Recht ohne Staat: Die Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen am Beispiel privater bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen [1 ed.] 9783428553808, 9783428153800

Seit 2005 ist mit der Seepiraterie, insbesondere am Horn von Afrika, ein lange verschwunden geglaubtes Phänomen wieder i

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Recht ohne Staat: Die Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen am Beispiel privater bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen [1 ed.]
 9783428553808, 9783428153800

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Schriften zum Völkerrecht Band 228

Recht ohne Staat Die Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen am Beispiel privater bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Von

Martin R. Fischer

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN R. FISCHER

Recht ohne Staat

Schriften zum Völkerrecht Band 228

Recht ohne Staat Die Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen am Beispiel privater bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Von

Martin R. Fischer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-15380-0 (Print) ISBN 978-3-428-55380-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85380-9 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Immer wenn ich merke, dass ich grämliche Falten um den Mund bekomme, immer wenn müder, nieselnder November meine Seele erfüllt, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich unwillkürlich vor Sargmagazinen stehenbleibe und hinter jedem Leichenzug hertrotte, der mir begegnet; ganz besonders aber, wenn Gift und Galle in mir so überhandnehmen, dass ich all meine moralischen Grundsätze aufbieten muss, um nicht auf die Straße hinauszulaufen und den Leuten mit vollem Bedacht die Hüte herunterzuschlagen – dann halte ich’s für die allerhöchste Zeit, zur See zu gehen, und zwar sofort. Hermann Melville, Moby Dick

Vorwort Diese Arbeit lag dem Promotionsausschuss der Bucerius Law School im Frühjahr 2017 als Dissertation vor. Sie entstand zwischen 2013 und 2016 während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Claussen-Simon-Stiftungslehrstuhl für Internationales Recht von Prof. Dr. Doris König. Erste Ideen reichen zurück bis an die frühen Zweifel, welche eine allein dem staatlich-positiven Recht verschriebene universitäre Ausbildung zu nähren wusste. Die Abfassung der Dissertation war eingebunden in das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt KORSE, das Promotionsverfahren schloss mit der mündlichen Prüfung am 20. Oktober 2017. Besonderer Dank gebührt zuvörderst Prof. Dr. Doris König für ihre vorbildhafte Betreuung der Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens. Prof. Dr. Michael Köhler, dessen zum kritischen Nachdenken anregende Seminare zu besuchen ich bereits als Student der Universität Hamburg das Glück hatte, gebührt mein Dank für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Für ihre offenen Ohren, ihre zahlreichen wertvollen Ratschläge und die große Geduld, mit der sie sich meiner Zweifel annahmen, danke ich meinen Lehrstuhlkollegen Dr. Tim Salomon, Julian Udich und Sebastian tho Pesch. Leonard Biebrach und Marinus Stehmeier danke ich für ihre klugen und wegweisenden Anregungen insbesondere zu Beginn meiner Promotionszeit, Dr. Simona Kreis für ihre stete Hilfe beim Ordnen meiner Gedanken. Dr. Philipp Heyde danke ich für die kritische Lektüre der Arbeit und dessen gewinnbringende Anmerkungen aus der außerjuridischen Wirklichkeit, Hans-Rainer Frank und Erika Frank für die großzügige Unterstützung bei den Drucklegungskosten. Dr. Jens H. Fischer-Chandail danke ich für seine dialektischen Ermunterungen. Hamburg, im März 2018

Martin R. Fischer

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strukturwandel im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ziel, Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse – Was ist transnationales Recht und wie funktionieren transnationale Rechtsprozesse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Pluralisierung: Rechtspluralismus als notwendiges Vorverständnis . . . . . . . 1. Verschiedene Erscheinungsformen des Rechtspluralismus . . . . . . . . . . . . 2. Die Entdeckung der globalen Bukowina: Globaler Rechtspluralismus als rechtstheoretische Aufarbeitung der Globalisierung und Ausgangsszenario des transnationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Globalisierungsbedingte Machtverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsquellenpluralisierung und Entkoppelung von Recht und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsquellenpluralisierung als Problem der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fragmentierung: Völkerrechtsordnung und Weltgesellschaft als entterritorialisierte Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragmentierung als Aufspaltung der Völkerrechtsordnung . . . . . . . . . . . . a) Unabhängige Teilrechtsordnungen anstelle universellen Völkerrechts aa) Die Arbeit der ILC-Studiengruppe zur Fragmentierung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik an der Arbeit der ILC-Studiengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Diversifizierte internationale Gerichtslandschaft . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fragmentierung als Aufspaltung der Weltgesellschaft in funktionale Netzwerke anstelle territorialer Einheiten: Sozialwissenschaftliche Ursachenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systemtheoretische Rückbindung: Erwartungstypologischer Wandel und funktionale Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Polyzentrische Weltgesellschaft und Entterritorialisierung des Rechts als Folgen funktionaler Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regimebildung durch bereichsspezifische Eigenrationalitätsmaximierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strukturwandel im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis cc) Funktionswandel der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Transnationalisierung: Recht als transnationaler Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiedliche Verwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Post-etatistische Ansätze: Transnationales Recht als eigene („dritte“) Rechtskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik am post-etatistischen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Funktionale Ansätze: Transnationalisierung als Prozess und transnationales Recht als Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kritik am funktionalen Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kritische Würdigung beider Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Recht in der Transnationalisierung: Rechtsbegriff, Typologie und Systematik im transnationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hard Law – Die kanonischen Rechtsquellen des staatlichen und des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Soft Law – Steuerungsmechanismen außerhalb der klassischen Rechtsquellenlehre des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Soft Law in der klassischen Völkerrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Soft Law im transnationalen Recht – Jessups „Other Rules“ als neue Muster von Normativität und genuin transnationale Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Standards, Normungen und Expertenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begriff, Gegenstand und Rechtscharakter . . . . . . . . . . . . . (b) Exkurs: Legitimationsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Selbstregulierung in Gestalt von Corporate Codes of Conduct und ähnlichen Compliance-Instrumenten: Begriff, Gegenstand und Rechtscharakter . . . . . . . . . . . . . . . (b) Überschneidungen mit externen Standards . . . . . . . . . . . . (c) Standardverträge, Standardklauseln oder AGB als Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsakte internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kosmopolitisches oder Projekt-Recht nicht-staatlicher Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Autonome Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenbilanz: Begriff und Bedeutung des Soft Law im transnationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis: Transnationale Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . 4. Akteure in der Transnationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Die Entstehung hybrider Akteursstrukturen: Öffentlich-private Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Spezifika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) NGOs als fester Bestandteil hybrider Akteursstrukturen . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Exkurs: Andere Theorien und insbesondere Governanceforschung . . . . . 6. Zwischenergebnis: Transnationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenbilanz: Transnationalisierung des Rechts, gesellschaftliche Fragmentierung und globaler Rechtspluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Analyseschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgangslage: Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten . . . . . . . 1. Begriffserläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eskalation der Piraterie vor Somalia, Westafrika und im Indischen Ozean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigensicherungsmaßnahmen der maritimen Wirtschaft: Private Sicherheitsdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erste Erfolge privater Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten bb) Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Exkurs: Unterschiedliche Berührungspunkte zum staatlichen Gewaltmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Akteursstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hoheitliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Internationale Regierungsorganisationen: Die IMO . . . . . . . . . . . . . . . 2. Private Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) International Organization for Standardization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) International Code of Conduct for Private Security Service Providers Association . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Security Association for the Maritime Industry . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Baltic and International Maritime Council . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) United Kingdom Accreditation Service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Exkurs: Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia . . . . . . . . 3. Sonstige Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Hybridität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis IV. Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingrenzung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hard Law: Völkerrechtlicher und staatlicher Regelungsrahmen . . . . . . . . a) Völkerrechtlicher Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Seevölkerrechtliche Rahmen: Flaggenstaats- und Küstenstaatsjurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Flaggenstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Friedliche Durchfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Reichweite der Küstenstaatsjurisdiktion nach dem Seerechtsübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einsatzbezogene Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Defensive Grundausrichtung der Sicherheitsdienste . . . . . . . . (2) Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis zum völkerrechtlichen Regelungsrahmen . . . . b) Staatlicher Regelungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Flaggenstaatsjurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Untersuchungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Panama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Liberia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Marshall-Inseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Norwegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Zwischenergebnis zur Flaggenstaatsjurisdiktion . . . . . . . . . . . bb) Küsten- und Hafenstaatsjurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis zum staatlichen Regelungsrahmen . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis zum Hard Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Soft Law: Genuin transnationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) ICoC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anwendbarkeit im maritimen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Interne Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Externe Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) BIMCO GUARDCON . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) BMP4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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dd) Zwischenergebnis zur Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Standards, Normungen und Expertenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) ISO/PAS 28007 und ISO 28007 – 1:2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Akkreditierung und Zertifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sonstige Mechanismen: Empfehlungen, Verweise und Marktrationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) ANSI/ASIS PSC.1-2012 und PSC.4-2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) 100 Series RUF TM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis zu den Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Empfehlungen der IMO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis zum Soft Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Unionsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Transnationale Regelungsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dependenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zirkularität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Transnationalisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsmethodischer Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

211 211 217 219

193 195 195 196 197 198 200 201 202 203 204 205 205 207 208

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

Abkürzungsverzeichnis a. E. AGB AMISOM BIMCO BMP BSH bzw. CC(o)C CEN CGPCS CMF CMI CSR CTF-151 d.h. DIN ECOSOC EMRK ETSI EU-NAVFOR e. V. GAIRS grundl. HRA IASB IATA ICANN ICC ICoC ICoCA i. d. R. IEC IGO IKRK ILC IMB

am Ende Allgemeine Geschäftsbedingungen African Union Mission in Somalia The Baltic International Maritime Council Best Management Practices Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie beziehungsweise (Corporate) Code of Conduct European Committee for Standardization Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia Combined Maritime Forces Comité Maritime International Corporate Social Responsibility Combined Task Force 151 das heißt Deutsches Institut für Normung Economic and Social Council Europäische Menschenrechtskonvention Europäisches Institut für Telekommunikationsnormen European Union Naval Forces eingetragener Verein General Accepted International Rules And Standards grundlegend High Risk Area International Accounting Standards Board International Air Transport Association Internet Corporation for Assigned Names and Numbers International Chamber of Commerce International Code of Conduct International Code of Conduct Association in der Regel International Electrotechnical Commission International Governmental Organization Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Commission International Maritime Bureau

Abkürzungsverzeichnis insb. insg. IPR IRTC ISO ISPS IStGH i. S. v. k.u.k. LBG MSCHOA m.w. N NGO OECD PCASP PSA RMI RoE RUF SAMI sog. SRÜ TWIC UKAS UKMTO UN UNCLOS UNDSS UNICRI UNODC USCG u. U. VPD WFP WVRK z. B. z. T.

insbesondere insgesamt Internationales Privatrecht Internationally Recommended Transit Corridor International Standardization Organization International Ship and Port Facility Security Code Internationaler Strafgerichtshof im Sinne von kaiserlich und königlich Private Company Limited by Guarantee Maritime Security Centre – Horn of Africa mit weiteren Nachweisen Non-Governmental Organization Organisation for Economic Co-operation and Development Privately Contracted Armed Security Personnel Port Security Advisories Republic of the Marshall Islands Rules of Engagement Rules for the Use of Force The Security Association for the Maritime Industry sogenannt Seerechtsübereinkommen Transportation Worker Identification Credential United Kingdom Accreditation Service United Kingdom Maritime Trade Operations United Nations United Nations Convention for the Law of the Seas United Nations Department of Safety and Security United Nations Interregional Crime and Justice Research Center United Nations Office on Drugs and Crime United States Coast Guard unter Umständen Vessel Protection Detachment World Food Programme Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zum Beispiel zum Teil

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A. Einleitung I. Strukturwandel im Völkerrecht „Rechtssetzung findet auch außerhalb der klassischen völkerrechtlichen Quellen statt, in Verträgen zwischen global players, in privater Marktregulierung durch multinationale Unternehmen, internen Regelsetzungen internationaler Organisationen, interorganisationalen Verhandlungssystemen, weltweiten Standardisierungsprozessen, die sich teils in Märkten teils in Verhandlungsprozessen von Organisationen abspielen.“ 1

Die Vorstellung, dass das Recht noch an die Organisationsform des Staates gebunden ist, scheint auf dem Rückzug befindlich. Revolutionär anmutende Analysen beschwören einen grundlegenden Wandel des Völkerrechts herauf, an dessen Anfang ein stetiges Schwinden staatlicher Souveränität und der Bedeutungsverlust staatlich-positiven Rechts stehen. Das gleichzeitige Erstarken zivilgesellschaftlicher Einflussnahme und die Entthronung der Staaten als einzige originäre Rechtssubjekte auf der Bühne des internationalen Rechts sind weitere Kennzeichen dieses Wandels; Rechtsentstehung geschehe infolgedessen mittlerweile auch außerhalb der eigentlichen Rechtssysteme. Der Völkerrechtsdiskurs ist in der jüngeren Zeit um eine kaum mehr zu überblickende Anzahl diesbezüglicher Publikationen bereichert worden, wobei vielerorts noch Einigkeit zumindest darüber herrscht, dass im Zuge solcher Dynamiken völlig neue normative Ordnungsmuster entstehen oder bereits entstanden sind. Deren Erscheinungsbilder sind so zahl- wie variantenreich: Verbreitet ist die Rede von einer fortschreitenden Entstaatlichung2, womöglich gar in einer bereits postnationalen3 bzw. post-etatistischen4 Konstellation, oder von einer Ablösung des Rechts vom Nationalstaat.5 In unzähligen Veröffent1

Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (14). Vgl. etwa Zimmermann (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts Teilband I und II, 2008; Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Huber/Möstl (Hrsg.), FS Badura, 2004, S. 145 (145 ff.); Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (188 ff.); Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 22; Mehde, Phänomene der Entstaatlichung, in: Klesczewski/Müller/Neuhaus (Hrsg.), Entstaatlichung und gesellschaftliche Selbstregulierung, 2008, S. 21 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 3 Habermas, Die postnationale Konstellation, 2001, S. 65 (84 ff.). 4 Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 368. 5 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (511 ff.); Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (36). 2

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A. Einleitung

lichungen insbesondere zum internationalen Handels- und Cyberrecht6 wird auf das mittlerweile erhebliche und womöglich sogar bereits dominierende rechtsschöpferische Potential der globalen Zivilgesellschaft verwiesen.7 Die Theoretiker einer globalen Fragmentierung verkünden, die Rechtsschöpfungskräfte einzelner „Privatregimes“ hätten längst begonnen, eigene Rechtsquellen und -systeme jenseits staatlicher Gesetzgebung oder internationaler Staatenverträge zu etablieren.8 Die normativen Kräfte der gesellschaftlichen Selbstorganisation hätten die bisherige Staatlichkeit nach und nach „ausfransen“ 9 lassen und das Recht aus den klassischen, hergebrachten Institutionen in die transnationale private Selbstregulierung getrieben.10 Auf diese Weise soll eine neue Rechtswirklichkeit im globalen Maßstab entstehen; der Staat, heißt es, „erodiert“ unter den Bedingungen der Globalisierung.11 Rechtswissenschaft, die sich allein auf staatliche Regelsetzung konzentriert, müsse unter diesen Bedingungen als unzulänglich angesehen werden.12 Ein Gesetzgeber, ein Staat oder eine Vertragsgemeinschaft – die Zeiten, in denen das (Völker-)Recht linear auf eine der kanonischen Rechtsquellen13 zurückzuführen war, dürften bei Einnahme des hier skizzierten Standpunktes schon in naher Zukunft endgültig vorbei sein.14 An die Stelle staatlicher und zwischenstaatlicher Gesetzgebung treten demnach neue Formen der Ko-Regulierung durch staatliche, zwischenstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure zugleich. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei einer nur noch auf gesellschaftliche Teil6 In den entsprechenden Untersuchungen haben sich diesbezüglich die Termini von der lex mercatoria bzw. der lex digitalis etabliert. Einen guten Überblick und zahlreiche Quellennachweise liefert Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 65 ff. (lex mercatoria); S. 104 ff. (lex digitalis). 7 Hanschmann, Theorie transnationaler Rechtsprozesse, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (380), m.w. N. 8 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 42. 9 Brock, Innerstaatliche Kriege und internationale Gewaltanwendung, in: Albert/ Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 157 (167). 10 Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (187), Nachweis weggelassen. 11 Graser, Sozialrecht ohne Staat? Politik und Recht unter Bedingungen der Globalisierung und Dezentralisierung, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 163 (165). 12 Trute/Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (240). 13 Maßgeblich ist für die klassische Völkerrechtslehre insofern Art. 38 I des Statutes des Internationalen Gerichtshofes. 14 Unter dem provokanten Motto „l’etat c’est quoi?“ fragte sich auch die 54. Assistententagung Öffentliches Recht, ob unter den Bedingungen von fortschreitender europäischer Integration und Globalisierung schon heute überhaupt noch vom Fortbestehen des Nationalstaates und dessen normativer Gestaltungshoheit gesprochen werden kann oder ob nicht vielmehr neue normative Ordnungsmuster jenseits des Staates längst die Realität bildeten.

I. Strukturwandel im Völkerrecht

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bereiche bezogenen Art der Selbstregulierung durch einzelne sich selbst ermächtigende Privatakteure zuteil.15 Und so muss sich das Völkerrecht angesichts dessen einmal mehr die Frage gefallen lassen: Quo vadis – neues Chaos oder neue Ordnung? Im Zuge dieser Entwicklungen sind mittlerweile eigene rechtstheoretische Erklärungsmodelle entstanden, mithilfe derer die Beobachtungen systematisiert und verstanden werden sollen. Unter diesen befindet sich auch die Theorie transnationaler Rechtsprozesse, der sich diese Arbeit widmet. Deren eigentliche Geburtsstunde ist bereits ein gutes Stück in die Vergangenheit zu datieren: 1956 veröffentlichte der US-amerikanische Völkerrechtler Philip Jessup die – gemessen an der bis heute nicht abreißenden Anzahl von Veröffentlichungen, die seine Konzeption des transnationalen Rechts rezipieren und fortentwickeln – äußerst erfolgreiche und einflussreiche Schrift Transnational Law.16 In völkerrechtswissenschaftlicher Pionierarbeit zeigt Jessup darin auf, inwieweit grenzüberschreitende Handlungen und Sachverhalte adäquat zu erfassen sind; treffend analysiert er, warum eine dichotome Trennung in entweder völkerrechtliche oder innerstaatliche Rechtskategorien zur angemessenen Beschreibung grenzüberschreitender Lebenssachverhalte so unterkomplex wie unzeitgemäß ist – was heute freilich mehr denn je gilt.17 Jessups Konzept vom transnationalen Recht besitzt mittlerweile einen festen Platz in der Rechtstheorie, wobei dessen Rezeption sowohl von privat- als auch von öffentlich-rechtlicher Seite her erfolgt. Indem durch die Theorie vom transnationalen Recht der staatsfixierte Blickwinkel zugunsten einer Perspektive aufgegeben wird, die normative Phänomene auch außerhalb der hoheitlichen Rechtsetzung in den Blick nimmt,18 bietet das transnationale Recht ein vielversprechendes Erklärungsmuster für den soeben skizzierten Zustand der Entstaatlichung. Folglich sind es oftmals auch Anhänger von Jessups Konzept, die eine Zunahme privater Regulierung auf Kosten staatlicher Regulierung konstatieren und dabei im Völkerrecht eine Erweiterung der rechtsetzenden Akteure um die nichtstaatlichen Akteure betreiben.19 15 Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (541). 16 Jessup, Transnational Law, 1956. 17 Vgl. auch Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 21 ff. Dass Jessup mit seinen Analysen und der Konzeption vom transnationalen Recht nicht nur die Grundlagen für die bis in die heutige Zeit diskutierte Theorie transnationaler Rechtsprozesse legte, sondern seiner Zeit noch dazu weit voraus war, ist Rost zufolge schon an dem Umstand festzumachen, dass zur Zeit der Veröffentlichung, also in den 1950er Jahren, „nicht im Ansatz“ von einer wissenschaftlichen Diskussion hinsichtlich der in den Folgejahrzehnten zum politik-, sozial-, wirtschafts- und auch rechtswissenschaftlichen Modebegriff avancierten Globalisierung gesprochen werden konnte. 18 Jessup, Transnational Law, 1956, S. 2 ff., dazu im Folgenden unter III. ausführlich. 19 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 75.

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A. Einleitung

II. Theorie und Praxis Die Aussagekraft theoretischer Argumentation lässt sich am besten durch empirische Betrachtungen überprüfen.20 Ob und inwieweit die eingangs dargelegten Annahmen zutreffen, soll in dieser Arbeit anhand der Theorie transnationaler Rechtsprozesse und einer hiervon geleiteten fallstudienhaften Untersuchung eines Referenzgebietes überprüft werden. Aus dem Blickwinkel des transnationalen Rechts sollen die im Zuge der Pirateriebekämpfung auf Handelsschiffen eingesetzten privaten bewaffneten Sicherheitsdienste untersucht werden. Buchstäblich ein weites Feld, auf dem die Auswirkungen der Globalisierung seit Langem zu beobachten sind, ist die See. Etwa 2005 geriet dort ein über Jahrhunderte kaum beachtetes Phänomen in den Fokus der Weltöffentlichkeit: die in bis dato völlig ungeahnter Intensität vor allem am Horn von Afrika aufflammende „moderne“ Seepiraterie. Mit zahlreichen und zum Teil spektakulären Schiffsentführungen, Geiselnahmen, Lösegelderpressungen oder Diebstählen machten die Piraten auf sich aufmerksam und fügten dem maritimen Handel empfindlichen Schaden zu. Wenngleich sich regionale Brennpunkte mittlerweile verschieben21 – nach wie vor stellt die Bedrohung durch Piraterie oder bewaffnete Raubüberfälle auf See eine ernstzunehmende Gefahr für den maritimen Handel dar. Im Zuge der vor Somalia aufflammenden Piraterie ließen breit angelegte Gegenmaßnahmen nicht lange auf sich warten und mit der maßgeblichen Resolution 1816 (2008)22 nahm sich schließlich auch der UN-Sicherheitsrat des Problems an: Unter Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta ebnete er den Staaten und Regionalorganisationen den Weg zur militärischen Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika. Damit standen der internationalen Staatengemeinschaft jeweils in Kooperation und mit Zustimmung der somalischen Übergangsregierung alle zur Bekämpfung der Piraterie erforderlichen Maßnahmen („all necessary means“) sowohl auf hoher See als auch in somalischen Hoheitsgewässern offen.23 20 Tatsächlich besteht mit Blick auf Publikationen zum Topos „transnationales Recht“ ein bedauerliches Ungleichgewicht: So stehen zahlreichen abstrakten Abhandlungen wenig konkrete Untersuchungen gegenüber, in denen am konkreten Fall aufgezeigt wird, ob die aufsehenerregenden Thesen der Transnationalisierung auch eine Entsprechung in der Wirklichkeit finden. 21 In jüngerer Zeit haben sich vermehrt auch im Golf von Guinea vor Westafrika Vorfälle ereignet, die – wenngleich die dortigen Strukturen bei Weitem nicht das Ausmaß der somalischen Piratennetzwerke erreicht haben – Anlass zur Sorge bieten. Vgl. den Jahresbericht der International Maritime Organisation zur Entwicklung der Piraterie in 2014. IMO MSC.4/Circ.219/Rev.1 vom 28.04.2015. 22 S/Res/1816 (2008). 23 In der Resolution S/Res/1816 (2008) ging es bei diesen Gegenmaßnahmen streng genommen lediglich um den Schutz der Schiffe des im Somalia engagierten World Food Programme. Anders als dies in der öffentlichen Wahrnehmung und auch der praktischen Umsetzung der Fall gewesen ist, lag auf dem Schutz des internationalen Seehandels zumindest nicht der Schwerpunkt der Resolution des Sicherheitsrates.

II. Theorie und Praxis

17

Trotz erheblicher multilateraler Anstrengungen vonseiten der Staatengemeinschaft blieb das Sicherheitsproblem am Horn von Afrika zunächst virulent: Zwar stellten sich durch die groß angelegten Marinemissionen auch gewisse Erfolge ein – die Zahl der erfolgreichen Angriffe verringerte sich jedoch kaum auf ein hinnehmbares Maß.24 Mangels Alternativen begannen die Reeder alsbald flächendeckende Selbstschutzmaßnahmen zu ergreifen. Sie begannen bewaffnete Teams von privaten Sicherheitsdiensten während der Passagen durch die als risikoreich eingestuften Gebiete auf ihren Schiffen einzusetzen. Kaum vorhandener praktischer Erfahrung und einer vielerorts unklaren Rechtslage geschuldet, geschah dies allerdings erst nach anfänglichem Zögern. Insbesondere die International Maritime Organisation (IMO) sowie die Reeder- und Kapitänsverbände standen dem Einsatz der Sicherheitsdienste zunächst äußerst kritisch gegenüber (oftmals eben unter Verweis auf bestehende Rechtsunklarheiten bzw. -risiken). Diese ablehnende Haltung verwandelte sich jedoch im Laufe der Zeit in immer breitere Zustimmung. Die moderne Seepiraterie insgesamt, der Einsatz der bewaffneten Sicherheitsdienste und deren rechtliche Aufarbeitung haben in der Folge auf zahlreichen Ebenen innerhalb der juristischen Fachöffentlichkeit für erheblichen Diskussionsstoff gesorgt. Für die vorliegende Arbeit sind – vor dem Hintergrund der eingangs angesprochenen Debatten – die Vielzahl und die Verschiedenheit der betroffenen Rechtskreise und der maßgeblich involvierten Akteure von besonderem Interesse: Im Zuge der Pirateriebekämpfung treffen staatliche Interessen (etwa das Interesse der Handelsnationen an außenwirtschaftlicher Prosperität und das Interesse der Küstenstaaten an einem befriedeten Aquitorium), überstaatliche Interessen (beispielsweise das in Somalia engagierte Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, WFP) und auch zahlreiche private Interessen (Reeder, die privaten Sicherheitsdienstleister, Versicherungs- und Zertifizierungsunternehmen und – last but not least – auch die schon qua definitionem privaten Piraten selbst) aufeinander. Damit ist diese Arbeit auch im erweiterten Kontext der sicherheitsrechtlichen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts zu verorten. Zwar ist die Seepiraterie (insbesondere vor Ostafrika und im Indischen Ozean) zumindest außerhalb der Fachöffentlichkeit mittlerweile kein hochaktuelles Thema mehr – die Fallzahlen sind, nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes der privaten Sicherheitsdienste, in den letzten Jahren rapide gesunken. Gleichwohl bietet die Untersuchung der im Kontext der maritimen Sicherheitsdienste entstandenen rechtlichen Strukturen eine gute Möglichkeit der Frage nach der fortschreitenden Entstaatlichung und einer möglichen Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen nachzuspüren. 24 König/Salomon, in: Ehrhard/Petretto/Schneider/Blecker/Engerer/König (Hrsg.), Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderungen für die Seehandelssicherheit Deutschlands, 2013, S. 165 (189).

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A. Einleitung

III. Ziel, Methode und Gang der Untersuchung Mit dieser Arbeit soll der Spagat zwischen Aussagenrekonstruktion und Ausformulierung der Theorie transnationaler Rechtsprozesse auf der einen Seite und deren praktischer Anwendung auf ein spezifisches Themenfeld auf der anderen Seite unternommen werden; sie ist also als eine theoriegeleitete qualitative Einzelfallstudie zu begreifen. Gleichwohl sollen die Entfaltung der Theorie und deren Anwendung auf den Einzelfall gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Nach wie vor ist der Begriff des transnationalen Rechts in höchstem Maße klärungsbedürftig. Nicht zuletzt die Tatsache, dass dessen Theorie bislang vorwiegend in den Bereichen des internationalen Handels- und Finanzmarktrechts sowie in jüngerer Zeit vereinzelt im Bereich des Cyberrechts entwickelt wurde,25 macht bei der Anwendung der Theorie auf ein neues Sachgebiet ohnehin eine umfangreiche Rekonstruktion ihres abstrakten Aussagegehalts erforderlich. Ein erstes Anliegen der Untersuchungen ist es also, den verallgemeinerungsfähigen Kern transnationaler Rechtstheorie herauszuarbeiten. Sodann lautet die Frage, ob sich die Theorie transnationaler Rechtsprozesse tatsächlich auf ganz andere Bereiche als die bislang untersuchten übertragen lässt. Kann der recht allgemeine Befund der Entstaatlichung auch in anderen als den bisher untersuchten Sachzusammenhängen nachgewiesen werden? Wenngleich zwar mittlerweile die Existenz eines transnationalen Sicherheitsrechts26 behauptet wird, stehen umfangreiche Einzelfalluntersuchungen in diesem Bereich, soweit ersichtlich, bislang aus. Die abstrakt formulierten Thesen einer transnationalen Rechtstheorie müssten allerdings nicht nur generalisierbar, sondern letztlich in allen Bereichen nachweisbar sein. Da das Konzept des transnationalen Rechts tatsächlich sogar ausdrücklich den Anspruch erhebt, „als Folie für andere Bereiche“ 27 dienen zu können, soll mit dieser Arbeit die Probe aufs 25 Das Handelsrecht ist der locus classicus des transnationalen Rechts. Losgelöst von den tragenden staatlichen Ordnungen, soll sich das System des internationalen Handels mittlerweile als ein eigenes, transnationales System – die lex mercatoria – etabliert haben. Mit zahlreichen Nachweisen Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 25 ff. Auf den Cyberraum wiederum wurde als Fallbeispiel zurückgegriffen, da dessen Regulierung auf einer rein nationalen Ebene schon faktisch nicht möglich ist und völkerrechtliche Regelungen weder mit der technischen Entwicklung Schritt halten, noch in irgendeiner Form auf die Grundlage tragfähiger Konsensbildung gestellt werden konnten. Die infolgedessen entstehende normative Lücke wurde und wird mithin – unbeschadet fortbestehender Bemühungen sowohl auf der nationalen wie auch der Völkerrechtsebene – im Zuge transnationaler Regulierung gefüllt. Beispiel nach Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, 1 (18). 26 So Günther, Weltbürger zwischen Freiheit und Sicherheit, in: Zuleeg (Hrsg.), Europa als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2007, S. 47 (47 ff.); ders., Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (542). 27 Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 41, Nachweis weggelassen.

III. Ziel, Methode und Gang der Untersuchung

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Exempel für den Bereich der maritimen Sicherheitsdienste unternommen werden. Wenn sich bei der Bekämpfung unerwünschter Folgen der Globalisierung ein transnationales Sicherheitsrecht herausbildet, muss dies auch für die Sicherung der globalen Lieferkette durch private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen gelten und folglich auch dort zu beobachten sein. Mit den maritimen Sicherheitsdienstleistern als inhaltlichem Referenzpunkt sollen die Thesen der Transnationalisten überprüft und eine Beurteilung von deren Aussagengehalt für den Einzelfall ermöglicht werden. Die Untersuchungen werden dabei von gleich mehreren Fragen geleitet: Bevor geklärt werden kann, welches Erklärungspotential die Theorie transnationaler Rechtsprozesse eigentlich für den konkreten Einzelfall besitzt, ist zu untersuchen, worum genau es sich bei transnationalem Recht handelt. Wie genau sind die Selbstorganisationskräfte der globalen Zivilgesellschaft beschaffen und wie groß sind diese tatsächlich? Ist es insofern angemessen, von einer fortschreitenden Entstaatlichung des Rechts zu sprechen? Ist damit das Konzept der souveränen Nationalstaaten – auf dem auch das heutige Völkerrecht noch maßgeblich fußt – tatsächlich schon ein Stück weit überholt? Zur Beantwortung dieser Fragen will die vorliegende Arbeit die These von der Transnationalisierung des Rechts anhand eines bis dato noch nicht aus dieser Perspektive untersuchten Sachgebietes, den maritimen Sicherheitsdiensten, überprüfen; hierbei folgt der Aufbau der Untersuchungen einer Zweiteilung: Im ersten Schritt wird die Theorie transnationaler Rechtsprozesse zunächst ihrem Aussagengehalt nach abstrakt und umfassend rekonstruiert (B.). Deren bislang kaum systematisch aufgearbeitete Bindung an die Diskurse sowohl der Pluralisierung als auch der Fragmentierung des Rechts erfährt dabei eine umfassende Würdigung. Die im ersten Teil (B.) der Arbeit gewonnenen Ergebnisse werden den Aufbau und die Struktur der anschließenden fallbezogenen Untersuchung (C.) vorgeben. Dabei sollen die Annahmen, die sich aus der Theorie ergeben, Schritt für Schritt anhand des Beispiels der maritimen Sicherheitsdienste überprüft werden. Dem gewählten Aufbau geschuldet, erfolgen die Untersuchungen im ersten Teil zunächst abstrakt und losgelöst von dem konkreten Anwendungsfall – erst die vollständige Rekonstruktion des transnationalen Rechts macht dessen Anwendung auf den Einzelfall möglich. Losgelöst von einem auf einzelne Rechtsgebiete beschränkten Blickwinkel, verfolgt diese Arbeit damit einen (zumindest im angloamerikanischen Raum durchaus nicht ungewöhnlichen28) „issue-spezifischen“ Ansatz: Ein spezifisches Sachgebiet wird umfassend untersucht, wobei sämtliche hierfür relevanten Steue-

28 Hinweis von Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 50; ibid. S. 68.

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A. Einleitung

rungsfaktoren, d.h. öffentlich-rechtliche, privatrechtliche, völkerrechtliche oder – soweit nachweisbar – eben auch genuin transnational-rechtliche, in den Blick genommen werden. Nicht zuletzt die Tatsache, dass sich das Postulat vom Rückzug des Staates im zeitgenössischen (völkerrechts-)theoretischen Diskurs so großer Beliebtheit erfreut, macht eine kritische Würdigung der Ergebnisse erforderlich. Könnte es sein, dass sich die Thesen von der schrittweisen Auflösung der Staaten, der Fragmentierung des Rechts und der Auswanderung des Rechts ins Private am Ende als bloße Zuspitzungen oder Provokation erweisen?

B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse – Was ist transnationales Recht und wie funktionieren transnationale Rechtsprozesse? Die Formulierung einer Theorie transnationaler Rechtsprozesse macht es erforderlich, sie zunächst auch intradisziplinär im rechtstheoretischen Kontext zu verorten und die empirischen Beobachtungen, auf die sie sich stützt, zu rekonstruieren. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lässt sich transnationales Recht in der hier vertretenen Konzeption einem Rechtspluralismus neueren Zuschnitts zuordnen.29 Rechtspluralistische Ansätze leisten die konzeptuelle Vorarbeit, Recht nicht streng linear und staatsfixiert zu denken, und rechtspluralistische Ansätze entwickeln Jessups Ideen im Wesentlichen fort und wenden sie an.30 (Kapitel I.). Ein zweiter Anknüpfungspunkt transnationalen Rechts sind die als Fragmentierung des Völkerrechts bezeichneten Entwicklungen, welche ihrerseits in einem gewissen gedanklichen Näheverhältnis zum rechtspluralistischen Diskurs stehen: Die vorrangig in der Rechtstheorie angesiedelten Untersuchungen zum globalen Rechtspluralismus finden in der Debatte um die globale Fragmentierung eine – immer wieder auch sozialwissenschaftlich abgestützte – Entsprechung. (Kapitel II.). Im Zuge dessen ist es ein erstes Anliegen dieser Arbeit, zunächst die Verankerung des transnationalen Rechts in beiden Diskursen – Rechtspluralismus und Rechtsfragmentierung – nachzuweisen, was in der Literatur bislang kaum auf systematische Weise erfolgt ist. Die teilweise erheblichen begrifflichen Unklarheiten innerhalb der Literatur zum transnationalen Recht erfordern ohnehin einige terminologische Klarstellungen. Schon der Begriff vom transnationalen Recht selbst ist umstritten.31 Immer wieder werden beispielsweise unterschied29 Vergleiche zu dieser allgemein anerkannten Einordnung etwa Buckel/Christensen/ Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 373 ff.; Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (539 ff.); Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (559 ff.); Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (1 ff.). 30 Die Einnahme einer rechtspluralistischen Perspektive ist von so zentraler Bedeutung für die Beschreibung des transnationalen Rechts, dass vereinheitlichend zum Teil auch von einem transnationalen Rechtspluralismus gesprochen wird. Vgl. etwa Buckel/ Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 373 ff. 31 Die Chiffre „transnational“ erfreute sich im rechtswissenschaftlichen Diskurs beizeiten geradezu inflationärer Verwendung. Zu diesem Problem heißt es etwa bei Ipsen,

22

B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

liche Phänomene, deren einzige Gemeinsamkeit etwa darin begründet liegen mag, dass sie nicht-nationalen Zuschnitts sind, als transnational bezeichnet. Und auch ganz ähnlich gelagerte Erscheinungen werden vereinzelt mit unterschiedlichen Begrifflichkeiten bedacht, sodass einzelne Begriffe letztlich immer wieder Gefahr laufen, durch ihre uneinheitliche Verwendung an Trennschärfe einzubüßen. Ungleiches wird mitunter gleich und Gleiches mitunter ungleich benannt.32 Insofern gilt es, die Schwierigkeit zu bewältigen, eine sowohl in sich als auch diskursintern möglichst kohärente Verwendung umstrittener oder unklarer Begrifflichkeiten zu gewährleisten. Soweit es ihrem Aussagegehalt gerecht wird, sollen zuweilen uneinheitlich bezeichnete Diskurselemente hier zu einem – auch begrifflich – einheitlichen theoretischen Rahmen zusammengefügt werden. Damit steht im Mittelpunkt des ersten Teils eine möglichst instruktive Zusammenfassung des Diskussionsstandes zum transnationalen Recht insgesamt. (Kapitel III.).

I. Pluralisierung: Rechtspluralismus als notwendiges Vorverständnis Völlig zu Recht wird als ein Ausgangspunkt der gesamten Diskussion um das transnationale Recht der Rechtspluralismus benannt,33 der als solcher nicht mit dem gesellschaftlichen Pluralismus verwechselt werden darf. Grundvoraussetzung für die Annahme, Recht entstünde auch außerhalb des Staates34 und ohne dessen Zutun, ist nämlich eine einfache, aber nicht unwesentliche Feststellung: Wenn ein theoretisches Konzept rechtliche Entwicklungen jenseits des Nationalstaates erfassen will, dann muss Recht grundsätzlich aus mehreren Quellen – und das gleichzeitig – entstehen können.35 Die Einnahme einer rechtspluralistischen Perspektive lenkt den Blick des Rechtsbetrachters mithin auf ein Nebeneinander mehrerer Rechtsordnungen;36 ein solches wird als Rechtspluralismus bezeichnet. Private Normenordnungen als Transnationales Recht, 2009, S. 27: Eine Konturierung der unterschiedlichen Verwendungen könne „weder vollständig noch in jedem Fall eindeutig“ möglich sein. 32 Auf dieses theorieinhärente Problem weist ebenfalls hin Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 159. 33 Vgl. statt vieler Ipsen, Private Normenordnungen als Transnationales Recht, 2009, S. 36; Calliess, Systemtheorie, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 53 (54); vgl. auch Tuori, On legal hybrids and perspectivism, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), 2014, Transnational Law, S. 11 (26): „However, [. . .] legal pluralism [. . .] is intimately linked with the rise of transnational law.“ 34 Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (14). 35 Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 36, Hervorhebung weggelassen. 36 Aus systemtheoretischer Sicht ist dabei anzumerken, dass die Einnahme einer rechtspluralistischen Perspektive stets auch die Einnahme einer rechtsexternen Perspektive ist, also eine Außenbetrachtung des Rechtssystems voraussetzt. Vgl. zur Frage der Perspektive Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231.

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Damit unterscheidet sich der Rechtspluralismus deutlich vom politischen oder gesellschaftlichen Pluralismus. Hiermit wird, in der Regel von empirischen Forschungen abgestützt, die Vielfalt gesellschaftlicher Kräfte, Schichten oder Gruppen und ihrer zum Teil divergierenden Interessen beschrieben.37 Dieser politische oder gesellschaftliche Pluralismus, der seinerseits durchaus den empirischen Hintergrund für verschiedene rechtspluralistische Konstellationen bilden kann, ist für die Untersuchungen zum Rechtspluralismus im Folgenden nicht von größerer Relevanz; Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels sind pluralistische Rechtsordnungen, nicht pluralistische Gesellschaftsordnungen. Das Hauptaugenmerk des Rechtspluralismus richtet sich ferner nicht auf Konstellationen, in denen lediglich ein rein geographisches, durch voneinander abgrenzbare Hoheitsbereiche entstehendes, Nebeneinander von Rechtsordnungen herrscht. Von besonderem Interesse sind im Rechtspluralismus vielmehr Konstellationen, in denen je unterschiedliche Rechtsordnungen gleichzeitig und am gleichen Ort verhaltenssteuernde Wirkung entfalten oder jeweils den Anspruch erheben, dies zu tun.38 Damit ist eine nicht hierarchisch, sondern heterarchisch strukturierte Rechtsauffassung kennzeichnend für rechtspluralistisches Denken.39 Das Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen innerhalb eines sozialen Feldes und deren regelungsgegenständliche, geographische oder personelle Überlappungen sind auf je unterschiedliche Weise Gegenstand je unterschiedlicher rechtspluralistischer Konzepte. Es lassen sich eine Reihe verschiedener Rechtspluralismus-Konzepte voneinander unterscheiden („pluralism of pluralisms“ 40). 1. Verschiedene Erscheinungsformen des Rechtspluralismus Rechtshistoriker bezeichnen mit Rechtspluralismus „das Nebeneinander von verschiedenen personenbezogenen Herrschaftsrechten im Mittelalter.“ 41 In der Rechtssoziologie und der Rechtsanthropologie – in der der Rechtspluralismus als eine eigene Rechtstheorie letztlich auch seinen Ursprung hat42 – wird er als die Koexistenz von kolonialherrschaftlichen Rechtsordnungen und indigenem Stammesrecht bezeichnet.43 So befand etwa Leopold Pospíšil in seiner 1974 erschie37

Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2010, S. 189 f. Griffiths, What Is Legal Pluralism? Journal of Legal Pluralism & Unofficial Law 24 (1986), S. 1 (2); vgl. auch Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (245). 39 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231. 40 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (247); Krisch, Beyond Constitutionalism, 2010, S. 71. 41 Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (564). 42 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (243); Tuori, On legal hybrids and perspectivism, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), 2014, Transnational Law, S. 11 (24). 43 Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (564), m.w. N. 38

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nenen Anthropologie des Rechts, dass die Vorstellung einer Vielzahl von Rechtssystemen innerhalb einer Gesellschaft die „kulturvergleichend realistischere“ Idee sei, diese jedoch – dem überragenden Einfluss römischen Einheitsrechtsdenkens geschuldet – vonseiten der (europäischen) Rechtswissenschaft über lange Zeit vernachlässigt worden ist.44 Gleichwohl sind – zumindest einem weiten Begriffsverständnis nach – rechtspluralistische Konstellationen auch der kontinentaleuropäischen Rechtswissenschaft zumindest nicht gänzlich unbekannt. In föderal organisierten Staaten, wie beispielsweise der Bundesrepublik mit ihren geteilten Bund-/Länderzuständigkeiten und den hieraus im Einzelfall resultierenden Kompetenzkonflikten herrschen, zumindest der Sache nach, ebenfalls pluralistische Strukturen45: Zwei unterschiedliche Gesetzgeber, nämlich Bund und Länder, können im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung unter Umständen für ein und denselben Sachverhalt die Regelungszuständigkeit für sich beanspruchen. Dennoch sind pluralistische Konstellationen wie die genannte aus einer rechtstheoretischen Perspektive eher unspektakulär: Klaren binnenstaatlichen Kompetenzabgrenzungs- oder Kollisionsregeln ist es nämlich in der Regel zu verdanken, dass solche binnenstaatlich-pluralistischen Strukturen zumindest rechtsdogmatisch unproblematisch46 aufzulösen sind; im Geltungsbereich des Grundgesetzes leisten dies etwa die Art. 72, 73, 74 GG (wonach die Zuständigkeiten im Vorfeld verteilt werden) und insbesondere Art. 31 GG, dessen schlichter Anordnung zufolge Bundesrecht im „Ernstfall“ stets Landesrecht bricht. Solche Erscheinungsformen des Rechtspluralismus werden – in Anlehnung an ihre dogmatische Beherrschbarkeit – auch als „weak pluralisms“ 47 bezeichnet.48 Darüber hinaus ist es schließlich auch für jedwede Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht unabdingbar, ein Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen anzuerkennen. Dort können verschiedene nationale Rechtsordnungen neben EU-, WTO- oder allgemeines Völkerrecht treten – ein an den Kontaktzonen mitunter alles andere als reibungsfreies Nebeneinander. Dieses für Völkerrechtler von daher aber fast selbstverständliche Anerkenntnis rechtspluralistischer Realitäten schlägt sich nicht zuletzt in der jahrzehntewährenden und zum Teil erbittert

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Pospíšil, Anthropologie des Rechts, 1982, S. 139. Beispiel nach Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 36. 46 Dass das Bund/Länder-Prinzip rechtspolitisch gleichwohl zu erheblichen Problemen führen kann, soll hier nicht infrage gestellt werden. 47 Twining, Normative and Legal Pluralism, Duke Journal of Comparative & International Law 20 (2010), S. 473 (488). 48 Ein weiteres sehr anschauliches Beispiel bietet Vec, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 221 (227 ff.), der anhand einer rechtsgeschichtlichen Betrachtung des weltweiten Postwesens dessen Grundstrukturen als rechtspluralistisch beschreibt. 45

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geführten Debatte um monistische und dualistische (Völker-)Rechtsauffassungen nieder, die aus der rechtspluralistischen Perspektive ohne weiteres auch als Ausdruck einer Kontroverse über das Vorliegen von „weak“ oder „strong“ pluralisms verstanden werden kann.49 Unter dem Eindruck einer globalisierungsbedingt fortschreitenden „Vervölkerrechtlichung“ 50 und der damit einhergehenden immer weiter zunehmenden Verflechtung von Völkerrecht und nationalen Rechtsordnungen gewann die in der rechtspluralistischen Theorie schon seit Langem diskutierte Frage nach dem Ob und Wie der Koexistenz von staatlichem Recht und anderen nicht-staatlichen Rechtsordnungen jedoch auch für die Völkerrechtstheorie an Bedeutung: Die auf lokaler Ebene und bis dato vornehmlich von der Rechtssoziologie erforschten Fragen nach den Möglichkeiten der Koexistenz, der Verschränkung und der gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Rechtsordnungen stellten sich mit der Expansion unterschiedlicher Rechtskreise auf globaler Ebene erneut51 und auf ähnliche Weise. Von diesen Fragen geleitet, entstand – als eine Art rechtswissenschaftliche Begleitforschung zur Globalisierung52 – somit die jüngste Ausprägung rechtspluralistischer Konzepte: der Globale Rechtspluralismus; im angelsächsischen Sprachraum mit New53 oder Global 54 Legal Pluralism bezeichnet. 2. Die Entdeckung der globalen Bukowina: Globaler Rechtspluralismus als rechtstheoretische Aufarbeitung der Globalisierung und Ausgangsszenario des transnationalen Rechts Die rechtstheoretischen Wurzeln der Debatte um das transnationale Recht liegen also im Rechtspluralismus, dort im globalen Rechtspluralismus. Veranschaulichend – und für die aufkeimende Diskussion darum von großer Bedeutung – ist 49 So auch A. Paulus, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland: Zwischen Konstitutionalisierung und Fragmentierung des Völkerrechts, ZaöRV 2007, S. 695 (714), der im Ergebnis weder monistische noch dualistische Erklärungsansätze für tragfähig hält, sondern ebenfalls für einen faktischen Pluralismus als allein möglichem Deutungsmuster der Kontroverse argumentiert. 50 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 11. 51 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (243 f.). 52 Andere, wie zum Beispiel Dupret, blenden zwar die übrigen Facetten des Rechtspluralismus aus, stimmen aber in ihrer Diagnose den Jetzt-Zustand des Rechtspluralismus betreffend, durchaus mit Teubner überein: „However, under this very broad denomination, one can identify many different trends which share little but the very basic idea that law is much more than state law.“ Dupret, Legal Pluralism, Plurality of Laws, and Legal Practice, EJLS (1) 2007, S. 1 (1). 53 Z. B. Berman, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 225 (225 ff.). 54 Z. B. Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (243 ff.); hierzu m.w. N. Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231, dort Fn. 2 und 3.

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hierbei die von Gunther Teubner geprägte Metapher von der globalen Bukowina. Dieser Begriff wurde mit dessen 1996 erschienenem Essay Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus55 geprägt und dient seitdem – auch über den deutschen Sprachraum hinaus – als oft verwendetes und übergreifendes Schlagwort zur Diskussion um den globalen Rechtspluralismus.56 a) Globalisierungsbedingte Machtverlagerungen Die globale Gesellschaft verfügt über kein einheitlich und hierarchisch strukturiertes Rechtssystem, wie es sich dem Rechtsbeobachter aus der Binnenperspektive einer einzelnen (nicht notwendig nationalstaatlichen) Gesellschaft stets zeigt. Vielmehr gibt es auf globaler Ebene eine „unübersichtliche Anordnung“ von Rechtssystemen.57 Dieser Eindruck der Unübersichtlichkeit wird verstärkt durch die Tendenz, dass das Völkerrecht sich in zunehmendem Maße auch auf Bereiche erstreckt, die früher Gegenstand rein staatlichen Zugriffs waren, beispielsweise Wirtschaft, Sicherheit, Umwelt- oder Menschenrechtsschutz.58 Wo über lange Zeit rein nationale Bewältigungsstrategien als ausreichend angesehen werden konnten, müssen nunmehr – der weitreichenden völkerrechtlichen Durchdringung zahlreicher Sachgebiete geschuldet – binnenstaatliche Gesetzgebungsakte in zunehmendem Maße auf deren Einbettungsfähigkeit in das internationale Rechtsgefüge hin betrachtet werden. Damit ist der Blick aus der Binnenperspektive einer klar strukturierten nationalen Rechtsordnung in vielen Bereichen also auch nicht länger der einzig mögliche Blick auf das Recht. Der mitunter auch als eine „Globalisierung des Rechts“ 59 verstandene Bedeutungszuwachs des Völkerrechts60 hat bewirkt, dass sich das Recht aus dem Verfassungsstaat als dessen Zentrum herausbewegt.61 Denn auf der einen Seite brachte die Globalisierung die Erkenntnis, dass dem einzelnen Staat vielerorts rein praktisch die Ressourcen zu einer angemessenen Problembewältigung fehlen. Auf der anderen Seite aber setzen sich mit der Globalisierung auch des Rechts diese Defizite auf der Rechtsebene fort: Nicht lediglich staatliche Probleme erfordern eine nicht lediglich staatliche Bewältigung auf der Rechtsebene. 55

Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (255 ff.). Vgl. hierzu und zur Metapher von der globalen Bukowina ausführlich u. I. 2. b). 57 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231. 58 Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (562); C. Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 2 ff. 59 Vgl. etwa Merkt, Privatisierung der Regelsetzung und -durchsetzung, in: Assmann/Isomura/Kansaku/Kitagawa/Nettesheim (Hrsg.), Markt und Staat in einer globalisierten Wirtschaft, 2010, S. 169 (178 ff.); allg. Zimmermann (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts, Teilband I und II, 2008. 60 Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (562). 61 Bumke/Röthel, Auf der Suche nach einem Recht des Privaten, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 1 (8). 56

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Wenn das Recht sich aber aus dem Staat herausbewegt, stellt sich unmittelbar die Frage, wohin es sich dann bewegt. Und hierbei ist der globale Rechtspluralismus eine – jedoch nicht die einzig denkbare – Beschreibungsmöglichkeit dieser Strukturveränderungen.62 Die bestimmenden Antagonismen in der Debatte um das grundsätzliche Wohin des (Völker-)rechts sind mit den Schlagwörtern Konstitutionalismus (Global Constitutionalism)63 und Pluralismus versehen.64 Wenngleich auch konstitutionalistische Theorien vielfältige diskussionswürdige Ansätze bereithalten65 – das Spektrum reicht von der Idee einer verstärkt integrierten internationalen Rechtsgemeinschaft66 oder universeller Menschenrechtsgeltung als einer übergeordneten Legitimationsinstanz67 bis hin zur Vorstellung eines internationalisierten Institutionengefüges mit den Vereinten Nationen als Zentrum und der UN-Charta als einer Art Verfassungsdokument68 – schließt die Debatte um das transnationale Recht ausschließlich an pluralistische Konzepte an. Diese Arbeit widmet sich dem transnationalen Recht; auf eine eingehende Darstellung konstitutionalistischer Ansätze soll deshalb im Folgenden verzichtet werden. Sowohl konstitutionalistische als auch pluralistische Theorien eint dabei im Ausgangspunkt gleichwohl ein gemeinsamer Befund: Nämlich die zuvor beschriebene Feststellung, dass eine entsprechende Machtverlagerung von der nationalen auf eine „nichtmehr-nationale“ Ebene stattfindet.69

62 Nicht einer gewissen Ironie entbehrt der Hinweis von Michaels, dass letztlich schon die ersten rechtspluralistischen Konzepte, auch wenn sie heute in Abgrenzung zum globalen Rechtspluralismus gesehen werden, im Kern natürlich auch bereits die Konsequenzen früherer, historischer „Globalisierungserscheinungen“ sind. Das Aufeinandertreffen von indigenem Stammesrecht und Kolonialrechtssystemen beispielsweise wäre ohne grenzüberschreitende ökonomische oder politische Austauschprozesse letztlich zu keinem Zeitpunkt denkbar gewesen. Im Unterschied dazu findet dieser Austausch heute allerdings praktisch „immer“ und „überall“ statt. Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (247). 63 Mit einem kapitalismuskritischen Zungenschlag auch als Empire bezeichnet, bzw. als Empire/Multitude-Debate, vgl. m.w. N. Buckel, Empire oder Rechtspluralismus? Recht im Globalisierungsdiskurs, KJ 2003, S. 177 ff. 64 Im Überblick Krisch, Beyond Constitutionalism, 2010, S. 3 ff. 65 Einen Überblick bieten v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 11; Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007, S. 623 (633 f.). 66 A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, S. 45 ff. 67 Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007 S. 623 (633). 68 Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, S. 77 ff. 69 In diesem Sinne auch Bumke/Röthel, Auf der Suche nach einem Recht des Privaten, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 1 (8).

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b) Rechtsquellenpluralisierung und Entkoppelung von Recht und Politik Der globale Rechtspluralismus leistet auf die Frage nach Beschaffenheit und Struktur des postnationalen70 globalen Rechts keine im ersten Zugriff befriedigende Antwort. Bestimmende Merkmale sind nicht die Auflösung oder Harmonisierung des Nebeneinanders von Rechtsordnungen, sondern im Gegenteil deren weitere Pluralisierung und Heterarchisierung. Kennzeichnend für den globalen Rechtspluralismus als eine pluralistische Theorie ist nämlich dessen Interpretation des völkerrechtlichen Status Quo nicht nur als ein Nebeneinander und eine Verflechtung von nationalen Rechtsordnungen und Völkerrecht (dies wäre für sich genommen auch keine neue Feststellung). Ihn kennzeichnet darüber hinaus vielmehr, dass er globales Recht als ein Nebeneinander von nationalem Recht, Völkerrecht und völlig neuartigen, nicht-autoritativen (privaten) Rechtsordnungen interpretiert.71 In Anlehnung an die Untersuchungen des Rechtssoziologen Eugen Ehrlich Anfang des 20. Jahrhunderts in der Bukowina wählte Teubner als Bezeichnung für diesen Zustand einander überlagernder, teils autoritativer, teils nicht-autoritativer Rechtsordnungen die Metapher von der globalen Bukowina.72 „Global“ ist diese, da einander überlagernde Rechtsordnungen nicht mehr nur in vereinzelten, „entlegenen“ Winkeln der Erde, sondern letztlich immer und überall vorzufinden sind. Die zentrale These des globalen Rechtspluralismus lautet, dass sich das globale Recht nicht länger „im Zentrum nationalstaatlicher oder internationaler Institutionen“, sondern „von den gesellschaftlichen Peripherien [. . .] her“ entwickelt.73 Als diese Peripherie werden dabei „unterschiedliche Sektoren der Welt70

Habermas, Die postnationale Konstellation, 2001, S. 65 (84 ff.). Gessner, Rechtspluralismus und globale soziale Bewegungen, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2002, S. 277 (284 ff.). 72 Der Rechtssoziologe Eugen Ehrlich untersuchte Anfang des 20. Jahrhunderts, ob für die Bewohner der Bukowina (die innerhalb Österreich-Ungarns zum einen vergleichsweise abgeschieden lag und die sich zum anderen durch eine große kulturelle und sprachliche Vielfalt auszeichnete) noch das staatliche Recht der k.u.k. Monarchie von ausschlaggebender Bedeutung war oder ob demgegenüber nicht ein in lokalen und zivilgesellschaftlichen Strukturen gewachsenes Recht die eigentliche gesellschaftliche Steuerungsfunktion übernommen haben könnte. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass für die Bewohner der Bukowina tatsächlich nicht der Staat die zentrale Regelungsinstanz war, sondern dass es die lokale Zivilgesellschaft selbst war, die sich ihr eigenes Recht (Ehrlich spricht insofern auch von „Gewohnheiten“ oder „lebendem Recht“) schuf. Er sah damit den heute auch geläufigen Gegensatz von law in the books und law in action verwirklicht, ein Umstand, den er auf die starke Heterogenität der Bevölkerung innerhalb der Bukowina und auf eine in Folge dessen als (zu) groß empfundene sachliche Distanz zum Kaiser in Wien zurückführte. Anhand seiner Untersuchungen gelangte er zu der Erkenntnis, dass die neben dem offiziellen Recht stehenden „Gewohnheiten“ dieses beeinflussen, an dessen Stelle praktiziert werden, es überformen oder durch Übung und Anerkennung zu sukzessiver Verbindlichkeit gelangen können. Hierzu Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913, S. 31 ff. 73 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (261). 71

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gesellschaft“ ausfindig gemacht, die nunmehr im Stande sind, „globale Rechtsordnungen eigener Art aus sich heraus[zu]treiben.“ 74 Diese „Rechtsordnungen eigener Art“ entstammen dem Wirken „spezialisierter, formal organisierter und funktionaler Netzwerke“, von „globale[r], doch strikt sektorale[r] Identität“ 75 und treten sowohl neben das bestehende (Völker-)Recht als auch nebeneinander. Sie sind es, die die eigentliche und neuartige Multidimensionalität des globalen Rechtspluralismus erst begründen.76 Eine Einbindung derartiger Strukturen in etablierte staatliche oder zwischenstaatliche Rechtsetzungsmechanismen findet dabei kaum oder – wenn überhaupt – nur zu einem gewissen Grad statt.77 Im Unterschied zu staatlichen Rechtsordnungen sind diese neuartigen Rechtsordnungen von globaler Ausdehnung und allein von funktionalem Charakter: Sie sind nicht mehr territorial eingrenzbar, sondern lediglich ihrem Regelungsbereich nach zu bestimmen; das Kriterium territorialer Differenzierbarkeit wird bei den neuartigen Rechtsordnungen durch das Kriterium der sachlichen Differenzierbarkeit ersetzt.78 Für das hier zu untersuchende Referenzgebiet würde dies also bedeuten, dass um die Sicherheitsdienste herum sowohl eigene Akteursnetzwerke entstehen, diese wiederum eigene Regelungen ohne die Beteiligung staatlicher Akteure hervorbringen müssten, und diese sodann neben andere (staatliche) Regelungen treten müssten. Am Beginn der Auseinandersetzung mit dieser Art Rechtspluralismus steht somit auch die Annahme, dass mit Blick auf die Globalisierung die herkömmliche Rechtsquellenlehre nicht mehr ausreicht und ein Pluralismus von Rechtsschichten ganz unterschiedlicher Qualität akzeptiert werden muss.79 Die rechtlichen Strukturen moderner Gesellschaften lassen sich aus der Perspektive des globalen Rechtspluralismus angemessen nur noch als rechtspluralistisch beschreiben; „[r]ather than being ordered by a single legal order, modern societies are ordered by a plurality of legal orders, interrelated and socially distributed in different ways.“ 80 In Reaktion auf die ohnehin schon bestehende „unübersichtliche Anordnung“ 81 staatlicher und zwischenstaatlicher Rechtsordnungen leistet der globale 74

Ebenda, S. 256. Ebenda, S. 262. 76 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (46). 77 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (262). 78 Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (563). 79 Ladeur, Die rechtswissenschaftliche Methodendiskussion und die Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels, RabelsZ 2000, S. 60 (99). 80 De Sousa Santos, Toward a New Common Sense: Law, Science and Politics in the Paradigmatic Transition, 1995, S. 114. 81 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231. 75

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Rechtspluralismus anscheinend also keine (Auf-)Lösung des Problems, sondern bloß dessen weitere Verschärfung. Ein neuartiger und schärferer Polyzentrismus ist nunmehr kennzeichnend für die Völkerrechtsordnung. Rechtsregime nichtstaatlichen Ursprungs werden in den Rang eigener Rechtsordnungen erhoben, den bestehenden zur Seite gestellt und treten zu diesen in Konkurrenz.82 Für das (Völker-)Recht ergibt sich aus dieser Annahme nun eine erste Konsequenz von nicht unerheblicher Tragweite: Dass nicht länger bloß staatliches Recht oder das Recht zwischenstaatlicher Organisationen die Gesamtheit des Rechts bilden, bedeutet automatisch auch eine Erweiterung (Pluralisierung) der Rechtsquellen. Diese „multiplication of sources of law“ 83 ist mithin geradezu konstitutiv für die Theorie des globalen Rechtspluralismus. Der Umstand, dass den neuen Rechtsquellen der Zugang zum Rechtsdiskurs verschafft wird, bleibt nicht ohne Folgeprobleme: Jedes Hinzukommen neuer Rechtsquellen zieht zwangsläufig auch einen Bedeutungsverlust bestehender Rechtsquellen nach sich.84 Hierbei wiederum werden allgemeine Gesetzgebungsorgane an Bedeutung verlieren.85 Damit allerdings müssten auch die Rechtsentstehungsprozesse im Völkerrecht insgesamt hinterfragt werden. Zum theorieinternen „common sense“ zählt von daher auch die Annahme, dass sich die Globalisierung des Rechts nicht auf der „Weltbühne internationaler Politik“ sondern „in anderen Sektoren der Weltgesellschaft“, das heißt „politikfern“ vollzieht.86 Die Heterarchie des globalen Rechtspluralismus rückt damit in die Nähe einer weltgesellschaftlichen Utopie der umgekehrten Verhältnisse, denn soweit Rechtsschöpfung an der Peripherie der globalen Zivilgesellschaft geschieht, entsteht das Recht eben auch von unten, „in relativer Unabhängigkeit von der Politik.“ 87 Wenngleich diese Politikunabhängigkeit zunächst auch als ein Ausdruck erstarkender zivilgesellschaftlicher Autonomie verstanden werden kann, birgt die Entkoppelung der Rechtserzeugung vom Primat institutionalisierter Politik allerdings ein weiteres Problem. Die Konsequenz des globalen Rechtspluralismus ist nämlich keine bloße Verschiebung des Rechts vom politischen in ein anderes System.88 Die Konsequenz besteht vielmehr darin, dass sich mit dem globalen Rechtspluralismus ein längst überwunden geglaubtes Problem erneut, nur jetzt 82 Tuori, On legal hybrids and perspectivism, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), 2014, Transnational Law, S. 11 (25). 83 Ebenda, S. 24. 84 Ebenda, S. 24. 85 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (262). 86 Ebenda, S. 260; m.w. N. Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (262). 87 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (258 f.). 88 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (248).

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unter globalisierten Vorzeichen stellt: Insofern politische Institutionen staatliche Strukturen repräsentieren, ist mit der Entkoppelung von Recht und Politik nicht zuletzt das Rechtsetzungsmonopol des Staates selbst in Frage gestellt.89 Dies bedeutet für das Völkerrecht, dass es sich in dem Maße, in dem es sich vom klassischen Zwischenstaatsrecht entfernt, auch neuen Legitimationsproblemen zu stellen hat.90 c) Rechtsquellenpluralisierung als Problem der Einheit der Rechtsordnung Wenn – wie mit dem globalen Rechtspluralismus angenommen wird – Recht (oder zumindest rechtsartige Regelungsstrukturen91) auch außerhalb des Staates entstehen können, bleibt dies zunächst nicht ohne dogmatische Folgeprobleme. Anders als die Pluralität von (klassischem) Völkerrecht und nationalem Recht, die sich rechtsdogmatisch etwa durch die Vorstellung von der Notwendigkeit eines Inkorporationsaktes oder durch eine monistische Rechtsaufassung noch beherrschen lässt,92 führt die „muliplication of sources of law“ 93 des globalen Rechtspluralismus zu einem grundsätzlicheren Konflikt: Mit dem Anerkenntnis staatsferner Regelungsstrukturen als Rechtsordnungen gerät zwangsläufig das Axiom von der Einheit der Rechtsordnung94 in Gefahr.95 Drastisch formulieren 89 „Für die moderne Rechtswissenschaft ist der untrennbare Zusammenhang zwischen Recht und Nationalstaat zu einem Dogma geworden.“ Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (28); vgl. etwa Di Fabio, Das Recht offener Staaten, 1998, S. 151 f.: Politik und Recht sind „aneinander gekettet in der Institution des Staates“. Vgl. ebenfalls Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (245). 90 A. Paulus, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland: Zwischen Konstitutionalisierung und Fragmentierung des Völkerrechts, ZaöRV 2007, S. 695 (698). 91 Vgl. zu Beschaffenheit und Rechtscharakter der vom globalen Rechtspluralismus postulierten Rechtsordnungen und zum Begriff der Regelungsstrukturen ausführlich u. III. 3. 92 In der Bundesrepublik ist dies über die „Völkerrechtsfreundlichkeit“ des Grundgesetzes einerseits und das Erfordernis eines Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 II GG andererseits geregelt. 93 Tuori, On legal hybrids and perspectivism, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), 2014, Transnational Law, S. 11 (24). 94 Grundlegend Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935. Neben den hier thematisierten rechtstheoretischen Implikationen werden unter dem Stichwort Einheit der Rechtsordnung mittlerweile zwar noch weitere Phänomene – wie beispielsweise die Gliederung des Rechts in öffentliches und Privatrecht, die innersystematische Einheitlichkeit eines Rechtsgebietes oder auch Fragen der deutschen Wiedervereinigung – diskutiert; diese sind aber für die vorliegende Diskussion von keinem tiefergehenden Interesse. 95 Daneben wird, überwiegend aus rechtshistorischer Perspektive, darauf verwiesen, dass eine diffuse Trennung von öffentlichem und privatem Recht und der damit erreichte Zustand fehlender Einheit von Recht und Staat „ähnliche Charakteristika wie das Recht des Mittelalters und der frühen Neuzeit“ trage. Bereits zu dieser Zeit, vor

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dies Fischer-Lescano und Teubner: Wenn Privatregime genuines Recht ohne Staat setzen, „dann ist zugleich der Zusammenbruch der klassischen Rechtsnormenhierarchien programmiert.“ 96 Die (zumindest in der juristischen Ausbildung paradigmatische) Vorstellung, dass Recht ausschließlich inner- oder zwischenstaatlich97 gelten könne, müsste schlichtweg aufgegeben werden. Das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung umfasst im Kern die Vorstellung von der Gesamtheit des Normenbestandes als einem „bruchlos geschlossenen“ und widerspruchsfreien System.98 Die Widerspruchsfreiheit einer Rechtsordnung setzt zum einen deren innere Geschlossenheit und in gewissem Maße auch systematische Kohärenz voraus. Dies kann etwa durch die Vorstellung vom Stufenbau der Rechtsordnung und der Rückführbarkeit jedes Einzelrechtsaktes, vom einfachen Gerichtsurteil bis hin zu höchstrangigem Recht, auf eine gedachte Grundnorm erreicht werden.99 Zum anderen setzt Widerspruchsfreiheit neben solchen Anforderungen an die innere Beschaffenheit einer Rechtsordnung aus Sicht der Rechtsunterworfenen aber auch eine äußere Widerspruchsfreiheit voraus: Sobald nämlich unterschiedliche Rechtsordnungen, deren Unterschied gerade darin bestehen mag, dass sie nicht auf ein und dieselbe Grundnorm zurückzuführen sind, in Geltungskonkurrenz zueinander treten, kann das Recht als eine Gesamtheit nicht länger einen widerspruchsfreien Ordnungsrahmen bieten. Seine zentralen Funktionen der Erwartungsstabilisierung und der Verhaltensorientierung muss es unter diesen Voraussetzungen einbüßen.100 Tatsächlich ist das Axiom von der Einheit der Rechtsordnung aus der Perspektive eines globalen Rechtspluralismus kaum aufrechtzuerhalten 101; insofern stündem Erstarken souveräner Nationalstaaten, hätte der geringe staatliche Einfluss die zwischenzeitliche Entstehung grenzüberschreitender Regelungswerke (z. B. die lex mercatoria des Mittelalters) begünstigt; hierzu Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (172). 96 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 48. 97 Vgl. hierzu Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 283 ff. 98 Schmidt, Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, in: ders. (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung? S. 9 (10). 99 Grundlegend Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Auflage 1934. 100 Auch innerhalb einer Rechtsordnung kommt es zu Überlappungen unterschiedlicher Systeme; nach deutschem Zivilrecht beispielsweise kann ein Fall, je nachdem ob die Regeln des HGB Anwendung finden oder nicht, unterschiedlich zu beurteilen sein. Ausschlaggebend für die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung ist hierbei, dass das Recht über die Kaufmannseigenschaft in § 1 I HGB und die damit verbundene Anwendung der Vorschriften des HGB eine klare Anordnung darüber trifft, welches System (Handelsrecht oder Zivilrecht) in welchen Fällen zur Anwendung gelangt. 101 „Am Faktum des Rechtspluralismus scheint sich die Einheitsfiktion des Rechtssystems aufzulösen.“ Günther, Rechtspluralismus und universaler Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (541); ebenfalls in diesem Sinne Teubner, Globale Bukowina, RJ

I. Rechtspluralismus als notwendiges Vorverständnis

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den ohnehin die streng positivistischen bzw. staatsfixierten Rechtskonzeptionen vor unlösbaren Problemen und nicht umgekehrt.102 Die Vorstellung einer hierarchisch strukturierten, einheitlichen Rechtsordnung gehört aus rechtspluralistischer Sicht ins Reich der Mythen103 verbannt; ein „Beharren auf dem Modell einer Einheit des Rechts mit einem in sich gegliederten logischen Stufenbau“ wird als „,Rechtsideologie‘ der professionalisierten Juristenstäbe“ 104 gebrandmarkt. Die Aufgabe der Einheit der Rechtsordnung als ein Zwischenergebnis der Einnahme einer pluralistischen Perspektive erscheint zunächst natürlich unbefriedigend, dabei ist jedoch die rein deskriptive Zielsetzung einer pluralistischen Theorie zu berücksichtigen: Der globale Rechtspluralismus richtet seinen Blick nicht etwa auf rechtspolitisch wünschenswerte Entwicklungen, sondern ist allein an einer zutreffenden Zustandsbeschreibung der globalen Rechtsentwicklung interessiert. Wenn man von der Triftigkeit des Rechtspluralismus als denklogischer Voraussetzung für die Untersuchung einzelner transnationaler Felder der Rechtsentwicklung ausgeht, spielen rechtspolitische Bedenken hinsichtlich der aus dem rechtspluralistischen Befund zu ziehenden Konsequenzen zunächst keine Rolle. 3. Zwischenbilanz Die Beschreibung globaler Veränderungen durch ein Strukturmodell, das allem Anschein nach eher geeignet ist, die bereits vorhandene Unübersichtlichkeit105 auszuweiten anstatt einzudämmen, wirft in ihrer Folge mehr Fragen auf, als sie zu beantworten im Stande ist. Der Befund des globalen Rechtspluralismus verlangt nach einer tiefergehenden Analyse: Wie und auf welche Weise genau bilden sich unter der Voraussetzung der Auflösung der Einheit von Recht und Staat Regelungsstrukturen abseits der tradierten Institutionen heraus?106 Und, bestehen „dynamische Wechselwirkungen“ 107 zwischen staatlichen und nicht-staatlichen 1996, S. 255–290; Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243–262. 102 Tuori, On legal hybrids and perspectivism, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), 2014, Transnational Law, S. 11 (24). 103 Griffiths spricht – nicht ohne Polemik – von „Legal centralism“ as „a myth, an ideal, a claim, an illusion“. Griffiths, What is Legal Pluralism, Journal of Legal Pluralism & Unofficial Law 24 (1986), S. 1 (4). 104 Günther, Rechtspluralismus und universaler Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingert/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (556). 105 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 231. 106 Auch wenn diese Frage hier nicht im Vordergrund steht: Kann – die Legitimität staatlicher Rechtsetzungsmechanismen einmal vorausgesetzt – demokratisch rückgebundenes Recht überhaupt außerhalb des Staates und seiner Institutionen entstehen? 107 Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 36, Nachweise weggelassen.

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Normenordnungen? Antworten auf diese durch die Einnahme einer rechtspluralistischen Perspektive erst aufgeworfenen Fragen soll das Konzept vom transnationalen Recht liefern. Bevor dieses jedoch entfaltet werden kann, sollen die als Fragmentierung bezeichneten Strukturveränderungen der Weltgesellschaft, die ihrerseits den eigentlichen Nährboden für das zuvor beschriebene Modell des globalen Rechtspluralismus bilden, einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Nicht selten wird unterlassen, in Untersuchungen zum transnationalen Recht auf diesen bipolaren Ursprung hinzuweisen.

II. Fragmentierung: Völkerrechtsordnung und Weltgesellschaft als entterritorialisierte Regime An die Diskussion um den globalen Rechtspluralismus schließt auch die Debatte um die Fragmentierung des Völkerrechts an.108 Einige der hervorstechenden Charakteristika des globalen Rechtspluralismus – Heterarchie und Polyzentrismus – sind auch in der Debatte um die Fragmentierung des globalen Rechts wiederzufinden. Beiden Diskursen – Pluralisierung und Fragmentierung – ist überdies gemein, dass sie im Ergebnis einen Bedeutungsschwund staatlicher Möglichkeiten der Einflussnahme diagnostizieren und die Staaten aus dem Zentrum des Rechtsentstehungsprozesses rücken. Die vom globalen Rechtspluralismus ausgemachten „neuartigen Rechtsquellen“ 109 finden sich schließlich ebenfalls im Fragmentierungsdiskurs wieder; sie werden als Regime110 in den Kontext einer fragmentierten Globalgesellschaft eingeordnet, anhand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen fundiert und damit letztlich auch für die rechtswissenschaftliche Analyse fruchtbar gemacht. Die Ende der 1990er Jahre einsetzende Debatte um die Fragmentierung des Völkerrechts wird sowohl innerhalb der Rechtswissenschaft als auch disziplinübergreifend geführt: Einerseits wird mit Fragmentierung (lediglich) eine Aufspaltung des Völkerrechts in Teilrechtsordnungen bezeichnet, wobei das Völkerrecht durch eine zunehmende Widersprüchlichkeit der Teilrechtsordnungen untereinander gekennzeichnet wird.111 Andererseits wird aus einem eher sozialtheoretischen Blickwinkel mit Fragmentierung auch die der globalen Rechtsfragmentierung zugrundeliegende Zersplitterung der (Welt-)Gesellschaft insgesamt bezeichnet (was wiederum Voraussetzung für die auf der Rechtsebene erst infol108 Im angelsächsischen Sprachraum als fragmentation of (public) international law bezeichnet. 109 Vgl. o. I. 2. 110 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006; bereits zuvor dies., RegimeCollisions: The Vain Search for Legal Unity in the Fragmentation of Global Law, Michigan Journal of International Law, 25 (2004), S. 999–1046. 111 Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 87.

II. Völkerrechtsordnung und Weltgesellschaft als entterritorialisierte Regime

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gedessen zu beobachtende Fragmentierung sei).112 Dabei wird insbesondere von letztgenanntem Ansatz darauf verwiesen, dass eine isolierte Betrachtung allein der rechtlichen Dimension der Fragmentierung zu kurz greifen würde, da die Rechtsfragmentierung oder Fragen nach deren Bewältigung ohne eine Analyse der hierfür ursächlichen gesellschaftlichen Fragmentierungsprozesse nicht in hinreichendem Maße zu erfassen seien.113 Solche Untersuchungen sind nicht zuletzt in besonderem Maße systemtheoretisch gefärbt.114 Beide Stoßrichtungen des Diskurses sollen hier kurz dargestellt werden. Ebenso wie der globale Rechtspluralismus sind die als Fragmentierung bezeichneten Phänomene wichtiges Ausgangsmaterial für das Verständnis transnationalen Rechts; sie erst ermöglichen ein tiefergehendes Verständnis der empirischen Situation (und ihrer Deutung), auf dem die Konzeption des transnationalen Rechts letztlich fußt.115 1. Fragmentierung als Aufspaltung der Völkerrechtsordnung Von der Diskussion um die Fragmentierung des Völkerrechts ist zunächst also die Fragmentierung auf einer rein rechtlichen Ebene erfasst. Als deren Erscheinungsformen werden gleich eine ganze Reihe unterschiedlicher Aspekte benannt. Stichwortartig sind dies etwa die zunehmende Inkommensurabilität einzelner Völkerrechtsbereiche bei deren gleichzeitigem Bedeutungszuwachs, ein seit jeher völkerrechtsinhärenter Mangel an zentralisierten Koordinationsorganen und die Tatsache, dass unterschiedliche Regulierungssysteme sich zunehmend ausdifferenzieren und spezialisieren (oft zu sog. self-contained regimes), wobei sie gleichsam in Konkurrenz oder Widerspruch zueinander treten.116 Daneben wird das Ende der weltpolitischen Blockadezeit durch die Beendigung des Kalten Krieges und die dadurch erst mögliche umfangreiche Verrechtlichung weiter 112

Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 25. „Die Fragmentierung des globalen Rechts ist sehr viel radikaler [. . .]. Die Rechtsfragmentierung ist nur ein Epiphänomen der tiefergehenden vieldimensionalen Fragmentierung der Weltgesellschaft selbst.“ Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/ Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (40). 114 Hierzu u. II. 2. a). 115 „A second area in which ideas of legal pluralism have been made fruitful is the internal fragmentation of international law. With the proliferation of treaties and institutions and without a central global authority to mediate among these, so the argument goes, international law is becoming decentralized into semiautonomous regimes and can no longer be conceived of as a unity. Consequentially, many speak of the fragmentation of international law, and sometimes ideas of legal pluralism are used to conceptualize the fragmentation.“ Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (253). 116 Hafner, Risks Ensuing from Fragmentation of International Law, Official Records of the General Assembly, Fifty-fifth session, Supplement Nr. 10 (A/55/10), S. 143 ff. 113

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Teile der internationalen Beziehungen als eine Triebfeder dieser Rechtsfragmentierung benannt.117 Die benannten Aspekte müssen als unterschiedliche Erscheinungsformen eines einheitlichen Prozesses, nämlich einer grundsätzlichen Spezialisierungstendenz im Völkerrecht, gedeutet werden. Im Mittelpunkt der Diskussion um die rechtliche Fragmentierung stehen folglich die Fragen, in welcher Weise und mit welchen Konsequenzen diese Spezialisierung vonstattengeht und wie das Völkerrecht darauf reagieren kann bzw. welche Lösungsansätze es aus sich selbst heraus schon anbietet. a) Unabhängige Teilrechtsordnungen anstelle universellen Völkerrechts Über lange Zeit wurde das klassische Völkerrecht von einem vordergründig koordinativen Leitprinzip bestimmt.118 Mittlerweile wird es jedoch zunehmend von einem Gegeneinander unterschiedlichster (Rechts-)Interessen gekennzeichnet: Diplomatische Immunität gegen Staatenverantwortlichkeit, Menschenrechte gegen Wirtschaftsrechte oder Wirtschaftsrechte gegen Umweltrecht.119 Jedes völkerrechtliche Teilgebiet beansprucht dabei eine relative Eigenständigkeit sowie eine weitgehende Isolierung vom allgemeinen Völkerrecht für sich120 – dies auch auf die Gefahr hin, in Widerspruch zu anderen Teilrechtsgebieten oder dem allgemeinen Völkerrecht zu treten. Dass mit dem Fortschreiten solcher Spezialisierungsentwicklungen sukzessive das frühere Paradigma vom Völkerrecht als „Koordinationsrecht der Staaten“ 121 aufgehoben wird, ist dabei nicht von allein theoretischer Bedeutung: Das Völkerrecht kann unter diesen Umständen nicht länger als ein stabilisierender Ordnungsrahmen betrachtet werden, sondern muss als eine Vielzahl konfligierender Rechtsordnungen wahrgenommen werden, deren Anwendung von Fall zu Fall zur Disposition stehen kann. aa) Die Arbeit der ILC-Studiengruppe zur Fragmentierung des Völkerrechts Für die aktuelle Auseinandersetzung der (Völker-)Rechtswissenschaft mit dem Phänomen der Fragmentierung spielt die Arbeit der Studiengruppe der International Law Commission (ILC) „Fragmentation of international law: difficul117 Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007, S. 623 (634 f.); Cogan, The Idea of Fragmentation, American Society of International Law Proceedings 105 (2011), S. 123 (124). 118 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 14; Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 3 ff. 119 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 22. 120 Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007, S. 623 (635). 121 Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 3.

