, 76, 81 Ensisheim 226f. Erfurt 10, 39 Erlangen 245 Erlau 272 Esslingen 10, 51, 59, 220 Estland 68 Ferrara 74 Flandern 34, 148, 152f„ 155

288 Florenz 2, 4f„ 14 Franken X, 50, 57f., 217, Frankenthal 13, 218, 245, 247, 249, 251, 254 Frankfurt XII, 12, 33, 46, 50f„ 54, 58, 76, 173197, 251f., 258, Frankreich 33, 72, 144 Freiberg 115 Freiburg 226f., 229, 232 Freudenstadt 13, 218 Friedberg 46 Friedrichsburg 244, 246, 249, 251 Friedrichstadt 14 Friesland 144, 155 Fürstenberg 217 Garding 14 Geldern 70, 123, 128, 144 Gelnhausen 46, 273 Gennep 123, 130, 132f„ 140 Gent 153 Genua 2, 3 Geyer 116 Glashütte 116 Glogau 275 Glückstadt 14 Goch 122, 123, 128, 132f., 140 Goslar 9, 10, 44, 84 Göteborg 15 Gotland 70, 84 Göttingen 45, 96, 99f. Greifswald 9, 96, 201 Grieth 130, 140 Griethausen 130, 140 Groningen 144, 156 Großenhain 115f. Grosseto 14 Guiñes 249 Günzburg 229f. Hagenau 47 Haida 281 Hailand 68 Halle 10 Hamburg X, 7-10, 18, 33, 44, 63, 65, 71f„ 84, 92-107, 274, Hamm 77f. Hanau 245, 256, 258 Hanau, Grafschaft 46 Hannover 12, 96, 99, 167 Hannover, Königreich 170 Harburg 10 Hayingen 218 Heidelberg 241f., 245, 247, 253f., 259, 261 Heilbronn 235 Helsingfors 14 Hennegau 152f., 155 Hessen 59 Hildesheim 96, 99 Holland 17, 23, 33, 38, 148, 152, 155 Holten 123, 130, 140

Horb 229f. Höxter 96 Huissen 121, 130, 140 Iburg 167 Ingolstadt 6 Innsbruck 226 Isny 235, 236 Isselburg 121, 130, 140 Joachimsthal 13, 274f. Jülich 133 Kalkar 121-129, 133, 137, 139f. Kalmar 15 Karlowitz 257 Karlshafen 281 Karlsruhe 218, 242 Kassel 245, 274 Kelheim 6 Kempten 217 Kenzingen 229 Kervenheim 121, 130, 140 Kiel 80 Kleinenberg 273 Kleve 121-140 Köln 10, 44, 48, 65, 69-74, 81, 84, 143 Königsberg 11, 125, 274 Konradsgrün 275 Konstanz 9, 35, 217 Kopenhagen 10, 15, 75, 81 Korbach 32, 34 Korsör 15 Kortrijk 153 Kranenburg 124, 130, 140 Kristianopel 14 Kristiansand 14 Kufstein 280 Kurland, Bistum 67 Kurland, Herzogtum 68 Landshut llf. Langensalza 112 Laufenburg 226, 229 Leiden 249, 274 Leipzig 10, 109-118, 275 Leisnig 98 Lemgo 30f., 49 Lille 153 Limburg 152 Lippe 49 Lissa/Leszno 275 Lissabon 16-18 Livland 65, 67f. Livorno 4f., 14 Lombardei 4 Lommatzsch 116 London 5, 18, 71 Lübeck 7, 44, 48f., 60, 63f., 67-70, 72f., 76f„ 79, 81, 84, 92-94, 96f., 99-102, 105-107