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ties arising from the diversification and expansion of international law“ (im Folgenden: ILC-Studiengruppe) eine wichtige Rolle. Ihre Arbeit, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckte, stellte sich als ein bis heute nachwirkender Impulsgeber für die noch immer geführte Diskussion heraus. In ihrem 2006 unter der Federführung von Martti Koskenniemi erschienenen Abschlussbericht leistete sie eine umfangreiche Bestandsaufnahme der als Fragmentierung bezeichneten Prozesse und ermöglichte eine Beurteilung von deren Bedeutung für die künftige Völkerrechtsentwicklung. Für das Verständnis dieses Berichts ist es wichtig, sich zunächst eine inhaltliche Selbstbeschränkung der Arbeit der ILC-Studiengruppe deutlich zu machen: Sie erstreckt sich lediglich auf das Vertragsvölkerrecht (Hard Law) und die mit dessen Fragmentierung verbundenen Probleme. Nicht-autoritative Rechtsordnungen, wie sie den globalen Rechtspluralismus kennzeichnen, zählten nicht zum Untersuchungsgegenstand, auch wenn sie für den breiteren Diskurs der Fragmentierung (insbesondere dort, wo er die gesellschaftliche Fragmentierung zum Gegenstand hat) eine wichtige Rolle spielen.122 Am Anfang der als Fragmentierung bezeichneten Strukturveränderungen stehen nach Auffassung der ILC-Studiengruppe zunächst die Globalisierung und die Unfähigkeit der Nationalstaaten, zu sachlich angemessenen Problembewältigungen auf einer rein nationalen Ebene zu gelangen.123 Damit rücken die voranschreitenden Ausdifferenzierungs- und Spezialisierungstendenzen des Völkerrechts in den Vordergrund: „What once appeared to be governed by ,general international law‘ has become the field of operation for such specialist systems as ,trade law‘, ,human rights law‘, ,environmental law‘, ,law of the sea‘ [. . .] etc.“ 124 [. . .] „Each rule-complex or ,regime‘ comes with its own principles, its own form of expertise and its own ,ethos‘, not necessarily identical to the ethos of neighboring specialization.“ 125 [. . .] „The result is the emergence of regimes of international law that have their basis in multilateral treaties and acts of international organizations, specialized treaties and customary patterns that are tailored to the needs and interests of each network but rarely take account of the outside world.“ 126

122 „Not all substantive problems have been treated. For example, questions about ,soft law‘ as special type of law with its idiosyncratic (,soft‘) enforcement and disputesettlement mechanisms have not been subjected to discussion. [. . .] A discussion of the extent to which new types of ,global law‘ might be emerging outside the scope of traditional, State-centric international law would require quite a different type of exercise.“ ILC, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group, Aug. 2006, UN Doc. A/CN.4/L.682, S. 248, § 490. 123 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 244, § 481. 124 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 11, § 8. 125 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 14, § 15. 126 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 245, § 482, Hervorhebung vom Verfasser.

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Eine selten beachtete Schlussfolgerung, die die ILC-Studiengruppe hieraus zieht, ist, dass es gerade die Fragmentierung des Völkerrechts ist, die in ihrer Folge das an sich altbekannte theoretische Konzept des Rechtspluralismus wieder in den Vordergrund rückt: „Fragmentation moves international law in the direction of legal pluralism [. . .].“ 127 Die Aufspaltung des Völkerrechts in „specialist systems“ wird der ILC-Studiengruppe zufolge verschärft durch das (dem Völkerrecht seit jeher zueigene) Problem fehlender Hierarchisierung.128 Anders als im Kontext voll ausgebildeter Staatlichkeit wird das Nebeneinander einzelner rechtlicher Teilbereiche nämlich keiner Harmonisierung zugeführt, sondern über kurz oder lang in ein Gegeneinander der jeweiligen Teilrechtsordnungen münden.129 In den Worten der ILCStudiengruppe: „[S]uch specialized law-making and institution-building tends to take place with relative ignorance of legislative and institutional activities in the adjoining fields and of the general principles and practices of international law. The result is conflicts between rules or rule-systems, deviating institutional practices and, possibly, the loss of an overall perspective on the law.“ 130 Diesen Entwicklungen zum Trotz will die ILC-Studiengruppe die hiermit verbundenen Herausforderungen für das Völkerrecht nicht als unüberwindbar verstanden wissen: „The relevant hierarchies must only be established ad hoc and with a view to resolving particular problems as they arise. This is where the articles of the Vienna Convention on the Law of Treaties have their relevance.“ 131 Insbesondere die Regeln der Art. 30 und 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) über die allgemeinen Auslegungsregeln oder die Auslegung von aufeinander folgenden Verträgen stellen nach Auffassung der ILC-Studiengruppe ein brauchbares Mittel dar, schon mit dem bestehenden Instrumentarium (tatsächlich spricht der ILC-Bericht in diesem Zusammenhang selbst von der „tool-box“ der WVRK) die Kollisionen zwischen den unterschiedlichen „specialist systems“ re127 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 248, § 492. Uneinigkeit besteht allerdings hinsichtlich der Frage, ob es sich bei diesem Pluralismus, in welchen sich das Völkerrecht bewegt, um einen „harten“ oder „weichen“ Pluralismus handelt. 128 So auch Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (4). 129 Ein gerne zitiertes und auch von der ILC in diesem Zusammenhang angeführtes Beispiel ist der Fall der kerntechnischen Anlage Sellafield MOX Plant an der britischen Westküste. Im Rahmen von umweltrechtlichen Auseinandersetzungen hätten ein nach Anlage VII des UN-Seerechtsübereinkommens eingerichtetes Schiedsgericht, der EuGH und das Streitbeilegungsverfahren der Convention on the Protection of the Marine Environment of the North-East Atlantic (OSPAR Convention) als zuständige Konfliktlösungsforen jeweils unter Anwendung der ihnen eigenen Regelungen dienen können bzw. müssen. Aus dem zunächst bloß dogmatisch anmutenden Problem eines Rechtspluralismus wird ein ganz konkretes: Unter welchem der infrage kommenden Rechtsregime muss der Konflikt entschieden werden? 130 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 11, § 8. 131 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 245, § 485, Abkürzungen weggelassen.

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gelmäßig aufzulösen.132 Mit den „Latin maxims“ 133 – gemeint sind die zum allgemeinen Völkerrecht zählenden Grundsätze lex specialis, lex posterior und lex superior – verfüge das Völkerrecht über das entsprechende Werkzeug, auch unter den Bedingungen der vorherrschenden Fragmentierung handlungsfähig zu bleiben, d.h. die aus der Fragmentierung resultierenden Kollisionen aufzulösen. Der Bericht schließt mit dem optimistischen Fazit: „Even as international law’s diversification may threaten its coherence, it does this by increasing its responsiveness to the regulatory context.“ 134 Dieses optimistische Ergebnis135 lässt sich sicher vor allem damit begründen, dass in den Arbeiten der ILC-Studiengruppe, anders als im globalen Rechtspluralismus, allein das Völkervertragsrecht Berücksichtigung findet. Das Problem, wie beispielsweise Kollisionen zwischen nicht-autoritativem Recht und Völkervertragsrecht aufzulösen wären oder welche Hierarchien zwischen neuartigem Soft Law und Völkervertragsrecht bestünden, ob also die Fragmentierung kurz gesagt nicht noch weitaus radikaler ist, stellt sich schon dem eingeschränkten Untersuchungsansatz nach gar nicht erst.136 bb) Kritik an der Arbeit der ILC-Studiengruppe Entsprechend ist auch ein Teil der Kritik einzuordnen, der der ILC-Bericht ausgesetzt ist: Soweit die globalen Rechtskollisionen stets mit einem Griff in die „tool-box“ der WVRK zu lösen seien, scheint auch die globale Rechtsfragmen132

ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 30 ff.; S. 115 ff. ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 247, § 488. 134 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 248, § 492. 135 Nur vereinzelt wird dem Bericht im Gegensatz zur hier vertretenen optimistischen Deutung ein pessimistischerer Tenor bescheinigt; so etwa Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (253): „Koskenniemi [. . .] presents a more pessimistic picture of a global legal pluralism as response to fragmented international law; he fears that each expert system will try to impose its own rationality on the entire system [. . .].“ 136 Hafner, Risks Ensuing from Fragmentation of International Law, Official Records of the General Assembly, Fifty-fifth session, Supplement Nr. 10 (A/55/10), S. 143 ff., schlägt in Bezug auf die Fragmentierung des Vertragsvölkerrechts einen weiteren Lösungsansatz vor: Um der Rechtsfragmentierung zu begegnen, sollten Staatenverträge etwaige Kollisionslagen zukünftig bereits im Verhandlungsstadium antizipieren: Grob gesagt sollen hierzu – unter Zuhilfenahme von Ressourcen der ILC – völkerrechtliche Verträge noch vor ihrer Verabschiedung einer Prüfung auf deren Kohärenzfähigkeit im bestehenden globalen Rechtsgefüge unterzogen werden. Auf diese Weise sollen eine Homogenisierung des internationalen Rechts und eine Stärkung der Zentralposition des IGH erreicht werden. Dazu ebenfalls Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/ Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (37 ff.), die Hafners Vorschlag zum einen die Realisierbarkeit weitgehend absprechen und zum anderen darauf verweisen, dass eine solche lediglich „rechtszentriert[e]“ Lösung im Hinblick auf die tieferliegenden Probleme zu kurz greifen würde (S. 39). 133

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tierung lediglich einem „weak pluralism“ zu entsprechen.137 Da die Arbeit der ILC-Studiengruppe allerdings auf die Einbeziehung nicht-autoritativer Rechtsordnungen explizit verzichtet, müsse – deren Emergenz vorausgesetzt – davon ausgegangen werden, „dass es sich um eine radikalere Form von Rechtspluralismus handelt“ und folglich das hergebrachte „Werkzeug“ der WVRK gerade nicht mehr ausreicht.138 Somit würde der Bericht auch kein abschließendes Urteil zulassen, wie die Fragmentierung des Völkerrechts umfassend zu beurteilen ist. Tatsächlich räumt die ILC-Studiengruppe diese Schwäche selbst ein: „[T]he Vienna Convention or indeed international law could not be used so as to channel and control these patterns of informal, often private interest-drawn types of regulation as well.“ 139 Umso mehr verwundert es, dass das Phänomen privater Rechtsetzung, das verbreitet auch im Rahmen der Fragmentierung diskutiert wird, seitens der ILC-Studiengruppe tatsächlich so konsequent außen vor gelassen wird. Daneben allerdings wird auch eine grundsätzliche Kritik an der Debatte als solcher geäußert: Fragmentierung sei, weder im Hinblick auf die fortschreitende Ausdifferenzierung des Völkerrechts noch im Hinblick auf daraus resultierende Kollisionen, ein neuartiges oder überraschendes Phänomen. Heterarchische Zustände seien vielmehr seit jeher charakteristisch für das Völkerrecht, dessen aktuelle Spezialisierung dementsprechend auch kein Anlass zur Sorge sondern vielmehr Ausdruck seines Erfolges sei. Der Debatte um die Fragmentierung des Rechts stünde letztlich die Fehlannahme voran, es könne überhaupt einen Zeitpunkt gegeben haben, zu welchem von normativer Kohärenz auf globaler Ebene hätte die Rede sein können.140 cc) Diversifizierte internationale Gerichtslandschaft Eine weitere Ausprägung erfährt die Rechtsfragmentierung in der zunehmenden Verbreitung sektorspezifisch angelegter, dabei jedoch global agierender und voneinander unabhängiger Gerichte, Schiedsgerichte oder Quasi-Gerichte.141 De137 Murphy, Deconstructing Fragmentation: Koskenniemi’s 2006 ILC Project, Temple International and Comparative Law Journal 2013, S. 293 (297 ff.), Veröffentlichungsort; Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 247. 138 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 247. 139 ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 248, § 490. 140 Matz-Lück, Structural Questions of Fragmentation, American Society of International Law Proceedings 105 (2011), S. 125 ff. 141 Tatsächlich ist sogar die Rede von deren „geradezu explosionsartige[r] Vervielfältigung“, Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (37). Vgl. auch Twining, Normative and Legal Pluralism, Duke Journal of Comparative & International Law 20 (2010), S. 473 (513); OellersFrahm, Multiplication of International Courts and Tribunals and Conflicting Jurisdiction, Max Planck UNYB 5 (2001), S. 67 (67 ff.).

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ren Vervielfältigung – das Project on International Courts and Tribunals zählt weltweit 125 verschiedene Gerichte, Schiedsgerichte oder sonstige Spruchkörper142 – wird dabei sowohl als Ursache als auch als Folge der globalen Rechtsfragmentierung interpretiert. Die grundsätzliche Verortung dieses Phänomens im Kontext globaler Fragmentierungsprozesse wird jedoch nicht in Zweifel gezogen. Da sich die zahlreichen internationalen Gerichte – anders als im binnenstaatlichen Gefüge – zu keinem Instanzenzug fügen, bringen sie widersprüchliche Einzelfallentscheidungen, dogmatische Unstimmigkeiten oder offen ausgetragene Konflikte unterschiedlicher Rechtsprinzipien mit sich.143 Ebenso wie konkurrierende Teilrechtsordnungen tragen auch konkurrierende Spruchkörper auf der internationalen Ebene zu einem – in diesem Kontext als „relative normativity“ bezeichneten – generellen Autoritätsverlust klassischen Völkerrechts bei.144 Eingedenk der mittlerweile institutionell verfestigten Unauflöslichkeit dieser Diversifizierung und entgegen der Auffassung der ILC-Studiengruppe wird hierin ein weiterer Hinweis auf das Vorliegen eines „starken“ Rechtspluralismus auf globaler Ebene gesehen.145 b) Zwischenergebnis Mit der ILC-Studiengruppe lässt sich festhalten, dass das Völkerrecht einer zunehmenden Spezialisierung unterliegt. Dieser Trend äußert sich nicht zuletzt anhand der gewachsenen Anzahl internationaler Gerichte. Die resultierenden Spannungen zwischen den kollidierenden Teilrechtsordnungen lassen sich – der ILC-Studiengruppe zufolge – zumindest im Bereich des klassischen Vertragsvölkerrechts mithilfe der Regeln des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere der WVRK auflösen. Tiefergehende strukturelle Veränderungen der bestehenden Völkerrechtsordnung oder unauflösbare Konflikte sind, auch wenn sich die Veränderungen bereits in der Bildung bereichsspezifischer Gerichtsbarkeiten äußern, mit dem eingeschränkten Blick auf die rein rechtliche Fragmentierung indes nicht festzustellen. Der weitere Verlauf der Untersuchungen wird dabei zeigen,

142 Project on International Courts and Tribunals, Synoptic Chart (November 2004), online verfügbar unter: http://www.pict-pcti.org/publications/synoptic_chart.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 143 Alford, Federal Courts, International Tribunals, and the Continuum of Deference, Virginia Journal of International Law 43 (2003), S. 675 (675 ff.); Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 247 f. 144 Weil, Towards Relative Normativity in International Law, American Journal of International Law 77 (1983), S. 413 ff. 145 Diesbezügliche Lösungsansätze werden allenfalls regional verfolgt – etwa im Zusammenhang der unionsinternen gerichtlichen Kooperation, vgl. Voßkuhle, Der europäische Verfassungsgerichtsverbund, NVwZ 2010, S. 1 (1 ff.). Vgl. daneben allerdings Anne-Marie Slaugthers Idee von einer „global community of courts“, Slaughter, A Global Community of Courts, Harvard International Law Journal 44 (2003), S. 191 ff.

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inwieweit dies auch dann noch gilt, wenn (etwaige) nicht-autoritative Rechtsordnungen einbezogen werden. 2. Fragmentierung als Aufspaltung der Weltgesellschaft in funktionale Netzwerke anstelle territorialer Einheiten: Sozialwissenschaftliche Ursachenforschung Neben der rechtlichen Dimension der Fragmentierung wird auch die gesellschaftliche Dimension – als deren eigentliche Voraussetzung – diskutiert. In diesem Zusammenhang wird mit Fragmentierung die Aufspaltung der Weltgesellschaft in funktional abgegrenzte Teilbereiche bezeichnet. Das zuvor beschriebene Gegeneinander der Teilrechtsordnungen wird infolgedessen als nicht lediglich rechtsinterner Prozess, sondern als Ausdruck rechtsexterner tiefer liegender gesellschaftlicher Widersprüche gedeutet.146 Diese Widersprüche werden nicht durch inkohärente rechtliche Strukturen determiniert, sondern umgekehrt, erst von „miteinander kollidierenden Sektoren der Weltgesellschaft produziert“.147 Innerhalb des Fragmentierungsdiskurses finden die vom globalen Rechtspluralismus postulierten nicht-autoritativen Rechtsordnungen148 in diesen „kollidierenden Sektoren der Weltgesellschaft“ eine sozialwissenschaftlich fundierte Entsprechung. Die Erforschung der gesellschaftlichen Fragmentierung stellt also gleichsam die Frage, wo nicht-autoritative Rechtsordnungen ihren Ursprung haben können und wie sie zu beschreiben sind. Dabei stehen die diesbezüglichen Untersuchungen nicht zwangsläufig in Opposition zu den Untersuchungen der ILCStudiengruppe, die in ihrem Bericht die tiefer liegenden gesellschaftlichen Ursachen zwar weitgehend außen vor lässt, deren potentielle Bedeutung für die aktuelle Rechtsentwicklung jedoch nicht bestreitet.149 a) Systemtheoretische Rückbindung: Erwartungstypologischer Wandel und funktionale Differenzierung Die heute unter dem Stichwort der globalgesellschaftlichen Fragmentierung diskutierten Prozesse lassen sich bis auf die systemtheoretischen Arbeiten Niklas 146 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 23 f.; dies., Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (41). Ebenfalls in diesem Sinne Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 244; zuvor bereits ders., Responsiver Rechtspluralisms, Der Staat 2012, S. 559 (562). 147 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 24. 148 Vgl. o. I. 2. b). 149 „The fragmentation of the international social world has attained legal significance especially as it has been accompanied by the emergence of specialized and (relatively) autonomous rules or rule-complexes, legal institutions and spheres of legal practice.“ ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 2006, S. 11, § 8.

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Luhmanns, d. h. bis in die 1970er Jahre, zurückführen.150 Die Fragmentierung der globalen Gesellschaft wird dabei als Entsprechung der funktionalen Differenzierung151 der Gesellschaft interpretiert. Ausgangspunkt der funktionalen Differenzierung auf Weltebene ist zunächst die Annahme, dass sich mit der Globalisierung ein Strukturwandel von normativen hin zu kognitiven Erwartungstypen vollzogen hat. Dies rühre daher, dass für verschiedene Sektoren der Gesellschaft bereits von einem „vereinheitlichten Welthorizont“ – gemeint ist die weltweite Vernetzung der jeweiligen Gesellschaftssektoren und ihrer Öffentlichkeit(en) – auszugehen ist; eine Vereinheitlichung, die überdies den Zustand „irreversibler Konsolidierung“ erreicht habe.152 Systemtheoretisch erklärt sich dieser Strukturwandel wie folgt: Normatives Erwarten ist strikt entschlossen, Erwartungen auch im Enttäuschungsfalle aufrechtzuerhalten; typischerweise von normativen Erwartungen geprägte Systeme sind etwa Politik, Recht oder Moral. Kognitives Erwarten zeigt sich hingegen lernbereit und lässt sich im Enttäuschungsfall (leichter) korrigieren; Wirtschaft, Technologie oder Wissenschaft zum Beispiel sind dementsprechend erwartungstypologisch kognitiv geprägt. Kognitives Erwarten sucht stets sich selbst, normatives Erwarten hingegen sein Bezugsobjekt zu verändern.153 Im binnenstaatlichen Verhältnis war und ist ein normativer Erwartungsstil leichter zu institutionalisieren als ein kognitiver, denn „[f]ür [. . .] fest behauptete [. . .] Erwartungen [. . .] lassen sich leichter [. . .] Konsensaussichten beschaffen.“ 154 Anders jedoch verhält es sich bei der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme auf globaler Ebene: Hier prädominiert ein kognitiver Erwartungsstil. Der „vereinheitlichte Welthorizont“ entsteht vornehmlich außerhalb der Bereiche Politik, Recht oder Moral, da sich das in regionaler (also i. d. R.: staatlicher) Spezifität erreichte hohe Niveau normativer Erwartungssicherung mangels politisch-moralischer Konsensfähigkeit nicht ohne weiteres auf eine globale Ebene übertragen lässt.155 Ent150

Detailliert hierzu Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 7 f. Die funktionale Differenzierung ist ein Kernelement der Systemtheorie Luhmanns. Sie beschreibt die Bildung von Teilsystemen innerhalb der Gesellschaft. In einer funktional differenzierten Gesellschaft unterscheiden sich die Teilsysteme hinsichtlich der von ihnen ausgeübten Funktion; die einzelnen Teilsysteme neigen dabei dazu, von ihrem jeweiligen Primat über die Gesamtgesellschaft auszugehen. Als funktional differenzierte Gesellschaft muss auch die Weltgesellschaft beschrieben werden, die darüber hinaus kennzeichnet, dass ihre einzelnen Teilsysteme keinen „territorialen Diskontinuitäten“ (mehr) ausgesetzt sind. Vgl. insg. Baraldi/Corsi/Esposito, GLU Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, 1997, S. 65 ff. 152 Luhmann, Die Weltgesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1971, S. 1 ff. 153 Ebenda, S. 11. 154 Ebenda, S. 12. 155 Eine Prognose, der auch rund 30 Jahre später ihre Gültigkeit bescheinigt wird: „[Die] Globalisierung des Politischen [ist] im Vergleich zu anderen Teilsystemen relativ zurückgeblieben.“ Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (12). 151

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scheidendes Kriterium für die Wachstumsfähigkeit eines Gesellschaftssystems auf der Weltebene ist unter den Bedingungen der Globalisierung, d.h. unter den Bedingungen permanenten Wandels, nämlich dessen Lernbereitschaft. Ein Sportfachverband zum Beispiel hat, unabhängig von der territorialen Zuordnung seiner Mitglieder, Interesse an der Ausrichtung jährlicher Wettkämpfe. Dieses Interesse wird systemintern nicht infrage gestellt. Im Rahmen dieses umfassenden Konsenses fällt es dem Sportverband nun erheblich leichter, auf die jeweiligen Erfordernisse seiner Umwelt zu reagieren. Es fällt ihm folglich insgesamt leichter, zu prosperieren, als einem System, das demgegenüber schon in Ermangelung eigener (globaler) Konsensfähigkeit gebremst ist. Ein vereinheitlichter Welthorizont bringt es mit sich, dass lernbereite bzw. lernoffenere Systeme sich tendenziell besser entwickeln können.156 Vor dem Hintergrund des erwartungstypologischen Führungswechsels und der funktionalen Differenzierung erklärt sich Luhmanns anschließende Prognose, dem Völkerreicht stünden tiefgreifende Veränderungen bevor: „Die Probleme der Weltgesellschaft [. . .] lassen sich nicht auf der Ebene eines Nationalstaats [. . .] artikulieren; weder passen sie durch das Nadelöhr einer staatlich verstandenen Politik, noch lassen sie sich als private Interessen darstellen [. . .]. Und damit entfällt die weitreichende Ordnungsvorgabe und Entlastung, die das klassische Völkerrecht an jenem Vorgang [. . .] einer nationalen Politik finden konnte. [. . .] Heute dominieren Wirtschaft, Wissenschaft und Technik die in der Gesellschaft zu lösenden Probleme mitsamt den Bedingungen und Grenzen ihrer Lösungsmöglichkeit [. . .].“ Diese wiederum beruhen auf einem ausgeprägten kognitiven Erwartungsstil. Einem normativen und weniger elastischen System fehlt die hierfür erforderliche Lernbereitschaft.157 Nicht zuletzt speist sich die „Globalität“ des globalen Rechtspluralismus damit also aus der Tatsache, dass die funktionale Differenzierung kein regionales, sondern ein weltweit wirkendes Phänomen ist. Praktisch jeder gesellschaftliche Teilbereich steht unter den Bedingungen des erwartungstypologischen Wandels einer weltweiten Konstituierung offen. b) Polyzentrische Weltgesellschaft und Entterritorialisierung des Rechts als Folgen funktionaler Differenzierung Mit dem von Luhmann beobachteten erwartungstypologischen Wandel gewinnt der Blick auf diejenigen gesellschaftlichen Teilsysteme (im Folgenden auch als 156 Luhmann, Die Weltgesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1971, S. 1 (10); ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1998, S. 806 ff. Für das Verhältnis der globalen politischen Entwicklung (erwartungstypologisch normativ) zum Verhältnis der globalen wirtschaftlichen Entwicklung (erwartungstypologisch kognitiv) spricht beispielsweise Teubner anschaulich von einer „Globalisierung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“. Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (260). 157 Luhmann, Die Weltgesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1971, S. 1 (15 f.).

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Regime bezeichnet), die auf kognitives Erwarten gestützt sind, erheblich an Bedeutung.158 Neben deren Charakteristika sollen im Folgenden auch die infolge der Regimebildungen beobachtbaren völkerrechtlichen Strukturveränderungen sowie mögliche Konsequenzen für die Entwicklung der Staatenwelt beleuchtet werden. aa) Regimebildung durch bereichsspezifische Eigenrationalitätsmaximierung Begreift man die Entstehung der Regime als eine Ausprägung der globalgesellschaftlichen Fragmentierung und funktionaler Differenzierung, muss hierfür zunächst auch eine verbreitete Fehlvorstellung hinsichtlich der Globalisierungsdynamik aufgegeben werden: Die Globalisierung darf nicht als ein vorrangig ökonomischer Prozess (miss-)verstanden werden. Wirtschaftliche Zusammenhänge sind lediglich ein Faktor unter mehreren – gleichermaßen relevanten – Faktoren; anders gesagt, Globalisierung ist ein multifaktoriell bedingter polyzentrischer Prozess.159 Bestimmend ist nicht ein Funktionssystem (Wirtschaft), sondern „die sich beschleunigende Differenzierung der [gesamten] Gesellschaft in autonome gesellschaftliche Teilsysteme“; eine Logik also, der gleichsam „auch Wissenschaft, Kultur, Technik, Gesundheit, Militär, Transport, Tourismus [und] Sport [. . .]“ in weltweitem Maßstab folgen.160 Das „Resultat ist eine Vielheit von selbstständigen global villages, die als autonome Funktionsbereiche je für sich eine weltweite und von außen nicht kontrollierbare Eigendynamik entfalten.“ Damit bedeutet „Globalisierung [. . .] also nicht einfach Globalkapitalismus, sondern die weltweite Realisierung funktionaler Differenzierung“.161 Die Binnenstruktur der zu Regimen ausdifferenzierten einzelnen Gesellschaftsfragmente ist von netzwerkartigem und nicht hierarchischem Charakter; sie ist gekennzeichnet durch die Verflechtung von staatlichen und privaten Akteuren, deren Wirken als eine Form der Verselbständigung der globalen Handlungskoordination interpretiert wird. Die Regime entwickeln im Zuge ihrer Ausdifferenzierung und zunehmenden internen Verflechtung oftmals einen „enormen 158 Weitere Beispiele für solche Teilsysteme sind etwa Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kultur, Sport, Medizin, Tourismus, Transport oder auch – innerhalb einer Binnendifferenzierung – deren Teilsysteme wie Lufttransport, Landtransport, Seetransport, usw. 159 In diesem Sinne Held, Democracy and the Global Order: From the Modern State to Cosmopolitan Order, S. 16 ff.; ebenso Koskenniemi, Global Legal Pluralism: Multiple Regimes and Multiple Modes of Thought, S. 8, online verfügbar unter: http://www. helsinki.fi/eci/Publications/Koskenniemi/MKPluralism-Harvard-05d[1].pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 160 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (41). 161 Teubner, Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie, ZaöRV 2003, S. 1 (12); ders., Verfassungsfragmente, 2012, S. 72.

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Normenbedarf“, der nicht länger durch die bereitstehenden nationalstaatlichen, supra- oder zwischenstaatlichen Institutionen abgedeckt werden kann.162 Ein Bedarf, den – so lautet die zentrale und aus rechtswissenschaftlicher Sicht bedeutendste Annahme – die Regime selbst und „im unmittelbaren Durchgriff auf das Recht“ 163 befriedigen. Funktional ausdifferenzierte Regime hätten demnach eigene Steuerungskompetenzen aufgebaut und würden ihre weitere Selbstorganisation mit gänzlich eigenen Mitteln und Methoden vorantreiben.164, 165 Die Entstehung der Regime als die „Realisierung funktionaler Differenzierung“ bringt im Kern also die Bemühungen der einzelnen gesellschaftlichen Teilsysteme zum Ausdruck, ihr Verhalten nach Möglichkeit selbst zu regulieren. Treibende Kräfte innerhalb dieser Regime sind deren konsequente Eigenrationalitätsmaximierung und das Bestreben, die eigene Bereichslogik so weit wie möglich (und „ohne Rücksicht auf andere Sozialsysteme“ 166) auszudehnen.167 An diesem Punkt, dem theorieintern unterstellten rücksichtslosen Expansionsdrang, sind die sowohl vonseiten des globalen Rechtspluralismus als auch vonseiten der ILC-Studiengruppe beobachteten Rechtskollisionen – wenngleich in zugespitzter Weise – gleichsam mitangelegt: Als Regime-Kollisionen verstanden, spiegeln diese Kollisionen dann nämlich kein lediglich rechtliches Phänomen mehr wider, sondern grundsätzlicher „Konflikte zwischen gesellschaftlichen Systemrationalitäten.“ 168 Ein Konflikt der „Systemrationalitäten“ stellt allerdings gegenüber der einfachen Rechtskollision eine erhebliche Zuspitzung dar: Systeminterne Konflikte lassen sich mit systeminternen Konfliktlösungsmechanismen (beispielsweise eine Rechtsnormkollision mit Kollisionsrecht oder diplomatische Krisen mit diplomatischen Mitteln) lösen. Rationalitätenkonflikte gänzlich verschiedener Systeme lassen sich demgegenüber nicht ohne weiteres mit einer systeminternen Lösung bewältigen.169 Das hiermit angesprochene Problem der Rationalitä162 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft?, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (438). 163 Ebenda, S. 438. 164 Willke, Global Governance, 2006, S. 39 f. 165 Wie dieser „Durchgriff auf das Recht“ letztlich in concreto aussehen kann, ist Gegenstand des dritten Kapitels in diesem Teil, siehe u. III., insb. III. 3. b). 166 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (41), Nachweise weggelassen. 167 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 29. 168 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, S. 37 (48). Ausführlich zu den Konflikten an dieser Stelle dies., Regime-Kollisionen, 2006, S. 34 ff.; S. 41 ff. 169 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (37 ff.).

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tenkonflikte wird in dieser Arbeit jedoch nicht virulent, da mit den maritimen Sicherheitsdiensten bzw. dem System der Sicherung der Seetransportwege nur ein solches Regime behandelt wird. Dessen innere Strukturen zu analysieren ist das Ziel der Arbeit; damit jedoch spielen etwaige Rationalitätenkonflikte allenfalls am Rande eine Rolle.170 bb) Strukturwandel im Völkerrecht Die bis hierher dargestellten Annahmen bedeuten in ihrer Konsequenz einen tiefgreifenden Strukturwandel auf der Völkerrechtsebene; dieser ist nicht den polyzentrischen Gesellschaftsstrukturen per se, sondern deren Spezifität durch die Regimebildungen geschuldet. Für sich genommen ist Polyzentrismus zunächst keine Neuheit, sondern eine Konstante im Völkerrecht: Strukturell ist es nämlich seit jeher auf die konsensuale Rechtserzeugung durch eine Vielzahl von Rechtserzeugern – Staaten und internationale Organisationen – angelegt; ebenso vertraut ist dem Völkerrecht der Umstand, dass zwischen Rechtserzeugern und Rechtsunterworfenen in der Regel sogar Identität besteht.171 Wirklich neu hingegen ist die Feststellung, dass die Rechtssubjekte, der Entstehung der Regime geschuldet, nicht länger unter territorialen, sondern unter funktionalen Gesichtspunkten differenziert werden sollen: „Die nationale Differenzierung des Rechts wird jetzt von einer sektoriellen Fragmentierung überlagert“ 172; auch wenn der Raum „seine Bedeutung als Interaktionssubstrat“ beibehalte, wird es unter den gegebenen Umständen „fragwürdig [. . .], ob er weiterhin das primäre Differenzierungsschema sozialer Realität und damit Grenzprinzip der Gesellschaftsbildung sein kann [. . .].173 Anders gesagt, wenn die Regime die bisher geltenden territorialen Grenzen überspringen und sich weltweit konstituieren, wird die völkerrechtliche Binnendifferenzierung nach dem Prinzip der Territorialität von einem Prinzip der Funktionalität infrage gestellt174; funktionale Differenzierung ersetzt dann die vormals geltende territoriale Differenzierung.175 Geht man also mit der These der globalen gesellschaft170 Fischer-Lescano und Teubner entwickeln zur Handhabung bzw. zur Einhegung dieser Art von Konflikten ein Konzept der Regime-Vernetzung, hierzu Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 57 ff. 171 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 12 f., insb. Rn. 37. 172 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 36, Nachweise weggelassen; dies., Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (43). 173 Luhmann, Die Weltgesellschaft, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1971, S. 1 (21). 174 Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 36, Nachweise weggelassen. 175 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (258).

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lichen Fragmentierung von der Prädominanz der Funktions-Regime aus, müsste das Völkerrecht weniger als ein Koordinationsrecht der Staaten, sondern vielmehr als ein Kollisionsrecht eben dieser Regime wahrgenommen und angewendet werden.176 Das Völkerrecht wäre lediglich noch ein globales Nebeneinander von einander überlagernden, überlappenden, teils territorial und teils funktional ausgerichteten Rechtsordnungen;177 hierin läge ein fundamentaler Strukturwandel begründet. De lege lata liegt der Völkerrechtsordnung nach wie vor allerdings unzweifelhaft das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (und nicht etwa ein wie auch immer geartetes Prinzip der souveränen Gleichheit seiner Funktions-Regime!) zu Grunde.178 Somit aber steht das Völkerrecht – die Triftigkeit der Beobachtungen des globalen Rechtspluralismus und der Fragmentierung vorausgesetzt – vor dem Problem, dass die geltende Rechtskonzeption schon im Kern nicht (mehr) den tatsächlichen strukturellen Gegebenheiten entspricht. Die völkerrechtsarchitektonisch nach wie vor zentrale Rolle der Staaten wird folglich zunehmend auch als Problem wahrgenommen: Wenn eine Weltregierung oder ein Weltstaat auf absehbare Zeit nicht existieren und die gesellschaftlichen Reaktionen nur in Stratifikation, Segmentierung und funktionaler Differenzierung bestehen, dann ist die staatszentrierte Architektur der Völkerrechtsordnung zwangsläufig auch ein „Hemmschuh“ der Rechtsentwicklung.179 cc) Funktionswandel der Staaten Der bis hierhin nur auf der Völkerrechtsebene diskutierte Strukturwandel – funktionale anstelle territorialer Differenzierung – bleibt auch (oder: erst recht) aus der binnenstaatlichen Perspektive nicht folgenlos: Er geht nämlich zwangsläufig mit einem dramatischen Wandel der Rolle der Staaten insgesamt einher. Soweit es um die Rolle der Staaten geht, sind diese Entwicklungen im Zusammenhang mit den Regimebildungen mit Schlagworten wie Entstaatlichung180, Denationalisierung181, Öffnung des Staates182 oder Disaggregation of the state183 beschrieben worden. 176

Ebenda, S. 262; Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 10 ff. Viellechner, Responsiver Rechtspluralismus, Der Staat 2012, S. 559 (559 ff.). 178 Art. 2 Nr. 1 der UN-Charta; allgemein hierzu v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 126 ff. 179 Maurer, Lex Maritima. Grundzüge eines transnationalen Seehandelsrechts, 2012, S. 228. Vgl. zum Strukturwandel des Völkerrechts durch Entterritorialisierung insg. und m.w. N. Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 224 ff. 180 Vgl. o. Fn. 2. 181 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 22. 182 C. Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 2. C. Calliess spricht hierbei von der Entwicklung „vom geschlossenen zum offenen Staat“. 183 Slaughter, A New World Order, 2004, S. 12. 177

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Die Entwicklung der Staaten wird hierbei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ihnen in einem solchen Geflecht nicht länger die Rolle der zentralen Instanz zufällt, die sie noch zur Zeit der Entstehung des modernen Völkerrechts innehatten: „Governance has been moving [. . .] to a more horizontally constituted and networked set of governance orders in which states participate but do not necessarily subordinate to their own governance orders.“ 184 Das Konzept des in horizontalen oder netzwerkartigen Konstellationen nur mehr in seinen einzelnen Elementen agierenden Staates wird insbesondere vonseiten der GovernanceTheorie häufig und in unterschiedlichen Nuancierungen vertreten.185 Insofern der Staat in die Rechtserzeugung zwar noch „eingebunden“ sei, dieser aber nicht mehr vorstehe, sei der klassische Territorialstaat also „in die Defensive geraten“ 186. Wenn Recht nicht mehr nur im staatlichen oder zwischenstaatlichen Milieu, sondern als Binnenrecht der Regime entsteht, bedeutet dies, dass der Staat „im Rahmen seiner territorial begrenzten Möglichkeiten“ in zunehmendem Maße auch seinen Einfluss auf die Rechtserzeugung insgesamt verliert.187 Damit ergeben sich für das Völkerrecht grundliegende Probleme: Wenn eine schrankenlose Durchdringung der Staaten durch transnationale Elemente bedeutet, dass diese ihren Einfluss auf die Rechtserzeugung verlieren, dann läuft diese Entwicklung – zugespitzt formuliert – auf „Staaten ohne Souveränität“ hinaus.188 Mit der Souveränität der Staaten ist aber das zentrale Moment des gegenwärtigen Völkerrechts berührt; in seiner gegenwärtigen Architektur setzt es den Fortbestand staatlicher Souveränität zwingend voraus. Unabhängig von der Frage, ob diese Beobachtungen zutreffen oder nicht, legt das debattenintern gebräuchliche, stark pointierte Vokabular (Entstaatlichung, Disaggregation etc.) die Vermutung nahe, im Zuge der fortschreitenden Fragmentierung würde der Nationalstaat über kurz oder lang gänzlich verschwinden.

184 Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 (111), Hervorhebung vom Verfasser. 185 Vgl. etwa Slaughter, A New World Order, 2004, S. 12 ff. 186 C. Calliess, Staatsrecht III, 2014, S. 2. 187 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 22. Dieser Einflussverlust ruft nicht zuletzt auch aus verfassungsrechtlicher Sicht Bedenken hervor: Grimm etwa begreift Entstaatlichungsprozesse dementsprechend auch als Verfassungskrisen: Die Errungenschaft der „Verrechtlichung der Gewalt“ sei im Kern eine durch die Verfassungen erreichte „Verstaatlichung der Gewalt“. Wenn aber „öffentliche Gewalt [und sei es rechtsetzende Gewalt] auf nicht-staatliche Träger verlagert und in nicht-staatlichen Verfahren ausgeübt wird“, entbehrt die Gewaltausübung – insoweit jedenfalls – auch einer Legitimationsbasis. Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Huber/Möstl (Hrsg.), FS Badura, 2004, S. 145 (145). 188 Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat? Und was kann die Rechtsgeschichte dazu sagen?, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 17 (26).

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Solchen (wenn auch selten geäußerten)189 reißerischen Prognosen, die ohnehin nur von spekulativem Charakter sein können,190 soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung wird es vielmehr darum gehen, inwieweit die postulierten Thesen von schwindenden Einflussnahmemöglichkeiten der Staaten und (gleichzeitiger) Überlagerung staatlicher Einflusssphären durch funktional differenzierte Regime sich im Einzelfall überhaupt erhärten lassen. Soweit also von einer Entstaatlichung die Rede ist, muss diese in einem zurückhaltenden Sinne verstanden werden. Entstaatlichung soll hier, in einem abgeschwächten Begriffsverständnis, als die Entkopplung der funktionalen Regime von den Nationalstaaten verstanden werden. 3. Zwischenbilanz Stärker als mitunter angenommen sind der globale Rechtspluralismus und der als Fragmentierung beschriebene Wandel des Völkerrechts und der globalen Gesellschaft miteinander verbunden. Recht soll mittlerweile in anderen als den staatlichen Systemen entstehen können – hierin liegt der gemeinsame Kern. Anders jedoch als der globale Rechtspluralismus, der über den beinahe floskelhaften Verweis auf die Globalisierung hinaus wenig auf die Ursachenforschung bedacht ist, ist mit der systemtheoretisch abgestützten Fragmentierung der Gesellschaft eine (neue) Ursache benannt: Von der funktionalen Differenzierung ausgehend, ist anzunehmen, dass diese die territoriale Differenzierung überlagert oder sich infolgedessen zumindest eigene Funktionsregime von den Nationalstaaten entkoppeln. Erst durch diese Entkopplung entsteht der „enorme Normenbedarf“ der (im globalen Rechtspluralismus zunächst nur als „die Zivilgesellschaft“ bezeichneten) Regime; jeder der sich ausdifferenzierenden gesellschaftlichen Teilbereiche ist – nach Maßgabe eigener Regeln – auf dessen Eigenrationalitätsmaximierung bedacht. Auf diese Arbeit gewendet, bedeutet dies, dass der Bereich (bzw. das „Regime“) der maritimen Sicherheitsdienste als ein funktional differenzierter Teilbereich der Gesellschaft anzusehen ist, dessen innere Verfasstheit eigenen und womöglich neuartigen Regelungsmustern folgt. Wenn dem globalen Rechtspluralismus der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Analyse der Interaktionen unterschiedlicher Normensysteme auf globaler 189 Cassese, The Rise and Decline of the Notion of the State, International Political Science Review 7 (1986) S. 120 ff.; weitere Nachweise bei Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat? Und was kann die Rechtsgeschichte dazu sagen?, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 17 (25). 190 In diesem Sinne auch Stolleis: „Eine Verabschiedung des [. . .] Nationalstaats [. . .] ist also mindestens verfrüht.“ Stolleis, Was kommt nach dem souveränen Nationalstaat? Und was kann die Rechtsgeschichte dazu sagen?, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 17 (19); vgl. auch Wolf, Private Akteure als Normsetzer in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (193).

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Ebene zu verdanken ist191 und den Untersuchungen zur globalen Fragmentierung zu verdanken ist, diese Annahmen sozialwissenschaftlich fundiert zu haben, dann bietet das transnationale Recht einen Ansatz, mit dessen Hilfe diese Analyse unternommen werden kann.192 Bei dieser Analyse gilt es allerdings, den Fehler einer Perspektivenverengung zu vermeiden. Recht kann nicht nur an der „Peripherie“ 193 der Gesellschaft und auch nicht ausschließlich in privaten Rechtsordnungen sui generis entstehen. Wenn die Pluralität von Teilrechtsordnungen die neue Globalgesellschaft kennzeichnen soll, dann darf diese auch nicht auf ein einziges Phänomen (die neuartigen Rechtsordnungen) reduziert werden.194 Im weiteren Verlauf der Untersuchungen werden also auch alle aus einer pluralistischen Perspektive relevanten Rechtsordnungen (autoritative ebenso wie nicht-autoritative) identifiziert werden müssen, damit deren mögliche Wechselwirkungen überhaupt erst zu Tage treten können.195 Darüber hinaus birgt jede Untersuchung aus einer rechtspluralistischen Perspektive auch ein begriffliches Problem: Wenn wie mit dem globalen Rechtspluralismus auch nichtstaatliche Rechtsordnungen zum Untersuchungsgegenstand erhoben werden, wird eine Erläuterung des zugrundeliegenden Rechtsbegriffs erforderlich.196 Erwartbar sind zudem – geht man von der Ausgestaltung der pri191 Global legal pluralism „focuses attention on interlegality – the many different and complex ways in which multiple legal and normative orders can relate to each other and interact [. . .].“ Twining, Normative and Legal Pluralism, Duke Journal of Comparative & International Law 20 (2010), S. 473 (517). 192 Daneben stellen sich natürlich auch rechtspolitische Fragen, denen im Folgenden jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann. Wie lässt sich etwa materielle Gerechtigkeit verwirklichen, wenn anzunehmen ist, dass für einen Anwendungsfall genuin verschiedene Rechtsordnungen bereitstehen könnten? Vgl. hierzu etwa Grimm, Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung, in: Huber/Möstl (Hrsg.), FS Badura, 2004, S. 145 ff. 193 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (261 ff.). 194 Buckel, Empire oder Rechtspluralismus? Recht im Globalisierungsdiskurs, KJ 2003, S. 177 (187); in diesem Sinne auch Twining, Normative and Legal Pluralism, Duke Journal of Comparative & International Law 20 (2010), S. 473 (514): „Adopting a global perspective further decenters the state, without implying that states are unimportant in respect of de facto power, claims to authority, and perhaps offering the best hope for democracy, protection of rights and good governance.“ 195 Ein vergleichbar „ganzheitlicher“ Ansatz findet sich auch in der GovernanceTheorie: Die bestehende Pluralität des Rechts verlange nach Verknüpfung durch einen einheitlichen theoretischen Rahmen. „Vertrags- und Gesetzesrecht, Europa-, Völkerund Verfassungsrecht sowie gesellschaftliche Konventionen und Standards, seien sie spontan gebildet oder durch Recht induziert, sowie administratives Recht unterschiedlicher Formen und Richterrecht müssen gegebenenfalls im Rahmen einer Regelungsstruktur aufeinander bezogen werden.“ Trute/Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/ Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (244). Vgl. ausführlich zum Begriff der Regelungsstruktur u. III. 3. c). 196 Vgl. hierzu u. III. 3. a) und b).

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vaten Rechtsordnungen als vollwertigen Rechtsordnungen mit eigenen Normenhierarchien, eigenem Primär- und Sekundärrecht und eigenen Durchsetzungsmechanismen aus – größere Kohärenzprobleme sowohl zwischen den privaten Rechtsordnungen untereinander als auch zwischen den privaten und den autoritativen Rechtsordnungen. Die pluralistische Theorie ist daher an genau dieser Stelle seit jeher auch der Kritik ausgesetzt: Sie bringe unausweichliche „difficult[ies] in defining and distinguishing law“ 197 mit sich.198 Diese Schwierigkeiten werden im weiteren Verlauf eine detailliertere Analyse des theorieimmanenten Rechtsbegriffs erforderlich machen.

III. Transnationalisierung: Recht als transnationaler Prozess Globaler Rechtspluralismus und die Fragmentierung des Völkerrechts bilden einen gemeinsamen Befund ab, der jede Hoffnung auf globale Rechtseinheit vergeblich erscheinen lässt.199 Neu hervorgegangene Funktionsregime sollen neben (oder über) die Staaten treten, welche im Zuge dessen ihre vormalige Rolle als primäre (bzw. alleinige) Akteure in der Völkerrechtsarena zugunsten der Rechtschöpfungskräfte funktional ausgerichteter Entitäten einbüßen. Die gesellschaftliche Dimension der Fragmentierung erzwinge in dem Maße, in dem die Territorialität als Abgrenzungskriterium infrage gestellt wird, eine Erweiterung des Rechtsbegriffs über die bekannten Rechtsquellen des staatlichen und des internationalen Rechts hinaus.200 Mit der hier vertretenen Auffassung wurzelt das transnationale Recht in beiden der genannten Entwicklungen. Die zentrale Frage muss an dieser Stelle lauten: Wie genau ist es um das spezifisch Rechtliche innerhalb dieser „Regime“ bestellt? Worum genau soll der Rechtsbegriff zu erweitern sein? Unterstellt, der Sektor der maritimen Sicherheitsdienste ließe sich als ein solches Regime bezeichnen – welche Phänomene genau müssten einer Untersuchung aus dem Blickwinkel des transnationalen Rechts unterzogen werden? Mit dem bisher Gesagten lässt sich zwar festhalten, dass das Recht sich einerseits vom politischen Primat – und damit bis zu einem gewissen Grad auch vom Staat – zu entkoppeln scheint, dass es sich andererseits aber (insbesondere im Hinblick auf das Völkerrecht) zunehmend verdichtet und 197 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (244). 198 An dieser Stelle setzt auch die Kritik von Merry an, die anmerkt, „calling all forms of ordering that are not state law by the term law confounds the analysis.“ Merry, Legal Pluralism, Law and Society Review 22 (1988). S. 869 (878). 199 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (43). 200 Ebenda, S. 51.

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spezialisiert. Wie aber muss man sich die rechtlichen Binnenstrukturen der funktionalen Regime vorstellen? Für sich genommen sind die Beschreibung von Pluralisierung und Fragmentierung nämlich noch keine Antwort, sondern lediglich Teil der Frage: Wie sieht Recht aus und wie entsteht Recht in den komplexen heterarchischen Strukturen eines globalen Rechtspluralismus und im Zuge fortschreitender Fragmentierung bzw. Entstaatlichung? Diese Fragen nach der Beschaffenheit der neuartigen normativen Strukturen werden verbreitet unter dem Stichwort transnationales Recht diskutiert. Auch wenn der Begriff bereits seit Jahrzehnten verwendet wird, ist er dennoch erörterungsbedürftig, im Umgang mit der Chiffre transnational ist sogar eine gewisse Vorsicht geboten: Als transnational ist im Laufe der Zeit eine solche Vielzahl so unterschiedlicher Phänomene bezeichnet worden, dass den weiteren Untersuchungen an dieser Stelle eine Begriffsklärung vorangestellt werden muss. Dies umso mehr, als dass sich der Begriff vom transnationalen Recht immer wieder der Kritik ausgesetzt sieht, als unscharfer oder konturloser Allerweltsausdruck wenig Erklärungspotential zu besitzen.201 Im Widerspruch dazu stehen freilich die Häufigkeit und die Selbstverständlichkeit, mit der vom Begriff des Transnationalen mittlerweile Gebrauch gemacht wird, was den falschen Eindruck vermittelt, es handele sich um einen allgemein anerkannten und inhaltlich unumstrittenen Begriff.202 1. Begriffshistorie Soweit ersichtlich wird der Begriff vom transnationalen Recht erstmalig ab den 1930er Jahren für Verweisungs-, Rechtsanwendungs- und Rechtsvereinheitlichungsnormen verwendet, eine Rechtsmaterie also, die nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel dem Internationalen Privatrecht (IPR) zugeordnet wird und die sich außerhalb des hier bedeutsamen Zusammenhangs befindet.203 Seine heutige Verbreitung wie im Kern auch seine Bedeutung als eine mittlerweile eigene (Völker-)Rechtskonzeption, ist jedoch in erster Linie auf den Völkerrechtler und späteren Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) Philip Jessup und dessen 1956 erschienene Schrift Transnational Law zurückzuführen. Zentrales Anliegen Jessups war es, dem begrifflichen Defizit zu begegnen, das die übliche dichotome Aufteilung von Sachverhalten in national oder internatio201

Calliess, Transnationales Verbrauchervertragsrecht, RabelsZ 2004, S. 244 (247). Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 70. 203 Etwa Guttzwiller, Das Internationalprivatrecht der durch die Friedensverträge eingesetzten Gemischten Schiedsgerichtshöfe, in: Nussbaum (Hrsg.), Internationales Jahrbuch für Schiedsgerichtswesen in Zivil- und Handelssachen, 1931, S. 123–152; Walker, Internationales Privatrecht, 1934, S. 13; Rabel, The conflict of laws: a comparative study, 1945, Band 1, S. 39 spricht von „trans-national rules“; weitere Nachweise bei Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 5. 202

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nal mit sich brachte.204 In Anbetracht der sich weltweit zunehmend verzahnenden (Zivil-)Gesellschaften erkannte er, dass es jenseits binnenstaatlicher Sachverhalte nicht bloß zwischenstaatliche Aktivitäten gibt, die das internationale Recht regelt, sondern dass darüber hinaus eine Vielzahl gesellschaftlicher Aktivitäten unter Inanspruchnahme rechtlicher oder (und hier liegt die Brisanz) vielleicht auch nur rechtsähnlicher Mittel zu beobachten sind. Transnationales Recht als eine demzufolge notwendige kategoriale Erweiterung des klassischen Völkerrechtsbegriffs verstanden, bezeichnete er als: „[A]ll law which regulates actions or events that transcend national frontiers. Both public and private international law are included, as are other rules which do not wholly fit into such standard categories.“ 205

Zwei Tatsachen springen hierbei ins Auge: Erstens, dass Jessups Begriffsverständnis sehr weit gefasst ist – als transnationales Recht will er letztlich alle Regeln aller grenzüberschreitenden Sachverhalte verstanden wissen – und zweitens, dass sich der Betrachtungsgegenstand transnationales Recht nicht notwendig auf das Vertragsvölkerrecht, also positives Recht (law) beschränkt, sondern bewusst auch außerhalb dessen Befindliches (other rules) einbezogen wird. Dies ist als der ausdrückliche Versuch interpretiert worden, mit der Kategorie des transnationalen Rechts einer empfundenen „Armut der Rechtsquellenlehre“ 206 zu begegnen. Ein solch weites Begriffsverständnis ist kaum überraschend immer wieder als defizitär und wenig trennscharf kritisiert worden.207 Nicht nur unbestritten positiviertem Recht, sondern auch (zunächst einmal nicht näher umrissenen) anderen Regeln Rechtscharakter zuzusprechen, scheint sogar einem „Tabubruch“ 208 gleichzukommen, schließlich ist mit einem solchen Rechtsverständnis (also der Aufwertung anderer Regeln als Recht) einmal mehr das Paradigma der Einheit von Recht und Staat infrage gestellt. Jessups unbestrittenes Verdienst aber bleibt es, mithilfe des Begriffes vom transnationalen Recht die Aufmerksamkeit auch der Rechtswissenschaft auf den Prozess der (damals noch nicht als solche bezeichneten) Globalisierung gelenkt

204 Schon eine nähere Betrachtung des Begriffes „international“ erhellt, warum beispielsweise rechtliche Strukturen im Zusammenhang mit global operierenden Wirtschaftsakteuren nicht zutreffend als international bezeichnet werden können. Hierbei handelt es sich nämlich nicht um ein Handeln inter nationes, also das Interagieren mehrerer Staaten miteinander, sondern vielmehr um das Handeln einzelner (Privat-)Rechtssubjekte über Staatsgrenzen hinweg, bzw. durch diese hindurch (trans-). 205 Jessup, Transnational Law, 1956, S. 2, Hervorhebung vom Verfasser. 206 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (516). 207 Im Überblick: Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 192 f.; vgl. auch Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 2. 208 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (267).

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zu haben. Dem Konzept vom transnationalen Recht ist es hierbei zu verdanken, dass sich die Rechtswissenschaft dabei nicht unter Verweis auf womöglich überkommene Kategorisierungen und Dogmen den Zugriff auf neu entstehende und mitunter nicht auf den ersten Blick als Recht erkennbare Erscheinungen versperrt hat. Oftmals scheinen die in grenzüberschreitenden Beziehungen wirkenden Steuerungsmechanismen nämlich gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie sich weder dem binnenstaatlichen Recht allein, noch dem Völkerrecht zuordnen lassen, da ihre Urheber einer zunehmend ausdifferenzierten Akteursstruktur aus über-, unter- und zwischenstaatlichen Entitäten entstammen.209 Dieses bis dato kaum untersuchte Feld dem rechtswissenschaftlichen Zugriff erschlossen und vor allem der entsprechenden Diskussion einen Oberbegriff gegeben zu haben, darf mithin als eine erste wichtige Leistung des Konzepts vom transnationalen Recht bezeichnet werden.210 2. Unterschiedliche Verwendungen Der Begriff des transnationalen Rechts hatte seinen Ausgangspunkt zunächst also in einem sehr breiten Verwendungskontext. Hierbei hatte er vor allem eine öffnende Funktion. Als transnationales Recht verstanden nahm Jessup eine Erweiterung des Völkerrechtsbegriffes um alles, was grenzüberschreitende Sachverhalte betrifft, aber nicht in die tradierten Kategorien des Völkerrechts oder des internationalen Privatrechts zu passen vermochte, vor. Bereits in dieser Öffnung des Völkerrechtsbegriffs war allerdings ein Problem angelegt: Je weiter der Völkerrechtsbegriff durch die Chiffre „transnational“ anwuchs, umso schwerer schien er sich noch fassen zu lassen. In der Folge tauchte der Begriff vom transnationalen Recht in allen erdenklichen Konstellationen auf, in denen es Phänomene zu beschreiben gilt, die „über den Nationalstaat hinaus, jenseits des Nationalstaates und über dessen Grenzen hinweg wirken.“ 211 Und das sind – kurz gesagt – unzählige. Mitunter stiftete der Begriff sogar Verwirrung, wo eigentlich schon Klarheit herrschte; für viele im Laufe der Jahre als „transnational“ benannte Konstellation sind bzw. waren oftmals bereits entsprechende Fachtermini etabliert.212 Das Bedürfnis, auch diejenigen Regeln, die sich weder binnen- noch zwischenstaatlichem Recht zuordnen lassen, dogmatisch zu erfassen und zu systematisie209

Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 21; S. 74. Peters, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft: Wider den epistemischen Nationalismus, ZaöRV 2007, S. 721 (760), konstatiert auch rund 50 Jahre nach Erscheinen von Transnational Law von daher noch: „Philip Jessups Konzept des transnationalen Rechts ist zukunftweisend.“ 211 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 69. 212 Beispiele hierfür bei N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 24 ff. 210

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ren, blieb jedoch ungebrochen und so wurde in einer schier endlosen Reihe von Publikationen der Versuch unternommen, Jessups Ideen mehr Kontur zu verschaffen. Dabei haben sich so unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen vom transnationalen Recht herausgebildet, dass deren einzige Gemeinsamkeit manchmal lediglich noch in der Verwendung des Attributes „transnational“ zu liegen scheint. Auch in der politikwissenschaftlichen Literatur ist der Begriff zwischenzeitlich zu einem vieldiskutierten Charakteristikum der internationalen Beziehungen avanciert.213 Mehr und mehr schlich sich der Verdacht ein, dass – mangels Übereinstimmung in der begrifflichen Bedeutung – als transnational letztlich „alles oder nichts“ 214 bezeichnet werden könne, was in irgendeiner Weise grenzüberschreitende Phänomene berühre, der Begriff also für einen gewinnbringenden wissenschaftlichen Diskurs ausgedient habe. Gleichwohl geben insbesondere in jüngerer Zeit etwa von Calliess erfolgte Definitions- und Systematisierungsansätze Anlass zur Hoffnung. Nachfolgend sollen nun nicht sämtliche je vorgeschlagenen Definitionen erneut und ausführlich dargestellt werden, dies ist an anderer Stelle bereits mehrfach unternommen worden.215 Vielmehr soll auf den dabei gewonnenen Erkenntnissen aufgebaut und auf bereits erfolgreich entwickelte Systematisierungen zurückgegriffen werden. Eine erste Übersichtlichkeit auf der Suche nach dem spezifisch Transnationalen kann durch eine grobe Zweiteilung der in der Diskussion befindlichen Konzepte erreicht werden. Die vorgeschlagenen Konzepte lassen sich nämlich in eher rechtsbegriffsbezogene (post-etatistische) Ansätze einerseits und eher prozessorientierte (funktionale) Ansätze andererseits unterscheiden.216 Erstere Definitionen halten zwar an der kategorialen Erweiterung des Rechtsbegriffs, wie sie auch Jessup vorgeschlagen hatte, fest, versuchen jedoch den Untersuchungsgegenstand weitgehend auf die other rules zu verengen: Transnationales Recht wird insofern (nur) als eine neue, jedoch völlig eigenständige Rechtskategorie neben inner- und zwischenstaatlichem Recht angesehen.

213

Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 69. Ebenda, S. 70. 215 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 24 ff.; Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 69 ff.; Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 319 ff.; Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 145 ff.; Calliess/Zumbansen, Rough Consensus and Running Code, 2010, S. 27 ff.; Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 ff. 216 Dieser Einteilung folgen etwa Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 ff.; Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 69 ff. Eine Differenzierung nach Bezugspunkten schlägt z. B. Viellechner vor, der die unterschiedlichen Konzepte anhand von Gegenstand, Wirkung, Inhalt und Urheber abgrenzt, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 165 ff. 214

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Letztgenannter Ansatz hingegen sucht (häufig unter der Bezeichnung Transnationalisierung) nicht allein eine kategoriale Erweiterung des Rechtsbegriffs, als vielmehr eine umfassende Beschreibung der globalisierungsbedingt veränderten Rechtsentstehungsprozesse insgesamt vorzunehmen. Diese beiden Verwendungsarten sollen im Folgenden dargestellt werden. Welcher der Vorzug zu geben ist, wird im Anschluss daran geklärt. a) Post-etatistische Ansätze: Transnationales Recht als eigene („dritte“) Rechtskategorie Die post-etatistischen Ansätze bilden den Versuch ab, mit transnationalem Recht ein autonomes, weder staatliches noch zwischenstaatliches (aus der Völkerrechtsperspektive also ein „drittes“ 217), mithin nicht-staatliches Recht zu beschreiben. Den Hintergrund für diese Annahmen bildet – in Anlehnung an den von Ehrlich geprägten Begriff des lebenden Rechts218 – ein zwangsläufig rechtssoziologisch beeinflusstes Rechtsverständnis, in dem sich nicht zuletzt die rechtspluralistische Grundhaltung der transnationalen Theorie zeigt: Nicht allein einem nationalen oder internationalen (hoheitlichen) Gesetzgeber, sondern auch zivilgesellschaftlichen Prozessen und Strukturen wird rechtserzeugende Kraft zugemessen.219 Als „drittes Recht“ verstanden bezeichnet es „von nationalem Recht gelöste, rechtsordnungsübergreifende Rechtsgrundsätze“ 220 oder Vertragsrecht vorwiegend des internationalen Handels und der Privatwirtschaft.221 Transnationales Recht sind diejenigen „Regelsätze, die im Rechtsverkehr zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren im Raum ,jenseits des Staates‘ entstehen“.222 Es fungiert als gleichsam verengendes – als transnationales Recht werden nur noch die von Jessup ins Spiel gebrachten other rules bezeichnet – wie konkretisierendes Er-

217 Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht: Private Ordnung und staatlicher Rahmen, in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? 2004, S. 160 (165); ders., Transnationales Verbrauchervertragsrecht, RabelsZ 2004, S. 244 (254); ebenso Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (52). 218 Ehrlich, Grundlegung zur Soziologie des Rechts, 1913, S. 393 ff. 219 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (10); vgl. auch Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (255 ff.). 220 Diese Definition verwenden Berger/Dubberstein/Lehmann/Petzold, Anwendung Transnationalen Rechts in der internationalen Vertrags- und Schiedspraxis, ZvglRWiss 2002, S. 12 (22). 221 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 179. 222 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (387).

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klärungsmuster: Transnationales Recht sind „[a]ll kinds of principles and rules of non-national or a-national character used in international business practice as an alternative to domestic law“ 223. Damit ist vom transnationalen Recht in erster Linie also das von internationalem Handel, Unternehmen oder Kaufleuten geschaffene Recht, die vieldiskutierte sog. lex mercatoria, erfasst.224 Ähnlich der Entstehung von Gewohnheitsrecht sollen hierbei privat erzeugte Regeln vor allem durch die Häufigkeit ihrer Anwendung („Rechtsproduktion durch Selbstreferenz“ 225) eine solche Verdichtung erlangen, dass von Rechtskraft gesprochen werden müsse.226 Stein spricht insofern von der Zirkularität reflexiver Mechanismen, die imstande sei, durch eben die Beschränkung auf sich selbst ein völlig autonomes Recht zu erzeugen.227 Anders als jedweder soziale Zwang (alles, woran der Mensch sein Verhalten orientiert) oder ein systemtheoretisches Rechtsverständnis (Recht ist alles, das der binären Codierung Recht/Unrecht folgt) sei transnationales Recht dadurch gekennzeichnet, dass innerhalb der Funktionsregime „zugleich Prozesse institutionalisiert sind, die diese Beurteilungsoperationen ihrerseits bindenden Entscheidungen [. . .] unterwerfen.“ 228 Da sich diesbezügliche Arbeiten tatsächlich überwiegend auf leider oftmals abstrakte Untersuchungen einer (wie auch immer gearteten) lex mercatoria beschränken, ist transnationales Recht in der Lesart einer „dritten“ Rechtskategorie im Wesentlichen also privat erzeugtes Wirtschaftsrecht. Gleichwohl soll die Herausbildung dieser Art völlig autonomen Rechts beispielsweise auch in den Bereichen Internet (lex digitalis) oder Sport (lex sportiva) und letztlich allen Segmenten der globalen Gesellschaft zu beobachten sein.229

223 Bonell, The UNIDROIT Principles and Transnational Law, Uniform Law Revue 2 (2000), S. 199 (199). 224 Umfassend zur lex mercatoria: Berger, The Creeping Codification of the New Lex Mercatoria, 2010, S. 53 ff. 225 Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht: Private Ordnung und staatlicher Rahmen, in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? 2004, S. 160 (171). 226 Zum ganzen Berger/Dubberstein/Lehmann/Petzold, Anwendung Transnationalen Rechts in der internationalen Vertrags- und Schiedspraxis, ZvglRWiss 2002, S. 12 (12 ff.). 227 Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 164 ff. 228 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (52). 229 Michaels, Was ist nichtstaatliches Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 39 (45). Weitere empirische Studien mit post-etatistischem Ansatz bei Gessner, Contractual Certainty in International Trade: Empirical Studies and Theoretical Debates on Institutional Support for Global Economic Exchanges, S. 31 ff.; speziell für das Recht der Domainvergabe Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, dort S. 127 ff.

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b) Kritik am post-etatistischen Ansatz Im post-etatistisch verstandenen transnationalen Recht (der lex mercatoria) soll Rechtserzeugung also losgelöst vom Staat funktionieren können. Ein entwickelter Rechtsbegriff setzt neben der Rechtserzeugung allerdings auch dessen Anwendung und Durchsetzung voraus.230 Im Rahmen der Rechtsanwendung und -durchsetzung transnationalen Rechts (in seiner post-etatistischen Lesart) spielt das System der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit die zentrale Rolle.231 Die Funktion der Rechtsanwendung obliegt – entsprechende Schiedsklauseln vorausgesetzt – hierbei tatsächlich verbreitet nicht-staatlichen Gerichten. Im Hinblick auf den Anspruch völliger Losgelöstheit von staatlichen Institutionen erscheint hingegen die Rechtsdurchsetzung problematisch: Nach der „UN Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards“ (New York Convention) können private Schiedsgerichtsurteile zwar in mehr als 150 Staaten weltweit vollstreckt werden.232 Diese stützen sich – wie mit einem post-etatistischen Rechtsbegriff zumindest angenommen wird – auch auf privat erzeugtes Recht. Allerdings sind es die Vertragsparteien der New York Convention – also Staaten! –, die eine entsprechende Übereinkunft über die Möglichkeit der Rechtsanwendung erst geschaffen haben. Und schließlich bleibt auch das letzte – für die normative Qualität autonomen Rechts womöglich entscheidende – Glied in der Kette stets eine staatliche Vollstreckungsbehörde, ohne die jeder Schiedsspruch letztlich wertlos sein muss.233 Was bleibt, ist eine letztinstanzliche Abhängigkeit der vermeintlich autonomen Rechtsordnung „von staatlichen Zwangsapparaten [. . .].“ 234 Damit jedoch könnte das post-etatistisch verstandene transnationale Recht seinen Anspruch völliger Losgelöstheit vom Staate nicht einlösen.235 230 Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht: Private Ordnung und staatlicher Rahmen, in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? 2004, S. 160 (166 ff.); Maurer, Lex Maritima. Grundzüge eines transnationalen Seehandelsrechts, 2012, S. 23. 231 Diese Tatsache erklärt auch, warum Untersuchungen zum transnationalen Recht als „dritter Rechtskategorie“ vor allem die lex mercatoria mit ihrem weitverzweigten Schiedsgerichtsbarkeitssystem beleuchten. 232 Eine Auflistung der Mitgliedstaaten findet sich unter http://www.newyorkcon vention.org/contracting-states/list-of-contracting-states, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 233 In diesem Sinne auch Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 180: „Ein solcher Begriff [. . .] übersieht aber, dass an solchen Rechtsetzungsprozessen auch staatliche Akteure beteiligt sein können.“ 234 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (387 f.). 235 Anders sähe dies nur aus, wenn man wie Teubner auf das Kriterium (absolut) zwangsbewehrter Rechtsdurchsetzung verzichtet und die Sanktionierbarkeit einer Norm als reinen Symbolismus betrachtet: Die „Sanktion verliert ihre angestammte Rolle als Zentralkonzept zur Definition des Rechts, zur Abgrenzung von Rechtssphäre und So-

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Eine weitere Kritik am transnationalen Recht als kategorial eigenständigem, „drittem“ Recht setzt an der zuvor beschriebenen „Zirkularität“ an, der zufolge es sich praktisch aus sich selbst heraus erschafft. Diese Kritik lässt sich am deutlichsten anhand des Paradoxon vom rechtsordnungslosen236 oder sich selbst validierenden237 Vertrag veranschaulichen: Kein Vertrag kann – soweit er für die Vertragsparteien zur Interessendurchsetzung von Wert sein soll – ohne die Anerkenntnis vertragsrechtlicher Grundsätze entstehen. Jedes aus Verträgen ableitbare oder geschaffene Recht braucht zunächst eine dieses Recht auch anerkennende und damit den Vertrag in Kraft setzende Rechtsordnung. Wo aber ein Vertrag (oder aus Verträgen emergierendes Recht) ex nihilo entstehen soll, fehlt es an einer vertrauensbegründenden Institution. Das wiederum bedeutet für die als selbstreferenziell oder reflexiv238 charakterisierte lex mercatoria: Selbst wenn sich die Rechtsentstehungs- oder Rechtsanwendungsinstitutionen weitgehend von staatlichen Institutionen abgekoppelt haben, bedarf es denknotwendig immer noch eines initialen Geltungsbefehls der ursprünglich zugrundeliegenden Verträge. Ähnlich der Vorstellung einer gedachten Grundnorm im staatlich-positiven Recht benötigt eine allein auf das „lebende Recht“ der Verträge gründende autonome Rechtsordnung einen Anwendungsbefehl, der zunächst den Vertrag als solchen kreiert und die Übereinkunft über dessen ursprüngliche Geltung beinhaltet. Diesen Anwendungsbefehl – so lautet der Einwand – kann sich eine wie auch immer geartete lex mercatoria gerade nicht selbst erteilen, da andernfalls das Paradox der vertraglichen Selbstvalidierung unaufgelöst im Raum stünde. Anders gewendet: Wenn die lex mercatoria aus dem Recht der Verträge heraus transnationales Recht erschaffen haben soll, kann dieses gleichwohl nicht als eigenständiges Recht angesehen werden, da hierfür zunächst irgendjemand irgendwodurch das Institut des Vertrages selbst erschaffen haben muss.239 zialsphäre und des Globalen vom Nationalen. [. . .] In den aktuellen Debatten werden Sanktionen jedoch eher in der Rolle einer symbolischen Unterstützung zur Normierung gesehen. Die symbolische Realität rechtlicher Geltung wird nicht mehr über Sanktionen definiert. [. . .] Wenn ein spezialisierter Rechtsdiskurs ebenso wie der Wirtschaftsdiskurs weltweite Geltung beansprucht, ist es unerheblich, woher die symbolische Unterstützung seines Geltungsanspruchs qua Sanktion stammt, sei es von lokalen oder regionalen, sei es von nationalen Institutionen.“ Teubner, Globale Bukowina: Zur Emergenz eines transnationalen Rechtspluralismus, RJ 1996, S. 255 (271). 236 Reimann, Zur Lehre vom „rechtsordnungslosen“ Vertrag, 1970, S. 60: „Der Vertrag ist keine originäre Rechtsquelle. Allein das Recht verleiht ihm Verbindlichkeit.“ 237 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (270). 238 Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 164 ff. 239 Dem Paradox der Selbstvalidierung stehen verschiedene Auflösungsversuche gegenüber. Teubner beispielsweise sieht in der gegenwärtigen Ausprägung der Schiedsgerichtsbarkeit eine so weit fortgeschrittene Loslösung von den ursprünglichen, das Vertragsrecht in Kraft setzenden Rechtsordnungen, dass hierin bereits eine „Entparadoxierung durch Externalisierung“ zu erblicken sei. Ausführlich bei Teubner, Globale

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c) Funktionale Ansätze: Transnationalisierung als Prozess und transnationales Recht als Methode Ein zweiter, gegenüber dem rein rechtsbegriffsbezogenen post-etatistischen Ansatz allerdings erheblich breiterer Verwendungskontext ist ein funktionaler Ansatz. Insofern ist nicht nur von transnationalem Recht die Rede, sondern, das Prozess- und Methodenhafte dieses Ansatzes betonend, verbreitet auch von Transnationalisierung240 oder allgemeiner der Theorie transnationaler Rechtsprozesse241 (im angelsächsischen Sprachraum: Theory of Transnational Legal Process242). Von einem funktionalen Verständnis ausgehend, ist von transnationalem Recht oder Transnationalisierung, grob gesagt, stets dann zu sprechen, wenn Prozesse der Internationalisierung des Rechts und Prozesse der Rechtsprivatisierung zusammentreffen.243 Oftmals bildet transnationales Recht dann den Versuch ab, das Verhältnis zwischen Globalisierung und Recht zu bestimmen.244 Bezugsobjekt transnationalen Rechts (bzw. der Transnationalisierung) ist dabei allerdings kein bestimmter Rechtsbegriff oder Rechtstypus mehr, sondern das gesamte Forum nicht-staatlicher und nicht-zwischenstaatlicher Rechtsprozesse – eine bildlich auch als „transnationaler Raum“ 245 bezeichnete Figur. Die Untersuchung von Transnationalisierung meint dann die Analyse der Rechtsprozesse innerhalb dieses Raumes. Transnationales Recht ist somit kein bestimmtes Rechtsgebiet sondern eine Rechtsmethode246, es steht „für eine Methode des Rechts und der Rechtswissenschaft, mit Globalisierungsprozessen umzugehen, die staatliches Bukowina, RJ 1996, S. 255 (270 ff.). Noch andere Versuche setzen auf der Ebene des Rechtsbegriffs selbst an: Mit Michaels und einem von ihm vorgeschlagenen „relativen Rechtsbegriff“ könne erreicht werden, dass es auf eine ursprüngliche Validierung der Verträge von vornherein gar nicht ankomme, da das entscheidende Kriterium für das Vorliegen von Recht in dem jeweiligen systemischen Selbstverständnis liege: „[J]edes System [bestimmt] selbst, ob es sich als Recht betrachtet oder nicht.“ Michaels, Was ist nichtstaatliches Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 39 (53). 240 Vgl. Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013; Zumbansen, Methodenlehre und Legitimation: Transnationales Recht als Politische Rechtstheorie, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 557 (563). 241 Hanschmann, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (375 ff.). 242 Vgl. statt vieler Koh, Transnational Legal Process, Nebraska Law Review 75 (1996), S. 181 ff. 243 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (11). 244 Zumbansen, Methodenlehre und Legitimation: Transnationales Recht als Politische Rechtstheorie, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 557 (581). 245 Ladeur/Viellechner, Die transnationale Expansion staatlicher Grundrechte. Zur Konstitutionalisierung globaler Privatrechtsregimes, in: Vesting/Augsberg (Hrsg.), Das Recht der Netzwerkgesellschaft, 2013, S. 665 ff. 246 Zumbansen, Methodenlehre und Legitimation: Transnationales Recht als Politische Rechtstheorie, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 557 (569). Zuletzt ausdrücklich auch Kemmerer, Völkerrecht im Wandel: Die Stimme der Hegemonen, FAZ v. 30.03.2016.

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Recht mit seinem Instrumentarium nicht bewältigen kann.“ 247 Diesem umfangreichen und methodenhaften Ansatz geschuldet, sind funktionale Definitionen transnationalen Rechts häufig entsprechend vielschichtig. Viellechner versteht unter transnationalem Recht diejenigen Regelungsstrukturen, die erstens grenzüberschreitende Sachverhalte betreffen, zweitens sowohl individuelle Beziehungen als auch Gegenstände von allgemeinem Interesse betreffen, drittens überwiegend, aber nicht ausschließlich von privaten Akteuren gesetzt werden und viertens von allgemeinen Rechtsgrundsätzen i. S. v. Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofes ergänzt werden.248 Einen Schwerpunkt auf das Methodenhafte und Prozessorientierte setzt der Definitionsansatz von Gralf Peter Calliess, der ebenso wie Viellechner in dem ausdrücklichen Bestreben, unterschiedliche Verwendungskontexte zu harmonisieren, transnationales Recht wie folgt definiert: „Transnationales Recht ist ein institutioneller Rahmen für grenzüberschreitende Interaktion, Transaktion und Kommunikation jenseits des Nationalstaats. Im Unterschied zum territorial und hierarchisch organisierten nationalen und internationalen Recht ist es in eine Vielzahl funktional spezialisierter Rechtsregimes fragmentiert, die in pragmatischer Weise verschiedene Institutionen privater [. . .] und staatlicher [. . .] Herkunft kombinieren, wobei letztere aus ihrem nationalen Kontext entbettet werden.“ 249

Auch in der amerikanischen Rechtstheorie wird transnationales Recht verbreitet nicht nur auf die other rules im Sinne Jessups beschränkt. Neben anderen vertritt insbesondere H.H. Koh eine entsprechende Konzeption des „Transnational legal process“, in deren Mittelpunkt ebenfalls eine möglichst umfassende Analyse der Entstehung von Normativität im transnationalen Raum insgesamt steht: „Transnational legal process describes the theory and practice of how public and private actors – nation-states, international organizations, multinational enterprises, non-governmental organizations, and private individuals – interact in a variety of public and private, domestic and international fora to make, interpret, enforce, and ultimately, internalize rules of transnational law.“ 250

Der Hauptunterschied zu post-etatistischen Ansätzen ist also derjenige, dass nicht allein die größtmögliche Staatsferne das entscheidende Distinktionselement transnationalen Rechts ist. Mit dessen funktionaler Interpretation soll vielmehr 247 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (14). 248 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 181. 249 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (3). Ähnlich bereits Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 219. 250 Koh, Transnational Legal Process, Nebraska Law Review 75 (1996), S. 181 (183 f.); vgl. ders., Transnational Legal Process After September 11th, Berkeley Journal of International Law, 22 (2004), S. 337 (339).

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ganzheitlich untersucht werden, wie Rechtsbildung funktioniert, wenn diese „zunehmend entterritorialisierten Funktionslogiken folgt.“ 251 Dabei werden im Gegensatz zu den post-etatistischen Ansätzen jedoch auch hoheitliche Strukturen explizit in die Vorstellung von Transnationalisierung miteinbezogen. Für die Regelung eines Sachverhalts werden demnach unterschiedlichste Rechtsregelungen – darunter durchaus auch solche nationaler oder supranationaler Rechtsordnungen – miteinander kombiniert. Von zentraler Bedeutung ist dabei dann die Annahme, dass es nicht bei dieser Kombination bleibt, sondern die Rechtsregeln im transnationalen Raum durch informelle Normen erweitert, ergänzt oder sogar überlagert werden.252 Auch im funktional verstandenen transnationalen Recht (anders gesagt: unter den Bedingungen der Transnationalisierung) stehen Vertragsregime, Sozialnormen und Selbstregulierung sowie deren Rechtsqualität im Zentrum.253 Anders als in der Rechtswissenschaft üblich sind somit auch mit dem funktionalen Ansatz von Transnationalisierung nicht länger ausschließlich (unbestritten) positive Rechtsnormen und deren Bedeutungsgehalt von Interesse. Den primären Untersuchungsgegenstand bildet allerdings nicht ein Einzelphänomen, wie ein durch einen bestimmten Urheber definierter Normentypus. Gegenstand der Transnationalisierung sind all diejenigen „dynamischen Prozesse, in denen nationalstaatliche Regierungen, internationale Organisationen, multinationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, professionelle Expertennetzwerke und private Individuen mit der Interpretation und Anwendung transnationaler Rechtsnormen befasst sind.“ 254 Nicht länger eine bestimmte Kategorie von Normen, sondern das Zusammenspiel von Normen unterschiedlichster Provenienz ist also in der Transnationalisierung von Bedeutung. Darüber hinaus erhebt das Konzept vom transnationalen Recht in seiner funktionalen Lesart den Anspruch, dessen effektive Implementierung angemessen beschreiben zu können;255 ein Anspruch, mit dem der Untersuchungsansatz des transnationalen Rechts in die Nähe der Governanceforschung rückt.256 d) Kritik am funktionalen Ansatz Einen Ausgangspunkt der funktionalen Ansätze bildet vielfach die Überlegung, dass es – zumindest in der Radikalität post-etatistischer Ansätze – schlicht251

Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 250. Renner, Transnationalisierung in Wirtschaft, Recht und Gesellschaft, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 225 (233 f.); Hervorhebung vom Verfasser. 253 Zumbansen, Methodenlehre und Legitimation: Transnationales Recht als Politische Rechtstheorie, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 557 (565). 254 Hanschmann, Theorie transnationaler Rechtsprozesse, in: Buckel/Christensen/ Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (385). 255 Ebenda, S. 386. 256 Vgl. u III. 5. 252

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weg „kein transnationales Recht als eigenständige dritte Art von Recht“ 257 – geben kann. Transnationalisierung als Prozess ist danach also nicht bloß eine Reaktion des Rechts auf Pluralisierung258 und Fragmentierung259, sondern diskursintern eine Reaktion auf ein als zu eng empfundenes Lösungskonzept. Dessen Nachteile liegen auf der Hand: Jede Ausweitung des Anwendungsbereichs eines Begriffs birgt zwangsläufig auch Einbußen für dessen Trennschärfe. Als komplexer Analyserahmen gedacht, bietet transnationales Recht in der funktionalen Lesart zwar einen vielversprechenden methodischen Ansatz, dieser lässt sich aber nur schwer unter der Klammer eines eigenen Rechtsbegriffs zusammenfassen: Nicht ganz zu Unrecht muss sich ein Begriff, der suggeriert, eine bestimmte Art von Recht (die Rede ist nach wie vor von transnationalem Recht) zu beschreiben, den Vorwurf gefallen lassen, auf der begrifflichen Ebene für Unklarheit zu sorgen.260 Insofern ist die sukzessive Einführung des Begriffs Transnationalisierung zumindest hilfreich.261 e) Kritische Würdigung beider Ansätze Für den Fortgang der Untersuchung ist zu klären, ob im Weiteren von einem post-etatistischen oder einem funktionalen Begriffsverständnis ausgegangen wird; mithin ist auch eine kritische Würdigung beider Ansätze erforderlich. Für ein rein rechtsbegriffsbezogenes post-etatistisches Verständnis spräche vor allem wohl die begriffliche Kohärenz, die ein solches mit sich bringt: Transnationales Recht wäre somit ein präzise zu fassender Rechtstypus; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein post-etatistisches Begriffsverständnis könnte eine klare kategoriale Verwendung des Begriffs und dessen saubere Abgrenzbarkeit zu anderen Phänomenen ermöglichen.262 Der immer wieder vorgetragenen Kritik, transnationales Recht als völlig autonomes Recht könne nicht existieren,263 lässt sich in der Tat auch gut mit dem Einwand Michaels begegnen, dass die Frage nach dem Rechtsbegriff nicht nur so alt wie die Rechtswissenschaft selbst, son257 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 246, Hervorhebung vom Verfasser. 258 Vgl. o. I. 259 Vgl. o. II. 260 Calliess, Transnationales Verbrauchervertragsrecht, RabelsZ 2004, S. 244 (247); Dasser, Internationale Schiedsgerichte und lex mercatoria, S. 65. 261 Gleichwohl sind in der Literatur keine Tendenzen auszumachen, den Begriff vom transnationalen Recht völlig aufzugeben. Vielmehr zeichnet sich eine zunehmend synonyme Verwendungen der Begriffe transnationales Recht, Transnationalisierung, bzw. Theorie transnationaler Rechtsprozesse ab. Im Folgenden sollen diese Begriffe auch hier weitgehend synonym verwendet werden. 262 In diesem Sinne wohl auch Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 165 ff. 263 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 246.

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dern bis heute eben auch unbeantwortet ist. Sehr wohl ließen sich mit einem relativen Rechtsbegriff 264 auch autonome Rechtsordnungen i. S. eines post-etatistisch verstandenen transnationalen Rechts als Recht bezeichnen. Wenn, von einem relativen Rechtsbegriff ausgehend, jedes System selbst bestimmt, ob es sich als Recht betrachtet oder nicht, wäre dies auch einer lex mercatoria oder sportiva möglich.265 Gleichwohl sprechen die gewichtigeren Gründe für ein funktionales Begriffsverständnis. Egal unter welchem Rechtsbegriffsverständnis man die Selbstvalidierung einer autonomen Vertragsrechtsordnung als Recht betrachtet, bleibt deren Entstehung durch reflexive Zirkularität ein fragwürdiger Vorgang (creatio ex nihilo). Als transnationales Recht verbliebe zwar eine konkret definierte, dafür aber der Sache nach höchst umstrittene Materie. Ohnehin stellt sich im Anschluss die Frage, was mit der ausschließlichen Beschränkung auf die other rules und deren Reformulierung als Recht eigentlich gewonnen wäre: Eine angemessene Beschreibung von Rechtsentstehung in der Globalisierung insgesamt – was gerade eines der Kernanliegen Jessups bei der Einführung des Begriffes war – ist mit dem alleinigen Fokus auf private Rechtssätze des internationalen Handels jedenfalls nicht zu leisten. Den Anspruch, als Erklärungsmuster für globale normative Strukturen insgesamt dienen zu können,266 könnte das transnationale Recht in seiner post-etatistischen Lesart jedenfalls nicht einlösen. Hinzukommt, dass Transnationalisierung, als Prozess verstanden, keineswegs den Blick auf etwaige autonome Rechtsordnungen versperrt. Nach wie vor liegt auch auf der Analyse privater Rechtsetzung ein Schwerpunkt der Perspektive. Funktionale Ansätze bieten jedoch den Vorteil, dass nicht stets dort, wo staatliche Einflüsse beobachtbar sind, ein Zugriff unterbleibt. Sämtliche in Betracht kommende Regelungsstrukturen in den Blick zu nehmen, erhöht zwar die Komplexität, bietet jedoch die Möglichkeit jeweils ein vollständigeres Bild einzelner Sachverhalte zu erzeugen, als es aus einer rein binnenstaatlichen oder rein völkerrechtlichen Perspektive möglich wäre. Dies erscheint umso vielversprechender, als im Hinblick auf zahllose nur noch vermeintlich binnenstaatliche Sachverhalte von einer umfassenden „transnationale[n] Durchdringung“ zahlreicher Lebensbereiche auszugehen sein soll.267 Darüber, dass der funktionale Ansatz sowohl hoheitliche als auch private Wirkmechanismen in den Blick nimmt, kann er letztlich auch Mischformen oder geteilte Zuständigkeiten zwischen hoheitlichen 264 Vgl. zum „Relativen Rechtsbegriff“ Michaels, Was ist nichtstaatliches Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 39 (53) sowie o. III. 2. b). 265 Michaels, Was ist nichtstaatliches Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 39 (53). 266 Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 41, Nachweis weggelassen. 267 Zumbansen, Methodenlehre und Legitimation: Transnationales Recht als Politische Rechtstheorie, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 557 (582 f.).

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und privaten Ebenen aufdecken. Wenn die Rechtsentstehung etwa auf der privaten Ebene stattfände, deren Durchsetzung jedoch mithilfe hoheitlicher Institutionen erfolgte, stünde ein auf völliger Staatsferne beharrendes post-etatistisches Recht vor dem Dilemma, dass es die fraglichen Prozesse streng genommen nicht mehr berücksichtigen dürfte. Genau diese Strukturen offenzulegen, erlaubt hingegen der rechtsmethodische Blick auf die Transnationalisierung. Mit Calliess soll hier also von einem funktionalen Begriffsverständnis ausgegangen und Transnationalisierung von einem methodischen Begriffsverständnis ausgehend als Prozess verstanden werden.268 f) Zwischenergebnis Mit einem funktionalen Verständnis transnationalen Rechts geht es nicht allein um einen bestimmten Rechtsbegriff oder ein bestimmtes Rechtsgebiet, sondern um einen umfassenden, eigenen methodischen Ansatz, eine eigene (Völkerrechts-)Theorie. Die Vielzahl funktional spezialisierter und zum Teil privater Rechtsregimes269, auf die es aus dieser Perspektive ankommt, muss konsequenterweise auch eine (theorieinterne) Rechtstypenpluralisierung bedeuten.270 Von einem funktionalen Verständnis transnationalen Rechts ausgehend, ist im Folgenden also darzustellen, welche Regelungsstrukturen genau von einer Theorie transnationaler Rechtsprozesse als relevant identifiziert und in die Untersuchung des Referenzgebietes einzubeziehen sein werden. 3. Das Recht in der Transnationalisierung: Rechtsbegriff, Typologie und Systematik im transnationalen Recht „Überall wachsen die Krebswucherungen privater Regulierungen, Vereinbarungen, Konfliktlösungen, [. . .] Rechtsbildung geschieht am Staat vorbei.“ 271

Die Rechtsquellenpluralisierung des globalen Rechtspluralismus, die, wie gezeigt, vom transnationalen Recht aufgegriffen wird, macht eine Gesamtbetrachtung all derjenigen (als normativ erheblich beurteilten) Strukturen erforderlich, die vom Rechtsbegriff der Transnationalisierung erfasst sein sollen. Im folgenden Abschnitt geht es darum, sämtliche von der Klammer des transnationalen Rechts zusammengehaltenen Regelungsstrukturen zu typologisieren und zu systematisie268 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (11). 269 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (3), Hervorhebung vom Verfasser. 270 Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Rechtsquellenpluralisierung, wie sie bereits mit dem globalen Rechtspluralismus festgestellt wird. Vgl. o. I. 271 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft?, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (438).

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ren. Dabei lautet die leitende, für die anschließende Untersuchung des Referenzgebietes zentrale Frage: Was genau ist eigentlich vom Rechtsbegriff des transnationalen Rechts erfasst und demzufolge in die weitere Untersuchung einzubeziehen und was nicht? Oder, mit Calliess gefragt: Wie genau muss der „Analyserahmen“ beschaffen sein, mit dessen Hilfe ein Sachverhalt aus der Perspektive des transnationalen Rechts betrachtet werden muss? Und – wenn es tatsächlich „überall“ 272 zu finden sein soll – wo genau und in welchen Institutionen ist danach zu suchen? In einem ersten Zugriff wird durch die geläufige Unterscheidung273 zwischen Hard Law und Soft Law eine gewisse Übersichtlichkeit erreicht.274 Das Nebenund Miteinander dieser beiden Kategorien kennzeichnet im Wesentlichen auch den spezifischen Blickwinkel der Theorie transnationaler Rechtsprozesse: Transnationalisierung findet gleichermaßen und auf allen Ebenen in nationalen, internationalen, ökonomischen oder anderen anationalen sozialen Prozessen statt.275 Dabei entstehende Hybridformen staatlichen und nicht-staatlichen Rechts sollen im Folgenden, an andere Publikationen anknüpfend, als „transnationale Regelungsstrukturen“ 276 bezeichnet werden. Mit Blick auf diese Regelungsstrukturen ist allerdings nicht die Nähe oder Distanz zum Nationalstaat von ausschlaggebender Bedeutung, sondern die umfassende Betrachtung aller für einen Sachverhalt relevanten Regelungen, „seien sie nun öffentlich, privat, hart oder weich.“ 277 272 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft?, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (438). 273 Vgl. Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 (151 ff.); Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, S. 79; Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 8 ff.; Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 224 ff. sowie S. 250 ff. 274 Der Begriff des Soft Law entstammt eigentlich der allgemeinen Völkerrechtslehre (zur näheren Begriffsbestimmung, s. u.) und beinhaltet – rein begrifflich – ein gewisses „Stigma der Nachrangigkeit“. Weiches Recht kann für sich genommen nur ein „Minus“ bedeuten. Hier soll dennoch an der Kategorisierung festgehalten werden, da diese nicht nur innerhalb der Theorie transnationaler Rechtsprozesse verbreitet ist, sondern darüber hinaus auch „theorieextern“ Orientierung zu schaffen imstande ist. Hierzu Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 85; vgl. zu dieser begrifflichen Stigmatisierung ebenfalls Graser, Sozialrecht ohne Staat? Politik und Recht unter Bedingungen der Globalisierung und Dezentralisierung, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 163 (166). 275 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (268). 276 Begriff nach Trute, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl 1996, S. 950 (951); ders./Kühlers/ Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (245); ders./Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 2004, S. 451 (457 ff.); vgl. hierzu ausführlich u. III. 3. c). 277 Zumbansen, Die Lehren der Lex Mercatoria, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 135 (144).

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Somit stellt sich zunächst die Frage nach einer innen- und außensystematischen Grenzziehung.278 Die Tatsache, dass überhaupt unterschiedlichste Rechtsbzw. Regelungstypen von Relevanz sein sollen, vermag nichts daran zu ändern, dass diesen innerhalb des transnationalen Rechts durchaus unterschiedliche Funktionen beizumessen sind, dementsprechend also taugliche Unterscheidungskriterien gefunden werden müssen. Und: Auch ein – wie auch immer konturiertes – Soft Law benötigt nicht zuletzt eine außensystematische Abgrenzung zu Phänomenen, die hiervon nicht mehr erfasst sein sollen.279 Das Hauptaugenmerk soll im folgenden Kapitel auf der Kategorie des Soft Law liegen, welche im Prozess der Transnationalisierung von überragender Bedeutung ist.280 Das Wie und Wo seiner Einbindung in die transnationalen Regelungsstrukturen bildet nachgerade den Kern der Theorie transnationaler Rechtsprozesse, die Scharniere zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Steuerungselementen zu identifizieren, einen weiteren Interessenschwerpunkt. Somit müssen zunächst also die Steuerungselemente des Soft Law einer Analyse unterzogen werden. Eine tiefergehende Untersuchung der Rechtsnatur einzelner klassischer Völkerrechtsquellen oder des staatlichen Rechts, die aufgrund des ganzheitlichen Anspruchs transnationalen Rechts ebenfalls zu dessen Betrachtungsgegenstand gehören, kann und soll hingegen nicht erfolgen. Im Rahmen der Untersuchung des Referenzgebietes werden die einschlägigen Regelungen zwar miteinbezogen, für die Darstellung des Analyserahmens des transnationalen Rechts, um die es an dieser Stelle geht, genügt allerdings der Hinweis, dass sie miteinbezogen werden. Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet im Folgenden die Untersuchung von Phänomenen außerhalb der staatsbezogenen Rechtsstrukturen. a) Hard Law – Die kanonischen Rechtsquellen des staatlichen und des Völkerrechts Als möglichst ganzheitlicher rechtsmethodischer Analyserahmen kann sich das transnationale Recht nicht auf Steuerungsinstrumente aus privater Feder be278 Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 8 f. 279 Und dies nicht nur eingedenk des stellenweise erhobenen Vorwurfs, dass sich mit dem universalistischen Ansatz des transnationalen Rechts die Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht auflöse, bspw. Kansaku, Private Ordering auf dem Finanz- und Kapitalmarkt, in: Assmann/Isomura/Kansaku/Kitagawa/Nettesheim (Hrsg.), Markt und Staat in einer globalisierten Wirtschaft, 2010, S. 145 (162); Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 24. 280 Überdies beinhaltet das Soft Law – im Unterschied zu den hier mit dem Begriff Hard Law zusammengefassten Regelungsstrukturen – die streitbaren und eigentlich neuartigen Elemente des transnationalen Rechts und verdient schon von daher die größere Aufmerksamkeit.

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schränken. Globales Recht erschöpft sich – auch heutzutage – keinesfalls in den Regelungen funktionaler Privatregime. Zu behaupten, (transnationales) Recht entstünde lediglich an der Peripherie des Rechts und ausschließlich in privaten Regimes, wäre schlicht absurd und käme im Ergebnis einem Reduktionismus gleich, wie er im Ausgangspunkt mit dem transnationalen Recht gerade überwunden werden sollte (nur unter anderen Vorzeichen).281 Wenn Transnationalisierung omnipräsent282 ist, dann muss die Untersuchung eines Referenzgebiets („auf dessen Transnationalisierung hin“) also auch alle potentiell bedeutsamen Rechtskreise mit abbilden. Damit können aus der Perspektive des transnationalen Rechts nicht allein die neuartigen Strukturen Berücksichtigung finden, wie sie im folgenden Abschnitt Soft Law283 untersucht werden. In eine qualitative Untersuchung, wie sie den Gegenstand dieser Arbeit bildet, müssen nationales Recht, ebenso wie die klassischen Quellen des Völkerrechts, d.h. Völkervertragsrecht, Völkergewohnheitsrecht, die allgemeinen Rechtsgrundsätze und – in Abhängigkeit der zugrundeliegenden Gründungsverträge – auch die „verbindlichen“ Beschlüsse internationaler Organisationen284, mit einbezogen werden. Soweit vorhanden, werden also die einschlägigen Regelungen dieser Kategorien Gegenstand der Untersuchungen zu den maritimen Sicherheitsdiensten sein. b) Soft Law – Steuerungsmechanismen außerhalb der klassischen Rechtsquellenlehre des Völkerrechts Umfassend diskussionsbedürftig ist hingegen die Kategorie des Soft Law. Dabei bereitet der Umstand, dass der Terminus Soft Law innerhalb der Theorie transnationaler Rechtsprozesse in anderer Weise Verwendung findet, als in der Völkerrechtslehre allgemein üblich, zunächst einige begriffliche Schwierigkeiten. Dies macht im Folgenden eine knappe Begriffsbestimmung und -abgrenzung erforderlich. aa) Soft Law in der klassischen Völkerrechtslehre Wenngleich das Phänomen des Soft Law auch innerhalb der klassischen Völkerrechtslehre hinsichtlich Natur, Inhalt oder Reichweite längst nicht unumstritten ist285, lassen sich doch einige handfeste Unterschiede zum Soft Law als kate281 Buckel, Empire oder Rechtspluralismus? Recht im Globalisierungsdiskurs, KJ 2003, S. 177 (187). 282 Senn, Transnationales Recht und öffentliches Recht zwischen Konvergenz und Divergenz, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 353 (368). 283 Vgl. u. b). 284 Im Überblick: v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 69 ff. 285 Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 2 ff.; Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 212.

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B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

gorialem Oberbegriff im transnationalen Recht herausstellen. An erster Stelle ist dabei zu erwähnen, dass Soft Law in der klassischen Völkerrechtslehre ausdrücklich als Nicht-Recht behandelt wird.286 Insofern ist die Bezeichnung Soft Law von vornherein irreführend, handelt es sich nach verbreiteter Auffassung ja gerade nicht um Recht. Die oftmals schwierige Einordnung der als Soft Law bezeichneten Phänomene macht es unter einem Völkerrechtsverständnis, das um die Aufrechterhaltung einer strengen Dichotomie von Recht und Nicht-Recht bedacht ist, jedenfalls unmöglich, selbiges als Recht anzuerkennen.287 Unbeschadet dessen, „sind sich auch die Juristen bewusst, dass es [. . .] praktisch um enorm wirkmächtige Formen der Handlungskoordination geht“ 288, soweit im Völkerrecht von Soft Law die Rede ist. In der allgemeinen Völkerrechtslehre werden als Soft Law diejenigen „Verhaltensregeln [bezeichnet], die weder von dem herkömmlichen Begriff der formellen Quellen des Völkerrechts erfasst noch mit einer aus völkerrechtlichen Verträgen abgeleiteten Rechtsverbindlichkeit ausgestattet werden.“ 289 „[S]oft law [. . .] covers all those social rules generated by State(s) or other subjects of international law which are not legally binding but which are nevertheless of special legal relevance.“ 290 Somit ergibt sich die zunächst etwas hölzerne (und für sich genommen wenig ertragreiche) Negativdefinition, dass vom Soft Law all diejenigen Verhaltensregeln erfasst sind, die nicht unter die in Art. 38 des IGH-Statuts kanonisierten Völkerrechtsquellen291 gefasst werden können, aber gleichwohl als Verhaltensregeln Beachtung verdienen sollen und die darüber hinaus an staatliches Handeln oder das Handeln anderer Völkerrechtssubjekte rückgebunden werden können. Präzisierung erfährt der Begriff der „wirkmächtigen Verhaltensregeln“ durch eine Reihe von Fallgruppen, die typischerweise Soft Law bezeichnen: Dies sind beispielsweise sog. gentlemen’s agreements, regierungsseitige Absichtserklärungen, außervertragliche Abmachungen, diplomatische Noten, unverbindliche Resolutionen und Deklarationen internationaler Organisationen oder sonstige Erklärungen von auslegungsleitender Bedeutung.292 Die Wirkmächtig286 Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2014, S. 506; Boyle/ Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 212. 287 Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 24. 288 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (394). 289 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 654. 290 Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 8. 291 Für einige zusätzliche Unsicherheit in der Begriffsbestimmung des „klassischvölkerrechtlichen“ Soft Law sorgt der Umstand, dass die in Art. 38 IGH-Statut genannten Völkerrechtsquellen nach überwiegender Auffassung nicht abschließend sind und dass dementsprechend die (theoretische) Möglichkeit bestünde, Soft Law auch innerhalb der allgemeinen Völkerrechtslehre als Recht zu begreifen. 292 Beispiele nach Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 654, Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 92 und v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 112.

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keit dieser Instrumente beruht in aller Regel darauf, dass sie als „Initiator“ oder „Katalysator“ fungieren und für die Interpretation des bestehenden Rechts oder die (anschließende) Entstehung von Völkervertrags- oder Gewohnheitsrecht von teils erheblicher Bedeutung sind.293 Stets jedoch weisen Instrumente des völkerrechtlichen Soft Law einen ausdrücklichen Bezug zu regierungsseitigem Handeln oder dem Handeln internationaler Organisationen294 (im Sinne der IGOs) auf und werden überdies im Bereich des Nichtrechtlichen verortet. bb) Soft Law im transnationalen Recht – Jessups „Other Rules“ als neue Muster von Normativität und genuin transnationale Regelungsstrukturen „It becomes a natural part of legal research [. . .] to integrate legal solutions, principles and rules from a variety of legal levels and cultures.“ 295

Auch im transnationalen Recht findet sich die Kategorie des Soft Law; auch dort fungiert sie als Oberbegriff für eine Reihe unterschiedlich gelagerter Phänomene. Insgesamt lässt sich sagen, dass das Rechtsverständnis der Transnationalisten gegenüber der klassischen Völkerrechtslehre bemüht ist, das mit der Zuschreibung soft verbundene „Stigma der Nachrangigkeit“ 296 zu revidieren. Wenngleich mit Hinblick auf Inhalt und Gegenstand des Soft Law im Völkerrecht zum Teil sogar Schnittmengen (oder zumindest Ähnlichkeiten) bestehen, liegt dem transnationalen Recht hinsichtlich der Natur des Soft Law eine gänzlich andere Auffassung zugrunde: Soft Law als Kategorie des transnationalen Rechts ist kein reines Beiwerk des Rechts mehr: „Bei den Rechtsquellen wird sich der Trend zum Soft Law in Vorbereitung und Ergänzung von hartem Recht, aber auch als dessen Substitut, fortsetzen.“ 297 „Immer mehr richtet sich der Blick auf [. . .] Steuerung in Form von Vereinbarungen, Deklarationen und anderen Formen solchen oft despektierlich als ,soft‘ bezeichneten Rechts.“ 298 Normativ erhebliche Steuerung auf globaler Ebene werde zunehmend durch Verhaltensnormen geprägt, die „nicht mehr auf die nach herkömmlicher Auffassung als

293

v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 112, Rn. 281. Ebenfalls in diesem Sinne und mit weiteren Nachweisen Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 207, dort Fn. 798. 295 Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 6, Nachweis weggelassen. 296 Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 85, Nachweis weggelassen. 297 Peters, die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft: Wider den epistemischen Nationalismus, ZaöRV 2007, S. 721 (723). Hervorhebung vom Verfasser. 298 Graser, Sozialrecht ohne Staat? Politik und Recht unter Bedingungen der Globalisierung und Dezentralisierung, in: Hertier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State, 2004, S. 163 (166). 294

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B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

Rechtssetzungsprozesse im engeren Sinne qualifizierten Normsetzungsverfahren“ zurückführbar sind.299 Transnationales Soft Law kann als „Einfallstor“ für den Zustand des globalen Rechtspluralismus und „Ausprägung eines neuen Völkerrechts“ begriffen worden.300 Recht entwickele sich in der Transnationalisierung zu einem „patchwork“ aus ethnischer, religiöser, vertraglicher, wirtschaftlicher, technisch-standardisierter oder anders motivierter Regelsetzung301; insbesondere die Standardisierungsaktivitäten privater und intermediärer Organisationen und sonstige, etwa in Zusammenarbeit von NGOs und Unternehmen erarbeitete kooperative Steuerungsmechanismen werden dabei in wachsendem Umfang diskutiert.302 Dass die Subsumtion von Standardsettings, Codes of Conduct oder ähnlichen Phänomenen unter den Begriff des Rechts letztlich diskussionswürdig bleibt, versteht sich praktisch von selbst. Diese Einordnung ist unter dem primär methodischen Selbstverständnis des transnationalen Rechts am Ende aber auch gar nicht entscheidend: Ob ein bestimmtes Regulativ der Sphäre des Rechtlichen zugewiesen wird oder nicht, ist von nachrangigem Interesse, solange es für einen Sachverhalt unter normativen Gesichtspunkten überhaupt relevant ist. Mit dem Selbstverständnis des transnationalen Rechts als einer Rechtstheorie ist es allerdings nur konsequent, diese Erscheinungen gleichwohl unter den eigenen Rechtsbegriff zu fassen, dort unter den Begriff des Soft Law.303 Und zumindest in einem Punkt herrscht Einigkeit: Unabhängig von der konkreten Beurteilung im Einzelfall führt der Bedeutungszuwachs des Soft Law dazu, dass die Grenzen zwischen verbindlichen und unverbindlichen Regeln, zwischen Recht und Nicht-Recht oder zwischen Hard und Soft Law zunehmend fließend verlaufen und über kurz oder lang in der Auflösung begriffen sind.304

299

Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 688. Gessner, Rechtspluralismus und globale soziale Bewegungen, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2002, S. 277 (295). 301 Teubner, Des Königs viele Leiber. Die Selbstdekonstruktion der Hierarchie des Rechts, in: Soziale Systeme 1996, S. 229 (242). 302 Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 688. 303 Die Zuschreibung soft besitzt im transnationalen Recht also weniger eine das „Nicht-rechtliche“ betonende als eine das Streitbare betonende Konnotation. 304 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (145); Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non State-Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (1); mit zahlreichen weiteren Nachweisen Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 204, dort in Fn. 790; demgegenüber wird etwa von Calliess/Zumbansen, Rough Consensus and Running Code, 2010, S. 255 ff., die Sinnhaftigkeit einer Differenzierung in Hard und Soft Law insgesamt in Frage gestellt; grundliegend kritisch gegenüber solchen Aufweichungen des Rechtsbegriffs: Kelsen, Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode, 1911, S. 5 ff. 300

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Die Gründe für diesen (im Vergleich zum allgemeinen Völkerrecht erheblichen) Bedeutungszuwachs305 des Soft Law im transnationalen Raum sind vielfältig, korrespondieren aber auch mit den bis hierher getroffenen Feststellungen: Er wird gemeinhin als Reaktion des Rechts auf die globale gesellschaftliche Fragmentierung und die damit einhergegangenen Souveränitätseinbußen staatlichen Handelns verstanden: Als vormals alleinige Protagonisten des Weltgeschehens büßen die Staaten zunehmend die Fähigkeit ein, mit eigenen Regelungsansätzen auf die Erfordernisse der globalisierten Welt zu reagieren; weder können sie diesen aufgrund ihrer territorial begrenzten Möglichkeiten im Alleingang, noch im beschränkten Rahmen internationaler Kooperation gerecht werden.306 Fehlende Bereitschaft zum Souveränitätsverzicht und ein oftmals mangelnder Wille zur Konsensbildung der Nationalstaaten verlangsamen die Regulierungsprozesse mit den Mitteln des Völkerrechts und bringen neuartige Regelungsformen ans Licht.307 In das „normative Vakuum [des] transnationalen Raum[es]“, das durch die begrenzten Problemlösungskapazitäten der Staaten und eine gleichzeitig empfundene „Kraftlosigkeit des Völkerrechts“ entsteht, stoßen nun die informellen Regelungen des transnationalen Rechts.308 Diese informellen Regelungen sollen hier unter dem Begriff Soft Law zusammengefasst und analysiert werden. Im Unterschied zum klassischen Begriffsverständnis des Völkerrechts konstituieren sich die verschiedenen Erscheinungsformen des Soft Law im transnationalen Recht also nicht mehr über einen irgendwie gearteten Staats- oder Regierungsbezug; „[d]eparting from the traditional state-centered approach to public international law, Soft Law is not to be understood as being developed exclusively by states.“ 309 Jedwede Form von Regelungen auch privater oder informeller Natur ist im transnationalen Recht von Interesse – oftmals schon alleine aufgrund dessen, dass sie „von vielen Regelungsadressaten beachtet werden“ 310 (dies ist bereits von daher bemerkenswert, dass private oder informelle Normen bislang kaum im Interesse der Völkerrechtswissenschaft standen311). Im transnationalen Recht erfahren sie nun eine Aufwertung als Bestandteil des Rechts 305 Die Rede ist sogar von einer „Flucht ins Soft Law“. Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (394). 306 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 22. 307 Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (163); Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben, Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (295). 308 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (4). 309 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben, Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (248 f.). 310 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, S. 144, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards. 311 Renner, Transnationalisierung in Wirtschaft, Recht und Gesellschaft, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 225 (234).

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und eine Systematisierung in Form unterschiedlicher Arten des Soft Law.312 Nicht zuletzt soll infolgedessen mit der Emergenz des transnationalen Rechts also das vieldiskutierte „blurring of the public and the private sectors“ 313 zu beobachten sein. Entscheidend für die Deutung des Soft Law als Bestandteil des Rechts ist hierbei zweierlei: Zum einen entsteht es aus der Perspektive einer Theorie transnationaler Rechtsprozesse gerade nicht allein aufgrund informeller Verhaltenskoordination, sondern innerhalb einzelner gesellschaftlicher Teilsysteme in organisierten Entscheidungsprozessen und demzufolge „kraft positiver Setzung“.314 Unerlässlich für das Verständnis dieser Uminterpretation des Soft Law zu Recht ist somit also auch ein Blick auf dessen Entstehung, was im späteren Verlauf der Untersuchungen einen Blick auf die Urheber der hier als Soft Law identifizierten Regelungen erforderlich macht.315 Kann in Bezug auf die Genese der informellen Regelungen wirklich von „positiver Setzung“ gesprochen werden oder ist nicht genau diese Annahme ein Widerspruch in sich? Zum anderen ist sämtlichen hier untersuchten (informellen) Regelungen gemein, dass sie – systemtheoretisch als Kommunikation betrachtet – der von Niklas Luhmann geprägten binären Codierung in Recht/Unrecht folgen, womit sie sich beispielsweise auch von schlichter ökonomischer Rationalität (die ihrerseits etwa nach dem Muster Gewinn/Verlust und eben nicht Recht/Unrecht codiert wäre) oder sonstigen sozialen Zwängen abgrenzen lassen. Die Codierung Recht/ Unrecht besitzt ihrerseits keine Festlegung auf staatliches Recht, sondern ist lediglich eine dem Kommunikationselement inhärente Struktur.316 Transnationales Recht bildet dann das durch den globalen Rechtspluralismus ausgemachte Nebeneinander verschiedener kommunikativer Prozesse ab, die soziale Handlungen auf einem bestimmten Feld unter dem binären Code Recht/Unrecht beobachten.317 Sobald nun einzelne Phänomene des Soft Law mithilfe der Distinktionsmöglichkeit dieser Codierung beobachtet werden und sich feststellen lässt, dass diese die implizite oder explizite Codierung Recht/Unrecht in sich tragen, können sie in der ganzen Bandbreite des Rechtspluralismus vom offiziellen Recht 312 Diese Aufwertung fordert in aller Deutlichkeit Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (33): „Rechtswissenschaft, die sich ausschließlich mit ,Recht‘ in einem engen Sinn der staatlich gesetzten Norm befassen wollte, würde ihre eigene Bedeutung als Sozialwissenschaft beschneiden.“ 313 Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (1). 314 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 44. 315 Vgl. u. III. 4. 316 Vgl. Baraldi/Corsi/Esposito, GLU Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, 1997, S. 33 ff. 317 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (272).

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des Staates bis hin zu einem inoffiziellen Recht der Weltmärkte als Bestandteil des (transnationalen) Rechts betrachtet werden.318 Die Aufwertung verschiedener informeller Steuerungsarrangements zu einem Bestandteil des transnationalen Rechts – und damit des Völkerrechts – ist natürlich alles andere als unangreifbar.319 Wo die nicht-autoritativen Rechtsordnungen des globalen Rechtspluralismus mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung rechtspolitische Bedenken320 aufgeworfen haben, wirft die Aufwertung informeller Regelungen zu (transnationalem) Recht rechtsdogmatische Bedenken auf: Die Zwangsbewehrtheit des Rechts und dessen formelle Rückbindung an die Institutionen des Staates galten in der Rechtswissenschaft des späten 19. und des 20. Jahrhunderts als geradezu unumstößliches Dogma.321 Mit dem Rechtsverständnis der Transnationalisierung („positive Rechtsetzung in gesellschaftlicher Selbstorganisation“) wird dieses Dogma allerdings faktisch aufgehoben. Denn was aus einer nationalen Perspektive die Rückbindung des Rechts an die zur Rechtsetzung befugten Organe des Staates ist, ist aus der Perspektive des Völkerrechts die Anbindung einer Regelung an das System der völkerrechtlichen Verträge oder deren Entsprechung im Rechtsquellenkanon322 des Art. 38 IGH-Statut. Daran, dass die transnationalen Regelungsarrangements diesen Vorgaben nun „entkommen“ sollen, zeigt sich nicht nur eine „radikalere Form von Rechtspluralismus“ 323, sondern auch, dass schon das Rechtsverständnis der Theorie transnationaler Rechtsprozesse mit seinem kraftvollen Begriff des Soft Law nur schwerlich mit anderen Rechtskonzeptionen in Einklang zu bringen ist. Im Folgenden werden die in der Diskussion befindlichen Erscheinungsformen des Soft Law systematisiert und jeweils einer eingehenderen Betrachtung unterzogen; die bisher so vagen Beschreibungen „informeller Regelungen“ sollen gründlich ausgeleuchtet werden. Wer genau sind die neuen Platzhalter im „normativen Vakuum“ des transnationalen Raumes? Diese unter dem Begriff Soft Law zusammengefassten einzelnen Regelungstypen variieren im Schrifttum zum Teil erheblich und sind hinsichtlich ihrer Rechtsqualität im Einzelnen umstritten; eine Schwierigkeit besteht mithin darin, 318

Ebenda, S. 272. Diese Annahme provoziert geradezu den Widerspruch, vgl. etwa Graf Vitzthum in der Diskussion zum Soft Law: „Recht ist Recht, wenn es von einem zur Rechtsetzung befugten Organ gesetzt wird. Entweder gilt es, oder es gilt nicht, ist also auch kein Recht.“ Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2013, S. 58. 320 Vgl. o. I. 2. c). 321 Vgl. etwa Ihering, Der Zweck im Recht I, 1893, S. 322: „Der vom Staate in Vollzug gesetzte Zwang bildet das absolute Kriterium des Rechts, ein Rechtssatz ohne Rechtszwang ist ein Widerspruch in sich selbst [. . .].“ Zitiert nach Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 28. 322 Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2013, S. 58. 323 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 249. 319

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eine (begrifflich zumindest in sich) kohärente und dabei möglichst vollständige Enumeration zu gewährleisten. Begriffliche Differenzen zu anderen Arbeiten bleiben dabei im Einzelfall unvermeidbar. Diese werden – so weit ersichtlich – gekennzeichnet. Die hier als Soft Law identifizierten Regelungsstrukturen bilden anschließend die methodische Grundlage für die nachfolgende Untersuchung des Referenzgebiets. (1) Standards, Normungen und Expertenrecht „The global arena is populated by a multitude of norm-makers and rule-producers, such as standards and standard-setting organizations“.324

Eine zentrale Rolle im Gefüge des Soft Law bekleiden Standards, Normungen oder auch sogenanntes Expertenrecht.325 Standards werden gerühmt als „neuer Normtyp des Zeitalters der Globalisierung“ 326 und mitunter zu den „wichtigsten Quellen“ des transnationalen Rechts gerechnet327; eine Bedeutung, die nicht zuletzt damit begründet wird, dass „heute jeder denkbare Sachbereich von gesellschaftlich-ökonomischer Relevanz in der einen oder anderen Form durch [. . .] Standards mitbestimmt ist.“ 328 Auch für den hier zu untersuchenden Bereich der maritimen Sicherheitsdienste sind (mittlerweile vielfach rezipierte) Standards publiziert worden.329 Dass der Standard demgegenüber nicht einmal ein definierter Rechtsbegriff ist – erst recht nicht auf globaler Ebene –, macht im Folgenden zunächst eine Begriffsbestimmung erforderlich. (a) Begriff, Gegenstand und Rechtscharakter Einem sehr weiten Begriffsverständnis zufolge wird als Standard alles, „was regelhaft daherkommt, aber nicht zwingendes Recht ist“, bezeichnet.330 Eine solche Definition erscheint jedoch wenig praktikabel, wenn das Ziel eine möglichst 324 Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 12. 325 Nach der hier vertretenen Auffassung bezeichnen Standards, Normung und Expertenrecht dieselben Erscheinungen. Im Folgenden ist – soweit nicht fremdzitiert – vereinheitlichend von Standards die Rede. 326 Zeitler, Internationale Entwicklungslinien der Bankenaufsicht – Praktische Auswirkungen und rechtliche Funktion der Baseler Eigenkapitalübereinkunft, WM 2001, S. 1397 (1401). 327 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (445). 328 Tietje, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, S. 281, Rn. 20, Hervorhebung vom Verfasser. 329 Hierzu u. C. IV. 3. b). 330 Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (19).

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präzise Systematisierung unterschiedlicher Erscheinungsformen des Soft Law ist. Eine gängige weiterführende Differenzierungsmethode knüpft an den Urheber an und unterscheidet zwischen internen und externen Standards. Interne Standards bezeichnen dann von einem (Wirtschafts-)Akteur selbst und für sich selbst formulierte Regeln, externe Standards hingegen von Dritten formulierte Regeln.331 Im Interesse einer systematischen Darstellung erscheint jedoch eine Eingrenzung erforderlich. Als Standard sollen hier somit lediglich von Dritten formulierte Regeln, d.h. die aus einer Beteiligtenperspektive externen Standards, bezeichnet werden. Der Bereich interner „Standardisierung“ – also etwa von Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen verfasste Corporate Social Responsibility Codes (CSR-Codes), Corporate Codes of Conduct (CCoCs), „Mission Statements“, Compliance-, Best-Practice-Tools oder vergleichbare Instrumente – soll als Selbstregulierung332 vom Begriff des Standards unterschieden werden.333 Externe Standards können von unterschiedlichsten Standardsettern – sowohl von staatlichen, privaten als auch intermediären Akteuren – erarbeitet werden. Standardisierungsaktivitäten sind oftmals durch ein gleichberechtigtes Zusammenspiel privater und öffentlich-rechtlicher Akteure gekennzeichnet, was mitunter sogar als Kennzeichen einer resultierenden „Relativierung der souveränen Entscheidungsmacht und Handlungsfähigkeit [. . .] insbesondere der Staaten“ beurteilt wird.334 Im Interesse einer weiteren Eingrenzung sollen sich die Untersuchungen an dieser Stelle allerdings auf die Standards privater Urheberschaft konzentrieren. Bekannte private Standardsetter sind beispielsweise das als e. V. organisierte Deutsche Institut für Normung (DIN), die International Organization for Standardization (ISO)335, das European Committee for Standardization (CEN) oder die International Electrotechnical Commission (IEC). Daneben gibt es zahlreiche weitere i. d. R. sachbereichsspezifisch organisierte Anbieter von Standardisierungen.336 Insgesamt nehmen die Standardisierungsaktivitäten von Akteuren 331 So z. B. Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (22 ff.); vgl. hierzu auch die Anm. von Lehmann, ibid., S. 37 (51 f.). 332 Hierzu u. III. 3. b) bb) (2). 333 Auf diese Eingrenzung wird im überwiegenden Schrifttum verzichtet; vgl. z. B. Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19; Meder, Ungeschriebenes „Recht“ im transnationalen Raum, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 257 (263 ff.); so wie hier jedoch Creutz in: Klabbers/Piiparinen (Hrsg.), Normative Pluralism and International Law, 2014, S. 166 (166 ff.). 334 Tietje, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, S. 273 (282). 335 Vgl. hierzu u. C. III. 2. a). 336 Zu den privaten oder zum Teil auch privat-staatlichen Organisationen, die externe Standards hervorbringen, zählen beispielsweise die Internationale Handelskammer (ICC), zu der über siebzig nationale Sektionen und mehr als 7.000 assoziierte Unternehmen zählen; die International Air Transport Association (IATA), eine Vereinigung von über 270 Luftfahrtunternehmen; auf dem Gebiet des Seetransports das Comité Mari-

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wie privat organisierten Normungsgremien immer mehr zu,337 und dies auch über rein technische Zusammenhänge hinaus: „Standard setting is not limited to products but may also touch on process or behavior, once the exclusive domain of law.“ 338 Dem potentiellen Regelungsbereich von Standards sind damit buchstäblich keine Grenzen gesetzt; er reicht von Schraubgewindegrößen über Briefpapiergrößen, Netzmaschenformen oder Steckerformen bis hin zu Buchhaltungs-, Bilanzierungs- oder Behandlungsstandards. Standards sollen im Folgenden als von externen privaten Standardsettern formulierte sachbereichsspezifische Regeln verstanden werden. Diese als Bestandteil des Rechts zu begreifen ist, – wenig überraschend – äußerst umstritten und mitunter stark einzelfallabhängig. Standards „hover between the state and the market; standards largely collapse the distinction between legal and social norms; standards are very rarely either wholly public or wholly private; and can be both intensely local and irreducibly global.“ 339 Kurz: „Standards may be more or less law-like, depending on one’s concept of law.“ 340 Wenngleich Standards hier als Teil des Soft Law, d.h. als Teil des (transnationalen) Rechts begriffen werden sollen, ist die wohl herrschende Auffassung (zumindest außerhalb der Theorie transnationaler Rechtsprozesse), dass Standards zunächst nur über unterschiedliche Transformations- und Rezeptionsmechanis-

time International (CMI), ein Zusammenschluss diverser nationaler Vereinigungen, darunter auch der Deutsche Verein für Internationales Seerecht mit Sitz in Hamburg; das International Accounting Standards Board (IASB) oder das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI), dem 680 Unternehmen und andere Nichtregierungsorganisationen aus rund 60 Staaten angehören. All diese Organisationen sind nach nationalem Recht organisierte private Vereine, Stiftungen oder sonstige Institutionen. 337 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (144). 338 Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 (117). Zu den berühmtesten Beispielen für wirkmächtige „Verhaltensnormung“ durch Standards zählt der ISO 9001 Standard: „Obwohl niemand gezwungen werden kann, sich an eine Norm zu halten, sind einige Normen stärker als Gesetze: Wer sie nicht befolgt, den bestraft der Markt. Zu einer solchen Norm hat sich in einigen Gebieten die Qualitätsmanagementnorm ISO 9001 entwickelt. Es gibt viele grosse Firmen, die nur Zulieferer akzeptieren, die ISO 9001 erfüllen. Das müssen sie mit einem Zertifikat belegen, das sie nach der Prüfung ihrer Qualitätssicherungsmassnahmen durch eine unabhängige Prüfstelle erhalten. Dieses Verfahren soll dem Abnehmer die einzelne Prüfung aller seiner Zulieferer ersparen und dem Zulieferer die ständigen Kontrollbesuche aller seiner Abnehmer.“ Schneider, Was die Welt zusammenhält, in: NZZ-Folio 2 (2005), online verfügbar unter: http://folio. nzz.ch/2005/februar/was-die-welt-zusammenhaelt, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; ebenfalls zur „Externalisierung sozialer Normen an sachtechnische Strukturen“, Joerges, Technik, Körper der Gesellschaft. Arbeiten zur Techniksoziologie, 1996, S. 119 ff. 339 Schepel, The Constitution of Private Governance, 2005, S. 3. 340 Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (13), Hervorhebung vom Verfasser.

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men tatsächlich Rechtsqualität gewinnen können.341 Solche Rezeptionsmechanismen können höchst unterschiedlich beschaffen sein. Die Implementierung von Standards kann sowohl über einfache Marktdurchsetzung (market enforcement342) funktionieren, durch internationale Organisationen und ein komplexes Zertifizierungswesen vorangetrieben werden oder in Verhandlungen zwischen sonstigen privaten und öffentlichen Akteuren erfolgen.343 Daneben können sie durch völkervertrags- oder völkergewohnheitsrechtliche344 Rezeption oder stets von Einzelfall zu Einzelfall auch durch einfachvertragliche Rezeption an Verbindlichkeit gewinnen. Insbesondere auf nationalstaatlicher Ebene gibt es überdies zahlreiche unterschiedliche Inkorporationsmechanismen (und auch „Scharniernormen“) für private Standards. Regelmäßig greifen beispielsweise die Gerichte in Auslegungsfragen – etwa im Hinblick auf die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ (§ 276 II BGB) – auf Standards (rechtsexterner) Privater in Form von DIN-Vorschriften zurück und wenden diese an.345 Insbesondere auch im medizinischen Bereich, in dem das Recht über wenig „eigenes Wissen“ verfügt, nehmen Verhaltensstandards für den lege artis behandelnden Arzt eine große Rolle ein.346 Daneben finden sich auch im Handels- und Aktienrecht zahlreiche Scharniernormen, die z. T. sogar ausdrücklich auf privat erarbeitete, externe Standards (darunter auch auf die Unternehmensführung bezogene Verhaltensnormen) Bezug nehmen und so deren verbindliche Inkorporation ins Recht ermöglichen.347 Auch im Bereich der Seeschifffahrt verweist das deutsche Recht ausdrücklich auf Standards: Für die im Zuge der Implementierung des ISPS Codes348 erforderliche Überprüfung von 341 In diesem Sinne wohl T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (144); Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 23; Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 ff. 342 Hierzu Wymeersch, The Corporate Governance Codes of Conduct, in: Zimmermann (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts II, 2008, S. 61 ff. 343 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (445 ff.) Nachweis weggelassen. 344 Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum/Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2013, S. 58. 345 Beispiel nach Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (520). Vgl. auch T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (158). 346 Beispiel nach T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (159). 347 Z. B. § 285 Nr. 16 HGB i.V. m. § 161 AktG, die Umsetzung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) betreffend; Beispiel nach Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (24 f.). 348 Der International Code for the Security of Ships and Port Facilities (ISPS Code) entstammt dem Kontext der im Anschluss an die Terrorangriffe des 11. September 2001 weltweit umgesetzten Antiterrormaßnahmen. Mittlerweile stellt der ISPS Code die glo-

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Gefahrenabwehrplänen und deren konkreter Umsetzung beispielsweise kann sich das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) auch der Hilfe von „anerkannten Stellen zur Gefahrenabwehr“ bedienen.349 Anerkannte Stellen in diesem Sinne können dabei insbesondere solche Stellen sein, die „ein international anerkanntes und von einer unabhängigen Stelle zertifiziertes Qualitätssicherungssystem betreib[en], welches im Einklang mit den Bestimmungen der ISO 9001:2000 steht“.350 Insgesamt ließe sich in jedem Falle schon allein aus der Binnenperspektive des deutschen Rechts von einer – gesetzgeberisch gewollten351 – erheblichen Bedeutung von Standards sprechen. Auf eine darüber hinaus auch subjektiv starke Bindungswirkung der Standards deutet hin, dass der Gesetzgeber in (lediglich) standardisierten Bereichen schweigt und die beteiligten Kreise „faktisch die Standards einhalten.“ 352 Unabhängig davon, ob Standards wie in der Theorie transnationaler Rechtsprozesse z. T. auch schon ohne Inkorporationsakt als Recht anerkannt werden oder nicht – auch zurückhaltendere Stimmen weisen darauf hin, dass Standards ein faktisch enorm wirkmächtiges Steuerungsinstrument darstellen und ihre massenhafte Verbreitung nicht ohne Konsequenzen bleibt: Wenn und soweit Staaten Standards lediglich übernehmen oder auf diese verweisen, wird im jeweiligen Sachgebiet keine eigene Regelungskompetenz mehr ausgeübt; die hieraus ableitbare Tendenz wird auch als die Entwicklung des Staates vom „rule-maker“ zum „rule-taker“ beschrieben.353 Aus einem exekutiven Blickwinkel bietet sich dabei bal stärkste und aus Sicht der Hafenstaaten weitreichendste Initiative im Bereich der maritimen Transportsicherheit dar. Hierzu Kraska/Pedrozo, International Maritime Security Law, S. 378 ff. 349 Vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der See-Eigensicherungsverordnung vom 19. September 2005 (BGBl. I S. 2787) zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. Juli 2013 (BGBl. I S. 2812). 350 Vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 5 c) der See-Eigensicherungsverordnung vom 19. September 2005 (BGBl. I S. 2787) zuletzt geändert durch Verordnung vom 29. Juli 2013 (BGBl. I S. 2812). 351 Schwierz identifiziert vier grundlegende gesetzgebungstechnische Kernfunktionen der Verweisung auf Standardisierungen und Expertenrecht: Entlastung des Gesetzgebers von der Aufgabe, die erforderlichen Regeln selbst auszuarbeiten; Entlastung des Gesetzes von komplizierten technischen Detailbestimmungen mit dem Ergebnis, dass das Gesetz sich auf die grundlegenden Aussagen beschränken kann; Flexibilität der Regelwerke, da die unterhalb der Schwelle des Gesetzes oder Rechtsverordnung entstehenden Regeln bei technischem Fortschritt einer schnelleren und flexibleren Revision unterzogen werden können; Kooperation insofern, als dass durch die Integration der Industriezweige die sachnächsten Akteure unmittelbar am Regelsetzungsprozess beteiligt werden. Vgl. hierzu Schwierz, Die Privatisierung des Staates am Beispiel der Verweisungen auf die Regelwerke privater Regelgeber im Technischen Sicherheitsrecht, 1986, S. 47. 352 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (160). 353 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 23.

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nicht zuletzt auch der Vorteil, dass für die Erarbeitung von Standards keine parlamentarische Mitwirkung erforderlich ist: Wo der Gesetzgeber als rule-taker auftritt, kann mit technischen Sachzwängen argumentiert werden, schließlich besteht auf einer mit fachlicher Autorität versehenen Ebene bereits ein Konsens.354 Im transnationalen Raum sind Standards ohne die Beschränkungen territorialer Grenzen in der Lage, unterschiedlichste Akteure zu binden, indem diese durch ein System technischer Artefakte, standardisierter Verträge sowie diese tragende nationale und internationale Verbände zusammengehalten werden.355 Ein Umstand, der dazu führt, dass sie auf Völkerrechtsebene mitunter als „unentbehrlich“ 356 gelten. Insbesondere für den technisch-industriellen Bereich – in dem das Verfahren der Standardisierung auch seinen Ursprung hat357 – lässt sich sagen, dass die Standards ihre Durchsetzungsmacht dabei oftmals auch einem übergreifenden Koordinationsinteresse der Beteiligten der jeweiligen Wirtschaftsoder Industriezweige verdanken. Nicht die für sich genommen schwache, weil rein funktionale „Autorität ihres Sachverstandes“ der technischen Experten ist dann für die Geltung der Standards entscheidend, sondern deren Wirkungsweise: Solches „Expertenrecht ist nicht typisches Regulierungsrecht, welches in die Handlungsfreiheiten der Marktteilnehmer eingreift. Expertenrecht schafft koordinierende Standards, damit bestimmte Aktivitäten überhaupt erst praktisch möglich werden [. . .].“ 358 Insbesondere in technischen oder als nicht-politisch begriffenen Bereichen erfreut sich das Instrument des Standard-Settings besonders regen Zuspruchs; wo staatliche Souveränität (mutmaßlich) nicht betroffen ist, kommt es auch zu einem hohen Maß an Interessenübereinstimmung.359

354 Vgl. zum Ganzen Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (394 f.). 355 Dommann, 08/15, QWERTY, PAL-SECAM, Paletten und MP3: Standards als kulturelle Artefakte, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 253 (260). 356 Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (33). 357 Das deutsche Normungswesen (und das DIN) haben ihren Ursprung in den Bestrebungen zur Vereinheitlichung und Verbesserung der Rüstungsindustrie während des ersten Weltkriegs. Die noch heute weit verbreitete Redewendung „08/15“ beispielsweise ist auf den hierbei etablierten Standard-Maschinengewehrtypen MG 08/15 zurückzuführen. Zur Geschichte der Standardisierung, Dommann, 08/15, QWERTY, PAL-SECAM, Paletten und MP3: Standards als kulturelle Artefakte, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 253 (255). 358 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (482). Beispielhaft sei erwähnt, dass ohne vereinheitliche Papiergrößen keine Entwicklung von Textverarbeitungssoftware denkbar wäre, oder dass hochauflösendes Fernsehen erst dann zum (gewinnbringenden) Massenmarkt wird, wenn sich die beteiligten Produzenten auch auf einheitliche technische Standards geeinigt haben (Beispiele nach Köndgen, a. a. O.). 359 Vec, Die Bindungswirkung von Standards aus rechtsgeschichtlicher Perspektive, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 221 (245).

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Je stärker die Standardsetting-Institutionen und etwaige Auditing- und Monitoring-Mechanismen ausgebildet sind, desto stärker rückt Standardisierung tatsächlich in den Bereich rechtlicher Regulierung, freilich ohne dabei noch an die Rechtssysteme einzelner Staaten rückgebunden zu sein: „More directly relevant [. . .] are certification programs, through which nongovernmental actors certify compliance with their published standards. [. . .] Certification mimics public regulation – a third-party organization creates a set of standards grounded in substantive values for the production of a product and then offers to certify corporate compliance with these standards. [. . .] In the form of social accountability standards, these programs provide a supranational [transnational] institutional framework for the development of corporate behaviour standards that are regulatory in effect but not dependent on the substantive law of any particular state.“ 360 (b) Exkurs: Legitimationsfragen Privat erzeugte Regelwerke werfen immer wieder auch die Frage nach deren Legitimation auf.361 Denn „[a]uch Expertenrecht ist selten so unpolitisch, wie es seine Herkunft und sein äußeres Erscheinungsbild suggerieren.“ 362 Auch technische Standards, Standards im Umweltbereich oder Verhaltensregeln im Sicherheits- oder Finanzbereich enthalten regelmäßig implizite Werturteile und politische Entscheidungen.363 Insofern kann der Einfluss der normsetzenden Institutionen gar nicht überschätzt werden. Der Mangel an (politischer) Verantwortlichkeit der standardsetzenden Experten allerdings steht in eklatantem Widerspruch zu diesem Einfluss, „sei es nun gegenüber den von ihren Standards Betroffenen oder gegenüber der Gesellschaft im Ganzen.“ 364 Die somit berührte Frage nach der Legitimation von Standards lässt sich abstrakt kaum und auch für den Einzelfall nur schwerlich beantworten. An dieser Stelle soll mithin nicht der Versuch einer erschöpfenden Problemlösung unternommen werden, sondern stattdessen lediglich auf das weiterhin ungelöste Problem der Legitimation privater Normtexte hingewiesen werden. Für ein gewisses Legitimationsniveau sprechen zumindest, je nach der Binnenstruktur des standardsetzenden Organs, ein gegebenenfalls hinreichendes Maß an Partizipation, Objektivität und Neutralität der Entscheidungsträger sowie der durch die technisch-sachliche Nähe bedingte vergleichsweise hohe Aktualitäts-

360 Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 (118). 361 Vgl. zu den Legitimationsproblemen im sich wandelnden Völkerrecht Zumbansen, Die vergangene Zukunft des Völkerrechts, KJ 2001, S. 46 ff. 362 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (482). 363 Ebenda, S. 482. 364 Ebenda, S. 482.

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grad.365 An der nach klassischen input-orientierten Legitimationsmodellen üblichen Bedingung parlamentarischer (oder jedenfalls i. S. einer geschlossenen Legitimationskette366 auf den einzelnen rückführbaren) Mitbestimmung mangelt es dabei gleichwohl.367 Nicht weniger problematisch sähe eine Beurteilung von Standards nach output-orientierten Legitimationsmodellen aus: Ihrem regelmäßig hochspezialisiertem Gegenstand nach ist der Adressatenkreis einzelner Standards von vornherein so gering, dass kaum eine aussagekräftige Einschätzung darüber möglich ist, ob das in der Output-Legitimation zentrale (und seinerseits gleichwohl umstrittene) Kriterium der Nützlichkeit über den beschränkten Adressatenkreis hinaus gegeben sein könnte.368 Im transnationalen Raum jedenfalls sind „verfassungsrechtliche Minima“ insofern kaum mehr aufrechtzuerhalten. 369 Legitimation kann dort – anders als im Staat – nur nach heterarchischen Mustern durch Partizipation erlangt werden, wobei zu bedenken bleibt, dass Partizipation niemals per se legitimationsbegründend sein kann.370 Ein Mindestmaß an Legitimation kann jedenfalls dort erreicht werden, wo es zu einer „ausgewogenen Einbeziehung aller betroffenen Interessen in die Aushandlungsprozesse“ kommt, in denen sich die Standardsetzung vollzieht.371 (2) Selbstregulierung Die Theorie von der Transnationalisierung tritt mit dem Anspruch an, die Emergenz auch transnationaler privater Selbstregulierung372 (auch als Self-Regulation oder Private Ordering bezeichnet373) beschreiben zu können. Dies beim Wort genommen, muss es im transnationalen Raum auch Normen geben, deren Urheber und Adressaten tatsächlich identisch sind. Wie aber ist es um das „rechtsschöpferische Potential“ der globalen Zivilgesellschaft374 tatsächlich bestellt? 365 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (158). 366 Vgl. grundl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 24, S. 429 ff.; Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 228 ff. 367 T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (162). 368 Hierzu Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 2010, S. 94 ff. 369 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (522). 370 So ausdrücklich und m.w. N. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 238 ff. 371 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (522). 372 Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (187). 373 Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, S. 92. 374 Hanschmann, Theorie transnationaler Rechtsprozesse, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (380).

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(a) Selbstregulierung in Gestalt von Corporate Codes of Conduct und ähnlichen Compliance-Instrumenten: Begriff, Gegenstand und Rechtscharakter Die als Selbstregulierung bezeichneten Phänomene für die Untersuchung handhabbar zu machen kann angesichts der zahllosen unter diesem Stichwort diskutierten Erscheinungen nur unter erheblichen begrifflichen Eingrenzungen im Vorfeld gelingen. Mitunter fungiert der Begriff sogar lediglich als allgemeine (und provokative) Chiffre zur Sichtbarmachung transnationaler Strukturen im Recht. Demgegenüber sollen hier unter Selbstregulierung entweder Regeln verstanden werden, bei denen Identität zwischen Regelungssetzer und -adressat besteht oder aber (mit Standards vergleichbare) externe Regeln, die sich ein einzelner Akteur im Wege der freiwilligen Selbstverpflichtung zu Eigen macht.375 Damit geht es im Folgenden zuvörderst um sog. (Corporate) Codes of Conduct („Verhaltenskodizes“) oder diesen vergleichbare Instrumente der (freiwilligen) Selbstkontrolle.376 Als (Corporate) Code of Conduct (CCoC) werden mit einer von der OECD vorgeschlagenen und häufig rezipierten377 Definition „commitments voluntarily made by companies, associations or other entities, which put forth standards and principles for the conduct of business activities in the marketplace“ bezeichnet.378 Demzufolge können – vergleichbar mit den hier als Standards bezeichneten Regeln – zwar auch CCoCs von externen Anbietern formuliert werden. Soweit diese jedoch wie hier als Instrument der Selbstregulierung begriffen werden, soll sich die Untersuchung auf diejenigen CCoCs beschränken, die entweder vom betreffenden Akteur selbst formuliert werden oder bei denen zumindest ein (wirtschaftliches) Näheverhältnis zwischen Urheber und Verwender besteht. Die Abgrenzung zum Standard-Setting soll hier also wie folgt aussehen: Von professionellen und in unterschiedlichen Sachgebieten agierenden Anbietern formulierte Regeln sind i. d. R. als Standards zu begreifen; je „näher“ Urheber und Adressat einander jedoch sind (z. B. ein Industrie- oder Interessenverband und ein Unternehmen desselben Industriezweiges), desto eher sind diese Regeln als Code 375 Die Grenzen zwischen beiden Instrumenten – Standards und Selbstregulierung – verlaufen praktisch fließend. Näher zu sachlichen Schnittmengen u. (bb). 376 Ein ganz ähnliches Instrument (und begrifflich z. T. synonym verwendet) sind etwa sog. Corporate Social Responsibility Codes (CSR-Code). Nicht erfasst sind hier zwischenstaatlich erarbeitete Codes of Conduct, hierzu: Ipsen, Völkerrecht, 2014, S. 394 f. 377 Z. B. Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (222); Cameron/Chetail, Privatizing War, 2013, S. 336. 378 OECD (2001), Codes of Corporate Conduct: Expanded Review of their Contents, OECD Working Papers on International Investment, 2001/06. Online verfügbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/206157234626; zuletzt abgerufen am: 02.08.2016.

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of Conduct bzw. Verhaltenskodex zu klassifizieren.379 Besteht hingegen sogar Identität zwischen Urheber und Adressat, ist mit dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Begriffsverständnis stets von CCoCs auszugehen. Regelungsgenstand von Standards können sowohl sachlich-technische Fragen als auch verhaltensbezogene Aspekte sein; Regelungsgenstand von CCoCs hingegen sind, wie schon dem Namen („conduct“) zu entnehmen ist, nahezu ausschließlich Aspekte der Unternehmensführung oder Handlungsanweisungen für Unternehmensbeteiligte. Verhaltenskodizes greifen in aller Regel auf eine zumindest rechtsähnliche Sprache zurück;380 sie werden oft über Vertragsklauseln implementiert381 und auf diese Weise entlang den globalen Wertschöpfungsketten („value chains“) von Vertragspartner zu Vertragspartner (von oben nach unten) „weitergereicht“.382 Ihre Verbindlichkeit kann sowohl von verschiedenen nationalen Rechtsordnungen als auch dem zugrundeliegenden Text abhängen, der sich beispielsweise als verbindlicher Bestandteil eines Vertrages, als generelle Zielbestimmung, eine Absichtserklärung oder als bloße Anpreisung positionieren kann.383 Insbesondere auf größeren Märkten können sich Codes auch auf identische Regelungsbereiche erstrecken und damit sogar in Konkurrenz zueinander treten.384 Zum Teil geben sie lediglich völkerrechtliche oder nationalrechtliche Minimalanforderungen wieder oder beinhalten das abstrakte Versprechen, sich an jeweils geltendes Recht zu halten.385 Ähnlich wie auch die von Expertenseite formulierten Standards nehmen CCoCs oft eine Pionierrolle in (bislang) nicht oder wenig regulierten Bereichen ein: Von ihren Verwendern verbreitet, können sie dort zur Anwendung gelangen, „where [other] standards may be nonexistent, incomplete, unenforced or ignored“ 386 und dort erste regulatorische Mindestanforderungen etablieren. Da

379 So auch Creutz, in: Klabbers/Piiparinen (Hrsg.), Normative Pluralism and International Law, 2014, S. 166 (166 ff.), die mit Corporate Codes of Conduct nur „Internal Rules“ bezeichnet. 380 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (486). 381 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (486), sieht in der vertraglichen Implementierung von CCoCs deren Inkorporation ins Hard Law. Der Vertrag stellt sich dabei – vergleichbar den Generalklauseln bei der Inkorporation von Standards – als Scharnier zur Aufnahme ins Rechtssystem dar. 382 Hierzu Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (239 ff.). 383 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014 S. 479 (486). 384 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (220). 385 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (486). 386 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (222).

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sie insoweit auch keinen territorialen Grenzen unterliegen, können sie dem ggf. globalen Operationsgebiet ihrer Verwender folgend praktisch ubiquitär zur Anwendung gelangen. Damit ist auch einer der Hauptgründe für ihre Emergenz berührt: Mangels Völkerrechtssubjektivität387 unterliegen auch multi- oder transnationale Unternehmen allein nationalstaatlicher Jurisdiktion. Als territorial begrenzte Handlungseinheit kann der Nationalstaat allerdings nur solange und soweit Einfluss nehmen, bis ein Unternehmen sich ganz oder zum Teil dessen Jurisdiktion entzieht, indem es seine Aktivitäten schlicht auslagert; „an enterprise with the ability to disperse assets and operations can substantially choose the aggregate of its regulatory environment – it can effectively regulate itself.“ 388 Dieses (mitunter auch als Forum Shopping bezeichnete) Ausnutzen des Territorialitätsprinzips führt dazu, dass Unternehmen – wenn schon die „externe Bedingung“ der Rechtsordnung frei wählbar ist – vermehrt auf „interne“ Lösungen, d.h. eigene Regeln in Gestalt von CCoCs zurückgreifen.389 Neben dem Bedürfnis, in wenig regulierten (bzw. regulierbaren) Bereichen Handlungs- oder Verhaltensregeln zu etablieren, wird als Grund für die mittlerweile massenhafte Verbreitung von selbstgesetzten Verhaltenskodizes auch die Politik der Deregulierung der westlichen Industrienationen in den 1980er und 1990er Jahren angesehen, während derer – politisch gewollt – Anreize für Selbstregulierung durch Selbstverpflichtung geschaffen wurden.390 Selbst „im Bereich der öffentlichen Sicherheit, die lange Zeit als Reservat des öffentlichen Sektors galt, [führte] die zunehmende Bedeutung privater Sicherheitsunternehmen [. . .] nunmehr zu neuen Codes of Conduct.“ 391 CCoCs als Bestandteil des Rechts zu begreifen, bereitet – verglichen mit Standards, die wie gezeigt auf verschiedenste Weise immer auch direkt mit den Rechtsordnungen verknüpft werden können, – sicherlich noch größere Probleme: 387 Wenngleich die Völkerrechtsubjektivität trans- oder multinationaler Konzerne bereits seit Längerem in der Diskussion befindlich ist, wird diese doch mit der ganz herrschenden Meinung nach wie vor abgeleht. Hierzu und m.w. N. Ipsen, Völkerrecht, 2014, S. 384 ff. Vgl. zur a. A. grundl. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1971. 388 Backer, The Autonomous Global Corporation, Tulsa Law Review 41 (2006), S. 101 (121). 389 Backer, The Autonomous Global Corporation, Tulsa Law Review 41 (2006), S. 101 (121 ff.): „By carefully choosing the place, form, and method of operation it can effectively decide the manner in which it will be regulated. [T]he enterprise will submit to those regulations only to the extent it is either unavoidable or profitable.“ (S. 122). 390 „[S]tates have been weakened both in their will and capacity to perform regulatory functions in the pursuit of common or public goods.“ Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (232). 391 Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (165).

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Wie auch bei den Standards ist es insofern immer vom zugrundeliegenden Rechtsbegriff abhängig, ob Regeln, die privaten Ursprungs sind, aber öffentliche Funktionen wahrnehmen, nun unter den Rechtsbegriff gefasst werden oder nicht.392 Dabei orientiert sich die CCoC-Praxis, über die Verwendung einer rechtsähnlichen Sprache hinaus, durchaus an den Funktionsmechanismen des Rechts insgesamt, also Setzung, Anwendung und Durchsetzung. Die Funktionsäquivalente heißen dann Code, Monitoring, Auditing und Certification.393 Dabei treten insbesondere NGOs als Organisationen in Erscheinung, die Verfahren zur Einhaltung und Verifikation der CCoCs anbieten oder einfordern.394 In diesen „illokutionären Bindungskräfte[n], die durch explizite Akte der Selbstverpflichtung und der Vereinbarung aktiviert werden“, sollen von daher auch „Komponente[n] faktische[r] Wirksamkeit“ und damit rechtskonstitutive Merkmale erkennbar sein.395 Diese bestünden sowohl in inhaltlicher Überzeugungs- und Bindungskraft der Normen als auch unterschiedlichen Instrumenten der Überwachung, Durchsetzung und Kontrolle.396 Zu erheblichen Bedenken unter Legitimations- und Autoritätsgesichtspunkten397 führt dabei, dass die konkrete Art der Umsetzung, Kontrolle und Durchsetzung oft von den betroffenen Unternehmen oder Industriezweigen selbst durchgeführt wird und ökonomisch bedingte Interessenkonflikte damit vorprogrammiert sind.398 Was auf der Rechtsdurchsetzungsebene somit oftmals nur verbleibt, sind Mechanismen des comply or explain oder naming and blaming, deren rechtsnormativer Wert zurecht in Zweifel gezogen wird. Compliance-Instrumente können nach innen funktionieren und positive Signalwirkung nach außen entfalten, sie können gleichwohl „aber auch auf eine Fassade zu Werbezwecken beschränkt bleiben.“ 399 Solchen Entwicklungen wird versucht gegenzusteuern, in392 Vgl. Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (222; 248 f.; 297); vgl. ebenfalls die Ausführungen zum Rechtscharakter der Standards; III. 3) b) bb) (1) (a). 393 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess, Transnationales Recht, S. 479 (490 f.). 394 Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (23); Alvarez, International Organizations as Law-makers, 2005, S. 36. 395 Herberg, Erzeugen multinationale Unternehmen ihr eigenes Umweltrecht?, in: Winter (Hrsg.), Die Umweltverantwortung multinationaler Unternehmen, 2005, S. 73 (78 f.). 396 Ebenda, S. 78 f. 397 „If a code is to be worth more than the paper it is printed on, it is crucial that effective compliance mechanisms are in place.“ Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (246). 398 „In der Praxis scheint hier einiges im Argen zu liegen.“ Kocher, in: Calliess, Transnationales Recht, S. 479 (490). 399 Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (28).

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dem die Einhaltung der Selbstverpflichtung beispielsweise in sog. BenchmarkVerfahren zumindest einer gewissen Sichtbarmachung unterzogen wird: Hierbei soll die Einhaltung der CCoCs durch Registrierung und Kontrolle durch übergeordnete Überwachungsorgane sichergestellt werden.400 Zertifizierung, Akkreditierung und ein unabhängiges Monitoring werden dabei auf verschiedene Interessenvertreter verteilt, um eine effektive Implementierung zu gewährleisten. In solchen Multi-Stakeholder-Initiativen, die von NGOs, Wirtschaftsverbänden, den Unternehmen selbst und auch Internationalen Organisationen (IGOs) mitgetragen werden, kann somit also unternehmensexternen, jedoch gleichwohl privaten Akteuren die Rolle von Hütern öffentlicher Interessen zukommen.401 Die insofern zwar relativ schwache Ausprägung der Durchsetzungsinstitutionen ändert nichts daran, dass gleichwohl versucht wird, die entsprechenden Strukturen vollständig zu implementieren. Somit wird das Instrument der CCoCs als ein transnationales Rechtssystem402, als „part of an emerging transnational normative regime“ 403 bzw. als ein Baustein transnationaler Governance404 interpretiert.405 CCoCs „evidence the power of self-regulation within the community of multinational enterprises. [They] represent the glimmerings of the constitution of multinational enterprises as an autonomous community of entities that have begun to regulate themselves through the construction of systems of governance independent of the states.“ 406 Die immer wieder vorgetragenen Befürchtungen erodierender Staatlichkeit, die mit der Transnationalisierung und deren Auswirkungen verbunden werden, dürften zu einem erheblichen Teil auch in dieser global verfestigten Praxis „profes400 So beispielsweise im Anti-Korruptions-Verfahren des „UN Global Compact“, einer Initiative von UN und global operierenden Großunternehmen zur Einhaltung unternehmenseigener Kodizes, vgl. hierzu Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (28 f.). 401 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben, Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (236). 402 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (491). 403 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (222). 404 Ebenda, S. 265. 405 Daneben wird vorgebracht, dass – auch im Bereich der CCoCs – die binäre Zuschreibung Recht/Nicht-Recht letztlich nicht gewinnbringend ist: Der „normative Wert“ einzelner Codes bestimme sich letztlich in jedem Einzelfall und nicht abstrakt. Die Aussagekraft eines Codes an dessen Einordnung ins Rechtssystem festzumachen könne oftmals die wirklich relevanten (praktischen) Problemstellungen verfehlen. Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (246). 406 Backer, The Autonomous Global Corporation, Tulsa Law Review 41 (2006), S. 101 (126).

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sioneller Selbstkontrolle“ fußen.407 Die CCoCs weisen nur „minimale Interventionen“ seitens externer Steuerungsinstrumente der Politik auf 408 und beanspruchen durch ihre rechtsartige Gewandung und den Rekurs auf nationales oder Völkerrecht dennoch eine Legitimität, die ihnen womöglich gar nicht zusteht;409 „Legitimität wird geborgt, ohne auf der anderen Seite entsprechende Autorität verbürgen zu können.“ 410 Wenn die Ankündigungen weitreichend und die institutionalisierte Kontrolle schwach sind, können CCoCs als „strategische Ressource im Wettbewerb“ missbraucht und in einem „Spiel mit dem Recht“ zu rein eigennützigen Zwecken instrumentalisiert werden.411 „[C]odes of conduct [. . .] attest to the growing power of enterprises to free themselves from the regulation of states.“ 412 Die Vielfalt der Codes, ihrer Urheber und Herkunft, deren variierende Reichweite, divergierende Zwecke und unterschiedliche Institutionalisierungsgrade machen eine abschließende abstrakte Beurteilung ihres Legitimationsniveaus oder Rechtscharakters letztlich fast unmöglich. Die immer wieder aufgeworfenen Fragen nach Legitimität, Effektivität und Rechtscharakter aktualisieren sich dabei stets für jeden Einzelfall.413 Dem Erkenntnisinteresse der Arbeit geschuldet, wird der Frage nach der Legitimation dieser Erscheinungen im Folgenden dennoch keine zentrale Rolle zukommen. (b) Überschneidungen mit externen Standards Zu gewissen Überschneidungen zwischen CCoCs und Standards kann es kommen, soweit (externe) Standards Anforderungen an interne Strukturen („corporate governance“) von Unternehmen formulieren.414 International bekannte Beispiele sind etwa der von Kofi Annan initiierte Global Compact415 oder die 407 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (293 f.). 408 Teubner, Des Königs viele Leiber. Die Selbstdekonstruktion der Hierarchie des Rechts, in: Soziale Systeme 1996, S. 229 (235). 409 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (492). 410 Ebenda, S. 492. 411 Ebenda, S. 492. 412 Backer, The Autonomous Global Corporation, Tulsa Law Review 41 (2006), S. 101 (130). 413 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (236). 414 Vgl. hierzu allg. Wymeersch, The Corporate Governance Codes of Conduct, in: Zimmermann (Hrsg.), Globalisierung und Entstaatlichung des Rechts II, 2008, S. 61 ff. 415 Der Global Compact stellt im Kern einen Prinzipienkatalog zur freiwilligen Selbstverpflichtung für transnationale Unternehmen mit einer starken institutionellen Anbindung an die UN dar. Dabei liegt der Fokus auf menschen- arbeits- und umweltrechtlichen Aspekten. Er repräsentiert einen neueren Governance Ansatz der UN,

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OECD-Guidelines416. Daneben gibt es etwa die ISO-Norm 26000, in der die Voraussetzungen für ethisch verantwortliche Unternehmensführung und Compliance-Anforderungen in Bezug auf internationales oder nationales Recht standardisiert werden – also extern die Mindestanforderungen an interne Verhaltensregeln im Bereich der „social responsibility“ definiert werden.417 Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen der Praxis (externer) Standardisierung und (internen) Selbstregulierungsinstrumenten ist mithin ebenfalls nur im Einzelfall möglich. (c) Standardverträge, Standardklauseln oder AGB als Selbstregulierung Sowohl im nationalen als auch im transnationalen Kontext wird desweiteren immer wieder auch die marktweite Verbreitung bestimmter Vertragsklauseln oder AGB als Form der Selbstregulierung bezeichnet; „Rechtssetzung findet [. . .] in Verträgen zwischen global players [. . .] statt.“ 418 Die gesetzesähnliche Wirkung von AGB oder deren „Gesetzeskraft“ wird, insbesondere im Zivilrecht, auch verbreitet unter dem Stichwort des Privaten Rechts diskutiert.419 Von privater Rechtssetzung durch AGB wird zumeist dann gesprochen, wenn ihr Gebrauch durch einflussreiche Verbände organisiert und ihr Geltungsbereich auf diese Weise in großem Maßstab verbreitert wird.420 Dabei soll oftmals auch nicht in erster Linie die Aufstellung der AGB, sondern deren generalisierende Verbreitung durch einen Sozialverband die eigentliche Rechtssetzungsfunktion einnehmen (zumindest soweit dieser über die entsprechende „Autorität“ verfügt).421 Dennoch ist die rechtsdogmatische Verortung von AGB (zumindest auf der nationalstaatlichen Ebene) i. d. R. unproblematisch, da sie rechtshierarchisch stets

Selbstregulierung und Fremdregulierung in Form „weicher“ Steuerungsmittel zu kombinieren. Zur diesbezüglichen umfangreichen Diskussion Wolf, in: von Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO, 2003, S. 225 (232 ff.). 416 Die OECD-Guidelines richten sich an transnationale Unternehmen die in bzw. aus OECD-Mitgliedstaaten heraus agieren und enthalten eine ganze Reihe Empfehlungen zu unternehmensführungsbezogenen „good practices“. Ausführlich Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben, Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (230 f.); Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 52 ff. 417 Svilpaite, International corporate social responsibility standards, in: Peters/ Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 431 (434). 418 Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (14). 419 Vgl. allg. Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010; dort insb. Bachmann, Legitimation privaten Rechts, S. 207 ff. 420 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (481). 421 Ebenda, S. 481.