289 Lublin 13 Lucca 4 Ludwigsburg 218, 242, 275f. Ludwigstadt 276 Lüneburg 63, 69, 73, 79, 93, 99 Luxemburg 152-154 Lyon 250 Maastricht 152, 249 Magdeburg lOf., 39, 98, 256, 265 Mailand 4f., 14 Mainz 173, 253 Mannheim 218, 241-244, 247-249, 251-256, 258262, 265f. Marsberg 273 Mecheln 152f. Meißen 80, 116f. Mengen 226, 229 Merseburg 117 Metz XI, 50, 173 Middelburg 249 Milo 271 Minden 99 Mittweida 109 Mölln 73 Montils-lès-Tours 150 Mosbach 243 Moskau 67 Mühlberg 116 Mühlhausen XI, 44-46 München llf., 143, 274 Mundenheim 260 Munderkingen 226, 229, 232 Münster 31, 39, 65, 72, 74, 77f., 80, 159, 220 Münster, Hochstift 85 Nakskov 15 Namur 152-154 Narwa 8, 67-69, 78 Naumburg 10 Neu-Hanau 13 Neuenburg 226f., 229 Neuss 123, 133 Niederlande X, 17, 37f., 141,144-146, 150f., 154, 156 Niederrhein X Nijmegen 157 Ninove 153 Nordhausen 44 Nördlingen 243 Novgorod 8, 18 Novy-Bor 281 Nürnberg 2, 6f., 50, 58, 142, 173 Nyborg 15 Obernau 218, 230 Oberrhein X Odense 73 Oederan 116 Oesel 67, 68

Orsoy 130, 140 Ortrand 116 Oschatz 109, 115f. Osnabrück XII, 31, 72, 80, 99, 159-171 Östereich 225, 227, 232 Otterberg 253 Öttingen 217 Overijssel 70, 144, 156 Paderborn 81, 273 Paris 150, 249 Passarowitz 257 Passau 6 Pegau 116 Pernau 272 Pforzheim 13 Pfullendorf 43 Philippsburg 256 Pienza 13 Pinneberg 10 Pirna 11, 111, 115 Pisa 4f., 14 Poitou 249 Pommern 99 Porto Pisano 4 Posen 270 Pozvol 67 Prag 8, 11 Pskow 8 Radolfzell 226, 229 Ragusa 5 Rastatt 242 Ra witsch 13 Rees 121-134, 140 Regensburg 6, 10, 238 Reutlingen 10, 58f., 235 Reval 67-71, 77f. Rheda 273 Rheinfelden 229 Riedlingen 226, 229 Rostock 9, 31, 43, 69f., 201 Rottenburg 229f. Rotterdam 249 Rottweil 45, 235, 238 Ruhrort 121, 123, 140 Sachsen 109, 111, 115, 117 Sachsen-Lauenburg 49 Sachsenhausen 177 Säckingen 226, 229 San Donnino 14 San Lúcar de Barrameda 17 Saulgau 226, 229 Schaffhausen XI Schelklingen 229 Schermbeck 130, 140 Schlesien 269f. Schleswig 35 Schönau 253

290 Schonen 68 Schwaben X, 57, 239, Schwäbisch Hall 117 Schweden 8, 68, 70, 76, 79, 81 Schweinfurt 235 Schweiz 38, 236 Sedan 249 Seeland 148, 155 Sevilla 16-18 Siena 4, 14 Soest 45, 78, 80, 99 Sonsbeck 121, 124, 130, 140 Spanien 1, 37, 133f. Speyer 47, 51, 55, 242 St. Omaars/St. Omer 271 St. Quentin 249 Stade 71 Stettin 9, 68, 79 Steyr 6 Stockholm 15 Stolp 71 Stralsund 9, 31, 69f„ 98, 104, 106, 199-215 Straßburg XI, 33, 47, 50f„ 54 Stuttgart 274, 276 Tengen 218, 230 Terwaan/Thérouanne 271 Tirol 57 Tönning 14 Toul XI, 50 Tournai 152f. Triberg 229f. Triest 3 Tübingen 58, 276 Uedem 124, 130, 140 Ulm 13, 50f., 218, 235, 237

Urach 58 Utrecht 144, 153, 155, 250 Valenciennes 153 Venedig 3, 5, 12, 14, 17 Verdun XI, 46f., 5 0 Viborg 15 Vigevano 14 Villingen 229f. Vlissingen 249 Vorarlberg 57 Vorderösterreich 217, 233 Vreden 273 Waldsee 226, 229 Waldshut 226, 229 Warburg 45 Weißenhorn 230 Wesel 65, 77, 121-128, 130-132, 134f., 138, 140 Wetterau 58 Wien 8, 11, 235, 274 Wilna 67 Wismar 9, 70 Wittenberg 74, 98f. Wolfenbüttel 12, 72 Württemberg 13, 57, 217, 225, 228, 233 Xanten 121-124, 126, 129, 131f., 140 Ypern 271 Zamosc 13 Zevenaar 121, 140 Zschopau 116 Zutphen 77, 123, 126, 144 Zwolle 156

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