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unterhalb des einfachen Rechts einzuordnen sind: Dies zeigt sich etwa daran, dass sie in den meisten Fällen einer vollumfänglichen, an den einfachen Gesetzen gemessenen Kontrolle (AGB-Kontrolle) unterliegen. Die Rechts- oder Nicht-Rechtsqualität von AGB und Standardklauseln422 soll im Folgenden nicht grundsätzlich thematisiert werden, zumal auch eine abstrakte Abgrenzung zu vertraglich weitergereichten CCoCs wenig Aussagekraft für den Einzelfall besitzen dürfte; ohnehin ist die Bedeutung von Standardverträgen oder AGB losgelöst von einem Vertragsgegenstand oder einer Rechtsordnung, innerhalb der ein Vertrag geschlossen wird, kaum zu beurteilen. Als Bestandteil der Selbstregulierung im transnationalen Raum sind sie gleichwohl von Bedeutung, denn sobald sich ihre Verbreitung nicht mehr auf den binnenstaatlichen Raum beschränkt, können die Vertragsparteien beispielsweise durch die Wahl des Rechtsstandorts auf die gesetzliche Kontrolle Einfluss nehmen, der die AGB oder Verträge unterliegen. Ein Standardvertrag, der über den nationalen Raum hinaus Verbreitung gefunden hat, unterliegt nicht länger der AGB-Kontrolle, sondern kann – je nach Ort und Zeit seiner Verwendung – hiervon losgelöst bestehen. Soweit im Zuge der Untersuchung des Referenzgebietes entsprechende Erscheinungen eine Rolle spielen, sollen diese ebenfalls als Teil der Selbstregulierung mit untersucht werden. (3) Rechtsakte internationaler Organisationen Im Schnittbereich von Erscheinungen, die sowohl hier als auch im allgemeinen Völkerrecht als Soft Law bezeichnet werden, befindet sich die Kategorie der (sonstigen) Rechtsakte internationaler Organisationen. Als internationale Organisation werden von mindestens zwei Völkerrechtssubjekten auf Dauer angelegte, auf internationaler Ebene nach Maßgabe des Völkerrechts mit der Wahrnehmung eigener Aufgaben betraute und mit eigenen handlungsfähigen Organen ausgestattete Vereinigungen bezeichnet.423 Nach diesen Maßgaben besitzen internationale Organisationen (im Gegensatz zu NGOs oder transnationalen Unternehmen) auch Völkerrechtspersönlichkeit und -fähigkeit. Ihre möglichen Handlungsformen richten sich nach den zugrundeliegenden Verträgen, wobei Empfehlungen und Resolutionen (i. d. R. unverbindlich) oder Beschlüsse zu den am meisten verbreiteten Handlungsformen rechnen. Je nachdem, inwieweit die Gründungsverträge Beschlüssen Verbindlichkeit zubilligen, werden die Beschlüsse internationaler Organisationen entweder sogar den „eigentlichen“ Quellen des Völkerrechts – man kann in diesem Fall von Sekundärrechtsetzung 422 Vgl. insoweit Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 ff.; Bachmann, Legitimation privaten Rechts, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 207 ff. 423 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 42.

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bzw. Sekundärgesetzgebung424 sprechen – oder aber dem Soft Law zugewiesen.425 Erstgenannter Fall entspräche dann den hier als Hard Law bezeichneten Erscheinungen. Ganz unabhängig von dieser Zuweisung unterliegen auch die Handlungen internationaler Organisation der Transnationalisierung426 und damit dem Zugriff einer auf transnationales Recht gestützten Untersuchung. Und selbst dort, wo nur von Empfehlungen, Guidelines, Deklarationen oder Direktiven die Rede ist, „besteht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass sie in vielfältiger Weise auch eine rechtliche Wirkungskraft [. . .] entfalten und vor diesem Hintergrund als normativ erhebliche Steuerungsmechanismen zu qualifizieren sind.“ 427 Tatsächlich wird die potentielle Steuerungswirkung von Handlungen internationaler Organisationen, die nicht in den Bereich der Sekundärrechtsetzung gerechnet werden, längst nicht nur von den Theoretikern einer Transnationalisierung, hoch eingeschätzt: „These instruments [. . .] share a certain proximity to law and have a certain legal relevance [. . .].“ 428 Dabei illustrieren diese Instrumente – ohne auf die in Transnationalisierungsprozessen häufig beobachteten Bezüge zu Privatakteuren abzustellen – die Transnationalisierung auch des öffentlichen Sektors und damit des gesamten Völkerrechts: Es hat sich emanzipiert von einem reinen Zwischenstaatsrecht; die transnationale Koordination wird staatlicherseits bewusst auch außerhalb des Rechtsquellenkanons gesucht und im Zuge dessen entwickeln staatliche Fachbehörden – oftmals eben integriert in die Foren internationaler Organisationen – eigenständige Formen des Außenhandelns.429 Mit Blick darauf, dass Rechtsakte internationaler Organisationen unterhalb der Schwelle der Sekundärrechtsetzung auch für das allgemeine Völkerrecht als Soft Law anerkannt und untersucht sind, braucht ihnen an dieser Stelle keine größere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Soweit sie im Zuge der Untersuchung des Referenzgebietes eine Rolle spielen, werden sie gleichwohl berücksichtigt.430

424 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005. 425 Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 1; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 112. 426 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (25); Senn, Transnationales Recht und öffentliches Recht zwischen Konvergenz und Divergenz, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 353 (359 ff.). 427 Mit zahlreichen weiteren Nachweisen Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 203, dort Fn. 786. 428 Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 2. 429 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 ff. 430 Vgl. zu sonstigen Rechtsakten internationaler Organisationen Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 9; Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL; Arnauld, Völkerrecht, S. 111 ff.

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(4) Kosmopolitisches oder Projekt-Recht nicht-staatlicher Organisationen Zum Teil werden vonseiten der NGOs ausgeübter moralischer Druck und eine dahinter stehende „kosmopolitische Rechtskultur“ insbesondere im Bereich der Menschen- und Umweltschutzrechte bereits als kosmopolitisches transnationales Recht bezeichnet.431 Diese sog. „kosmopolitische Rechtskultur“ stützt sich auf die sozio-kulturelle Vorstellung, dass „manche Angelegenheiten alle Menschen betreffen.“ 432 Als „eine Art allgemeines Völkerinteresse“ soll kosmopolitisches Recht losgelöst von hoheitlichen oder einzelstaatlichen Normen ent- oder bestehen.433 Aus den kollektiven Anstrengungen der NGOs erwächst „in der Grauzone zwischen der gesellschaftlichen Artikulation von Interessen und Ansprüchen [. . .] zwischen Rechts- und Sozialnormen sich bewegendes sogenanntes Projekt-Recht [. . .].“ Damit liefert der Begriff vom kosmopolitischen oder Projekt-Recht im Wesentlichen allerdings nicht mehr und nicht weniger als eine ungefähre Tätigkeitsbeschreibung der eigentlichen Arbeit von NGOs. Entsprechend steht diese – so sie denn als solche bezeichnet wird – Erscheinungsform des transnationalen Rechts oftmals im Zusammenhang mit der zumindest vereinzelt diskutierten Ausdehnung der Völkerrechtssubjektivität auf die NGOs.434 Ob in der Subsumtion solchen (schwer greifbaren) Projekt-Rechts unter den Rechtsbegriff wirklich ein systematischer Gewinn liegt, muss jedoch bezweifelt werden: Sowohl das Projekt-Recht der NGOs als auch ein von ihnen ausgeübter moralischer Druck – und stellt er sich etwa in den hierbei ebenfalls oft als gewichtig eingestuften Medien als noch so stark dar – müssen in systematisch sinnvollerer Weise lediglich als „Vorform“ 435 rechtlicher Verbindlichkeit betrachtet werden. Anders als für die untersuchten Bereiche der Standards, der Selbstregulierung und der Rechtsakte internationaler Organisationen weist es keine konkreten Merkmale auf, mit dem es sich von schlichtem sozialem Zwang unterscheiden ließe. Vielmehr zielt dieses Projekt-Recht ja gerade erst darauf ab, „über verschiedenartige Kanäle internationale Anerkennung und damit langsam auch Verbindlichkeit“ 436 zu gewinnen. Insofern führt die Kategorie des kosmopolitischen Rechts in erster Linie dazu, die Abgrenzung von Rechtsnormen, Rechtsentstehung und Interessenartikulation zu erschweren. Damit erscheint es aber insgesamt sinnvoller, dem Projekt-Recht der NGOs nicht den Charakter eines ganz eigenen Typus des Soft Law zuzusprechen, sondern lediglich eine (formalisierte 431 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 29, m.w. N. 432 Ebenda, S. 29, Nachweis weggelassen. 433 Ebenda, S. 29. 434 M. w. N. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 43. 435 N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als transnationales Recht, 2009, S. 29. 436 Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (540), Hervorhebung vom Verfasser.

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und ggf. auch wirkungsvolle) Beteiligung an der Normengenese im transnationalen Raum darin zu erkennen.437 Unbeschadet dessen können sich die NGOs gleichwohl auch als wichtige Beteiligte im Geflecht der hybriden Akteursstrukturen im transnationalen Raum herausstellen und verdienen an entsprechender Stelle erneute Aufmerksamkeit.438 Die Tatsache, dass Individuen oder Interessengruppen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen und dabei bewusst auch starken öffentlichen Druck erzeugen, um bestimmte (Sozial-)Normen zu erhalten oder zu schaffen, ist hinlänglich bekannt.439 Systematisch fehlerhaft wäre es hingegen, deren Wirken pauschal aus dem Vorfeld der Rechtsentstehung zu rücken und voreilig als Recht zu betiteln. Kosmopolitisches oder Projekt-Recht zielt auf (Rechts-)Entwicklungen an anderer Stelle ab, es stellt insofern lediglich eine „Irritation“ 440 bestehender Strukturen, nicht jedoch eine eigene Struktur dar.441 Als eigenständiger Typus des Soft Law kann es mithin nicht begriffen werden. (5) Autonome Rechtsordnungen Vielerorts werden als Bestandteil des Soft Law autonome Rechtsordnungen genannt.442 Als autonome Rechtsordnungen des transnationalen Rechts werden insbesondere im deutschsprachigen Raum die bereits unter III. 2. a) besprochenen Erscheinungen gänzlich eigenständiger, privater Rechtsordnungen, also z. B. die lex mercatoria oder die lex digitalis, bezeichnet;443 insofern kann auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden. Transnationales Recht in seiner post-etatistischen Lesart könnte mithin auch als eine Reduktion der funktional verstandenen Transnationalisierung auf lediglich einen Teilaspekt des Soft Law verstanden werden. Der Rekurs auf ein völlig eigenständiges („drittes“) Recht ist innerhalb der funktional verstandenen Ansätze allerdings stark umstritten.444 Im weiteren Verlauf der Untersuchungen wird dem Nachweis solchen autarken 437 Dies zumindest in Betracht ziehend Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (540 ff.). 438 Vgl. u. III. 4. b). 439 Schiff Berman, Globaler Rechtspluralismus, in: Kötter/Folke-Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen, 2009, S. 41 (61). 440 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft?, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (447). 441 Den Betätigungsfeldern und damit potentiellen Einflussbereichen der NGOs sind gleichwohl keine Grenzen gesetzt. Ihr Wirken kann sich auf die Fortentwicklung des Hard Law, genauso wie auf die gezielte Einflussnahme im Bereich des Soft Law beziehen. 442 Vgl. nur N. C. Ipsen, Private Normenordnungen als Transnationales Recht, 2009, S. 32 m.w. N. 443 Ebenda, S. 32. 444 Vgl. hierzu insgesamt o. III. 2., dort insb. unter b), e).

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„dritten“ Rechts keine größere Bedeutung beigemessen, da – wie gezeigt445 – einerseits die Maßstäbe für das Vorliegen völliger Autarkie letztlich willkürlich gesetzt werden können und andererseits mit dem Befund einer in diesem Sinne autonomen Rechtsordnung für sich genommen noch kein Erkenntnisgewinn verbunden ist. (6) Zwischenbilanz: Begriff und Bedeutung des Soft Law im transnationalen Recht Mit Soft Law werden nach der dieser Arbeit zugrunde liegenden Lesart des transnationalen Rechts Standards, verschiedene Formen der Selbstregulierung (insb. in Gestalt von Codes of Conduct oder – im transnationalen Raum – Standardklauseln und -verträge) und Rechtsakte internationaler Organisationen unterhalb der Schwelle der Sekundärrechtsetzung bezeichnet. Damit sind die genuin transnationalen Normen, die aufgrund der Schwächung des Prinzips der Territorialität und des staatlichen Rechts prosperieren sollen,446 konkret benannt. Völlig autonome Rechtsordnungen oder kosmopolitisches Projekt-Recht können demgegenüber nicht als eigene klar abgrenzbare Rechtsinstrumente (also auch nicht als Bestandteil des Soft Law) identifiziert werden und finden als solche in der anschließenden Untersuchung des Referenzgebiets keine weitere Berücksichtigung. Im nationalstaatlichen Binnenverhältnis sind die hier als Soft Law bezeichneten Strukturen (Standardisierung, professionalisierte Selbstregulierung) stets politisch vermittelt oder gesetzgeberisch delegiert; auf einer nicht länger in territorialen Grenzen vermittelten Ebene verlieren sie diese Anbindung und verselbständigen sich zu transnationalem Recht. Die Gründe, mit Soft Law nunmehr auch Erscheinungen zu bezeichnen, die nach einem klassischen Rechtsverständnis als außerjuridische Phänomene an die (Rechts-)Soziologie verwiesen gehörten, wurzeln in den hier mit den Stichworten globaler Rechtspluralismus und Fragmentierung zusammengefassten Entwicklungen. Soft Law ist weitverbreitet, wo staatliche Strukturen schwach ausgeprägt und hoheitliche Regelungen lückenhaft sind.447 Im Gegensatz zu den grundsätzlich komplexen und schwerfälligen herkömmlichen völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozessen sollen sich die Instrumente solch neuartigen Soft Laws als flexibler und reaktionsschneller darstellen. Im Gewand des Soft Law können rechtliche Lösungen für globale Probleme nunmehr bereits ins Vorfeld völkerrechtlicher Regelungen verlagert werden.448 Die 445

Vgl. o. III 2. b). Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (511). 447 Glenn, Transnational legal thought, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), Transnational Law, S. 61 (75). 448 Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 205; i. d. S. ebenfalls Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (33). 446

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in der Folge zunehmende Inkorporation vertragsexterner Standards auch ins Völkervertragsrecht trägt ebenfalls zu deren Bedeutung bei.449 Da beispielsweise den von der ISO erarbeiteten Standards praktisch universelle Beachtung zukommen soll, soll sich deren Relevanz „auch in den Fällen [zeigen], in denen eine solche Einbeziehung nicht vorgenommen wird [. . .].“ 450 Warum die Berücksichtigung des Soft Law als Recht so umstritten ist, erhellt auch der von Meder stammende Hinweis, dass diese Art von Soft Law, dem seine Bedeutung oft schon allein dadurch bescheinigt wird, dass es schlicht befolgt wird (und damit aus Sicht der beteiligten Akteure in gewissem Sinne eine allgemeine Übung darstellt), zumindest im Hinblick auf seine Entstehung in die Nähe des Gewohnheitsrechts rückt, wie es der Völkerrechtsdogmatik seit jeher bekannt ist.451 Ebenso wie bei der Erfassung des Völkergewohnheitsrechts sollen viele der dogmatischen Schwierigkeiten nicht zuletzt daher rühren, dass das Zugriffsinteresse im transnationalen Recht sich meist auf Regelungsmaterien erstreckt, die sich im Übergang von werdendem zu gewordenem Recht befinden; ob und wie deren Einteilung als Recht oder Nicht-Recht erfolgt, ist dann eine Frage von oftmals nur minimalen Nuancierungen im Einzelfall.452 Und wie die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht im Einzelfall schwierig und umstritten ist, gelte dies für die Feststellung, ob sich eine Regelung aus dem Bereich der Standards, der Selbstregulierung oder sonstiger Rechtsakte internationaler Organisationen unter den Begriff des transnationalen Rechts fassen lässt oder nicht. Unter dem Blickwinkel der Theorie transnationaler Rechtsprozesse fällt diese Entscheidung oft zugunsten einer Befassung mit den strittigen Materien aus: „[T]he recognition of nonstate orders by the state is an observable fact that for this reason alone cannot be ignored. Legal orders are recognized or denied recognition by the state (or by other actors); they are depicted as coherent regardless of whether this depiction represents a truth or not.“ 453 c) Zwischenergebnis: Transnationale Regelungsstrukturen Im vorangegangenen Kapitel ist der Rechtsbegriff herausgearbeitet worden, der der Theorie transnationaler Rechtsprozesse zugrunde liegt. Dieser ist von dem rechtsmethodischen Anspruch geprägt, einzelne Sachverhalte möglichst um449

Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 210 f. Ebenda, S. 211, Hervorhebung vom Verfasser; vgl. auch Meder, Ungeschriebenes „Recht“ im transnationalen Raum am Beispiel der Corporate Governance Verhaltenscodices, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 257 (268). 451 Meder, Ungeschriebenes „Recht“ im transnationalen Raum am Beispiel der Corporate Governance Verhaltenscodices, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 263 ff. 452 Ebenda, S. 276. 453 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (262). 450

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fassend und ohne perspektivische Verengungen durch ein reduktionistisches Rechtsverständnis zu begreifen. Infolgedessen stellt sich der Rechtsbegriff der Theorie transnationaler Rechtsprozesse als voraussetzungsvoller, komplexer und vielschichtiger dar, als er es nach dem hergebrachten Verständnis der Völkerrechtslehre ist. Die zuweilen oft nur oberflächlich benannten „privaten Wirkmächte“ konnten im Einzelnen benannt, voneinander abgegrenzt und einer ersten – bis dato abstrakten – Analyse unterzogen werden. Neben dem neuartigen Soft Law bestehen die hergebrachten Normsysteme fort, was eine Untergliederung des Rechtsbegriffs in Hard Law und Soft Law zur Folge hat; von der Transnationalisierung des Rechts ausgehend, ist somit auch nicht länger ein einheitlicher Rechtsrahmen maßgeblich. Eine populäre Deutung dieser im Kern rechtspluralistischen Konstellation ist, dass sich mithilfe der Perspektive des transnationalen Rechts nunmehr sachbereichsspezifisch beobachten lässt, dass parallele Normsysteme unterschiedlicher Herkunft sich wechselseitig anregen, verbinden, ineinandergreifen und durchdringen, ohne dabei jedoch „zu einheitlichen Superordnungen“ zu verschmelzen.454 Transnationalisierung bedeutet somit ein – auch als Interlegalität bezeichnetes455 – wechselseitiges Anerkenntnis von Hard Law und Soft Law. Als problematisch hat sich jedoch herausgestellt, dass der Begriff vom transnationalen Recht insofern irreführend ist, als er erstens eine Rechtsmethode bezeichnet, durch die zweitens erst bestimmte Rechtsstrukturen erkennbar werden. Bevor anhand der Untersuchung des Referenzgebietes der These nachgegangen wird, ob und inwieweit sich unterschiedliche Normensysteme tatsächlich anregen oder ineinandergreifen, sollen diese Strukturen – auch wenn sie keine „einheitliche Superordnung“ repräsentieren – nun noch unter einem anschlussfähigen Begriff zusammengefasst werden. Transnationales Recht ist, wie gezeigt, keine sachlich oder formal letztverbindlich abgrenzbare Rechtsmaterie. Dennoch hat es mithilfe seines komplexen und vielschichtigen Rechtsbegriffs die juristische Perspektive erheblich erweitern können. Wie lässt sich nun bezeichnen, was diese Perspektivenerweiterung sichtbar macht? Für die Gesamtheit der sichtbar gewordenen Verflechtungen der hier als Hard Law und Soft Law bezeichneten Strukturen sind in der Literatur verschiedene Begriffe vorgeschlagen worden. Meder beispielsweise fasst sie unter dem Begriff transnationaler Rechtsregime456 zusammen, Viellechner deutet sie als transnatio-

454 Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (43). 455 Michaels, Global Legal Pluralism, Annual Review of Law & Social Science 5 (2009), S. 243 (262). 456 Meder, Ungeschriebenes „Recht“ im transnationalen Raum, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 257 ff.

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nale Regelungsarrangements457. Ersterer erscheint zumindest im Hinblick darauf problematisch, dass der Begriff des „Regimes“ bereits vielfach verwendet wird; sowohl in der allgemeinen Völkerrechtslehre458 als auch im Diskurs der globalen Fragmentierung459 oder der politischen Theorie460 besitzt der Regime-Begriff je eine eigene Bedeutung. Insofern erscheint eine begrifflich klarere Abgrenzung wünschenswert. Der von Viellechner vorgeschlagene Begriff des transnationalen Regelungsarrangements ist zwar nicht in der gleichen Weise semantisch vorbelastet, bringt jedoch seinerseits das Problem mit sich, dass er in einem vergleichsweise stark institutionalisierten Zusammenhang vorgeschlagen worden ist.461 Deshalb soll hier, anknüpfend an Mayntz,462 Scharpf 463 und Trute464 der Begriff der Regelungsstrukturen, konkret: der transnationalen Regelungsstrukturen verwendet werden. Wie schon der Begriff vom transnationalen Recht ist der Begriff der Regelungsstruktur in erster Linie als analytischer Rahmen465 oder auch Verbundbegriff 466 zu verstehen, wenngleich vor einem eher verwaltungswissenschaftlichen 457

Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 145 ff. Dort ist der Begriff aus dem Kontext der sog. „self-contained-regimes“ bekannt. 459 Vgl. hierzu o. II. 2. 460 Keohane/Nye, Power and Interdependence, 2012, S. 19 ff. 461 Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 145 ff., schlägt den Begriff des Regelungsarrangements im Zusammenhang mit Untersuchungen zur ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) und einer Analyse des Referenzgebietes der Internetregulierung und Domainvergabe vor. Ähnlich wie mit dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Verständnis des transnationalen Rechts benennt auch Viellechner eine Vielzahl relevanter Normsysteme unterschiedlicher Herkunft als Kernelement der Transnationalisierung. Dass diese mit dem Begriff des Regelungsarrangements zusammengefasst werden, soll jedoch auch zum Ausdruck bringen, dass in dem konkreten Untersuchungszusammenhang die Regelungsdichte, Akteursvielfalt und Institutionenbildung bereits erheblich fortgeschritten sind; gerade dieser hohe Institutionalisierungsgrad soll mit dem Begriff des Regelungsarrangements also zum Ausdruck gebracht werden. 462 Mayntz/Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 (16 ff.). 463 Mayntz/Scharpf, Steuerung und Selbstorganisation in staatsnahen Sektoren, in: dies. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 (16 ff.). 464 Trute, Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVBl 1996, S. 950 (951); ders./Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (245); ders./Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung 2004, S. 451 (457 ff.). 465 Trute/Denkhaus/Kühlers, Governance in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Die Verwaltung, 2004, S. 451 (459). 466 Franzius, Governance und Regelungsstrukturen, S. 10, online verfügbar unter: http://userpage.fu-berlin.de/~europe/team/FranziusC/Governance-neu.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 458

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Hintergrund.467 Mit Regelungsstrukturen werden dort alle für einen bestimmten Sachbereich erheblichen Regelungsinstanzen, Maßstäbe, Formen und Instrumente bezeichnet, die aus dem Zusammenspiel zwischen staatlichen und privaten Akteuren erwachsen.468 Die Einführung des Begriffs in die Verwaltungslehre sollte dabei als Reaktion darauf zu verstehen sein, „dass die traditionellen dogmatischen Kategorien das Zusammenspiel von öffentlichen und privaten Akteuren nicht zureichend auf den Begriff bringen können und die vielfältigen hybriden Konstellationen von Staat und Gesellschaft durch Rückgriff auf die an dem Bild von souveräner Staatlichkeit orientierten Begrifflichkeiten eher unsichtbar als dogmatisch handhabbar machen.“ 469 Darauf, dass auch innerhalb dieses Rahmens das Verhältnis von rechtlichen und nicht-rechtlichen Regelungen im Einzelfall stets „klärungsbedürftig“ bleibt, weist etwa Trute ausdrücklich hin.470 Aus der Perspektive des transnationalen Rechts wird diese Klärung anhand eines erweiterten Rechtsbegriffs versucht, zumindest insoweit die vorgefundenen Regelungen Entsprechung in den Kategorien des Soft Law finden. Anders als im soeben skizzierten Kontext wird der Begriff der Regelungsstruktur hier von der vornehmlich verwaltungswissenschaftlichen auf die völkerrechtliche Ebene, in den transnationalen Raum, projiziert. Mithin soll bezüglich der aus der Perspektive des transnationalen Rechts sichtbar gemachten Erscheinungen im Folgenden von transnationalen Regelungsstrukturen die Rede sein.471 Transnationale Regelungsstrukturen sind die durch den methodischen „Analyserahmen“ zu beobachtenden Auswirkungen der Transnationalisierung; sie tragen dem Umstand Rechnung, dass der aus der spezifischen Verknüpfung von Recht 467 Vgl. zur rechtswissenschaftlichen Diskussion Trute/Pilniok/Kühlers, Governance als verwaltungsrechtswissenschaftliches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, PVS-Sonderheft 41 (2008), S. 173 (173 ff.). 468 Trute/Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (245). 469 Trute/Denkhaus/Kühlers, Die Verwaltung 37 (2004), S. 451 (458); zur Einzelfallabhängigkeit normativer Relevanz und zum Umstand, dass auch der Begriff der Regelungsstruktur (nur) als „Arbeitsprogramm“ für den konkreten Fall verstanden werden kann, ders./Pilniok/Kühlers, Governance als verwaltungsrechtswissenschaftliches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, PVS-Sonderheft 41 (2008), S. 173 (175 f.). 470 Trute/Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (249). 471 Schon auf der begrifflichen Ebene noch weiter geht Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, der in den hier als transnationale Regelungsstrukturen bezeichneten Erscheinungen Ansätze eigener Verfassungen erkennen will: „[A]uch internationale Organisationen, transnationale Regimes und deren Vernetzungen sind nicht nur inzwischen stark juridifiziert, sondern befinden sich in einem Prozess der Konstitutionalisierung. Sie sind Teile einer weltweiten – wenn auch durchgehend fragmentierten – Verfassungsordnung geworden.“ (S. 22); im „Meer der Globalität“ bilden sich sachspezifische „Inseln des Konstitutionellen“ (S. 86). Die Diskussion, ob und inwieweit transnationale Regelungsstrukturen tatsächlich den Charakter eigener Verfassungen aufweisen, soll hier nicht geführt werden.

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und nationalstaatlicher Politik resultierende Rechtsbegriff sich nicht auf die globale Ebene übertragen lässt.472 4. Akteure in der Transnationalisierung Der erweiterte Analyserahmen transnationaler Regelungsstrukturen bleibt auch für den Kreis der für die Untersuchung relevanten Akteure nicht ohne Auswirkungen. In der Völkerrechtslehre ist der Kreis relevanter Akteure zunächst noch überschaubar – das Völkerrecht kennt insofern die Völkerrechtssubjekte. Seit jeher und an erster Stelle gelten im Westfälischen System die Staaten als klassische Völkerrechtssubjekte. Daneben kennt das Völkerrecht auch „gekorene“ Völkerrechtssubjekte wie internationale Regierungsorganisationen (IGOs) oder traditionelle Völkerrechtssubjekte wie den Heiligen Stuhl, den Souveränen Malteserorden oder das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Zudem konnten in jüngerer Zeit auch Individualpersonen – etwa mit Blick auf die Möglichkeit der Individualbeschwerde im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die aus dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH-Statut) erwachsende Pflichtenträgereigenschaft – zumindest in begrenztem Umfang partielle Völkerrechtssubjektivität erlangen.473 Aus dem erweiterten Rechtsbegriff des transnationalen Rechts erwächst jedoch eine demgegenüber erheblich erweiterte Akteursstruktur, die deutlich über die bekannten Konstellationen überwiegend rein zwischenstaatlicher Koordination hinausweist. Andersherum gilt dasselbe: Die Vielfalt und die Einflussmöglichkeiten (welt-)gesellschaftlicher Akteure korrespondieren faktisch nicht mehr mit den Grundsätzen, dass nur Staaten Völkerrecht schaffen können und nur Staaten vom Völkerrecht gebunden sein können.474 Damit ist im transnationalen Recht jedoch die zuvörderst auf Staaten begrenzte Perspektive des Völkerrechts grundsätzlich zu überdenken. Im Folgenden geht es nicht darum, einer vollumfänglichen Völkerrechtssubjektivität beispielsweise von multi- oder transnationalen Unternehmen oder NGOs das Wort zu reden. Dies ist schon vor dem Hintergrund des staatsfixierten völkerrechtlichen Status Quo wenig gewinnbringend.475 Auch wäre ein solcher Begriff der Völkerrechtssubjektivität kaum anschlussfähig. Es soll vielmehr erreicht werden, die in die transnationalen Regelungsstrukturen involvierten Akteure überhaupt zu identifizieren und so eine zumindest theorieinterne Abge472

Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 125. Vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 20 ff. 474 Gessner, Rechtspluralismus und globale soziale Bewegungen, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2002, S. 277 (295). 475 Vgl. zur völkerrechtlichen Stellung transnationaler Unternehmen Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? ZaöRV 2009, S. 883 ff. 473

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schlossenheit zu erreichen. Insofern spiegelt diese Arbeit auch die Tendenz wider, dass mit der Theorie transnationaler Rechtsprozesse weniger eine völlig neue Dogmatik der Völkerrechtssubjektivität gesucht, als vielmehr ein pragmatischer Ansatz zur Sichtbarmachung der tatsächlichen Akteursstrukturen im transnationalen Raum verfolgt wird. a) Die Entstehung hybrider Akteursstrukturen: Öffentlich-private Netzwerke Transnationales Recht ist, wie gezeigt, durch ein Nebeneinander von Normen sowohl privaten als auch öffentlichen Ursprungs gekennzeichnet. Zum theorieinternen „common sense“ zählt daran anknüpfend die Annahme, dass sich dieses Nebeneinander auch auf der Ebene der Akteure niederschlagen muss. Recht speist sich nicht aus einer einzigen Quelle, sondern entsteht im Kontext eines „globe-spanning web of [. . .] actors“ 476; „focus solely on state actions gives a misleading picture of international law-making.“ 477 Diese für die Transnationalisierung als geradezu charakteristisch gehandelte Konstellation, das Verwobensein staatlicher und nicht-staatlicher Akteure zu einem einzigen verdichteten Akteursnetzwerk ist von Stefan Oeter mit dem Begriff der hybriden Akteursstrukturen478 bedacht worden. Ob und inwieweit auch mit Blick auf die für die Regulierung der Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen relevanten Akteure von einer „Hybridisierung“ die Rede sein kann, wird Untersuchungsgegenstand des zweiten Teils (C.) sein.479 Im Folgenden sollen die Spezifika, Ursachen und möglichen Risiken hybrider Akteursstrukturen einer knappen und zunächst abstrakten Analyse unterzogen werden.480 aa) Spezifika Eine solche Analyse unterliegt einigen Einschränkungen: Die Entstehung hybrider Akteursstrukturen außerhalb sachspezifischer Zusammenhänge zu analysieren ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich, da die konkret beteiligten 476 Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 3. 477 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 41. 478 Begriff nach Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 ff.; dasselbe meint Koh, in: Likosky (Hrsg.), Transnational Legal Processes: Globalisation and Power Disparities, 2002, S. 327 (327), der insofern von „transnational issue-networks“ spricht. 479 Hierzu u. C. III. 480 Die Diskussion um das Zusammenwirken staatlicher und nichtstaatlicher Akteure ist auch und insbesondere im Verwaltungsrecht ein seit geraumer Zeit vieldiskutiertes Thema, wenn auch dort nicht unter dem Schlagwort der „Hybridisierung“. Zahlreiche Nachweise zur Diskussion um die hoheitlich-private Aufgabenteilung im deutschen Verwaltungsrecht finden sich bei Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008, S. 264 f.

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Akteure in den jeweiligen Sachgebieten stark variieren. Dies ist nicht zuletzt den Spezialisierungstendenzen der funktionalen Differenzierung der Weltgesellschaft geschuldet. Auch die jeweiligen Beteiligungs- und Einflussnahmeaktivitäten präzise zu vermessen ist selbst im Einzelfall schwierig und damit abstrakt erst recht nicht zu leisten.481 Gleichwohl lassen sich innerhalb der Literatur zumindest einige generalisierbare Tendenzen ausmachen, die im Folgenden kurz dargestellt werden. Zu den wichtigsten (und de facto kaum bestrittenen) Beobachtungen zählt, dass sich die auf der Ebene der Normentstehung in der einen oder anderen Weise beteiligten Akteure in den vergangenen Jahrzehnten erheblich diversifiziert haben.482 Im Hinblick auf die für das klassische Völkerrecht noch zentrale Kategorie der Völkerrechtssubjektivität bedeutet die Hybridisierung der Akteure einen grundlegenden Wandel: „[T]he binary perception of states as international lawmakers and other actors merely as claimants under those laws [collapses]. Nonstate entities are recognized as constituting both subjects and objects of international law.“ 483 Eine zentrale Rolle spielen im Bereich der Normentstehung und -durchsetzung im transnationalen Recht nun unterschiedliche Privatakteure: „[Transnational law] is the product of a growing number of private, transnational organizations, including businesses and non-profit NGOs, the latter playing a growing role in both making and monitoring rules.“ 484 Dabei ist es als Ausdruck gesellschaftlicher Fragmentierung zu verstehen, dass die beteiligten Akteure kaum irgendwo als homogene oder sachgebietsübergreifend koordinierte Instanzen in Erscheinung treten. Ebensowenig kann abstrakt ein abschließendes und vollständiges „who is who“ potentiell beteiligter Privatakteure („Non-state actors“) vorgenommen werden. Einen beispielhaften Überblick bieten insofern Boyle und Chinkin: „It is appar481 Ähnlich Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 44: „The range and diversity of non-state actors make it impossible to do more than generalize about their law-making activities.“ 482 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 41 ff.; v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 17 ff.; Hanschmann, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (375 ff.); Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 ff.; Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 ff.; Backer, IJGLS 2011, S. 751 ff.; Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 ff.; Glenn, Transnational legal thought, in: Maduro/Tuori/ Sankari (Hrsg.), Transnational Law, 2014, S. 61 (75); Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 3; Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (14); Calliess/Maurer, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (4). 483 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 83, Hervorhebung vom Verfasser. 484 Glenn, Transnational legal thought, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), Transnational Law, 2014, S. 61 (75).

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ent that transnational non-governmental bodies have never and still do not form a homogenous grouping. Non-state actors today encompass inter alia sub-state entities and entities denied statehood, national and international issue-based NGOs, individuals, ,kitchen-tablers‘, the corporate and business sector, shareholders, churches and religious groupings, trade unions and employees, academics, think tanks, consumer groups, para-military forces, professional associations, including those of judges, lawyers, parliamentarians and law enforcement agencies, expert communities, sport associations and criminal and terrorist organisations.“ 485 Auf deren Emporkommen können die Staaten nur mehr reagieren, diese Tendenz jedoch nicht abändern; „To save the state, the state itself must adapt to the governance frameworks of private transnational governance bodies“.486 Rechtserzeugung findet dann innerhalb sachgebietsbezogener Netzwerke von unterschiedlichem Organisationsniveau statt, denen oftmals mehrere der genannten Organisationseinheiten angehören können. Staatliche und private Akteure begegnen sich dann horizontal und „auf Augenhöhe“, womit staatliche Organisationseinheiten innerhalb der hybriden Akteursstrukturen zu „Repräsentanten partikularer Interessen“ absinken sollen.487 Hinzukommt, dass die Organisationseinheit „Staat“ innerhalb der Akteursnetzwerke ebenfalls keine homogene oder zwingend geschlossene Einheit darstellt, sondern einer zunehmenden „Zerfaserung“ 488 unterliegt. Anne-Marie Slaughter beschreibt mit dem Stichwort „dissagregation of the state“, dass (zunehmend) nur noch verselbständigte organisatorische Teileinheiten des Staates im transnationalen Raum interagieren. Selbst in den Strukturen, in denen die staatliche Partizipation stark ausgeprägt ist, sind regelmäßig nur Zusammenschlüsse einzelner staatlicher Organe zu sachgebietsbezogenen Netzwerken auszumachen („transnational regulatory cooperation“).489 Als räumlicher „Kristallisationspunkt“ solcher fachbürokratischer Handlungskoordination werden die durch internationale Regierungsorganisationen bereitgestellten Foren benannt, innerhalb derer dann oftmals auch die Vernetzung mit den Privatakteuren organisiert wird.490 Der genaue jeweilige Beteiligungsgrad öffentlicher und privater Organisationseinheiten innerhalb dieser Foren ist praktisch sehr schwer – und wenn überhaupt in Einzelfällen – zu bestimmen.491 Unbeschadet dessen reicht es mit Blick auf die Frage485

Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 43 f. Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 (109). 487 Viellechner, Was heißt Transnationalität im Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 71. 488 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (389). 489 Slaughter, A New World Order, 2004, S. 131 ff. 490 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (393). 491 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 91. 486

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B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

stellung dieser Arbeit aus, dass die Staaten im Folgenden dennoch als eine einheitliche Organisationsform betrachtet werden und nicht als die zergliederten Teileinheiten, als die Slaughter sie beschreibt. bb) Ursachen Die Ursachen für die Hybridisierung der Akteursstrukturen im Völkerrecht sind verschiedener Natur; in erster Linie werden sie jedoch in den „epistemischen Probleme[n] der spezialistischen Regulierung“, also auf der Ebene der Wissensallokation verortet.492 Mit der Spezialisierung des Völkerrechts geht folgerichtig der Zugriff des Rechts auf immer speziellere Bereiche und somit auch komplexere Materien einher.493 Damit ist aufseiten der Regulierungsinstanzen – wer immer diese auf der transnationalen Ebene im konkreten Sachzusammenhang sein mögen494 – ein immer umfangreicheres und zunehmend spezialisiertes Wissen erforderlich, um die Regulierungsaufgabe überhaupt bewältigen zu können. Dieses Wissen wiederum lässt sich am effektivsten abrufen, indem die Beteiligten, die über die entsprechende Sachkenntnis verfügen, schon institutionell in die Aufgabe der Regulierung mit einbezogen werden; diese Beteiligten wiederum sind oftmals private Akteure. Denn wenn beispielsweise in einem bestimmten Regelungsbereich Wissen und Erfahrungen „im Kern bei den industriellen Anwendern anfallen, ist deren Einbezug in die Standardsetzung und Implementationskontrolle mehr als sinnvoll, um so die (notwendigen) nicht-administrativen Wissensbestände [. . .] nutzbar zu machen.“ 495 Die Emergenz privater Akteure in den hybriden Akteursstrukturen ist demzufolge also auch eine Frage des im Regelbildungsprozess erforderlichen Wissensmanagements.496 Des Weiteren spielen auch technisch-praktische Gründe eine Rolle. Schon die bloße Organisierbarkeit globaler Netzwerke ist aufgrund der fortgeschrittenen elektronischen Kommunikation erheblich vereinfacht worden; in Echtzeit können sich unterschiedlichste Interessenvertreter sowohl privater als auch staatlicher Natur und unterschiedlichster geografischer Herkunft in sachspezifischen Netzwerken punktuell und wo oder wann immer erforderlich organisieren.497 Daneben spielt auch der Umstand eine Rolle, dass für eine Vielzahl von Regelungsbereichen die rein binnenstaatliche Öffentlichkeit gesprengt worden ist; in diesen Fäl492 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (398). 493 Vgl. o. I. 2. a). 494 Als Beispiel nennt etwa Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 236, Interessenverbände der Wirtschaft, die ihr Expertenwissen und damit ihr politisches Gewicht aus der „operativen Nähe“ beziehen. 495 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (399). 496 Ebenda, S. 398 ff. 497 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 51.

III. Recht als transnationaler Prozess

105

len besteht die Beteiligung öffentlicher Akteure weniger in dem Erbringen tatsächlicher regulatorischer Eigenleistungen als vielmehr in dem Moderieren der Foren, auf denen sich eine Vielzahl von Leistungserbringern die Regulierungsarbeit teilen.498 cc) Risiken Wie stets, wenn Verlagerungen von der staatlichen auf die private Ebene zu beobachten sind, werden auch hinsichtlich der hybriden Akteursstrukturen Bedenken geäußert, so etwa mit Blick auf deren mangelhafte demokratische Legitimation. Die im Detail nur schwer zu erschließenden Strukturen der hybridisierten Akteursnetzwerke bedeuten aufgrund ihrer mangelhaften Transparenz oft auch das Ausbleiben öffentlicher Kontrolle.499 Je informeller die Verständigungsformen im transnationalen Raum sind, desto niedriger ist die demokratische Rückbindung; parlamentarische Kontrolle könne auf diese Weise „fast völlig ausgehebelt“ 500 werden. Wie schon hinsichtlich der Ursachen und der Spezifika der Hybridisierung, gilt insbesondere auch hinsichtlich der Risiken, dass diese nur schwerlich abstrakt zu untersuchen sind. Wie schon für den Bereich der Standards im Soft Law501 gilt auch hier, dass die Frage mangelnder demokratischer Legitimation jeweils im konkreten Fall beantwortet werden muss. b) NGOs als fester Bestandteil hybrider Akteursstrukturen Am Standardsetting und der Implementierung und Überwachung von Standards oder CCoCs sind in erheblichem Umfang immer auch verschiedene NGOs beteiligt.502 Als NGOs werden, grob gesagt, jedwede private internationale Verbände wirtschaftlicher, politischer oder ideeller Identität, bezeichnet; sie besitzen nach ganz überwiegender Auffassung keine Völkerrechtssubjektivität und können jedes denkbare Interesse staatenübergreifend verfolgen.503 Ihre demgegenüber gleichwohl hohe Bedeutung für die Fortentwicklung des Völkerrechts („Komplementärfunktion“ 504) ist praktisch unbestritten; innerhalb der hybriden Akteurs498 Merkt, Privatisierung der Regelsetzung und -durchsetzung, in: Assmann/Isomura/ Kansaku/Kitagawa/Nettesheim (Hrsg.), Markt und Staat in einer globalisierten Wirtschaft, 2010, S. 169 (179 ff.). 499 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (400). 500 Ebenda, S. 401. 501 Vgl. o. 3. b) bb) (1) (b). 502 Vgl. Windbichler, Bindungswirkung von Standards im Bereich Corporate Governance, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 19 (23); Alvarez, International Organizations as Law-Makers, 2005, S. 36. 503 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, S. 43. 504 Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (188).

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B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

strukturen transnationaler Rechtsprozesse nehmen sie folglich eine bedeutsame Rolle ein.505 Ihre Beteiligung kann dabei sowohl auf der Rechtsentstehungs-506 als auch auf der Rechtsanwendungs- oder Rechtsdurchsetzungsebene507 angesiedelt sein.508 Im Bereich des (externen) Standardsettings durch NGOs ist insbesondere die International Organization for Standardization (ISO), die auch im weiteren Verlauf der Untersuchung des Referenzgebiets eine Rolle spielt, zu erwähnen.509 c) Zwischenergebnis Im Kontext transnationalen Rechts kommt es auf eine strikte und abschließende Enumeration von Völkerrechtssubjekten nicht (mehr) vordergründig an. Die Frage der Völkerrechtssubjektivität tritt hinter der pragmatisch gelagerten Frage nach der möglichen oder tatsächlichen Beteiligung einer bestimmten Organisation an der Herausbildung transnationaler Regelungsstrukturen zurück. Deren Identifikation bestimmt die Frage nach den Akteuren im transnationalen Recht. Mit Blick darauf, dass transnationale Regelungsstrukturen auch rein private Regelsätze beinhalten, ist der Kreis potentieller Rechtsetzungsakteure damit praktisch unbegrenzt und letztlich von Fall zu Fall zu bestimmen. Charakteristisch für die Akteursstrukturen im transnationalen Recht ist deren Hybridität, in der sich die Verschränkung privater und öffentlich-rechtlicher Organisationseinheiten spiegelt. 5. Exkurs: Andere Theorien und insbesondere Governanceforschung Mit der Perspektive des transnationalen Rechts wird versucht, die Gesamtheit aller normativ erheblichen Steuerungsfaktoren, welche – wie gezeigt – im Ergeb505 Zur Rolle von NGOs bei der Erzeugung „hybriden Rechts“: Gessner, Rechtspluralismus und globale soziale Bewegungen, Zeitschrift für Rechtssoziologie 2002, S. 277 (290 ff.). 506 Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingert/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (540). 507 Vgl. beispielsweise zu Rechtsdurchsetzungsaktivitäten von NGOs im Bereich einer globalen „Umweltgouvernance“ Winter (Hrsg.), Multilevel Governance of Global Environmental Change, 2005. 508 Daneben gibt es weitere Versuche, NGOs etwa anhand der verfolgten Ziele, der Arbeitsmodi oder einer (z. T. nur vermuteten) Regierungsnähe oder -ferne zu differenzieren. Über den mitunter natürlich sehr vagen Sammelbegriff „NGO“ hinaus, besteht in der Literatur allerdings kaum definitorische Übereinstimmung, sodass an dieser Stelle auf eine weitere Untergliederung verzichtet werden soll. Vgl. Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 53. 509 Nach ganz überwiegender Auffassung wird die ISO als private Organisation (nongovernmental) begriffen. Diese Einordnung wird nur vereinzelt infrage gestellt; vgl. etwa Klabbers, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 329 (332), der hinsichtlich ihres Status von „unclear“ spricht.

III. Recht als transnationaler Prozess

107

nis weit über den bisherigen Rechtsbegriff des Völkerrechts hinausweisen, als transnationale Regelungsstrukturen sachgebietsspezifisch („issue-spezifisch“) abzubilden. In diesem Ansatz ähnelt die Theorie transnationaler Rechtsprozesse verschiedenen anderen Theorien sowohl politik-, sozial- als auch wirtschaftswissenschaftlicher Prägung. Dies sind beispielsweise die Regimetheorie,510 die Interdependenztheorie511 oder die Governanceforschung.512 Die aus Politik-, Sozialwissenschaft und Ökonomie stammende Governancetheorie ist der Rechtswissenschaft dabei nicht nur am ehesten vertraut, sondern bildet auch den disziplinübergreifend insgesamt wohl am meisten verbreiteten513 Ansatz zur begrifflichen Erfassung globalisierungsbedingter Veränderungen im Bereich der gesellschaftlichen Steuerung.514 Die Theorie transnationaler Rechtsprozesse, die aus einem spezifisch rechtswissenschaftlichen Blickwinkel den „Wandel von Government zu Governance“ 515 auf der Völkerrechtsebene zu beschreiben sucht, ließe sich als deren rechtswissenschaftliches Analogon begreifen. Die Governance-Analyse bezieht neben den rechtlichen auch noch weitere Steuerungsmodi, insbesondere ökonomische wie Wettbewerb, Verhandlungen oder Netzwerke ein; im Zentrum der Governanceanalyse stehen die genaue Identifikation aller jeweils beobachtbaren Steuerungsfaktoren und die Analyse von deren Wirkungszusammenhängen.516 Governancetheorie und transnationales Recht können mithin nicht als Synonyme begriffen werden. Nach einer verbreiteten Definition der 1992 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen eingesetzten Commission on Global Governance lässt sich Governance definieren als: „[T]he sum of the many ways individuals and institutions, public and private, manage their common affairs. It is a continuing process through which conflicting or diverse interests may be accommodated and cooperative action may be taken. It includes formal institutions and regimes empowered to enforce compliance, as well as informal arrangements that people 510

Vgl. Krell, in: Staack (Hrsg.), Einführung in die Internationale Politik, 2012,

S. 50. 511

Keohane/Nye, Power and Interdependence, 2012, S. 19 ff. Vgl. insg.: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2008. 513 Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 660. 514 Die empirische Ausgangslage wird vonseiten der Governancetheorie ganz ähnlich wie aus der Sicht des transnationalen Rechts beschrieben: Global Governance ist gekennzeichnet durch „the absence of some overarching governmental authority. [. . .] The structure of global governance is polycentric, not hierarchical, but network-like.“ Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/ Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (18). 515 Zumbansen, Die Lehren der Lex Mercatoria, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 135 (144). 516 Trute/Pilniok/Kühlers, Governance als verwaltungsrechtswissenschaftliches Analysekonzept, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelnden Welt, PVS-Sonderheft 41 (2008), S. 173 (173). 512

108

B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

and institutions either have agreed to or perceive to be in their interest.“ 517 Governance „relates to any form of creating and maintaining political order and providing common goods to a particular constituency.“ 518 Kurz gesprochen bezeichnet Governance also stets eine Vielzahl nicht zwingend juristischer kollektiver Einflüsse auf ein soziales System.519 Ähnlich wie mit der Analyse transnationaler Regelungsstrukturen soll mithilfe der Governanceanalyse das Resultat der Tätigkeiten unterschiedlicher Akteure (Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft) in komplexen Mehrebenensystemen sichtbar werden.520 Indem die Theorie vom transnationalen Recht den Völkerrechtsbegriff ausweitet auf die Gesamtheit der normativen Einflüsse auf ein bestimmtes System, wird die „Verwandtschaft“ zur Governancetheorie erkennbar. Der rechtswissenschaftliche Zugriff auf normative „Randerscheinungen“ folgt dabei einer klaren Agenda: Das Feld der grenzüberschreitend wirkenden informellen Regulierung allein Politologie und Ökonomie zu überlassen birgt die Gefahr, dass Recht und Rechtsstaat „zur leeren Hülse“ verkommen. Der rechtswissenschaftliche Zugriff auf die Globalisierung (in der Methode des transnationalen Rechts) ermöglicht es also, rechtsstaatliche Vorstellungen von Transparenz, Legitimation oder Rechtsschutz mit in die Steuerungsprozesse einzubringen.521 6. Zwischenergebnis: Transnationalisierung Mit dem Begriffsverständnis dieser Arbeit meint transnationales Recht keine eigene Rechtskategorie und kein bestimmtes Rechtsgebiet, sondern eine eigene Rechtsmethode. In seiner folglich auch hier zugrunde gelegten funktionalen Lesart bezeichnet transnationales Recht einen Analyserahmen, mit dessen Hilfe alle normativ erheblichen grenzüberschreitenden Regelungsstrukturen auch jenseits des Nationalstaats sichtbar gemacht werden sollen.522 Das „Ergebnis“, hier als transnationale Regelungsstrukturen bezeichnet, ist ein durch das Nebeneinander von privaten und öffentlichen Regulierungsinstrumenten gekennzeichnetes Nor517 Report of the Commission on Global Governance, Our Global Neighbourhood, 1995, S. 2; online verfügbar unter: http://www.gdrc.org/u-gov/global-neighbourhood/ chap1.htm, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 518 Keller, Codes of Conduct and their Implementation, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Legitimacy in International Law, 2008, S. 219 (261). 519 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (514). 520 Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 208. 521 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (3). 522 Dieser Ansatz geht im Wesentlichen zurück auf Koh, Transnational Legal Process, Nebraska Law Review 75 (1996), S. 181 (183 f.); ders., Transnational Legal Process After September 11th, Berkeley Journal of International Law, 22 (2004), S. 337 (339); Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 219; ders./Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 ff.; vgl. insgesamt o. III. 2. b).

IV. Zwischenbilanz

109

mengeflecht. Indem der Analyserahmen des transnationalen Rechts den Rechtsbeobachter in die Lage versetzt, auch die „Zwischenphänomene“ 523 – Standards, Expertenrecht, Corporate Codes of Conduct und vergleichbare Instrumente – mit abzubilden, überwindet er eine als unzeitgemäß empfundene Dichotomie der Rechtsquellenlehre von nationalem und internationalem Recht. Daneben erfährt das vielschichtige Mit- und Nebeneinander öffentlicher und privater Akteure anhand hybrider Akteursstrukturen eine dogmatische Entsprechung.524 Die strikte Unterscheidung zwischen öffentlichem, privatem, internationalem und nationalem Recht verliert hingegen aus der Perspektive des transnationalen Rechts möglicherweise zunehmend an Bedeutung.525

IV. Zwischenbilanz: Transnationalisierung des Rechts, gesellschaftliche Fragmentierung und globaler Rechtspluralismus Mit den bisherigen Ausführungen ist der Analyserahmen des transnationalen Rechts vollständig. Er wurzelt im Rechtsverständnis des globalen Rechtspluralismus und in den Entwicklungen der globalen Fragmentierung. Theoretisches Vorverständnis (globaler Rechtspluralismus), dessen sozialwissenschaftliche Abstützung und völkerrechtliche Zuspitzung (globale Fragmentierung) und analytisches Modell (transnationales Recht) greifen dabei eng ineinander. Unter den Bedingungen der Globalisierung und einer fortschreitenden „Vervölkerrechtlichung“ wird die juristische Beurteilung einzelner Sachverhalte anhand lediglich eines Rechtsrahmens in zunehmendem Maße unmöglich. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass der globale Rechtspluralismus darüber hinaus die Emergenz unabhängiger, nicht-autoritativer Rechtsordnungen ausmacht, die an der „Peripherie des Rechts“, das heißt aus den Rechtsschöpfungskräften der globalen Zivilgesellschaft heraus, entstehen. Hiermit gerät schließlich die Vorstellung von der Einheit der Rechtsordnung ins Wanken, der zufolge das System Recht einen einheitlichen, bruchlos-geschlossenen und widerspruchsfreien Rahmen526 bildet. Das Zusammenspiel autoritativer und nicht-autoritativer Rechtsordnungen in heterarchischen Netzwerken, welches im Zuge einer tiefergehenden Analyse als transnationale Regelungsstrukturen beschrieben werden konnte, unterstreicht den Befund, der unter dem Stichwort der Fragmentierung zusammengefasst worden 523 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (388). 524 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 86. 525 Eine von Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 86, sogar als „obsolet“ bezeichnete Unterscheidung. 526 Schmidt, Einheit der Rechtsordnung – Realität? Aufgabe? Illusion?, in: ders. (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung? S. 9 (10). Vgl. hierzu insg. o. I. 2. b).

110

B. Theorie transnationaler Rechtsprozesse

ist: Die globale Gesellschaft kann nicht als homogene Einheit betrachtet werden, sondern muss als eine Vielzahl konfligierender Teilbereiche („Regime“) verstanden werden. In der Realisierung funktionaler Differenzierung folgen die einzelnen Regime einer strikten Eigenrationalitätsmaximierung und bilden – indem sie die territoriale Unterteilung der Welt in Staaten in Frage stellen – die neuen, die eigentlichen Trennlinien des globalen Rechts. Auch das Recht reagiert auf diese Entwicklungen, nämlich mit der Transnationalisierung. In der Transnationalisierung entwickelt sich das Recht zu einer Steuerungsinstanz aus unterschiedlichsten Einzelbestandteilen, in der die durch politische Institutionen gesteuerte Gesetzgebung zumindest das Privileg verliert, an der Spitze zu stehen.527 Bei der Analyse der Einzelbestandteile hat sich die Untersuchung im Wesentlichen auf die genuin transnationalen, neuartigen Erscheinungen von als Soft Law bezeichneten Steuerungsinstrumenten konzentriert. Standardisierungen bzw. Expertenrecht, sowie Selbsregulierung in Form von Corporate Codes of Conduct konnten als deren zentrale Bestandteile identifiziert werden, wobei sich die spezifische Perspektive des transnationalen Rechts erst aus der gleichberechtigten Zusammenschau von Hard Law und Soft Law ergibt. Diese Zusammenschau soll im nun folgenden zweiten Teil (C.) geleistet werden, indem ein Referenzgebiet – private maritime Sicherheitsdienstleister – einer konsequenten Analyse aus dem methodischen Blickwinkel transnationalen Rechts unterzogen wird.

527 Teubner, Des Königs viele Leiber. Die Selbstdekonstruktion der Hierarchie des Rechts, in: Soziale Systeme 1996, S. 229 (242).

C. Das Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen Im vorangegangenen ersten Teil (B.) konnten die Thesen der Theorie transnationaler Rechtsprozesse hergeleitet und rekonstruiert werden. Der Analyserahmen528 des transnationalen Rechts soll im nachfolgenden zweiten Teil (C.) den methodischen Ansatz bieten, anhand dessen das Referenzgebiet, maritime Sicherheitsdienste, untersucht wird. Am Beginn dieser Untersuchung müssen zunächst noch die durch die Perspektive des transnationalen Rechts vorgegebenen „Untersuchungskriterien“ zu einem verbindlichen Analyseschema zusammengefügt werden.

I. Analyseschema Anhand der Theorie transnationaler Rechtsprozesse sollen sich im Wesentlichen zwei Entwicklungslinien abbilden lassen: Erstens entstehen im Kontext entterritorialisierter Regime sog. hybride Akteursstrukturen.529 Zweitens entsteht aus diesen – dezentralisierten und nicht länger staatlich dominierten – Akteursstrukturen heraus ein vielschichtiges Geflecht von Normen unterschiedlicher Qualität, das hier als transnationale Regelungsstrukturen bezeichnet wird.530 Aus dem Blickwinkel des transnationalen Rechts muss sich am Ende der Untersuchung also feststellen lassen, ob die relevanten Akteure als „hybridisiert“ bezeichnen werden können und ob mit Blick auf die Regulierung der Sicherheitsdienste anstelle eines einheitlichen Rechtsrahmens ein vielschichtiges Geflecht transnationaler Regelungsstrukturen maßgeblich ist. Eine leitende Rolle spielt dabei die Frage, welchen Einfluss Privatakteure auf die Ausgestaltung dieser transnationalen Regelungsstrukturen haben – soweit dies sich nachverfolgen lässt. Damit ergibt sich für die Untersuchung der folgende Aufbau: Im Anschluss an eine kurze Darstellung der Ausgangssituation (II) gilt es zunächst, alle im Kontext der privaten Sicherheitsdienstleister auf Handelsschiffen relevanten Akteure zu identifizieren (III). Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, ob die Regulierung privater Sicherheitsdienste tatsächlich in Form transnationaler Regelungsstrukturen geschieht (IV). Wenn und soweit dies der Fall ist, müssten sich also die jeweiligen „Einzelbestandteile“ der transnationalen Regelungsstrukturen 528 529 530

Vgl. o. B. III. 2. c) und e). Vgl. o. B. III. 4. Vgl. o. B. III. 3. c).

112 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

(Hard Law und Soft Law)531 vorfinden lassen. Deren Identifikation anhand der zuvor aufgestellten Kriterien bildet dabei einen zentralen Bestandteil der Untersuchung des Referenzgebietes, wobei, wie schon im ersten Teil, der Schwerpunkt auf den umstritteneren und „genuin transnationalen“ Erscheinungen, also dem Soft Law, liegen soll. Eine Besonderheit der Untersuchung besteht darin, dass die bestehenden Regelungen vielfach aufeinander verweisen und auf diese Weise vernetzt werden. Ihre genaue Funktionsweise erschließt sich zum Teil erst aus der Gesamtschau aller Regelungsstrukturen; folglich wird auch die Analyse an verschiedenen Stellen nicht ohne dementsprechende vernetzende Querverweise auskommen können. Bestenfalls bietet die Untersuchung der privaten Sicherheitsdienstleister anhand dieses Analyserahmens schließlich die Möglichkeit, die Validität der Theorie von der Transnationalisierung insgesamt zu überprüfen und im Anschluss daran auch die übergeordneten Aussagen des globalen Rechtspluralismus und der globalen Fragmentierung für das Referenzgebiet zu überprüfen: Ist das Völkerrecht tatsächlich in einem grundlegenden Wandel zum transnationalen Recht einer fragmentierten Globalgesellschaft begriffen?532 Kann mithin tatsächlich von einer Entstaatlichung des Rechts gesprochen werden?

II. Ausgangslage: Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten Auf diesen Fall gewendet, lautet die Ausgangsfrage: Werden private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen durch transnationale Regelungs- und in hybriden Akteursstrukturen reguliert? Dem eigenen Anspruch der Generalisierbarkeit geschuldet, sollen die Tendenzen der Transnationalisierung praktisch überall533 nachweisbar, transnationales Recht als methodischer Rahmen auf jeden „Sachverhalt“ anwendbar sein. Das für die vorliegende Arbeit gewählte Referenzgebiet erscheint dennoch in gleich mehrererlei Hinsicht besonders vielversprechend.534 In zeitlicher Hinsicht: In größerem Umfang werden bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen etwa seit 2010/2011 eingesetzt. Damit stellen sie auf

531

Vgl. o. B. III. 3. a) und b). Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 ff. 533 Teubner, Privatregimes: Neo-Spontanes Recht und duale Sozialverfassungen in der Weltgesellschaft?, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 437 (438). 534 Diese Einschätzung teilt Klabbers, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 343 (361): „[T]he detailed regulation of private maritime security companies (PMSC) requires special mention, as it has been the product of numerous Soft Law initiatives.“ Hervorhebung vom Verfasser. 532

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

113

der einen Seite ein immer noch vergleichsweise neues Phänomen dar, auf der anderen Seite ist genügend Zeit ins Land gegangen, dass sich relevante Akteure positionieren konnten und entsprechende Regelungsstrukturen die Möglichkeit hatten, zu entstehen. In räumlicher Hinsicht: Pirateriebekämpfung, in deren Kontext auch der Einsatz der Sicherheitsdienste gehört, findet oftmals in einem internationalisierten Raum – auf See – statt. Das dem globalen Rechtspluralismus zugrundeliegende Szenario konfligierender Rechtsordnungen ist gerade dem Seerecht zumindest dem Prinzip nach bekannt: Flaggen-, Küsten- und Hafenstaatsjurisdiktion sowie die Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens bilden schon der Sache nach einen pluralistischen Rahmen, innerhalb dessen sich die „Zuspitzungen“ genuin transnationaler Rechtsprozesse beobachten lassen können. In personeller Hinsicht: Die Akteure sind einerseits zahlreich und verschiedenartig und andererseits in nicht rein binnenstaatlichen Kontexten aktiv.535 Sowohl die primär betroffene Schifffahrt als auch die Piraten und die Sicherheitsdienstleister sind aufgrund der globalen Ausdehnung der Handelsrouten und der weltweiten Vernetzung der Transportwirtschaft in hohem Maße internationalisiert und seit jeher grenzüberschreitend aktiv. Die Charakteristika des transnationalen Rechts müssten sich in einem solchen Umfeld entsprechend gut beobachten lassen.536 1. Begriffserläuterungen Um Missverständnisse aufgrund verschiedentlich divergierender Bezeichnungen in der Literatur zu vermeiden, muss mit Blick auf die Sicherheitsdienste noch eine Begriffs- bzw. Abkürzungserläuterung vorgenommen werden. Diese 535 Zu den Besonderheiten der hohen Diversität der beteiligten Akteure, Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 3. 536 Auch Untersuchungen aus einem ähnlichen Blickwinkel kommen zu diesem Ergebnis, etwa Struett/Nance, in: Struett/Carlson/Nance (Hrsg.), Maritime Piracy and the Construction of Global Governance, 2012, S. 3, die für die Geeignetheit der Pirateriebekämpfung als ein Feld der Governanceforschung argumentieren: „[T]he phenomenon of ,piracy‘ serves as a means of investigating the fundamentally ideational foundations of important concepts such as sovereignty, transnational governance, and compliance and enforcement of international law. Because piracy occurs in a space beyond the territorial nation-state, it exposes a host of issues related to the behavior of actors ,on the ground‘ in international governance, and for international relations as a field. Without a territorially bound sovereign authority, who decides what is right and wrong – and perhaps more importantly, why?“ Insofern ähnlich auch Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 13 (45): „[N]oteworthy is the range of cooperative mechanisms [. . .], almost all of which have been informal, decentralized and located outside the major international institutions such as the IMO and the UN. The Change has not exclusively occurred in the public realm, the shipping industry has also been a notable contributor to the growth of relevant Soft Law.“

114 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Arbeit orientiert sich an den von der International Organization for Standardization und der International Maritime Organization verwendeten Abkürzungen und Bezeichnungen.537 Als „Private Maritime Security Companies“ (PMSC) werden die Unternehmen bezeichnet, die den Handelsschiffen das bewaffnete Personal zur Verfügung stellen.538 Zum Angebot der PMSCs zählt über das Bereitstellen von bewaffnetem Personal hinaus ein breites Spektrum weiterer Dienstleistungen, etwa allgemeine sicherheitsbezogene Consulting-Services, Risk-Assessment, Ausbildung und Training von Schiffsbesatzungen, Hilfe bei der Konzeption passiver Schutzmaßnahmen von Schiffen, die Erstellung von Sicherheitsplänen oder auch Lösegeldverhandlungen und Beratungsleistungen in Entführungsfällen.539 Auch wenn es in dieser Arbeit vorwiegend um den Einsatz speziell der bewaffneten Sicherheitsdienste geht, stellen diese sonstigen Sicherheitsdienstleistungen einen wichtigen Teil der von den PMSCs angebotenen Leistungen dar. Als „Privately Contracted Armed Security Personnel“ (PCASP) werden die an Bord der Schiffe zum Schutz vor Piratenangriffen eingesetzten Sicherheitsteams bezeichnet.540 Die Regulierung dieser Teams und die hierum entstandenen Regelungsstrukturen stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen. Der Begriff „Vessel Protection Detachment“ (VPD) bezeichnet demgegenüber ein staatliches Einsatzteam, das zum Schutz vor Piratenangriffen auf (zivilen) Handelsschiffen eingesetzt wird. Solche VPDs setzen sich aus militärischen oder polizeilichen Einheiten zusammen und unterscheiden sich von daher grundlegend von den privaten Sicherheitsdiensten. Angehörige der VPDs treten als hoheitliche Akteure in Erscheinung, unterliegen entsprechenden Gesetzen und Einsatzbestimmungen und fungieren somit als verlängerter Arm des staatlicherseits ausgeübten Gewaltmonopols.541 VPDs sind als Schutzmaßnahme vor Piratenattacken vor allem auf italienisch, niederländisch und französisch beflaggten Schiffen

537 IMO MSC.1/Circ.1405, 23.05.2011 und IMO MSC.1/Circ.1405/Rev.1, 16.09. 2011; ISO 28007-1:2015, Ziff. 1 u. 3. 538 In anderen Zusammenhängen werden mit PMSC auch Private Military Security Companies bezeichnet, insofern ist die Verwendung des Kürzels (nur) für maritime Sicherheitsunternehmen zumindest missverständlich. An der Verwendung der Kürzel soll hier gleichwohl festgehalten werden, da diese im maritimen Bereich fest etabliert sind. 539 Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (87); Buzatu/Buckland, Private Military & Security Companies: Future Challenges in Security Governance, DCAF Horizon 2015 Working Paper Nr. 3, S. 9. 540 Vereinfachend und synonym im Folgenden auch als Dienstleister, (bewaffnete, maritime) Sicherheitsdienste oder Sicherheitsteams bezeichnet. 541 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (669).

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

115

zum Einsatz gekommen542, daneben haben aber auch die belgische und die spanische Regierung vereinzelt die Bereitstellung von VPDs ermöglicht.543 Auch die zum Schutz der Hilfslieferungen des World Food Programmes (WFP) eingesetzten Marinestreitkräfte der EU (EU NAVFOR, Operation Atalanta) haben seit 2011 den Schiffen des WFP oder auch den Schiffen der Mission der Afrikanischen Union für Somalia (AMISOM) immer wieder VPDs zur Verfügung gestellt.544 Im Gegensatz zum Einsatz der privaten Sicherheitsdienstleister spielen die hoheitlichen VPDs für die Untersuchungen keine zentrale Rolle. 2. Eskalation der Piraterie vor Somalia, Westafrika und im Indischen Ozean Wie bereits in der Einleitung dieser Arbeit angeklungen ist, hat der flächendeckende Einsatz von Sicherheitsdiensten auf Handelsschiffen seinen Ursprung vor allem – allerdings nicht ausschließlich545 – in der mit Beginn der 2000er Jahre aufkeimenden und ab 2008 sprunghaft angestiegenen Piraterie vor Somalia. Bis etwa zur Jahresmitte 2013 blieb die Zahl der Zwischenfälle auf einem konstant hohen Niveau, bevor ab dem Jahreswechsel 2013/2014 die gemeldeten Zwischenfälle deutlich zurückgingen und die von Somalia aus betriebenen Angriffe der Piraten schließlich nahezu vollständig zum Erliegen kamen. Bis dahin jedoch fügten die somalischen Piraten dem Seehandel mit zahlreichen und zum Teil spektakulären Schiffsentführungen, Geiselnahmen, Lösegelderpressungen oder Diebstählen empfindliche Schäden zu und machten auf diese Weise auch eine große Öffentlichkeit auf sich aufmerksam. Die enorme Bedeutung der Schifffahrtswege entlang dem Horn von Afrika und insbesondere durch den Golf von Aden546 brachten das Thema der Piraterie vor Ostafrika schließlich bis auf die 542 Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (88). 543 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (669 f.). 544 Ehrhart/Petretto, The EU and Somalia: Counter-Piracy and the Question of a Comprehensive Approach: Studie für die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament, S. 37. 545 Bereits seit den 1990ger Jahren boten einzelne Unternehmen – unterhalb der Schwelle großer öffentlicher Aufmerksamkeit – Sicherheitsdienstleistungen gegen Diebstähle oder Hafenkriminalität in Südostasien, insbesondere in den als pirateriegefährdet geltenden Regionen von Indonesien oder den Philippinen an. Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (87); dies., Privatising the Fight Against Somali Pirates, Asia Research Centre Working Paper No. 152 (2008), S. 7 m.w. N.; dies., The Role of Private Security Companies in Securing the Malacca Straits, Maritime Studies 157 (2007), S. 14 ff. 546 Der mitunter auch als Nadelöhr des Welthandels bezeichnete Golf von Aden kann in seiner Bedeutung schwer überschätzt werden. Schätzungen gehen von bis zu 22.000 Schiffen aus, die jährlich den Golf von Aden passieren, was rund 8 % des gesamten

116 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Tagesordnung der Weltpolitik: Vor dem Hintergrund der stetig gestiegenen Fallzahlen befasste sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Problem und ermächtigte die Staatengemeinschaft in den maßgeblichen Resolutionen 1816547 und 1851548 von 2008 zu umfangreichen Gegenmaßnahmen.549 Mit der Resolution 1816 wurden die Staaten zunächst ermächtigt, in Abstimmung mit dem Sicherheitsrat und der somalischen Übergangsregierung auch in somalischen Küstengewässern alle zur Bekämpfung der Piraterie notwendigen Mittel („all necessary means“) zu ergreifen.550 Diese Befugnisse erweiterte der Sicherheitsrat mit der Resolution 1851 noch um die Möglichkeit, auch in den inneren Gewässern und auf dem somalischen Festland gegen die Piraten vorzugehen,551 wovon in der Praxis, soweit ersichtlich, allerdings lediglich ein einziges Mal Gebrauch gemacht worden ist.552 Zu diesen drastischen – und völkerrechtlich auch in grundlegender Hinsicht diskussionswürdigen553 – Maßnahmen sah sich der Sicherheitsrat indes gezwungen, da er vor dem Hintergrund der ohnehin instabilen Lage in Somalia das erhebliche Ausmaß der durch die Piraterie verursachten Schäden mittlerweile als eine Bedrohung des Weltfriedens und damit Grund zum Tätigwerden nach Kapitel VII der UN-Charta einordnete.554 Und in der Tat sprechen schon die bloßen Zahlen der Rekordjahre von 2010 bis 2012 eine deutliche Sprache: Insgesamt zählte die IMO 489 versuchte oder erfolgreiche Angriffe im Jahr 2010555 und im darauffolgenden Jahr 2011 mit 544 Angriffen sogar noch einmal mehr.556 Welthandels und 12 % des weltweit über See transportierten Erdöls entspricht; Geiß/ Petrig, Piracy and Armed Robbery at Sea, 2011, S. 6, m.w. N. 547 S/Res/1816 (2008). 548 S/Res/1851 (2008). 549 Vgl. hierzu insg. Geiß/Petrig, Piracy and Armed Robbery at Sea, 2011, S. 13 ff.; König/Salomon/Neumann/Kolb, Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderungen für die Seesicherheit, PiraT-Arbeitspapier Nr. 7 (2011), S. 13 ff.; Proelß, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 53 (56 ff.). 550 S/Res/1816 (2008), Ziff. 7a und 7b. 551 S/Res/1851 (2008), Ziff. 6. 552 Geiß/Petrig, Piracy and Armed Robbery at Sea, 2011, S. 80 ff.; Salomon, GGI Briefing Paper 4 (2012): Widening the Huntress’s reach: Legal and Strategic Aspects of a New Atalanta Mandate, online verfügbar unter: http://www.globalgovernance.eu/ press/publications/ggi-briefing-paper-widening-the-huntresss-reach-legal-and-strategicaspects-of-a-new-atalanta-mandate/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 553 Vgl. etwa zu einer möglichen ultra-vires-Handlung oder Kompetenzüberschreitung des Sicherheitsrates, der nicht für „polizeirechtliche“ Maßnahmen gegen Individuen zuständig sei, Fischer-Lescano, Bundesmarine als Polizei der Weltmeere? NordÖR 2009, S. 49 ff. 554 In den Erwägungsgründen der maßgeblichen Resolutionen stellt der Sicherheitsrat eine Bedrohung des Weltfriedens fest und verweist dementsprechend hinsichtlich der Gegenmaßnahmen auf Kapitel VII der UN-Charta, vgl. die Erwägungsgründe S/Res/ 1816 (2008) und S/Res/1851 (2008). 555 IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.169, 01.04.2011, Ziff. 5. 556 IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.180, 01.03.2012, Ziff. 5.

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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50 Schiffe wurden alleine 2010 von somalischen Piraten entführt,557 womit sich zwischenzeitlich mehr als 1000 Seeleute in der Gefangenschaft von somalischen Piraten befanden.558 Indem diese gekaperte hochseetaugliche Schiffe als Mutterschiffe einzusetzen begannen, konnten sie ihr Operationsgebiet zeitweise erheblich ausweiten, sodass als Hochrisikogebiet (HRA, High Risk Area) zwischenzeitlich ein in seiner flächenmäßigen Ausdehnung schier unvorstellbares Gebiet von Tansania an der ostafrikanischen Küste bis zum Golf von Oman und weit in den Indischen Ozean hinein definiert wurde. Im Jahr 2010 beispielsweise gingen mindestens 77 Überfälle auf das Konto von weit im Indischen Ozean operierenden Mutterschiffen,559 wobei ein Großteil der Angriffe dabei stets von den somalischen Piraten ausging: Für den Zeitraum 2011 werden aus Somalia stammenden Piraten (nach variierenden Schätzungen) zwischen rund 220560 und 280561 aller weltweit unternommenen Angriffe zugerechnet. Wie empfindlich die globale Wirtschaft hiervon betroffen war, lässt sich nicht zuletzt anhand der enormen ökonomischen Kosten veranschaulichen, die durch die Piraterie verursacht wurden: Hochrechnungen der Weltbank zufolge betrug der unmittelbar auf die somalische Piraterie zurückzuführende finanzielle Schaden für die Weltwirtschaft allein im Jahr 2010 zwischen 12 und 18 Milliarden Dollar.562 Daneben muss grundsätzlich berücksichtigt werden, dass die Zahl der gemeldeten, also statistisch erfassten, Angriffe noch deutlich unter der Zahl der tatsächlich erfolgten Angriffe liegen könnte: Neben allgemeinen Mängeln in der Datenerfassung könnte hierfür vor allem die Tatsache sprechen, dass mit Blick auf die zeitweilig rapide angestiegenen Versicherungskosten bei Passagen durch das Hochrisikogebiet vonseiten der Schifffahrtsindustrie versucht worden ist, die Zahl der bekannt gewordenen Zwischenfälle zumindest etwas geringer zu halten.563 Mit dem Jahr 2012 begann die Zahl der erfolgreichen Angriffe jedenfalls

557

IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.180, 01.03.2012, Ziff. 6. Vgl. zur Entwicklung der Entführungszahlen Walje/Madsen/Seyle/Brandt/Kerins/ Matthews/Maybee, The State of Maritime Piracy 2014, Oceans Beyond Piracy Report vom 08.06.2015, S. 5; online verfügbar unter: http://oceansbeyondpiracy.org/publica tions/state-maritime-piracy-2014, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 559 IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.169, 01.04.2011, Ziff. 6. 560 IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.180, 01.03.2012, Ziff. 6. 561 IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.193, 02.04.2013, Ziff. 7. 562 Bericht der Weltbank, The Pirates in Somalia: Ending the Threat, Rebuilding a Nation (2013), S. 15 f., online verfügbar unter: http://documents.worldbank.org/cura ted/en/182671468307148284/The-pirates-of-Somalia-ending-the-threat-rebuilding-a-na tion;jsessionid=ViXHTWGxNEZksVk5MLxrq8PW, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016. 563 Vgl. hierzu Petretto, Diebstahl, Raub und erpresserische Geiselnahme im maritimen Raum – Eine Analyse zeitgenössischer Piraterie, PiraT-Arbeitspapier Nr. 8 (2011), S. 14 f. 558

118 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

allmählich abzuflauen, bis die somalische Piraterie – zumindest in Gestalt versuchter oder erfolgreicher Angriffe – ab 2014 nahezu vollständig abgeklungen war.564 Deutliche Zurückhaltung wird allerdings darin geübt, die somalische Piraterie – und sei es auch nur symbolisch – für „besiegt“ zu erklären: Statistiken über nach wie vor zahlreiche verdächtige Annäherungen („suspicious approaches“) geben Anlass zur Vermutung, dass die Aktivitäten somalischer Piraten keineswegs vollständig zum Erliegen gekommen sind, sondern sich – und das womöglich bloß zeitweilig – lediglich auf Aufklärungs- und Erkundungsaktivitäten verlagert haben.565 Schon mit Blick darauf scheint ein erneutes Aufflammen der somalischen Piraterie kein rein hypothetisches Szenario zu sein.566 3. Gegenmaßnahmen Die somalische Piraterie erlebte von 2010 bis 2012 ihre Boom-Jahre, bevor sie schließlich nach und nach zurückgedrängt werden konnte. Was aber waren die ausschlaggebenden Faktoren für ihre – zumindest an den Fallzahlen gemessene – erfolgreiche Beilegung?

564 Für das Jahr 2012 zählte die IMO zwar immer noch 341 Angriffe, was allerdings schon einer deutlichen Reduzierung der Fallzahlen gegenüber den beiden Vorjahren entsprach, vgl. IMO, Annual Report on Piracy, MSC.4/Circ.193, 02.04.2013, Ziff. 5. 565 Vgl. Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http:// oceansbeyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 1 ff.; S. 44. 566 Noch dazu muss hierbei berücksichtigt werden, dass mit dem Aufbringen und Abwehren der Piraten selbst nicht die dahinterstehenden Netzwerke der nach wie vor mächtigen und durch die Boom-Jahre zu erheblichem finanziellen Wohlstand gelangten Clans zerstört werden konnten. Vgl. hierzu Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (326); Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (35 ff.), online verfügbar unter: http://www.tandfon line.com/doi/abs/10.1080/23340460.2015.960170, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. Die mahnenden Stimmen werden ergänzt um Einschätzungen, denen zufolge mit dem Nachlassen der „gefühlten“ akuten Gefährdung der Handelswege auch die Gegenmaßnahmen zum Erliegen kommen werden, da für deren Aufrechterhaltung schlicht kein finanzieller Anreiz sowohl vonseiten der Staaten als auch vonseiten der Industrie bestünde, Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (35 ff.), online verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23340460.2015.960170, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; eine ganz ähnliche Einschätzung vertreten Alan Cole vom UNODC Counter Piracy Programme im Interview mit dem Lessons from Piracy Projekt, online verfügbar unter: http://www.lessonsfrompiracy.net/2014/11/08/reactivemobile-and-nimble-in-conversation-with-alan-cole/ zuletzt abgerufen am 02.08.2016 oder die US-Regierung in ihrem Bericht, United States Counter Piracy and Maritime Security Action Plan, Juni 2014, online verfügbar unter: https://www.whitehouse.gov/ sites/default/files/docs/united_states_counter_piracy_and_maritime_security_action_ plan_2014.pdf, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016.

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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a) Internationale Gegenmaßnahmen Am Beginn der weltweiten Maßnahmen zur Bekämpfung der somalischen Piraterie567 standen zunächst die groß angelegten Operationen der multinationalen Marinestreitkräfteverbände, welche infolge der einschlägigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats am Horn von Afrika eingesetzt wurden: Hierzu zählen in erster Linie die US-geführten Combined Maritime Forces (CMF) und deren im Rahmen der Bekämpfung der somalischen Piraterie eingesetzte Combined Task Force 151 (–151), die EU-geführte Operation Atalanta, sowie die NATO Operation Ocean Shield. Daneben beteiligten sich an den Einsätzen auch einzelne unilateral geführte Flottenverbände, etwa russische, chinesische, indische oder japanische.568 Die massive Marinepräsenz vor Ort ermöglichte, dass Schiffen im Falle eines Angriffes schneller beigestanden werden und ein sicherer Transitkorridor durch den Golf von Aden eingerichtet werden konnte, der Internationally Recommended Transit Corridor (IRTC). Zudem wurde langsamen oder aufgrund eines niedrigen Freibords besonders gefährdeten Schiffen die Bildung bewachter Konvois ermöglicht, was die Zugriffsmöglichkeiten der Piraten weiter erschwerte.569 Die fortdauernden erfolgreichen Angriffe und Entführungen und die stetige Ausdehnung des Operationsgebiets der Piraten ließen die Gegenmaßnahmen allerdings, wenn nicht völlig wirkungslos, so doch in zunehmender Offensichtlichkeit ungenügend erscheinen; trotz der spätestens seit Jahresbeginn 2009 massiven Marinepräsenz um Ostafrika verschärfte sich die Lage weiterhin zusehends. Auf die praktische Schwierigkeit, dem Problem der Piraterie allein mit militärischen Mitteln beizukommen, wurde dabei immer wieder hingewiesen: Die Kontrolle über ein Gebiet von der Größe der HRA sei – selbst unter Inanspruchnahme sämtlicher weltweiter Marinekräfte – praktisch unmöglich.570 Somit erwuchs aus der Feststellung, dass der Piraterie nicht einmal durch den Einsatz selbst der mächtigsten Marineverbände beizukommen war, allmählich die Erkenntnis, dass für eine erfolgreiche Unterbindung der Piraterie nicht nur erheb567 Vgl. grundl. König, Maritime Security: Cooperative Means to Address New Challenges, GYIL 2014, S. 209 ff. 568 Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 35 (46 ff.). 569 Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 35 (49). 570 Ake, Defense Official: More Private Security Needed Aboard Ships to Combat Piracy, National Defense Magazine, Blogbeitrag v. 16.06.2011, zitiert einen Beamten des US-Verteidigungsministeriums mit den Worten: „If you took all of the navies of all the countries in all of the world, and put them against this area, they still wouldn’t be able to cover this amount of nautical space.“ Online verfügbar unter: http://www. nationaldefensemagazine.org/blog/Lists/Posts/Post.aspx?ID=447, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016; vgl. zur „Aussichtslosigkeit“ einer militärischen Beilegung des „landbasierten“ Problems der Piraterie auch Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 ff.

120 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

liche Kooperationsanstrengungen auf internationaler Ebene erforderlich sein würden, sondern dass ebenso wichtig auch die nachhaltige Bekämpfung von deren wirtschaftlichen Strukturen und sozialen Ursachen an Land im failed State Somalia wäre.571 b) Eigensicherungsmaßnahmen der maritimen Wirtschaft: Private Sicherheitsdienste Bis etwaige „Langzeitmaßnahmen“ der internationalen Gemeinschaft in Somalia Früchte tragen würden und angesichts des weiterhin ausbleibenden Erfolges der multinationalen Marineeinsätze sah sich die maritime Wirtschaft dringend genötigt, weitere und eigene Schutzmaßnahmen zu ergreifen: Zunächst zögerlich, spätestens ab dem Jahreswechsel 2011/2012 jedoch in großem Stil begannen die Reeder private Sicherheitsdienste zur Selbstverteidigung gegen die Piraten auf ihren Schiffen einzusetzen.572 Hiermit nun, mit diesen privaten maritimen Sicherheitsdiensten entstand binnen kürzester Zeit ein völlig neuer Industriezweig von globalem Ausmaß, der bis dato allenfalls ein Nischendasein in Südostasien geführt hatte.573 Der Einsatz der Sicherheitsdienste wird zahlreichen Analysen zufolge als entscheidender Faktor bei der Sicherung der Handelsrouten durch das Hochrisikogebiet und Schlüsselelement einer erfolgreichen Verteidigungsstrategie gegen die somalischen Piraten interpretiert;574 tatsächlich gelten sie mittlerweile als zentraler Bestandteil der zeitgenössischen maritimen Sicherheitsarchitektur.575 Mit dem Einsatz der Sicherheitsdienste vollzogen sich die sukzessive 571 Vgl. zur Situation in Somalia und zu sonstigen nicht-militärischen Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft überblicksweise Geiß/Petrig, Piracy and Armed Robbery at Sea, 2011, S. 13 ff.; Egede, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 249 ff.; Ong, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 267 ff. 572 Kraska, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 219 (220 ff.); König, Maritime Security: Cooperative Means to Address New Challenges, GYIL 2014, S. 209 (220 ff.). 573 Apps, Special Report: As Pirate Attacks grow, shipowners take arms, Reuters, 03.05.2011, online verfügbar unter: http://www.reuters.com/article/2011/05/03/us-spe cial-report-pirates-idUSTRE7421RY20110503, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 574 Kraska, Regulation of Private Maritime Security Companies in International Law, in: Nordquist/Moore/Beckman/Long (Hrsg.), Freedom of Navigation and Globalization, 2014, S. 120 (120); Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (34), online verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23340460. 2015.960170, m.w. N., zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 575 Z. B. Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (320); Kraska, Regulation of Private Maritime Security Companies in International Law, in: Nordquist/Moore/Beckman/Long (Hrsg.), Freedom of Navigation and Globalization, 2014, S. 120 (122); Siebels, Shipping Industry Looking Forward to ISO Standard for Private Security Providers, online verfügbar unter: http://gcap tain.com/shipping-industry-iso-standard-for-private-security/#sthash.S8g8SvDU.dpuf, zuletzt abgerufen am 21.05.2015.

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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Verlagerung der Pirateriebekämpfung von hoheitlichen auf private Kräfte und daneben ein strategischer Paradigmenwechsel: Statt die Ressourcen wie bisher auf die gesamte Hochrisikozone zu verteilen, indem das Areal selbst überwacht wurde, ging man mehr und mehr dazu über, anstatt der gefährdeten Räume gezielt die gefährdeten Schiffe selbst zu sichern.576 aa) Erste Erfolge privater Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten Tatsächlich liest sich die Geschichte des Einsatzes von PCASP auf Handelsschiffen – zumindest anhand der verfügbaren Daten577 – durchaus als Erfolgsgeschichte: Soweit ersichtlich kann die in Branchenkreisen stets gerne angeführte Bilanz, dass noch kein durch private Sicherheitsdienste bewachtes Schiff erfolgreich attackiert worden ist, nach wie vor Gültigkeit für sich beanspruchen; seit Juni 2013 ist somalischen Piraten keine einzige Schiffsentführung mehr gelungen.578 Während nahezu die gesamte Schifffahrtsindustrie und eine ganze Reihe von Registerstaaten aufgrund von rechtlichen Bedenken und der Sorge vor einer gewaltsamen Eskalation dem Einsatz der bewaffneten Sicherheitsdienste zunächst zurückhaltend bis kritisch gegenüberstanden, wandelte sich diese Zurückhaltung binnen kurzer Zeit in immer breitere Zustimmung: So schloss sich neben zahlreichen nationalen Schifffahrtsverbänden, Registerstaaten und der IMO etwa auch die International Chamber of Shipping (ICS), die als internationaler Dachverband zahlreicher nationaler Schifffahrtsorganisationen rund 80 % der Welttonnage vertritt, mit ihrem Votum vom Februar 2011 den immer zahlreicheren befür576 Hierzu Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (669). 577 Die verfügbaren Daten variieren sowohl hinsichtlich der Kosten als auch hinsichtlich der Zahl der Einsätze von bewaffnetem Sicherheitspersonal teilweise erheblich. 578 Kraska, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 219 (249); Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (320 ff.); Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (33), online verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23340460.2015.960170, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceansbeyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 42. Abseits der Piraterie im eigentlichen Sinne und abseits der spektakulären Überfälle auf die großen Handelsschiffe besteht ein nach wie vor zunehmendes Problem von Kleinkriminalität, Entführungen von Fischern oder bewaffneten Überfällen auf kleinere Schiffe in Küstennähe. Wenn dies auch kein Einsatzfeld für die hier untersuchten Sicherheitsdienste ist, sind die Zahlen der Zwischenfälle nichtsdestoweniger beunruhigend: So wurden einem Bericht der New York Times zufolge alleine im Jahr 2014 im südchinesischen Meer mehr als 3100 Menschen angegriffen, verletzt oder entführt. Urbina, The Outlaw Ocean, New York Times vom 20.07.2015, online verfügbar unter: http:// www.nytimes.com/2015/07/20/world/middleeast/murder-at-sea-captured-on-video-butkillers-go-free.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

122 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

wortenden Stimmen an.579 Aus deutscher Sicht äußerte sich bereits im Januar 2011 der Verband deutscher Reeder, der nach ebenfalls anfänglicher Opposition den Einsatz privater Sicherheitsdienste nunmehr befürwortete.580 Mittlerweile haben von den zehn größten Flaggenstaaten – mit Ausnahme der Volksrepublik China – alle Staaten581 dem Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste in der einen oder anderen Form zugestimmt.582 Selbst die niederländische Regierung, die unter den europäischen Flaggenstaaten über lange Zeit die deutlichsten Bedenken gegenüber PCASP auf Handelsschiffen geäußert hatte und deren Einsatz bislang verbietet, bereitet mittlerweile ein Gesetzgebungsverfahren zur Zulassung der Sicherheitsdienstleister vor.583 Last but not least setzten auch die in der Praxis enorm bedeutsamen Versicherer Anreize für den Einsatz von bewaffnetem Personal in den Hochrisikogebieten, indem sie anfingen, Premiennachlässe zu gewähren, wenn sich Sicherheitsdienste an Bord befanden.584 Diese schließlich immer breitere internationale Akzeptanz von PCASP lässt sich mit Guilfoyle treffend zusammenfassen als ein „cautious shift in government, industry, military and IMO opinion in favour of ships being allowed to take responsibility for their own protection by hiring PCASP.“ 585 Das maritime Sicherheitsgewerbe erlebte in der Folge und aufgrund der konstant hohen Zahlen von Angriffen bzw. Angriffsversuchen der somalischen Pira579

Berube/Cullen, in: Berube/Cullen (Hrsg.), Maritime Private Security, 2012, S. 3

(4). 580 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (672). 581 Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceansbe yondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 46. 582 Vgl. insg. zu weiteren Nachweisen für international lancierte Zustimmungsbekundungen durch Staaten oder Verbände Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (671 ff.); Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (322); Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 4. 583 Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 15. 584 Dutton, Gunslingers on the High Seas, Duke Journal of Comparative and International Law 24 (2013), S. 119, m.w. N.; MacDonnald Eggers, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, S. 268 (270); Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceansbeyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 26. Dazu, dass Versicherer unbeschadet der bis dato noch unklaren Rechtsverhältnisse mit zu den ersten zählten, die den Einsatz von PCASP überhaupt empfohlen haben Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (89). 585 Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 13 (57).

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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ten ab dem Jahr 2012 einen regelrechten Boom: Binnen kürzester Zeit entstand ein Markt von schätzungsweise 200 bis 250 Unternehmen, die entweder ausschließlich oder neben anderen Dienstleistungen den bewaffneten Schutz von Handelsschiffen anbieten.586 Von den jährlich insgesamt rund 65.000 Passagen587 durch die Hochrisikozone werden bei einer durchschnittlichen Einsatzdauer von elf bis zwölf Tagen seit 2012 rund ein Viertel588 bis die Hälfte589 durch bewaffnetes Sicherheitspersonal geschützt. Die genauen Zahlen variieren je nach Schätzung, sodass ein exaktes Lagebild über die Einsätze der Sicherheitsdienstleister kaum zu erstellen ist: Tatsächlich herrscht Einigkeit vor allem darüber, dass die Faktenlage insgesamt sehr schwierig einzuschätzen ist. Unabhängig davon, wessen Zahlen man zugrunde legt, darf davon ausgegangen werden, dass sich wohl zu jedem Zeitpunkt bewaffnetes Personal in einer Stärke von mehreren hundert Personen an Bord von Schiffen innerhalb der Hochrisikozone befindet.590 Dass praktisch in unmittelbarer Folge des verbreiteten Einsatzes der Sicherheitsdienstleister zunächst die erfolgreichen Angriffe und nach und nach schließlich auch die Angriffsversuche (unter Einsatz von Schusswaffen) zurückgingen, hat viele Beobachter jedenfalls dazu veranlasst, im Einsatz von PCASP das erfolgreichste Mittel zum Schutz vor Piratenangriffen zu erkennen. Die positive Einschätzung von Skordas – „the conclusion can be drawn that private security at sea has been the decisive factor contributing the most to the successful management of piracy risks“ 591 – ist insofern durchaus repräsentativ. Diese Erfolge sollten allerdings nicht über die hohe Gefahr hinwegtäuschen, die nach wie vor von Piraten ausgeht oder als Beleg für die Einfachheit der Aufgabe, ein bis zu 400 Meter langes Schiff (womöglich bloß zu dritt) gegen angreifende Piraten zu verteidigen, missverstanden werden: Immer wieder gibt es etwa Berichte von Piraten, die in mehreren Skiffs angreifen („Schwarmtaktik“) oder

586 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (81). 587 Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceans beyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 18. 588 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (670), m.w. N. 589 Bowden/Basnet, The Economic Cost of Somali Piracy 2011, Arbeitspapier von Oceans Beyond Piracy, 2012, S. 17, online verfügbar unter: http://oceansbeyond piracy.org/sites/default/files/economic_cost_of_piracy_2011.pdf. 590 Spearin, Private Military and Security Companies v. International Naval Endeavours v. Somali Pirates, Journal of International Criminal Justice 10 (2012), S. 823 (824), spricht mit Blick auf die fragliche Genauigkeit der Schätzungen zurückhaltend von „several hundred PMSC personnel [. . .] at any given moment“. 591 Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (300), Hervorhebung vom Verfasser.

124 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

als Fischer getarnt („soft approach“) an die Schiffe heranfahren.592 Andererseits kann es sich auch bei vermeintlich verdächtigen Annäherungen um ganz normale Fischer, die gerne in der Nähe größerer Schiffe fangen, oder um einfache Schmuggler handeln, die den Radarschatten der großen Schiffe ausnutzen, um vor den Küstenwachen verborgen zu bleiben.593 Dies verdeutlicht, dass die Schiffsbewachung durch bewaffnete Sicherheitskräfte eine komplexe und sensible Aufgabe ist, was angesichts der (in bloßen Zahlen) hohen Erfolgsquote der privaten Sicherheitsdienste und des nur vermeintlich überschaubaren Einsatzszenarios allzu leicht vergessen wird. Angesichts dessen werden (auch zukünftig) sehr hohe Maßstäbe an die regulatorischen Erfordernisse für die Sicherheitsdienste, von deren Ausbildung bis zum Einsatz, anzulegen sein. bb) Aktuelle Entwicklungen Mittlerweile allerdings steht der ohnehin als „very competitive“ 594 charakterisierte Markt der maritimen Sicherheitsdienstleister vor einem Umbruch. Zum einen haben die sinkenden Fallzahlen ernsthafter Piratenattacken mit der Zeit zu einer teilweisen Neubewertung der Bedrohungslage durch die Reeder geführt; ihre dadurch gesunkene Bereitschaft, weiterhin hohe Kosten für den bewaffneten Schutz zu tragen, führt zu Veränderungen im personellen Zuschnitt der Sicherheitsteams. Zum anderen haben auch erste ernsthafte Zwischenfälle Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit einiger Anbieter geboten: Ohne die Dunkelziffer aufgrund vermuteten underreportings einschätzen zu können, sind mittlerweile Fälle von unschuldig getöteten Fischern, nichtdeklarierten Waffenchargen oder infolge von Drogenkonsum während des Einsatzes verstorbenem Sicherheitspersonal dokumentiert.595 Dementsprechend laut sind auch die Rufe nach vereinheitlichenden Standards und Regulierung zu vernehmen.

592 Jessen, Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, RdTW 2013, S. 125 (128). 593 Das Fischen in der Nähe größerer Schiffe ist dabei keinesfalls als „Leichtsinnigkeit“ der Fischer abzutun, sondern eine unter Fischern seit jeher verbreitete Technik: Durch die großen Schiffe aufgewirbelter Krill etwa lockt Fischschwärme an, womit die Aussichten auf einen erfolgreichen Fang in deren Nähe steigen. Hierzu Urbina, The Outlaw Ocean, New York Times vom 20.07.2015, online verfügbar unter: http:// www.nytimes.com/2015/07/20/world/middleeast/murder-at-sea-captured-on-video-butkillers-go-free.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 594 Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (38), online verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23340460.2015.960170, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 595 Mit der MV Seaman Guard Ohio brachte die indische Küstenwache am 12. Oktober 2013 ein als „Floating Armory“ (d.h. als ein schwimmendes Waffendepot) eingesetztes Schiff auf, das ohne die entsprechenden Einfuhrgenehmigungen vorweisen zu können in indische Küstengewässer eingelaufen war; hierzu zuletzt BBC-News vom 11.03.2015, online verfügbar unter: http://www.bbc.com/news/uk-england-31830527,

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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Mit dem wirtschaftlichen Druck, dem die Branche mittlerweile ausgesetzt ist, wird auch ein gefährliches race to the bottom befürchtet596: Während die Reeder allein im Jahr 2012 für den Einsatz von bewaffnetem Personal auf Handelsschiffen weltweit noch 1,1 bis 1,5 Milliarden Dollar aufbringen mussten, bewegten sich die Kosten hierfür im Vergleichszeitraum 2013 nur noch zwischen 770 und 870 Millionen Dollar, was immerhin einer Kostenminderung von rund 33 bis 43 Prozent entspricht.597 Die durchschnittlichen Kosten für einen bewachten Transit durch die Hochrisikozone sind damit von 2012 auf 2013 von 34.000 bis 46.000 Dollar auf ca. 28.000 bis 38.000 Dollar gesunken.598 Damit ist ein leichter Abwärtstrend beschrieben, der sich auch im Zeitraum von 2014 bis 2015 fortgesetzt hat, sodass mittlerweile von einem Gesamtvolumen von („nur“) noch rund 400599 bis 680600 Millionen Dollar für den bewaffneten Schutz von Handelsschiffen ausgegangen wird. Da vonseiten der Reeder allerdings nach wie vor davon abgesehen wird, gefährdete Schiffe (d.h. in erster Linie langsame Schiffe oder solche mit niedrigem Freibord) ohne bewaffneten Schutz die Hochrisikozone passieren zu lassen, ist davon auszugehen, dass in Anbetracht der stark gesunkenen Ausgaben auf Seiten der Reeder auch die operativen Kosten auf Seiten der Sicherheitsdienstleister erheblich reduziert wurden. So erklärt sich etwa, dass sich 2013 durchschnittlich noch knapp 60 % der Sicherheitsteams aus vier oder mehr Personen zusammensetzten, demgegenüber jedoch mittlerweile Teams aus lediglich

zuletzt abgerufen am 02.08.2016. Ein weiterer Zwischenfall, der es bis in die internationale Presse geschafft hat, ist der Tod zweier ehemaliger Navy Seals nach einer Überdosis Heroin, die für den Sicherheitsdienstleister Trident Group an Bord der Maersk Alabama eingesetzt waren, http://www.dailymail.co.uk/news/article-2564145/Two-exNavy-SEALS-protecting-Captain-Philips-ship-die-mysterious-circumstances-no-signphysical-trauma.html#ixzz2tugdsEWI, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; zum Tod jemenitischer Fischer, Katz, Fighting Piracy Goes Awry with Killings of Fishermen, Bloomberg, 17.09.2012., online verfügbar unter: http://www.bloomberg.com/news/articles/ 2012-09-16/fighting-piracy-goes-awry-with-killings-of-fishermen, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. Vgl. zum underreporting auch Mudric´, Armed Guards on Vessels: Insurance and Liability, Comparative Maritime Law 50 (2011), S. 217 (222). 596 Bennett, Maritime Security at a Crossroads, The Maritime Executive vom 26.04.2015. 597 Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceans beyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 18. 598 Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceans beyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 45. 599 Bennett, Maritime Security at a Crossroads, The Maritime Executive vom 26.04.2015. 600 Walje/Madsen/Seyle/Brandt/Kerins/Matthews/Maybee, The State of Maritime Piracy 2014, Oceans Beyond Piracy Report vom 08.06.2015, S. 4, online verfügbar unter: http://oceansbeyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2014, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

126 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

drei oder sogar nur noch zwei Personen die Regel darstellen.601 Vor dem Hintergrund, dass der Einsatz eines Sicherheitsteams dessen 24-stündige uneingeschränkte Konzentration und Alarmbereitschaft erfordert, sind dies keine begrüßenswerten Entwicklungen.602 Das aktuelle Dilemma der maritimen Sicherheitsbranche speist sich nunmehr in erster Linie daraus, dass die Sicherheitsdienste zwar nach wie vor flächendeckend zum Einsatz kommen und sich die Aktivitäten der Piraten in Anbetracht dessen derzeit nur mehr auf „Aufklärungsarbeit“ beschränken. Damit besteht mittelfristig die Gefahr eines Trugschlusses, demzufolge im Einzelfall weniger Vorsicht geboten sei und die operativen Kosten für (gut ausgebildete) Sicherheitsdienste gesenkt werden könnten. Somit ist ein Zustand erreicht, der sich plastisch durchaus als ein beidseitiges Abwarten beschreiben ließe: Sollten die Piraten ein Nachlassen der Wachsamkeit registrieren, könnte dies womöglich unmittelbar zu einer erneuten Ausweitung der Angriffsaktivitäten führen. Die Frage, ob ein Wiederaufflammen der somalischen Piraterie möglich ist oder nicht oder ob sich eine vergleichbare Situation auch vor Westafrika oder andernorts entwickeln kann, lässt sich jedenfalls nicht anhand der aktuell niedrigen Fallzahlen beantworten. Im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung der maritimen Sicherheitsdienstleister lassen sich also nur schwerlich verlässliche Prognosen treffen. Ein insgesamt fortbestehendes Risiko und die durch die somalische Piraterie hervorgebrachte Wachsamkeit der Reeder lassen allerdings durchaus den Schluss zu, dass private Sicherheitsdienste auch weiterhin und über den Zeitraum der ersten Jahre nach der Eskalation vor Somalia hinaus eine wichtige Rolle in der maritimen Sicherheitsarchitektur spielen werden.603

601 Madsen/Seyle/Brandt/Purser/Randall/Roy, The State of Maritime Piracy 2013, Oceans Beyond Piracy Report vom 13.05.2014, online verfügbar unter: http://oceans beyondpiracy.org/publications/state-maritime-piracy-2013, S. 16. 602 Ihre diesbezügliche Sorge bringt auch die US-Administration in ihrem Bericht zur Pirateriebekämpfung aus dem Jahr 2014 zum Ausdruck: „[This] could result in undesirable consequences including: [. . .] undesirable uses of force; or a successful attack by pirates against a vessel protected by substandard PCASP.“ United States Counter Piracy and Maritime Security Action Plan, Juni 2014, online verfügbar unter: https:// www.whitehouse.gov/sites/default/files/docs/united_states_counter_piracy_and_mari time_security_action_plan_2014.pdf, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016. 603 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (667; 701); Florquin, Escalation at Sea: Somali Piracy and Private Security Companies, in: Small Arms Survey Jahrbuch 2012, S. 190 (204 ff.). Auch die IMO äußert sich in ähnlicher Weise in ihrem Rundschreiben vom 12. Juni 2015, IMO MSC.1/ Circ.1406/Rev.3, Ann. 2: „In an increasing number of cases, shipowners are considering the use of PCASP [. . .].“

II. Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten

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cc) Exkurs: Unterschiedliche Berührungspunkte zum staatlichen Gewaltmonopol Die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen ist von verschiedener Seite immer wieder auch als eine mögliche Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols bezeichnet worden.604 Mit Blick auf die Fragestellung dieser Arbeit ist an dieser Stelle jedoch zunächst eine sorgsame Differenzierung angebracht: Wenn der Einsatz maritimer Sicherheitsdienste als eine Überschreitung der durch das Gewaltmonopol gezogenen Grenze bezeichnet wird, betrifft dies stets deren Beschäftigung als solche und die Frage, ob hierin eine das Gewaltmonopol verletzende Aufgabendelegation liegen könnte (was, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, nicht ohne Weiteres der Fall ist). Die durch den übergreifenden theoretischen Ansatz dieser Arbeit aufgeworfenen Fragen berühren das staatliche Gewaltmonopol ebenfalls, allerdings auf ganz andere Weise: Entstehen im Kontext der privaten maritimen Sicherheitsdienste transnationale Regelungsstrukturen durch die Rechtschöpfungskräfte der globalen Zivilgesellschaft?605 Und ist dabei die Einbindung staatlicher Akteure soweit eingeschränkt, dass in Bezug auf die staatliche Gesetzgebungsaufgabe von einer (teilweisen) Aushöhlung des Gewaltmonopols gesprochen werden kann? Letzterer Frage widmen sich die nachfolgenden Kapitel en détail; ob jedoch schon allein durch den Einsatz der Sicherheitsdienstleister das staatliche Gewaltmonopol verletzt sein könnte, soll im Folgenden lediglich exkursorisch und aus der deutschen verfassungsrechtlichen Perspektive angesprochen werden. Das staatliche Gewaltmonopol kann als ein Verfassungsprinzip identifiziert werden; die Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist in erster Linie eine Staatsaufgabe.606 Als sicherheitsgarantierendes Institut ist das staatliche Gewaltmonopol „in seiner Kernsubstanz unantastbar und wegen seiner Friedenssicherungsfunktion einer Privatisierung nicht zugänglich.“ 607 Seine Geltungsbegründung ist tief in der klassischen Staatsphilosophie verwurzelt und reicht von der Funktion als allgemein friedenstiftendes Moment und Garant des Rechtsfriedens, über die Erhaltung der staatlichen Sicherheit sowohl im Inneren als auch nach außen608 bis hin zur Letztrechtfertigung der Institution Staat schlechthin.609 604 Z. B. Pfeiffer, Hilfssheriffs gegen Seeräuber, taz-online, online verfügbar unter: http://www.taz.de/Reform-des-Waffenrechts/!5113511/; Johns, Sprecher des VDR in Utler, Mit Söldnern gegen Piraten, Spiegel Online vom 28.09.2010, online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/panorama/plan-fuer-somalia-mit-soeldnern-gegen-die-pira ten-a-720136.html. 605 Vgl. o. B. I. 2. b) und III. 1. 606 Pitschas, Innere Sicherheit und internationale Verbrechensbekämpfung als Verantwortung des demokratischen Verfassungsstaates, JZ 1993, S. 857 (857 f.). 607 Stober, Staatliches Gewaltmonopol und privates Sicherheitsgewerbe, NJW 1997, S. 889 (890). 608 Ebenda, S. 890, m.w. N. 609 BVerfGE 49, 24 (56); BVerwGE 49, 202 (209).

128 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Das staatliche Gewaltmonopol bildet damit zweifelsohne auch für das Ob und das Wie des Einsatzes privater Sicherheitsdienste eine entscheidende Grenze.610 Diese Grenze wäre stets dann überschritten, wenn „hoheitlich-exekutivische Eingriffe mit Anordnungs- oder Zwangsbefugnissen“ auf Private übertragen werden, beispielsweise indem die Strafverfolgung oder die Internierung somalischer Piraten auf die Sicherheitsdienste delegiert611 oder die grundsätzliche Verantwortung der Sicherheitsgewährleistung auf Private übertragen würden. Anders stellt es sich jedoch dar, wenn private Sicherheitsdienste lediglich Selbsthilfe- oder Notwehrrechte612 wahrnehmen: Die Ausübung dieser Rechte, die ausdrücklich jedermann zugebilligt werden, ist gerade keine Staatsaufgabe und kann – selbst wenn sie systematisch von professionellen Anbietern wahrgenommen wird – keine Verletzung des Gewaltmonopols darstellen;613 dies gilt insbesondere dann, wenn die Wahrnehmung dieser Rechte im „äußersten Bereich“ des Staates erfolgt und der Staat vor enormen praktischen Hürden steht, effizient von seinem Gewaltmonopol Gebrauch zu machen.614 Nicht unangebracht ist an dieser Stelle allerdings der Hinweis, dass die staatliche Pflicht zur Sicherheitsgewährleistung, die sich auch auf den Schutz der staatlichen Handelsflotte erstreckt, sobald sie flächendeckend von Privaten wahrgenommen wird, damit zumindest partiell de facto delegiert wird.615 Wo die Sicherheitsverantwortung primär in privaten Händen liegt, besteht – wenn das Gewaltmonopol auch nominell nicht untergraben wird – das Problem einer Umkehrung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses:616 Der Grundsatz der staatlichen Pflicht zur Sicherheitsgewährleistung weicht der Ausnahme der Selbsthilferechte in Form von professionalisierten Eigensicherungsmaßnahmen. In Anbetracht dieser Umkehrung und dem berechtigten Allgemeininteresse, die Sicherheitsgewährleistungsverantwortung weitestmöglich in staatlichen Händen zu belassen, erklären sich die mahnenden Einschätzungen, dass es sich bei bewaffneten Sicherheits-

610 So auch Hammer, Private Sicherheitsdienste, Rechtsstaatsprinzip und ,schlanker Staat‘, DÖV 2000, S. 613 ff. 611 König/Salomon, Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten, RW 2011, S. 303 (322). 612 Hierzu ausführlich u. IV. 613 So bereits König/Salomon, Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten, RW 2011, S. 303 (322 f.); ebenso auch Ennuschat, Der neue § 31 GewO, GewArch 2014, S. 329 (330 ff.). 614 Ennuschat, Der neue § 31 GewO, GewArch 2014, S. 329 (334). 615 „The task of a flag state to provide security to commercial vessels flying its flag, [. . .] can be regarded to be a primary obligation of the flag state [. . .].“ Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 2; S. 16. 616 König/Salomon, Private Sicherheitsdienste im Einsatz gegen Piraten, RW 2011, S. 303 (323).

III. Akteursstrukturen

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dienstleistern – so effektiv ihr Schutz in der Praxis sein mag – rechtspolitisch lediglich um die „zweitbeste Lösung“ 617 handelt.618 4. Zwischenbilanz Bei der Bekämpfung der somalischen Piraterie haben sich die breit angelegten hoheitlichen Gegenmaßnahmen der internationalen Marineverbände als nicht effektiv genug erwiesen. Somit konnten sich, entgegen anfänglicher Widerstände sowohl vonseiten der Politik als auch der Industrie, bewaffnete Sicherheitsdienstleister flächendeckend durchsetzen, da erst durch ihren Einsatz die erfolgreichen Angriffe der Piraten effektiv unterbunden werden konnten. An diesem Konzept der Schiffs-, also Selbstverteidigungsstrategie hat sich bis heute nicht grundlegend etwas geändert. Nach wie vor passieren rund 40 % aller Schiffe die Hochrisikozone im Indischen Ozean und vor Ostafrika unter bewaffnetem Schutz. Demgegenüber haben sich die operativen Kosten erheblich reduziert, was in erster Linie auf den Einsatz kleinerer Teams aus Angehörigen von Ländern mit niedrigerem Lohnniveau zurückgeführt wird.619

III. Akteursstrukturen Bevor die einschlägigen Regelungsstrukturen im Einzelnen untersucht werden, soll zunächst der potentielle Kreis der Regelungsurheber beleuchtet werden. Dies können vor dem Hintergrund des im ersten Teil (B.) entfalteten Rechtsbegriffs in gleichberechtigter Weise sowohl hoheitliche als auch private Akteure sein; deren Zuordnung bzw. Systematisierung soll anhand des formellen Kriteriums der ge617

König, Schutz vor Piraterie – hoheitlich oder privat?, in: Veröffentlichungen anlässlich des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar, 2012, S. 299 (312). 618 An dieser Stelle knüpft die bereits seit dem Ende der 1990er Jahre geführte Debatte um einen grundsätzlichen Wandel der Sicherheitsphilosophie an, in der immer wieder angeführt wird, dass ein vormals staatlicherseits gewährtes „Rechtsgut Sicherheit“ zunehmend unter Gesichtspunkten von Markt, Wettbewerb und Qualität beurteilt wird und im Wege einer neuen Arbeitsteilung von konkurrierenden „Anbietern“, nämlich Staat und Privaten, erbracht wird. Nicht die Beauftragung einzelner Sicherheitsdienstleister mit einzelnen Eigensicherungsmaßnahmen wären insofern geeignet, das Gewaltmonopol zu unterminieren, sondern ein grundsätzlicher Wandel in der Beurteilung der Gewährleistungsverantwortung des Staates. Wenn Sicherheit jedoch durch wirtschaftlich ausgerichtete Privatakteure gewährleistet werden soll, kann dies zu unerwünschten Interessenkollisionen (etwa das Interesse der Sicherheitsdienste an einer Aufrechterhaltung der Bedrohungslage) führen. Vgl. Stober, Staatliches Gewaltmonopol und privates Sicherheitsgewerbe, NJW 1997, S. 889 (892 ff.); Kümmel, Die Privatisierung der Sicherheit, ZIB 2005, S. 141 ff.; Keller, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007, 623 (630 f.). 619 Vgl. zur aktuellen Entwicklung überblicksweise Walje/Madsen/Seyle/Brandt/Kerins/Matthews/Maybee, The State of Maritime Piracy 2014, Oceans Beyond Piracy Report vom 08.06.2015, S. 5 ff., online verfügbar unter: http://oceansbeyondpiracy.org/ publications/state-maritime-piracy-2014, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

130 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

wählten Rechtsform vorgenommen werden. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob die für den untersuchten Regelungszusammenhang vorgefundenen Akteursstrukturen tatsächlich einem „Megatrend“ 620 der Hybridisierung folgen.621 1. Hoheitliche Akteure Mit der Regulierung bewaffneter Sicherheitsdienstleister kann praktisch die Gesamtheit der hoheitlichen Akteure der Völkerrechtsbühne befasst sein; also sämtliche am Seehandel beteiligten Staaten sowie diesbezüglich tätige Internationale Regierungsorganisationen. a) Staaten Einzelne Staaten können im hier bedeutsamen Sachzusammenhang auf unterschiedliche Weise normsetzend tätig werden. In Betracht kommt praktisch das gesamte Spektrum (inner-)staatlicher Regulierungstätigkeit, also die staatliche Gesetzgebung im Rahmen der Flaggen-, Küsten- oder Hafenstaatsjurisdiktion einerseits und die staatliche Beteiligung im Rahmen des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge oder der Mitwirkung an der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht andererseits.622 Insbesondere auf nationaler Ebene sind mittlerweile zahlreiche Staaten gesetzgeberisch tätig geworden.623 b) Internationale Regierungsorganisationen: Die IMO Unter den Internationalen Regierungsorganisationen ist im Kontext bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen in erster Linie die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organisation, IMO) von Bedeutung. Die IMO ist eine der 17 UN-Sonderorganisationen und besteht in ihrer jetzigen Form seit 1982 als unmittelbare Nachfolgeorganisation der 1958 gegründeten Inter-Governmental Maritime Consultative Organisation (IMCO).624 Sie 620 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (398). 621 Vgl. o. B. III. 4. Eine Differenzierung zwischen hoheitlichen und privaten Akteuren mutet auf den ersten Blick ein wenig paradox an, wenn die Ausgangsthese (Hybridisierung) doch die Vermutung nahelegt, dass gerade diese Differenzierung ganz oder zumindest teilweise aufzugeben sein soll. Im Interesse der Übersichtlichkeit und vor dem Hintergrund, dass eine – wie auch immer geartete und wieweit auch immer gediegene – Hybridisierung der Akteursebene nicht zwangsläufig auch die Erosion jedweder Binnenstrukturen und Abgrenzungskriterien zur Folge haben muss, soll dem folgenden Kapitel gleichwohl die Unterscheidung hoheitlich/privat zugrunde gelegt werden. 622 Auf eine Darstellung des Staatsbegriffs soll im Folgenden verzichtet werden, vgl. hierzu z. B. Isensee, Staat und Verfassung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 15, S. 3 ff.; Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 277 ff. 623 Vgl. dazu im Folgenden u. IV. 1. 624 http://www.imo.org/About/HistoryOfIMO/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

III. Akteursstrukturen

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besteht aktuell aus 171 Mitgliedstaaten sowie drei assoziierten Mitgliedern, womit die IMO annährend 100 % der Welttonnage vereint. 77 NGOs besitzen daneben Konsultativstatus und 63 sonstige Regierungsorganisationen sind über verschiedene Assoziierungsabkommen mit der IMO verbunden.625 Die organisatorische Struktur der IMO folgt dem klassischen Aufbau einer internationalen Organisation mit zwei Hauptorganen sowie einem Sekretariat. Das höchste Gremium ist die Versammlung (Assembly), welche etwa im Zweijahresrhythmus tagt; der Rat (Council) übernimmt vorwiegend exekutive Aufgaben.626 Zu den primären Aufgaben der IMO zählt die Erarbeitung schifffahrtsbezogener Verträge oder Konventionen, die beispielsweise Vorschriften aus den Bereichen Sicherheit, Umwelt oder Navigation zum Gegenstand haben können.627 Daneben kann die IMO – wie für Internationale Organisationen üblich – rechtlich nicht verbindliche Regelungen, Empfehlungen (recommendations) oder Leitlinien (guidelines) verabschieden. Für die praktische Arbeit insgesamt von zentraler Bedeutung ist jedoch vor allem die Arbeit der vier technischen Komitees,628 von denen das Maritime Safety Committee (MSC) das höchste darstellt.629 Als zentrales Expertengremium für sämtliche sicherheitsbezogenen Fragen der Seeschifffahrt ist das MSC auch im Kontext der bewaffneten Sicherheitsdienstleister die maßgebliche innerorganisatorische Instanz. Ebenso wie die Versammlung besitzt auch das MSC im Rahmen dieser Zuständigkeit die Möglichkeit, Empfehlungen oder Guidelines zu verabschieden.630 Die Entscheidungsfindungs- und Abstimmungsregelungen folgen dabei sowohl in der Versammlung als auch dem Rat und den einzelnen tech625 Übersicht zu Mitgliedstaaten und -organisationen unter http://www.imo.org/ About/Membership, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; vgl. auch Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005, S. 154. 626 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005, S. 154. 627 Rothwell/Stephens, The International Law of the Sea, 2010, S. 344. 628 Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005, S. 155. 629 Nachdem die Mitgliedschaft im praktisch enorm bedeutsamen MSC anfangs lediglich 14 Staaten vorbehalten war – nicht mit darunter waren beispielsweise Panama und Liberia – entschied der IGH, dass das 1959 gewählte MSC entgegen der IMO-Konvention konstituiert worden war. Dies führte in der Folge dazu, dass nunmehr sämtliche IMO-Mitgliedstaaten auch im MSC vertreten sind. Hierzu Mensah, International Maritime Organization (IMO), in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 10 ff. Vgl. auch Art. 27 Convention on the International Maritime Organization. Dazu, dass diese Entscheidung des IGH der Verbreitung der „Flags of Convenience“ maßgeblich Vorschub geleistet hat: Stopford, Maritime Economics, 2009, S. 672. 630 Tatsächlich werden Empfehlungen im Zusammenhang mit schiffssicherheitsbezogenen Fragen wohl in aller Regel vom MSC verabschiedet. Vgl. Mensah, International Maritime Organization (IMO), in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 9 und Mensah, Maritime Safety Regulations, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 32.

132 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

nischen Komitees den bekannten Grundsätzen internationaler Organisationen, wonach jeder im entsprechenden Gremium vertretene Mitgliedstaat über eine Stimme verfügt (das Stimmengewicht verteilt sich also nicht etwa nach der unter einer Flagge versammelten Gesamttonnage). Je nach erforderlichem Quorum können Entscheidungen mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit getroffen werden.631 Der Status der IMO als internationale Regierungsorganisation wird nicht durch irgendeine Art der Einflussnahme Privater berührt. Zwar besitzen verschiedene Nichtregierungsorganisationen Konsultativstatus, darüber hinaus sind diese jedoch in keiner Weise in die Exekutivstrukturen der IMO eingebunden; ihre Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der IMO sind im Wesentlichen mit denen in anderen internationalen Organisationen vergleichbar. Art. 62 der IMO-Konvention regelt und beschränkt den innerorganisatorischen Einfluss Privater (der NGOs) wie folgt: „The Organization may, on matters within its scope, make suitable arrangements for consultation and cooperation with non-governmental international organizations“ 632

Privaten Interessenvertretern ist es somit zwar grundsätzlich möglich, sich im Rahmen der IMO mitzuteilen und entsprechende Stellungnahmen in den Sitzungen der technischen Komitees, an denen sie teilnehmen können, einzubringen.633 Darüber hinaus werden NGOs durch die IMO-Konvention – anders als die Mitgliedstaaten, deren innerorganisatorische Beteiligung detailliert geregelt ist – jedoch nicht mit Befugnissen ausgestattet. Wie stark der Einfluss der NGOs mit Konsultativstatus damit allerdings in der Praxis ist, lässt sich empirisch nur schwer bemessen.634 Formal-organisatorisch hingegen fällt die Antwort eindeutig aus, die IMO bleibt strikt hoheitlich getragen. 2. Private Akteure Mit Blick auf den Kreis der zu untersuchenden Privatakteure stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien diese ausgewählt werden sollen. Letztlich ist eine solche Vielzahl von NGOs, Industrieverbänden und sonstigen Interessenvertretern auf die ein oder andere Weise mit dem Thema der maritimen Sicherheitsdienste befasst, dass eine abschließende Darstellung aller irgendwie relevanten Privatakteure kaum möglich ist. Die vorliegende Untersuchung muss sich daher – 631

Vgl. Art. 57 Convention on the International Maritime Organization. Art. 62 Convention on the International Maritime Organization. 633 Mensah, International Maritime Organization (IMO), in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 40. 634 So haben verschiedene Interessenvertreter, beispielsweise die ISO oder BIMCO, in zahlreichen Sitzungen des MSC immer wieder auch eigene Eingebungen zum Thema der Sicherheitsdienstleister eingebracht. 632

III. Akteursstrukturen

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schon im Interesse der Übersichtlichkeit – auf eine Auswahl bestimmter Akteure beschränken. Die Auswahl der im Folgenden dargestellten Organisationen richtet sich im Wesentlichen danach, ob diese einen möglichen Einfluss auf der Ebene der Entstehung, Anwendung oder Durchsetzung der für die maritimen Sicherheitsdienstleister relevanten Regelungsstrukturen haben. Privatakteure und die anschließend untersuchten Bestandteile der Regelungsstrukturen bedingen einander also und korrespondieren dementsprechend insbesondere hinsichtlich der untersuchten Soft Law-Elemente. a) International Organization for Standardization Im Bereich der weltweiten Standardisierung nimmt die International Organization for Standardization (ISO) eine zentrale Rolle und praktisch unangefochtene Spitzenstellung ein.635 Seit ihrer Gründung 1946 hat sie bis Ende 2013 rund 20.000 vorwiegend im technischen Bereich angesiedelte Standards erarbeitet.636 Zunehmend dehnen sich ihre Aktivitäten allerdings auch auf Bereiche jenseits rein technischer Zusammenhänge wie etwa Konformitätsbewertung, Unternehmensführung und „best practices“ und damit explizit auf Verhaltenssteuerung aus.637 Ihr gehören 164 nationale Standardisierungsorganisationen an, die in 238 Technical Committees (TCs), 521 Unterkomitees und rund 2500 Arbeitsgruppen organisiert sind.638 Die ISO ist vollständig privat und regierungsunabhängig organisiert;639 ihre internen Arbeitsabläufe und Beteiligungsmechanismen vom Entwurf bis zur Fertigstellung und Publikation eines Standards sind ihrerseits streng durchnormiert und hinsichtlich ihrer Komplexität durchaus mit einem nationalen Gesetzgebungsverfahren vergleichbar. Mit Blick auf ihre weltweite praktische Relevanz und die gesetzesartige Wirkung von Standards wird der Binnenorganisation von Standardisierungsorganisationen wie der ISO von daher sogar verfassungsähnliche Qualität zugesprochen: „[W]eltweite Standardisierungsorganisationen wie die ISO [. . .] entwickeln autonome verfassungsrechtliche Normen zur Repräsentation von nationalen Gremien, Experten und Interessengruppen, zu

635 Vgl. zur ISO im Überblick statt vieler: Tietje, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTOHandbuch, 2003, S. 280 ff. 636 http://www.iso.org/iso/home/about/iso-in-figures.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 637 Tietje, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch, 2003, S. 282, Rn. 22. 638 http://www.iso.org/iso/home/about/iso-in-figures.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 639 Krisch, Capacity and Constraint. Governance through International and Transnational Law, in: Lodge/Wegrich (Hrsg.), The Problem-Solving Capacity of the Modern State, S. 198 (210).

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rechtsstaatlichen Verfahren, institutionalisierten Diskursen und materialen Entscheidungsgrundsätzen.“ 640 Seit 1947 besitzt die ISO – mit als eine der ersten Organisationen überhaupt – Konsultativstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC).641 Im Verlauf der Untersuchung des Referenzgebietes ist die ISO insofern von Bedeutung, als dass sie mit der einschlägigen Norm ISO/PAS 28007 bzw. ISO 28007 – 1:2015 einen die maritimen Sicherheitsdienstleister betreffenden Standard publiziert hat.642 b) International Code of Conduct for Private Security Service Providers Association Obwohl mittlerweile als private schweizerische Stiftung organisiert, geht die Gründung der International Code of Conduct for Private Security Service Providers Association (ICoCA) ursprünglich auf eine Initiative des eidgenössischen Departments für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zurück. In Zusammenarbeit mit dem Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte (Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces, DCAF) und der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights (ADH) sollte mit der ICoCA eine sowohl vonseiten der Industrie als auch von unabhängigen Interessenvertretern der Zivilgesellschaft und Regierungsvertretern mitgetragene Organisation aufgebaut werden, deren Aufgabe in der Erarbeitung, Verbreitung und Operationalisierung eines Internationalen Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienstleister (International Code of Conduct for Private Security Service Providers, ICoC) besteht.643 „The purpose of the Association is to promote, govern and oversee implementation of the International Code of Conduct for Private Security Service Providers [. . .].“ 644 Die ICoCA fungiert somit als institutionelle Repräsentanz und Implementierungsstelle – sie selbst bezeichnet sich als „Oversight-Mechanism“ – eines einzigen Selbstregulierungsinstruments, dem ICoC.645 Neben den ursprünglich 58 Gründungsmitgliedern aus Unternehmen der Sicherheitsindustrie, die auch heute noch den Großteil der ICoCA-Mitglieder ausmachen, waren in die Arbeit der ICoCA von Beginn an Repräsentanten der unabhängigen (nicht-kommerziellen) Zivilgesellschaft, wie beispielsweise ver640

Teubner, Verfassungsfragmente, 2012, S. 93. http://csonet.org/content/documents/E-2014-INF-5 Issued.pdf, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016. 642 Vgl. u. C. IV. 3. b) aa). 643 Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 161 ff. 644 Art. 2.2 ICoCA-Artikel. 645 Hierzu ausführlich u. IV. 3. a) aa). 641

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schiedene Menschenrechtsorganisationen, aber auch staatliche Repräsentanten etwa der amerikanischen, britischen, afghanischen, schweizerischen und kanadischen Regierung sowie EU-Ratsvertreter involviert.646 Zunächst noch als loser Zusammenschluss nahm die ICoCA 2009 ihre Arbeit auf und konnte 18 Monate später den „Verhaltenskodex“ ICoC verabschieden, der bis 2014 von 708 Unternehmen aus dem Bereich des Sicherheitsgewerbes unterzeichnet worden ist.647 Aktuell besteht die ICoCA aus 121 Vollmitgliedern, davon 99 Sicherheitsunternehmen, sechs Regierungsdelegationen und 16 NGOs, deren Tätigkeiten vorwiegend im Bereich des Menschenrechtsschutzes und des allgemeinen sowie des humanitären Völkerrechts angesiedelt sind. Neben den 121 Vollmitgliedern besitzen 30 Mitglieder Beobachterstatus, darunter Vertreter aus der Sicherheitswirtschaft, der Seetransportwirtschaft oder der Wissenschaft.648 Den organisatorischen Aufbau und die programmatische Ausrichtung der laufenden Arbeit der ICoCA bestimmen seit ihrer Verabschiedung im Februar 2013 die sog. „Articles of Association“ (im Folgenden: ICoCA-Artikel, bzw. Articles genannt);649 im Zuge von deren Verabschiedung institutionalisierte sich die ICoCA zu einer dauerhaft angelegten Nichtregierungsorganisation. Daneben definiert auch der durch die ICoCA erarbeitete Verhaltenskodex die weiteren Ziele der Organisation. Die Articles bestimmen für die ICoCA zunächst einen klassischen und aus Regierungs- oder UN-Organisationen bekannten tripoden Aufbau aus einer Generalversammlung (General Assembly), einem Direktorium sowie einem Sekretariat, womit die ICoCA über einen für NGOs vergleichsweise hohen Institutionalisierungsgrad verfügt. Das Direktorium besteht aus insgesamt zwölf Mitgliedern, von denen jeweils vier je einem der drei Bereiche („stakeholder-pillars“) Sicherheitsindustrie, Zivilgesellschaft und Regierungsvertreter zugeordnet sind.650 Bemerkenswert ist dies vor allem insofern, als dass dem Direktorium somit eine äußerst heterogene Zusammensetzung verbindlich vorgeschrieben ist. Das Direktorium ist mit vorwiegend exekutiven Aufgaben sowie Aufgaben der Interessenrepräsentation betraut und durch die Articles verpflichtet, mindestens jährlich, erforderlichenfalls auch häufiger, zu tagen.651 Das höchste Gremium der ICoCA ist als die Zusammenkunft aller Mitglieder die Generalversammlung („General Assembly“), die praktisch mit allen für die 646 Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 161. 647 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (78). 648 http://icoca.ch/en/membership, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 649 Online verfügbar unter: http://www.icoca.ch/en/articles_of_association, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 650 Art. 7.2 ICoCA-Artikel. 651 Art. 7.5 ICoCA-Artikel.

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Erarbeitung, Ergänzung, Implementierung oder Überwachung des ICoC anfallenden Aufgaben befasst ist. Daneben fallen in den Aufgabenbereich der Generalversammlung auch Fragen der Neumitgliedschaft und des Haushalts sowie die Annahme etwaiger Mitgliederbeschwerden im Rahmen des organisationseigenen Beschwerdemechanismus.652 Die Generalversammlung tagt auf Anordnung des Direktoriums oder auf Anfrage von mindestens 20 % der Mitglieder der ICoCA, mindestens jedoch ebenso wie das Direktorium einmal jährlich.653 Die ICoCA stellt damit eine Art Multistakeholder-NGO der unterschiedlichen Interessenvertreter und Organisationen des Sicherheitsgewerbes, nicht aber speziell des maritimen Sicherheitsgewerbes dar. Sie ist in erster Linie die Hüterin des ICoC und verfolgt damit – nicht zuletzt schon der pluralistischen Zusammensetzung ihrer Mitglieder geschuldet – Ziele von unterschiedlicher Stoßrichtung: Einerseits kann die Verbreitung und Implementierung des ICoC langfristig durchaus zu Verbesserungen im Bereich der Sicherheitsindustrie insgesamt führen. Dass damit andererseits auch das Renommee der Branche gestärkt und die Akzeptanz von privaten Sicherheitsdiensten erhöht wird, ist sicherlich ein sowohl im Interesse der Sicherheitsdienste als auch der beteiligten Regierungen liegender weiterer Effekt der Arbeit der ICoCA. Unbeschadet einer möglichen Verbesserung der weltweiten Regulierung des Sicherheitsgewerbes spielen folglich also auch die eigenen (und nicht notwendig am Gemeinwohl orientierten) Interessen der beteiligten Stakeholder innerhalb der ICoCA stets eine Rolle, was bei einer Beurteilung der ICoCA nicht außer Acht gelassen werden darf.654 Mit der Erarbeitung, Verbreitung und Überwachung des ICoC „als Grundlage und Instrument einer breiter angelegten Initiative“ soll die ICoCA ihren eigenen Statuten zufolge jedenfalls dem Ziel einer „Verbesserung der Gouvernanz, der Einhaltung der Vorschriften und der Rechenschaftslegung“ für das Sicherheitsgewerbe auf globaler Ebene dienen.655 c) Security Association for the Maritime Industry Bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 2016 stellte die Security Association for the Maritime Industry (SAMI) praktisch den einzigen nennenswerten Interessenverband der maritimen Sicherheitsindustrie selbst dar. Im Gegensatz etwa zur ICoCA bestand SAMI zwar nicht als eine komplexe und fest institutionalisierte 652

Art. 6.2 bis Art. 6.4 ICoCA. Art. 6.1. 654 Die beteiligten Staaten beispielsweise profitieren sowohl als Steuergeldempfänger von ansässigen Unternehmen als auch als „Auftraggeber“. Gerade die in der ICoCA stark vertretenen USA dürften nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass vonseiten des Staates in immer größerem Umfang auf die Dienste der Sicherheitsindustrie zurückgegriffen wird und viele Sicherheitsdienstleister dort ansässig sind, ein verstärktes Interesse auch an einem sauberen Image der Branche haben. 655 Präambel des ICoC, Ziff. 7. 653

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Organisationseinheit, sondern nur als ein vergleichsweise loser Zusammenschluss verschiedener Sicherheitsfirmen, dennoch sind unter seiner Interessenvertretung mit insgesamt bis zu 180 Mitgliedern erhebliche Teile der Branche vereint gewesen656 (zum Vergleich: Die Gesamtgröße der Branche der maritimen Sicherheitsdienstleister wird auf ca. 200 bis 250 Unternehmen geschätzt657). Die Organisation unterhielt in der Zeit ihres Bestehens zwischen 2012 und 2016 ein Sekretariat in London, von wo aus die Geschäfte gesteuert wurden. Zum Beschäftigungsfeld von SAMI zählten die von Wirtschafts- oder Branchenverbänden typischerweise verfolgten Tätigkeiten, also zum einen eine nach außen gerichtete Interessenvertretung der Industrie insgesamt (Lobbying) und zum anderen eine nach innen gerichtete Unterstützung ihrer Mitglieder. Als global vernetzter und mitgliedstarker Branchenvertreter hat SAMI ihren Mitgliedern also in erster Linie den Vorteil der koordinierten Interessenartikulation und des Austauschs der Unternehmen untereinander bieten können. Daneben zählten zum Betätigungsfeld von SAMI eine ganze Reihe von Konsultations- oder Beratungsdiensten für ihre Mitglieder.658 In ihrer Rolle als zentraler Lobbyverband der maritimen Sicherheitsdienstleister ist SAMI auf unterschiedlichen internationalen Foren aktiv gewesen – so besaß die Organisation beispielsweise Konsultativstatus bei der ICoCA und hat mit den Zertifizierungsstellen für die Zertifikation der Unternehmen nach ISO 28007 kooperiert.659 Darüber hinaus ist SAMI als Organization in liaison beim TC 8 (Schifffahrt und maritime Technologie) der ISO gelistet gewesen.660 Inwieweit die Aktivitäten von SAMI damit konkreten Einfluss auf den Ebenen der Normentstehung, -anwendung oder -durchsetzung entfaltet und inwieweit dieser Einfluss nicht nur eigennützigen Zielen sondern womöglich auch der Qualitätssicherung der von SAMI repräsentierten Industrie gedient haben kann, muss im Zusammenhang mit den vorgefundenen Regelungsstrukturen jeweils im Einzelnen untersucht werden. Nicht zuletzt mit Blick auf die unlängst erfolgte Auflösung von SAMI und ihre bereits zu einem frühen Zeitpunkt unternommenen (letztlich jedoch gescheiter-

656 Vgl. zu diesen Angaben die Mitteilungsblätter der Security Association for the Maritime Industry (SAMI), Dokumente liegen dem Verfasser vor. 657 Vgl. hierzu o. II. 3. 658 Eigenangaben von SAMI zufolge erstreckten sich die Beratungsleistungen auch und vor allem auf zahlreiche rechtliche Aspekte, etwa Fragen die Regeln über Gewaltanwendung („Rules of the Use of Force“), die Rolle des Kapitäns, die Nutzungsmöglichkeiten von Floating Armouries oder die vertragliche Absicherung in Bezug auf Haftungsfragen betreffend, vgl. die SAMI-Rundschreiben, Dokumente liegen dem Verfasser vor. 659 Vgl. zum ISO-Standard u. IV. 3. b) aa). 660 http://www.iso.org/iso/iso_technical_committee?commid=45776, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

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ten) Bestrebungen, so etwas wie einen eigenen Zertifizierungsmechanismus zu realisieren, kann SAMI zusammenfassend als der erste Versuch des noch jungen Industriezweigs der maritimen Sicherheitsdienste betrachtet werden, einen eigenen zugkräftigen Lobbyverband aufzubauen. Mit den seit 2014 einsetzenden Veränderungen in der Branche661 und den damit verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen für die Sicherheitsdienstleister insgesamt, konnte SAMI, so wie sie konzipiert worden war, jedoch nicht länger kostendeckend arbeiten.662 d) Baltic and International Maritime Council Neben dem Interessenverband der Sicherheitsdienstleister sind auch die Interessenverbände der Schifffahrt von Bedeutung für die Entstehung oder Implementierung der Soft-Law-Instrumente. Der Baltic and International Maritime Council (BIMCO) ist in diesem Bereich mit rund 2300 Mitgliedern aus über 130 Staaten der weltweit mitgliederstärkste 663 und damit auch bedeutsamste private Verband. Trotz seiner überragenden Bedeutung als Interessenvertretung der Reeder bzw. der Schifffahrt ist BIMCO zumindest kein ausschließlicher Schifffahrtsverband. Unter den Mitgliedern oder assoziierten Mitgliedern sind beispielsweise auch Schiffsmakler oder Ausbildungseinrichtungen sowie ebenfalls maritime Sicherheitsunternehmen. Somit begreift sich BIMCO auch nicht lediglich als die Interessenvertretung der Schifffahrt, sondern der maritimen Wirtschaft insgesamt. Nichtsdestoweniger sind davon in erster Linie die Interessen der Schifffahrt erfasst, deren Vertretung auch den überragenden Teil der Arbeit von BIMCO ausmacht. Die Untersuchungen sollen sich mit Blick auf die Schifffahrtsverbände im Folgenden auf die Rolle von BIMCO beschränken. Die Tätigkeiten von BIMCO erstrecken sich – ebenso wie auch die Arbeit von SAMI – sowohl auf allgemeine Lobbyarbeit im Außen- als auch auf Mitgliederunterstützung im Innenverhältnis. So setzt sich BIMCO u. a. für die Förderung fairer Geschäftspraktiken, des freien Handels und des Marktzugangs ein und unterstützt vereinheitlichende Regulierungsmaßnahmen sowie schifffahrtsbezogene Harmonisierungs- und Standardisierungsmaßnahmen auf zahlreichen internationalen Foren. Hierbei ist – in erster Linie für die Mitglieder – die von BIMCO betriebene Erarbeitung und Verbreitung zahlreicher schifffahrtsbezogener Standardverträge und -klauseln von enormer praktischer Bedeutung.664 Daneben be661

Vgl. hierzu o. II. 3. b) bb). Zur Auflösung von SAMI vgl. den Beitrag unter http://www.allaboutshipping. co.uk/2016/04/18/sami-voluntary-liquidation/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 663 Zu diesen Angaben: BIMCO, https://www.bimco.org/About/About_BIMCO. aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 664 Zu diesen Angaben: BIMCO, https://www.bimco.org/About/About_BIMCO. aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; vgl. auch Noakes, A BIMCO Perspective on ISO PAS 28007 and PCASP. The Need for Regulation and Standards, Präsentation des 662

III. Akteursstrukturen

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treibt BIMCO umfangreiche eigene Marktanalysen, gibt Informationsmitteilungen heraus und engagiert sich im Bereich der Weiterbildung. Mit Blick auf die maritimen Sicherheitsdienste hat BIMCO sowohl für die Einstellung von PCASP branchenweit verbreitete Standardverträge erarbeitet als auch die Verbreitung eigener Rules of Force für die PMSCs betrieben.665 Im Rahmen seiner internationalen Interessenvertretung besitzt BIMCO Beobachter- oder Konsultativstatus in zahlreichen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder befindet sich in anderweitiger vertraglicher Kooperation mit solchen; so ist BIMCO beispielsweise auch bei der IMO666 oder der ISO667 vertreten. e) United Kingdom Accreditation Service Im weiteren Verlauf der Untersuchung werden Standards und deren Implementierung eine nicht unwesentliche Rolle spielen. In diesem Zusammenhang wiederum sind sogenannte Akkreditierungs- und Zertifizierungsstellen von erheblicher Bedeutung. Das Verfahren zur Implementierung eines Standards aus dem hier relevanten Bereich des Lieferketten-Sicherheitsmanagements verläuft – grob gesagt – so, dass die ISO Akkreditierungsstellen benennt, von denen wiederum fachlich qualifizierte Zertifizierungsunternehmen die Erlaubnis erteilt bekommen können, einem einzelnen Sicherheitsdienstleister die Standardzertifikate auszustellen.668 Mit einfachen Worten: Die Akkreditierungsstelle steht bei der Implementierung eines Standards ganz am Anfang. Die einzige im Zusammenhang mit maritimen Sicherheitsdienstleistern bislang benannte Akkreditierungsstelle ist der United Kingdom Accreditation Service (UKAS). Er ist eine nach britischem Recht organisierte „Private company limited by guarantee“ (LBG), eine typischerweise von britischen NGOs, Studentenvereinigungen, Charity-Firmen oder Sportverbänden gewählte Kapitalgesellschaftsform. In einer solchen LBG werden Haftungsrisiken – anders als in Kapitalgesellschaften im deutschen Recht üblich – nicht in Form einer Kapitaleinlage, sondern in Form einer Inhabergarantie kompensiert.669 BIMCO anlässlich der SAMI-Konferenz vom 29.01.2014, Dokument liegt dem Verfasser vor. 665 Dazu im Einzelnen unter IV. 3. a) cc). 666 http://www.imo.org/en/About/Membership/Pages/NGOsInConsultativeStatus.aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 667 http://www.iso.org/iso/home/about/organizations_in_liaison.htm, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 668 Zum genauen Verfahren und zu den Zertifizierungsstellen ausführlich u. IV. 3. b). 669 Hannigan, Company Law, 2012, S. 13 ff. Für die Non-Profit-Organisationen, die regelmäßig diese Gesellschaftsform wählen, ergeben sich die Vorteile daraus, dass Private Companies LBG auf stark fluktuierende Mitgliederstrukturen ausgelegt werden können und für die beteiligten Privatpersonen nur sehr geringe Beträge (i. d. R. zwischen £1 und £5) als Inhabergarantie anfallen.

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Eine Besonderheit der Akkreditierungsstellen insgesamt liegt darin, dass es in jedem Staat i. d. R. nur jeweils eine davon gibt; in der EU gilt dies seit Januar 2010 mit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 für alle Mitgliedstaaten verbindlich.670 Je nach Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und abhängig von ihrem Mandat treten die Akkreditierungsstellen oftmals als Beliehene – und somit in funktionaler Hinsicht tatsächlich als privat-hoheitliche Akteure – in Erscheinung. Die als GmbH organisierte deutsche Akkreditierungsstelle ist beispielsweise bundesweit mit der Akkreditierung von Laboratorien, Inspektions- oder Zertifizierungsstellen betraut, wobei sie insofern auch hoheitliche Aufgaben wahrnimmt.671 Einem entsprechenden Memorandum of Unterstanding zufolge ist es seinerseits etwa dem UKAS vorbehalten, ein akkreditiertes Zertifizierungsunternehmen mit dem hoheitlichen Siegel der britischen Krone („Tick & Crown“) zu beglaubigen.672 Die Mitglieder, welche den UKAS konstituieren, repräsentieren ein breites Spektrum sowohl privater als auch hoheitlicher Akteure, u. a. die Academy of Medical Royal Colleges, die Association of British Certification Bodies, das Department of Health (Gesundheitsministerium), die Federation of Small Businesses, das Secretary of State for Defence (Verteidigungsministerium), die Safety Assessment Federation oder das Trading Standards Institute.673 Der UKAS selbst ist Mitglied im International Accreditation Forum, einem internationalen Dachverband nationaler Akkreditierungsstellen.674 Mit Blick auf die eingangs aufgeworfene Frage nach einer möglichen Hybridisierung der Akteure ist der UKAS damit einer der interessanteren Fälle: Formell bleibt er zwar – trotz der zahlreichen involvierten öffentlichen Stellen – eine (nicht gewinnorientierte) private Organisationseinheit. In funktionaler Hinsicht setzt jedoch die Einbeziehung einer Akkreditierungsstelle wie des UKAS genau dort an, wo die „epistemischen Probleme der spezialistischen Regulierung“ 675 (d.h. die in Anbetracht der zunehmenden Komplexität staatlicher Regulierungsaufgaben entstehenden Wissenslücken) zum Tragen kommen: Indem eine natio670

Art. 4 I VO (EG) Nr. 765/2008. Grundliegend Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008, S. 29 ff.; vgl. auch schon die Eigenauskunft der deutschen Akkreditierungsstelle, http://www.dakks. de/content/profil, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 672 Memorandum of Understanding between Department for Business, Innovation and Skills and UKAS, online verfügbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/278807/bis-14-596-memorandum-of-understandingbis-ukas.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 673 http://www.ukas.com/about/our-structure/ukas-members/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 674 http://www.iaf.nu/articles/IAF_Members__Signatories/4, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 675 Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 (398). 671

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nale Akkreditierungsstelle hochspezialisiertes Wissen sowohl öffentlicher Verwaltungsstellen als auch privater Industrie- oder Interessenverbände vereint, kommt deren Regulierungstätigkeit676 (ausgedrückt etwa in der Siegelvergabe) eine größere fachliche Expertise zugute. Die Nutzung privaten Sachverstands durch den Staat, für die die Einrichtung einer Akkreditierungsstelle geradezu den Paradefall darstellt,677 bildet also den Hintergrund solcher Entwicklungen. Institutionell vereint der UKAS sowohl hoheitliche als auch private Elemente und kann damit – schon für sich und auf der nationalen Ebene betrachtet – als ein hybridisierter Akteur im Geflecht der für die Regulierung von PCASP relevanten Akteure begriffen werden. f) Exkurs: Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia Die wohl größten Schwierigkeiten bei der Frage, ob sie als hoheitlicher oder privater Akteur zu begreifen ist, bereitet sicherlich die Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia (CGPCS). Da sich die CGPCS letztlich nicht gesondert mit den maritimen Sicherheitsdiensten befasst hat und – zumindest offiziell – nur wenig zu diesem Thema hat verlauten lassen,678 spielt sie in der Auflistung dieser Akteure zwar eigentlich keine größere Rolle. Mit Blick auf die Entwicklungen der Akteursstrukturen im transnationalen Recht – die zu analysieren dieses Kapitel zum Ziel hat – ist sie dennoch ein interessanter Fall und soll von daher zumindest exkursorisch Erwähnung finden. Schon die Entstehungsgeschichte der Contact Group ist interessant, geht ihre Einrichtung doch letztlich auf eine (US-geführte679) Initiative des UN-Sicherheitsrates zurück, der – so jedenfalls eine verbreitete Lesart – mit der Contact Group einen geradezu beispielhaften Anwendungsfall für ein Global-Gover-

676 Dazu, ob bzw. inwieweit mit Blick auf die Tätigkeit des UKAS im Zusammenhang mit dem untersuchten Referenzgebiet tatsächlich von Regulierung gesprochen werden kann u. IV. 3. b). 677 Vgl. Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008, S. 268 ff. 678 Seit das Thema der PMSCs aufkam, wurde es auch in der CGPCS diskutiert. Tatsächlich aber beschränkt sich der diesbezügliche (nachweisliche) Output der CGPCS auf eine Reihe von Erwähnungen der Thematik in ihren Communiqués zu den jährlichen Plenarsitzungen (diese Communiqués stellen zugleich die einzigen überhaupt öffentlich zugänglichen Mitteilungen der Contact Group dar). Dann bezog die CGPCS allerdings oft auch recht eindeutig Position, beispielsweise indem sie die Staaten dazu aufforderte, bei eigenen Regulierungsmaßnahmen die Arbeiten der IMO und der ISO zu berücksichtigen und zu verbreiten (16. Plenarsitzung, Communiqué vom 14.05.2014, Ziff. 23; vgl. auch die 13. Plenarsitzung, Communiqué vom 11.12.2012, Ziff. 17–19). Die Communiqués der CGPCS zu ihren Plenarsitzungen sind neben weiteren Materialien online verfügbar unter: http://www.lessonsfrompiracy.net/archive/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 679 Hierzu Zach/Seyle/Madsen, Burden-sharing Multi-level Governance, A Study of the Contact Group on Piracy off the coast of Somalia, 2013, S. 18, m.w. N.

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nance-Instrument680 bzw. einen Mechanismus transnationaler Kooperation681 geschaffen hat. Die Anregung des Sicherheitsrates in der Resolution 1851 (2008) ist in diesem Zusammenhang entsprechend zu einiger Berühmtheit gelangt: „The Security Council [. . .] [e]ncourages all States and regional organizations [. . .] to establish an international cooperation mechanism to act as a common point of contact between and among states, regional and international organizations on all aspects of combating piracy[. . .].“ 682

In der unmittelbar aus dieser Empfehlung hervorgegangenen CGPCS sind überwiegend staatliche, daneben aber auch zahlreiche private Interessenvertreter organisiert; als informelles ad-hoc Forum bringt sie Vertreter aus über 60 Staaten und zahlreichen internationalen oder regionalen Organisationen (darunter die UN, die EU, die IMO, die NATO oder INTERPOL683) sowie verschiedene NGOs an einem Tisch zusammen.684 Diese Konstellation ist schon von daher interessant, als private Interessenvertreter zumindest in sicherheitsbezogenen Zusammenhängen oft nicht in dem Maße und auf einer institutionellen Ebene mit einbezogen werden, wie in der Contact Group geschehen.685 Damit fügt sich die Contact Group als hochspezialisierte und segmentäre gesellschaftliche Teileinheit nicht zuletzt in das Bild einer funktional differenzierten Globalgesellschaft, wie sie vor dem Hintergrund der Fragmentierung angenommen wird.686 Das organisatorische Gepräge der CGPCS ist demgegenüber insgesamt dennoch stark informell gehalten, mitunter stellt sich die Frage, ob sie überhaupt als eigener Akteur oder nicht lediglich als ein institutionalisierter Kontaktmechanismus zu begreifen ist.687 Anders als klassischen internationalen Organisationen

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Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 13 (45). König, Maritime Security: Cooperative Means to Address New Challenges, GYIL 2014, S. 209 (213 ff.); Klabbers, in: Koutrakos/Skordas, The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 329 (336). 682 S/Res/1851 (2008), Ziff. 4. 683 Klabbers, in: Koutrakos/Skordas, The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 329 (338). 684 Zach/Seyle/Madsen, Burden-sharing Multi-level Governance: A Study of the Contact Group on Piracy off the coast of Somalia, 2013, S. 27. 685 Zach/Seyle/Madsen, Burden-sharing Multi-level Governance: A Study of the CGPCS, 2013, S. 36: „In this regard the CGPCS is unusual because of its incorporation of NGOs as observers, collaborators, and to some degree active participants in CGPCS activities.“ Kritische Stimmen weisen in diesem Zusammenhang nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass die private Beteiligung innerhalb der CGPCS letztlich vor allem industrieseitig dominiert war; jemenitische Fischer, somalische Fischer oder philippinische Seeleute waren hingegen zu keinem Zeitpunkt in der Contact Group repräsentiert. Hierzu ein Interview mit Alan Cole, Mitglied des Lessons from Piracy Projektes, online verfügbar unter: http://www.lessonsfrompiracy.net/2014/11/08/reactive-mobileand-nimble-in-conversation-with-alan-cole/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 686 Vgl. o. B. II. 2). 681

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fehlt es der CGPCS an einem formalen Gründungsdokument,688 ihre prozeduralen Strukturen sind nur rudimentär ausgeprägt und sie ist allein unter sachspezifischen Gesichtspunkten strukturiert.689 Fünf Arbeitsgruppen („working groups“) verteilen sich auf die Ressorts Capacity Building und Marinekoordination, Rechtsfragen, Schiffs- und Besatzungsschutz, Öffentlichkeitsarbeit und Bekämpfung der Finanz- und Kriminalitätsnetzwerke der somalischen Piraten.690 Mit Blick auf die Bekämpfung der Piraterie hat die CGPCS als fachlich hoch spezialisiertes Gremium nach einhelliger Auffassung insgesamt sowohl bei der Koordinierung der kollektiven Gegenmaßnahmen als auch beim internationalen Informationsaustausch und bei der Vernetzung der Akteure eine kaum zu überschätzende Arbeit geleistet.691 Unbeschadet der Tatsache, dass die Contact Group zu keinem Zeitpunkt mit der formalen Befugnis ausgestattet war, international rechtsverbindliche Beschlüsse zu fassen, dürften viele der auf internationaler Ebene formal gefällten Entscheidungen letztlich in den Expertengremien der CGPCS ihren Ursprung haben. 3. Sonstige Akteure Neben den bislang genannten Akteuren, die auch im weiteren Verlauf der Untersuchung der einzelnen Regelungsstrukturen eine Rolle spielen werden, gibt es noch zahlreiche weitere Akteure (sowohl hoheitliche als auch private), die zwar oftmals vorrangig mit dem Thema der Piraterie insgesamt befasst sind, in diesem Zusammenhang jedoch zumindest mittelbar immer wieder auch wieder mit dem Thema der privaten Sicherheitsdienste in Berührung kommen. Dazu zählen etwa das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC); der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC); das International Maritime Bureau (IMB), eine Unterorganisation der Welthandelskammer, die in enger Kooperation mit der IMO als Informations- und Anlaufstelle im Kontext maritimer Kriminalität dient und eine Online-Dokumentationsstelle für Piratenangriffe betreibt; das Maritime Security Center – Horn of Africa (MSCHOA), eine speziell für die Somalia-basierte Piraterie eingerichtete Kommunikationsund Überwachungsstelle der EU-Mission Atalanta für die Schifffahrt ebenso wie 687 Eine Frage, die hier nicht abschließend beantwortet werden muss. Vgl. Zach/ Seyle/Madsen, Burden-sharing Multi-level Governance: A Study of the Contact Group on Piracy off the coast of Somalia, 2013, S. 32 f. 688 Jedenfalls soweit man von der Empfehlung des Sicherheitsrates absieht. 689 Klabbers, in: Koutrakos/Skordas, The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 329 (338). 690 Ebenda, S. 336. 691 Vgl. nur Zach/Seyle/Madsen, Burden-sharing Multi-level Governance, A Study of the Contact Group on Piracy off the coast of Somalia, 2013, S. 27 ff.; Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 13 (45 ff.); Klabbers, in: Koutrakos/Skordas, The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 329 (334 ff.).

144 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

die Kontaktstelle von UK Maritime Trade Operations (UKMTO); die One Earth Future Stiftung sowie deren Projekt Oceans Beyond Piracy, das jährlich sehr umfangreiche und detaillierte Berichte zur Lage der Piraterie weltweit veröffentlicht; die Weltbank, die in verschiedenen Berichten die wirtschaftlichen Implikationen des Themas Piraterie dokumentiert hat, sowie zahlreiche nationale Sicherheitswirtschafts-, Schifffahrts- und Kapitänsverbände. Der auf unterschiedlichste Weise zum Tragen kommende Einfluss all dieser Akteure sollte sicherlich nicht unterschätzt werden; insbesondere die Einflusskraft globaler Medienkampagnen auf die weltweite öffentliche Meinung und damit mittelbar auf die Entwicklung auch des Rechts ist hinlänglich bekannt.692 Schon in Anbetracht der kaum vorhandenen Quellenlage und der praktisch oft unmöglichen empirischen Nachweisbarkeit können in dieser Arbeit gleichwohl nicht sämtliche (sublim zweifelsohne vorhandenen) Einflussfaktoren Berücksichtigung finden. 4. Hybridität Im Folgenden ist zu erörtern, ob bzw. inwieweit sich die abstrakt getroffenen Feststellungen des transnationalen Rechts zur Beschaffenheit der Akteursstrukturen im Hinblick auf das untersuchte Referenzgebiet als zutreffend erweisen. Den Ausgangspunkt der behaupteten Hybridisierung der Akteursstrukturen bildete dabei die Feststellung, dass sich die an der Normentstehung beteiligten Akteure erheblich diversifiziert haben693 und eine Beschränkung völkerrechtlicher Untersuchungen auf den Output staatlicher bzw. hoheitlicher Akteure ein in der Sache unzureichendes Bild erzeugt.694 Tatsächlich hätte sich diese Untersuchung schlichtweg nicht auf die Staaten bzw. die im Sachzusammenhang zuständige Internationale Organisation (IMO) beschränken können. Sowohl die ICoCA, die ISO oder SAMI als auch der UKAS oder BIMCO treten deutlich sichtbar als eigenständige Akteure in Erscheinung, 692

Vgl. hierzu auch o. B. III. 3. b) bb) (4). Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 41 ff.; v. Arnauld, Völkerrecht, S. 17 ff.; Hanschmann, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano, Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (375 ff.); Oeter, Vom Völkerrecht zum transnationalen Recht, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 387 ff.; Günther, Rechtspluralismus und universeller Code der Legalität: Globalisierung als rechtstheoretisches Problem, in: Wingerth/Günther (Hrsg.), FS Habermas, 2001, S. 539 (539 ff.); Backer, Private Actors and Public Governance Beyond the State, Indiana Journal of Global Legal Studies 17 (2011), S. 101 ff.; Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 ff.; Glenn, Transnational legal thought, in: Maduro/Tuori/Sankari (Hrsg.), Transnational Law, 2014, S. 61 (75); Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 3; Teubner, Globale Zivilverfassungen, ZaöRV 2003, S. 1 (14); Calliess/Maurer, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 1 (4). 694 Boyle/Chinkin, The Making of International Law, 2007, S. 41. 693

III. Akteursstrukturen

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soweit es um die Frage der Regulierung von PCASP geht.695 Ohne dass an diesem Punkt der Untersuchung die Regelungsstrukturen (und deren jeweilige faktische Bedeutung) bereits umfassend untersucht worden sind, kann zumindest schon festgehalten werden, dass unter den im Sachzusammenhang in Erscheinung tretenden Akteuren sowohl staatliche als auch zahlreiche private Akteure sind. Was sich hingegen nicht beobachten lässt, ist die Entstehung einer institutionellen Verfestigung dieser Akteure zu einer organisatorischen Einheit, deren institutionalisierter Austausch etwa in einem einzigen zentralen Forum oder auch die Hybridisierung einzelner Akteure (und nicht der Strukturen insgesamt). Auch damit korrespondiert der Befund mit den Annahmen der Theorie transnationaler Rechtsprozesse: In der Transnationalisierung entstehen keine einheitlichen „Superordnungen“ des Rechts,696 in der gleichen Uneinheitlichkeit verbleiben folglich auch die Akteursstrukturen. Sie verschmelzen zu keiner Superinstanz, sondern – auch insoweit scheinen sich die Annahmen zu bestätigen – treten an den innerorganisatorisch vorgesehenen Kontaktstellen lediglich in einen regen Austausch miteinander und bilden stattdessen netzwerkartige Strukturen. Privatakteure sind auf staatlichen Foren repräsentiert und umgekehrt: BIMCO beispielsweise ist im Sicherheitskomitee der IMO vertreten, ebenso besitzt die ISO Konsultativstatus bei der IMO; Staaten, NGOs oder Industrieverbände nutzen in gleicher Weise die Möglichkeiten, die sich durch eine Beteiligung in der ICoCA bieten; die ISO benötigt zur Implementierung ihrer Standards weitere private Akteure (z. B. den UKAS), die sich ihrerseits wiederum in einem staatlicherseits (oder innerhalb der EU: auf supranationaler Ebene) z. T. streng regulierten Kontext befinden. Der interinstitutionelle Austausch ist insgesamt also hoch, der jeweilige modus operandi dabei von Fall zu Fall und je nach Zuschnitt der beteiligten Akteure verschieden. Staatliche wie auch private Akteure treten im untersuchten Zusammenhang als in alle Richtungen gut vernetzte Vertreter ihrer jeweiligen Interessen in Erscheinung, wobei innerhalb dieser Strukturen jedoch keiner der beteiligten Akteure die Position einer zentralen Instanz für sich beanspruchen kann. Der Deutung, dass Staaten unter diesen Umständen als Interessenvertreter inter alia und nicht als die an der Spitze des Völkerrechtssystems stehenden dominierenden Organisationseinheiten zu begreifen sind,697 kann mit Blick auf das untersuchte Referenzgebiet folglich auch zugestimmt werden.698 695

Hierzu im Folgenden u. IV. Fischer-Lescano/Teubner, Fragmentierung des Weltrechts: Vernetzung globaler Regimes statt etatistischer Rechtseinheit, in: Albert/Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit, 2007, S. 37 (43). 697 So ausdrücklich Viellechner, Was heißt Transnationalität im Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 71. 698 Völlig losgelöst vom Gehalt der Regelungsstrukturen lässt sich die Frage nach der zentralen Instanz freilich nicht beantworten. Ob, wann, oder in welchem Zusammenhang das Gepräge der beteiligten Akteure nicht womöglich doch unilateral durch 696

146 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Ohne nennenswerte Konsequenzen bleiben diese Entwicklungen hingegen für die grundsätzliche Differenzierbarkeit der Akteure. Wenngleich einzelne Erscheinungen wie etwa die exkursorisch betrachtete Contact Group aufgrund ihrer starken Heterogenität zumindest Schwierigkeiten in der Einordnung bereiten, lassen sich hoheitliche und private Akteure, auch wenn die Verflechtungen vielfältig sind, stets klar voneinander trennen. Es bilden sich hybride Akteursstrukturen statt hybrider Akteure. Der Vorwurf, transnationales Recht lasse die Grenzen zwischen Recht und Nicht-Recht verschwimmen, findet – zumindest auf der Akteursebene – also keine Entsprechung. Auch wenn sowohl hoheitliche als auch private Akteure nach Kräften versuchen, Einfluss zu nehmen, führt dies nicht zu einer Auflösung der Akteursstrukturen mit Blick auf deren Differenzierbarkeit in hoheitlich oder privat; ein „blurring of the public and the private sectors“ 699 ist – auf der Ebene der Akteure – im untersuchten Referenzgebiet folglich nicht festzustellen. Die verbleibenden Fragen sind eingedenk dessen, dass dennoch prinzipiell jedwede Organisation in den Akteursstrukturen des transnationalen Rechts partizipieren kann, letztlich also vor allem praktischer Natur: Besitzt ein Akteur – sei er hoheitlich oder privat – rein faktisch die Möglichkeit, die Regelungsstrukturen in seinem Sinne mitzugestalten oder durchzusetzen? Um diese Frage abschließend beantworten zu können, müssen im nächsten Schritt die vorgefundenen Regelungsstrukturen eingehend untersucht werden.

IV. Regelungsstrukturen Die übergreifende Frage lautet: Hat sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Sicherheitsdiensten ein Rechtsrahmen herausgebildet, der als transnationale Regelungsstruktur beschrieben werden muss oder kann? 1. Eingrenzung der Untersuchung Wie bereits dargestellt, haben sich mit dem Thema der Sicherheitsdienstleister zahlreiche sowohl hoheitliche als auch private Akteure befasst. Deren Regelungen gilt es nun im Einzelnen einer – auch inhaltlichen – Analyse zu unterziehen. Führt man sich allerdings vor Augen, dass schon eine detaillierte Analyse allein etwa der unterschiedlichen Flaggenstaatsregelungen (in Betracht kommen die eine zumindest höhere Autorität dominiert sein kann, ist eine Frage, die letztverbindlich nicht isoliert von den jeweiligen Norminhalten beantwortet werden kann und von daher auch im Zusammenhang mit den untersuchten Regelungsstrukturen erneut Beachtung verdient. 699 Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (1).

IV. Regelungsstrukturen

147

Gesetzeslagen von immerhin rund 170 Registerstaaten) eine rechtsvergleichende Arbeit von ungeheurem Ausmaß erfordern würde, wird die Notwendigkeit einer weiteren Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes offenkundig. Eine erste Eingrenzung soll anhand der Schwerpunktsetzung erfolgen: Wie schon im ersten Teil (B.) der Arbeit sollen die als Hard Law bezeichneten kanonischen Quellen des staatlichen und des Völkerrechts nicht im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Das Hauptaugenmerk gilt weiterhin den genuin transnationalen Elementen der Regelungsstrukturen und dort den nicht-hoheitlich generierten Standards und der Selbstregulierung, also dem Soft Law. Da das Erkenntnisinteresse allerdings auch auf das Zusammenspiel der einzelnen „Bestandteile“ und deren Gewichtung gerichtet ist, kann auf eine Untersuchung derjenigen Regelungsstrukturen, die hoheitlichen Ursprungs sind, zumindest nicht vollständig verzichtet werden. Soweit möglich, sollen die Ausführungen zum nationalen und zum Völkerrecht jedoch knapp gehalten werden. Weiterhin müssen die Untersuchungen der einzelnen Regelungen selbst auch eine inhaltliche Eingrenzung erfahren: Nicht jeder in irgendeiner Weise relevante Teilaspekt des nationalen oder des Völkerrechts kann Berücksichtigung finden. Zwar können stets verschiedenste Aspekte eine Rolle spielen, etwa strafrechtliche, gewerbe- oder waffenrechtliche Aspekte, genauso wie Haftungsfragen und Fragen des allgemeinen Verwaltungsrechts, des internationalen Seerechts, des Versicherungsrechts oder des Arbeitsrechts. Mit Blick auf die übergeordnete rechtstheoretische Fragestellung der Arbeit soll die Auswahl der zu untersuchenden Regelungsstrukturen sich aber vor allem daran orientieren, ob diese zum Verständnis der jeweiligen Mechanismen von Rechtsetzung, Rechtsanwendung oder Rechtsdurchsetzung beizutragen geeignet sind. Weiterhin sollen Aspekte der Verknüpfung und Vernetzung zwischen den Regelungsstrukturen besondere Aufmerksamkeit erfahren. Bestenfalls lassen sich dann mit Abschluss der Untersuchung Aussagen darüber treffen, ob die jeweiligen Strukturen – Hard Law und Soft Law – aufeinander eingewirkt haben oder in Abhängigkeit zueinander stehen, ob es inhaltliche Überschneidungen gibt oder ob die unterschiedlichen Regelungsstrukturen womöglich insgesamt unterschiedlichen Maximen folgen. Die Einschätzung, dass der Einsatz von PCASP auf Handelsschiffen in einer rechtlichen Grauzone, einem juristischen Vakuum700 oder sogar einem rechtlich generell (noch) nicht erfassten Bereich701 angesiedelt ist, wird zwar nach wie vor vertreten. Tatsächlich aber lassen sich auf allen Ebenen des Hard Law und des Soft Law Regelungen identifizieren, die die rechtlichen Bedingungen des Einsatzes der Sicherheitsdienste zumindest in der einen oder anderen Weise mitbestim700 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (81), m.w. N. 701 Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (84).

148 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

men. Deshalb vertritt diese Arbeit die Auffassung, dass die anfänglichen Regelungslücken die Entstehung transnationaler Regelungsstrukturen ermöglicht haben, die nunmehr das Vakuum füllen. 2. Hard Law: Völkerrechtlicher und staatlicher Regelungsrahmen Vom Analyserahmen des transnationalen Rechts wird nationales Recht ebenso wie das Völkerrecht vollumfänglich miterfasst.702 Im Folgenden sollen verschiedene Aspekte des Völkerrechts sowie einige ausgewählte nationale Rechtsordnungen untersucht werden. a) Völkerrechtlicher Regelungsrahmen Wie eingangs bereits dargestellt, sind die bewaffneten Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen sowohl unter zeitlichen als auch räumlichen und personellen Gesichtspunkten eine durchweg internationale Angelegenheit und damit im Grundsatz eigentlich auch Gegenstand internationaler Regulierungsbestrebungen.703 Das Völkerrecht widmet sich dem Thema der bewaffneten Sicherheitsdienste jedoch nicht spezifisch704 und kann insofern als entweder zumindest unvollkommen705 oder gar inexistent706 begriffen werden. Wenngleich das Völkerrecht mit Blick auf die Sicherheitsdienste unmittelbar also keine eigenen Aussagen trifft, kann es dennoch unter verschiedenen Gesichtspunkten von Relevanz sein,707 die im Folgenden kurz erörtert werden sollen. Dies können insbesondere Aspekte des Seevölkerrechts sein. Daneben können aus der Perspektive des Völkerrechts zwar auch menschenrechtliche Fragen,708 Fragen des internationalen Arbeitsrechts709 oder Fragen der völkerrecht702

Vgl. o. B. III. 3. a). Vgl. o. II. 704 Salomon/tho Pesch, License to kill? – Staatshaftung und die Zertifizierung von maritimen Sicherheitsdiensten, ZRP 2012, S. 1 (1), m.w. N. 705 Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 16. 706 Ebenda, S. 13. 707 Vgl. auch König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 11. 708 An erster Stelle kommt hierbei das menschenrechtlich verbürgte Recht auf Leben in Betracht, sollten im Verlaufe eines Schusswechsels mutmaßliche Angreifer getötet werden, vgl. z. B. Art. 3 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; Art. 6 (1) IPbpR; Art. 2 (1) EMRK. Vgl. allg. zur menschenrechtlichen Dimension und einer etwaigen „obligation to investigate incidents“ Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 12 ff. Zur in diesen Konstellation bedeutsamen Frage der extraterritorialen Anwendung der Menschenrechte Geiß/Petrig, Piracy and Armed Robbery at Sea, 2011, S. 101 ff. 703

IV. Regelungsstrukturen

149

lichen Verantwortlichkeit710 eine Rolle spielen. Die nachfolgenden Untersuchungen sollen sich allerdings weitgehend auf die seevölkerrechtlichen Aspekte und damit die Bestimmungen der UN-Seerechtskonvention beschränken. Von vornherein keine Rolle für die Betrachtung der völkerrechtlichen Dimension spielen hingegen Völkergewohnheitsrecht oder humanitäres Völkerrecht: An einem nach Art. 38 I b) IGH-Statut erforderlichen Nachweis staatlicher Praxis und Rechtsüberzeugung dürfte es schon mit Blick auf die im Detail sehr technischen Aspekte der Regulierung von PCASP fehlen. Humanitäres Völkerrecht wiederum ist – auch entgegen anfänglich anderslautenden Einschätzungen („War on Piracy“) – nicht einschlägig: Schon die Anwendungsvoraussetzungen der Regeln des humanitären Völkerrechts sind mangels Vorliegen eines bewaffneten Konflikts grundsätzlich nicht gegeben.711 aa) Der Seevölkerrechtliche Rahmen: Flaggenstaats- und Küstenstaatsjurisdiktion Auch wenn das Völkerrecht keine spezifischen Regeln zum Thema bewaffneter Sicherheitsdienstleister kennt, sind dennoch einige Bestimmungen des UNSeerechtsübereinkommens (SRÜ) von großer praktischer Bedeutung für eine (weitere) rechtliche Regelung der Sicherheitsdienstleister: Dies sind die Bestimmungen über die Staatszugehörigkeit von Schiffen (Art. 91 und 92 SRÜ) und das damit statuierte Flaggenstaatsprinzip (Art. 94 SRÜ), die Bestimmungen über die friedliche bzw. unfriedliche Durchfahrt (Art. 17–32 SRÜ) durch das Küstenmeer und das Prinzip der Küstenstaatsjurisdiktion sowie die Vorschriften über die Seeräuberei (Art. 100 ff. SRÜ). In der Vergangenheit sind die seevölkerrechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes bewaffneter Sicherheitsdienstleister sowohl mit Blick auf das Flaggenstaatsprinzip als auch das Rechtsinstitut der friedlichen Durchfahrt allerdings be-

709 So wird zum Beispiel diskutiert, ob die bewaffneten Sicherheitsdienstleister dem Begriff der „Seeleute“ i. S. v. Art. II 1 Ziff. f) des Seearbeitsübereinkommens (Maritime Labour Convention, MLC) von 2006 unterfallen. Vgl. hierzu etwa „Treatment of PCASP under the Maritime Labour Convention“, Briefing der Kanzlei holman fenwick willan, online verfügbar unter: http://www.hfw.com/Treatment-of-PCASP-under-theMaritime-Labour-Convention-July-2014, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 710 Zu Fragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit vgl. König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 22; Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 12 ff. 711 Neumann/Salomon, Kein Krieg vor Somalia, HuV-I 2011, S. 165; Heinze, in: Struett/Carlson/Nance (Hrsg.), Maritime Piracy and the Construction of Global Governance, 2012, S. 47 (54 ff.); Guilfoyle, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 13 (46 f.).

150 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

reits umfassend diskutiert worden; die nachfolgende Darstellung soll sich daher lediglich auf einen knappen Überblick beschränken.712 (1) Flaggenstaatsprinzip Nach dem Prinzip der Freiheit der Seeschifffahrt ist es grundsätzlich jedem Staat erlaubt, Seeschifffahrt zu betreiben; die Freiheit der Seeschifffahrt genießt universelle Anerkennung und darüber hinaus auch völkergewohnheitsrechtliche Geltung.713 Die Ausübung der Seeschifffahrtsfreiheit unterliegt allerdings auch der Pflicht, dass sämtliche Schiffe eine Staatszugehörigkeit besitzen müssen. Dabei steht es den Staaten grundsätzlich frei, die Bedingungen festzulegen, zu denen sie Schiffen ihre Staatszugehörigkeit gewähren, Art. 91 SRÜ. Anhand der Staatszugehörigkeit eine Schiffes bestimmt sich, welcher Staat berechtigt – und verpflichtet – ist, Rechtsvorschriften gegenüber Schiffen, die unter seiner Flagge fahren, zu erlassen und durchzusetzen: Dies ist gem. Art. 92 und 94 SRÜ der Flaggenstaat.714 Damit trifft das Völkerrecht die für die vorliegende Untersuchung wichtige Anordnung, dass jedes Schiff zunächst einmal der Hoheitsgewalt seines Flaggenstaates (Flaggenstaatsjurisdiktion) untersteht; Rechtsvorschriften gegenüber seinen Schiffen und damit gegenüber den dort eingesetzten Sicherheitsdiensten erlässt dem internationalen Seerecht zufolge der Flaggenstaat. Durch diese seevölkerrechtliche Delegation werden die Rechtsordnungen der Flaggenstaaten zum entscheidenden Faktor715 für die Regulierung der bewaffneten Sicherheitsdienste. Dies ergibt sich daraus, dass das internationale Seerecht weder ein grundsätzliches Verbot formuliert noch eine grundsätzliche Erlaubnis für den Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienstleister ausspricht. Weil das SRÜ keine spezifische

712 Zu den seevölkerrechtlichen Implikationen des Einsatzes von PCASP König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 11 ff.; Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (679 ff.); Schechinger, The Use of Privately Contracted Armed Security Personnel against Piracy, Amsterdam Law School Legal Studies Research Paper 58 (2014), S. 5 ff. 713 Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, S. 287 (299). Die Freiheit der Seeschifffahrt ist letztlich als Ausfluss des Prinzips der Freiheit der Hohen See (Art. 87 ff. SRÜ) zu begreifen, wonach die Hohe See frei von territorialen Souveränitätsansprüchen der Staatengemeinschaft gedacht ist (Art. 89 SRÜ). Die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im somit herrschaftsfreien Raum der Hohen See soll über die Anknüpfung an nationalstaatliche Jurisdiktion über das Flaggenstaatsprinzip erreicht werden. 714 Ebenda, S. 305. 715 König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 11.

IV. Regelungsstrukturen

151

Regelung dazu enthält, wird das Ob und das Wie ihres Einsatzes anhand des Flaggenstaatsprinzips und der daraus erwachsenden Jurisdiktionsgewalt der Flaggenstaaten in deren primäre Regelungsverantwortlichkeit gestellt.716 (2) Friedliche Durchfahrt Sobald ein Handelsschiff mit PCASP an Bord durch ein fremdes Küstenmeer fährt, ist außerdem das Rechtsinstitut der friedlichen Durchfahrt, das in den Art. 17–32 SRÜ geregelt ist, von Bedeutung. Gem. Art. 17 SRÜ genießen die Handelsschiffe aller Staaten das Recht, fremdes Küstenmeer zu durchfahren – vorbehaltlich dessen, dass diese Durchfahrt friedlich ist.717 Mit Blick auf die Sicherheitsdienste stellt sich die Frage, ob die Durchfahrt durch fremdes Küstenmeer auch dann noch als friedlich zu beurteilen ist, wenn sich deren Personal und Waffen an Bord befinden.718 Soweit sich der Einsatz von PCASP in fremdem Küstenmeer nicht mehr als friedlich i. S. d. SRÜ beurteilen ließe, stünde das Seevölkerrecht deren Einsatz zumindest in fremdem Küstenmeer entgegen. Hierbei ist danach zu differenzieren, ob sich, wie etwa in den Einsatzszenarien vor Ostafrika, das Personal sowie dessen Waffen lediglich (noch) an Bord befinden bzw. ein- oder aussteigen oder aber, ob, wie im Fall der westafrikanischen Küste, die Sicherheitsdienste „mit vorgehaltener Waffe“ die Durchfahrt explizit durch fremdes Küstenmeer sichern sollen.719 Über die Bedeutung der friedlichen Durchfahrt äußert sich Art. 19 I SRÜ: Friedlich ist sie demzufolge, „solange sie nicht den Frieden, die Ordnung oder die Sicherheit des Küstenstaats beeinträchtigt.“ Dies wird in Art. 19 II SRÜ weiter konkretisiert, der festlegt, unter welchen Umständen eine Durchfahrt als Beeinträchtigung des Friedens gilt. Gem. Art. 19 II b) SRÜ gelten etwa „Manöver mit Waffen jeder Art“ oder gem. Art. 19 II l) Tätigkeiten, „die nicht unmittelbar mit der Durchfahrt zusammenhäng[en]“, als nicht friedliche Aktivitäten. Mit Blick auf Art. 19 II b) SRÜ muss zunächst festgehalten werden, dass das bloße Sich-an-Bord-Befinden der Sicherheitsdienste grundsätzlich keinen Manövercharakter aufweist und dass eine Aktivität auch erst dann als Manöver angesehen werden kann, wenn der konkrete Zweck der Fahrt gerade in der Übung von

716

Hierzu anschließend u. b). Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, S. 63 (122). 718 Vgl. zu dieser Frage umfassend Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (679 ff.) sowie Kraska, Regulation of Private Maritime Security Companies in International Law, in: Nordquist/Moore/Beckman/Long (Hrsg.), Freedom of Navigation and Globalization, 2014, S. 120 (127 ff.). 719 Überdies haben die Regierungen verschiedener westafrikanischer Staaten den Einsatz von bewaffneten Sicherheitsdiensten in ihren Küstengewässern vollständig untersagt, vgl. u. b) bb). 717

152 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Kampfhandlungen besteht,720 was bei einem Einsatz auf Handelsschiffen regelmäßig nicht der Fall ist. Dennoch kann nicht jedwede mit bewaffnetem Personal gesicherte Durchfahrt per se als friedlich i. S. v. Art. 19 SRÜ begriffen werden. Gerade die interpretatorisch etwas offenere Vorschrift des Abs. II l) lässt Zweifel zu, ob der Einsatz der Sicherheitsdienste völlig vorbehaltlos als friedlich beurteilt werden kann: Schon eingedenk einer oftmals unklaren konkreten Gefährdungslage, kann schwerlich pauschal geklärt werden, welche Art von Einsatz noch als „unmittelbar mit der Durchfahrt zusammenhängend“ beurteilt werden kann und welche hingegen nicht. Nicht zuletzt der Umstand, dass der Einsatz der Sicherheitsdienste auf unterschiedlichste Weise konzipiert werden kann und unterschiedlichsten küstenstaatlichen Erfordernissen Rechnung tragen kann, rechtfertigt insofern die von Doris König und Tim Salomon vorgeschlagene einzelfallspezifische Betrachtung.721 Zwar sollen die im Grundsatz passiven Schutzmaßnahmen die reibungslose Durchfahrt als solche gerade erst ermöglichen,722 was eine ganze Reihe von Autoren letztlich zu der Einschätzung geführt hat, das Rechtsinstitut der friedlichen Durchfahrt stünde dem Einsatz von PCASP nicht entgegen.723 Ob jedoch jede Art von Einsätzen der Sicherheitsdienste als friedlich i. S. d. SRÜ begriffen werden kann, ist indes zu bezweifeln: So kann es beispielsweise in Einzelfällen angemessen (und dann auch erst „friedlich“) sein, dass das Personal der Sicherheitsdienste die Bewaffnung und Munition vor dem Einlaufen in fremde Küstengewässer wegschließen und versiegeln muss, während ein Einsatz mit „gezückter Waffe“ oder in diesem Zusammenhang die Inkaufnahme unnötiger Risiken bereits nicht mehr friedlich i. S. d. SRÜ wäre. Mit der hier vertretenen Auffassung kann der Einsatz der bewaffneten Sicherheitsdienste folglich mit der friedlichen Durchfahrt in Einklang stehen, dies jedoch nicht ausnahmslos. Unter welchen Voraussetzungen die Durchfahrt als nicht mehr friedlich zu qualifizieren wäre, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles.724 720 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (681). 721 König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 7 (2011), S. 19. 722 So schon König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 12. 723 In diesem Sinne Kraska, Regulation of Private Maritime Security Companies in International Law, in: Nordquist/Moore/Beckman/Long (Hrsg.), Freedom of Navigation and Globalization, 2014, S. 120 (129); Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (683). 724 Ebenso König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 7 (2011), S. 19.

IV. Regelungsstrukturen

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(3) Die Reichweite der Küstenstaatsjurisdiktion nach dem Seerechtsübereinkommen Neben den allgemeinen seevölkerrechtlichen Vorschriften zur friedlichen Durchfahrt ist auch Art. 21 SRÜ von Bedeutung. Durch diese Vorschrift wird der Rahmen abgesteckt, in welchem die Küstenstaaten eigene Gesetze oder sonstige Vorschriften über die friedliche Durchfahrt erlassen können. Der Frage, ob neben den völkerrechtlichen Bestimmungen über den friedlichen Charakter der Durchfahrt etwaige weiterreichende nationalstaatliche Regelungen dem Einsatz von PCASP in Küstengewässern entgegenstehen, ist damit noch die Frage vorgeschaltet, welchen Regelungsspielraum das Völkerrecht für die Küstenstaaten insoweit überhaupt vorsieht. Die Vorschrift des Art. 21 SRÜ ist zweigliedrig, Art. 21 I SRÜ stellt zunächst einen Positivkatalog von Bereichen auf, für die ein Küstenstaat Regelungen treffen darf, Absatz II legt die diesbezüglichen Grenzen fest. Mit Blick auf den Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienstleister kommt zunächst Art. 21 I a) SRÜ in Betracht, demzufolge die Küstenstaaten Regeln für den Bereich der „Sicherheit der Schifffahrt“ erlassen dürfen. Dass diese Vorschrift i. E. allerdings bereits unter systematischen Gesichtspunkten nicht einschlägig ist, verdeutlicht ein Blick auf die englische Fassung des SRÜ, die insoweit von „safety of navigation“ spricht. Damit wird deutlich, dass die küstenstaatliche Regelungsbefugnis sich gerade nicht auf jedwede sicherheitsbezogenen Aspekte erstreckt, sondern lediglich seeverkehrsbezogene (nautische) Aspekte von der Vorschrift erfasst sein sollen.725 Daneben könnte sich eine küstenstaatliche Regelungsbefugnis auch aus Art. 21 I h) SRÜ ergeben, der bestimmt, dass die Küstenstaaten Regelungen zur Verhütung von Verstößen gegen die Zollgesetze treffen können. Diese Vorschrift könnte zwar einschlägig sein – die nationalen Zollvorschriften können durchaus auch Bestimmungen über die Ein- und Ausfuhr von Waffen enthalten –, eine entsprechende Auslegung der Vorschrift könnte allerdings auch in Widerspruch zu Art. 21 II SRÜ treten. Dieser bestimmt nämlich, dass die Küstenstaaten grundsätzlich keine Vorschriften erlassen dürfen, die „den Entwurf, den Bau, die Bemannung oder die Ausrüstung“ eines Schiffes betreffen. Eine küstenstaatliche Regelung, die die Sicherheitsdienste zum Gegenstand hat, könnte demzufolge gegen das Verbot verstoßen, Vorschriften zu erlassen, die die Ausrüstung oder Bemannung eines Schiffes betreffen. Somit hinge eine küstenstaatliche Regulierung der Sicherheitsdienste, die sich auf zollrechtliche Erwägungen i. S. v. Art. 21 I l) SRÜ stützt, davon ab, ob deren Bewaffnung als Ausrüstung i. S. v. Art. 21 II zu begreifen ist oder nicht.726 725 M. w. N. König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 13 f. 726 Tatsächlich scheinen beide Auslegungen möglich, sodass im Zusammenhang mit der Einfuhr von Waffen zum Zweck der Selbstverteidigung insbesondere die einschlä-

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Der Sinn des Art. 21 II SRÜ besteht darin zu verhindern, dass durch eine unüberschaubare Vielfalt unterschiedlicher küstenstaatlicher Regelungen die Freiheit der Seeschifffahrt unverhältnismäßig eingeschränkt würde, indem die während der Fahrt nicht oder nur schwer änderbaren Faktoren (Entwurf, Bau, Bemannung, Ausrüstung von Schiffen) von der Küstenstaatsjurisdiktion ausgenommen werden.727 Allerdings bestimmt Art. 21 II SRÜ in seinem zweiten Halbsatz, dass solche Regeln dann erlassen werden dürfen, wenn sie „allgemein anerkannten internationalen Regeln oder Normen Wirksamkeit verleihen.“ Art. 21 II HS 2 SRÜ postuliert also gleichsam die Rückausnahme zu den aufgestellten Grenzen. Eine küstenstaatliche Regelungsbefugnis hinsichtlich des Einsatzes bewaffneter Sicherheitsdienste könnte dementsprechend aus zweierlei Gründen gegeben sein: Zum einen, wenn ihr als zollrechtlicher Vorschrift i. S. v. Art. 21 I l) SRÜ nicht Art. 21 II SRÜ entgegenstünde, oder zum anderen, wenn es bereits „allgemein anerkannte internationale Regeln oder Standards“ (general accepted international rules and standards, „GAIRS“) bezüglich der Sicherheitsdienste gäbe, denen die Küstenstaaten zu Geltung verhelfen.728 Die Frage, wann ein internationaler Standard oder eine allgemein anerkannte Regel i. S. v. Art. 21 II SRÜ vorliegt, ist umstritten und seit Längerem Gegenstand einer kontrovers geführten Diskussion.729 Diese bewegt sich – grob gesagt – zwischen den beiden Polen, GAIRS lägen erst dann vor, wenn es sich um rechtsverbindliche Instrumente wie eine Konvention der IMO oder nachgewiesenes Völkergewohnheitsrecht handelt, auf der einen Seite und auf der anderen Seite einer offeneren, weiten Auffassung, der zufolge als GAIRS auch schon andere, nicht verbindlich beschlossene Regeln aufgefasst werden.730 Tatsächlich sprechen einige Argumente gegen die erstgenannte, engere Auslegung: Zum einen hätte der Konventionstext, wenn er lediglich Völkergewohnheitsrecht oder andere rechtsverbindliche Instrumente gemeint hätte, diese ohne weiteres auch ausdrücklich benennen können. Zum anderen gibt es neben der Vorschrift des gige Staatenpraxis bedeutsam ist. Hierzu Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (685). 727 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (684). 728 Marten, Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping, 2014, S. 57. 729 Vgl. im Überblick Aston, Sekundärgesetzgebung internationaler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005, S. 160 ff.; Johnson, Coastal State Regulation of International Shipping, 2004, S. 73 ff.; Wolfrum, IMO Interface with the Law of the Sea Convention, in: Nordquist/Moore, Current maritime issues and the international maritime organization, S. 223 (228 ff.). 730 Hierzu und mit zahlreichen Nachweisen Johnson, Coastal State Regulation of International Shipping, 2004, S. 73 ff.

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Art. 21 II SRÜ auch noch weitere Vorschriften im SRÜ, die eine fortlaufende und dynamische Anpassung an technische Entwicklungen bezwecken sollen und in diesem Zusammenhang beispielsweise auf die „Regeln und Normen“ der zuständigen internationalen Organisation (gemeint ist die IMO) verweisen.731 Somit greift eine Auslegung, die von der Rückausnahme des Art. 21 II SRÜ lediglich rechtsverbindliche Konventionen oder Völkergewohnheitsrecht erfasst sieht, letztlich zu kurz. Auch wenn damit das Problem verbleibt, im Einzelfall die „allgemeine Akzeptanz“ einer Regel nachweisen zu müssen, soll den GAIRS im Folgenden ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt werden. Und soweit Empfehlungen der IMO vorliegen, ließe sich auch der pragmatische Ansatz der IMO heranziehen: Die IMO versteht von ihr veröffentlichte Empfehlungen, Guidelines oder Beschlüsse immer auch als „allgemein akzeptierte“ Regelsätze i. S. v. Art. 21 II SRÜ.732 Entsprechende Empfehlungen der IMO, die die Sicherheitsdienste betreffen, liegen vor.733 Damit bleibt allerdings fraglich, ob eine küstenstaatliche Regelung, welche „allgemein anerkannte Regeln“ umsetzte und die bewaffneten Sicherheitsdienste zum Gegenstand hätte, sich überhaupt auf einen der in Art. 21 II SRÜ genannten Aspekte erstrecken würde. In Betracht kommen die Bereiche der Besatzung und der Ausrüstung, worunter sich das (wenn auch nur zeitweilig an Bord befindliche) Sicherheitspersonal, insbesondere jedoch dessen Waffen und sonstige Ausrüstung, subsumieren ließen. Bei einer entsprechenden Auslegung wäre eine küstenstaatliche Regelung also auf das Vorhandensein einschlägiger IMO-Empfehlungen angewiesen. Anders stellte sich die Situation dar, wenn man im Zuge einer systematischen Auslegung zu dem Ergebnis gelangte, dass Art. 21 II SRÜ von vornherein nicht greift: Art. 21 II SRÜ soll die Freiheit der Seeschifffahrt grundsätzlich aufrechterhalten, indem nicht abänderbare Faktoren von der Küstenstaatsjurisdiktion ausgenommen werden. Nun liegt es aber gerade in der Natur der Einsätze der Sicherheitsdienstleister, dass sich Personal und Ausrüstung lediglich zeitweilig an Bord befinden. Wenngleich dies zwar aufwändig ist, so wäre eine Änderung dieser Umstände zumindest technisch möglich; eine diesbezügliche Küstenstaatsjurisdiktion wäre somit auch keine Beeinträchtigung der Freiheit der Seeschifffahrt, wie sie durch Art. 21 II SRÜ vermieden werden soll.734 Bei einer entsprechenden Auslegung bedürfte es für eine küstenstaatliche Regelungsbefugnis folglich nicht einmal einer Empfehlung der IMO. 731

So z. B. Art. 211 V SRÜ. So ausdrücklich das Legal Committee der IMO, IMO LEG/MISC/2 (1997), S. 5. 733 Vgl. u. IV. 3. c). 734 Dieser Gedanke lässt sich auch für die Frage, ob sich die küstenstaatliche Regelungsbefugnis nach Art. 21 I h) SRÜ auf die von den Sicherheitsdienstleistern benötigten Waffen erstrecken kann, fruchtbar machen: Eine Auslegung, die dies bejaht, stünde, wie gezeigt, nicht im systematischen Widerspruch zu Absatz 2. 732

156 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Damit ergibt sich, dass eine grundsätzliche küstenstaatliche Regelungsbefugnis hinsichtlich der Sicherheitsdienstleister ohnehin nach beiden Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommt, womit sich eine weitere Diskussion erübrigt. Einerseits könnte die Regelungsbefugnis bestehen, wenn Guidelines oder Beschlüssen der IMO Geltung verschafft werden soll. Andererseits könnte Art. 21 II SRÜ von vornherein nicht einschlägig sein, womit Vorschriften, die sich auf Art. 21 I h) SRÜ stützen, ebenfalls nicht ausgeschlossen wären. bb) Einsatzbezogene Grenzen Neben den Rahmenbestimmungen des SRÜ, die die Regelungszuständigkeit im Wesentlichen an die Staaten delegieren, gibt es auf der Völkerrechtsebene auch Vorschriften, die für etwaige Einsatzabläufe der Sicherheitsdienste von Bedeutung sind. (1) Defensive Grundausrichtung der Sicherheitsdienste Mit den Art. 100–107 trifft das Seerechtsübereinkommen eine Reihe von Bestimmungen über die Seeräuberei und deren Bekämpfung; beim Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste gegen Piraten sind dabei insbesondere die Vorschriften der Art. 105 und 107 von Bedeutung. Im Ergebnis stehen diese einer offensiv geprägten Ausrichtung der Einsätze der Sicherheitsdienstleister entgegen: Gem. Art. 105 SRÜ kann „[j]eder Staat [. . .] auf hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, ein Seeräuberschiff [. . .] aufbringen.“ Im Weiteren bestimmt Art. 107 SRÜ, dass „[e]in Aufbringen wegen Seeräuberei [. . .] nur von Kriegsschiffen oder Militärluftfahrzeugen oder von anderen Schiffen oder Luftfahrzeugen vorgenommen werden [darf], die deutlich als im Staatsdienst stehend gekennzeichnet und als solche erkennbar sind und die hierzu befugt sind.“ Eine aktive Bekämpfung der Piraterie kann damit in seevölkerrechtlich zulässigerweise Weise nur von hoheitlichen Akteuren, nicht jedoch von privaten Anbietern betrieben werden. Für die Sicherheitsdienstleister bedeutet dies, dass sich deren Einsatz auf die Wahrnehmung und Ausübung von passiven Selbstverteidigungsrechten beschränken muss.735 Auch wenn das Völkerrecht selbst (zumindest direkt) keine individuellen Notwehr- oder Selbstverteidigungsrechte formuliert, so ist deren Wahrnehmung aus der Sicht des Völkerrechts dennoch unproblematisch, da sie zumindest als allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. v. Art. 38 I c) des IGH-Statuts Berücksichtigung finden müssen: Bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen han-

735 Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (86).

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delt es sich um Rechtsprinzipien, „die allen oder doch den meisten nationalen Rechtsordnungen gemeinsam sind“ 736, also um zunächst völkerrechtsfremde Normen, deren verallgemeinerbarer Kern auf einen völkerrechtlichen Anwendungsfall übertragbar ist. Bei dem Institut der Notwehr handelt es sich um ein „almost universally recognized principle of criminal law“ 737, womit es auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. v. Art. 38 I c) des IGH-Statuts qualifiziert werden kann. Dessen Ausübung (und im Wege der Nothilfe ggf. auch dessen Wahrnehmung durch Dritte), ist mithin völkerrechtlich zulässig. Eindeutig nicht zulässig wäre hingegen ein aktives Verfolgen von Piraten durch Private, da dies den Art. 105 ff. SRÜ zufolge ausdrücklich hoheitlichen Kräften vorbehalten ist.738 Für die Sicherheitsdienstleister bedeutet dies, dass sich ihr Einsatz auf die Wahrnehmung der Selbstverteidigungs- bzw. Notwehrrechte der angegriffenen Schiffsbesatzungen beschränken und einer insgesamt passiven oder defensiven Grundausrichtung unterliegen muss.739 (2) Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns Neben den eher allgemeinen Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens ist im Zusammenhang mit den Sicherheitsdienstleistern eine weitere völkerrechtliche Vorschrift von konkreter Bedeutung: Regulation 34.1 der International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS) bestimmt, dass die Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns unter keinen Umständen beeinträchtigt werden darf. Hiermit wird völkerrechtlich verbindlich eine nicht unwesentliche Grenze etwa 736

Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2014, S. 489. Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (688); ebenso und m.w. N. Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 170. 738 Ebenso Spearin, Private Military and Security Companies v. International Naval Endeavours v. Somali Pirates, Journal of International Criminal Justice 10 (2012), S. 823 (827). Dieser Hinweis ist insofern angebracht, als dass vereinzelt auch die Idee diskutiert worden ist, privaten Sicherheitsdienstleistern „Kaperbriefe“ auszustellen und dass einzelne Sicherheitsdienstleister in Erwägung gezogen hatten, mit eigenen Patrouillenbooten Jag auf die Piraten zu machen. Hierzu Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (325 f.). 739 Die Distinktion von defensiv und offensiv ist auch unter weiteren Gesichtspunkten relevant: So widersprechen die mit dem Ende der 1990ger Jahre aufgekommenen großen Sicherheitsfirmen, die auch offensive (militärische) Aufgaben übernehmen, nach verbreiteter Auffassung einem völkerrechtlichen Verbot des Söldnertums, vgl. etwa die International Convention against the Recruitment, Use, Financing and Training of Mercenaries, UN GA ReS. 44/34 1989. Der im Zusammenhang mit dem Söldnertum viel diskutierte Interessenkonflikt, dass eine private Militärfirma immer auch ein gesteigertes Interesse an fortdauernden und sich ausweitenden Konflikten hat, besteht zwar grundsätzlich auch, wenn diese nur Dienstleistungen zur Selbstverteidigung erbringt. Letztlich aber offenbart sich das Problem eines „finanziellen Interesses am Töten“ bei den maritimen Sicherheitsdiensten zumindest in abgeschwächter Form. 737

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für die möglichen Einsatzabläufe vorgegeben, die im Einzelfall in der Praxis auch nicht unproblematisch sein dürfte. Die Einsatzrichtlinien der Sicherheitsdienste müssen somit dem Umstand Rechnung tragen, dass der Kapitän auch im „Verteidigungsfall“ grundsätzlich die letzte Entscheidungsgewalt an Bord behalten muss. Dies kann in der Praxis etwa dann problematisch sein, wenn auf Seiten der Sicherheitsdienstleister die größere militärische Expertise und Einsatzerfahrung besteht, der Kapitän seinerseits aber die entsprechend erforderlichen Manöver fahren muss.740 Eine – und sei es bloß zeitweilige – Befehlshoheit der Sicherheitsdienste an Bord verbietet sich vor dem Hintergrund von SOLAS jedenfalls. cc) Zwischenergebnis zum völkerrechtlichen Regelungsrahmen Die Aussagen, die das Völkerrecht über den Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienstleister trifft, sind trotz durchaus vorhandener Anknüpfungspunkte letztlich wenig konkret. Festzuhalten ist, dass das Völkerrecht grundsätzlich kein Verbot des Einsatzes von Sicherheitsdienstleistern kennt und dessen weitere Regulierung zu weiten Teilen in die Verantwortung der Staaten stellt. Damit sind in erster Linie die Flaggenstaaten adressiert, im Bereich allgemein anerkannter internationaler Regeln oder Normen können daneben auch die Küstenstaaten tätig werden. Abhängig vom Einzelfall kann der Einsatz der Sicherheitsdienste in Konflikt mit dem Rechtsinstitut der friedlichen Durchfahrt geraten, nicht jedoch steht das Erfordernis der „Friedlichkeit“ der Durchfahrt dem Einsatz der Sicherheitsdienste per se entgegen. Ob und inwieweit der völkerrechtliche Rechtsrahmen, der staatliche Rechtsrahmen und die Strukturen des Soft Law verschränkt sind, wird im Anschluss an die diesbezüglichen Ausführungen untersucht.741 b) Staatlicher Regelungsrahmen Staatliche Regelungsmaßnahmen können jeweils im Rahmen der Flaggen-, Küsten- oder Hafenstaatsjurisdiktion erfolgen. Spätestens aus Sicht der Praxis bringt dieser Umstand allerdings erhebliche Probleme mit sich: Einerseits nämlich führt die relative Freiheit der Staaten die Sicherheitsdienste zu regulieren dazu, dass die jeweiligen rechtlichen Bestimmungen zum Teil erheblich variieren. Andererseits können unkoordinierte Regulierungsmaßnahmen in einem durchweg internationalisierten Wirtschaftszweig dazu führen, dass hierdurch rechtlich wie praktisch kaum überwindbare Hindernisse entstehen. Immer wieder können also waffen- oder einsatzrechtliche, aber auch zoll- oder strafrechtliche Bestimmungen in Widerspruch zueinander treten, wenn ein Schiff 740 Hinweis von König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 34 f. 741 Hierzu u. IV. 4.

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fremde Küstengewässer durchfährt, was für die Sicherheitsindustrie, aber auch für die Seite der Auftraggeber, die Reeder, bedeutet, dass durchweg die Rechtsentwicklung einer Vielzahl von Staaten berücksichtigt werden muss.742 Tatsächlich sind von Staat zu Staat divergierende waffenrechtliche Vorschriften bei der Beschäftigung der bewaffneten Sicherheitsdienste eine der größten Hürden überhaupt.743 Die jeweilige Ausgestaltung der Regulierung der Sicherheitsdienstleister durch die Flaggenstaaten ist von so großer Bedeutung, dass sie mittlerweile sogar Einfluss darauf hat, welches Register ein Reeder für seine Schiffe wählt.744 Im Folgenden sollen überblicksweise die rechtlichen Rahmenbedingungen sowohl der Flaggen- als auch der Küsten- bzw. Hafenstaaten dargestellt werden. aa) Flaggenstaatsjurisdiktion Das Völkerrecht bestimmt lediglich, dass es den Flaggenstaaten überlassen bleibt, Vorschriften über den Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienstleister auf ihren Schiffen zu erlassen. Damit wird das nationale Recht der Flaggenstaaten auch zu einem ersten Dreh- und Angelpunkt und soll im Folgenden einer kurzen Betrachtung unterzogen werden: Hier erst, auf der nationalen Ebene, wird jeder Staat das Ob des Einsatzes privater Sicherheitsdienste entscheiden. Für ein möglichst aussagekräftiges Bild von der Handhabung der Regulierung von PCASP durch die Flaggenstaaten soll hier die Rechtslage möglichst verschiedener bzw. großer Flaggenstaaten untersucht werden. Aus diesem Grund soll im Folgenden überblicksweise die Rechtslage zunächst in den drei größten Flaggenstaaten745 und vergleichend dazu in drei kleineren „westlichen“ Flaggenstaaten – den USA, Norwegen und der Bundesrepublik – geschildert werden.746

742 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (79). 743 Dutton, Gunslingers on the High Seas, Duke Journal of Comparative and International Law 24 (2013), S. 107 (124). 744 Spearin, Private Military and Security Companies v. International Naval Endeavours v. Somali Pirates, Journal of International Criminal Justice 10 (2012), S. 823 (837). 745 Gemessen an der Tragfähigkeit der gesamten Handelsflotte sind dies im August 2015 Panama, Liberia und die Marshall-Inseln, http://statista.org/statistik/daten/studie/ 28596/umfrage/tragfaehigkeit-der-handelsflotten-von-den-fuehrenden-flaggenstaaten/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 746 Neben den hier aufgeführten Beispielen gibt es Untersuchungen auch zu weiteren Flaggenstaaten. Vgl. Liss/Schneider/et al., Regulating Private Maritime Security Providers, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 81–166; Florquin, Escalation at Sea: Somali Piracy and Private Security Companies, in: Small Arms Survey Jahrbuch 2012, S. 190 ff.; Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 ff.

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(1) Untersuchungsumfang Eine umfassende funktionale Rechtsvergleichung der unterschiedlichen Rechtsbedingungen kann und soll auch für den relativ kleinen Kreis der hier gewählten Rechtsordnungen nicht geleistet werden. So können insbesondere auch keine umfassende Betrachtung der jeweiligen nationalen strafrechtlichen Notwehrdogmatik und keine detaillierte Darstellung des jeweiligen Waffenrechts erfolgen. Die Untersuchungen sollen vielmehr diejenigen Rechtsakte berücksichtigen, die explizit auf den Einsatz der Sicherheitsdienstleister Bezug nehmen, womit in erster Linie die völkerrechtlich delegierte Frage nach dem Ob des Einsatzes der Sicherheitsdienstleister analysiert werden soll. (2) Panama In Panama ist die weltweit größte Handelsflotte registriert. Die panamaische Regierung bzw. die zuständige Generaldirektion der Handelsmarine (DGMM) hat sich explizit mit der Regulierung maritimer Sicherheitsdienstleister in ihrer Resolution No. 106-13-DGMM vom 08.03.2012 befasst.747 Der Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste wird ausdrücklich gestattet,748 der generellen Zulässigkeit stehen jedoch praktisch keine Zulassungsvoraussetzungen oder detailliertere Anforderungen etwa an die Größe und Zusammensetzung der Teams, deren Bewaffnung oder erforderliche Sachkundenachweise gegenüber. Diesbezüglich äußert sich die Resolution No. 106-13-DGMM nur spärlich: Zwar bedarf es einer formalen Zulassung durch das Technical Evaluation Committee der DGMM, um diese zu erhalten, genügen aber ein formeller Zulassungsantrag, der Nachweis einer Rechtsvertretung in Panama, die Vorlage der Kopie einer Haftpflichtversicherung, eine Auflistung des beschäftigten Personals und dessen Qualifikationen sowie der Nachweis, dass das Unternehmen über die – nicht näher definierten – erforderlichen technischen und administrativen Ressourcen verfügt.749 Für sich genommen müssten die durch die Resolution No. 106-13-DGMM aufgestellten Regeln eindeutig als lückenhaft und unzulänglich beurteilt werden. Allerdings wird im achten Beschluss der Resolution die Pflicht formuliert, dass die Sicherheitsdienstleister im Einklang mit den von der IMO aufgestellten Leitlinien operieren müssen: „The private security company approved by the General Directorate of Merchant Marine has the obligation to coordinate with the owner, operator and/or captain of the vessel, the responsibilities and actions to be taken on board the vessel [. . .] in accordance with what it [sic!] is established by the 747 Resolution No. 106-13-DGMM, in englischer Übersetzung online verfügbar unter: http://psm.du.edu/media/documents/national_regulations/countries/americas/pana ma/panama_maritime_resolution-106-13-dgmm.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 748 Resolution No. 106-13-DGMM, dritter Beschluss. 749 Resolution No. 106-13-DGMM, vierter Beschluss.

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International Maritime Organization in MSC.1/Circ.1405/Rev.1 and MSC.1/ Circ.1406/Rev.1.“ Hinsichtlich der Durchsetzung oder der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der IMO-Leitlinien ist jedoch weder der Resolution No. 106-13-DGMM noch den sonstigen im Zusammenhang mit maritimen Sicherheitsdiensten publizierten Rundschreiben der Generaldirektion der Handelsmarine etwas zu entnehmen. Damit wird vonseiten des panamaischen Gesetzgebers also nicht mehr geregelt, als das Ob des Einsatzes maritimer Sicherheitsdienste grundsätzlich positiv zu bescheiden und hinsichtlich des Wie auf die völkerrechtlich nicht rechtsverbindlichen Leitlinien der IMO zu verweisen.750 (3) Liberia Das weltweit zweitgrößte Schiffsregister führt Liberia; soweit ersichtlich, ist der liberianische Gesetzgeber bis 2015 jedoch nicht ausdrücklich in der Angelegenheit maritimer Sicherheitsdienstleister tätig geworden. Die bezüglich der geltenden Rechtslage im Englischen verfügbaren Informationen beschränken sich auf ein vom in Virginia (USA) ansässigen liberianischen Bureau of Maritime Affairs herausgegebenes Informationsblatt751 und ein einschlägiges Empfehlungsschreiben752 aus dem Jahr 2011. Diese sind lediglich als „Klarstellungen“ publiziert worden und mit dem ausdrücklichen Hinweis versehen, dass die bestehende Rechtslage unberührt bleibt. Den Angaben des Bureau of Maritime of Affairs zufolge besteht weder ein Verbot des Einsatzes bewaffneter Sicherheitsdienste noch ein generelles Verbot der Mitnahme oder der Nutzung von Waffen an Bord liberianisch beflaggter Schiffe.753 Weitergehende rechtliche Anforderungen an die Sicherheitsdienste werden nicht erwähnt. Die Angaben beschränken sich auf grundsätzliche Empfehlungen an die Reeder, bei der Auswahl der Sicherheitsdienste – nach ihrem Ermessen – auf eine eigene Überprüfung der Kompetenzen und der Reputation des Anbieters zu achten. Neben allgemeinen Empfehlungen zur Due Diligence betreffen die der Sache nach deutlichsten Hinweise des Bureau of Maritime Affairs die zwingende Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns754 und das Erfor750

Hierzu eingehend u. IV. 3. c). Piracy: Guidance for Liberian Flagged Vessels Regarding 3rd Party Security Teams, online verfügbar unter: http://psm.du.edu/media/documents/national_regula tions/countries/africa/liberia/liberia_maritime_guidance_on_psc-use_against_piracy.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 752 Maritime Security Advisory 03/2011, online verfügbar unter: https://www.liscr. com/liscr/Portals/0/SecurityAdvisory_03-2011.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 753 Piracy: Guidance for Liberian Flagged Vessels Regarding 3rd Party Security Teams, Ziff. 3. 754 Piracy: Guidance for Liberian Flagged Vessels Regarding 3rd Party Security Teams, Ziff. 4, Lit. A. 751

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dernis einer schriftlichen Erklärung über die angewendeten Rules for the Use of Force der Sicherheitsdienstleister.755 Daneben wird die Einhaltung der einschlägigen IMO-Guidelines zumindest empfohlen. Die grundsätzliche Verantwortung für die Beschäftigung von zuverlässigen Anbietern scheint dabei der Vorstellung der liberianischen Behörden nach jedoch bei den Reedern zu liegen, die dies in ihren Empfehlungen mehr oder weniger ausdrücklich formulieren: „It is the shipowners responsibility to verify the security teams [sic!] ability to work and cooperate with the crew on board to assure the safety of the vessel. [. . .] The Liberian Registry does not endorse, approve, advocate or oppose any specific security provider [. . .].“ 756 Insgesamt stellt sich die liberianische Rechtslage damit – ganz unabhängig von der Frage der Durchsetzung der Empfehlungen – als noch weniger vollständig dar als die panamaische. Über eine grundsätzliche Erlaubnis der Sicherheitsdienste hinaus äußert sich das liberianische Recht nicht in spezifischer Weise; eine über allgemeine Empfehlungen hinausreichende Regulierung der Sicherheitsdienste existiert für Schiffe unter der Flagge Liberias nicht.757 (4) Marshall-Inseln Die weltweit drittgrößte Handelsflotte fährt unter der Flagge der Marshall-Inseln; Informationen zur dortigen Rechtslage in Bezug auf die maritimen Sicherheitsdienste lassen sich den an Reeder und Kapitäne gerichteten Marine Notices des Office of the Marine Administrator entnehmen.758 Die darin enthaltenen Empfehlungen sind zum einen weitreichender und detaillierter gefasst als in Liberia oder Panama; darüber hinaus beinhalten die Marine Notices im Gegensatz etwa zu den liberianischen Empfehlungen aber auch verbindliche Auflagen hinsichtlich der Beschäftigung der Sicherheitsdienste. Bereits die seit 2014 verbreitete einschlägige Marine Notice No. 2-011-39 Rev. 2/14 gestattete grundsätzlich den Einsatz maritimer Sicherheitsdienste: „Neither RMI [Republic of the Marshall Islands] legislation nor regulations prohibit the use of PMSC, the PCASP they provide, or VPDs. [. . .] Whether to use an armed security detail and how to facilitate that detail is a decision for the shipowner, 755

Maritime Security Advisory 03/2011, Ziff. 5. Piracy: Guidance for Liberian Flagged Vessels Regarding 3rd Party Security Teams, Ziff. 4 u. 5. 757 Diesbezüglich ist anzumerken, dass Liberia selbst mit der Registrierung der Schiffe wenig zu tun hat, da das Management des Registers weitgehend in US-amerikanischen Händen liegt. Vgl. hierzu bereits die Selbstauskünfte des liberianischen Registers, http://www.liscr.com/liscr/AbouttheLiberianRegistry/tabid/197/Default.aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 758 Marine Notice No. 201131 Rev.11/11 und No. 201139 Rev. 1/16, online verfügbar unter: http://www.register-iri.com/index.cfm?action=page&page=247&from Page=5, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 756

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manager or operator [. . .].“ 759 Bis zu diesem Zeitpunkt waren keine vonseiten der Marshall-Inseln erlassene Zulässigkeitsbeschränkungen ersichtlich, denen die Sicherheitsdienstleister selbst unterliegen würden. Mittlerweile formuliert allerdings die zuletzt im Frühjahr 2016 aktualisierte Marine Notice No. 201139 Rev.1/16 zumindest einige grundlegende Erfordernisse an die Zusammensetzung der Teams, deren Bewaffnung oder auch die Einsatzregularien.760 In Ermangelung eines formellen Zulassungssystems und insbesondere sonstiger Durchsetzungsmechanismen ist deren Einhaltung allerdings als Pflicht der Reeder oder Schiffseigner konstruiert und somit letztlich deren Verantwortung überlassen.761 Unbeschadet dessen stellen sich diese (vonseiten der Schiffsbetreiber bei der Auswahl der PMSCs zu beachtenden) Anforderungen vergleichsweise detailliert dar, auch wenn sie letztlich zahnlos erscheinen mögen. Wie schon die Regularien Panamas und Liberias verweisen auch die Marine Notices der Marshall-Inseln ausdrücklich auf externe Regelwerke und empfehlen deren Einhaltung: Dies sind zum einen die verschiedenen IMO-Guidelines762 oder, mit Blick auf Fälle, in denen Gewaltanwendung erforderlich wird, die 100 Series Rules for the Use of ForceTM 763 sowie seit Anfang 2016 der ISOStandard 28007.764 Bis zur jüngsten Aktualisierung in 2016 waren für Schiffe unter der Flagge der Marshall-Inseln allein die Übermittlung eines Datenblattes durch den Schiffsbetreiber an die Behörden, in dem dieser verschiedene Angaben zum Schiff, dessen Route, dem eingesetzten Dienstleister und dessen Waffenlizenzen machen muss, erforderlich.765 Als weltweit erster Flaggenstaat haben die Marshall-Inseln mit Jahresbeginn 2016 jedoch die verbindliche Umsetzung eines externen Standards beschlossen: Nunmehr gilt für Schiffe unter der Flagge der Marshall-Inseln, dass nur Sicherheitsdienste eingesetzt werden dürfen, die eine erfolgreiche Zertifizierung nach ISO/PAS 28007 durchlaufen haben.766 759 Marine Notice No. 201139 Rev. 2/14, Ziff. 6.1. Ganz ähnlich verlautbart die in 2016 aktualisierte Fassung aus Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 3.1.1: „[T]he administrator neither endorses nor prohibits the use of PCASP or VPD for the purpose of protection against piracy and armed robbery on the high seas [. . .]“. 760 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 7 ff. enthalten Angaben über die zulässige Bewaffnung, die mitzuführende Munition, die Mindestgröße der Teams (3 Personen) oder auch Reportingvorschriften der Schiffsbetreiber. 761 Ein insofern anschauliches Beispiel bietet etwa die Vorschrift Ziff. 8.1: „Companies shall verify that a PMSC has a clear policy and set of rules for the use of force [. . .].“ 762 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 6.3 bestimmt: „The guidelines provided in IMO MSC.1/Circ 1443, MSC.1/Circ.1405 [. . .] shall be closely followed.“ Zu den Rules for the Use of Force siehe Ziff. 8.1. 763 Zu den 100 Series Rules for the Use of ForceTM s. u. 3. a) dd). 764 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 10.1. Vgl. hierzu u. 3. b) aa). 765 Marine Notice No. 201139 Rev. 2/14, Ziff. 10. 766 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 10.1.

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(5) USA Der Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste zum Schutz vor Piratenattacken ist auch auf US-beflaggten Schiffen gestattet767 – ebenso wie in den zuvor untersuchten Flaggenstaaten gibt es jedoch auch in den USA kein unternehmensbezogenes Zulassungsregime explizit für maritime Sicherheitsdienste.768 Anders als in Panama, Liberia und den Marshall-Inseln beschränken sich die einschlägigen Maßnahmen der US-Administration jedoch nicht auf die weitgehend bloße Wiedergabe etwa der IMO-Empfehlungen. Die US-Behörden waren im Gegenteil vergleichsweise früh auf die Problematik der zunehmenden Zwischenfälle aufmerksam und dementsprechend aktiv geworden. So erließ die United States Coast Guard (USCG), die im Kontext der maritimen Sicherheitsdienste über eine entsprechende Regelungskompetenz verfügt,769 bereits im Februar 2006 die Maritime Security Directive (MARSEC) 104-6. In dieser sind verschiedene verbindliche Vorgaben für US-beflaggte Schiffe enthalten, die pirateriegefährdete Gewässer durchfahren. So wurde durch MARSEC 104-6 beispielsweise das Erstellen eines Vessel Security Plans (VSP) verbindlich vorgeschrieben.770 Mit Blick auf die maritimen Sicherheitsdienste insgesamt am augenfälligsten ist die Haltung der USA, deren Einsatz nicht nur („zähneknirschend“) zu gestatten, sondern, spätestens seit 2011, die Reeder sogar ausdrücklich darin zu bestärken.771 Diese Haltung, die auch im internationalen Vergleich einen Ausnahmefall darstellt, wird am ehesten verständlich vor dem Hintergrund, dass die USA bereits lange Jahre vor dem Ausbruch der somalischen Piraterie in großem Umfang 767 Die bundesgesetzliche Regelung 33 U.S.C.A. § 383 (2012) gestattet den Einsatz von Waffengewalt zur Selbstverteidigung gegen Piraten. Problematisch ist hierbei zwar, dass die Vorschrift (lediglich) Bezug nimmt auf den Kapitän und die Mannschaft („The commander and crew“), was zu einigen interpretatorischen Unklarheiten geführt hatte. Da sich die USCG aber bereits zwei Jahre zuvor explizit auch zum Einsatz der Sicherheitsdienste geäußert hatte, konnte der diesbezüglich geführte Streit letztlich dahinstehen. Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 (350 f.). 768 Dieser Umstand hat auch zu vereinzelter Kritik innerhalb der amerikanischen Fachöffentlichkeit geführt. Vgl. Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 ff. 769 Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 (331). 770 De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (154). 771 „[T]he U.S. government began allowing PCASP in 2009 and shifted to ,encourage‘ considering armed guards in 2011.“ De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (158).

IV. Regelungsstrukturen

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begonnen hatten, private Dienstleister in die nationale Sicherheitsstrategie zu integrieren, sodass deren Einsatz im maritimen Kontext als durchaus logische Folge betrachtet werden kann.772 Die USCG hat sich seit 2009 in mehreren sog. Port Security Advisories (PSA) zu den maritimen Sicherheitsdiensten geäußert. Die einschlägigen Advisories PSA 2-09 bis PSA 9-09 enthalten zwar u. a. Angaben zu den Anforderungen an das Personal der Sicherheitsdienste, zu Auslegungsfragen hinsichtlich der Selbstverteidigungsrechte sowie Dokumentations-, Trainings- oder Lizenzierungspflichten, können insgesamt allerdings nicht als sonderlich streng beurteilt werden. Die Angestellten der Sicherheitsdienste müssen beispielsweise über eine Transportation Worker Identification Credential (TWIC) oder eine vergleichbare Bescheinigung verfügen, eine solche wird allerdings schon seit dem Jahr 2002 für praktisch sämtliche Angestellten in US-Hafenanlagen verlangt.773 Auch mit Blick auf die in den PSAs geforderte (und z. T. spezifizierte) fachliche Eignung oder die Trainingspflichten des eingesetzten Personals offenbart das US-Regelungssystem Schwächen: Deren Einhaltung bzw. Überwachung ist – anders als es etwa durch einen umfassenden unternehmensbezogenen Regulierungsansatz möglich wäre – der Verantwortung der Reeder überlassen.774 Ein verbindlicher Zertifizierungs- oder Kontrollmechanismus ist für Sicherheitsdienste auf USSchiffen schlichtweg nicht vorgesehen.775 Positiv ins Gewicht fällt demgegenüber die Tatsache, dass die Anforderungen an die erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen für die Bewaffnung des Sicherheitspersonals sowohl detailliert als auch restriktiv ausgestaltet worden sind.776 Vor dem Hintergrund, dass die USA im Kontext der freiwilligen Selbstregulierung und Zertifizierung zumindest landbasierter privater Sicherheitsunternehmen eine vergleichsweise aktive Rolle einnehmen, erscheint es insgesamt jedoch verwunderlich, dass in den Advisories der USCG weder die bestehenden externen Standards,777 noch die Empfehlungen der IMO explizit in Bezug genommen werden.778 772 De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (153). 773 Ebenda, S. 155. 774 Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 (355). 775 Ebenda, S. 355. 776 De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (155 f.). 777 Vgl. u. 3. b). 778 Auch wenn sich die Rechtslage unter der US-amerikanischen Flagge somit als nicht sonderlich restriktiv darstellt, muss dies doch auch im Verhältnis zu deren äußerst

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(6) Norwegen Einen anderen Ansatz bei der Regulierung der maritimen Sicherheitsdienste hat demgegenüber Norwegen verfolgt. Seit 2011 ist durch Novellierungen im bestehenden Waffenrecht sowie im Bereich der Schiffssicherheitsvorschriften der Einsatz von PCASP ausdrücklich gestattet,779 anders als etwa in den großen flags of convenience existiert allerdings ein zumindest indirekter staatlicher Kontrollund Überwachungsmechanismus. Das norwegische Modell sieht, grob gesagt, eine kooperative Aufgabenteilung bei der Kontrolle und Überwachung der Sicherheitsdienste zwischen den Reedern und der Norwegian Maritime Authority (NMA) vor.780 Die für den Einsatz von PCASP wohl wichtigste Änderung wurde dabei zunächst im (als sehr restriktiv geltenden781) Waffenrecht vorgenommen: Danach ist es den Schiffseignern oder Reedern (und nicht etwa den Sicherheitsdiensten oder deren Personal) möglich, sechsmonatige Waffenlizenzen zu beantragen, um damit die Bewaffnung und Ausrüstung des von ihnen eingesetzten Sicherheitspersonals zu ermöglichen. Die Lizenzen gelten für den entsprechenden Zeitraum für sämtliche vom Reeder beauftragen Unternehmen bzw. deren Mitarbeiter.782 Dieser Ansatz, gerade die sensiblen Waffenlizenzen nicht an einzelne Sicherheitsunternehmen sondern die Reeder selbst zu erteilen, mutet auf den ersten Blick verwunderlich an und erklärt sich erst im Kontext der den Reedern hierbei auferlegten Kooperationspflichten. So sehen die novellierten Schiffssicherheitsvorschriften vor, dass die Reeder der NMA Informationen über die Zuverlässigkeit der von ihnen eingesetzten Sicherheitsdienste zukommen lassen, um der NMA den Aufbau einer Blacklist unzuverlässiger Unternehmen zu ermöglichen. geringer Größe gesehen werden. Insgesamt sind unter der US-Flagge 179 hochseetaugliche Schiffe registriert von denen wiederum zahlreiche ausschließlich im Küstenhandel innerhalb der USA eingesetzt sind. De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (154). 779 Berndtsson/Østensen, The Scandinavian Approach to Private Maritime Security, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 138 (143), Nachweise weggelassen. Ähnlich wie auch in der Bundesrepublik war der Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste vor den Gesetzesänderungen in Norwegen weder untersagt noch explizit geregelt. Auf Drängen der norwegischen Reederverbände kam es in der Folge einiger Zwischenfälle sowie aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit zu den neuen Regelungen. Vgl. ebenda, S. 143 f. 780 Zu der Einschätzung, dass es sich hierbei um einen vielversprechenden und vergleichsweise restriktiven Ansatz handelt, gelangen etwa SAMI im Rundschreiben 8/2011 (Dokument liegt dem Verfasser vor) sowie Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 (356 ff.). 781 Berndtsson/Østensen, The Scandinavian Approach to Private Maritime Security, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 138 (142). 782 Ebenda, S. 144.

IV. Regelungsstrukturen

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Den hier gelisteten Sicherheitsdiensten kann die NMA sodann die Fortsetzung ihrer Tätigkeiten untersagen.783 Augenfällig ist bei diesem Kontrollmechanismus jedoch, dass entscheidende Aspekte der Kontrolle und Überwachung der Sicherheitsdienste wiederum in die Hände der Reeder gelegt werden. Zwar haben diese sicherlich kein Interesse daran, unzuverlässige Unternehmen zu beschäftigen, indes scheint es doch fraglich, ob die Kontrolle der Sicherheitsdienste vorrangig in den Händen ihrer Auftraggeber liegen sollte, welche ihrerseits immer auch ein Interesse an möglichst kostengünstig operierenden Diensten haben dürften. Wenngleich über die „Blacklisting-praxis“ der NMA kaum Informationen öffentlich zugänglich sind, kann der norwegische Regulierungsansatz vor dem Hintergrund, dass keine direkt ausgeübte staatliche Kontrolle über die Sicherheitsdienste vorliegt, mithin zumindest nicht als außerordentlich streng beurteilt werden.784 (7) Deutschland Einen deutlichen Kontrast gegenüber den zurückhaltenden Regulierungsansätzen der großen Flaggenstaaten bzw. dem amerikanischen und dem norwegischen Modell stellt der vom deutschen Gesetzgeber gewählte Weg eines obligatorischen und umfangreichen staatlichen Zulassungsregimes für die maritimen Sicherheitsdienste dar. Die Ausführungen sollen sich hier auf einige Grundzüge beschränken, umfassende Darstellungen sind bereits an anderer Stelle erfolgt.785 Nach entsprechenden Änderungen im Gewerberecht786 und der Einführung des neuen § 31 Gewerbeordnung (GewO) besteht für Sicherheitsdienstleister auf deutsch beflaggten Schiffen nunmehr die Pflicht, sich dem Zulassungsverfahren durch das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu unterziehen; für Reeder gilt, dass diese auf ihren Schiffen unter deutscher Flagge nur Sicherheitsdienstleister einsetzen dürfen, die eine entsprechende Zulassung besitzen; Zuwiderhandlungen sind gem. § 15 I Nr. 2 Seeaufgabengesetz i.V. m. § 12 I See-Eigensicherungsverordnung als Ordnungswidrigkeiten eingestuft. 783 Ebenda, S. 146 f. Dass Mahard, Blackwater’s New Battlefield: Toward a Regulatory Regime in the United States for Privately Contracted Armed Contractors Operating at Sea, Vanderbilt Journal of Transnational Law 47 (2014), S. 331 (356 ff.), diesen Ansatz zu den weltweit stärksten rechnet, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. 784 Berndtsson/Østensen, The Scandinavian Approach to Private Maritime Security, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 138 (146 f.), bescheinigen der NMA insgesamt wenig Potential, überhaupt eine hinreichende Kontrolle über die Sicherheitsdienste ausüben zu können. 785 Vgl. zum deutschen Zulassungsregime insg. Salomon/tho Pesch, Das Zulassungsregime für bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen, DÖV 2013, S. 760 ff. 786 Diesen Änderungen vorausgegangen war eine Diskussion, die sich schlussendlich so lange hingezogen hatte, dass mit dem Erlass der Neuregelungen die Hochzeit der Piraterie vor Somalia tatsächlich schon vorbei war.

168 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

Der gesetzliche Rahmen ist in ausdrücklicher Anlehnung an die IMO-Leitlinien verfasst worden787 und auch wenn dem deutschen Zulassungsregime insbesondere auf der Ebene der Durchsetzung und Überwachung Mängel bescheinigt werden,788 gilt es im internationalen Vergleich dennoch als das derzeit strengste Regime überhaupt.789 In der Tat schreibt die auf Grundlage von § 31 IV GewO erlassene Verordnung über die Zulassung von Bewachungsunternehmen auf Seeschiffen (SeeBewachV)790 hohe und verbindliche Anforderungen für die Sicherheitsunternehmen fest; so sieht beispielsweise § 10 I der SeeBewachV neben allgemeinen Zulässigkeitsanforderungen an die eingesetzten Personen vergleichsweise umfangreiche Sachkundenachweise in rechtlicher, seemännischer oder waffentechnischer Hinsicht vor.791 Eine weitere im internationalen Vergleich seltene Vorschrift ist die Festlegung einer zwingenden Mindestgröße der Bewachungsteams von vier Personen durch die Durchführungsverordnung zur SeeBewachV.792 Das deutsche Zulassungsverfahren ist für die Sicherheitsdienstleister im Ergebnis sowohl außerordentlich kosten- als auch zeitintensiv,793 sodass – obwohl anfänglich sogar von jährlich 50 bis 75 Zulassungsverfahren ausgegangen wurde794 – bis Juli 2015 lediglich zwölf Unternehmen vom BAFA zugelassen worden sind, von denen nicht einmal mehr alle im operativen Geschäft tätig sind.795 Hinzukommt, dass der faktische Anwendungsbereich der deutschen Regelung, also die gesamte deutsche Handelsflotte, mit rund 350 registrierten Handelsschiffen ab 100 BRZ außerordentlich klein ist, sodass die deutsche Regelung im internationalen Kontext zwar als ambitioniert796 aber faktisch letztlich kaum bedeutsam beurteilt werden muss; dies umso mehr als dem deutschen Markt der maritimen Sicherheitsdienste aufgrund der hohen Anforderungen kaum noch Entwicklungspotential bescheinigt wird.797 787

BT-Drs. 17/13308, S. 1. Salomon/tho Pesch, Das Zulassungsregime für bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen, DÖV 2013, S. 760 (766 f.). 789 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (80). 790 Seeschiffbewachungsverordnung vom 11. Juni 2013, BGBl. I S. 1562. 791 Diese werden noch weiter spezifiziert durch die Anlage zu § 10 I SeeBewachV. 792 § 2 I Nr. 2 der Durchführungsverordnung zur SeeBewachV. 793 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (80). 794 BT-Drs. 17/11887, S. 4. 795 Unter http://www.bafa.de/bafa/de/weitere_aufgaben/seeschiffbewachung/zuge lassene_betriebe/index.html sind die zugelassenen Unternehmen einsehbar. Zuletzt abgerufen am 02.08.2016. Im August 2016 werden an dieser Stelle lediglich noch 5 Unternehmen geführt. 796 Karschau, BeckOK, § 31 GewO, Rn. 4, bezeichnet die deutsche Zulassung als den international höchsten erreichbaren Qualitätsstandard für maritime Sicherheitsdienste. 797 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (80). 788

IV. Regelungsstrukturen

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(8) Zwischenergebnis zur Flaggenstaatsjurisdiktion Für sich genommen bilden die verschiedenen untersuchten flaggenstaatlichen Regelungen noch nicht das befürchtete unüberschaubare Durcheinander ab. Vielmehr ist der Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste auf nahezu sämtlichen Flaggen auf die ein oder andere Weise gestattet.798 Die größten Flaggenstaaten – allesamt flags of convenience – tendieren einheitlich dazu, den Einsatz der Sicherheitsdienstleister im Grundsatz ohne größere rechtliche Hürden zu erlauben, was sich insbesondere anhand unverbindlicher Regelungstechniken und dem Fehlen von Durchsetzungs- und Überwachungsinstanzen äußert. Strenge Regelungen wie das deutsche Zulassungsregime bilden im internationalen Vergleich die absolute Ausnahme – auch die Regelungsansätze etwa der USA und Norwegens vermögen letztlich nicht zu überzeugen. Dass die hier untersuchten großen Register allesamt als flag of convenience eingestuft werden, vermag zum einen kaum zu überraschen und zum anderen auch das weitgehende Fehlen von umfassenden eigenen Regelungsansätzen zu erklären. Denn dass hier anstatt auf eigene Regulierungsmechanismen, die umund durchzusetzen die entsprechenden Flaggenstaaten i. d. R. nicht willens oder in der Lage sind, auf Empfehlungen und Verweisungen zurückgegriffen wird, ist für die flags of convenience letztlich charakteristisch.799 Darüber hinaus fällt bei dieser ersten Betrachtung der nationalen Rechtsordnungen bereits auf, dass den Leitlinien der IMO – mit unterschiedlichen Gewichtungen – eine insgesamt große Rolle zufällt: Entweder wird empfehlend auf sie verwiesen oder sie werden mehr oder weniger rechtsverbindlich in die nationale Rechtsordnung inkorporiert oder als inhaltliche Grundlage bei weitergehenden staatlichen Gesetzgebungsmaßnahmen rezipiert. bb) Küsten- und Hafenstaatsjurisdiktion Schließlich sind für die maritimen Sicherheitsdienstleister auch die Vorschriften der Staaten, in deren Küstengewässern oder Häfen sie eingesetzt werden, relevant.800 Auch wenn der Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste nach der hier vertretenen Auffassung grundsätzlich vom Recht der friedlichen Durchfahrt er798 Vgl. zu hier nicht untersuchten weiteren Registern die von der International Chamber of Shipping (ICS) und der European Community Shipowners Association (ECSA) herausgegebene Kurzübersicht, online verfügbar unter: http://www.ics-shipping. org/docs/default-source/Piracy-Docs/comparison-of-flag-state-laws-on-armed-guardsand-arms-on-board3030D998A844.pdf, Stand März 2015, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 799 Vgl. zu den flags of convenience insg. König, Flags of Convenience, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 1 ff. 800 König, Schutz vor Piraterie – hoheitlich oder privat?, in: Veröffentlichungen anlässlich des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar, 2012, S. 299 (305 f.).

170 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

fasst ist,801 können küstenstaatliche Regelungen dennoch in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein: Zum einen könnten Küstenstaaten den Einsatz der Sicherheitsdienste entgegen der hier vertretenen Auffassung prinzipiell als unfriedlich i. S. v. Art. 19 SRÜ beurteilen und insofern einschränken oder verbieten. Zum anderen können sie im Rahmen ihrer Gesetzgebung nach Maßgabe von Art. 21 II SRÜ international akzeptierten Standards Geltung verschaffen oder nach Art. 21 I h) zollrechtliche Bestimmungen mit Blick auf die Benutzung der Waffen in ihren Hoheitsgewässern erlassen.802 Diese Möglichkeit und die Tatsache, dass die Staaten hiervon auch Gebrauch gemacht haben, hat in der Folge zu einem Zustand geführt, den Anna Petrig wie folgt zusammenfasst: „The result is a patchwork of domestic law which may apply cumulatively and/or consecutively, depending upon the actual locus of the ship.803 [. . .] A PMSC and/or its personnel on board a merchant vessel [. . .] is thus potentially bound by several laws at the same time [. . .].“ 804 Auch für die verschiedenen küstenstaatlichen Regelungsmaßnahmen gilt, dass es den Rahmen der Analyse sprengen würde, sie in allen technischen Details darzustellen; die diesbezüglichen Untersuchungen sollen im Wesentlichen die allgemeinen Entwicklungstendenzen abbilden. Soweit ersichtlich, hat (unbeschadet der Tatsache, dass dies nach der hier vertretenen Auffassung zumindest möglich wäre) bislang kein Küstenstaat konkrete Vorschriften erlassen, die die begleitete Durchfahrt unter Berufung auf die einschlägigen Leitlinien der IMO als „international akzeptierte Standards“ i. S. v. Art. 21 II SRÜ reglementieren würden. Gleichwohl stellen die Küstenstaaten in der Praxis eine ganze Reihe von Anforderungen an die Sicherheitsdienste bzw. die Schiffsbetreiber, die diese in fremden Küstengewässern einsetzen.805 Einen gewissen Überblick bieten hierbei die Antworten einiger Küstenstaaten auf eine bereits im Jahr 2011 veröffentlichte Umfrage der IMO.806 Diese Umfrage zielte darauf ab, Informationen über die tatsächlich stark variierende Praxis der Küstenstaaten in Bezug auf maritime Sicherheitsdienstleister in ihren Küstengewässern 801

Vgl. o. a) aa) (2). Vgl. o. a) aa) (3). 803 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (675). 804 Ebenda, S. 677. 805 Der bisherigen Staatenpraxis sind allerdings keine Hinweise auf die den Regelungen zugrundeliegende Rechtsauffassung zu entnehmen. Weder berufen sich die Küstenstaaten ausdrücklich auf nach Art. 21 II SRÜ zulässige allgemein anerkannte Grundsätze noch auf Art. 21 I h) SRÜ direkt. 806 IMO MSC-FAL.1/Circ.2, 22.09.2011; die eingegangenen Antworten von bislang lediglich 19 Küstenstaaten (August 2015) sind online verfügbar unter: http://www.imo. org/es/OurWork/Security/PiracyArmedRobbery/Paginas/Responses-received-on-Private %20Armed%20Security.aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 802

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einzuholen. Unbeschadet der Tatsache, dass deren Einsatz einer friedlichen Durchfahrt i. S. v. Art. 19 SRÜ eigentlich nicht entgegensteht, haben die Küstenstaaten den Einsatz der Sicherheitsdienste gleichwohl in unterschiedlichem Maße und zum Teil erheblich eingeschränkt oder – andersherum – aus der Erteilung von Erlaubniszertifikaten oder der Einrichtung von Umschlagplätzen für Waffen und Personal sogar eigene Geschäftszweige kreiert.807 Insgesamt zeigen die bei der IMO eingegangenen Antworten eine international sehr uneinheitliche Rechtslage in den Küstenstaaten und verdeutlichen somit die hieraus resultierenden Probleme für die Praxis sowohl auf Seiten der Reeder als auch der Sicherheitsdienstleister: Indien, dessen Küstengewässer immerhin auch zum Hochrisikogebiet zählen, verbietet den Einsatz der Sicherheitsdienstleister und die Durchfahrt mit Waffen oder sonstigem sicherheitsbezogenen Equipment vollständig und betrachtet jede Zuwiderhandlung ausdrücklich als Bedrohung der inneren Sicherheit.808 Neben der indischen Regierung haben vor allem die Regierungen verschiedener westafrikanischer Staaten den Einsatz von bewaffneten Sicherheitsdiensten in ihren Küstengewässern vollständig untersagt.809 Für die Durchfahrt durch den praktisch enorm bedeutsamen Suezkanal810 ist es dem Sicherheitspersonal selbst zwar gestattet, an Bord zu bleiben, dessen Waffen müssen jedoch bei der Durchfahrt durch den Kanal versiegelt und den Kanalbehörden übergeben werden;811 vergleichbare Regelungen finden sich in zahlreichen weiteren Küstenstaaten.

807 M. w. N. Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (687). 808 Die indische Haltung dürfte nicht zuletzt auch auf die Zwischenfälle mit der MV Seaman Guard Ohio oder zwei durch ein italienisches VPD-Team getöteten Fischern zusammenhängen, vgl. o. II 3. b) bb) und http://zeenews.india.com/news/india/armedcargo-ships-along-indias-coast-pose-security-threat_1482203.html. 809 BIMCO lässt diesbezüglich in einem Rundschreiben vom 20.12.2012 zur Sicherheitslage im Golf von Guinea verlauten: „Using private armed guards in the Gulf of Guinea region is much more problematic than off Somalia, owing to the complex patchwork of legal, security, administrative, command and control interests that needs to be addressed.“. (Dokument liegt dem Verfasser vor). Die gleiche Einschätzung vertritt auch UK P&I in einem diesbezüglichen Rundschreiben, online verfügbar unter: http:// www.ukpandi.com/fileadmin/uploads/uk-pi/Documents/Piracy/Piracy_FAQs_Revised Aug2013_web.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. Liberia beruft sich daneben beispielsweise auf das dort geltende UN-Waffenembargo, vgl. die Antwort Liberias auf die IMO-Umfrage, http://www.imo.org/en/OurWork/Security/PiracyArmedRobbery/Docu ments/PCASP/Liberia.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 810 Der Suezkanal untersteht ägyptischer Verwaltung, ausgeübt durch die Suez Canal Authority, rechnet allerdings nicht zu den ägyptischen Küstengewässern sondern zu den inneren Gewässern Ägyptens; vgl. hierzu die Informationen unter http://www.suez canal.gov.eg/. 811 http://www.imo.org/en/OurWork/Security/PiracyArmedRobbery/Documents/PC ASP/Egypt.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

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Andere an das Hochrisikogebiet vor Ostafrika angrenzende Staaten wie beispielsweise der Iran, Somalia oder Oman gestatten den Einsatz der Sicherheitsdienste auch unter Waffengebrauch in ihren Küstengewässern zwar grundsätzlich, insbesondere die Einfuhr der benötigten Waffen ist jedoch mit umfangreichen – und im Detail stets divergierenden – Melde- und Registrationspflichten verbunden.812 In Djibouti wiederum können Sicherheitsdienstleister den Hafen gegen Gebühren zum Einschiffen benutzen, Waffen zwischenlagern oder sogar ganze Waffenkontingente mieten.813 Ein vergleichbares Bild – letztlich aber um noch strengere Restriktionen erweitert – bietet sich im Bereich der Hafenstaatsjurisdiktion; die Möglichkeiten, mit bewaffnetem Sicherheitspersonal an Bord in fremde Häfen einzulaufen oder auf Reede zu liegen, sind durch eine strenge Hafenkontrolle nahezu überall äußerst begrenzt.814 Angesichts dessen, dass Bestrebungen zur Vereinheitlichung der küsten- oder hafenstaatlichen Regelungen derzeit nicht in Sicht sind, haben die Sicherheitsdienste unterschiedliche Strategien entwickelt, mit dieser Situation zumindest behelfsweise umzugehen: So gab es insbesondere in den ersten Jahren zunächst mehrfach Berichte von Sicherheitsdienten, die vor Einlaufen in Küstengewässer ihre Waffen einfach im Meer versenkt haben.815 Als pragmatische (wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten höchst problematische) Lösung im Umgang mit den küstenstaatlichen Restriktionen hat sich aus Sicht der Sicherheitsdienste mittlerweile allerdings die Nutzung von schwimmenden Waffen- und Munitionsdepots, sog. „Floating Armories“, herausgestellt. Diese fahren regelmäßig unter kaum regulierten Open-Registry-Flaggen und sind an zahlreichen strategischen Punkten im Indischen Ozean jenseits der Küstengewässer postiert worden.816 Von den Floating Armories aus werden Waffen an Bord der zu bewachenden Schiffe verbracht und zwischengelagert; auch Angehörige der Sicherheitsunternehmen verbringen – oftmals wochenlang und auf engstem Raum – die Zeit 812 Vgl. http://www.imo.org/es/OurWork/Security/PiracyArmedRobbery/Paginas/Re sponses-received-on-Private %20Armed %20Security.aspx, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 813 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (687). 814 http://www.imo.org/es/OurWork/Security/PiracyArmedRobbery/Paginas/Respon ses-received-on-Private %20Armed %20Security.aspx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 815 Florquin, Escalation at Sea: Somali Piracy and Private Security Companies, in: Small Arms Survey Jahrbuch 2012, S. 190 (210), m.w. N. 816 Alleine im Golf von Oman befinden sich derzeit sechs dieser Floating Armouries, Kent/Werber, How Floating Armories Help Guard Cargo Ships From Pirates on High Seas, Wall Street Journal vom 03.02.2015, online verfügbar unter: http://www. wsj.com/articles/how-floating-armories-help-guard-cargo-ships-from-pirates-on-highseas-1422934573; vgl. hierzu auch Bennett, Maritime Security at a Crossroads, The Maritime Executive vom 26.04.2015.

IV. Regelungsstrukturen

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zwischen den Einsätzen dort, sodass der Begriff „Floating Armories“ angesichts der umfassenden strategischen und logistischen Nutzung dieser Schiffe letztlich zu kurz greift. Vor dem Hintergrund, dass auch die Floating Armories mit zum Teil enormen Waffenbeständen an Bord von durch die Flaggenstaaten kaum beaufsichtigten Schiffen selbst zum Ziel von Angriffen werden könnten, sind dies jedenfalls keine begrüßenswerten Entwicklungen angesichts der insgesamt komplizierten und restriktiven Rechtslage in den Küsten- bzw. Hafenstaaten. cc) Zwischenergebnis zum staatlichen Regelungsrahmen Auf Seiten der Flaggenstaaten zeigen sich – von einzelnen Ausnahmen wie der deutschen Initiative abgesehen – bislang keine Bestrebungen, die maritimen Sicherheitsdienste durch umfangreiche und verbindliche Regelungs- oder Überwachungsinstrumente strenger zu regulieren. Mit Blick auf die drei größten Registerstaaten Panama, Liberia und den Marshall-Inseln ist der Einsatz der Sicherheitsdienste auf bedeutenden Teilen der Welthandelsflotte unter staatlicherseits letztlich kaum regulierten Rahmenbedingungen zugelassen. Anders gestaltet sich hingegen die küstenstaatliche Regelungspraxis, die – teilweise im Widerspruch zur völkerrechtlichen Vorschrift des Art. 19 SRÜ – den Einsatz der Sicherheitsdienstleister entweder gänzlich untersagt oder diesen unter zum Teil strengen und zum Teil weniger strengen Regulierungen zulässt. Ob und inwieweit auch der staatliche Rechtsrahmen von privaten (transnationalen) Strukturen des Soft Law beeinflusst ist, soll im Anschluss an deren Analyse ausführlich untersucht werden. c) Zwischenergebnis zum Hard Law Da sich das Völkerrecht nicht ausdrücklich zum Einsatz der Sicherheitsdienste äußert, kann diesem auch kein grundsätzliches Verbot entnommen werden, womit die Zuständigkeit bei den Flaggen- bzw. Küsten- oder Hafenstaaten liegt. Anders als das Völkerrecht trifft das Recht der meisten Staaten (und sei es auf untergesetzlicher Ebene oder in Form von Leitlinien) mittlerweile konkrete Aussagen zum Einsatz der Sicherheitsdienste. Soweit es um deren Einsatz außerhalb der eigenen Küstengewässer geht, beschränkt sich das staatliche Recht allerdings weitestgehend darauf, verbindliche Aussagen lediglich in Bezug auf das Ob des Einsatzes zu treffen. Deutlich strenger sind demgegenüber die küsten- und hafenstaatlichen Regelungen, die aus der Sicht der Sicherheitsdienste mittlerweile zu erheblichen regulatorischen Einschränkungen geführt haben. 3. Soft Law: Genuin transnationale Regelungen Im folgenden Kapitel sollen nun die genuin transnationalen Regelungen, die im ersten Teil (B.) der Arbeit in der Kategorie des Soft Law systematisiert wor-

174 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

den sind, untersucht werden. Tatsächlich gibt es im Zusammenhang mit den maritimen Sicherheitsdienstleistern eine ganze Reihe dieser Normen. Sie lassen sich auf allen Ebenen, das heißt im Bereich der Selbstregulierung und der externen Standards, im Bereich der Standardverträge und im Bereich der (sonstigen) Rechtsakte internationaler Organisationen ausfindig machen. Die Analyse widmet sich dabei schwerpunktmäßig solchen Aspekten, die Aufschluss darüber zu geben vermögen, ob eine Vernetzung und Verschränkung der unterschiedlichen Regelungsebenen stattfindet. Bestehen die unterstellten wechselseitigen Abhängigkeiten817 zwischen hoheitlichem und privatem Recht tatsächlich? Mit Blick auf die Mechanismen der Anwendung und der Durchsetzung818 ist allerdings zu beachten, dass es im transnationalen Raum (bzw. für das untersuchte Referenzgebiet) keine institutionellen Äquivalente zu den auf der nationalen Ebene bestehenden Einrichtungen gibt. Im binnenstaatlichen Raum obliegt die Rechtsanwendung den Behörden und Gerichten und die Rechtsdurchsetzung den Vollzugseinheiten des staatlichen Exekutivapparates; entsprechend gut lassen sich Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung differenzieren. Anders sieht es hinsichtlich der Regelungen des Soft Law im transnationalen Raum aus, bei denen Anwendung und Durchsetzung durch andere Akteure und anhand anderer Mechanismen erfolgen.819 Spruchkörper, die speziell mit dem Soft Law maritimer Sicherheitsdienstleister befasst wären, existieren nicht, staatlichen Exekutivapparaten vergleichbare Einrichtungen zu dessen Durchsetzung erst recht nicht. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, sind gleichwohl Mechanismen der Durchsetzung des Soft Law vorhanden. Anders als im staatlichen Raum existiert jedoch kein einheitlicher Exekutivapparat, der für die Befolgung sämtlicher Regeln des Soft Law sorgen würde, vielmehr erfolgt die Durchsetzung von Norm zu Norm auf unterschiedliche Weise. Um hinsichtlich dieser gleichwohl vorhandenen Durchsetzungsmechanismen nun keine Nähe zu den staatlichen Durchsetzungsapparaten zu suggerieren, soll hier vom Begriff der Rechtsdurchsetzung abgesehen werden. Für den Aufbau der nachfolgenden Analyse bedeutet dies, dass neben Entstehung und Inhalt der genuin transnationalen Normen vereinheitlichend deren Implementierung untersucht wird.820 Da diese Implementierungsmechanismen zur verbreiteten Befolgung der Normen führen (können), besteht 817

Vgl. o. B. III. 3. c). Auf deren grundsätzliche Erforderlichkeit ist im Zusammenhang mit der Frage nach dem Bestehen völlig autonomer Rechtsordnungen hingewiesen worden, vgl. o. B. III. 2. a) und b). 819 Vgl. zum im Allgemeinen o. B. III. 3. b) bb) sowie im Folgenden jeweils für die einzelnen Regelungen. 820 Anders begreift Dimitropoulos beispielsweise die im Standardisierungswesen bedeutsamen Zertifizierungs- und Akkreditierungsstellen, der diesbezüglich ausdrücklich von einem Rechtsanwendungsmechanismus spricht, vgl. Dimitropoulos, Zertifizierung und Akkreditierung im Internationalen Verwaltungsverbund, 2012, S. 224 ff. 818

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gleichwohl keine Gefahr, dass hierdurch auf das generelle Erfordernis der Rechtsdurchsetzung verzichtet würde. a) Selbstregulierung Im Bereich der Selbstregulierung sind industrieeigene Codes of Conduct sowie AGB und Standardverträge Gegenstand der Analyse. Tatsächlich lassen sich umfangreiche Aktivitäten in den genannten Bereichen der Selbstregulierung vonseiten der maritimen (Sicherheits-)Industrie aufzeigen: Nachfolgend werden der von der ICoCA erarbeitete International Code of Conduct for Private Security Service Providers (ICoC), die branchenweit anerkannten Best Management Practices for Protection against Somalia Based Piracy in ihrer vierten Auflage (BMP4) und der von BIMCO erarbeitete Standardvertrag GUARDCON für die Beschäftigung privater Sicherheitsdienste untersucht. aa) ICoC Der International Code of Conduct for Private Security Service Providers genießt nicht zuletzt aufgrund des heterogenen und soliden organisatorischen Überbaus der ICoCA ein vergleichsweise großes internationales Renommee – und dies auch in der Schifffahrtsbranche. Seine Anwendbarkeit im maritimen Kontext ist allerdings nicht unumstritten, sodass zunächst die Frage nach dessen Reichweite thematisiert werden muss. (1) Anwendbarkeit im maritimen Kontext Als Instrument der Selbstregulierung gilt der ICoC unmittelbar zunächst (nur) für die zeichnenden Unternehmen. Seine Anwendung ist darüber hinaus auch nicht etwa auf den Bereich bewaffneter Konflikte beschränkt.821 Der ICoC richtet sich allerdings nicht speziell an maritime Sicherheitsdienstleister, sondern grundsätzlich an alle privaten Sicherheitsdienstleister; 822 zu den Zeichnern des Kodex und zu den Mitgliedern der ICoCA zählen überwiegend landbasierte Si821 Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 170. 822 Die englische Fassung des ICoC verwendet für die Sicherheitsunternehmen das Kürzel „PSC“ (Private Security Companies). Ursprünglich firmierten diese unter dem Begriff Private Military Security Companies („PMSC“). Hierdurch sollte sich nicht etwa mit Blick auf eine nicht-militärische Ausrichtung der zeichnenden Unternehmen von militärischen Bezügen abgegrenzt werden; aufgrund der Tatsache, dass die Chiffre „PMSC“ spätestens seit den Skandalen um die Tätigkeiten von Blackwater im Irak in der Öffentlichkeit jedoch in erheblicher Weise negativ belastet war, sollten die unweigerlichen diesbezüglichen Assoziationen vermieden werden. Hinweis von Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 163.

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cherheitsunternehmen, mittlerweile aber auch zahlreiche maritime Unternehmen. Die IMO allerdings steht auf dem Standpunkt, dass der ICoC für maritime Sicherheitsdienstleister nicht (unmittelbar) anwendbar ist. In den IMO-Interimsrichtlinien für PMSCs heißt es insofern ausdrücklich: „The ICoC [. . .] is written in the context of self-regulation and only for land-based security companies, and is therefore not directly applicable to the peculiarities of deploying armed guards on board merchant ships to protect against acts of piracy and armed robbery at sea.“ 823 Da der ICoC jedoch Bestimmungen enthält, die im maritimen Kontext gleichwohl von Bedeutung sein können, ist zu überlegen, ob nicht entgegen der Auffassung der IMO von dessen Anwendbarkeit ausgegangen werden kann. Für die Auffassung der IMO spricht zunächst der Umstand, dass die Entwicklung des ICoC im Zeitraum von 2009 bis 2010 stattfand, also zu einer Zeit, als das maritime Sicherheitsgewerbe (zumindest in seiner heutigen Größe) praktisch noch nicht existierte. Daneben statuiert Ziff. 7 des ICoC, dass die Unterzeichner sich verpflichten, „zusätzliche Grundsätze und Standards für [. . .] die Bereitstellung maritimer Sicherheitsdienstleistungen“ zu entwickeln, woraus die IMO folgert, dass der ICoC in seiner derzeitigen Fassung von 2010 nicht im Kontext maritimer Sicherheitsdienste angewandt werden kann. Gewichtige Gründe widersprechen dieser Auffassung: Seinen allgemeinen Bestimmungen im Abschnitt D zufolge erstreckt sich der Anwendungsbereich des ICoC auf Tätigkeiten der zeichnenden Unternehmen „bei der Bereitstellung von Sicherheitsdienstleistungen in einem komplexen Umfeld.“ 824 Die Begriffsbestimmungen des ICoC bezeichnen als komplexes Umfeld „jegliche Gebiete, [. . .] in denen die staatlichen Behörden der Situation nicht mehr oder nur noch in begrenztem Umfang gewachsen sind.“ 825 In der englischen Fassung heißt es an dieser Stelle areas (nicht etwa territories). Damit wird allerdings nicht nur ein räumlicher Anwendungsbereich definiert, vielmehr schließt dieser eine Anwendung des Kodex auch auf maritime Räume ausdrücklich nicht aus.826 Und wenn, wie etwa vonseiten der IMO, damit argumentiert wird, dass der ICoC die Verabschiedung „zusätzlicher“ Grundsätze für den maritimen Kontext vorsieht, spricht dies bei eingehender Betrachtung im Übrigen für eine Anwendung des ICoC auch in diesem Zusammenhang, da insofern über die ohnehin geltenden Grundsätze hinausreichende („zusätzliche“) Bestimmungen gemeint sein dürften.

823

IMO MSC.1/Circ. 1443, Ann. 2.1, 25.05.2012, Hervorhebung vom Verfasser. ICoC, Ziff. 13. 825 ICoC, Begriffsbestimmungen. 826 So auch Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (674). 824

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Somit ist grundsätzlich von der Anwendbarkeit des ICoC auch im Kontext der maritimen Sicherheit auszugehen, soweit nicht einzelnen Bestimmungen denklogisch zwingend landbasierte Operationen zu Grunde liegen.827 (2) Entstehung und Inhalt Entsprechend der Multistakeholder-Strukturen der ICoCA828 ist der ICoC zwar in enger Zusammenarbeit zwischen Industrie, Staatenvertretern, NGOs und Wissenschaft erarbeitet worden. Als ein Instrument primär der Selbstregulierung kennzeichnet ihn dennoch, dass die Federführung bei der Ausarbeitung des Kodex den beteiligten Industrievertretern oblag und dessen Zeichnung den Sicherheitsunternehmen vorbehalten ist.829 Dass diese Einordnung des ICoC als Selbstregulierungsinstrument – auch wenn sie damit formal zutreffend ist – in der Realität gleichwohl noch deutlich komplexer ist, zeigt sich anhand der umfangreichen regierungsseitigen Beteiligung schon im Vorfeld der Ausarbeitung des Kodex: Neben dem „gastgebenden“ eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten und dem Genfer Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte wird auch der US-Regierung, die zunehmend auf den Einsatz privater Sicherheitsdienste setzt und den Eindruck abwenden will, dass es sich dabei um ein völlig unreguliertes Phänomen handelt, eine gewichtige Rolle im gesamten Entstehungszusammenhang der Initiative nachgesagt.830 Im Kern jedenfalls ist der ICoC ein zumindest industrieseitig verantwortetes Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung; sämtliche Bestimmungen geben unternehmensseitig einzuhaltende Verpflichtungen wieder. Die Verpflichtungen, die sich für die zeichnenden Unternehmen aus dem ICoC ergeben, sind von einem insgesamt stark menschenrechtlichen Bezug geprägt: In Ziff. 3 der Präambel wird die Verpflichtung der zeichnenden Unternehmen benannt, im Einklang mit den Grundsätzen des Montreux-Dokuments „den Rechtsstaat zu unterstützen, die Menschenrechte zu achten und die Interessen ihrer Auf-

827 Im Ergebnis ebenso: Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (673 f.). 828 Vgl. hierzu o. III. 2. b). 829 Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 161; Plessis, The Global Code of Conduct for Private Security Companies, Humanitarian Exchange Magazine 47 (2010), S. 23 ff. 830 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (78). Wie zuvor festgestellt, schlägt sich diese gewichtige Rolle jedoch weniger im Kontext maritimer Sicherheitsdienste nieder. Dass hierin zumindest kein fundamentaler Widerspruch begründet liegen muss, erklärt sich damit, dass der ICoC während seiner Entstehung in erster Linie von landbasierten Sicherheitsunternehmen ausging. Vgl. o. 2. b) aa) (5).

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traggeber zu wahren.“ 831 Die allgemeinen Verpflichtungen (Abschnitt F) konkretisieren diesen Ansatz dahingehend, dass die Unternehmen „nicht wissentlich Aufträge an[nehmen], deren Ausführung [. . .] gegen geltendes innerstaatliches Recht oder Völkerrecht und gegen regionale und internationale Menschenrechtsvorschriften verstossen würde“ 832. Sie verpflichten sich zur jederzeitigen und vollständigen Einhaltung des geltenden humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte sowie sonstiger relevanter völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtsvorschriften.833 Der im Grundsatz menschenrechtsgeprägte Ansatz wird daneben also flankiert von umfassenden Verpflichtungen zur Einhaltung der relevanten Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und des Völkerrechts, also der hier mit Hard Law bezeichneten Regelungsstrukturen. Entsprechende Verweise auf die „geltenden Rechtsvorschriften“ finden sich über den gesamten Kodex verteilt, etwa in Bezug auf die Anwendung von Gewalt,834 das Festhalten von Personen835 oder das Waffenmanagement der Unternehmen836. Auch abseits der Verweise auf das „geltende Recht“ statuiert der ICoC verhältnismäßig umfangreiche Verpflichtungen sowohl in Bezug auf die Unternehmensführung als auch das Einsatzverhalten: So sind u. a. ein allgemeines Diskriminierungsverbot,837 eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht des Personals,838 831 Beim Montreux Document on Pertinent International Legal Obligations and Good Practices Related to Operations of PMSC’s During Armed Conflict („MontreuxDokument“, UN Doc. A/63/467 – S/2008/636, 06.10.2008) handelt es sich um ein vom eidgenössischen Department für auswärtige Angelegenheiten und dem Roten Kreuz initiiertes Grundsatzpapier, in dem die bestehenden völkerrechtlichen Pflichten der Herkunftsstaaten und der Einsatzstaaten von bewaffneten Sicherheitsunternehmen zusammengestellt und darüberhinausgehende Empfehlungen an diese Staaten formuliert wurden. Neben den Initiatoren waren an der Erarbeitung des Montreux-Dokumentes auch zahlreiche NGOs, Wissenschaftler, Staaten- und Industrievertreter beteiligt; als staatengerichtete Regelung im Kontext bewaffneter Konflikte ist es in dieser Arbeit allerdings lediglich am Rande von Bedeutung. Vgl. zum Montreux-Dokument insgesamt Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 123 ff. Zu dessen Nichtanwendbarkeit im Kontext der Pirateriebekämpfung durch private Sicherheitsdienste vgl. Spearin, in: Journal of International Criminal Justice 10 (2012), S. 823 (826); König/Salomon, in: Ehrhart/Petretto/Schneider/Blecker/Engerer/König, S. 192; vgl. auch die Auffassung der IMO, IMO MSC.1/Circ. 1443 Ann. 2.1, 25.05.2012. 832 ICoC, Ziff. 20. 833 ICoC, Ziff. 21. Was unter der Einhaltung humanitären Völkerrechts, das einerseits nur an Staaten adressiert ist und andererseits in Situationen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts nicht zur Anwendung kommt (womit das humanitäre Völkerrecht ipso facto auch nicht einschlägig wäre) genau zu verstehen ist, bleibt damit allerdings fraglich. 834 ICoC, Ziff. 30. 835 ICoC, Ziff. 34. 836 ICoC, Ziff. 56 ff. 837 ICoC, Ziff. 42. 838 ICoC, Ziff. 43.

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umfangreiche Personalauswahl- und -überprüfungskriterien,839 Vorschriften zur Waffenausbildung840 und die Implementierung eines Beschwerde- bzw. Whistleblowingmechanismus841 für die zeichnenden Unternehmen vorgeschrieben. Zusammenfassend lässt sich der ICoC damit am besten als ein Instrument der Selbstregulierung bezeichnen, das anhand unternehmensführungsbezogener Verpflichtungen versucht, ein rechts- und insbesondere menschenrechtskonformes Verhalten der zeichnenden Unternehmen bzw. ihres Personals sicherzustellen. (3) Implementierung Wenn der umfassende Katalog der durch den ICoC postulierten oder auch bloß wiedergegebenen Pflichten wirksam durchgesetzt würde, wäre – auch mit Blick auf die maritimen Sicherheitsdienstleister – bereits eine Menge erreicht. Wie steht es also um dessen Implementierung? Im ersten Teil der Arbeit (B.) wurden insofern die Mechanismen des Monitoring, des Auditing, der Zertifizierung oder auch ein vertragliches „Weiterreichen“ der Codes entlang des jeweiligen Wirtschaftszweiges identifiziert.842 Im Rahmen des ICoC finden sich verschiedene Mechanismen, die zu dessen Verankerung in der Sicherheitsdienstleistungsbranche beitragen (sollen). (a) Interne Mechanismen Der ICoC selbst beinhaltet zum einen mehrere auf „weiterreichende“ Compliance ausgerichtete Vorschriften, nach denen sich die zeichnenden Unternehmen weitgehend verpflichten, die Bestimmungen des Kodex als Vertragspflichten sowohl in die Verträge mit ihren Arbeitnehmern als auch mit ihren Auftraggebern aufzunehmen oder deren Einhaltung anderweitig sicherzustellen.843 Zum anderen ist der ICoC in ein eigenes Zertifizierungssystem eingebunden, wobei sich dieses noch im Stadium der Ausarbeitung befindet. Die ICoCA erfüllt somit nicht nur die Funktion eines „Aufsichtsmechanismus“ (engl.: „Oversight Mechanism“)844, sondern hat darüber hinaus auch ein System der Zertifizierung zu etablieren. Konkret vorgesehen ist, dass die Mitglieder der ICoCA „externe unabhängige Mechanismen für wirksame Gouvernanz und Aufsicht [. . .] schaffen, darunter die Zertifizierung der Einhaltung der Grundsätze des Kodex [. . .] sowie des Weiteren die Schaffung eines Mechanismus für die Behandlung behaupteter 839 840 841 842 843 844

ICoC, Ziff. 45 ff. ICoC, Ziff. 59. ICoC, Ziff. 66 ff. Vgl. o. B. III. 3. b) bb) (2) (a). ICoC, Ziff. 16 ff. ICoC, Ziff. 8, vgl. auch Art. 2.2 ICoCA-Artikel.

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Verstösse gegen die Grundsätze des Kodex oder die aus ihm abgeleiteten Standards.“ 845 Der Beschwerde- und Aufsichtsmechanismus ist derzeit noch nicht etabliert; für das in Art. 11 der ICoCA-Artikel näher beschriebene Zertifizierungssystem ist mittlerweile ein Entwurfspapier fertigstellt.846 Dieses sieht neben der Einrichtung eines für die Zertifizierung zuständigen Komitees („The Committee“) vor, dass eine Zertifizierung unter dem ICoC darüber erfolgt, dass ein Unternehmen die Einhaltung externer, von der ICoCA akzeptierte Standards der privaten Sicherheitsindustrie nachweist: „The Committee may consider any relevant standard related to security operations as envisaged by the Code, submitted by a Member as a potential pathway to ICoCA Certification.“ 847 Solche Standards können von jedem Mitglied vorgeschlagen werden, müssen allerdings vom Zertifizierungskomitee für kompatibel zum ICoC und mit Blick auf die vom ICoC vorgegebenen Standards für hinreichend befunden werden.848 Damit gestaltet sich das Zertifizierungsverfahren des ICoC weniger als völlig eigenständiges System als vielmehr als eine Art Review-Verfahren zur Überprüfung bereits bestehender Standards auf deren Einhaltung der Menschenrechte hin. Diese Vorgehensweise dürfte sich in erster Linie damit erklären, dass für die im Rahmen der Zertifizierung erforderlichen Auditing-Maßnahmen erhebliche Sach- und Personalkapazitäten erforderlich sind, über die die ICoCA selbst nicht verfügt. Die gewählte Lösung, von anderen (akkreditierten) Zertifikationsunternehmen ausgestellte Zertifikate ihrerseits an den Zielen und Maßgaben des ICoC zu messen, um anschließend deren Einhaltung zu beurteilen, scheint insofern praktikabel. Bislang sind durch die ICoCA bzw. das zuständige Komitee zwar noch keine eigenen Zertifikate ausgestellt worden; für die weiteren Untersuchungen ist jedoch von Interesse, dass die ICoCA bereits zwei potentiell geeignete (externe) Standards für die Zertifizierung unter dem ICoC identifiziert hat, nämlich die im Anschluss noch zu erörternden Standards ISO/PAS 28007 (bzw. ISO 280071:2015) und ANSI/PSC.1-2012.849 (b) Externe Mechanismen Neben den soeben beschriebenen internen Implementierungsmechanismen erfolgt eine Verankerung des ICoC verbreitet auch über externe Mechanismen der Verweisung und Bezugnahme; so ist der ICoC beispielsweise in der Bibliographie 845

Präambel des ICoC, Ziff. 7 b). Draft ICoCA Certification Principles and Procedure, online verfügbar unter: http://icoca.ch/sites/default/files/resources/Final%20Draft%20ICoCA%20Certification %20Procedure.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 847 Draft ICoCA Certification Principles and Procedure, Ziff. II, Hervorhebung vom Verfasser. 848 Draft ICoCA Certification Principles and Procedure, Ziff. II. 849 Hierzu u. b) aa) und bb). 846

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von ISO 28007 genannt, ebenso in der der PSC-Standards. Daneben schreiben aber auch verschiedene Organisationen und mittlerweile sogar die ersten Staaten die Zeichnung des ICoC verbindlich vor: Die US-Regierung hat angekündigt, zukünftig nur noch Unternehmen zum Schutz von US-Einrichtungen im Ausland einzustellen, die ICoCA-Mitglieder sind;850 der Entwurf eines Schweizer Bundesgesetzes über im Ausland erbrachte Sicherheitsdienstleistungen sieht eine ausdrückliche Verpflichtung der Sicherheitsdienstleister zur Beachtung des ICoC vor851 und auch das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) gibt in seinen Leitlinien vor, dass private Sicherheitsunternehmen, die im Auftrag der UN oder einer ihrer Sonderorganisationen angestellt werden, zwingend zu den Unterzeichnern des ICoC gehören müssen.852 Auch die Security Association for the Maritime Industry (SAMI), die ein eigenes Zertifizierungssystem für die Sicherheitsdienste aufzubauen versucht hat, hatte hierbei die Zeichnung und Umsetzung des ICoC vorausgesetzt.853 Und schließlich gab es auch im Rahmen der IMO vereinzelte Versuche, den ICoC zu verbreiten: Die Cook-Islands etwa unterbreiteten im Vorfeld der 89. Sitzung des Maritime Safety Committee den Vorschlag, den ICoC als Ausgangsdokument für die vonseiten der IMO auszuarbeitenden Richtlinien anzunehmen;854 ebenso verwiesen in diesem Zusammenhang Singapur und die Philippinen auf den ICoC als möglichen Referenzpunkt.855 (4) Zwischenbilanz Der ICoC repräsentiert ein Selbstregulierungsinstrument der gesamten (und nicht nur der maritimen) Sicherheitsindustrie mit einem eigenen und sehr aktivem institutionellen Überbau, der ICoCA. Nicht zuletzt aufgrund von deren vielfacher Regierungsanbindung genießt der ICoC ein weltweit hohes Ansehen, was dazu geführt hat, dass seine Implementierung nicht allein „aus eigener Kraft“, sondern mittlerweile bereits durch externe und zum Teil auch hoheitliche Vorschriften erfolgt. Im Grundsatz verbleiben seine Einhaltung, Anwendung und auch Verbreitung aber im Ermessen der Unternehmen, schließlich hängt dies nicht zuletzt immer und vor allem davon ab, ob die Unternehmen den ICoC über850 https://www.fbo.gov/index?s=opportunity&mode=form&id=b14bd7fb2a431b0aa bd61ef05d15f8b4&tab=core&_cview=1, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 851 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (677), m.w. N. 852 UNDSS, Guidelines on the Use of Armed Security Services from Private Security Companies, Ziff. 25 a. Online verfügbar unter: http://psm.du.edu/media/documents/ international_regulation/united_nations/internal_controls/un_unsms-operation-manual_ guidance-on-using-pmsc_2012.PDF, zuletzt abgerufen am: 02.08.2016. 853 Kraska, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 219 (241). 854 IMO MSC 89/18/1, 07.03.2011. 855 IMO MSC 89/18/5, 16.03.2011.

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haupt zeichnen.856 Insbesondere vonseiten der großen Flaggenstaaten zeigen sich demgegenüber aber keine entsprechenden Ansätze, die Bestimmungen des ICoC verbindlich zu übernehmen, wiederzugeben oder zu verbreiten.857 bb) BIMCO GUARDCON Mit dem von BIMCO858 erarbeiteten sog. GUARDCON-Vertrag besteht im Bereich der maritimen Sicherheitsdienste auch ein Standardvertrag für die Einstellung bewaffneter Sicherheitsdienste durch die Schiffseigner und -betreiber. Seit seiner Veröffentlichung im Frühjahr 2012 konnte sich GUARDCON branchenweit etablieren und gilt in diesem Zusammenhang buchstäblich als absoluter Standard.859 (1) Entstehung und Inhalt Als Reaktion auf die insbesondere auch vonseiten der Versicherer als problematisch empfundene Situation, dass mit dem zunehmenden Einsatz der Sicherheitsdienste auch unzählige – etwa mit Blick auf Haftungsrisiken oder Einsatzrichtlinien – höchst unterschiedlich oder auch unklar gestaltete Verträge in Umlauf kamen, benannte BIMCO ein Komitee zur Erarbeitung eines Standardvertrages zwischen Schiffsbetreibern und Sicherheitsunternehmen für den Einsatz von bewaffnetem Personal. Wie aus den von BIMCO parallel veröffentlichten Explanatory Notes zum GUARDCON-Vertrag hervorgeht, spielte dabei auch die Tatsache eine Rolle, dass die Sicherheitsdienste aus Sicht der Schifffahrt nicht hinreichend reguliert sind bzw. zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren.860 Daneben sollte über die (aus Sicht der Sicherheitsdienste) insgesamt sehr 856 So auch Seiberth, Private Military and Security Companies in International Law, 2014, S. 165. 857 Dass allein über die Zeichnung des ICoC noch keine justiziablen Rechtshandlungen vorgenommen werden, die Unternehmen auf diese Weise aber eine Art ethischmoralisches Greenwashing betreiben können, führt mitunter auch zu Kritik am Kodex insgesamt. Die NGO War on Want etwa ließ in einer entsprechenden Pressemitteilung verlauten: „This international code of conduct leaves these firms to police themselves, lacks teeth and fails to tackle the dangerous privatisation of war. The code is a limited voluntary mechanism, does nothing to change the culture of impunity that PMSCs enjoy, and represents a license for abuse.“ Online verfügbar unter: https://www.global policy.org/pmscs/52487-charity-slams-conduct-code-for-private-military-and-securitycompanies-a-war-on-want-statement.html, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 858 Zur Rolle von BIMCO in der maritimen Wirtschaft s. o. III. 2. d). 859 Dem Verfasser liegen diesbezügliche Informationen aus Gesprächen mit Vertretern der Branche vor. Vgl. auch Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (673). 860 GUARDCON Explanatory Notes, online verfügbar unter: https://www.bimco.org/ ~/media/Chartering/Document_Samples/Sundry_Other_Forms/Explanatory_Notes_GU ARDCON.ashx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

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„strengen“ Vertragsbestimmungen zumindest indirekt erreicht werden, den Markt der Low-level-Anbieter zu schwächen und der Schifffahrtsindustrie zu einer insgesamt besseren Position gegenüber den PMSC zu verhelfen.861 Diese Interessenbalance des GUARDCON-Vertrages spiegelt nicht zuletzt die Zusammensetzung des Entwurfskomitees wider: Unter den insgesamt sechs Beteiligten befanden sich zwei Vertreter von Reedereien, drei Vertreter von P&I-Clubs862 bzw. Versicherern sowie eine Rechtsexpertin der Kanzlei holman fenwick willan; Vertreter der Sicherheitsindustrie hingegen wurden bei der Ausarbeitung von GUARDCON lediglich konsultativ einbezogen.863 Der GUARDCON-Vertrag regelt grundsätzlich das Vertragsverhältnis zwischen Schiffsbetreiber und Sicherheitsunternehmen insgesamt und damit nicht etwa individuell das vertragliche Verhältnis zu jedem einzelnen Mitglied der eingesetzten Sicherheitsteams.864 Eine der zentralen und von der Schifffahrtsindustrie im Vorfeld für besonders dringlich erachteten Klauseln von GUARDCON ist dabei die klare Festschreibung der jederzeitigen und absolut geltenden Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns im Verhältnis zu den Entscheidungen des eingesetzten Sicherheitspersonals.865 Unter Bezugnahme der Bestimmungen von SOLAS866 wird diese dem Schiffskapitän (auch) im Vertragsverhältnis zu den Sicherheitsdiensten ausdrücklich zugeschrieben; Ziff. 8 (d) räumt ihm (unbeschadet ggf. bestehender individueller Selbstverteidigungsrechte des Sicherheitspersonals) das uneingeschränkte Recht ein, unter allen Umständen ein Einstellen des Feuers zu verlangen, sollte es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem Sicherheitspersonal und mutmaßlichen Piraten kommen. Für die Fälle der gewaltsamen Auseinandersetzung sieht GUARDCON im Übrigen vor, dass die Gewaltanwendung nur anhand von im Vorfeld zwischen Kapitän, Schiffsbe861

So lautet zumindest die Einschätzung einer im Auftrag von SAMI durchgeführten Untersuchung des GUARDCON-Vertrages durch die Kanzlei holman fenwick willan, GUARDCON: A guide for Private Maritime Security Companies, Dokument liegt dem Verfasser vor. 862 In P&I-Clubs (P&I, Protection and Indemnity) versichern sich Schiffseigner gegenüber Haftungsansprüchen Dritter gegenseitig. Der (zumindest dem Prinzip nach einer Haftpflichtversicherung vergleichbare) Versicherungsschutz durch die P&I Clubs ist für die Schifffahrtsindustrie von enormer praktischer Bedeutung. Ohne P&I-Deckung sähe sich ein Reeder unkalkulierbaren Haftungsrisiken ausgesetzt, weswegen die Mitgliedschaft in einem der weltweit 13 P&I-Clubs de facto alternativlos ist. Hierzu Stopford, Maritime Economics, S. 230 f. 863 GUARDCON Explanatory Notes, S. 2. 864 Für das Verhältnis zu den einzelnen Teammitgliedern sieht der GUARDCON-Vertrag in seinem Annex D eine umfassende Verzichtserklärung des eingesetzten Personals vor, welche die Schiffsbetreiber praktisch von sämtlichen einsatzspezifischen Haftungsrisiken befreit. Daneben verpflichtet sich das eingesetzte Personal zur Anerkenntnis der Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns sowie der vertragsgegenständlichen Rules for the Use of Force, GUARDCON Ann. D, Ziff. 2 ff. 865 GUARDCON, Part II, Ziff. 8. 866 Vgl. hierzu o. IV. 2. a) bb) (2).

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treiber und Sicherheitsdienstleister vereinbarten Regeln („Rules for the Use of Force“) erfolgen darf, deren Inkrafttreten wiederum erst auf Anweisung des Kapitäns (bzw. im Falle von dessen Abwesenheit durch den wachhabenden Offizier) erfolgen darf.867 Unter Verweis auf von (Flaggen-)Staat zu (Flaggen-)Staat variierendes Notwehrrecht schreibt der GUARDCON-Vertrag diesbezüglich nichts weiter vor, als dass solche Rules for the Use of Force überhaupt Vertragsbestandteil werden, nicht jedoch, wie diese beschaffen sein sollen.868 Neben weiteren rein definitorischen Bestimmungen, einer ausführlichen Bestimmung der auf See auszuführenden Bewachungsaufgaben und einer detaillierten Aufteilung der Haftungsrisiken enthält GUARDCON auch umfangreiche Vorgaben über die vertraglich vorausgesetzte Unternehmensstruktur der Sicherheitsdienste. So enthalten die Contractors Obligations (d.h. die Vertragspflichten der PMSC) u. a. folgende Bestimmungen: Die eingesetzten Teams sollen nicht die Größe von vier Personen unterschreiten;869 sämtliches von den Sicherheitsunternehmen bereitgestellte Personal muss über eine ENG1870 entsprechende medizinische Ausbildung verfügen; die Angestellten dürfen keine Vorstrafen aufweisen und müssen über eine militärische, polizeiliche oder vergleichbare Ausbildung verfügen und dürfen auch nicht aus disziplinarrechtlichen Gründen aus dem Militär- oder Polizeidienst ausgeschieden sein.871 Die Sicherheitsunternehmen verpflichten sich, sämtliche für den Waffengebrauch oder aus sonstigen Gründen erforderlichen Lizenzen zu unterhalten und dem Schiffsbetreiber vorzulegen.872 Weiterhin werden durch GUARDCON auch umfangreiche Versicherungsnachweise von den Sicherheitsunternehmen verlangt, nach denen die Arbeitgeber- und Berufshaftpflichtversicherungen Haftsummen von A 5.000.000,– nicht unterschreiten sollen.873 Und nicht zuletzt besteht sowohl aufseiten der Schiffsbetreiber als auch der Sicherheitsunternehmen die vertraglich fixierte Pflicht zur jederzeitigen Einhaltung sämtlicher relevanter nationaler Gesetze und Vorschriften.874 867

GUARDCON, Part II, Ziff. 8 (b). Vgl. GUARDCON, Ann. B sowie GUARDCON Explanatory Notes, S. 2. Daneben gibt es ein ebenfalls von BIMCO verantwortetes Dokument – Guidance on Rules for the Use of Force (RUF) by Privately Contracted Armed Security Personnel (PCASP) in Defence of a Merchant Vessel (MV) – in dem unabhängig von den jeweils zugrundeliegenden Strafrechtsordnungen Vorschläge für die Ausgestaltung der RUF gemacht werden. 869 GUARDCON, Part II, Ziff. 3. 870 Bei ENG1 handelt es sich um eine weltweit anerkannte Ausbildungsstufe für Erste-Hilfe-Kenntnisse im maritimen Bereich, vgl. die Auskünfte der britischen Regierung, https://www.gov.uk/seafarer-medical-certificates/overview, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 871 GUARDCON, Part II, Ziff. 6. 872 GUARDCON, Part II, Ziff. 10. 873 GUARDCON, Part II, Ziff. 12. 874 GUARDCON, Part II, Ziff. 20. 868

IV. Regelungsstrukturen

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Dieser Anforderungskatalog mutet auf den ersten Blick überraschend an, kennzeichnen die genannten Vorgaben zum Teil weniger die Charakteristika dienstleistungsbezogener Vertragsbestimmungen, als vielmehr diejenigen von abstrakten Regulierungsvorgaben einer gesetzgeberischen Instanz. Vor dem Hintergrund, dass die Ausarbeitung von GUARDCON zu einer Zeit stattfand, als der Einsatz der Sicherheitsdienste von großer (empfundener) Rechtsunsicherheit begleitet war, wird dies allerdings nur allzu nachvollziehbar. Somit fügt sich der GUARCON Vertrag aber auch in den Rahmen der Instrumente der Selbstregulierung.875 (2) Implementierung Die Frage der Implementierung des GUARDCON-Vertrages stellt sich in zweierlei Hinsicht. Zum einen mit Blick auf dessen tatsächliche Verbreitung oder eine eventuell bestehende Abweichungspraxis und zum anderen mit Blick auf dessen Anwendung und Durchsetzung im Streitfall. Erstgenannte Aspekte, die tatsächliche Verbreitung und insbesondere die Frage der Abweichungspraxis, sind faktisch schwer zu überprüfen, es gilt aber als sicher, dass der GUARDCON-Vertrag praktisch universelle Verbreitung gefunden hat. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass die Reeder die Auftraggeber sind und der Vertrag aus ihrer Sicht eine erhebliche Erleichterung und einige Rechtssicherheit darstellt.876 Gleichwohl ist davon auszugehen, dass mögliche Einsparungspotentiale oft bis zur Grenze des von Versicherern und P&I Clubs Geduldeten ausgeschöpft werden, da aus Kostengründen in der Praxis zum Beispiel vermehrt auf kleinere als die von GUARDCON ursprünglich ins Auge gefassten vierköpfigen Teams zurückgegriffen wird.877 Die (in der Praxis wohl auch oft umgesetzten) Bestimmungen der Nachweispflicht hinreichenden Versicherungsschutzes konnten sich hingegen als durchaus geeignet erweisen, diejenigen Unternehmen aus dem Markt zu halten, die nicht über den organisatorischen Überbau verfügten, um die entsprechenden Versicherungen zu erlangen.878 875 Mudric ´, The GUARDCON-contract, knock-for-knock clauses, DCFR and unfair Terms I, JIML 21 (2015), S. 51 (55), verortet den GUARDCON-Vertrag letztlich ebenfalls im Kontext der Selbstregulierungsmaßnahmen der Sicherheitsindustrie. 876 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (80). 877 Dass in der Praxis spätestens mit einem Nachlassen der (versuchten) Angriffe auch die Bereitschaft der Reeder nachlassen würde, die (kostenintensiven) vierköpfigen Teams einzustellen, dürfte auch den Verfassern von GUARDCON klar gewesen sein. In den GUARDCON Explanatory Notes heißt es insofern, dass ein Abweichen von der Mindestteamgröße im Anschluss an ein umfassendes Riskmanagement in Ausnahmefällen erfolgen könne. 878 So zumindest die Einschätzung der Kanzlei holman fenwick willan in ihrem Informationsschreiben GUARDCON: A guide for Private Maritime Security Companies, Dokument liegt dem Verfasser vor.

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Mit Blick auf seine Anwendung und Durchsetzung sieht der Vertrag vor, dass dieser unter britischem Recht geschlossen wird; hinsichtlich der Streitbeilegung bzw. des Gerichtsstandes benennt GUARDCON verschiedene Auswahlmöglichkeiten im Vorfeld, wobei standardmäßig (und damit wohl praktisch am häufigsten) die Schiedsgerichtsbarkeit der London Maritime Arbitrators Association (LMAA) in London angegeben wird. Daneben werden auch die Society of Maritime Arbitrators, Inc. in New York oder die Möglichkeit eines abweichenden Gerichtsstandes zur Auswahl gestellt. cc) BMP4 Weniger in Bezug auf die Sicherheitsdienste, umso mehr aber im übergeordneten Kontext der Piraterie sind die sog. Best Management Practices for Protection against Somalia Based Piracy (i.d. vierten Auflage, BMP4) von Bedeutung. Sie befassen sich in erster Linie mit allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen und -anforderungen und widmen sich lediglich am Rande dem Phänomen der bewaffneten Sicherheitsdienstleister; sie sollen insofern auch allein der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Die BMPs enthalten umfangreiche Hinweise etwa zum Risk Assessment, zu passiven Sicherungsmaßnahmen der Schiffe oder auch Verhaltensempfehlungen für die Besatzung im Angriffsfall. An der Ausarbeitung waren zahlreiche Schifffahrtsverbände sowie Versicherer und beratende Sicherheits- und Marineexperten etwa von der NATO oder INTERPOL beteiligt. Sie sind unter den Schiffsbetreibern ebenfalls allgemein anerkannt und ihre Umsetzung gilt für ein erfolgreiches Sicherheitskonzept beim Transit sowohl durch das Hochrisikogebiet vor Somalia als auch durch andere pirateriegefährdete Gewässer als unverzichtbar. Ursprünglich industrieseitig formuliert und im Anschluss von der IMO sowie zahlreichen Versicherern und P&IClubs übernommen und verbreitet, stellen die Empfehlungen der BMPs ein durchaus erfolgreiches Beispiel für die Hand-in-Hand-Arbeit staatlicher und privater Institutionen dar.879 Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass ihre Umsetzung von zahlreichen Versicherern im Rahmen der Versicherungsverträge sogar verbindlich vorgeschrieben wurde, wurden die Empfehlungen der BMPs, auch wenn sie dem Bereich der Selbstregulierung entstammen, praktisch äußerst effektiv durchgesetzt.880

879 Bueger, Learning from Piracy, Global Affairs 1 (2015), S. 33 (40), online verfügbar unter: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/23340460.2015.960170, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 880 Ebenda, S. 40. Zuletzt hat etwa London P&I mit einem Rundschreiben vom 13.02.2015 eindringlich die Umsetzung der Bestimmungen der BMP4 für den Zeitraum 2015/2016 empfohlen, Rundschreiben online verfügbar unter: http://www.london pandi.com/_common/updateable/downloads/documents/7112.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

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Ihre Weiterentwicklung spiegelt dabei auch die Haltung der Industrie gegenüber dem Einsatz bewaffneter Sicherheitsdienste wider: Bis zu ihrer dritten Auflage im Juni 2010 wurden die Sicherheitsdienste von den BMPs nicht einmal erwähnt.881 Mit der Veröffentlichung der vierten Version im September 2011 änderte sich dies dahingehend, dass der Einsatz von PCASP nunmehr zumindest als vom Schiffsbetreiber zu verantwortende zusätzliche Sicherheitsmaßnahme – nicht jedoch als taugliche Alternative zur Umsetzung der BMPs insgesamt – benannt wurde.882 Diesem Hinweis konnte zum damaligen Zeitpunkt insofern einige Bedeutung beigemessen werden, als dass die Erwähnung der Sicherheitsdienste in den universell anerkannten und akzeptierten BMPs damit praktisch auch einem branchenweiten verbindlichen Votum für die prinzipielle Möglichkeit des Einsatzes der Sicherheitsdienste und gegen die anfänglichen Bedenken gleichkam. dd) Zwischenergebnis zur Selbstregulierung Mit den untersuchten Strukturen der Selbstregulierung liegen drei ihrem Inhalt, ihrer Zielsetzung und ihrer Form nach höchst unterschiedliche Instrumente vor, die im Kontext maritimer Sicherheitsdienstleister eine Rolle spielen. Die praktisch wichtigste Rolle kommt dabei dem Standardvertrag GUARDCON zu, der im Gegensatz zum ICoC und den BMP4 als einziges brancheneigenes Regelungsinstrument den Einsatz maritimer Sicherheitsdienste auch ausdrücklich zum Gegenstand hat. Wenngleich der ICoC umfangreiche Pflichten postuliert, kann er, anders als der mittlerweile praktisch flächendeckend verwendete GUARDCONVertrag, nicht als vergleichbar strenges Regelungsinstrument begriffen werden. Ebenso sind die BMP4, auch wenn sie branchenweit umgesetzt werden, zwar ein effektives Mittel, um die Gefahr einer erfolgreichen Piratenattacke zu reduzieren, für das Thema der Sicherheitsdienstleister selbst sind sie allenfalls von Indizwirkung. Hinzuweisen ist allerdings auf Folgendes: Selbst wenn der GUARCON-Vertrag für einen einfachen Dienstleistungsvertrag immer noch vergleichsweise umfangreiche abstrakte bzw. regulatorische Bestimmungen enthält, so wird dessen „rechtsetzender“ Charakter doch von der einseitigen Interessenlage, die dem vonseiten der Schifffahrt erarbeiteten Vertragswerk zugrunde liegt, überlagert: Primäres Ziel von BIMCO war das Erreichen von Rechtssicherheit für die Schiffsbetreiber in Haftungsfragen und nach Möglichkeit die Einführung eines aus Sicht 881 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (79). 882 BMP4, Sec. 8.15. Vgl. hierzu auch Dutton, Gunslingers on the High Seas, Duke Journal of Comparative and International Law 24 (2013), S. 107 (130); Hansen, The Evolution of Best Management Practices in the Civil Maritime Sector, Studies in Conflict & Terrorism 35 (2012), S. 562 ff.

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der Reeder akzeptablen Mindeststandards, nicht aber die lückenlose Regulierung des Sicherheitsdienstleistungssektors. b) Standards, Normungen und Expertenrecht Neben den zuvor besprochenen Selbstregulierungsinstrumenten bilden auch externe Standards einen zentralen Bestandteil des Soft Law; als Standards (bzw. Normungen oder Expertenrecht) werden nach dem Begriffsverständnis dieser Arbeit von externen privaten Standardsettern formulierte sachbereichsspezifische Regeln bezeichnet.883 Im Bereich der maritimen Sicherheitsdienste existieren drei unmittelbar einschlägige Standards: Zum einen gibt es mit den Standards ISO 28007 und ANSI/ASIS PSC.1-2012/PSC.4-2013 zwei Standards, die einen umfassenden unternehmensregulierenden Ansatz verfolgen. Die beiden Standards von ISO und ANSI (American National Standards Institute) weisen deutliche Ähnlichkeiten in Umfang und Inhalt auf, wobei die PSC-Standards des ANSI insbesondere im Bereich des Menschenrechtsschutzes letztlich noch deutlich weitreichendere Bestimmungen beinhalten. ISO 28007 hingegen ist der verbreitetere und vonseiten der maritimen Industrie stärker rezipierte Standard. Zum anderen existieren mit den 100 Series RUF TM speziell für den maritimen Sektor konzipierte Regeln für die abgestufte Gewaltanwendung im Angriffsfall (Rules for the Use of Force, RUF). Im Folgenden werden der ISO-Standard, der ANSI-Standard und die 100 Series RUF TM untersucht, wobei mit Blick auf die weitreichende inhaltliche Übereinstimmung des ISO-Standards und des ANSI-Standards letzterer vor allem im Hinblick auf dessen Bestimmungen beleuchtet wird, die nicht bereits von ISO 28007 erfasst sind. aa) ISO/PAS 28007 und ISO 28007 – 1:2015 Der auf der internationalen Ebene mit Abstand am häufigsten rezipierte und am weitesten verbreitete Standard im Bereich der maritimen Sicherheitsdienste ist der von der ISO erarbeitete Standard 28007. Dieser wurde im Dezember 2012 zunächst als provisorischer Standard884 publiziert und mit wenigen Änderungen anschließend am 1. April 2015 als vollwertiger Standard ISO 28007 – 1:2015 in die ISO-Reihe 28000 (Supply Chain Security bzw. Sicherheitsmanagementsysteme der Lieferketten) aufgenommen. Soweit nicht speziell auf diese Änderungen abgestellt wird, ist im Folgenden vereinheitlichend von ISO 28007 die Rede. 883

Vgl. o. B. III. 3. b) bb) (1). Im Sprachgebrauch der ISO werden solche „provisorischen Standards“ als Public Available Specification, PAS, bezeichnet. Laut Angaben von SAMI konnte bis dato kein neu erarbeiteter Standard schneller das PAS-Level erreichen als ISO 28007, hierzu: SAMI-Rundschreiben Februar 2014, Dokument liegt dem Verfasser vor. 884

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(1) Entstehung und Inhalt Mit der Ausarbeitung des Standards wurde die ISO im Frühjahr 2012 durch die IMO beauftragt.885 Die Zuständigkeit innerhalb der ISO lag dabei beim Technical Committee 8 (TC 8), das mit Standardisierungsaktivitäten im Schifffahrtsbzw. im maritimen Kontext betraut ist. Als Verbindungsstelle der ISO zur IMO war das TC 8 seit jeher eng in die Arbeit der IMO eingebunden und somit auch im Vorfeld der Ausarbeitung des Standards für die bewaffneten Sicherheitsdienste bereits in die diesbezügliche Arbeit involviert. Entsprechend berücksichtigen die Spezifikationen von ISO 28007 auch bereits die Erfordernisse, die in den 2012 von der IMO herausgegebenen Interims-Richtlinien aufgestellt worden sind. Neben der damit schon institutionell bestehenden engen Anbindung an die IMO beteiligten sich an der Arbeit im TC 8 der ISO auch Experten aus der Sicherheitsindustrie selbst, ebenso wie Schiffssicherheitsexperten von BIMCO.886 Die (zumindest anfänglich) herausragende Position von ISO 28007 als schlechterdings dem Standard dürfte nicht zuletzt auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass die international bestehenden Regelwerke nicht einschlägig waren (etwa das Montreux-Dokument) oder von der IMO für nicht einschlägig befunden wurden (der ICoC). Insgesamt werden von ISO 28007 über 300 einzelne Bestimmungen aufgestellt; eine umfassende Darstellung sämtlicher inhaltlicher Aspekte ist damit kaum möglich und soll daher lediglich überblicksweise erfolgen. Der Standard ist im Wesentlichen dreigliedrig strukturiert; zum einen werden Erfordernisse auf der Managementebene aufgestellt (4.1–4.6), daneben statuiert der Standard zahlreiche operative Erfordernisse für die Einsätze auf See (5.1–5.9) sowie Leistungsevaluationserfordernisse (6.1–6.5). Sämtliche Bestimmungen sind als Empfehlungen formuliert und als solche durch den Begriff should („The organization should [. . .].“) gekennzeichnet. Schon die auf der Unternehmensführungsebene angesiedelten Bestimmungen sind äußerst umfangreich und für kleinere Unternehmen, die nicht über einen vollausgebildeten eigenen Managementapparat verfügen, praktisch nicht umsetzbar. Von den oftmals sehr weit reichenden und detaillierten Empfehlungen sind u. a. erfasst: Anforderungen an die finanzielle Stabilität der Unternehmen (4.1.10), eigene Business Ethic-Codes (4.1.8), den im Mindestmaß erforderlichen Versicherungsschutz (4.1.12), komplexe unternehmenseigene Risikobewertungssysteme (4.2.2), die erforderlichen Maßnahmen in Bezug auf unterschiedliche 885 Jessen, Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, RdTW 2013, S. 125 (127). 886 Vgl. die gemeinsame Eingabe von BIMCO und ISO in der 90. Sitzung des MSC, IMO MSC 90/20/9, 12.03.2012. Eigenangaben von ISO zufolge waren neben Vertretern der Industrie auch noch zahlreiche weitere Sicherheitsexperten, etwa von INTERPOL oder der EU-Kommission an der Ausarbeitung von ISO 28007 beteiligt, http://www. iso.org/iso/home/news_index/news_archive/news.htm?refid=Ref1717.

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rechtliche Erfordernisse von Flaggen- oder Küstenstaaten (4.2.4) oder auch Anforderungen an die Personalauswahl- (4.3) und -trainingsprozesse (4.4). Auf allen relevanten Ebenen werden dabei die spezifisch maritimen Erfordernisse berücksichtigt, beispielsweise im Hinblick auf eine umgebungs- und einsatzangemessene Bewaffnung (4.2.5 h) oder auf die erforderlichen schiffstechnischen und maritimen Grundkenntnisse des eingesetzten Personals sowie deren Grundkenntnisse der relevanten seerechtlichen Vorschriften, darunter ein vollständiges Verständnis der Rolle des Kapitäns (4.4.3). Bemerkenswert ist daneben die in 4.2.4 formulierte Empfehlung, dass nicht nur sämtliche relevanten nationalen und internationalen Rechtsvorschriften, Codes oder Konventionen identifiziert, eingehalten und in den Unternehmensstrukturen implementiert werden sollen, sondern dass diese darüber hinaus auch in die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Sicherheitsunternehmen und Reedern mitaufgenommen werden sollen. An dieser Stelle schreibt also eine Regelung des Soft Law die zusätzliche vertragliche Einbeziehung (ohnehin bestehender) rechtlicher Anforderungen des Hard Law vor. Auch die Bestimmungen im operativen Bereich sind umfangreich und betreffen u. a. die allgemeine Einsatzplanung (5.1), die Erstellung von exakten Ablaufplänen für Zwischenfälle (5.4), die Command and Control Strukturen (5.2.1), die Größe und Zusammensetzung der Teams (5.2.2) oder auch die Einrichtung eines eigenen Whistleblowingmechanismus sowohl für unternehmensinterne als auch -externe Beschwerden (5.9). Insbesondere dieser Whistleblowingmechanismus könnte – konsequent umgesetzt – im staatlich nur schwer zu überwachenden Raum auf See ein wertvolles Instrument zur Vermeidung bzw. Ahndung von Rechtsverstößen darstellen. Allerdings bietet auch ISO 28007 keine detaillierten Rules for the Use of Force, benennt aber mit der Bestimmung 5.3 zumindest Eckdaten für deren Beschaffenheit und empfiehlt darüber hinaus (ebenso wie der GUARDCON-Vertrag887) deren vertragliche Fixierung im Verhältnis zum Reeder. Die detaillierten Bestimmungen des ISO-Standards vermögen die spezifischen Anforderungen, die sich aus der Bewachung von Handelsschiffen auf See ergeben, zumindest im operativen Bereich und auf der Managementebene insgesamt angemessen abzubilden. Hinsichtlich der Teamgröße wäre eine noch deutlichere Bestimmung allerdings wünschenswert gewesen: Dass diese lediglich mit dem Schiffsbetreiber abzustimmen ist und auf einer (wenn auch umfangreichen) Risikoanalyse beruhen soll, nicht aber auf eine Mindestgröße etwa von drei oder vier Personen festgelegt ist, trübt ein wenig das ansonsten als hoch zu beurteilende Niveau, das durch ISO 28007 festgeschrieben wird. Hiervon abgesehen sind die einzelnen Vorschriften nämlich insgesamt detailliert, umfangreich und zweckan887

Vgl. o. a) bb) (1).

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gemessen und stellen insofern alles in allem einen hohen Qualitätsstandard für die maritimen Sicherheitsunternehmen auf.888 Was ISO 28007 hingegen kaum berücksichtigt, sind menschenrechtliche Aspekte. Dies ist besonders im Hinblick darauf bedauerlich, dass Regelungsgegenstand des Standards nicht zuletzt der potentiell tödliche Einsatz von Schusswaffen, oftmals weit entfernt von jedweder staatlicher Kontrollinstanz ist. Die einzige Erwähnung der im Kontext bewaffneter Einsätze durchaus relevanten menschenrechtlichen Dimension beschränkt sich auf die wenig konkrete Empfehlung, menschenrechtlichen Verpflichtungen generell nachzukommen und diese in die Ablaufprozesse zu integrieren (4.2.4 b 5). Dass diese Verpflichtungen einerseits nicht spezifiziert werden und andererseits nicht über eine recht allgemein gehaltene Empfehlung hinaus in die Bestimmungen des Standards eingeflochten sind, hat mithin auch zu entsprechender Kritik am Standard geführt.889 Damit lässt sich ISO 28007 letztlich also vor allem als ein Management-Tool begreifen, das dementsprechend nicht im Kontext einer humanitär- bzw. menschenrechtlichen „Zähmung“ der Sicherheitsindustrie verortet werden kann. (2) Implementierung Wie schon für den ICoC lassen sich auch für ISO 28007 unterschiedliche Mechanismen der Implementierung identifizieren. An erster Stelle steht hierbei das im Zusammenhang mit den Standards der ISO weltweit stark ausgebildete System von Akkreditierung und Zertifizierung. Daneben tragen jedoch noch weitere Mechanismen zu einer Verankerung von ISO 28007 in der maritimen Wirtschaft bei, die im Anschluss an eine Darstellung des Akkreditierungs- und Zertifizierungswesens beleuchtet werden. (a) Akkreditierung und Zertifizierung Anders als für den ICoC besteht um die Standards der ISO herum ein über Jahrzehnte gewachsenes Akkreditierungs- und Zertifizierungswesen. Die ISO hat für die Akkreditierung der Zertifizierer (also derjenigen Unternehmen, die letztendlich bescheinigen, dass die Bestimmungen eines Standards durch die zertifizierten Unternehmen eingehalten werden) den UKAS benannt.890 Beim UKAS 888 Diese Einschätzung wird geteilt von der IMO, weiten Teilen der Industrie und auch der Staatengemeinschaft, vgl. Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 ff. 889 DeWinter-Schmitt, Why the ISO standard for maritime security – ISO/PAS 28007 – is not a security and human rights standard, Blogbeitrag auf Human Analytics, online verfügbar unter: http://human-analytics.net/iso-standard-maritime-security-isopas-28007security-human-rights-standard/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 890 Vgl. zum Akkreditierungssystem und zum United Kingdom Accreditation Service o. III. 2. e).

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sind mittlerweile drei Zertifizierer (certification bodies) akkreditiert: RTI Forensic Engineering, Lloyds Registry Quality Assurance (LRQA) und MSS Global, Unternehmen also mit Erfahrungen insbesondere im maritimen Bereich und im Bereich des Sicherheitsmanagements – und buchstäblich Global Player. Von einer verantwortungsbewussten Erteilung der Zertifikate durch diese drei Unternehmen hängt maßgeblich ab, ob und inwieweit der ISO-Zertifizierung Vertrauen entgegengebracht werden kann, womit ihnen bei der Implementierung von ISO 28007 eine absolute „Schlüsselrolle“ 891 zukommt.892 Die Erteilung der Zertifikate erfolgt dabei durch umfangreiche Audits (Überprüfungen) durch die Zertifizierer; diese erstrecken sich i. d. R. über Zeiträume von mehreren Wochen und beinhalten praktisch eine vollständige Überprüfung sämtlicher Unternehmensstrukturen und -abläufe.893 Im Hinblick auf die übergeordnete theoretische Fragestellung dieser Arbeit verdient die Tatsache Erwähnung, dass dieses Vertrauen nun, auf welches sich die effektive Implementierung von ISO 28007 maßgeblich stützt, nicht zuletzt auch von hoheitlichen Trägern gestiftet und von oben nach unten „durchgereicht“ wird: An der Spitze der „Vertrauenskette“ steht mit dem UKAS eine zwar privatrechtlich organisierte, gleichzeitig jedoch stark hoheitlich durchdrungene Institution.894 Dass bzw. ob einer Zertifizierung durch einen der Anbieter vertraut werden kann – ergo: die Bestimmungen eines Standards eingehalten und auch durchgesetzt werden – hängt damit trotz der Schlüsselrolle der rein privaten Zertifizierer immer auch von deren letztlich hoheitlich vermittelter Glaubwürdigkeit ab. Naturgemäß ist es schwer nachzuweisen, ob eine einmal erlangte Zertifizierung (die Zertifikate werden zeitlich befristet erteilt) das entsprechende Vertrauen auch verdient, ob sie also als hinreichendes Kriterium für die Einhaltung der Bestimmungen von ISO 28007 angesehen werden kann oder nicht. Aussagekräftiger dürften insoweit die (allerdings erst in einigen Jahren anstehenden) Recertification Audits sein. Zumindest auf Grundlage der öffentlich zugänglichen Informationen sind bis dato keine Fälle von fehlerhaft ausgestellten Zertifikaten bekannt geworden. Auch hinsichtlich der absoluten Zahlen ausgestellter ISO-Zertifikate gibt es allenfalls Schätzwerte; RTI Forensics gehen davon aus, dass bis 891

SAMI-Rundschreiben Februar 2014, Dokument liegt dem Verfasser vor. Bereits die Namensherkunft des Akkreditierungswesens (lat. accredere, Glauben schenken) deutet dessen Funktion als Vertrauensbildungsinstrument (der Märkte) an. Die von den Zertifizierern ausgestellten Zertifikate funktionieren letztlich nach dem Prinzip Qualitätssicherung durch Vertrauensbildung. Hierzu Bieback, Zertifizierung und Akkreditierung, 2008, S. 196 ff. 893 Ein anschauliches Bild von der Praxis vermittelt der von LRQA bereitgestellte Leitfaden zur Zertifizierung nach ISO 28007 Your guide to implementing ISO/PAS 28007, online verfügbar unter: http://www.lrqa.or.jp/Images/28910-isopas-28007.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 894 Vgl. o. III. 2. e). 892

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April 2015 knapp 50 Sicherheitsunternehmen eine erfolgreiche Zertifizierung nach ISO 28007 erlangt haben.895 Diese Zahl birgt einige Ambivalenz: Einerseits wird der Standard grundsätzlich zwar angenommen, andererseits repräsentiert die Zahl der ISO-zertifizierten Unternehmen bei Weitem noch nicht einmal die Hälfte des Marktes – eine Tatsache, die kritische Stimmen mithin sogar zu dem Urteil veranlasst hat, ISO 28007 sei schlichtweg gescheitert896: Nach wie vor beauftragen zahlreiche Reeder aus Kostengründen auch nicht ISO-zertifizierte Unternehmen; erst dann aber, wenn die Zertifizierung unter einem Standard flächendeckend und lückenlos zum Marktzugangskriterium geworden sei, könne von dessen Durchsetzung auch im rechtstechnischen Sinne gesprochen werden. Zwar mag es angesichts dessen, dass nicht nur die gesamte maritime Sicherheitsindustrie, sondern auch ISO 28007 noch vergleichsweise jung sind, verfrüht erscheinen, den Standard für gescheitert zu erklären – dennoch vermögen die Bedenken gerade auf der rechtstechnischen Ebene zu greifen: Erst wenn die Regelung für sich betrachtet schon im Einzelfall durchgesetzt wird, kann sie auch den vollständigen Status einer Rechtsregel beanspruchen. Weiterhin muss auch für den Sektor der maritimen Sicherheitsdienste der generelle Hinweis angebracht werden, dass das Zertifizierungswesen ein großes – und lukratives – Geschäftsfeld ist, was zwar nicht die Qualität eines Standards per se infrage stellt, gleichwohl aber bedacht werden muss. Nicht nur die Zertifizierer selbst haben ein persönliches Interesse an den von ihnen betrauten zeitund somit kostenintensiven Auditings. Bereits im Vorfeld eines Zertifizierungsverfahrens bieten diverse Consultingunternehmen Beratungsdienstleistungen an, die für diese ein einträgliches Geschäft darstellen. Wie in jedem anderen Feld der sog. 3rd Party Certification auch, käme eine allzu restriktive Ausstellung der Zertifikate letztlich einem Absägen des eigenen wirtschaftlichen Astes gleich. Wenngleich also mit dem finanziellen Eigeninteresse des Zertifizierungswesens an einer erfolgreichen Zertifizierung ein zumindest potentieller Interessenkonflikt besteht, so sind aus der Praxis der Zertifizierung maritimer Sicherheitsdienste dennoch (zumindest bislang) keine einschlägigen Missbrauchsfälle bekannt. (b) Sonstige Mechanismen: Empfehlungen, Verweise und Marktrationalität Zur Durchsetzung von ISO 28007 tragen neben dem Zertifizierungswesen auch noch andere, institutionell allerdings nicht verfestigte Faktoren bei. Hierunter fallen in erster Linie die Äußerungen einzelner sowohl hoheitlicher als auch privater Akteure oder die Querverweise anderer Regelungen in Bezug auf den ISO-Standard und dessen dadurch betriebene Verbreitung. Insgesamt illustrieren 895 http://www.rtiforensics.com/blog/iso-28007-converts-full-international-standard/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 896 So ausdrücklich Bennett, Maritime Security at a Crossroads, The Maritime Executive vom 26.04.2015.

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diese Verweise den hohen Grad der Vernetzung sowohl der beteiligten Akteure als auch der Regelungsstrukturen selbst. Noch bis Anfang 2016 haben weder die IMO noch irgendein Flaggen- oder Küstenstaat die Zertifizierung nach ISO 28007 verbindlich vorgeschrieben.897 Mit Wirkung zum 01.01.2016 haben jedoch die Marshall-Inseln als erster Registerstaat den Reedern die verbindliche Zertifizierung nach ISO 28007 vorgeschrieben,898 was nicht zuletzt in Anbetracht der Größe des Registers als Erfolg für den ISO-Standard bewertet werden kann. Wie zuvor bereits erwähnt, wurde ISO 28007 von der ICoCA als potentiell tauglicher Standard zur Erfüllung des ICoC identifiziert899 – vor dem Hintergrund der nur schwach ausgeprägten menschenrechtlichen Dimension von ISO 28007 und einem demgegenüber hohen Schutzanspruch des ICoC erscheint allerdings fraglich, wie eine Zertifizierung nach ISO 28007 diesem vollumfänglich gerecht werden soll. Neben der ICoCA ist es insbesondere die IMO, die eine aktive Verbreitung des ISO-Standards betreibt. In ihren jüngsten einschlägigen Empfehlungen an die Flaggenstaaten schlägt die IMO etwa vor, die Zertifizierung nach ISO 28007 verbindlich in der Gesetzgebung der Flaggenstaaten zu verankern;900 ähnlich lautende Empfehlungen hatte die IMO schon vor der Fertigstellung des provisorischen PAS-Standards auch an die Reeder ausgesprochen.901 Auch die britische Regierung empfiehlt ihren Reedern seit 2013 bei der Auswahl von PMSC, auf eine ISO-Zertifizierung zu achten,902 und selbst Vertreter der EU äußerten am Rande einer von SAMI ausgerichteten Konferenz die Überlegung, dass die Einbindung von ISO 28007 ggf. Gegenstand einer diesbezüglichen EU-Regelung werden könnte.903 Daneben erfährt der ISO-Standard auch vonseiten der Industrie breite Unterstützung; hierbei sind vor allem die Aktivitäten von BIMCO904 und SAMI zu 897 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (81). 898 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 10.1. 899 Vgl. o. a) aa) (3) (a). 900 Zuletzt in IMO MSC.1/Circ.1406/Rev.3, Ann. 5.2.2., 12.06.2015: „[F]lag states are encouraged to take into account the following reccomendations: [. . .] ensuring that PMSC employing PCASP on board ships hold valid accredited certification to ISO 28007-1:2015.“ 901 IMO MSC.1/Circ.1405/Rev.2, Ann. S. 4, 25.05.2012. 902 De Nevers, State Interests and the Problem of Piracy: Comparing U.S. and UK Approaches to Maritime PMSCs, in: Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 153 (162). 903 So Robert Missen von der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der EU-Kommission während einer Konferenz von SAMI im Februar 2014; der Konferenzbericht liegt dem Verfasser vor. 904 BIMCO bietet Sicherheitsunternehmen die Möglichkeit einer assoziierten Mitgliedschaft nur unter der Voraussetzung an, dass diese unter ISO 28007 zertifiziert sind,

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erwähnen, die eine aktive Verbreitung des Standards betreiben bzw. betrieben haben. Und schließlich sind es nicht zuletzt die Reeder selbst, über deren Entscheidung zur Einstellung ISO-zertifizierter Unternehmen der Standard ein Gewicht im Markt und damit größere Verbreitung erfährt. Wenn auch längst noch nicht für alle, so ist doch zumindest für einen wachsenden Teil der Reeder der Nachweis einer entsprechenden Zertifizierung mittlerweile die Voraussetzung für die Auftragserteilung.905 Damit bestehen – losgelöst von der Frage absoluter rechtlicher Zwangsbewehrtheit – zunehmend auch ökonomische Anreize zur Einhaltung der Vorgaben des ISO-Standards (zumindest insoweit, als dies durch die Zertifizierer faktisch überprüfbar ist). bb) ANSI/ASIS PSC.1-2012 und PSC.4-2013 Neben der ISO hat auch das American National Standards Institute (ANSI) in Zusammenarbeit mit dem Zertifizierungs- und Sicherheitsunternehmen ASIS einen eigenen Standard für die maritime Sicherheitsindustrie publiziert. (1) Entstehung und Inhalt Anders als die ISO ist das ANSI nicht von der IMO mit der Entwicklung eines Standards betraut worden. Die Erarbeitung der PSC-Serie (Management System for Quality of Private Security Companies) befindet sich vielmehr in einem Entwicklungszusammenhang mit dem ICoC und ist ausdrücklich zu dessen Umsetzung konzipiert worden.906 Im Gegensatz zum ICoC beschränken sich die in der PSC-Serie entwickelten Anforderungen dabei aber nicht auf ethisch-moralische und menschenrechtliche Grundsatzbestimmungen, sondern bilden (wie auch ISO 28007) ein umfassendes Management-Instrument, das diese Grundsätze auf der Ebene der Unternehmensstruktur, des Managements sowie im operativen Bereich umzusetzen sucht. Der bereits 2012 publizierte Standard PSC.1 enthält zunächst Bestimmungen für alle (also in erste Linie landbasierte) Sicherheitsunternehmen, nicht jedoch speziell für die im maritimen Sektor tätigen Unternehmen. Erst mit dem 2013 erarbeiteten Zusatz PSC.4 wurden die besonderen Erfordernisse von Einsätzen im maritimen Bereich berücksichtigt; das Zusammenspiel der aufeinander aufbauenden Standards PSC.1 und PSC.4 und deren gemeinsame ImpleBIMCO-Bulletin 4/2013, online verfügbar unter: https://www.bimco.org/en/Products/ BIMCO_Bulletins/BIMCO_Bulletins_Digital_Issues/2013_04/~/media/Products/BIM CO_Bulletins/Web/2013_04/pdf44.ashx, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 905 In dessen Einleitung verweist PSC.1 ausdrücklich auf das Ziel, über die Umsetzung des Standards die Durchsetzung der im ICoC aufgestellten Prinzipien zu ermöglichen. Vgl. auch Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (80). 906 Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (78).

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mentierung ergibt somit auch erst den einheitlichen ANSI/ASIS-Standard für maritime Sicherheitsdienstleister.907 Anders als bei den in personeller Hinsicht anonymen Technical Committees der ISO lässt sich aus der rund 200 Namen umfassenden Bearbeiterliste im Vorwort des PSC.1-Standards bereits ein gutes Bild ableiten, wer an dessen Ausarbeitung beteiligt war: Neben Industrievertretern (u. a. Peter Cook, dem damaligen Vorsitzenden von SAMI) oder Militärvertretern finden sich hierunter auch die Namen von zahlreichen (Rechts-)Wissenschaftlern und NGO-Vertretern908, was – neben dem Ziel, den ICoC zu operationalisieren – ebenfalls die umfangreiche Einbindung des Menschenrechtsschutzes in die PSCStandards erklärt. Die Bestimmungen der PSC-Serie aus den Bereichen Unternehmensstruktur, Management, der operativen Einsätze und der Leistungsevaluation ähneln denen in ISO 28007 sowohl im Hinblick auf das inhaltliche Spektrum als auch deren Reichweite; auf eine tiefergehende Darstellung dieser Vorschriften kann von daher verzichtet werden. Anders allerdings als beim ISO-Standard sind die Bestimmungen der PSC-Serie in einen wesentlich stärker ausgeprägten Rahmen des Menschenrechtsschutzes eingebunden – in allen Bereichen, die in Berührung mit menschenrechtlichen Bestimmungen geraten könnten, wird deren Einhaltung als Prämisse in den Text des Standards aufgenommen. Bereits die Einleitung betont unter Ziff. 0.2 die diesbezügliche Verantwortung der Sicherheitsdienstleister: „[A]ll segments of society [. . .] have a shared responsibility to act in a way that respects and does not negatively impact upon human rights and fundamental freedoms. Clients and PSCs have a shared responsibility to establish policies and controls to assure conformance with the principles of the Montreux Document and ICoC.“ 909 Neben zahlreichen weiteren Referenzen zum ICoC finden sich insbesondere in den operativen Bestimmungen Vorschriften, die die Einhaltung eines hohen menschenrechtlichen Schutzniveaus insgesamt sicherstellen sollen.910 (2) Implementierung Wie auch für den ISO-Standard lassen sich bei der Implementierung der PSCStandards die Zertifizierung einerseits und die Implementierung durch sonstige (externe) Mechanismen andererseits unterscheiden, wobei insbesondere hinsichtlich der Zertifizierung keinerlei grundlegende Abweichungen zum ISO-System bestehen. Insofern kann im Grundsatz auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden. Neben dem UKAS ist für die PSC-Standards auch das USamerikanische Pendant (das National Accreditation Board, ANAB) befugt, Zerti907

Ebenda, S. 80. Darunter z. B. Vertreter von Human Rights First, Amnesty International USA und dem Geneva Center for the Democratic Control of Armed Forces. 909 ANSI/ASIS PSC.1-2012 Ziff. 0.2. Vgl. zum Montreux Dokument o. a) aa) (2). 910 ANSI/ASIS PSC.1-2012 Ziff 9.1.1, 9.5.1., 9.5.5, 9.5.7. 908

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fizierungsunternehmen zu akkreditieren. Nachdem dort die Pilotverfahren zur Zertifizierung unter den PSC-Standards in 2013 angelaufen waren, ließen sich auch die ersten Unternehmen zertifizieren, wobei bis dato nicht ersichtlich ist, wie viele der im maritimen Bereich tätigen Sicherheitsdienstleister bereits nach PSC.1/PSC.4 zertifiziert sind oder beabsichtigen, dies zu tun. Anders als die ISO verfügt das ANSI über keine direkte Repräsentanz in der IMO; ebenso wenig besteht eine vergleichbar enge Anbindung an BIMCO oder andere Schifffahrtsverbände: Damit müssen die Verbreitung wie auch der Bekanntheitsgrad der PSC-Standards gegenüber ISO 28007 für den maritimen Bereich insgesamt als geringer eingeschätzt werden. Zieht man weiterhin in Betracht, dass jedes Zertifizierungsverfahren mit erheblichen Kosten verbunden ist (Vorbereitungsarbeiten, Beratung, Training, Consulting, Zertifizierung, etc.), erscheint es fraglich, ob es dem nichtsdestoweniger begrüßenswert umfangreichen PSC-Standard überhaupt gelingen kann, sich neben dem „Marktführer“ ISO 28007 zu etablieren.911 Kaum zu überraschen vermag hingegen die Tatsache, dass die ICoCA die Zertifizierung nach den PSC-Standards als taugliches Überprüfungskriterium zur Einhaltung der Grundsätze des ICoC identifiziert hat.912 Und schließlich genießen auch die PSC-Standards einige regierungsseitige Unterstützung: Die US-Regierung hat die Zertifizierung nach PSC.1 für Sicherheitsdienstleister, die USEinrichtungen im Ausland beschützen, verbindlich vorgeschrieben,913 und aus einer Mitteilung des britischen Außenministeriums geht hervor, dass auch für britische Sicherheitsunternehmen die Erfüllung zumindest von PSC.1 in absehbarer Zeit verbindlich vorgeschrieben werden soll.914 cc) 100 Series RUF TM Neben den Standards von ISO und ANSI, denen der Anspruch zugrunde liegt, eine umfassende Regulierung der Unternehmen insgesamt zu erreichen, existiert 911 Ob oder inwieweit eine Zertifizierung nach ISO 28007 einer Zertifizierung nach ANSI/ASIS PSC.1 und PSC.4 gleichgestellt wird und ob vonseiten der Zertifizierungsstellen etwa auch eine wechselseitige Anerkennung der Standards erfolgt, ist derzeit nicht absehbar. 912 http://icoca.ch/en/certification, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 913 Mitteilung des Department of State vom 17.04.2015, online verfügbar unter: https://www.fbo.gov/index?s=opportunity&mode=form&id=b14bd7fb2a431b0aabd61ef 05d15f8b4&tab=core&_cview=1, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 914 Mitteilung des Foreign & Commonwealth Office vom 17.12.2012, online verfügbar unter: https://www.gov.uk/government/speeches/private-security-companies, zuletzt abgerufen am 02.08.2016; hierzu auch Pietropaoli, The use of human rights indicators to monitor private security companies operations, Blogbeitrag auf Business and Rights, LSE, online verfügbar, http://blogs.lse.ac.uk/businesshumanrights/2014/09/29/irenepietropaoli-human-rights-indicators-private-security-companies/, zuletzt abgerufen am 02.08.2016.

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ein weiterer, allerdings weitaus speziellerer Standard: Die 100 Series Rules for the Use of ForceTM (im Folgenden auch: RUF). Anders als ISO 28007 und PSC.1/PSC.4 wurden die RUF nicht von großen Standardisierungsinstituten, sondern maßgeblich von einer Einzelperson, David Hammond, einem Rechtsanwalt mit langjähriger Erfahrung im internationalen Seehandels- und Seevölkerrecht verantwortet bzw. erarbeitet. Dessen (kostenlos verfügbare) RUF stellen den Versuch dar, über eine Exegese sowohl völkerrechtlicher als auch verschiedener nationaler (Straf-)Rechtsvorschriften einen möglichst universell gültigen Leitfaden für die Frage zu erstellen, wann und unter welchen Umständen der Einsatz von Waffen im Falle einer Selbstverteidigungssituation auf See rechtmäßig ist. Die engen normativen Grenzen eines solchen Leitfadens werden ausdrücklich benannt und diesem vorangestellt: „The right of individual self-defence as recognised and provided for under applicable flag State, national and international law, is not affected or negated by the use of the Rules in any way [. . .].“ 915 Da die RUF mittlerweile allerdings von zahlreichen Unternehmensverbänden, internationalen Organisationen (darunter die IMO und das United Nations Interregional Crime and Justice Research Center, UNICRI), sowie Versicherern, Kanzleien und Sicherheitsunternehmen ausdrücklich empfohlen, zitiert oder angewandt werden,916 verdienen sie gleichwohl Beachtung als eine eigene Regelungsstruktur im Bereich der maritimen Sicherheitsdienstleister; nicht zuletzt bieten sie auch ein anschauliches Beispiel für die selbständige Rolle, die bereits einzelne Experten bei der Entstehung von externen Standards – „Expertenrecht“ – einnehmen können. (1) Entstehung und Inhalt Die 100 Series RUF TM entstanden während einer Zeit von rund 20 Monaten und wurden in ihrer derzeitigen Fassung im Mai 2013 veröffentlicht. An ihrer von David Hammond betreuten Ausarbeitung waren u. a. auch Experten von BIMCO und SAMI beteiligt;917 ausdrücklich wurden dabei die bereits bestehenden Regelungen zu PMSC wie die Leitlinien der IMO und der kurz zuvor veröffentlichte ISO-Standard berücksichtigt.918 Weiterhin wurden, so legen es zumindest die in der Bibliographie aufgeführten Hinweise nahe, das SRÜ, die Convention for the Suppression of Unlawful Acts Against the Safety of Maritime

100 Series RUF TM, Fundamental Principles Ziff. 10. Ein Überblick über die „Supporting Entities“ findet sich unter http://www.9bed fordrow.co.uk/87/records/58/100%20Series%20Rules.pdf/, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 917 Lloyds List vom 07.05.2013, online verfügbar unter: http://www.lloydslist.com/ ll/sector/regulation/article422267.ece, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 918 100 Series RUF TM, Scope, Ziff. 5. 915 916

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Navigation (SUA-Konvention), das Rom-Statut, die EMRK sowie auch die EUHafensicherheitsrichtlinie berücksichtigt. Daneben korrespondiert das Vorhandensein der RUF mit dem durch den GURDCON-Vertrag aufgestellten grundsätzlichen Erfordernis einer vertraglichen Implementierung von klaren Regeln, anhand derer die Sicherheitsdienste im Falle eines mutmaßlichen Angriffes von der Waffe Gebrauch machen. Inhaltlich beschränken sich die RUF im Wesentlichen auch auf diesen einen Aspekt – den Einsatz von Waffengewalt gegen mutmaßliche Piraten –, der anhand von vier knapp gehaltenen, abgestuften Regeln dargelegt wird. Diesen Regeln für den Selbstverteidigungsfall sind lediglich noch die Fundamental Principles vorangestellt, die u. a. klarstellen, dass unter keinen Umständen die Befugnisse des Kapitäns nach SOLAS berührt werden dürfen,919 mehr Gewalt angewendet werden soll, als erforderlich ist, um eine potentielle Bedrohung abzuwenden,920 und dass potentiell tödliche Gewalt nur und ausschließlich dann angewendet werden darf, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass eine Gefahr für das Leben eines Team- oder Besatzungsmitglieds besteht.921 Die eigentlichen Regeln sind von 100 bis 103 durchnummeriert und konstituieren einen Leitfaden abgestufter Verteidigungshandlungen (graduated response), die eine rechtmäßige Ausübung der Notwehrrechte im maritimen Umfeld ermöglichen sollen. Damit haben sie nicht zuletzt zum Ziel (freilich ohne dies verbindlich gewährleisten zu können), die Beteiligten vor strafrechtlichen Konsequenzen oder anderweitigen Haftungsrisiken zu schützen. Wie es bereits der GUARDCON-Vertrag vorsieht, steht am Anfang jedweder Verteidigungshandlung eine Mitteilung des Teamleaders an den Kapitän (bzw. im Falle von dessen Abwesenheit an den wachhabenden Offizier), dass er beabsichtigt, die RUF in Kraft zu setzen. Vor dem Hintergrund von dessen Letztentscheidungsbefugnis bleibt deren weitere Anwendung somit immer in der Verantwortung des Kapitäns (Regel 100). Regel 101 bestimmt, dass wenn vernünftigerweise Grund zu der Annahme besteht, dass sich Angreifer nähern, zunächst nicht-kinetische Warnungen abgegeben werden sollen. Als solche nicht-kinetischen Warnungen werden in den diesbezüglichen Erläuterungen beispielsweise Wasserwerfer, akustische Waffen oder Rauch- und Blendgranaten aufgeführt. Der Einsatz dieser Mittel dient zunächst also der Abschreckung und soll etwaigen Angreifern nicht zuletzt auch die Möglichkeit geben, den Angriff abzubrechen. Erst wenn eine solche show of force den (mutmaßlichen) Angriff nicht unterbinden kann, bestimmt Regel 102, dass nunmehr Warnschüsse ins Wasser abgegeben werden dürfen. Die letzte Stufe der RUF, Regel 103, stellt also die ultima 919 920 921

100 Series RUF TM, Fundamental Principles, Ziff. 12. 100 Series RUF TM, Fundamental Principles, Ziff. 17. 100 Series RUF TM, Fundamental Principles, Ziff. 17.3.

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ratio dar: Erst im Falle eines begonnenen oder zweifelsfrei unmittelbar bevorstehenden Angriffs auf das Schiff und dessen Besatzung darf der Einsatz von Waffengewalt gegen die Angreifer selbst erfolgen, wobei potentiell tödliche Gewalt stets das allerletzte Mittel sein muss. Durch ihre Verbreitung in Form von Einsatzkarten sowie ihre verständlichen und – mit Blick auf das anwendbare Maß an Gewalt – restriktiven Bestimmungen ähneln die RUF insgesamt den von Militärs verwendeten „Taschenkarten“, anhand derer die vom jeweiligen Mandat abgedeckten Möglichkeiten der Gewaltanwendung den einzelnen Soldaten in Form von sog. Rules of Engagement (RoE) erläutert werden. (2) Implementierung Anders als die Standards von ISO und ANSI verfügen die 100 Series RUF TM über kein eigenes Zertifizierungswesen, was eingedenk des wenig umfangreichen und hochspeziellen Regelungsgegenstandes, der noch dazu in den sensiblen Bereich nationaler Strafrechtsvorschriften fällt, auch unzweckmäßig wäre. Die Implementierung (bzw. eigentlich nur: die Verbreitung) der RUF erfolgt damit weitgehend auf einer informellen Ebene. Schon ISO 28007 empfiehlt die Verwendung von Rules for the Use of Force922 und der branchenweit verwendete GUARDCON-Vertrag sieht die Einbeziehung solcher Regeln ausdrücklich vor.923 Da zahlreiche Schifffahrtsverbände, so wie BIMCO, die 100 Series RUF TM empfehlen und sich darüber hinaus zahlreiche Sicherheitsdienstleister zu deren Anwendung bekennen, kann durchaus davon ausgegangen werden, dass die RUF regelmäßig als Vertragsbestandteil mit in den Vertrag zwischen Reeder und Sicherheitsdienst aufgenommen werden.924 Diese allem Anschein nach weitgehende Verbreitung auf der Ebene der vertraglichen Einbeziehung der RUF kann auch auf die breite Unterstützung zurückgeführt werden, die das Dokument immer wieder erhält: So sind die RUF etwa auf Ebene der IMO im MSC diskutiert925 oder von den Behörden der MarshallInseln ausdrücklich empfohlen worden.926 Daneben haben die Marshall-Inseln, BIMCO, die ISO und die International Chamber of Shipping in einer gemeinsamen Eingabe auf der 92. Sitzung des MSC die Anwendung der 100 Series 922

IMO MSC.1/Circ.1443, Ziff. 3.8, 25.05.2012. GUARDCON, Ann. B; vgl. hierzu auch o. a) bb). 924 Somit bieten die 100 Series RUF TM nicht zuletzt auch ein Beispiel für die schwierige kategoriale Abgrenzung externer Standards und interner Selbstregulierung. Externe Regeln, für die jedoch keinerlei externe Implementierungsmechanismen von Dritten bestehen, werden über interne Mechanismen – Vertragsgestaltung – umgesetzt. 925 IMO MSC 93/22, 30.05.2014. Abschlussbericht S. 58. 926 Marine Notice No. 201139 Rev. 1/16, Ziff. 8.1. 923

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RUF TM empfohlen;927 im TC 8 der ISO sind die RUF als Entwurfsdokument angenommen worden. Auch Anbieter von Lehrgängen, die eine Aus- und Weiterbildung für Sicherheitspersonal im maritimen Bereich anbieten, verweisen mittlerweile auf die 100 Series RUF TM als Ausbildungsreferenz.928 Wenngleich also keine letztverbindlichen Informationen darüber vorliegen, auf wie vielen Brücken tatsächlich die Einsatzkarten der 100 Series liegen, kann in Anbetracht des flächendeckenden Zuspruchs, den die Initiative erfährt, von einer großen Verbreitung derselben ausgegangen werden. dd) Zwischenergebnis zu den Standards Anders als unter den meisten flaggenstaatlichen Regelungen oder den Regelungen aus dem Bereich der Selbstregulierung finden sich unter den Standards gleich zwei umfassende Regulierungskonzepte für die maritimen Sicherheitsdienstleister. Mit der ISO hat sich dabei eine auf der Akteursebene gut vernetzte Einrichtung der Thematik angenommen, sodass – unabhängig von der konkreten Umsetzung oder Einhaltung von ISO 28007 im Einzelfall – ein Standard entwikkelt werden konnte, der mittlerweile zumindest niemandem in der Branche mehr unbekannt sein dürfte. Ob dies bereits als Erfolg für ISO 28007 beurteilt werden kann, bleibt allerdings fraglich und kann hier nicht letztverbindlich beantwortet werden. Fest steht nur, dass längst nicht alle Unternehmen zertifiziert sind oder dies beabsichtigen. Erst an der längerfristigen Entwicklung des Marktes wird sich ablesen lassen, ob eine Einhaltung der Bestimmungen von ISO 28007 zur strengen Voraussetzung wird; gleiches gilt für die Entwicklung der amerikanischen PSC-Standards. Selbst wenn sich die Zertifizierung unter einen der Standards über kurz oder lang als das vielbeschworene Marktzugangskriterium herausstellen sollte, verbleibt zu kritisieren, dass diese Zertifizierung immer auch ökonomischen – und nicht zwingend rechtlichen – Rationalitäten folgt. Im Zertifizierungswesen sind stets große Geldbeträge im Spiel; eine Durchsetzung der Standards entgegen der Logik, dass erst mit der Aussicht auf eine erfolgreiche Zertifizierung auch der Anreiz besteht, diese zu durchlaufen, ist letztlich nicht vorstellbar. Unabhängig von diesen auf der Rechtsdurchsetzungsebene angesiedelten Bedenken kann jedoch festgehalten werden, dass sich die mit Abstand detailliertesten und der Sache nach letztlich auch strengsten Regelungen zu den maritimen Sicherheitsdiensten vorwiegend im Bereich externer Standards finden lassen.

927

IMO MSC 92/INF. 14, 09.04.2015. So beispielsweise im Maritime Firearms Competency Course von Colossal Training, siehe http://colossaltraining.co.uk/wp-content/uploads/2015/06/Maritime-Fire arms.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 928

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c) Die Empfehlungen der IMO Nicht nur im transnationalen Recht, auch im klassischen Völkerrecht werden die Rechtsakte internationaler Organisationen als Bestandteil des Soft Law begriffen.929 Von daher überrascht es nicht, dass die zahlreichen Aktivitäten der IMO sowohl im Zusammenhang mit der Piraterie vor Somalia als auch mit den Sicherheitsdiensten bereits andernorts und umfassend diskutiert worden sind.930 Die Sitzungen des MSC waren eine der ersten Plattformen überhaupt, auf denen eine umfassende Erörterung des Themas der maritimen Sicherheitsdienste stattfand. Und wenngleich die IMO damit bei der Regulierung der PMSC keine unwesentliche Rolle gespielt hat, sollen die aus ihren Aktivitäten hervorgegangenen Regelungen dennoch nur kurz erwähnt werden; den primären Interessengegenstand dieses Kapitels stellen Standards und die Selbstregulierung dar; soweit hierbei auch die Empfehlungen der IMO von Relevanz waren, sind diese ohnehin bereits beleuchtet worden. Die in den Rundschreiben der IMO, den sog. Circulars, verbreiteten Empfehlungen wurden – auch wenn diese prinzipiell nicht völkerrechtlich verbindlich sind – von zahlreichen Flaggenstaaten rezipiert, verbreitet und z. T. auch zur Grundlage eigener Gesetzgebungsaktivitäten gemacht.931 Diese Empfehlungen beschränkten sich dabei nicht auf diejenigen an die Flaggenstaaten, daneben sind auch die Sicherheitsdienste selbst932, die Küsten- bzw. Hafenstaaten933 und die Reeder, Schiffseigner und Kapitäne934 Adressaten von IMO-Empfehlungen gewesen. Insgesamt sind die Empfehlungen der IMO zwar umfangreich, letztlich aber weniger detailliert als die Standards sowohl der ISO als auch des ANSI. In heiklen Punkten wie etwa der Teamgröße oder den Rules for the Use of Force machen die Empfehlungen der IMO ebenfalls keine verbindlichen Vorgaben.

929 Zumindest soweit diese nicht zur Sekundärgesetzgebung rechnen; vgl. hierzu o. B. III. 3. b) bb) (3). 930 Zur Rolle der IMO im Zusammenhang mit maritimen Sicherheitsdiensten Kraska, in: Guilfoyle (Hrsg.), Modern Piracy, 2013, S. 219 (226 ff.); Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (89 f.); Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (671 ff.); König/Salomon, in: Ehrhart/Petretto/Schneider/Blecker/Engerer/König (Hrsg.), Piraterie und maritimer Terrorismus als Herausforderungen für die Seehandelssicherheit Deutschlands, 2013, S. 165 (192 f.). 931 Vgl. hierzu bereits o. 2. b); vgl. ebenfalls Jessen, Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, RdTW 2013, S. 125 (130). Die Empfehlungen der IMO an die Flaggenstaaten sind zu finden in: IMO MSC.1 Circ. 1406/Rev.3, zuletzt geändert am 03.07.2015. 932 IMO MSC.1 Circ. 1443, 25.05.2012. 933 IMO MSC.1 Circ. 1408/Rev.1, 06.07.2012. 934 IMO MSC.1 Circ. 1405/Rev.2, 15.06.2012.

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Als der einzigen internationalen Organisation, die noch dazu die Flaggenstaaten von nahezu der gesamten Welthandelsflotte vertritt, kommt den Empfehlungen der IMO – selbst wenn diese formal nicht rechtsverbindlich sind – zweifelsohne einiges Gewicht zu. Neben der starken Rezeption der Empfehlungen auf der nationalstaatlichen Ebene wird dieses Gewicht im Weiteren auch durch die Haltung der Versicherer oder auch der P&I Clubs verstärkt: So empfiehlt etwa die International Group of P&I Clubs eindringlich die Einhaltung sämtlicher einschlägiger Empfehlungen der IMO im Zusammenhang mit dem Einsatz der Sicherheitsdienste935 – eine Empfehlung, die gerade für Schiffsbetreiber von enormem Gewicht ist. Und auch wenn dem an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden soll, so können grundsätzlich auch die nichtverbindlichen Rechtsakte der IMO – deren Rundschreiben, Guidelines und Empfehlungen – schließlich zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen.936 d) Zwischenergebnis zum Soft Law Im vorangegangenen Kapitel konnten einschlägige Regelungen auf sämtlichen Ebenen des Soft Law ausfindig gemacht und untersucht werden. Im Bereich der Selbstregulierung sind dies der auch institutionell zunehmend verfestigte ICoC, die Best Management Practices der Schifffahrtsindustrie sowie der Standardvertrag GUARDCON; im Bereich der Standards finden sich zwei umfassende Standards von der ISO und dem ANSI sowie die aus einer zivilen Initiative hervorgegangenen 100 Series RUF TM für die Regeln über den Einsatz von Waffengewalt. Im Schnittbereich des Soft Law „klassischer“ Lesart und dem hier zugrundeliegenden Konzept des Soft Law befinden sich die in den Circulars von der IMO an die Sicherheitsunternehmen, Schiffsbetreiber und Flaggen-, Küstenund Hafenstaaten unterbreiteten Empfehlungen. Ob und inwieweit sich diese Regelungen des Soft Law gemeinsam mit den zuvor besprochenen Regelungen des Hard Law zu einem einheitlichen Rahmen transnationaler Regelungsstrukturen fügen, kann nunmehr abschließend diskutiert werden. Zuvor soll noch – aufgrund der geringen Bedeutung, die dem Unionsrecht im Zusammenhang mit den maritimen Sicherheitsdiensten zukommt, allerdings lediglich exkursorisch – ein kurzer Ausblick auf die unionsrechtliche Perspektive unternommen werden.

935 Empfehlungen der International Group of P&I Clubs im Zusammenhang mit Piraterie, online verfügbar unter: http://www.igpandi.org/downloadables/piracy/Piracy_ FAQs_28 %20August %202013.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 936 Benzing, International Organizations or Institutions, Secondary Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 34.

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4. Exkurs: Unionsrechtliche Perspektive Im Rahmen ihrer Kompetenzen und nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung937 könnte grundsätzlich auch die EU tätig werden; bislang herrschte hier hinsichtlich der maritimen Sicherheitsdienste allerdings deutliche Zurückhaltung. Zwar sind die Sicherheitsdienste – auch im Zuge der 2014 vom Rat beschlossenen europäischen maritimen Sicherheitsstrategie (EMSS)938 – verschiedentlich Gegenstand einer auf Unionsebene geführten Diskussion gewesen; darüber hinausgehend sind jedoch keine verbindlichen Rechtsakte, die die maritimen Sicherheitsdienste zum Gegenstand haben, beschlossen worden. Da das Phänomen der Sicherheitsdienste innerhalb der Mitgliedstaaten von Beginn an stark umstritten war, wäre ein Tätigwerden der Union auch nur schwer vorstellbar gewesen. Hinzukommt, dass die (maritimen) Sicherheitsdienste bereits tatbestandlich vom einschlägigen Art. 2 II k) der EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgeschlossen sind.939 Die Zurückhaltung der EU in der Frage der maritimen Sicherheitsdienste ist insofern auch als „folgerichtig“ beurteilt worden.940 Nichtsdestoweniger ist eine Beteiligung der EU an der weiteren Regulierung der Sicherheitsdienste zumindest theoretisch vorstellbar. Mit Blick auf die hier untersuchten Effekte der Transnationalisierung nicht uninteressant ist, dass etwa vonseiten der Generaldirektion Mobilität und Verkehr auch die Möglichkeit geäußert wurde, ISO 28007 könne zur Basis einer EU-Regelung gemacht werden.941 Daneben haben in jüngerer Zeit die Kommission und die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik in einer gemeinsamen Erklärung an den Rat und das EU-Parlament eine bessere Zusammenarbeit auf Unionsebene angeregt: Bezüglich der maritimen Sicherheitsdienste solle versucht werden, auf einen gemeinsamen verbindlichen Standard hinzuarbeiten und diesen auch über die IMO international durchzusetzen.942 Ob es hierzu kommt, ist indes mehr als fraglich: Denn hinsichtlich der Frage, ob eine EU-weite einheitliche Regulierung der maritimen Sicherheitsdienste mittelfristig überhaupt möglich und zweckdienlich ist, scheinen die Zweifel zu über937

Vgl. Art. 5 II EUV. Strategiepapier des Rates für Allgemeine Angelegenheiten der EU vom 24.06. 2014, in welchem auch die Bedrohung der maritimen Interessen durch Piraterie und bewaffnete Raubüberfälle betont wird (V lit.c). 939 Vgl. hierzu König/Salomon, Private Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen – Rechtliche Implikationen, PiraT-Arbeitspapier 2 (2011), S. 24. 940 Jessen, Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, RdTW 2013, S. 125 (129). 941 So Robert Missen von der Generaldirektion Mobilität und Verkehr der EU-Kommission während einer Konferenz von SAMI im Februar 2014, der Konferenzbericht liegt dem Verfasser vor. 942 Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat, JOIN/2014/ 09/final. 938

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wiegen: Zum einen unterliegt der Bereich der Gefahrenabwehr und der Sicherheitsvorsorge nach wie vor der primären Zuständigkeit der Mitgliedstaaten; zum anderen wäre eine zusätzliche Regulierungsebene auch aus Sicht der maritimen Wirtschaft wenig hilfreich, da die international vereinheitlichenden Standards auf dem Feld der Sicherheitsdienste bereits über andere Akteure gesetzt werden.943 Eine Regelung der EU, die sich nicht an den bereits bestehenden Standards orientiert, dürfte jedenfalls erheblichen Widerständen ausgesetzt sein. 5. Transnationale Regelungsstrukturen Für den Bereich der maritimen Sicherheitsdienste konnten auf sämtlichen durch den Analyserahmen vorgegebenen Ebenen Regelungen identifiziert und einer Betrachtung unterzogen werden; alle aus der Perspektive des transnationalen Rechts relevanten Regelungsinstanzen konnten hierbei sichtbar gemacht werden. Über die bloße Sichtbarmachung transnationaler Regelungsstrukturen hinaus erhebt die Theorie transnationaler Rechtsprozesse auch den Anspruch, die Mechanismen des Zusammenspiels zwischen staatlichen und privaten Akteuren insgesamt beschreiben zu können. Daneben wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass die Grenzen zwischen Hard Law und Soft Law verwischen944 und das Soft Law zuweilen sogar in der Lage sei, andere Steuerungsmechanismen zu ersetzen.945 Damit ist auch die Frage aufgeworfen, welches Gewicht den einzelnen Regelungsstrukturen im Verhältnis zueinander zukommt. Dies soll im Folgenden einer abschließenden Beurteilung zugeführt werden. Bevor diese vorgenommen werden kann, sollen zunächst noch die Mechanismen des Zusammenspiels – hier mit Dependenz und Zirkularität bezeichnet – näher beschrieben werden. a) Dependenz Als ein bestimmendes Merkmal des Zusammenspiels der unterschiedlichen Regelungsebenen hat sich deren starke Dependenz herausgestellt. Wie die vielfachen Verweisungen der Regelungen aufeinander gezeigt haben, sind die einzelnen Ebenen aufs Engste miteinander verknüpft. Das im transnationalen Recht verbreitete Erklärungsmuster, dass sich staatliche Rechtsordnungen, Völkerrecht 943 Jessen, Der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsunternehmen auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge, RdTW 2013, S. 125 (130). 944 Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 55. Vgl. hierzu, ausdrücklich mit Blick auf die Regulierung von Sicherheitsunternehmen, das Briefing Paper: Private Security Standards von Human Analytics, online verfügbar unter: http://human-analytics.net/wp-content/uploads/2014/10/Standards-for-SecurityServices-Final.pdf, zuletzt abgerufen am 02.08.2016. 945 Peters, Die Zukunft der Völkerrechtswissenschaft: Wider den epistemischen Nationalismus, ZaöRV 2007, S. 721 (723).

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und die genuin transnationalen Regelungsstrukturen allmählich „[d]urch wechselseitige Beobachtung und Übernahme fremder Normen“ 946 aneinander anpassen, passt ohne Weiteres auch auf das untersuchte Referenzgebiet: Die (hoheitliche) IMO ist es, die die (private) ISO mit der Ausarbeitung eines Standards beauftragt, welcher sich seinerseits bereits an den Interimsrichtlinien der IMO orientiert. Nach Fertigstellung des Standards durch die ISO wird dieser u. a. über das Forum der IMO verbreitet und seine Umsetzung empfohlen. Anhand einer erfolgreichen Implementierung des ISO-Standards wiederum kann – wie im Falle des ICoC – die Einhaltung auch anderer Regelungsstrukturen festgestellt werden: Solange die zuständige ICoCA dem ISO-Standard (dessen Regelungen „beobachtend“ 947) bescheinigt, dass er den Anforderungen genügt, kann dessen Einhaltung auch die Einhaltung der Voraussetzungen des ICoC sicherstellen. Der PSCStandard hingegen macht sich die Grundprinzipien des ICoC zu Eigen, übersetzt diese in ein umfassendes und zertifizierbares Managementkonzept und kann dies durch ein professionelles 3rd Party Auditing überprüfen lassen. Diese Verweisungen sind freilich nicht auf Verweisungen innerhalb einer Regelungsebene beschränkt; sie lassen sich nicht nur vom Soft Law ins Hard Law finden, sondern auch umgekehrt vom Hard Law ins Soft Law: Die Behörden der Marshall-Inseln schreiben die Zertifizierung nach ISO 28007 vor und verweisen auf die 100 Series RUF TM als geeignetes Regelwerk zur Einhaltung der erforderlichen Gewaltanwendungsregeln. Darüber hinaus verweisen ausnahmslos sämtliche Flaggenstaaten auf die (dem Soft Law entstammenden und für sich genommen unverbindlichen) Richtlinien der IMO, welche ihrerseits, wie gezeigt, bereits auf private Standards verweisen. Andere Staaten wie in diesem Fall Großbritannien und die USA schreiben ihrerseits auf bestimmten Feldern die Zertifizierung der Sicherheitsunternehmen nach den PSC-Standards verbindlich vor. Dass die Flaggenstaaten ohne Ausnahme die Leitlinien der IMO rezipieren, spricht zweifelsohne für deren Autorität. Tatsächlich sickern auf diese Weise Regelungen des Soft Law ins Hard Law – ein (zumindest außerhalb der genuin transnationalen Regelungsstrukturen) weithin auch als Hardening of Soft Law bekannter Prozess.948 Kaum überrascht, dass auch umgekehrt alle hier untersuchten Soft-Law-Instrumente auf das anwendbare nationale Recht bzw. das Völkerrecht verweisen und weitreichende (Selbst-)Verpflichtungen beinhalten, dieses einzuhalten: Diese Strategie ist im untergesetzlichen Bereich der Standards und Codes of Conduct auch jenseits bewaffneter Sicherheitsdienste allgemein üblich und weit verbreitet.949 946

Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 301. Viellechner, Transnationalisierung des Rechts, 2013, S. 301. 948 Hierzu, Thürer, Soft Law, in: Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, Rn. 17. 949 Kocher, Corporate Social Responsibility und Transnationalisierung des Arbeitsrechts, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 479 (486). 947

IV. Regelungsstrukturen

207

Mithin lassen sich die transnationalen Regelungsstrukturen für den Bereich der maritimen Sicherheitsdienste treffend als ein Netzwerk von vielfach dependenten Vorschriften unterschiedlichster Regelungsebenen beschreiben.950 Als ein solches besitzt es, wie gezeigt, auch die den transnationalen Netzwerken zugeschriebene Kraft951, auf nationale und völkerrechtliche Vorschriften effektiv einzuwirken. b) Zirkularität Die transnationalen Regelungsstrukturen kennzeichnet somit nicht zuletzt auch ein gewisses Maß an Zirkularität: Wo staatliche Regeln auf Empfehlungen der IMO verweisen, die auf Standards verweisen, welche ihrerseits auf staatliches Recht verweisen, können die Mechanismen des Zusammenspiels der unterschiedlichen Regelungsstrukturen zutreffend als zirkulär beschrieben werden. Dieser Umstand, dass unterschiedlichste nicht-gesetzliche Bestimmungen sich bereits dadurch zu transnationalen Regelungsstrukturen verdichten, dass sie von unterschiedlichen Akteuren registriert werden, als Recht zitiert werden, sich auf diese Weise stetig ausbreiten und damit Folgen für die Verhaltensausrichtung der Betroffenen haben (sollen), ist ein mitunter veranschaulichend auch als „hinterlistig“ bezeichnetes Strukturmerkmal der Normengenese im transnationalen Raum.952 Die Soft-Law-Instrumente, die sich im Bereich der maritimen Sicherheitsdienste finden lassen, folgen diesem Schema. Dass insofern auch von einem „mutually reinforcement“ 953 die Rede ist, kann mit Blick auf die zahlreichen und oftmals an den Ausganspunkt zurückkehrenden Verknüpfungen ebenfalls als zutreffend betrachtet werden. Hier zeigt sich in Ansätzen also auch die im post-etatistisch verstandenen transnationalen Recht beobachtete Rechtsproduktion durch Selbstreferenz,954 wobei es für den Bereich der maritimen Sicherheits950 Diese Einschätzung teilt ausdrücklich Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (326): „Therefore, a body of rules on private security at sea is currently taking shape as a combination of hard and Soft Law, public and private law, and international and domestic law. This normative complex of global law fulfils the function of an idiosyncratic self-help of the shipping industry [. . .].“ 951 Vgl. Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 82 f. 952 Hanschmann, Theorie transnationaler Rechtsprozesse in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2009, S. 375 (386). 953 So sieht es Irene Pietropaoli mit Blick auf den ICoC und die Standards ISO 28007 und der PSC-Gruppe. Pietropaoli, The use of human rights indicators to monitor private security companies operations, Blogbeitrag auf Business and Rights, LSE, online verfügbar, http://blogs.lse.ac.uk/businesshumanrights/2014/09/29/irene-pietro paoli-human-rights-indicators-private-security-companies/, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 954 Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht: Private Ordnung und staatlicher Rahmen, in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? 2004, S. 160 (171).

208 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

dienste freilich an gewichtigen Institutionen dieser Art der Rechtsproduktion – insbesondere etwa den Schiedsgerichten – fehlt. c) Beurteilung Kommt es damit aber innerhalb der transnationalen Regelungsstrukturen zu einer Vermengung der unterschiedlichen Regelungsebenen? Oder, falls nicht, lässt sich beurteilen, ob innerhalb dieser Strukturen tatsächlich die Regeln des Soft Law dominieren? Erstere Frage ist – auch wenn dies verschiedenerseits immer wieder suggeriert wird – letztlich klar zu verneinen. Gerade aufgrund des methodischen Konzepts des transnationalen Rechts, nach dem sowohl die Identifikation sämtlicher Akteure als auch eine saubere Abgrenzung der unterschiedlichen Regelungsstrukturen erfolgen, gelingt es, eine Vermengung der vielfach dependenten (und damit nur prima facie schwer zu differenzierenden) Regelungsebenen zu vermeiden. Vielmehr trifft es zu, dass die perspektivische Beschränkung auf lediglich eine Ebene ein Verständnis der rechtlichen Bedingungen für die Sicherheitsdienste ganz und gar unmöglich machen würde. Die Analyse der transnationalen Regelungsstrukturen hilft, eine Vermengung der jeweiligen Ebenen zu vermeiden. Wollte man hingegen einer bestimmten Ebene eine dominierende Rolle zusprechen, so können diesbezügliche Aussagen wohl kaum mehr als eine subjektive Einschätzung abbilden: Die Frage nach dem Ob des Einsatzes der Sicherheitsdienstleister ist nahezu ausnahmslos auf der nationalstaatlichen Ebene entschieden worden.955 Dass auch diese Entscheidungen letztlich durch nicht-hoheitliche Faktoren in Form von wirtschaftlichem Druck, Medienberichterstattung, öffentlichen Kampagnen der Reeder etc. mitbestimmt sind, versteht sich von selbst, berührt allerdings nicht die Frage, auf welcher rechtlichen Ebene über das Ob entschieden wurde. Es ist die Gesetzeslage in den Staaten – ganz egal, ob diese wie in der Bundesrepublik durch umfangreiche Gesetzesnovellen oder wie in anderen Flaggenstaaten lediglich durch einfache Ankündigungen oder Informationsschreiben der Verwaltungen bestimmt wird – die darüber entschieden hat, ob bewaffnetes Personal an Bord eines Schiffes eingesetzt werden darf oder nicht. Stünde man nun auf dem Standpunkt, „nur das Ob zählt“, ließe sich in der Tat ohne weiteres vertreten, dass staatliches Recht nicht nur dominiert, sondern alles Übrige schlicht irrelevant ist. Anders sieht es aber aus, wenn für die Frage nach der Beurteilung einer Dominanz bestimmter Regelungsebenen andere Kategorien herangezogen werden: Die umfassendsten und präzisesten Regelungen entstammen bis dato den privaten Standardisierungsinstituten; private Akteure wie die ICoCA sind es, die die Integration auch anderer Rechtsfelder, wie humanitär- und menschenrechtliche Stan955

Vgl. o. 2. b) aa).

IV. Regelungsstrukturen

209

dards, vorantreiben und ermöglichen. Schon aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit, also aufgrund ökonomischer Anreize, kommt kein Sicherheitsunternehmen um eine Auseinandersetzung sowohl mit den Bestimmungen des Hard Law als auch mit den Bestimmungen des Soft Law herum. Die praktische Bedeutung sämtlicher Regeln in ihrem Zusammenspiel ist – unabhängig davon mit welchen Zwangs- und Durchsetzungsbefugnissen die einzelnen Normen ausgestattet sein mögen – nicht von der Hand zu weisen.956 Ohnehin kommt es aus Sicht eines Sicherheitsunternehmens, das eben nicht allein der rechtlichen Handlungslogik unterworfen ist, nicht darauf an, welche Form eine Regel im Einzelfall annimmt, sondern ob diese in einem sachlich relevanten Zusammenhang steht und ob deren Einhaltung durch das Umfeld verlangt wird.957 Dass oder ob die Einhaltung einer Regel verlangt wird, ist hingegen keine Frage der Zugehörigkeit einer Regelung zu einer bestimmten Ebene. Wie gezeigt, können es schlichte ökonomische Anreize sein, die ein Sicherheitsunternehmen zur Einhaltung etwa des ISO-Standards oder der PSC-Standards veranlassen. Sobald deren Einhaltung vom Markt verlangt wird, wird die Nichteinhaltung über die erheblichen wirtschaftlichen Einbußen, die den Unternehmen drohen, gleichfalls sanktioniert.958 Nichts anderes ergibt sich, nimmt man die Perspektive einer Reederei ein, die aufgrund einer Risikobewertung zu dem Entschluss gelangt, einen Sicherheitsdienstleister zu engagieren: Für die Reederei können bei der Auswahl des Unternehmens sämtliche bereitstehenden Regelungen von Interesse sein, ohne dass sie dabei bestimmten Regeln größere Relevanz als anderen zukommen lassen müsste.959 Damit sind die Regeln des Soft Law zwar insgesamt mit den schwächeren Durchsetzungsmechanismen ausgestattet, das Kriterium der Zwangsbewehrtheit ist dennoch nur bedingt geeignet, die Dominanz einer Regelungsform über eine andere zu beurteilen: Mangels effektiver Durchsetzung der staatlichen Vorschriften auf See können hoheitliche Regelungen letztlich ebenso wenig wie Regelungen des Soft Law beanspruchen, lückenlos befolgt zu werden. Das Kriterium der absoluten Zwangsbewehrtheit bleibt ein theoretisches. Wie in der Untersuchung festgestellt werden konnte, bestehen weitreichende Überschneidungen zwischen den einzelnen Regelungsebenen; größere praktische Probleme bereiten hingegen die zum Teil sehr unterschiedlich gefassten küstenstaatlichen Zollvorschriften im Zusammenhang mit sicherheitsrelevantem Equipment, auf die die Regelungen des Soft Law bislang ohne nennenswerten Einfluss 956 In diesem Sinne ebenfalls Skordas, in: Koutrakos/Skordas (Hrsg.), The Law and Practice of Piracy at Sea, 2014, S. 299 (327). „A rule-complex or ,global assemblage‘, composed of rules, norms, regulations and guidelines from various formal and informal sources, is taking shape as the global law of counter-piracy [. . .].“ 957 Vgl. Trute/Kühlers/Pilniok, in: Benz/Lütz/Schimank/Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance, 2007, S. 240 (246). 958 Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht, 2006, S. 211. 959 Van Hook, in: Berube/Cullen (Hrsg.), Maritime Private Security, S. 65 (66).

210 C. Referenzgebiet – Private bewaffnete Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen

geblieben sind.960 Dennoch ist festzuhalten, dass beide Regelungsebenen die Wirklichkeit der Regelungsadressaten entscheidend mitbestimmen; angesichts der zahlreichen und weitreichenden Bestimmungen des Soft Law muss diesen trotz der gewichtigen Entscheidungen, die auf der Ebene der hoheitlichen Regelungen fallen, eine insgesamt hohe Bedeutung zugesprochen werden.961 Ohne Gewinn bliebe es allerdings, einer bestimmten Ebene der transnationalen Regelungsstrukturen bei der Regulierung der Sicherheitsdienste eine höhere Relevanz als der anderen zuzusprechen.962 Die wesentlichen Merkmale der Transnationalisierung konnten somit für den untersuchten Bereich der maritimen Sicherheitsdienste nachgewiesen werden. Sowohl die Akteurs- als auch die Regelungsstrukturen weisen die Kennzeichen der durch die Theorie transnationaler Rechtsprozesse nahegelegten Entwicklungen auf. Im folgenden Schlussteil soll nunmehr noch eine Einordnung dieser Befunde in den übergeordneten rechtstheoretischen Kontext vorgenommen werden.

960 Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (675). 961 Ebenso Liss, (Re)Establishing Control? Flag State Regulation of Antipiracy PMSCs, Ocean Development and International Law 46 (2015), S. 84 (96); Siebels, International Standards for the Private Security Industry, RUSI Journal 159 (2014), S. 76 (81). 962 Zu einem anderen Ergebnis kommt Anna Petrig, die die diesbezüglichen Regelungen des Soft Law als „commendable but most likely insufficient“ beurteilt: „[I]t is imperative that States and international organizations assume the leading role in regulating the use of PMSCs on board merchant vessels.“ Petrig, The Use of Force and Firearms by Private Maritime Security Companies against Suspected Pirates, International and Comparative Law Quarterly 62 (2013), S. 667 (701).

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Im Folgenden sollen die im zweiten Teil (C.) der Arbeit gewonnenen empirischen Erkenntnisse abschließend zu den theoretischen Annahmen des ersten Teils der Arbeit in Bezug gesetzt werden. Primäres Ziel der Untersuchung ist es gewesen, die grundsätzlichen Aussagen der Theorie transnationaler Rechtsprozesse anhand der Untersuchung eines Referenzgebietes zu überprüfen: Konnte im Falle der Regulierung maritimer Sicherheitsdienste die Annahme bestätigt werden, dass die Rechtsschöpfungskräfte der globalen Zivilgesellschaft gegenüber der staatlichen Gesetzgebung mittlerweile dominieren? Daneben sollte aber auch die Zweckmäßigkeit der rechtsmethodisch geleiteten Analyse eines Referenzgebietes aus der Perspektive des transnationalen Rechts untersucht werden: Ist das Verständnis der Funktionsmechanismen transnationaler Regelungsstrukturen erforderlich für das Verständnis moderner Lebenssachverhalte auf globaler Ebene? Lassen sich die Regelungen über maritime Sicherheitsdienste also besser verstehen, wenn man sie aus der Perspektive der Theorie des transnationalen Rechts betrachtet? Letztgenannter Aspekt steht dabei in Abhängigkeit zum erstgenannten: Je eher von der Transnationalisierung des (Völker-)Rechts insgesamt auszugehen ist, desto eher ist die Methodik des transnationalen Rechts erforderlich, um einen Lebenssachverhalt richtig verstehen und einordnen zu können.

I. Transnationalisierung des Rechts Gestützt auf das theoretische Vorverständnis des globalen Rechtspluralismus und dessen „Verschärfung“ durch die systemtheoretisch abgestützte Vorstellung einer funktional differenzierten und fragmentierten globalen Gesellschaftsordnung ist im ersten Teil der Arbeit ein Begriff des transnationalen Rechts als eine hierauf reagierende rechtsmethodische Bewältigungsstrategie erarbeitet worden. Transnationales Recht stellt keine eigene, neuartige Kategorie von Rechtsnormen dar, sondern einen methodischen Analyserahmen zur angemessenen Beschreibung globaler Phänomene. Mit dem Begriff der transnationalen Regelungsstrukturen ist dabei ein fester Rahmen erarbeitet worden, mit dessen Hilfe einerseits die Untersuchung des Referenzgebietes anhand konkreter Vorgaben ermöglicht und andererseits vermieden werden konnte, jedweden sozialen oder ökonomi-

212

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

schen Zwang zum Untersuchungsgegenstand rechtswissenschaftlicher Arbeiten zu erheben.963 Die Untersuchung der maritimen Sicherheitsdienste aus diesem Blickwinkel konnte zunächst zeigen, dass auf den unterschiedlichen Ebenen der Regelungsstrukturen auch unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden. Wenngleich es sich bei den maritimen Sicherheitsdiensten um ein Phänomen von globaler Bedeutung und damit auch von völkerrechtlicher Relevanz handelt, lassen sich dem Völkerrecht selbst lediglich die am wenigsten konkreten Regelungsvorgaben entnehmen: Von der über SOLAS fest verankerten Letztentscheidungsbefugnis des Kapitäns abgesehen, gibt es auch fünf Jahre nach dem Aufkommen der Sicherheitsdienste noch keine konkreten völkerrechtlichen Regelungen. Dies kommt de facto einer Delegation entweder an die nationalen Rechtsordnungen oder aber die gesellschaftliche Selbstorganisation gleich. Wie die Untersuchung im Weiteren gezeigt hat, tendieren die nationalen Rechtsordnungen ihrerseits dazu, über eine grundsätzliche Erlaubnis hinaus kaum konkretisierende und verbindliche Aussagen über den Einsatz der Sicherheitsdienste zu treffen.964 Damit finden sich – von Ausnahmen wie der bundesdeutschen Regelung abgesehen – weite Teile der detaillierteren Vorgaben tatsächlich erst auf der Ebene des Soft Law i. S. d. transnationalen Rechts. Bevor man dies nun voreilig als eine „Prädominanz“ 965 privater Regulierung deutet, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass die entscheidenden Weichenstellungen für die generelle Erlaubnis der bewaffneten Sicherheitsdienste an Bord von Handelsschiffen gleichwohl vor allem auf der staatlichen Ebene vorgenommen worden sind. Über das Ob des Einsatzes der Sicherheitsdienste haben, jeweils für sich, die Staaten entschieden. Wo, wie beispielsweise auf niederländischen Schiffen, staatlicherseits keine privaten Sicherheitsdienste erlaubt sind, kommen auch keine zum Einsatz. Folglich spielen die Regelungen des Soft Law hier auch keine Rolle. Damit ist aber festzuhalten, dass dem Staat auch in dem globalen Netzwerk multipler Akteure, das das transnationale Recht beschreibt, zumindest eine Sonderrolle zukommt.966 Realistischer Weise hätte keiner der hier relevanten Privatakteure eine vergleichbare Entscheidung über eine generelle Erlaubnis oder ein generelles Verbot treffen können. Mit der vorliegenden Untersuchung bestätigt sich mithin die an anderer Stelle von Wolf getroffene Feststel963 Wenn zweifelsohne auch solche Zwänge zumindest potentiell verhaltenssteuernd wirken, sind sie dennoch kein Bestandteil rechtspluralistischer Untersuchungen; hierzu Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (271). 964 Die deutsche Regelung stellt, wie gezeigt, im internationalen Vergleich den Ausnahmefall dar. 965 Teubner, Globale Bukowina, RJ 1996, S. 255 (262 ff.); Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, 2006, S. 10 ff. 966 In diesem Sinne Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62, 2003, S. 268 (272 f.).

I. Transnationalisierung des Rechts

213

lung, dass die Staaten jederzeit über die Ermöglichungsbedingungen privaten Rechts bestimmen können.967 Somit ist Annahmen, die von einer vollständigen Entstaatlichung des Rechts oder einer irreversiblen Selbstentmachtung der Staaten ausgehen, mit den Ergebnissen dieser Untersuchung ausdrücklich zu widersprechen.968 Schon angesichts der Tatsache, dass Staaten de facto existieren, kann der Begriff von der Entstaatlichung ohnehin nur als Deutungschiffre für einen Prozess, nicht aber als dessen Vollendung verstanden werden. Das Anliegen solch pointierter Formulierungen dürfte vielmehr also sein, den Blick nicht auf den vollständigen Bedeutungsverlust, sondern auf einen im Gange befindlichen Bedeutungswandel staatlichen Wirkens zu lenken. Denn dafür, dass sich ein solcher Wandel vollzieht, bietet die Untersuchung letztlich ebenso deutliche Hinweise, wie sie zeigt, dass die Staaten an der Regelsetzung auf der globalen Ebene nach wie vor auf entscheidende Weise beteiligt sind. Ob nämlich der Staat die explizit auch unter den Bedingungen der Transnationalisierung des Rechts eingeforderte „Koordination des Ganzen“ 969 im Blick hat, kann vor dem Hintergrund der vorliegenden Untersuchung zumindest bezweifelt werden. Die Emergenz der zahlreichen Regelungen des Soft Law sowie deren feste Verankerung in der Praxis lassen sich durchaus als Hinweis darauf deuten, dass die Effektivität staatlicher Regulierung im transnationalen Raum an ihre Grenzen stößt und, wenn auch nicht vollständig ersetzt, so doch umfassend ergänzt wird durch ein in gesellschaftlicher Selbstorganisation erschaffenes privates Recht.970 Es konnte schließlich gezeigt werden, dass viele der im Bereich der maritimen Sicherheitsdienstleister relevanten Regeln privaten Ursprungs sind; der vielfach beschworene grundsätzliche Bedeutungszuwachs privater Regelungen bestätigt sich insofern also durchaus. Wenngleich keine Aufweichung der Abgrenzung (bzw. Abgrenzbarkeit) von privaten und hoheitlichen Regeln nachgewiesen werden konnte, wird durch die Tatsache, dass die Regulierung der Sicherheitsdienste sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich erfolgt, die Bedeutung dieser 967 Wolf zufolge befindet sich prinzipiell jedwede Form der Selbstregulierung im „Einwirkungsschatten“ hoheitlicher Autorität – Selbstregulierung sei immer zwingend auch regulierte Selbstregulierung; Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/ Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (193). Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass insbesondere auf der Ebene des Völkerrechts die der Selbstregulierung geöffneten Lücken gerade nicht freiwillig offen gelassen werden, sondern diese infolge der Konsensorientierung und der Langsamkeit des Völkerrechts entstehen. 968 Ebenso Viellechner, Was heißt Transnationalität im Recht?, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 58; Wolf, Private Akteure als Normsetzer, in: Bumke/ Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 187 (193). 969 v. Arnauld, Autonomie privaten Rechts und dessen Einbindung in die staatlichen Rechtsordnungen, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 247 (267 f.). 970 So auch Peters/Koechlin/Fenner-Zinkernagel, Non-state actors as standard setters, in: Peters/Koechlin/Förster/Fenner-Zinkernagel (Hrsg.), Non-State Actors as Standard Setters, 2009, S. 1 (3).

214

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

Abgrenzung zumindest ein Stück weit relativiert.971 Die technische Komplexität der Sachzusammenhänge, die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit oder mangelndes Interesse an einer eigenen Regelung haben die nationalen Gesetzgeber veranlasst, in erheblichem Umfang auf die externen und genuin transnationalen Regelungen zurückzugreifen. Diese sind Gegenstand zahlreicher rechtlicher Verweise und darüber hinaus fester Bestandteil der gelebten Praxis. Die Feststellung, dass es dem staatlichen Recht nicht gelingt, den Wissensvorsprung der Fachleute einzuholen,972 kann für den untersuchten Zusammenhang also insoweit bestätigt werden, als dass es die Staaten bislang weitgehend unterlassen haben, die privaten Regelungen ihrerseits zu substituieren. Von vornherein konnten die maritimen Sicherheitsdienstleister nicht als ein rein nationales Phänomen betrachtet werden, da sie auf einem vollständig internationalisierten Markt und völlig unabhängig von territorialen Grenzen zum Einsatz kommen. Damit wäre an sich das Völkerrecht die zuständige Regelungsebene gewesen. Dort sind jedoch bisher keine konkreten Regelungen getroffen worden. Die involvierten Akteure – sowohl die Schiffseigner als auch die Sicherheitsdienste selbst – waren ihrerseits nicht bereit, während der langen Zeit, die eine umfassende völkerrechtliche Lösung benötigt hätte, tatenlos zu bleiben; in diesem Zeitraum sind deshalb als erste komplexe Regelungsinstrumente diejenigen des Soft Law entstanden. Diese übertreffen in puncto Umfang und Detailliertheit nach wie vor praktisch sämtliche nationalen oder internationalen Regelungsansätze und stellen somit auch einen gewichtigen Beitrag zur rechtlichen Einhegung der maritimen Sicherheitsdienste dar. Selbst wenn davon ausgegangen werden kann, dass die Entstehung von Völkerrecht andernorts zukünftig kaum schneller vonstattengehen dürfte973 (und damit Raum und Zeit für die Entstehung transnationaler Regelungsstrukturen auch andernorts besteht), kann eine einzige Untersuchung natürlich keine allgemeingültige Aussage darüber treffen, ob der eingedenk solcher Entwicklungen prognostizierte vollständige Abschied des Völkerrechts vom klassischen zwischenstaatlichen Recht974 eintreten wird. Zumindest für die maritimen Sicherheitsdienstleister lässt sich aber festhalten,

971 So, in der deutschen verwaltungsrechtlichen Diskussion, auch Appel, Das Verwaltungsrecht zwischen klassischem dogmatischem Verständnis und steuerungswissenschaftlichem Anspruch, VVDStRL 67, 2008, S. 226 ff.; T. Möllers, Standards als sekundäre Rechtsquellen, in: Möllers (Hrsg.), Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 143 (145). 972 Diese Tendenz sieht Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (512 f.); vgl. hierzu auch o. B. III. 4. a) bb). 973 Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, S. 373, spricht insofern von einem „erbärmlichen Zustand“ des Völkerrechts und vermutet, dass die privaten Regelungen nicht nur einen insgesamt „unverzichtbaren Beitrag“ darstellen, sondern auch zukünftig von wachsender Bedeutung sein werden. 974 So ausdrücklich Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (166).

I. Transnationalisierung des Rechts

215

dass die Betrachtung der Sicherheitsdienste aus einem rein völkerrechtlichen Blickwinkel wenig ertragreich gewesen wäre und dass ein an sich dem Völkerrecht zugewiesenes Phänomen nicht primär von zwischenstaatlichen Lösungsinstrumenten beherrscht wird. Regelungen des Soft Law sind es, die den Alltag der Sicherheitsdienste in erheblichem Umfang mitbestimmen. Diese befinden sich in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis auch zu hoheitlichen Strukturen: Standardverträge wie der GUARDCON-Vertrag sind und bleiben auf das vertrauensbegründende (und damit letztendlich geltungsbegründende) Moment der dahinterstehenden staatlichen Rechtsordnung, unter der sie geschlossen werden, angewiesen.975 Ebenso ist das Vertrauen in die Zertifizierung, wie gezeigt, zu guter Letzt hoheitlich mitbegründet. Andersherum erweisen sich die hoheitlichen Regelungsstrukturen als derart lückenhaft, dass die Praxis ohne die Regelungen des Soft Law kaum auskommen könnte. Hard Law und Soft Law haben sich erst in wechselseitiger Abhängigkeit zu einem aussagekräftigen Regelungsnetzwerk verdichtet, im Zuge der Regulierung maritimer Sicherheitsdienste sind also transnationale Regelungsstrukturen entstanden. Die Merkmale der Dependenz und der Zirkularität konnten folglich als Charakteristika transnationaler Regelungsstrukturen identifiziert werden.976 Deren Entstehung ist keiner koordinierenden Instanz zu verdanken. Zwar kann in Bezug auf ihre einzelnen Elemente durchaus von Rechtssetzung gesprochen werden – einzelne Regelungsinstrumente entstammen für sich genommen dem planmäßigen Vorgehen einzelner Akteure. Da sich in den transnationalen Regelungsstrukturen insgesamt wie gezeigt jedoch ein unkoordiniertes und spontanes Zusammenspiel sämtlicher dieser Instrumente herausbildet, muss in Bezug auf deren Entstehung anstelle von Setzung zutreffenderweie von Emergenz gesprochen werden. Die Akteursstrukturen (nicht die jeweiligen Akteure) sind, ebenfalls den theoretischen Annahmen entsprechend, durch Hybridität gekennzeichnet. Dass dies so ist, liegt nicht zuletzt auch in der Natur der Sache begründet: Ein rein nationales Forum wäre einer umfassenden Interessenaushandlung im Bereich der durchweg grenzüberschreitend oder in internationalisierten Räumen wie der hohen See tätigen Sicherheitsdienste schlechterdings nicht gerecht geworden. Im Akteursnetzwerk des transnationalen Raumes, in dem diese Interessenaushandlung schließlich (inkrementell) stattgefunden hat, haben allerdings sowohl Staaten als auch Privatakteure mitgewirkt. Hierbei hat sich zwar kein fester oder dauerhafter institutioneller Rahmen gebildet, der rege Austausch der Akteure (und die infolgedessen eingetretene Verknüpfung der unterschiedlichen Regelungsebenen) hat aber die Feststellung zugelassen, dass es sich hierbei um hybride Akteursstrukturen i. S. d. Theorie transnationaler Rechtsprozesse handelt.

975 976

Vgl. hierzu auch o. B. III. 2. b). Vgl. o. IV. 5. a) u. b).

216

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

Staatliche und private Akteure sind bei der Erarbeitung der Regelungen in Austausch miteinander getreten, haben aufeinander verwiesen und die Regulierung der Sicherheitsdienste (in immer wieder auch durchaus kooperativer Weise) vorangetrieben. Somit kann für das untersuchte Referenzgebiet – und mithin für den untersuchten gesellschaftlichen Teilbereich – ebenfalls festgehalten werden, dass der Staat nicht oberhalb der Gesellschaft zu verorten, sondern als ein Teil der Gesellschaft zu begreifen gewesen ist.977 Damit erscheint nun auch die als ein Kennzeichen der globalen Fragmentierung ausgemachte funktionale Differenzierung (anstelle territorialer Differenzierung) tatsächlich als ein angemessenes Differenzierungsmuster: Wenn die territorial differenzierte Organisationseinheit Staat nicht länger den übergreifenden Rahmen darstellt, sondern sich lediglich inter alia in den sachlichen (funktional differenzierten) Rahmen einfügt, dann ist die Differenzierung in (völker-)rechtlichen Untersuchungen zu internationalen Phänomenen nach ausschließlich territorialen Gesichtspunkten nicht länger zweckdienlich. Eine Analyse der maritimen Sicherheitsdienstleister hätte aus einer rein nationalen Perspektive kaum zu einem vergleichbar guten Verständnis der Regulierung der Sicherheitsdienste insgesamt geführt, wie es deren funktionale Betrachtung ermöglicht hat. Weder hätten sich einzelne nationale Regelungen ohne die Betrachtung jeweils auch externer Referenzen vollständig verstehen lassen, noch hätte die Analyse lediglich einer einzelnen Rechtsordnung einen Mehrwert für das Gesamtbild besessen. Mit dem zuvor Gesagten ist gleichfalls jedoch festzuhalten, dass die territoriale Differenzierung keineswegs jedwede Bedeutung eingebüßt hat: Nicht zuletzt die in erheblichem Umfang variierenden küstenstaatlichen Regelungen machen nach wie vor auch den dezidierten Blick in die jeweiligen nationalen (territorial differenzierten) Rechtsordnungen erforderlich. Bei der funktional-sachbereichsspezifischen Betrachtung der Sicherheitsdienste zeigen sich jedoch Akteursstrukturen, die in Anbetracht der zahlreichen sowohl privaten als auch hoheitlichen Beteiligten als hybrid bezeichnet werden können. Das summa summarum bestehende Defizit hoheitlicher Einflussnahmemöglichkeiten im transnationalen Raum erweist sich insbesondere unter legitimatorischen Gesichtspunkten allerdings als äußerst problematisch: Anders als private Standards oder Selbstregulierungskonzepte, die prinzipiell jedwede (Partikular-) Interessen verfolgen oder außer Acht lassen können, lassen sich hoheitliche Regelungsakte (zumindest im Kontext demokratischer Rechtsstaaten) auf einen immer auch dem Gemeinwohl verpflichteten Entscheidungsträger zurückführen. Es 977 Auch dies ist eine im transnationalen Recht diskutierte (und behauptete) Konsequenz der Transnationalisierung. So etwa Zumbansen, Transnational Law, Evolving, Osgoode CLPE Research Paper 27 (2011), S. 2 (4 ff.). Michaels vertritt sogar, dass die Staaten demzufolge in einiger Hinsicht bereits mit Privatakteuren verglichen werden können. Michaels, Three Paradigms of Legal Unification: Nation, International, Transnational, American Society of International Law Proceedings 96 (2002), S. 333 (335).

II. Rechtsmethodischer Nutzen

217

ist diese fehlende Gemeinwohlverpflichtung der beteiligten Akteure im transnationalen Raum, die eine stärkere Beteiligung der Staaten nicht nur wünschenswert, sondern auch notwendig erscheinen lässt.978 Wie zuvor erörtert,979 können die zivilgesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten im transnationalen Raum zwar bis zu einem gewissen Grad die Legitimation der entstehenden Regeln begründen; die Partizipation einzelner kann aber noch nicht per se legitimationsbegründend sein.980 Schließlich lauern „überall wo Interessen partizipieren [. . .] auch Interessenkonflikte.“ 981 Wo allerdings nur Interessen, aber keine neutrale Ausgleichsinstanz etwa in Gestalt demokratischer Rechtsstaaten in Erscheinung treten, fehlt es mit Blick auf die potentiellen Interessenkonflikte an Lösungs- und Eindämmungsmechanismen. Ein dem Gemeinwohl verpflichteter Staat kann diese Konflikte moderieren und im Idealfall zum Ausgleich bringen.982 Wenn Regelbildung jedoch vorrangig in nicht moderierten und ahierarchischen Strukturen geschieht, kommt ein am Gemeinwohl orientierter Interessenausgleich zu kurz. In Anbetracht der künftig zu erwartenden zunehmenden Verdichtung von Transnationalisierungsprozessen gilt es, diesen Aspekt im Blick rechtswissenschaftlicher Untersuchungen zu behalten. Festzuhalten ist, dass sich unbeschadet der insoweit bestehenden nicht gelösten Legitimationsprobleme die wesentlichen Annahmen der Theorie transnationaler Rechtsprozesse für das untersuchte Referenzgebiet bewahrheitet haben. Für das im Zusammenhang mit den maritimen Sicherheitsdiensten maßgebliche Recht gilt, dass es einem Prozess der Transnationalisierung unterworfen ist.

II. Rechtsmethodischer Nutzen Hat sich der Analyserahmen des transnationalen Rechts nach all dem als geeignete Methode zum Verständnis der Rechtswirklichkeit erwiesen? Und recht978 Vgl. zu den Legitimationsproblemen im sich wandelnden Völkerrecht Zumbansen, Die vergangene Zukunft des Völkerrechts, KJ 2001, S. 46 ff. 979 s. o. B. III 3. b) bb) (1) (bb). 980 So ausdrücklich Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 238 ff., m.w. N. 981 Köndgen, Privatisierung des Rechts, AcP 2006, S. 477 (522). 982 So unterstreicht beispielsweise das deutsche Grundgesetz den insoweit dienenden Charakter des Staates, indem bereits in dessen Präambel auf die staatliche „Verantwortung vor den Menschen“ Bezug genommen wird. Die daneben bestehende Garantie der Menschenwürde drückt die Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte aus und über die feste Verankerung von Demokratie, Rechts- und Sozialstaat gewährleistet das Grundgesetz mithin, dass alles staatliche Handeln gegenüber allen Menschen immer auch verantwortungsethischen Maximen im Sinne Max Webers unterworfen sein muss. Wenn es einzelnen Regelungsurhebern wie im transnationalen Raum an der Verpflichtung „allen zu dienen“ fehlt, können sich für „den einzelnen“ potentiell verheerende Konsequenzen ergeben. Vgl. zum ganzen etwa Herdegen, in: Maunz/Dürig, Kommentierung zur Präambel des GG, Rn. 39 ff. sowie Weber, Politik als Beruf, 2010, S. 56.

218

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

fertigt dies auch die fundamentale Erweiterung des Rechtsbegriffes, wie sie im transnationalen Recht vorgenommen wird? Wie bereits gezeigt, hätte eine Untersuchung lediglich der Strukturen des Hard Law kein umfassendes Verständnis der rechtlichen Implikationen der maritimen Sicherheitsdienste ermöglicht. Dies konnte vielmehr erst durch die Einbeziehung der genuin transnationalen Steuerungsinstrumente des Soft Law ermöglicht werden. Damit hat sich der methodische Rahmen des transnationalen Rechts auch als sinnvoll zur Analyse eines internationalen Phänomens erwiesen. Anlass sowohl für Zuspruch wie auch für Kritik am Konzept des transnationalen Rechts ist seit jeher dessen kategoriale Erweiterung des Rechtsbegriffs. Mit der auch hier vertretenen Auffassung, dass ein entwickelter Rechtsbegriff neben den Mechanismen der Rechtsentstehung auch solche der Anwendung und Durchsetzung voraussetzt, sieht sich ein solchermaßen erweiterter Rechtsbegriff allerdings gewissen Problemen ausgesetzt: Für den untersuchten Regelungszusammenhang existiert weder eine eigene Gerichtsbarkeit noch ein den staatlichen Exekutivapparaten vergleichbarer Durchsetzungsapparat. Die Befolgung der genuin transnationalen Regelungen (bzw. deren Durchsetzung) wird, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, auf andere Weise versucht zu erreichen. Zertifizierungs-, Monitoring- und Auditingprozesse, vertragliche Implementierung und Einbettung der Soft-Law-Instrumente in den (zwangsbewehrten) Kontext der hoheitlichen Regelungen sind hier die Stichworte. Nicht zuletzt die Tatsache, dass schlichtweg nicht alle Sicherheitsdienste die Zertifizierung unter die Standards angestrebt oder erlangt haben oder auch nicht alle Sicherheitsdienste den ICoC gezeichnet haben, offenbart dabei die Schwächen des zu transnationalen Regelungsstrukturen erweiterten Rechtsbegriffs. Gleichzeitig aber wäre ohne die Einbeziehung dieser Regelungen, die letztlich unabhängig von ihrer Qualität als Recht oder Nicht-Recht eben doch erhebliche praktische Relevanz besitzen, keine vergleichbar aufschlussreiche Betrachtung der Regulierung der Sicherheitsdienste möglich gewesen. Dabei hat keine Untersuchung zum transnationalen Recht zum Ziel, den Rechtsbegriff zu verwässern oder abzuschaffen. Vielmehr geht es – in Anerkennung der durch die Globalisierungsprozesse und gleichzeitige globale Fragmentierung entstandenen neuen Ordnungsmuster – darum, die Errungenschaften des (staatlichen) Rechts in den Zustand fortschreitender Entstaatlichung hinüber zu retten.983 Mit dem Begriff der transnationalen Regelungsstrukturen gelingt es, das staatliche Recht angemessen zu rekontextualisieren; staatliches Recht wird weder abgeschafft noch zum alleinigen Untersuchungsgegenstand rechtswissenschaftlicher Arbeit „hochstilisiert“, sondern ein-

983 Calliess/Maurer, Transnationales Recht – eine Einleitung, in: Calliess (Hrsg.), Transnationales Recht, 2014, S. 30; vgl. auch Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, 2012, S. 77.

III. Ausblick

219

gebettet in ein pluralistisches Ordnungsmuster, das letztlich insgesamt besser geeignet ist, die Realität abzubilden.984 So erscheint der begriffliche Abstand, den eine als Transnationalisierung bezeichnete Entwicklung zu dem polarisierenden Begriff des transnationalen Rechts schafft, auch als ein angemessener Ausweg, die Rechtswissenschaft nicht gegenüber den vor rund 60 Jahren von Philip Jessup identifizierten other rules, welche nicht in die Kategorien des staatlichen oder zwischenstaatlichen Rechts passen, zu verschließen. Das post-etatistische Verständnis eines transnationalen Rechts sui generis zugunsten einer funktionalen Lesart aufzugeben hat es dabei erst ermöglicht, die vielfältigen Dependenzen zwischen den hoheitlichen und den privaten Regelungen offenzulegen. Indem die eine Ebene die andere inhaltlich ergänzt oder indem staatliche Autoritäten und Durchsetzungsmechanismen in die Implementierung privater Normen eingebunden werden, stellt sich die Regulierung der maritimen Sicherheitsdienste als ein transnational durchdrungener Sachverhalt dar. Aus einer streng etatistischen Perspektive hätten diese Zusammenhänge nicht offengelegt werden können. Rechtswissenschaftliche Untersuchungen, die den Anspruch erheben, eine umfassende Analyse der normativen Ordnungsmuster zu erstellen, können sich aber nicht einfach bestimmten Steuerungsinstrumenten verschließen. Dass diese zum Untersuchungsgegenstand geworden sind, ist und bleibt das Verdienst des als Rechtsmethode verstandenen transnationalen Rechts und seines um die Kategorie des Soft Law erweiterten Rechtsbegriffs.

III. Ausblick Die mitunter prognostizierten revolutionären Umwälzungen einer vollständigen Entstaatlichung des Rechts oder einer vollständigen Überlagerung hoheitlicher durch private Regelungsstrukturen konnten im Zuge dieser Untersuchung nicht beobachtet werden. Gleichzeitig ist jedoch ersichtlich geworden, dass verschiedene Formen privaten Rechts mittlerweile eine erhebliche Rolle spielen und dies – hiervon kann ausgegangen werden – auch zukünftig tun werden. Hiermit umgehen zu lernen und dabei die sich wandelnde Rolle der Staaten im Blick zu behalten, wird (weiterhin) zu den vordringlichen Aufgaben des Völkerrechts gehören; es wird sich, wo dies noch nicht geschehen ist, von dem Paradigma eines reinen Koordinations- und Kooperationsrechts der Staaten lösen müssen. Dies gilt umso mehr, als dass sich einzelne Problemstellungen in zunehmendem Maße ohnehin nicht mehr allein im Hinblick auf die Interessen einzelner Staaten lösen

984 Vgl. zu dieser „Kontextualisierung“ auch Glenn, A Transnational Concept of Law, in: Cane/Tushnet (Hrsg.), The Oxford Handbook of Legal Studies, 2003, S. 839 (839).

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D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

lassen werden.985 Die zu den theoretischen Annahmen des globalen Rechtspluralismus mitunter geäußerten Befürchtungen, unterschiedliche Rechtsordnungen würden in Einzelbereichen zu Widersprüchen oder Rechtsebenenkollisionen führen, ließen sich demgegenüber hier nicht erhärten. Auch wenn die unterschiedlichen Ebenen mitunter sehr unterschiedliche Regelungsbereiche abdecken, so kommt es dennoch – zumindest für den untersuchten Sachzusammenhang – nicht zu nennenswerten Konfliktlagen von einander ausdrücklich widersprechenden Regelungen. Auch wenn dies der Natur des Regelungsgegenstands geschuldet sein dürfte – Piraten sind schlechterdings jedermanns Feind und deren Bekämpfung jedermanns Anliegen –, die befürchteten Rechtsebenenkollisionen sind ausgeblieben. Damit konnte mit dieser Arbeit auch lediglich die Emergenz transnationaler Regelungsstrukturen untersucht werden, nicht hingegen der Casus Belli, also die Frage, welche der Regelungsebenen sich im Konfliktfall als die stärkere erweisen würde. Die komplexen Beziehungen der unterschiedlichen Regelungsstrukturen zueinander offenbaren nichtsdestoweniger eine besondere Aufgabe, die auf die Staaten zukommen wird, die, wenn auch nicht länger über die alleinige Regelungshoheit, so doch nach wie vor über die stärksten und eigentlichen Zwangsmechanismen verfügen: Die Staaten sind es, die die Koordinierung der unterschiedlichen Regelungsebenen und die Einbeziehung möglichst sämtlicher auf den unterschiedlichen Ebenen angesiedelter Expertise in ein effektives Regelungsnetzwerk gewährleisten müssen.986 Zumindest mit Blick auf das untersuchte Referenzgebiet hat sich gezeigt, dass transnationale Regelungsstrukturen auf der Völkerrechtsebene mittlerweile zur Realität gehören. Hergebrachte Regulierungsebenen – etwa die völkerrechtliche oder die unionsrechtliche – haben bei der Regulierung der Sicherheitsdienste keine Rolle von größerer Bedeutung gespielt. Dabei wären insbesondere bereits etablierte supranationale Instanzen wie die Europäische Union gefordert: Die EU verfügt nicht nur über den Vorteil, dass sie Regelungen von großer Reichweite hervorbringen und durchsetzen kann, sondern besitzt im Gegensatz zu den inkrementell wachsenden Akteursstrukturen im transnationalen Raum auch ein Mindestmaß an demokratischer Rückbindung. Bei der Regulierung derart sensibler Bereiche wie der Aufrüstung der Handelsschifffahrt mit schwer bewaffneten Sicherheitsdiensten kann die Zivilgesellschaft nicht sich selbst überlassen bleiben. Vielmehr bedarf es der festen und unumgänglichen

985 Hierzu Sieber, Rechtliche Ordnung in einer globalen Welt, Rechtstheorie 2010, S. 151 (157 ff.). 986 So z. B. auch Rost, Die Herausbildung transnationalen Wirtschaftsrechts, 2007, S. 269; v. Arnauld, Autonomie privaten Rechts und dessen Einbindung in die staatlichen Rechtsordnungen, in: Bumke/Röthel (Hrsg.), Privates Recht, 2010, S. 247 (267 f.); Voßkuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, VVDStRL 62, 2003, S. 268 (285).

III. Ausblick

221

Einbindung gemeinwohlverpflichteter Kräfte.987 Im transnationalen Raum entstehen zwar eigene Regelungskonzepte, deren Angemessenheit kann aber nicht per se vorausgesetzt werden. Wie sich im vorliegenden Fall gezeigt hat, sind beispielsweise Aspekte des Schutzes des menschlichen Lebens nicht immer in bestmöglicher Weise berücksichtigt worden. Dass dies unter anderem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass in den relevanten Akteursstrukturen in erster Linie Vertreter der Sicherheitsindustrie und des Handels beteiligt waren, liegt nahe und lenkt den Blick zwangsläufig auf das nach wie vor bestehende Erfordernis der „koordinierenden Instanz“ und das akute Legitimationsproblem transnationalen Rechts. Im Gegensatz zur früheren Rolle der Staaten als alleinigen Akteuren auf der Ebene des Völkerrechts gilt es, das Profil des koordinierenden Staates zu schärfen und die Staaten in dieser Rolle als einen Teil des jeweiligen Gesellschaftssektors zu begreifen. Einer „koordinierenden Instanz“ wird es nämlich auch mit Blick auf die künftige Entwicklung der maritimen Sicherheitsdienste bedürfen: Die Instrumente des Soft Law sind z. T. umfassend und weitreichend, sie vermögen die koordinierte Regulierung durch eine Instanz, die alle Interessen im Blick hat, jedoch nicht vollständig zu ersetzen.988 Wie sich gezeigt hat, sind in den maßgeblichen Akteursstrukturen vor allem diejenigen Akteure repräsentiert, die zum einen über ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Entstehung der Regelungen verfügten und zum anderen überhaupt die wirtschaftlichen Ressourcen für die Beteiligungsarbeit aufbringen konnten. Hier ging es um die Bekämpfung der Piraterie und damit eine auf den ersten Blick vergleichsweise einfach gelagerte Interessenlage. Selbst in diesem Zusammenhang hat sich allerdings gezeigt, dass in der zivilgesellschaftlichen Selbstregulierung keinesfalls automatisch alle Interessen zur Geltung kommen, oder, wenn sie denn festgeschrieben werden konnten, auch durchgesetzt werden. Hier ist, auch mit Blick auf eine ungewisse Zukunft der Branche, nach wie vor eine stärkere Koordination durch hoheitliche Akteure geboten. Sei es durch die Übernahme der (reichlich vorhandenen) Regelungen des Soft Law in zwangsbewehrte Systeme staatlichen Rechts oder durch ein staatlicherseits stärker überwachtes oder koordiniertes Zertifizierungs- und Monitoringwesen oder die international verbindliche Vorgabe einer Zertifizierung nach den einschlägigen Standards. Dass in den transnationalen Regelungsstrukturen über kurz oder lang womöglich bloß ein Abbild der wirtschaftlichen Potenz der Beteiligten, nicht jedoch ein vollständiges Abbild des relevanten Interessenspektrums entstehen könnte, ist jedenfalls kein erstrebenswerter Zustand. Wie nicht zuletzt die jüngsten Entwicklungen des Bürgerkriegs im Jemen zeigen, wird die geopolitische Gesamtsituation immer eine große Rolle für die mari987

Vgl. o. I. a. E. In diesem Sinne auch Dutton, Gunslingers on the High Seas, Duke Journal of Comparative and International Law 24 (2013), S. 107 (152). 988

222

D. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen

timen Sicherheitsdienste spielen. Die derzeit erheblich verstärkte Präsenz arabischer und US-amerikanischer Marinekräfte vor der jemenitischen Küste989 kann kurzfristig zu einem Rückgang der Bedrohung durch die Piraten führen, damit den Bedarf an maritimen Sicherheitsdiensten senken und zu qualitätsschädigenden Preiskämpfen führen. Auf der anderen Seite kann die Destabilisierung des Landes langfristig dazu führen, dass in einem möglichen staatlichen Machtvakuum neue und schlagkräftige Piratennetzwerke entstehen,990 womit erneut ein wachsender Bedarf an maritimen Sicherheitsdiensten bestünde. Vor diesem Hintergrund verbleibt die weitere Verbesserung der Qualitätsstandards der Sicherheitsdienste auch zukünftig eine wichtige Aufgabe, an deren Umsetzung sich nicht zuletzt hoheitliche Akteure stärker zu beteiligen haben werden.

989 Sciutto/Crawford, Warships near Yemen create ,Options‘ for dealing with Iranian Vessels, CNN-Online vom 22.04.2015, online verfügbar unter: http://edition.cnn.com/ 2015/04/20/politics/iran-united-states-warships-monitoring/, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016. 990 al-Kamali, Could Yemen become the next base for pirates? al-Araby al-Jadeed vom 16.02.2015, online verfügbar unter: http://www.alaraby.co.uk/english/features/ 2015/2/16/could-yemen-become-the-next-base-for-pirates, zuletzt abgerufen am 02.08. 2016.

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Stichwortverzeichnis Akteursstrukturen – Hoheitliche Akteure 130 – Hybridität 144 – Privatakteure 132 ANSI 188, 195, 200, 202

ISO 77, 90, 96, 106, 133, 137, 139, 188, 189, 191, 200 Jemen 221 Küstenstaatsjurisdiktion 153

Best Management Practice 175, 186, 187 BIMCO 138, 144, 175 Contact Group on Piracy 141 Einheit der Rechtsordnung 32, 75, 109 Entstaatlichung 13, 18, 19, 48, 219 Flaggenstaatsprinzip 150 Fragmentierung – Begriff 34 – Gesellschaftliche Fragmentierung 42, 216 – Rechtsfragmentierung 35 Friedliche Durchfahrt 149, 151 Funktionale Differenzierung 42, 44, 47, 216 Gewaltmonopol 114, 127, 128 Gewerbeordnung 167 Globale Bukowina 26, 28 Globalisierung 16, 25, 30, 43, 45, 50, 54, 61, 65, 76, 108, 109, 218 Governancetheorie 106 Hochrisikogebiet 117, 120, 171 ICoC 175, 203, 206 IMO 17, 116, 130, 160, 162, 170, 176, 181, 186, 189, 194, 202, 203

Legitimation 31, 82, 87, 105, 108, 217 Letztentscheidungsbefugnis 157, 183, 199, 212 Menschenrechte 36, 177 NGO 72, 87, 93, 106, 131 Rechtskollisionen 39, 46 Rechtspluralismus – Begriff 23 – Globaler Rechtspluralismus 25, 52, 95, 109, 220 Rechtsquellenpluralisierung 66 Regelungsstruktur 17, 31, 33, 62, 66, 67, 71, 98 Rules for the Use of Force 162, 163, 184, 190, 198 SAMI 136 Schiedsgerichte 40, 59, 186, 208 Seerechtsübereinkommen 149, 170, 171 Selbstregulierung 14, 63, 77, 83, 90, 93, 95, 147, 174, 175, 187, 216, 221 Soft Law – Autonome Rechtsordnungen 94 – Begriff 95 – durch Internationale Organisationen 91 – im Völkerrecht 69

Stichwortverzeichnis – Kosmopolitisches Recht 93 – Selbstregulierung 83 – Standards 76 Somalia 16, 115, 120, 141, 143, 172, 186, 202 Souveränität 13, 49, 73 Standardisierung 13, 76, 95, 110, 133, 189, 208 Systemtheorie 42 Transnationales Recht – Akteure 100

– Begriff 52 – Rechtsbegriff 66 – Verwendungskontexte 55 UKAS 139 Unionsrecht 204, 220 Völkerrechtsquellen 68, 70 Waffenrecht 159, 160, 166 Westafrika 115, 126, 151

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